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German Pages [312] Year 1997
V&R
Meinem Schwager Dietmar Kamiah
RALPH MEIER
Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 80
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Meier, Ralph: Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand / Ralph Meier. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 80) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-525-56287-X NE: GT
© 1997 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1995 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig bearbeitet. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Reinhard Slenczka, der die Entstehung der Arbeit in vielen Gesprächen mit hilfreichen Anregungen und Hinweisen begleitete, danke ich für die gute Betreuung dieses Projektes. Ihm und seiner Frau danke ich darüber hinaus für die Gastfreundschaft und die freundliche Aufnahme, die sie mir gewährt haben. Meinem Doktorvater und Herrn Professor Dr. Hans Günter Ulrich danke ich für die Erstellung der Gutachten. All denen, die auf verschiedene Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, sage ich meinen herzlichen Dank. Herr Professor Dr. Torleiv Austad von der Gemeindefakultät in Oslo hat das Entstehen der Arbeit in allen Phasen mit Interesse und freundschaftlichem Rat begleitet. Für manche guten Gespräche danke ich Herrn Dr. Eberhard Hahn und Herrn Oberkirchenrat Dr. Werner Führer ebenso wie Herrn cand. theol. Martin Abraham für die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens, der er sich unterzogen hat. Mit ermöglicht wurde diese Arbeit durch ein Stipendium des Arbeitskreises für evangelikale Theologie. Der ehemalige Rektor des Albrecht-BengelHauses Tübingen, Herr Prälat Dr. Gerhard Maier, hat die Fertigstellung dieser Arbeit während meiner Teilzeittätigkeit als Bibliothekar im Bengelhaus durch sein Entgegenkommen unterstützt. Auch meine Mutter und meine Schwiegereltern haben auf verschiedene Weise zum Gelingen der Promotion bei getragen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ein besonderer Dank gebührt meiner lieben Frau Antje und unseren Kindern Svenja und Nils, die für den nötigen Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit gesorgt haben. Wir denken gerne an die gemeinsame Zeit in Bernhausen zurück. Die Drucklegung der Arbeit wurde ermöglicht durch Zuschüsse der Hans-Iwand-Stiftung e.V., der Schaumburg-Lippischen Landeskirche und des Arbeitskreises für evangelikale Theologie.
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Ihnen allen danke ich an dieser Stelle dafür ganz herzlich. Dem Verlag danke ich für die gute Zusammenarbeit und Herrn Professor Dr. Wolfhart Pannenberg und Herrn Professor Dr. Reinhard Slenczka für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie". Gewidmet ist diese Arbeit meinem Schwager Dietmar Kamiah. Vor nunmehr dreizehn Jahren erhielt ich durch ihn während unserer gemeinsamen Zeit der theologischen Ausbildung die ersten Impulse zur Beschäftigung mit Hans Joachim Iwand. Stadthagen, im Advent 1996
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Ralph Meier
Inhalt
Einleitung I. Ziel, Methode und Aufbau dieser Untersuchung II. Kurzbiographie Hans Joachim Iwand III. Der Stand der Iwand-Interpretation 1. Zur Wirkungsgeschichte Iwands 2. Die Forschungslage zu Iwands Theologie
15 16 20 27 27 28
Teil 1 Gesetz und Evangelium im Rahmen der Christologie und Rechtfertigung I. Der Ort der Lehre von Gesetz und Evangelium
36
1. Der Ausgangspunkt in der Theologie Luthers 2. Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Christologie 2.1 Das Verhältnis von Rechtfertigung und Christologie 2.1.1 Sola fide 2.1.2 Fides Jesu Christi 2.1.3 „Extra nos" und „in nobis" 2.2 Gesetz und Evangelium in der Rechtfertigung und Christologie 3. Zusammenfassung
41 43
II. Die Lehre von der Heiligen Schrift als Gesetz und Evangelium (Hermeneutik)
45
1. Die Heilige Schrift und das Wort Gottes 1.1 Heilige Schrift und Gottes Wort - Einheit in noetischer Differenz 1.1.1 Gottes Wort als Menschenwort 1.1.2 Die Heilige Schrift als das Wort Gottes 1.1.3 Die Heilige Schrift als Zeugnis
36 37 37 37 39 40
45 46 46 49 52
7
1.2
Heilige Schrift und Gottes Wort in ontischer Unterscheidung 1.3 Gott als Subjekt der Heiligen Schrift 2. Die Heilige Schrift als Gesetz und Evangelium 3. Gesetz und Evangelium als Auslegungsprinzip der Heiligen Schrift 4. Zusammenfassung III. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
53 55 57 58 62 64
1. Die 1.1 1.2 1.3 2. Die 2.1
dreifache Unterscheidung von Gesetz und Evangelium 65 Die zeitliche Unterscheidung 65 Die formale Unterscheidung 68 Die inhaltliche Unterscheidung 69 Folgen der Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium 71 Der Nomismus 72 Exkurs: Die idealistisch-reformatorische Rechtfertigungslehre Albrecht Ritschis 73 Rechtfertigung und Versöhnung 74 Reich Gottes 76 Beurteilung 77 Das Rechtfertigungsverständnis Karl Holls 79 2.2 Der Antinomismus 81 2.2.1 Die Predigt von Gesetz und Evangelium 82 2.2.2 Natürliches Gesetz und Gottes Gesetz als Offenbarung 83 2.2.2.1 Natürliches Gesetz 83 2.2.2.2 Die Lehre vom Volksnomos 88 Ursprünge der Volksnomoslehre 88 Wilhelm Stapel (1882-1954) 89 Friedrich Gogarten (1887-1967) 89 Iwands Kritik an der Volksnomoslehre 92 2.2.2.3 Gottes Gesetz als Offenbarung (λόγος und νόμος) 95 3. Die Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Anfechtung 99 4. Zusammenfassung 101
IV. Die Aufgabe des Gesetzes und das Evangelium 1. Der „eigentliche" Brauch des Gesetzes - der usus elenchticus legis 1.1 Das Gesetz wirkt Erkenntnis der Sünde
8
103 104 105
1.2 Das Gesetz wirkt Selbst- und Gotteserkenntnis 1.2.1 Peccatum originale 1.2.2 Ineinander von Selbst- und Gotteserkenntnis 1.3 Das Gesetz in der Rechtfertigung und Christologie 1.3.1 Deum iustificare - Gott recht geben 1.3.2 „Pro me" 1.3.3 Das Gesetz als Zuchtmeister auf Christus 1.4 Die Grenze des Gesetzes 2. Die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung - der tertius usus legis 2.1 Der Zusammenhang von Gerechti gkeit und Geist 2.1.1 Gottes Geist bewahrt vor Nomismus und Antinomismus 2.2 Heiligung als Unterordnung unter Gottes Gerechtigkeit durch den Heiligen Geist 2.3 Das Gesetz im Leben des Christen 2.3.1 Werner Eiert: Lex semper accusat 2.3.2 Karl Barth: Das Gesetz als Gabe und Verheißung 2.3.3 Edmund Schlink: Leben in und unter dem Gesetz 3. Die Aufgabe des Gesetzes im Staat - der usus politicus legis 4. Das Evangelium 4.1 Der Inhalt des Evangeliums: Gottes Gerechtigkeit 4.1.1 Gottes Gerechtigkeit als iustitia passiva 4.1.2 Rechtfertigung - forensisch und effektiv 4.1.3 Christus unsere Gerechtigkeit 4.2 Die Gabe des Evangeliums 5. Zusammenfassung V. Die Einheit und die Abfolge von Gesetz und Evangelium 1. Die Einheit von Gesetz und Evangelium 1.1 Die Einheit im Wort Gottes 1.2 Die Einheit in Jesus Christus 1.3 Die Einheit im Menschen 2. Die Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium 3. Die Abfolge von Gesetz und Evangelium 3.1 Gesetz und Evangelium 3.2 Evangelium und Gesetz 3.3 Rückfragen Iwands an Barth 3.4 Die Bedeutung des Glaubens 3.5 „Gesetz und Evangelium" und „Evangelium und Gesetz" 4. Zusammenfassung
107 108 109 110 111 112 114 116 118 120 121 122 128 129 130 131 133 134 134 135 136 138 140 141 145 145 145 148 149 150 154 154 155 158 159 161 162
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VI. Die Anthropologie im Rahmen von Gesetz und Evangelium
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1. Sein unter dem Gesetz 2. Fleisch und Geist - Adam und Christus 2.1 Der fleischliche Mensch 2.1.1 Concupiscentia spiritualis 2.2 Der geistliche Mensch 2.3 Kampf zwischen Geist und Fleisch - simul iustus et peccator 2.4 Adam und Christus 3. Der versöhnte Mensch 4. Zusammenfassung
166 168 168 169 171 172 175 178 180
Teil 2 Die Folgen der Lehre von Gesetz und Evangelium in der Ethik I. Ethische Grundlagen 1. Person und Werk 1.1 Der Wert der Person 1.2 Das Werk 1.2.1 Glaube und Werk - Rechtfertigung und Heiligung 2. Gottes Gebot 2.1 Die Bedeutung des ersten Gebotes für die Ethik 2.2 Die Gebote in der Ethik 2.3 Die Gebote und der Nächste 3. Evangelium und Bildung 4. Allgemeine und christliche Ethik 5. Zusammenfassung II. Die politische Ethik 1. Die Zwei-Reiche-Lehre 1.1 Die zwei Reiche bei Iwand vor 1945 1.2 Die Zwei-Reiche-Lehre der VELKD und der Ansatz Karl Barths 1.2.1 Die Kundgebung der Bischofskonferenz der VELKD vom 12. März 1952 1.2.2 Der Ansatz Karl Barths 1.3 Die zwei Reiche bei Iwand nach 1945 1.3.1 Kritik an einer quantitativen Trennung der zwei Reiche 1.3.2 Die qualitative Trennung der zwei Reiche und ihr Offensein füreinander 10
184 184 184 186 188 189 189 191 194 195 196 199 202 202 203 205 206 207 208 208 210
1.3.3 Jesus Christus als Haupt der Kirche und Herr der Welt 1.4 Iwand im Verhältnis zur VELKD und zu Karl Barth 2. Die versöhnte Welt 2.1 Umkehr und Versöhnung 2.2 Iwands Entwurf des Darmstädter Wortes von 1947 2.3 Iwands Engagement für den Frieden 3. Zusammenfassung
211 214 215 217 218 220 223
Teil 3 Die Predigt von Gesetz und Evangelium I. Die Verkündigung als Ziel der Lehre von Gesetz und Evangelium 1.Die Predigt 1.1 Predigt und Dogma 2. Der Prediger und die Aufgabe der Predigtmeditation 3. Zusammenfassung
225 226 230 232 236
II. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Predigt 237 1. Buchstabe und Geist 2. Die Predigt des Gesetzes 3. Die Predigt des Evangeliums 4. Zusammenfassung III. Gesetz und Evangelium in den Predigten Iwands 1. Predigt über Jak 2,14-26 (vor 1933?) 1.1 Predigt 1.2 Analyse 2. Predigt über Jes 43,24b-25 (1941) 2.1 Predigt 2.2 Analyse 3. Predigt über Ex 20,2-3 (1942) 3.1 Predigt 3.2 Analyse 4. Predigt über Rom 1,16-17 (1944) 4.1 Predigt 4.2 Analyse
237 240 244 246 248 249 249 250 251 251 252 253 253 254 255 255 257
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5. Predigt über Eph 3,10-17 (1945) 5.1 Predigt 5.2 Analyse Ö.Predigt über Mt 5,21-22 (1950) 6.1 Predigt 6.2 Analyse 7. Predigt über Gal 2,15-21 (1954) 7.1 Predigt 7.2 Analyse 8. Predigt über 2.Kor 5,19-21 (1957) 8.1 Predigt 8.2 Analyse 9. Predigt über Joh 1,43-51 (1959) 9.1 Predigt 9.2 Analyse 10.Predigt über Joh 14,19(1960) 10.1 Predigt 10.2 Analyse 11. Zusammenfassung Zusammenfassung und Ausblick 1. Die Lehre von der Heiligen Schrift 1.1 Einheit und Unterscheidung von Wort Gottes und Heiliger Schrift 1.2 Gott als Subjekt der Heiligen Schrift 1.3 Die Heilige Schrift als Gesetz und Evangelium 2. Die Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium 2.1 Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium 2.2 Die Einheit von Gesetz und Evangelium 3.Nomismus und Antinomismus 4. Die Aufgabe des Gesetzes und die Gabe des Evangeliums 4.1 Die Aufgabe und Grenze des Gesetzes 4.2 Die Gabe des Evangeliums 5. Die Abfolge von Gesetz und Evangelium 5.1 Gesetz und Evangelium 5.2 Evangelium und Gesetz 6. Die theologische Anthropologie 6.1 Der Mensch unter dem Gesetz 6.2 Fleisch und Geist 6.3 Der versöhnte Mensch 7. Ethische Grundlagen 12
258 258 260 261 261 263 264 264 266 267 267 268 269 269 270 271 271 272 273 275 275 275 276 277 277 277 278 279 281 281 282 283 283 283 285 285 285 286 287
8. Politische Ethik 8.1 Die Zwei-Reiche-Lehre 8.2 Iwands Eintreten für den Frieden 9. Die Predigt von Gesetz und Evangelium Literaturverzeichnis I. Primärliteratur Hans Joachim Iwand 1. Veröffentlichte Schriften 2. Unveröffentlichte Schriften II. Sekundärliteratur zu Hans Joachim Iwand III. Weitere Sekundärliteratur Personenregister
288 288 288 289 292 292 292 296 297 300 308
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Folgende Abkürzungen wurden fur Werke von Hans Joachim Iwand verwendet: BVP FO
GAI GA II NW 1 NW 2 NW 3 NW 4 NW 5 NW 6 PM I PM II
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Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen. Eine Auswahl, hg.v. Peter-Paul Sänger, Berlin (DDR) 1979. Frieden mit dem Osten. Texte 1933-1959. Hg.v. Gerard C. den Hertog unter Mitarbeit von Klaus Geyer, Jürgen Seim und Dieter Schellong, KT 28, München 1988. Um den rechten Glauben. Gesammelte Aufsätze. Hg. und eingeleitet von Karl Gerhard Steck, TB 9, München 2 1965 (= 1959). Glaubensgerechtigkeit. Lutherstudien. Hg.v. Gerhard Sauter, TB 64, 2., durchg. Aufl., München 1991 (= 1980). Nachgelassene Werke. Erster Band: Glauben und Wissen. Hg.v. Helmut Gollwitzer, München 1962. Nachgelassene Werke. Zweiter Band: Vorträge und Aufsätze. Hg.v. Dieter Schellong und Karl Gerhard Steck, München 1966. Nachgelassene Werke. Dritter Band: Ausgewählte Predigten. Hg.v. Hans Helmut Eßer und Helmut Gollwitzer, München 2 1967 (= 1963). Nachgelassene Werke. Vierter Band: Gesetz und Evangelium. Hg.v. Walter Kreck, München 1964. Nachgelassene Werke. Fünfter Band: Luthers Theologie. Hg.v. Johann Haar, München 2 1983 (=1974). Nachgelassene Werke. Sechster Band: Briefe an Rudolf Hermann. Hg. und eingeleitet von Karl Gerhard Steck, München 1964. Predigtmeditationen I, Göttingen 4 1984 (= 1963). Predigtmeditationen. Zweite Folge, Göttingen o.J. [ca. 1973].
Einleitung
„Gesetz und Evangelium" gehört zu den zentralen Themen evangelischer Theologie. Die Diskussion um dieses Problem ist in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts vor allem zwischen lutherischen und reformierten Theologen intensiv geführt worden. Auf die gegenwärtige Situation gesehen kann mit Wilfried Joest das Fazit gezogen werden: „Die Diskussion um Gesetz und Evangelium, bis etwa 1960 lebhaft gefuhrt, ist dann eher verstummt als zu einem Ziel gelangt. ... Man darf aber nicht meinen, das aus der Diskussion zurückgetretene Thema sei auch in der Sache inaktuell, zu einem Gegenstand von nur noch historischem Interesse geworden.... Die Klärung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium bleibt eine wesentliche Aufgabe dogmatischer Besinnung."1 Hans Joachim Iwand (1899-1960) hat in dem Thema von Gesetz und Evangelium nicht einen Teilbereich, sondern das Ganze der Theologie gesehen. Gegründet in der Theologie Martin Luthers, hat er sein Leben lang die Auseinandersetzung um dieses Thema mit der zeitgenössischen Theologie, insbesondere mit der Theologie Karl Barths, geführt und darin einen bleibend wichtigen Beitrag zum Verständnis von Gesetz und Evangelium geleistet. Sein besonderes Verdienst liegt darin, die Bedeutung von Gesetz und Evangelium fur die Christologie und Rechtfertigung (und damit auch für die theologische Anthropologie) gezeigt zu haben. Wenngleich in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse an der Theologie Hans Joachim Iwands zu verzeichnen ist, fehlt bislang eine ausführliche Darstellung seiner Lehre von Gesetz und Evangelium.2
1
Wilfried Joest, Dogmatik Bd. 2: Der Weg Gottes mit dem Menschen, Göttingen 3 1993,
503. 2
Dazu s.u. Einleitung, III. Der Stand der Iwand-Interpretation, 26ff.
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I. Ziel, Methode und A u f b a u dieser Untersuchung
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, Iwands Lehre von Gesetz und Evangelium aus seinem Gesamtwerk systematisch darzustellen und anhand seines Werkes die Bedeutung von Gesetz und Evangelium in Lehre und Verkündigung wie auch die Gefahren deutlich zu machen, die sich aus der Vermischung von Gesetz und Evangelium und aus der Beseitigung des Gesetzes ergeben. Um Iwand selbst angemessen zur Sprache kommen zu lassen, beschränken sich theologische Anfragen an seine Position auf die Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels und auf den Schluß der Untersuchung. Die bei dieser Studie angewandte Methode ist die der werkimmanenten Interpretation, die Iwands Aussagen systematisch-theologisch darstellt und interpretiert. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Iwand seinen Entwurf in der Auseinandersetzung mit theologischen Positionen seiner Zeit präzisiert und in Teilen verändert hat. Dieser Umstand wird in der vorliegenden Arbeit in der Weise berücksichtigt, daß an den Stellen, wo Iwand seine theologischen Anschauungen verändert hat, die Unterschiede dargestellt werden und den Gründen für die veränderte Sichtweise nachgegangen wird.3 Die unbestreitbare Verflechtung von Theologie und Biographie bei Iwand, die mehr oder weniger stark allerdings jeden Theologen betrifft, rechtfertigt bei einer nicht kirchengeschichtlich, sondern systematischtheologisch orientierten Arbeit ein biographisches Vorgehen4 nur unzureichend, zumal für Iwand auch das gelten muß, was er im Blick auf die Rechtfertigungslehre Luthers formuliert hat: „Es ist falsch, seine Lehre mit den Besonderheiten seiner Zeit, mit der Entwicklung seiner Person zu erklären, w i e leider immer wieder in unserem psychologistischen Zeitalter geschieht; denn damit wird die Verbindlichkeit seiner Lehre aufgeho-
3 Vgl. Eeva Martikainen, Evangelium als Mitte. Das Verhältnis von Wort und Lehre in der ökumenischen Methode Hans Joachim Iwands, AGTL NF 9, Hannover 1989, die in ihrer systematischen Untersuchung die Entwicklung von Iwands Theologie dort darstellt, wo „... es für das Verständnis seiner Gedanken vonnöten ist." A.a.O. 19. 4 Vgl. den biographischen Aufbau der systematisch-theologischen (!) Dissertation von Gerard Cornells den Hertog, Befreiende Erkenntnis. Die Lehre vom unfreien Willen in der Theologie Hans Joachim Iwands, NBST 16, Neukirchen 1994. Zur Begründung seines Vorgehens vgl. a.a.O. 12-14.
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ben. Es geht um die schlichte Frage von wahr und falsch, um die Frage, ob man mit dieser Lehre selig wird oder verloren geht."5
Frontstellungen von Iwands Theologie werden dort herangezogen und skizziert, wo sie entweder von Iwand selbst benannt werden bzw. implizit deutlich hervortreten oder (in der Abgrenzung) der Veranschaulichung seiner eigenen Position dienen. Das gleiche gilt für Theologen, die Iwand positiv aufgenommen hat und die ihn unmittelbar geprägt haben wie vor allem sein Lehrer Rudolf Hermann oder später Karl Barth. Iwand selbst nennt immer wieder Luther als seinen wichtigsten theologischen Lehrer, was auch daran ersichtlich ist, daß die beiden einzigen größeren von Iwand publizierten Monographien 6 über Luthers Theologie, insbesondere über die Rechtfertigung, handeln. Weil Iwand in diesen Schriften von 1930 bzw. 1941 und am ausfuhrlichsten in seiner postum veröffentlichten Vorlesung von 19377 die Lehre von Gesetz und Evangelium entfaltet, ist der Ausgangspunkt vor allem in Teil 1 und 3 der vorliegenden Darstellung nicht - wie bei der Mehrzahl der Arbeiten über Iwand - das Spätwerk Iwands nach 1945, sondern seine Arbeiten vor dieser Zeit, so daß mögliche Veränderungen der Anschauungen Iwands in den fünfziger Jahren daran anschließend deutlich gemacht werden. Grundlage der Untersuchung ist das Gesamtwerk Iwands 8 , zu dem außer seiner Habilitationsschrift 9 und den von ihm selbst veröffentlichten Aufsätzen und Predigtmeditationen auch die in den „Nachgelassenen Werken" gesammelten Vorträge, Aufsätze und Vorlesungen Iwands gehören, die nach seinem Tod herausgegeben wurden. Die Zuverlässigkeit der Quellen in den Nachgelassenen Werken muß sich im Zweifelsfall an veröffentlichten Schriften aus dem gleichen Zeitraum bewähren. Soweit es für Erkenntnisse zum Thema weiterführend ist, werden auch unveröffentlichte Materialien aus dem Iwand-Archiv in Beienrode herangezogen. Die Untersuchung ist folgendermaßen aufgebaut·. In der Einleitung folgt eine Kurzbiographie von Iwand, aus der u.a. die Bedeutung von Gesetz und Evangelium für sein gesamtes Leben und Werk ersichtlich wird, und ein 5 Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre (1941), GA II, 17 [Glaubensgerechtigkeit, GA II]. 6 Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube. Eine Untersuchung zur Systematik der Rechtfertigungslehre Luthers in ihren Anfängen, Leipzig 1930 (= München 3 1966) [RuC]; ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 11-125. 7 Vgl. Iwand, Gesetz und Evangelium I. Nachschrift einer Vorlesung (1937), N W 4, 11230 [GuE (1937), N W 4]. 8 Vgl. die Bibliographie der Schriften Iwands und über Iwand von Dieter Pauly, Bibliographie, 1. Hans Joachim Iwand: Publikationen 1920-1960, 2. Über Hans Joachim Iwand: Sekundärliteratur, in: Peter-Paul Sänger/Dieter Pauly, Hans Joachim Iwand - Theologie in der Zeit, KT 85, München 1992, 2 2 5 - 3 1 6 . 9 Iwand, RuC.
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Blick auf die Wirkungsgeschichte von Iwand und die Forschungslage zu seiner Theologie. Teil 1 bildet als dogmatische Darstellung der Lehre Iwands von Gesetz und Evangelium den Hauptteil der Arbeit. Als Ort der Lehre von Gesetz und Evangelium bei Iwand sind Rechtfertigung und Christologie erkennbar (Teil 1, Kap. I). Jede reformatorische Dogmatik hat ihren Grund in der Heiligen Schrift, so daß vor der eigentlichen Darstellung von Gesetz und Evangelium nach der Hermeneutik Iwands (Teil 1, Kap. II) zu fragen ist. Bereits an seiner Verhältnisbestimmung von Wort Gottes und Heiliger Schrift ist die Kontinuität (Gott als Subjekt der Heiligen Schrift) und Veränderung seiner Theologie (von einer noetischen Unterscheidung von Wort Gottes und Heiliger Schrift hin zu einer ontischen Unterscheidung) im Lauf seines Lebens erkennbar. Im Anschluß daran wird die bei Luther gefundene zeitliche, formale und inhaltliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - in ihrer Bezogenheit auf Christus - dargestellt und die Wichtigkeit dieser Unterscheidung an den Folgen der Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium im Nomismus und Antinomismus aufgewiesen (Teil 1, Kap. III, 1 und 2). Iwand vermag eindrucksvoll an den Irrwegen des Nomismus und Antinomismus (insbesondere in der Ausprägung der Volksnomoslehre in den dreißiger Jahren) die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium deutlich zu machen. Die Anfechtung ist für Iwand der Ort, an dem sich diese Unterscheidung bewähren muß (Teil 1, Kap. III, 3). Danach ist genauer nach der Aufgabe des Gesetzes und nach dem Evangelium im Verständnis Iwands zu fragen (Teil 1, Kap. IV). Als ein Schwerpunkt seines theologischen Nachdenkens zeigen sich seine Ausführungen über das Gesetz, die in dieser Arbeit einen dementsprechend großen Platz einnehmen. Vor allem aus Iwands Darlegungen über den usus elenchticus legis (Teil 1, Kap. IV, 1) wird die Bedeutung von Gesetz und Evangelium in ihrer Unterscheidung und Bezogenheit auf Christus für die Rechtfertigung und Christologie ersichtlich. Neben dem usus elenchticus legis vertritt Iwand den tertius usus legis als Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung und bejaht den usus politicus legis zur Erhaltung der äußeren Ordnung im Staat (Teil 1, Kap IV, 2 und 3). In seiner Lehre vom Gesetz betont Iwand durchgängig den Offenbarungscharakter des Gesetzes, der mit dem Ausgerichtetsein des Sinai-Gesetzes auf Christus hin gegeben ist. Das Evangelium (Teil 1, Kap. IV, 4) ist für Iwand die Gabe der Gottesgerechtigkeit, die dem Menschen als Verheißung zugesagt und geschenkt wird. Aufgrund dieser eindeutigen Bestimmung des Evangeliums wird dieses Thema von Iwand weniger ausführlich als das Gesetz entfaltet. Neben der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium betont Iwand die Einheit beider, die für ihn im Wort Gottes, in Christus und im Menschen gegeben ist (Teil 1, Kap. V, 1 und 2). Im Anschluß daran wird die Iwand 18
vor allem nach 1945 bewegende Frage nach der Abfolge von Gesetz und Evangelium (Teil 1, Kap. V, 3) als Streitpunkt zwischen dem lutherischen und Barthschen Verständnis von Gesetz und Evangelium erörtert. Den Abschluß des dogmatischen Teils bildet die theologische Anthropologie (Teil 1, Kap. VI), die als Frage nach der Rechtfertigung des Sünders in die Lehre von Gesetz und Evangelium hineingehört. Da Iwands Ethik {Teil 2) in ihren Grundlagen wie auch in der Konkretion insbesondere als politische Ethik bereits Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung und mehrerer Aufsätze ist, wird sie im Rahmen dieser Arbeit nicht so ausfuhrlich wie die Dogmatik behandelt. Die Stellung der Ethik nach der Dogmatik folgt dem eigenen Ansatz Iwands, nach dem Dogmatik und Ethik zwar nicht voneinander zu trennen sind, aber die Dogmatik der Ethik vorgeordnet ist. Es geht hier vor allem darum, wie Iwands Lehre von Gesetz und Evangelium seine Ethik bestimmt. Dazu ist in den ethischen Grundlagen nach dem Verhältnis von Person und Werk (Teil 2, Kap. I, 1) und nach der Bedeutung des Gebotes Gottes wie des Evangeliums für die Ethik zu fragen (Teil 2, Kap. I, 2 und 3). Anschließend wird Iwands Sicht des Verhältnisses von allgemeiner und christlicher Ethik dargestellt. Für Iwands politische Ethik ist seine Zwei-Reiche-Lehre von Bedeutung, die in der Zeit nach 1945 im Vergleich zu den dreißiger Jahren eine deutliche Veränderung erfahren hat (Teil 2, Kap. II, 1). Iwands politisches Engagement nach 1945 geschieht vom theologischen Ausgangspunkt der versöhnten Welt (Teil 2, Kap. II, 2) und somit der Abfolge von Evangelium und Gesetz aus. Teil 3 dieser Arbeit fragt als Ziel und Prüfstein der Lehre von Gesetz und Evangelium nach der Predigt von Gesetz und Evangelium in Iwands Theorie und Praxis. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die als Gabe des Heiligen Geistes Christus verherrlichen und den Menschen in die Gegenwart des Heiles Gottes stellen soll, geschieht für Iwand in der Predigt, in der sich die Rechtfertigung des Sünders ereignet. Somit ist das Ziel der Lehre von Gesetz und Evangelium die Verkündigung (Teil 3, Kap. I). Um der Abwehr der Gesetzlichkeit willen ist die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Predigt notwendig. Wichtig ist hierbei Iwands Verständnis der Gesetzespredigt als Amt des Geistes mit dem Ziel des Heiles in Christus - im Gegensatz zur gesetzlichen Predigt als Amt des Buchstabens, das allein tötet, ohne auf Christus ausgerichtet zu sein (Teil 3, Kap. II, 1 und 2). Den Abschluß dieses Teils bildet eine Untersuchung von zehn ausgewählten Predigten Iwands, an denen seine Definition der Verkündigung als Predigt von Gesetz und Evangelium mit dem Ziel des Glaubens ihre Bestätigung findet (Teil 3, Kap. III). Den Schluß der Arbeit bildet eine Zusammenfassung und kritische Würdigung des Ertrags der Lehre Iwands von Gesetz und Evangelium, verbunden mit der Frage nach der Relevanz seiner Erkenntnisse für die Gegenwart.
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In dem sich anschließenden Literaturverzeichnis werden in der IwandBibliographie nur die Titel aufgenommen, die in der vorliegenden Arbeit explizit Erwähnung finden, da eine vollständige Bibliographie über Iwand bereits vorliegt.10 Längere Zitate Iwands sind in der Arbeit in Petit gedruckt, und um der schnelleren Übersicht willen schließt jedes Kapitel mit einer Zusammenfassung. Druckfehler in Zitaten werden stillschweigend korrigiert, sofern der Sinn dadurch nicht verändert wird.
II. Kurzbiographie Hans Joachim Iwand"
Am 11. Juli 1899 wurde Hans Joachim Iwand als ältestes Kind des Pfarrers Otto Iwand und seiner Frau Lydia, geb. Herrmann, in Schreibendorf in Schlesien, 40 km südlich von Breslau, geboren.12 Nach seinem Abitur 1917 studierte er bis 1920, unterbrochen durch eine kurze Freikorpszeit 1918/19, in Breslau Theologie. Er hörte dort neben Hans von Soden und Erich Seeberg vor allem Rudolf Hermann, der für ihn zu einem entscheidenden Lehrer wurde. Ihm verdankte er den Zugang zu Luther und zu den Fragestellungen des deutschen Idealismus.13 Zwischen Iwand und Hermann begann in diesen Jahren ein intensiver Briefwechsel, aus dem die Bedeutung, die Hermann für Iwand hatte, er-
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Vgl. Pauly, Bibliographie, 227-300. Zur Biographie vgl. Ernst Burdach, Hans Joachim Iwand. Theologe zwischen den Zeiten. Ein Fragment 1899-1937, Beienrode 1982; Gerhard Friedrich, Hans Joachim Iwand, in: ders., Auf das Wort kommt es an. GAufs. Zum 70. Geburtstag hg.v. Johannes H. Friedrich, Göttingen 1978, 492-505; Rolf Heinrich, Verheißung des Kreuzes. Die Christologie HansJoachim Iwands, GT.FT 4, München/Mainz 1982, 12-24; Hertog, Erkenntnis, 19-48; PeterPaul Sänger, Briefe und Lebensgang, BVP, 7-158; Karl Gerhard Steck, Einleitung, in: Iwand, NW 6, 11-32. 12 Zu Iwands Elternhaus und seiner Jugend- und Schulzeit vgl. Burdach, Iwand, 32-53. 13 Rudolf Hermann (1887-1962), ab 1916 Privatdozent für systematische Theologie in Göttingen, war von 1919-1926 als Privatdozent und Professor in Breslau tätig, dann ab 1926 in Greifswald von 1953 bis zu seinem Tod 1962 in Berlin Professor an der HumboldtUniversität; vgl. NW 6, 320. Vgl. auch Iwands Briefe an Rudolf Hermann, NW 6, und Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 12f. Außer Rudolf Hermann nennt Sänger als theologische Lehrer Iwands Erich Seeberg, Julius Schniewind und Karl Barth; vgl. Sänger, Iwands theologische Lehrer, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 3-60. Als ein weiterer Lehrer Iwands, wenngleich Iwand ihn nicht mehr persönlich erlebt hat, ist Martin Kähler (1835-1912) zu nennen, der auch ein wichtiger Lehrer für Hermann war; vgl. die Hinweise bei Steck, Einleitung, in: Iwand, NW 6, 12f. 11
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sichtlich wird.14 Anläßlich des siebzigsten Geburtstags von Hermann schreibt Iwand im Rückblick: „Diese kleine ... Abhandlung ist geschrieben in unverlöschlicher und dankbarer Erinnerung an jene Zeiten, da wir als junge Studierende in den unvergeßlichen Vorlesungen und Seminaren, aber auch in den persönlichen Begegnungen mit dem damaligen Privatdozenten Rudolf Hermann unsere innere Berufung zur Theologie empfingen. ... Damals fanden wir in dem Manne, dem diese Zeilen gewidmet sind, einen Lehrer, der uns mehr bedeutete als einer, der uns nur unterrichtete, er bildete uns und hat uns gebildet, indem er uns lehrte, wie man die Strenge des Denkens mit der Unbedingtheit und Tiefe des Glaubens zu verbinden hat. Er hat uns gebildet durch den Rückgriff auf die Quellen, insonderheit auf die Theologie Luthers, und hat uns andererseits das hohe Gut des deutschen Idealismus erschlossen, als das Erbe, von dem wir alle mehr oder weniger bewußt herkamen." 15
Nach zwei Studiensemestern in Halle 1920/21 war Iwand wieder in Breslau, wo er bis zum Examen als Hauslehrer seinen Unterhalt verdiente. In diese Zeit fallt die Lektüre von Luthers Römerbriefkommentar, die Iwand begeisterte und bei der er bereits auf das Thema stieß, das ihn dann zeitlebens beschäftigen sollte: Gesetz und Evangelium. Luthers Auslegung zu Rom 2,15 wird für Iwand zu einem Schlüsselsatz. Er schreibt an Hermann: „Mit Begeisterung lese ich Luther. ... Maior est defensor quam accusator, etiam in infinitum, de us defensor, cor accusator. Nur das ist satisfactio. Und dies nun in dem wundervoll-tiefen Zusammenhang, es muß jedem zur Erlösung werden. An solchen Stellen könnte man wirklich aufspringen und vor Freude wer weiß was tun." 16
1922 legte er in Breslau die erste theologische Prüfung ab und wurde 1923 auf Vorschlag von Rudolf Hermann zum Studieninspektor des Theologen-Konvikts „Lutherheim" nach Königsberg berufen, wo er die nächsten elf Jahre seines Lebens verbrachte.17 Die ersten vier Jahre, von 1923 bis 1927, war Iwand mit seiner Dissertation und der Habilitationsschrift beschäftigt. 1924 promovierte er mit einer Abhandlung „Über die Verwendung von methodischen Antinomien in der Religionsphilosophie. Dargestellt an Karl Heims ,Glaubensgewißheit'". Die Arbeit bereitete ihm selbst viel Mühe; zu einer Drucklegung der Abhand-
14 Vgl. NW 6. Zu der Bedeutung Hermanns für Iwand vgl. Burdach, Iwand, 61-70; Sänger, Lehrer, 4-11. 15 Iwand, Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens, GA I, 247f [Freiheit, GA I], 16 Iwand, NW 6, 44; Brief vom 5.8.1921 (Hervorhebungen im Original). Burdach bemerkt dazu: „Diese Stelle wurde das Fundament seiner Theologie. Das große Thema Gesetz Evangelium ist damit gegeben, das er immer aufs neue umkreiste und darstellte." Burdach, Iwand, 86. Vgl. dazu auch die Hinweise bei Werner Führer, Rechtfertigung und Heiligung bei Hans Joachim Iwand, KuD 40, 1994, 274f. 17 Vgl. zu Iwands Zeit in Königsberg Burdach, Iwand, 95-233; Sänger, BVP, 18-55. Zum Lutherheim vgl. Hugo Linck, Der Kirchenkampf in Ostpreußen, München 1968, 101105.
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lung konnte er sich nicht durchringen, zumal er sich immer stärker von den religionsphilosophischen Fragen ab- und den theologischen zuwandte.18 Eindrücklichstes Zeugnis der nun streng theologischen Denkausrichtung und der intensiven Beschäftigung mit Luther ist Iwands Habilitationsschrift „Rechtfertigungslehre und Christusglaube"19, 1927 eingereicht und 1930 veröffentlicht. Dieses Werk stellt das Fundament für Iwands Interpretation von Luthers Theologie und für sein eigenes theologisches Denken dar. Die Verankerung der Rechtfertigungslehre in der Christologie, Gesetz und Evangelium, das Problem des unfreien Willens, die theologische Anthropologie - das alles sind Themen, die Iwand hier aufgreift und die ihn später immer wieder beschäftigt haben. Iwands bekanntere und weit verbreitete Darstellung der „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre"20 von 1941 kann als eine allgemeinverständliche Fassung seiner Habilitationsschrift bezeichnet werden. 1927 heiratete Iwand die promovierte Juristin Ilse Erhardt.21Im gleichen Jahr begann Iwand mit seinen Vorlesungen an der Köngisberger Ev.-Theol. Fakultät. Aus dieser Tätigkeit erwuchsen einige kleinere Studien zur Theologie Luthers, die neben der Frage nach Gesetz und Evangelium vor allem das Problem der Willensfreiheit behandeln.22 1929 kam Julius Schniewind23, ein Vetter Rudolf Hermanns, als Professor für Neues Testament an die Königsberger Fakultät. Die Begegnung mit diesem Neutestamentier hat Iwand wesentlich geprägt - wie auch Schniewind durch Iwand beeinflußt wurde. Zwischen beiden Theologen entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, die auch über die gemeinsame Zeit in Königsberg hinaus Bestand
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Vgl. die Ausführungen über Iwands Dissertation bei Burdach, Iwand, 139-156. Iwand, RuC. Vgl. Burdach, Iwand, 164-175. 20 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 11-125. 21 Ilse Erhardt (1901-1950) war eine Halbjüdin. Ihre Mutter, eine geborene Jüdin, war allerdings zur evangelischen Kirche übergetreten, sobald sie mündig geworden war. Der Vater von Ilse Erhardt war Chefarzt der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses in Königsberg. Aus der Ehe von Hans Joachim und Ilse Iwand gingen fünf Kinder hervor. Vgl. Burdach, Iwand, 133-138. 22 Vgl. aus jener Zeit vor allem folgende Schriften Iwands: Gesetz und Evangelium, CuW 5, 1929, 209-218 [GuE, CuW 5, 1929]; Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben (1930), GA I, 13-30 [Bedeutung, GA I]; Studien zum Problem des unfreien Willens (1930), GA I, 31-61 [Studien, GA I]; Leben und Lehre. Etwas über vergessene Schätze aus Luthers Theologie, Königsberg 1931 [Leben und Lehre]; Der Kampf um das Erbe der Reformation (1932), GA II, 126-144 [Reformation, GA II], Nebenbei verdiente Iwand sich noch Geld durch das Schreiben von Rezensionen. 23 Julius Schniewind (1883-1948) war Neutestamentier in Halle, Greifswald, Königsberg (1929-1935), Kiel und Halle (1936-1948). Vgl. Hans-Joachim Kraus, Julius Schniewind. Charisma der Theologie, Gießen 2 1990, 17. Zu Schniewind vgl. auch Burdach, Iwand, 124— 131 und Sänger, Lehrer, 25-39. Zu Iwand und Schniewind in der Königsberger Zeit vgl. Manfred Koschorke (Hg.), Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen 1933-1945: Allein das Wort hat's getan, Göttingen 1976, 59-80.173-196. 19
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hatte. „Die Freundschaft [Schniewinds, R.M.] mit Iwand war den Studenten ein so fester Begriff, daß sie von ihrem Studium bei ,Schni(e)wand' sprachen."24 Einmal wöchentlich trafen Iwand und Schniewind sich zum Studium des Neuen Testaments. „Von dort gingen sie gemeinsam aus, wie Priester aus dem Tempel, um vor ,das Volk' zu treten, und viele bezeugen, daß sie durch die Vorlesungen, die Dienst am Worte Gottes waren, zu einer bleibenden Umkehr ihres Denkens und Handelns kamen."25 In den Anfang der dreißiger Jahre fallt auch die Begegnung mit der Gemeinschaftsbewegung in Ostpreußen, namentlich der Bahnauer Bruderschaft, einer Ausbildungsstätte für Prediger. Insbesondere durch Iwand und Schniewind kam es so zu einer fruchtbaren Begegnung von Pietismus und wissenschaftlicher Theologie.26 Als im Jahr 1933 die Herrschaft der Nationalsozialisten begann, fand Iwand nach anfänglichen Hoffnungen auf die neue Regierung27 bald seinen Platz auf der Seite der Bekennenden Kirche. Die Volksnomoslehre, wie sie vor allem von Wilhelm Stapel, Friedrich Gogarten und Emanuel Hirsch vertreten wurde, führte Iwand - in Ablehnung dieser Lehre - zu einer Präzisierung seines Gesetzesverständnisses, wie sie in seinem Aufsatz „Die Predigt des Gesetzes"28 von 1934 sichtbar wird. Iwand wendet sich gegen ein Verständnis des Gesetzes unter Absehung von der Offenbarung Gottes in Christus. Ebenso lehnt er eine natürliche Offenbarung unabhängig von der Christuserkenntnis ab. Im Kirchenkampf fand er als lutherischer Theologe den Platz an der Seite Karl Barths, wenn auch nicht in unkritischer Form.29 Ende 1934 ging Iwand, der bis dahin in Königsberg die Leitung des Lutherheims und ab 1932 auch des Gustav-Adolf-Heims30 innegehabt hatte, als Lehrer für Neues Testament an das Herder-Institut in Riga. Im Juli 1934 hatte er an den Königsberger Bischof Fritz Kessel31 eine klare Absage an 24
Kraus, Schniewind, 23. Burdach, Iwand, 126. 26 Vgl. Max Fischer/Hans Joachim Iwand, Wie wir uns fanden! Ein Wort zur Begegnung von Kirche und Gemeinschaft. Einheit der Kirche Heft 2, Stuttgart 3 1949. 27 Zu Iwands anfänglichen Sympathien zu den Nationalsozialisten vgl. Burdach, Iwand, 242-254. 28 Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 145-170 [Predigt, GA II], 29 Zu Iwands Stellung im beginnenden Kirchenkampf vgl. Hartmut Ludwig, Der Beitrag Hans Joachim Iwands zur Diskussion um das rechte Verständnis der Barmer Theologischen Erklärung, in: Wolf-Dieter Hauschild u.a. (Hg.), Die Lutherischen Kirchen und die Bekenntnissynode von Barmen, Göttingen 1984, 2 8 9 - 3 0 6 ; Burdach, Iwand, 2 4 2 - 3 4 8 ; Friedrich, Iwand, 4 9 4 - 4 9 6 . 30 Das Gustav-Adolf-Heim war für Studierende aus dem Ausland bestimmt und wurde im Juni 1932 eröffnet; vgl. Koschorke, Geschichte, 196; Linck, Kirchenkampf, lOlf. 31 Fritz Kessel (geb. 1887) wurde im Oktober 1933 zum Bischof von Königsberg und damit von ganz Ostpreußen ernannt. Er tat sich vor allem als Propagandist für die N S D A P hervor; vgl. Linck, Kirchenkampf, 4 7 - 4 9 . 25
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die von den Deutschen Christen erhobene Forderung geschrieben, derzufolge das bestehende Kirchenregiment anerkannt und voller Gehorsam geleistet werden sollte.32 Iwand folgte schweren Herzens der Berufung nach Riga, um die beiden Königsberger Heime zu erhalten und die Studenten durch seine Person nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Als ihm die Nationalsozialisten im März 1935 die venia legendi entzogen, wurde Iwand Direktor des neu errichteten illegalen Predigerseminars der Bekennenden Kirche in der Nähe von Bloestau/Ostpreußen, das Burdach folgendermaßen charakterisiert: „Im Unterschied zu dem mehr klösterlich-liturgischen Charakter von Bonhoeffers Finkenwalde war Bloestau sicherlich kein ,heiligmäßiger' Ort. Psalmodieren und Gebetsrituale gab es nicht; allzu großer liturgischer Eifer sah sich im Verdacht, durch schöne, feierliche Form einen dürftigen Inhalt verdecken zu wollen." 33 1935 erschien seine Besprechung von Karl Barths KD 1.1 unter der Anfrage: „Jenseits von Gesetz und Evangelium?"34. Das Iwand unablässig bewegende Problem von Gesetz und Evangelium hat durch die Begegnung mit dem Werk Barths ein besonderes Ringen in dieser Fragestellung gebracht. Nicht zuletzt als eine Reaktion auf Iwands Anfrage hat Barth dann die programmatische Umstellung von „Evangelium und Gesetz" formuliert.35 Für Barth ging es dabei um eine „nötige allgemeine Auseinandersetzung mit Asmussen, aber auch mit Iwand ,.."36 Die Diskussion um dieses Problem hat Iwand in zunehmender Annäherung an Barth - mit der bleibenden Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - bis an sein Lebensende gefuhrt.37 Im Predigerseminar in Bloestau (und danach in Jordan) hielt Iwand 1937 Vorlesungen über Homiletik, Seelsorge und über Gesetz und Evangelium. Die Vorlesung über Gesetz und Evangelium wurde mitstenographiert und nach seinem Tod veröffentlicht.38 Im Mai 1937 wurde Iwand auch aus
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Vgl. dazu Burdach,
Iwand, 2 6 6 - 2 6 8 . Iwands Brief an Kessel ist abgedruckt in N W 6,
346f. 33 Burdach, Iwand, 397; vgl. zum Predigerseminar bis zum Beginn von Iwands Pfarrtätigkeit in Dortmund: Linck, Kirchenkampf, 133-138. 34 Vgl. GA 1 , 8 7 - 1 0 9 . 35 Vgl. Karl Barth, Evangelium und Gesetz, in: Emst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986, 1 - 2 9 . Erstveröffentlichung: TEH 32, 1935. 36 Barth in einem Brief an Karl Immer vom 23. Dezember 1935; zitiert nach Ludwig, Beitrag, 294f. 37 Vgl. die Zusammenfassung bei Martin Hoffmann, Bezeugte Versöhnung. Die trinitarische Grundlegung der Ethik Hans Joachim Iwands. Theologie im Gespräch Bd. 5, Essen 1988, 7 4 - 7 8 ; dort auch weitere Literaturhinweise. 38 Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 11-230. Der damalige Studieninspektor des Predigerseminars, Hugo Maser, berichtet über die Fortsetzung der Vorlesung Iwands unmittelbar nach dem Umzug von Bloestau nach Jordan: „Iwand hielt seine Vorlesung, obwohl er außer der Bibel kein einziges Buch präsent hatte. Ich glaube, man wird diesen Einschnitt in seiner Vörie-
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Bloestau ausgewiesen und fand mit seinem Kurs Unterkunft in Jordan in der Mark Brandenburg, von wo er aber im Oktober 1937 wieder aufbrechen mußte. 39 Sein Weg führte ihn dann nach Dortmund, wo er, nachdem eine Weiterfuhrung des Predigerseminars unmöglich geworden war, eine Stelle als Pfarrer an der Kirche St. Marien antrat, die er bis 1945 behielt. In dieser Zeit war Iwand von April bis Juni 1938 und von Ende November 1938 bis Anfang März 1939 in Gestapo-Haft. Während der letzten Haftperiode schrieb er seine Erläuterungen zu Luthers Schrift „Vom unfreien Willen" 40 . In die Dortmunder Zeit fallen literarisch vorwiegend Predigtmeditationen, die Iwand für die von Georg Eichholz herausgegebene Reihe „Herr, tue meine Lippen a u f verfaßte. Wichtige Veröffentlichungen sind außerdem „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre" (1941), seine Besprechung von Edmund Schlinks „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften" von 194 j4i u n c i der Aufsatz „Sed originale per hominem unum" 42 , Schniewind 1943 zum 60. Geburtstag gewidmet, in dem das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz verstanden wird. Nach dem Krieg nahm Iwand 1945 einen Ruf als Professor fur systematische Theologie nach Göttingen an, wo er bis 1952 blieb. Er war bereits seit 1945 aktiv an der Frage der Neuordnung der EKD beteiligt und bemühte sich darum, daß die in Barmen gefundene Einheit der Kirche, die über die konfessionellen Grenzen hinausging, erhalten blieb. Von daher wandte er sich gegen die Neuformierung des konfessionellen Luthertums zur VELKD, worin er lediglich restaurative Bemühungen am Werk sah.43 Die Erneuerung der Kirche hing für Iwand vor allem an der
sung kaum feststellen können, so sehr hatte er die Problematik parat." Zitiert bei Burdach, Iwand, 479. 39 Für die Zeit von 1938-1960 in der Biographie Iwands vgl. Sänger, BVP, 8 0 - 1 5 1 ; Hertog, Erkenntnis, 3 2 - 4 8 . 40 Iwand, Erläuterungen zu: Martin Luther. Vom unfreien Willen, MA, Erg.bd. 1, München 2 1939, 2 8 7 - 3 7 1 . Vgl. Hertog, Erkenntnis, 32f. 41 Iwand, Zu Edmund Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, ThBI 21, 1942, 158-169 [Zu Edmund Schlink, ThBI 21, 1942], Von Mai 1940 bis November 1941 war Edmund Schlink ( 1 9 0 3 - 1 9 8 4 ) gemeinsam mit Iwand an der Marienkirche in Dortmund. Schlink war in dieser Zeit Pfarrverwalter an der Marienkirche und der St. Reinoldiskirche; vgl. Jochen Eber, Einheit der Kirche als dogmatisches Problem bei Edmund Schlink, FSÖTh 67, Göttingen 1993, 25. Zu Schlink hatte Iwand zeitlebens ein gutes Verhältnis, vgl. seine Bemerkung von 1942, daß er Schlink „in Freundschaft zugetan" sei (Zu Edmund Schlink, ThBI 21, 1942, 158) und eine briefliche Äußerung von 1958, daß er Schlink „persönlich so gern" habe (Brief an J.B. Soucek vom 14. März 1958, FO, 179). 42 Iwand, „Sed originale per hominem unum". Ein Beitrag zur Lehre vom Menschen (1943), GA II, 171-193 [Sed originale, GA II], 43 Vgl. Iwand, Die Neuordnung der Kirche und die konfessionelle Frage (1947), GA I, 138-172; ders., Lutherische Kirche? Warum ich als lutherischer Theologe grundsätzlicher Gegner der VELKD bin, EvTh 6, 1946/47, 3 8 5 - 3 8 8 . Vgl. Hertog, Erkenntnis, 37f.
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Predigt, und deshalb gab er als Hilfe zur Verkündigung die „Göttinger Predigtmeditationen" mit heraus.44 Zur Neugestaltung der Kirche gehörte für Iwand ebenso die Neuordnung der Gesellschaft und der politische Wiederaufbau, woran er sich aktiv beteiligte. 1947 verfaßte er auf Bitten des Reichsbruderrates den Vorentwurf zum „Darmstädter Wort", das eine Konkretisierung des Stuttgarter Schuldbekenntnisses von 1947 im Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Fragen darstellte und zu heftigen Kontroversen führte.45 Seit Ende der vierziger Jahre setzte Iwand sich leidenschaftlich für eine Aussöhnung mit dem Osten ein und lehnte die Remilitarisierung der Bundesrepublik ab.46 Um das Flüchtlingselend aus dem Osten zu lindern, gründete Iwand 1949 in Beienrode an der damaligen Zonengrenze das „Haus der helfenden Hände". Seine Frau starb Ende 1950 - ein Verlust, den Iwand nie richtig überwunden hat, und 1952 folgte er einem Ruf an die Universität in Bonn. Zwischen 1955 und 1960 engagierte Iwand sich verstärkt als Theologe auf der politischen Ebene, wobei er sich u.a. gegen die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen und in der Folge davon gegen den Militärseelsorgevertrag wandte.47 Er knüpfte Kontakte zu den Kirchen des Ostens, vor allem in der Tschechoslowakei, wo ihm von der Comenius-Fakultät in Prag postum die Würde eines Ehrendoktors verliehen wurde. 1958 nahm Iwand bei der Gründungsversammlung der „Christlichen Friedenskonferenz" in Prag teil und hielt dort einen Vortrag.48 Bis zu seinem Tod arbeitete Iwand aktiv in diesem Kreis mit. 1959 gehörte er zu einer Delegation der EKD, die in Arnoldshain Gespräche mit Vertretern der Russisch-Orthodoxen Kirche aufnahm.49 Am 2. Mai 1960 starb Iwand an den Folgen eines Schlaganfalls und wurde neben seiner Frau in Beienrode beerdigt.
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Vgl. Helmut Gollwitzer, Geleitwort, in: Iwand, PM I, 5f. Vgl. Bertold Klappert, Bekennende Kirche in ökumenischer Verantwortung. Die gesellschaftliche und ökumenische Bedeutung des Darmstädter Wortes, ÖEH 4, 1988. S.u. Teil 2.II.2.2 Iwands Entwurf des Daimstädter Wortes von 1947,218f. 46 Vgl. den Sammelband: Iwand, Frieden mit dem Osten. Texte 1933-1959. Hg.v. Gerard C. den Hertog unter Mitarbeit von Klaus Geyer, Jürgen Seim und Dieter Schellong, KT 28, München 1988 [FO]. Darin sind vor allem Aufsätze Iwands zur Aussöhnung mit dem Osten abgedruckt. Vgl. auch Heinrich, Verheißung, 19-24. 47 Vgl. Hertog, Erkenntnis, 45f. 48 Vgl. Sänger, BVP, 117; Hertog, Erkenntnis, 46f. 49 Vgl. das Heft: Tradition und Glaubensgerechtigkeit. Das Arnoldshainer Gespräch zwischen Vertretern der EKD und der Russ. Orth. Kirche vom Oktober 1959. Studienheft Nr. 3, hg.v. Außenamt der EKD, Witten 1961. 45
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III. Der Stand der Iwand-Interpretation
1. Zur Wirkungsgeschichte Iwands Hans Joachim Iwand hat keine theologische Schule begründet und das auch nie angestrebt. 50 Der zum großen Teil fragmentarische Charakter seines literarischen Schaffens wie auch die verschiedenen Richtungen seines theologischen Denkens haben die Bildung einer „Iwand-Schule" verhindert. Stärker als durch das geschriebene Wort wirkte Iwand zu Lebzeiten durch seine Person, wie Hörer seiner Vorlesungen und Seminare und sein engerer Freundeskreis bezeugen. 51 Die Wirkung, die Iwand durch seine Person und auch durch seine Predigtmeditationen auf eine ganze Pfarrergeneration ausgeübt hat, ist nicht zu unterschätzen, läßt sich aber schwer untersuchen. 52 Deutlicher erkennbar ist der Einfluß Iwands auf Kollegen und Freunde des eigenen Fachbereiches, der systematischen Theologie, wobei vor allem Ernst Wolf (1902-1971), Helmut Gollwitzer (1908-1993) und Walter Kreck (geb. 1908) als Zeitgenossen Iwands zu nennen sind. 53 Seit etwa Mitte der siebziger Jahre wird vermehrt auf die Theologie Iwands hingewiesen und in verschiedenen Aufsätzen und Schriften versucht, seine Erkenntnisse für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Dazu trifft sich jedes Jahr in Beienrode im „Haus der helfenden Hände" ein Kreis von Theologen zum „Iwand-Symposium". Auch in den Niederlanden und in der ehemaligen Tschechoslowakei treffen sich Theologen, die dem Erbe Iwands verpflichtet sind.54 Eine heute weithin vergessene Frucht des Wirkens von Hans Joachim Iwand ist die Begegnung von Kirche und Gemeinschaft, Theologie und (lutherischem) Pietismus. In der Königsberger Zeit entstand eine Verbindung zur dortigen „Bahnauer Bruderschaft", einer Ausbildungsstätte für Prediger. Durch Iwand und Schniewind wurde diese Arbeit mit geprägt, die
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Vgl. das Urteil von Iwands Schwiegersohn Klaus Geyer: „Iwand taugt als durch und durch biblischer Theologe zu einem solchen ,Schulhaupt' in keiner Weise." Klaus Geyer, Hans Joachim Iwands Erbe für heute, JK 12, 1988, 690 (Hervorhebung im Original). 51 Vgl. Sänger, Zur Wirkung von Iwands Theologie, ZdZ 43, 1989, 182-186, bes. 183; Hans-Werner Surkau, Art. Iwand, Hans Joachim (1899-1960), TRE 16, 1987, 427-432, bes. 430f. 52 Vgl. Surkau, a.a.O. 430f; Sänger, Wirkung, ZdZ 43, 1989, 183. 53 Vgl. Sänger, a.a.O. 183f. 54 Vgl. die Hinweise bei Sänger, a.a.O. 184.
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heute in Unterweissach in Baden-Württemberg beheimatet ist.55 Insgesamt wurde und wird Iwand allerdings nur von einzelnen Theologen herangezogen, so daß von einer „Iwand-Renaissance" noch nicht die Rede sein kann.
2. Die Forschungslage zu Iwands Theologie Neben zahlreichen Artikeln und Aufsätzen über Iwand und seine Theologie56 sind bislang sieben Monographien über Iwand erschienen.57 Joachim Gandras58 fragt in seiner Dissertation, in der er die Predigtmeditationen Iwands analysiert, nach dem Beitrag Iwands zur gegenwärtigen Homiletik. Nach Gandras versteht Iwand den Prediger als Zeugen und die Predigt als Zeugendienst59, die auf dem Schriftwort als Verheißungswort basiert und selber Predigt der Verheißung ist60. Gandras weist auf die Bedeutung der Inkarnation fur Iwands Predigtverständnis hin und sieht in ihr den Weltbezug der Predigt begründet. Der „Indikativ der Zuwendung, den die promissio ansagt und die Inkarnation Jesu Christi manifestiert"61, ermöglicht und begründet die Dialogfähigkeit der Predigt bei Iwand. Die Grundlage für Iwands theologisches Denken sieht Gandras in dem Verständnis des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium. „In dieser reformatorischen Grundformel hat er den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis dessen, was mit Wort Gottes gemeint ist, präzise erkannt und in immer neuen Anläufen zu formulieren versucht."62 Das Ziel der Unterschei55 Von Iwand selbst stammte die Anregung zu der von ihm und Max Fischer herausgegebenen Schrift „Wie wird uns fanden", die ein Zeugnis dieser Begegnung aus der Königsberger Zeit ist; vgl. Max Fischer, Das tat Gott. Fünfzig Jahre Bahnau, Unterweißach 1956, 95. Als Beispiel für die Aktualität Iwands bei der Bahnauer Bruderschaft sei auf den Artikel von August Klages, „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre", eine Darstellung des IwandAufsatzes im „Reichgottesarbeiter" Heft 1, 1987, 10-20, hingewiesen. 56 Zur Sekundäliteratur über Iwand vgl. Dieter Pauly, Bibliographie, 2. Über Hans Joachim Iwand: Sekundärliteratur, in: Peter-Paul Sänger/Dieter Pauly (Hg.), Hans Joachim Iwand - Theologie in der Zeit, KT 85, München 1992, 301-316. 57 Die Arbeiten werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens in deutscher Sprache besprochen. Außer den hier genannten Monographien soll die Dissertation von Jan Hermelink, Die homiletische Situation. Zur jüngeren Geschichte eines Predigtproblems, APTh 24, Göttingen 1992, nicht unerwähnt bleiben. In dem ersten Teil seiner Arbeit, „Die Erschließung der gegenwärtigen Wirklichkeit als Problem des Glaubens", untersucht Hermelink auf über sechzig Seiten die Predigtmeditationen Iwands unter der Überschrift „Die .wirkliche Welt' als Kriterium der Predigt: Hans Joachim Iwand" (vgl. a.a.O. 31-95). 58 Joachim Gandras, Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand. Aspekte und Perspektiven einer homiletischen Theorie und theologischen Kommunikation nach seinen Predigtmeditationen im Kontext seiner Theologie, APTh 14, Göttingen 1975. 59 Vgl. a.a.O. 71-89. 60 Vgl. a.a.O. 90-124. 61 A.a.O. 205. 62 A.a.O. 12.
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dung von Gesetz und Evangelium liegt bei Iwand nach Gandras darin, das Evangelium unverfälscht zu erhalten gegen die Gefahr von Nomismus und Antinomismus. 63 Wenngleich Iwand Gesetz und Evangelium unter der Klammer der Offenbarung Gottes in Jesus Christus als Einheit sehe, hebe er damit die Unterscheidung beider nicht auf und kehre auch die Reihenfolge im Unterschied zu Karl Barth nicht um. „Das von Karl Barth zu dieser Frage vorgetragene Votum wird von Iwand aw/genommen, aber nicht übernommen. Während Barth - pointiert und darum notwendig verallgemeinernd ausgedrückt - die sachliche Priorität des Evangeliums gegenüber dem Gesetz akzentuiert, apostrophiert Iwand vorrangig die Unverfälschtheit des Evangeliums." 64 - Die Bedeutung von Gesetz und Evangelium für die Lehre und die Predigt bei Iwand wird in Gandras' Arbeit erkannt und für die Homiletik deutlich gemacht, wobei das Urteil über das Verhältnis von Iwand zu Barth sehr summarisch ausfällt. 65 Die Dissertation von Rolf Heinrich66 hat die Christologie Iwands zum Gegenstand. Im ersten Teil, der knapp die Hälfte der Arbeit ausmacht, untersucht Heinrich den Problemhorizont der Christologie Iwands, den zum einen der deutsche Idealismus und zum anderen die Theologie Luthers darstellt.67 Wesentlich ist dabei die Erkenntnis, daß die Christologie der Rechtfertigungslehre vorgeordnet ist und Kreuzestheologie, Rechtfertigungslehre und Eschatologie in der Theologie der promissio crucis zusammentreffen. 68 Im zweiten Teil wird Iwands Christologie dargestellt. Diese ist nach Heinrich eine „Simultantheorie der promissio crucis, weil in ihr der Mensch ... zugleich beschrieben wird als ein Sünder, dessen Selbstbewußtsein und Selbstbestätigung am Kreuz gerichtet ist, und als ein Gerechter." 69 Der dritte Teil behandelt Iwands „Promissorische Rechtfertigungslehre als Ergebnis der Christologie" 70 . Zentraler Aspekt der Rechtfertigungslehre ist der kommende Christus, der den Sünder versöhnt, wobei das „simul iustus et peccator" festgehalten wird.71 Heinrich betont die politische Dimension der Versöhnung und des Leidens. In der Frage von Gesetz und Evangelium sieht Heinrich bei Iwand den Schwerpunkt in der Einheit von Gesetz und Evangelium, der sich die Unterscheidung unterordnet. Ein eigener Abschnitt wird
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Vgl. a.a.O. 13. A.a.O. 14 (Hervorhebungen im Original). 65 Vgl. auch die Kritik von Hoffmann, Versöhnung, 75f. 66 Rolf Heinrich, Verheißung des Kreuzes. Die Christologie Hans-Joachim Iwands, GT.FT 4, München/Mainz 1982. 67 Vgl. a.a.O. 29-142. 68 Vgl. a.a.O. 142. 69 A.a.O. 151. 70 A.a.O. 192. 71 Vgl. a.a.O. 276. 64
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diesem Thema nicht gewidmet.72 - Heinrich liefert durch den ausführlichen ersten Teil, den Problemhorizont, und durch viele Exkurse über andere Theologen in den weiteren Teilen insgesamt stärker die mögliche Voraussetzung und den Hintergrund zur Darstellung der Christologie Iwands als eine eigene Darstellung derselben. Für die Frage nach Gesetz und Evangelium bringt seine Arbeit keine weiterführenden Erkenntnisse.73 Die Dissertation von Martin Hoffmann74 stellt eine „Rekonstruktion der Ethik Iwands unter systematisch-theologischen Gesichtspunkten"75 dar, die sich an den Schriften Iwands von 1945-1960 orientiert und frühere Aussagen integriert. Den theologischen Ansatz der Ethik findet Hoffmann in Iwands Auseinandersetzung mit Schleiermacher in dem Leitsatz Iwands: ,JLthik heißt dann nichts anderes als dieser Versöhnung, die von Gott her Wahrheit und Wirklichkeit zugleich ist, nun auch da Raum zu geben, w o Wahrheit und Wirklichkeit noch im Gegensatze miteinander ringen, weil dieser Gegensatz schon zugunsten der Kinder Gottes entschieden ist." 76
Als Ansatz Iwands fur eine biblisch-reformatorische Ethik nennt Hoffmann die „Lehre vom unfreien Willen, das Verständnis der Auferstehung als Voraussetzung ethischer Imperative und die Abwendung vom Begriff der christlichen Persönlichkeit' als Ansatzpunkt der Ethik."77 Hoffmann entfaltet die Ethik Iwands trinitarisch im christologischen, pneumatologischen und schöpfungstheologischen Horizont der Wirklichkeit. An verschiedenen Stellen kommt Hoffmann auf Gesetz und Evangelium zu sprechen und betont die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium innerhalb der Einheit in Christus und im Heiligen Geist.78 In einem Exkurs innerhalb der Rechtfertigungslehre behandelt er die Frage nach der „Entwicklung der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium bei Iwand"79. Hoffmann konstatiert mit der Mehrzahl der Iwand-Interpreten eine Entwicklung in Iwands Verständnis von Gesetz und Evangelium zur Position Karl Barths 72 Heinrich behandelt die Frage von Gesetz und Evangelium eher implizit und nur andeutungsweise in zwei Exkursen über die Überordnung des νόμος über den λόγος bei Rudolf Bultmann bzw. die Überordnung des λόγος über den νόμος bei Karl Barth; vgl. a.a.O. 2 5 7 277. 73 Heinrich bemängelt im Vorwort selbst zu Recht die unbefriedigende Form und Sprache seiner Arbeit; vgl. a.a.O. 5 (Vorwort). 74 Martin Hoffmann, Bezeugte Versöhnung. Die trinitarische Grundlegung der Ethik Hans Joachim Iwands, Theologie im Gespräch Bd. 5, Essen 1988. 75 A.a.O. 16. Hoffmann gibt der systematischen Darstellung gegenüber einer biographisch-zeitgeschichtlichen den Vorzug, damit die Ethik nicht nur als Reaktion auf bestimmte geschichtliche Erscheinungen gesehen wird und damit eine Aktualisierung der Ethik Iwands möglich ist; vgl. ebd. 76 Iwand, Schleiermacher als Ethiker, BVP, 280 (Hervorhebung im Original) [Schleiermacher, BVP]; zitiert bei Hoffmann, Versöhnung, 49. 77 A.a.O. 59. 78 Vgl. a.a.O. 91.120.234. 79 A.a.O. 74; vgl. 74-78.
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hin. Demnach gebe Iwand die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht auf, betone aber deren Unterscheidung innerhalb des einen Wortes Gottes. An den frühen Schriften Iwands erkennt Hoffmann bereits eine eigenständige Entwicklung in die Richtung Barths bei gleichzeitigem Ringen „mit den Einflüssen konfessionell-lutherischer Tradition"80 bis in die dreißiger Jahre hinein. Trotz der sichtbaren Brüche zeigt sich für Hoffmann „eine relative Kontinuität in der theologischen Entwicklung Iwands"81. - Hoffmanns Rekonstruktion der trinitarischen Ethik Iwands liefert hilfreiche Einzelerkenntnisse zur Frage von Gesetz und Evangelium. Die Betonung der Einheit vor der Unterscheidung liegt in Hoffmanns Konzentration auf die Spätschriften Iwands begründet. Eeva Martikainen82 geht in ihrer Dissertation von der Beobachtung aus, daß sich in den zwischenkirchlichen Lehrgesprächen die Unterscheidung von Mitte und Peripherie als wichtiges Methodenkonzept erwiesen hat, um einen Grundkonsens zu finden. Als einen bedeutenden Vertreter dieses Mitte-Peripherie-Denkschemas sieht sie Iwand, dessen ökumenische Methode in der Konzentration auf das Verhältnis von Wort und Lehre sie analysiert. Wie bei Hoffmann handelt es sich um eine systematischtheologische Arbeit, die sich auf Iwands Spätphase nach 1945 konzentriert und die Schriften der Frühphase dort erörtert, wo eine Veränderung in Iwands Theologie ersichtlich ist.83 Martikainen fuhrt aus, daß für Iwand die Einheit „in Christo" alle konfessionellen Unterschiede umschließe und die Kircheneinheit begründe, ohne daß die jeweiligen Bekenntnisse der einzelnen Konfessionskirchen dadurch aufgehoben werden müßten. „Die lehrmäßige Differenz hebt die Einigkeit der Kirche nicht auf, und die Einigkeit der Kirche hebt die lehrmäßigen Differenzen nicht auf."84 Iwand berufe sich mit seiner Sicht ebenso auf Luther wie die Lutheraner der VELKD, fur die der lehrmäßige Konsens zur Einheit der Kirche unbedingt dazugehöre.85 Nach Martikainen macht Iwands Theologie vor allem im Verständnis des Wortes 80 A.a.O. 78. In Iwands Aufsatz: Predigt, GA II, 145-170, sieht Hoffmann bereits die sachliche Vorordnung des Evangeliums vor dem Gesetz, wenn Iwand davon spricht, daß der λόγος über den νόμος herrscht; vgl. Hoffmann, Versöhnung, 78. Die sachliche Vorrangstellung des Evangeliums wird auch von lutherischen Theologen nicht bestritten, vgl. Oswald Bayer, Theologie, HST 1, Gütersloh 1994, 357. 81 Hoffmann, Versöhnung, 78. 82 Eeva Martikainen, Evangelium als Mitte. Das Verhältnis von Wort und Lehre in der ökumenischen Methode Hans Joachim Iwands, AGTL NF 9, Hannover 1989. Das Buch erschien bereits 1980 auf Finnisch, so daß nach 1980 erschienene Literatur nicht berücksichtigt ist. 83 Vgl. a.a.O. 18-24. 84 A.a.O. 31. 85 Vgl. a.a.O. 33. Als Vertreter der VELKD nennt Martikainen die Theologen Peter Brunnerund Ernst Kinder. Nach Martikainen beruft Iwand sich oftmals zu Unrecht auf Luther; vgl. a.a.O. 32.74-76.106-111.134-139.
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Gottes eine entscheidende Veränderung durch: Habe Iwand in seiner Frühphase die noetische Unterscheidung von Gottes innerem und äußerem Wort als Schriftwort vertreten, sehe er in seiner Spätphase einen ontischen Unterschied von innerem und äußerem Wort Gottes, so daß er das Wort Gottes von der Bibel und dem Inhalt der Verkündigung isoliere und als übergeschichtliches Wort verstehe.86 Martikainen erkennt die Bedeutung von Gesetz und Evangelium für die Christologie Iwands, wenn sie Gesetz und Evangelium als die „Interpreten der Geschichte Christi"87 beschreibt. Sie betont die Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium: „Es ist die zentrale Intention von Iwands Auffassung über Gesetz und Evangelium, sowohl den engen Zusammenhang von Gesetz und Evangelium zu akzentuieren als auch hervorzuheben, daß deren echte Unterscheidung heilsnotwendig ist."88 - Stärker als andere Iwand-Forscher konstatiert Martikainen einen deutlichen Wandel in der Theologie Iwands an zentralen Fragen bis hin zu gegensätzlichen Anschauungen. Der Zusammenhang von Gesetz und Evangelium mit der Christologie Iwands wird erkannt.89 Eberhard Lempp und Edgar Thaidigsmann90 bieten in ihrem Buch „eine Folge von Annäherungen an das theologische Denken"91 Iwands. Diese Untersuchung stellt Iwand in das Denken seiner Zeit, analysiert vor allem die früheren Schriften Iwands aus den zwanziger und dreißiger Jahren und zeigt die Entwicklung der Theologie Iwands in der Auseinandersetzung mit den Fragen seiner Zeit. Als Mittelpunkt von Iwands Theologie wird die „Gerechtigkeit Gottes als eine schöpferische Macht"92 gesehen, die die neuzeitliche Spannung von Sein und Bewußtsein überwinden könne. Von daher lautet die These des Buches, daß die Theologie Iwands im Schnittpunkt der „reformatorischen Rechtfertigungslehre einerseits und der Sein-BewußteinsProblematik der Neuzeit andererseits"93 erkennbar wird. Die Predigt des Gesetzes als in Christus erfüllten Gesetzes lasse den Menschen seine Wirklichkeit als Sünder erkennen, aber so, daß er gleichzeitig „umgriffen ist von
86 Vgl. a.a.O. 7 1 - 8 0 . Die Frühphase Iwands datiert Martikainen bis etwa 1936. Die Veränderung gehe langsam vonstatten. „Die Kriegszeit wird zur Umbruchphase. Erst nach 1945 ist der Wandel in Iwands Schaffen weithin ersichtlich." A.a.O. 24. 87 A.a.O. 96; vgl. 9 0 - 9 6 . 88 A.a.O. 95. 89 Martikainens Buch hat bislang in der Iwand-Forschung offensichtlich noch keine Beachtung gefunden. Das mag mit ihrer insgesamt kritischen Beurteilung Iwands und ihren von der gängigen Interpretation Iwands oftmals abweichenden Ergebnissen zusammenhängen. 90 Eberhard Lempp/Edgar Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit in der Dialektik der Aufklärung. Annäherungen an die Theologie Hans Joachim Iwands, München 1990. Diese Veröffentlichung ist die einzige Monographie über Iwand, die keine Dissertation ist. Vgl. die Rezension von Thomas Maier, FAB 46, 1992, 6 6 - 6 9 . 91 Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 10. 92 A.a.O. 60. 93 A.a.O. 61.
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der promissio, daß das Gesetz zu Ende gekommen und erfüllt ist." 94 Lempp/Thaidigsmann bringen - auf dem Hintergrund des Erbes der Aufklärung - instruktive Analysen vor allem der früheren Schriften Iwands und stellen die Bedeutung von Iwands Theologie für die Gegenwart heraus. Die Beobachtungen zu Iwands Verständnis vom Gesetz lassen eine Entwicklung in seiner Anschauung erkennen. 95 Die Dissertation von Ralf-Dieter Krüger96 handelt über Rechtfertigung und Heiligung bei Iwand. Die Rechtfertigung als Mitte der Theologie gründe ihrerseits in der Versöhnungstat Gottes in Christus: „Die Versöhnungslehre ist das Zentrum des christlichen Glaubens und die Grundlage der Rechtfertigung durch den Glauben" 97 . Für das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung gilt nach Krüger, daß Iwand beide unterscheidet - mit der Vorordnung der Rechtfertigung vor der Heiligung - sie aber ebenso als untrennbar zusammengehörig sieht. Dabei ist die Heiligung als Tun des Gerechtfertigten eschatologisch ausgerichtet auf den wiederkommenden Herrn. 98 Die Versöhnung ist die Klammer zwischen Rechtfertigung und Heiligung, wobei „zwischen der Versöhnungstat Gottes in Jesus Christus und dem Versöhnungsdienst der Kirche" 99 zu unterscheiden ist. Krüger betont das ekklesiologische Verständnis von Rechtfertigung und Heiligung gegenüber dem individualistischen und beschreibt die ekklesiologischen und politischen Konsequenzen der Versöhnung als Dienst der Kirche an der Welt. 100 In seinen Ausführungen zu Gesetz und Evangelium weist er darauf hin, daß es Iwand um die Predigt von Gesetz und Evangelium geht.101 Die bei Iwand in den fünfziger Jahren erkennbare Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz sieht Krüger als eigenständige, bei Iwand in den frühen Schriften bereits angelegte Entwicklung. 102 Der Reihenfolge von Rechtfertigung und Heiligung entspreche die Reihenfolge von Evangelium und Gesetz als Heilsindikativ und nachfolgendem Imperativ, wobei das Gesetz als Paränese im Sinne des tertius usus legis zu verstehen sei.103 - Im Blick auf die Frage von Gesetz und Evangelium fällt bei der Untersuchung von Krüger auf, daß die für Iwand wichtige Aufgabe des Gesetzes in der Rechtferti-
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A.a.O. 89. Vgl. a.a.O. 30-32.57. 96 Ralf-Dieter Krüger, Versöhnt mit Gott. Rechtfertigung und Heiligung bei Hans Joachim Iwand, Tübingen 1993, Selbstverlag (Diss. Basel 1991). 97 A.a.O. 41. 98 Vgl. a.a.O. 59.75. 99 A.a.O. 42. 100 Vgl. a.a.O. 78-114. 101 Vgl. a.a.O. 38.71. 102 Vgl. a.a.O. 71 mit Hinweis auf Jürgen Seim, Die Lehre von Gesetz und Evangelium bei Hans J. Iwand, EvTh 44, 1984, 92. 103 Vgl. Krüger, Versöhnt, 72. 95
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gung als usus elenchticus legis gegenüber Iwands Verständnis des Gesetzes in der Heiligung als tertius usus legis zurücktritt. Gerard C. den Hertogm untersucht in seiner Dissertation die „Funktion der Lehre vom unfreien Willen in der Theologie Hans Joachim Iwands"105. Eine Besonderheit dieser systematisch-theologischen Studie liegt darin, daß sie chronologisch aufgebaut ist. Es handelt sich um eine Darstellung von Iwands Theologie in ihrem Werdegang mit der Konzentration auf die Frage nach dem unfreien Willen. Da Iwand seine Theologie in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen seiner Zeit entwickelt habe und die Lehre vom unfreien Willen ihm durch die Jahre dazu diente, zu einem richtigen Verständnis der Geschichte vorzustoßen, kann man Iwand nach Hertog nur in einer biographischen Darstellungsform gerecht werden, die die Entwicklung seiner Theologie nachzeichnet. „Wer Iwand in seinen tiefsten Absichten verstehen möchte, kann deshalb nicht umhin, nach einer Beschreibung zu suchen, die sowohl dem systematischen als auch dem biograpischen Aspekt gerecht wird."106 Hertog stellt den Werdegang der Theologie Iwands in der Auseinandersetzung seiner Zeit dar, wobei er viele Schriften Iwands analysiert. Leitend ist dabei die Frage, inwieweit die Lehre vom unfreien Willen in der Entwicklung Iwands seine Einsichten bestimmt hat und inwieweit er sein Verständnis vom unfreien Willen einer Korrektur unterzogen hat. Die Lehre vom unfreien Willen bildet nach Hertog bleibend den „archimedischen Punkt"107 von Iwands Theologie, mit deren Hilfe er „nach einer Vereinigung von Glauben und Wissen sucht, die ... von der ganz besonderen Erkenntnis des Glaubens an Jesus Christus her ... in einer Verbindung von Denken und Leben Zugang zur Wirklichkeit sucht."108 Durch den chronologischen Aufbau der Arbeit werden bestimmte Themen wie auch die Frage nach Gesetz und Evangelium an verschiedenen Stellen behandelt.109 Hertog erkennt eine Veränderung in Iwands Verständnis des Gesetzes und sieht die spätere Umstellung der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium als Annäherung an die Position Barths, ohne daß Iwand sich dabei von Luther abwende.110 - Hertogs Untersuchung stellt mit ihrem an der Biographie Iwands orientierten Aufbau eine wichtige Ergänzung der bis dahin erschienenen Arbeiten über Iwand dar. Er entfaltet Iwands Theologie in ihrem Werdegang, worunter allerdings teilweise die systematische Klarheit lei104 Gerard Cornelis den Hertog, Befreiende Erkenntnis. Die Lehre vom unfreien Willen in der Theologie Hans Joachim Iwands, NBST 16, Neukirchen-Vluyn 1994. (Es handelt sich um die überarbeitete deutsche Fassung seiner Dissertation, die 1989 auf niederländisch erschienen ist.) 105 Hertog, Erkenntnis, 7. 106 A.a.O. 12. 107 A.a.O. 507; vgl. 148. 108 A.a.O. 11; vgl. 507. 109 vgl. a.a.O. 139-177 (Auseinandersetzung Iwands mit Gogarten und Barth), 312-317. 110 Vgl. a.a.O. 312f.
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det.111 Für die Entwicklung des Iwandschen Verständnisses von Gesetz und Evangelium bietet Hertog hilfreiche Hinweise. Neben den Monographien verdienen vor allem zwei Aufsätze von Jürgen Seimin Beachtung, die das Thema von Gesetz und Evangelium bei Iwand behandeln. Seim faßt die wichtigsten Schriften Iwands, darunter die Vorlesung zu Gesetz und Evangelium von 1937, unter der Frage nach der Unterscheidung und der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium zusammen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß Iwand die Formel Luthers von Gesetz und Evangelium „im Laufe jahrelangen Nachdenkens gegen die von Barth begründete Umkehrung in ,Evangelium und Gesetz' ausgetauscht"" 3 habe und beschreibt Gesetz und Evangelium als zwei Worte Gottes in der Klammer des einen Wortes Gottes. Abschließend zeigt Seim die Bedeutung von Gesetz und Evangelium für Christologie, Anthropologie, Offenbarung, (politische) Ethik und für die Stellung zum Volk Israel.114 Alle besprochenen Monographien bearbeiten wichtige Einzelthemen der Theologie Iwands. Dabei wird die Lehre von Gesetz und Evangelium im Rahmen des jeweiligen Themas mehr oder weniger ausführlich behandelt. Als häufig wiederkehrende Fragen zeigen sich: das Problem der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium, verbunden mit der Frage des Einflusses von Karl Barth auf Iwand, das Verhältnis von Einheit und Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Iwand und die Frage einer Veränderung in seinem Verständnis von Gesetz und Evangelium. Speziell zu Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand liegt allerdings bislang noch keine ausführliche Untersuchung vor.
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Leider fehlt ein Sachregister, das den systematischen Zugang erleichtern würde. Jürgen Seim, Die Lehre von Gesetz und Evangelium bei Hans J. Iwand, EvTh 44, 1984, 77-94; ders., Die Lehre von Evangelium und Gesetz bei Hans J. Iwand, EvTh 46, 1986, 231-246. 113 Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 243. 114 Vgl. a.a.O. 245f. 1,2
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TEIL 1 GESETZ UND EVANGELIUM IM RAHMEN DER CHRISTOLOGIE UND RECHTFERTIGUNG
I. Der Ort der Lehre von Gesetz und Evangelium
1. Der Ausgangspunkt in der Theologie Luthers
Die grundlegenden Erkenntnisse für die Frage nach Gesetz und Evangelium in ihrem Zusammenhang mit der Christologie und Rechtfertigung gewinnt Iwand beim Studium der Schriften Martin Luthers, insbesondere des Römerbriefkommentars. Bereits 1921 liest er Luthers Römerbriefkommentar und macht in der Auslegung zu Rom 2,15 die Entdeckung der satisfactio in Christus.1 Die Beschäftigung mit Luthers Römerbrief fuhrt auch zur einzigen größeren wissenschaftlichen Arbeit, die Iwand je veröffentlicht, seiner Habilitationsschrift „Rechtfertigungslehre und Christusglaube". Darin entfaltet er den Zusammenhang von Rechtfertigung und Christologie unter Einbeziehung von Gesetz und Evangelium, verbunden mit der Frage nach der Anthropologie, die mit der Rechtfertigungslehre gewonnen wird.2 Die Erkenntnisse und Ergebnisse dieser Arbeit bilden die bleibende Basis für
1 Dazu s.o. 21. Diese Stelle aus Luthers Römerbrief zitiert Iwand häufiger, vgl. Iwand, Bedeutung, GA I, 24, Anm. 28, und ders., RuC, 109f. 2 Weil in der Rechtfertigung das Gericht über den Menschen ergeht, versteht Iwand die Rechtfertigungslehre „... als eine Art theologischer Anthropologie." Iwand, RuC, 8; vgl. ders., Rechtfertigungslehre; Glaube und Werke, in: Tradition und Glaubensgerechtigkeit. Das Arnoldshainer Gespräch zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Russischen Orthodoxen Kirche vom Oktober 1959. Studienheft Nr. 3, hg.v. Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Witten 1961, 45 [Rechtfertigungslehre (1959)]. Die letztgenannte Schrift Iwands aus dem Jahr 1959 zeigt die Kontinuität seiner theologischen Sicht in der Frage der Rechtfertigung und Christologie.
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Iwands weiteres theologisches Denken, auf die er immer wieder zurückkommt.
2. Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Christologie3
2.1 Das Verhältnis von Rechtfertigung 4 und Christologie Im ersten Kapitel seiner Habilitationssschrift behandelt Iwand unter der Überschrift „Die Zusammengehörigkeit kritischer und dogmatischer Glaubensbestimmung" 5 das Verhältnis von Rechtfertigungslehre und Christologie. Dabei ist die kritische Glaubensbestimmung der Rechtfertigungslehre und die dogmatische Glaubensbestimmung der Christologie zugeordnet. Für die Verhältnisbestimmung verwendet Iwand die beiden Formeln sola fide und fides Jesu Christi6. Somit ist die fides das verbindende Glied zwischen Rechtfertigung und Christologie. 2.1.1 Sola fide Wenn Iwand im Blick auf die Rechtfertigungslehre von der kritischen Glaubensbestimmung spricht, meint er damit die Abgrenzung des Glaubens gegen das Werk. Das sola fide im notwendigen Gegensatz zum opus ist das entscheidende und für den christlichen Glauben verbindliche Kennzeichen 3 Im folgenden werden zu der Verhältnisbestimmung lediglich die Linien gezogen, wie sie in Iwands Habilitationsschrift deutlich werden. Eine ausführliche Darstellung folgt themenbezogen in den einzelnen Kapiteln. 4 Wenn Iwand die unterschiedlichen Ausdrücke „Rechtfertigung", „Rechtfertigungslehre" bzw. „Lehre von der Rechtfertigung" und „Artikel von der Rechtfertigung" gebraucht, geht es ihm dabei immer um das Geschehen der Rechtfertigung, „... um die Rechtfertigung des Menschen vor Gott ... und ... um die Rechtfertigung Gottes im Menschen." Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 21. Rechtfertigung ist der „... Akt, durch den Gott den Menschen gerecht macht." Ders., Rechtfertigungslehre (1959), 46 (Hervorhebung im Original). Wenn im folgenden von Rechtfertigung bzw. Rechtfertigungslehre gesprochen wird, wird dieses Verständnis vorausgesetzt. Ausgehend davon, daß die Rechtfertigung immer ein Geschehen ist, formuliert Reinhard Slenczka zutreffend: „Die Sache wird bereits verfehlt, wenn von Rechtfertigungs/e/ire gesprochen wird." Slenczka, Gerecht vor Gott durch den Glauben an Jesus Christus. Das Verständnis der Rechtfertigung in der evangelischen Kirche und die Verständigung über die Rechtfertigung mit der römisch-katholischen Kirche, NZSTh 29, 1987, 294 (Hervorhebung im Original). 5 Vgl. Iwand, RuC, 10-27. 6 Vgl. a.a.O. 1; vgl. auch Werner Führer, Das Wort Gottes in Luthers Theologie, GTA 30, Göttingen 1984, 44-47.
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der Rechtfertigungslehre.7 Iwand entdeckt bei Luther, daß dieser den Glauben ausschließlich und hinreichend im Gegensatz zum Werk definiert und nicht beispielsweise im Gegensatz zum Wissen oder zur Spekulation.8 Das kann aber nur dann zu Recht geschehen, wenn diese „Abgrenzung notwendig zum Glauben gehört."9 Die Rechtfertigung allein durch den Glauben und nicht durch Werke, also die Glaubensgerechtigkeit im Gegensatz zur Werkgerechtigkeit, steht im Widerspruch zu einer wichtigen Grundüberzeugung des natürlichen Menschen: „... jeder Mensch bringt... die Überzeugung mit sich, daß die iustificatio den guten Werken folgt ..."10 Das gute Sein wird fälschlicherweise als Folge des guten Werkes verstanden, und diese Grundeinstellung wird mit der Vorordnung des Glaubens vor das Werk im Kern getroffen. Das sola fide steht im Gegensatz zu jeder menschlichen Aktivität, die Möglichkeit der aktiven Beteiligung des Menschen an der Rechtfertigung wird ausgeschlossen. Die Rechtfertigung sola fide sine operibus bedeutet die Vorordnung des esse vor dem operari, des Seins vor dem Tun.11 Das gute Werk kann dabei nicht den guten Menschen hervorbringen, sondern ist als gutes oder schlechtes Werk abhängig vom Sein. Im Blick auf die Rechtfertigung gilt, daß alle Werke vor dem Glauben Sünde sind, weil nicht der Inhalt der Werke, sondern die Ordnung, in der sie stehen, über den Wert der Werke entscheidet.12 Luther will „die mit jeder sittlichen Leistung verbundene opinio, aestimatio, reputatio des Menschen ändern."13 Der Begriff des Werkes wird von Luther auch für den Christen nicht aufgegeben, aber neu bestimmt. Er kann sogar den Glauben selbst als das höchste Werk bezeichnen.14 Hier wird aber das Werk vom Glauben her definiert; es ist Gott selbst, der den Glauben und das Werk schenkt und im Menschen vollbringt, und damit fällt die Aktivität als wesentliches Merkmal des Werkes weg. Der Begriff des Werkes wird von Luther für den Glauben beibehalten, um deutlich zu machen, daß der Mensch im Vorgang der Rechtfertigung ganz eingeschlossen, ganz dabei ist - er ist in diesem Sinne ein cooperator Dei.15 Mit der Bestimmung des Glaubens als Gottes Werk wird gesagt, daß der Glaube ein Vorgang ist, „bei dem der Mensch mit im Spiele ist, obschon dieser
7 8 9 10
Vgl. Iwand, RuC, 1.10.100; Führer, Rechtfertigung, KuD 40, 1994, 272-276. Iwand, RuC, lOf. A.a.O. 11; vgl. 11-16. A.a.O. 19 (Hervorhebung im Original). Vgl. dazu unten Teil 2.1 Person und Werk,
184ff. 11
Vgl. a.a.O. 18. Vgl. a.a.O. 15f. Vgl. den biblischen Hintergrund von Röm 14,23: π α ν δέ 6 ούκ εκ πίστεως αμαρτία εστίν. 13 Iwand, RuC, 18. 14 Vgl. a.a.O. 12. 15 Vgl. a.a.O. 13. 12
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nicht in der Lage ist, ihn aus sich hervorgehen zu lassen." 16 Der Glaube ist ein Werk Gottes, das im Menschen geschieht und diesen ganz einbezieht, so daß vom Glauben nur als persönlichem Glauben gesprochen werden kann: Ich glaube.17 Das sola fide als Kennzeichen der Rechtfertigungslehre mit der Abgrenzung gegen das Werk ist eine kritische, abgrenzende Definition des Glaubens, womit gesagt ist, „was eigene Werke sind und daß sie nicht rechtfertigen" 18 . Die Bestimmung des Glaubens allein aus dem Gegensatz zur Werkgerechtigkeit ist aber nicht zureichend, weil sie bloß eine Negativbestimmung ist. Über den Inhalt des Glaubens ist damit noch nichts ausgesagt. 2.1.2 Fides Jesu Christi Zu der Rechtfertigung sola fide tritt als notwendiges Korrelat der christologische Bezug hinzu, - die fides Jesu Christi, der Glaube an Jesus Christus, als die positive, dogmatische Bestimmung des Glaubens. 19 Bei der fides Jesu Christi ist zuerst „an die drei grundlegenden Daten des Lebens Jesu: Inkarnation, Passion und Glorifikation" 20 zu denken. Glaube ist damit bestimmt als Glaube an den fleischgewordenen Sohn Gottes, der für die Sünden aller Menschen gestorben und für ihre Gerechtigkeit auferstanden ist. Die Inkarnation ist die Erniedrigung der Gottheit, die Glorifikation ist die Erfüllung und Erhöhung der Menschheit; mit diesen Begriffen ist für Iwand die Lehre von der Person Jesu Christi ausgesagt. Mit der Passion (als dem Werk Christi) kommt die individuelle Komponente, die Bezogenheit auf den einzelnen Menschen, hinzu. Das Leiden Christi geschieht stellvertretend pro nobis, pro me. „Im Stellvertretungsgedanken liegt die Verknüpfung göttlichen Wirkens mit dem menschlichen Leben. Hier findet der Mensch das göttlich beglaubigte pro me" 21 . An der Passion Christi soll der Mensch erkennen, daß sie ihm gilt. Christi „ganzes Sein ist in ein pro nobis zu fassen"". Die Sendung Christi fordert den Menschen zu einer Stellungnahme heraus, und diese Stellungnahme ist nichts anderes als die Glaubens- oder 16
A.a.O. 14. Vgl. a.a.O. 15. 18 A.a.O. 20. 19 Vgl. a.a.O. 20. Vgl. auch die Hinweise von Seim, Christologie bei Hans J. Iwand, in: ders./Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 191-196. 20 A.a.O. 21. Vgl. Iwand, Rechtfertigungslehre (1959), 43: „Wir setzen den Glauben nicht mehr absolut, sondern bestimmen ihn von seinem Gegenstande, das heißt von Jesus Christus her, dem eingeborenen Sohne, der für die Sünden der Welt gestorben und für unsere Gerechtigkeit auferstanden ist." 21 Iwand, RuC, 24. S.u. Teil 1.1V.3.2.1 „Pro me", 112f. 22 Iwand, RuC, 24. 17
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Werkgerechtigkeit, als Leben aus dem Evangelium oder dem Gesetz.23 In der Stellungnahme zu Christus kommt es zur Entscheidung, ob der Mensch Gott recht gibt (als „formaler" Begriff der iustitia Dei 24 ) oder nicht. Gott recht geben heißt gleichzeitig, sich als Sünder zu bekennen, denn „die Menschen sind als Sündige erwiesen, weil Christus zu ihrer Erlösung erschienen ist."25 Zur fides, die negativ als sola fide (in Abgrenzung gegen das Werk), positiv als fides Jesu Christi bestimmt ist, tritt das pro me hinzu. Das pro me ist die subjektive Seite der fides Jesu Christi, und Inkarnation, Passion und Glorifikation Christi bilden die objektive Seite. „Das sola fide hatte sein Korrelat in dem Werk Christi, das Werk Christi hat das seine in dem pro me. Das Werk Christi ist seine passio pro nobis. In ihr treffen sich also beide Gedanken."26 2.1.3 „ Extra nos " und „ in nobis " Mit dem „sola fide" und der „fides Jesu Christi" entfaltet Iwand die enge Verbindung von Christologie, Rechtfertigung und Anthropologie. Keines dieser „Lehrstücke" kann für sich genommen entwickelt werden. Christologie und Rechtfertigung stehen in einem unumkehrbaren Verhältnis zueinander: Die Christologie ist die Wurzel und das Fundament für die Rechtfertigung, aber die Christologie wird durch die Rechtfertigungslehre expliziert.27 Den christologischen Sinn der Rechtfertigungslehre findet Iwand bei Luther durch das extra nos und in nobis entfaltet.28 Durch die Formel „extra
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Vgl. a.a.O. 26. Vgl. ebd. S.u. Teil 1 .IV. 1.3.1 Deum iustificare - Gott recht geben, I I I . 25 Iwand, RuC, 67. Die Sündenerkenntnis wird hier unmittelbar mit dem Werk Christi verbunden. Am Leiden Christi erkennt der Mensch sich als Sünder, vgl. a.a.O. 72. 26 A.a.O. 27. 27 Bereits 1925 (bei Überlegungen zu seiner Habilitationsschrift) schreibt Iwand in einem Brief an Rudolf Hermann über das Verhältnis von Christologie und Rechtfertigung: „Luthers Christologie kann isoliert von der Rechtfertigungslehre nicht behandelt werden. ... Es ist nicht so, daß die Christologie die Voraussetzung, die Rechtfertigung die Konsequenz dieser Voraussetzung wäre - man muß immer bedenken, daß Luthers Rechtfertigungslehre nicht eine Konsequenz, sondern ein Ergebnis ist. Daher ist auch das Verhältnis nicht umkehrbar, man kann von der Rechtfertigung aus keine christologischen Aussagen machen." Iwand, NW 6, 98. Ganz ähnlich äußert er sich noch dreißig Jahre später in: Vom Primat der Christologie, in: Antwort. Karl Barth zum siebzigsten Geburtstag am 10. Mai 1956, Zürich 1956, 185f [Primat]. Dort zeigt er auf, daß die Rechtfertigungslehre als Grundartikel christlicher Lehre dann verfälscht wird, wenn sie unter Absehung von der Christologie entfaltet und jedenfalls ihr vorgeordnet wird. Als Beispiele dafür werden Schleiermacher, Albrecht Ritsehl und Friedrich Gogarten genannt. 28 Vgl. Iwand, RuC, 28-37. Vgl. auch den Aufsatz von Ernst Wolf: Die Rechtfertigungslehre als Mitte und Grenze reformatorischer Theologie, in: ders., Peregrinatio Bd. II. Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik, München 1965, 1124
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nos" wird ausgesagt, daß der Mensch seine Gerechtigkeit nicht in sich selbst hat, sondern außerhalb - in Christus. „Weil Gott allein gut ist, darum liegt alles Gute für den Menschen extra se ipsum, darum ist alles An-sich-selbstGefallen-finden Abfall von Gott." 29 Gott spricht zwar den Menschen gerecht, aber dieser soll sich nicht selbst für gerecht halten, sondern seine Gerechtigkeit allein in Christus suchen: „extra nos i.e. in Christo" 30 . Gleichzeitig gilt die Glaubensgerechtigkeit auch „in nobis": Gerechtigkeit ist nicht nur eine Eigenschaft Gottes, sondern in Gott sind Sein und Schaffen eins. „In Christo ist Gott in der Weise gerecht, daß er zugleich gerecht macht. Gottes Sein ist Schaffen." 31 ,flicht eine neue Vorstellung, ein neues Sein wird durch den Glauben an Christus gewonnen."32 Durch die Beziehung der Rechtfertigung auf Christus gilt für den Glauben, daß „... nicht der Akt, sondern der Inhalt des Glaubens rechtfertigt" 33 , Jesus Christus selbst.
2.2 Gesetz und Evangelium in der Rechtfertigung und Christologie Wenn der unmittelbare Zusammenhang von Rechtfertigung und Christologie erkannt ist, ist damit der Ort der Lehre von Gesetz und Evangelium sichtbar geworden, weil die Rechtfertigungslehre im Gegensatz von Gesetz und Evangelium enfaltet wird. Die Rechtfertigung ist bestimmt durch das sola fide im Gegenüber zum opus, und das ist der Gegensatz von Evangelium und Gesetz. Christologie wiederum ist der Inhalt der fides unter Einschluß des pro me. Die Christologie muß, wenn sie nicht zur spekulativen oder historischen Christologie 34 werden will, „in ständiger Beziehung zu dem Gegensatz von Glaube und Werk" 35 entwickelt werden. In der spekulativen Christologie wird Christus als der gesehen, an dem die „Idee des Gottmenschen" 36 sichtbar wird, bei dem unabhängig von der Person Jesu das Göttliche und Menschliche zusammenkommt. Vertreter dieser Richtung sind für Iwand u.a. Schleiermacher, Isaak August Dorner und Christian Ferdinand Baur. Im Gegenzug dazu entwickelt sich die historische Christologie ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als deren bedeutendsten 21. Wolf betont den christologischen Sinn der Rechtfertigungslehre und entfaltet ihn mit den Formeln „extra nos" und „in nobis" von Iwand her; vgl. a.a.O. 15f. 29
Iwand, RuC, 30. A.a.O. 29. 31 A.a.O. 34. Zur iustitia dei s.u. Teil 1.IV.4.1 Der Inhalt des Evangeliums: Gottes Gerechtigkeit, 134ff. 32 Iwand, RuC, 36 (Hervorhebung im Original). 33 A.a.O. 40 (Hervorhebungen R.M.); vgl. Führer, Rechtfertigung, KuD 40, 1994, 280. 34 Zur spekulativen und historischen Christologie vgl. Iwand, Primat, 174-184. Vgl. zu den Irrwegen in der Christologie auch Iwand, GuE (1937), N W 4, 13f. 35 Iwand, RuC, 3. 36 Iwand, Primat, 175. 30
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Vertreter Iwand Adolf von Harnack nennt. Hier wird auf eine Lehre, auf eine ausgeführte Christologie, ganz verzichtet und der Versuch unternommen, allein auf den historischen Jesus zurückzugehen. Durch die Bindung an die Rechtfertigung und damit an die Lehre von Gesetz und Evangelium wird die Christologie vor dem spekulativen und dem historischen Abweg bewahrt. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist notwendig, um Christus richtig zu erkennen, d.h. notwendig für die Christologie, sofern Christologie die Frage zum Inhalt hat, wer Christus ist und was er „pro me" getan hat. In einem Aufsatz von 1932 und in seiner Vorlesung zu Gesetz und Evangelium von 1937 stellt Iwand den bereits in der Habilitationsschrift gezeigten unlöslichen Zusammenhang von Gesetz und Evangelium mit der Rechtfertigung und der Christologie deutlich heraus: „Wer Jesus Christus ist und was er für uns bedeutet, kann nur wissen, wer den Gegensatz von Gesetz und Evangelium, d.h. von Moral und Glaube, in seiner ganzen Tiefe und Strenge gelten läßt. Darum mußten die Reformatoren hier einsetzen, um aus dem Sowohl-Als-Auch, das in der katholischen Kirche galt und noch gilt, ein indiskutables Entweder-Oder zu machen. ,Der Glaube, wenn er nicht ohne jedes, auch das geringste Werk ist, so hilft er dem Menschen nicht' (Luther). Das ist der Kernsatz der Rechtfertigungslehre, von der die Reformatoren erklärten, daß mit ihr die Kirche stehe und falle." 3 7 „Die Rechtfertigungslehre ist die Verklärung Jesu Christi durch den Heiligen Geist. Darum gehört die Rechtfertigungslehre hinein in das Bekenntnis zu Jesus Christus. Erst in ihr wird die doxa Jesu Christi uns klar. Die Rechtfertigungslehre ist nicht konfessionelles Erbgut, sondern die lutherische Kirche meint mit diesem Artikel auf den Punkt hinzuweisen, mit dem die Kirche steht und fällt. Gesetz und Evangelium, bzw. die Rechtfertigungslehre ist ein Stück der Christologie, d.h., daß Jesus Christus hier in seinem Werk verklärt wird und daß dieses Werk sich nur verdeutlichen läßt durch die beiden Begriffe Gesetz und Evangelium." 3 8
37
Iwand, Reformation, GA II, 128. Iwand, GuE (1937), NW 4, 13. Den Zusammenhang von Gesetz und Evangelium, Christologie und Rechtfertigung hat Iwand zeitlebens unterstrichen; vgl. seine Äußerung von 1959: „Die ,Rechtfertigungslehre' ist in Wahrheit die Christologie, oder, genauer formuliert, sie ist eine in die Anthropologie verlängerte Christologie (Emst Wolf). Sie muß darum als eine spezifische Form (Entwicklung?) der Christologie interpretiert werden. ... Daraus ergibt sich eine strenge Unterscheidung von Glaube und Werk. Rechtfertigend ist nur der Glaube." Iwand, Rechtfertigungslehre (1959), 45 (Hervorhebungen im Original). 38
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3. Zusammenfassung
Beim Studium des Römerbriefkommentars von Martin Luther entdeckt Iwand bereits 1921 die Rechtfertigung in Christus und damit das Thema von Gesetz und Evangelium, das ihn zeitlebens beschäftigt. In seiner Habilitationsschrift beschäftigt er sich mit dem Verhältnis von Rechtfertigungslehre und Christusglaube in der frühen Theologie Luthers. Er untersucht das Verhältnis von Rechtfertigung und Christologie anhand des Glaubensbegriffes. Das sola fide im Gegensatz zum Werk ist das wesentliche Kennzeichen der Rechtfertigungslehre. Die Bestimmung des Glaubens im Gegensatz zu den Werken ist aber lediglich eine kritische, abgrenzende Bestimmung des Glaubens, zu der mit der fides Jesu Christi, dem Glauben an Jesus Christus, die inhaltliche, dogmatische Bestimmung hinzutritt. Der Glaube gründet sich nicht auf eigene Werke, sondern auf das in Christus erfüllte Werk. Inhalt des Glaubens sind Inkarnation, Passion und Glorifikation Christi. An der stellvertretenden Passion Christi erkennt der Mensch, daß das Leiden Christi ihm gilt, und in der Passion findet er das göttliche pro me des Werkes Christi. Darin ergeht das Urteil Gottes über den Menschen als Sünder, der in der Annahme dieses Urteils von Gott gerechtgesprochen wird. Mit der kritischen und dogmatischen Glaubensbestimmung (sola fide und fides Jesu Christi) zeigt Iwand den unlösbaren Zusammenhang von Rechtfertigung und Christologie, wobei die Christologie das Fundament der Rechtfertigung ist, die ihrerseits das Werk Christi expliziert. Mit den Formeln „extra nos" und „in nobis" entfaltet Iwand den christologischen Sinn der Rechtfertigungslehre Luthers. Der Gerechtfertigte hat seine Gerechtigkeit nicht in sich selbst, sondern außerhalb seiner selbst in Christus. Andererseits wird der Mensch in der Rechtfertigung nicht nur gerechtgesprochen, sondern auch gerechtgemacht, weil in Gott Sein und Schaffen eins sind. Die Rechtfertigung ist von daher als „extra nos" (in Christus) und „in nobis" zu beschreiben. Die Rechtfertigung wird als Gegensatz von Glaube und Werk und somit als Gegensatz von Evangelium und Gesetz beschrieben - entweder lebt der Mensch aus dem Glauben an Christus, d.h. aus dem Evangelium, oder aus dem Werk, d.h. unter dem Gesetz. Iwand kann die Formel „Gesetz und Evangelium" als Synonym für die Rechtfertigungslehre verwenden, so daß mit dem Verhältnis von Rechtfertigung und Christologie auch das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Christologie deutlich wird. Die Bedeutung von Gesetz und Evangelium für die Christologie liegt darin, daß in ihrem Verhältnis das Werk Christi in seiner Bedeutung erfaßt 43
wird und die Christologie vor den Abwegen einer spekulativen und einer historischen Christologie bewahrt werden kann.
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II. Die Lehre von der Heiligen Schrift als Gesetz und Evangelium (Hermeneutik)
Iwands Verständnis der Heiligen Schrift als Quelle und Norm der Theologie bildet die Grundlage für seine Auffassung von Gesetz und Evangelium. Er hat sich mehrfach zum Schriftverständnis geäußert und immer wieder unterschiedliche Akzente gesetzt. Dabei spielen die Situation und der Anlaß zu seinen Äußerungen eine wichtige Rolle.
1. D i e Heilige Schrift u n d das W o r t Gottes
Im Blick auf Iwands gesamte theologische Arbeit zeigt Eeva Martikainen, daß seine Theologie zumindest in Teilen eine Veränderung erfahren hat, die „vor allem in Iwands Wort-Gottes-Begriff vonstatten" 1 gegangen ist. Diese Veränderung betrifft nicht zuletzt die Frage nach dem Verhältnis von Wort Gottes und Heiliger Schrift.
1 Martikainen, Evangelium, 24. Zur Gesamtentwicklung von Iwands Theologie ebd.: „Die Barth-Kritik von 1935 [Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium?, GA I, 8 7 - 1 0 9 , R.M.] bildet einen gewissen Fixpunkt, von dem aus die Entwicklung in Iwands Theologie untersucht werden kann. Eine detaillierte Darstellung der Veränderung ist schwierig, da sie nicht schnell vonstatten gegangen ist und nicht seine Theologie als Ganzes betrifft. Die Grundzüge der ,neuen Theologie' Iwands, der sog. dialektischen Epoche', treten anfänglich bereits 1936 zutage. Die Kriegszeit wird zur Umbruchsphase. Erst nach 1945 ist der Wandel in Iwands Schaffen weithin ersichtlich."
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1.1 Heilige Schrift und Gottes Wort - Einheit in noetischer Differenz 1.1.1 Gottes Wort als Menschenwort Eine der wichtigsten Schriften Iwands zum Verständnis von Gottes Wort ist seine Besprechung von Karl Barths Prolegomena zur KD 1.1 von 1935.2 Neben viel Zustimmung richtet Iwands Hauptkritikpunkt sich gegen das Unternehmen von Barth, „eine Lehre vom Worte Gottes jenseits des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium"3 aufzustellen. Barth stellt die Lehre vom Wort Gottes nicht von diesem Gegensatz her dar, sondern versucht hinter den Gegensatz auf die Einheit von Gottes Wort zurückzugehen. Darin sieht Iwand nicht weniger als den articulus stantis et cadentis ecclesiae, die Lehre von der Rechtfertigung, berührt, da dieser Artikel gerade die „Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium, Werk und Glaube, iustitia civilis und iustitia divina zum Thema der Theologie erhoben wissen wollte ..."4 Barth geht hinter diesen Gegensatz zurück auf das Wort Gottes an sich, er fragt nach der Unterscheidung zwischen Gottes Wort an sich, dem verbum Dei intrinsece, und den drei Gestalten des Wortes Gottes (Offenbarung, Schrift und Verkündigung)5 als dem verbum Dei extrinsece. Iwand leugnet nicht, „daß dasselbe Wort Gottes ein verbum Dei intrinsece und extrinsece ist"6, aber er fragt, ob es es möglich ist, zwischen einer phänomenalen und einer noumenalen Seinsweise des Wortes Gottes zu unterscheiden, wie Barth es tut. „Wir fragen das darum, weil durch diese Unterscheidung die Einheit des Wortes Gottes problematisch wird und das einen ganz bestimmten Eingriff in die Glaubensgewißheit bedeutet. Es bedeutet jedenfalls eine Unterscheidung innerhalb des Wortes Gottes, w i e sie Luther nie gemacht hat, denn fur ihn ist die Menschlichkeit des Wortes Gottes identisch mit dem Heil!" 7
Das Wort Gottes „an sich" ist uns nicht zugänglich; es ist das „fressende Feuer", vor dem uns die menschliche Gestalt des Wortes Gottes in der Form der Heiligen Schrift und der Verkündigung bewahrt. Hier ist „der uns von Gott selbst gelassene und geschenkte Raum, wo wir ihm nahen können, oh-
2
Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium? (1935), GA 1, 87-109 [Jenseits von GuE,
GA I], 3
A.a.O. 100. Ebd. 5 Vgl. Karl Barth, KD 1.1, 89-128. 6 Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 102. Zum Verständnis vom verbum Dei extrinsece und intrinsece bei Luther vgl. Ernst Wolf, Gesetz und Evangelium in Luthers Auseinandersetzung mit den Schwärmern, EvTh 5, 1938, 96-109. 7 Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 102. Vgl. dazu Oswald Bayer, Theologie, 379-382. 4
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ne an ihm zu scheitern"8. Die Menschlichkeit des Wortes Gottes hängt mit der Inkarnation zusammen: In Jesus Christus als dem Wort Gottes ist „die Menschwerdung des Wortes Gottes der Inbegriff der Gnade Gottes ..., wenn anders in Jesus Christus die Menschheit zur Rechten Gottes erhöht ist."9 Die Menschlichkeit des Wortes Gottes - also die Form des Menschenwortes als Gottes Wort - hat ihren Grund in der Menschwerdung Jesu Christi und dient zum Heil der Menschen. „So wie Gott Mensch wird, so muß auch sein Wort in unserer Verkündigung Menschenwort werden, damit der Welt widerfährt, was ihr von Ewigkeit her bestimmt ist, Gottes Gnade und Wahrheit."10 Da Gottes Wort nach dem Willen Gottes uns in menschlicher Gestalt begegnet, stellt Iwand der Unterscheidung Barths von Gotteswort und Menschenwort die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium innerhalb des Wortes Gottes entgegen und erklärt, daß „wir keine Möglichkeit sehen, jenseits des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium nach dem Worte Gottes zu fragen und daß es uns nur innerhalb, nicht aber oberhalb dieser Unterscheidung zugänglich ist."11 Schon früher - in einem nicht veröffentlichten Vorlesungsmanuskript, vermutlich aus dem Jahr 1930 - kritisiert Iwand die Unterscheidung Barths von Gotteswort und Menschenwort: „Wir sind heute gewöhnt, die Theologie auf die U n t e r s c h e i d u n g zwischen M e n schenwort und G o t t e s w o r t zu basieren, j e d e n f a l l s hat m a n sich e t w a s in diese Sackgasse verrannt. ,Wir sollen als T h e o l o g e n von Gott reden. Wir sind aber M e n s c h e n und k ö n n e n als solche nicht von Gott r e d e n ' in diese W o r t e fasst einmal Barth die
8 Iwand, Erläuterungen zu: Martin Luther, Daß der freie Wille nichts sei, Ausgewählte Werke, hg.v. H. Borcherdt/G. Merz, Erg.reihe Bd. 1, München 1983 (= 3 1975), 293 [Erläuterungen]. Wenn Iwand dagegen in einer Predigtmeditation kritisiert, daß die Gegner des Paulus „von einem ,Worte Gottes an sich' nichts wissen und nichts wissen wollen, weil es ihnen eine unfaßbare Größe zu sein scheint" {Iwand, PM I, 184), ist damit eine Anschauung gemeint, die von einem eindeutigen Reden Gottes in der Verkündigung nichts wissen will gemäß der These: „schließlich sind wir alle nicht vollkommen, schließlich wird in unserem (Menschen)-Mund das Wort Gottes doch immer wieder zum Menschenwort ..." (ebd.). Eine solche Relativierung lehnt Iwand kategorisch ab. 9 Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 101; vgl. a.a.O. 101-105. Martikainen stellt u.E. zu Recht fest, daß bei Iwands Wortlehre in seiner Frühzeit der „Hauptakzent auf der Menschlichkeit von Gottes Wort" liegt (Martikainen, Evangelium, 77). Vgl. den Hinweis Iwands auf Luthers Anschauung, daß Gott, wie er in der Heiligen Schrift zugänglich ist, als „Deus incamatus" bezeichnet wird; Iwand, Erläuterungen, 293. Analog dazu betont Iwand in dieser Zeit die Herablassung, die Menschwerdung Gottes und sagt - vermutlich mit einer Spitze gegen Barth: „Nun soll niemand mehr sagen: Gott ist im Himmel und wir sind auf der Erde, nein, Gott ist mitten unter uns." Iwand, Menschwerdung Gottes - nicht Vergottung des Menschen, Ev. Gemeindeblatt fur Ostpreußen 91, 1936, Η. 1, 3 (Hervorhebungen im Original) [Menschwerdung]. Barth hatte im Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefs aus dem Jahr 1922 als wesentlich herausgestelllt: „,Gott ist im Himmel und du auf Erden'." Barth, Der Römerbrief, Zürich 15 1989 (= 2 1922), XIII. 10 Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 105. 11 A.a.O. 109.
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c o n c r e t e B e d r a e n g n i s der T h e o l o g i e . A b e r d i e s e g a n z e A l t e r n a t i v e s c h e i n t m i r s c h i e f , w e i l darin d i e D i a l e k t i k , d i e in d e m B e g r i f f d e s W o r t e s G o t t e s enthalten ist, nicht g e s e h e n wird. ,ein toll d i n g ist e s zu s a g e n , E s ist G o t t e s wort, G o t t e s wort, - G o t t e s w o r t ist nicht e y n e r l e i , sondern unterschieden' ( W . A . 16,12). D i e U n t e r s c h e i d u n g , die uns a u f g e g e b e n ist, ist a l s o e i n e g a n z andere, nicht e i n e s o l c h e z w i s c h e n M e n s c h e n w o r t und G o t t e s w o r t , sondern e i n e s o l c h e z w i s c h e n G o t t e s w o r t und G o t t e s w o r t . " 1 2
Bei diesem Votum nimmt Iwand Barths Verständnis der Unterscheidung zwischen Gotteswort und Menschenwort auf, wonach die Weitergabe des Wortes Gottes als menschliche Rede für Barth das eigentliche Problem darstellt. - Wenn Iwand selbst vom Unterschied zwischen Menschenwort und Gotteswort spricht, sieht er ihn anders als Barth vor allem darin, daß Menschenwort dort vorliegt, wo der Mensch sich eigene Gedanken über Gottes Wort macht und diese als Gottes Wort ausgibt, die aber in Wirklichkeit im Widerspruch zu Gottes Wort stehen. Diese „Erhebung des Menschen über das Wort Gottes bzw. die Schrift ist mehr als luziferisch." 13 - Die für Iwand wesentliche Unterscheidung zwischen Gotteswort und Gotteswort besagt nichts anderes als die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Gott redet in Gesetz und Evangelium mit dem Ziel, daß Menschen selig werden. Dabei darf nicht übersehen werden, daß Iwand das Gesetz nicht von Gottes Wort trennt: Gesetz und Evangelium sind beide Gottes Wort und haben darin ihre Einheit. 14 Die Begegnung mit dem Wort Gottes hat immer eine soteriologische Ausrichtung, die dem Menschen seine Stellung vor Gott offenbart, so daß Iwand sagen kann, die angemessene Frage nach dem Wesen des Wortes Gottes müsse lauten: „Was soll ich tun, daß ich selig werde?" 15 Iwand liegt daran, daß zwischen dem Wort Gottes und der Heiligen Schrift eine Einheit besteht, die aber nur im Glauben erfaßt werden kann. 16 Er verwahrt sich dagegen, daß man das Wort Gottes außerhalb der Schrift finden möchte, daß man „über das geschrianene Wort hinaus zu dem unge-
12 Iwand, Luthers Theologie (1930?), Iwand-Archiv Beienrode, Blatt II. Das Lutherzitat findet sich in WA 36, 12,23f und lautet korrekt: „Ein toll ding ists, zu sagen: Es ist Gottes wort, Gottes wort. Gottes wort ist nicht einerley, sondern unterschieden". Das Barth-Zitat stammt aus Barths Vortrag: Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie (1922), Karl Barth Gesamtausgabe, 3. Vorträge und kleinere Arbeiten 1922-1925, hg.v. Holger Finze, Zürich 1990, 151. Vgl. aber die später zustimmende Aufnahme des Barthschen Anliegens bei Iwand, Glauben und Wissen, Vorlesung (1955), N W 1, 183ff [Glauben und Wissen, N W 1], 13 Iwand, Zur Entstehung von Luthers Kirchenbegriff. Ein kritischer Beitrag zu dem gleichnamigen Aufsatz von Karl Holl (1957), GA II, 236f. Zur Unterscheidung von Gotteswort und Menschenwort s.u. 228. 14 Zur Einheit von Gesetz und Evangelium s.u. Teil l . V . l Die Einheit von Gesetz und Evangelium, 145ff. Vgl. auch Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 2 3 3 - 2 3 6 . 15 Iwand, Jenseits von GuE, GA 1, 109. 16 Vgl. Iwand, Die heilige Schrift als Zeugnis dn lebendigen Gottes (1936), GA I, 112 [Heilige Schrift, GA I],
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schriebenen, ewigen, zu dem Wort, das beim Vater ist"17, aufsteigen möchte. Dabei verneint er nicht, daß es ein inneres (verbum Dei intrinsece) und ein äußeres Wort Gottes (verbum Dei extrinsece) gibt, aber diese sind keine ontisch, wesensmäßig voneinander unterschiedenen Worte, sondern es ist das Wort, wie es in der Schrift zu finden ist. Es handelt sich um die geistliche und buchstäbliche Seite von Gottes Wort. Der Unterschied dieser beiden Worte ist lediglich ein noetischer: Während das äußere, buchstäbliche Wort Gottes fur jeden erkennbar und wahrnehmbar ist, wird das innere, geistliche Wort als Heilswort Gottes nur durch den Heiligen Geist erschlossen. 18 1.1.2 Die Heilige Schrift als das Wort Gottes In den ersten Jahren des Kirchenkampfes ab 1933 steht die Frage der Gültigkeit der Heiligen Schrift als einziger Norm des Glaubens und der Lehre mit im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen den Theologen der Bekennenden Kirche und der Deutschen Christen. Von Seiten der Bekennenden Kirche wird grundsätzlich die Ganzheit der Heiligen Schrift des AT und NT, die Einheit der Schrift in Jesus Christus, den sie bezeugt, und ihre göttliche Autorität als Wort Gottes festgestellt. So werden z.B. im sog. „Betheler Bekenntnis" von 1933 die genannten Punkte im Kapitel „Von der Heiligen Schrift" ausfuhrlich dargelegt. 19 Auch von Iwand gibt es in diesen Jahren mehrere Äußerungen zur Autorität der Heiligen Schrift. Gegen Ende des Jahres 1936 bringt er im Selbstverlag eine Streitschrift gegen einen deutsch-christlichen Professor fur systematische Theologie an der Königsberger Fakultät, Hans Michael Mül17
A.a.O. 111. Vgl. Martikainen, Evangelium, 78. Vgl. Iwand, Heilige Schrift, GA I, 112; ders., GuE (1937), NW 4, 183. Vgl. auch Martikainen, Evangelium, 72. Martikainen erkennt als Grundproblem in Iwands Wortbegriff, daß es in der Spätphase seines Denkens zu einer ontischen Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Wort Gottes kommt, während in der Frühphase lediglich eine noetische Differenzierung vorliegt; vgl. a.a.O. 71-80. 19 Vgl. den Abdruck der ganzen Schrift „Das Bekenntnis der Väter und die bekennende Gemeinde" bei Kurt Dietrich Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, Göttingen 1934, 105-131. Zum Kapitel über die Heilige Schrift vgl. a.a.O. 109-111. Herausgeber des „Betheler Bekenntnisses", an dessen Entstehung u.a. Dietrich Bonhoeffer, Hermann Sasse, Georg Merz und Friedrich von Bodelschwingh beteiligt waren, war Martin Niemöller. Vgl. zur Entstehung des Betheler Bekenntnisses Gerhard Ruhbach, Das Betheler Bekenntnis, in: Wolf-Dieter Hauschild u.a. (Hg.), Die Lutherischen Kirchen und die Bekenntnissynode von Barmen. Referate des Internationalen Symposiums auf der Reisensburg 1984, Göttingen 1984, 56-72. Auch in Einzelveröffentlichungen wurde die Frage nach der Heiligen Schrift und Gottes Wort diskutiert; vgl. den Hinweis von Erich Dinkier auf ein Pamphlet von Erich und Mathilde Ludendorff „Das große Entsetzen - die Bibel nicht Gottes Wort" von 1936 und die Antwortschrift von Hans von Soden „Hat Ludendorff Recht?", in der er sich zur Bibel als Gottes Wort bekennt; vgl. Erich Dinkier, Hans Freiherr von Soden (1881-1945), in: Otto Merk/Michael Wolter (Hg.), Im Zeichen des Kreuzes. Aufsätze von Erich Dinkier, BZNW 61, Berlin/New York 1992, 469. 18
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ler, heraus.20 Noch 1930 hatte Iwand sich in einer Rezension sehr positiv zu einem Buch Müllers über „Erfahrung und Glaube bei Luther" (1929) geäußert. Er nannte darin das Lutherbuch „eine vorzügliche Leistung, der man sowohl ihre ausgebreitete Lutherkenntnis wie ihr tiefgehendes systematisches Interesse ... wird nachrühmen dürfen."21 Ebenso hatte Müller 1932 Iwands Schrift „Rechtfertigungslehre und Christusglaube" zustimmend besprochen.22 Sein theologisches Ansehen setzte H.M. Müller allerdings als Berater des DC-Reichsbischofs Ludwig Müller und „als Verfasser nazistisch-polemischer Schriften aufs Spiel; immerhin trug ihn die DC-Welle 1934 von Jena auf den Königsberger Lehrstuhl."23 Anlaß für Iwands Streitschrift von 1936 ist ein Gespräch von H.M. Müller mit dem Hilfsprediger Bruno Jordahn24, einem der Studenten Iwands, in dem Müller den Studenten, die sich zu Iwand hielten, vorwarf, sie „boykottierten die Vorlesungen, weil die dort geleistete wissenschaftliche Arbeit ihrer Unbildung und ihrem ,Köhlerglauben' gefahrlich sei ,.."25 In dem Gespräch vertrat Jordahn gegen Müller den „Grundsatz von der Einheit der Heiligen Schrift als Gottes Wort ,.."26 Iwand verteidigt und bekräftigt Jordahns Standpunkt, wenn er schreibt: „Jawohl, es geht uns darum, daß die ganze Heilige Schrift Gottes Wort ist, nämlich das Wort, mit dem Gott selbst seinen Sohn, Jesus Christus, bezeugt und der Welt sagt, was sein heiliger, göttlicher Wille ist und wodurch dieser Wille auch bei uns und an uns geschehen kann - nämlich durch den Glauben an eben diesen Jesus von Nazareth." 27 20 Iwand, Von Bildung, Einbildung und Unbildung. Ein Wort zum sogenannten Boykott der Königsberger Theologischen Fakultät, (Selbstverlag) 1936 [Bildung]. 21 iwand, Rez.: Hans Michael Müller, Erfahrung und Glaube bei Luther, 1929, DLZ 51, 1930, 964. Vgl. auch Iwand, NW 6, 213. 22 Hans Michael Müller, Rez.: Iwand, Hans Joachim: Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 1930, ThLZ 57, 1932,42-43. 23 Burdach, Iwand, 471. 24 Bruno Jordahn hat 1954 die Schrift Luthers „De servo arbitrio" neu ins Deutsche übersetzt und mit den Erläuterungen Iwands versehen, die er bereits 1939 für die erste Auflage geschrieben hatte. Im Nachwort zur Neuauflage 1962 schreibt Jordahn: „Sie [die Anmerkungen, R.M.] sind von Hans Joachim Iwand, meinem verehrten Lehrer, der vor drei Jahren heimgegangen ist, geschrieben. Seiner sei in Dankbarkeit gedacht." Jordahn, Nachwort des Übersetzers, in: Martin Luther, Daß der freie Wille nichts sei, Ausgewählte Werke, hg.v. H. Borcherdt/G. Merz, Erg.reihe Bd. 1, München 1983 (= 3 1975), 315. In der Jahresangabe hatte Jordahn sich freilich versehen: Iwand war nicht „vor drei Jahren" (also 1959), sondern erst vor zwei Jahren (1960) gestorben. 25 Burdach, Iwand, 472; vgl. Iwand, Bildung, 3. 26 Iwand, Bildung, 3. 27 Iwand, Bildung 4. A.a.O. 12 sagt er, daß der Glaube, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist, zu den unveräußerlichen Postulaten gehört, um derentwillen wir im Kampfe stehen." Über die Entdeckung der Bibel als Gottes Wort in der Zeit des Kirchenkampfes schreibt Iwand in einem Brief an W. Niemöller aus dem Jahr 1949: „... - mit einem Mal war die Bibel das ... Wort Gottes. Die Gegenwart des Wortes Gottes unter uns." Iwand, Ein Brief [an Wilhelm Niemöller], in: Die Bekennende Kirche ist wieder da! Beiträge von Hans Iwand u.a., Bielefeld 1949, 5 (Hervorhebung im Original).
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Die Schrift ist als Zeugnis Gottes von Jesus Christus Gottes Wort, wie es Jesu Selbstzeugnis aus dem Johannesevangelium (Joh 8,18) besagt. Der Satz, daß die Bibel Gottes Wort ist, gilt für die ganze Heilige Schrift des AT und NT. Iwand greift die These von Müller auf, daß die Speise- und Reinigungsgebote des Deuteronomiums für uns nicht gültig seien und deshalb nicht als Gottes Wort angesehen werden könnten. Dagegen wendet Iwand ein, daß die Bibel „Gottes Wort an alle Welt und für alle Zeiten" 28 ist und deshalb für andere Menschen gerade an den Ordnungen des Deuteronomiums die Frage nach dem lebendigen Gott aufbrechen könnte. Auch diese Gebote Gottes sind Gottes Wort, durch die Gott den Menschen richtet, um ihm im Evangelium die Freiheit vom Gesetz zu schenken. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium innerhalb des Wortes Gottes und die Bewegung in der Heiligen Schrift vom Gesetz zum Evangelium muß dabei beachtet werden. 29 Daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist, bedeutet, daß sie auf einer anderen Ebene steht als alle übrigen Bücher, daß Gott selbst das Verständnis der Schrift erschließen muß. Die Schrift als Gottes Wort spricht nicht in der gleichen Richtung wie die menschlichen Gedanken, sondern steht im Widerspruch zum natürlichen Denken. Nur der Heilige Geist Gottes kann vor einer falschen Auslegung der Schrift bewahren. Es „... gehört Geist dazu, das Wort Gottes in der Schrift zu entdecken ... Der Heilige Geist! Ohne ihn werden wir alle die Heilige Schrift falsch auslegen, ohne ihn werden wir alle, da hilft kein Wissen, keine Theologie, kein Professorenpatent und kein Bischofskreuz, über der Auslegung der Schrift zu Irrlehrern und Häretikern." 30
Die Heilige Schrift als Gottes Wort ist damit unserer Verfügung entzogen - die Lehre von der Schrift gehört in den dritten Glaubensartikel. Weil das Wort Gottes ein lebendiges Wort ist, das je und je geschieht, kann es für Iwand nicht wie eine Gleichung mit der Schrift identifiziert werden, da die Schrift das Geschehene bezeugt,31 Ebensowenig dürfen Schrift und Wort Gottes auseinandergerissen werden, „weil die Schrift und das Wort - beide - in einer letzten, selbst für unser Denken und Verstehen untrennbaren Einheit aufeinander bezogen sind in Jesus Christus." 32 Die Gottmenschheit Jesu Christi steht für die Einheit von Heiliger Schrift und Gottes Wort. Iwand wendet die christologischen Formeln von Chalcedon auf den Zusammenhang von Schrift und Wort Gottes an. „Auch hier gilt: 28
Iwand, Bildung, 10. S.u. Teil 1.11.2 Die Heilige Schrift als Gesetz und Evangelium, 56ff. 30 Iwand, Bildung, 13; vgl. a.a.O. 8; ders., GuE (1937), NW 4, 183. 31 Vgl. die analoge Formulierung Karl Barths: „Die Bibel ist also nicht selbst und an sich Gottes geschehene Offenbarung ... Sondern die als Gottes Wort zu uns redende und von uns gehörte Bibel bezeugt die geschehene Offenbarung." Barth, KD 1.1, 114 (Hervorhebung im Original). 32 Iwand, Bildung, 15. 29
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Unvermischt und ungeteilt."33 Bei der Analogie der zwei Naturen Christi mit der Heiligen Schrift betont Iwand insgesamt die Einheit von Schrift und Wort Gottes. Die Zwei-Naturen-Lehre dient nicht dazu, die Menschlichkeit und gleichzeitig Göttlichkeit der Schrift zu postulieren, um dann mit diesen zwei Größen unterschiedlich verfahren zu können in der Weise, daß die Schrift als Menschenwort der historisch-kritischen Forschung ausgesetzt ist und andererseits als Gotteswort unantastbar bleibt.34 Iwand geht es vielmehr darum, das Geheimnis der Einheit von Wort Gottes und Schrift hervorzuheben und festzuhalten.35 Zuletzt stellt er die Frage nach der Identität von Schrift und Wort Gottes zurück gegenüber der Frage nach der Identität von Wort und Person (Jesu Christi). ,JDa müßten die Theologen anheben, die uns etwas Gutes und Tiefes über die Lehre von der Schrift sagen wollten."36 1.1.3 Die Heilige Schrift als Zeugnis In einem Vortrag über die Heilige Schrift, wie die Streitschrift gegen Müller aus dem Jahr 1936, spricht Iwand ebenfalls von der „Einheit zwischen der Schrift und dem Wort des lebendigen Gottes, freilich einer geglaubten Einheit, die nicht mit der Verbalinspiration, dieser materialisierten Offenbarungstheorie verwechselt werden darf."37 Sein Hauptakzent liegt auf der
33 Iwand, Bildung, 14; vgl. a.a.O. 14f. Es wird dann alles verkehrt, wenn es dazu kommt, daß die Schrift gegen Gottes Wort und gegen den lebendigen Christus ausgespielt wird, wie Iwand es bei den Deutschen Christen sieht; vgl. Iwand, Das Zeugnis - das Martyrium, in: Was ist Wahrheit? Zehn Predigten über die Pilatusfrage, gehalten auf der Deutschen Evangelischen Woche Stuttgart 1936, hg.v. Eberhard Müller, Berlin 1936, 60. Ähnlich wie Iwand sieht Hermann Sasse die Göttlichkeit und Menschlichkeit der Schrift in Analogie zur Zwei-NaturenLehre Christi; vgl. Sasse, Zur Lehre von der Heiligen Schrift (1950), in: ders., Sacra Scriptura. Studien zur Lehre von der Heiligen Schrift von Hermann Sasse, hg.v. Friedrich Wilhelm Hopf, Erlangen 1981, 223. Zur Übertragung der christologischen Formeln auf die Schrift und das Wort Gottes vgl. ReinhardSlenczka, Kirchliche Entscheidung in theologischer Verantwortung: Grundlagen - Kriterien - Grenzen, Göttingen 1991, 59, der kritisch vermerkt, daß es zu dieser Analogie „keinen Anhaltspunkt in der Heiligen Schrift" gibt. Er warnt mit Recht vor der Gefahr, daß insgesamt eine unzulässige Trennung von Gottes Wort und Heiliger Schrift erfolgen kann; vgl. a.a.O. 60. 34 In diese Richtung gehen die Äußerungen von Gerhard Gloege, Zur Geschichte des Schriftverständnisses, in: ders., Verkündigung und Verantwortung. Theologische Traktate. Zweiter Band, Göttingen 1967, 29 lf, und noch deutlicher von Heinrich Vogel, Gott in Christo. Ein Erkenntnisgang durch die Grundprobleme der Dogmatik, Stuttgart 1982 (= 1951), 101156. Vogel unterscheidet die „Menschlichkeit des Schriftwortes" und die „Göttlichkeit der Heiligen Schrift". Die Kritik von Slenczka, Kirchliche Entscheidung, 59, und auch von CarlHeinz Ratschow, Einleitende Analyse der Themafrage, in: ders. (Hg.), Sola Sriptura. Ringvorlesung der theologischen Fakultät der Philipps-Universität, Marburg 1977, 21, trifft eher diese Positionen als die Iwands. 35 Vgl. Iwand, Bildung, 14f. 36 A.a.O. 15 (Hervorhebung R.M.). 37 Iwand, Heilige Schrift, GA I, 112.
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Schrift als Zeugnis, genauer als „Selbstzeugnis des lebendigen Gottes"38. Die Apostel und Propheten sind Zeugen dessen, was Gott geredet hat - sie geben nicht ihre eigene Meinung wieder, und als Selbstzeugnis Gottes ist die Heilige Schrift „das Wort, in dem Gott mit der Welt geredet, ja mehr, in dem er sich mit seinen Erwählten verbunden und verbündet hat."39 Das Zeugnis der Schrift ist die Weitergabe des „bei Gott selbst und von Gott selbst Gehörten."40 Der Begriff des Zeugnisses wird von Iwand nicht gebraucht, um einen Unterschied zwischen einem Wort Gottes „an sich" und dem Wort der Heiligen Schrift zu postulieren, sondern um den Hinweischarakter der Schrift auf Jesus Christus als Mitte und Ziel der Schrift herauszustellen. Ohne Jesus Christus verliert die Schrift ihren Charakter als Zeugnis: „Wenn er herausgenommen würde, was bliebe übrig als ein toter Leichnam! Ein Buch, aber kein Zeugnis mehr, eine Urkunde, aber keine Kunde, ein Mund ohne Stimme, ohne Richtung, ein Hin und Her religiöser Geschehnisse, ein Wirbeltanz religiöser Gestalten, aber die Mitte, um die sich alles dreht, würde fehlen: der Logos, das Wort, der Sinn und das Ziel des Ganzen."4' Die Heilige Schrift als Zeugnis Gottes weist über sich hinaus auf den lebendigen Christus, und wo sie als lebendigmachendes Wort vernommen wird, ist sie zum Evangelium, vom toten Buchstaben zum lebenschaffenden Geist geworden. 1.2 Heilige Schrift und Gottes Wort in ontischer Unterscheidung42 Im Vergleich zu der oben beschriebenen Anschauung Iwands, wo das Gewicht auf der Identität von Gottes Wort und Heiliger Schrift (als Wort Gottes in Gesetz und Evangelium) liegt, ist nach 1945 eine Veränderung deutlich erkennbar. Im Gegensatz zu früheren Äußerungen postuliert Iwand in seiner Luther-Vorlesung etwa aus dem Jahr 1956: „Das eine Wort Gottes ist
38 A.a.O. 110. An anderer Stelle spricht er von der Schrift als dem „Dokument" des Wortes Gottes; vgl. Iwand, Erneuerung, 10. 39 Iwand, Heilige Schrift, GA I, 112. In den fünziger Jahren betont Iwand stärker den Unterschied von Gottes Wort und Heiliger Schrift, und dann gewinnt auch der Begriff des Zeugnisses eine andere Bedeutung, nämlich die des ontischen Unterschiedes zu Gottes Wort, s.u. Teil 1.II. 1.2 Heilige Schrift und Gottes Wort in ontischer Unterscheidung, 53ff. 40 Iwand, Heilige Schrift, GA I, 113. 41 A.a.O. 121 f (Hervorhebung R.M.). 42 Vgl. auch die Unterscheidung zwischen Gottes Wort und der Predigt, s.u. Teil 3.1.1 Die Predigt, 226ff.
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noch jenseits von Gesetz und Evangelium da."43 Zwar hatte Iwand das auch früher nicht bestritten, aber darauf keine Lehre vom Wort Gottes aufbauen wollen. Nun sieht er es sogar als Verderbnis an, daß die Lehre vom Wort Gottes bei Luther von der Lutherforschung gleich im Gegensatz von Gesetz und Evangelium entwickelt wird - so wie Iwand selbst es noch zwanzig Jahre zuvor getan hatte.44 Die Identifizierung von Wort Gottes und Schrift, gefaßt in den Gegensatz von Gesetz und Evangelium, erscheint nun als eine Betrachtungsweise der lutherischen Orthodoxie, der gegenüber „K. Barth in einer -wahrhaft genialen Entdeckung dieses Problem [die Lehre vom Wort Gottes, R.M.] innerhalb der protestantischen Theologie neu aufgeworfen hat."45 Wenn Iwand nun das Verhältnis von Gottes Wort und Heiliger Schrift behandelt, legt er den Akzent auf die Unverfügbarkeit und den Ereignischarakter von Gottes Wort und wehrt eine unmittelbare Identifikation von Wort Gottes und Schrift ab: „Wenn wir sagen, die Bibel ist Gottes Wort, dann meinen wir: hier wird und kann es geschehen, weil es geschehen ist, daß wir Gott hören. Das Dasein der Bibel als Buch und das Dasein des Wortes Gottes als Ereignis stehen auf zwei verschiedenen Ebenen. Zu dem Dasein der Bibel als Dokument gehört zugleich das Dasein aller anderen gegenständlichen Momente. Aber Gottes Wort ist nie ,da'. Sondern es ist nur so da, wie Gott da ist. Indem wir es hören! Indem es mich trifft. Indem es geschieht." 46
Iwand wendet sich gegen die Lehre von der Verbalinspiration der Heiligen Schrift, weil er darin das Bestreben sieht, des Wortes Gottes habhaft zu werden. Wo dies der Fall ist, muß von einer ,,fatale[n] Identifizierung von Wort und Schrift"47 geredet werden. „Die Schrift als solche ist nicht Gottes Wort, so dass man sagen könnte: Hier haben wir es, sondern die Schrift als solche bedeutet gerade umgekehrt das Gegenüber zum Worte Gottes: Das Nicht-Verfügen, das Nicht-Haben desselben. Von ihr aus
43 Iwand, NW 5, 203f. Vgl. Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 232f, der auch auf diese Veränderung aufmerksam macht. Seim sieht die Veränderung in Iwands Denken nicht so sehr aufgrund des Einflusses von Barth als vielmehr in Iwands eigenem Denken angelegt. Vgl. auch Kruger, Versöhnt, 73-75. 44 Vgl. Iwand, NW 5, 203. 45 Iwand, NW 5, 204, Anm. 157 (Hervorhebungen R.M.). 46 Iwand, Theologie als Beruf. Vorlesung, Göttingen, Sommersemester 1951, NW 1, 269 [Theologie, Vorlesung (1951), NW 1], 47 Iwand, Einführung in die "Kirchliche Dogmatik" Karl Barths. Vorlesungs-Manuskript, 41 Blätter, etwa 1954, Iwand-Archiv Beienrode, Bl. 16 [Einführung in die KD, Iwand-Archiv]. In dieser Vorlesung gibt Iwand eine Einführung in die Kirchliche Dogmatik Karl Barths und behandelt darin ausführlich und größtenteils zustimmend die Lehre vom Wort Gottes bei Barth. Zur Lehre von der Inspiration der Schrift vgl. Sasse, Zur Lehre von der Heiligen Schrift, 228-244.
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geschieht das W o r t Gottes, so w i e sie das Z e u g n i s d a f ü r ist, dass Gottes W o r t g e s c h e hen ist ,.." 4 8
Die Verbalinspirationslehre scheitert daran, daß die Schrift ganz und gar Menschenwort ist. Im Zuge dieser Erkenntnis hat sich die Theologie bemüht, quantitativ innerhalb der Schrift Menschenwort und Gotteswort zu trennen (in der Frage nach den echten, historisch gesicherten Jesusworten).49 Dort beginnt die Frage nach dem Kanon im Kanon in der Unterscheidung von fundamentalen und nichtfundamentalen Stücken, von Heilsnotwendigem und Nicht-Heilsnotwendigem. All das ist aber für Iwand „der Versuch, einen Bereich ausfindig zu machen, innerhalb der Schrift, der sich unmittelbar und direkt mit der Offenbarung Gottes deckt"50. Diesen Versuch, das Bemühen um einen Kanon im Kanon, weist Iwand ab.51 Es geht ihm um die ganze Schrift, die immer über dem Menschen steht.
1.3 Gott als Subjekt der Heiligen Schrift Wichtiger als die Veränderung von einer noetischen zu einer ontischen Unterscheidung von Gottes Wort und Heiliger Schrift ist die durchgehaltene Überzeugung Iwands von der Schrift als Norma normans, deren Subjekt Gott ist. Das Wort Gottes tritt in der Schrift auf,,... als das Prädikat, in dem Gott Subjekt ist (Barth). Ob wir diese Gleichheit und Ebenbürtigkeit von Subjekt und Prädikat anerkennen?"52 Diese Sätze richten sich gegen die Anschauung, als sei die Schrift menschliche Rede über Gott.
48 Iwand, Einführung in die KD, Iwand-Archiv, Bl. 25f. Wenngleich des Interesse der Nichtidentität von Gottes Wort und der Schrift vor allem in der Spätphase Iwands leitend ist, betont er z.B. auch 1951 noch die Göttlichkeit und Theopneustie der Schrift; vgl. Iwand, PM I, 253f. 49 Vgl. Iwand, Einführung in die KD, Iwand-Archiv, Bl. 8. In der Frage nach dem „historischen Jesus" hat Iwand sich die Position Martin Kählers zu eigen gemacht und häufiger auf ihn verwiesen. Vgl. Iwand, Die Theologie vor der wartenden Gemeinde, NFur 5, 1951, 774 [Theologie, NFur 5, 1951], wo er sich mit Hinweis auf Kähler gegen die Trennung der Schrift in Gottes Wort und Menschenwort mit Hilfe der historisch-kritischen Methode wendet. Gegen eine Rekonstruktion des „historischen Jesus" stellt Iwand mit Kähler fest, daß man „nicht hinter den gepredigten Jesus Christus zurück" kann; Iwand, Erneuerung unserer Bildung aus dem Evangelium, EvErz , 1951, Nr. 4, 10 [Erneuerung, EvErz , 1951, Nr. 4], mit Hinweis auf Kählers „Der historische Jesus und der biblische, geschichtliche Christus". Vgl. auch Iwand, Über den Verlust der theologischen Existenz heute, JK 14, 1953, 51 lf [Über den Verlust, JK 14, 1953]. 50 Iwand, Einführung in die KD, Iwand-Archiv, Bl. 16; vgl. a.a.O. Bl. 23-26. 51 Er spricht allerdings zustimmend davon, daß „der erste Satz von Barmen, daß Christus das eine Wort Gottes ist, noch als Kanon für den Kanon! empfunden wird". Iwand, Über den Verlust, JK 14, 1953, 516 (Hervorhebungen im Original). 52 Iwand, Der Prinzipienstreit innerhalb der protestantischen Theologie (1958), GA I, 244 [Prinzipienstreit, GA I].
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Iwand entfaltet seine Theologie in der Auseinandersetzung mit der Irrlehre seiner Zeit.53 So betont er in den Auseinandersetzungen der dreißiger Jahre die Göttlichkeit der Schrift und die Identität von Gottes Wort und Heiliger Schrift, um andere Offenbarungsquellen als die Heilige Schrift abzuwehren. Die ganze Heilige Schrift ist die einzige Autorität für die Kirche. In den beginnenden fünfziger Jahren erkennt Iwand zwar die Geltung der Heiligen Schrift in der Kirche, aber er sieht in der Bildung von Konfessionskirchen die Gefahr, das Wort Gottes in feste, fixierbare Formeln fassen zu wollen und sich dabei der Heiligen Schrift zu bedienen, sie verfügbar zu machen. Gegen diese Tendenz setzt Iwand die Unverfügbarkeit des Wortes Gottes und damit die Freiheit Gottes selber: „Das Wort ... ist nicht gebunden, auch nicht gebunden an die Schrift in dem Sinne, daß man sagen könnte: Wenn ich die Schrift habe, dann habe ich Gottes Wort."54 Dennoch ist die Heilige Schrift die Form, in der das Wort Gottes in dieser Welt gegenwärtig ist als das verbum Dei externum, und dieses äußere Wort ist die einzige Quelle zur Erkenntnis Jesu Christi.55 Gott als Subjekt der Schrift schenkt in der Kraft seines Heiligen Geistes das Verständnis der Schrift.56 Der Inhalt und die Mitte der Heiligen Schrift ist das Heil in Jesus Christus, das durch den Heiligen Geist als das Subjekt der Schrift erschlossen wird. Für die Kirche gilt als alleinige Norm „... die Schrift - aber in ihr und mit ihr Gottes Wort, Apostel und Propheten und das ewige Heil in Jesus Christus."57 Die Heilige Schrift ist unumstößliche Norma normans der Kirche, allerdings ohne daß sie in festen dogmatischen Formeln ein für allemal fixierbar wäre. Iwand äußert von daher bereits 1942 Mißtrauen gegen eine Theologie, die sich neben der Schrift auf die Bekenntnisse gründet. Gegen eine bekenntnisgebundene Dogmatik wendet Iwand ein: „... die Ungebundenheit des Wortes liegt mir am Herzen." Die „Freiheit des Wortes Gottes, seine Souveränität über der Kirche ,.."58 darf nicht angetastet werden.
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Vgl. Herlog, Erkenntnis, 14. Iwand, NW 5, 221. 55 Vgl. a.a.O. 213. Neben der Heiligen Schrift ist bei dem verbum Dei externum auch an die Verkündigung zu denken; vgl. a.a.O. 219-223. 56 Vgl. Iwand, PM I, 254f mit Hinweis auf die Schriftlehre von Karl Barth. Vgl. auch Iwand, Erläuterungen, 271: Jesus Christus ist „... Subjekt und Objekt ihrer Auslegung. Er öffnet uns den Sinn der Schrift ... und ist selbst ihr Inhalt". 57 A.a.O. 255 (Hervorhebung im Original). 58 Iwand, Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942, 163. Vgl. ders., Über den Verlust, JK 14, 1953, 515. Zur Nicht-Verfügbarkeit des Wortes Gottes vgl. auch ders., Jenseits von GuE, GA 1, 99. 54
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2. Die Heilige Schrift als Gesetz und Evangelium
„Fragen wir Luther, was er unter dem Wort Gottes versteht, so antwortet er, das Wort Gottes sei Gesetz und Evangelium. Wer diese Unterscheidung nicht macht, dem spricht er das Vermögen ab, die Schrift recht auszulegen."59 Dabei ist nach Iwands eigenen Worten der Gegensatz von Gesetz und Evangelium in der Schrift leicht zu finden. „Die Täter werden gerecht gesprochen. ,Der Gerechte wird seines Glaubens leben', und viele andere Stellen. Da sind die Gegensätze einfach und klar. Die Hl. Schrift enthält diesen Gegensatz, weil dieser Gegensatz der Gegenstand der Offenbarung Gottes ist. Gesetz und Evangelium ist das Thema der Bibel." 60
Rein formal liegt der Gegensatz darin, daß das Gesetz in der Form der Forderung, des Gebotes ergeht, während das Evangelium Verheißung und Gnadenwort ist - entweder begegnet der Imperativ oder der Indikativ.61 Die Heilige Schrift bezeugt in Gesetz und Evangelium den lebendigen, den handelnden Gott, der in Christus den neuen Bund des Evangeliums aufrichtet, welcher den alten mosaischen Bund des Gesetzes ablöst. In den Verheißungen des alten Bundes ist bereits der neue Bund als Vorschau enthalten.62 In der Bibel wird ein Weg Gottes mit den Menschen sichtbar, der Weg vom Gesetz zum Evangelium. Beide sind Gottes Wort, wenn auch in entgegengesetzter Form. Gesetz und Evangelium stehen aber nicht gleichwertig nebeneinander, sondern Gottes Handeln im Gesetz hat als Ziel das Evangelium, so daß vom Evangelium als opus proprium im Unterschied zum Gesetz als opus alienum zu reden ist.63 Es gibt ein eindeutiges Gefalle vom Gesetz zum Evangelium, vom alten zum neuen Bund. Es ist eine Bewegung in der Heiligen Schrift, die in eine Richtung geht, und die nicht rückläufig ist. Der Weg, so sagt Iwand immer wieder, geht vom Sinai nach Golgatha.64 Dieser Weg bezeichnet auch die Richtung des Verstehens: Nur von Golgatha her ist das Wort vom Sinai zu verstehen, während umgekehrt das Wort von Gol59
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 49f. Iwand, GuE (1937), N W 4, 14. 61 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 50. S.u. Teil 1.III. 1.2 Die formale Unterscheidung, 68f. 62 Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 15. 63 Vgl. ebd. 64 Vgl. Iwand, Bildung, 1 lf. Fast wörtlich gleich in: ders., Predigt, GA II, 161; PM II, 16; GuE (1937), N W 4, 237; Evangelium und Gesetz aus der Vorlesung über „Rechtfertigung", N W 4, 445 [Evangelium, N W 4], Vgl. GuE (1937), N W 4, 165-193 (Abschnitt: „Geist und Buchstabe"). 60
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gatha nur verstanden wird, wenn man nicht auf den Sinai zurückschaut. 65 Von Christus als dem τέλος des Gesetzes aus wird erst der Sinn des Gesetzes erkannt.66 Das Verhältnis von Buchstabe und Geist, das ebenfalls aus der Schrift erschlossen wird, ist für Iwand nicht identisch mit dem Gegensatz von Gesetz und Evangelium, sondern diesem übergeordnet. Das Verhältnis von Buchstabe und Geist verhandelt Iwand in der Verkündigung, die als Amt des Buchstabens oder als Amt des Geistes geschehen kann.67 Buchstabe und Geist sind beide Gottes Wort: Das eine ist todbringendes und das andere lebendigmachendes Wort. Während das Evangelium immer als Dienst des Geistes ergeht, kann das Gesetz unter dem Vorzeichen des Buchstabens oder des Geistes stehen. Als Buchstabe tötet es ohne das Ziel des Heils in Christus, also losgelöst vom Evangelium; unter dem Vorzeichen des Geistes steht es - auch als tötendes Wort - im Dienst des neuen Bundes und fuhrt zur Erkenntnis der Sünde mit dem Ziel des Heils in Christus.68 Der Gegensatz von Gesetz und Evangelium wird direkt aus der Schrift gewonnen; sie enthält diesen Gegensatz, und er ist deutlich zu erkennen. Von hier aus wird der Gegensatz von Gesetz und Evangelium zum Auslegungsschlüssel der Heiligen Schrift.
3. Gesetz und Evangelium als Auslegungsprinzip der Heiligen Schrift
Die Berufung auf die Schrift als Wort Gottes und auch die Meinung, daß Jesus Christus Mitte und Ziel der Schrift ist, besagen noch nicht, daß man die Schrift auch versteht. Das Auslegungsprinzip der Heiligen Schrift findet Iwand bei Luther, für den die Offenbarung Gottes in der Schrift in der doppelten Weise von Gesetz und Evangelium geschieht. Erst in dieser Unterscheidung ist es möglich, überhaupt die Offenbarung Gottes - und damit die Schrift - zu verstehen.69 65
Vgl. Iwand, Theologie, Vorlesung (1951), N W 1, 273; ders., RuC, 76. Vgl. / w a n r f , G u E ( 1 9 3 7 ) , N W 4 , 2 0 . 67 Vgl. a.a.O. 165-193. S.u. Teil 3.11.1 Buchstabe und Geist, 237ff. Vgl. 2.Kor 3, w o Paulus die δ ι α κ ο ν ί α τ ο ΰ θ α ν ά τ ο υ (2.Kor 3,7) der δ ι α κ ο ν ί α τ ο υ π ν ε ύ μ α τ ο ς (2.Kor 3,8) gegenüberstellt. 68 Vgl. Iwand, GuE (1937), 2 0 - 3 0 . 1 6 5 - 1 7 2 . 69 Vgl. Iwand, Erläuterungen, 289 und die entsprechende Stelle in Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus, WA 18, 680,28-31: „Obsecro autem te, quid ille in re Theologica vel sacris Uteris efficiat, qui nondum eo pervenit, ut quid Lex, quid Euangelion sit, norit, aut si norit, contemnat tarnen observare? Is omnia misceat oportet, coelum, infernum, vitam, mor66
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Luther „meint (sogar), daß niemand in der Schrift etwas von Christus erkennen und verstehen wird, der die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht als Auslegungsprinzip gelten läßt."70 Diese Regel ist dasselbe wie das „christologische Prinzip" der Auslegung. Dies ergibt sich für Iwand daraus, daß Christus der Inhalt der Schrift und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium das Kriterium des Glaubens an ihn ist.71 Wie sehr Iwands Darstellung der Theologie Luthers mit seiner eigenen Position übereinstimmt - und von daher in der Regel Iwands Lutherinterpretation als seine eigene Position verstanden werden darf72 - zeigt eine Äußerung Iwands von 1936 zur Barmer Theologischen Erklärung. Dort sagt er, „... daß jener Ausdruck in der Barmer Erklärung , Jesus Christus, wie er uns in der heiligen Schrift bezeugt wird' näher dahin zu bestimmen ist, daß die heilige Schrift nur dem Jesus Christus als das eine Wort Gottes bezeugt, der sie in der Anerkennung und im Glauben an die Rechtfertigungslehre liest und auslegt. Wir werden demnach sagen müssen, daß die Lehre von Gesetz und Evangelium die theologische Voraussetzung für die rechte Auslegung der heiligen Schrift als des Zeugnisses von Jesus Christus ist und daß diese Voraussetzung gelten muß, unbeschadet der Verschiedenheit konfessioneller Lehrentwicklung. Wenn uns diese These zugestanden wird und wenn sie in ihrer Inhaltlichkeit bei der Auslegung der weiteren Sätze der Barmer Erklärung
tem, ac prorsus nihil de Christo scire laborabit." Ähnlich sagt Rudolf Hermann, daß wir „... eines Schlüssels zum Verständnis der Bibel als ganzer bedürfen, und daß der, für unser evangelisches Verhältnis zur Bibel, das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, damit zugleich Rechtfertigungsglaube und Rechtfertigungslehre bleiben wird." Hermann, Luthers Rechtfertigungslehre und ihre Bedeutung für unsere Zeit (1946), in: ders., Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und der Reformation, Göttingen 1960, 367. 70 Iwand, Erläuterungen, 289. Vgl. auch ders., Studien, GA I, 46, Anm. 5: „Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist (also) nicht das Ergebnis, sondern das Prinzip der Schriftauslegung." Das Gegenteil von Gesetz und Evangelium als Auslegungsprinzip sieht Iwand in einem „planlosen Biblizismus" {Iwand, Erläuterungen, 289). Vgl. ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 49f (vor allem die Anmerkungen, in denen zentrale Texte von Luther zitiert werden). Vgl. schon die These von Carl Ferdinand Wilhelm Walther von 1897, in der er zum Verständnis von der Heiligen Schrift sagt: „Die rechte Erkenntniß von dem Unterschied des Gesetzes und Evangelii ist nicht nur ein herrliches Licht zu rechtem Verstand der ganzen heiligen Schrift, sondern ohne jene Erkenntniß ist und bleibt auch dieselbe ein fest verschlossenes Buch." Walther, Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. 39 Abendvorträge, St. Louis 1946 (= 1897), I, Thesis IV. Iwand kannte auch das Buch von Walther und hat es als Literaturhinweis zur Unterscheidung von Gesetz und Evangelium genannt; vgl. Iwand, Art. Gesetz und Evangelium (B. Dogmatisch), EKL I, 2 196I (= 1956), 1567 [Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961]. Ähnlich wie Iwand urteilt Gloege, wenn er sagt, daß für Luther die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium „zum hermeneutischen Axiom für die Bibelauslegung" wurde; Gloege, Zur Geschichte des Schriftverständnisses, 276. 71 Vgl. Iwand, Erläuterungen, 289f; ders., GuE (1937), NW 4, 168. 72 Zu der engen Verbindung von Iwands Lutherdarstellung mit seinem eigenen Denken vgl. die ähnlichen Urteil von Seim, Luther aus der Nähe betrachtet. EK 8, 1975, 693 und Martikainen, Evangelium, 21: „Iwand begründet seine eigenen Anschauungen gerne anhand von Luther-Texten. Oftmals tritt er so elementar für Luthers Texte ein, daß er seine eigenen Anschauungen mit Luthers Gedanken identifiziert."
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beachtet wird, dann müssen wir auch den Satz von Jesus Christus als dem einen Wort Gottes anerkennen." 73
Die erste These der Barmer Theologischen Erklärung von Jesus Christus als dem einen Wort Gottes ist demnach nicht gegen Mißverständnisse geschützt, sondern muß inhaltlich gefüllt werden, was nach Iwand nur in der Anerkennung der Rechtfertigungslehre in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium erfolgen kann. Ohne diese Präzisierung ist für ihn die Barmer Theologische Erklärung, die er zeitlebens verteidigt,74 aus lutherischer Sicht nicht eindeutig genug. Die Bezeugung Jesu Christi in der Schrift wird nur dort recht verstanden, wo die Rechtfertigungslehre anerkannt wird und die Lehre von Gesetz und Evangelium als Auslegungsprinzip gilt. Er verweist in seinen Ausführungen auf Hermann Sasse, der ähnlich den Bezug auf die Heilige Schrift allein noch nicht als ausreichend ansieht - die Rechtfertigungslehre (das sola fide) gehört unverzichtbar zum sola scriptura hinzu." Der Grund für die Notwendigkeit, Gesetz und Evangelium als Schlüssel zur Auslegung der Schrift zu sehen, liegt darin, daß Christus als Inhalt und Mitte der Schrift kann nur dann wahrhaft erkannt werden kann, wenn diese Unterscheidung beachtet wird. „Wer das nicht tut, gerät entweder in Gefahr, aus Christus einen neuen Gesetzgeber, einen neuen Mose zu machen ... oder das Gesetz ganz fallen zu lassen und damit das Wunderbare der Gnade und der Vergebung zu zerstören."76 Die Gefahren des Nomismus auf der einen und des Antinomismus auf der anderen Seite sind hier zu nennen.77 Wenn Christus zum legislator gemacht wird, steht der Gedanke der sittlichen Bildung im Vordergrund. Christus und die Gnade sind dann nicht Gabe und Geschenk, sondern werden zur Forderung. Gerade das widerspricht aber dem Sinn der Gnade und dem Evangelium. „Evangelium ist Gegenwart der Gnade Gottes bei uns. Wo man also lehrt: Ihr müßt die Gnade haben, ihr müßt an Christus glauben, da treibt man in Wahrheit das Werk des Geset73 Iwand, Die 1. Barmer These und die Theologie Martin Luthers (1936), EvTh 46, 1986, 230 [1. Barmer These (1936), EvTh 46, 1986]. Die Ausführungen Iwands zum Auslegungsprinzip der Heiligen Schrift zeigen den unlösbaren Zusammenhang von Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Christologie. Wie in seiner Streitschrift gegen H.M. Müller (vgl. Iwand, Bildung, 15) geht er noch auf die Einheit von Person und Wort in Jesus Christus ein, die bei der Lehre von der Heiligen Schrift immer mit zu bedenken ist; vgl Iwand, 1. Barmer These (1936), EvTh 46, 1986, 230f. 74
Vgl. zu Iwands Sicht der Barmer Erklärung Ludwig, Beitrag. Zu Iwands Vortrag zur ersten Barmer These vgl. a.a.O. 2 9 8 - 3 0 1 . Zur Bedeutung von Barmen für Iwands theologisches Denken insgesamt vgl. Martikainen, Evangelium, 2 5 - 3 1 . 75 „Der Rückgang auf die heilige Schrift ... bedeutet noch keine Reformation. ... Zu dem sola scriptura muß vielmehr noch das für die lutherische Theologie damit untrennbar verbundene sola fide hinzukommen." Sasse, Was heißt lutherisch?, München 1934, 56. 76 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 50f. 77 Dazu s.u. Teil 1.111.2 Die Folgen der Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium, 7 Iff.
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zes" 78 . Versucht man allerdings nur vom Evangelium her die Schrift zu verstehen und läßt das Gesetz außer acht, kann man nicht mehr erkennen, worin das Werk Christi für uns besteht. Die Größe und Notwendigkeit seines Werkes wird verdunkelt, da ohne das Gesetz die Sündhaftigkeit und Verlorenheit des Menschen nicht offenbar wird: „... der Kranke wird nicht dadurch geheilt, daß man ihn als gesund behandelt!" 79 Die Schrift in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu lesen bedeutet also nicht weniger, als das Heilswerk Jesu Christi in seiner vollen Bedeutung zu erkennen und zu verstehen. 80 Wo man das nicht tut, gerät man - auch ohne es zu wollen - in den Nomismus oder Antinomismus. Die Legitimität von Gesetz und Evangelium als Auslegungsprinzip der Schrift liegt in der Schrift selbst: „Wenn anders Christus der eigentliche Inhalt der Schrift ist... und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium das Kriterium des Glaubens an ihn, dann ist diese Anwendung der Unterscheidung keine subjektive und willkürliche Eintragung in die Schrift, sondern das Prinzip ihrer kirchlichen, weil christusgläubigen Auslegung,"81
Allerdings sieht Iwand grundsätzlich das Problem, mit einem Schlüssel außerhalb der Schrift die Bibel auslegen zu wollen. Dann wird die Schrift zum Objekt der Auslegung, statt selbst Subjekt zu sein. Auch wenn die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zum Verständnis der Schrift dient, weil diese Unterscheidung aus der Schrift selbst gewonnen ist, darf sie nicht zu einem hermeneutischen Prinzip werden, das wie ein Werkzeug zu handhaben ist. In der Auseinandersetzung um das „pro me" als methodisches Prinzip am Beginn der fünfziger Jahre lehnt Iwand einen Schlüssel zur Schrift von außerhalb ab: „Wenn von einem Erkenntnisprinzip in der Theologie die Rede ist, dann ist dieses allein die Heilige Schrift, und zwar die sich selbst auslegende, auf keinen außerhalb ihrer selbst liegenden ,Schlüssel' angewiesene Schrift. Im anderen Falle würde ja das Zeugnis des Heiligen Geistes durch ein in bestimmten theologischen Kategorien faßbares ... Verfahren ersetzt. Damit aber käme die Schrift und eben der, welcher ihr Herr und ihr Inhalt ist, Jesus Christus, in die Hände der Menschen." 8 2
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Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 55; vgl. 51-56. A.a.O. 65; vgl. 56-67. 80 Im Blick auf Person und Werk Christi formuliert Slenczka entsprechend: „Mit dieser Beziehung auf Person und Werk Christi steht und fällt christliche Schriftauslegung." Slenczka, Kirchliche Entscheidung, 54. 81 Iwand, Erläuterungen, 289f (Hervorhebungen R.M.). 82 Iwand, Wider den Mißbrauch des pro me („Für mich") als methodisches Prinzip in der Grundlegung theologischer Erkenntnis, SGKL 5, 1953, 208 [Wider den Mißbrauch, SGKL 5, 1953], mit Verweis auf Martin Kähler. 79
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4. Zusammenfassung
1. Bei Iwands Lehre von der Heiligen Schrift ist eine Veränderung seiner Anschauung von der Einheit zwischen Gottes Wort und Heiliger Schrift hin zur Unterscheidung zwischen beiden zu erkennen. Ausgehend von der im Glauben erkannten Einheit zwischen Wort Gottes und Schrift als verbum Dei intrinsece und verbum Dei extrinsece sind Aussagen über das Wort Gottes aufgrund der Selbstoffenbarung Gottes in der Heiligen Schrift möglich. In der Heiligen Schrift redet Gott in Gesetz und Evangelium mit dem Ziel, daß Menschen selig werden, so daß die Schrift eine soteriologische Ausrichtung hat. Iwand betont, daß die Heilige Schrift in Jesus Christus als Mitte, Inhalt und Ziel der Schrift ihre Einheit hat. Die Schrift weist darin über sich selbst hinaus auf Christus hin und wird von Iwand als Selbstzeugnis Gottes charakterisiert. Durch den Heiligen Geist als Ausleger der Schrift muß die Schrift immer wieder vom toten Buchstaben zum lebenschaffenden Geist werden. Wenngleich Iwand später besonders die Unterscheidung von Gottes Wort und Heiliger Schrift postuliert, um damit die Unverfügbarkeit und den Ereignischarakter des Wortes Gottes sicherzustellen, bleibt Gott immer das Subjekt der Heiligen Schrift. Die Heilige Schrift ist keine Sammlung menschlicher Gedanken über Gott, sondern Rede Gottes an den Menschen und alleinige Norm der Kirche, die ihrerseits „creatura verbi" ist. Fraglich ist, ob Iwand mit der später von Barth übernommenen Differenz zwischen Gotteswort und Menschenwort die Heilsgewißheit wahren kann, die er früher mit Luther an der Einheit von Gottes- und Menschenwort festgemacht hatte.83 2. Gesetz und Evangelium ist das Thema der Bibel. Gottes Wort ergeht in der Schrift als Gesetz und Evangelium, wobei Iwand betont, daß auch das Gesetz Gottes Wort ist und in die Offenbarung hineingehört. Allerdings stehen Gesetz und Evangelium nicht gleichwertig nebeneinander, sondern es gibt eine eindeutige Bewegung in der Schrift vom Gesetz zum Evangelium, vom Sinai nach Golgatha, die nicht rückläufig ist. 3. Grundlegend für das Verständnis der Heiligen Schrift ist die von Iwand aufgenommene Erkenntnis Luthers von Gesetz und Evangelium als Auslegungsprinzip der Heiligen Schrift. Hier liegt der Schlüssel zum Ver83
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Vgl. Iwand, Jenseits von GuE (1937), GA I, 102; Bayer, Theologie, 381f.
ständnis der Schrift - mit dem Vorbehalt, daß der Heilige Geist erst das Verstehen der Schrift ermöglicht. Ohne diese Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist Christus als Inhalt und Mitte der Schrift nicht zu erkennen. Entweder wird er sonst zum neuen Gesetzgeber gemacht, oder sein Heilswerk wird in seiner ganzen Tiefe verkannt, da ohne das Gesetz die Verlorenheit des Sünders nicht deutlich wird. Die These von Gesetz und Evangelium als hermeneutischem Schlüssel steht in Übereinstimmung mit Luthers Anschauung und den Bekenntnisschriften. So heißt es in der Konkordienformel, daß der „... Unterscheid des Gesetzes und Evangelii ein besonder herrlich Licht ist, welches darzu dienet, daß Gottes Wort recht geteilet und der heiligen Propheten und Apostel Schriften eigentlich erkläret und verstanden" 84 werden.
84
FC SD V, BSLK 951,3-8.
63
III. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
D i e e r s t e V e r ö f f e n t l i c h u n g 1 I w a n d s a u s d e m Jahr 1 9 2 9 trägt d i e Ü b e r s c h r i f t „ G e s e t z u n d E v a n g e l i u m " 2 u n d ist der A b d r u c k e i n e r V o r l e s u n g ü b e r L u t h e r v o n 1928. S e i n e A u s f ü h r u n g e n beginnt I w a n d mit der Feststellung: „Es ist bekannt, d a ß der G e g e n s a t z von Gesetz und E v a n g e l i u m das F u n d a m e n t ist, auf das Luther seine Theologie gründete. D a s T h e m a G e s e t z und E v a n g e l i u m ist daher kein Einzelstück innerhalb seiner Theologie, sondern M a ß und Quelle aller echten Theologie überhaupt."3 D i e s e S ä t z e s i n d n i c h t nur A u s s a g e n I w a n d s ü b e r L u t h e r , s o n d e r n e b e n s o über ihn selbst u n d sein t h e o l o g i s c h e s D e n k e n . In d i e s e m frühen A u f s a t z l e g t I w a n d d a s G e w i c h t a u f d i e Unterscheidung
u n d d e n Gegensatz
von Ge-
setz u n d E v a n g e l i u m . Er stellt G e s e t z u n d E v a n g e l i u m w i e in seiner Habilitationsschrift in den Z u s a m m e n h a n g v o n Rechtfertigung u n d Christologie, w e n n er a u f d i e b e i d e n A r t e n d e r G e r e c h t i g k e i t a l s i u s t i t i a a c t i v a u n d i u s t i t i a p a s s i v a a b h e b t , u m d i e e s i n der U n t e r s c h e i d u n g v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m g e h t . 4 Ä h n l i c h stellt er d e n B e z u g z u C h r i s t o l o g i e u n d R e c h t f e r t i g u n g i n s e i n e r V o r l e s u n g z u G e s e t z u n d E v a n g e l i u m v o n 1 9 3 7 h e r a u s , w e n n er z u r U n t e r s c h e i d u n g v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m sagt: ,,a) es m u ß diese Unterscheidung zur Verherrlichung Jesu Christi dienen [= Christologie, R.M.], sie m u ß ein W e r k des Geistes Gottes sein, b) sie m u ß den M e n s c h e n 1 Das gilt abgesehen von Rezensionen, die Iwand auch schon ab 1929 schrieb. Diese dienten aber vor allem der Aufbesserung seines Gehaltes: „Hermann und Seeberg verschafften ihm Buchrezensionen, hauptsächlich in der guten Absicht, ihrem Schützling finanziell zu helfen." Burdach, Iwand, 178. Iwands Habilitationsschrift „Rechtfertigungslehre und Christusglaube", die er bereits 1927 geschrieben hatte, wurde erst 1930 mit Ergänzungen veröffentlicht. 2 Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 209-218. Vgl. das Lutherwort: „Is locus de discrimine legis et evangelii scitu maxime necessarius est, quia continet summam totius Christianae doctrinae." WA 40/1, 209,16f zu Gal. 2,14 („Dieses Stück von der Unterscheidung des Gesetzes und des Evangeliums ist zu wissen äußerst notwendig, denn es enthält die Summe der ganzen christlichen Lehre." Übersetzung nach NW 4,416, Anm. 4). 3 Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 209; vgl. ders., Gesetz und Evangelium II. Einfuhrung in die Theologie der Reformatoren (1950), NW 4, 243f [GuE (1950), NW 4]: „Luthers Theologie ist geradezu die Theologie von ,Gesetz und Evangelium'." 4 Vgl. Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 209f. Die „iustitia passiva, die in den beneficia Christi Frieden und Seligkeit vor Gott findet" (a.a.O. 210) ist die christologische Seite der Rechtfertigung.
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in d i e G e g e n w a r t d e s H e i l s , in d a s H e u t e der G n a d e G o t t e s stellen [= Rechtfertigungsgeschehen, R.M.]."5
Gesetz und Evangelium werden verstanden als ein Geschehen, als Begegnung zwischen Gott und Mensch, in dem in der Kraft des Heiligen Geistes der Mensch gerichtet und gerettet wird und die Größe von Christi Werk offenbar wird. Iwand weist das Verständnis ab, nach dem Gesetz und Evangelium in einem historisch-zeitlichen Sinn unterschieden werden als ein Nacheinander zweier Zeiten - einer früheren Zeit des Gesetzes und der darauf folgenden des Evangeliums. Gottes Gesetz ist nicht zeitlich begrenzt, sondern hat wie das Evangelium universale Geltung. Ebensowenig trifft die ethische Unterscheidung zu: Christus hat nicht an die Stelle des jüdischen Zeremonialgesetzes ein neues Gesetz der inneren Gesinnung gestellt, sondern er ist Ende und Erfüllung des Gesetzes.6 Iwand wehrt das historische und das ethische Mißverständnis des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium ab und findet bei Luther die dreifache Unterscheidung in „zeitlich, wesentlich und inhaltlich"7.
1. Die dreifache Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
1.1 Die zeitliche Unterscheidung Die Entdeckung des Themas von Gesetz und Evangelium sieht Iwand bei Luther in dessen Römerbriefvorlesung zu Rom 7,6: Das Gesetz sagt: „tu debes habere Christum et spiritum eius", das Evangelium sagt: „ecce hic est Christus et spiritus eius"8. In dieser von Iwand häufig zitierten Stelle9 findet er den zeitlichen Unterschied von Gesetz und Evangelium. 5
Iwand, GuE (1937), N W 4, 20. Vgl. Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 21 Of. Iwand spielt auf die zu Beginn dieses Jh. noch verbreitete Gesinnungsethik an, bei der die sittliche Qualität des Handelns an der Übereinstimmung mit dem Gewissen gemessen wird. Vertreter einer solchen Ethik sind z.B. Wilhelm Herrmann ( 1 8 4 6 - 1 9 2 2 ) und Ernst Troeltsch (1865-1923); vgl. Hendrik van Oyen, Art. Gesinnungsethik, RGG 3 2, 1958, 1537f. 6
7
Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 211. WA 56, 338,28.30. 9 Vgl. Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 211; ders., RuC, 127; ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 56, Anm. 86; ders., GuE (1950), N W 4, 258.262. In den frühen Schriften Iwands fehlt bei diesem Zitat meistens der Verweis auf den Heiligen Geist, während Iwand später die Wirkung des Geistes besonders betont, vgl. Iwand, GuE (1950), N W 4, 258: „Dabei ist wichtig, daß hier nie allein von Christus die Rede ist, sondern es heißt: Christus et spiritus eius." Vgl. Hoffmann, Versöhnung, 91. Zur zeitlichen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium vgl. 8
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Die Unterscheidung liegt nicht im Inhaltlichen: In beiden Sätzen, im Evangelium und auch im Gesetz, ist Christus als Ziel angegeben. Die Meinung, daß nur das Evangelium auf Christus bezogen ist und das Gesetz nichts mit Christus zu tun hat, trifft nicht zu. Christus ist „die Mitte zwischen beiden, der Angelpunkt, um den sich alles dreht." 10 Wenn von Jesus Christus die Rede ist, heißt das noch nicht, daß damit das Evangelium verkündigt wird. „ M a n s e h e w o h l zu, d i e s e b e i d e n Worte: G e s e t z und , D u m u ß t Christus h a b e n ' sind e i n und d a s s e l b e . E s sind nicht z w e i Sätze, w i e w i r d a s a u s unseren Predigten g e w o h n t sind. D a ß m i r erst das G e s e t z verkündigt wird ( w e n i g s t e n s a n g e b l i c h ) und dann g e s a g t wird: D u m u ß t Christus haben!, a l s o n o c h e i n m a l d a s G e s e t z g e p r e d i g t wird und v o m E v a n g e l i u m nichts zu hören ist. D a s ist m o d e r n e T h e o l o g i e , aber nicht reformatorische." 1 1
Der Gegensatz von Gesetz und Evangelium liegt darin, daß im Gesetz Christus in der Form der Forderung erscheint, im Evangelium dagegen als Verheißung und Zusage. „Also wo immer Christus postuliert wird, da ist Gesetz, und wo er da ist, da ist Evangelium." 12 Heilszeit und Evangelium ist da, wo Christus und der sündige Mensch gleichzeitig werden, wo Christus nicht mehr eine Forderung ist, sei es als zukünftige oder vergangene. Dabei spielt es also keine Rolle, ob Christus „noch nicht" oder „nicht mehr" gegenwärtig ist. Das Problem der historischen Theologie - der „garstige Graben" der Geschichte - erweist sich für Iwand damit nicht als ein Problem der Zeit, sondern des Gesetzes. 13 Wo Christus gegenwärtig ist, ist die Zeitfrage gelöst. Die Ausführungen Iwands zu dem Zeitbegriff und -Verständnis spiegeln eine Auseinandersetzung um die Frage nach der Zeit und dem Selbst des Menschen wider, die ab Mitte der zwanziger Jahre in der Theologie aktuell war. 1927 erschien Martin Heideggers „Sein und Zeit" 14 , Rudolf Hermann behandelte diese Problematik 15 und auch Iwand selbst hielt 1929 einen Vortrag zum Thema „Zeit und Selbst im Lichte der Offenbarung" 16 . Darin beschreibt er eingangs seine eigene theologische Entwicklung: auch Klaus Schwarzwäller, Von Zeit zu Zeit. Ein Aspekt in H.J. Iwands Anleitung zur Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium, KuD 27, 1981, 2 0 - 4 4 . 10 Iwand, GuE (1950), N W 4, 258 (Hervorhebung im Original). 11 A.a.O. 264. 12 Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 211. 13 Vgl. ebd. 14 Iwand hat Heideggers Buch schon im Erscheinungsjahr 1927 mit großem Interesse gelesen; vgl. Iwand, N W 6, 166. 15 Vgl. Rudolf Hermann, Die Sachlichkeit als ethischer Grundbegriff, ZSTh 5, 1928, 3 0 3 - 3 1 2 . Vgl. die Ausführungen Iwands zum Zeitverständnis: Iwand, Studien, GA I, 51f, w o er auch auf den Aufsatz Hermanns und das Buch Heideggers hinweist (Anm. 23). 16
Iwand, Zeit und Selbst im Lichte der Offenbarung (1929). Iwand-Archiv Beienrode [Zeit und Selbst (1929), Iwand-Archiv], Eine Zusammenfassung und teilweise Zitierung findet sich bei Burdach, Iwand, 2 0 5 - 2 1 1 .
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„Auf das Problem der Zeit bin ich durch eine Beobachtung gekommen, die keinem erspart bleiben wird, der die Verfehlungen der liberalen Theologie zu erfahren verurteilt war. Man hat mich gelehrt, das Christentum sei eine geschichtliche Erscheinung und das Problem der Gewissheit unseres Glaubens entstehe dadurch, dass eine Reihe von Zahlen sich zwischen mich und jene Geschichte geschoben hätten. ... Schliesslich erkannte ich, nach jahrelangem Suchen, dass jene mit der zeitlichen Entferntheit des ursprünglichen Ereignisses begründete Problematik keine des Glaubens, sondern des Unglaubens war, eine Verstrickung, in die dieser geriet, wenn er sich doch nicht ganz decouvrieren wollte. Ich folgerte so, nicht das Zwischeneinkommen von Zeit ist unsere Not, sondern das ist unsere Not, dass wir dies Zwischeneinkommen von Zeit als Not empfinden. Denn es zeigt, dass wir nicht begriffen haben, dass in Christo der Unterschied der Zeiten aufgehoben ist, weil er derselbe ist, gestern, heute und in Ewigkeit, was bekanntlich ein Bibelzitat ist, das der II. Generation, die nicht mehr ,mit Augen gesehen, mit Ohren gehört hat', angehört." 17
Die Gegenwart Christi, das Heute des Heils, ist nicht verfügbar, sondern ereignet sich in der Verkündigung, in der Predigt des Evangeliums: „in jeder echten Predigt geschieht dieses Heute." 18 „In der Verkündigung zieht Jesus Christus ein. Der gepredigte Christus ist der gegenwärtige Christus, so utopisch das auch erscheint." 19 Hier zeigt sich, warum für Iwand die Predigt das Ziel der Lehre von Gesetz und Evangelium ist - erst hier ist der Ort, wo die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium geschieht und den Menschen in Gericht und Gnade erreicht. 20 Erst in der Gegenwart Jesu Christi, im Glauben an ihn, gewinnt der Mensch „echte Vergangenheit und echte Zukunft." 21 Im Glauben an Christus wird der Mensch frei, die Vergangenheit anzusehen als Sündenwirklichkeit, die ihn nicht mehr erreichen kann, weil Christus zwischen ihm und seinen Taten steht.22 Ebenso kann er in die Zukunft blicken, weil er in Christus geborgen ist und deshalb die zukünftigen Taten nicht über das Sein des Menschen entscheiden können. Wo der Mensch das Heute des Evangeliums vernimmt, wird er herausgerufen aus der Knechtschaft der Sünde und erhält ein neues Leben geschenkt. „Es gibt im Leben aller der Menschen, die von Christus hören, nun auch zwei Zeiten, ein ,es war einst' und ein jetzt aber'." 23 Die Gegenwart des Heils bedeutet für Iwand nicht, daß die Sünde aus dem Leben des Gläubigen verschwindet, so daß der Christ am äußeren Lebenswandel zu erkennen ist, sondern die Sünde wird vergeben, und dem Menschen wird das Heil geschenkt. Auf das Sein des Menschen gesehen gilt für den Gläubigen bis zum Tod, daß bei 17
Iwand, Zeit und Selbst (1929), Iwand-Archiv, lf; vgl. Hoffmann,
Versöhnung, 165—
168. 18 Iwand, GuE (1937), N W 4, 19. A u f diesen Aspekt des Zeitverständnisses bei Iwand weist Seim, Gesetz, 80f, besonders hin. 19 Iwand, GuE (1937), N W 4, 18; vgl. 15-20. 20 S.u. Teil 3.1 Die Verkündigung als Ziel der Lehre von Gesetz und Evangelium, 225ff. 21 Iwand, GuE (1937), N W 4, 17. 22 Vgl. ebd. 23 A.a.O. 15.
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ihm Sünde und Gnade, Gesetz und Evangelium zusammengehören. „Peccator" und „iustus" versteht Iwand mit Luther nicht wie die Scholastik, in der die Sünde in der Vergangenheit, die Vergebung in der Gegenwart gesehen wurde, sondern als gleichzeitig. „Luther bringt den Gegensatz in eine Zeit."24 Im Blick auf den Menschen ist hier besonders an den erst im Eschaton überwundenen Gegensatz von Fleisch und Geist zu denken, der in der Anthropologie behandelt wird.25
1.2 Die formale Unterscheidung Die zweite nach der zeitlichen ist die formale, von Iwand „wesentlich" genannte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.26 Gemeint ist der Unterschied der Form von Gesetz und Evangelium. Da Gesetz und Evangelium je ein anderes Wesen haben, ist auch die Form, in der beide auftreten, verschieden. So ergeht das Gesetz in einer befehlenden Form, als Forderung: „Du sollst ..." Das ist einleuchtend und auch nicht strittig. Problematischer verhält es sich mit der Form des Evangeliums. Die Spätscholastik gab dem Evangelium die gleiche Form wie dem Gesetz: Die Gnade ist etwas, was zum Tun des Gesetzes hinzutreten muß, ergeht also ebenfalls als Forderung, als Postulat. „So gesehen kommen wir auf zwei Forderungen hinaus: 1. Du sollst die Gebote Gottes halten. 2. Du sollst Gott um seine Gnade angehen, so als ob Gott uns verpflichtet hätte ad habendam gratiam."27 Da aber niemand damit rechnen kann, diese Gnade Gottes wirklich zu erreichen, wird der Mensch mit dieser Gnadenforderung in tiefste Verzweiflung gestürzt, und aus der Gnade wird eine Ungnade. Damit wird die Gnade in ihrem Wesen verkehrt, denn wo sie zu einem Postulat, zu einer Forderung wird, ist sie nicht frohe Botschaft, Evangelium. „Gnade kann nur verkündet werden als Geschenk, nicht gefordert werden als notwendiger Besitz."28 Die Form der Forderung ist also allein dem Gesetz zu eigen, während die Gnade in der Form des Geschenks, der Gabe, ergeht. Iwand vertritt hier die traditionelle lutherische Reihenfolge: Zuerst muß durch das Gesetz das Verlangen nach der Gnade erweckt werden, dann erst kann von Gnade geredet werden. „Das
24 Iwand, RuC, 58. Vgl. dazu Hermann, Luthers These „Gerecht und Sünder zugleich". Eine systematische Untersuchung, Gütersloh 1960 (= 1930), bes. 20-67. 25 S.u. Teil 1.VI.2 Fleisch und G e i s t - Adam und Christus, 168ff. 26 Vgl. dazu Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 212-214. Die wesentliche, formale ist die klarste und einfachste Form der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Vgl. Ulrich Asendorf, Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988, 328: „Hinsichtlich der causa formalis ist es nicht schwer... Der größte Unterschied ist Nehmen und Geben. In formaler Hinseht verheißt das eine, das andere befiehlt. Das eine gibt, das andere fordert." 27 Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 212. 28 Ebd.
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Gesetz Gottes bereitet also die Empfänglichkeit für die Gnade, Gott selbst bereitet im opus alienum den Menschen zu zum opus proprium." 29 Neben der Reihenfolge Gesetz - Evangelium ist zu beachten, daß Iwand schon in dieser frühen Schrift die Sündenerkenntnis durch das Gesetz und das Verlangen nach Gnade als Werk Gottes, als Werk des Heiligen Geistes versteht. Auch wird deutlich, daß das opus alienum, Gottes Reden im Gesetz, zur Vorbereitung des Heils, des Gnadenempfangs dient und damit soteriologisch ausgerichtet ist. „Ohne solches ,Sünder-Werden' kein Erkennen der Gnade Gottes." 30 Für die Verkündigung der Gnade gilt: „Wo die Gnade nicht verkündet werden kann als Geschenk solchen, die sich nach ihr sehnen, da soll sie überhaupt nicht verkündet werden, da fehlt der Hintergrund, der dieser Verkündigung den Ernst der rechten Stunde gibt, die Erkenntnis der Sünde" 31 .
Wie bereits bei der zeitlichen Unterscheidung wird der Aspekt deutlich, daß es eine Zeit der Gesetzes- und der Gnadenverkündigung gibt. Das Evangelium ist nicht jederzeit zu verkündigen, sondern fallt nur dort auf fruchtbaren Boden, wo der Mensch dazu bereitet ist, wo er durch Gottes Gesetz zum Sünder gemacht wurde und ein Verlangen nach der Gnade hat: „... also da von Gnade zu reden, wo keiner da ist, der nach ihr verlangt, heißt zur Unzeit von ihr reden, ist Feilhalten und Feilmachen der Gnade." 32 Iwand betont außerdem noch einmal - wie schon bei der zeitlichen Unterscheidung - , daß die Sünde nicht aus dem Leben des Menschen, der die Gnade empfangen hat, verschwindet. Sie bleibt im Menschen, solange er lebt. Da beides, Gesetz und Evangelium, opus alienum und opus proprium, in ein- und demselben Menschen geschieht, ist auch die Einheit von Gesetz und Evangelium im Menschen zu finden. Die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium kann nur der verstehen, der selbst darunter steht, ja, es „wird niemand Theologie treiben können, er stehe denn selbst in jener Einheit drinnen. ,Vivendo, immo moriendo et damnando fit theologus, non intelligendo, legendo aut speculando'." 33
1.3 Die inhaltliche Unterscheidung Bei der von Iwand genannten inhaltlichen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium 34 handelt es sich um eine anthropologisch zugespitzte Form der 29
A.a.O. 213. Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd. Iwand nimmt hier die Warnung Dietrich Bonhoeffers vor der „billigen Gnade" vorweg, vgl. Bonhoeffer, Nachfolge. Hg.v. Martin Kruse und Ilse Tödt, DBW 4, München 1989, 29-43. 33 Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 214. Das Lutherzitat ist aus WA 5, 163,28f. 34 Vgl. Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 214-217. 30
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zeitlichen Unterscheidung: „Das Gesetz sagt: redde, quod debes, das Evangelium: remittuntur peccata; dort Auseinanderfall von Erkennen und Wollen, hier Ineinander im Anerkennen."35 In beiden Fällen wird der Wille des Menschen aufgerufen; das eine Mal zur Tat, das andere Mal zum Anerkennen von etwas bereits Getanem. Es geht dabei um die Frage, „wovon wir abhängig sind in unserem Sein, von dem, was wir tun, oder von dem, was Gott tut, ob wir das Urteil empfangen aus unserem Tun oder aus Jesus Christus."36 Die inhaltliche Unterscheidung bezieht sich auf das Verhältnis von Person und Werk. 37 Sie ist - anders als die formale - keine objektive Unterscheidung, da das äußere Werk des Menschen in beiden Fällen gleich aussehen kann, sondern eine die opinio, die Haltung des Menschen zu seinem Werk betreffende Unterscheidung. Hierbei kann der Eindruck entstehen, als ginge es nur um eine unterschiedliche Einstellung oder Gesinnung des Menschen seinem Tun gegenüber. Das präzisiert Iwand später dahingehend, daß es in dem einen Menschen um zwei verschiedene Menschen geht: den Menschen unter dem Gesetz oder den Menschen, der in Christus lebt. „ N i c h t die W e r k e (äußere oder innere, G e s i t t u n g oder G e s i n n u n g ) w e r d e n andere und der M e n s c h bleibt erhalten, w i e e s die G . e s s y s t e m e [= G e s e t z e s s y s t e m e , R . M . ] aller Art m e i n e n , sondern hier w i r d der M e n s c h a u f g e h o b e n , der M e n s c h , der a u f s e i n e M ö g l i c h k e i t e n vertraut, und e i n neuer M e n s c h wird g e b o r e n , der i m G l a u b e n an d a s E v a n g e l i u m aus d e m lebt, w a s Gott an ihm getan hat ,.." 3 8
Der Mensch unter dem Gesetz ist in der Bewertung seines Seins abhängig von seinem Tun. Das Eigentümliche der opera legis ist, daß der Mensch darin zum Tun des Guten aufgefordert wird, wobei er erkennt, daß er noch nicht gut ist. In der Erkenntnis des Guten fallen Erkennen und Sein auseinander, so daß das Werk dazu dienen soll, den Menschen gut zu machen. „Damit wird die Einheit von Erkennen und Sein im Guten in die Zukunft verlegt, sie hängt nur vom Gelingen des guten Werkes ab."39 Der Wert der Person wird bestimmt durch das Werk, so daß der Mensch hofft, durch den Erfolg seiner Werke sich als gut zu erweisen. Das Werk dient somit nur der
35
A.a.O. 218. Iwand, GuE (1937), N W 4, 69 (Hervorhebungen R.M.). 37 Das Verhältnis von Person und Werk hat Iwand immer wieder an zentraler Stelle behandelt. Vgl. Iwand, RuC, 10-20; ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 9 0 - 9 6 ; ders., GuE (1937), N W 4, 5 6 - 8 0 . S.u. Teil 2.1.1 Person und Werk, 184ff. 38 Iwand, Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1564f. Er betont: „Es geht also um einen Sterbens· und Lebensprozeß bei diesem Thema von G. u. E. [= Gesetz und Evangelium, R.M.] Es geht wirklich um Umkehr, Glaube und neues Leben." A.a.O. 1564. Die These von Hertog, Erkenntnis, 166, daß beim frühen Iwand der Mensch in der Begegnung mit dem Wort Gottes das Gleichbleibende, beim späteren Iwand dagegen das Wort, die Treue Gottes, das Gleichbleibende ist, wird durch die dort angeführten Zitate so nicht belegt. Vielmehr spricht Iwand auch in RuC, 108, schon davon, daß der Mensch im Werden und die Treue Gottes das Beständige ist. 36
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Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 215.
eigenen Rechtfertigung - es macht den Wert der Person aus. Die Selbstbeurteilung des Menschen ist also abhängig von den Werken. Erst das Evangelium kehrt das Verhältnis von Person und Werk um. Wurde unter dem Gesetz der Wert der Person durch das Werk bestimmt, so hat die Gerechtsprechung durch das Evangelium zur Folge, daß der Mensch unabhängig von seinem Tun und vor allem Tun beurteilt ist. Solange der Mensch unter dem Gesetz steht, liegt das Urteil, die Entscheidung über ihn in der Zukunft. Umgekehrt gilt: „Durch die Gleichgültigkeitserklärung der opera wird die reputatio in die Gleichzeitigkeit verlegt, d.h. hier kommt es zur Entscheidung." 40 Wo diese Entscheidung über den Menschen als Gottes Urteil gefällt ist, wird der Mensch fähig, das Liebesgebot zu erfüllen. Er kann sich in seinem Handeln ganz dem Nächsten zuwenden, weil seine opera nicht mehr der eigenen Rechtfertigung dienen müssen. Hier wird die besondere Bedeutung des ersten Gebots für Luther und Iwand verständlich: Es wird nichts als die vollkommene Liebe zu Gott gefordert. Die Erfüllung des Liebesgebots kann nicht in die Zukunft verlegt werden, „... weil sich Liebe niemand vornehmen kann. Entweder hat sie der Mensch oder er hat sie nicht, hier kommt also das einfache und unvertretbare Bekenntnis des Herzens in Frage: Diese Stellungnahme hat nur noch den Sinn, daß dem Menschen seine eigene Einstellung offenbar werde." 41
Die inhaltliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium besagt, daß das eine Mal die Entscheidung über den Menschen in die Zukunft verlegt wird, das andere Mal die Entscheidung bereits gefallen ist und der Mensch aus der Anerkennung dieser Entscheidung leben kann. Das „Gesetz für sich genommen, d.h. ohne Glauben, lenkt den Willen ins Futurische, das Evangelium offenbart ihn in der Gegenwart. Die Anerkennung des peccata remissa sunt ist zugleich das Gut-Sein des Anerkennenden." 42
2. Die Folgen der Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium
Die grundlegende Bedeutung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn die Irrwege ins Auge gefaßt werden, auf die die Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium führt.
40
A.a.O. 216. A.a.O. 217. 42 Ebd. Iwand verweist in diesem Zusammenhang auf die Untersuchung „Luthers These ,Gerecht und Sünder zugleich"' von R. Hermann. 41
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Dabei soll - entsprechend der Intention Iwands - besonderes Augenmerk auf die Christologie und Rechtfertigung gelegt werden. Iwand selbst entfaltet in seiner Schrift „Glaubensgerechtigkeit" die Lehre von Gesetz und Evangelium zum großen Teil anhand der Darstellung der beiden Irrwege, des Nomismus auf der einen und des Antinomismus auf der anderen Seite.43 Daran vermag er deutlich zu machen, daß zum einen Gesetz und Evangelium streng zu unterscheiden sind und zum anderen das Gesetz und das Evangelium je für sich bestehen müssen, allerdings in den je eigenen Grenzen. Im folgenden wird den beiden Irrwegen des Nomismus und Antinomismus nachgegangen und exemplarisch an Vertretern des jeweiligen Weges aufgezeigt, welche Konsequenzen der Weg des Nomismus bzw. Antinomismus für die Lehre von Gesetz und Evangelium und insbesondere für die Rechtfertigung und Christologie hat.
2.1 Der Nomismus Der eine Irrweg, der aus der Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium resultiert, ist der Nomismus. Dort wird „Christus zum Gesetzgeber, zum legislator"44 gemacht. Die Gnade wird ihres Wesens der reinen Gabe beraubt und stellt statt dessen ein Postulat dar, sie wird zur Forderung. Das vorgegebene Ziel, die Gebote Gottes zu erfüllen, kann erreicht werden, wenn dem Menschen die Gnade zuteil wird, die zur Erfüllung der Gebote befähigt. Sie wird dem Menschen geschenkt, der „das tut, was an ihm ist"45. Iwand findet im Anschluß an Luther das System der Gnade als Postulat klassisch ausgebildet in der Scholastik und bleibend im Katholizismus.46 Aber nicht nur im Katholizismus, sondern auch in der protestantischen Theologie - insbesondere im neunzehnten Jahrundert - ist nach Iwand die Rechtfertigungslehre nomistisch entwickelt worden. Im Blick auf den Katholizismus und den Protestantismus des neunzehnten Jahrhunderts stellt er fest, daß zwar „im Katholizismus die Gnade sakramental, im Protestantismus personal verstanden wird", - anstelle der Gnadenforderung steht dann
43 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 49-82. Er teilt die Lehre von Gesetz und Evangelium in vier Abschnitte: I. Wort Gottes = Gesetz und Evangelium, II. Christus legislator, III. Antinomismus, IV. Die Heilsbedeutung des Gesetzes. Dabei ist der I. Teil eine Einführung, und die Abschnitte über die beiden Irrwege (Teil II und III) und die Heilsbedeutung des Gesetzes nehmen je etwa die Hälfte ein. 44 Iwand, a.a.O. 51. 45 Es geht um das „facere quod in se" der spätscholastischen Thelogie. 46 In dieser Sicht Iwands der katholischen Kirche und Theologie dürfte einer der Gründe liegen, warum Iwand sich u.W. nie ernsthaft an dem evangelisch-katholischen Gespräch beteiligt hat.
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Christus als die Gabe Gottes, die die Kraft zum Tun des Guten verleiht daß aber „der Grundriß hier wie dort der gleiche ist."47 Der entscheidende Irrtum dieses Denkens liegt für Iwand darin, daß der gute Wille des Menschen vorausgesetzt und nicht als unfrei, sondern nur als geschwächt angesehen wird. Als einen wichtigen Vertreter des Protestantismus, der die Rechtfertigungslehre auf der Basis des freien menschlichen Willens und in Unwissenheit über die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium entworfen hat, nennt Iwand Albrecht Ritschi. 48 Anhand von Ritschis Entwurfes läßt sich zeigen, wie die Rechtfertigungslehre verstanden wird, wenn der Gegensatz von Gesetz und Evangelium nicht anerkannt und das Evangelium selbst zur Forderung, zum Gesetz wird. Exkurs: Die idealistisch-reformatorische Albrecht Ritschis
Rechtfertigungslehre
Die Tatsache, daß Albrecht Ritsehl (1822-1889) „nach Schleiermacher zweifellos der einflußreichste Theologe des 19. Jahrhunderts gewesen" 49 ist, begründet es noch nicht ausreichend, sein Verständnis der Rechtfertigung an dieser Stelle heranzuziehen. Vielmehr sind es von seinem eigenen Ansatz bzw. Anspruch her grundlegende Gemeinsamkeiten mit der Theologie Iwands, die einen Vergleich interessant machen: 1. Ritsehl hat sich darum bemüht, seine eigene Theologie im Rückgriff auf Luther zu entfalten. So hat Ritsehl sich aus den Quellen Luthers heraus sein Lutherverständnis angeeignet und dabei insbesondere nach den Aussagen des frühen Luther gefragt, da er dort die reformatorische Lehre am reinsten entfaltet sah. 50 47
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, G A II, 52. Vgl. ebd. Anm. 77, w o neben Ritsehl noch Schleiermacher, W. Herrmann und K. Heim als Vertreter des N o m i s m u s genannt werden. Der Mensch des unfreien Willens ist fur Iwand das notwendige Pendant zur Rechtfertigung, dem Gegensatz von Gesetz und Evangelium. „Wer also die Rechtfertigungslehre mit einer Anthropologie verbindet, die ihr Fundament in der Freiheitslehre hat, der macht den Versuch, zwei Glaubensstandpunkte, die einander diametral entgegengesetzt sind, in einem System unterzubringen." Iwand, Studien, G A I, 36. Es geht um den Menschen, der entweder aus dem Glauben an sich selber oder an Gott lebt; vgl. a.a.O. 35. 49 Helmut Thielicke, Glauben und Denken in der Neuzeit. Die großen Systeme der Theologie und Religionsphilosophie, Tübingen 2 1988, 353. 50 Vgl. Otto Wolff, Die Haupttypen der neueren Lutherdeutung, TSSTh 7, Stuttgart 1938, 216f. Den Römerbriefkommentar Luthers, das für Iwand wichtigste Frühwerk Luthers, konnte Ritsehl natürlich noch nicht kennen, weil er erst 1908 neu herausgegeben wurde. Wolffs Urteil über Ritsehl hätte Iwand allerdings nicht zugestimmt, wenn Wolff, a.a.O. 176, schreibt: „Ritsehl hat zum ersten Male nach Schleiermacher das dogmatische Denken in seiner allseitigen Gesamtheit auf Luther zurückgeführt." Iwand hielt die Bedeutung von Theodosius Harnack, dem Antipoden Ritschis, für die Wiederentdeckung der Theologie Luthers für weit größer. Harnacks Theologie Luthers ist für Iwand „das Beste, was von der lutherischkonfessionellen Seite her über Luther geschrieben [worden, R.M.] ist." Iwand, N W 5, 43. 48
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2. Gegenüber allem natürlichen Vorwissen über Gott will Ritsehl seine Theologie allein auf die Offenbarung Gottes in Christus gründen.51 3. Die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung soll wieder die „Mitte des theologischen Systems"52 bilden. Für Ritsehl ist die Rechtfertigung ein Handeln Gottes am Menschen, das an diesem eine wirkliche Neuschöpfung und somit eine Befähigung zum guten sittlichen Handeln bewirkt. Die Rechtfertigung setzt neues Leben und damit auch eine neue praktische Lebensrichtung des Menschen. Ritschis Theologie kreist allerdings nicht nur um den einen Punkt der Rechtfertigung, sondern sie ist eine „Ellipse mit zwei Brennpunkten: mit Rechtfertigung und Versöhnung (= Gotteskindschaft) auf der einen und dem Gottesreich auf der anderen Seite"53. Rechtfertigung und Versöhnung Rechtfertigung bedeutet für Ritsehl, daß Gott der Gemeinde und jedem einzelnen in ihr die Sünde vergibt, daß von Gott aus das vorher durch Sünde und Schuld gestörte Verhältnis zu ihm wieder hergestellt wird. Diese Sündenvergebung ist nicht zu denken als ein Wandel in Gott selbst, vom zürnenden zum gnädigen Gott, sondern ist eine Zuwendung Gottes zum Menschen, die eine Veränderung im Menschen bewirkt. Die Veränderung im Menschen ist mit dem Begriff der Versöhnung zu bezeichnen: Der einzelne und die Gemeinde eignen sich das Rechtfertigungsurteil an, legen das mit der Schuld verbundene Mißtrauen gegen Gott ab und glauben und vertrauen ihm.54 Die Versöhnung „drückt die in der Rechtfertigung oder Verzeihung jedesmal beabsichtigte Wirkung als wirklichen Erfolg aus, nämlich daß derjenige, welchem verziehen wird, auf das herzustellende Verhältniß eingeht."55 Insofern gehört die Rechtfertigung auf die Seite des Handelns Gottes, während in der Versöhnung der Mensch aktiv ist und sich mit Gott versöhnen läßt. Da die Rechtfertigung eine Veränderung im Menschen bewirkt - die Aufhebung des Schuldgefühls - , ist sie kein analytisches, sondern ein synthetisches Urteil.56 51
Vgl. Wolff, Haupttypen, 144-146. Albrecht Ritsehl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 1: Die Geschichte der Lehre, Bonn 2 1882, 1. 53 Thielicke, Glauben und Denken, 363. 54 Vgl. Rolf Schäfer, Ritschi. Grundlinien eines fast verschollenen dogmatischen Systems, BHTh 41, Tübingen 1968, 133f. 55 Ritsehl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 3: Die positive E n t w i c k l u n g der Lehre, Bonn 3 1888, 76f. 56 Vgl. Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 3, 78; Thielicke, Glauben und Denken, 370; Helga Kuhlmann, Die Theologische Ethik Albrecht Ritschis, BEvTh 112, München 1992, 144; Wolff, Haupttypen, 145; Erdmann Schott, Art. Ritsehl, Albrecht (1822-89), RGG 3 5, 1961, 1115; Ernst Kinder, Art. Rechtfertigung II. Dogmengeschichtlich, 2, RGG 3 5, 1961, 838. Das gilt gegen das Votum von Schultz, der (aufgrund von Ritschis Ablehnung der stellvertretenden 52
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Die Sündenvergebung ist nicht ein Tilgen der Sünde im Menschen, sondern lediglich die Aufhebung des SchuXAbewußtseins, das der Mensch durch die Sünde hat. Die Vergebung entspricht dem menschlichen Verzeihen und wird von Ritsehl auch so genannt. Die Schuldgefühle verschwinden zwar, aber die Schuld selbst wird von Gott nicht beseitigt; die Erinnerung an die Schuld bleibt bestehen. Der Ursprung der Sünde liegt in der menschlichen Willensfreiheit, weswegen Ritsehl die Erbsündenlehre als eine Sünde, die vor jeder Tat schon da ist, ablehnt. Sünde ist ein Mißtrauen gegen Gott und ein widersittliches Verhalten, wofür jeder Mensch selbst die Verantwortung trägt. 57 Die Erkenntnis der Sünde ist nicht dem Glauben vorgeordnet, sondern erst das Evangelium, der Zuspruch der Vergebung der Sünde, deckt das wahre Wesen der Sünde auf. 58 Es gibt also keine Sündenerkenntnis aufgrund des Gesetzes (vor dem Zuspruch des Evangeliums und der Sündenvergebung), sondern nur Sündenerkenntnis durch das Evangelium für den bereits versöhnten Menschen. 59 Dabei ist die versöhnte Gemeinde dem Individuum vorgeordnet: der einzelne Versöhnte findet sich immer in der von Christus versöhnten Gemeinde vor. 60 Ritsehl versteht Rechtfertigung und Versöhnung als ein Geschehen, das das Schuldgefühl und Mißtrauen des Menschen Gott gegenüber beseitigt. Den Gedanken eines Versöhnungshandelns Christi als satisfactio oder als Gericht Gottes über die Sünde, das Christus erleidet, lehnt er strikt ab. Für ihn ist Gott aus der Offenbarung in Christus allein als die Liebe zu bestimmen - der allein „zureichende Begriff von Gott ist in dem Begriff der Liebe ausgedrückt" 61 in der der Zorn oder ein juristischer Gedanke von der Gerechtigkeit Gottes keinen Platz haben. Er sieht die Vorstellung von Gott als einem Richter über die Sünde - analog der Form des öffentlichen Rechts, wie die lutherische Orthodoxie es getan habe - als nicht vereinbar mit dem Grundsatz göttlicher Liebe an.62 Christi Kreuzesleiden sei nicht ein passives Erleiden der göttlichen Strafe, sondern ein aktives Leiden als verdienstlicher
Genugtuung) meint, daß das Rechtfertigungsurteil Gottes bei Ritsehl „kein synthetisches, sondern ein analytisches Urteil" sei. Roberl C. Schultz, Gesetz und Evangelium, AGThL IV, Berlin 1958, 175. 57 Vgl. ausfuhrlich zu Ritschis Sündenverständnis Schäfer, Ritsehl, 9 5 - 1 0 1 und Kuhlmann, Theologische Ethik, 140-176. 58 Vgl. Gunther Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, Band 2, München 1986, 81. 59 Nach Iwand kommt es allerdings bei Ritsehl zur „Spaltung des menschlichen Seins zwischen Sollen und Vorfindlichkeit, sobald er unter das sittliche Gesetz tritt." Iwand, GuE (1950), N W 4, 255. Das Schuldbewußtsein entsteht nach Iwand am (sittlichen) Gesetz. 60 Vgl. Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 3, 529. 61 A.a.O. 260. Vgl. Kuhlmann, Theologische Ethik, 116. 62 Vgl. Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 3, 236ff; Wenz, Versöhnungslehre, 95f; Wolff, Haupttypen, 2 0 2 - 2 0 4 . Der Zom Gottes ist für Ritsehl nur eine eschatologische Größe, die es in der Vergangenheit und Gegenwart nicht gibt; vgl. Schultz, Gesetz und Evangelium, 174.
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Gehorsam. Christus habe im Bewußtsein vom fortdauernden Walten der Liebe Gottes gegen ihn als äußerste Konsequenz seiner Berufstreue den Tod auf sich genommen.63 Den Gedanken, daß Christus dann nur noch Vorbild der Gemeinde sein könnte, wehrt Ritsehl damit ab, daß eine bleibende Orientierung an der geschichtlichen Gestalt des Versöhners notwendig sei und „Christus als der geschichtliche Urheber dieser Gemeinschaft der Menschen mit Gott und unter einander nothwendig der Einzige in seiner Art ist"64. Reich
Gottes
Rechtfertigung und Versöhnung sind nur der eine Punkt der Ellipse, deren anderer das Reich Gottes ist. Die beiden Punkte verhalten sich zueinander wie Mittel und Zweck: die Rechtfertigung ist das Mittel, das Reich Gottes der Zweck des Handelns Gottes. Der Selbstzweck des liebenden Gottes und der Menschheit ist nach Ritsehl das Reich Gottes, „die sittliche Vereinigung des menschlichen Geschlechts durch das Handeln aus dem Motiv der allgemeinen Nächstenliebe"65. Die Freiheit und Verpflichtung zum sittlichen Handeln wird gewährt durch die Rechtfertigung und Versöhnung. „Die Versöhnung geschieht bei Ritsehl zum praktischen Zwecke der sittlichen Erneuerung des Menschen."66 Die Rechtfertigung darf für Ritsehl nicht von dem Leben aus der Rechtfertigung getrennt werden; sie setzt ein neues Leben und schenkt die Freiheit und Verpflichtung zu einem sittlichen Leben. Der Gedanke der Neuschöpfung oder ethischen Neuwerdung durch die Rechtfertigung bringt bei Ritsehl eine „Ethik des Rechtfertigungslebens"67 hervor. Das sittliche Handeln der Gläubigen ist eine umittelbare Wirkung des Rechtfertigungsgeschehens, und auf das sittliche Handeln, die Ethik, kommt Ritsehl alles an. Das sittliche Leben aus der Rechtfertigung hat seinen Ort in den Ordnungen des Lebens, in dem Beruf, in dem jeder steht. Von daher ist die im Leiden Christi bereits erwähnte sichtbare Berufstreue Christi von großer Bedeutung als ein Vorbild, das er seinen Jüngern gegeben hat. Die Zusammenfassung der christlichen Ethik bildet die christliche Vollkommenheit, die perfectio Christiana. „Treue im Beruf und Vertrauen
63
Vgl. Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 3, 444ff; Wenz, Versöhnungslehre, lOlff. Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 3, 438. Vgl. zur Christologie insgesamt Schäfer, Ritsehl, 101-114. 65 Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 3, 267. Vgl. (darstellend und kritisch) Martin Kahler, Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert, 2., erweiterte Auflage, Wuppertal/Zürich 1989, 2 5 8 - 2 6 0 ; Kuhlmann, Theologische Ethik, 117. 64
66
Wolff, Haupttypen, 214. Wolff, Haupttypen, 181, der ein Kapitel über Ritsehl unter diese Überschrift stellt. Vgl. insgesamt a.a.O. 181-197. 67
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auf Gott, welches im Glauben an die göttliche Vorsehung ausgeübt wird, bilden zusammen die christliche Vollkommenheit." 68 Aufgrund der Rechtfertigung und Versöhnung ist der Mensch in der Lage, in der ihm geschenkten Freiheit sittlich zu handeln und das Reich Gottes zu verwirklichen. Die Möglichkeit dazu liegt in der Freiheit des menschlichen Willens begründet. Trotz seines Rückbezugs auf Luther kann Ritsehl dessen Lehre vom unfreien Willen nicht akzeptieren, worin er sich mit der gesamten Theologie des neunzehnten Jahrhunderts einig ist. Ritsehl sieht in Luthers Schrift vom unfreien Willen ein „unglückliches Machwerk" 69 , was sich mit einem Urteil Iwands „... aus den Prinzipien seiner Theologie verstehen [läßt, R.M]. Denn eine Theologie, die das menschliche Leben auf den Gegensatz von Natur und Geist zuspitzt, die das Ethos auf die Idee der freien Persönlichkeit gründet, kann naturgemäß für die Intentionen, die Luthers Denken beherrschen, kein volles Verständnis aufbringen." 70
Beurteilung „Eine Erneuerung der reformatorischen R.slehre [= Rechtfertigungslehre, R.M.] ist nicht ohne Wiedergewinnung einer objektiven Versöhnungslehre möglich, diese aber hat die Wiedergewinnung der Lehre von Gesetz und Evangelium zur Voraussetzung. Hier liegt die Grenze von A. Ritschis Versuch, der wohl - gegen Pietismus, Aufklärung und Schleiermacher - entschlossen den forensischen und synthetischen Charakter der R. [= Rechtfertigung, R.M.] neu zur Geltung bringen und diese auf das geschichtliche Werk Christi begründen will (wichtig ist auch seine Beziehung der R. [= Rechtfertigung, R.M.] auf die Gemeinde), dies jedoch nur unter Eliminierung des Zornes Gottes (Gesetz!) und Umdeutung der Versöhnung in die Gewißheit des Vertrauens zu Gott, dem Vater, erreicht."71
Ernst Kinder nennt wichtige und zutreffende Aspekte einer Beurteilung von Ritschis Werk. In der gesamten Theologie Ritschis wird erkennbar, daß der Gegensatz von Gesetz und Evangelium abgelehnt wird, indem das Gesetz in seinem System gar nicht vorkommt bzw. mit dem sittlichen Sollen identisch ist. Das zeigt sich z.B. daran, daß in der Gotteslehre der Zorn Gottes neben der Liebe Gottes keinen Platz hat, der Kreuzestod Christi keine Dimension des Gerichts aufweist oder die Rechtfertigung keine wirkliche Seinsveränderung des Menschen bewirkt. Hinsichtlich des Werkes Christi zeigt sich bei Ritsehl eine Reduzierung auf ein rein ethisches Verständnis. Der Kreuzestod Christi ist aktiver Gehorsam dem Vater gegenüber, Zeichen seiner grenzenlosen Beruftstreue und seiner einmaligen Gemeinschaft mit Gott. Jeder mit dem Kreuzestod verbundene juristische Gedanke in Richtung der satisfactio wird von Ritsehl 68 69 70 71
Schott, Art. Ritsehl, RGG3 5, 1961, 1116. Ritsehl, Rechtfertigung, Bd. 1, 221; vgl. Wolff, Haupttypen, 208f. Iwand, Studien, GA I, 32. Kinder, Art. Rechtfertigung II, RGG3 5, 1961, 838.
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abgelehnt. Die neutestamentliche Aussage, daß Christus zur Sünde gemacht und dann an ihm das Gericht vollzogen wurde,72 kann er nicht akzeptieren. Damit, daß der Ernst und die Heiligkeit des göttlichen Gesetzes nicht erkannt werden, wird auch das Werk Jesu Christi in seiner Tiefe verkannt. Die Ernsthaftigkeit des Gesetzes, der Sünde und des damit verbundenen stellvertretenden Leidens Christi bringt Iwand dagegen unmißverständlich zur Sprache: Christus „hat vor Gott das Schicksal erlitten, das Gott der Sünde zugedacht hat. Das heißt orge und katara, Zorn und Fluch, damit wir würden in ihm, in Christus, Gerechtigkeit Gottes. ... Unter das Gesetz getan, heißt unter den Fluch geraten, Sünde und Tod und Fluch zu schmecken bekommen. Von hier aus wird auch zu verstehen sein, was es heißt, daß Christus das Gesetz erfüllt hat. Das heißt, er hat Sünde und Tod und Fluch auf sich genommen, so daß das Gesetz durch ihn befriedigt ist" 73 .
Die reformatorische Aussage von den zwei Werken Gottes als „opus alienum" und „opus proprium" und die spannungsvolle Wirklichkeit des deus absconditus und deus revelatus wird von Ritsehl - auf Kosten des Gesetzes! - in eine Einheit gebracht, die dem Ende aller Tage vorbehalten ist.74 Eine ähnlich ethisierende Verflachung wie beim Verständnis des Werkes Christi zeigt sich auch bei der Rechtfertigung und Versöhnung. Wenn man den Gegensatz von Gesetz und Evangelium ernst nimmt, wird das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz verstanden, das dem Tod verfallen ist. Dann ist die Rechtfertigung als eine Änderung des Seins, als Neuschöpfung zu begreifen. Zwar spricht auch Ritsehl von einer Neuwerdung, aber es handelt sich dennoch nicht um ein neues Sein, sondern nur um ein neues Bewußtsein. Es geht lediglich um die Beseitigung des Mißtrauens gegen Gott und die Wegnahme des Schuldgefühls im Menschen, wobei die Botschaft von Gericht und Gnade zu einem bloßen „Verzeihungswort" verblaßt. Die Vergebung der Sünden im Geschehen der Rechtfertigung ist für Ritsehl nicht „finis, Ziel, letzte Größe und Zweck aller Zwecke"75, worin es „zur bedingungslosen - iustificatio impii kommt"76, sondern sie ist „Ermöglichung der sittlichen Persönlichkeit."77 Bei diesem Zweck, dem „Reich Gottes", schlägt das Herz Ritschis, hier, „in der Darlegung der aus der Rechtfertigung und Versöhnung quellenden christlichen Ethik strömt die Lebenskraft dieses Systems."78 Die optimistische Sicht Ritschis, daß das Reich Gottes im sittlichen Handeln der Menschen verwirklicht wird, beruht auf der Vorstellung von der freien sittlichen Persönlichkeit, wobei der leitende 72
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Vgl. 2.Κ.ΟΓ 5 , 2 1 .
Iwand, GuE (1937), NW 4, 90f. 74 Vgl. dazu den Abschnitt „Die Bedeutung der Lehre von Gesetz und Evangelium für die Eschatologie", in: Iwand, GuE (1937), NW 4, 216-230; vgl. auch Wolff, Haupttypen, 195ff. 75 Iwand, GuE (1950), NW 4, 278. 76 A.a.O. 256. 77 Ebd. 78 Wolff, Haupttypen, 183.
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Gedanke der des freien Willens ist. Hier liegt ein wesentlicher Grund für die Verflachung des Rechtfertigungsverständnisses bei Ritsehl, da „die Lehre vom unfreien Willen das notwendige Korrelat zur Rechtfertigungslehre ist, ... [und, R.M.] die Lehre von der Rechtfertigung des Sünders durch Tod und Auferstehung Christi nur in der Auffassung vom Menschen gewahrt ist, die diesen als unfrei ansieht." 79 Die Erkenntnis der eigenen Schuldverfallenheit und des Unvermögens, das Gesetz zu erfüllen, gehört in die Rechtfertigung des Menschen mit hinein. Mit dem Pathos des freien Willens wird Christus als der verstanden, der dem Menschen und dem ihm eingeborenen guten Willen hilft, die sittlichen Ziele zu verwirklichen, bis hin zur christlichen Vollkommenheit. Dann aber ist das Evangelium nicht ein bedingungsloses Gnadengeschenk, sondern eine Ergänzung, die den Menschen in Stand setzt, das Gute zu tun, so daß der Mensch „aufs strengste wieder unter das Gesetz zu stehen kommt. Jeder wird dann den Glauben messen an der Frucht der guten Werke" 80 . Damit kommt Ritsehl trotz der Ablehnung des Gerichts und des Gesetzes nicht beim Antinomismus, sondern beim Nomismus heraus es kommt alles darauf an, das Reich Gottes im sittlichen Handeln zu verwirklichen, so daß die Gnade zur Bedingung der Möglichkeit sittlichen Handelns wird. Seine Ablehnung des Gesetzes fuhrt, auch wenn er die Freiheit des Gerechtfertigten postuliert, zum Nomismus, während die andere Form der Ablehnung des Gesetzes der Antinomismus ist, der als Libertinismus in Erscheinung tritt.81 Das Rechtfertigungsverständnis
Karl Holls
Wie verbreitet bis in die Gegenwart des jungen Iwand ein ethisches Verständnis der Rechtfertigung war, läßt sich am Beispiel des berühmten Lutherforschers Karl Holl zeigen. Karl Holl (1866-1926) ist im Urteil Iwands derjenige, der nach der Neuherausgabe von Luthers Römerbriefkommentars im Jahr 1908 die Theologie des jungen Luther entdeckt und einen ganz neuen Zugang zu Luther gefunden hat. Er habe „einer ganzen theologischen Generation bei ihrem Aufbruch nach vorn Luther mitgegeben" 82 . Aber auch bei ihm ist unter dem Einfluß des Idealismus eine gewisse Ethisierung der Rechtfertigung zu erkennen. Holl versteht Luthers Rechtfertigungslehre so, daß Gott den Menschen mit dem Ziel der Erneuerung rechtfertigt: „Für Luther ist, wie für die Scholastik, mit der .Rechtfertigung' die Entwicklung des
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Iwand, Bedeutung, GA I, 22. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 53. 81 Von daher ist auch der These von Schultz, Gesetz und Evangelium, 176, Ritsehl sei Antinomist, zu widersprechen. Die Ausprägung des Antinomismus ist der sittliche Liberalismus, was der Intention Ritschis entgegengesetzt ist. 82 Iwand, NW 5, 48; vgl. a.a.O. 47-51, wo Iwand insgesamt ein positives Urteil über Holl fällt. 80
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Menschen nicht zu Ende; vielmehr hebt sie gerade nach ihm jetzt erst an. Die Rechtfertigung ist die Grundlage für ein neues Leben, in dem der Mensch allmählich aufwärts steigt."83 Christus wirke in dem Gläubigen als lebendige Kraft, als ein „persönlicher Wille, eine persönliche, sittliche Macht"84, die den Menschen zur Gerechtmachung als dem Ziel der Rechtfertigung führe. Nach Holl ist Gottes Rechtfertigungsurteil sowohl synthetisch als auch analytisch zu verstehen. Synthetisch ist das Urteil darin, daß Gott der Urheber der Rechtfertigung ist; analytisch ist das Urteil insofern, als Gott in dem Sünder vorausschauend bereits den Gerechtfertigten sieht, den er aus dem Menschen gestalten will.85 Holl betont, daß das neue Leben des Menschen „von Anfang bis zu Ende ausschließlich Gottes Werk ist."86 Was bei dem Menschen noch zukünftig ist, sieht Gott schon als gegenwärtig. „Diese Selbstgewißheit Gottes bildet die Voraussetzung dafür, daß Gott sich überhaupt mit dem Sünder einläßt und ihm seine Schuld vergibt. Wüßte auch er nichts aus dem Menschen zu machen, so könnte er ihm auch nicht verzeihen."87 Vom Menschen aus gesehen ergibt sich bei Holls Interpretation das Problem der Heilsgewißheit: Wenn auch Gott schon das Ziel, die Gerechtmachung, sieht, bleibt des dem Menschen noch verborgen und ungewiß.88 An den Ausführungen Holls zeigt sich, daß es trotz der Alleinwirksamkeit Gottes im Menschen für Holl darauf ankommt, daß der Mensch eine fortschreitende Entwicklung durchmacht, an deren Ende die Gerechtmachung steht. Insofern ist die Rechtfertigung sola fide nur ein Anfang, dem das neue Leben entsprechen muß. „Hier bildet sozusagen die Ethik einen Zusatz zum Rechtfertigungsereignis"89, wobei Christus als die im Menschen wirksame Kraft zum Erreichen des Zieles verstanden wird.90 Insgesamt lautet das Urteil Iwands über den Nomismus folgendermaßen: „ D a s Christentum wird zu einer M o r a l p h i l o s o p h i e g e m a c h t , in der s c h l i e ß l i c h a l l e s darauf a n k o m m t , die M e n s c h e n sittlich zu bilden. G e w i ß wird a u c h v o n G n a d e , V e r 83 Karl Holl, Die Rechtfertigungslehre in Luthers Vorlesung über den Römerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage der Heilsgewißheit (1910), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte I: Luther, Tübingen 7 1948, 119 (Hervorhebung im Original). 84
A.a.O. 121 (Hervorhebung im Original). Vgl. a.a.O. 125. 86 A.a.O. 119 (Hervorhebung im Original). 87 A.a.O. 125. 88 Vgl. dazu Heinrich Assel, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance - Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann ( 1 9 1 0 - 1 9 3 5 ) , FSÖTh 72, Göttingen 1994, 9 3 - 9 9 . 3 8 3 - 3 8 5 . Zu Holls Rechtfertigungsverständnis insgesamt vgl. a.a.O. 8 1 - 1 1 1 . Vgl. auch die Beurteilung Holls, a.a.O. 4 6 9 - 4 7 6 . 89 Thielicke, Theologische Ethik, 1. Bd: Prinzipienlehre, Tübingen 5 1981, 158. 90 Vgl. Holl, Die Rechtfertigungslehre im Licht der Geschichte des Protestantismus (1922), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 3: Der Westen, Darmstadt 1965 (= 1928), 5 3 0 - 5 3 2 . V g l . zur Kritik an diesem Verständnis Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 52. 85
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g e b u n g und B a r m h e r z i g k e i t die R e d e sein - aber nur so, daß s i e Mittel z u m Z w e c k sind, der Z w e c k aber ist d a s sittliche Leben." 9 1
2.2 Der Antinomismus Der zweite Irrweg im Verhältnis von Gesetz und Evangelium ist der Antinomismus, der in gewisser Weise ein Kind der Reformation selbst ist. Nicht Gegner Luthers, sondern seine treuesten Anhänger haben den Antinomismus hervorgebracht in der Meinung, den Weg Luthers damit konsequent zu Ende zu gehen. Der profilierteste Vertreter des antinomistischen Flügels der Wittenberger Theologie war Johann Agricola, ein enger Freund Luthers, deren Freundschaft aber über den antinomistischen Streitigkeiten zerbrach. 92 Agricola bejahte zwar die Bedeutung des Gesetzes für die zivile Ordnung, wollte das Gesetz aber aus dem Zusammenhang mit der Rechtfertigung völlig fernhalten. Formal ging es um die Frage, ob die Gesetzespredigt vor der Gnadenpredigt geschehen müsse, und inhaltlich um die Frage der Buße. Agricola vertrat die Meinung, nicht durch die Gesetzespredigt, sondern allein durch das Evangelium, aus der Predigt der Passion Christi, werde der Mensch zur Buße geführt. 93 Das Gesetz des AT sei ein verfehlter Versuch Gottes gewesen, die Menschen durch Strafandrohung zum Heil zu fuhren, an dessen Stelle nun das Evangelium getreten sei, so daß es durch die Liebe zu Gott zur Buße komme. 94 Für Luther hieß das, daß die Buße damit zeitlich nach der Sündenvergebung geschehen würde, was gegen Christi Wort sei, der Buße und Sündenvergebung in dieser Reihenfolge gelehrt habe. Nach Iwand gingen die Antinomer „von dem Gedanken aus, daß Buße und Rechtfertigung allein aus dem Evangelium fließen und daß das Gesetz in jeder Form dem Menschen nur schade, ihn zum Heuchler mache und darum nichts in der evangelischen Theologie zu suchen habe." 95 Hinter dem 91
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA 11,51. Agricola lebte von 1492 oder 1494 bis 1566. Zu Agricola vgl. Joachim Rogge, Art. Agricola, Johann (20.4.1492 oder 1494 - 22.9.1566), TRE 2, 1978, 110-118. Zur Auseinandersetzung Luthers mit Agricola vgl. Luthers Schrift „Wider die Antinomer" von 1539, WA 50, 4 6 1 - 4 7 7 und seine Thesenreihen und Disputationen von 1537-1540, WA 39/1, 3 3 4 - 5 8 4 . Eine Darstellung des antinomistischen Streites findet sich bei Martin Brecht, Martin Luther, Dritter Band: Die Erhaltung der Kirche. 1532-1546, Stuttgart 1987, 158-173. Vgl. auch die theologische Interpretation von Rudolf Hermann, Zum Streit um die Überwindung des Gesetzes. Erörterungen zu Luthers Antinomerthesen, Weimar 1958. 92
93 Vgl. WA 39/1, 342,9f: „Poenitentia docenda est non ex Decalogo, aut ulla lege Mosi, sed ex violatione filii per Evangelium." 94 Vgl. Albrecht Peters, Art. Antinomismus, EKL 1, 2 1961, 147; Wilfried Joest, Gesetz und Freiheit. Das Problem des Tertius usus legis bei Luther und die neutestamentliche Parainese, Göttingen 4 1968, 46f. 95 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 57; vgl. ders., GuE (1950), N W 4, 3 0 4 - 3 0 8 .
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Antinomismus, der fur Iwand das innere Problem des Protestantismus darstellt, sieht er folgende drei Gefahren: „1. daß die Predigt des Gesetzes preisgegeben wird, 2. daß der Offenbarungscharakter des Gesetzes nicht mehr erkannt wird, 3. daß das Evangelium zur Bußpredigt wird."96 2.2.1 Die Predigt von Gesetz und Evangelium Gegen den Antinomismus ist an der Predigt des Gesetzes festzuhalten. Für Iwand ist wie fur Luther die Predigt des Gesetzes zur rechten Erkenntnis des Evangeliums unerläßlich.97 Durch die Predigt des Gesetzes kann der Mensch zur Sündenerkenntnis und zur Buße geführt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Erkenntnis der Sünde aus dem Gesetz nicht zwangsläufig erfolgt, sondern daß der Heilige Geist auch in der Predigt des Gesetzes wirken muß, damit es zu wahrer Buße kommt. Die Aufdeckung der Sünde wird aber nicht - wie Agricola meint - durch das Evangelium gewirkt, sondern durch das Gesetz. Wird diese sündenaufdeckende Funktion dem Evangelium zugeschrieben, dann verliert das Evangelium seine Eindeutigkeit als allein schenkendes und tröstendes Wort. „Das Evangelium wird durch die Belastung mit zwei Funktionen seiner Eindeutigkeit beraubt und damit in der Tiefe seines Trostes verkannt."98 Durch diese doppelte Funktion kann das Evangelium leicht selbst zum Gesetz werden. Der Antinomismus wird letztlich - entgegen seiner eigenen Intention - zum Nomismus: „Christus wird herabsinken zum Vorbild und religiös-sittlichen Lebensideal; auf den freigewordenen Platz des Gesetzes werden diese freien Geister Christus selbst stellen müssen - das heißt, sie werden am Ende da herauskommen, von wo sie gerade fliehen wollen; die Antinomisten werden Nomisten, diese Überevangelischen werden Moralisten werden." 9 9
96
Iwand, GuE (1950), NW 4, 305. Iwand kritisiert etwa 1950, daß die „Ächtung" der Antinomisten in der Konkordienformel als Lehrstück formuliert wurde, „in dem ganz eindeutig, phantasielos und banal die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium als lutherische Normaldogmatik verlangt wird. Sehen wir tiefer hinein in die Disputation [Luthers, R.M.], so müssen wir feststellen, daß dies eine bedauerliche Vereinfachung war." Iwand, GuE (1950), NW 4, 304. Vgl. FC, SD V, BSLK 951-961. Zur Kritik an dieser These Iwands vgl. Oswald Bayer, Leibliches Wort. Reformation und Neuzeit im Konflikt, Tübingen 1992, 46-56. In die Auseinandersetzung mit dem Antinomismus gehört die Umstellung der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium mit hinein; s.u. Teil 1.V.3 Die Abfolge von Gesetz und Evangelium, 154ff. 97 Vgl. Iwand, GuE (1950), NW 4, 305. S.u. Teil 3.II.2 Die Predigt des Gesetzes, 239ff. Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 145-170. 98 Bayer, Leibliches Wort, 46. 99 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 64; vgl. Bayer, Leibliches Wort, 35-37, der die Neuzeit als antinomistisch (alle Menschen sind bereits befreit) und darin zugleich zunehmend nomistisch (was der Mensch der Neuzeit ist, muß er aber immer erst werden) beschreibt.
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Die Verkündigung von Gesetz und Evangelium ist für die Reinerhaltung und Eindeutigkeit des Evangeliums unerläßlich. Die Predigt des Gesetzes ist nötig, damit der Mensch erkennt, daß er Christus und seine Gnade nötig hat. Die Gnade wird zur Schleuderware, wenn Menschen die Vergebung verkündigt wird, die nicht danach verlangen, die die Notwendigkeit der Sündenvergebung noch nicht erkannt haben; „damit hilft man ihnen nicht und macht die Gnadenbotschaft zum Gespött. Darum sollte es eigentlich in Luthers Kirche kein Vorwurf sein, wenn es von einem heißt, daß er das Gesetz predigt." 100 2.2.2 Natürliches Gesetz und Gottes Gesetz als Offenbarung D e r A n t i n o m i s m u s ist der V e r s u c h , „das G e s e t z g ä n z l i c h a u s der O f f e n b a r u n g s e l b s t a u s z u s c h e i d e n und e s als ein irdisches, b e g r e n z t e s und säkulares D i n g a n z u s e h e n . D i e s e Gefahr ist hernach freilich v o l l ausgereift, sie ist in der B e w e g u n g der D e u t schen Christen z u v e r h ä n g n i s v o l l e r K o n s e q u e n z g e d i e h e n . " 1 0 1
Mit diesen Sätzen spricht Iwand zwei Themen an, die ihn immer wieder beschäftigt haben: der Offenbarungscharakter des Gesetzes - verbunden mit der Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" - und die Volksnomoslehre, wie sie von einigen den Deutschen Christen nahestehenden Theologen in den frühen dreißiger Jahren ausgebildet wurde. Dadurch, daß die Antinomer das Gesetz aus der Verkündigung, aus der Theologie herausnehmen, verneinen sie auch den Offenbarungscharakter des Gesetzes. Gesetz und Evangelium werden nicht unter der Klammer der Offenbarung Gottes in Jesus Christus gesehen, sondern das Gesetz bekommt einen Platz außerhalb der Offenbarung und wird ihr vorgeordnet. 2.2.2.1 Natürliches
Gesetz
Bis Anfang der dreißiger Jahre vertritt Iwand die Anschauung, daß die lex moralis, das Sittengesetz oder die natürliche Ordnung, mit dem göttlichen Gesetz identisch ist. Der Mensch ist fur das sittliche Gebot empfänglich, weil er in der Zeit lebt. Das (sittliche) Gesetz umspannt Vergangenheit und Zukunft des Menschen, indem es ihn bei seiner Wirklichkeit und Geschichte - der Vergangenheit - behaftet und in der Form des Imperativs seine Möglichkeit - die Zukunft - aufzeigt. Das Verstehen des Gesetzes wird dem Menschen „von dem gegeben, der der Erhalter und Schöpfer seines Lebens ist."102 Bei diesen Äußerungen kann Iwand noch sehr unbefangen von einer Vorordnung des Gesetzes vor dem Evangelium reden und dem Menschen 100 ] w a n d t Glaubensgerechtigkeit, GA II, 60. 101 Iwand, Gesetz und Evangelium (ca. 1958), Iwand-Archiv Beienrode, 2 [GuE (1958), Iwand-Archiv]. 102 Iwand, Studien, GA I, 44. Vgl. a.a.O. 3 7 - 4 4 . Ähnlich auch in ders., Leben und Lehre, 23.
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allgemein ein Wissen um Gottes Gesetz zuschreiben, das ihm im sittlichen Gesetz und den natürlichen Ordnungen begegnet. „Die natürlichen Ordnungen sind keine Naturordnungen, sondern sie sind Gottes Gesetz, ohne das die Welt aus den Fugen gehen müßte."103 Eine spezielle christliche Ethik gibt es nicht - sie entspricht der allgemeinen sittlichen Lebensordnung. Aber es ist nicht einfach ein angeborenes menschliches Vermögen, das den Menschen für das sittliche Gebot empfanglich macht, sondern sein Leben in der Zeit, das Ausgerichtetsein auf die Zukunft. Das Verstehen des Gesetzes wird ihm von dem Gott des ersten Artikels, dem Schöpfer und Erhalter, gegeben. Die Erkenntnis, daß es sich bei den natürlichen Ordnungen von Ehe, Beruf und Staat um Gottes Gesetz handelt, ist dem Glaubenden vorbehalten. Da jedem Menschen diese Ordungen Gottes als natürliche Ordnungen gelten, kann das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz beschrieben werden - ohne direkten Bezug zum Evangelium. In der Rezension einer Schrift von Paul Althaus über die Ethik aus dem Jahr 1931 beschreibt Iwand das Gesetz als „ontologische Bestimmung der menschlichen Existenz, und zwar der in diesem Aeon spielenden Existenz überhaupt. Jedenfalls ist das der Sinn des Begriffs νόμος." 104 Diese Sicht vom Sein unter dem Gesetz als allgemeiner ontologischer Bestimmung des Menschen hat Iwand wenige Jahre später modifiziert, wie er selbst bezeugt: „Ich habe früher gedacht, das sei eine ontologische Bestimmung, daß der Mensch an sich unter dem Gesetz steht: Das Sein ist ein Sein unter dem Gesetz. Dieser Satz ist falsch, denn nicht an sich steht jeder Mensch unter dem Gesetz, sondern das Evangelium stellt oder bezeugt unser Leben als ein Leben unter dem Gesetz. Erst vom Evangelium her wird deutlich, daß ich unter dem Gesetz stehe. Das ist ein Ansprechen vom Evangelium her, nicht vom Selbstverständnis des Menschen her." 105
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die eindeutige Verbindung von Gesetz und Evangelium. Das Gesetz wird nicht, wie es noch in den frühen Äußerungen möglich war, vom Evangelium isoliert, sondern dem Evangelium notwendig zugeordnet. Damit ist noch nichts über die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium gesagt, aber die unbedingte Zugehörigkeit beider deutlich gemacht. Der Fehler der Antinomer, daß sie das Gesetz vom Evangelium trennen und der Offenbarung vorordnen, wird von Iwand gesehen und vermieden. Spätestens seit dem Beginn der Auseinandersetzungen um 103
Iwand, Leben und Lehre, 28. Iwand, Rez.: Paul Althaus, Der Geist der lutherischen Ethik im augsburgischen Bekenntnis, 1930, DLZ 52, 1931, 2260. Iwand kritisiert in der Rezension an Althaus, daß dieser nicht unbedingt die Vorordnung des Gesetzes vor dem Evangelium vertritt, und daß bei ihm nicht notwendig Gottes Wort im Gegensatz von Zorn und Gnade vernehmlich gemacht werden muß. Iwand vermutet bei Althaus das Verschwinden der Predigt des Gesetzes und stellt ihn in eine Linie mit den Antinomem; vgl. Iwand, a.a.O. 2259f. 105 Iwand, GuE (1937), N W 4, 31. Vgl. zur Veränderung der Sicht Iwands auch Hertog, Erkenntnis, 155-157. 104
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den „Volksnomos" läßt sich bei Iwand die Unterordnung von Gesetz und Evangelium unter die Offenbarung Gottes in Jesus Christus nachweisen. Er sagt in dem Aufsatz „Die Predigt des Gesetzes" von 1934 ausdrücklich, „daß bereits in der Predigt des Gesetzes die Entscheidung über den Offenbarungscharakter des Christentums fällt"106. Hatte Iwand vor 1933 selbst noch eine Eigenständigkeit der natürlichen Ordnungen als Gottes Gesetz unabhängig vom Evangelium vertreten, kämpft er nun darum, daß das Gesetz nicht der Offenbarung Gottes in Christus vorgeordnet, eine Vorstufe und eine Anknüpfung fur den Glauben wird und somit letztlich seinen Ort in der Theologie und in der Verkündigung verliert. Er sieht in der zeitgenössischen Theologie vor allem der Deutschen Christen die Absage an eine Offenbarung Gottes im Gesetz, so daß das Gesetz nur „auf einer Linie mit dem [liegt, R.M.], was wir politische, soziale, natürliche Ordnung des Lebens nennen, in dem Sinne, daß jedes Volk und jeder Staat seine Ordnung hat"107. Dabei bestreitet er nicht, daß es mit Luther ein natürliches, in das Herz des Menschen geschriebenes Gesetz gibt, aber dieses natürliche Gesetz als sittliches Empfinden ist für ihn nicht Gegenstand theologischer Reflexion. Es ist kein echtes Vorwissen des Menschen um Gott und bildet auch keinen Anknüpfungspunkt für den Glauben. Zwar hat der Mensch ein Wissen um Gott, aber er kennt den persönlichen Gott der Bibel nicht. „ ( A b e r ) die Bibel nennt das nicht Vorverständnis, sondern Unwissenheit, und die R e f o r m a t o r e n nennen das ignorantia invincibilis. Es gibt eben Gott g e g e n ü b e r kein Vorverständnis, sondern dasjenige Verständnis Gottes, das der natürliche M e n s c h mitbringt, ist j e schon ein volles, ganzes, f ü r die O f f e n b a r u n g Gottes keinen R a u m lassendes Verstehen und Werten. Es wird nicht durch die O f f e n b a r u n g erfüllt, sondern a u f g e h o b e n . " 1 0 8
Eine natürliche Erkennbarkeit Gottes, wie sie in Rom 1,19 und 21 zur Sprache kommt, wird von Iwand als Möglichkeit nicht verneint. Die Vor106
Iwand, Predigt, GA II, 155 (Hervorhebung im Original).
107
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 62.
108 Iwand, Glauben und Wissen (1955), Vortrag, NW I, 25 [Glauben und Wissen (1955), NW 1], wo er auf den Gedanken vom Vorverständnis bei Rudolf Bultmann eingeht (Hervorhebungen im Original). Vgl. dazu den Exkurs von Heinrich, Verheißung, 257-269, über Bultmanns Überordnung des νόμος über den λόγος. Vgl. zu Luthers Urteil über die natürliche Gotteserkenntnis dessen Auslegung des Propheten Jona von 1526, wonach die Vernunft ein Wissen um Gott hat und ihn als einen gütigen, gnädigen, barmherzigen und milden Gott achtet. „Sie weys, das Gott ist. Aber wer odder wilcher es sey, der da recht Gott heyst, das weys sie nicht ... Also spielt auch die vernunfft der blinden kue mit Gott und thut eytel feyl griffe und schlecht ymer neben hin, das sie das Gott heysst das nicht Gott ist, und widderumb nicht Gott heysst das Gott ist, wilchs sie keynes thet, wo sie nicht wüste, das Gott were, odder wüste eben, wilches odder was Gott were" (WA 19, 206,32f; 207,3-7). Vgl. zu Luthers Auffassung auch Joest, Karl Barth und das lutherische Verständnis von Gesetz und Evangelium. Gedanken und Fragen zur Wiederaufnahme einer stehen gebliebenen Diskussion, KuD 24, 1978, 88f.
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aussetzungen zur Erkennbarkeit Gottes sind dem Menschen von Gott her gegeben, aber faktisch ist der Mensch nicht zu Gott, sondern zu Göttern gelangt. Dieser Götzendienst ist nicht einfach rückgängig zu machen und gegen die richtige Gotteserkenntnis einzutauschen, sondern Gott hat die Menschen „dahingegeben", und es ist vom Menschen aus nicht möglich, den Weg zu Gott zu erkennen. Es ist noch ein Wissen des Menschen um seinen Ursprung da, aber daraus kann kein Anknüfpungspunkt gemacht werden, es gibt auf der Seite des Menschen nichts Vermittelndes zu Gott hin.109 Weil das so ist, kann für Iwand an diesem Punkt nicht der Ansatz für eine Theologie gewonnen werden, kann nicht wie z.B. bei Paul Althaus eine „UrOffenbarung" vor eine „Heilsoffenbarung" gestellt und als möglicher Anknüpfungspunkt für das Evangelium verstanden werden. Da Iwand die Frage nach dem natürlichen Gesetz mit der Frage nach dem Anknüpfungspunkt für die Evangeliumsverkündigung verbindet, sei als ein Beispiel, wo ein Wissen von Gott als Anknüpfungspunkt vor der Verkündigung des Evangeliums vertreten wird, die Dogmatik von Paul Althaus genannt.110 Althaus unterscheidet „von der Heils-Offenbarung Gottes in Jesus Christus seine ursprüngliche Selbstbezeugung oder Ur-Offenbarung oder Grund-Offenbarung,"1U Der Grund für die Rede von der Ur-Offenbarung liegt für Althaus darin, daß das Evangelium sich auf die Ur-Offenbarung rückbezieht, und zwar in dreifacher Weise: 1. Es bringt den Menschen die Botschaft von der Vergebung ihrer Schuld, die bezogen ist auf eine ursprünglich empfangene Wahrheit, an der die Menschen schuldig geworden sind und immer noch schuldig werden. 2. Das Evangelium nimmt diese Wahrheit auf, bestätigt sie und will sich an ihr bewähren. 3. Das Evangelium will die in der Ur-Offenbarung begründete Heils-Erwartung erfüllen. Damit ist das Evangelium „durch und durch ,Anknüpfung' " 112 , aber nach Althaus nicht an eine „natürliche Theologie", also an eine faktisch vorhandene Gotteserkenntnis, sondern an die von ihm so genannte UrOffenbarung, die in einer möglichen Gotteserkenntnis besteht.113 Für Iwand ist nicht die Frage nach dem Unterschied von natürlicher Theologie und Ur-Offenbarung von Bedeutung, sondern die grundsätzliche Frage, ob das Evangelium von Jesus Christus wirklich „ein latentes Wissen um Gott, einen von diesem Geist Jesu verschiedenen, allgemeinen Logos,
109 Vgl. Iwand, Glauben und Wissen, N W 1, 164-173 („Das Vermittelnde"). Ähnlich äußert Iwand sich schon 1936 in: ders., 1. Barmer These (1936), 2 2 0 - 2 2 5 . 110 Paul Althaus, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik, Gütersloh 8 1969. Vgl. zu Iwands kritischer Auseinandersetzung mit Althaus: Hertog, Erkenntnis, 3 5 0 - 3 5 4 . Zur Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" bei Iwand vgl. Martikainen, Evangelium, 4 8 - 5 1 . 111 Allhaus, Wahrheit, 41 (Hervorhebungen im Original). 112 A.a.O. 42. 113 Vgl. ebd.
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der jedermann erleuchtet"114, voraussetzt. Er verneint das und setzt dagegen allein das eine offenbarte Wort Gottes in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, das Jesus selbst ist, das er bringt und das ein schaffendes Wort ist. Es hat keinen Anknüpfungspunkt außerhalb von sich selbst. In der Dogmatik von Paul Althaus mit der Lehre von den zwei Offenbarungsquellen, der Ur-Offenbarung und der Heilsoffenbarung, sieht Iwand einen Rückschritt hinter diese Erkenntnis. Althaus' Dogmatik „tut wirklich, als ob in der Theologie nach 1918 gerade in dieser Sache nichts geschehen wäre und als ob Ignorieren identisch sei mit Widerlegen."115 Diese Dogmatik repräsentiert für Iwand die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts mit der Ethik als Grundlage der Dogmatik, indem der Offenbarung in Jesus Christus ein allgemeines Vorverständnis, eine natürliche Religion vorgeordnet wird.116 Es muß gefragt werden, welche Gründe Iwand bewegt haben, den bei ihm ursprünglich anzutreffenden Gedanken von den der Offenbarung vorgeordneten natürlichen Ordnungen als Gottes Gesetz später abzulehnen und das Gesetz Gottes ganz und ausschließlich in die Offenbarung Gottes in seinem Wort hineinzunehmen. Theologiegeschichtlich ist hierfür das Aufkommen der Volksnomoslehre bei lutherischen Theologen von entscheidender Bedeutung, wie sich aus Äußerungen Iwands und aus dem Zeitpunkt der Veränderung seiner Auffassung ersehen läßt.117
114
Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 236. Iwand, Glauben und Wissen, NW 1, 99; vgl. ders., Prinzipienstreit, GA I, 233-236. 1,6 Vgl. Iwand, Glauben und Wissen, NW 1, 99 und ders., Thesen: Von der Offenbarung. Für eine Arbeitsgemeinschaft im Göttinger Theologischen Stift, nach 1946, NW 1, 289 [Offenbarung, NW 1]: „Als man die natürliche Religion zur Voraussetzung der Offenbarung machte, wurde die Ethik die Grundlage der Dogmatik." Iwands Ablehnung der Dogmatik von Althaus konnte sehr verletzende Töne annehmen, wie ein Brief an Georg Eichholz belegt. Er schreibt darin: „Sie [Barths Dogmatik, R.M.] ist inkomparabel mit all den .stehenden Gewässern', die wir seit A. Ritschis Preisgabe der Dogmatik (ich meine der Dogmatik als solcher) an die Ethik erlebt haben und deren flachster und nur für Nichtschwimmer geeigneter Tümpel das nachhitlerische ,opus' von Althaus sein dürfte. Daß es bei der jungen Generation kein Erbrechen hervorgerufen hat, zeigt, was ihr mundet. Das können wir ihr freilich nicht vorsetzen." Iwand, Brief an Georg Eichholz vom 4.4.1953, EvTh 44, 1984, 126 (Hervorhebung im Original). 117 Vgl. im Rückblick die Aussaage Iwands Barth gegenüber in einem Brief vom 31.12.1959, BVP, 143: „Erst das Versagen der Lutheraner im Kirchenkampf hat mir dafür die Augen geöffnet und mit unterscheiden gelehrt zwischen Gottes Gebot und jenem zeitlosen Nomos, der mit allen Inhalten gefüllt werden kann." 115
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2.2.2.2 Die Lehre vom Volksnomos Ursprünge der Volksnomoslehre"8 Die Volksnomoslehre, um die theologisch vor allem in den Jahren von 1933 bis 1935 gestritten wurde, reicht in ihren Wurzeln bis in das achtzehnte Jahrhundert zurück, als Johann Gottfried Herder und Johann Salomo Semler den Gedanken einer nationalen Volkslehre entwickelten.119 Bei Herder findet sich eine „intuitive und religiös begründete Geschichtsschau der Völker"120, in der den einzelnen Völkern ein jeweils eigener Nationalgeist oder Volksgeist zugeschrieben wird. Die Gedanken Herders weiterführend, versteht Semler die einzelnen Volksreligionen als natürliche Offenbarungen, die als Gottesgesetz unabhängig von der Christusoffenbarung gelten. So hat jedes Volk ein verbindliches völkisches Sittengesetz, wobei das Alte Testament als Volksgesetz für die Juden in seiner Bedeutung für den christlichen Glauben nebensächlich wird. Das Gesetz Gottes ist nicht so sehr an das Wort als vielmehr an das moralische Gewissen gebunden. Diese Gedanken finden in der Romantik im neunzehnten Jahrhundert ihre Fortfuhrung. Wegen der Nachwirkung seiner Gedanken im zwanzigsten Jahrhundert (insbesondere auf Wilhelm Stapel, Friedrich Gogarten und Emanuel Hirsch) ist vor allem Johann Gottlieb Fichte (1762-1813) zu nennen. Er sieht „das Volk als eine geschichtliche Offenbarung Gottes, das sich nach einem bestimmten Schöpfungsgesetz entwickelt" und versteht „das Volksgesetz als Gottesgesetz"121. Dieses Volksgesetz, das für ihn im deutschen Volk am reinsten bewahrt und entwickelt wurde, ist ein allgemein einsichtiges Vernunftgesetz, aus dem der einzelne auch den Glauben an seine persönliche Unsterblichkeit erfahrt. Das Volksgesetz, die Nationalreligion, nimmt den Platz der Christusoffenbarung und der Erlösung durch Christus ein.122 Die romantisch-idealistischen Ideen werden am Ende des neunzehnten Jahrhunderts in der deutsch-völkischen Bewegung aufgenommen und radikalisiert. Die Gleichsetzung von Volksgesetz und Gottesgesetz wird grundsätzlich vollzogen, parallel zu antisemitischen Äußerungen die Germanisierung des Christentums gefordert und das Alte Testament abgelehnt.123
118
Vgl. dazu: Wolfgang Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube. Ein Beitrag zur Geschichte des Kirchenkampfes, AGK 16, Göttingen 1966. 119 Vgl. zu Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Johann Salomo Semler (17251791): Tilgner, Volksnomostheologie, 17-87. 120 A.a.O. 18. 121 A.a.O. 48. Vgl. für das neunzehnte Jahrhundert insgesamt a.a.O. 36-87. 122 Vgl. a.a.O. 48-51. 123 Vgl. dazu a.a.O. 71-87. Wichtige Vertreter der deutsch-völkischen Frömmigkeit waren Paul Anton de Lagarde (1827-1891) und Houston Stuart Chamberlain (1855-1927).
88
Wilhelm Stapel
(1882-1954)
Auf diesem Boden entwickelt Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts Wilhelm Stapel seine Lehre vom Volksnomos. Stapel, geprägt von einer deutschen Nationalgesinnung, der Verehrung für Kaiser und Reich und einer Bejahung der preußisch-kantischen Pflichtethik, will das idealistisch- fichtesche Erziehungsideal der Deutschen erneuern. Er versteht das Volk nicht nur als eine Schöpfungsordnung, sondern als „eine geschichtliche Gottesoffenbarung mit eigener metaphysischer Seinsqualität und darum [als, R.M.] direkte Anrede Gottes an den einzelnen in der Geschichte." 124 Der Volksbegriff ist bei Stapel biologisch-sittlich geprägt. Jedes Volk hat ein ursprüngliches metaphysisches Volksgesetz, das die Sittlichkeit dieses Volkes regelt. Für das ethische Verhalten ist somit das metaphysische Volksgesetz und nicht etwa das Gesetz im Wort Gottes der Maßstab des Verhaltens. Stapel definiert den Begriff des Volksnomos folgendermaßen: „Jedes Volk wird zusammengehalten durch ein Gesetz des Lebens, das, entsprechend seiner Natur, seine innere und äußere Form, seinen Kult, sein Ethos, seine Verfassung und sein Recht bestimmt: durch den Nomos." 125 Die Entstehung der verschiedenen Volksnomoi - jedes Volk hat seinen eigenen Nomos - fuhrt Stapel auf einen Akt der Liebe Gottes zurück: Die gefallene Menschheit soll durch den volksbildenden Nomos vor dem gemeinschaftslosen Chaos bewahrt bleiben. Der Volksnomos hat als Gesetz Gottes metaphysische Qualität und gilt als Forderung unabhängig von der Heiligen Schrift. Er entspricht dem Gesetz des Alten Testaments (als „Volksnomos" der Juden), so daß im Volksnomos das Gesetz Gottes als ethische Handlungsanweisung gegenwärtig ist. Eine speziell christliche Begründung der Ethik wird von daher abgelehnt. „Also gehört die Sittlichkeit mit ihren nährenden Fasern in die metaphysische Tiefe des Volkstums und damit unter die Obhut des Staates. ... Für unsere Sittlichkeit haben wir also das Alte Testament nicht nötig." 126 Friedrich Gogarten
(1887-1967)
Der ernsthafteste theologische Vertreter der Lehre vom Volksnomos ist Friedrich Gogarten. In der Auseinandersetzung in den Jahren 1933 bis 1935
124
A.a.O. 101, vgl. zu Stapel a.a.O. 88-130; Dorothea Irene Marx, Wächteramt und Mitarbeit. Kirchliche Verantwortung im nationalen Aufbau, Diss., Tübingen 1988, 145-150. 125 Stapel, Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, Hamburg 1932, 174. 126 Stapel, Die Kirche Jesu Christi und der Staat Hitlers, 69; zitiert nach: Kraus, Tora und "Volksnomos", in: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. Festschrift für Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag, hg.v. Erhard Blum u.a., Neukirchen-Vluyn 1990, 645.
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ist er derjenige, der für Iwand „noch am überlegtesten davon redet"127. Als ehemaliger Weggefährte Karl Barths ist Gogarten in dieser Frage der wichtigste Kontrahent der Theologen der Bekennenden Kirche wie z.B. Iwand, Heinrich Vogel oder Georg Merz. Vor 1933 sieht Iwand sich in großer Nähe zur Theologie Gogartens, distanziert sich in der Auseinandersetzung um den Volksnomos dann aber umso deutlicher von ihm.128 In Gogartens Frühwerk (von etwa 1914 bis zum Ende des ersten Weltkriegs) zeigen sich bereits die Linien, die nach seiner „dialektischen Phase" in seiner Interpretation des Volksnomos wieder in Erscheinung treten. So kann er in einer seiner ersten Veröffentlichungen, einer Abhandlung über Fichte (!) aus dem Jahr 1914, das Volk als „eine eigentümliche Offenbarung des göttlichen Lebens" verstehen, in dem der einzelne trotz eines unaufgebbaren Eigenwertes nur durch sein Volk Anteil „an der Ewigkeit des göttlichen Lebens"129 erhält. Wenig später bringt er die Verbindung von Volkstum und Religion, indem er das Volkstum als Anrede Gottes versteht, in einer Flugschrift zum Ausdruck. Das sittliche Handeln wird nicht mit dem Glauben verbunden, sondern auf der Ebene des verantwortungsbewußten Handelns des mit Vernunft begabten Menschen gesehen. Eine speziell „christliche Ethik" wird von Gogarten abgelehnt. Gottes unmittelbares Handeln geschieht nicht nur im Glauben, sondern zeigt sich auch im Volkstum und in der Ordnung des Staates.130 Nach dem Ende des ersten Weltkriegs erfahrt Gogartens Denken im Zuge der mit der deutschen Niederlage verbundenen Neuorientierung der Theologie scheinbar eine radikale Wende, und er schließt sich der dialektischen Theologie an.131 Im Gegensatz zu seiner bisherigen Theologie lehnt er jede natürliche Gotteserkenntnis und alles völkische und nationale Denken ab und erkennt die Christus-Offenbarung als Mitte aller Aussaagen über Gott und Mensch. Er betont die Gegensätzlichkeit von Gott und Mensch und die totale Sündenverfallenheit des Menschen, die gerade auch in den Ordnungen von Staat, Familie und Kultur erkennbar wird, in denen der Mensch lebt.132 Gogarten erkennt aber bereits 1924, daß die Diastase von Gott und 127
Iwand, Prinzipienstreit, 237. Zu Gogartens Entwicklung und zum Verhältnis von Iwand und Gogarten vgl. Hertog, Erkenntnis, 139-161; vgl. auch Seim, Gesetz, EvTh 44, 1984, 8 6 - 8 9 . 129 Gogarten, Fichte als religiöser Denker, 116ff, zitiert nach Tilgner, Volksnomostheologie, 158. 128
130
Vgl. Tilgner, Volksnomostheologie, 159f und Hertog, Erkenntnis, 141. Nach Peter Henke handelt es sich nur scheinbar um eine Wende im Denken, da beide Male „ein und dasselbe Wirklichkeitsverständnis zugrunde [liegt, R.M.]: der Gedanke einer wesenhaften Einheit von Gott und Mensch". Henke, Art. Gogarten, Friedrich ( 1 8 8 7 - 1 9 6 7 ) , TRE 13, 1984, 564. Es geschieht laut Henke innerhalb dieser Einheit eine „Veränderung der Verhältnisbestimmung des göttlichen und des menschlichen Handelns. Die höchste Aktivität des Menschen schlägt um in die reinste Aktivität Gottes, die als Gericht erfahren wird." Ebd. 132 Vgl. Tilgner, Volksnomostheologie, 161-164. 131
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Mensch, wie sie in der dialektischen Theologie betont wird, noch keine Lösung der geistigen Krise bringen kann. Er sucht nach normativen Bindungen, „um damit die theologisch-ethischen Gegenwartsfragen einer praktischen Lösung näherzubringen." 133 Bei dieser Suche entdeckt er, angeregt durch Ferdinand Ebner, das Ich-Du-Verhältnis als grundlegende menschliche Wirklichkeit. Es gibt „kein Ichsein und keinen Glauben an Gott den Schöpfer als in der unbedingten verantwortlichen Bindung an das Du" 134 , worunter ein geschichtlich-konkretes Du, der Nächste, zu verstehen ist. Damit erfolgt in der Ich-Du-Beziehung zweier Menschen auch die Begegnung Gottes mit dem Menschen. Gegen den autonomen Persönlichkeitsbegriff mit seinem Individualismus setzt Gogarten den Menschen, der „sein Sein nicht als ein Für-sich- und Aus-sich-sein versteht, sondern als ein Vom-andern-her-sein." 135 Das Vom-Andern-her-sein des Menschen führt in die Forderung des „Du sollst", vor die sich der Mensch gestellt sieht. Sie ist die Konkretion der uneigentlichen Forderung des „Man tut das und das", die dem usus politicus entspricht. Die konkrete „Du sollst"-Forderung ist nach Gogarten der usus elenchticus, durch den der Mensch sich als Sünder erkennt, da er diese Forderung von sich weist. 136 Der Staat bewahrt den Menschen vor der eigenen Bosheit und der des anderen, indem er dem Menschen eine Schranke setzt und ihn so vor dem absoluten Böse-Sein bewahrt. Mit seinen Gesetzen überwacht der Staat die „Man tut das und das"-Forderung, die als Gesetz nur eine andere Form der „Du sollst"-Forderung ist. Ein inhaltlicher Unterschied besteht nicht.137 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten veröffentlicht Gogarten im Jahr 1933 die Schrift „Einheit von Evangelium und Volkstum?". Er stellt fest, daß der neue Staat der Nationalsozialisten nicht einem privaten Menschen gegenübersteht, sondern dem völkisch bestimmten Menschen. Die Forderung des Staates an den deutschen Menschen, der wieder weiß, „daß er seinem Volk gehört und in seinem Volk dem Staat", geht „bis in den Bereich der Sitte und Sittlichkeit" 138 . Sitte und Sittlichkeit gehören nicht in den Bereich des privaten Menschen, sondern in das Volk und stehen unter 133
A.a.O. 164. Gogarten, Ich glaube an den dreieinigen Gott. Eine Untersuchung über Glauben und Geschichte, Jena 1926, 59; vgl. 59f. 135 Gogarten, Politische Ethik. Versuch einer Grundlegung, Jena 1932, 19. Iwand fragt im Blick auf das Ich-Du-Verhältnis bei Gogarten zu Recht, worin der Unterschied zwischen dem Ich-Du-Verhältnis des Menschen zu Gott und dem der Menschen untereinander besteht. „Ich habe Gogarten in seiner frühen Zeit einmal danach gefragt. Gogarten weiß um diese Frage, aber er hat sie nicht ernst genommen, hat von daher nicht seine Position revidiert." Iwand, GuE (1937), N W 4, 74f. 136 Vgl. Gogarten, Politische Ethik, 62.148; Henke, Art. Gogarten, TRE 13, 1984, 565; Tilgner, Volksnomos, 168f. 137 Vgl. Henke, Art. Gogarten, TRE 13, 1984, 565; Tilgner, Volksnomos, 168f. 138 Gogarten, Einheit von Evangelium und Volkstum?, Hamburg 1933, 9. 134
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der Herrschaft des Staates. In diesem Bereich der Ethik „kann die Kirche darum auch keinen Anpruch auf Selbständigkeit machen"139, sondern hat sich dem Staat zu unterstellen. Die Aufgabe der Kirche besteht darin, daß das sittliche Gesetz des Volkes als Gottes Gesetz erkannt und rein erhalten wird. Die irdische Wirklichkeit des Menschen besteht darin, vom Staat in Anspruch genommen zu sein und damit unter dem Gesetz zu stehen. „Gerade weil wir heute wieder unter dem totalen Anspruch des Staates stehen und darum unter der Forderung des Gesetzes, ist es, menschlich gesprochen, wieder möglich, den Christus der Bibel und seine Herrschaft über uns zu verkündigen."140 Das hier gemeinte Gesetz als Bedingung für die Verkündigung Christi ist Gottes Gesetz, wie Gogarten in seiner Folgeschrift „Ist Volksgesetz Gottesgesetz?" von 1934 präzisiert: Das in Jesus Christus geoffenbarte Wort Gottes ist „das Gesetz, das uns in unserem irdischen Leben und seinen Verhältnissen begegnet. Das heißt, das Gesetz Gottes begegnet uns, in einzelne Gebote gefaßt, in den Forderungen des Staates, des Volkes und der Sitte."141 Iwands Kritik an der Volksnomoslehre Iwand beginnt seinen Aufsatz „Die Predigt des Gesetzes" mit dem Satz: „Das ganze Gewicht unseres Themas liegt auf dem Wort: Predigt", und sagt weiter unten: „Denn Predigt des Gesetzes bedeutet: Geschehen von Gott her, bedeutet, daß Gott uns seinen Willen kundtut"142. In diesen kurzen Ausführungen ist implizit die Ablehnung der Sicht Gogartens vom Gesetz Gottes in der Form des Staats-, Volks- und Sittengesetzes enthalten. Gott tut seinen Willen durch die Predigt des Gesetzes kund, und somit nicht anders als in dem in der Heiligen Schrift geoffenbarten Gesetz. Das von Gogarten gemeinte Volksgesetz darf nicht den Anspruch erheben, Gottes Gesetz zu sein. Das politische Gesetz ist nach Iwand immer wieder am Willen Gottes, an der iustitia dei, als Maßstab auszurichten, darf aber in einer Gemeinschaft, die nicht aus dem Glauben an Gottes Wort lebt, nicht grundsätzlich mit dem göttlichen Gesetz identifiziert werden.143 Wenn demgegenüber, wie
139
A.a.O. 14. A.a.O. 24. Vgl. auch a.a.O. 21: „Denn das Evangelium kann erst da seinen Sinn offenbaren, w o der Mensch unter das schärfste Gesetz gestellt ist." 141 Gogarten, Ist Volksgesetz Gottesgesetz? Eine Auseinandersetzung mit meinen Kritikern, Hamburg 1934, 10. 142 Iwand, Predigt, GA II, 145 (Hervorhebung im Original). 143 Vgl. a.a.O. 160. Hier liegt die Gefahr aller Ideologien für den christlichen Glauben: „War es im Nationalsozialismus die völkische Idee, die den Glauben korrumpierte, so im Machtbereich der Sieger ,links' die Verbindung von Sozialismus und Religion, wie ,rechts' kapitalistische Gesellschaft und die Konfessionen". So Paul Schütz im Geleitwort zum I. Band seiner Gesammelten Werke (1966), zitiert nach Tilgner, Volksnomos, 254, Anm. 15. Vgl. zur Differenz von Iwand und Gogarten: Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 83. 140
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es bei der Lehre vom Volksnomos geschieht, das Volksgesetz als göttliches Gesetz gesehen wird, das der Mensch zu befolgen hat und durch das er zur Erkenntnis der Sünde geführt wird, ist dem theologisch zu widerstehen. Hier geschieht „eine Art Umbildung der primus-usus-legis-Lehre, d.h. des Artikels vom usus legis civilis"144 in der Weise, daß dem usus politec s legis die Funktion des usus elenchticus legis beigelegt wird. Genau dies ist bei Gogarten der Fall, da es für ihn nur ein Gesetz gibt.145 Damit verliert das Gesetz in der Verkündigung seinen Ort, und gleichzeitig wird der Volksnomos sanktioniert. Das Gottesgesetz darf nicht auf den Rang politischer Ordnungen herabgedrückt werden. Es gibt „abgesehen davon noch das göttliche Gesetz, ein Gesetz, das sein Gesetz ist, von Gott geordnet, vom Himmel her gegeben"146, das unverzichtbar in die Verkündigung hineingehört. Bei der Lehre vom Volksnomos wird das offenbarte Gesetz Gottes im Alten Testament am Sinai durch den Volksnomos ersetzt, der auf Jesus Christus als Erfüllung hinweist. Dadurch, daß der Staat mit dem Volksnomos (als usus politicus und elenchticus legis) die Aufgabe der Gesetzespredigt übernimmt, bleibt der Kirche nur noch eine „sogenannte Evangeliumsverkündigung"147 übrig. „Der Versuch, das Gesetz allein der weltlichen Macht zu überlassen und es als politischen Nomos zu verstehen, der Kirche aber allein die Predigt des Evangeliums zuzuordnen, ist nichts anderes als eine Neuauflage des Antinomismus."148 Das Gesetz hat seinen Ort in der Verkündigung der Kirche verloren und ist zu einer selbständigen Offenbarung vor und außerhalb der Gottesoffenbarung in Christus geworden. Dieser Verlust der Gesetzesverkündigung hat für das Verständnis des Werkes Christi - für die Christologie und die Rechtfertigung - entscheidende Konsequenzen, wie Iwand mit einem Lutherzitat verdeutlicht: „Denn wenn das Gesetz abgeschafft wird, dann kann man nicht mehr wissen, wer Christus ist, was er getan hat, da er für uns das Gesetz erfüllte. ... Darum ist die Lehre vom Gesetz in der Kirche notwendig und muß grundsätzlich beibehalten werden, weil ohne sie Christus nicht behalten werden kann."149 Aufgrund dieser Beobachtungen ist gegen die Lehre
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Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 238. Vgl. Gogarten, Volksgesetz, 23. Zutreffend urteilt D.I. Marx, Wächteramt, 141: „Es ist eindeutig, daß die Funktion des usus elenchticus legis mit dem des usus politicus legis bei Gogarten verschmilzt, denn des gibt s.E. nur ein Gesetz, und das bedeutet, daß es auch nur ein Gesetz ist, das zur Sündenerkenntnis und zu Christus fuhrt." (Hervorhebungen im Original) Vgl. Joesl, Karl Barth, KuD 24, 1978, 90. 146 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 62 (dort als Frage formuliert). 147 So Ernst Wolf, „Natürliches Gesetz" und „Gesetz Christi" bei Luther, EvTh 2, 1935, 309, dessen Ausführungen in der Intention denen von Iwand gleichen. 148 Iwand, 1. Barmer These (1936), EvTh 46, 1986, 227. 149 Luther in seiner fünften Disputation gegen die Antinomer 1538, These 61 und 66, WA 39/1, 357,19f.29f: „61. Nam si lex tollitur, nescitur, quid Christus sit aut fecerit, dum pro nobis 145
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vom Volksnomos u.a. von Iwand, Ernst Wolf und Hans Ehrenberg150 zu Recht der Vorwurf des Antinomismus erhoben worden. Iwand sagt im Jahr 1958 rückblickend zur Lehre vom Volksnomos, daß in ihr „die bisher übliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, vor allem aber die Isolierung des Gesetzes und die daraus resultierende Ohnmacht des Evangeliums im Bereiche des Politischen endgültig besiegelt worden ist."151 Die Wurzeln für die Lehre vom Volksnomos sieht Iwand nicht erst im achtzehnten Jahrhundert, sondern bereits in der Spätzeit der Reformation, „... insbesondere in der schulmässigen Fassung, die M e l a n c h t h o n d e m S c h e m a von G e s e t z und E v a n g e l i u m später g a b ... Es war ein Fehler in der Konstruktion. D a s Gesetz w u r d e verstanden als A n k n ü p f u n g , als Vorverständnis, als ,idea i n n a t a ' , w i e es schon bei M e l a n c h t h o n heisst." 1 5 2
Die erste Barmer These ist die Antwort der Bekennenden Kirche auf die Lehre vom Volksnomos, indem andere Offenbarungsquellen als „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird"153, als Offenbarung Gottes ausdrücklich abgelehnt werden. Auch meint Iwand, daß Karl Barth „seinen Vortrag: Evangelium und Gesetz als Ruf zur Umkehr dagegen stellte."154 legem implevit.... 66. Est igitur legis doctrina in ecclesiis necessaria et omnino retinenda, sine qua Christus retineri non potest." Übersetzung nach Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 63f. 150 Vgl. den Aufsatz: Die Gabe Gottes und das Gesetz Gottes. Zur Kritik an Barmen, JK 2, 1934, 742-745.848-853, von Hans Ehrenberg, in dem er den von Werner Eiert u.a. erhobenen Vorwurf des Antinomismus gegen die Barmer Erklärung zurückweist und seinerseits die Vertreter des Volksnomos aus den oben genannten Gründen als Antinomisten bezeichnet. Er hebt zu Recht als entscheidenden Fehler der Lutheraner die Ineinssetzung der natürlichen Ordnungen mit den Geboten Gottes hervor, anstatt sie nur als Gaben Gottes zu verstehen (vgl. a.a.O. 743). Vgl. auch Georg Merz, Gesetz Gottes und Volksnomos bei Martin Luther, LuJ 16, 1934, 51-82. 151 Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 237. Unklar ist, ob Iwand mit dem Begriff „Evangelium" hier an das Gebot Gottes denkt, da er einige Sätze später formuliert: „... was ich die aus der Trennung von Gesetz und Evangelium resultierende Ohnmacht des Gebotes Gottes [nicht: des Evangeliums (!), R.M.] genannt habe." A.a.O. 238. 152 Iwand, GuE (1958), Iwand-Archiv, 2f; vgl. ders., Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1566. Zu Melanchthons Verständndnis von Gesetz und Evangelium vgl. Iwands Darstellung in GuE (1950), NW 4, 309-358. 153 Vgl. die erste Barmer These und die Ausführungen von Hans Asmussen, Vortrag über die Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche, in: Alfred Burgsmüller/Rudolf Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, 5., bearb. und erg. Aufl., Neukirchen 1993, 43-62. Zur Gesamtinterpretation der Barmer Theologischen Erklärung ist zu bedenken, daß die Erklärung im Zusammenhang mit dem Vortrag von Asmussen durch die Synode angenommen wurde, vgl. a.a.O. 62. 154 Iwand, Art. GuE (1956), EKL 1, J 1961, 1566 (Hervorhebung im Original); vgl. ders., Gesetz und Evangelium in Luthers Vorlesung zum Galaterbrief von 1531/35, NW 4, 404f [Galaterbrief, NW 4], Barths Schrift „Evangelium und Gesetz" wurde 1935 als Heft 32 der TEH veröffentlicht (u.a. wieder abgedruckt in: Gesetz und Evangelium, hg. von Ernst Kinder und Klaus Haendler, 1-29). Barth selbst sah seinen Vortrag aber nicht zuletzt als eine Auseinandersetzung mit den Lutheranern innerhalb der Bekennenden Kirche, wenn er im Zusammen-
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2.2.2.3 Gottes Gesetz als Offenbarung (λόγος und νόμος) Findet sich auch in den frühesten Schriften Iwands bereits der Bezug des Gesetzes auf Christus und die Bestimmung des Gesetzes als Gottes Wort155, so grenzt er sich in der Auseinandersetzung um den Volksnomos stärker gegen Fehldeutungen ab und betont den Offenbarungscharakter des Gesetzes: „Gesetz ist Offenbarung"156. Gegen die Lehre eines natürlichen Gesetzes, das der Offenbarung Gottes in seinem Wort vorgeordnet ist (wie in der Ausprägung des Volksnomos), gilt es, „die Lehre vom Gesetz fur die Offenbarung zurückzugewinnen."157 Dabei geht es noch nicht um die Frage nach der Formel „Evangelium und Gesetz" oder „Gesetz und Evangelium". Wichtiger als die Frage nach der Abfolge von Gesetz und Evangelium ist die nach dem Offenbarungscharakter des Gesetzes, weil dort über die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium und die rechte Bezogenheit beider aufeinander entschieden wird.158 Martin Hoffmann sagt zu Recht: „... die bloße terminologische Reihenfolge, etwa von Gesetz und Evangelium, sagt noch nichts über die inhaltliche Zuordnung aus."159 Am Schluß seiner Besprechung von Schlinks „Theologie der Bekenntnisschriften" von 1942 fragt Iwand nach dem Offenbarungscharakter des Gesetzes bzw. dem Verhältnis von λόγος und νόμος. Wo Schlink nach Iwands Verständnis zwischen dem in der Heiligen Schrift geschriebenen als geoffenbartem und dem natürlichen, ungeschriebenen Gesetz als nicht geoffenbartem Gesetz unterscheidet, versteht Iwand den Offenbarungscharakter des Gesetzes anders: „Der Offenbarungscharakter des Gesetzes, wenn man so sagen soll, scheint mir erst damit gegeben, daß das Sinai-Gesetz auf Christus verweist! Das wird vom Gewissen und der Vernunft nicht gesagt werden können. Die Gesetz und Evangelium umfassende Heilsgeschichte, die vom Sinai nach Golgatha weist und die eben nicht rückwärts läuft, weil der neutestamentliche Riegel des eph hapax vorliegt - sie scheint mir hier viel eher ,Einsatzpunkt' [für die Lehre vom Gesetz, R.M.] zu sein als jene Unterscheidung von ungeschriebenem und geschriebenem Gesetz. ... Aber die Lehre vom Gesetz harrt ja heute unser aller." 160
hang damit, daß er nicht selbst den Vortrag halten durfte, bedauert, daß „damit die so nötige allgemeine Auseinandersetzung mit Asmussen, aber auch mit Iwand unter den Tisch fiel". (Barth in einem Brief an Karl Immer vom 23.12.1935, zitiert nach Ludwig, Beitrag, 294f.) 155 vgl. die Hinweise auf die Frühschriften Iwands bei Hoffmann, Versöhnung, 77. 156 So eine Überschrift in: Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 61. 157 Iwand,. Galaterbrief, NW 4,411. 158 Vgl. a.a.O. 407-411. Dort meint Iwand, daß Edmund Schlink sich zwar gegen die Barthsche Formel von „Evangelium und Gesetz", aber nicht gegen die Sache, die Barth meint, entscheidet. In der Sache geht es nach Iwand darum, daß das Gesetz Gottes nur von der Offenbarung Gottes in Christus her recht erkannt wird (vgl. a.a.O. 407). 159 Hoffmann, Versöhnung, 76. 160 Iwand, Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942, 169 (Hervorhebungen im Original).
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Das Charakteristische am Gesetz Gottes als Offenbarung ist für Iwand, daß es über sich hinausweist auf Jesus Christus hin, vom Sinai nach Golgatha.161 Das so verstandene Gesetz steht nicht isoliert vor dem Evangelium, sondern gehört wie das Evangelium zu Jesus Christus, dem λόγος, und kann erst von seinem Ziel her recht erkannt werden.162 Für die Frage nach dem natürlichen Gesetz (bei Iwand verbunden mit der natürlichen Theologie als Anknüpfungspunkt) und dem Gesetz als Offenbarung ist eine Thesenreihe Iwands „Von der Offenbarung" aufschlußreich, die er nach 1946 für eine Arbeitsgemeinschaft verfaßt hat. Die wichtigsten Thesen werden wiedergegeben und erläutert. Zum Gesetz schreibt Iwand: „22. Das Gesetz gehört mit hinein in den Vollzug der Offenbarung. 23. Der Dienst des Mose als Gesetzgeber ist unentbehrlich für die Ausrichtung der Botschaft von Jesus Christus. 24. Der Unterschied der sinaitischen Gesetzgebung vom natürlichen Sittengesetz ist darin gegeben, daß die Gesetzgebung am Sinai innerhalb des Gnadenbundes und auf seine Erfüllung in Jesus Christus hin erfolgt." 1 6 3
Mit These 22 grenzt Iwand sich gegen die Identifikation von Volksgesetz und Gottesgesetz ab, indem er das Gesetz und die Erkenntnis des Gesetzes in die Offenbarung hineinnimmt. Er bindet das Gesetz an die Verkündigung, die (nach These 31) nicht Reden über die Offenbarung, sondern selbst Offenbarung ist.164 Mit These 23 wird das Gesetz inhaltlich als das Gesetz des Alten Testaments bestimmt, das auf Christus hin ausgerichtet ist. Auch hier ist eine Absage an die Volksnomoslehre enthalten, weil in ihr der Volksnomos an die Stelle des Alten Testaments gesetzt wird. Iwand stellt die Unverzichtbarkeit des Alten Testaments fur die Verkündigung des Evangeliums dagegen; der Verlust des einen bedeutet auch den Verlust des anderen. In These 24 geht Iwand konkret auf den Unterschied zwischen Sinaigesetz und Sittengesetz ein. Das Gesetz vom Sinai ist nicht zeitlos, sondern auf die Erfüllung in Christus hin gegeben. Iwand kritisiert an anderer Stelle, daß „wir Gesetz und Christus auseinandergerissen haben und jenes Gesetz predigen, das nichts anderes ist als das Naturgesetz, das Sittengesetz, aber nicht den Nomos Gottes, der immer Christus meint!"165 Das Sittengesetz stellt den Menschen bleibend unter das Gesetz, während das Ziel des Sinaigesetzes in der Freiheit vom Gesetz besteht: Der Weg geht vom „Gesetz zum 161 Daß das Gesetz als Offenbarung über sich hinausweist auf Christus hin, betont Iwand immer wieder; vgl. z.B. Iwand, GuE (1937), NW 4, 55.166; ders., GuE (1950), NW 4, 264.285f.346. 162 Vgl. iwand, GuE (1937), NW 4, 20.55. Vgl. auch oben Teil 1.II.2 Die Heilige Schrift als Gesetz und Evangelium, 56ff., und die damit zusammenhängende Problematik von Buchstabe und Geist, Iwand, GuE (1937), NW 4, 165-193. S.u. Teil 3.II.1 Buchstabe und Geist, 237ff. 163 Iwand, Offenbarung, NW 1, 288f. 164 Vgl. a.a.O. 289, These 31. 165 Iwand, GuE (1950), NW 4, 264.
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Evangelium, vom Sinai nach Golgatha, von Mose zu Christus."166 Nachdem deutlich gemacht ist, daß auch das Gesetz in die Offenbarung hineingehört und nur im Bezug auf Jesus Christus als Gottes geoffenbartes Gesetz gelten kann, ist die Frage nach dem Verhältnis von νόμος und λόγος zu stellen. „32. W e r das Verhältnis von Logos und Nomos klären könnte, w ü r d e der protestantischen Theologie in ihrer augenblicklichen N o t einen großen Dienst tun. 33. Es ist e b e n s o unmöglich, den Logos o h n e den N o m o s zu verstehen, w i e den N o m o s o h n e den L o g o s . . . . 36. D e r Logos ist i m m e r dem Nomos vorgeordnet. Darin liegt das Recht f ü r die Fassung: Evangelium und Gesetz. 37. D e r Nomos ist d e m Logos i m m e r zugeordnet, darum gehört das G e s e t z in die O f f e n b a r u n g und die Paränese ins Evangelium. Hier liegt das R e c h t f ü r die F a s s u n g : Gesetz und Evangelium (contra A n t i n o m o s ) . " 1 6 7
Wie die Folgerungen Iwands in seinen Thesen zeigen, entspricht der νόμος dem Gesetz Gottes, während der λόγος Jesus Christus als Gottes Wort meint, das zwar nicht nur mit dem Evangelium identisch ist, aber darauf hinzielt und das Evangelium als das eigentliche Wort Gottes meint, so wie das Gesetz das opus alienum Gottes, das Evangelium dagegen das opus proprium Gottes ist.168 Iwand bringt in These 32 die Bedeutung der Lehre von Gesetz und Evangelium als Gottes Wort wie auch die Schwierigkeit, sie angemessen zu erfassen, zum Ausdruck. Sein lebenslanges Ringen um diese Fragestellung wird ebenso deutlich wie sein Wissen um die Unabgeschlossenheit des Unterfangens. In der These 33 nennt er die unerläßliche Voraussetzung des rechten Verständnisses von Gesetz und Evangelium. Das Evangelium als der λόγος kann ebensowenig ohne Gesetz, den νόμος, verstanden werden wie umgekehrt das Gesetz ohne das Gotteswort des Evangeliums. In dieser These wird vor allem der Irrweg des Antinomismus zurückgewiesen. Zum einen wird im Antinomismus in der Ablehnung des Gesetzes für die Verkündigung der Versuch unternommen, das Evangelium aus sich selbst heraus zu verstehen, und zum anderen wird wie in der Lehre vom Volksnomos durch die Vorordnung und Isolierung des Gesetzes vom Evangelium versucht, das Gesetz aus sich heraus zu verstehen. Nachdem Iwand in dieser These die notwendige Bezogenheit von Gesetz und Evangelium aufeinander herausgestellt hat, expliziert er in den folgenden beiden Thesen 166
Iwand, GuE (1937), NW 4, 237. Iwand, Offenbarung, NW 1, 289f (Hervorhebungen im Original). 168 Weil der λόγος nicht nur Evangelium, sondern übergreifend Gottes Wort in Christus meint, kann Iwand auch einmal sagen: Das „Gesetz ist Wort - es ist der in den Logos gefaßte Nomos Gottes!" Iwand, Die Predigt des Gesetzes, Vortrag (1951), NW 2, 77 [Predigt, NW 2]. Vgl. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 3 1948, 197: „Gottes Wort ist eigentlich Evangelium.... Entweder wird als der Inhalt der heiligen Schrift Gesetz und Evangelium oder Evangelium schlechthin genannt. Nicht aber werden Wort Gottes und Gesetz einander gleichgesetzt, nicht wird das Gesetz schlechthin als Summa der Schrift bezeichnet. Das Gesetz ist gegenüber dem Evangelium Gottes uneigentliches Wort." 167
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die Art der Zuordnung. In These 36 nimmt Iwand (unter der Voraussetzung, daß er mit λόγος das Evangelium und nicht das Wort Gottes als ganzes meint) positiv die Umstellung der Lehre von Gesetz und Evangelium von Karl Barth auf und sieht sie dadurch gerechtfertigt, daß der λόγος dem νόμος immer vorgeordnet ist. Nach These 36 gehört das Gesetz in die Klammer des Evangeliums (der λόγος als Evangelium ist dem Gesetz vorgeordnet) und kann von dort her nur richtig verstanden werden. Dies ist wiederum eine Absage an die Volksnomostheologie, die in extremer Form das Gesetz dem Evangelium vorgeordnet hat. Andererseits ist das Gesetz nach These 37 dem λόγος als Evangelium immer zugeordnet, so daß das Gesetz in die Offenbarung und die Paränese ins Evangelium gehört. Explizit wendet Iwand sich gegen den Antinomismus und nimmt positiv die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium auf.169 Nach der Bestimmung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium nimmt Iwand eine Einordnung der natürlichen Theologie vor: „40. Die natürliche Offenbarung ist nicht das, wovon wir herkommen, sondern das Licht, auf das wir zugehen. ... 47. Wer aus der natürlichen Theologie einen Anfang macht (der Gotteserkenntnis) und aus der Offenbarung ein Ende (der Gotteserkenntnis), bewegt sich in verkehrter Richtung." 170
Bei diesen Thesen wird deutlich, daß es Iwand nicht um eine pauschale Ablehnung der natürlichen Theologie und Gotteserkenntnis geht, wie es bei seiner Kritik an der Dogmatik von Althaus den Anschein hat, sondern um die „Platzanweisung" für die natürliche Theologie. Wird normalerweise bei der natürlichen Theologie als stückweiser Gotteserkenntnis jedes Menschen angesetzt, um dort als Anknüpfungspunkt den Menschen „abzuholen", so geht Iwand den entgegengesetzten Weg. Die natürliche Offenbarung ist ihm, wie These 40 erkennen läßt, nicht Anfang, sondern Endpunkt der Theologie, der im Eschaton liegt. In These 47 ist explizit ausgesprochen, daß der Weg genau andersherum als gewöhnlich zu gehen ist. Am Anfang der Gotteserkenntnis steht die Offenbarung, am Ende die natürliche Theologie! Diese Umkehrung ist daher zu verstehen, daß nach Iwand der Mensch von sich aus nicht zur Erkenntnis Gottes fähig ist und erst durch die Offenbarung (durch die Verkündigung des Wortes Gottes) zur Gotteserkenntnis gelangt. Dann allerdings ist vom Glauben her auch Erkenntnis möglich, so daß Gott vom Glaubenden in der Schöpfung erkannt werden kann. Der Weg geht also nicht von der Erkenntnis zum Glauben, sondern vom Glauben zum Erkennen. Es ist ein Erkennen, „das vom credere zum intelligere voran169 vgl z u r Überordnung des νόμος über den λόγος (bei Bultmann) und zur Überordnung des λόγος über den νόμος (bei Barth) die Exkurse bei Heinrich, Verheißung, 257-277. Zur Frage der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium s.u. Teil 1 .V.3 Die Abfolge von Gesetz und Evangelium, 154ff. 170
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A.a.O. 290f.
geht" 171 , und das erst in der Vollendung zum völligen Erkennen kommt als „das Licht, auf das wir zugehen." 172
3. Die N i c h t u n t e r s c h e i d u n g v o n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m in der A n f e c h t u n g
Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist „kein Vermögen der Vernunft, sondern des Glaubens an Jesus Christus" 173 und eine Gabe des Heiligen Geistes. Mit Luther weiß Iwand, daß der Mensch immer dazu neigt, Gesetz und Evangelium zu vermischen. Die Unterscheidung „ist nicht damit gegeben, daß sie einmal - theoretisch - fixiert ist, sondern sie muß praktiziert werden, im Kampf des Glaubens wider die Anfechtungen unseres Gewissens." 174 Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hat nicht nur Bedeutung fur die rechte Lehre und Verkündigung, sondern in noch größerem Maß für die Seelsorge, für den Trost des angefochtenen Gewissens. Luther versteht die Seelsorge von der Rechtfertigungslehre her, und nicht umgekehrt. 175 Die Anfechtung des Menschen kommt daher, daß er immer wieder Gesetz und Evangelium vermischt und die Tendenz hat, sich an das Gesetz zu halten, „während wir uns doch an die reine Gnade, das sola fide iustificamur halten sollten." 176 In der Anfechtung geht es um ein Ringen des Heiligen Geistes mit dem Teufel, der den Menschen in der Stunde der Anfechtung dahin bringen will, nach dem Falschen zu greifen, nach dem Gesetz statt dem Evangelium. Die Anfechtung liegt nach Luthers Verständnis darin, daß der Mensch versucht, sich aus sich selbst heraus zu verstehen, und sich dabei an das Gesetz hält.177 Um vor Gott bestehen zu können, ist er bereit, vieles dafür zu tun und einzusetzen. Das ist die dem Menschen eingeborene und der Vernunft entsprechende Auffassung von Religion, so daß Gesetz und (natürliche) Religion identisch sind, „aufgebaut auf dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, von Opfer und Verdienst" 178 , und dabei ist es gleich, ob es sich um christliche, islamische oder 171 Iwand, Glauben und Wissen (1955), NW 1,21; vgl. ders., PM I, 582. Der ganze Band NW 1: „Glauben und Wissen" widmet sich diesem Fragenkreis. Vgl. Krüger, Versöhnt, 28f. 172 Iwand, Offenbarung, NW 1, 290. 173 Iwand, GuE (1950), NW 4, 234 in der Einleitung zu seiner Vorlesung über Gesetz und Evangelium. 174 A.a.O. 236 (Hervorhebung im Original); vgl. ders., Galaterbrief, NW 4,430. 175 Vgl. Iwand, NW 5, 77. 176 Iwand, GuE (1950), NW 4, 292. 177 Vgl. a.a.O. 294. 178 Iwand, NW 5, 78.
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sonstige Religion handelt.179 Wo nichts anderes ist als das Gesetz, kann der Mensch die Anfechtung nicht überwinden, weil er darin an sein Tun gebunden bleibt, durch das er vor Gott bestehen möchte und doch nicht kann. In der Anfechtung nimmt der Mensch das Gesetz absolut und als letzte Instanz. Sie kann allein dort überwunden werden, wo das Gesetz in seiner Forderung und Anklage den Menschen in seinem Gewissen nicht mehr erreichen kann, was nur in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gegeben ist, weil Christus im Evangelium zwischen das Gesetz und den vom Gesetz angeklagten Menschen tritt.180 Die Anfechtungen sind „Aktionen, um den Glaubenden zu Fall und zum Abfall zu bringen. Sie sind nicht mit seiner Existenz als solcher, sondern mit seiner Existenz als Glaubender gegeben."181 Bestehen kann die Anfechtung nur der, der Christus kennt als das Ende des Gesetzes. Im Nomismus wird Christus selbst zum Gesetzgeber und kann nicht mehr von der Anklage des Gesetzes erlösen. Christus ist dadurch das Ende des Gesetzes, daß er zur Sünde geworden ist und in seiner Person die Sünde der Welt getragen hat und dafür gestorben ist.182 Dadurch ist aber - nur dem Glaubenden offenbar - die Sünde nicht mehr in der Welt, weil Christus sie getragen hat. „Der Unglaube wird die Wirklichkeit der Sünde im Menschen, in der Welt, in der durch die menschliche Tat gesetzten Wirklichkeit suchen - aber der Glaube sucht sie in Christo, wo sie eben damit aufgehoben und verwandelt ist. Das ist das Kernstück des locus de iustificatione - , hier erst wird die Sache brennend. Denn hier erst werden wir gefragt, ob wir Christus wirklich im Sinne von Jes 53 glauben oder ihn eben als Lehrer des Gesetzes sehen, als einen ,reinen und heiligen Menschen'." 183
Es geht hier um die Frage, ob Christus wirklich als der gesehen wird, der die Sünde der Welt getragen hat. Die Anfechtung wird solange nicht überwunden, wie der Mensch als Träger der Sünde angesehen wird. Sie wird dort besiegt, wo der Mensch dem Evangelium glaubt, d.h. wo er die Sünde nicht mehr bei sich, sondern als in Christus aufgehoben sieht. Dort kann die Anklage des Gesetzes nicht mehr greifen, weil Christus die Sünde weggetragen hat. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Bewegung vom Gesetz zum Evangelium bewährt sich in der Anfechtung. Dort muß sie aber immer wieder aufs neue vollzogen werden im Wissen darum, daß wir in diesem Leben „niemals den Punkt erreicht haben werden, da wir jene Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium ,fest' haben, hier
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Vgl. Iwand, GuE (1950), N W 4, 294. Vgl. a.a.O. 295; ders., N W 5, 75f. 181 A.a.O. 297. 182 v g l . a.a.O. 298f. und Luthers Ausführungen in seiner Auslegung zum Galaterbrief 1535 in WA 40/1, 437,18ff. In den fünfziger Jahren hat Iwand sich sehr intensiv mit diesem Kommentar Luthers beschäftig. Vgl. Iwand, N W 6, 307 und ders., Galaterbrief, N W 4, 4 0 4 440. 183 Iwand, GuE (1950), N W 4, 300. 180
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wird sie immer wieder aufs neue verwischt, wie wenn man ins Wasser schreibt" 184 .
4. Zusammenfassung
1. Iwand findet von Luther her eine zeitliche, formale und inhaltliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die für ihn wichtigste und häufig betonte Unterscheidung ist die der Zeiten. Gesetz ist da, wo Zeit zwischen dem Menschen und Christus steht - Christus also zu einer Forderung wird. Evangelium ist da, wo Christus mit dem Menschen gleichzeitig ist, wo das Heute des Heils ist. Das ist identisch mit dem Geschehen der Rechtfertigung, bei dem der sündige Mensch den Zuspruch der Sündenvergebung erfährt und seine Sünde und Gottes Gnade in ein und dieselbe Zeit fallen. Insbesondere an der zeitlichen Unterscheidung zeigt sich, daß es sich bei der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium für Iwand wie für Luther nicht um ein bloßes Lehrstück handelt, sondern um ein Geschehen, in dem Gott durch den Heiligen Geist am Menschen handelt. 2. Gesetz und Evangelium sind nicht voneinander zu scheiden, aber deutlich zu ««/erscheiden. Wenn Gesetz und Evangelium nicht unterschieden werden, gerät man auf die Irrwege des Nomismus und des Antinomismus. Im Nomismus, der Fehlentwicklung der katholischen Lehre insgesamt und der protestantischen Theologie im neunzehnten Jahrhundert, wird aus dem Evangelium ein Gesetz gemacht. Die Ethik wird zum Fundament der Dogmatik und die sittliche Persönlichkeit, das sittlich gute Handeln, das Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Gnade bzw. Christus benötigt und die Gnade ist somit Forderung statt Gabe. Kennzeichen des Antinomismus als spezifisch protestantischer Erscheinung ist die Ablehnung der Gesetzespredigt zur Sündenerkenntnis vor dem Zuspruch des Evangeliums. Durch die Herausnahme des Gesetzes aus der Verkündigung muß das Evangelium neben dem Gnadenwort die Funktion des Gesetzes - Überführung der Sünde - mit übernehmen. Durch diese zwei Funktionen verliert das Evangelium seine Eindeutigkeit als tröstendes Wort, und so zeigt es sich, daß das Gesetz um der Klarheit und Reinheit des Evangeliums willen nötig ist. Im zwanzigsten Jahrhundert sieht Iwand in der Lehre vom Volksnomos eine besondere Ausprägung des Antinomismus in der Verbindung mit national-völkischen Elementen. Die Volksnomoslehre ist 184
Iwand, NW 5, 79.
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darin antinomistisch, daß sie das Gesetz aus der Verkündigung verbannt und ganz in den Raum der Politik nimmt. Das göttliche Gesetz wird als natürlicher, dem sittlichen Empfinden des Volkes innewohnender Volksnomos verstanden. Dieser Volksnomos hat die Funktionen des usus politicus und usus elenchticus legis, so daß für die Verkündigung nur noch das Evangelium übrigbleibt. Gegen den Antinomismus ist daran festzuhalten, daß das göttliche Gesetz Offenbarung Gottes ist und keine natürliche Erkenntnis darstellt. Der Offenbarungscharakter des Gesetzes liegt für Iwand darin, daß es über sich hinausweist auf Christus. Eine rechte natürliche Theologie hat ihren Einsatzpunkt nicht vor, sondern nach der Offenbarung. Der Weg geht vom Glauben zum Erkennen, nicht umgekehrt. Iwands Gesetzesverständnis wird bleibend an der Auseinandersetzung um den Volksnomos geprägt und erhält nicht zuletzt dadurch die Betonung der göttlichen Offenbarung gegen jede natürliche Erkenntnis und den engen Bezug des Gesetzes zum Evangelium. Die für Luther noch selbstverständliche Übereinstimmung von sittlichem Empfinden mit dem Dekalog185 ist für Iwand nicht mehr gegeben, wie die Ausprägung der Volksnomoslehre bestätigt. 3. In der Anfechtung muß sich die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bewähren. In der Anfechtung neigt der Mensch dazu, Gesetz und Evangelium zu vermischen, so daß er unter das Gesetz zu stehen kommt und vor Gott durch sein Tun bestehen möchte. Der Trost in der Anfechtung und die Überwindung der Anfechtung geschehen dort, wo der Weg vom Gesetz zum Evangelium gefunden wird. Dies ist dort der Fall, wo der angefochtene Mensch nicht seine Sünde, sondern den Sieg über die Sünde in Christus als Wirklichkeit erkennt.
185 Vgl. Luthers Schrift: Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mosen sollen schikken (1526), WA 16 (XII), 3 6 3 - 3 9 3 .
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IV. Die Aufgabe des Gesetzes und das Evangelium
Wenngleich das Gesetz erklärtermaßen zur Rechtfertigung nicht notwendig, sondern sogar „inutilis et impossibilis" 1 ist, hat es doch eine unverzichtbare Aufgabe. Als leitendes Motiv für eine Lehre vom Gesetz muß der unmittelbare Bezug zum Evangelium und die Ausrichtung dorthin genannt werden. Es geht nicht um eine Lehre des Gesetzes um dessen selbst willen, sondern - um mit Worten Luthers zu reden - „wenn das Gesetz abgeschafft wird, dann kann man nicht mehr wissen, wer Christus ist, was er getan hat, da er für uns das Gesetz erfüllte." 2 Klarheit über den Sinn und die Aufgabe des Gesetzes führt zu einem besseren Verständnis des Evangeliums, der Rechtfertigung und der Christologie, wie umgekehrt das Gesetz nur vom Evangelium her recht erkannt wird. 3 Iwand entfaltet sein Gesetzesverständnis vor allem in der Vorlesung über Gesetz und Evangelium von 1937 und in seiner Lutherstudie „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre" von 19414, so daß insbesondere von diesen Schriften aus die Aufgabe des Gesetzes und anschließend das Wesen des Evangeliums in Iwands Verständnis erkennbar wird.
1
Luther in seiner ersten Disputation gegen die Antinomer 1537, WA 39/1, 382,2f. Luther in seiner fünften Disputation gegen die Antinomer 1538, These 61, WA 39/1, 357,19f: „Nam si lex tollitur, nescitur, quid Christus sit aut fecit, dum pro nobis legem implevit." (Übersetzung nach Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 63). Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 13. 3 Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 20: „Das Evangelium macht den Sinn des Gesetzes deutlich und erweist sich darin als Evangelium..." 4 Zu dieser Lutherstudie bemerken Lempp/Thaidigsmann im Blick auf die Lehre vom Gesetz zutreffend: „Die Lehre vom Gesetz ist (also) gegenüber der früheren Schrift [Rechtfertigungslehre und Christusglaube, R.M.] das entscheidend, gerade auch christologisch entscheidend Neue." Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 57. Im Blick auf die Verkündigung ist der Aufsatz Iwands über „Die Predigt des Gesetzes" von 1934 bedeutsam (GA II, 145-170). 2
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1. Der „eigentliche" Brauch des Gesetzes - der usus elenchticus legis5
Wenn Iwand vom Sinn und der Aufgabe des Gesetzes redet, denkt er an das Gesetz in seinem „eigentlichen" Brauch, und das ist für ihn mit Luther der usus elenchticus legis. In dieser sündenaufdeckenden und zu Christus fuhrenden Funktion sieht Iwand mit dem Reformator den zentralen Sinn des Gesetzes.6 Der Sinn des Gesetzes kann nur von seinem Ende und Ziel, seinem τέλος her verstanden werden, womit gesagt ist, daß es erst vom Evangelium, von Jesus Christus her erkannt wird.7 Es gibt demgegenüber ein allgemeines Verständnis des Gesetzes, das nach Iwand das philosophische ist. Danach hat es die Tat, das Werk des Menschen zum Ziel und ist auch erfüllbar. Es ist unbestreitbar, daß das Gesetz das Tun fordert, aber der entscheidende Fehler in diesem natürlichen Verständnis liegt in der Sicht des Menschen. Die Illusion dieses Gesetzesverständnisses liegt darin, daß hier die Meinung besteht: Wenn das Gesetz etwas fordert, muß es auch erfüllbar sein. Die klassische Formulierung Immanuel Kants „Du kannst, denn du sollst!"8 bringt diesen Sachverhalt zum Ausdruck. „Die Freiheit des Menschen ist ein Postulat, das notwendig ist, wenn das Gesetz nicht sinnlos werden soll."9 Nach Iwand verfallen Theologen und Philosophen gleichermaßen auf den „Trugschluß, daß der Imperativ den Indikativ, das ,Du sollst' das ,Du kannst' in sich schon impliziere."10 Der Sinn des göttlichen Gesetzes enthüllt sich nicht im theoretischen Auslegen und Deuten, sondern erst unter der Verkündigung des Wortes Gottes, wenn Gott durch seinen Geist den Sinn des Gesetzes offenbart. Der νόμος muß in den λόγος, in das Wort Gottes gefaßt sein, damit der Sinn des Gesetzes enthüllt wird - erst in der Predigt des Gesetzes wird der Sinn des Gesetzes offenbar. Wo in der Verkündigung „das Evangelium den Sinn des Gesetzes deutlich macht, da ist
5
Vgl. für das folgende Iwand, GuE (1937), NW 4, 20-30. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 34-56. 7 Vgl. a.a.O. 20; Iwand, Predigt, GA II, 150. 8 Zitert nach Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 67. Vgl. die Belegstelle für das Zitat Kants ebd. Anm. 110. Iwand verwendet dieses Zitat häufiger - auch positiv für das Leben des Gläubigen, wo die Forderung kraft des Geistes Gottes erfüllbar wird, „... nur daß das Können, das hier offenbar wird, mir selbst unbegreiflich, mir selbst ein Wunder ist." Iwand, Predigt, GA II, 166. 9 Iwand, Erläuterungen, 290 (zur Auseinandersetzung Luthers mit Erasmus). 10 Iwand, Freiheit, GA I, 260. 6
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der Tag des Heils." 11 Durch die Predigt des Gesetzes kann es geschehen, daß der Mensch sich als Sünder erkennt und Gott in seinem Urteil über ihn recht gibt. Der Sinn, das Ziel des Gesetzes ist theologisch nicht die Tat des Menschen, sondern dessen Umkehr, die Buße. „Die Sinnesänderung des Menschen, sie ist der Sinn des Gesetzes, die metanoia." 12 Die Sinnesänderung besteht darin, daß die Täuschung des Menschen über sich selbst, daß er frei und zum Tun des Guten fähig sei, aufgehoben wird. Diese Enttäuschung deckt ihm sein wahres Sein auf und fuhrt ihn zur Sündenerkenntnis und darin zur Selbst- und Gotteserkenntnis. Darin liegt die Aufgabe und das Ziel des Gesetzes.
1.1 Das Gesetz wirkt Erkenntnis der Sünde 13 Wo Gott den Menschen im Gesetz anredet, fuhrt er ihn durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde, genauer in die Erkenntnis der Sünde coram deo und damit in das Sündenbekenntnis vor Gott. Daß der Mensch durch das Gesetz zur Sündenerkenntnis und damit zur Erkenntnis dessen, wer er vor Gott ist, kommt, ist aber alles andere als selbstverständlich. Es gibt auch eine Sündenerkenntnis, die nicht am Wort Gottes entsteht, die Iwand im Unterschied zur Sündenerkenntnis durch das Gesetz das „moralische Schuldbewußtsein" 14 nennt. In beiden Fällen kommt es durch die jeweilige Art der Sündenerkenntnis zur Verzweiflung des Menschen. Bei diesem moralischen Schuldbewußtsein oder der „natürlichen Sündenerkenntnis" wird der Mensch vom Gewissen verklagt und vergleicht sich, wie er ist, mit dem Menschen, der er sein möchte. Er erkennt sein Ausgeliefertsein an die Sünde, sieht aber keinen Ausweg. Er verfällt der Verzweiflung, die nichts anderes ist als „Selbsterkenntnis ohne Glaube - oder wie ich am liebsten sagen würde - Selbsterkenntnis am Unrechten Ort, nämlich im Gewissen, nicht im Gericht Gottes, in sich selbst, nicht unter dem Kreuz." 15 Die durch Gottes Gesetz gewirkte Sündenerkenntnis ist Erkenntnis der Sünde nicht im Gewissen, sondern coram deo.16 Sündenerkenntnis aus dem 11
Iwand, GuE (1937), NW 4, 20. Dazu s.u. Teil 3.11.2 Die Predigt des Gesetzes, 239ff. Iwand, GuE (1937), NW 4, 22. 13 Vgl. dazu vor allem a.a.O. 34-56 („III. Gesetz und Sündenerkenntnis"). 14 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 30; vgl. a.a.O. 37. Vgl. dazu bereits ders., RuC, 88-93 („Die beiden Möglichkeiten der Verzweiflung"). Vgl. R. Hermann, Zur Bedeutung der lex, ihres Unvermögens und dennoch Bleibens, nach Luthers Antinomerthesen, in: ders., Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und der Reformation, Göttingen 1960, 482f. 15 Iwand, Bedeutung, GA I, 24. Vgl. 2.Kor 7,10, wo Paulus die Traurigkeit, die Gott wirkt und die zur Umkehr fuhrt, der Traurigkeit, die die Welt wirkt, gegenüberstellt, die den Tod mit sich bringt: ή γαρ κατά β ε ό ν λύπη μετάνοια ν εις σωτηρίαν άμεταμέλητον εργάζεται' ή δε τοϋ κόσμου λύπη θ ά ν α τ ο ν κατεργάζεται. 16 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 35. 12
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Gesetz Gottes bedeutet, daß der Mensch in dieser Erkenntnis nicht mit sich allein ist, weil er vor Gott steht. Das Ziel des göttlichen Gesetzes liegt nicht in der Verzweiflung, sondern in Christus.17 Dort kommt es nicht nur zur Erkenntnis, sondern auch zum Bekenntnis der Sünde, „und das ist ein Bekenntnis vor Gott - und zwar vor ihm allein. Tibi soli peccavi!"18 Darin gibt der Mensch dem Urteil Gottes über ihn recht und erkennt, daß er Christus braucht.19 Daß der Mensch durch das Gesetz nicht nur zu einem moralischen Schuldbewußtsein, sondern zur Erkenntnis der Sünde vor Gott kommt, liegt allein in Gottes Macht und ist „die Gabe des Geistes Gottes ... Durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde kommen, heißt, zum Heil kommen"20. Wo das Gesetz in dieser Heilsbedeutung verstanden wird, nennt Iwand es wie in der Heiligung ein geistliches Gesetz, „lex spiritualis"21, weil durch das Gesetz in der Kraft des Heiligen Geistes Erkenntnis der Sünde geschenkt wird. Die Erkenntnis, daß nur durch Gottes Geist das Gesetz zur Sündenerkenntnis führt, bedeutet weiterhin, daß das Gesetz notwendig in die Offenbarung Gottes hineingehört und ihr nicht vorgeordnet werden darf. Daraus ergibt sich, daß Sünde nur durch Offenbarung erkannt werden kann, indem Gott durch sein Gesetz in der Kraft des Heiligen Geistes Sündenerkenntnis wirkt. Der Mensch erkennt durch das Gesetz, daß er auch im besten Tun angewiesen ist auf das Erbarmen Gottes, weil er das Gute - selbst wenn er es tut - nicht aus seinem eigenen Gut-Sein heraus tut, sondern weil es im Gesetz gefordert ist. Diese Erkenntnis gewinnt der Mensch wie gesagt nicht aus sich selbst. „Beides, Erkenntnis der Sünde und der Gnade ist eine Offenbarung Gottes, und wenn das Wort Gottes Gesetz und Evangelium ist, dann heißt das: Gott offenbart durch sein Wort Sünde und Gnade."22 Sündenerkenntnis ist nicht die Erkenntnis, daß Sünde da ist, daß der Mensch Sünde an sich hat und tut, sondern ist die Erkenntnis, an die Macht der Sünde ausgeliefert zu sein. Es ist die Erkenntnis, daß die Sünde ihn besitzt, er unter die Sünde verkauft ist und nicht die Freiheit hat, die Sünde zu tun oder zu lassen. Damit erteilt Iwand dem Gedanken der sittlichen Persönlichkeit, für den der freie Wille des Menschen grundlegend ist, eine deutliche Absage. Die Macht der Sünde besagt, daß der Mensch nicht die Freiheit hat, die Richtung seines Willens zu ändern. Als Sünder will er nicht das Gesetz halten, den Willen Gottes tun, und der Widerstand gegen Gottes 17 Vgl. a.a.O. 52. Vgl. auch Iwand, Predigt, GA II, 155: „Es gilt, mit aller theologischen Strenge darauf zu achten, daß nur in dieser Bezogenheit auf die Geschichte und das Kreuz Christi das Gesetz der Weg zur Selbsterkenntnis ist. Alle unmittelbare Selbsterkenntnis ist Trug und Täuschung". 18 Iwand, Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen. Antwort auf W. Hauers „Deutsche Gottschau", EvTh 2, 1935, 173 [Wir wandeln im Glauben, EvTh 2, 1935], 19 Zum Ineinander von Rechtfertigung und Gebet s.u. 116. 20 Iwand, GuE (1937), NW 4, 36. 21 A.a.O. 37; vgl. Iwand., Freiheit, GA I, 260-263, bes. 263. 22 Iwand, GuE (1937), NW 4 , 4 1 .
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Willen ist der Ausdruck seiner Feindschaft gegen Gott. Die Erkenntnis der Sünde ist die Erkenntnis: „Du willst Gott nicht." 23 Der Prüfstein, inwieweit ein Mensch Gott gelten läßt, ist das Halten oder Nichthalten der Gebote, weil daran sichtbar wird, ob Gott im Leben des Menschen im Hier und Jetzt eine Macht ist oder nicht. Das Nichthalten der Gebote ist die Leugnung Gottes, die „annihilatio dei" 24 , die Zu-nichts-Erklärung Gottes, indem die Machtsphäre Gottes vom Leben ins Jenseits verlegt wird. Das ist der Unglaube, der dadurch charakterisiert ist, daß er „die faktische, nicht nur rhetorische Leugnung Gottes" 25 darstellt. Selbst bei einer theoretischen Anerkennung Gottes spielt Gott dann im Leben keine Rolle und hat dort kein Recht. „Das Gesetz macht offenbar, nicht nur, daß Sünde ist, sondern was Sünde ist: Annihilatio dei, daß es um die Verneinung der Wirklichkeit Gottes geht. ... So ist das Gesetz immer bezogen auf das erste Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott, bin auch in deinem Leben, was ich in mir selber bin." 26
Wo aber Gottes Urteil recht gegeben wird - gegen sich selbst da ist das erste Gebot erfüllt. „Denn so Gott hinnehmen, das heißt ihn gelten lassen als meinen Herrn." 27
1.2 Das Gesetz wirkt Selbst- und Gotteserkenntnis Handelt es sich bei der Erkenntnis der Sünde letztlich um die Erkenntnis der Macht der Sünde, die den Menschen beherrscht, so ist damit deutlich geworden, daß es um mehr geht als um die Erkenntnis einzelner Tatsünden. Das Gesetz führt nicht nur zur Erkenntnis der Macht der Sünde, sondern auch zur Selbsterkenntnis des Menschen. Unter dem Gesetz wird dem Menschen offenbar, daß er sein Ich nicht von der Sünde trennen kann, sondern daß beide zusammenfallen. Die Sünde ist nicht etwas am Menschen, sondern mit dem Menschen unlöslich verbunden: „... so innig wie die Einheit von Leben und Ich, so innig ist auch die von Ich und Sünde." 28 Bei der Selbsterkenntnis trifft die Sünde mit dem Menschen selbst zusammen. „In der cognitio sui wird ein allgemeines Faktum, das der Sünde, mit dem Possessivpronomen ,Mein' versehen." 29 Das von der Sünde bestimmte Ich steht in Feindschaft gegen Gott und will von ihm frei sein, will sich selbst zum Maß aller Dinge setzen. 23 24 25 26 27 28 29
A.a.O. 44. Ebd.; vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 23-27. Iwand, Leben und Lehre, 9. Iwand, GuE (1937), NW 4, 47. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 25. A.a.O. 74. Iwand, RuC, 86.
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1.2.1 Peccatum originale Die durch das Gesetz offenbarte Sünde, die in Einheit mit dem Ich des Menschen steht und somit Selbsterkenntnis des Menschen ist, nennt Iwand das peccatum originale, die Erbsünde. Iwand nimmt diesen traditionellen Begriff auf und erläutert ihn im Anschluß an Luther.30 Die mit dem Begriff der Erbsünde verbundene Meinung, es handle sich um eine böse Erbschaft, für die man aber nicht selbst verantwortlich sei, lehnt Iwand strikt ab. Beim peccatum originale geht es um den Ursprung der Sünde, um „Sünde in ihrem ursprünglichen Sein"31, die vom Menschen nicht zu trennen ist, für die er aber verantwortlich ist. In der Lehre vom peccatum originale findet Iwand den Ansatz für die theologische Anthropologie, da der Mensch damit schon immer als Sünder qualifiziert ist und nicht abgesehen davon erkannt werden kann - genausowenig, wie es in der Theologie um die Erkenntnis Gottes „an sich" gehen kann, sondern vielmehr im Gegenüber zum sündigen Menschen um den rechtfertigenden Gott, wie Luther die Theologie definiert: „Nam Theologiae proprium subiectum est homo peccati reus ac perditus et Deus iustificans ac salvator hominis peccatoris."32 Beim peccatum originale wird nach dem Ursprung aller peccata actualia, der Tatsünden, gefragt. Die Sünde in ihrem Wesen kann nicht durch die peccata actualia erkannt werden, sie ist nicht die Summe der Tatsünden. Wäre das der Fall, dann gehörte die Sünde nicht mit dem Ich des Menschen zusammen, sondern wäre in Gestalt der einzelnen Tatsünden nur ein Mangel, ein accidens zum Menschen. Es ist fur Iwand wie für Luther aber nicht so, daß der Mensch erst durch die Tatsünden, die peccata actualia, zum Sünder wird, sondern der Grundsatz lautet: „Das Sünder-Sein geht allem Sünde-Tun voraus."33 Das böse Tun ist nicht etwas, wodurch erst die Sünde in das Leben hineinkommt, sondern die Taten sind als gute und böse Taten
30 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 7 5 - 8 2 ; ders., Sed originale, GA II, 1 7 1 197. Vgl. auch die Behandlung dieser Frage bei Krüger, Versöhnt, 3 0 - 3 7 , und Walther Matthias, Zum Begriff „Sünde" - der unvollkommene, sündige Mensch, in: Disputation zwischen Christen und Marxisten, hg.v. Martin Stöhr, München 1966, 154-161. 31 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 76. Vgl. ders., Leben und Lehre, 19f und ders., Sed originale, GA II, 173, w o Iwand daraufhinweist, daß im allgemeinen der Gedanke der Erbsünde „als ein Kausalnexus zwischen Schuld und Schicksal" dargestellt wird (Hervorhebung im Original). 32 WA 40/11, 328,17f; vgl. Iwand, Leben und Lehre, 21 f. Vgl. dazu Oswald Bayer, der entsprechend der Intention Iwands betont, daß „die Verbaladjektive (sündigender Mensch und rechtfertigender Gott) nicht als akzidentelle, sondern als essentielle .Adjektive' zu nehmen [sind, R.M.]. Der Mensch ist danach, streng theologisch bedacht, wesentlich der, der von Gott angeklagt und freigesprochen wird. Umgekehrt ist Gott im entscheidenden der, der den Menschen anklagt und freispricht." Bayer, Theologie, 409 (Hervorhebungen im Original). 33 Iwand, Leben und Lehre, 19. Vgl. Luther, ASm („Von der Sunde"), BSLK 433^135.
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Früchte des Glaubens oder der Sünde. 34 Die peccata actualia sind nur Folge des peccatum originale, das Iwand in Aufnahme der Gedanken Luthers nicht dem Teufel, sondern dem Menschen zuschreibt. „Im Menschen liegt die Antwort nach der origo peccati, im Menschen, nicht im Teufel." 35 Wenn das Sünder-Sein dem Sünde-Tun vorausgeht und das Tun als Frucht des Seins beschrieben werden muß, gehört zum richtigen Verständnis der Sünde für Iwand notwendigerweise die Anerkennung der Unfreiheit des menschlichen Willens hinzu: „Solange der Satz v o m unfreien Willen nicht zu den unentbehrlichen Elementen protestantischer Lehrbildung gehört, solange wir noch die Freiheit des Christen mit der Freiheit der auf sich selbst gestellten Persönlichkeit v e r w e c h s e l n , kann das, w a s Luther über Sünde und Sünder-Sein zu sagen hatte, nicht als anerkannt gelten." 3 6
Die Unfreiheit des menschlichen Willens besagt, daß aufgrund des Sünder-Seins der Mensch von der Macht der Sünde bestimmt ist und notwendig sündigen muß, ohne sich dieser Notwendigkeit bewußt zu sein. Die peccata actualia stehen also nicht in der Beliebigkeit der menschlichen Entscheidung, sondern sind zwangsläufige Folge des Sünder-Seins. Die sündigen Taten verweisen auf ihren Ursprung, auf das Schuldig-Sein des Menschen, auf das peccatum originale. Weil das peccatum originale auf den Menschen und nicht auf den Teufel zurückgeführt wird, ist der Mensch für seine Taten verantwortlich, auch wenn sie als Folge des Sünder-Seins nicht zufällig, sondern notwendig geschehen. 1.2.2 Ineinander von Selbst- und
Gotteserkenntnis
Diese Selbsterkenntnis des Menschen als Erkenntnis, daß er in seinem Selbst ein Sünder und für das peccatum originale verantwortlich ist, gewinnt er nicht aus sich selbst, sondern in der Begegnung mit dem lebendigen Gott. „Sündenerkenntnis ist also ein geistlicher Vorgang. Er ist gar nicht zu denken als Monolog, er ist vielmehr das Wahrwerden des Menschen vor Gott." 37 Selbsterkenntnis ist nicht empirisch möglich, sondern nur aus der Offenbarung Gottes, weil der Mensch als Sünder Gegenstand dieser Erkenntnis ist. „Dieser homo ist Gegenstand der cognitio sui; wenn der Mensch an Gottes Urteil erkennt, daß für ihn Mensch-Sein Sünder-Sein bedeutet, dann erkennt er sich selbst." 38 Und umgekehrt gilt auch: „Indem Gott offenbart,
34
Vgl. Iwand, Leben und Lehre, 18f. Iwand, Sed originale, GA II, 187. 36 Iwand, Leben und Lehre, 17. 37 Iwand, Sed originale, GA II, 189. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 31, wo er den Gedanken ablehnt, daß die Selbsterkenntnis der Gotteserkenntnis voranzugehen habe. Selbsterkenntnis ist schon eingeschlossen in den Glauben. 38 Iwand, RuC, 86. 35
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wer er ist, offenbart er auch dem Menschen, wie es um ihn steht."39 Selbsterkenntnis geschieht dort, wo der Mensch sich coram deo als Sünder erkennt, und insofern gehören Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis unmittelbar zusammen.40 Wo der Mensch sich durch das Gesetz selbst wahrhaft als Sünder und Gott als gerecht erkennt, gibt er dem Urteil Gottes recht - und wird von Gott gerade nicht verdammt, sondern aus Gottes Gnade gerechtgesprochen.41 Es geht darum, „den sündigen Menschen und den gerechten Gott in eins zu setzen, also daß in einem Leben Gerechtigkeit und Sünde beschlossen sind ,.."42, so daß der Mensch sündig und gerecht zugleich ist.
1.3 Das Gesetz in der Rechtfertigung und Christologie „ D i e Erkenntnis der S ü n d e durch das G e s e t z ist die K e h r s e i t e d e s G l a u b e n s an Christus; denn i n d e m ich die S ü n d e erkenne, g e b e ich Gott recht in Christus. A l s o ist d i e durch das G e s e t z g e w i r k t e Sündenerkenntnis die R e c h t f e r t i g u n g G o t t e s v o n m i r aus und in mir." 4 3
Mit dieser These grenzt Iwand sich gegen ein bis hierher mögliches Verständnis ab, als wäre die Sündenerkenntnis coram deo der erste Schritt, ein Vorstadium, und der Glaube an Gott durch das Evangelium der zweite Schritt in der Rechtfertigung.44 Die Abfolge von Sündenerkenntnis durch das Gesetz und den tröstenden Zuspruch des Evangeliums versteht Iwand als ein „Nacheinander des Psychologischen"45, aus dem man aber kein theologisches Nacheinander machen darf. Es wird nicht geleugnet, daß psychologisch, im Erleben des Menschen, die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium gegeben ist, wobei zuerst die Sündenerkenntnis durch das Gesetz geschieht und dann der Zuspruch der Gnade empfangen wird. Theologisch verhält es sich aber so, daß dort, wo der Mensch sich als Sünder erkennt und Gott in seinem Urteil recht gibt, er bereits in Gottes Hand ist und so Gesetz und Evangelium ineinandergreifen.46 Sünde und Gnade sind nicht 39
Iwand, Leben und Lehre, 7. Vgl. Iwand, RuC, 86: „... agnitio dei und cognitio sui sind korrelativ aufeinander bezogen. Selbsterkenntnis ist ein Offenbarungsbegriff." Vgl. ders., Leben und Lehre, 21: „Unter dem Mantel der Sünde naht Gott dem Menschen - hier allein will er sich finden lassen." 40
41 Vgl. Iwand, Sed originale, GA II, 191. Dem Gegensatz von sündigem Menschen und rechtfertigendem Gott entspricht der Gegensatz von Fleisch und Geist; vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 140-165. 42 Iwand, Leben und Lehre, 22. 43 Iwand, GuE (1937), N W 4 , 4 7 . 44 Vgl. a.a.O. 31 f.47f. 45 A.a.O. 48. 46 Vgl. a.a.O. 24f. Ähnlich auch in PM 1,459: „Zwischen dem Nein und dem Ja, der Sündenerkenntnis und dem Gehorsam zur Tat, mag psychologisch ein Raum sein, theologisch aber
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nacheinander, sondern zugleich da, „weil der Glaubende aus Gott immer zugleich beides lernt: daß er verloren ist und daß ihm darum gerade Gott nahe ist." 47 Dieser Zusammenhang von der Sündenerkenntnis und gnädiger Zuwendung Gottes zum Menschen findet sich bei Luther in der Römerbriefvorlesung, wo er sagt, Gott sei „im höchsten Maße veränderlich, je nachdem der Mensch beschaffen sei, der über Gott urteilt" 48 . Luther stützt sich auf das Bibelwort aus Psalm 18,27: „Gegen die Reinen bist du rein, und gegen die Verkehrten bist du verkehrt." Gegen den naheliegenden Vorwurf, daß dadurch „der rechtfertigende Gott zu einer gedanklichen Setzung des menschlichen Ichs" 49 wird, ist Luther davor geschützt, daß der Glaube nicht mit beliebigem Inhalt gefüllt werden kann, sondern als „fides Jesu Christi" bestimmt ist. 1.3.1 Deum iustißcare - Gott recht geben In der Rechtfertigung geht es um zwei Aspekte: 1. die Rechtfertigung des Menschen vor Gott und 2. die Rechtfertigung Gottes im Menschen. 50 Während die Rechtfertigung des Menschen vor Gott ganz ins Evangelium gehört 51 , ist der zweite Aspekt dort Realität, wo der Mensch - vom Gesetz seiner Sünde überfuhrt - Gott recht gibt, sein Urteil gelten läßt, das gegen das Urteil des Menschen über sich selbst steht.52 In dem „Gott-recht-Geben" sieht Iwand den formalen Begriff der iustitia dei, bei dem der Mensch mit dem Urteil Gottes über ihn übereinstimmt, so daß eine „Gleichzeitigkeit von Urteilsspruch [Gottes, R.M.] und Urteilsannahme" 53 durch den Menschen ist keiner, wenn anders es derselbe Geist Gottes ist, der tötet und lebendig macht!" (Hervorhebungen im Original). Vgl. schon Rudolf Hermann, Das Verhältnis von Rechtfertigung und Gebet nach Luthers Auslegung von Röm. 3 in der Römerbriefvorlesung (1925), in: ders., Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und der Reformation, Göttingen 1960, 23: „Wenn Buße und Rechtfertigung als voneinander ablösbar erscheinen, so hat das zunächst seinen Grund darin, daß in der Entwicklung des Menschen zeitlich auseinandertreten kann, was sachlich zusammengehört." 47 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 40. 48 WA 56, 234,4: „Qualis est enim unusquisque in seipso, talis est ei Deus in obiecto". Übersetzung nach Hermann, Rechtfertigung und Gebet, 14. 49 Hermann, Rechtfertigung und Gebet, 15; vgl. Slenczka, Art. Glaube VI. Reformation. Neuzeit/Systematisch-theologisch, TRE 13, 1984,323f. 50 Vgl. dazu das erste Kapitel bei Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 2Iff. 51 S.u. Teil 1.IV.4 Das Evangelium, 134ff. 52 Vgl. Iwand, Wir wandeln im Glauben, EvTh 2, 1935, 176; vgl. dazu die Ausführungen von Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 48-60, die den Hintergrund des Verständnisses von „Gott recht geben" bei Iwand herausarbeiten und dabei Bezüge zu Friedrich Loofs entdecken. Vgl. den eigenen Hinweis Iwands auf Loofs, RuC, 25, Anm. 4, und bereits Iwands Lehrer Hermann, Rechtfertigung und Gebet, 16-18, Anm. 14, wo er die Erkenntnisse von Loofs wiedergibt. 53 Iwand, RuC, 26.
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gegeben ist. Gottes Urteil, das im Wort des Gesetzes über den Menschen ergeht, verlangt beim Menschen Anerkennung. Wie im vorangegangenen Abschnitt über die Sündenerkenntnis durch das Gesetz gezeigt wurde, trifft das Wort Gottes den Menschen als Gegner Gottes, der sich ein eigenes Bild von Gott macht und den wirklichen Gott leugnet („annihilatio dei").54 Das eigene Urteil des Menschen steht gegen das Urteil Gottes über ihn, so daß der, der Gott in seinem Urteil recht gibt, gleichzeitig sich selbst in seinem bisherigen Urteil über sich nicht recht gibt und dieses als Fehlurteil erkennt.55 „Den Willen Gottes im Gesetz anerkennen, sich als einen Sünder erkennen, das heißt Gott rechtfertigen, deum iustificare. Damit gebe ich dem Gott recht, der Jesus in die Welt gesandt hat, damit, was dem Gesetz unmöglich war, geschehe." 56
Voraussetzung dafür, daß der Mensch Gott in seinem Urteil recht geben kann, ist, daß Gott sich dem Menschen durch sein Wort vorher offenbart „als der fordernde und mich begnadigende Gott"57, und insofern sich offenbart in Gesetz und Evangelium. 1.3.2 „Pro me"58 Die besondere Aufgabe des Gesetzes in der Rechtfertigung besteht in der Erkenntnis, daß die Tat Gottes in Christus, die extra nos für den Sünder geschehen ist, auch mir gilt, pro me, da es durch das Gesetz zur persönlichen Sündenerkenntnis kommt, die über die Allgemeinheit der Sünde hinausgeht. Das Gesetz ruft den Menschen bei seinen Taten und damit den einzelnen persönlich. „Was das für ein Mensch ist, dem die Erlösung in Jesus Christus gilt, das stellt das Gesetz heraus.... Das Gesetz bringt dem Glauben an Jesus Christus die Beziehung auf mich; durch das Gesetz kommt in den Glauben dies eine Moment hinein: ,tua res agitur'." 59
Durch das Gesetz erkennt der Mensch, daß das Gericht, das Christus erleidet, eigentlich ihm gilt und Christus es für ihn trägt. Dieses „für dich" ist hier gleichbedeutend mit „an deiner Statt": Das Gericht wird stellvertretend für den sündigen Menschen an Jesus Christus vollzogen.60 Durch das Gesetz wird das pro nobis, pro me dieses Geschehens erkannt. Aufgrund des Gesetzes muß der Mensch nicht erst nachträglich den Kreuzestod Jesu auf sich und sein Leben beziehen, sondern „Gott bezieht durch das Gesetz auf uns, 54 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 23f; Lempp/Thaidigsmann, tigkeit, 50. 55 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 24. 56 Iwand, GuE (1937), N W 4, 48. 57 Ebd. 58 Vgl. dazu Hertog, Erkenntnis, 3 8 1 - 3 8 6 ; Krüger, Versöhnt, 2 5 - 2 9 . 59 Iwand, GuE (1937), N W 4,49. 60 Vgl. Iwand, Evangelium, N W 4, 446.
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Gottes Gerech-
was in Christus geschieht." 61 Die Vergebung, das Evangelium, kann der Mensch erst dann richtig hören und verstehen, wenn er vorher unter das Gesetz gestellt wurde, wo das Gebot Gottes Geltung im Leben gewinnt und den Menschen dadurch zum Sünder macht, der die Gnade in Christus braucht. Daß der Mensch das Wort Gottes als Wort pro me hört und sich damit unter das Gebot Gottes stellt, ist keine Tat des Menschen, sondern Handeln Gottes am Menschen durch den Heiligen Geist. 62 So wie das Gesetz die Erkenntnis des pro me schenkt, so gehört das pro me inhaltlich hinein in das Evangelium von Jesus Christus, der das Heil extra me und pro me erworben hat. Weil sein Sühnetod nicht fur sich selbst geschieht, sondern stellvertretend für die von Gott abgefallene Welt und damit pro nobis, darum gehört das pro me in die Christologie. Iwand betont, daß das Kreuzesgeschehen nur darum pro me gilt, weil Christus für die ganze Welt im Gehorsam gegen Gottes Willen den Tod am Kreuz auf sich genommen hat.63 Dieses Geschehen „... gilt nicht nur ,pro me', sondern es gilt zunächst und wahrhaft pro se, es gilt vor Gott und durch Gott, und darum auch... für uns!" 64 Das pro me darf nicht existentialistisch-subjektivistisch als methodisches Prinzip mißbraucht werden, wie es nach Iwand seit Immanuel Kants Unterscheidung zweier Erkenntnisarten der Fall ist, „... v o n d e n e n die e i n e , m i c h ' als Person nichts angeht und darum o b j e k t i v e , a u c h m e t a p h y s i s c h e Erkenntnis genannt wird, während die andere d i e E x i s t e n z d e s M e n s c h e n betrifft und m i c h im subjektiven S i n n e als Subjekt m e i n e r selbst v o r d i e G o t t e s frage stellt" 6 5 .
Bei diesem Verständnis des pro me, zu dessen Vertretern für Iwand in diesem Jahrhundert Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann gehören, werden die biblisch-theologischen Aussagen auf die Frage eingeengt, was sie „für mich" in meiner Existenz bedeuten, so daß es davon losgelöste
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Iwand, GuE (1937), N W 4, 49; vgl. ders., Evangelium, N W 4, 445^150. Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 50. Für die Predigt mahnt Iwand, daß man die Gnade Gottes nicht verkündigen kann, wenn man das Gesetz nicht ernstnimmt und verkündigt. „Geben wir das Gesetz preis, dann sind wir nur noch Schwätzer auf der Kanzel." A.a.O. 51. 63 Vgl. Iwand, Wider den Mißbrauch des pro me als methodisches Prinzip in der Theologie, ThLZ 1954, 4 5 7 [Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 1954], wo er aus Luthers Disputation „De fide" u.a. These 18 und 19 zitiert: „These 18: Vera fides dicit: Credo quidem filium Dei passum et resuscitatum, sed hoc totum pro me, pro peccatis meis, de quo certus sum. These 19: Est enim pro totius mundi peccatis mortuus. At certissimum est, me esse partem aliquam mundi, ergo certissimum est, pro meis quoque peccatis mortuum esse." WA 39/11, 4 4 , 3 3 - 3 7 . 64 Iwand, PM I, 548. 65 Iwand, Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 1954, 453. Vgl. Η er tog, Erkenntnis, 356, der über das Verständnis des pro me bei Bultmann schreibt: „Damit ist auch eine Entscheidung über den Charakter der dogmatischen Aussagen gefallen: sie sind der Ethik untergeordnet und anthropologisch eingeengt. Nicht ,Es ist gewiß' - , sondern: ,Ich bin mir moralisch sicher'." 62
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„objektive" Glaubenswahrheiten nicht mehr geben kann und geben muß.66 Dagegen stellt Iwand die These, daß das pro me „... untrennbar hineingehört in die Erwählung und Rechtfertigung, die uns von Gott in Jesus Christus widerfährt, daß das hier angesprochene ,Ich' nicht dasselbe Ich ist, welches wir im Bereiche der praktischen Vernunft antreffen, sondern das Ich der Erwählung Gottes, welches in der Geschichte Jesu Christi verborgen und festgelegt darauf harrt, von mir ergriffen und zum Zentrum meiner selbst im Glauben gemacht zu werden. ... Wo immer das pro me sich also nicht mit der anderen reformatorischen Formel,extra me = i.e. in Christo' auf einen Nenner bringen läßt, da ist es um seinen theologischen oder vielleicht darf man auch sagen, um seinen christologischen Inhalt gebracht." 67
Somit ist das pro me als Ziel des Werkes Jesu Christi untrennbar mit dem extra me verbunden. In dem pro me des Werkes Christi bin ich als Mensch schon dort in diese Versöhnungstat eingeschlossen, die ich im Glauben als für mich geschehen erkenne und ergreife.68 1.3.3 Das Gesetz als Zuchtmeister auf Christus Das Gesetz fuhrt nicht zur Erkenntnis der Sünde und ihrer Macht, damit wir an ihr verzweifeln, sondern - und darin liegt für Iwand letztlich die Heilsbedeutung des Gesetzes - um uns zu Christus zu fuhren. Insofern wirkt es als „Zuchtmeister auf Christus"69. Die Sündenerkenntnis im Gewissen führt in die Verzweiflung, aber die Sündenerkenntnis durch Gottes Gesetz treibt zu Christus. Wenn es durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde kommt, gibt der Mensch Gott in seinem Gesetz recht und erkennt seine Gebote als richtig an. Dort, wo es zur Sündenerkenntnis durch das Gesetz kommt, beginnt der Mensch Lust zu bekommen am Gesetz, möchte das Gesetz erfüllen.70 Gleichzeitig erkennt er sich als Sünder, der das Gebot nicht halten und 66
Vgl. Iwand, Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 1954, 453^155; ders., Wider den Mißbrauch, SGK.L 5, 1953, 205-212.333-336. 67 Iwand, Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 1954, 455; vgl a.a.O. 456: „Im pro me will diese göttliche Gerechtigkeit, die justitia coelestis auch in mir siegen und zu ihrer Anerkennung kommen, wie sie an sich - in Jesus Christus - je schon über die Sünde und den Tod gesiegt hat." Vgl. ders., Evangelium, NW 4, 443-450; Rom 4,25. 68 Vgl. Iwand, Wider den Mißbrauch, ThlZ 79, 1954, 458. In diesem Aufsatz nimmt Iwand (ebenso wie in: Evangelium, NW 4, 443ff) das pro me stärker in die Versöhnungstat Christi hinein als in der Vorlesung von 1937. Beide Seiten des pro me aber kommen in den genannten Schriften jeweils zur Sprache, wenn auch unterschiedlich akzentuiert. Vgl. auch Iwand, NW 5, 106. 69 Iwand, GuE (1937), NW 4, 51; vgl. Gal 3,24 (παιδαγωγός ... ε ί ς Χριστόν) und Iwands Predigtmeditation zu diesem Text (zu Gal 3,23-39) in PM I, 477-484. 70 Vgl. a.a.O. 28. Iwand redet dort von der Freude am Gesetz des Herrn, die da sein muß, um Buße tun zu können. Seine Gedanken von der Freude am Gesetz und auch von der Freude der Umkehr, der Buße, sind offenbar geprägt von den Arbeiten Julius Schniewinds; vgl. Schniewind, Geistliche Erneuerung, Göttingen 1981, 9.15.32.38.44 u.ö. (Freude der Buße), 40f (Freude am Gesetz). Wenn andererseits Schniewind von der Bekehrung als „... dem Urteil
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erfüllen kann, und er fragt, wo das Mittel liegt, um den Willen Gottes zu erfüllen. Bis zu diesem Punkt kann das Gesetz den Menschen fuhren, aber die Erfüllung des Gesetzes kann es nicht selbst bringen. Hier erkennt der Mensch, daß er Christus braucht, weil in ihm die Erfüllung des Gesetzes liegt, hier kommen Gesetz und Evangelium zusammen. „Der Mensch, der das Gebot Gottes ernst nimmt und auf sich bezieht und sich ernst nimmt und sieht, daß er es nicht tun kann, einem solchen Menschen sagt das Evangelium: Hier ist Christus. Ergreife den, dann bist du der, als den Gott dich will!" 7 1
Durch das Gesetz erkennt der Mensch die Macht der Sünde, die mächtiger ist als der Mensch, aber an der Macht der Sünde offenbart das Evangelium die Übermacht Gottes, weil Christus über die Macht der Sünde gesiegt und das Gesetz erfüllt hat. Hier wird die dem Evangelium dienende und zu ihm hinführende Funktion des Gesetzes deutlich: Das Gesetz offenbart die Macht der Sünde nur, um die noch größere Macht Gottes in der Versöhnungstat Christi zu offenbaren. Ohne die durch das Gesetz gewirkte Sündenerkenntnis kann der Mensch „niemals erkennen, was für eine Macht Gott hat."72 Der Weg der Erkenntnis von der Macht der Sünde zur Übermacht Gottes wird für Iwand in dem Übergang von Rom 7 zu Rom 8 ausgedrückt, vom Schrei nach der Erlösung hin zu der befreienden Erkenntnis, daß Gott in Jesus Christus über die Macht der Sünde gesiegt hat.73 Alle Aussagen zur Christologie haben diese Tat Christi, den Sieg der Macht Gottes über die Macht der Sünde, zum Inhalt. „Wenn ich dem nachgehe, wie Gott mächtig geworden ist über die Sünde, dann verstehe ich Christus, das heißt Christologie."74 War in den Ausführungen zum pro me die Bedeutung des Gesetzes für die Rechtfertigung erkennbar geworden, so wird hier deutlich, daß Gesetz und Evangelium für die Christologie unverzichtbar sind. In Gesetz und Evangelium wird die Macht der Sünde und die noch größere Macht Gottes über die Sünde offenbart. Ohne diese Offenbarung ist die Größe des Werkes Christi nicht zu verstehen. Wenn Iwand dann fortfährt, daß alle christologischen Aussagen letztlich zur Stärkung unseres Glaubens und unserer Zuversicht führen müssen, wird damit eine Christologie, die von dem Menschen, für den Christus gestorben und auferstanden ist, absieht, als nicht sachgemäß abgelehnt. Christus und sein Werk kann Gottes recht geben" (a.a.O. 70; vgl. 180 spricht, finden sich fast wörtliche Parallelen zu Iwands Formulierungen über die Rechtfertigung. Iwand und Schniewind haben sich durch ihre enge Verbindung seit der Königsberger Zeit gegenseitig beeinflußt; vgl. die Ausführungen von Sänger, Lehrer, 25-39. 71 Iwand, GuE (1937), NW 4, 52. 72 A.a.O. 53. 73 Vgl. ebd. 74 Ebd. Iwand verweist an dieser Stelle auf die Schrift von Anselm: Cur deus homo. „Hier wird erörtert, wie die Sünde Gott den Menschen raubt, und wie Gott nun der Sünde mächtig wird."
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man nicht erkennen, wenn man nicht selbst die Forderung des Gesetzes und den Zuspruch des Evangeliums erfahren hat. Wenn Gott in der Kraft des Heiligen Geistes den Menschen durch das Gesetz zur Erkenntnis der Macht der Sünde und im Evangelium zur Erkenntnis der Übermacht Gottes über die Sünde geführt hat, treibt das den Menschen ins Gebet. In dieser Erkenntnis sieht der Mensch seine Sünde, erkennt sich selbst als sündig und Gott als gerecht und fleht zu Gott, daß er ihm gnädig sei.75 Im Gebet bekennt der Mensch sich als Sünder , erklärt Gott als gerecht und bittet um seine Gnade. So vollzieht sich im Gebet die Rechtfertigung Gottes im Menschen als Anerkennung des göttlichen Urteils über ihn und die Rechtfertigung des Menschen durch Gott, indem Gott den Sünder gerechtspricht. Der „Sünder, der Buße tut, ist nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade."76 Im Gebet sind Gesetz und Evangelium, Sünde und Gnade so eng verbunden, daß die Verzweiflung über die Macht der Sünde hineingenommen wird in den Zuspruch des Evangeliums. Das Gesetz kommt dort zum Ziel, wo „niemand an sich selbst verzweifeln kann, ohne zugleich an Gott zu glauben, und niemand an Gott glauben kann, ohne an sich zu verzweifeln."77 In einer Predigt aus dem Jahr 1946 macht Iwand das Ineinander von Gebet und Rechtfertigung deutlich: „Hier, bei Jesus, brauchen wir einander nichts vorzumachen, hier dürfen wir bekennen, w i e leer und arm und tot wir sind in unserem Herzen, hier dürfen wir bitten um ein reines Herz und einen neuen g e w i s s e n Geist, hier wird der verlorene Sohn nicht a b g e w i e s e n , w e n n er ,in sich geht', und der Jünger nicht verurteilt, w e n n er bekennen muß, daß er seinen Herrn in der Stunde der A n f e c h t u n g verleugnet hat." 7 8
1.4 Die Grenze des Gesetzes Iwand faßt die Aufgabe und Funktion des Gesetzes im Sinne des usus elenchticus zusammen in der These: „Das Gesetz bringt Erkenntnis der Sünde und das Gesetz bringt Erkenntnis meiner selbst. Mehr kann es nicht, aber innerhalb dieser Grenzen liegt seine positive Leistung."79 Es ist für Iwand allerdings nicht von vornherein erwiesen, daß darin die Leistung des Gesetzes erschöpft ist. Könnte es nicht auch zum Tun des Guten fuhren, 75
Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 53; vgl. a.a.O. 152-154. A.a.O. 26. Vgl. zum Zusammenhang von Rechtfertigung und Gebet den grundlegenden Aufsatz „Das Verhältnis von Rechtfertigung und Gebet" von Rudolf Hermann, auf den Iwand mehrfach verweist (vgl. Iwand, RuC, 36, Anm. 4; a.a.O. 43, Anm. 2; ders., Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1567); vgl. Hermann, Luthers These, 289-301; SIenczka, Art. Glaube VI, TRE 13, 1984, 321 f. Zu Hermanns Verständnis des Zusammenhangs von Rechtfertigung und Gebet vgl. Heinrich Assel, Der andere Aufbruch, 377-395 („Zur Logik des Gebets"). 77 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 155. 78 Iwand, NW 3, 192. 79 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 73. 76
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könnte es nicht den Menschen zur Gerechtigkeit fuhren? Iwand weist auf zwei Grenzen hin, die dem Gesetz gegeben sind. Die erste Grenze besteht darin, daß es, um im positiven Sinn wirken zu können als Hilfe zum Tun, auf eine bestimmte Voraussetzung angewiesen ist. Diese Voraussetzung ist Leben, ist das Leben des Menschen in der Gemeinschaft mit Gott, ist die Erfüllung des ersten Gebotes. 80 Wo diese Voraussetzung gegeben ist, wo Leben in der Einheit mit Gott ist, da kann das Gesetz durchaus den Menschen leiten und ihn zum Tun des Guten fuhren. Die zweite Grenze des Gesetzes liegt in ihm selbst: es kann diese Voraussetzung nicht selbst schaffen, es kann nicht lebendig machend Von daher ergibt sich, daß alles auf die Voraussetzung des Gesetzes ankommt. Eine Lehre vom Gesetz kann insofern nie abstrakt entwickelt werden. Das Verständnis des Gesetzes und die Bewertung von dessen Möglichkeiten und Grenzen ergeben sich aus der Voraussetzung, die gegeben ist, da das Gesetz selbst die Voraussetzung nicht ändern kann. Ohne die Frage nach dem Menschen, auf den das Gesetz trifft, muß die Beurteilung des Gesetzes falsch ausfallen. Die Voraussetzung, auf die das Gesetz trifft, ist der sündige, der gefallene Mensch. 82 Durch die Lehre vom gefallenen Menschen wird die Lehre vom Gesetz bestimmt und die Grenze des Gesetzes erkannt. „Die Grenzen des Menschen bestimmen die Grenzen des Gesetzes. Weil nämlich der Mensch Gott verloren hat, kann das Gesetz ihn nicht zurückbringen zu Gott." 83 Die Lehre vom Fall des Menschen steht vor der Lehre vom Gesetz und begrenzt dadurch das Gesetz. Der Fehler des Idealismus liegt für Iwand darin, daß er den Menschen für gut hält und von daher „die Welt entwickelt aus der Herrlichkeit des Gesetzes." 84 Dort wird der Mensch dann gemessen am Gesetz und von dorther bestimmt; er soll durch das Gesetz neu werden. Der sündige Mensch allerdings scheitert an der Forderung des Gesetzes und kommt durch das Gesetz zur Sündenerkenntnis und zur Selbst- und Gotteserkenntnis. Im Scheitern vor dem Gesetz wird die Grenze des Gesetzes offenbar: die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit kann der Mensch nicht erbringen und wird so über das Gesetz hinaus auf die Gerechtigkeit Gottes verwiesen. Das Gesetz „führt uns an den Punkt, wo wir schlechthin Empfangende sind, wo wir angewiesen sind darauf, daß diese Voraussetzung [Leben, Gerechtigkeit, R.M.] gesetzt wird, weil wir sie selbst nicht setzen
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Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 54f. 120f. Vgl. a.a.O. 119f; Gal 3,21: εί γάρ εδόθη νόμος ό δυνάμενος ζ ψ ο π ο ι ή σ α ι , όντως έκ νόμου ά ν ήν ή δικαιοσύνη. 82 Vgl. Iwand, Sed originale, GA II, 171-193. Vgl. den Artikel „Von der Erbsünde" in CA II, ApoICA II und FC I, BSLK 53.145-157.770-776.843-866. 83 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 54. 84 Ebd. Neben Kant nennt Iwand auch Gogarten, der „von einer doxa tou nomou reden" könne. 81
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können."85 Das Gesetz kann nur der Hinweis darauf sein, daß die nötige Voraussetzung zur Erfüllung des Gesetzes dem Menschen fehlt. Während so im Gesetz der „Unterschied zwischen dem, was Gott will und dem, was wir sind"86 offenbart wird, schenkt das Evangelium uns ein neues Sein vor Gott, es bringt, was es sagt. Im Evangelium von Jesus Christus wird das neue Leben zugesprochen und geschenkt.87 Das Gesetz kann die Erkenntnis der Macht der Sünde schenken, aber nicht von ihr befreien. Darin liegt die heilsame Grenze des Gesetzes. Gott redet in Gesetz und Evangelium, beides ist verbum dei als „zweierlei Wort Gottes: Ein Wort, das uns offenbar macht, was wir nicht haben, und ein Wort, das uns bringt, was wir nicht haben."88
2. Die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung - der tertius usus legis
Spätestens seit seinem Aufsatz über „Die Predigt des Gesetzes" von 1934 vertritt Iwand neben der allein sündenaufdeckenden Funktion des Gesetzes als usus elenchticus eine wegweisende und bewahrende Funktion des Gesetzes für den Wiedergeborenen.89 Die Heilsbedeutung des Gesetzes liegt, wie oben deutlich wurde, darin, daß es zur Erkenntnis der Sünde und ihrer Macht führt und damit über sich selbst hinaus auf Christus hinweist. Diese Aufgabe des Gesetzes ist eine auch im Leben der Christen bleibende Funktion, da auch der Gerechtfertigte
85
A.a.O. 121. A.a.O. 157. 87 S.u. Teil 1 .IV.4.1.2 Rechtfertigung - forensisch und effektiv, 136ff. 88 Iwand, GuE (1937), NW 4, 158. 89 Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 145-170 und GuE (1937), NW 4, vor allem 131-137. Noch 1930 erfüllt sich für ihn das Amt des Gesetzes in der Selbsterkenntnis des Menschen. „Darin hat sich sein ganzes Vermögen erschöpft. ... In der Selbsterkenntnis, die das Gesetz wirkt, verliert es seinen Sinn; seine Mission ist erfüllt; es hebt sich selbst auf." Iwand, Studien, GA I, 41. Hoffmann bemerkt zutreffend, daß Iwand später „ein Verständnis des Gesetzes als rein restriktive Größe" überwindet. Hoffmann, Versöhnung, 277, Anm. 31; vgl. a.a.O. 77f.8592. Zur Frage des tertius usus legis bei Luther vgl. Wilfried Joest, Gesetz und Freiheit. Er schlägt vor, statt des umstrittenen Begriffs des tertius usus legis Luthers positive Sicht des Gesetzes für den Gläubigen „usus evangelicus des Gebotes" zu nennen, a.a.O. 200. Ähnlich vertritt Albrecht Peters „so etwas wie ein[en] Usus Decalogi in renatis" bei Luther; Peters, Christologie und Rechtfertigung in der Predigt, FuH 25, 1980, 139. Auch Peter Brunner hält die Lehre eines tertius usus legis für gut lutherisch: „Einer lutherischen Dogmatik, die keinen tertius usus legis lehrt, fehlt ein wesensnotwendiges Stück." Peter Brunner, Kritisches zu Elerts Dogmatik, VF 2, 1941, 58. 86
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immer „simul iustus et peccator" ist und der sündenüberfuhrenden Aufgabe des Gesetzes bedarf. Das Gesetz hat seine Grenze darin, daß es nicht lebendig machen kann. Seine Voraussetzung zur Geltung ist aber das Leben, das nicht aus ihm selbst kommen kann. Es ist das Leben, das Jesus Christus ist und das in ihm erschienen ist. Auf diese Voraussetzung, die das Gesetz selbst nicht schaffen kann, weist es hin, darauf macht es aufmerksam. Erst wenn diese Voraussetzung - Leben - gegeben ist, kann das Gesetz zur Leitung und Führung des Menschen werden. Der wiedergeborene Mensch bekommt für Iwand ein neues Verständnis des Gesetzes, das anders ist als das des natürlichen Menschen, der in Feindschaft gegen Gott lebt. Diese Sichtweise macht es Iwand möglich, das Gesetz unterschiedlich zu sehen, je nachdem, ob die Voraussetzung des Lebens aus Gott gegeben ist oder nicht. Leben ist dort, wo durch den Geist Gottes das Gesetz als richtendes und tötendes und das Evangelium als rettendes und lebenschaffendes Wort Gottes vernommen wurde. Vor dem möglichen Tun des Gesetzes aus Glauben wird der Mensch durch die Forderung des Gesetzes gerichtet, er stellt sich dem Urteil Gottes, das ihn richtet und begnadigt. „Denn nur die, die das Gesetz richtet und die sich richten lassen, kommen dazu, das Gesetz zu tun."90 Die Frage nach dem Leben und der Gerechtigkeit ist fiir den Christen entschieden. Nicht das Gesetz, sondern Christus ist der Richter, der ihn gerichtet und begnadigt hat. Er, der selber das Leben ist und hat und auf den das Gesetz hinweist, hat das Gesetz erfüllt. Wo das Tun des Gesetzes aus dem Glauben heraus geschieht, steht die impletio legis, die Erfüllung des Gesetzes, nicht am Ende des Tuns, sondern am Anfang, vor allem Tun des Gesetzes. Dem Gläubigen ist die impletio legis Anfang und Voraussetzung des Lebens. Wenn das Tun des Gesetzes „aber aus dem Unglauben kommt, dann steht die impletio legis als Ziel am Ende, und zwar als ein ewig unerreichbares Ziel." 91 Aus Glauben leben heißt, nicht aus dem Gesetz und dem eigenen Tun zu leben, sondern aus dem zu leben, was Gott an einem getan hat. Wo diese Voraussetzung des Lebens, der Gerechtigkeit Gottes, gegeben ist, kann das Tun und Lassen des Menschen ihn nicht mehr verurteilen, sondern es wird durch den Glauben bestimmt. 92 Wenn die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, erfüllt ist, wenn die Lebensfrage entschieden ist, dann dient das Gesetz sogar zum Bau des Reiches Gottes: „Das Gesetz sucht einen Menschen, der um die bessere Gerechtigkeit weiß, mit solchen Menschen allein kann das Gesetz das Reich Gottes bauen." 93 Iwand entfaltet sein Verständnis der Heiligung und der Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung,
90 91 92 93
Iwand, PM II, 13 (Hervorhebungen im Original). Iwand, GuE (1937), NW 4, 124. Vgl. ebd. A.a.O. 125.
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indem er zuerst den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Geist darlegt, auf dem die Ausführungen zur Heiligung basieren. 2.1 Der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Geist94 Die Gerechtigkeit Gottes ist das ewige Leben, ist die Vergebung der Sünden, die dem Menschen aber nicht als Eigenschaft, als habitus gegeben wird, so daß der Mensch sündlos würde, sondern als Verheißung, promissio. Wäre die Gerechtigkeit eine dem Menschen verliehene Eigenschaft, dann könnte er sie auch wieder verlieren, „denn Eigenschaften kann man verlieren. Dadurch, daß Gott diese Gerechtigkeit uns schenkt als Verheißung, die Verheißung bleibt, ist sie unverlierbar."95 Der Garant für das Leben, das dem Menschen verheißen ist, ist Jesus Christus. Durch seine Tat am Kreuz und seine Auferstehung hat er den Sieg errungen, der ihm nicht mehr streitig gemacht werden kann. Weil das Leben des Gläubigen in Christus „extra nos" liegt, kann Iwand sagen: „Die Welt müßte schon Christus noch einmal ins Grab legen, wenn sie uns dieses Leben nehmen wollte."96 Zugeeignet wird dem Menschen die Gerechtigkeit als Verheißung durch den Heiligen Geist. Durch seinen Geist schenkt Gott das neue Leben in der Form der promissio, so daß das neue Leben dem Wiedergeborenen schon unverlierbar geschenkt, aber noch nicht greifbar und anschaulich ist. Durch Gottes Geist wird der Christ auf das Ziel hin in Bewegung gesetzt, wobei er das neue Leben, auch wenn er es an sich nicht sieht, in Christus bereits hat. Das Leben ist in dem Bereich des Empirischen zwar nicht verfugbar, weil es Verheißung bleibt, aber der Mensch wird durch den Geist immer wieder auf dieses Leben hin ausgerichtet, so daß der Heilige Geist das zukünftige Leben mit unserer Gegenwart verbindet. Wesentlich ist hier der Gedanke, daß Gerechtigkeit und Gottes Geist, Christologie (die Tat Christi als Gottes Gerechtigkeit) und Pneumatologie untrennbar zusammengehören.97 „Der Versuch, die Gerechtigkeit Gottes zu 94
Vgl. zum folgenden a.a.O. 125-130. A.a.O. 125. Vgl. die ähnlichen frühen Ausführungen lwands zur promissio in RuC, 4 9 - 5 4 , w o er den Begriff der promissio gegen den meritum-Begriff abgrenzt und die promissio als das „pro me des Glaubens" faßt. 96 Iwand, GuE (1937), N W 4, 126 (Hervorhebung R.M.). Die Ablehnung eines habitus und die Betonung des extra nos entspricht Luthers Verständnis; vgl. zu Luther: Kinder, Art. Rechtfertigung II, RGG 3 5, 1961, 835: Die Rechtfertigung „verleiht dem Menschen nicht einen .habitus', den er als Besitz bei sich hat; seine Gerechtigkeit gründet außerhalb seiner, und seine R.[= Rechtfertigung, R.M.] geschieht stets von neuem durch das an ihn herankommende wirkende Heilswort." 95
97
Vgl. Hoffmann, Versöhnung, 110-116, der im Blick auf lwands Ethik auf den unlösbaren Zusammenhang von Christologie und Pneumatologie hinweist, der in der Verbindung von Gerechtigkeit und Geist ausgesprochen ist.
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verstehen ohne den Geist, ist der Rückfall unter das Gesetz." 98 Der Heilige Geist ist dabei Gabe und handelndes Subjekt am und im Menschen und darf nicht zu einer Methode werden. Ohne Gottes Geist, der den Menschen auf Christus ausrichtet, wird der Mensch wieder versuchen, ohne Christus aus dem Gesetz heraus gerecht zu leben. Der Heilige Geist ist die Gegenwart Gottes im Heute, und er läßt die Vergebung nicht einmal in der Vergangenheit geschehen sein und dann hinter uns liegen, so daß wir Christus dann nicht mehr brauchten, sondern er „wirkt die Gleichzeitigkeit der Versöhnung Gottes mit uns." 99 Es gilt zwar das gerechtsprechende Wort Gottes ein für allemal für den Menschen durch die einmalige Versöhnungstat Christi,100 aber vom Menschen aus kommt es darauf an, jeden Tag neu unter der Gnade Gottes zu leben. 2.1.1 Gottes Geist bewahrt vor Nomismus und Antinomismus Der Geist Gottes bewirkt, daß Gerechtigkeit und Leben zusammengehören und einander entsprechen. Der Geist schenkt die Gerechtigkeit Gottes als Leben, das unterschieden ist vom Gesetz als Zwang und Schema. Umgekehrt wird durch Gottes Geist das Leben nicht zügellos, sondern setzt sich aus dem Glauben um als Gerechtigkeit in unserem Tun. Der Geist bewahrt somit vor den Abwegen des Antinomismus und des Nomismus: „Der Geist Gottes führt uns hindurch auf dem schmalen Weg zwischen der Gesetzlosigkeit, der Unverantwortlichkeit, dem Libertinismus einerseits, und dem Nomismus, dem Pharisäismus, andererseits." 101 Als exemplarischen Fall für diese Formen des Nomismus und Libertinismus nennt Iwand die Auseinandersetzung von Paulus mit den Galatern bzw. Korinthern. 102 Bei den Galatern liegt der Versuch vor, die Gerechtigkeit ohne den Geist Gottes, der die Ausrichtung auf Christus hin bewirkt, zu verstehen. Sie wollen das Gesetz Gottes ohne den Heiligen Geist erfüllen, so daß am Ende nicht Christus, sondern wieder das Gesetz und das eigene fromme Leben stehen. Für sie ist der Glaube an Christus, die Rechtfertigung, nur ein einmaliges, hinter ihnen liegendes Geschehen. Da aber der Heilige Geist die Gegenwart Gottes im Heute ist und Gott den Menschen „nicht einmal, sondern Tag um Tag" 103 gerechtspricht, brauchen wir die Gnade Gottes jeden Tag neu. Wo diese Ausrichtung nicht gegeben ist, wird die Rechtfertigung nur als ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen verstanden, und gleichzeitig geht der
98
A.a.O 127. Vgl. zum Verständnis des Geistes bei Iwand: Lempp/Thaidigsmann, Gerechtigkeit, 97-99. 99 Iwand, GuE (1937), NW 4, 129. 100 Vgl. Hebr 9,26; Röm 6,10; l.Petr 3,18. 101 Iwand, GuE (1937), NW 4, 127. 102 Vgl. dazu a.a.O. 127-129. 103 A.a.O. 128.
Gottes
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eschatologische Bezug des Glaubens, der immer auch auf Christi Kommen ausgerichtet ist, verloren.104 Das Gegenteil ist der Versuch, aus dem Geist Gottes heraus leben zu wollen, ohne die Gerechtigkeit Gottes zu kennen. Dazu fuhrt Iwand als Beispiel die Auseinandersetzung des Paulus mit den Korinthern an. Bei diesen Pneumatikern kommt es zu einer „Geringschätzung des Lebens,... der Erde, der Zeit und der Arbeit."105. Anders als es die Korinther meinen, bringt Gottes Gerechtigkeit das Leben gerade in diese gefallene Welt, gilt die Auferstehung der Toten auch diesem Leib, konkretisiert sich die Gerechtigkeit Gottes in dieser Welt und in unserem Leben auf der Erde. Diese Gerechtigkeit will „mitten in den Anfechtungen und Verfolgungen dieser Welt(,) als Leben offenbar werden ..,"106 In dieser Welt, in der die Gläubigen und Ungläubigen leben, soll das Wunder geschehen, daß die Gerechtigkeit Gottes wirksam wird. Der Geist Gottes ist es, der den Menschen in die Entscheidung ruft zwischen Satan, dem Gott dieser Welt, und dem Herrn Jesus Christus. Dieser enge und wechselseitige Zusammenhang von Gerechtigkeit und Geist konkretisiert sich in der christlichen Ethik und wird deren Prüfstein, so daß „die christliche Ethik immer daran zu prüfen sein wird, ob es ihr gelingt, das eine durch das andere zu bestimmen, den Geist durch die Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit durch den Geist."107
2.2 Heiligung als Unterordnung unter Gottes Gerechtigkeit durch den Heiligen Geist108 Iwand versteht die Heiligung als ein Geschehen, das durch den Heiligen Geist gewirkt ist und in dem sich der Christ der Gerechtigkeit Gottes unterordnet. In dem gleichen unlösbaren Zusammenhang wie Gottes Gerechtigkeit und Heiliger Geist sieht er Rechtfertigung und Heiligung, iustificatio und sanctificatio. Die Unterordnung unter Gottes Gerechtigkeit ist zu unterscheiden von der Unterordnung unter das Gesetz. Die Bibel unterscheidet zwischen Knecht und Sohn, so daß sie auf der einen Seite von einem knechtischen, auf der anderen Seite von einem kindlichen Gehorsam
104 105
106 107
Vgl. ebd. A.a.O. 129.
A.a.O. 130.
Ebd. Zur Ethik s.u. Teil 2: Die Folgen der Lehre von Gesetz und Evangelium in der Ethik, 183ff. 108 v g l . a.a.O. 131 die 4. These Iwands („Die Unterordnung unter die Gerechtigkeit Gottes, die der Geist Gottes bewirkt, ist die Heiligung."). Zum folgenden vgl. a.a.O. 131-137.
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spricht.109 Die Gerechtigkeit Gottes macht in Jesus Christus aus Sündern und Gottfernen Kinder des himmlischen Vaters und ruft sie dann in den Gehorsam. Aus dieser richtigen Erkenntnis heraus hat man zwei Auffassungen von der Heiligung entwickelt, auf die Iwand eingeht. Zum einen wird das christliche Leben, der Dienst des Christen, als Leben aus der Dankbarkeit heraus verstanden. 110 Am Anfang steht hier die Erkenntnis, daß uns vor allem Handeln eine Gabe geschenkt ist, die Gabe des Lebens, der Kindschaft und sogar die Gabe Jesu Christi selbst. Das Leben des Christen wird dann als Leben aus der Dankbarkeit für diese Gaben gesehen. Zum anderen wird das Verhältnis von Glaube und Werken, von Rechtfertigung und Heiligung durch die Gegenüberstellung von Gabe und Aufgabe zu fassen gesucht. 111 Dem Indikativ der Gerechtsprechung folgt der Imperativ, nun auch entsprechend zu leben. Auch bei diesem Schema steht die Gabe voran, und die Tat des Christen ist Antwort auf Gottes Reden und Handeln. Bei aller Zustimmung zu diesen Entwürfen überwiegen bei Iwand Bedenken, da er bei beiden Wegen (dem Leben aus der Dankbarkeit und dem Leben in der Heiligung als Aufgabe) die Gefahr sieht, daß die Gabe Gottes, der Glaube an Christus, nur zu einem Motiv des ethischen Lebens wird - ein Irrweg, den im Urteil Iwands der Protestantismus des neunzehnten Jahrhunderts weitgehend gegangen war. Dann steht die Rechtfertigung nur am Anfang des Christenlebens, an die sich die Heiligung anschließt, und die Folge ist der Nomismus, wie es bei den Galatern durch die Trennung der Gerechtigkeit vom Heiligen Geist gekommen war. Dieser Irrweg kann vermieden werden, wenn das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung dem von Gerechtigkeit und Heiligem Geist entspricht und in dieses eingeordnet wird. Dementsprechend sind für Iwand Rechtfertigung und Heiligung nicht so zu verstehen, daß die Rechtfertigung als Tat Gottes am Anfang steht, der die Heiligung als Tat des Menschen folgt, sondern Rechtfertigung und Heiligung sind beide Handeln Gottes am Menschen durch den Heiligen Geist. 109 Vgl. a.a.O. 131; als biblische Belege vgl. Röm 8,15 und Gal 4 , 5 - 7 . Ähnlich wie Iwand formuliert Niels Hansen See, Christliche Ethik. Ein Lehrbuch, München 3 1965, 108f. 110 Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 131 f. Das Verständnis der Heiligung als Leben aus der Dankbarkeit findet sich vor allem in der reformierten Tradition; vgl. den Heidelberger Katechismus („Von der Dankbarkeit"); Barth, KD 4.2, §66 Des Menschen Heiligung; Alfred de Quervain, Die Heiligung. Ethik, Erster Teil, Zürich 2 1946. Auch Soe nimmt das Motiv der Dankbarkeit auf, betont dabei aber die Einheit von Rechtfertigung und Heiligung; vgl. See, Christliche Ethik, 1 0 3 - 1 1 2 . 1 2 1 - 1 2 9 ; vgl. auch die positive Rezension von Iwands Verständnis der Heiligung durch See, Rez.: Iwand, Hans Joachim: N W IV. Bd: Gesetz und Evangelium, ThLZ 92, 1967, 950. Iwand kann später ebenfalls die Werke des Gerechtfertigten als Ausdruck „der freien Dankbarkeit für das, was Gott an mir getan hat", bezeichnen; Iwand, Art. GuE (1956), EKL 1 , 2 1 9 6 1 , 1563. 111
Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 13 lf.
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Rechtfertigung und Heiligung verhalten sich nicht wie Gabe und Aufgabe zueinander, sondern beide sind nach Iwand Gabe Gottes.112 Auch die Heiligung ist als Tat des Geistes Gottes nicht Werk des Menschen, sondern Gottes Werk. Dann aber ist „Heiligung nicht zu erklären aus der Dankbarkeit, sondern dann will sie ebenso erbeten sein, wie auch die Gabe Gottes erbeten wird."113 Die strikte Trennung von Rechtfertigung und Heiligung, wie sie in der Konkordienformel aufgrund des Osiandrischen Streites festgeschrieben wurde114, will Iwand von Luther her vermeiden und betont die Einheit von Rechtfertigung und Heiligung: „Beides, der Glaube wie die guten Werke, wird entweder zugleich gewonnen oder zugleich verfehlt. Es gibt keine Halbheit, keine Rechtfertigung ohne Heiligung und keine Heiligung ohne Rechtfertigung." 115
Dem Gesetz kommt bei der Heiligung nicht die theologische, anklagende Funktion zu, sondern es hat die Aufgabe, den Gläubigen in Christus zu bewahren. Bei dieser Funktion des Gesetzes verwendet Iwand zwar nicht ausschließlich, aber vorzugsweise den Terminus „Gebot", um den positiven Charakter im Gegensatz zum anklagenden Gesetz zu betonen.116 Unterordnung unter die Gerechtigkeit Gottes ist Leben aus dem Gebot, durch das Gott den Menschen vor dem Abfall bewahrt. „Diese Bewahrung ist der eigentliche Sinn der Heiligung. Geheiligt werden heißt, von Gott als sein Eigentum bewahrt werden."117 Gott gibt sein Gebot, um die Seinen bei ihm zu erhalten, um sie vor dem Abfall, vor den Irrwegen des Nomismus/Pharisäismus und des Antinomismus/Libertinismus zu bewahren. Dann aber ist das Gebot nicht als Aufgabe oder Imperativ zu verstehen, sondern wird zur Gabe, die dem Angefochtenen als Schutz dient. „Vor der Begierde flüchten wir uns in Gottes Gebot,
112 Vgl.a.a.O 132f. Im Zusammenhang von „Glaube und Werk" weist Iwand daraufhin, daß Gott den Menschen rechtfertigt, damit Gottes Wille getan wird, wobei dann auch „alles Gelingen seiner Gnade zu danken" ist (a.a.O. 71). Glaube und Werk - Rechtfertigung und Heiligung verdanken sich allein dem Wirken des Geistes Gottes am Menschen. 113 A.a.O. 132. 114 Vgl. FC SD III, BSLK 913-936. Vgl. Slenczka, Art. Glaube VI, TRE 13, 1984, 332. Zum Problem der forensischen und effektiven Rechtfertigung s.u. 136. 115 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 91. 116 In ähnlicher Weise unterscheidet Paul Althaus Gebot und Gesetz, wenngleich er - anders als Iwand - nicht nur von dem Gebot Gottes für den Gerechtfertigten, sondern auch von Gottes Gebot im Urständ redet, das erst durch den Sündenfall zum Gesetz geworden sei. Vgl. Althaus, Gebot und Gesetz. Zum Thema „Gesetz und Evangelium", in: Emst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986,201-238. 117 Iwand, GuE (1937), NW 4, 132; vgl. ders., Kirche und Öffentlichkeit, Vortrag (1948), NW 2, 24 [Kirche und Öffentlichkeit, NW 2],
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damit wir dadurch geheiligt, das heißt bewahrt, rein erhalten werden." 118 Durch sein Gebot als Gabe bewahrt Gott den Menschen zum einen davor, zum Libertinisten zu werden, der zwar die Rechtfertigung allein aus Gnaden anerkennt, aber Gottes Gebot mißachtet und zügellos lebt, und andererseits bewahrt Gott mit dem Gebot als Gabe davor, die Heiligung als Aufgabe zu verstehen und dabei der Gefahr des Pharisäismus, dem Leben aus dem Gesetz, zu erliegen. Mit der Bestimmung des Gebotes als Gabe fallt der formale Unterschied zum Evangelium dahin, da dieser gerade darin besteht, daß das Gesetz in der Form der Forderung, das Evangelium aber in der Form der Zusage und Gabe ergeht. Wird das Gebot nun zur Gabe Gottes, so gibt es selbst, was es verlangt, und dann ist, wie Iwand formuliert, „der ganze Gegensatz zwischen dem Gebot Gottes und dem Evangelium hinfallig geworden, dann bewirkt das Gebot Gottes, was das Evangelium verheißt, daß nämlich Gott selbst durch sein Gebot den Sünder heiligt und bewahrt in seiner Gerechtigkeit. Dann haben wir im Gebot Gottes die Erfüllung der Verheißung, die das Evangelium uns bringt. ... Das Gebot Gottes bringt uns die Heiligung; denn das Gebot Gottes bewahrt uns bei Gott." 119
Im Bereich der Heiligung, des Lebens aus dem Geist Gottes, beschreibt Iwand das Gesetz nicht mehr nur als Imperativ, als forderndes Wort Gottes, sondern es nimmt die Form des Evangeliums an, wenn es als Gabe definiert wird. Folgerichtig sieht Iwand hier den Gegensatz von Gesetz und Evangelium als hinfällig an. Das Gebot wird zur Erfüllung der Verheißung, die das Evangelium uns bringt, und es bewahrt uns bei Gott. An anderer Stelle kann Iwand sagen, daß das Gebot im Blick auf den Wiedergeborenen zur Verheißung wird, weil das im Gebot Geforderte erfüllbar und in der Kraft des Heiligen Geistes wirklich getan wird. 120 Der Unterschied zwischen dem so verstandenen Gesetz und dem Evangelium liegt darin, daß das Evangelium ausschließlich promissio ist, während dem Gesetz auch als Gabe noch die Imperativische Form eignet, auch wenn in der Aufforderung zur Tat die Gabe und somit das Tun bereits eingeschlossen ist. Zu beachten ist, daß es hier explizit um das Sein in Christus, das Leben aus dem Geist geht, also um den usus legis in renatis oder den tertius usus legis121. In den bisherigen Ausführungen über Gesetz und Evangelium stand immer die sündenaufdeckende und zu Christus hinführende Funktion des Gesetzes, der usus elenchticus legis, im Blickpunkt. Zu diesem Verständnis 118 Iwand, GuE (1937), N W 4, 133. Auch später, 1957, spricht Iwand in ähnlichem Zusammenhang vom Gebot „als Gabe, als Glück und Freude." Iwand, Stand und Sakrament (1957), GA II, 262 (Hervorhebungen im Original). 119 Iwand, GuE (1937), N W 4, 133; vgl. ders., Predigt, N W 2, 87. 120 Vgl. Iwand, N W 5, 84.164f; ders., Predigt, GA II, 166-168; ders., Evangelium, N W 4, 451. 121 Vgl. die Aufnahme des Begriffes „tertius usus legis" bei Iwand in: Predigt, GA II, 160; GuE (1950), N W 4, 303; Evangelium, N W 4, 451 und N W 5, 155. An allen Stellen ist die Bedeutung des Gebotes im hier dargestellten Verständnis gemeint.
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des Gesetzes steht die Bezeichnung als Gabe und bewahrendes Wort geradezu im Widerspruch. Es geschieht mit dem Gesetz eine Verwandlung: So wie der Wiedergeborene ein neues Sein hat, wird auch das Gesetz für den Gläubigen verwandelt. Dadurch, daß wir in Christus dem erfüllten Gesetz gegenüberstehen, ist es nicht mehr die unerbittliche Forderung und das Gesetz, das schuldig spricht und verdammt, sondern: „... das Gesetz, das wir zu lieben beginnen, ist ... das Gesetz der Gnade und des Geistes; es ist, wie Luther sagt, ,lebendiger Wille und erfahrbares Leben, mit Gottes eigenem Finger in die Herzen geschrieben'." 1 2 2
Durch seine Gnade schenkt Gott dem Menschen jenen Glauben an Jesus Christus, der die Erfüllung des ersten Gebotes - die Liebe zu Gott - ist.123 Dann kommt es zu einem neuen Verständnis des Gesetzes aus dem Glauben. Es wird zum geistlichen Gesetz, zur lex spiritualis, die für Iwand nicht mehr unterschieden ist vom Evangelium - sie ist Gabe und bewahrt den Wiedergeborenen bei Gott.124 Iwand spricht bereits in einem früheren Aufsatz über die „Predigt des Gesetzes" (1934) die bewahrende Funktion des Gesetzes für den im Evangelium von Kreuz und Auferstehung wiedergeborenen Menschen an, wenn er sagt, daß diesem „das Gesetz zur freundlichen Wahrung seiner Bahn"125 wird und er weiter ausführt, daß Jesu Wort der Bergpredigt vor der sündigen Tat behütet126. Auch der Gedanke, daß die Heiligung nicht des Menschen Werk, sondern Gottes Tat ist, die den Menschen durch das Gebot zum Tun führt, findet sich hier bereits. Der Wille Gottes wird in der Predigt des Gesetzes so verkündigt, daß Wollen und Vollbringen darin eingeschlossen sind und es zur Tat kommt - aber nicht zur eigenmächtigen Tat des Menschen, sondern so, „daß das Können, das hier offenbar wird, mir selbst unbegreiflich, mir selbst ein Wunder ist."127 Im Hören auf das Wort Gottes, auf sein Gebot, schenkt Gott durch seinen Heiligen
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Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 88. Ähnlich auch ders., NW 5, 83: „... mit dem Glauben verwandelt sich auch das Gesetz für mich. Es wird zu etwas, das sich verwirklichen läßt." Das geschieht aber nur aus der Kraft des Heiligen Geistes, vgl. a.a.O. 84. 123 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 194; NW 5, 141-147. 124 Vgl. Iwand, Galaterbrief, NW 4, 407. Ebd. kann er formulieren: „... das geistliche Verständnis des Gesetzes ist identisch mit dem Evangelium." Er bezieht sich auf Luther, der die „Worte evangelium und nova lex bzw. promissio und lex spiritualis wechselweise" gebraucht habe (ebd.). Vgl. dazu Iwands Hinweis auf Karl Holl, der gesehen habe, „... daß die Trennung in lex und promissio nur unter dem einen Evangelium möglich" sei (Iwand, NW 5, 49f); vgl. auch die Hinweise bei Assel, Der andere Aufbruch, 100.471. Iwand kann den Begriff der lex spiritualis aber auch dort verwenden, wo es um die Sündenerkenntnis durch das Gesetz, gewirkt vom Heiligen Geist, geht; vgl. Iwand, NW 5, 82f; ders., GuE (1937), NW 4, 37. 125 Iwand, Predigt, GA II, 160. Diese bewahrende Funktion des Gesetzes erwähnt Iwand auch später noch; vgl. Iwand, Predigt, NW 2, 79.87. 126 Iwand, Predigt, GA II, 167. 127 A.a.O. 166.
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Geist die Tat als göttliche Tat, in die der Mensch hineingenommen wird. 128 Damit ist ausgeschlossen, daß die Heiligung, das Leben im Gehorsam gegen Gottes Gebot, etwas ist, was sich der Wiedergeborene vornehmen und vollziehen kann. Er ist bleibend auf das Handeln Gottes an ihm angewiesen, aber er wird durch Gottes Geist in Bewegung gesetzt und verändert. Er verharrt nicht in der Passivität, wenngleich sein Tun nicht aus ihm selber kommt. Heiligung ist der Wille Gottes für den Menschen in dem Sinne, daß der ganze Mensch mit Leib, Seele und Geist ihm gehören soll. „Gott macht aus mir, der ich verloren und verdammt bin, den Menschen, der vor Gott gerecht ist. Das heißt Gabe, das ist sein Wille, und dieses Wirken Gottes am Sünder ist Heiligung" 129 . Der Heilige Geist nimmt dazu auch das Gebot in seinen Dienst, um den Wiedergeborenen, der gleichzeitig Sünder ist, vor Irrwegen zu bewahren. Mitten hinein in die Anfechtung und Sünde spricht Gott sein Wort, er gibt durch seinen Geist sein Gesetz in unser Herz und bewirkt die Unterordnung unter Gottes Gerechtigkeit, die das Gegenteil von der Unterordnung unter das Gesetz ist.130 Unterordnung unter das Gesetz wäre Leben unter der Forderung des Gesetzes, wäre Leben unter dem noch nicht erfüllten Gesetz. Bei der Heiligung hat Iwand die eschatologische Perspektive im Blick. „Weil der Geist Gottes, der das Herz eines Menschen erneuert, ausgeht von dem Erhöhten, darum richtet er uns aus auf den Wiederkommenden." 131 Als Wiedergeborener wird der Mensch kraft des Heiligen Geistes auf den wiederkommenden Herrn ausgerichtet; Heiligung ist Bewahrung in der Gerechtigkeit und Ausrichtung auf die Wiederkunft Christi. Das Gebot hat dazu eine helfende und dienende Funktion in der Bewahrung, wogegen in der Ausrichtung auf den Kommenden stärker die Dynamik des Heiligen Geistes im Gläubigen betont ist. „Gott mit seinem Geist hat es uns angetan, daß wir es nicht lassen können zu lieben, zu hoffen und zu glauben." 132 Bei allen Versuchen, die Heiligung positiv zu formulieren, hält Iwand daran fest, daß zum einen die Gebote im Leben des Wiedergeborenen nicht objektivierbar sind wie die steinernen Tafeln vom Sinai und zum anderen das neue Leben des Christen unanschaulich bleibt.
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Vgl. Iwand, NW 5, 143-145.231-234. Iwand, GuE (1937), NW 4, 134. Als Belegstelle dafür, daß Gott die Heiligung des Menschen will, fiihrt Iwand l.Thess 4,3 an. 130 Vgl. a.a.O. 136. 131 A.a.O. 137. 132 A.a.O. 140. 129
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2.3 Das Gesetz im Leben des Christen Iwand vertritt für den Christen neben dem usus elenchticus legis auch den usus legis in renatis oder tertius usus legis. Diese beiden usus sind grundlegend verschieden, sie sind gegensätzlich. Während das Gesetz in seinem zweiten Brauch, der für Iwand der zentrale ist133, den Menschen seiner Sünde überführt und ihn so zu Christus treibt, hat es für den Wiedergeborenen zusätzlich die Aufgabe, ihn in der Gerechtigkeit zu bewahren und zur Tat zu führen. Der Wiedergeborene steht nicht mehr unter dem Gesetz, weil es in Christus und im Glauben bereits erfüllt ist. Es ist als Gottes Gebot nicht mehr Forderung, sondern Gabe - lex spiritualis - und entspricht damit dem Evangelium. Hier gibt es nicht mehr den knechtischen, sondern den kindlichen Gehorsam. Dieses Leben unter dem Gebot nennt Iwand die Heiligung, die nicht von der Rechtfertigung zu trennen und wie diese eine Gabe Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes ist. Heiligung, Leben unter dem Gebot, kann der Wiedergeborene sich dementsprechend nicht vornehmen, sondern nur erbitten. Leben in der Heiligung ist kein passives Leben, sondern ein Leben in der Tat, aber eben nicht als menschliche, sondern als göttliche Tat. Somit gibt es vom Menschen aus gesehen kein kontinuierliches Fortschreiten in der Heiligung, sondern nur das in dem Leben des Sünders immer neu sich ereignende Wunder der Tat Gottes durch den Heiligen Geist. Der Wiedergeborene lebt aus der promissio, wodurch ihm das Leben in Christus als eschatologisches schon gewiß ist und nicht mehr genommen werden kann, aber im gegenwärtigen Leben noch nicht anschaulich ist.134 Insgesamt zeigt sich bei Iwands Verständnis des Gesetzes als tertius usus legis, daß es nicht mehr im Gegensatz zum Evangelium steht, sondern als in Einheit mit dem Evangelium verstanden wird. Das Evangelium behält seinen Charakter als rein schenkendes Wort. Es bleibt auch im Leben des Wiedergeborenen nur Gabe und Geschenk und wird nicht etwa zur Aufgabe oder Forderung an den Menschen. Das Gesetz kann zwar als lex spiritualis
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„So ist die Funktion des Gesetzes in der Tat notwendig, nicht nur, um den Menschen, die an Gott glauben, den Weg des neuen Lebens zu weisen [= tertius usus legis, R.M.], sondern vor allem, um jene falsche Gerechtigkeit abzutun, aus der wir von Natur aus leben [= usus elenchticus legis, R.M.]!" Iwand, GuE (1950), N W 4, 399f. 134
Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 135-137; ders., Art. GuE (1956), 1565; ders., N W 5, 132-135. Lempp/Thaidigsmann weisen zutreffend daraufhin, daß das Neuwerden des Menschen bei Iwand in einer „eigentümlichen Widersprüchlichkeit stehen [bleibt, R.M.]. ... Das Neu-Werden ist unanschauliches eschatologisches Jetzt in der Zeit." Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 99.
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mit dem Evangelium eins werden, das Evangelium aber kann umgekehrt nie zum Gesetz werden. 2.3.1 Werner Eiert: Lex semper accusal Ganz anders als Iwand beantwortet Werner Eiert, sich dabei ebenfalls auf Luther berufend, die Frage nach dem tertius usus legis.135 Für ihn stehen „Gesetz und Evangelium im realdialektischen Gegensatz. Redet das Gesetz, so schweigt das Evangelium; redet das Evangelium, so muß das Gesetz verstummen."136 Vom Gesetz gilt in Aufnahme des Zitats von Melanchthon: „Lex semper accusat"137. Es ist zwar nach Eiert auch für die Wiedergeborenen das Gesetz noch in Geltung - und insofern kann man von einem dritten Brauch des Gesetzes reden, aber auch bei ihnen hat es nur die Aufgabe, sie der Sünde zu überfuhren. Sofern der Christ durch den Geist neugeboren ist, ist er vom Gesetz frei, sofern er noch an den alten Adam gefesselt ist, braucht er die Strafandrohung des Gesetzes zur Überfuhrung der Sünde.138 So hat zwar das Gesetz auch in der Predigt der Kirche und bei den Christen seinen notwendigen Ort, aber: „Es dient nicht dem Aufbau des neuen Menschen, sondern dem Abbau des alten. ... Das Gesetz ist auch für den Christen immer nur Anfechtung."139 Daß fur den Wiedergeborenen das Gesetz seine anklagende Funktion verlieren und zum bewahrenden Wort werden könnte, ist hier ausgeschlossen. Die Werke des Glaubens sind gewagte Werke. Wir können mit keiner Entscheidung deshalb vor Gott bestehen, weil sie dem Gesetz gemäß ist, sondern immer nur in der Hoffnung auf Vergebung."140 Die Frage nach einem tertius usus legis im Sinne des bewahrenden Gebots als Weisung zum Leben wird von Eiert klar verneint. Die Stärke dieses Ansatzes besteht darin, die deutliche Trennung von Gesetz und Evangelium, wie sie Iwand auch im Blick auf die Rechtfertigung vertritt, in jeder Hinsicht durchzuhalten. Eine Vermischung beider ist ausgeschlossen. Die Gefahr dieses Ansatzes liegt darin, daß bei konsequenter Durchführung der Trennung von Gesetz und Evangelium auch die Einheit
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Elerts Verständnis von Gesetz und Evangelium kommt am klarsten in dessen Aufsatz „Gesetz und Evangelium" in: ders., Zwischen Gnade und Ungnade, München 1948, 132-169, zum Ausdruck. Eine kurze Darstellung und Würdigung der Elertschen Sicht von Gesetz und Evangelium bringt Albrecht Peters, Gesetz und Evangelium, HST2, Gütersloh 1981, 166-187; vgl. zur Frage des tertius usus legis bei Eiert auch Wolf Krötke, Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei W. Eiert und P. Althaus, ThSt 83, 1965, 17f.49f.53f. 136 Eiert, Gesetz und Evangelium, 132. 137 A.a.O. 139. 138 Vgl. Peters, Gesetz und Evangelium, 181. 139 Eiert, Gesetz und Evangelium, 160.165. Vgl. a.a.O. 138f.l61f; vgl. ders., Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Erlangen, 6 1988 (= 1960), 139f.l49. Das Gesetz ist für ihn immer Offenbarung des Zornes Gottes und stellt ein Verhängnis dar. 140 Eiert, Gesetz und Evangelium, 167.
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Gottes in Frage steht.141 Auch wird bei völliger Ablehnung eines positiven Verständnis des Gesetzes für den Wiedergeborenen die Konkretion der christlichen Ethik problematisch, da kaum noch inhaltlich aussagbar ist, worin das Leben aus dem Heiligen Geist besteht.142 Das Verständnis des Gesetzes für den Wiedergeborenen ist bei Eiert und Iwand gegensätzlich. Beide stimmen zwar darin überein, daß das Gesetz auch für den Christen seine Funktion als usus elenchticus zur Sündenerkenntnis ausüben muß, aber hinsichtlich des tertius usus legis vertreten sie entgegengesetzte Standpunkte. Die Rede von einem positiven Sinn des Gesetzes als bewahrendem Wort Gottes für den Gläubigen ist für Eiert im Gegensatz zu Iwand ausgeschlossen. 2.3.2 Karl Barth: Das Gesetz als Gabe und Verheißung Der Sicht Elerts entgegengesetzt ist die von Karl Barth, wie er sie in seinem Aufsatz „Evangelium und Gesetz" aus dem Jahr 1935 dargestellt hat.143 Mit diesem Votum eröffnete er „eine neue Periode systematisch-theologischer Erörterung und Erwägung des ur- und genuin-reformatorischen Themas"144. Barths grundsätzliche Ausführungen zu Evangelium und Gesetz zeigen auffallende Parallelen zu den von Iwand gemachten Aussagen zum Gesetz im Leben des Wiedergeborenen. Barth geht aus von der Einheit des Wortes Gottes, innerhalb dessen Evangelium und Gesetz als zwei Worte Gottes laut werden. Beide Worte sind Gnade, und das Gesetz ist eingeschlossen in das Evangelium, deren Verhältnis zueinander er so definiert: „das Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist."145 Das Gesetz als Form des Evangeliums ergeht als Forderung und Anspruch an den Menschen, ist aber dennoch Gabe und Verheißung, indem der Forderung des „Du sollst" ein „Du wirst" innewohnt.146 Das ist nach Barth die Wahrheit von Evangelium und Gesetz in ihrem Verhältnis zueinander. Die nicht zu bestreitende Trennung von Gesetz und Evangelium und das Verständnis des Gesetzes als Forderung ist nach Barth ein Mißverständnis des Gesetzes als Folge der Sünde. Dabei geht es um die der Wahr-
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Vgl. die Kritik von Peters, Gesetz und Evangelium, 181f. Vgl. a.a.O. 183f. 187. Vgl. aber die kurz darauf erschienene Ethik, in der Eiert die Imperative im Neuen Testament aus dem Evangelium heraus als Erneuerungsimperative bzw. Gnadenimperative bezeichnet, vgl. Eiert, Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ehtik, Tübingen 1949, 295. Vgl. a.a.O. §44 Zwei Wege und zwei Zeiten, 370-378. 143 Karl Barth, Evangelium und Gesetz, in: Ernst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986, 1-29 (Erstveröffentlichung: TEH 32, 1935). 144 Ernst Kinder/Klaus Haendler, Zur Einführung, in: dies. (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986, XXI. 145 Barth, Evangelium, 9 (Hervorhebungen im Original). 146 Vgl. a.a.O. 8-13. 142
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heit nachgeordneten Wirklichkeit des Gesetzes in der Hand der Sünder. 147 Wir haben „aus dem göttlichen Du wirst! des Gesetzes das menschlichallzumenschliche Du sollst! gemacht." 148 Der Mensch versucht das Gesetz aus eigenem Vermögen zu erfüllen und sich vor Gott zu rechtfertigen. Dann wird aus der Einheit von Gesetz und Evangelium ein unversöhnlicher Gegensatz: „Entweder ganz das Gesetz und dann den Tod oder ganz das Evangelium und dann das Leben, ein Drittes gibt es nicht." 149 Die erste und wesentliche Aufgabe des Gesetzes besteht nicht in der Aufdeckung der Sünde, sondern in der Aufrichtung des Glaubensgehorsams, der Reinigung, Heiligung, Erneuerung"150. Die Auffassungen von Iwand und Barth treffen sich in vielen Punkten dort, wo Iwand vom usus legis in renatis spricht, der aber für ihn - anders als für Barth - nicht der entscheidende und eigentliche Brauch des Gesetzes ist. Beide sprechen von der Gabe und Verheißung des Gesetzes bzw. Gebotes durch den Heiligen Geist und der Aufhebung der Trennung von Gesetz und Evangelium in der Heiligung. Der Unterschied liegt allerdings darin, daß Iwand den Ausgangspunkt in der Trennung beider sieht, die in der Heiligung überwunden ist, während Barth von der Einheit beider ausgeht. Das Fehlen des usus elenchticus legis bei Barth wird in der Frage nach der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium noch zu bedenken sein.151 2.3.3 Edmund Schlink: Leben in und unter dem Gesetz Als drittes soll hier zur Frage der Heiligung die Position von Edmund Schlink herangezogen werden, wie sie in seinem Aufsatz über „Gesetz und Evangelium" von 1937 formuliert ist.152 Iwand hat diese „bedeutsame Schrift" 153 selbst häufiger zitiert und sie - wie auch den Aufsatz Barths zu 147 Zu Barths Schrift und dem Verhältnis von Wahrheit und Wirklichkeit bei Barth vgl. Bayer, Theologie, 3 5 6 - 3 6 1 . 148 Barth, Evangelium, 16. 149 A.a.O. 23. An diesem Punkt setzt bei Iwand noch 1956 die Kritik gegenüber der Auffassung Barths ein: „Aber - so möchten wir fragen - ist nicht die Sünde die Realität, außerhalb derer wir das Verhältnis von Gesetz und Evangelium überhaupt nicht entfalten können. Die Reformatoren meinten doch, daß die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium eine Tat des Hlg. Geistes sei, also nicht ein Mißverständnis um der Sünde willen, sondern ein rechtes Verständnis um des Glaubens willen." Iwand, PM I, 497, Anm. 1. Eine ähnliche Kritik äußert Schlink, Gesetz und Paraklese, in: Emst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986, 241.253f. 150 Barth, Evangelium, 9 (Hervorhebungen im Original). 151 S.u. Teil 1.V.3 Die Abfolge von Gesetz und Evangelium, 154ff. In der Heiligung kann man bei Iwand durchaus von der Reihenfolge Evangelium und Gesetz ausgehen, wie Barth sie grundsätzlich vornimmt. Vgl. auch Krüger, Versöhnt, 37f. 152 Vgl. Schlink, Gesetz und Evangelium. Ein Beitrag zum lutherischen Verständnis der 2. Barmer These. TEH 53, 1937. Zu Schlinks Verständnis von Gesetz und Evangelium vgl. Eber, Einheit der Kirche, 7 9 - 9 6 . 153 Iwand, Galaterbrief, N W 4, 407.
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„Evangelium und Gesetz" - zur Klärung seiner eigenen Position herangezogen.154 Schlinks Ausführungen zum Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung gehören nach dem Urteil Iwands ihrer „theologischen Substanz nach zu dem Besten, was zu dieser Frage überhaupt neuerlich geschrieben worden ist"155. Schlink setzt wie Iwand bei der anklagenden Funktion des Gesetzes - als Gottes geoffenbartem Wort - ein. Der Offenbarung des Zornes Gottes im Gesetz und dem Gericht in Christus folgt die Gerechtsprechung des Sünders aus Gnaden, der die Rechtfertigung allein durch den Glauben empfangt und damit frei vom Gesetz ist. Der Weg zur Rechtfertigung geht vom Gesetz zum Evangelium.156 Als Frucht der Rechtfertigung folgt der neue Gehorsam, der im konkreten Tun des Gesetzes Gottes besteht. Dabei ist der durch den Heiligen Geist Wiedergeborene aber nicht mehr unter dem Gesetz, sondern er ist in dem Gesetz.157 Der neue Gehorsam ist nicht eigenes Tun des Menschen, sondern „Geschenk der göttlichen Gnade. ... Rechtfertigung und Heiligung sind Gabe Gottes, nicht Werk des Menschen."158 Der neue Gehorsam ist „der Gehorsam Jesu Christi, den Gott aus Gnaden dem Sünder zurechnet"159, ist ein Urteil Gottes über den Sünder, ohne das alle guten Werke Sünde bleiben würden. Allerdings wird der Gehorsam wirklich im konkreten menschlichen Tun. Da aber auch „der Wiedergeborene und sein neuer Gehorsam in dieser Zeit unvollkommen bleibt, steht der Wiedergeborene nicht nur in dem Gesetz, sondern unter dem Gesetz."160 Damit kommt auch für den Wiedergeborenen als Sünder das Gesetz als usus elenchticus wieder herein, das den Menschen anklagt und richtet und Gottes Zorn of-
154 Vgl. neben der ausführlichen Rezension Iwands (Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942, 1 5 8 - 1 6 9 ) auch dessen Hinweise auf die Schrift von Schlink „Gesetz und Evangelium" in: Iwand, Galaterbrief, N W 4, 4 0 7 ^ 1 1 und in PM I, 479, Anm. 1. Weiterhin s.u. Teil 1.V.2 Die Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium, 150ff. 155 Iwand, Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942, 167. (Iwand rezensiert hier Schlinks „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften", aber die Ausführungen zu Rechtfertigung und Heiligung hat Schlink fast wörtlich aus seinem Aufsatz „Gesetz und Evangelium" übernommen; sie waren Iwand also von daher schon bekannt. Die zwanzig Thesen zu Gesetz und Evangelium sind fast unverändert als Kapitel III und IV in Schlinks „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften" [1940] aufgenommen worden). 156
Vgl. Schlink, Gesetz und Evangelium, 8 - 5 1 , die Thesen 1-10. Vgl. a.a.O. 55. Später spricht Schlink für den Wiedergeborenen nicht mehr vom Sein in dem Gesetz, sondern von der neutestamentlichen Paraklese; vgl. ders., Gesetz und Paraklese, 2 3 9 - 2 5 9 . 158 A.a.O. 62. 159 A.a.O. 59. An diesem Punkt kritisiert Iwand Schlink: „Ich glaube, daß man hier vielmehr von dem .neuen Herzen', von der Gabe des ,Geistes', von dem ,kindlichen' Gehorsam sprechen muß, wie das die Reformatoren und auch die Schrift tun." Iwand, Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942, 169. 160 Schlink, Gesetz und Evangelium, 68. 157
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fenbart. Auch der Wiedergeborene braucht täglich neu die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden. Im Vergleich der Anschauung Iwands mit denen von Eiert, Barth und Schlink findet sich im Blick auf den dritten Brauch des Gesetzes die größte Übereinstimmung mit der Position von Schlink. Der radikale und bleibende Gegensatz von Gesetz und Evangelium bei der Sicht Elerts wird ebenso vermieden wie die grundsätzliche Einheit von Evangelium und Gesetz, wie sie bei Barth laut wird. Bei Iwand und Schlink steht die überfuhrende Funktion des Gesetzes an zentraler Stelle, aber bei beiden gewinnt das Gesetz in der Heiligung einen positiven Sinn: Es wird zur Gabe und Verheißung Gottes, wodurch der neue Gehorsam Wirklichkeit gewinnt. Bei beiden werden Rechtfertigung und Heiligung als Tat Gottes durch den Heiligen Geist verstanden. Differenzen zeigen sich allerdings in der Bewertung des usus elenchticus für den Gläubigen. Schlink betont, daß der Wiedergeborene erneut unter das Gesetz zu stehen kommt, wohingegen Iwand den Akzent stärker auf die Neuschöpfung und das Erbarmen Gottes legt, auf das neue Leben, das dem Gläubigen als Verheißung unverlierbar geschenkt ist.161 Von da aus kommt es zum kindlichen Gehorsam. Iwands Verständnis der Funktion des Gesetzes für das Leben des Wiedergeborenen zeigt sich im Vergleich als ein sehr eigenständiger Entwurf, der die positive Bedeutung, die „Freude am Gesetz" im Leben des Wiedergeborenen zur Geltung bringt, ohne die grundsätzliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und die anklagende Funktion des Gesetzes dabei preiszugeben.
3. Die Aufgabe des Gesetzes im Staat - der usus politicus legis
Wenn dieser erste Brauch des Gesetzes, der usus politicus legis, erst am Ende der Frage nach der Aufgabe des Gesetzes bei Iwand angesprochen wird, dann deshalb, weil Iwand diesen Brauch des Gesetzes kaum einmal thematisiert hat.162 In einer Predigtmeditation aus dem Jahr 1939 weist Iwand darauf hin, daß Gott sein Gebot gibt, „um das Leben der Menschen in der Welt zu erhalten. Kein Staat kommt ohne diese Barriere aus. Es geht um ,Leben und 161 vgl. die Bedenken Iwands gegen die Aussage Schlinks, daß der Gläubige wieder unter das Gesetz zu stehen kommt. „Und doch ist die Dialektik dieses Verhältnisses [von Gesetz und Evangelium, R.M.] nicht uferlos ..., ich würde meinen: er [der neue Mensch, R.M.] ,bleibt' in Frage gestellt, aber der Ausdruck: ,wird wieder' klingt mir nicht sehr reformatorisch ..." Iwand, Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942, 167. 162 Dazu s.u. Teil 2.II Die politische Ethik, 202ff.
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Tod' (Dt. 30,15), um Erhaltenbleiben oder Umkommen."163 Darin spricht er aus, daß das Gebot Gottes für das Zusammenleben der Menschen generell wichtig ist, um zu überleben. Es geht nicht um ein Besserwerden der Menschen durch das Gesetz - denn das kann das Gesetz nie leisten - sondern um einen Damm gegen das Böse. Iwand richtet in der Zeit des Dritten Reiches die Frage an die Staatsfuhrung, ob sie noch weiß, daß der Staat durch das Gesetz das Volk nicht besser machen kann. „Und wenn der Staat nicht um die Grenzen des Gesetzes Bescheid weiß, geht der usus politicus legis zu Grunde"164, und damit auch der Staat und die Menschen. Mit diesen Voten spricht Iwand zwar die Anerkennung des usus politicus legis aus, entfaltet diesen Brauch des Gesetzes aber nicht weiter. Der Grund für seine Zurückhaltung in dieser Frage dürfte in der oben verhandelten Auseinandersetzung um den Volksnomos liegen165, bei dem der usus politicus legis auch die Funktion des usus elenchticus legis übernahm, worin Iwand den Verlust des Gesetzes in der Theologie erblickte.
4. Das Evangelium
Das Evangelium wird im Vergleich zum Gesetz von Iwand weniger ausführlich behandelt, weil bei der Lehre vom Gesetz eine stärkere Differenzierung vorzunehmen ist als beim Evangelium.166 Iwands Ausführungen über die Gerechtigkeit Gottes zeigen sich als Beschreibung des Evangeliums, weil er die Gottesgerechtigkeit als Inhalt des Evangeliums faßt.
4.1 Der Inhalt des Evangeliums: Gottes Gerechtigkeit In den einführenden Passagen der Vorlesung „Gesetz und Evangelium" von 1937 stellt Iwand heraus, daß Gerechtigkeit Gottes der Oberbegriff von Gesetz und Evangelium ist. Das Werk Christi und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium kann für ihn nur der verstehen, der darüber Klarheit hat, was Gerechtigkeit Gottes heißt.167 163
Iwand, PM II, 13; vgl. auch ders., Predigt, GA II, 160. Iwand, GuE (1937), NW 4, 56. 165 S.o. Teil 1.111.2.2.2.2 Die Lehre vom Volksnomos, 88ff. 166 Analog dazu gibt es z.B. in der TRE keinen eigenen Artikel über Evangelium, sondern dort nur Verweise auf „Gesetz und Evangelium", „Rechtfertigung" und „Wort Gottes" (vgl. TRE 10, 690), während sich zum Gesetz ein Artikel von über 80 Seiten findet (vgl. TRE 13, 1984,40-126). 167 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 14. 164
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4.1.1 Gottes Gerechtigkeit als iustitia passiva Iwand nimmt von Luther (und Augustin) den Begriff der doppelten Gerechtigkeit auf, von dem her die Gerechtigkeit Gottes zutreffend erfaßt werden kann. Es ist zwischen einer iustitia activa und iustitia passiva zu unterscheiden. 168 Die iustitia activa ist die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit, die der Mensch in seinem Tun erfüllen soll. Diese kann insofern eine göttliche Gerechtigkeit genannt werden, als sie im Gesetz Gottes geoffenbart und gefordert ist, zielt aber auf die vom Menschen zu erbringende Gerechtigkeit.169 Im Gegensatz dazu steht die iustitia passiva, die die christliche oder Glaubensgerechtigkeit ist. Hier ist der Mensch nicht gefordert, nicht aktiv, sondern ganz passiv, Empfangender. Es ist keine Gerechtigkeit, der er genügen muß, sondern eine, die ihm geschenkt wird. Dies ist die Gerechtigkeit Gottes, die im stellvertretenden Leiden und Sterben Jesu Christi offenbart worden ist.170 Iwand betont zum einen, daß diese Gerechtigkeit nicht nur eine Eigenschaft oder ein Sein Gottes ist, sondern daß sie zugleich schöpferisch wirkt, weil Gott sie dem Sünder zueignet und ihm damit ein neues Sein - Gottes eigenes Sein - schenkt. Zum anderen unterstreicht er die Einheit von Gottes Gerechtigkeit mit seiner Liebe und Barmherzigkeit. Gottes Gerechtigkeit ist für Iwand die Einheit von Sein und Schaffen und von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und somit für unser menschliches Denken die „Einheit von Entgegengesetztem"171. Die liberale Theologie hat nach Iwand im Anschluß an Spinoza - und wie bereits Marcion - den gerechten und den liebenden Gott einander gegenübergestellt, wobei Gerechtigkeit als jüdischer und Liebe als christlicher Ausdruck für Gott verstanden wurde. Demnach gehörte der gerechte Gott in das Alte Testament und der Gott der Liebe in das Neue Testament, und so wurde auch der Gegensatz von Gesetz und Evangelium begriffen. 172 Bei dieser Position wird die Gerechtigkeit Gottes nicht vom Kreuz Christi her, wo doch die schaffende Gerechtigkeit Gottes offenbar wird, sondern allein von der Vorstellung des richtenden und den Menschen verurteilenden Gottes her bestimmt.
168
Vgl. a.a.O. 82; Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 98-102. Vgl. a.a.O. 109. 170 Vgl. a.a.O. 108. Es geht um Gottes einschließende, inkludierende Gerechtigkeit, die den Menschen gerechtspricht und gerechtmacht in einem (Röm 3,26); vgl. Iwand, Gottesgerechtigkeit. Bibelarbeit über Römer 12,9 - 13,7, SGKL 3, 1951, H. 8, 5. 171 Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 91 (Hervorhebung im Original). Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 104-110; ders., Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, Vorlesungsauszug (1959), in: Bertold Klappert (Hg.), Diskussion um Kreuz und Auferstehung, Wuppertal 6 1992 (= 1967), 280. 172 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 82f. 109f. 169
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Dagegen fuhrt Iwand aus, daß bereits im Alten Testament Gerechtigkeit „zugleich der Inbegriff von Gottes Barmherzigkeit und Gnade ist"173, wenn auch Rom 1,17 und 3,2lf den Höhepunkt der Lehre von Gottes Gerechtigkeit bilden, wo Paulus klar sagt, daß Gottes Gerechtigkeit „der eindeutige und einfache Inhalt des Evangeliums"174 ist. Gerechtigkeit Gottes ist ihm von dort her der Inbegriff der Offenbarung Gottes in Christus, der Gnade, Liebe und Barmherzigkeit in sich schließt. Von Jesus Christus her wird erkannt, daß Gerechtigkeit und Evangelium zusammengehören: „ E h e nicht b e i d e s z u s a m m e n f ä l l t , E v a n g e l i u m und G o t t e s G e r e c h t i g k e i t , e h e w i r nicht gerade s i e im E v a n g e l i u m s u c h e n und e h e nicht gerade G o t t e s G e r e c h t i g k e i t fur u n s z u m Inhalt der f r o h e n B o t s c h a f t wird, die u n s z u m G l a u b e n ruft, haben w i r d a s G a n z e d o c h n o c h nicht v e r s t a n d e n . " 1 7 5
4.1.2 Rechtfertigung — forensisch und effektiv Gottes Gerechtigkeit ist deshalb Evangelium, weil sie den Sünder nicht ausschließt und verurteilt, sondern ihn einschließt und ihn gerechtspricht und gerechtmacht. Wichtig ist Iwand die Erkenntnis, daß es hierbei nicht nur um ein forensisches Geschehen geht, um eine Gerechtsprechung des Sünders durch Gott, sondern um ein effektives Geschehen, um ein neues Sein des Menschen. Den entscheidenden Mangel der meisten Darstellungen dieser Erkenntnis Luthers sieht Iwand darin, daß dort nur der forensische Charakter der Rechtfertigung betont wird: daß Gott den Sünder gerechtspricht.116 Die Unterscheidung von forensischer und effektiver Rechtfertigung ist die Folge des Streites zwischen Andreas Oslander (1498-1552)177 und Philipp Melanchthon (1497-1560) um den Charakter der Rechtfertigung. Gegen Melanchthon, der um der persönlichen Heilsgewißheit willen den objektiven und damit forensischen Charakter der Rechtfertigung betont, versteht Oslander die Rechtfertigung effektiv als Gerechtmachung, indem Christus nach seiner göttlichen Natur unmittelbar in den Menschen eingeht. Daraufhin erklärt Gott den Menschen fur gerecht.178 Gegen Oslander wird in der 173 Iwand, Art. Gerechtigkeit, ESL, 6 1969, 4 8 0 (Hervorhebungen im Original); vgl. schon ders., RuC, 35f. 174 Iwand, Art. Gerechtigkeit, ESL, 6 1969, 480; vgl. ders.. Zu Edmund Schlink, ThBI 21, 1942, 166: „... Evangelium, das heißt ja: Offenbarung der justitia Dei!" 175 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 107. 176 Vgl. a.a.O. 111; vgl. ders., PM II, 109f: „Die Rechtfertigung ist also kein analytisches Urteil Gottes, sie schafft aus dem Nichts, ja mehr, sie macht zunichte, was ist, und schafft, was nicht ist (1. Kor. 1,28)." Kinder, Art. Rechtfertigung II, RGG 3 5, 1961, 839, rechnet Iwand dagegen unter die Vertreter einer forensischen Rechtfertigungslehre mit stärkerer christologischer Fundierung. 177 Vgl. Robert Dollinger, Art. Oslander, Andreas (1498-1552), RGG 3 4, 1960, 1730f. 178 Vgl. Kinder, Art. Rechtfertigung II, RGG 3 5, 1961, 835f. Schlink weist zu Recht darauf hin, daß Melanchthon in der Apologie die Rechtfertigung forensisch und effektiv versteht; vgl. Schlink, Theologie, 140f, Anm. 18: „Gerechterklärung ist gleich Gerechtmachung, und Ge-
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Konkordienformel dann „die forensisch-imputative Seite der iustificatio von der effektiven der regeneratio unterschieden"179 und dieser vorgeordnet; in der Folgezeit liegt die Betonung auf der forensischen Seite der Rechtfertigung. Iwand dagegen sieht von Luther her das Besondere der Gottesgerechtigkeit darin, daß Gott dem Menschen als Schöpfer begegnet und ein neues Sein, sein eigenes Sein im Menschen schafft, und zwar so, „daß er erst zunichte machen muß, damit er neuschaffen kann!"180 In Christus ist Gottes Sein mit seinem Schaffen eins; d.h. in Christus darf ich nicht mehr zwischen dem gerechten Gott und meiner Ungerechtigkeit und Sünde unterscheiden. Die Einheit von Gottes Sein und Schaffen heißt, daß er das, was er in sich ist, auch in mir wirkt. „Die Gerechtigkeit Gottes, die du hier [in Jesus Christus, R.M.] findest, die schließt dich ein, so daß Gottes Sein und Wesen dein Sein und Wesen ist."181 Der Unterschied zwischen Gesetz und Christus liegt darin, daß das Gesetz die verlorengegangene Einheit von Sein und Schaffen aufdeckt, da es den gerechten Gott und den sündigen Mensch offenbart, während in Christus die Einheit von gerechtem Gott und gerechtfertigtem Menschen gefunden wird. Wenngleich Iwand den effektiven Charakter der Rechtfertigung betont, hält er auf der anderen Seite den forensischen Aspekt fest. Das neue Sein aus Gott haben wir als promissio, im Glauben und in der Hoffnung, so daß wir „Sünder auf die Wirklichkeit unseres Lebens gesehen, gerecht auf die Hoffnung gesehen, die wir aus Gott haben"182, sind. Der Gerechtfertigte lebt in der Gleichzeitigkeit und Spannung von Sünde und Gerechtigkeit, Verlorensein und Gnade, Fleisch und Geist. Das neue Sein des Menschen liegt außerhalb seiner selbst, es ist in Christus verborgen, der unsere Gerechtigkeit ist.183 Damit wird die Spannung deutlich, die zwischen der Realität des neuen Seins und der gleichzeitigen Verborgenheit und dem „extra nos" des neuen Lebens besteht. Die Betonung des extra nos veranlaßt Eeva Martikai-
rechtmachung ist gleich Gerechterklärung." Vgl. ApoICA IV, BSLK 198,24 („efficimur"). Vgl. auch die Ausführungen von Hans Engelland, Melanchthon, Glaube und Handeln, FGLP 4.Ser. 1, München 1931, 5 4 1 - 5 6 8 . 179 Slenczka, Art. Glaube VI, TRE 13, 1984, 332 (Hervorhebungen im Original). Vgl. FC S D III, BSLK 9 1 3 - 9 3 6 . 180 ]wancjt Glaubensgerechtigkeit, 112; vgl. ders., Prinzipienstreit, GA I, 236. Nach Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 54, übernimmt Iwand hier die „Traditionslast der Unterscheidung von forensischer und effektiver Rechtfertigung", wobei seine Rechtfertigungslehre „ein natürliches Gefälle auf die Seite der effektiven Rechtfertigungslehre hin" habe, so daß Iwand den neuschaffenden Aspekt betone. 181 Iwand, GuE (1937), N W 4, 106; vgl. ders., Rechtfertigungslehre (1959), 46f. Vgl. WA 5, 144,17-22. 182 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 114. 183 Vgl.a.a.O. 115-117; vgl. Kol 3,3 und l.Kor 1,30. Zum Kampf zwischen Fleisch und Geist s.u. 168ff.
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nen zu dem Urteil: „Obwohl Iwand sich oftmals der These Luthers anschließt, daß Christus wirklich im Gläubigen wohnt und wirkt, nimmt er jedoch den in der These enthaltenen effektiven Rechtfertigungsbegriff nicht für voll."184 Martikainen versteht mit der finnischen Lutherforschung die Einwohnung Christi im Gläubigen als naturhafte, ontische Einwohnung wenn auch ohne Substanzveränderung des Menschen, wohingegen sie bei Iwand lediglich eine Einwohnung durch das Wort sieht.185 Martikainen hat darin recht, daß Iwand eine substanzhafte Veränderung des Menschen in der Rechtfertigung ablehnt, weil das neue Sein und Wesen dem Menschen in Christus im Glauben gegeben ist, wodurch es aber für Iwand keineswegs weniger real ist.186 Darin sieht Iwand sich einig mit dem Verständnis Luthers und Calvins. Er fragt, ob der Wiedergeborene in seinem Wiedergeborensein zu sehen und zu fassen ist und antwortet: „Es war für uns alle eine erstaunliche Tatsache, als wir fanden, daß die Reformatoren das geleugnet haben." 187Das Urteil darüber, ob Iwand entgegen seinem eigenen Verständnis nur eine forensische Rechtfertigung vertritt, hängt letztlich davon ab, ob die Rechtfertigung nur unter der Voraussetzung der naturhaften Einwohnung Christi im Gläubigen als effektiv bezeichnet werden kann. Iwand selbst sieht die Rechtfertigung in Übereinstimmung mit Luther - wie er ihn versteht - als ein effektives und forensisches Geschehen an.188 4.1.3 Christus unsere Gerechtigkeit'89 In Jesus Christus wird die Gerechtigkeit Gottes als Inhalt des Evangeliums offenbart und Gott als der Richter und Versöhner, der Gerechte und Barmherzige erkannt. Im Leben und am Kreuz Jesu Christi wird Gott als der Richter erkannt, weil er in Christus das Gericht an der Welt vollzogen hat.
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Martikainen, Evangelium, 106. 185 v g l . a.a.O. 105-113. Zur Interpretation der Einwohnung Christi im Gläubigen, wie die finnische Lutherforschung sie bei Luther versteht, vgl. Tuomo Mannermaa, Theosis als Thema der finnischen Lutherforschung, in: Luther und Theosis, VLAR 16, Erlangen 1990, 11-26. Vgl. auch Risto Saarinen, Gottes Wirken auf uns. Die transzendentale Deutung des Gegenwart-Christi-Motivs in der Lutherforschung, VIEG 137, Stuttgart 1989. Darin vertritt er die These, daß sich die Lutherdeutung der dialektischen Theologie gegen ein metaphysisches Substanzdenken abgrenzt. „Karl Barth und Ernst Wolf konzipieren die Einigung Christi mit dem Menschen bei Luther als eine durch Gottes Wirken bedingte ,Tatgemeinschaft'." A.a.O. 231. 186 Yg] i w a n d , Glaubensgerechtigkeit, GA II, 124: „Die Gottesgerechtigkeit (aber) läßt das Ich im Glauben mit dem Herrn Christus so eins werden, daß die beiden eine Gestalt, ein Wesen, ein Wille werden." 187
Iwand, Glauben und Wissen, N W 1, 168. Als Beleg bei Luther zitiert er WA 47, 29,22. Entsprechend urteilen Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 99; Hoffmann, Versöhnung, 80; Krüger, Versöhnt, 5 lf; Bertold Klappert, Promissio und Bund. Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth, FSÖTh 34, Göttingen 1976, 192f. 188
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Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 80-110.
Jesus Christus macht offenbar, daß im Gesetz keine Rettung ist, sondern daß es das Gericht und den Tod bringt. „Jesus Christus enthüllt durch seinen Tod das Wesen des Gesetzes. Hier ist Gott Richter, der Gott, den wir anbeten, wenn wir unter dem Gesetz leben." 190 Iwand betont, daß Gott am Kreuz Christi die Sünde richtet. Christus ist am Kreuz zur Sünde gemacht und „hat vor Gott das Schicksal erlittten, das Gott der Sünde zugedacht hat. Das heißt orge und katara, Zorn und Fluch ,.."191. Jesus Christus hat den Fluch des Gesetzes getragen, in ihm hat Gott nicht das Gesetz gemildert, sondern hat selber Sünde, Tod und den Fluch auf sich genommen; Jesus als der Gehorsame und Sündlose hat stellvertretend für uns das Gericht getragen. In seinem stellvertretenden Leiden erweist sich Gottes Gerechtigkeit als Barmherzigkeit, weil in Jesus Christus Gott selbst an unserer Stelle gerichtet wird, um uns die Erlösung zu erwerben. Dort, wo menschlich keine Stellvertretung möglich ist, bei dem eigenen Tod, tritt Christus an die Stelle des Menschen und „kommt unter unserem Namen in das Gericht der Sünde und des Todes." 192 Christi ganze Existenz ist nach Iwand nur als stellvertretende Existenz zu begreifen, die allein vom pro nobis bestimmt ist. In seinem Leiden, Sterben und Auferstehen erwirbt Jesus Christus als der sich Opfernde und der Geopferte die Erlösung. 193 Das Besondere der Gerechtigkeit Gottes liegt in der Stellvertretung, liegt darin, daß Christus an unserer Stelle das Gericht trägt. Das, was Luther mit dem „fröhlichen Wechsel" bezeichnet, drückt Iwand folgendermaßen aus: „So, wie Christus vor Gott als die Sünde dastehen muß, so stehen wir vor Gott da, als seine Gerechtigkeit. ... Wir stehen durch Christus vor Gott, so wie die eigene Gerechtigkeit Gottes vor Gott steht. Gott müßte sich selbst widersprechen, wenn er uns verurteilen wollte. Das heißt also, daß wir im Glauben Zuflucht suchen bei der Gerechtigkeit Gottes". 1 9 4
Der Horizont des Kreuzesgeschehens ist das Endgericht Gottes. Das Kreuz Christi als geschichtliches Ereignis ist gleichzeitig ein „endzeitliches Ereignis; die Gerechtigkeit, die Christus bringt, ist die im Endgericht, also endgültig uns zugeeignete." 195 So wie unter dem Gesetz die Einheit des Ich mit der Sünde da war, schenkt die Gottesgerechtigkeit die Einheit des glaubenden Ich mit Christus: 190
A.a.O. 85. A.a.O. 90. 192 A.a.O. 101. 193 Vgl. a.a.O. 102f. Vgl. den Hinweis auf Luthers Rede vom „Tausch" und „fröhlichen Wechsel" bei Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 120. 194 Iwand, GuE (1937), NW 4, 90. 195 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 120. Es ist das Verdienst von Albrecht Peters, in der Nachfolge von Peter Brunner immer wieder auf den Gerichtshorizont von Gesetz und Evangelium verwiesen zu haben; vgl. Peters, Gesetz und Evangelium, 341 f. Ähnlich auch Reinhard Slenczka, Kirchliche Entscheidung, 14, der in der ,,frohe[n] Botschaft von der Rettung aus dem kommenden Gericht" die „vollständige Bedeutung von Evangelium" sieht. 191
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„ D a s G e s e t z ließ d i e S ü n d e und das Ich s o nahe aneinanderrücken, d a ß d i e b e i d e n e i n e Gestalt, ein F l e i s c h und ein W i l l e wurden. D i e G o t t e s g e r e c h t i g k e i t aber läßt d a s Ich im G l a u b e n m i t d e m Herrn Christus s o e i n s w e r d e n , daß d i e b e i d e n e i n e Gestalt, ein W e s e n , ein W i l l e w e r d e n . " 1 9 6
In der Rechtfertigung darf der Glaubende nicht zwischen sich und Christus unterscheiden, weil hier Gottes Sein und Schaffen eins sind: Was für Gott gilt, muß auch fur den Gläubigen gelten.197
4.2 Die Gabe des Evangeliums Gott wirkt durch das Gesetz in der Kraft seines Geistes die Erkenntnis seiner Gerechtigkeit und der eigenen Sünde, das Gesetz „offenbart uns die abgründige Kluft zwischen dem Sein Gottes und unserem Sein."198 Aber das Gesetz kann nichts Neues schenken, kann diesen Gegensatz nicht aufheben. Das Evangelium dagegen schenkt die Einheit von Gottes Sein und unserem Sein, von Gottes Sein und Gottes Schaffen. Durch das Gesetz wird die Gerechtigkeit Gottes erkannt und anerkannt, aber durch das Evangelium schenkt Gott dem Sünder seine Gerechtigkeit und hebt die Sünde auf.199 Analog zur Schöpfung ist Gott in der Rechtfertigung als einer Neuschöpfung am Werk, wobei er durch das Gesetz den Menschen zum Sünder macht und so in den Tod gibt, um ihm durch das Evangelium ein neues Sein zu schenken.200 Während das Gesetz nur aufdecken und die Situation des Menschen vor Gott offenbaren kann, ohne schöpferisch zu sein, kommt in Jesus Christus „der Schöpfergott über die Gerechtigkeit, da wird Gerechtigkeit ein schöpferischer Akt"201, so daß für Iwand in Jesus Christus Gott als der Erlöser und der Schöpfer erkannt wird. So wie Iwand auf der einen Seite heraustellt, daß durch das Gesetz das pro me des Kreuzestodes Christi deutlich wird - insofern, als der Mensch sich durch das Gesetz als Sünder erkennt und somit den Tod Christi als fiir ihn geschehen erkennt - so betont Iwand auf der anderen Seite, daß das pro me in das Evangelium hineingehört.202 Das pro me im Evangelium heißt 196
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 123f; vgl. ders., Art. GuE (1956), 1565. Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 121. 198 Iwand, GuE (1937), N W 4, 156. 199 Ygi iwand, Evangelium, N W 4, 450: „... die Gnade vermag, was das Gesetz nicht vermag: die Sünde aufheben und die Gerechtigkeit schenken." Es geht hier um den Gedanken der imputatio der fremden Gerechtigkeit und der non-imputatio der eigenen Sünde; vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 109. 200 v g l . a.a.O. 112; Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 54. 201 Iwand, GuE (1937), N W 4, 105. 202 S.o. Teil 1.IV.1.3.2 „Pro me", 112. Die Zugehörigkeit des pro me zum Evangelium von Jesus Christus hat Iwand vor allem in den späteren Jahren in Abwehr gegen ein erkenntnistheoretisches Verständnis des pro me betont; vgl. Iwand, Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 197
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dann, daß in Jesus Christus meine Gerechtigkeit verborgen liegt und in ihm der „fröhliche Wechsel" geschieht - der Tausch von meiner Sünde und Gottes Gerechtigkeit.203 „Im pro me will diese göttliche Gerechtigkeit, die justitia coelestis, auch in mir siegen und zu ihrer Anerkennung kommen, w i e sie an sich - in Jesus Christus - j e schon über die Sünde und den Tod gesiegt hat. Darum geht meine Gerechtigkeit in Christo meiner Existenz voraus." 2 0 4
5. Zusammenfassung
Iwands Ausführungen zur Aufgabe des Gesetzes machen deutlich, daß das Gesetz in seinem usus elenchticus für die Rechtfertigung und Christuserkenntnis unerläßlich ist. Einen breiten Raum nehmen bei ihm auch die Überlegungen zum tertius usus legis ein, wohingegen der usus politicus wenig Beachtung findet. 1. Die zentrale Bedeutung des usus elenchticus legis bei Iwand zeigt ihn als lutherischen Theologen. Das Ziel des Gesetzes als usus elenchticus liegt für ihn nicht in der Tat des Menschen - das ist der Irrtum des „natürlichen" Gesetzesverständnisses - sondern in der Umkehr des Menschen, in der Buße und Hinwendung zu Jesus Christus. Die Aufgabe und Leistung des Gesetzes sieht Iwand in der Sündenerkenntnis des Menschen, genauer in der Erkenntnis der Sünde als Macht, die den Menschen beherrscht. Diese Sündenerkenntnis durchs Gesetz ist gewirkt durch den Heiligen Geist und stellt den Menschen als Sünder coram deo. Er erkennt sich selbst darin als Sünder und Gott als den Gerechten, so daß die vom Heiligen Geist durch das Gesetz gewirkte Sündenerkenntnis zugleich Selbst- und Gotteserkenntnis ist. Iwand betont, daß Sündenerkenntnis und Glaube an Christus, der Zuspruch der Vergebung, zwar psychologisch und im Vollzug (z.B. in der Beichte) als ein Nacheinander erfahren werden, jedoch theologisch zusammengehören. Gesetz und Evangelium sind demnach zwar zu unterschieden, dürfen aber nicht auseinandergerissen werden. Diese theologische Einheit liegt darin begründet, daß dort, wo der Mensch sich als Sünder vor Gott erkennt und 1954; ders., Evangelium, NW 4, 441-451. In dem ,,eine[n] Christus - Gesetz und Evangelium pro me" sieht Hans-Martin Barth den besonderen Ansatz von Iwand für die Frage von Gesetz und Evangelium und beschreibt Iwands Entwurf als eine „interessante Verbindung von Intentionen K. Barths mit Anliegen lutherischer Provenienz". H.-M. Barth, Art. Gesetz und Evangelium I. Systematisch-theologisch, TRE 13, 1984, 136. 203 Vgl. Iwand, Evangelium, NW 4,449f. 204 Iwand, Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 1954, 456.
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damit Gott in seinem richtenden Urteil recht gibt, Gott dem Menschen nicht anders als gnädig sein kann. In dem Gott-recht-Geben, der Rechtfertigung Gottes im Menschen, liegt eine zentrale Funktion des Gesetzes in der Rechtfertigung. Eine weitere wichtige Aufgabe des Gesetzes in der Rechtfertigung besteht darin, daß dem Menschen durch das Gesetz das pro me der Erlösungstat Jesu Christi offenbart wird. Durch das Gesetz wird ihm die Erkenntnis seines Sünderseins geschenkt und darin gezeigt, daß Jesus Christus für seine Sünden gestorben ist und sterben mußte. Die Sündenerkenntnis ist aber nicht das letzte Ziel des Gesetzes, sondern es ist Zuchtmeister auf Christus (Gal 3,24) und will den Menschen zu Christus führen, in dem die Forderung des Gesetzes erfüllt ist. Darin liegt für Iwand die Heilsbedeutung des Gesetzes. Wenn das Gesetz dem Menschen die Macht der Sünde offenbart, so liegt darin eine wichtige Bedeutung für die Christuserkenntnis, die Christologie. An der Macht der Sünde offenbart das Evangelium die Übermacht Gottes und läßt damit die Größe und Tragweite des Werkes Christi als Sieg über die Sünde erkennen. Der Vollzug der Rechtfertigung geschieht im Gebet, in dem Gesetz und Evangelium zusammenfallen. Im Gebet bekennt der Mensch vor Gott seine Sünde, bittet Gott um Gnade und empfängt die Vergebung. Die Verzweiflung über die Sünde ist hineingenommen in das Evangelium. Nachdem Iwand die Aufgabe des Gesetzes entfaltet hat, macht er die wichtige zweifache Grenze des Gesetzes deutlich. Die erste Grenze liegt darin, daß es, um positiv Hilfe zum Tun sein zu können, Leben in der Gemeinschaft mit Gott voraussetzt. Die zweite Grenze des Gesetzes ist die, daß es nicht lebendig machen kann, also gerade seine Voraussetzung selbst nicht schaffen kann. Die Voraussetzung, auf die das Gesetz trifft, ist der sündige, gefallene Mensch, dessen Sünder-Sein dem Sünde-Tun vorausgeht, so daß die theologische Anthropologie die nötige Voraussetzung ist, um die Möglichkeiten des Gesetzes erkennen zu können. Das Gesetz kann somit zur Erkenntnis der Sünde führen, aber nicht von der Sünde befreien - das kann allein das Evangelium. 2. Die Gerechtigkeit Gottes wird dem Menschen in Gesetz und Evangelium in der Kraft des Heiligen Geistes geschenkt. Iwand hebt hervor, daß diese Gerechtigkeit aber kein habitus des Menschen ist, sondern ihm als promissio gegeben ist, so daß das neue Leben real gegenwärtig, aber gleichzeitig extra nos in Christus und damit unanschaulich ist. Gottes Gerechtigkeit und der Heilige Geist, der den Menschen auf Christus ausrichtet, gehören untrennbar zusammen. Iwand versteht die Heiligung als Unterordnung unter Gottes Gerechtigkeit durch den Heiligen Geist, wobei die Unterordnung nicht als knechtischer, sondern als kindlicher Gehorsam zu begreifen ist. Rechtfertigung und Heiligung sind eine Gabe Gottes unter verschieden 142
Aspekten und dürfen nicht voneinander getrennt werden. Der Wiedergeborene bekommt ein neues Verständnis des Gesetzes: es wird für ihn zum Gebot und hat die Aufgabe, ihn in Christus zu bewahren und vor den Irrwegen des Nomismus und des Antinomismus zu schützen. Iwand geht so weit zu sagen, daß aus der Forderung des Gesetzes eine Gabe wird, so daß der Gegensatz von Gesetz und Evangelium hinfällig wird. Aus dem alleinigen „Du sollst" des Gesetzes wird das „Du wirst", und es kommt in der Kraft des Heiligen Geistes zum Tun des Gebotes. Im Vergleich mit anderen theologischen Positionen gewinnt die Sicht Iwands deutlichere Konturen. So zeigt sich gegenüber Werner Eiert, daß Iwand mit ihm zwar die bleibende anklagende Funktion des Gesetzes für den Christen betont, sofern dieser Sünder ist, aber im Gegensatz zu Eiert dem Gesetz in seinem tertius usus ein neues, positives Verständnis abgewinnen kann. Umgekehrt zeigt ein Vergleich mit Karl Barth, daß in der Sicht der Bedeutung des Gesetzes für den Wiedergeborenen weitgehende Übereinstimmung in der positiven Bewertung des Gesetzes besteht, daß aber Barth kein Verständnis für die anklagende, sündenaufdeckende Funktion hat. Weitgehende Übereinstimmung mit Iwands Verständnis läßt der Ansatz von Edmund Schlink erkennen. Iwand kennt - wie er - fur den Wiedergeborenen den secundus usus legis und auch das neue Verständnis des Gesetzes als tertius usus legis. Daß es für den Wiedergeborenen ein neues Verständnis des Gesetzes gibt, das über die sündenaufdeckende Funktion hinausgeht, lehrt Iwand in Übereinstimmung mit Luther. 205 Auf die Frage, wozu das Amt des Gesetzes für die Gläubigen dienen soll, sagt Luther, daß die Gesetzeslehren entweder zur Aufdeckung der Sünde führen, „... oder sie sind Heilmittel und Verhaltensregeln, durch die die Gnade, die schon empfangen ist, der Glaube, der schon geschenkt ist, bewährt, genährt, vollendet werden soll, gleich wie es geschieht, wenn ein Kranker gesund zu werden anfängt" 206 . Ähnlich wird es in der Konkordienformel unter dem Begriff des tertius usus legis ausgeführt. 207 Über Luther hinaus geht Iwand allerdings dort, wo er von der Identität von Gesetz und Evangelium spricht. 208 3. Der usus politicus legis tritt bei Iwand aufgrund der Auseinandersetzungen um den Volksnomos fast völlig zurück. Er bejaht allerdings das Gesetz in dieser Funktion in der äußeren Ordnung als Damm gegen das Böse.
205 Yg] 206 207 208
Wiifrieci j0est,
Gesetz und Freiheit.
WA 2, 4 6 6 , 2 4 - 2 6 ; Übersetzung nach Peters, Christologie, FuH 25, 1980, 139. Vgl. FC VI, BSLK 7 9 3 - 7 9 5 . 9 6 2 - 9 7 2 . Vgl. Iwand, N W 5, 143; ders., GuE (1937), N W 4, 133; ders., Predigt, N W 2, 87.
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4. Iwand behandelt das Evangelium weniger ausfuhrlich als das Gesetz, weil es zum einen im Gegenüber zum Gesetz erkennbar ist und zum anderen in seiner Funktion eindeutiger als das Gesetz ist. Als Inhalt des Evangeliums versteht Iwand die Gerechtigkeit Gottes, die als iustitia passiva im stellvertretenden Leiden und Sterben Jesu Christi offenbart worden ist und dem Sünder zugeeignet wird. In der Gottesgerechtigkeit sind Gottes Sein und Schaffen eins, so daß er in der Rechtfertigung den Sünder gerechtspricht und gerechtmacht. Das Rechtfertigungsgeschehen begreift Iwand als forensisches und effektives Geschehen, in dem der Mensch ein neues Sein bekommt. Diese Einheit mit Christus ist aber für ihn nicht substanzhaft zu verstehen, sondern sie ist dem Menschen als promissio extra nos in Christus gegeben: peccator in re, iustus in spe. Gottes Gerechtigkeit ist nicht im Gegensatz zu seiner Liebe und Barmherzigkeit zu sehen, sondern in Einheit damit. Im stellvertretenden Leiden Jesu Christi erweist sich Gottes Gerechtigkeit als Barmherzigkeit, weil darin Gott selbst an unsere Stelle tritt. Jesus Christus trägt an unserer Stelle das Gericht, so daß er vor Gott zur Sünde gemacht wird und wir als Gerechte vor Gott stehen (der „fröhliche Wechsel")· Offenbart das Gesetz die Einheit von Ich und Sünde und den Gegensatz von Gottes Sein und unserem Sein, so schenkt die Gottesgerechtigkeit die Einheit von Ich und Jesus Christus, von Gottes Sein und unserem Sein. Iwands Betonung der Rechtfertigung als effektives Geschehen steht in Übereinstimmung mit seiner Sicht der Funktion des Gesetzes für den Wiedergeborenen, durch das der Christ bewahrt und zu guten Taten geführt wird, so daß es zur Erfüllung des Willens Gottes in den Gläubigen kommt. Wenn Iwand auf der anderen Seite das neue Sein als promissio extra nos in Christo beschreibt und immer wieder die Unanschaulichkeit des neuen Lebens und die Ausrichtung auf das Eschaton hervorhebt, wird die Spannung erkennbar, die zwischen der effektiv verstandenen Rechtfertigung und dem neuen Sein als promissio besteht.
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V. Die Einheit und die Abfolge von Gesetz und Evangelium
1. Die Einheit von Gesetz und Evangelium1
Die für Luther grundlegende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hält auch Iwand zeitlebens aufrecht. Gleichzeitig lehnt Iwand aber eine Scheidung von Gesetz und Evangelium ab, weil beide immer aufeinander bezogen sind. Gegen die völkische Theologie betont er, daß Gesetz und Evangelium „beide unter einer Klammer, unter der Klammer der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus stehen müssen und werden" 2 und daß das Gesetz nicht der Offenbarung vorgeordnet werden darf. Die Einheit von Gesetz und Evangelium sieht Iwand gegeben im Wort Gottes, in Christus und im Menschen.
1.1 Die Einheit im Wort Gottes Der erste und allgemein anerkannte Zusammenhang von Gesetz und Evangelium besteht darin, daß sie einen gemeinsamen Ausgangspunkt, einen gemeinsamen Ort haben, das Wort Gottes. Das Wort Gottes ergeht als Gesetz und Evangelium, es sind zwei Worte Gottes oder zwei Weisen des einen Wortes Gottes, in denen Gott zu dem Menschen spricht. Die strittigen Fragen sind, inwieweit ein Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium erkennbar ist - und somit eine Einheit des Wortes Gottes über diesem Gegensatz gefunden werden kann - , und ob Gott sein Gesetz außerhalb der Heiligen Schrift als des Wortes Gottes offenbart hat. Dies ist das Problem der revelatio generalis und revelatio specialis, verbunden mit der Frage nach dem Anknüpfungspunkt. 1
Die Frage nach der Einheit von Gesetz und Evangelium wird von Jürgen Seim in seinem Aufsatz „Die Lehre von Evangelium und Gesetz bei Hans J. Iwand", EvTh 46, 1986, 231-246, sehr instruktiv behandelt. Er verhehlt dabei nicht seine Sympathie für die These von der Einheit von Gesetz und Evangelium sowie von der Abfolge „Evangelium - Gesetz". 2 Iwand, Glauben und Wissen (1955), NW 1, 22f.
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In der Frage nach dem Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium ist, wie bereits gezeigt wurde, bei Iwand eine Veränderung seiner Anschauung erkennbar.3 Hat er noch 1935 in seiner Besprechung von Karl Barths KD 1.1 die Meinung vertreten, daß es nicht möglich sei, jenseits des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium nach dem Wort Gottes zu fragen,4 zeigt sich an zwei Briefen aus dem Jahr 1947 ein neues Nachdenken über diese Frage. In einem Brief an den lutherischen Professor F.E. Mayer bekräftigt Iwand seine Kritik an Barth, wenn er schreibt: „Die Neuorganisation der lutherischen Kirche ... müßte ... die Lehre von Gesetz und Evangelium zu dem Schiboleth machen, an dem auch die Auseinandersetzung mit dem Calvinismus sinnvoll sein würde ... Ich habe seinerzeit von diesem Punkte aus Karl Barths Dogmatik besprochen unter der These: Jenseits von Gesetz und Evangelium?' Es ist die Gefahr, daß, wenn wir die Dogmatik lediglich gründen auf den Begriff der Offenbarung, dadurch die Rechtfertigung zu kurz kommt." 5
Einige Wochen später schreibt er an den schwedischen Lutheraner Ragnar Bring: „In Wahrheit sollten wir im Vertrauen auf die Gaben, die wir in Luthers Theologie haben, sehr viel mutiger und zuversichtlicher die Auseinandersetzumg mit ihm [Barth, R.M.] aufnehmen, und es würde sich zeigen, daß wir auch unsererseits Entscheidendes zu sagen hätten. Ich glaube, wie ich das auch in meiner ersten Besprechung des 1. Bandes seiner Dogmatik zu zeigen versuchte, daß wir von der Lehre von Gesetz und Evangelium her mancherlei Bedenken anzumelden hätten. Während ich umgekehrt meine, daß die lutherische Dogmatik die Rechtfertigungslehre zu stark isoliert und darum die Lehre vom Wort Gottes, die bei Luther eng damit verbunden ist, zu stark in den Hintergrund treten ließ. Hier mUssen wir nach einem Ausgleich trachten, insofern, als die Lehre vom Worte Gottes und die von der Rechtfertigung gleicherweise aufeinander bezogen sind. Es könnte eine große Sache sein, diese neue Begegnung zwischen lutherischer und reformierter Theologie" 6 .
In dem Brief an Ragnar Bring ist ein anderer Akzent bei Iwand zu erkennen, wenn er die Lehre vom Wort Gottes nicht nur in der Rechtfertigung, also in dem Gegensatz von Gesetz und Evangelium aufgehen lassen will, sondern neben die Rechtfertigung eine Lehre vom Wort Gottes - als ein besonderes Element reformierter Theologie - stellen möchte. Vollends wird Iwands eigene Kritik an seiner Position von 1935 sichtbar, wenn er 1959 anläßlich der Wiederveröffentlichung seiner Besprechung der KD 1.1 an Karl Barth schreibt: „Heute könnte ich das mit Jenseits von Gesetz und Evangelium nicht mehr so sagen. Überhaupt, was da vom Gesetz drin steht, das ist nicht mehr meine Position
3
S.o. Teil 1 .II. 1 Die Heilige Schrift und das Wort Gottes, 45ff. Vgl. Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 109. 5 Iwand, Brief an F.E. Mayer vom 21.4.1947, zitiert bei Burdach, Iwand, 385. 6 Iwand, Brief an Ragnar Bring vom 18.5.1947, zitiert bei Burdach, Iwand, 385. Der Schwede Ragnar Bring war einer der bedeutendsten lutherischen Theologen Skandinaviens in diesem Jahrhundert. 4
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heute. Erst das Versagen der Lutheraner im Kirchenkampf hat mir dafür die Augen geöffnet und mit unterscheiden gelehrt zwischen Gottes Gebot und jenem zeitlosen N o m o s , der mit allen Inhalten gefüllt werden kann." 7
Entsprechend formuliert Iwand in den fünfziger Jahren die These: „Das eine Wort Gottes ist noch jenseits von Gesetz und Evangelium da"8, und sieht ein Verderbnis darin, daß die Lehre vom Wort Gottes bei Luther gleich im Gegensatz von Gesetz und Evangelium entwickelt wird.9 Ihm liegt daran, daß Gottes Reden in Gesetz und Evangelium nicht so weit voneinander geschieden wird, daß zwei abgrundtief verschiedene Weisen des Redens Gottes daraus werden, die auch im Eschaton nicht aufgehoben werden. Man kann - wie das Beispiel Werner Elerts zeigt - Gottes Reden in Gesetz und Evangelium bis in das Eschaton hinein so weit voneinander trennen, daß dies bei konsequenter Durchführung der Antithese „Gott selber spalten und zugleich die Identität des Christenmenschen mit sich selber aufleben"10 würde. In seiner Vorlesung von 1937 sieht Iwand die Aufhebung des Unterschiedes von Gesetz und Evangelium in das eine Wort Gottes im Eschaton, „da nur noch etwas übrigbleibt: Das Wort Gottes, das verbum dei und nichts sonst. Und alles Übrige wird in dem Einen aufgehen ..."" Iwand tendiert später dazu, die Aufhebung der Unterscheidung als bereits gegeben zu sehen, wenn er das Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium postuliert. Die zweite strittige Frage, die den Offenbarungscharakter des Gesetzes betrifft, wird von Iwand dahingehend beantwortet, daß Gottes Gesetz ausschließlich in die Wortoffenbarung hineingehört und es keine wie auch immer geartete natürliche Gesetzes- und Gotteserkenntnis gibt, die einen Anknüpfungspunkt für die Verkündigung des Evangeliums darstellen könnte.12 Iwand bewegt dabei die dringende Frage des Verhältnisses von λόγος und
7 Iwand, Brief an Karl Barth vom 31.12.1959, BVP, 143. Entsprechend verbindet Iwand in einer Vorlesung von 1958 die Frage nach Gesetz und Evangelium mit dem Volksnomos; vgl. Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 237-239 und ders., Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1566, wo er ebenfalls im Anschluß an das Problem des Volksnomos die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium stellt. Siehe auch Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 244-246. 8 Iwand, NW 5, 203f. 9 Vgl. a.a.O. 203. 10 Peters, Gesetz und Evangelium, 182 (Hervorhebungen im Original). 11 Iwand, GuE (1937), NW 4, 229. Vgl. ähnlich Schlink, der auch mit der Auferstehung in Jesus Christus die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als im Eschaton beendet sieht, weil dann die Erlösten weder des Gesetzes noch des Evangeliums bedürfen, da sie vom Glauben zum Schauen gekommen sind; vgl. Schlink, Theologie, 198.387. Für Eiert kommt dagegen im Eschaton nur ein Entweder-Oder von Gesetz und Evangelium in Frage: „Entweder ist das Gesetz oder das Evangelium das Ende der Wege Gottes mit den Menschen, aber nicht beide. Sie sind widereinander wie Tod und Leben. Wir glauben das Zweite." Eiert, Gesetz und Evangelium, 169. 12
S.o. Teil 1.111.2. 2.2.3 Gottes Gesetz als Offenbarung (λόγος und νόμος), 95ff.
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νόμος. 13 Λόγος ist das Wort Gottes, durch das Gott sich offenbart. Da das Gesetz, der νόμος, in die Offenbarung hineingehört, ist der λόγος dem νόμος vorgeordnet. Bei Iwand zeigt sich eine Tendenz, den λόγος als Gottes Wort, das Jesus Christus ist, auf die Seite des Evangeliums zu stellen, so daß die Einheit von Gesetz und Evangelium im Wort Gottes so gefaßt werden kann, daß das Wort Gottes als Evangelium dem Gesetz übergeordnet ist: „Gesetz und Evangelium müssen begriffen werden aus dem einen Wort Gottes heraus, beide wurzeln in der einen Offenbarung, als gepredigtes, verkündetes Wort begegnet uns auch das Gesetz. Es kann nicht nur dann und wann frohe Botschaft sein, es ist in seinem Ursprung frohe Botschaft: Wenn ich dein Gebot nicht hätte, wäre ich vergangen in meinem Elend. Luther nannte nicht zufällig das Evangelium die lex spiritualis." 14
Leitendes Motiv ist dabei für Iwand, „die Lehre vom Gesetz für die Offenbarung zurückzugewinnen."15
1.2 Die Einheit in Jesus Christus Bereits bei der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium war deutlich geworden, daß sie eine gemeinsame Mitte haben - Jesus Christus, auf den beide bezogen sind. Das Gesetz sagt: „tu debes habere Christum", das Evangelium sagt: „ecce hic est Christus et spiritus eius."16 Für Iwand dient die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium dazu, Christus, sein Leben und sein Werk, zu erkennen. Am Kreuz Christi, in der Versöhnungstat Gottes, kommen für Iwand Gesetz und Evangelium zusammen: „in Jesus Christus, in dieser hier durch Gott geschehenen Versöhnungstat, sind ja doch wohl beide, Gesetz und Evangelium, eins."17 Die Einheit von Gesetz und Evangelium ist mit Iwand nicht so zu verstehen, daß die beiden Worte Gesetz und Evangelium in ein Wort aufgelöst würden, sondern in dem einen Wort Gottes in Jesus Christus werden die zwei Worte Gesetz und Evangelium laut, so daß „die frohe Botschaft Gottes in Jesus Christus uns von zwei
13
Iwand, Offenbarung, NW 1, 289, These 32: „Wer das Verhältnis von Logos und Nomos klären könnte, würde der protestantischen Theologie in ihrer augenblicklichen Not einen großen Dienst tun." (Hervorhebung im Original). 14 Iwand, Prinzipienstreit, GA 1,239 (Hervorhebungen im Original). 15 Iwand, Galaterbrief, NW 4, 411. 16 WA 56, 338,28.30. 17 Iwand, Evangelium, NW 4, 442 (Hervorhebung im Original). Vgl. die These Iwands: „Die Einheit von Gesetz und Evangelium ist damit gegeben, daß Jesus Christus das eine Wort Gottes ist." A.a.O. 450.
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Seiten her gesagt wird: Gott tötet und macht lebendig (Dt 32,39)."18 Diese zwei Seiten der frohen Botschaft sind in Jesus Christus offenbar, den Gott in den Tod gegeben und wieder auferweckt hat. Bemerkenswert ist, daß Iwand hier auch Gottes Töten zu dem Inhalt der frohen Botschaft zählt. Er versteht unter der frohen Botschaft übergreifend Gottes Reden in Gesetz und Evangelium als Töten und Lebendigmachen, wie der Kontext dieser Aussage zeigt.19 Bei den Ausführungen zu Gottes Gerechtigkeit als Inhalt des Evangeliums stellt Iwand an der Stellvertretung Jesu Christi die Einheit von Gesetz und Evangelium dar.20 Die Einheit ist ihm damit gegeben, daß am Kreuz Christi Gesetz und Evangelium offenbart werden. Das Gesetz wird in seiner ganzen Tiefe und Schärfe am Gericht offenbart, das Christus stellvertretend erleidet. Ebenso wird die Grenze und die Ohnmacht des Gesetzes erkennbar: Das Sein unter dem Gesetz führt in das Gericht und in den Tod. In Christus wird aber auch das Evangelium als Sieg des Lebens über den Tod erkannt, als die Übermacht Gottes über die Macht der Sünde. Iwand begreift das Versöhnungshandeln Christi als ein den Menschen einschließendes Geschehen, weil es „pro me" geschieht und insofern nicht von des Menschen eigener Geschichte zu trennen ist. „Die Botschaft erreicht mich nur, weil ich je schon darin eingeschlossen bin."21 Dieses Eingeschlossen-Sein betrifft den Menschen als Sünder und als in Christus Gerechtfertigten. Insgesamt zeigt sich, daß - auch bei Tendenzen, das Gesetz in das Evangelium hinein aufzunehmen - Iwand die Einheit von Gesetz und Evangelium in Christus dahingehend versteht, daß in Christus beide Worte zusammenkommen, ohne aber in ein einziges Wort aufgelöst zu werden.
1.3 Die Einheit im Menschen In seinem frühen Lutheraufsatz „Gesetz und Evangelium" aus dem Jahr 1929 fragt Iwand, wo die Einheit von Gesetz und Evangelium zu finden sei und gibt die Antwort: „... - in dem Menschen, der darunter lebt."22 Diese Einheit im Menschen sieht Iwand als notwendig an, um überhaupt selbst Theologie treiben zu können. Hintergrund dieser Gedanken ist die Erkenntnis des „simul iustus et peccator". Die Einheit von Gesetz und Evangelium 18 A.a.O. 247. Vgl. auch Iwands Vortrag zur ersten Barmer These von 1936, in dem er sagt, „daß die Schrift Jesus Christus als das eine Wort Gottes durch Gesetz und Evangelium bezeugt." Iwand, 1. Barmer These (1936), EvTh 46, 1986, 228. 19 Kurz vorher sagt Iwand, daß das Töten das Wort des Gesetzes und das Lebendigmachen das Wort des Evangeliums ist; vgl. Iwand, Evangelium, NW 4, 444. 20 S.o. Teil l.IV.4.1 Der Inhalt des Evangeliums: Gottes Gerechtigkeit, 134ff. 21 Iwand, Evangelium, NW 4, 443. 22 Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 214.
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im Menschen besagt, daß der Mensch in der Spannung zwischen Sündersein und Gerechtfertigtsein lebt und bis zu seinem Tod leben muß. Der Gegensatz von Gesetz und Evangelium entspricht dem Gegensatz von Fleisch und Geist, von homo carnalis und homo spiritualis.23 Das Gesetz offenbart dem Menschen, daß er Fleisch ist, während ihm das Evangelium ein neues Sein, die geistliche Existenz schenkt. Da die fleischliche Existenz, der homo carnalis, nicht einfach beseitigt wird, kommt es zum Streit zwischen dem alten und neuen Menschen, dem Menschen unter dem Gesetz und unter dem Evangelium. Die geistliche Existenz ist verborgen in Christus, bleibt in diesem Leben unanschaulich, aber der Kampf zwischen Fleisch und Geist ist kein unentschiedener Kampf: In Christus ist der Sieg des Geistes über das Fleisch verbürgt.24 Die Einheit von Gesetz und Evangelium im Menschen ist zu verstehen als eine Einheit der Gegensätze. Es kann nicht die Rede davon sein, daß im Menschen diese Gegensätze aufgehoben werden, sondern es ist ein ständiger Kampf, in den der Mensch durch Gottes Gnade hineingestellt ist.25
2. Die Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium
Das mit der Frage nach Gesetz und Evangelium gegebene Problem der Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium faßt Iwand gegen Ende der fünziger Jahre in einer Vorlesung in folgende Sätze: „Man weiß aus der Geschichte der Kirche, daß man schwere Fehler dadurch begehen kann, daß man diese beiden Worte Gottes nicht unterscheidet und damit alles sozusagen im Gesetz aufgeht! Wir wissen aber heute ebenso ... - daß man diese beiden Worte so weit voneinander trennen, sie so gegeneinander isolieren kann, daß man zwei Offenbarungen erhält: eine, die im wesentlichen als allgemeine und universale gilt, als theologia naturalis, und die andere, die als revelatio specialis das Evangelium von Jesus Christus enthält." 26
Bei Iwand ist insgesamt eine theologische Entwicklung erkennbar, die von der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium innerhalb des einen Wortes Gottes zu dem einen Wort Gottes in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium führt. So wie Iwand in seiner Besprechung von Barths KD 1.1 von 1935 das eine Wort Gottes nur in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium an23
Vgl. zum folgenden Iwand, GuE (1937), NW 4, 140-165; ders., GuE (1950), NW 4, 400. S.u. Teil 1.VI.2 Fleisch und Geist - Adam und Christus, 168ff. 24 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 22; ders., NW 5, 74; ders., PM I, 264f. 25 Vgl. Iwand, GuE (1950), NW 4,400. 26 Iwand, Evangelium, NW 4,441 (Hervorhebung im Original).
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erkennen kann, 27 so fragt er 1936 im Blick auf die erste Barmer These: „Weist uns die erste Barmer These in ihrem positiven Teil darauf hin, daß dieses Wort Gottes Gesetz und Evangelium ist?" 28 Er fährt dann fort, daß in der Schrift Jesus Christus als das eine Wort Gottes in Gesetz und Evangelium bezeugt ist, weil in ihm die Einheit der Gerechtigkeit Gottes als richtende und begnadigende offenbart ist.29 Iwand lehnt schon dort die Aufteilung von Gesetz und Evangelium in revelatio generalis und revelatio specialis ab, weil auch das Gesetz in die Offenbarung hineingehört. 30 Die Erkenntnis der Einheit des Wortes Gottes bleibt nach Iwand dem Glauben vorbehalten. Wenngleich er in den dreißiger Jahren die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium festhält, verfallt er nicht dem Irrtum der Volksnomoslehre, das Gesetz der allgemeinen Offenbarung und das Evangelium der Christusoffenbarung zuzuordnen, sondern stellt Gesetz und Evangelium unter die Offenbarung Gottes. In den fünfziger Jahren skizziert Iwand in einer Vorlesung über Luthers Galaterbriefvorlesung von 1531/35 die aktuellen Fronten in der Lehre von Gesetz und Evangelium. 31 Dabei geht er ausfuhrlich auf die Anschauungen von Edmund Schlink und Karl Barth ein und stellt sie einander gegenüber. Das ist deshalb beachtenswert, weil darin das Spannungsfeld sichtbar wird, in dem Iwand selbst sich bewegt. Zu Schlinks Verständnis sagt er einleitend: „Schlink entscheidet sich mit den lutherischen Bekenntnisschriften gegen die Barth'sche Formel [Evangelium und Gesetz, R.M.], ohne damit, wenn ich ihn recht verstehe, die Sache, die Barth meint, preiszugeben." 32
Bei der Sache geht es für Iwand darum, daß das Gesetz Gottes nicht abgesehen vom Wort der Schrift erkannt werden kann, also ebenso wie das Evangelium in die Offenbarung Gottes gehört. 33 Schlink versteht Gesetz und Evangelium als zwei Worte Gottes, die ihre Einheit in der Tatsache haben, daß derselbe dreieinige Gott diese Worte redet. Die Erkenntnis der Einheit dieser zwei entgegengesetzten Worte geschieht allein im Glauben. Wenngleich Schlink sowohl „Gesetz und Evangelium" als auch „Evangelium und Gesetz" sagen kann, steht bei ihm die „Unterscheidung über der Einheit ..., eine Unterscheidung, die bis in das Wort Gottes selbst reicht" 34 . Damit ist nicht nur die Position von Edmund Schlink wiedergege-
27 28 29 30 31 32 33 34
Vgl. Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 109. Iwand, 1. Barmer These (1936), EvTh 46, 1986, 228. Vgl. a.a.O. 229. Vgl. a.a.O. 227. Vgl. Iwand, Galaterbrief, NW 4, 404-^t 11. A.a.O. 407 (Hervorhebungen im Original). Vgl. a.a.O. 408. A.a.O. 409.
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ben, wie er sie 1937 vertritt,35 sondern ebenso die von Iwand aus jener Zeit. Kritisch vermerkt Iwand allerdings, daß bei Schlink der Identitätspunkt von Gesetz und Evangelium in der Bekehrung liegt, in der Buße des Menschen, worin er der lutherischen Orthodoxie folgt. Iwand hält es für bedenklich, daß Gesetz und Evangelium auf das Leben der Menschen ausgerichtet sind, statt, wie er es bei Luther findet, daß „Christus die Mitte ist, das punctum mathematicum, um den Unterschied von Gesetz und Evangelium zu definieren."36 Bei Iwand selbst zeigt sich in den dreißiger Jahren, daß der Bezugspunkt von Gesetz und Evangelium sowohl in der Christologie als auch in der Rechtfertigung (und damit der theologischen Anthropologie) liegt. In der Beziehung auf den Menschen sieht Iwand nun allerdings die Gefahr gegeben, daß damit das Gesetz der Offenbarung in Christus vorgeordnet wird - ohne daß es bei Schlink und ihm selbst allerdings der Fall wäre. In Karl Barths Vortrag „Evangelium und Gesetz"37 von 1935 ist nach Iwand die Gefahr gebannt, das Gesetz außerhalb der Offenbarung verstehen zu wollen: „Hier ist... die Unterordnung des Gesetzes unter die in Jesus Christus beschlossene Offenbarung neu und in aller Strenge vollzogen. Es ist damit eine Lücke geschlossen, die in der Lehre vom Gesetz bei den Reformatoren offen geblieben war und die bereits bei Melanchthon dahin erweitert wurde, daß bis ins erste Gebot hinein das Gottesgesetz mit der lex naturalis identisch gesetzt wurde. Hier ist das Gesetz nicht mehr die Form des Evangeliums, sondern die der revelatio generalis. Weniger Luther als die melanchthonische Form des Luthertums ist durch Barths Schrift vernichtend getroffen." 38
Hier wird das besondere Anliegen Iwands in der Frage von Gesetz und Evangelium besonders deutlich: Es geht um die Unterordnung des Gesetzes unter die Christusoffenbarung und um die Scheidung von Gottesgesetz als revelatio specialis und lex naturalis. Die Ineinssetzung des völkischsittlichen Empfindens mit dem Gesetz Gottes in der Volksnomoslehre sieht Iwand bei Melanchthon in der Identität von Gottesgesetz und lex naturalis bereits keimhaft angelegt.39 Iwand verteidigt Barth gegen den Vorwurf, er wolle den Gegensatz von Gesetz und Evangelium aufheben, denn es gehe nicht um die Aufhebung der Unterscheidung, sondern um den Ort der Un35
Vgl. Schlink, Gesetz und Evangelium, TEH 53, 1937. Iwand, Galaterbrief, N W 4, 409 (Hervorhebung im Original). 37 Vgl. Barth, Evangelium und Gesetz, TEH 32, 1935; wiederabgedruckt in und zitiert nach: Emst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986, 1-29. 38 Iwand, Galaterbrief, N W 4, 405; vgl. a.a.O. 41 Of; ders., Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1566. 39 Vgl. Iwand, Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1566; ders., GuE (1950), N W 4, 3 2 6 355, w o Iwand die Lehre vom Gesetz bei Melanchthon darstellt. Es fällt auf, daß bei seiner Darstellung der Lehre von Gesetz und Evangelium bei Luther, Melanchthon und Calvin am stärksten Melanchthon mit der Lehre von der lex naturalis kritisiert wird. 36
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terscheidung, der nicht vor der Feststellung der Einheit beider liegen dürfe. Iwand zitiert zustimmend Barths Aussage: „... größer als ihre Zweiheit und ihr Streit ist ihr Frieden in dem einen Wort dieses Vaters."40 Die Verlagerung des Interesses Iwands von der Unterscheidung hin zur Einheit von Gesetz und Evangelium zeigt auch ein Zitat von 1956: „So hat die Frage nach der Einheit von G. u. E. [= Gesetz und Evangelium, R.M.] - unter Wahrung der Unterschiede - auf Grund der offensichtlichen Verfehlungen in der neuprotestantischen Entwicklung den Vorrang gewonnen, d.h. die Frage, wie das G.[= Gesetz, R.M.] Gottes in Zusammenhang mit der Offenbarung in Jesus Christus (im Unterschied zur natürlichen Theologie) zu verstehen ist" 41 .
In den dreißiger Jahren hatte Iwand - wie Schlink - trotz der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (in dieser Abfolge!) den Offenbarungscharakter des Gesetzes und auch die Einheit von Gesetz und Evangelium im Wort Gottes festhalten können. Dies scheint dagegen nach 1945 nicht mehr denkbar zu sein, wenn mit der Einheit von Gesetz und Evangelium und dem Gesetz als Offenbarung nur dort Ernst gemacht wird, wo die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz erfolgt, wie es bei Karl Barth der Fall ist. Eine Thesenreihe aus einer Vorlesung Iwands macht diese Neubestimmung deutlich: „1. Die Einheit von Gesetz und Evangelium ist damit gegeben, daß Jesus Christus das eine Wort Gottes ist. 2. Das gilt gegen diejenigen, die zwei Offenbarungsquellen annehmen und das Gesetz der Welt extra Christum zuteilen, das Evangelium aber der Welt in Christo. 3. Die Unterscheidung Gesetz und Gnade ist damit gegeben, daß die Gnade vermag, was das Gesetz nicht vermag: die Sünde aufheben und die Gerechtigkeit schenken. 4. Darum ist das Gesetz von dem Evangelium her auszulegen, das heißt, es ist nach dem Selbstverständnis des natürlichen Menschen zu richten und in neue Form zu fassen. 5. Impletio legis facit opera, non faciunt opera impletionem legis. (Die Erfüllung des Gesetzes schafft Werke, nicht schaffen die Werke die Erfüllung des Gesetzes.) 6. Der Mensch steht einem in seiner Forderung der Sache nach erfüllten Gesetz gegenüber. 7. Also muß das Evangelium und der Glaube der Lex vorangehen, damit sie als ,gesunde Lehre' ... erkannt und geübt wird. 8. Dann ist aber Lex (tertius usus) Verheißung."*2
In den beiden ersten Thesen kommen zwei zentrale Anliegen Iwands, die Einheit von Gesetz und Evangelium in Christus und die damit verbundene Ablehnung der Trennung von Gesetz und Evangelium in eine revelatio generalis und eine revelatio specialis zur Sprache. Wenn nach der festgestellten Einheit dann die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium themati40 41 42
Barth, Evangelium, 2; vgl. Iwand, Galaterbrief, NW 4, 404. Iwand, Art. GuE (1956), EKL 1,21961, 1566 (Hervorhebungen im Original). Iwand, Evangelium, NW 4, 450f (Hervorhebungen im Original).
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siert wird, fällt auf, daß das Gesetz von seiner Grenze her bestimmt ist - es kann nicht lebendig machen (These 3) - und der Vorrang des Evangeliums vor dem Gesetz behauptet wird (Thesen 4 bis 8). Der gravierendste Unterschied zu Iwands Gesetzesverständnis der dreißiger Jahre liegt darin, daß hier nur das Gesetz als tertius usus (Thesen 7 und 8) begriffen ist, während der usus elenchticus legis gar nicht vorkommt. In der zitierten Thesenreihe ist vor allem die Nähe Iwands zu Barth und mit dem Fehlen des usus elenchticus legis - eine Distanz zum lutherischen Verständnis erkennbar. Es verwundert von daher, daß von Walter Kreck gerade diese Thesen angeführt werden, um Iwands Bemühen zu verdeutlichen, „zwischen seinem entscheidend von Luther geprägten Denken und Barths revolutionärem Vorstoß eine echte Synthese zu finden ,.."43.
3. Die Abfolge von Gesetz und Evangelium
Die Frage nach der Umstellung der Abfolge von Gesetz und Evangelium bei Iwand und nach dem Einfluß der Theologie von Karl Barth stellt eines der meistdiskutierten Probleme der bisherigen Iwand-Forschung dar.44
3.1 Gesetz und Evangelium In seiner Studie „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre" von 1941 betont Iwand wie auch in den dreißiger Jahren die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wie auch die Abfolge von Gesetz und Evangelium: „Luther kämpft hier um das Und. Gesetz und Evangelium; er kämpft dafür, daß man nicht diese beiden Stücke umkehre oder gar das Gesetz ganz herauswerfe. Denn es ist gewiß wahr, daß erst v o m Evangelium her das Gesetz verständlich wird, aber auch das andere ist wahr, daß ohne das Gesetz das Evangelium unbegreiflich bleibt und, was auch mit leidenschaftlicher Überzeugung von Luther behauptet wird, daß das Gesetz dem Evangelium vorangeht, daß es darum heißen muß: Gesetz und Evangelium. Es handelt sich hierbei keineswegs um bloße Worte, sondern um weitrei-
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Walter Kreck, Hans Joachim Iwand 1899-1960, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische Theologie, Bonn 1968, 220 (Hervorhebung im Original). 44 Vgl. dazu: Friedrich, Hans Joachim Iwand, 498f; Gandras, Predigt, 12-17; Heinrich, Verheißung, 271-277; Hoffmann, Versöhnung, 74-78; Krüger, Versöhnt, 70-75; Ludwig, „Ein aufgeschlagenes Fenster, 76f.; ders., Beitrag, 112-115; Sänger, Lehrer, 39-46; Seim, Gesetz, EvTh 44, 1984, 89-94; ders., Evangelium, EvTh 46, 1986, 231-246.
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chende Entscheidungen; es geht um das Problem des Antinomismus überhaupt. ... So wollen wir erst einmal dies eine festhalten, daß um des Bekenntnisses zu Christo und um des Heiles der Menschen willen es auch weiterhin heißen muß: Gesetz und Evangelium. Darin liegt die Offenbarung Gottes beschlossen." 45
Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in dieser Folge ist für Iwand entscheidend für die Christologie (das Christusbekenntnis) und die Rechtfertigung (das Heil des Menschen). Das Gesetz wird dabei als usus elenchticus legis verstanden und dem Evangelium vorgeordnet. Die Aufgabe des Gesetzes im sündenaufdeckenden Sinn 46 besteht darin, den Menschen zur Buße zu leiten. Das geschieht dadurch, daß es zur Erkenntnis der Macht der Sünde und darin zur Selbst- und Gotteserkenntnis führt. Dabei gibt der Mensch Gott in seinem Urteil recht (deum iustificare). Das Gesetz führt zur Erkenntnis des pro me des Sühnetodes Jesu Christi und hat sein Ziel und seine Heilsbedeutung darin, daß es als Zuchtmeister auf Christus dient und den Menschen somit zu Christus treibt, der das Gesetz erfüllt hat. An die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium mit Jesus Christus als der gemeinsamen Mitte und dem gemeinsamen Ziel sei dabei ebenso erinnert wie daran, daß Iwand Gesetz und Evangelium als Offenbarung Gottes versteht. In Bezug auf die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung 47 betont Iwand neben dem weiterhin gültigen usus elenchticus für den Christen als Sünder den bewahrenden Charakter des Gesetzes. Für den Wiedergeborenen verändert sich das Gesetz und wird zur guten Weisung Gottes; aus dem fordernden Gesetz wird Gottes Gabe, aus dem „Du sollst" ein „Du wirst". Hier sind deutliche Anklänge an Barths Gesetzesverständnis zu vernehmen.
3.2 Evangelium und Gesetz Im März 1951 fand in Herborn eine Arbeitstagung über die Theologie von Karl Barth statt, an der Barth selbst teilnahm. Es wurden die drei Themenbereiche „Hermeneutik", „Evangelium und Gesetz" und „Schöpfung und Bund" behandelt. 48 Iwand, der das einleitende Referat zum Thema 45
Iwand, Glaubensgerechigkeit, GA II, 58f.65. Vgl. Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 236f. „Trotz aller Nähe zu Barth zögerte Iwand verhältnismäßig lange, die Zuordnung von Gesetz und Evangelium, wie sie die lutherische Tradition festgelegt hatte, zu verändern." A.a.O. 237. Seim sieht eine Veränderung Iwands zu Barth hin ab etwa 1946. 46 Vgl. die ausführliche Darstellung in Teil 1 .IV. 1 Der „eigentliche" Brauch des Gesetzes - der usus elenchticus legis, 103 ff. 47 S.o. Teil 1 .IV.2 Die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung - der tertius usus legis, 118ff. 48 Vgl. die Berichte der Tagung von: Wilhelm Schneemelcher, Theologische Arbeitstagung mit Karl Barth, EvTh 10, 1950/51, 565-572; E.K., Die Herborner Theologen-Tagung mit Karl Barth, BeKiW 2, 1951, Nr. 5, 1-18; Gerhard Wintermann, Herborner Tage mit Karl
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„Evangelium und Gesetz" hielt, äußert in einem Brief an Karl Barth im Rückblick auf die Tagung: „Es war schön in Herborn, und mir hat es weitergeholfen. Ich habe in der Sache ,Evangelium und Gesetz' den Rubikon überschritten."49 Nach Iwands eigenem Urteil hat er hier eine Klärung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium gefunden, so daß es angemessen ist, bei dem Referat Iwands in Herborn, dessen Inhalt in Berichten über die Tagung wiedergegeben ist, den Ausgangspunkt für diese Frage zu nehmen. In seinem Referat bezieht Iwand sich einleitend auf Barths Aufsatz „Evangelium und Gesetz" von 1935. Mit dieser Schrift hat Barth nach seiner Meinung eine radikale Umkehr im innersten Zentrum verlangt, die die Rechtfertigungslehre betrifft. Bei der in der lutherischen Theologie üblichen Vorordnung des Gesetzes vor das Evangelium sei der Mensch mit seiner Bekehrung das Zentrum und der Ausgangspunkt. Der Mensch komme durch das von Christus losgelöste Gesetz zur Sündenerkenntnis (ohne die Erkenntnis des gnädigen Gottes), um dann das „pro me" des Evangeliums für die eigene Existenz zu hören. Als Beispiele für eine solche „Theologie des Gesetzes" mit dem Ausgangspunkt beim Menschen nennt Iwand Althaus mit der Lehre von der Uroffenbarung, Bultmann mit dem existentialen Vorverständnis und Gogarten mit der subjektivistischen Engführung. 50 Barth habe mit seiner Umkehrung der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium wieder Christus statt den Menschen in das Zentrum der Theologie gestellt. Christus sei „das Α und das O. Dann ist nicht das Gesetz das Α und Christus nur das O!"51 In Jesus Christus als dem einen Wort Gottes werden dann auch die zwei Worte in Gesetz und Evangelium laut, aber dadurch, daß Jesus Christus das Wort Gottes ist, ist die Aufhebung von Sünde und Tod nicht nur „pro me" gültig, sondern „eine Realität des neuen Äon"52. Christus ist Gottes Sohn „nicht nur pro me, sondern pro Deo et pro se"53. Das Gesetz darf laut Iwand nicht nur in dem usus elenchticus verstanden werden, es ist nicht nur zur Destruktion des Menschen gegeben, sondern will den Menschen zum Mitarbeiter Gottes machen. Der Gnadenbund Gottes steht am Barth. Zu Karl Barths 65. Geburtstag am 10. Mai 1951, JK 12, 1951, 260-264; Heinz-Horst Schrey, Das Herborner Religionsgespräch 1951, ThZ 7, 1951, 151-155; Kornetts Heiko Miskotte, Karl Barth, Inspiratie en vertolking: inleidingen, essays, briefwisseling, verzorgd door Dr. A. Geense, Dr. H. Stoevesandt, Verzameld Werk Deel 2, Kampen 1987, 170-196. 49 Iwand, Brief an Karl Barth vom 8.7.1951, Iwand-Archiv Beienrode (Kopie). Er schreibt gegen Ende des Briefes: „... ich beginne nun mein lange vorbereitetes Lutherbuch zu schreiben - gut, dass ich es nicht früher geschrieben habe." 50 Vgl. Schrey, Herborner Religionsgespräch, ThZ 7, 1951, 153; Wintermann, Herborner Tage, JK 12, 1951,262. 51 Referierung Iwands bei E.K., Herbomer Theologen-Tagung, BeKiW 2, 1951, Nr. 5, 11 (Hervorhebung im Original). 52 Referierung Iwands bei Schneemelcher, Theologische Arbeitstagung, EvTh 10, 1950/51,568. 53 Ebd.
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Anfang, in den der Mensch einbezogen ist, und „Glaube ist Gehorsam, und zwar dankbarer, freudiger Gehorsam, Antwort auf die mir zugewandte Gnade. ... Ihr seid Gottes! Die Erde ist des Herrn! Das ist Evangelium, damit dürfen wir anfangen."54 Iwand sieht bereits bei dem Luther der Antinomerdisputation mit der formelhaften Vorordnung des Gesetzes vor das Evangelium eine sich anbahnende Fehlentwicklung, der zu widerstehen ist. Daher sei der Umkehrung der Reihenfolge zu Evangelium und Gesetz, wie Barth sie vollzogen hat, zuzustimmen. Dem Referat Iwands ist zu entnehmen, daß man der Fehlentwicklung, die sich seiner Meinung nach durch die Abfolge „Gesetz und Evangelium" ergeben hat, nicht anders als durch die Voranstellung des Evangeliums vor das Gesetz entgegentreten kann. Die Fehlentwicklung liege in der anthropologischen Fassung der Rechtfertigung, bei der unabhängig vom Evangelium der Mensch sich durch das Gesetz selbst erkennt. Damit ist für Iwand die Einheit des Wortes Gottes in Christus ebenso wie das Gesetz als Gottes Offenbarung in Frage gestellt. Die Einheit des Wortes Gottes und auch der Offenbarungscharakter des Gesetzes könne nur darin zum Ausdruck gebracht werden, daß das Evangelium dem Gesetz vorangehe. Darin unterscheidet sich Iwand von seiner früheren Sicht, bei der er diese Anliegen unter Beibehaltung der Abfolge „Gesetz und Evangelium" vertreten hatte. Die wichtigste Konsequenz der Voranstellung des Evangeliums dürfte darin bestehen, daß die Menschen nicht als solche gesehen werden, die - wie bei Luther und dem Jungen Iwand" - unter dem Gesetz und der Sünde, sondern - wie bei Barth - unter der Gnade stehen.55 In einer Predigtmeditation aus derselben Zeit zu Rom 6,19-23 betont Iwand entsprechend, daß nicht die Sünde und der Tod, sondern „die Gnade Gottes in Jesus Christus die Realität aller Realitäten ist"56. Er fordert mit Hinweis auf Karl Barths Schrift „Evangelium und Gesetz": „Das alte Schema von Gesetz und Evangelium muß herausgeworfen werden, wonach wir zunächst die Realität der Sünde feststellen (man nennt das heute Desillusionierung!), um dann mit dem Evangelium den subjektiven - Trost der Gnade anzubieten." 57
54
Referierung Iwands bei E.K., Herborner Theologen-Tagung, BeKiW 2, 1951, Nr. 5,
llf. 55
Vgl. Joest, Karl Barth, KuD 24, 1978, 93: „Für Barth steht das ganze Gotteshandeln unter dem Vorzeichen der Gnade." (Hervorhebungen im Original). Joest führt des weiteren aus, daß Barth damit noch keiner Allversöhnung das Wort redet, weil sich der Mensch der Gnade Gottes auch entziehen kann; vgl. a.a.O. 93f. 56 Iwand, PM I, 266 (Hervorhebungen im Original). Vgl ebenso die Betonung des Gnadenbundes, „der der erste und allein so auch der letzte und bleibende ist." A.a.O. 271. 57 Iwand, PM I, 266.
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Nicht das Sein unter dem Gesetz und der Sünde, sondern unter der Gnade ist die Realität, die für alle Menschen gilt.58 Bei der Voranstellung des Evangeliums und der daraus folgenden Betonung der Gnade als der Wirklichkeit, unter die die Menschheit gestellt ist, bleiben Fragen, die Iwand selber stellt.
3.3 Rückfragen Iwands an Barth Seinen Vortrag in Herborn 1951 beschließt Iwand zwei Fragen an Barth: „1. W e n n Barth meint: W e n n m a n e i n m a l g e s a g t habe E v a n g e l i u m und G e s e t z , dann k ö n n e m a n a u c h s a g e n G e s e t z und E v a n g e l i u m , ist dann d i e G e f a h r g e s e h e n , die v o m G e s e t z her i m m e r w i e d e r a u f b r e c h e n kann? 2. B e d e u t e t d i e U m k e h r der R e i h e n f o l g e v o n G e s e t z und E v a n g e l i u m , d a ß d i e Frag e der poenitentia ü b e r f l ü s s i g wird, oder m u ß s i e . u m g e b a u t ' , d.h. an anderer Stelle der T h e o l o g i e e i n g e b a u t w e r d e n ? " 5 9
An den beiden Fragen Iwands wird sichtbar, warum er (neben anderen Gründen) selbst die lutherische Reihenfolge von Gesetz und Evangelium umkehrt und wo er andererseits ein bleibendes Problem bei der Voranstellung des Evangeliums sieht. Die Umkehrung Barths hat Iwand aufgrund der Fehlentwicklung, die seiner Meinung nach aus der Lehre von Gesetz und Evangelium (in dieser Reihenfolge) entstanden ist, bejaht und mitvollzogen. Iwand fuhrt die ganze theologische Entwicklung, die in seinen Augen in den Irrtümern der Volksnomostheologie ihren Höhepunkt fand, auf die isolierte Stellung des Gesetzes vor dem Evangelium zurück.60 Von daher bleibt ihm die Frage, ob bei Barth die Gefahren, die vom Gesetz her immer wieder aufbrechen können, gesehen sind. Der zweite Punkt betrifft die gewichtigere theologische Frage, ob mit der Voranstellung des Evangeliums die Buße überflüssig wird. Wenn Iwand in den dreißiger Jahren die Aufgabe des Gesetzes darin sieht, den Menschen zur Buße zu führen und das Sein des Menschen als Sein unter der Macht der 58 Vgl. a.a.O. 267. Vgl. a.a.O. 271, w o Iwand den Weg vom Gesetz zum Evangelium ablehnt und betont, daß mit dem Einen Wort Gottes, Jesus Christus, und mit dem Gnadenbund Gottes einzusetzen ist. 59 Referierung Iwands bei Schneemelcher, Theologische Arbeitstagung, EvTh 10, 1950/51,568. 60 „Die Reihenfolge von Evangelium und Gesetz ist nicht gleichgültig, nicht vertauschbar, sondern in dieser Ordnung von uns gefordert! Nur so kann die Absage erfolgen an die furchtbaren Irrtümer des Volksnomos, die als böse Frucht aus der Vorordnung des Gesetzes vor das Evangelium hervorgegangen sind." Iwand, Galaterbrief, N W 4, 411 (Hervorhebung im Original). Ähnlich beurteilt Ludwig die Entscheidung Iwands für die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz, wenn er schreibt: „Grund für den Wandel war nicht die Lust am Theologisieren, sondern die Einsicht, daß die falsche Reihen- und Rangfolge in der Nazizeit zu verhängnisvollen politischen Verfehlungen geführt hat." Ludwig, „Ein aufgeschlagenes Fenster", 77.
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Sünde versteht, dann läßt sich das nicht mit seiner späteren Anschauung vom Menschen im Gnadenbund Gottes vereinbaren, bei dem der Indikativ dem Imperativ vorangeht. Dieses Problem ist Iwand offensichtlich bewußt, wenn er die Frage des Ortes der Buße an Barth stellt. Es ist die Frage, ob unter der Voraussetzung des Gnadenbundes Gottes mit allen Menschen überhaupt Buße, Umkehr des Menschen nötig ist oder wenn sie nötig ist - wodurch die Buße gewirkt wird. Für Iwand läßt sich die Frage so beantworten, daß er auch bei der Voraussetzung des Gnadenbundes Gottes und des versöhnenden Handelns Christi für alle Menschen die Buße nicht aufhebt. Er macht mit der Umkehrung von Evangelium und Gesetz den Gnadenbund Gottes zum Ausgangspunkt, sieht den Menschen aber dennoch als einen, der den Gnadenbund gebrochen hat und deshalb zur Umkehr gerufen werden muß.61 In der Versöhnung der Welt mit Gott nach 2.Kor 5,19 hat Gott uns „im Opfer Jesu Christi einen realen Seinsgrund geschaffen ..., auf Grund dessen wir sie [die Versöhnung, R.M.] annehmen, weil wir in diesem Versöhnungstode Jesu angenommen sind." 62 Entgegen seinem früheren Verständnis entsteht für Iwand die Umkehr nicht aus dem Gesetz, sondern aufgrund der in Christus geschehenen Versöhnung, vom Evangelium her. Allerdings zeigt sich in der Frage, wodurch die Buße des Menschen gewirkt wird, in Iwands Schriften der fünfziger Jahren eine Spannung zwischen einer Sündenerkenntnis aus dem Evangelium und aus dem Gesetz. So kann Iwand in einer Predigtmeditation zu Neujahr 1956 die Aufgabe des Gesetzes als Zuchtmeister auf Christus beschreiben, das seine Aufgabe mit dem Glauben des Menschen an Christus erfüllt. 63 Unabhängig von der Frage der Abfolge von Gesetz und Evangelium hält Iwand durchgehend daran fest, daß das neue Sein in Christus nur dem Glaubenden zuteil wird, so daß jeder Mensch trotz des universalen Versöhnungshandelns Gottes in Christus der Umkehr bedarf.
3.4 Die Bedeutung des Glaubens In einer Predigtmeditation zu Karfreitag 1957 über 2.Kor 5,19-21 hebt Iwand wie in Herborn 1951 hervor, daß Gottes Werk in Christus zuerst „pro se" und „pro Deo" und dann auch „pro me" gilt. Dem Indikativ der Versöhnung folgt der Imperativ, sich versöhnen zu lassen.64 Mit dem Sieg Gottes in 61
Vgl. Iwand, PM I, 382-385. Iwand, Zur Versöhnungslehre (1956), GA I, 221. Iwand legt in diesem Aufsatz dar, daß die Versöhnung der Welt mit Gott wiederum als Aufforderung und Einladung ergeht, um sich versöhnen zu lassen. Der Mensch soll auf Gottes Handeln mit seinem Glauben antworten (vgl. 2.Kor 5,20). 63 Vgl. Iwand, PM I, 4 7 7 ^ 8 4 . Vgl. Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 243f. 64 Vgl. Iwand, PM I, 548. 62
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Jesus Christus an Karfreitag und Ostern hat die Sünde keinen Realitätsgrund mehr in der Welt, weil Christus die Sünde getragen und fortgeschafft hat. Erst der „Unglaube verleiht dem Bösen, der Sünde, dem Widergöttlichen seine gegen alles göttliche Recht behauptete Realität."65 Durch den Unglauben erhalten also die widergöttlichen Mächte ihre Macht, die von Christus schon besiegt sind. Der Glaube besteht darin, die Tat Gottes an sich und für sich selbst gelten zu lassen.66 Die Menschen sind jedoch nicht automatisch durch das Kreuzesgeschehen dem göttlichen Gericht entnommen, sondern im Glauben an Christus, in der Rechtfertigung, werden sie „in ein neues Sein versetzt"67, das ein Leben aus und in der Gerechtigkeit Gottes ist. Am Glauben bzw. Unglauben entscheidet sich, ob die in Christus geschehene Versöhnungstat den einzelnen Menschen erreicht oder nicht. Entsprechend sagt Iwand noch 1959: „In Jesus Christus, in seinem Tode und seiner Auferstehung hat sich Gott als gerecht erwiesen, das heißt hier ist ein Gericht erfolgt, das alle Welt richtet und die Glaubenden rettet."68 Hier wird ein wichtiger Unterschied zwischen Iwand und Barth sichtbar, der den einzelnen bereits in die geschehene Versöhnung einbezogen sieht.69 Helmut Gollwitzer berichtet von seinem letzten Gespräch mit Iwand: „Noch unser letztes Gespräch am Vorabend seiner tödlichen Erkrankung ging um den Unterschied zwischen den beiden [Iwand und Barth, R.M.], den er mit der Unterscheidung zwischen Paulus und den Deuteropaulinen verglich, wobei er sich selbst mehr beim Römerbrief, Barth mehr beim Epheserbrief sah. Barths Erzählen der Heilsgeschichte - so schrieb er mir einmal - geschehe eben doch in einem umgreifenden Abbilden des Ganzen, in dem die Überwindung der Widersprüche schon gesehen, nicht nur geglaubt wird: ,Hier sitzt immer noch meine eigene crux, die vielleicht die paulinische, die in gewisser Hinsicht doch auch die reformatorische ist ... Die Reformation ist eben polemisch, desgleichen Paulus. Das gibt der Theologie einen anderen, auch formal anderen Charakter.'" 70
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A.a.O. 549. Vgl. a.a.O. 553. 67 A.a.O. 555. Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 94 68 Iwand, Rechtfertigungslehre (1959), 46. 69 Vgl. Joest, Dogmatik 2, 499 zu Barth: „... Gott hat in Christus die Menschheit mit sich selbst versöhnt. Von dieser Wahrheit ihres Versöhntseins sind schon alle, auch die dies jetzt nicht erkennen, umfaßt, und zu ihrer Erkenntnis sind alle zu rufen." (Hervorhebung im Original). 70 Gollwitzer, Hans-Joachim Iwand. Zu seinem Heimgang am 2. Mai 1960, ZdZ 14, 1960,289. 66
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3.5 „Gesetz und Evangelium" und „Evangelium und Gesetz" So wie Iwand seine eigene Theologie in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen und Irrlehren entwickelt und verändert hat, so stellt er in einer Disputation mit Gustav Wingren über Luther und Barth im Jahr 1950 fest: „Die theologische Arbeit der Kirche muß in einer steten Bewegung geschehen, will sie der Tatsache gerecht werden, daß auch die Häresien nicht still stehen (und auch nie zuvor als solche ,fest stehen')." 71
Von daher versteht Iwand sowohl Luther als auch Barth in einer bestimmten Frontstellung, die ihre jeweilige Theologie legitimieren und nötig machen. Für die Frage nach Gesetz und Evangelium stellt Iwand fest: „Luther kann sagen: ,Got der hat zwey wort' (WA XXXVI 17, 30 u.ö.). Weil Barth darin eine Gefährdung der Einheit des Wortes Gottes sieht, proklamiert er die Umstellung von Evangelium und Gesetz. ... So wie Luther .Gesetz und Evangelium' sagte gegen eine spezifische Häresie, die aus der Umkehrung beider folgte, so sagt Barth: ,Evangelium und Gesetz' gegen eine ebenso handgreifliche Häresie, die aus der Ordnung ,Gesetz und Evangelium' hervorgegangen ist." 72
Iwand gibt Luther und Barth in gleicher Weise recht und versucht verschiedentlich, die Fassungen von „Gesetz und Evangelium" und von „Evangelium und Gesetz" aufzunehmen. Bei der Abfolge Evangelium und Gesetz ruht der Blick ganz auf der Erlösungstat Gottes in Christus. Evangelium ist das Heilshandeln Gottes in Christus aufgrund seiner Liebe zur Welt, in dem - entsprechend dem Verständnis Karl Barths - die Rechtfertigung aller Menschen bereits eingeschlossen ist73, so daß nach dem Gesetz nur in seiner Funktion für den Gerechtfertigten gefragt wird. Wo Iwand bei der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz Barth in dessen Interpretation folgt, bleibt letztlich kein Platz für die sündenaufdeckende Funktion des Gesetzes. Bei der Abfolge Gesetz und Evangelium geht es zentral um das Geschehen der Rechtfertigung, um den sündigen Menschen ebenso wie um den rechtfertigenden Gott - nach Luther das Subjekt der Theologie. 74 Die von Iwand in Herborn 1951 kritisierte Konzentration auf den Menschen und seine Bekehrung bei der Vorordnung des Gesetzes vor das Evangelium ist
71
Iwand, Zwischen Karl Barth und Luther (1950), N W 2, 401. Der Schwede Gustav Wingren war 1950 Gastprofessor in Göttingen. 72 A.a.O. 402f. 73 In Barths Verständnis sind Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen in Christus de facto vollzogen und rufen „... nach Entsprechung und Bezeugung zu dem in Jesus Christus bereits verwirklichten Gerecht- und Heiligsein jedes Menschen." Klappert, Promissio, 190. 74 S.o. 108.
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eine Gefahr75, der man aber nicht zwangsläufig erliegen muß, wie am Beispiel Iwands selbst in den dreißiger Jahren zu erkennen ist. Die Reihenfolge Gesetz und Evangelium hebt besonders den anklagenden Charakter des Gesetzes hervor. In der sündenüberführenden Funktion des Gesetzes liegt offenbar das größte Problem, die beiden Fassungen „Evangelium und Gesetz" wie auch „Gesetz und Evangelium" in gleicher Weise gelten zu lassen. Diese Spannung spiegelt sich immer wieder in den späteren Schriften Iwands, in denen eine Aufnahme der Barthschen Zuordnung von Evangelium und Gesetz ebenso zu sehen ist wie das Bemühen, die lutherische Abfolge von Gesetz und Evangelium geltend zu machen.76
4. Zusammenfassung
1. So wie Iwand auf der einen Seite mit Luther an der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium festhält und die Folgen der Vermischung beider aufzeigt, betont er auf der anderen Seite - vor allem gegen die Irrtümer der Volksnomoslehre - Einheit und Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium. Sie finden zum einen darin ihre Einheit, daß Gesetz und Evangelium zwei Worte Gottes bzw. zwei Weisen des einen Wortes Gottes sind. In den dreißiger Jahren liegt bei Iwand das Gewicht noch auf den zwei Worten Gottes, deren Einheit dem Glauben vorbehalten bleibt und deren Unterscheidung in Gesetz und Evangelium ers im Eschaton aufgehoben ist. Später geht er darin weiter und postuliert gegenüber seiner früheren Anschauung ein Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium. Durchgängig liegt bei Iwand die Betonung darauf, daß das Evangelium wie auch das Gesetz Wortoffenbarung Gottes sind und nicht in revelatio specialis und revelatio generalis zu trennen sind.
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Ähnlich äußert sich auch Ernst Wolf, Habere Christum omnia Mosi. Bemerkungen zum Problem „Gesetz und Evangelium", in: Ernst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 2 1986, 185: „,Gesetz und Evangelium' schließt die Gefahr einer anthropozentrischen Fassung der Rechtfertigungslehre in sich; ,Evangelium und Gesetz' sucht den christologischen Charakter des gebietenden, schöpferischen und so erlösenden Wortes zu sichern ..." 76 So spricht Seim, Evangelium, EvTh 46, 1986, 243f, von Rückfragen Iwands an Barth, obwohl er die Umstellung von Evangelium und Gesetz schon mitvollzogen habe. Hoffmann sieht dort, wo Iwand auch später gegen Barth die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium geltend macht, „Rückfälle hinter bereits gewonnene Einsichten". Hoffmann, Versöhnung, 78.
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Zum andern liegt die Einheit von Gesetz und Evangelium in Jesus Christus - auch über Jesus Christus als Gottes Wort hinaus: beide sind auf ihn bezogen - als Forderung und als Gabe, und außerdem kommen für Iwand in der Versöhnungstat Christi Gesetz und Evangelium zusammen. Am Kreuz Jesu Christi ist das Gericht über die Sünde (Gesetz) und der Sieg über sie (Evangelium) offenbart worden. Zum dritten ist die Einheit von Gesetz und Evangelium im Menschen, der das Wort des Gesetzes wie auch das Wort des Evangeliums hört. Es ist der Mensch als „simul iustus et peccator", der als Wiedergeborener zeitlebens in dem Kampf zwischen Fleisch und Geist lebt, wobei der Kampf in Christus entschieden und der Sieg des Geistes über das Fleisch verbürgt ist. 2. Bei dem Verhältnis von Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium zeigt sich bei Iwand eine Veränderung seiner Sicht, die von der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium innerhalb des einen Wortes Gottes zu dem einen Wort Gottes in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium fuhrt. Bis in die vierziger Jahre hinein vertritt Iwand die These, daß Gesetz und Evangelium zwei Worte Gottes sind, die in Jesus Christus ihre Einheit haben, aber deren Einheit nur dem Glauben erkennbar und im Eschaton Wirklichkeit ist. Bei Iwand sind in dieser Zeit Gesetz und Evangelium sowohl auf Christus als gemeinsamen Inhalt wie auch auf die Rechtfertigung (und somit auf den Menschen) bezogen. Nach dem zweiten Weltkrieg scheint ihm dann der Offenbarungscharakter des Gesetzes nur dort gewährleistet, wo die Einheit von Gesetz und Evangelium ihrer Unterscheidung vorgeordnet ist und Gesetz und Evangelium allein auf Christus bezogen sind. 3. Wenn Iwand nach 1945 insbesondere die Einheit von Gesetz und Evangelium in Christus hervorhebt, bedeutet das für ihn auch eine Umstellung der bei Luther gewonnen Abfolge „Gesetz und Evangelium" in „Evangelium und Gesetz". Nur in der von Barth übernommenen Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz wird laut Iwand Christus anstelle des Menschen in die Mitte der Theologie gestellt. Die Vorordnung des Gesetzes ist für ihn gleichbedeutend mit dem Ausgangspunkt beim Menschen, der im Gesetz nur sich selbst wie in einem Spiegel erkennt, statt gleichzeitig den barmherzigen Gott zu sehen, der das Gesetz nicht nur zur Destruktion des Menschen, sondern auch zum Gehorsam (in der Heiligung) gegeben hat. Das rechte Verständnis von Gesetz und Evangelium in seiner ganzen Weite - und nicht nur subjektivistisch-existentialistisch eingeengt - ist für Iwand nur dort gegeben, wo das Evangelium und damit der Gnadenbund Gottes dem Gesetz vorgeordnet ist. Auch können der Offenbarungscharakter des Gesetzes und die Einheit von Gesetz und Evangelium nur unter der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz gewährleistet werden. Wenngleich
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Iwand in Anlehnung an Barth nun die Versöhnung der Menschheit gegenüber dem Sündersein des Menschen herausstellt, wird doch das neue Sein dem einzelnen Menschen nur im Glauben geschenkt. Auch möchte Iwand im Unterschied zu Barth die anklagende Funktion des Gesetzes zur Überfuhrung der Sünde nicht aufgeben, sondern trotz der Umstellung von Evangelium und Gesetz beibehalten. Bei dem usus elenchticus legis als dem für Luther und den jungen Iwand entscheidenden Brauch des Gesetzes werden die Probleme ersichtlich, die sich mit der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz im Sinne Barths ergeben, weil bei Barth im Unterschied zu Iwand der Glaube nicht ein neues Sein des Menschen, sondern lediglich die Erkenntnis der in Christus bereits geschehenen Versöhnung darstellt.77
77
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Vgl. Klappert, Promissio, 97-106.
VI. Die Anthropologie im Rahmen von Gesetz und Evangelium
Theologische Anthropologie ist die Lehre vom Menschen im Urteil der Heiligen Schrift. Iwand lehnt eine empirische Selbsterkenntnis des Menschen ab, da diese fur ihn nur aus dem geoffenbarten Wort Gottes gewonnen wird 1 . Wer der Mensch in seinem Woher und Wohin, in seinem natürlichen Sein und seiner Bestimmung ist, kann nur aus der Offenbarung, vom Evangelium, von Jesus Christus her erkannt werden. Der Ansatzpunkt der theologischen Anthropologie als Lehre vom Menschen in seinem Urprung und seiner Bestimmung liegt in der Christologie: „während der Idealismus immer die Anthropologie entwickelt aus dem nomos heraus, entwickelt die Theologie die Anthropologie von Christus her." 2 Daß der Mensch vom Evangelium, von Christus her erkannt wird, heißt für Iwand nicht, daß der Mensch an sich unter dem Evangelium steht, sondern daß er erst vom Evangelium her in seinem Sein und in seiner Bestimmung zu erkennen ist. Vom Evangelium her wird das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz offenbart und die richtige Beurteilung von Person und Werk, von Fleisch und Geist ermöglicht. Theologische Anthropologie handelt von dem Sein des Menschen als Sünder, von der Bestimmung des Menschen zu Christus hin und von der Rechtfertigung des Sünders, so daß die Anthropologie und die Lehre von Gesetz und Evangelium unmittelbar zusammengehören. 3 In den fünfziger Jahren ist bei Iwand eine Veränderung ' Vgl. Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 2 3 9 - 2 4 2 , wo er die autonome Selbsterkenntnis des Menschen ablehnt. 2 Iwand, GuE (1937), N W 4, 55; vgl. ders., Prinzipienstreit, GA I, 2 3 9 - 2 4 2 ; ders., Primat, 187f. Vgl. die Anthropologien von Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch. Die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen, Zürich 5 1985 (= 1937), und Karl Barth, KD 3.2, die trotz der Begründung in der Christologie sehr unterschiedliche Wege gehen. Bei Barth wird die Lehre vom Menschen als wirklichem Menschen konsequent christologisch entfaltet, während Brunner den Widerspruch zwischen dem wahren und dem wirklichen Menschen betont; vgl. E. Brunners Anfrage an Barths Verständnis des wirklichen Menschen; E. Brunner, Der neue Barth. Bemerkungen zu Karl Barths Lehre vom Menschen, ZThK 48, 1951, 89-100. 3
Vgl. den dem Ansatz Iwands entsprechenden Aufbau der Anthropologie bei Wilfried Joest, Dogmatik 2, 3 4 5 - 5 2 0 . Die Lehre vom Menschen als „Die Wirklichkeit des Menschen im Urteil Gottes" hat folgenden Aufbau: „Wir gliedern in zwei Kapitel; Der Mensch unter
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in der Weise zu erkennen, daß er wie Barth das Sein des Menschen als Sein unter der Gnade beschreibt und die Wirklichkeit der in Christus versöhnten Welt betont. Das geschieht teilweise in Abgrenzung gegen bisherige Ansichten, z.T. stehen „alte" und „neue" Erkenntnisse aber auch nebeneinander."
1. Sein unter dem Gesetz
Iwand bestimmt das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz. Diese Erkenntnis gewinnt der Mensch nicht aus der Erfahrung, sondern aus der Begegnung mit dem Evangelium. Erst das Evangelium bezeugt, daß alle Menschen unter dem Gesetz stehen. Damit wird von Iwand negiert, daß das Sein unter dem Gesetz eine ontologische Bestimmung ist, die an sich gilt.5 Vielmehr gilt die Universalität des Gesetzes erst vom Evangelium her: „Die theologische Anthropologie ist nichts anderes als die Lehre vom Gesetz; denn wenn das Evangelium universalen Charakter hat, wahrhaftig allen Menschen gilt, und wenn das Gesetz die Vorbereitung ist für das Evangelium, dann muß auch das Gesetz für alle Menschen gelten. Dann muß also das Sein des Menschen identisch sein mit dem Sein des Menschen unter dem Gesetz. Nicht nur der Himmel steht unter dem Gesetz, sondern die Menschen schlechthin. Das natürliche Sein des Menschen ist das Sein unter dem Gesetz." 6
Durch das Kommen Christi und die universale Geltung des Evangeliums wird das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz vom Judentum auf alle Menschen ausgeweitet.7 Die universale Geltung des Gesetzes wird erst dadurch erkannt, daß das Evangelium universal ist und Befreiung vom Gesetz bedeutet - vorher erkennt der Mensch sein eigenes Sein noch nicht wirklich. Das Sein unter dem Gesetz ist ein Sein, von dem der Mensch befreit werden muß; es ist das Sein unter dem Fluch des Gesetzes, unter der Herrschaft der Sünde.8 Gottes Anspruch und Widerspruch; der Freispruch des Menschen durch Gott in Jesus Christus. Ein drittes Kapitel wird zusammenfassen: Gottes Urteil als Gesetz und Evangelium." Joest, a.a.O. 347. 4 Vgl. Iwand, PM I, 266f, wo er das Sein der Menschheit unter der Gnade unterstreicht (1951), wogegen er in PM II, 147 das Eingeschlossensein unter Tod, Sünde und Gesetz betont (1955). 5 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 31. 6 A.a.O. 30; vgl. Iwand, Sed originale, GA II, 179. 7 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 31 f. 8 Vgl. Gal 4,5, wo der Auftrag Christi als Befreiung vom Gesetz formuliert wird: Iva τους ύπό νόμον εξαγόραση. Vgl. den Hinweis Iwands, PM II, 146, daß alle Menschen im Gefängnis von Gesetz, Sünde und Tod beschlossen sind. „Wer freilich Paulus nicht richtig
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Daß das Sein des Menschen ein Sein unter dem Gesetz ist, heißt nicht, daß der Mensch vom Gesetz her zu verstehen wäre, sondern beschreibt den Standort des natürlichen Menschen, der unter dem Gesetz und unter Gottes Gericht steht9. Der Irrtum des Idealismus liegt fur Iwand darin, daß dort der Mensch vom Gesetz her verstanden wird.10 Die aus dem Evangelium gewonnene Erkenntnis, daß das Sein des Menschen ein Sein unter dem Gesetz ist, schließt die Erkenntnis von der Sünde des Menschen und seiner Unfähigkeit, das Gesetz zu erfüllen, mit ein. Das Evangelium bringt die Befreiung vom Gesetz, das den Menschen als Sünder anklagt. Das Sein des Menschen unter dem Gesetz muß dahingehend präzisiert werden, daß das Gesetz in seiner anklagenden Funktion gemeint ist - als usus elenchticus.11 Der Ansatzpunkt der theologischen Anthropologie ist fur Iwand mit Luther der Mensch als Sünder: „Die Anthropologie, die die Theologie zu bieten hat, wurzelt offenbar in der Lehre von dem ,peccatum originale' und nicht umgekehrt. Eine Anthropologie jenseits dieses Begriffes, also abseits von ihm gewonnen, gibt es nicht." 12
Das Ziel Gottes mit dem Menschen ist, ihn von der Herrschaft des Gesetzes zu befreien und unter die Herrschaft Christi zu stellen, ihm ein neues Sein zu schenken. Die Theologie kann somit den Menschen nicht nur in seinem natürlichen Sein als Sein unter dem Gesetz erfassen, sondern be-
verstanden hat - und hier wären alle Antinomisten aller Schattierungen zu zitieren - könnte vielleicht noch wähnen, da das Gesetz aufgehoben, infolgedessen die Sünde nicht mehr angerechnet und darum der Tod seinen Stachel verloren habe, so wirke dies alles hier am Ende des 15. Kapitels des Korintherbriefes wie eine hinter uns liegende Erinnerung, wie der Ritt über den Bodensee, wie das Bild eines Gefängnisses, aus dem wir längst heraus sind." A.a.O. 146f. „Alle Menschen sind solche, die losgekauft werden müssen vom Fluch des Gesetzes, ob sie es wissen oder nicht." Ders., GuE (1937), NW 4, 32. 9 Dabei gilt, „daß der sogenannte natürliche Mensch eben gerade der Mensch ist, der nicht mehr in der Gottesordnung der Welt lebt" (Iwand, Predigt, GA II, 160), sondern unter der Sünde; vgl. l.Kor 2,14. Der natürliche Mensch lebt unter dem Gericht Gottes; vgl. Röm 1-3, bes. Röm 1,18:'Αποκαλύπτεται γαρ όργή θεοϋ άπ' ούρανοϋ επί πασαν άσέβειαν και ά δ ι κ ί α ν ανθρώπων των την ά λ ή θ ε ι α ν έν άδικίςι κατεχόντων. Die Rechtfertigung ist auf das Endgericht bezogen, aus dem sie errettet. Iwand, fragt, ob dieser Emst noch gesehen wird, daß, „wer da glaubt, nicht ins Gericht kommt, wer aber nicht glaubt, darin schon das Zeichen seines Verworfenseins im Endgericht auf der Stirn geschrieben trägt". Iwand, PM II, 190. 10 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 55; s.o 117. 11 Iwand, GuE (1937), NW 4, 54: „Die Lehre vom Menschen muß anheben beim zweiten usus des Gesetzes, beim usus theologicus." Unter dem Gesetz versteht Iwand demnach nicht alles das, „was zur Forderung, zur Anklage, zur Verurteilung wird", wie Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Dritter Teil: Der Glaube an Gott den Vollender der Welt, Tübingen 31993, 291, postuliert. Vgl. die Kritik an Ebeling bei Peters, Christologie, FuH 25, 1980, 135 und ders., Gesetz und Evangelium, 274f. 12 Iwand, Sed originale, GA II, 175. S.o. Teil l.IV.1.2.1 Peccatum originale, 108. Ähnlich scharf formuliert Iwand schon in RuC, 72: „Der Begriff der Sünde ist der Zentralbegriff der Anthropologie".
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schreibt auch das Ziel Gottes mit dem Menschen. Es geht dabei um den Menschen, der in Adam unter dem Gesetz seinen Ursprung und in Christus im Evangelium sein Ziel hat.
2. Fleisch und Geist - Adam und Christus
„Totus homo caro" - diese aus dem Römerbrief gewonnene Einsicht Luthers nimmt Iwand auf und beschreibt damit den natürlichen Menschen.13 Bleibend wichtig ist dabei die Erkenntnis, daß es bei der Bestimmung des Menschen als Fleisch nicht nur um einen Teil im Menschen wie die niederen Triebe geht, sondern daß „der ganze Mensch mit seinem geistigen und natürlich-sinnlichen Vermögen"14 gemeint ist. Mit dieser Auffassung steht Luther gegen das Verständnis der Scholastik vom Menschen und Iwand gegen die vorherrschende Anthropologie des achtzehnten bis beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts, die den Menschen nicht als völlig verderbt ansieht, sondern ihn als „Geist und Natur" versteht und im Geist die höheren Anlagen des Menschen sieht, die gegen die Natur streiten.15 Mit „Fleisch" wird in der Bibel der im Widerspruch zu Gott lebende Mensch bezeichnet. „Fleisch heißt: wider Gott gesinnt sein und bedeutet darum etwas ganz anderes als Leib und leibliche Existenz. Fleisch ist der Inbegriff der Welt ohne Gott."16
2.1 Der fleischliche Mensch Die Erkenntnis, daß der Mensch fleischlich ist, ist nicht aus der Empirie zu gewinnen, sondern ist ein geistliches Urteil. So wie die Selbsterkenntnis mit der Gotteserkenntnis zusammenhängt und durch Offenbarung geschenkt wird - und somit bereits eingeschlossen ist in den Glauben17 - , so ist die 13
Vgl. Rom 7,14b: εγώ δε σ ά ρ κ ι ν ο ς ε ί μ ι , π ε π ρ α μ έ ν ο ς ύ π ό τ ή ν ά μ α ρ τ ί α ν . Vgl. Iwand, Erläuterungen, 3 0 4 - 3 0 7 („Die biblische Anthropologie (omnis homo caro)"). 14 Iwand, Erläuterungen, 304. 15 Vgl. die Hinweise bei Friedrich Wilhelm Graf, Art. Gesetz VI. Neuzeit, TRE 13, 1984, 117-125. Wilhelm Herrmanns Ethik basiert z.B. auf dem Gegensatz von Natur und Geist. Unmittelbar damit verbunden ist die Frage nach dem freien Willen des Menschen, deren Bejahung für die Ethik des neunzehnten Jahrhunderts weitgehend außer Frage stand. Vgl. Iwand, Studien, GA I, 32. 16 Iwand, Erläuterungen, 305. 17 S.o. Teil 1.IV. 1.2 Das Gesetz wirkt Selbst- und Gotteserkenntnis, 107ff; vgl. Iwand, Sed originale, GA II, 189; ders., GuE (1937), N W 4, 31.
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Erkenntnis, daß der Mensch fleischlich ist, erst dem geistlichen Menschen, dem von Gottes Geist angerührten Menschen möglich. 18 Die Aussage über den Menschen als Fleisch ist eine Totalitätsaussage: „Totus homo caro". 2.1.1 Concupiscentia spiritual is Hatte die mittelalterliche Theologie den Menschen in der Spannung zwischen Natur und Geist definiert „als die beiden Pole, zwischen denen der Kampf des Menschen um seine höhere Existenz ausgefochten wird" 19 , so findet Iwand bei Luther ein neues, vertieftes Verständnis vom Menschen, das auch in der Lehre von der Erbsünde in den Bekenntnisschriften aufgenommen wird. 20 Der Mensch ist, auch im Blick auf das Geistige und die Frömmigkeit, fleischlich und auch dort bestimmt durch die Konkupiszenz. Bei Luther vollzieht sich ein Wandel im Begriff der Konkupiszenz: Galt dieser Begriff der mittelalterlichen Theologie als Synonym für die fleischlichen Begierden im Gegensatz zu dem geistigen, höheren Streben, so wendet Luther den Begriff auch auf das Verhältnis des Menschen zu Gott an als „concupiscentia spiritualis" 21 . Diese Erkenntnis der „concupiscentia spiritualis, die viel gefahrlicher ist als die concupiscentia, die als Sinnlichkeit verstanden wird" 22 , gehört für Iwand zu den „einschneidendsten Erkenntnissen, die dem jungen Luther aufgehen" 23 . Unter concupiscentia spiritualis versteht Luther laut Iwand eine Begierde nach Gott, bei der der Mensch sich nach Seelenruhe, Reinheit und Frieden sehnt und Gott als Mittel gebraucht, um diese Wünsche zu befriedigen. Der Mensch lebt auch hier nicht aus der Liebe zu Gott, der amor dei, sondern der Selbstliebe, der amor sui.24 Der natürliche, der fleischliche Mensch kann Gott nicht lieben, wie er ist, sondern liebt auch dort, wo er vermeintlich Gott liebt, nur sich selbst. Er will sich nicht Gottes Willen und seinem Gebot beugen, sondern will Gott zum Erfüller seiner religiösen Wünsche machen, so daß der Mensch gerade auch in seinem religiösen Leben der Konkupis18
Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 151. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 42. 20 Vgl. ApolCA II. Von der Erbsünde, BSLK 145-157. Die concupiscentia wird dort verstanden als „sündige Sucht, Lust und Begierde" (Schlink, Theologie, 72), die bleibend in den Menschen ist: „Ut cum nominamus concupiscentiam, non tantum actus seu fructus intelligimus, sed perpetuam naturae inclinationem." BSLK 146,46-48. Die concupiscentia ist gerade auch in den höheren geistigen Bestrebungen wirksam. „Neque vero concupiscentia tantum corruptio qualitatum corporis est, sed etiam prava conversio ad camalia in superioribus viribus." BSLK 152,8-12. 19
21 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 42; vgl. schon ders., RuC, 44. Zu Iwands Verständnis der „concupiscentia spiritualis" vgl. Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 3 7 47. 22 Iwand, GuE (1937), N W 4, 149. 23 Ebd.; vgl. ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 43. 24 Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 149; ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 43f.
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zenz verfallen ist.25 An die Stelle des Gegensatzes von Geist und Natur tritt bei Luther der „Gegensatz der reinen Liebe zu Gott und der Liebe zu sich selbst."26 Von der amor sui zu der amor dei kann der natürliche Mensch von sich aus nie gelangen, und von daher ist der Rückzug aus der Welt ins mönchische Leben kein angemessener Weg. Der Mensch, der sich aus der Welt zurückzieht, wird dadurch „... nur ein scheinbar geistlicher Mensch, der im Grunde seines Herzens fleischlich bleibt. Der fleischliche Mensch, der sich in das Gewand des geistlichen Menschen hüllt, der die Werke eines geistlichen Menschen tut, ohne selbst geistlich zu sein, ist der Pharisäer, ist der Heuchler, der heuchelt, ohne es zu wissen." 2 7
Im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner in Lk 18 liegt der Vorzug des Zöllners in seinem Wissen darum, daß er fleischlich, unter der Macht der Sünde ist, während der Pharisäer erst noch zu dieser Einsicht kommen muß. Die Umkehr zu Gott, die Bitte zu Gott um seine Gnade und seinen Geist, haben der Pharisäer und der Zöllner nötig, aber der Pharisäer hat eine doppelte Umkehr zu vollziehen: vom vermeintlich geistlichen zum fleischlichen Menschen und von dort die Umkehr zu Gott.28 Wo Gottes Geist durch das Gesetz dem Menschen die Erkenntnis schenkt, daß er fleischlich ist, treibt es ihn ins Gebet zu der Bitte um Vergebung und um Gottes Gnade. Die Erkenntnis, fleischlich zu sein, ist die Erkenntnis, verloren und von der Sünde beherrscht zu sein und deshalb „ein Satz, bei dem sich niemand beruhigen kann ...; ein Satz, den wir gar nicht anders sagen können als so, daß wir zugleich zu Gott schreien und bitten, er möge sich dieses Menschen erbarmen."29 Die Erkenntnis, fleischlich zu sein, ist nicht aussagbar wie ein objektiver Tatbestand, sondern ergeht in der Form des Bekenntnisses, der confessio.30 Gottes Geist schenkt durch das Gesetz die Erkenntnis, daß der Mensch fleischlich ist, um uns zu Jesus Christus zu fuhren und damit wir um seinen Geist bitten. Der Teufel dagegen wirkt die Erkenntnis, fleischlich zu sein, um uns dadurch in die Verzweiflung zu fuhren.31
25
Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 149. Vgl. dazu Luther: WA 1, 225,9f, Thesen 21 und
22. 26 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 43, mit Verweis auf Luthers Auslegung zu Rom 5,5: WA 56, 307,4-9. 27 Iwand, GuE (1937), NW 4, 150. 28 Vgl. ebd. Vgl. den Hinweis Iwands, daß das Sünder-Sein des Zöllners an sich noch kein Vorzug gegenüber dem Pharisäer ist. „Das ist moderner Literatenstil, aber das ist nicht der Sinn und die Meinung der Heiligen Schrift; denn man kann nicht ein Elend und eine Not und eine Sünde als einen Vorzug hinstellen, man kann nicht aus dem Dasein der Sünde einen Lebensstil des Christen machen. So nicht!" Ebd. 29 A.a.O. 15 lf. Zum Zusammenhang von Rechtfertigung und Gebet s.o. 116. 30 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 151.154. 31 Vgl. a.a.O. 152f; s.o. Teil 1.IV. 1.1 Das Gesetz wirkt Erkenntnis der Sünde, 105ff.
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Weil Gottes Ziel mit dem Gesetz darin liegt, den Menschen zu Christus zu führen, darf man nicht sagen, „das Gesetz gehöre in die Welt des Fleisches und das Evangelium in die Welt des Geistes. Wir sollen uns abwenden von dem Fleisch, aber wir sollen uns hinwenden zum Gesetz." 32 Das Gesetz bringt die Erkenntnis, daß der Mensch fleischlich ist, aber es ist selbst „heilig, gerecht und gut" und nicht fleischlich, sondern geistlich. 33 Allerdings ist der Mensch, der unter der Herrschaft des Gesetzes lebt, der fleischliche Mensch, während der geistliche Mensch unter der Gnade lebt.
2.2 Der geistliche Mensch Das Gesetz bringt die Erkenntnis, daß der Mensch fleischlich ist und offenbart den Unterschied zwischen Gottes Sein und des Menschen Sein. Das Evangelium aber offenbart nicht nur das neue Sein in Christus, sondern schenkt es auch. Im Wort des Evangeliums kommt Gott durch seinen Geist zu den Menschen, in unser Herz, und schenkt uns ein neues Sein. Der elementare Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium liegt darin, daß das Gesetz nur den Unterschied zwischen Gott und Mensch aufdecken kann, das Evangelium aber schafft, was es sagt, weil es wirkmächtiges Wort Gottes ist. In diesem Zusammenhang betont Iwand immer wieder, daß die Wirkung des Evangeliums - wie auch die Erkenntnis durch das Gesetz - nur vermittels des Geistes Gottes geschieht, so daß Wort und Geist untrennbar zusammengehören. 34 „Es ist im Grunde die Gabe des Heiligen Geistes, die unsere Verkündigung wirksam, fruchtbar, echt und wahr macht; denn der Geist lehrt den Menschen, in dem Evangelium Jesus Christus selbst zu finden, er lehrt den Menschen, in dem Evangelium Gott zu finden als den, der ihm seine Sünde vergibt. Ja, ich könnte noch mehr sagen: Der Geist vermittelt das persönliche Verhältnis zu Gott." 35
Iwand lehnt die Vorstellung ab, als bleibe der Mensch konstant und als wechselten altes und neues Leben, Sünde und Gerechtigkeit wie Eigenschaften. Wäre das der Fall, dann ließe sich der Unterschied von altem und neuem Menschen empirisch nachweisen, er wäre anschaulich und konstatierbar.36 Er stellt hinsichtlich des Wiedergeborenen die Frage: „(Aber) ist der Wiedergeborene wirklich schon ,da', ist er in seinem Wiedergeborensein zu sehen, zu begreifen, zu fassen? Es war für uns alle eine erstaunliche Tatsache, als wir fanden, daß die Reformatoren das geleugnet haben. ,Also sehe ich auch keinen Christen. Ich kann auch selbst nicht sagen, in dieser Stunde oder an dieser
32 33 34 35 36
/warn/, GuE (1937), NW 4, 153. Vgl. Rom 7,12.14. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 157f. A.a.O. 158. Vgl. a.a.O. 155. Vgl. Hertog, Erkenntnis, 166 mit Verweis auf Iwand, NW 5, 207.
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Stätte werde ich ein Christ werden. In Summa: es siehet sich nicht, es zeiget sich nicht, es kleidet sich nicht, es stehet nicht in diesem oder jenem, was man siehet oder fühlet, es ist lauter nichts' (WA 47, 29, 22)." 37
Durch Gottes Geist werden wir dazu geführt, den neuen Menschen, das neue Leben nicht in uns selber zu suchen, sondern in Christus. Der Geist Gottes offenbart, daß das neue Leben in Christus ist, „aber so, daß wir nicht dieses neue Leben als sein Leben, sondern als unser Leben verstehen."38 Nicht der Mensch bleibt konstant, und altes und neues Leben wechseln, sondern der Mensch selbst wird aufgehoben, es findet ein Wechsel zwischen dem alten und dem neuen Menschen statt. Im Unterschied zum alten Menschen liegt die Wirklichkeit des neuen Menschen außerhalb seiner selbst, verborgen in Christus. Er hat das neue Leben als promissio, das darin aber nicht weniger wirklich ist als das alte Leben, sondern als von Gott zugesprochenes Leben unverlierbare Realität ist.39
2.3 Kampf zwischen Geist und Fleisch - simul iustus et peccator Theologische Anthropologie, die ihre Erkenntnis von Christus her gewinnt, „kann nichts anderes sein als die rechte Lehre von Fleisch und Geist"40. So wie die Beschreibung des Menschen als caro eine Totalitätsaussage ist, so auch die Bestimmung des Menschen als spiritus. Der homo carnalis steht dem homo spiritualis gegenüber - der alte dem neuen Menschen. Das eine ist die Beschreibung des Menschen unter dem Gesetz, das andere ist die Beschreibung des Menschen in Jesus Christus. Die Lehre von Fleisch und Geist ist die Lehre von Gesetz und Evangelium im Blick auf die Anthropologie: Fleisch ist der Mensch unter dem Gesetz, und Geist der Mensch, der unter dem Evangelium lebt. Fleisch und Geist stehen sich gegenüber wie Gesetz und Evangelium und können nur 37
Iwand, Glauben und Wissen, N W 1, 168f; vgl. ders., PM II, 213. Iwand, GuE (1937), N W 4, 155; vgl. ders., PM II, 208: Es „liegt unsere Wiedergeburt nicht ,in uns', sondern ,außer uns', d.h. ,in Christus'." 39 Iwand, GuE (1937), N W 4, 155f. Ders, PM I, 513, Anm. 1: „Es entspricht also der Verheißung durchaus ein Sein, gerade ihr, aber dieses Verheißungsgut ist in Christus Wirklichkeit, es bleibt also meiner irdischen Gegenwart gegenüber immer ein zukünftiges, ich habe es nur im Glauben." Vgl. Helmut Tacke, „Verheißung" in den Predigtmeditationen Hans Joachim Iwands, in: ders., Mit den Müden zur rechten Zeit reden. Beiträge zu einer bibelorientierten Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 1989, 178-192. 38
40
Iwand, GuE (1937), N W 4, 141. Vgl. insgesamt die Ausführungen Iwands zu „Fleisch und Geist", a.a.O. 140-165. Iwand nimmt Untersuchungen zu dem Gegensatz von Fleisch und Geist von Erdmann Schott, Fleisch und Geist nach Luthers Lehre unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs totus homo, Leipzig 1928, auf und führt dessen Überlegungen kritisch weiter. Neben weitgehender Zustimmung kritisiert Iwand vor allem den von Schott gebrauchten Begriff des „neutralen Ich". Schott geht in seiner Untersuchung von Iwands Lehrern Carl Stange und Rudolf Hermann aus; vgl. Iwand, RuC, 116-119.
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aus dem Gegensatz heraus verstanden werden. 41 Sie können nicht ineinander übergehen, sondern der Geist als Gottes Geist wird für Iwand immer erfahren als Widerspruch zur menschlichen Natur. 42 Fleisch und Geist sind in einen bleibenden Gegensatz gestellt - es ist weder so, daß die fleischliche Natur des Menschen einfach durch die geistliche Natur ersetzt wird noch ist es so, daß aus dem Gegensatz von Fleisch und Geist ein Übergang oder friedliches Nebeneinander wird. Mit der Feststellung, daß die fleischliche Natur des Menschen nicht durch die geistliche Natur, den Geist Gottes, ersetzt wird, ist gesagt, daß Gottes Geist in der Welt immer nur als Widerspruch, als Geist, der „uns überwindet, widerspricht, tötet, bezwingt" 43 , erfahren wird. „So w i e etwa das Licht am Morgen einbricht in die Dunkelheit der Nacht und sich das Land zurückerobert, das von der Finsternis bedeckt ist, so bricht der Geist Gottes ein in die Welt und erobert Gott zurück, was ihm gehört." 44
Dieser Kampf zwischen Fleisch und Geist, zwischen der fleischlichen und der geistlichen Existenz des Christen bleibt bestehen, solange der Mensch lebt und in dieser Welt ist. Kennzeichen des wiedergeborenen Menschen ist, daß er in dem Kampf von Fleisch und Geist lebt. Iwands Theologie ist von Luther her eine kämpferische Theologie, fur die das Leben des Christen als eines angefochtenen Menschen charakteristisch ist. Der alte und der neue Mensch nach Rom 7 und 8 sind nicht als nacheinander, sondern als gleichzeitig zu verstehen. Diese Gleichzeitigkeit von Fleisch und Geist drückt Luther auch aus durch die Formel „simul iustus et peccator" 45 . Der Versuch, den Gegensatz von Fleisch und Geist bereits in diesem Leben aufzuheben in eine höhere Einheit, bedeutet den Sieg des Fleisches über den Geist. Dabei ist der Wunsch, den Kampf zwischen Fleisch und Geist bereits in diesem Leben beenden zu können, eine Versuchung und eine Anfechtung, die jeden Christen betrifft. Dieser Kampf wird immer härter, „... j e älter wir werden und j e älter die Menschheit wird.... Wir sollten wissen, daß es eine Utopie ist zu meinen, wir könnten, solange wir leben und solange die Welt
41 „Dem Unterschied, der Doppelheit von Gesetz und Evangelium entspricht ein Unterschied zweier Menschen: des homo carnalis und des homo spiritualis. Beides sind ganze Menschen, nie ist einer ein Teil des anderen. Aber sie sind zusammengehalten durch die Zeit bzw. den sterblichen Leib." Iwand, GuE (1950), NW 4, 400 (Hervorhebung im Original). Vgl. a.a.O. 396. 42 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 141f. Lempp/Thaidigsmann, Gottes Gerechtigkeit, 94, sehen hier bei Iwand den aus Luthers Römerbriefvorlesung „Grundsatz, daß zwei Formen nicht nebeneinander bestehen können" als leitend. 43 Iwand, GuE (1937), NW 4, 142. 44 Ebd. 45 Vgl. die Belege für Luther bei Althaus, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 6 1983 (= 2 1963), 211, Anm. 84. Vgl. auch Hermann, Luthers These „Gerecht und Sünder zugleich", Gütersloh 1960 (= 1930); Joest, Gesetz und Freiheit, 55-82.
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besteht, das Wort Gottes und die Kraft Gottes anders haben und erfahren denn als Widerspruch zu dem, was wir sind." 46
Fleisch und Geist sind zwei Wirklichkeiten, die einander ausschließen und dennoch in einem Menschen aufeinandertreffen, so daß es zu Anfechtungen kommen muß. Die Wirkung des Heiligen Geistes läßt sich nach Iwand in dem Streit mit dem Fleisch nicht positiv beschreiben, sondern mit Paulus als eine aufhaltende Macht: „Durch den Geist kommt es nicht zur Vollendung der Begierde des Fleisches (Gal 5,16). Die Zielsetzungen des Fleisches werden nicht erreicht, und weil die Zielsetzungen des Fleisches nicht erreicht werden, darum wird der ganze Plan zerstört, darum siegt gerade Gottes Plan und nicht der Plan dessen, der in unserem Fleisch regiert."47
Der Geist Gottes ist die Grenze für die Begierde des Fleisches, die dadurch nicht zur Vollendung kommt. An welcher Stelle Gottes Geist die Grenze setzt, ist dabei dem Menschen nicht verfugbar, aber entscheidend ist, daß diese Grenze gesetzt wird. Dann erst erkennt der Mensch, daß er Fleisch ist, so daß die Erkenntnis des Paulus „ich bin fleischlich" nur dort geschehen kann, wo der Heilige Geist am Werk ist.48 Fleisch und Geist sind nicht abstrakte Prinzipien, sondern stellen beide eine „echte, reale menschliche Existenz"49 dar, von der jede den ganzen Menschen beansprucht und in Beschlag nimmt. Es kann weder einen Übergang vom Fleisch zum Geist noch ein friedliches Nebeneinander beider geben, aber der Mensch wird aus dem Leben im Fleisch durch den Geist in das Leben aus dem Geist verwandelt. Der alte Mensch, der von Adam herkommt und fleischlich ist, trifft mit dem neuen Menschen, der in Christus seine Bestimmung hat und geistlich ist, zusammen. In Fleisch und Geist stehen sich zwei Menschen gegenüber, die in unüberbrückbarem Gegensatz zueinander stehen, so daß beim Christen nicht von der Einheit des Menschen mit sich selbst gesprochen werden kann. Er ist in Bewegung, im Werden, vom alten zum neuen Menschen. „Darum ist der Christ zugleich beides, Sünder und gerecht, doch so, daß der Glaube unsere Sünde zum Weichen bringt und die Gerechtigkeit Gottes im Kommen weiß. Wie am Morgen noch beides da ist, Nacht und Tag, aber die Nacht weicht und der Tag heraufzieht, so ist auch im Leben der Glaubenden beides gemischt. ,Christianus semper est in fieri.' Der Christ ist immer im Werden. Sein zeitliches Dasein ist ein crespulum matutinum, eine Morgendämmerung." 50
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Iwand, GuE (1937), N W 4, 143. A.a.O. 144. Vgl. die Formulierung in Gal 5,16: Λέγω δέ, π ν ε ύ μ α τ ι π ε ρ ι π α τ ε ί τ ε κ α ι έ π ι τ υ μ ί α ν σ α ρ κ ό ς ο ό μή τελέσητε. 48 Vgl. R ö m 7 , 1 4 ; l.Kor2,14. 49 Iwand, GuE (1937), N W 4, 146. 50 Iwand, Martin Luther - Der Kampf um die reine Lehre, in: H.-J. Kraus u.a., Im Kampf um die Erneuerung der Kirche, Bekennen und Bekenntnis, H. 6, Neukirchen 1959, 24 (Hervorhebungen im Original) [Martin Luther], 47
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Der alte und der neue Mensch stehen allerdings nicht gleichgewichtig nebeneinander, sondern in Christus ist der Kampf zugunsten des neuen Menschen entschieden. 5 'Von Adam herkommend, leben wir εν σ α ρ κ ί , aber zu Christus gehörend nicht mehr κ α τ ά σάρκα, sondern κ α τ ά πνεύμα. Es geschieht eine Verwandlung des Menschen durch den Geist. Die Einheit dieses sich verwandelnden, werdenden Menschen liegt nicht im Menschen, sondern in Gott, in Jesus Christus. „In Gott sind wir ein und derselbe Mensch bei dieser Verwandlung, der Gott entfremdete und der in Gott geborgene, der verlorene und der gerettete, der fleischliche und der geistliche Mensch." 52
2.4 Adam und Christus Dem Gegensatz von Fleisch und Geist, von altem und neuem Menschen entspricht der Gegensatz von Adam und Christus. 53 Die Menschheit befindet sich zwischen den beiden Polen Adam und Christus, wobei Adam der Ursprung, Christus aber die Bestimmung des Menschen ist.54 Am Anfang und am Ende der Geschichte stehen die Typen Adam und Christus mit dem Ziel, sich von Adam ab- und Christus zuzuwenden. 55 Damit, daß der Weg des Menschen von Adam bis Christus geht, ist nicht der Tod die Grenze, sondern Christus. In dem Streit zwischen Fleisch und Geist ist die Richtung vorgegeben: Der Weg geht vom Fleisch zum Geist, von Adam zu Christus und nicht zurück. Adam ist der wirkliche, der sündige Mensch; „wir sind allesamt ein Typ, der typos Adam, wie ihn die Bibel nennt, und dieser Typ ist bestimmt durch Sünde und Tod." 56 Er ist der alte Mensch der vergehenden Welt, der von
51 Vgl. das π ο λ λ ψ μ ά λ λ ο ν aus Röm 5,9.10.15.17, das auf die Überlegenheit Christi gegenüber Adam hinweist. „Von der Position aus, die ihr dank der Gerechtigkeit Gottes in Jesus erreicht habt, ist eine Wirklichkeit gesetzt, die unvergleichlich mächtiger, unvergleichlich realer ist als alles, was uns jetzt von Adam her mit seiner scheinbaren Letztgültigkeit imponieren will." Iwand, PM I, 594. Hoffmann weist in seiner Arbeit zu Recht auf die Übereinstimmung zwischen Iwand und Joests Untersuchung „Gesetz und Freiheit" hin: „Vergleicht man Joests Untersuchung der Formel ,simul iustus et peccator' mit dem Ergebnis Iwands, so zeigt sich nahezu völlige Übereinstimmung. Joest unterscheidet in entsprechender Weise den .Totalaspekt' vom ,Partialaspekt des SimuP." Hoffmann, Versöhnung, 80. 52
Iwand, GuE (1937), N W 4, 147. Vgl. die Adam-Christus-Typologie in Röm 5,12-21 und und 1 .Kor 15,45^19. 54 Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 159. 55 Vgl. Iwand, Menschwerdung, 5. Den eigentlichen Sinn der Säuglingstaufe sieht Iwand darin, das Wohin des menschlichen Lebens - Christus als die Bestimmung - so nahe wie möglich an das Woher - Adam - zu rücken. Vgl. ders., GuE (1937), N W 4, 159f. 56 Iwand, Reformation, GA II, 132; vgl. die durch den Herausgeber angemerkten Bibelstellen Röm 5,14 und l.Kor 15,22. 53
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unten, von der Erde ist und sich selbst zu Gott gemacht hat.57 Die Erkenntnis dieses adamitischen Menschen kann nach Iwand nicht aus der Erfahrung gewonnen werden, auch nicht aus einer „natürlichen Offenbarung", sondern allein in Jesus Christus. „In Christus am Kreuz, in diesem eigensten Werk Gottes, ist offenbar geworden, wie es um den Menschen steht, daß alle Welt verloren ist, wenn nicht dies neue Reis in den alten Stamm gesenkt, wenn dem Typus Adam nicht ein anderer Typus entgegengesetzt wird." 5 8
Jesus Christus ist der wahre Mensch, in ihm ist offenbar, wie die Menschen „in Wahrheit von Gott gemeint sind."59 In der Menschwerdung Gottes ist der neue Mensch Wirklichkeit geworden, die Bestimmung des Menschen ist offenbar geworden. Die „Menschwerdung Christi" ist das „gerade Gegenstück zur Gottwerdung Adams"60, wovon der Mensch erlöst werden muß. Er soll die Grenze zwischen Gott und Mensch wiederfinden, seinen Platz als Geschöpf Gottes wieder einnehmen, Gott Gott sein lassen und darin das erste Gebot erfüllen.61 In Christus als dem wahren Menschen zeigt sich, daß die Bestimmung des Menschen, das wahre Menschsein, nicht in uns liegt, sondern extra nos in Christus und somit nur durch göttliche Offenbarung erkannt wird. Christus, der wahre Mensch, steht Adam, dem wirklichen Menschen gegenüber.62 Diese gegensätzlichen Wirklichkeiten treffen im Leben in der Gegenwart aufeinander, wo Gottes Geist den Menschen trifft. Adam gehört auf die Seite der Vergangenheit als der alte vergehende Mensch, Christus auf die Seite der Zukunft als der neue Mensch. „In der Gegenwart ringen 57 Vgl. Iwand, Menschwerdung 27f; ders., GuE (1937), NW 4, 160-162; ders., Wunder der Weihnacht, JK 12, 1951, 674. 58 Iwand, Reformation, GA II, 137; vgl. ders., Predigt, GA II, 153-157. Vgl. auch Iwand, PM I, 592-595, wo er die Position der iustificatio impii als den Ausgangspunkt beschreibt, von dem aus das Verhältnis von Adam und Christus, Tod und Leben zu erkennen ist. Iwand verweist in dieser Meditation auf Barths Untersuchung „Christus und Adam nach Röm 5", die seiner Ansicht nach „dogmatisch gesehen zu den bedeutendsten Veröffentlichungen in der letzten Zeit [Iwand schreibt das 1957, Barths Aufsatz erschien 1952, R.M.] gerechnet werden muß... Auch wo der Prediger nicht in allem mitgeht und nicht mitgehen kann, muß er wissen, warum er das nicht tut." A.a.O. 594, Anm. 3. 59 Iwand, Menschwerdung, 4. Vgl. ders., Sed originale, GA II, 192f. 60 Iwand, Sed originale, GA II, 193. Vgl. den von Iwand zitierten Satz Luthers aus WA 5, 128,39-129,1: „Quia enim ascendimus in Adam ad similitudinem dei, ideo descendit ille in similitudinem nostram, ut reduceret nos ad nostri cognitionem." In der Zeit der Vergötterung des Menschen durch den Nationalsozialismus stellte Iwand den programmatischen Aufsatz „Menschwerdung Gottes - nicht Vergötterung des Menschen" (1936) als Ruf zur Umkehr dagegen. 61 Vgl. Iwand, Sed originale, GA II, 192. 62 Iwand verwendet den Begriff des wirklichen Menschen fast durchgängig für den alten und den des wahren Menschen für den neuen Menschen. Begrifflich steht er damit Emil Brunners Lehre vom Menschen nahe (Der Mensch im Widerspruch), theologisch aber dennoch dem Ansatz von Karl Barth (KD 3.2); vgl. Iwand, Prinzipienstreit, 239-242; ders., Primat, 187f.
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diese beiden Zeiten miteinander wie das Morgenrot mit dem Schatten der Nacht."63 Dieser Kampf und Widerspruch dauert an, solange wir leben; aber an dem Kampf, an dem Hereinbrechen des Geistes Gottes als Widerspruch gegen das Fleisch wird spürbar, daß ein neuer Mensch heraufzieht, der beginnt, den alten Menschen zu überwinden.64 In diesem Leben wird der Widerspruch nicht aufgehoben werden, sondern die Einheit des neuen Lebens „liegt außerhalb des Menschen und seiner Lebenszeit"65 in Christus, wie auch der Gegensatz von Gesetz und Evangelium erst im Eschaton aufgehoben wird. Daraus ergibt sich, daß der Mensch von Christus her nicht als „statisches" Wesen beschrieben werden kann, sondern als ein Werdender. In Jesus Christus soll der Mensch werden, was er von sich aus gesehen noch nicht ist, wenngleich er es von Gottes Wort her bereits ist. „Was du nach Gottes Wort bist, das kannst du nur haben als ein Werdender, du bist gerecht, aber du kannst deine Gerechtigkeit nur haben im Kampf mit deiner Sünde."66 Das Werden ist nicht gemeint als Entwicklung, sondern als das stückweise Haben, als das Erneuertwerden von Tag zu Tag.67 Das neue Leben ist nicht als Besitz gegeben, sondern bricht immer wieder aufs Neue herein in das alte Sein, Gottes Gnade muß jeden Tag aufs Neue erbeten werden. Darüber steht allerdings die Gewißheit, daß der alte Mensch mit seinen Leiden und Anfechtungen nicht ewig bleibt, sondern daß seine Zeit bemessen ist - der neue Mensch aber ist ewig. „Das also bedeutet der Angriff des Geistes Gottes auf das Fleisch, daß der alte Mensch seine Zeit bekommt und der neue Mensch unsichtbar bleibt, bis der Tag kommen wird, da Jesus Christus der Inbegriff alles dessen sein wird, w a s eines Menschen Namen trägt." 68
63
Iwand, Reformation, GA II, 136. Vgl. iwand, GuE (1937), NW 4, 160; ders., Reformation, GA II, 139. 65 Iwand, Reformation, GA II, 136. 66 Iwand, GuE (1937), NW 4, 162; vgl. ders., RuC, 53f.; ders., PM I, 613; ders., GuE (1950), NW 4, 270 mit dem Hinweis auf das „simul iustus et peccator". Nicht der Mensch an sich ist als Werdender zu beschreiben, sondern der Christ, der im Kampf zwischen altem und neuem Menschen lebt; vgl. Iwand, Die christliche Verantwortung für die Bildung (1955), NW 2, 300 [Christliche Verantwortung, NW 2]: „Der Mensch, so meine ich, der aus Glauben lebt, ist immer zugleich in Gottes Hand, ist darin ein Werdender und nie ein So-oder-So-Seiender 64
67 68
Vgl. 2.Kor 4,16. Iwand, GuE (1937), NW 4, 165.
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3. Der versöhnte Mensch
Nach dem zweiten Weltkrieg beschäftigt Iwand sich intensiv mit Luthers Galatervorlesung von 1531, wo er besonders in Luthers Auslegung zu Gal 3,13 „erstaunliche Dinge"69 findet, nämlich die Aussage: „Die Sünden der ganzen Welt sind nicht dort, wo sie anschaulich sind und empfunden werden. Denn für die Theologie gibt es keine Sünde, keinen Tod in der Welt. Aber für die Philosophie und die Ratio sind die Sünden nirgendwo sonst als in der Welt ... Das ist alles ganz und gar gottlos. Die wahre Lehre besagt, daß in der Tat keine Sünde in der Welt ist, weil Christus die Sünde besiegt hat an seinem Leibe."70 Rückblickend äußert Iwand sich über diese Entdekkung folgendermaßen: „Als ich diese Stelle zum erstenmal las, bin ich wirklich fast vom Stuhle gefallen, denn das hatte ich nun ausgerechnet bei Luther nicht erwartet. Dass keine Sünde mehr in der Welt ist, weil Christus, auf den der Vater die Sünden der ganzen Welt gelegt hat, gesiegt hat, weil er sie zerstört hat, weil er sie getötet hat in seinem Leibe. Wo daher Glaube an Christus ist, da ist wahrhaftig die Sünde abgeschafft, tot und begraben." 71
Für Iwand ergibt sich aus dieser Entdeckung eine neue Sicht der Welt: sie ist nicht die böse, gottlose Welt, sondern die in Christus versöhnte Welt, in der es aufgrund des Kreuzestodes Christi keine Sünde mehr gibt. Das ist 69 Iwand, NW 6, 307 in einem Brief an Rudolf Hermann vom 4. April 1953, wo er mit Verweis auf Luthers Galatervorlesung die Einteilung einer „Welt in Christo" und „außer Christo" ablehnt, da diese Welt „immer in Christo" sei. 70 WA 40/1, 29,7-10.13-15 in der Übersetzung Iwands in PM I, 547, Anm. 1. Vgl. WA 40/1, 445,19-31. Iwand führt diese Stelle auch an in PM I, 258.385 und in: ders., Über das Wesen und die Wurzel des Bösen, in: Woord en Wereld, Festschrift fur K.H. Miskotte, Amsterdam 1961, 209f [Über das Wesen], Vgl. auch ders., Galaterbrief, NW 4, 422.438f. 71 Iwand, Über das Wesen, 210. Der Kontext der Aussagen Luthers zeigt, daß es Luther gegen Iwands Interpretation - nicht einfach darum geht, die Welt nun als versöhnte Welt anzusehen. Luther liegt vielmehr daran, deutlich zu machen, daß Christus die Sünden der Welt hinweggenommen hat und diese also durch kein menschliches Werk fortgeschafft werden können und müssen. Er betont die Alleingenügsamkeit des Werkes Christi gegen die sophistische Theologie; vgl. WA 40/1, 445,24-28; 446,21-27. Stärker als Iwand unterstreicht Luther, daß alle unter dem Fluch des Gesetzes bleiben, die Christus nicht im Glauben ergreifen: „Manent igitur sub maledicto, quotquot Christum fide non apprehendunt." A.a.O. 446,26f. Auch die These Iwands, daß Luther von der Sicht der versöhnten Welt aus seine ganze Ethik im Blick auf Beruf, Staat und Ehe entfaltet (vgl. Iwand, Über das Wesen, 210), ist nicht richtig. Luthers Verständnis von Ehe, Beruf und Staat fußt vielmehr auf den Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen Gottes; vgl. Peters, Der Mensch, HST 8, Göttingen 1979, 50-52; vgl. auch Bayer, Natur und Institution. Eine Besinnung auf Luthers Dreiständelehre, ZThK 81, 1984, 352-382.
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die Wirklichkeit Gottes, die realer ist als die Wirklichkeit, die vor Augen ist. Iwand findet bei Luther die Erkenntnis von Barth bestätigt, die Sünde als das Nichtige zu verstehen. Die Sünde ist im Objektiven, in Christus aufgehoben, „und das Subjektive nimmt teil an der Aufhebung dieser Sünde, soweit es an diese Tat Gottes in Jesus Christus glaubt. Der Tod ist überwunden, die Sünde ist weggeschafft."72 Auf die Anthropologie gesehen ist nun nicht zuerst von der verlorenen, sondern von der versöhnten Menschheit zu reden.73 In der Vorlesung über Gesetz und Evangelium aus dem Jahr 1937 liegt der Akzent bei Iwand noch darauf, daß Gott diese Welt liebt und in Christus erlöst hat, aber andererseits die Erlösung noch aussteht und die Kirche „mit dem wirklichen Tatbestand der von Gott abgefallenen Welt als einem Tatbestand rechnet, hinter den es kein Zurück gibt."74 In ähnlicher Weise schreibt er in einer Predigtmeditation 1942 von der Wirklichkeit der verlorenen Welt im Gegenüber zur Wirklichkeit Gottes, der im Glauben recht gegeben wird. Er unterstreicht, daß es nötig ist zu erkennen, „... daß wir zur dieser verlorenen (!) Welt und zu dieser verlorenen (!) Menschheit gehören, zu deren Rettung Jesus erschienen ist."75 Bei Iwand zeigt sich eine Bewegung weg von der Betrachtung des Menschen unter dem Gesetz und der Sünde hin zu einer Sicht des Menschen als Erlöstem und Versöhntem. Bei ihm löst allerdings die zweite Betrachtungsweise nicht die erste ab, sondern beide bleiben - in Spannung zueinander bestehen. So stellt Iwand noch 1959 in einem Lutheraufsatz die Wirklichkeit der verlorenen Welt der Wirklichkeit der Gnade Gottes gegenüber. Das Kreuz Christi offenbart die Welt in ihrem „wahren Sein vor Gott. Es zeigt uns den Menschen, auch den frommen, in seiner Verlorenheit. So steht es um uns vor Gott."76 Iwand rühmt die Reformation darin, daß sie realistisch die Wirklichkeit Gottes und die der Welt als der gottfeindlichen, abgefallenen Welt in den Blick genommen hat. Dem Glauben wird aber dagegen die Gewißheit geschenkt, „daß Gottes Wirklichkeit in Jesus Christus größer ist als alles, was wir als Wirklichkeit erfahren, sei es die Sünde, sei es der Tod."77 72
Iwand, Über das Wesen, 209. Vgl. Iwands Predigtmeditation zu 2.Kor 5,19-21 in PM I, 547-555. Bertold Klappert stellt in seinem Aufsatz „Versöhnung, Reich Gottes und Gesellschaft", EvTh 49, 1989, 341369, den Gedanken der versöhnten Menschheit in den Mittelpunkt und interpretiert Iwand ganz von dieser Sicht aus. 74 Iwand, GuE (1937), NW 4, 199. 75 Iwand, PM II, 194 (Ausrufungszeichen im Original). 76 Iwand, Martin Luther, 24. Vgl. auch ders., Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1564: Das Evangelium gilt dem Menschen in uns, „den wir für den gottverlassenen, den verlorenen und gottabgewandten halten, der es auch ist [!], den wir verbergen und verstecken möchten und den zu erlösen - gerade ihn - Gott uns nahegekommen ist." 77 Iwand, Martin Luther, 24. 73
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Die Entscheidung über die Wirklichkeit fallt bei Iwand von Luther her im Glauben. Auch unter der Voraussetzung, daß nach 2.Kor 5,19 Gott in Christus die Welt - und nicht nur die Kirche - mit sich versöhnt hat und die Versöhnung allen Menschen zukommt78, ist sie „nur auszudrücken in der Weise der Aufforderung und der Einladung: ,Laßt euch versöhnen mit Gott'." 79 Die in Christus geschehene Versöhnung wird im Leben Wirklichkeit, wo sie im Glauben angenommen wird. Der Glaube vermag dann auch die Wirklichkeit Gottes in Jesus Christus als die letzte und gültige Wirklichkeit zu erkennen, die Sünde und Tod besiegt hat.80 Im Blick auf den Menschen erhebt sich grundsätzlich die Frage, ob der „natürliche" Mensch als Mensch unter dem Gesetz, der unter der Macht der Sünde lebt, anzusehen ist oder aber als der erlöste und mit Gott versöhnte Mensch. Die Beantwortung dieser Frage hat Konsequenzen für die Ethik, insbesondere für die politische Ethik, wie bei Iwand zu sehen ist.
4. Zusammenfassung
Iwand behält seinen Ausgangspunkt bei der Offenbarung Gottes im Gegenüber zu einer natürlichen Erkenntnis auch im Blick auf den Menschen bei. Theologische Anthropologie kann ihren Ort nicht in der Empirie, sondern allein in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus haben. Die Erkenntnis über den Menschen in seinem Ursprung und seiner Bestimmung wird - wie die Erkenntnis über Auftrag und Grenze des Gesetzes - aus dem Evangelium gewonnen. 1. Vom Evangelium her wird das Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz erkannt. Weil das Evangelium universale Geltung hat und als Befreiung vom Gesetz allen Menschen gilt, darum ist das natürliche Sein des Menschen als Sein unter dem Gesetz zu beschreiben. Jeder Mensch steht unter der Anklage des Gesetzes (usus elenchticus legis) und lebt als Sünder unter dem Gericht Gottes, aus dem er errettet werden muß. 2. Der Mensch als Sünder ist Fleisch. Dabei handelt es sich um eine Totalitätsaussage: totus homo caro, so daß eine Aufteilung des Menschen in 78
Vgl. Iwand, Zur Versöhnungslehre, GA I, 217-219. A.a.O. 219. Vgl. 2.Kor 5,20. 80 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 193. Iwand stellt wie Luther die „... universalinklusiven Aussagen [des Christusgeschehens, R.M.] zugleich unter den Vorbehalt des Glaubens". Klappert, Promissio, 159 (Hervorhebung im Original). 79
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höhere und niedere Bestrebungen ausgeschlossen ist. Fleischlich ist der Mensch nicht nur in seinen sinnlichen Begierden, sondern auch in seinen geistigen und religiösen Bestrebungen. Iwand nimmt den von Luther geprägten Begriff der concupiscentia spiritualis auf, worunter eine Begierde nach Gott zu verstehen ist, die nicht aus Liebe zu Gott (amor dei), sondern aus der Selbstliebe (amor sui) entspringt, wobei Gott als Mittel gebraucht wird, um die religiösen Wünsche nach Seelenruhe und innerem Frieden zu befriedigen. Der natürliche, fleischliche Mensch liebt immer nur sich selbst und kann Gott nicht lieben. Die Erkenntnis, fleischlich zu sein, ist eine durch das Gesetz Gottes im Heiligen Geist gewirkte Erkenntnis, die den Menschen im Gebet zu Gott treibt. In Christus schenkt Gott dem Menschen ein neues Sein, den neuen, geistlichen Menschen. Die Wirklichkeit dieses homo spiritualis ist nicht empirisch sichtbar wie die des homo carnalis, sondern verborgen in Christus. Der Wiedergeborene ist in den Kampf zwischen Fleisch und Geist, zwischen Gesetz und Evangelium gestellt: der homo carnalis und der homo spiritualis stehen sich im bleibenden Gegensatz gegenüber. Der Geist Gottes tritt dem fleischlichen Menschen und seinen Begierden entgegen und wird somit als Widerspruch zu den Begierden des Fleisches erfahren. Solange der Mensch lebt, ist er als simul iustus et peccator in diesen Kampf gestellt. Einen Waffenstillstand kann es nicht geben, aber der Kampf bleibt nicht unentschieden, sondern in Christus ist der Sieg des Geistes über das Fleisch verbürgt. Das Sein des Christen ist somit als ein Werden zu beschreiben, als Verwandlung vom homo carnalis zum homo spiritualis, das aber erst im Eschaton seine Vollendung findet. In Fleisch und Geist stehen sich Adam als Ursprung und Christus als Bestimmung des Menschen gegenüber. Adam ist der Typos des alten Menschen und Christus der Typos des neuen Menschen, die in der Gegenwart miteinander ringen. Iwand unterstreicht, daß dieses Ringen allerdings entschieden ist: Adam muß weichen, Christus muß kommen wie die Morgendämmerung nach der Nacht. 3. Nach 1945 nimmt Iwand von Barth her in der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz den versöhnten Menschen in den Blick und findet die Bestätigung für diesen Ansatz in Luthers großer Galaterbriefvorlesung, wo er davon spricht, daß Christus die Sünden der Welt weggeschafft hat und keine Sünde mehr in der Welt ist. Im Glauben wird die Wirklichkeit der Gnade Gottes und der versöhnten Welt als die letztgültige Wirklichkeit gegenüber der sündigen und verlorenen Welt erkannt. Weil für Iwand aber das neue Sein nur im Glauben geschenkt wird, kann er anders als Barth die versöhnte Menschheit nicht als ontologische Wirklichkeit beschreiben. Hier wird ein Konflikt sichtbar, der die Konsequenzen aus der Abfolge von Gesetz und Evangelium für die Anthropologie erkennen läßt. Die Vorordnung des Gesetzes sieht das Sein des natürlichen Menschen als Sein un181
ter dem Gesetz, die Vorordnung des Evangeliums dagegen als Sein unter der Gnade. Wenn Iwand später trotz der Vorordnung des Evangeliums in der Frage der Rechtfertigung den Vorbehalt des Glaubens macht, durch den ein neues Sein geschenkt wird, versucht er, Anliegen Barths und Luthers miteinander zu verbinden.
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TEIL 2 DIE FOLGEN DER LEHRE VON GESETZ UND EVANGELIUM IN DER ETHIK
Wenn im folgenden die Frage nach Gesetz und Evangelium in der Ethik auf die dogmatischen Überlegungen folgt, so entspricht das dem Ansatz Iwands, daß Dogmatik und Ethik untrennbar zusammengehören, aber die Ethik der Dogmatik nie vorgeordnet, sondern nachgeordnet ist.1 In der Theologie des neunzehnten Jahrhunderts gründete nach Iwands Auffassung die Dogmatik auf der Ethik2, weil der freie Wille des Menschen vorausgesetzt, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht mehr verstanden und damit die Radikalität der menschlichen Sünde und Verlorenheit nicht erkannt wurde. Vor dem rechten Tun aber braucht der Mensch ein neues Sein. Am Anfang steht nicht das Werk des Menschen, sondern die Versöhnungstat Gottes in Jesus Christus, der darin eine neue Wirklichkeit setzt, die im Glauben ergriffen wird.3
1
Zur Zusammengehörigkeit von Dogmatik und Ethik vgl. Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 227; ders., PM I, 246.614. Zur Nachordnung der Ethik, der die Reihenfolge von Rechtfertigung und Heiligung entspricht, vgl. Iwand, PM I, 235f; ders., Glauben und Wissen (1955), NW 1, 23; ders., Theologie, Vorlesung (1951), NW 1, 232f. 2 Vgl. Iwand, Prinzipienstreit, GA I, 227. 3 Vgl. Hoffmann, Versöhnung, 58: „Deshalb kann Iwand Ethik nur unter Vorordnung der Dogmatik denken, da allen ethischen Normen und Verhaltensweisen die Erfassung jener neuen Wirklichkeit vorausgehen muß, die allererst neues, ihr entsprechendes Ethos konstituiert."
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I. Ethische Grundlagen
Der durch das Gesetz gerichtete und durch das Evangelium freigesprochene und vor Gott gerechte Mensch versteht und beurteilt sich nicht mehr von seinem eigenen Tun her. Im Evangelium wird ihm die Tat Jesu Christi zugerechnet und im Heiligen Geist ein neues Sein geschenkt, das unabhängig von seinem Werk ist. Iwand erteilt dem „Persönlichkeitsideal, das sich aus seinen sittlichen Leistungen aufbaut" 4 und den Menschen des freien Willens voraussetzen muß, eine Absage. Im Gegensatz dazu lehrt Iwand mit Luther die „strenge Scheidung von Person und Werk"5 in der Rechtfertigung, was für die Grundlegung der Ethik von wesentlicher Bedeutung ist.
1. Person und Werk
1.1 Der Wert der Person Das Urteil darüber, ob ein Mensch als „gut" zu bezeichnen ist, wird normalerweise an den Taten gewonnen. Das Werk des Menschen ist somit konstitutiv für den Wert, den der Mensch hat. „Der natürliche Mensch kann gar nicht anders, er bemißt sich in seiner Person nach seinen Leistungen. ... Der natürliche Mensch ist in seinem Selbstgefühl, in seinem Personsein, einfach ausgeliefert an seine Werke, darum braucht er dann große, gewaltige, ihn tragende Werke.... V o n denen lebt er!" 6
Solange aber der Mensch in der Vorstellung lebt, daß der Wert seiner Person davon abhängt, was er tut, und er im Gutes-Tun seinen Wert bewei-
4
Iwand, Leben und Lehre, 9. Ebd. 6 Iwand, GuE (1937), NW 4, 63. Vgl. ders., RuC, 19: „... jeder Mensch bringt nicht nur die Überzeugung mit, daß die iustiflcatio den guten Werken folgt, sondern das Aufgeben dieser Einstellung bedeutet die Veränderung des ganzen Menschen und ist das neue Leben." (Hervorhebungen im Original). 5
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sen muß, ist die Sorge um sein Heil die Motivation für sein Handeln. Jedes noch so gute Werk wird nur deshalb getan, um das eigene Gut-Sein zu erweisen oder zu erbringen, wobei letztlich das ewige Heil, das dadurch erworben werden soll, das religiöse Motiv bildet. 7 Es geht darum, vor einem letzten Forum - vor Gott selbst - bestehen zu können. Ein solcher Mensch lebt in der Vorstellung, er könne kraft seines freien Willens durch sein Wollen und Tun sein Sein bestimmen, während das Wort Gottes den Menschen als einen Unfreien ansieht, dessen Sein dem Willen und Tun vorgeordnet ist und durch diese nicht verändert werden kann. 8 Normalerweise resultiert der Wert der Person aus dem Tun. „Glaube an Christus aber ist die gerade Absage an eine derartige Wertung der Werke, denn das Sein des Menschen coram deo ist schon festgelegt, ehe wir überhaupt zu irgendeinem Tun kommen." 9 Nicht die Werke machen die Bestimmung der menschlichen Existenz aus, sondern der Glaube an Christus, der die Forderung des Gesetzes erfüllt hat. 10 Die Beurteilung des Menschen durch Gott und damit die Frage nach dem Wert der Person richtet sich danach, „ob wir Glauben oder Unglauben haben, ob wir an Christus hängen oder an unseren eigenen Werken hängen." 11 Die Frage nach der Person und dem Sein ist der Frage nach den Werken vorgeordnet: „Die Frage: Was sollen wir tun? mußte zunächst einmal zurückgestellt werden, damit die andere Frage: Wer sollen wir sein? geklärt würde. Denn alles Tun kann nur nach Maßgabe unseres Seins und Wesens erfolgen." 12 Von diesem Ausgangspunkt aus findet Iwand bei Luther nicht eine materiale Ethik, die die Werke abgesehen von der Person als mehr oder weniger sittlich gut einstuft, sondern eine personale Ethik13, da die Frage nach dem guten oder bösen Werk an der Person entschieden ist. „Denn Gut und Böse sind Prädikate der Personen, nicht der Werke. Das Werk an sich ist
7
Vgl. Iwand, Studien, GA I, 48.56f. Vgl. a.a.O. 53-61; ders., Leben und Lehre, 17-19; ders., GuE (1937), NW 4, 61f; ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 87-91; ders., NW 5, 132-135.138. 9 Iwand, GuE (1937), NW 4, 61. 10 Vgl. Iwand, NW 5, 135. Damit, daß die Werke bei der Frage nach dem Heil herausgenommen sind, wird erreicht, „daß es hier eine Gewißheit gibt, die durch nichts aufgehoben wird." Ebd. Vgl. a.a.O. 162f. 11 Iwand, GuE (1937), NW 4, 65. Vgl. Gal 2,16. 12 Iwand, Leben und Lehre, 27; vgl. ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 90; ders., GuE (1937), NW 4, 61. 13 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 90. Später hat Iwand die personale Ethik um den materialen, sachlichen Bezug erweitert, vgl. Iwand, Vom Schutz des Lebens. Aus einem unveröffentlichten Vorlesungsmanuskript von 1951, JK. 40, 1979, 298 [Vom Schutz des Lebens (1951), JK 40, 1979]: „Hier muß man sehen, daß eine rein personale Ethik, die nicht auch jenen materialen Bezug hat, zu eng sein wird; sie läßt ein großes und bewegendes Feld des menschlichen und öffentlichen Lebens aus: das des Besitzes, der Arbeit, der Leistung, des Eigentums und des diesem geltenden Rechtsschutzes." 8
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indifferent."14 Der gute Baum bringt gute Früchte, der schlechte Baum bringt schlechte Früchte.15 Das neue Sein, das der Glaube passiv geschenkt erhält, ist die Voraussetzung der christlichen Ethik. Wenn über das Sein unabhängig und vor den Werken entschieden ist, fällt der Verdienstcharakter des Werkes fort, und der Mensch wird frei zum Handeln ohne das Motiv, dadurch gut sein bzw. werden zu wollen. „Nicht so werden wir gerecht, daß wir uns üben im Tun, sondern umgekehrt: von dem im Glauben ergriffenen Sein her wird allererst das Tun möglich."16
1.2 Das Werk Nicht das Werk als solches wird abgelehnt, aber der mit dem Werk verbundene Wertgedanke, als hänge der Wert der Person an der Tat und könnte durch das Tun bestimmt werden. Dabei räumt Iwand ein, daß es zwar denkbar ist, daß der Mensch vor sich selbst aufgrund seines Tuns meint bestehen zu können, aber dennoch kann er nie vor Gott bestehen. „Wenn du also von deinen Werken lebst, von daher dein Selbstgefühl hast, dann hast du ein Selbstgefühl, das vor Gott nicht bestehen wird. Das ist die aestimatio operum."17 Wo bei der Frage nach dem Tun der Wert des Werkes für die eigene Person im Mittelpunkt steht, zeigt sich nach Iwand der antichristliche Mensch. Es steht dann nicht der Mensch, an dem das Werk getan wird, im Mittelpunkt, sondern die Bedeutung des Werks für den Täter.18 Darin wird der Egoismus mit der Frage: „Was bringt mir das, wenn ich das tue" offenbar, und der Mensch, an dem das Werk geschieht, wird zum Objekt der Tat erniedrigt. Da die Frage nach der Person und ihrem Wert für den Christen vor allem Tun im Glauben an Jesus Christus entschieden ist, erhält das Werk für den Christen eine neue Bedeutung: Es dient nicht mehr der Beeinflussung Gottes oder der Selbstbestätigung, sondern es wird getan zum Wohl des Nächsten.19 „Das gute Werk ist also nicht mehr das zur Seligkeit 14
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 90. Vgl. ders., Art. GuE (1956), EKL 1, 2 1961, 1564f: „Nicht die Werke (äußere oder innere, Gesittung oder Gesinnung) werden andere und der Mensch bleibt erhalten, wie es die G.essysteme [= Gesetzessysteme, R.M.] aller Art meinen, sondern hier wird der Mensch aufgehoben ... und ein neuer Mensch wird geboren ..." 15 Vgl. Mt 7,17f; Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 90f. 16 A.a.O. 98; vgl. ders., NW 5, 132. 17 Iwand, GuE (1937), NW 4, 63; vgl a.a.O. 60f; ders., RuC, 18. 18 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 61. Im Blick auf die Gesellschaft urteilt Iwand: „Es ist weithin das bürgerliche Lebensideal, das hier getroffen wird, daß ich beim Tun danach frage, was es für einen Bildungswert hat, daß ich bestimmte Berufe und Aufgaben suche, die einen bestimmten Bildungswert haben und nach diesen Bildungswerten mich selbst beurteile." Ebd. 19 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 96; ders., GuE (1937), NW 4, 72: „Die Werke, die Gott vom Menschen verlangt, sind seine Sorge für den Nächsten."
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nötige Werk, sondern nur noch ganz schlicht: das nötige Werk." 20 Das Werk, das aus dem Glauben kommt, ist nicht dazu da, um als rechter Christ zu erscheinen, sondern damit die Not des anderen gelindert wird. 21 Wesentlich ist, daß die Werke keinen Einfluß auf den Wert der Person haben - sie können den Menschen nicht gut oder böse machen, weil das Urteil Gottes über den Menschen vor allem Tun erfolgt und die Werke die Frucht des guten oder schlechten Seins sind. Da die Werke keinen Einfluß auf das Sein der Person haben, diese nicht verändern können, haben sie keinen schöpferischen Wert. 22 Das bedeutet, daß der Mensch sich durch sein Tun nicht selbst umgestalten kann, nicht an sich selbst Schöpfer spielen kann. Iwand leugnet damit keineswegs den Wert der Erziehung und Bildung für den Menschen. Im Rahmen der humanen Sittlichkeit ist der Mensch durch ein geregeltes und erzieherisches Tun in seinem Verhalten prägbar. Entscheidend ist, die Grenze allen sittlichen Handelns zu sehen, die darin liegt, daß der Mensch nicht sein eigenes Sein verändern kann. 23 „Wäre nämlich der Mensch in der Lage, mit seinem eigenen Tun seine Person zu formen, dann wäre er selbst der Schöpfer seiner geistigen Persönlichkeit." 24 Das hieße aber nicht weniger, als darin Gott den Schöpfer und Erlöser zu leugnen. Es ist in der Erlösung wie in der Schöpfung ein schöpferisches Handeln am Menschen nötig, das aber allein Gott zu tun vermag. Im Blick auf die Ethik bedeutet das: „Der Kernpunkt aller Ethik ist niemals das schöpferische, sondern das sachliche Handeln." 25 Für denjenigen, der in Christus ein neues Sein hat, heißt das, daß er bei allem Werk danach zu fragen hat, „... ob es ihm gelungen ist, ob er sachlich richtig gehandelt hat, ob er es nicht noch besser machen könnte, so wie ein Künstler ein Bildwerk schafft und sich fragt, ob er es nicht noch besser machen könnte. So fragt der Christ als politischer Beamter, als Bauer, als Lehrer. Das ist die Frage der sachlichen Entscheidung ,.." 26
Die guten Werke, das Tun der Gebote Gottes, sind für Iwand das Ziel Gottes mit dem Menschen. Gott will, daß sein Wille getan, sein Gesetz erfüllt wird, und damit das durch den Menschen geschehen kann, muß Gott den Menschen vorerst neu machen. Gott schafft den Menschen in der Rechtfertigung neu, damit dieser in die Lage versetzt wird, Gottes Willen zu tun 20 21 22
Iwand, GuE (1937), NW 4, 63f. Vgl. a.a.O. 65. Vgl. a.a.O. 67-69; ders., Reformation, GA II, 134f, ders., Glaubensgerechtigkeit, GA
II, 92f. 23
Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 68; ders., NW 5, 159; ders., Reformation, GA II, 135 mit Hinweis auf Aristoteles' Nikomachische Ethik. 24 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 93. 25 Iwand, Reformation, GA II, 134; vgl. ders., GuE, CuW 5, 1929, 216;. Iwand nimmt hier Gedanken seines Lehrers Rudolf Hermann auf, vgl. Hermann, Die Sachlichkeit als ethischer Grundbegriff, ZSTh 5, 1928, 250-312. 26 Iwand, GuE (1937), NW 4, 68.
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so wie nur der gute Baum gute Früchte bringen kann. Es geht hierbei nicht zuerst um den Menschen, sondern darum, daß Gott mit seinem Plan zum Ziel kommt. Iwand kommt zu der These: „Gott rechtfertigt nicht den Menschen, damit er selig werde, sondern die Rechtfertigung dient dem Plane Gottes, daß nämlich durch den Menschen sein Wille getan werde."27 Die biblische Grundlage findet er vor allem in Eph 2,10: „Geschaffen in Jesus Christus zu guten Werken, zu denen Gott uns zubereitet hat, damit wir in ihnen wandeln."28 Wie in der Rechtfertigung, wo es zuerst darum geht, Gott in seinem Urteil recht zu geben, stellt Iwand bei der Frage nach den guten Werken Gott und seinen Willen an den Anfang. Zuerst geht es um Gott, und dann auch um den Menschen. In der Rechtfertigung und dem darauf folgenden Werk offenbart Gott, daß er mit dem Menschen über Welt, Tod und Satan zum Sieg kommt und sein Wille in dieser Welt getan wird.29 1.2.1 Glaube und Werk - Rechtfertigung und Heiligung30 Das Gesetz Gottes kann nur erfüllt werden im Glauben und in dem daraus entspringenden Werk: Der böse Baum muß erst zum guten Baum werden, damit gute Früchte daraus hervorgehen. Die Einheit von Glaube und Werk liegt in Gott, der sein Heil in Jesus Christus und sein Gebot kundtut, sie liegt in der Identität von erlösendem und gebietendem Gott - und nicht im Menschen.31 Die Werke des Glaubens sind die Früchte des Geistes, der das kommende Reich Gottes ankündigt. Von daher sind es Früchte des Glaubens an die Verheißung Gottes. Iwand macht von Luther her deutlich, daß bezüglich der Rechtfertigung zwar alles darauf ankommt, daß der Glaube ohne jedes Werk gerecht macht und sogar im Gegensatz dazu steht, daß aber andererseits der Glaube nicht ohne Werke sein kann.32 In der Beziehung auf Gott ist der Glaube ohne jedes Werk, ganz passiv, aber in der Hinwendung zur Welt wird er ganz aktiv und tut gute Werke - nicht um Gott zu beeinflussen, sondern um dem Nächsten zu dienen gemäß dem Gebot Gottes. Der Mensch, der im Glauben frei vom Gesetz der Werke ist, tut in der Freiheit der Kinder Gottes Glau27
A.a.O. 70 (Hervorhebung im Original). Übersetzung von Iwand, ebd. Vgl. den griechischen Wortlaut: κτισθέντες εν Χρισχφ' Ιησοϋ επί έργοις άγαθοΐς οίς προητοίμασεν ό θεός ϊνα εν αύτοΐς περιπατήσωμεν. 29 Vgl. a.a.O. 71. 30 S.o. Teil 1.IV.2 Die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung - der tertius usus legis, 118ff. 31 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 71. 32 Vgl. WA 7, 231,7-9: „Fides nisi sit sine ullis etiam minimis operibus, non iustificat, imo non est fides. Impossibile est fidem esse sine assiduis, multis et magnis operibus." Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 95f. Zum Ganzen vgl. Luthers Schrift „Von den guten Werken (1520)", WA 6, 204-276. 28
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benswerke, „... die da sind, um zu geschehen, nicht um sich sehen zu lassen. Werke, die getan werden, um der Not zu steuern, nicht um den Menschen wieder in Sicherheit zu wiegen." 33 Für das Verhältnis von Glaube und Werk, Rechtfertigung und Heiligung ist entscheidend, daß Christus in beidem das Subjekt ist. Nicht nur bei der Rechtfertigung ist Christus das Subjekt, das dann zurücktritt und den Menschen in seinem Werk allein läßt, sondern er bleibt es auch in allem Tun, das den Menschen bestimmt: „Christus setzt d i e s e s L e b e n nicht und bleibt dann draußen.
Er wirkt
nicht
,causaliter' ( v o n einer U r s a c h e her) und läßt es dann für sich laufen. V i e l m e h r , d a s ist das B e s o n d e r e , d a s U n v e r g l e i c h l i c h e d i e s e s Lebens, daß e s sich nur e r f a s s e n läßt aus d e m untrennbaren Z u s a m m e n h a n g mit Christus." 3 4
Da der Glaube die Erfüllung der Gebote ist, ist das Werk schon gerechtfertigt und erfüllt, ehe es getan wird, so daß es nicht darauf ankommt, ob das Werk ganz gelingt oder ob der Mensch daran scheitert. Der Entscheidungscharakter ist dem Werk genommen, weil vor dem Tun bereits die Entscheidung gefallen ist. Da wir auch als Glaubende immer Sünder sind, bleibt das Werk „... immer auch Sünde, bleibt es immer hinter dem zurück, was wirklich gut ist. Aber es ist ein Zeichen, ein Zeugnis, ein Hinweis." 35 Das Werk des Glaubens dient dem Nächsten und preist die Gnade Gottes. 36
2. Gottes Gebot
2.1 Die Bedeutung des ersten Gebotes für die Ethik Die Bedeutung des ersten Gebotes in der Theologie Luthers ist bekannt, und auch Iwand weist bereits in seiner Habilitationsschrift darauf hin. 37 In der Behandlung der Unterscheidung von Glaube und Werk kommt Iwand auf das erste Gebot zu sprechen und erklärt die Rückführung aller Gebote auf das erste Gebot bei Luther damit, daß alle anderen Gebote „bestimmte opera 33
Iwand, Predigt (1935), GA II, 165. Vgl. ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 103. Iwand, N W 5, 167. 35 A.a.O. 162; vgl. a.a.O. 163. 36 Vgl. a.a.O. 162. 37 Vgl. Iwand, RuC, 102f.; ähnlich in ders., GuE, CuW 5, 1929, 216f. Zu Luther vgl. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 119f; Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, hg. von Gottfried Seebaß, Bd. 1: Die Zehn Gebote. Luthers Vorreden, Göttingen 1990, 109: „Wie kein Ausleger vor ihm hat Luther das erste Gebot über alle anderen Gebote gestellt, ja im ersten Gebot Gottes gesamtes Handeln an der Menschheit wie in einem Brennspiegel zusammengefaßt gesehen. So könnte und müßte unsere Auslegung das erste Gebot als Mitte der Theologie Luthers sichtbar werden lassen" (Hervorhebungen R.M.). 34
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fordern und ihnen gegenüber stets das Abgleiten in das illusionäre Gebiet des Planens und Vornehmens möglich ist"38, was aber im ersten Gebot nicht geht, weil darin nur die vollkommene Liebe zu Gott gefordert wird, die man sich nicht vornehmen kann. „Entweder hat sie der Mensch, oder er hat sie nicht; hier kommt das einfache Bekenntnis des Herzens in Frage."39 Das erste Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir"40, meint mit der Erklärung Luthers im Kleinen Katechismus, daß wir Gott über alle Dinge furchten, lieben und vertrauen sollen. Dieses Gebot kann wie kein anderes den Menschen als Gesetz und Evangelium treffen. Weil es, wie Iwand ausfuhrt, bei dem Gebot der Liebe nicht möglich ist, dies in die Zukunft zu verlegen und dem Gebot somit auszuweichen, trifft es in der Gegenwart. Dabei wird dem Menschen offenbar, daß er diese Liebe nicht hat. Er erkennt seine Sünde und sich selbst, gibt darin Gott in seinem Urteil recht und erkennt die Erfüllung dieses Gebotes in Christus. Im Glauben an ihn steht er dem erfüllten Gebot gegenüber.41 Die Erfüllung des ersten Gebotes geschieht nicht im Tun, sondern allein im Glauben. Es geht im ersten Gebot darum, Gott ganz zu lieben, und das heißt mit Iwand, Gott Gott sein zu lassen, seinem Urteil recht zu geben, ihn Herr sein zu lassen über das Leben.42 Im Glauben ist der Gott des ersten Gebotes nicht der fordernde Gott, der unser Gott sein will, sondern der Gott, der verheißt und zusagt: „Ich bin dein Gott".43 Im Glauben wird nicht nur das Werk, sondern auch das Gesetz verwandelt von der Forderung zur Verheißung.44 Es hängt schlechterdings alles am Glauben, der im ersten Gebot gefordert ist. Mit dem Glauben ist das erste Gebot und sind auch alle übrigen Gebote erfüllt, wie umgekehrt der Unglaube das erste Gebot und somit auch alle anderen Gebote außer Geltung setzt.45 Das erste Gebot ist das Gebot „aller
38
Iwand, RuC, 102. A.a.O. 103. 40 Vgl. Ex 20,2-3 und die Erklärung Luthers im Kleinen Katechismus, BSLK 507; vgl. GrKat, BSLK 560-572. 41 Vgl. Iwand, RuC, 103f. 42 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 21-27. S.o. Teil l.IV.1.3.1 Deum iustificare - Gott recht geben, 11 Iff. Vgl. Iwand, Sed originale, GA II, 92: „Wahrer Mensch werden hieße: Gott wieder zuerkennen, was Gott zukommt, Gott sein lassen, das erste Gebot erfüllen und damit sich so arm und leer und in allen Dingen so auf Gott angewiesen sehen, wie wir es nun einmal als Menschen sind." Vgl. zur Bedeutung des ersten Gebotes für die Ethik bei Iwand: Seim, Der Grund des christlichen Lebens. Über die theologische Begründung ethischer Sätze in den Predigtmeditationen von Hans J. Iwand, in: Hermann Horn (Hg.), Entscheidung und Solidarität, FS für Johannes Harder, Wuppertal 1973, 48f. 43 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 88. 44 S.o. Teil 1 .IV.2 Die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung - der tertius usus legis, 118ff. 45 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 25. 39
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Gebote, mit dem in Wahrheit alles gewonnen oder auch alles verloren ist." 46 Allein vom ersten Gebot her ist es somit möglich, die äußere Erfüllung aller anderen Gebote als Werke des Gesetzes oder als Glaubenswerke zu beurteilen. In der Erfüllung des ersten Gebotes im Glauben an Jesus Christus sieht Iwand auch den Grund dafür, daß es die Kirche in dieser Welt gibt: „Denn das Gebot Gottes sucht eine Wirklichkeit in dieser Welt, ist bezogen auf eine Realität in dieser Welt, und w o dies Gebot Gottes erfüllt wird, da muß dem auch eine Wirklichkeit entsprechen in der Welt. Ich könnte also sagen, der Bestand der Kirche ist die Folge davon, daß das erste Gebot durch den Glauben an Jesus Christus erfüllt ist." 47
Die Kirche ist ein Zeichen dafür, daß die Erlösung nicht an dieser Welt vorbeigegangen ist, sondern daß der Wille Gottes in dieser Welt geschehen ist und eine Wirklichkeit darstellt, die auf dieser Erde gilt.48
2.2 Die Gebote in der Ethik Iwand bejaht den dreifachen Brauch des Gesetzes. Er vertritt neben dem usus elenchticus legis den tertius usus legis und auch den usus politicus legis.49 Für die Frage nach der Ethik ist vor allem der erste und dritte Brauch des Gesetzes relevant. Bei Iwand tritt für den Christen ein Wandel des Gesetzes ein: Vom anklagenden Gesetz wird es zur Gabe Gottes, zum Gesetz des Glaubens, das nicht eine Last ist, sondern „unsere Freude und unser Trost" 50 , und das in der Freiheit des Glaubens getan wird. Neben die sündenaufdeckende Funktion des Gesetzes, die auch beim Christen nicht aufhört, tritt der usus legis in renatis in seiner positiven Funktion. Mit dem Glauben als Erfüllung des ersten Gebotes werden auch die anderen Gebote Gottes zur Freude und zum Trost des Gläubigen, denn „... mit der Liebe zu dem Gott, der uns lieb hat, wird auch die Liebe zu seinem Gesetz in uns geboren." 51 In seiner Luthervorlesung macht Iwand deutlich, daß alle Gläubigen den Heiligen Geist haben und deshalb nicht die Autorität eines Lehrers brauchen, um recht leben zu können. Der Christ ist frei vom Gesetz und von der Wertung seines Werkes, so daß „das Werk abhängig ist von dem Glauben, mit dem du es anfaßt, und dein Glaube nicht davon abhängig ist, ob dir dein Werk gelingt." 52 Damit stellt sich für Iwand zwangsläufig die Frage, wozu -
46 47 48 49 50 51 52
A.a.O. 26. Iwand, GuE (1937), NW 4, 194. Vgl. a.a.O. 195. Vgl. oben Teil l.IV.1-3, 103ff. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 89. Vgl. den νόμος πίστεως aus Röm 3,27. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 88. Vgl. Hoffmann, Versöhnung, 141. Iwand, NW 5, 157.
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abgesehen von der sündenaufdeckenden Funktion - dann noch die Gebote da sind und bei Luther in den Katechismen so ausfuhrlich behandelt und ausgelegt werden. Wesentlich ist nach Iwand, daß die Freiheit des Christen besagt, daß der Gläubige keinen menschlichen Lehrer mehr fur sein Leben braucht; aber: „Wenn Gott uns belehrt, ist das etwas ganz anderes. Gott ist im Dekalog unser Lehrer - und wenn Gott uns lehrt, so lehrt er uns immer zunächst, an ihn zu glauben und aus dem Glauben das Werk anzufassen." 5 3
Im Dekalog findet der Christ den Willen Gottes, wobei aber nicht zuerst an ethische Einzelanweisungen zu denken ist, sondern an den Glauben an Gott, der darin geboten ist. Der Christ ist in seinem Handeln frei von menschlichen Autoritäten - und sei es „vielleicht ein Theologe, ein Pfarrer, ein Kirchenmann"54 - und allein gebunden an Gottes Wort. Weil derjenige, der an Gott glaubt, weiß, was gut ist, ist er nicht davon bestimmt, was in den Augen der Gesellschaft richtig, wahr und gut und also zu tun ist. Es läßt sich zwar für Iwand vom Dekalog her keine Ethik entwerfen, die jedem einzelnen genau sagt, was er zu tun und zu lassen hat, aber der Gläubige wird aus dem Dekalog als Gottes Wort erkennen, welches Werk er in der Entscheidung des Glaubens zu wählen hat. Er ist ganz an Gottes Wort gebunden, aber dennoch frei, „das Werk zu wählen, das seinem Glauben gemäß ist."55 Es ist äußerlich kein besonderes Werk, aber es ist ein Werk, das getan wird, weil Gott es geboten hat. Gottes Gebot ist das einzige Motiv der Tat, so daß, „wenn es Gottes Gebot nicht gäbe, dieser Mensch nichts tun könnte."56 Gegen die selbstgewählten Werke stellt Iwand die Werke, die getan werden, weil Gott sie gebietet.57 Im Dekalog weist Gott den Christen „in die Welt hinein als die Stätte, wo die guten Werke Gottes geschehen sollen und geschehen können."5* Iwand betont dabei immer wieder, daß auch im Bereich der Ethik, des Handelns, Gott das Subjekt bleibt und der Mensch Gottes Handeln an sich geschehen läßt. Gottes Gebot führt den Gläubigen zu der Tat, die Gott im Gebot verheißt, so daß der Christ im Glauben an die Verheißung Gottes ans Werk geht und das Werk „dann nichts anderes als die Art und Weise [ist, R.M.], wie Gott seine Verheißung an mir erfüllt."59 Darin zeigt sich die verändernde Kraft des Gebotes Gottes, dem Iwand zwei Funktionen zuschreibt, wie Hoffmann bemerkt: „Es spricht Menschen zum einen auf die Wirklichkeit an, in der sie stehen, um sie davon frei zu ma-
53
A.a.O. 157f. A.a.O. 158 55 Ebd. 56 A.a.O. 145. Iwand fährt fort: „Ein Mensch, der also alles, was er tut, von daher tut, daß Gott es gebietet - das wäre der Mensch, der ganz aus Glauben lebt." Ebd. 57 Vgl. a.a.O. 155. 58 Iwand, Stand und Sakrament (1957), GA II, 258f (Hervorhebungen im Original). 59 Iwand, NW 5, 165. 54
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chen, und es eröffnet gerade dadurch positiv neue Möglichkeiten des Verhaltens."60 Das Gebot Gottes hat für Iwand auch im Raum der Welt normative Bedeutung im Sinne des politischen oder zivilen Brauchs. Auch das Gesetz in diesem ersten Brauch ist den Menschen nicht einfach bekannt, sondern wird aus Gottes Wort erkannt.61 Dabei liegt die Funktion des Gesetzes zum einen darin, als Erhaltungsordnung Gottes das Böse einzudämmen62, zum anderen aber für Iwand auch darin, positiv erzieherisch zu wirken. Er weist darauf hin, daß die „Kirche immer wieder die Erzieherin der Völker geworden"63 sei. Auch schon im AT sei der erzieherische Charakter des Gebotes Gottes erkennbar. In dem positiven Verständnis des Gesetzes als ein das Volk prägendes, erzieherisches Gesetz zeigt sich bei Iwand eine Änderung seiner Ansicht. In der Zeit bis zum Ende des zweiten Weltkriegs legt Iwand bei der Anthropologie den Akzent darauf, daß die Ethik „nicht den guten Menschen, nicht das Ideal, sondern den todverfallenen, an das Böse verhafteten Menschen voraussetzen"64 solle, so daß dem Gesetz Gottes vor allem die Aufgabe zukomme, das Böse einzudämmen. Auch später sieht er das Gesetz als Erhaltungsordnung Gottes für diese gefallene Welt,65 aber seine Ausführungen sind stärker geprägt von der Hoffnung und Verheißung, die er im Gebot Gottes im Sinne des tertius usus legis sieht. Die Gebote Gottes sind dort, wo sie als das Reden des lebendigen Gottes vernommen werden, „Zeichen seiner Güte und Gnade, daß er uns nicht einfach unsre Wege gehen läßt, sondern uns sucht und sagt, wie sein Wille unser Leben haben will."66 Zielpunkt und Mitte ist aber kein zeitloses Gebot, sondern Jesus Christus als Person, weil in ihm Gott, Gebot und Leben eins sind.67 In ihm erkennen wir, daß die Welt Gottes Welt ist und nicht die des Teufels, daß die Gebote zum Leben und nicht zum Tod gegeben sind.68 Deutlich ist sein Anliegen, die
60
Hoffmann, Versöhnung, 148, mit Verweis auf Iwand, Predigt, GA II, 168 und PM I,
237. 61
Vgl. Iwand, Prinzipienstreit, 239 in Abgrenzung von der Volksnomosiehre. Vgl. Iwand, PM II, 13; ders., Predigt, GA II, 160. 63 Iwand, Prinzipienstreit, 239. 64 Iwand, Reformation, GA II, 134. 65 Vgl. Iwand, Das Gebot Gottes und das Leben, Vortrag, NW 2, 47 [Gebot Gottes, NW 2], Vgl. zu diesem Vortrag die Darstellung bei Hertog, Erkenntnis, 247-255. 66 A.a.O. 50. Martin Hoffmann versteht in der Ethik Iwands das Gebot Gottes insbesondere als „Verheißung des Lebens", was für den von ihm untersuchten Zeitraum ab 1945 bei Iwand durchaus zutreffend ist; vgl. Hoffmann, Versöhnung, 138-143. 67 Vgl., 58. Vgl. dazu Seim, Grund, 45-52. 68 Vgl. Iwand, Gebot Gottes, NW 2, 60f. Iwand geht es vor allem darum, die Einheit von Gott und seinem Gebot zu betonen und damit auch die Einheit von Dogmatik und Ethik, Hören und Tun, Reich Gottes und Welt. Zur Frage der Zwei-Reiche-Lehre, die hier auch anklingt, s.u. 202ff. 62
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Gebote Gottes nicht zur Moral verkommen zu lassen, sondern in den Geboten immer auch den Anspruch Gottes selbst auf unser Leben zu hören.69
2.3 Die Gebote und der Nächste Die Gebote haben für Iwand eine doppelte Funktion: eine passive und eine aktive. In der Heiligung bewahrt Gott den Menschen durch die Gebote vor dem Abfall, und gleichzeitig weist er den Menschen in seinen Geboten zur Tat an dem Nächsten. Mit seinen Geboten handelt Gott fürsorglich, ermöglicht das Leben in der Gemeinschaft. „Die soziale Ordnung der Menschen sind die Gebote Gottes; denn in diesen Geboten weist Gott mich an meinen Nächsten."70 Die Gebote sind nicht zur Sorge um die eigene Seligkeit, sondern zur Sorge um den Nächsten gegeben. Insbesondere die Ermahnungen im NT sind nur von daher zu verstehen, daß es darin um die Sorge Gottes für den Nächsten geht. Diese Gebote sind in dem Doppelgebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten zusammengefaßt.71 An die Stelle, wo beim natürlichen Menschen allein die Selbstliebe sitzt, soll beim Christen die Liebe zum Nächsten treten, die wie die Selbstliebe zu einer Macht und Leidenschaft wird, die den Menschen treibt. „... Nächstenliebe heißt so zu Boden gedrückt werden durch die Not des Nächsten, wie Christus durch unsere Not in seinem Herzen zerrissen war."72 Wer Gott liebt, liebt auch den Nächsten, wird barmherzig für den Nächsten. Gottes- und Nächstenliebe sind nicht voneinander zu trennen. Iwand weist aber darauf hin, daß das Gottesverhältnis dem Verhältnis zum Nächsten übergeordnet ist und auch nicht dadurch ersetzt werden kann. Im Gottesverhältnis ist eine Stellvertretung der Person möglich und wirklich, weil Gott in Christus an meine Stelle getreten ist, während das Verhältnis zum Nächsten auf das Tun begrenzt ist und sich nicht auf das Sein, die Person, bezieht. Ich kann nicht stellvertretend für meinen Nächsten vor Gott treten.73 Die Liebe zu Gott, die durch das Ge69
Vgl. a.a.O. 63f. A.a.O. 73. 71 Mt 22,37-40; Mk 12,30f. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 73. 72 Iwand, GuE (1937), NW 4, 74. Vgl. ders., NW 3 70: „... das nur ist Barmherzigkeit, wenn uns das Herz bricht über der Not und der Sünde unseres Nächsten, wie Gottes Herz gebrochen ist über der Not und Verlorenheit des Menschen, das ist Barmherzigkeit." Vgl. ders., GuE, CuW 5, 1929, 216, wo Iwand daraufhinweist, daß der Blick erst dort frei wird für den Nächsten, wo die Werke nicht mehr der eigenen Rechtfertigung dienen. 73 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 74f. Iwand kritisiert in diesem Zusammenhang Gogartens Rechtfertigungslehre des Ich-Du-Verhältnisses, da dort allein im Ich-Du-Verhältnis der Menschen untereinander ein Gottesverhältnis bestehe. Iwand sieht dagegen das Ich-DuVerhältnis des Menschen mit Gott dem der Menschen untereinander übergeordnet. Noch schärfer fragt Karl Barth bei Gogarten und E. Brunner an: „Ist nun eigentlich ,Gott' mehr als 70
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schenk der Gnade Gottes im Wiedergeborenen entzündet wird, will Gott nicht für sich, sondern für den Nächsten. Gott will das, was wir ihm tun möchten, „... nicht für sich haben, wir sollen es genauso unserm Nächsten darbringen." 74 Der Glaube, der in der Liebe tätig ist und darin das Gebot Gottes erfüllt, kann nicht in einer Weltabgeschiedenheit leben. So wie Gott sich in Jesus Christus inkarniert hat und in diese Welt gekommen ist, Fleisch geworden ist, so gehört die Liebe zu Gott als tätige Nächstenliebe in diese Welt. Es ist der Glaube, der frei von allem Werk auf die Erde herabsteigt, „... denn die Liebe zu seinem Nächsten führt ihn herunter, w i e sie Christus herunterführte zu uns, und s o tritt der Mensch, der aus Glauben lebt, hinein in die Aufgaben und Nöte der Welt und seiner Mitmenschen und wirkt hier die Werke Gottes, als cooperator Dei." 7 5
3. Evangelium und Bildung
Nach 1945 beschäftigt Iwand sich intensiv mit der Frage nach der Aufgabe der Kirche für die Bildung und Kultur und hält verschiedene Vorträge, die um das Thema „Evangelium und Bildung" kreisen. 76 Darin wird deutlich, daß Iwand die Bildung zu den „vornehmsten und menschlichsten aller Aufgaben" 77 rechnet, und er erinnert daran, daß zu allen Zeiten die Christen die Bildung gefordert haben, und zwar die Bildung aller Schichten, indem sie Schulen einrichteten. 78 Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil die Grundlage des christlichen Glaubens ein Buch - die Bibel - ist, das gelesen und übersetzt werden muß, wozu Bildung nötig ist. In der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Bildung nimmt Iwand den Ausgangspunkt beim Evangelium, so daß von dort her der Mensch nach seiner Bestimmung in den Blick kommt als einer, der zur Gemeinschaft mit Gott berufen ist. Bildung aus dem Evangelium würde bedeuten, den Menschen von der in Jesus ein anderes Wort für den Nächsten?" Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom. Vortrag, gehalten in Kopenhagen am 10. März und in Aarhus am 12. März 1933, in: ders., Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge, 3. Band, Zollikon 1957, 141. 74 Iwand, GuE (1937), NW 4, 76. 75 Iwand, Rechtfertigungslehre, 46f; vgl. Hoffmann, Versöhnung, 144: „Die beiden als Glaube und Liebe qualifizierten Relationen werden also christologisch aufeinander bezogen durch den Gedanken der Inkarnation." 76 Vgl. Iwand, Evangelium und Bildung, NW 2, 272-285; ders.. Christliche Verantwortung, NW 2, 286-304; ders., Erneuerung unserer Bildung aus dem Evangelium, EvErz 3, 1951, Nr. 4, 2-14 [Erneuerung, EvErz 3, 1951, Nr. 4], 77 Iwand, Erneuerung, EvErz 3, 1951, Nr. 4 , 3 . 78 Vgl. a.a.O. 4.
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Christus geschehenen Versöhnung her zu sehen und zu wagen, letzte Fragen zu stellen, die normalerweise nicht gestellt werden. Iwand nennt die Fragen von Tod und Sünde, aber auch die soziale Frage nach dem Bruder im Menschen - im Gegensatz zu der Vermassung, die den einzelnen Menschen nicht mehr sieht.79 Weil Gott in Jesus Christus den Menschen mit sich versöhnt hat, sieht Iwand die Aufgabe der Bildung aus dem Evangelium darin, „... auch die Bildung einzubeziehen in jene große und wiederherstellende Versöhnung, die uns im Evangelium angeboten ist, damit eben unsere sapientia wirklich wieder etwas zu schmecken bekommt von Gottes Wahrheit und Gottes Gerechtigkeit und damit der finstere Traum des Agnostizismus, der unser ganzes Bildungswesen so hoffnungslos macht, zu Ende gehe ..." 80
Die Erkenntnis, daß der Mensch ein Werdender ist, muß sich auch in der Bildung niederschlagen, so daß der Mensch nicht statisch als „etwas EwigGleichbleibendes"81 verstanden wird. Iwand wendet sich sowohl gegen eine Sicht, die wie der Humanismus den Menschen als im Kern gut beurteilt, als auch gegen ein Verständnis des Menschen, das diesen als radikal böse ansieht wie die Gewaltstaats-Theorie und, „... traurigerweise ihr darin assistierend, eine bestimme kirchliche Dogmatik"82, wobei Iwand an das konfessionelle Luthertum mit der traditionellen Zwei-Reiche-Lehre denkt. Dagegen gilt: „Beides dürften Kurzschlüsse sein, beides ist nicht Evangelium. Unter keinen Umständen! Denn das Evangelium sagt, daß der Mensch die Stätte großer, überlegener Hoffnung ist, daß Gott nicht Gott sein will, ohne daß der Mensch eine Hoffnung habe, ja mehr, die Hoffnung aller geschaffenen Wesen sei." 83
4. Allgemeine und christliche Ethik
Grundsätzlich gilt für die Ethik, daß sie im eschatologischen Horizont steht. Sie lebt in der Zeit zwischen der Himmelfahrt und der Wiederkunft Christi und ist auf letztere bezogen. Sie weiß, daß der Herr noch nicht da ist, aber kommen wird, und daß die heutige Zeit die Bereitung auf die Wiederkunft Christi ist.84
79
Vgl. Iwand, Evangelium und Bildung, NW 2, 271-285. A.a.O. 284. 81 Iwand, Erneuerung, EvErz 3,1951, Nr. 4, 6. 82 Ebd. Hier wendet sich Iwand gegen eine Position, die er früher selbst vertreten hatte; vgl. Iwand, Reformation, GA II, 134. 83 Iwand, Erneuerung, EvErz 3,1951, Nr. 4, 6 (Hervorhebung im Original). 84 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 139; vgl. ders., PM I, 610. 80
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Weil Gottes Gebot unterschiedslos allen Menschen gilt, darum kann nicht eigentlich von einer christlichen Ethik im Unterschied zu einer allgemeinen Ethik geredet werden. Die Werke ihrer Substanz nach sind bei Christen und Nichtchristen nicht unterschieden: „An den Werken in ihrer Substanz können wir niemals den Unterschied zwischen altem und neuem Menschen feststellen. Die Gebote sind auch dem alten Menschen gegeben, und darüber hinaus können wir nichts tun." 85 Daraus ergibt sich ferner, daß der Christ an dem Werk, an seinem Tun, nicht eindeutig zu erkennen ist. Der Schluß vom Tun auf das Sein ist uns verwehrt, weil ein- und dasselbe Werk sowohl von einem Christen wie von einem Nichtchristen getan werden kann - mit dem einzigen Unterschied, daß es einmal im Glauben und einmal im Unglauben getan ist. Dieser Unterschied ist von außen in der Regel nicht feststellbar, macht aber vor Gott den Unterschied zwischen dem Werk des Gesetzes und dem Werk des Glaubens aus. Das gleiche Werk ist das eine Mal Gott wohlgefällig, das andere Mal Sünde; allein der Glaube kann das Gott gefällige Werk tun, gemäß dem Wort aus Rom 14,23: „Was nicht aus dem Glauben geschieht, ist Sünde." 86 Mit einem Zitat aus Luthers Schrift „Von den guten Werken" stellt Iwand insofern folgenden Unterschied zwischen dem Werk des Christen und Nichtchristen fest: „... alle anderen Werke [außer dem Glauben, R.M.] mag ein Heide, Jude, Türke, Sünder auch tun. Aber fest darauf trauen, daß er Gott wohlgefalle, ist nicht möglich denn einem Christen, der mit Gnaden erleuchtet und befestigt ist" 87 . Damit ist deutlich, daß an der Substanz des Werkes der Unterschied nicht feststellbar ist, sondern daß er darin besteht, ob es Gott gefällt oder nicht. Das aber ist dem Urteil des Menschen entzogen. Iwand formuliert in einem Aufsatz aus dem Jahr 1931, daß es keinen Unterschied zwischen der allgemeinen sittlichen Lebensordnung und der christlichen Ethik gebe. Er identifiziert dort die natürlichen Ordnungen mit Gottes Gesetz und spricht auch einer strengen Scheidung von Reich Gottes und Welt, Kirche und Staat das Wort. 88 Später wird ihm die Identifizierung der sittlichen Ordnung mit dem Gesetz Gottes und auch die strikte Trennung von Kirche und Staat zunehmend fraglich, aber für die Ethik bleibt ihm das Gebot Gottes, vornehmlich in der Form des Dekalogs, die bindende Norm,
85
Iwand, GuE (1937), NW 4, 71. Vgl. ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 86; ders., NW 5, 156: „Luther ist der Meinung, es gibt kein Werk, das spezifisch für die christliche Existenz sei. Mit anderen Worten: Wir können kein Werk vollbringen, das uns über die Möglichkeiten des Menschlichen hinausfuhrt." 86 παν δέ δ ούκ έκ πίστεως αμαρτία εστίν. Vgl. Iwand, RuC, 17: „...jedes Werk, ob gut oder böse, ohne Glauben getan, ist Sünde." Vgl. ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 96; ders., NW 5, 148. 87 WA 6, 206,14ff. Übersetzung bei Iwand, NW 5, 156. 88 Vgl. Iwand, Leben und Lehre, 28f.
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die allen Menschen gilt, ob Christen oder Nichtchristen. Das schließt ein, daß Gottes Wort immer dort das Korrektiv jeder „natürlichen Sitte" sein muß, wo das Gebot Gottes nicht mehr gilt und gekannt wird.89 Daß Iwand an der Verbindlichkeit des Gesetzes für alle Menschen festhält, zeigt eine Notiz von Rosemarie Müller-Streisand. Sie gibt Randbemerkungen Iwands zu einer Semesterarbeit von 1946/47 wieder, wo Iwand bejaht, daß der Dekalog auf die lex naturalis bezogen ist, und hinsichtlich der Entsprechung von lex naturalis und Dekalog bei Luther anmerkt: „Jawohl, das ist Luthers Meinung. Und hat er damit wirklich Unrecht? Ist das Gesetz in der Tat nicht gemeint für alle Völker?"90 Das gilt trotz seiner häufig geübten Kritik an der melanchthonischen Gleichsetzung von der lex naturalis mit dem Dekalog, wo nach Iwands Verständnis die lex naturalis statt des im Dekalog geoffenbarten Gesetzes der Ausgangspunkt ist und somit ein Vorverständnis der Offenbarung postuliert wird.91 Die allgemeine Geltung der Gebote Gottes impliziert selbstverständlich nicht, daß sie nach Gottes Willen auch getan und erfüllt werden. Die Erfüllung der Gebote ist allein im Glauben möglich. Die Übereinstimmung von christlicher und allgemeiner Ethik ist bei Iwand unter der Voraussetzung gegeben, daß Gottes Gebot vor allem in der Form des Dekalogs als die gemeinsame Grundlage gesehen wird. Anders verhält es sich dagegen z.B. mit der Bergpredigt. Wie Jürgen Seim gezeigt hat, versteht Iwand die Bergpredigt nicht als ein ethisches, sozialpolitisches Programm an alle Menschen, das sich verwirklichen läßt, sondern zuerst macht Jesus die Menschen zu Sündern, die sich im Lichte der Bergpredigt als solche erkennen. Bei der sündenaufdeckenden Funktion des Gesetzes bleibt es allerdings nicht, sondern Jesus will die Seinen damit zum Tun führen, das über die reine Innerlichkeit und die Privatsphäre hinausgehend in die Welt hinein wirkt.92
89 Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 160; ders., Prinzipienstreit, GA I, 239; ders., Gebot Gottes, N W 2, 4 6 - 6 2 . 90 Zitierung Iwands bei Rosemarie Müller-Streisand, Überlegungen zu H.J. Iwand „Die Predigt des Gesetzes", Weißenseer Blätter, 1991, 11 (Hervorhebung R.M.). Vgl. auch Iwand, N W 5, 150, w o er die natürliche Theologie als Ansatz zum Verständnis der Gebote Gottes ablehnt, aber Gottes Gebot so versteht, daß es „... nichts mehr befiehlt als das, was nicht jedermann, der seine eigene Vernunft recht befragte, als wahr und gut und recht anerkennen müßte." 91
Vgl. Iwand, GuE (1950), N W 4, 3 4 7 - 3 5 1 ; ders., N W 6, 306. Vgl. Seim, Bergpredigt und Politik - Hans Iwands Auslegung der Bergpredigt, in: ders./Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1 9 8 8 , 2 7 7 - 3 2 5 . 92
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5. Z u s a m m e n f a s s u n g
Iwand postuliert zwar die untrennbare Zusammengehörigkeit von Dogmatik und Ethik, unterstreicht dabei aber die Vorordnung der Dogmatik vor der Ethik. Die Erkenntnis über Gott und den Menschen muß vor dem Handeln stehen, um das menschliche Tun, das dem Sein folgt, richtig einzuordnen und zu bewerten. 1. Die Scheidung von Person und Werk in der Rechtfertigung des Menschen bildet die Grundlage für die Ethik Iwands. Gegen die allgemeine Überzeugung, daß der Wert des Menschen an seinem Tun zu messen ist, so daß der Wert eines Werkes auch den Wert, das Sein der Person ausmacht, setzt Iwand die Erkenntnis, daß das Sein des Menschen vor allem Tun von Gott beurteilt wird. Das Urteil über den Menschen hängt daran, ob er versucht, aus seinen eigenen Werken zu leben oder aus dem, was Christus für ihn getan hat. Das Urteil darüber, ob ein Werk gut oder schlecht ist, hängt nicht am Werk als solchem, sondern an der Person, die das Werk im Glauben oder Unglauben tut, so daß Iwand von daher eine personale Ethik gegenüber einer materialen Ethik vorzieht. Da die Werke auf das Sein der Person keinen wandelnden Einfluß haben, spricht Iwand vom sachlichen statt vom schöpferischen Handeln, das dem Menschen geboten ist. Gott will, daß sein Wille in dieser Welt erfüllt wird zum Lob Gottes und zum Wohl des Nächsten. 2. Die Erfiillung der Gebote entscheidet sich für Iwand allein am ersten Gebot. Mit der Erfüllung des ersten Gebotes im Glauben sind auch alle anderen Gebote erfüllt. Im Glauben tritt der Gott des ersten Gebotes nicht mehr als der fordernde, sondern als der seine Nähe verheißende und zusagende Gott dem Menschen gegenüber. Wenngleich für den Christen, sofern er Sünder ist, die anklagende Funktion des Gesetzes erhalten bleibt, verändert sich für ihn auch das Gesetz im Glauben, so daß er mit der Liebe zu Gott auch die Liebe zum Gesetz gewinnt. Der Gläubige ist frei vom Gesetz, und das heißt für Iwand, daß er keine menschlichen Lehrer für sein Handeln als Christ braucht. Der Lehrer des Wiedergeborenen ist allein Gott, der im Dekalog seinen Willen offenbart hat. Iwand meint nicht, daß vom Dekalog her genaue Einzelanweisungen für das Leben aufzustellen sind, aber daß der Gläubige aus dem Gebot Gottes heraus erkennt, welches Werk er zu tun hat. Das besondere Motiv der Tat ist, daß Gott die Werke gebietet - im Unterschied zu selbstgewählten Werken - , so daß nicht der Gläubige, sondern
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Gott selber das Subjekt der Tat ist und bleibt, wenngleich das Werk durch den Menschen getan wird. Das Gesetz Gottes hat auch im Raum der Welt als usus politicus seu usus civilis legis Bedeutung. So dient es der Eindämmung des Bösen, aber auch in positiver Weise als ordnende Macht, die das Zusammenleben der Menschen ermöglicht und darin gleichzeitig den Anspruch Gottes auf das Leben der Menschen lautwerden läßt. Iwand verweist auf den doppelten Charakter des Gebotes für den Wiedergeborenen, das den Christen zum einen im Glauben bewahrt und zum anderen zur Tat an dem Nächsten weist. Gott gibt seine Gebote aus Sorge um den Nächsten, damit diesem Gutes getan wird. Im Doppelgebot der Liebe wird die Liebe zu Gott und dem Nächsten gefordert, und Iwand interpretiert dies dahingehend, daß die Liebe des Christen zu Gott sich in der tätigen Nächstenliebe erweisen soll. Damit ist die untrennbare Zusammengehörigkeit von Gottes- und Nächstenliebe ebenso ausgesagt wie die Unumkehrbarkeit der Reihenfolge von Gottes- und Nächstenliebe. Der in der Liebe tätige Glaube geht hinein in die Welt, so wie Gott in Christus in diese Welt gekommen ist. 3. Für die Ethik ist nach Iwand vor allem das Gesetz in seinem ersten und dritten Brauch relevant. Nach 1945 beschäftigt ihn im Zuge der gesellschaftlichen Neuordnung auch die Bedeutung des Evangeliums für die Bildung. Der besondere Aspekt des Evangeliums liegt für Iwand darin, daß der Mensch in der Bildung unter dem Aspekt seiner Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott in den Blick genommen wird. Wo der Mensch von Jesus Christus her als einer gesehen wird, der im Werden ist, steht die Hoffnung über dem Menschen, die ihm eine Zukunftsperspektive unter der Verheißung Gottes eröffnet. 4. Iwand ist der Überzeugung, daß Gottes Gesetz unterschiedslos allen Menschen gegeben ist und allen Völkern gilt, so daß man nicht von einer christlichen Ethik im Unterschied zu einer allgemeinen Ethik sprechen kann. Die Geltung des göttlichen Gesetzes besagt jedoch nicht, daß es überall erkannt und anerkannt ist und erfüllt wird, denn dies ist nur dem Glauben möglich. Am äußeren Werk ist der Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen nicht erkennbar, so daß sich nicht am Werk, sondern am Glauben oder Unglauben entscheidet, ob es Gott gefallt oder nicht. Darüber hinaus findet Iwand in der Bibel aber auch Weisungen wie die Bergpredigt, die in besonderer Weise an die Christen gerichtet sind. Wenngleich Iwand es selbst nicht so formuliert, wird man die allgemeine Gültigkeit der Gebote Gottes für alle Völker als den zivilen Brauch des Gesetzes, der mit der iustitia civilis als Ziel für alle Menschen gilt, verstehen können, während darüber hinaus die Gebote im Sinne des tertius usus legis 200
fur die Wiedergeborenen Geltung haben. Hier werden bereits die Fragen der Zwei-Reiche-Lehre berührt, auf die nun eigens einzugehen ist.
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II. Die politische Ethik
Bei der Frage nach der Bedeutung von Gesetz und Evangelium für die politische Ethik kommt der lutherischen „Lehre von den zwei Reichen"1, wie Iwand sie versteht und beurteilt, eine wichtige Rolle zu.
1. D i e Zwei-Reiche-Lehre
Für Iwands Verständnis von Gesetz und Evangelium ist charakteristisch, daß beide ««Verschieden werden müssen, aber nicht voneinander geschieden werden dürfen. Gesetz und Evangelium sind bleibend aufeinander bezogen und haben in Christus ihre Mitte und Einheit. Beim jungen Iwand liegt die Betonung auf der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, während in der Zeit nach 1945 stärker die Einheit hervorgehoben wird. Eine analoge Entwicklung ist bei seiner Auffassung der „Zwei-Reiche-Lehre", des Verhältnisses von Kirche und Staat bzw. Welt erkennbar.2
1 Zur Einführung in Luthers Lehre von den zwei Reichen und zur Diskussion bis zum Ende der sechziger Jahre vgl. den Sammelband von Heinz-Horst Schrey (Hg.), Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen, WdF 107, Darmstadt 1969. 2 Vgl. auch das Urteil von Klaus-Martin Beckmann, der 1959/60 Assistent bei Iwand war, über Iwands politische Ethik (nach 1945): „(Denn) eines ist klar: entscheidend für die politische Ethik bei Iwand ist das neubestimmte Verhältnis von Gesetz und Evangelium. ... Aus der Zuordnung oder Zusammenschau von Gesetz und Evangelium folgt die entsprechende Interpretation der Lehre von den beiden Reichen oder besser Regimenten oder Wirkungsweisen Gottes." Klaus-Martin Beckmann, Politische Ethik bei H.J. Iwand. Gastvorlesung an der Comenius-Fakultät Prag 7.10.1986, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 328. Vgl. Müller-Streisand, Überlegungen, Weißenseer Blätter 1991, 10.
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1.1 Die zwei Reiche bei Iwand vor 1945 In seiner Vorlesung zu „Gesetz und Evangelium" von 1937, wo Iwand die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium betont, solange die Welt besteht, äußert er sich zum Verhältnis von Kirche und Welt in gleicher Weise. Es gibt eine bleibende Grenze zwischen Kirche und Welt, die nicht aufgehoben werden kann. „Die Macht, die jetzt und hier schon die Welt verwandeln will in das Reich Jesu Christi, kann nur eine Macht von unten sein. Der Versuch, die Grenze zwischen Kirche und Welt aufzuheben, stammt von unten her, vom Satan." 3 Die Kirche ist dabei nicht bereits die Gestalt des Reiches Gottes auf Erden, weil diese Welt, so wie sie ist, nicht das Gottesreich werden kann; sie muß verwandelt werden, um zum Gottesreich zu werden. Die Kirche ist also nicht ein durch das Evangelium bereits geprägtes Stück Welt, sondern „die Gemeinschaft aller derer, die durch das Evangelium berufen sind, nun auf die neue Welt zu warten" 4 , sie ist Hoffnungsträger dieser Welt. Jeder Versuch einer Verchristlichung der Welt zerstört von daher die Hoffnung, „die die Welt in Gott hat, nämlich [die, R.M.]der Verwandlung, der Neuwerdung." 5 Mit Luther ist das Reich der Welt und das Reich Christi zu unterscheiden: Im Reich der Welt regiert das Gesetz Gottes, und im Reich Christi regiert das Evangelium. 6 Beide Reiche müssen nebeneinander bestehen, wenngleich immer die Tendenz da ist, daß entweder die Politik auch über das Evangelium herrschen möchte und sich die Machthaber Göttlichkeit anmaßen oder daß umgekehrt der Papst sich zum Weltkaiser machen will. „Zwischen diesen beiden M ö g l i c h k e i t e n des Übergreifens bleibt als Gnadenzeit Gottes der Zustand, daß beide Reiche nebeneinander stehen und einander dulden und tragen, als ein Zustand, den wir nicht postulieren können, sondern der da g e s c h e n k t wird, w o die M e n s c h e n anfangen, Gott zu lieben, w o die M e n s c h e n anfangen, den Gegensatz von Gesetz und Evangelium anzuerkennen als den, der auch das Verhältnis von Kirche und Welt bestimmt in dieser Zeit." 7
Die beiden Reiche haben darin ihren Zusammenhalt, daß es Gott ist, der in beiden regiert. Im Reich der Welt regiert Gott als der deus absconditus in der Geschichte, und im Reich Christi als deus revelatus in seinem Wort.
3
Iwand, GuE (1937), NW 4, 223; vgl. ders., Leben und Lehre, 28f. Iwand, GuE (1937), NW 4, 224. 5 Ebd. 6 Vgl. zum Verständnis von Luthers Zwei-Reiche-Lehre seitens der Lutheraner innerhalb der Bekennenden Kirche die Schrift von Harald Diem, Luthers Lehre von den zwei Reichen, untersucht von seinem Verständnis der Bergpredigt aus. Ein Beitrag zum Problem: "Gesetz und Evangelium", BhEvTh 5, München 1938. 7 Iwand, GuE (1937), NW 4, 228 (Hervorhebungen im Original). 4
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Gott liebt diese Welt und überläßt sie nicht sich selbst, sondern gibt ihr sein Gesetz (als usus politicus legis), um das Leben in der Welt zu erhalten und Raum zu geben für die Ausbreitung des Evangeliums. 8 Daß das Gebot Gottes in der Welt zu Gehör kommt und Geltung hat, liegt in der Verantwortung der kirchlichen Verkündigung. Die Predigt des Gesetzes als Proklamation des Willens Gottes für unser Leben reicht hinein in diese Welt, und Iwand nennt es eine „grausige Abstumpfung" 9 , wenn die Christen unter Berufung auf eine Gesinnungsethik die Welt und die Wirklichkeit sich selbst überlassen. Da der Christ in beiden Reichen lebt und dadurch in einen Konflikt gerät, nimmt Iwand die Unterscheidung Luthers von Amt und Person auf, wobei das Amt zur Durchsetzung des Rechts zwingt, während die Person dabei „gütig und huldreich" sein kann. 10 Der Christ hat die Aufgabe, sein Amt menschlich zu fuhren. Der Einfluß auf das Reich der Welt geschieht durch das Individuum, die Person als Christ.11 Iwand sieht die Verbindung zwischen Reich Christi und Reich der Welt zum einen darin, daß Gott der Herr beider Reiche ist - also nicht etwa Gott der Herr des geistlichen, der Satan dagegen der Herr des weltlichen Reiches - und zum anderen darin, daß der Christ, der in beiden Reichen lebt, eine Verbindung in seiner Person schafft. Dominierend ist aber die Trennung und Unterscheidung beider Reiche. Insgesamt sind die politisch-ethischen Äußerungen Iwands in der Zeit des Kirchenkampfes spärlich. Das hängt zum einen mit der Gefährdung zusammen, die in der Zeit des Nationalsozialismus durch politische Äußerungen gegeben war, zum andern und vor allem aber mit der theologischen Front, an der Iwand kämpfte. Die Auseinandersetzung um den Volksnomos und um die Bedeutung des Gesetzes für die Verkündigung und damit die Frage nach dem usus theologicus legis ließ bei Iwand die Frage nach dem usus politicus legis zurücktreten. Den Staat versteht Iwand mit der fünften These von Barmen als eine Ordnung göttlicher Autorität in menschlicher Verantwortung, die nicht in einer Weise christologisch überhöht werden darf, wie er es bei Karl Barth und Günther Dehn angelegt sieht. Iwand schreibt in Briefen von 1937 und 1939 dazu: „Ja, ich meine sogar, dass Günther Dehn und im Zusammenhang mit ihm auch Barth mit ihrer Staatstheorie verlassen haben, was in Barmen über den Staat gesagt ist. Dort spricht man doch noch in Anlehnung an 1.Petrus 2, 13 von dem Staat als
8
Vgl. a.a.O. 228f; ders., PM II, 12f. Iwand, PM II, 12. 10 Vgl. Iwand, Lehre und Leben, 30. 11 Diese Position kritisiert Iwand später selbst, vgl. Iwand, (1952), BVP, 2 9 0 f [Kirche, BVP], 9
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Kirche und Gesellschaft
menschlicher Setzung. Jetzt wird dem Staate eine Ideologie übergeordnet, n ä m l i c h der M y t h o s v o m Engelfall, und von da her argumentiert." 1 2 „Ich sehe in der von G ü n t h e r Dehn/Karl Barth neuerdings vertretenen D e u t u n g eine Entwicklung, die wir nie m i t m a c h e n können, denn sie f ü h r t zur Theokratie. D e r Staat ist nicht erst durch seinen Dienst f ü r Christus, sondern er ist per se eine O r d nung mit göttlicher Autorität. Hier könnte es allerdings einen scharfen Schnitt in der B e k e n n e n d e n Kirche geben. Denn H e r r s c h a f t Christi heißt f ü r uns dann e t w a s a n d e r e s als f ü r j e n e : bei j e n e n k o m m t das K r e u z zu k u r z . " 1 3 „... mir wird diese Basler A t m o s p h ä r e i m m e r problematischer. Wir k ö n n e n nicht die V e r w i s c h u n g von weltlicher und geistlicher Gewalt, die heute ein gut Teil der Schuld an der V e r w ü s t u n g unserer Kirche trägt, damit erwidern, d a ß wir sie auch umgekehrt akzeptieren und den Staat durch seine U n t e r o r d n u n g unter die Kirche aus seiner D ä m o n i e erlösen wollen. Denn wir m ü s s e n hier die Mitte halten und d ü r f e n nicht vergessen, d a ß die H e r r s c h a f t Christi auf Erden unter dem K r e u z bleiben wird bis ans E n d e der T a g e . " 1 4
An diesen Äußerungen zeigt sich noch einmal, wie Iwand die Trennung von Kirche und Staat als einen Zustand betrachtet, der andauert, solange diese Welt besteht, weil die Herrschaft Christi über die Welt als eine verborgene unter dem Kreuz geschieht. Die Kritik an der Staatslehre von Karl Barth ist dabei ungewöhnlich scharf und wird von Iwand später so nicht wiederholt.
1.2 Die Zwei-Reiche-Lehre der VELKD und der Ansatz Karl Barths Im Rahmen der Neuordnung des kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens in Deutschland und Europa mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat Iwand sich intensiv mit den Fragen nach Kirche, Gesellschaft und Staat auseinandergesetzt und aktiv an der Neuordnung mitgearbeitet. Die Fronten, zwischen denen Iwand sich mit seinem Verständnis von den zwei Reichen bewegt, sind im wesentlichen durch den Gegensatz zwischen der lutherischen und der Barthschen Sicht des Verhältnisses von Kirche und Staat gekennzeichnet. 12 Iwand, Brief an Hans Asmussen vom 26.3.1937, Iwand-Archiv Beienrode. 1936 war von Günther Dehn die Schrift „Engel und Obrigkeit" erschienen, worauf Iwand Bezug nimmt; vgl. Dehn, Engel und Obrigkeit. Ein Beitrag zum Verständnis von Römer 13, 1-7, in: Theologische Aufsätze. Karl Barth zum 50. Geburtstag, München 1936, 90-109. 13 Iwand, Brief an Präses Karl Koch vom 25.4.1939, zitiert bei Ludwig, Kritik und Erbschaft der Bekennenden Kirche - H.J. Iwands Verarbeitung des Kirchenkampfes, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 114. Barth hatte 1938 seine Schrift „Rechtfertigung und Recht" veröffentlicht, in der er die These Dehns von den Engelmächten in Röm 13 positiv aufnahm; vgl. Barth, Rechtfertigung und Recht, ThSt(B) 1, 1938, vor allem 14-21 („Das Wesen des Staates"). 14 Iwand, Brief an Julius Schniewind vom 8.5.1939, zitiert bei Herlog, Erkenntnis, 245, Anm. 37.
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1.2.1 Die Kundgebung der Bischofskonferenz der VELKD vom 12. März 1952 Als „durchschnittliche Anschauung von den ,zwei Reichen' im ... deutschen Luthertum"15 der fünfziger Jahre kann die „Kundgebung der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands über die politische Verantwortung der Kirche vom 12. März 1952"16 gelten. Die Auffassung, daß vom Evangelium aus konkrete Weisungen für die Politik gegeben werden müßten, wird darin ebenso abgelehnt wie die Meinung, daß Kirche und Politik überhaupt nichts miteinander zu tun hätten und die Kirche allein das Evangelium predigen solle. Die Bischofskonferenz vertritt die Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment. „Im geistlichen Regiment vermittelt Gott durch die Predigt des Evangeliums und die Darreichung der Sakramente das ewige Heil. ... Im weltlichen Regiment erhält Gott in dieser der Sünde verfallenen und vom Chaos bedrohten Welt eine äußere irdische Ordnung aufrecht. Dazu setzt Gott weltliche Obrigkeit ein und gibt ihr als seine göttliche Gabe das Gesetz ,.."17
Beide Regimente sind göttliche Stiftungen aus Gottes Wort, dürfen aber nicht miteinander vermischt werden. Der Staat darf ebensowenig die Kirche als Werkzeug benutzen, wie die Kirche sich als Leitbild für den Staat verstehen darf, weil Gabe und Auftrag für Kirche und Staat verschieden sind. „Lösungen politischer Fragen können nicht unmittelbar aus dem Worte Gottes abgelesen werden"18, weil dann bei einer Vermischung von Staat und Kirche aus der Kirche eine innerweltliche Größe und aus der Botschaft von der Gnade Gottes ein Gesetz gemacht wird. Trotz der Unterscheidung der beiden Regimente sind sie jedoch einander zugeordnet, weil derselbe Gott der Herr beider Regimente ist und sein Heilsplan das Ziel mit dieser Welt ist, dem auch das weltliche Regiment als im Dienst der göttlichen Geduld stehend dienen muß. Die These von der Eigengesetzlichkeit des Staates, wie sie insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus vertreten wurde, wird als Mißbrauch der Zwei-Reiche-Lehre gekennzeichnet und verurteilt. Der öffentliche Auftrag der Kirche besteht darin, durch die Predigt des Gesetzes grundlegende Richtlinien für das Handeln aufzuzeigen und insbesondere die Schranken für das Handeln in der Welt deutlich zu machen. Konkrete Einzelanweisungen für die weltlichen Ordnungen werden aber abgelehnt. Vielmehr wird der einzelne Christ auf
15
So Ernst Wolf, Die „Lutherische Lehre" von den zwei Reichen in der gegenwärtigen Forschung, in: Heinz-Horst Schrey (Hg.), Reich Gottes und Welt. Die Lehre Luthers von den zwei Reichen, WdF 107, Darmstadt 1969, 144. 16 Abgedruckt bei Erwin Wilkens, Bekenntnis und Ordnung. Ein Leben zwischen Kirche und Politik, Hannover 1993, 116-123. 17 Kundgebung, zit. bei Wilkens, Bekenntnis, 118. 18 Kundgebung, zit. a.a.O. 119.
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seine Verantwortung im öffentlichen Bereich verwiesen. Träger des geistlichen Amtes sollten allerdings auf parteipolitische Tätigkeit verzichten. 1.2.2 Der Ansatz Karl Barths Ausgangspunkt für die Überlegungen Karl Barths ist die Herrschaft Jesu Christi über Kirche und Welt bzw. Staat, über Christengemeinde und Bürgergemeinde. 19 „Die Bürgergemeinde hat mit der Christengemeinde sowohl den Ursprung als auch das Zentrum gemeinsam. ... Sie hat also keine vom Reich Jesu Christi abstrahierte, eigengesetzlich begründete und sich auswirkende Existenz, sondern sie ist - außerhalb der Kirche, aber nicht außerhalb des Herrschaftskreises Jesu Christi - ein Exponent dieses seines Reiches." 2 0
Barth versteht die Christengemeinde als inneren Kreis inmitten des größeren Kreises der Bürgergemeinde. Beide dürfen nicht miteinander identifiziert werden, gehören aber unter der gemeinsamen Herrschaft Christi wesentlich enger zusammen als z.B. in der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre. Die Kirche stellt das Urbild und Vorbild für den Staat dar, so daß der Ausgangspunkt auch für das politische Handeln nicht das Gesetz, sondern das Evangelium als der in Christus geoffenbarter Gotteswille ist. Es ist darum nicht richtig zu sagen, „Christus sei Herr und das Evangelium habe Geltung nur im geistlichen Bereich der Heilsbotschaft und des Glaubens, für das ,weltliche Regiment' und die Aufrechterhaltung der irdischen Ordnungen aber sei ein Gesetz Gottes maßgebend, dessen Erkenntnis nicht bei Christus zu suchen sei und das dem Evangelium andersartig gegenüberstehe." 21 Barth versteht den Staat in Analogie zur Kirche und zum Reich Gottes, wenngleich er auch die Entartung des Staates im Auge hat, so daß nicht nur von einer Gleichnisfähigkeit, sondern auch von G\eichnisbedürftigkeit der Bürgergemeinde zu reden ist.22 Die Christengemeinde wünscht im Blick auf die Bürgergemeinde - und dafür setzt sie sich ein „... daß die vom Himmel her offenbar gewordene und tätige Gnade Gottes in dem auf Erden allein möglichen Material äußerlicher, relativer und vorläufiger Handlungen und Handlungsweisen der politischen Gemeinde abgebildet werde." 2 3
19 Vgl. Karl Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, ThSt(B) 20, 1946. Vgl. die Analyse von Torleiv Auslad, Evangelium og lov. En Strukturanalyse av Karl Barths politisketiske program, TTK 38, 1967, 95-104. Austad hebt im Blick auf Christengemeinde und Bürgergemeinde besonders die christokratische Sicht des Staates und das Analogiedenken Barths hervor; vgl. a.a.O. 98; vgl. Bayer, Theologie, 365-371. 20 Barth, Christengemeinde, ThSt(B) 20, 1946, 10. 21 Wifried Joest, Der Friede Gottes und der Friede auf Erden. Zur theologischen Grundlegung der Friedensethik, Neukirchen-Vluyn 1990, 67. 22 Vgl. Barth, Christengemeinde, ThSt(B) 20, 1946, 23. 23 A.a.O. 25.
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1.3 Die zwei Reiche bei Iwand nach 1945 1.3.1 Kritik an einer quantitativen Trennung der zwei Reiche Im Jahr 1954 veröffentlicht Iwand einen Vortrag mit dem Titel „Die politische Existenz des Christen unter dem Auftrag und der Verheißung des Evangeliums von Jesus Christus"24. Darin bejaht er einleitend den Unterschied der beiden Reiche und warnt vor einer Vermischung, bei der „aus dem Evangelium ein Programm und aus der Freiheit des Glaubensgehorsams ein Gesetz"25 gemacht wird, was zu einer Gesetzlichkeit in beiden Reichen führe. Sein eigentliches Anliegen aber ist die Abwehr einer falsch verstandenen Unterscheidung der beiden Reiche, wie er sie in einer quantitativen Abgrenzung der beiden Reiche sieht. Bei der quantitativen Unterscheidung werden zwei unterschiedliche Bereiche oder Bezirke geschaffen, die nichts miteinander zu tun haben - das Reich der Welt und das Reich Gottes bzw. die politische und die christliche Existenz. Eine quantitative Trennung der zwei Reiche liegt nach Iwand da vor, „... w o den Reichen dieser Welt die Erde und dem Reich Gottes, in völliger Verkennung des damit Gemeinten, der Himmel überlassen, w o den politischen Gewalten unsere öffentliche, dem Evangelium unsere private Existenz zugeordnet wird, w o wir dem Wahn erliegen, wir lebten als Staatsbürger in der Gottesferne und als ,Himmelsbürger' in der Gottesnähe ,.." 26
Der Glaube hat dann nur noch in der Privatexistenz eine Bedeutung, und der Staat und die Gesellschaft werden als Reich der Welt sich selbst überlassen. Grundlegend ist dabei der Gedanke der Eigengesetzlichkeit des staatlichen Lebens, als sei der Staat seiner Natur nach eine sittliche Größe, und als seien die Bürger des Staates geprägt „durch das Sittengesetz, durch die allen Menschen gleicherweise angeborene Vernunft"27. In einer anderen Schrift aus jener Zeit kritisiert Iwand, daß durch diese Trennung der beiden Reiche die Kirche auf jede Einflußnahme verzichtet, „die nicht über die Innerlichkeit', also über ,christliche Persönlichkeiten' zustande kommt."28 Der Einfluß des Evangeliums auf die Welt ist damit auf den Menschen, auf 24
Abgedruckt in: GA I, 183-201. Es handelt sich um einen Vortrag aus dem Jahr 1953, gehalten vor den hessisch-nassauischen Pfarrkonventen. Vgl. die erläuternde Wiedergabe des Vortrages unter Berücksichtigung des biographischen Ortes, vor allem der Predigtmeditationen des Jahres, bei Seim, Politische Predigt bei Hans J. Iwand, BThZ 1, 1984, 81-96. 25 Iwand, Die politische Existenz des Christen unter dem Auftrag und der Verheißung des Evangeliums von Jesus Christus (1954), GA I, 183 [Politische Existenz, GA I], 26 A.a.O. 185. 27 A.a.O. 186. 28 Iwand, Kirche, BVP, 290.
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die Person beschränkt und gilt nicht den Verhältnissen, Formen und Strukturen dieser Welt. 29 Iwand sieht als Folge des hier sichtbaren Dualismus in der Lehre von den zwei Reichen, der für ihn mit der starken Trennung von Gesetz und Evangelium zusammenhängt, daß der Staat und die Politik den gottfeindlichen Mächten und Gewalten ausgeliefert werden. 30 Hier wird ein Verständnis der Zwei-Reiche-Lehre vorausgesetzt, wonach nicht von Gott als dem Herren beider Reiche die Rede sein kann, sondern das weltliche Reich eher als Reich des Teufels gesehen wird, wie Iwand in einer Betrachtung zur EKD-Synode von 1951 zum Ausdruck bringt: „Die Trennung der beiden Reiche in zwei Gebiete, als ob in dem einen Gott, in dem anderen der Teufel regiere, ist einer jener Schäden, an denen wir sehenden (aber nicht einsehenden) Auges zugrunde zu gehen drohen. Denn auch der Staat und sein Recht, auch die Gesellschaft und die soziale Gerechtigkeit ist nichts ohne den, der die Gerechtigkeit und das Erbarmen Gottes auf Erden war und ist und bleibt - Jesus Christus." 3 1
Iwand kritisert an dieser von ihm so dargestellten Zwei-Reiche-Lehre vor allem, daß das Reich der Welt nicht als eine Form der Herrschaft Christi, teilweise nicht einmal der Herrschaft Gottes verstanden wird. 32 „Es geht nicht an, daß wir über bestimmte Gemächer des Hauses, in dem wir leben, das Wort Politik setzen und damit Gott und seinem Wort den Z u g a n g verwehren. Dieser eine seinem Wort verschlossene Raum verdirbt alle anderen R ä u m e . " 3 3
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Vgl. a.a.O. 290f; Iwand, PM I, 85f. Vgl. Iwand, Kirche und Öffentlichkeit, NW 2, 36; zum Zusammenhang der ZweiReiche-Lehre mit Gesetz und Evangelium vgl. Iwand, Kirche, BVP, 185; ders., Politische Existenz, GA I, 187 und ders., NW 5, 298: „... wahrscheinlich ist aber die dualistische Interpretation [bei Luther, R.M.] dadurch geschehen, daß die ganze Zwei-Reiche-Lehre sehr stark in das Schema von Gesetz und Evangelium mit hineingekommen ist." 31 Iwand, Betrachtungen zur Hamburger Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, JK 12, 1951, 206. Iwands Kritik trifft nur ein ganz bestimmtes Verständnis der ZweiReiche-Lehre, aber z.B. nicht die VELKD-Verlautbarung vom darauffolgenden Jahr 1952, in der Gott als der Herr beider Reiche gesehen wird. Mit Recht weist Ernst Wolf darauf hin, daß es auch unter lutherischen Theologen keine einheitliche Zwei-Reiche-Lehre gibt; vgl. Wolf, Königsherrschaft Christi und Lutherische Zwei-Reiche-Lehre, ia: ders., Peregrinatio, Bd. II. Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik, München 1965,207-229. 32 Vgl. die unterschiedlichen Auffassungen von Luthers Zwei-Reiche-Lehre bei Paul Althaus und Johannes Heckel, Art. Zwei-Reiche-Lehre, EKL 3, 2 1962, 1927-1945. Nach Althaus sind die Reiche zur Linken und zur Rechten Gottes Reich, wobei allerdings nur das Reich zur Rechten unter der Herrschaft Christi ist; vgl. a.a.O. 1928. Heckel dagegen versteht das Reich zur Linken als Regiment des Teufels und nur das zur Rechten als Regiment Gottes unter der Herrschaft Christi; vgl. a.a.O. 1938. 33 Iwand, Politische Existenz, GA I, 184. 30
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1.3.2 Die qualitative Trennung der zwei Reiche und ihr Offensein fiireinander Iwands Antwort auf die von ihm kritisierte Zwei-Reiche-Lehre im Sinne einer quantitativen Trennung der beiden Reiche ist keine Ablehnung der Zwei-Reiche-Lehre als solcher, sondern eine Neubestimmung dieser Lehre. Die Auflösung der Zwei-Reiche-Lehre zu einer Einheit von Staat und Kirche - wobei entweder der Staat über die Kirche (totaler Staat) oder die Kirche über den Staat herrscht (Theokratie) - lehnt er ab. An Hegels Staatslehre, bei der der Staat „die göttliche Idee und den Endzweck der Weltgeschichte"34 repräsentiert, dem sich der einzelne Mensch unterzuordnen hat, erkennt Iwand das Aufgehen des Reiches Christi in das Reich der Welt. Mit Blick auf die Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus führt Iwand aus: „Wir lesen es mit dem Bilderbuch der Geschichte in der Hand und können ermessen, welches Unheil - nun muß ich schon sagen: die Aufhebung der Trennung der beiden Reiche, die Übertragung des Endzieles der Welt an den irdischen Staat ausgelöst hat. Man sollte von hier aus einmal fragen, ob nicht die Unterscheidung des ,regnum Christi' und des ,regnum mundi', freilich immer innerhalb, nicht außerhalb der Klammer, innerhalb, nicht außerhalb des Gesamtregimentes Christi über die Welt, die notwendige Entmachtung und Entzauberung des Staates ist, die vollzogen werden muß." 35
Dieses Zitat Iwands ist für sein Verständnis und die Begründung der Zwei-Reiche-Lehre sehr aufschlußreich. Er bejaht eine Trennung der zwei Reiche, des Reiches Christi und des Reiches der Welt, um den Staat nicht zu vergöttlichen und zu überhöhen. Diese Trennung ist aber umschlossen von der Klammer Jesu Christi, seiner Herrschaft über beide Reiche. Die ZweiReiche-Lehre ist eingebettet in die Lehre von der Herrschaft Christi über beide Reiche. Es gibt das Reich der Welt, das für die Herrschaft Christi zur Linken steht, und das Reich Christi als Herrschaft Christi zur Rechten. Bezeichnend ist dabei, daß Iwands Sicht des Verhältnisses der zwei Reiche zueinander bis in wörtliche Formulierungen hinein seiner Sicht von Gesetz und Evangelium aus jener Zeit entspricht. Spricht er bei der Zwei-ReicheLehre davon, daß die zwei Reiche „immer innerhalb, nicht außerhalb der Klammer, innerhalb, nicht außerhalb des Gesamtregimentes Christi über die Welt"36 zu sehen sind, so sagt er in einem Vortrag von 1955, daß es „nicht mehr heißen darf: Gesetz und Evangelium [im Sinne dieser unumkehrbaren Reihenfolge und Trennung beider, R.M.], sondern beide unter einer Klam-
34 35 36
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Iwand, Von Ordnung und Revolution, N W 2, 169 [Ordnung, NW2], A.a.O. 171. Ebd (Hervorhebungen R.M.).
mer, unter der Klammer der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus stehen müssen und werden."37 Gleichzeitig bestimmt Iwand das Verhältnis der beiden Reiche so, daß er gegen die quantitative Trennung der beiden Reiche die qualitative Abgrenzung setzt. Darunter versteht Iwand den Unterschied in der Art und Weise, wie Gott in Christus seine Herrschaft ausübt und wie im Gegensatz dazu die Welt ihre Herrschaft ausübt: „Das ,quale', die Art und Weise, wie Gott seine Herrschaft aufrichtet und aufrechterhält, ist eine grundsätzlich andere als die, welche die Reiche dieser Welt gebrauchen, um sich zu behaupten und ihre Ideologien durchzusetzen."38 Demnach geht es hier um den Gegensatz zwischen dem Weltreich als Herrschaftsform der gegen Gott gerichteten Mächte und dem Reich Gottes als Herrschaft Jesu Christi im Widerspruch dazu. Seim charakterisiert diese qualitative Trennung der zwei Reiche zutreffend so: „Die Unterscheidung bezeichnet keineswegs eine Trennung, vielmehr ein Aufeinandertreffen zweier verschiedener Formen von Herrschaft."39Das Reich Jesu Christi ist zwar nicht von dieser Welt, reicht aber durchaus hinein in diese Welt.40 In Jesu Kreuz und Auferstehung sind die Mächte dieser Welt besiegt - das gilt es gegen die augenscheinliche Macht der Welt zu glauben.41 Damit bringt Iwand den Anspruch Christi auf alle Bereiche des Lebens, und damit auf beide Reiche, zum Ausdruck. 1.3.3 Jesus Christus als Haupt der Kirche und Herr der Welt Von der Herrschaft Christi ist für Iwand ausgehend vom NT in einer zweifachen Weise zu reden, in zwei Namen und Titeln. Jesus Christus „heißt das Haupt der Kirche (Eph. 1,22; 4,15; Kol. 1,18; 2,10 das Haupt jedweder Macht und Obrigkeit), und er heißt der Herr = Kyrios (sowohl der Gemeinde als des Kosmos)."42 Er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, in den man durch einen Akt der Wiedergeburt eingegliedert wird, also nicht durch natürliche Zusammenhänge bereits hineingehört. Darin liegt die Abgrenzung zur Welt, die Trennung der beiden Reiche. Die Trennung ist aber nicht das letzte und entscheidende Wort, sondern während in der Kirche die Herrschaft Jesu Christi eine öffentliche und sichtbare ist, steht die Gesellschaft, die Welt, heimlich und verborgen unter seiner Herrschaft. "Darum können Kirche und Gesellschaft nie in eins fallen, aber sie unterstehen dennoch 37
Iwand, Glauben und Wissen (1955), NW 1, 22f (Hervorhebungen R.M.). Iwand, Politische Existenz, GA I, 184. 39 Seim, Politische Predigt, BThZ 1, 1984, 86. 40 Vgl. Iwand, Politische Existenz, GA I, 184, mit dem Hinweis auf Joh 18,36 („Mein Reich ist nicht von dieser Welt."). In der Begegnung Jesu mit Pilatus, wie sie im Johannesevangelium dargestellt ist, sieht Iwand das Aufeinandertreffen von Reich Gottes und Weltreich. 41 Vgl. a.a.O. 184f; Seim, Politische Predigt, BThZ 1, 1984, 86ff. 42 Iwand, Die Bibel und die soziale Frage, JK 13, 1952, 116 (Hervorhebungen im Original) [Bibel, JK 13, 1952], 38
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demselben Herrn, nur daß eben diese seine Herrschaft sich in der Welt so zeigt, daß er als Haupt der Kirche bezeugt wird." 43 Das bedeutet für die Kirche, daß sie die verborgene Herrschaft Christi nicht einfach zu einer offenen machen darf - das wäre Theokratie aber „auch umgekehrt nicht die Gesellschaft aus der heimlichen Herrschaft und Nähe Jesu Christi entlassen"44 darf. Weil Christus der Herr der Welt ist, darum kann die Kirche Mission treiben und alle Menschen zu Christus einladen. Wer glaubt, wird in den Leib Christi hineingenommen. Iwand sieht das Verhängnis der Welt darin, „daß sie Christus gehört, aber nicht an ihn glaubt."45 Die Kirche ist eschatologisch ausgerichtet: Sie wartet auf den wiederkommenden Herrn und weiß, daß er einmal als Herr der Welt sichtbar erscheinen und sein Reich aufrichten wird. Von diesem Christusverständnis Iwands her ergibt sich sowohl eine Trennung als auch eine Verbindung von Kirche und Welt. Ausgehend von der Nicht-Identität von Kirche und Welt bzw. Gesellschaft gibt es ein dreifaches Offensein der Kirche auf die Gesellschaft und der Gesellschaft auf das Reich Gottes hin (das nicht mit der Kirche identisch ist):46 Das Offensein der Kirche für die Gesellschafi liegt in folgenden drei Punkten: Erstens: Der Heilige Geist als die praesentia Dei selbst ist der Kirche vorgeordnet. Der Heilige Geist öffnet der Kirche das Tor zur Welt, „indem er Jesus als den Herren dieser ganzen Welt bezeugt."47 Die Kirche darf nicht in einer Ghettoexistenz leben und sich selbst genug sein. Der Heilige Geist treibt sie nach draußen, in die Welt. Mit dem Heiligen Geist „wird der Fluch der Spachenverwirrung aufgehoben, eine neue Sprache wird dem Volke Gottes zuteil, in der sich alle Menschen wieder verstehen."48Nicht der Krieg und der Kampf aller gegen alle, sondern die Einheit
43
Ebd.; vgl. ders., Dogmatik und Ökumene, NFur 5, 1951, lOf [Dogmatik, NFur 5,
1951]. 44
Iwand, Bibel, JK 13, 1952, 116. Iwand, Dogmatik, NFur 5, 1951, 11. 46 Iwand gebraucht die Ausdrücke Gesellschaft und Welt weitgehend synonym; vgl. Iwand, Bibel, JK 13, 1952, 116. Vgl. zu dem dreifachen Offensein der Kirche auf die Gesellschaft und der Gesellschaft auf das Reich Gottes hin: a.a.O. 113-123. Das Verhältnis von Kirche und Staat ist entsprechend dem Verhältnis von Kirche und Gesellschaft zu behandeln, vgl. a.a.O. 75: das „... gegenseitige Verhältnis von Kirche und Gesellschaft, in das auch das Verhältnis zum Staat einzugliedern wäre..." (Hervorhebung im Original). Zur Verhältnisbestimmung von Kirche, Gesellschaft und Staat vgl. a.a.O. 65-75; vgl. Hoffmann, Versöhnung, 2 0 4 215. 47 Iwand, Bibel, JK 13, 1952, 114. 48 Ebd. (Hervorhebung im Original). Vgl. Act 2,1-11. Von der neuen Sprache der einen Menschheit redet Iwand häufig im politischen Kontext; vgl. Iwand, Der moderne Mensch und das Dogma, Vortrag, NW 2, 94f [Dogma, NW 2]; ders., Kirche und Öffentlichkeit, NW 2, 19; ders., Über das Zusammenleben in einer Welt widerstreitender Ideologien und politischer und wirtschaftlicher Systeme (1956), FO, 147 [Zusammenleben, FO]; ders., Die Verantwortung 45
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der Menschen und der Friede stehen am Ende. „Es gibt diese eine Menschheit nur in der Aktion einer vom Heiligen Geist geöffneten Kirche." 49 Zweitens: Jesus Christus ist das Haupt der Kirche und der Herr der Welt die Kirche steht öffentlich unter seiner Herrschaft, die Gesellschaft heimlich. Christus ist die Tür nach außen zur Welt. 50 Drittens: Die Doppelheit des Titels Jesu besagt, „daß Jesus Christus in der Kirche steht und doch immer wieder außer ihr." 5 'Jesus Christus sucht die Gemeinschaft der Sünder und nicht der Gerechten - und von daher werden die ethischen Unterschiede relativer! Weil Gott sich zu den Sündern stellt, gibt es keine Gottlosen mehr. In ähnlicher Weise gibt es ein dreifaches Offensein der Gesellschaft nicht auf die Kirche, sondern auf das Reich Gottes hin. „Die Zuordnung der Gesellschaft auf die Kirche wird immer eine indirekte sein, sie ist vermittelt durch die Nähe von Gottes Reich ..."52 Erstens: Mit Jesus Christus ist das Reich Gottes allen Menschen nahegekommen, wie er es in den Gleichnissen ausgesagt hat - auch wenn die Menschen davon nichts merken. 53 Zweitens: So wie die Nähe Gottes zu uns, ist unser Fernsein von ihm ein Offensein für das Reich Gottes. „Die Gottesferne der Gesellschaft ist das in ihr sich ankündigende Gericht." 54 Sie ist an ihre Sünden ausgeliefert, von Gott dahingegeben. Die Nähe zu Gottes Reich ist hier die Nähe des Gerichtes Gottes, „... und niemand wird der Strafe entrinnen, der nicht umkehrt und Buße tut vor dem lebendigen Gott. Nicht Ordnung, sondern Umkehr tut not." 55 Drittens: Es gibt in der Gesellschaft ein Warten auf den neuen Menschen. Es erklingt das Seufzen der Kreatur auf Erlösung, wie es in Rom 8 angesprochen ist.56 Diese Offenheit bedeutet für die Kirche, daß sie mit dem Wort Gottes in die Gesellschaft hineingeht und diese nicht sich selbst und damit dem Gericht Gottes überläßt. Gottes Reden in Gesetz und Evangelium darf nicht auf bestimmte Bereiche des Lebens beschränkt werden. „Gott will alle Räume unseres Lebens, in denen wir uns bewegen, mit seinem Gericht und seiner Verheißung treffen." 57 Gottes Wort will hineindringen in diese Bezirke, „... und die Aufgaben der Christen in der heutigen internationalen Situation (1958), FO, 197 [Verantwortung, FO]. 49 Iwand, Bibel, JK 13, 1952, 115 (Hervorhebungen im Original). 50 Vgl. a.a.O. 116f. 51 A.a.O. 117 (Hervorhebungen im Original). 52 A.a.O. 119. 53 Vgl. a.a.O. 119f. 54 A.a.O. 120. 55 A.a.O. 122. 56 Vgl. a.a.O. 122f. 57 Iwand, Politische Existenz, GA I, 183 (Hervorhebungen R.M.). Vgl. Seim, Politische Predigt, BThZ 1, 1984, 86, der in diesem Zusammenhang auf die zweite Barmer These hinweist.
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Gott möchte, daß wir reden, zu Krieg und Frieden, zu sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Freiheit, zu Ehe und Arbeit, zu Geld und Besitz."58 Diese Offenheit hebt nicht den Unterschied von Kirche und Gesellschaft und von Kirche und Staat auf. Der Unterschied von Staat und Kirche wird erst am Ende der Zeit aufgehoben, wenn dem Sohn Gottes alles untergeordnet ist. Die Unterscheidung von Staat und Kirche „... kann eine hoffnungsvolle Zuordnung sein, ein Bezogensein beider aufeinander ,in Hoffnung', ein gewisses Abbilden und eine gewisse Ähnlichkeit des Staates zu dem Herrschaftsbereich Christi auf Erden, sie kann aber auch in schlechthinniger Antithese verlaufen, in der Konkurrenz der Herrschaft, nach dem alten Schema des Kindermordes von Bethlehem." 59
Die Unterscheidung der beiden Reiche wird von Iwand nicht aufgegeben, aber der Schwerpunkt liegt nun auf der Bezogenheit beider Reiche aufeinander. Das Evangelium reicht hinein in die politischen Fragen, weil Christus der Herr der Welt ist - auch wenn es noch nicht offenbar ist. Iwand kann das Verhältnis von Reich Gottes und Reich der Welt so beschreiben, daß beide Reiche sich wie in der Morgendämmerung als Licht und Finsternis berühren, das Licht aber über die Finsternis siegen wird. „... Gottes Reich und der Welt Reich müssen dynamisch und polemisch aufeinander bezogen werden. Das Licht siegt über die Finsternis ... Es ist Morgendämmerung - und nicht Abendschatten. Wir gehen dem Frieden entgegen und nicht dem Krieg, dem Verstehen und der Versöhnung der Menschen, und nicht dem ,Kampf aller gegen alle'. Als Christen kommen wir her vom Sieg des Friedens in der Welt - als politisch denkende und handelnde gehen wir hin auf die Verwirklichung dieses Friedens im Aufbau der Gesellschaft und der Nationen." 60
1.4 Iwand im Verhältnis zur VELKD und zu Karl Barth Die Bischofskundgebung der VELKD von 1952 zeigt in ihrer Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat deutliche Parallelen zu Iwands Verständnis der zwei Reiche in den dreißiger Jahren. Übereinstimmend lehren beide die Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment unter der Herrschaft desselben Gottes, wobei Gott im Reich der Welt mit dem Gesetz und im Reich Christi mit dem Evangelium regiert. Das Gesetz im Reich der Welt, die durch ihre Sündhaftigkeit charakterisiert ist, dient bei beiden als Damm gegen das Böse zur Erhaltung der Welt und ist bezogen auf die iusitia civilis. Auch eine Eigengesetzlichkeit des Staates wird von der VELKD 1952 abgewiesen, wie es Iwand bereits in den dreißiger Jahren 58 59 60
758.
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Iwand, Kirche, BVP, 298. Iwand, Ordnung, NW 2, 179. Iwand, Das Ende der restaurativen Episode. Zum Treffen in Darmstadt, JK 11, 1950,
getan hatte. Der Einfluß der Kirche auf den Staat liegt insbesondere in der Predigt des Gesetzes und geht andererseits von der einzelnen Person aus, die als Christ Bürger beider Welten ist. Nach 1945 ist bei Iwand eine Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu erkennen, in der Intentionen von Karl Barth aufgenommen sind. Dazu gehört vor allem die Betonung der Herrschaft Jesu Christi über Kirche und Welt, so daß Christus alle Bereiche des Lebens beansprucht. Stärker als Barth stellt Iwand aber neben das Gnadenwort auch das Gerichtswort Gottes über Welt und Kirche. In Übereinstimmung mit Barth hat nicht mehr nur das Gesetz, sondern auch das Evangelium bei Iwand Bedeutung für das politische Handeln. Die Versöhnung Gottes mit den Menschen sucht nach Entsprechung im politisch-gesellschaftlichen Bereich.61
2. Die versöhnte Welt 6 2
Iwand sieht die lutherische Zwei-Reiche-Lehre mit der Betonung der Trennung der beiden Reiche nicht zuletzt in dem Verständnis der Erbsünde und der damit verbundenen Weltsicht begründet. Bei Melanchthon findet er den Grundsatz, daß die Realität der Welt nur dann richtig gesehen wird, wenn die Erbsünde und damit die Gefallenheit des Menschen ernstgenommen wird. Von daher hat die politische Ethik bei Melanchthon nur die Aufgabe, die Welt vor dem endgültigen Chaos zu bewahren, damit die Kirche in geordneten Verhältnissen ihre Verkündigung zur Erlösung an dem einzelnen durchführen kann. Als Realität wird hier die gefallene, vom Bösen geprägte
61 Nach Hertog, Erkenntnis, 265, stellt Iwand anders als Barth keine Beziehung zwischen Reich Gottes und Gesellschaft mit Hilfe von Analogien her, weil es bei Iwand keine positive Beziehung zwischen Reich Gottes und Welt gebe. Iwands Verhältnisbestimmung von Kirche und Gesellschaft zeigt allerdings sowohl eine negative wie eine positive Beziehung zueinander. 62 Das Thema der Versöhnung bei Iwand mit seinen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen ist in verschiedenen Aufsätzen behandelt worden; vgl. Klappert, Versöhnung, Reich Gottes und Gesellschaft, EvTh 4, 1989, 341-369; Seim, „Das große, unbegreifliche Angebot der Versöhnung", BThZ 9, 1992, 74-86; Stöhr, Die Aufgabe der Versöhnung - Hans Joachim Iwands Arbeit weitertreiben, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 159-188; Thaidigsmann, Geschehene und aufgegebene Versöhnung. Die Stellung Hans Joachim Iwands zur Philosophie Hegels, EvTh 49, 1989, 307-320. Ebenso ist hier die Arbeit Hoffmanns über die Ethik Iwands mit dem programmatischen Titel „Bezeugte Versöhnung" zu nennen.
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Welt gesehen63. Dieser Sicht kann sich Iwand - nach 1945 - nicht anschließen. In einem Vortrag von 1956 stellt er die Frage: „Müßte es nicht etwas bedeuten auch im Bereich des Politischen, daß Christus für alle Menschen gestorben ist und Gott in seiner Menschwerdung die ganze Menschheit unter sein Recht und seine Gnade gestellt hat? Kam die Intoleranz der Reformationskirchen vielleicht daher, daß sie nur eine partikulare Erlösung des Menschengeschlechts lehrten, und mußte darum die Aufklärung eingreifen, indem sie einen universalen Begriff des Menschen und seiner Würde aufstellte? Ich frage nur. Aber das eine dürfte sicher sein, daß die Kirchen das Heil in Jesus Christus nicht mehr begrenzen dürfen, als wäre es nur auf den Kreis derer bezogen, die es angenommen haben. Es ist auf den Menschen schlechthin bezogen." 6 4
Damit leugnet Iwand nicht die Lehre von der Erbsünde, an der er auch bei einer zunehmend positiven Bewertung der Aufklärung bleibend festhält.65 Nicht aufgrund des „guten Menschen" kommt er zu einer anderen Sicht der Welt, sondern aufgrund des Handelns Gottes in Jesus Christus. „Nicht an das Gute im Menschen müssen wir glauben, wenn wir der Botschaft des Apostels glauben, sondern an das Gute in Gott, an seine Versöhnungstat in Jesus Christus."66 Iwand wirft den Lutheranern seiner Zeit vor, mit der Versöhnung der Welt in Christus nicht ernst zu machen und deshalb an der traditionellen Zwei-Reiche-Lehre festzuhalten.67 Es gelte aber dagegen, die Realität der versöhnten Welt als objektive Wirklichkeit zu glauben. „Der Unglaube verleiht dem Bösen, der Sünde, dem Widergöttlichen seine gegen alles göttliche Recht behauptete Realität. ... Die Wirklichkeit sehen, wie sie ist, das hieße, die Welt vom Kreuze Christi sehen. Die in der Versöhnung und in der Botschaft von der Versöhnung ... kundgemachte Wirklichkeit duldet kein zweites Bild neben sich." 68
In Jesus Christus ist die Welt versöhnt mit Gott, sie ist die Welt Gottes und nicht die des Teufels.69 Diese Sicht der Wirklichkeit, die im Glauben erkannt wird, kann durch den Heiligen Geist geschenkt werden. Mit der in Christus geschehenen Versöhnung ist die Voraussetzung und Grundlage dafür gegeben, auch im Bereich des Politischen aufeinander zuzugehen und
63 Vgl. Iwand, Das Widerstandsrecht der Christen nach der Lehre der Reformatoren, Vortrag (1952), NW 2, 206. 64 Iwand, Zusammenleben, FO, 150f. 65 Über die Aufklärung sagt Iwand 1958: „Sie war nicht so schlecht, wie sie oft in theologischen Kreisen gemacht worden ist. (Ich glaube trotzdem an die Erbsünde!)" Iwand, Verantwortung, FO, 189. 66 Iwand, Predigt über 2.Kor 5,19-21 (1950), zitiert bei Klappert, Versöhnung, EvTh 49, 1989, 344. Vgl. Iwand, PM I, 547-555. 67 Vgl. Iwand, Über das Wesen, 210. Im Zusammenhang der Aussage, daß für Luther Sünde, Tod und Fluch nicht mehr in der Welt seien, kritisiert er die Lutheraner: „... unsere Lutheraner wollen das ja nicht glauben, dass das so ist - das ist doch das ganze Problem der zwei-Reiche-Lehre..." Ebd. 68 Iwand, PM I, 549f. 69 Vgl. Iwand, Verantwortung, FO, 197; ders., Gebot, NW 2, 60f.
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Schritte der Versöhnung und des Friedens zu gehen. Der Schlußsatz Iwands in seinem Aufsatz „Schleiermacher als Ethiker" hat grundsätzlichen Charakter auch im Blick auf Iwands politische Ethik: Jithik heißt dann nichts anderes als dieser Versöhnung, die von Gott her Wahrheit und Wirklichkeit zugleich ist, nun auch da Raum zu geben, w o Wahrheit und Wirklichkeit noch im Gegensatze miteinander ringen, weil dieser Gegensatz schon zugunsten der Kinder Gottes entschieden ist." 70
2.1 Umkehr und Versöhnung Bei der Versöhnung geht es um die Versöhnung von Gott und Mensch und von Mensch und Mensch. Iwand betont, daß Versöhnung und Frieden der Menschen und Völker erst dort möglich ist, wo die Versöhnung, die Gott in Christus geschenkt hat, verstanden worden ist.71 Aufgrund der in Christus geschehenen Versöhnung der Welt mit Gott darf aber dann auch im Verhältnis der Menschen untereinander und also auch in der Politik nicht der Gegensatz von Freund und Feind, Kapitalismus und Kommunismus, West und Ost gelten. Es darf in der einen Menschheit, in der alle Menschen Brüder sind, kein Gegeneinander mehr geben. 72 Iwand sagt zum Kampf der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus und der Zeit nach 1945 bezeichnenderweise: „Damals [im Nationalsozialismus, R.M.] ging es um den Gnadenbund, jetzt geht es um den Schöpfungsbund" 73 , um die eine Menschheit. Der noch bestehende Gegensatz zwischen den Menschen und Machtblöcken kann nur überwunden werden in dem Bekenntnis der Schuld voreinander und dem Wort der Sündenvergebung als Wort der Versöhnung. „Zusammenleben wird in erster Linie heute bedeuten: daß in dem Menschen von der anderen Seite her uns unsere Schuld begegnet, daß ein Wort der Versöhnung, der Vergebung fallig ist."74 Iwand vertritt keinen Geschichtsoptimismus, sieht aber in der durch Christus geschehenen Versöhnung die Realität, von der aus Versöhnung und Frieden unter den Menschen und Völkern möglich ist: „Wir kommen von Ostern her und gehen Pfingsten entgegen. Hinter uns steht die Tat der Versöhnung der Welt mit Gott und der Sieg des gekreuzigten Jesus von Nazareth über den Tod. Wir sind einge-
70
Iwand, Schleiermacher, BVP, 280 (Hervorhebung im Original). Für Hoffmann ist dieser Satz eine „Schlüsselthese" für sein Verständnis der Ethik Iwands; vgl. Hoffmann, Versöhnung, 49.81.203. 71 Vgl. Iwand, Deutschland zwischen Weiß und Rot (1951), FO, 71 [Weiß und Rot, FO], 72 Vgl. Iwand, Kirche und Öffentlichkeit, NW 2, 26.43; ders., Dogma, NW 2, 103. Vgl. zur Frage der einen, versöhnten Menschheit bei Iwand: Klappert, Versöhnung, EvTh 49, 1989, 341-369. 73 Iwand, Antwort. Ein Brief an J.L. Hromadka, FO, 204. 74 Iwand, Zusammenleben, FO, 147 (Hervorhebung im Original).
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schlossen in seinen Triumph."75 Was in Christus an der Welt und für die Welt geschehen ist, sollten die Christen nun auch in dieser Welt tun, „die Versöhnung realisieren.''''16 Versöhnung im politischen Bereich heißt, als einen dritten Weg die Synthese zwischen West und Ost, zwischen Demokratie und Sozialismus zu finden. Die ideologischen und ethnischen Gegensätze sind relativ und lassen sich in ein Miteinander auflösen, wo der Glaube an die in Jesus versöhnte eine Menschheit da ist. , Jesus selbst ist die Synthesis, die wir suchten."77 Durch ihn wird der neue Geist von oben geschenkt, der an die Stelle bestehender Gegensätze Versöhnung und Frieden bringt. Iwands persönliches Engagement für den Frieden und die Versöhnung vor allem mit dem Osten ist bewegt davon, daß die in Christus geschenkte Versöhnung auch im politischen Raum als Versöhnung zwischen den Menschen sichtbare Wirklichkeit wird, wo sie noch im Freund-Feind-Denken verhaftet sind. Joachim Gandras urteilt zutreffend, daß es Iwand „... - bis in den Bereich politischer Einzelfragen hinein - um Konkretisierung von Umkehr und Vergebung sowie um Aktualisierung der biblischen Botschaft als Wort von der Versöhnung und als Vollzug des Predigtamtes als Amt, das die Versöhnung predigt, geht."78
2.2 Iwands Entwurf des Darmstädter Wortes von 1947 Im Juli 1947 hält Karl Barth in einer Sitzung des Bruderrates der EKD, an der auch Iwand teilnimmt, ein Referat mit dem Thema „Die Kirche - die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus", in dem es u.a. um die politische Entscheidung der Gemeinde geht. Theologischer Ausgangspunkt ist die Versöhnung der Welt in Christus, die gleichzeitig das Vergehen der alten Welt und das Kommen der neuen Welt Gottes bedeu-
75 Iwand, Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950, FO, 42; vgl. ders., Politisierende Kirche? Ein Wort zur gesamtdeutschen Synode der EKD in Berlin-Weißensee vom 23.-27. April 1950, JK 11, 1950, 174. 76 Ebd. (Hervorhebung R.M.). Vgl. die analoge Formulierung im Blick auf den Frieden: „Darum sollen wir alles tun, um jenen Frieden zu verwirklichen, den Jesus in diese Welt gebracht hat." Iwand, Vorwort zu: Margarete Kühnapfel, Auch in der Hölle bist du da. Not und Gnade meiner Russenjahre, Neuhausen-Stuttgart 1983, 8. 77 Iwand, Weiß und Rot, FO, 73. Vgl. ders., Der Berliner Kirchentag, JK 12, 1951, 3 9 6 403, wo Iwand als Synthese den Weg der Versöhnung beschreibt, den die Kirche Jesu Christi zu gehen hat. 78 Gandras, Predigt, 32. Gandras mahnt zu Recht für die Auseinandersetzung mit Iwand an: „... gerade da, wo man - vollends in politischen Entscheidungen - inhaltlich mit ihm nicht einig gehen kann, verwehrt es das theologische Gewicht seiner Argumentation, das Gespräch mit ihm auf die Ebene der Unterstellungen oder gar Diffamierungen herabzuziehen." Ebd.
218
tet.79 In der darauffolgenden Aussprache fordert Iwand, daß die Bekennende Kirche eine politische Linie haben müsse, und wird gebeten, einige Sätze „zu unserer politischen Situation, d. h. zur notwendigen politischen Entscheidung des Christen" 80 zu formulieren. In Iwands Entwurf von 194781, der den entscheidenden Anstoß zum Darmstädter Wort darstellt, ist die Versöhnung der Welt mit Gott in Christus die Grundlage der Thesen, die sich als „Beitrag zur politischen Dimension der christlichen Versöhnungsbotschaft" 82 verstehen. These 1 des Entwurfs von Iwand lautet: „ D i e G e m e i n d e Jesu Christi ist die G e m e i n d e derer, die das Wort v o n der V e r s ö h nung der Welt mit Gott in Christus hören, annehmen und tun. Der D i e n s t der V e r s ö h nung wird aber verleugnet und nicht ausgerichtet, w e n n wir uns nicht freisprechen lassen v o n aller unserer Schuld, nicht nur der privaten, sondern auch der politischen, und uns v o n Jesus Christus, dem guten Hirten, heimrufen lassen v o n den falschen und bösen W e g e n , auf denen wir als Deutsche in die Irre g e g a n g e n sind." 8 3
Der Weg in die Irre wird in den folgenden Thesen beschrieben als „Traum einer besonderen deutschen Sendung ... [, das] Bündnis der Kirche Jesu Christi mit den konservativen Mächten" 84 und als die Bildung einer Front der Guten gegen die Bösen auf politischem Weg. Ohne das Bekenntnis dieser politischen Schuld und der konkreten Umkehr von diesem Irrweg wird nach Iwand der Dienst der Versöhnung „verleugnet und nicht ausgerichtet" 85 , so daß private und politische Schuld unlöslich zusammengehören. „Umkehr zu Gott durch das Evangelium" 86 in der privaten und politischen Existenz ist aufgrund der Versöhnung in Christus möglich und nötig. Iwand ruft dazu auf, die „wohltätige und befreiende Herrschaft Jesu Christi im Dienst an seiner ganzen Schöpfung" 87 zu bezeugen, zu der auch der Staat zählt. Er ist dazu bestimmt, „zur Ehre Gottes und zur Wohltat, zum Glück
79
Vgl. Klappen, Bekennende Kirche, 37f. Protokoll der Bruderratssitzung vom 5./6. Juli 1947, zitiert bei Hartmut Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, Beiheft zu JK 38, 1977, Heft 8/9, 2. Vgl. zum kirchengeschichtlichen Hintergrund des Darmstädter Wortes auch Erwin Wilkens, Zum "Darmstädter Wort" vom 8. August 1947, in: Zukunft aus dem Wort. Helmut Claß zum 65. Geburtstag, hg.v. Günther Metzger, Stuttgart 1978, 152-156. 81 Vgl. Iwand, Entwurf zum Darmstädter Wort (1947), FO, 2 0 - 2 2 [Entwurf (1947), FO] und die Wiedergabe des Darmstädter Wortes („Ein Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen Weg unseres Volkes") a.a.O. 22-24. 82 Dieter Schellong, Versöhnung und Politik. Zur Aktualität des Darmstädter Wortes, in: Karl Gerhard Steck/Dieter Schellong, Umstrittene Versöhnung, TEH.NF 196, 1977, 38 (Hervorhebung im Original); vgl. zum Darmstädter Wort insgesamt a.a.O. 35-66; vor allem 37^t6. 83 Iwand, Entwurf (1947), FO, 20. 84 A.a.O. 20f. 85 A.a.O. 20. 86 A.a.O. 21. 87 Ebd. 80
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und zum Frieden unter den Menschen zu dienen."88 Der theologische Kontext, in dem dieser Entwurf und auch das Darmstädter Wort selbst stehen, ist mit Klappert das „Thema 1) der Versöhnung als der Voraussetzung von Umkehr und Erneuerung und 2) vom Reich Gottes als Horizont menschlicher Bemühung um den Aufbau einer durch Recht, Wohlfahrt und Frieden charakterisierten Gesellschaft"89. Auffallend an dem Entwurf Iwands und am Darmstädter Wort ist vor allem die Verknüpfung von persönlicher und politischer Schuld und von politischen Entscheidungen mit Glaubensentscheidungen. Das Darmstädter Wort führte in der Folge zu Polarisierungen, weil auf der einen Seite von einer Minderheit von Theologen, die Karl Barth nahestanden, dieses Wort als wegweisend angesehen wurde, während auf der anderen Seite vor allem von lutherischen Theologen aufgrund der Zwei-Reiche-Lehre die Verbindung konkreter politischer Entscheidungen mit dem Bekenntnis des Glaubens kritisiert wurde.90
2.3 Iwands Engagement für den Frieden Der Ost-West-Gegensatz, die Frage nach der Einheit Deutschlands und die Eingliederung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis, der Aufbau der Bundeswehr mit der Frage der Militärseelsorge und nicht zuletzt die Frage der atomaren Bewaffnung waren in den fünziger Jahren wichtige und innerhalb der EKD stark umstrittene Problemfelder, die leidenschaftlich diskutiert wurden.91 Seit Beginn der fünfziger Jahre bis zu seinem Tod hat Iwand an der Seite von Heinrich Vogel, Martin Niemöller, Helmut Gollwitzer und Ernst Wolf theoretisch und praktisch intensiv an diesen Auseinandersetzungen teilgenommen.92 Zeugnis seines Einsatzes sind zahlreiche Vorträge zur Friedensfrage, mehrere Reisen in die Tschechoslowakei und die Sowjetuni88
A.a.O. 22. Klappert, Bekennende Kirche, 46. 90 Zur Wirkungsgeschichte des Darmstädter Wortes vgl. Gerhard Besier, Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung, München 1993, 3 8 - 5 2 ; Wilkens, Zum „Darmstädter Wort", 156-165; Schellong, Versöhnung, TEH.NF 196, 1977, 3 5 - 6 6 . 91 Vgl. zu der Diskussion innerhalb der EKD um die Fragen von Wiederbewaffnung und Atomrüstung in den fünziger Jahren: Johanna Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung. Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956, AKZG, Reihe B; Darstellungen 4, Göttingen 1978; Christian Walther (Hg.), Atomwaffen und Ethik. Der deutsche Protestantismus und die atomare Aufrüstung 1954-1961. Dokumente und Kommentare, SKZG 3, München 1981. 89
92 Zu Iwands Friedensengagement vgl. Bertold Klappert, „Wer seinen Bruder Atheist nennt, ist des höllischen Feuers schuldig". H. J. Iwands Engagement in der Friedensfrage. Einführung, in: ders./Ulrich Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Wuppertal 1983, 128-141.
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on und die Mitbegründung der Prager Christlichen Friedenskonferenz 1958.93 Iwands neugewonnene Sicht der einen, in Christus versöhnten Menschheit und seine Ablehnung der Trennung von Reich Gottes und Welt in zwei abgegrenzte Bereiche sind seine theologischen Gründe für einen „konkreten, situationsbezogenen Pazifismus"94, zu dem noch folgende Gründe hinzutreten: „Depravierung dieses [militärischen, R.M.] Ethos durch den Nationalsozialismus seit 1933; schreckliche eigene und fremde Erlebnisse im Bombenkrieg seit etwa 1942; Sinnlosigkeit aller Kriege durch Gefahr atomarere Totalvernichtung seit 1945"95 und seine enge Verbundenheit mit den Menschen im Osten. Auf dem Höhepunkt der Atomwaffendiskussion im Jahr 1958, als die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen zur Diskussion steht, richten Kirchliche Bruderschaften eine Anfrage an die Synode der EKD, in der es zur Frage der Atomwaffen heißt: „Nach unserer Erkenntnis ist für die Kirche in dieser Frage jetzt der status confessionis gegeben." 96 In der Anfrage werden zehn Thesen von Karl Barth aufgenommen, nach denen die Vorbereitung eines atomaren Krieges „unter allen Umständen Sünde gegen Gott und den Nächsten [ist, R.M.], an der sich keine Kirche, kein Christ mitschuldig machen darf. ... Ein gegenteiliger Standpunkt oder Neutralität dieser Frage gegenüber ist christlich nicht vertretbar. Beides bedeutet die Verleugnung aller drei Artikel des christlichen Glaubens." 97 In einem Vortrag aus demselben Jahr schließt Iwand sich inhaltlich der Anfrage der Bruderschaften an. Als Grund für die atomare Aufrüstung des Westens sieht Iwand bei der CDU-Regierung die Abwehr des Marxismus mit seiner Gottlosigkeit, wodurch die Atomwaffen als Abwehrwaffe christlich legitimiert werden sollen. Iwand stellt die theologische Frage: „Darf ein Christ, der an Gott glaubt, der darum die Welt als Gottes S c h ö p f u n g ansieht, der den anderen M e n s c h e n , auch den, der nicht seines Glaubens ist, der vielleicht sogar ein Feind und V e r f o l g e r seiner Kirche ist, in Jesus Christus gleich ihm selbst erlöst und geliebt w e i ß , der schließlich davon w e i ß und daran glaubt, daß Gott seiner Kirche, dieser G e m e i n s c h a f t der Glaubenden, einen besonderen Beistand, eine besondere Kraft verliehen hat, den Heiligen Geist, der die Herzen der M e n s c h e n w a n deln kann - er allein! - , darf ein Christ, der in diesen drei Stücken seinen Glauben bezeugt sieht und auch g e w i l l t ist, s o w e i t seine Kraft gereicht, diesen seinen Glauben zu leben, darf er und kann er j a sagen zu der Fertigung und damit auch zu der im Ernstfall nicht a u s g e s c h l o s s e n e n A n w e n d u n g atomarer B o m b e n ? D i e Erklärung der
93 Vgl. Iwand, Frieden mit dem Osten. Texte 1933-1959, hg. von Gerard C. den Hertog u.a., München 1988. 94 Klappert, Wer seinen Bruder Atheist nennt, 135. 95 Burdach, Iwand, 59; vgl. Klappert, Wer seinen Bruder Atheist nennt, 135. 96 Kirchliche Bruderschaft im Rheinland, Kirchliche Bruderschaft in Westfalen. Anfrage an die Synode der EKD. März 1958 (Auszug), abgedruckt bei Walther (Hg.), Atomwaffen, 83. 97 A.a.O. 84.
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Bruderschaften gibt e i n e s c h l i c h t e und u n z w e i d e u t i g e A n t w o r t a u f d i e s e Frage: S i e sagt nein! D a s g e h t nicht! In dieser S a c h e gibt e s k e i n e n K o m p r o m i ß .,." 9 8 .
Aufgrund der drei Glaubensartikel geht es nach Iwand nicht an, zur Fertigung von Atomwaffen ein Ja zu sagen, d.h. die Frage der atomaren Bewaffnung wird zur Glaubensfrage, zum status confessionis." Die Anfrage der Bruderschaften (und damit auch Iwands Votum) wird von verschiedenen Seiten, u.a. von Hans Asmussen und den Bischöfen Martin Haug und Hanns Lilje aufgrund der Verbindung der Atomwaffenfrage mit dem status confessionis deutlich kritisiert.100 In einer Erklärung der Bischofskonferenz der VELKD vom 16.4.1958 wird ebenso wie in der Anfrage der Bruderschaften die Pflicht der Christenheit betont, „mit allen ihr gegebenen Mitteln dafür einzutreten, daß ein Atomkrieg abgewendet wird."101 Auch wird die Mitarbeit der Christen zur Sicherung des Weltfriedens gefordert. Im Unterschied zur Anfrage der Bruderschaften heißt es in der Erklärung der VELKD: „Es gehört nicht zum Amt der Kirche, aus Gottes Worte verbindliche politische Einzelanweisungen über die Durchführung der Abrüstung zu geben."102 Als Aufgabe der Kirche wird festgehalten, die Gewissen der Verantwortlichen anzureden und zu bitten, alles zu tun, was zur Entspannung und zum Frieden zwischen den Völkern führen kann. Auf dem Hintergrund der Zwei-Reiche-Lehre lehnt die VELKD im Unterschied zu den Bruderschaften und Iwand bei gleichem Ziel - Abrüstung und Verhinderung eines atomaren Krieges - konkrete politische Handlungsanweisungen aus dem Evangelium ab. Im Blick auf die Frage nach Gesetz und Evangelium ist erkennbar, daß Umkehr und Neuanfang (Gesetz und Evangelium) auf der Basis der in Christus geschehen Versöhnung (Evangelium) möglich und nötig sind. Die Lehre von Gesetz und Evangelium wird nicht aufgehoben, ist aber umschlossen vom Evangelium. Darin liegt die theologische Grundlage für Iwands politisches Handeln.
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Iwand, Die evangelische Kirche und der Protest gegen die atomare Bewaffnung (1958), in: B. Klappert/U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Wuppertal 1983, 167. 99 Vgl. dazu Klappert, Wer seinen Bruder Atheist nennt, 136-140. 100 v g l . die Wiedergabe der Schreiben von Asmussen, Haug und Lilje bei Walther (Hg.), Atomwaffen, 8 5 - 9 6 . 101 Bischofskonferenz der VELKD. Erklärung. 16.4.1958, abgedruckt bei Walther (Hg.), Atomwaffen, 96. 102
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A.a.O. 97.
3. Z u s a m m e n f a s s u n g
Iwands Verständnis von Gesetz und Evangelium und seine Veränderung der Verhältnisbestimmung hat umittelbare Auswirkungen auf die politische Ethik, wie aus seiner Zwei-Reiche-Lehre zu erkennen ist. 1. Iwands Zwei-Reiche-Lehre erfahrt analog zur Entwicklung seiner Sicht von Gesetz und Evangelium eine Veränderung - von einer Betonung der Trennung des Reiches Gottes zur Rechten von dem zur Linken vor dem Krieg hin zur Bezogenheit beider Reiche aufeinander nach 1945. Vor 1945 unterstreicht Iwand die bleibende Grenze zwischen dem Reich der Welt und dem Reich Christi. Zwar ist Gott der Herr über beide Reiche, so daß von einer Eigengesetzlichkeit der Welt und des Staates nicht geredet werden kann, aber im Reich der Welt regiert Gott mit dem Gesetz und der irdischen Gewalt, im Reich Christi allein mit dem Evangelium. In der Welt regiert Gott als der deus absconditus, dessen Handeln in der Geschichte der menschlichen Einsicht verborgen ist, während er in der Kirche als deus revelatus in seinem Wort regiert. Gegenüber der Welt hat die Kirche den Willen Gottes in seinem Gebot zu verkündigen und die Amtsinhaber an Gott als den Herrn der Welt zu erinnern. Der Staat ist für Iwand eine göttliche Ordnung in menschlicher Verantwortung und Setzung und darf - gegen Karl Barth und Günther Dehn - nicht christologisch überhöht werden. Iwand unterscheidet zwischen Amt und Person, sieht aber sehr wohl, daß ein Christ und ein Nichtchrist das gleiche Amt sehr unterschiedlich ausüben können. Die Wirkung des Glaubens auf das Reich der Welt geschieht über die Person, nicht über Strukturen. Zeigt Iwands Verständnis der Zwei-Reiche-Lehre vor 1945 deutliche Parallelen zur Position der VELKD nach dem Krieg, so ändert sich seine Auffassung nach 1945 und nähert sich dem Ansatz Karl Barths an, der die Herrschaft Jesu Christi über Kirche und Welt proklamiert. Iwand will die ZweiReiche-Lehre nicht aufgeben, interpretiert sie aber neu. Gegen eine quantitative Trennung von Gottes Reich (verstanden als Bereich der christlichprivaten Existenz) und Weltreich (die politische Existenz) stellt Iwand die qualitative Trennung. Darunter versteht er die unterschiedliche Art und Weise der Herrschaft Gottes und der Herrschaft der Welt, die im Gegensatz zueinander stehen und aufeinandertreffen. Der Anspruch der Herrschaft Christi gilt für alle Bereiche des Lebens. Wenngleich Christi Reich und Weltreich zu unterscheiden sind, besteht aufgrund der Herrschaft Christi
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über Kirche und Welt eine Beziehung und ein gegenseitiges Offensein von Kirche und Gesellschaft. 2. Theologische Voraussetzung für das friedenspolitische Engagement Iwands nach 1945 ist die in Christus geschehene Versöhnung der ganzen Welt, wodurch auch im politischen Raum Schritte der Versöhnung geboten und möglich sind. Ausgangspunkt ist nicht mehr das Sein der Menschen unter dem Gesetz und unter der Macht der Sünde, sondern die versöhnte Menschheit unter dem Evangelium. Die in Christus geschehene Versöhnung wird begriffen als Voraussetzung für Umkehr und Versöhnung, die unerläßliche Schritte der Menschen zueinander auf dem Weg zum Frieden darstellen. Die Versöhnungstat Christi sucht nach Entsprechung auch im Zusammenleben der Menschen, so daß der Gegensatz zwischen Ost und West, zwischen Kommunismus und Kapitalismus in ein versöhntes Miteinander führen kann. Erst unter der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz ist das politische Engagement Iwands in dieser spezifischen Form möglich. Obgleich Iwand auch unter der Voraussetzung der in Christus versöhnten Welt den einzelnen Menschen nicht bereits als Gläubigen versteht, so ist sein politischer Einsatz doch von der Sicht der in Christus versöhnten einen Menschheit bestimmt.103 Die Wirklichkeit des bösen, unter die Sünde verkauften Menschen (als Sein unter dem Gesetz) wird als Wirklichkeit des Unglaubens abgewiesen und hat für die politischen Entscheidungen keine wesentliche Bedeutung.
103 Vgl. ähnlich Klappert, Bekennende Kirche, 46; ders., Versöhnung, EvTh 49, 1989, 3 4 1 - 3 6 9 ; Hans-Peter Göll, Iwand-Nachlaß und Iwand-Studien, VF 34, 1989, 56.
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TEIL 3 DIE PREDIGT VON GESETZ UND EVANGELIUM
I. Die Verkündigung als Ziel der Lehre von Gesetz und Evangelium
„Das Wissen um Gesetz und Evangelium gehört zur rechten Predigt. Evangelium und Gesetz recht unterscheiden, heißt ein Prediger werden. Man kann das Verhältnis nur predigen."1 Mit diesen einleitenden Sätzen zu seiner Vorlesung „Gesetz und Evangelium" aus dem Jahr 1937 stellt Iwand zweierlei heraus: Erstens ist die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht ausreichend erfaßt, wenn sie nur als ein Lehrstück verstanden wird, das vermittelbar und für jeden kognitiv erlernbar ist. Der Punkt, auf den die Unterscheidung hinzielt, ist die Verkündigung von Gesetz und Evangelium. Iwand hält seine Vorlesung im Wissen darum, daß sich die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium erst in der Predigt als Werk des Heiligen Geistes ereignet. 2 Zu der richtigen Verkündigung von Gesetz und Evangelium kommt es al1 Iwand, GuE (1937), NW 4, 13. Vgl. ähnlich Ebeling, Luther. Einfuhrung in sein Denken, Tübingen 1990, 128: „Christliche Verkündigung - das ist das Geschehen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Man mißverstehe nicht: Sache christlicher Verkündigung ist nicht primär eine Belehrung über die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - das ist sie in sekundärem Sinne auch. Vielmehr ist Sache christlicher Verkündigung der Vollzug der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, also der Vollzug eines Kampfgeschehens, in welchem immer neu die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium auf dem Spiel steht und zum Ereignis wird." (Hervorhebung im Original). 2 Vgl. die erste These der Vorlesung „Gesetz und Evangelium" im Anschluß an die einleitenden zitierten Sätze: „Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist das Werk des Heiligen Geistes, durch das der Heilige Geist Christus verklärt." Iwand, GuE (1937), NW 4, 13. Vgl. für Luther: Führer, Wort Gottes, 41: „Der Geist allein vollzieht die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium und schenkt in dieser Unterscheidung den Glauben an Christus, durch den der Mensch dem Gesetz entnommen und der gnädigen Herrschaft Christi unterstellt wird."
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lerdings nicht „automatisch", sondern dazu ist das rechte Verständnis der Unterscheidung und das Wissen um die Unterscheidung auf seiten des Predigers nötig, wozu Iwands Vorlesung dienen will. 3 Zweitens qualifiziert Iwand die Verkündigung als Predigt von Gesetz und Evangelium. Ein Prediger werden heißt, Gesetz und Evangelium recht zu unterscheiden. Predigt zeichnet sich dadurch aus, daß sich in ihr das Heil in Gericht und Gnade, Sündenerkenntnis und Sündenvergebung ereignet. Daß Iwand Predigt in dieser Weise versteht, wird aus seiner Vorlesung über Gesetz und Evangelium von 1937 wie auch aus der parallel gehaltenen - bislang nicht veröffentlichten - Vorlesung über Homiletik erkennbar.4
1. D i e Predigt
So wie die Verkündigung das Ziel der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist, weil diese Unterscheidung dort erst in der Kraft des Heiligen Geistes vollzogen wird, so gilt für Iwands gesamtes Werk, „daß für ihn die Predigt der Zielpunkt aller theologischen Arbeit gewesen ist."5 In seiner Schrift „Über das Verhältnis von Theologie und Kirche" fuhrt Iwand aus: 3 Oswald Bayer betont, daß sich die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht einfach bewerkstelligen läßt, sondern ein Widerfahrnis ist. „Gott selbst ist des Unterscheidens wie der Einheit von Gesetz und Evangelium Herr, nicht wir. Um eben dies aber nicht vergessen zu lassen, muß auch gewagt werden, die Sache theologisch zu lehren. ... Nur Gott kann töten, um lebendig zu machen. Eine menschliche Methode - auch jede theologische und homiletische - kann dies nicht." Bayer, Leibliches Wort, 42f. 4 Vgl. Iwand, Homiletik, Vorlesung SS 1937, Bloestau. Iwand-Archiv Beienrode [Homiletik, Iwand-Archiv]. Die Homiletik-Vorlesung liegt als maschinenschriftliche Mitschrift von 118 Seiten (11 Vorlesungsstunden) mit der Überschrift: „Homiletik - lie Iwand Blöstau/Jordan - SS37" vor. Es handelt sich offenbar - wie bei der Vorlesung über Gesetz und Evangelium - um eine weitgehend wörtliche Mitschrift der Vorlesung, wie aus einigen Formulierungen erkennbar ist. So finden sich zu Beginn der einzelnen Stunden Wiederholungen des Lernstoffs der letzten Vorlesungsstunde (z.B.: „Wir haben in der vorigen Stunde über das Thema gesprochen: ..." Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 78) oder am Anfang der letzten Vorlesungsstunde der Satz: „Ich muß leider sagen, daß ich ziemlich aus dem Stegreif reden muß." A.a.O. 108; vgl. ähnlich a.a.O. 92. Ebenso sind Anmerkungen des studentischen Mitschreibers erkennbar, wie: „Einige Notizen aus der der Vorlesung folgenden Aussprache ..." A.a.O. 92. Vgl. die Hinweise auf die Vorlesung und Zitate daraus bei Hans Helmut Eßer/Helmut Gollwitzer, Vorwort, in: Iwand, NW 3, 7.10; vgl. auch Seim, Gesetz, EvTh 44, 1984, 78. Die Vorlesung Iwands berührt sich in vielen Punkten mit der aus der gleichen Zeit stammenden „Finkenwalder Homiletik" Dietrich Bonhoeffers, vgl. Bonhoeffer, Finkenwalder Homiletik, in: ders., Gesammelte Schriften. Hg.v. Eberhard Bethge. Vierter Band: Auslegungen - Predigten 1931-1944, München 1961,237-289. 5 Wolfgang Bittner, Aspekte der Predigt bei Hans Joachim Iwand, ThBeitr 12, 1981, 72; vgl. Hermelink, Homiletische Situation, 31.
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„... es formt sich auf jeden Fall innerhalb der theologischen Arbeit die Verkündigung der Kirche von morgen und das Bild eines zu erhoffenden Dienstes. Und in unseren Kollegs sitzen die, von denen wir selbst einmal das Wort des Heils, die Botschaft von der Gnade Gottes, frei und erlösend hören wollen. A u f diese H o f f n u n g hin, im Dienst an solchen, die einmal der Welt das Wort Gottes rein und stark verkündigen sollen, unterrichten wir. Das will sagen: nicht das Katheder, sondern die Kanzel ist der Punkt, auf den Lehren und Lernen bei uns ausgerichtet sein sollte." 6
Die Predigt hat deshalb einen so hervorragenden Platz, weil für Iwand der Bestand der Kirche an der Verkündigung hängt. Die Predigt ist - gegen Schleiermacher - keine Lebensfunktion der Gemeinde, sondern das „Wort schafft die Kirche, die Verkündigung baut oder zerstört, sammelt oder zerstreut."7 Iwands Eintreten für eine Erneuerung der Verkündigung, wie sie nach dem Krieg in den von ihm begründeten Göttinger Predigtmeditationen zum Ausdruck kommt, hat seinen Grund in der „Erkenntnis, daß die Verkündigung die zentrale Aufgabe und darum auch die zentrale Frage der kirchlichen Existenz ist."8 Wie ernst es Iwand mit der Verkündigung war und daß für ihn an der Predigt zu erkennen war, „ob jemand begriffen hatte, worum es in der Theologie geht"9, zeigt eine briefliche Erinnerung eines ehemaligen Studenten von Iwand an ein Erlebnis im Jahr 1956. Er berichtet, daß Iwand im homiletischen Seminar von Helmut Gollwitzer diesen zu vertreten hatte, und Studentenpredigten korrigiert zurückgeben wollte. Iwand zeigte sich über die Predigten betroffen und traurig, weil die Studenten von Predigen offenbar keine Ahnung hätten. „Bei einer Predigt verweilte er länger, erregte sich immer mehr, rief dann dem Studenten zu, er verstehe von Theologie und Predigen überhaupt nichts. Als er den Armen fragte, in welchem Semester er sei, und der Betroffene zur Antwort gab im zwölften, warf ihm Iwand die Blätter quer durch den Raum zu und schrie: ,Das ist das Gericht, das ist das Gericht Gottes über all die Professoren, bei denen Sie bis jetzt studiert haben!'" 10 In seiner Homiletik-Vorlesung von 1937 sagt Iwand, daß der Grund für die Verkündigung der Befehl Jesu Christi an seine Jünger ist. Jesus ist der Herr der Welt, dessen Herrschaft im Geschehen der Predigt proklamiert 6
Iwand, Über das Verhältnis von Theologie und Kirche (1954), GA 1, 21 lf (Hervorhebung im Original) [Verhältnis, GA I]; vgl. ders., Theologie als Beruf, Vortrag (1929), NW 1, 226: „Der theologische Lehrer muß also seinen Schüler zu einem Prediger erziehen, aus dessen Verkündigung er selbst seinen Glauben schöpfen könnte." 7 Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 39. Vgl. a.a.O. 35: „Die Predigt ist kirchengründend, kirchenrichtend und kirchenemeuemd...". Vgl. Sänger, Annäherung an Iwand. Versuch einer Einführung, in: ders./Dieter Pauly, Hans Joachim Iwand - Theologie in der Zeit. Lebensabriß und Briefdokumentation. Bibliographie, München 1992, 19: „... predigen heißt, Gemeinde sammeln und leiten, Kirche halten, Kirchenleitung ausüben." 8 Iwand, PM I, 151; vgl. a.a.O. 354.531.557. Vgl. auch die Hinweise bei Bittner, Aspekte, ThBeitr 12, 1981, 72. 9 Bittner, Aspekte, ThBeitr 12, 1981, 86. 10 Wiedergegeben a.a.O. 85f.
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wird.11 Die Predigt fuhrt in die Scheidung und Entscheidung. Als Angebot Gottes in der Kraft der Auferstehung Jesu muß „die Verkündigung scheiden, die einen herausholen zum Glauben, bei den anderen ein Ärgernis erwecken."12 Eine solche Kraft und Wirkung kann die Predigt nur unter der Voraussetzung haben, daß dort nicht der Prediger, sondern Gott selber in der Kraft des Heiligen Geistes redet.13 - Beachtenswert ist im Gegenüber dazu ein Artikel Iwands von 1959, in dem er zu der These, jede rechte Predigt geschehe mit dem Anspruch, daß Gott durch den Mund des Predigers seine Wahrheit verkünde, schreibt, daß sie „Unsinn" und „Irrlehre" sei. Man solle wissen, „... daß die Identität von Gottes Wort und menschlicher Rede nur bei Einem Menschen vorliegt, daß Gott allein in diesem seinen Sohn endgültig und unmittelbar zu uns geredet hat ..."14, wogegen der Prediger nur Zeuge Jesu Christi sei. Um die Freiheit und Unverfügbarkeit des Wortes Gottes festzuhalten, lehnt Iwand - anders als in den dreißiger Jahren - das Postulat der Identität von Predigt und Wort Gottes ab. Die Karl Barth in seinem Vortrag „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie" bewegende Frage, wie der Mensch Gottes Wort verkündigen kann, sieht Iwand nicht als das eigentliche Problem. „Denn wenn Gott mir aufträgt, sein Wort zu verkündigen, dann habe ich nicht die Frage zu stellen: wie kann ich als Mensch dieses Wort verkündigen. Die Möglichkeit liegt im Worte Gottes, nicht in mir."15 Gott hat in Jesus Christus menschlich gesprochen, und er spricht sein göttliches Wort in menschlicher Rede. Iwand sieht bei den Propheten im AT zwar ihre Anfechtung, als Menschen das Wort Gottes zu sagen, aber das hält er für kein theologisches Problem. Der Prediger findet das Wort Gottes in der Heiligen Schrift, und Iwand folgert: „ I n f o l g e d e s s e n könnte ich sagen, die Frage, w i e ich als Prediger, w i e ich als M e n s c h Gottes W o r t predigen soll, ist von Gott beantwortet durch die Heilige Schrift. D a s ist die A n t w o r t darauf! W e n n ich in N o t bin, w i e soll ich das W o r t G o t t e s predigen, dann antwortet Gott mir darauf, dass er mir die Schrift in die H a n d gibt. ... L e b e nur in der Schrift, dann wirst D u G o t t e s W o r t predigen k ö n n e n . " 1 6
11
Vgl. Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 4f. 10. A.a.O. 6. 13 Vgl. a.a.O. 16. 14 Iwand, Ad malos informatores melius informandos, Politische Verantwortung 3, 1959, Nr. 10, 1 (Hervorhebung im Original) [Ad malos]. „Es ist einfach zum Verzweifeln, daß ein so grundfalscher und dazu noch so vermessener Satz ein einem Blatt stehen kann, das von der Bereinigung für evangelische Öffentlichkeitsarbeit' herausgegeben wird." Ebd. Vgl. Iwand, PM I, 123, wo Iwand die Identität von Predigt und Gottes Wort und gleichzeitig die Unverfügbarkeit von Gottes Wort festhalten will. 15 Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 31. Vgl. zur Auseinandersetzung mit Barth in der Frage nach Gottes Wort in menschlicher Rede Iwand, Jenseits von GuE, GA I, 102-105; s.o. Teil 1 .II. 1.1.1 Gottes Wort als Menschenwort, 46ff. 16 Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 32. 12
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Iwand kennt allerdings auch den Unterschied von menschlicher Rede, die Gottes Wort ist, und menschlicher Rede, die sich als Gottes Wort ausgibt, aber nur Menschenwort ist. Menschenwort im Gegensatz zum Gotteswort heißt dann, „dass ich anstelle von Gotteswort mein eigenes Wort setze und dass ich mein eigenes Wort als Gotteswort ausgebe."17 Wo Gottes Wort verkündigt wird, steht es in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift, mit dem Wort, das er zu den Aposteln und Propheten gesagt hat. Es ist ein- und derselbe Heilige Geist, der sich nicht widersprechen kann.18 Menschenwort liegt da vor, wo der Mensch sein eigenes Wort als Gottes Wort ausgibt, ohne daß er sich dessen unbedingt bewußt ist. Es kommt darauf an, daß der Prediger im Gehorsam gegen Gottes Auftrag sein Wort verkündigt, wie es in der Heiligen Schrift gegeben ist. Damit ist auch gesagt, daß es in der Verkündigung immer um die Frage von Lehre und Irrlehre, rechter Lehre und Häresie geht. Predigt ist dabei mehr als Schriftauslegung: „Die Schriftauslegung verdient den Namen der Predigt dann, wenn in ihr das ganze Heil Gottes verkündigt wird."19 Noch in seinen letzten Lebenswochen äußert Iwand die Besorgnis, daß die Predigten sich in der Textauslegung erschöpfen und den Entscheidungscharakter verlieren.20 Das aber ist „das Besondere der Predigt, dass in der Predigt das Unfassbare geschieht, dass der Sünder seines Gottes gerecht wird ... Das sind die Unmöglichkeiten, die hier Wirklichkeit werden, und das heisst Verkündigung."21 In der Verkündigung geht es um das Geschehen der Rechtfertigung, daß der verlorene, in Sünden tote Mensch das Wort der Gnade hört und zum Leben erweckt wird. Gottes Wort hören heißt: „... als einer, der unter dem Gesetz, unter dem Todesfluch der Sünde steht, Gottes Wort als das Wort der Gnade hören, Christus hören. Als einer, der unter dem Gesetz lebt oder der ohne das Gesetz lebt, Christus hören, das heisst das Wort Gottes hören. Und in diesem Sinn ist die Predigt Kerygma." 22
Das Kerygma ist die Zusage des Evangeliums, der Gnade Gottes für den Menschen, der unter dem Gesetz lebt. Es geht für Iwand bei jeder Predigt um nicht weniger als Totenauferweckung im Sinne von Ez 37. Es geschieht Neuschöpfung in Umkehr und Buße. Die Parallele für diese Neuschöpfung in der Verkündigung liegt nicht in der Schöpfung am Anfang der Welt, sondern in der Auferstehung der Toten, weil hier der Mensch als ein bereits
17
A.a.O. 33. Vgl. a.a.O. 32f. 19 A.a.O. 62. 20 Vgl. bei Eßer/Gollwitzer, Vorwort, in: Iwand, NW 3 , 1 1 . Iwand bewegt dabei insbesondere der Blick für das Ganze der Heiligen Schrift, die Einordnung des einzelnen Predigttextes in das Gesamtzeugnis der Schrift. 21 Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 19 (Hervorhebung im Original). 22 A.a.O. 22. Vgl. ders., GuE (1937), NW 4, 48. 18
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Vorhandener gerichtet und dann neu geschaffen wird - im Unterschied zur creatio ex nihilo.23 Iwand betont, daß es in dem rechtfertigenden Geschehen in der Predigt immer um den einzelnen geht. „Es wird nur einer ein Christ, wenn er ganz für sich allein hört auf dieses Wort, das ihm gesagt wird in der Kraft des Auferstandenen."24 In der Verkündigung wird der Mensch in die Todesstunde und das Sterben mit Christus versetzt. Hier ist der Mensch mit Jesus als dem Auferstandenen allein. „Die Verkündigung ist die Durchsetzung der Herrschaft Jesu Christi, aber diese Herrschaft ergreift nur jeden fur sich, Christus sammelt uns nicht als Masse und Herde, Jesus kann uns nicht anders heimholen als so, dass er uns vereinzelt."25 Wenngleich Iwand auch noch in seinem letzten Lebensjahr den einzelnen hervorhebt, wo es um das Rechtfertigungsgeschehen geht,26 zeigt sich in den fünfziger Jahren im Vergleich zur Zeit des Nationalsozialismus insgesamt eine veränderte, positivere Beurteilung der „Masse" bei Iwand: „Der Kirchentag [Berlin 1951, R.M.] hat in gewisser Hinsicht den positiven, helfenden Charakter der Massen entdeckt. Die Masse ist nicht nur etwas Abstoßendes, Schreckliches ... Jesus jedenfalls erbarmt sich der Menge, er geht in die Menge, predigt und heilt und gewinnt aus der Menge seine Jünger." 27 „... es ist Unglaube und bürgerliche Selbstgerechtigkeit, wenn man von ihr [der Masse, R.M.] verlangt, daß sie sich in Individuen auflösen soll, ehe sie ansprechbar ist von Gott. Die Gnade Gottes kennt keine Bedingungen, auch nicht die der Vereinzelung." 28
1.1 Predigt und Dogma Iwand bewegt im Blick auf die Verkündigung die Frage nach dem Verhältnis von Predigt und Dogma.29 Er konstatiert ein allgemeines Mißtrauen gegen das Dogma, das „vielen als das Kennzeichen einer gründlichen Verzeichnung dessen, was Jesus wirklich ist"30, erscheint. Diesen Bedenken gibt er dort recht, wo ein Mißbrauch des Dogmas vorliegt, und das ist da der 23
Vgl. Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 22f. A.a.O. 6. 25 A.a.O. 7. Dieser Aspekt des einzelnen wird in Hoffmanns Darstellung der Ethik Iwands vernachlässigt, wenn er allein die Gemeinde als Subjekt des christlichen Ethos versteht (vgl. Hoffmann, Versöhnung, 194-224). 26 Vgl. Iwand, NW 3, 302f (1959): „Es gibt einen Punkt, auf den muß man ganz allein zugehen, wie auf den Tod. Da kann uns niemand begleiten. Da, wo es gilt, reines Herzens zu werden, sind wir immer allein." 27 Iwand, Theologie, NFur 5, 1951, 773. 28 Iwand, Der Berliner Kirchentag, JK 12, 1951, 400; vgl. ders., PM I, 449f. 29 Vgl. dazu bes. Iwand, Dogma, NW 2, 91-105 und ders., Erneuerung, EvErz 3, 1951 Nr. 4, 11-13. Zur Interpretation von Iwand vgl. Gandras, Predigt, 17-20. 30 Iwand, Erneuerung, EvErz 3, 1951 Nr. 4, 11. 24
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Fall, wo sich das Dogma an die Stelle der Verkündigung setzt, wo der Glaube somit auf das Dogma und nicht auf das Evangelium bezogen ist und das Dogma einen Stellenwert wie das Wort Gottes erhält. Dagegen ist das Dogma als die „eigentliche Leistung der Theologie" recht verstanden ,J)ienst an der Verkündigung"31 und ihr notwendiger Inhalt. Es ist Inhalt des Evangeliums, denn die Botschaft, daß Jesus Christus als der Gekreuzigte und Auferstandene bezeugt wird, ist ein Dogma, das von Gott her offenbart ist.32 Das Dogma und die sich darauf beziehende Verkündigung zielen darauf ab, „daß wir den Reichtum und die Fülle, die Breite und Tiefe der Offenbarung Gottes recht ermessen können."33 Das verkündigte Dogma ruft in die Entscheidung des Glaubens und soll so verkündigt werden, daß es dem modernen Menschen „widerfährt als Hilfe, als Erinnerung und Hoffnung neuer Erkenntnisse und eines neuen und kräftigen Glaubens."34 Das Dogma muß den Menschen unserer Tage mit seinen spezifischen Nöten und Fragen ernstnehmen. Ein falscher Gebrauch des Dogmas liegt für Iwand dort vor, wo es als reine Lehre mit den althergebrachten Formulierungen verstanden und nur so weitergegeben wird, indem „man diktiert: Dies ist die rechte Lehre und dies habt ihr zu glauben."35 Iwand fugt in drastischer Ausdrucksweise hinzu: „Es ist erschreckend, wenn man ein solches dogmatisches Knochengerüst auf der Kanzel stehen sieht, das so schauerlich klappert, als ob der Tod selbst an der Stelle stünde, w o eigentlich das Wort des Lebens erklingen sollte." 3 6
Das Dogma soll den Weg zur Offenbarung Gottes, zur Wahrheit freihalten und alle Abwege versperren, auf denen der Mensch Gottes Wort entweichen will. Iwand macht an den Festen von Weihnachten, Ostern und Pfingsten exemplarisch deutlich, daß das Dogma notwenig in die Verkündigung hineingehört, wenn dort etwas gesagt werden soll, was sich der Mensch nicht selber sagen kann. Das Dogma bringt keine langweiligen Predigten hervor, sondern für Iwand gilt umgekehrt: „Der Verrat am D o g m a rächt sich in der Langeweile der Verkündigung. D i e Langeweile der Verkündigung ist nicht nur eine Folge des technischen Unvermögens der Prediger, sondern sie ist eine Folge dessen, daß hier nichts mehr geschieht, daß sich
31 Ebd. (Hervorhebungen im Original). Vgl. ders., Protestantismus als Aufgabe (1955), NW 2, 320: „Dogma als Richtschnur der Verkündigung. Dienststellung des Dogmas gegenüber der Botschaft." (Hervorhebung im Original); vgl. Gandras, Predigt, 17. 32 Vgl. Iwand, Erneuerung, EvErz 3, 1951 Nr. 4, 11; ders.. Christliche Verantwortung, NW 2, 303; ders., Dogma, NW 2, 92f,97. Iwand weist daraufhin, daß der Begriff Dogma zwar im NT nicht vorkommt, aber der Sache nach vorhanden ist. „Man nennt das dort Lehre, heilsame Lehre oder auch reine Lehre, man nennt es Botschaft, Evangelium, Wort der Wahrheit oder Wort Gottes." Iwand, Dogma, NW 2, 91. 33 Iwand, Erneuerung, EvErz 3, 1951 Nr. 4, 12. 34 Iwand, Dogma, NW 2, 98. 35 Ebd. 36 Ebd.
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nichts mehr ereignet, daß nur noch Gewohntes, Bekanntes, in uns selbst Angelegtes von der Stelle uns entgegenklingt, von der das ganz Andere, das, was in keines Menschen Herz gekommen ist, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, kundgemacht werden soll." 37
2. Der Prediger und die Aufgabe der Predigtmeditation
Iwand tritt dafür ein - und seine Predigten belegen dies - , daß die Verkündigung nicht an der konkreten Wirklichkeit und Situation des Hörers vorbeigehen darf. Gott sendet heute Boten zu heute lebenden Menschen. Iwand will deutlich machen, daß „... das Wort Jesu seine bestimmte Adresse hat und seine Boten es darum nicht poste restante Jägern' dürfen, als ob es sich jedermann .abholen' könnte. Es geht Gott mit der Sendung Jesu um eine Aktion an heute lebende Menschen, und die Predigt... ist aktuelle Wahrheit Gottes, für die Menschen im Heute ihres Lebens bestimmt, und zwar fur verlorene, gefangene, blinde und kranke, ja tote Menschen, die man fangen, ansprechen, erschüttern, locken, lieben muß, wenn man Gottes Auftrag gerecht werden will;... wenn man sie fur das ewige Leben gewinnen will!" 3 8
Dennoch stellt für ihn der Hörer nicht eine eigene „Kategorie" im Nachdenken über die Verkündigung dar. Wenn die Predigt auf das Wort der Schrift gegründet ist und von dort ausgeht, dann ist darin auch die Bezogenheit auf den Hörer gegeben: „Das Wort Gottes (verbum dei), das wir in der Schrift suchen und finden, enthält in sich schon die Beziehung auf den Menschen, so daß die rechte explicatio auch die rechte applicatio in sich schließt"39. Es geht bei der Botschaft der Bibel nicht um Wahrheiten an sich, sondern um Christus und das Heil „pro me", so daß das Wort nicht erst nachträglich auf den Hörer bezogen werden muß. Häufiger beschäftigt Iwand sich dagegen mit dem Verkündiger des Wortes und seiner Aufgabe. Er versteht den Prediger als Boten und Zeugen.40 Den Boten wie den Zeugen kennzeichnet, daß er nicht von sich selbst redet, 37
A.a.O. 94. Iwand, PM 1, 449 (Hervorhebung im Original). Vgl. ders., Der Berliner Kirchentag, JK 12, 1951,400. 39 Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 71. Negativ formuliert er dasselbe in PM I, 94: „Wahrscheinlich wird, wo die applicatio nicht stimmt, auch die explicatio nicht stimmen." 40 Vgl. dazu: Christoph Bizer, Unterricht und Predigt. Analysen und Skizzen zum Ansatz katechetischer Theologie, Gütersloh 1972, 93f; Gandras, Predigt, 71-79; Bittner, Aspekte, ThBeitr 12, 1981, 73f; Hermelink, Homiletische Situation, 77-83. Vom Botendienst, den der Prediger im Auftrag Gottes auszuführen hat, spricht Iwand vor allem in der HomiletikVorlesung. Der Bote proklamiert den Sieg und die Thronbesteigung des Königs; vgl. Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 10.1-3; ähnlich auch ders., PM I, 421; ders. NW 3, 25f, ders., Heilige Schrift, G A I, 113. 38
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sondern im Auftrag eines anderen spricht, von sich selbst weg- und auf einen anderen hinweist. Urbild des Predigers und des Predigtamtes ist für Iwand mit Luther Johannes der Täufer in seiner ganzen Existenz. 41 Johannes als der von sich wegweisende Zeuge ist nichts ohne den ihm nachfolgenden Herrn, und die Mitte der Botschaft sieht Iwand darin, daß sie keine Position, sondern „eine Negation ist: Ich bin nicht der Christus!" 42 Dieses Johanneszeugnis ist nicht nur historisch zu verstehen, als wenn es sich mit dem Auftreten Jesu erfüllt hätte und somit heute ohne Bedeutung wäre, sondern es fragt sich, „... ob nicht diese Negation so wesentlich zu dem Amt der Verkündigung von Jesus Christus hinzugehört, als Form zum Inhalt, als die notwendige, unvermeidliche, menschliche Existenzweise der sich selbst erweisenden Realität Gottes gegenüber, als der leere Rahmen, in dem dann das Bild selbst erscheint, als Stimme, in der das Wort selbst laut wird ,.." 43
Dadurch, daß der Zeuge nicht von sich selbst und seinen Erlebnissen, sondern von einem anderen spricht, ist es keine subjektive Wahrheit, die er verkündet. „Im Zeugnis wird die Wahrheit des Bezeugten von der Person dessen, der sie bezeugt, abgelöst, wird ,objektiv', öffentlich gültig." 44 Es ist das „Nicht-Ich" des Zeugen, das die Sachlichkeit des Zeugnisses wahrt. 45 Die Objektivität des Zeugnisses und das Wegweisen des Zeugen von sich selbst ist aber nicht zu verwechseln mit Teilnahmslosigkeit an der Sache. Im Gegenteil: Der Zeuge ist dabei ganz mit hineingenommen in das Geschehen der Verkündigung, muß selber vom Geist Gottes ergriffen und beschlagnahmt sein, um Zeuge Jesu Christi sein zu können. „Geist und Zeugnis hängen doch wohl so zusammen, daß uns erst der Geist wirklich extra nos stellen muß, daß er uns von uns selbst frei ... machen muß, damit wir Zeugen sein können." 46 Die Berufung zum Zeugen heißt, mit seinem ganzen Leben, mit der ganzen Existenz von Gott in Beschlag genommen zu sein. Bittner bemerkt zutreffend: „Zeugenschaft ist kein Beruf, den man abstrahierend von der eigenen Existenz ausüben könnte." 47 So wie die Existenz des Paulus die eines Redenden ist, so gilt für jeden Prediger des Wortes Gottes, daß „das Wort
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Iwand zitiert aus Luthers Auslegung aus WA 10/1.2; 204,20-25; vgl. Iwand, PM I, 422; ders., Ad malos, 1. 42 Iwand, PM I, 420; vgl. a.a.O. 421 f. 43 A.a.O. 421. 44 Ebd.; vgl. a.a.O. 431. 45 A.a.O. 500. 46 A.a.O. 499f. Gandras, Predigt, 77: „Versachlichung bedeutet präzise Besinnung auf das aufgetragene Zeugnis und Erinnerung an die Pneumatologie als Ermöglichung des Zeugendienstes." (Hervorhebungen im Original). Gandras sieht in der Pneumatologie den „Angelpunkt von Iwands Theologie". A.a.O. 82. 47 Bittner, Aspekte, ThBeitr 12,1981,73.
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bestimmend für die Existenz"48 ist. Hinter diese Berufung gibt es für Iwand kein Zurück: „ B e r u f u n g aber bedeutet: d a ß wir unser Lebensschicksal aus der H a n d Gottes e m p f a n g e n , unsere S e n d u n g an die Welt, daß sich hier eine R i c h t u n g u n s e r e s L e b e n s und S t e r b e w e g e s auftut, die wir nicht ändern, die w i r h ö c h s t e n s überschreiten und somit unserer B e r u f u n g untreu w e r d e n k ö n n e n . " 4 9
Der Prediger ist gebunden an Gottes Wort und seinen Auftrag und darf allein dem Wort Gottes folgen. In einer Predigt fragt Iwand, ob die Gemeinden sich darüber im klaren sind, daß der „Prediger ein Gebundener des Wortes ist, gehalten, niemandem zu Gunst und Gnaden zu reden denn allein seinem Herrn"50. Noch kurz vor seinem Tod beklagt Iwand allerdings, „es sei bei den Predigten junger Pfarrer so selten ein aus eigener Erfahrung kommendes lebendiges Zeugnis zu hören."51 Der Prediger muß selber in die Bewegung des Wortes Gottes mit hineingenommen worden sein, bevor er Gottes Wort verkündigen kann.52 Iwand geht es in seinen Predigtmeditationen53 nicht zuletzt darum, daß der Prediger in die Bewegung des Wortes Gottes vom geschriebenen Wort zur viva vox, die darin enthalten ist, einbezogen wird, um
48 Iwand, PM I, 185 (gegen Schleiermacher, bei dem das Reden lediglich der Ausdruck der Existenz ist, vgl. ebd.). 49 Iwand, Verhältnis, GA I, 212; vgl. ders., NW 3, 89: „... man kann das Evangelium verkündigen ... wie einen Beruf, den man ergreift und wechselt, das ist aber keine Berufung von Gott, kein wahrer Dienst an dieser Botschaft, sondern wer wahrhaft berufen wird zu der Verkündigung dieser Worte, müßte sich selber schon aufgeben, wenn er dieses lösen wollte." Vgl. auch die eindringliche Predigt Dietrich Bonhoeffers über Jer 20,7 von 1934: „... es ist das fremde, unbekannte, unerwartete, gewalttätige, fremde Wort des Herrn, der in seinen Dienst ruft, wen und wann er will. Da hilft kein Widerstreben. ... Dem Menschen ist ein Lasso über den Kopf geworfen und nun kommt er nicht mehr los. ... Er ist Gefangener, er muß folgen. Der Weg ist vorgeschrieben. Es ist der Weg des Menschen, den Gott nicht mehr losläßt, der Gott nicht mehr loswird." Bonhoeffer, Predigten - Auslegungen - Meditationen. 1925-1945, hg.v. Otto Dudzus, Erster Band: 1925-1935, München 1984, 426. 50 Iwand, NW 3, 26. 51 Gollwitzer, Geleitwort, in: Iwand, PM I, 6. 52 Vgl. Bizer, Unterricht, 91-99, der in der Bewegung des Wortes Gottes das „Schlüsselwort, das Iwand die Polarität von Schrift und Verkündigung zu behaupten erlaubt", sieht; a.a.O. 91. Vgl. Niels Hasselmann, Predigthilfen und Predigtvorbereitung, Gütersloh 1977, 85: Die Meditation „... kann nur in die Eigenbewegung des selbsttätigen Wortes einweisen und den eschatologischen Punkt treiben, wo wir als Sünder ganz mit leeren Händen dastehen und auf die Gnade Gottes hoffen, auf ein Sich-Ereignen des befreienden Evangeliums. Iwand folgt also in Anspruch und Meditationsstil ganz streng der lutherischen Struktur von Gesetz und Evangelium, Buchstaben und Geist, Forschung und Verheißung, Geschichte und Offenbarung." (Hervorhebungen R.M.). 53 Zu Iwands Predigtmeditationen insgesamt vgl. Gandras, Predigt. Vgl. auch Hermelink, Homiletische Situation, 31-95; Bizer, Unterricht, 87-106; Hasselmann, Predigthilfen, 68-85; Heinrich, Verheißung, 142-150; Sänger, BVP, 325-330; Jürgen Henkys, Ansätze des Predigtverständnisses, in: Handbuch der Predigt (bearb. v. Karl-Heinrich Bieritz u.a.), Berlin 1990,48-50.
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„immer wieder das neue, so noch nie gesehene, so noch nie vernommene Evangelium"54 zu hören und dann zu bezeugen. Die Predigtmeditation als "Mittelding zwischen Exegese und Verkündigung"55 darf bei Iwand als Predigt am Prediger in Gesetz und Evangelium verstanden werden.56 Das Wort Gottes kann nur den beschenken und reich machen, der als Bedürftiger vor Gott steht, so daß die Armut des Predigers als Voraussetzung für die Verkündigung gesehen werden kann. Bizer urteilt zu Recht: „Dem lebendigen Gott als Subjekt seines Wortes muß als Empfänger der Mensch in Hilflosigkeit und Leere entsprechen. Die Meditation ist so Anleitung zur Armut, indem sie den Reichtum Gottes am Text enfaltet."57 Wenn Iwand die Schuld der Prediger an der Lähmung der Verkündigung darin sieht, „daß wir nicht bedürftig genug, nicht leer, arm, blind, lahm und gottfern genug an den Text herankommen ,.."58, dann dürfte das Ziel dieser Anklage darin liegen, daß der Prediger wieder bedürftig, leer usw. wird, daß also die Funktion des Gesetzes am Prediger ausgeübt wird. Iwand unterstreicht die Bedeutung des Redens Gottes zum Verkündiger in Gesetz und Evangelium, wenn er im Blick auf die Zeugen Jesu sagt: Es sind „Menschen, die aus dem Tode ins Leben gekommen sind ..., die den unerhörten Schritt vom Tode ins Leben in der Kraft des Auferstandenen und des von ihm gesandten ,Trösters' vollzogen haben (vgl. Joh. 11 Auferweckung des Lazarus). ... - diese allein werden das Zeugnis des Geistes gegenüber der Welt ausrichten können. So schafft sich Gottes Geist seine ,Sprecher' in der Welt, indem er tötet und lebendig macht!" 59
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Iwand, PM I, 196. Es geht um die Verheißung, die im Text enthalten ist; vgl. a.a.O. 60. Vgl. auch das bekannte Wort Iwands über das Ziel der Predigtmeditationen, a.a.O. 196: „Das möchten unsere Meditationen sein, nichts anderes als ein Ausschauhalten nach diesem Licht, ein Rufen und Fragen, ob die Nacht schier hin ist, ein Postenbeziehen an der einzigen Stelle, wo wirklich Hilfe kommt, wo das Herz fest wird und ein neuer, gewisser Geist unser wartet. Ein Anklopfen möchten sie sein, und ein Einlaßbegehren an der Tür, die ins ewige Leben führt." 55 A.a.O. 59. 56 Vgl. Hermelink, Homiletische Situation, 88; Hasselmann, Predigthilfen, 75.85. Daß Iwands Predigtmeditationen selbst auch Predigtcharakter haben, zeigt ein Vergleich der Meditationen mit den von Iwand zu dem gleichen Text in jener Zeit gehaltenen Predigten. Vgl. NW 3, 156-161 mit PM II, 105-110; NW 3, 213-225 mit PM I, 455-462; NW 3, 271-277 mit PM I, 516-522; NW 3, 278-287 mit PM I, 547-555 und bes. NW 3, 226-234 mit PM I, 320326. Bei dem letztgenannten Beispiel finden sich - abgesehen von der Einleitung - weite Passagen mit fast wörtlicher Übereinstimmung zwischen der Predigtmeditation und der ausgeführten Predigt. 57 Bizer, Unterricht, 98. 58 Iwand, PM I, 195. Vgl. Bizer, Unterricht, 104, Anm. 301: „Wird dieses Vorwort Iwands zu Recht als .Predigt' klassifiziert..., dann könnte eine Analyse des ganzen Dokuments möglicherweise das Ergebnis bringen, daß für den Leser das Geforderte im Endeffekt,bewirkt' wird, so daß doch wieder nicht das ,bloße Postulat' konstatiert werden dürfte." 59 Iwand, PM I, 443.
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3. Zusammenfassung
1. Iwand versteht die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als ein Geschehen, das sich in der Predigt in der Kraft des Heiligen Geistes ereignet. Predigt ist Verkündigung des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium, als richtendes und begnadigendes Wort, in ihr geschieht die Rechtfertigung des Sünders, der aus dem Tod ins Leben gerufen wird. Die Predigt steht als Wort Gottes in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift, mit den Aposteln und Propheten, geht aber über die Textauslegung darin hinaus, daß in ihr das ganze Heil verkündet wird. Die Predigt ist kirchengründend, «richtend und -erneuernd. Das Dogma als Inhalt der göttlichen Offenbarung gehört notwendig in die Predigt hinein, sofern in der Predigt etwas gesagt wird, was sich der Mensch nicht selber sagen kann. In den fünfziger Jahren ist Iwand im Unterschied zu früheren Aussagen mit der Gleichsetzung der Predigt mit dem Wort Gottes ähnlich zurückhaltend wie in der Frage nach der Identität von Heiliger Schrift und Wort Gottes. Es liegt in der Freiheit Gottes, die Heilige Schrift und die Predigt je zu Gottes Wort werden zu lassen. 2. Den Prediger versteht Iwand als Boten und Zeugen. Urbild des Predigers ist Johannes der Täufer als der von sich wegweisende und allein auf Christus hinweisende Zeuge, der mit seiner ganzen Existenz von Gott berufen ist. Der Prediger ist nur gebunden an Gottes Wort und Auftrag. Um recht predigen zu können, muß er erst selber in die Bewegung vom geschriebenen Wort zum lebendigen Wort des Evangeliums mit hineingenommen worden sein, wozu die Predigtmeditationen in Iwands Verständnis eine Hilfe sein können.
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II. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Predigt
Die Definition der Predigt als „Predigt von Gesetz und Evangelium" bedarf der Präzisierung. Die Frage, wozu die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Lehre und Verkündigung dienen soll, steht für Iwand am Anfang seiner Vorlesung und wird von ihm so beschrieben: ,,a) es muß diese Unterscheidung zur Verherrlichung Jesu Christi dienen, sie muß ein Werk des Geistes Gottes sein, b) sie muß den Menschen in die Gegenwart des Heils, in das Heute der Gnade Gottes stellen." 1
Diese Zielvorgabe muß bei allen weiteren Überlegungen im Auge behalten werden, denn sie besagt im Blick auf die Verkündigung, daß jede Predigt den Glauben, das Heute des Heils - also das Evangelium - zum Ziel hat. Das gilt bei Iwand für die Predigt des Gesetzes ebenso wie für die Verkündigung des Evangeliums.
1. B u c h s t a b e u n d Geist
Wichtig für das weitere Verständnis ist Iwands Gegenüberstellung von Buchstabe und Geist, vom „Dienst im alten und neuen Bund." 2 Buchstabe und Geist sind zwei Formen des Wortes Gottes, der Offenbarung Gottes, als tötendes und lebendigmachendes Wort. Es geht um das Amt des Mose im Alten Bund im Gegensatz zum Amt des Geistes im Neuen Bund; beide Male wird das Wort Gottes verkündigt, das eine Mal zum Tod und das andere Mal zum Leben. Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um den Gegensatz von Gesetz und Evangelium, aber Iwand nimmt eine Präzisierung vor, die für sein Verständnis des Gesetzes von fundamentaler Bedeutung ist: „,Gramma' ist gleich ,nomos', gramma liegt da vor, wo der nomos 1 Iwand, GuE (1937), NW 4, 20. Vgl. explizit im Blick auf die Predigt: „Predigen heißt, die Wendung herbeiführen, die der Mensch selbst nicht herbeiführen kann, ihm ein aus Gott geborenes Leben schenken." Iwand, Studien, GA I, 52. 2 Iwand, GuE (1937), NW 4, 165; vgl. a.a.O. 165-172; ders., PM I, 267-271.
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in sich selbst Genüge hat, wo er nicht über sich hinausweist ..."3. Iwand unterscheidet das Gesetz Gottes, das als Amt des Buchstabens verkündigt wird und den Tod bringt, von dem Gesetz Gottes, das von Christus her gepredigt wird und zu ihm hinfuhrt, den Menschen in die Buße fuhrt.4 Das Gesetz als „Buchstabe" tötet ohne die Hoffnung auf Christus und das Ziel des Heils, während das Gesetz als „Geist" in die Sündenerkenntnis und Buße und damit zum Heil fuhrt.5 Das Gesetz unter der Voraussetzung des Amtes des Geistes bringt Erkenntnis der Sünde und ihrer Macht, es schenkt Gotteserkenntnis und macht die Verlorenheit des Menschen offenbar; es ist darin richtendes Wort - aber immer mit dem Ziel des ewigen Lebens. Vom Gesetz als allein tötendem Wort Gottes - ohne die darin verborgene Rettung spricht Iwand fast nur dort, wo er vom Gesetz als Amt des Buchstabens, unter dem Vorzeichen des alten Bundes, handelt.6 Beim Amt des Buchstabens ergeht grundsätzlich die Verkündigung als ein nur tötendes Wort, während beim Amt des Geistes die Verkündigung - auch von Gesetz und Evangelium - als lebenschaffendes Wort ergeht. Während die Evangeliumsverkündigung immer eindeutig als Amt des Geistes geschieht - sonst wäre sie nicht Verkündigung des Evangeliums - , kann die Predigt des Gesetzes als Amt des Geistes oder als Amt des Buchstabens erfolgen. Das Ziel des christlichen Verkündigers muß immer sein, als Prediger des neuen Bundes in Jesus Christus das Amt des Geistes zu fuhren - auch und gerade als Verkündiger von Gesetz und Evangelium. Zwar ist die Predigt des Gesetzes allein nie lebenschaffend, weil das Gesetz nicht weiter fuhren kann als zur Erkenntnis der Sünde, aber im Amt des Geistes liegt das Ziel des Gesetzes immer in der Verkündigung des Evangeliums und ist darauf bezogen. Das Amt des Geistes findet aufgrund der Offenbarung Gottes durch seinen Heiligen Geist den Inhalt, die Einheit und Mitte der Heiligen Schrift in Jesus Christus, während fur das Amt des Buchstabens die Schrift in viele einzelne
3
Iwand, GuE (1937), NW 4, 166 (Hervorhebung R.M.). Vgl. a.a.O. 22. 5 Vgl. a.a.O. 26: „... der Pharisäer, der ... das Gesetz als Buchstabe (grammata) verstanden hatte, war der, den das Gesetz verstockt hatte. ... Der Sünder, der Buße tut, ist die Frucht des Gesetzes. Aber dieser Sünder, der Buße tut, ist nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade." 6 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 166: „Das Amt des Buchstabens bringt den Tod und bringt den Tod gerade dadurch, daß es das Wort Gottes verkündigt." Die Propheten des AT sind für Iwand auch in ihrer Gesetzesverkündigung darin Prediger des neuen Bundes, „daß die ganze Frage des Gesetzes daran hängt, daß dem Menschen eine neue Erkenntnis gegeben wird, daß das Herz sich wandelt, daß der Mensch umkehrt und Buße tut, daß er Liebe übt." A.a.O. 168f. Zur Predigt des Gesetzes unter dem Vorzeichen des Amtes des Geistes, des neuen Bundes, vgl. Iwands Aufsatz „Die Predigt des Gesetzes", GA II, 145-170. 4
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Worte und Vorschriften zerfällt. 7 Jeder Verkündiger steht in der Gefahr, vom Amt des Geistes in das Amt des Buchstabens zurückzufallen. „Es ist also eine f u r c h t b a r e Verantwortung, die uns übertragen ist mit d e m A m t der O f f e n b a r u n g , mit d e m A m t des W o r t e s Gottes; denn j e d e s m a l , w e n n ich dieses A m t e s walte, j e d e s m a l , w e n n ich verkündige, steht j a die Frage über mir, ob dieses W o r t Gottes, das ich da ausrichte, wirklich ausgerichtet wird als ein l e b e n s c h a f f e n d e s oder als ein t o d b r i n g e n d e s Wort. Die toten G e m e i n d e n sind weithin getötete G e m e i n den, und der, der sie tötet, der steht dann auf der Kanzel und w e i ß es nicht und schlägt i m m m e r m e h r darauf los ..." 8
Iwand mahnt den Prediger, sich selbst zu fragen, ob er vom Sinai oder von Golgatha herkommt, ob sein Amt ein Amt des Todes oder des Lebens ist. Es ist zwar derselbe Gott im alten und neuen Bund, aber er setzt im neuen Bund einen neuen Anfang, um in Christus die Menschen zum Leben zu führen. Iwand weiß, daß er mit dieser Trennung von altem und neuem Bund in die Nähe der deutschen Christen geraten kann, die im AT einen anderen Gott als im NT sehen und daß „an diesem Punkt die schärfsten Differenzen aufbrechen werden mit der Theologie Calvins" 9 , aber um der Wichtigkeit dieser Unterscheidung willen als der Frage von Tod und Leben muß er daran festhalten. 10 Es reicht nicht aus, sich darauf zu berufen, „daß wir Gottes Wort verkündigen, daß wir schriftgemäß verkündigen und daß wir uns an die Offenbarung Gottes halten im Unterschied zu Menschensatzungen." 11 Alle Ausführungen Iwands über die rechte Verkündigung von Gesetz und Evangelium müssen unter der Voraussetzung gelesen werden, daß es ihm dabei um das Amt des Geistes geht, das zum Leben in Christus fuhrt. Iwands Unterscheidung von Geist und Buchstabe stellt die Verbindung von Heiligem Geist und dem Wort als verbum externum nicht in Frage. Der Heilige Geist bindet sich nach Iwand an das äußere Wort der Schrift und der Predigt, aber erst in der Einheit von dem verbum externum mit dem Heiligen Geist kann das Wort als lebendigmachendes Wort ergehen: „Der Z u s a m m e n h a n g von W o r t und Geist, der j a f ü r die V e r k ü n d i g u n g von ungeheurer Wichtigkeit ist, wird verstanden darin, d a ß die M a c h t des Bösen durch das Wort Gottes gebrochen wird. ... W e n n W o r t und Geist z u s a m m e n k o m m e n , dann schlägt die Stunde der B e f r e i u n g , eleutheria." 1 2
7 „Eins ist der Inhalt der Heiligen Schrift, Jesus Christus, der gekommen ist, selig zu machen, alle, die an ihn glauben.... Das Amt des Geistes wird sich also dadurch auszeichnen, daß es das Wort Gottes als das eine Wort verkündigt, als das Wort des einen Gottes, der die Vielfalt seiner Offenbarungen zusammengefaßt hat in dem einen Wort, das er in seinem Sohn der Welt verkündigt hat." Iwand, GuE (1937), NW 4, 168f. 8 A.a.O. 171. 9 A.a.O. 172. 10 Iwand geht es darum, daß „... wir den Unterschied von Geist und Buchstabe so radikal fassen als den Unterschied von Leben und Tod...". A.a.O. 169. 11 A.a.O. 172. 12 Iwand, Homiletik, Iwand-Archiv, 55. Die Verbindung von Wort und Geist, wie sie in CA V und ASm VIII (BSLK. 58.453^)56) gegen die Schwärmer festgehalten wird, wird durch
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2. Die Predigt des Gesetzes
In dem 1934 erschienen programmatischen Aufsatz „Die Predigt des Gesetzes"13 fuhrt Iwand aus, wie er die Gesetzespredigt unter der beschriebenen Voraussetzung des Amtes des Geistes versteht. Iwand legt den Akzent auf das Wort Predigt und definiert die Predigt des Gesetzes zu Beginn der Schrift als ein Geschehen von Gott her, in dem er uns sagt, wie er unser Leben will. Dabei ist die Gesetzespredigt nicht das in Stein gehauene und buchstäblich tradierte Gesetz - wie im Dienst des Buchstabens sondern „die Proklamation des Willens Gottes ... in der Gegenwart des zu uns sprechenden Gottes."14 Das Gesetz ergeht als das lebendige Gotteswort, es ist als νόμος in den λόγος gefaßt.15 Iwand bringt sein Gesetzesverständnis, wie es als Amt des Geistes erkennbar wurde, auf die prägnanten Sätze: „ D i e Gesetzespredigt m u ß g l a u b e n w e c k e n d e und g l a u b w ü r d i g e V e r k ü n d i g u n g sein. D a s kann sie aber nur dann, w e n n sie selbst schon von J e s u s Christus h e r k o m m t . N u r die Gesetzespredigt, die von ihm h e r k o m m t , f u h r t zu ihm hin ,.." 1 6
Iwand will die Gesetzespredigt nicht verstanden wissen als praeparatio ad gratiam, sondern sie ist „... selbst schon ein Stück aus dem Ganzen der frohen Botschaft"17. Damit bringt Iwand die sachliche Vorordnung des Evangeliums und die Richtung vom Gesetz zum Evangelium hin zum Aus-
Iwands Gegenüberstellung von Buchstabe und Geist nicht berührt. Anders verhält es sich mit Iwands späterer Trennung von Gottes Wort „an sich" und dem verbum externum; s.o. Teil 1.II. 1.2 Heilige Schrift und Gottes Wort in ontischer Unterscheidung, 53ff. 13 Iwand, Predigt, GA II, 144-170. Die Schrift ist auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung um den Volksnomos und die damit verbundene Frage nach dem Offenbarungscharakter des Gesetzes zu lesen. Vgl. Iwands selbstkritische Haltung zu diesem Aufsatz seinem Lehrer Rudolf Hermann gegenüber, dem er vor Abgabe der Schrift mitteilt: Es „... wird ein Aufsatz von mir über die Predigt des Gesetzes erscheinen. Er ist ein Ausdruck meiner Abgekämpftheit, aber ich wollte doch wenigstens etwas .produzieren'." Iwand, NW 6, 264. Die Frage nach der Predigt des Gesetzes hat Iwand immer wieder beschäftigt; vgl. die briefliche Äußerung vom 13.7.1945: An Heinz Kloppenburg, in: Gerhard Besier u.a. (Hg.), Kirche nach der Kapitulation, Bd. 2, Stuttgart/Berlin/Köln 1990, 107: „Was denken Sie zu einem Thema wie: die Predigt des Gesetzes. Ich würde das gem wieder einmal aufgreifen." Vgl. auch Iwand, Predigt, NW 2, 74-90. 14 Iwand, Predigt, GA II, 145. 15 Vgl. ebd.; a.a.O. 169: „... nicht erst bei der Gnadenverkündigung hebt das ,Christsein' an, sondern es entscheidet sich bereits darin, ob der Nomos über den Logos oder der Logos über den Nomos herrscht." Vgl. ders., Predigt, NW 2, 77: „Dieses Gesetz ist Wort - es ist der in den Logos gefaßte Nomos Gottes!" 16 Iwand, Predigt, GA II, 145. 17 A.a.O. 146.
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druck.18 Iwand begründet diese These damit, daß „wir es in Jesus Christus glauben dürfen und müssen, daß die, zu denen Gott redet, je schon sein Eigentum, je schon seine Erwählten sind."19 Ein Vergleich mit anderen Aussagen Iwands aus jener Zeit zur Frage der Prädestination zeigt, daß er die Erwählung als souveräne Handlung Gottes versteht, die dem menschlichen Verfügen und Erkennen verborgen ist. Annahme und Ablehnung des Evangeliums in der Verkündigung sind aus der Prädestination zu erklären.20 Im Gegenüber zu weltlichen Gesetzen, deren Befolgung durch Zwang erreicht werden kann, ergeht das Gesetz Gottes in der Schwachheit des Wortes, aber dafür ist ihm eine Verheißung gegeben, die kein anderes Gesetz hat: die Freiheit vom Gesetz, die damit gegeben ist, daß Gott dem Menschen sein Gesetz ins Herz und in den Sinn schreibt.21 Die Predigt des Gesetzes als usus elenchticus ruft den Menschen in die Gemeinschaft mit Gott, in den verlorenen Ursprung und erinnert ihn an sein Woher und Wohin. Von dieser Gesetzespredigt soll niemand ausgenommen werden, die Gebote Gottes gelten jedem Menschen. Kein Mensch ist so sündig oder so gerecht, daß ihm dieses Wort Gottes nicht gilt - es ruft jeden zur Umkehr.22 Das Ziel dieser Gesetzespredigt ist die Erkenntnis von der Macht der Sünde, die Selbsterkenntnis des Menschen, der Gottes Gebot hört. Iwand schärft den Kandidaten im Predigerseminar ein: „... das Gesetz offenbart die Macht der Sünde, und j e reiner Sie die Gebote predigen, desto offenbarer wird die Macht der Sünde. Wir dürfen nicht Rücksicht darauf nehmen, wie weit das Gesetz erfüllbar ist, sondern wir müssen fragen, was Gott will! ... Wir dürfen den Menschen nicht den Willen Gottes vorenthalten. ... Sie haben alle ein Recht darauf, daß Gott sie anspricht von seinem Gebot und von seinem Willen her, um an ihnen die Macht der Sünde zu offenbaren ,.." 23
Die Predigt des Gesetzes macht dem Menschen seine Stellung vor Gott offenbar mit dem Ziel, daß die Verzweiflung des Menschen an sich selbst und der Glaube an Gott zusammenfallen.24 Iwand sagt weiter über das Ziel der Gesetzespredigt: „Die Predigt des Gesetzes erfüllt sich also in der 18
Über die inhaltliche Reihenfolge von Gesetz und Evangelium in der Verkündigung ist damit noch nichts ausgesagt. 19 Iwand, Predigt, GA II, 146. 20 Vgl. Iwand, Bedeutung, GA I, 27f; vgl. ders., Homiletik, Iwand-Archiv, 44-49. 21 Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 150. Vgl. Jer 31,33f. Vgl. Iwand, Predigt, NW 2, 80. 22 Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 151-154. „Darum ist das erste Gebot aller Gesetzesverkündigung, das Gebot Gottes so zu verkündigen, daß es jedem gilt." A.a.O. 153. 23 Iwand, GuE (1937), NW 4, 43. Beachtenswert ist hier seine Mahnung: „Wenn Sie etwa sagen: ,Was soll ich einem solchen liederlichen Menschen noch predigen vom 6. Gebot?', dann sagen Sie damit, daß dieser Mensch so verkommen sei, daß der reine Wille Gottes diesem Menschen nichts mehr bedeute. Das aber können Sie nicht wissen." Ebd. 24 Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 155. Das geschieht dort, wo die Sündenerkenntnis zum Sünienbekenntnis wird; vgl. ders., GuE (1937), NW 4, 53.153; ders., Predigt, NW 2, 77, wo Iwand ausführt, daß das Gesetz als lebendiges Gotteswort von der desperatio zur confessio führt.
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Selbsterkenntnis des Menschen, und wenn es keine Predigt des Gesetzes in der Welt gäbe, dann gäbe es auch für den Menschen keinen Weg, sich selbst zu erkennen."25 Die Selbsterkenntnis des Menschen, und das heißt für Iwand die Erkenntnis seiner Sünde und Verlorenheit vor Gott, kann der Mensch nicht auf anderen Wegen als über das in Christus erfüllte Gesetz Gottes gewinnen. Die Selbsterkenntnis durch das Gesetz geschieht durch Gottes Geist und gehört hinein in das Offenbarungsgeschehen Gottes.26 Die sündenaufdekkende Funktion beschreibt Iwand als die erste Aufgabe der Gesetzespredigt. Die Heilsbedeutung des Gesetzes liegt darin, daß es Erkenntnis bringt und den Unglauben, die Sünde und den Tod offenbart. In dieser Erkenntnis liegt auch gleichzeitig die Grenze des Gesetzes, da es nicht mehr leisten kann als das - es kann den Sünder nicht zum Tun des Willens Gottes fuhren.27 Wo das Wissen um diese Grenze des Gesetzes nicht da ist, verkommt die Gesetzespredigt zu einer Moralpredigt, die den Menschen durch die Verkündigung des Gesetzes sittlich bessern will und das Tun des Gesetzes zum Ziel hat.28 Das Besondere in der Gesetzes Verkündigung Jesu sieht Iwand darin, daß bei ihm nicht das Gesetz dem Menschen seine Sünde offenbart und ihn dann im Verlorenen läßt, sondern wenn „er die Menschen zu Sündern macht, dann sind sie die Geretteten; wenn er ihnen die Krankheit aufdeckt, dann sind sie die zum Heil Berufenen ..,"29 Sündenaufdeckung und freudige Umkehr - Freude, weil der Mensch sich als einer erkennt, der in Gottes Hand ist - gehören zusammen.30 Zwischen dem Gesetz vom Sinai und dem Gesetz der Bergrede besteht die Alternative, „die über jeder Gesetzesauslegung steht, die Wasserscheide zwischen dem Buchstaben, der tötet, und dem Geist, der Leben schafft."31 Diese Alternative zwischen Buchstabe und Geist in der Gesetzesverkündigung muß jedem Prediger bewußt sein. Jeder Prediger des Gesetzes muß auch wissen, daß er der erste ist, der vom Gesetz
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Iwand, Predigt, GA II, 155. Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 155: „Wenn nur die Kirche in ihrer Verkündigung begreifen wollte, daß bereits in der Predigt des Gesetzes die Entscheidung über den Offenbarungscharakter des Christentums fällt..." (Hervorhebung im Original); vgl. ders., GuE (1950), N W 4, 275: „Die Predigt des Gesetzes wirkt also etwas Großes, w o sie wirklich etwas anderes ist als Moralpredigt: sie offenbart dem Menschen sein Sein vor Gott. Das ist der Offenbarungscharakter der Gesetzesverkündigung." (Hervorhebung im Original). 26
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Vgl. Iwand, Predigt, GA II, 158f. Vgl. a.a.O. 157f. Eine moralisierende Gesetzesverkündigung ist nicht Gesetzespredigt, sondern eine gesetzliche Predigt. Vgl. dazu die mit vielen Predigtbeispielen belegte Untersuchung von Manfred Josuttis, Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart, SPTh 3, München 2 1969. 28
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Iwand, Predigt, GA II, 162. Vgl. Iwand, GuE (1937), N W 4, 2 5 - 2 8 . Iwand, Predigt, GA II, 161.
getroffen und gerichtet wird - bevor das Wort des Gesetzes an die hörende Gemeinde ergeht. Er ist der erste Sünder unter denen, die das Gesetz hören. Wenn Iwand des weiteren davon spricht, daß die Predigt des Gesetzes als Verkündigung des Willens Gottes so geschehen muß, „daß Wollen und Vollbringen darin eingeschlossen sind, daß Gottes Gesetz und des Menschen Wille nicht mehr Feinde sind ..."32, dann meint er hier offensichtlich die Wirkung des Gesetzes an den Gläubigen in der Heiligung. Wer zur Erkenntnis und zum Bekenntnis der Sünde gekommen und „im Evangelium von Kreuz und Auferstehung ... wiedergeboren ist"33, der bekommt Freude am Gesetz und am Tun des Willens Gottes. Dort geschieht Bewahrung durch das Gebot Gottes und der Gerechtfertigte wird frei von allem eigenen Werk für Gottes Tat.34 An der Verkündigung Jesu zeigt Iwand, wie rechte Gesetzespredigt aussehen kann: „Nirgends die typische Moralpredigt, die wir heute von der Kanzel hören. Jesus spricht so, als ob er in die Luft redet, als ob er niemand ansieht. Damit läßt er sozusagen den Raum frei, daß jeder sich einzeichnen kann, daß jeder mit seinem N a m e n unterschreiben kann: Jawohl, so ist es. ... Jesus sagt nicht: Dies muß in deinem Leben so sein; er sagt nur: Wenn das in deinem Leben so ist, dann... ; während wir sozusagen jeden Menschen am Halse ziehen möchten, damit er ein Geständnis macht, legt Jesus mit einer solchen Freiheit das Gesetz aus, daß man sagen muß: Es ist so." 3 5
Die Predigt des Gesetzes kann die Predigt des Evangeliums nicht ersetzen, aber ohne die Gesetzespredigt wird auch das Evangelium nicht vernommen. Wer ohne das Gesetz die Gnade verkündet, verzichtet darauf, daß die Hörer erkennen, daß es um sie selbst geht. Ohne die Predigt des Gesetzes bleibt die „Evangeliumsverkündigung tot und leer, und niemand weiß, wem sie gilt, aber wenn mir das Gesetz sagt: ,Das bist du', kann mir das Evangelium sagen: ,Für dich ist Christus gestorben.'" 36 Iwands Urteil über denjenigen, der meint, die Gnade Gottes ohne das Gesetz verkündigen zu können, lautet: „Geben wir das Gesetz preis, dann sind wir nur noch Schwätzer auf der Kanzel."37 Wie anschaulich und konkret Iwand die Notwendigkeit der Gesetzesverkündigung veranschaulicht, zeigt ein Beispiel für die Kandidaten im Predigerseminar: 32
A.a.O. 166. A.a.O. 160. 34 Vgl. a.a.O. 166-169. Iwand redet dort auch vom Gesetz als Verheißung. Zum Gesamten s.o. Teil 1.IV.2 Die Aufgabe des Gesetzes in der Heiligung - der tertius usus legis, 118ff. Vgl. Iwand, Predigt, NW 2, 78f.87f. 35 Iwand, GuE (1937), NW 4, 27f; vgl. ders., Predigt, GA II, 163; ders., Predigt, NW 2, 81. In Iwands eigenen Predigten findet sich entsprechend selten die Anrede „du", häufiger dagegen das „wir", das beim Hörer allerdings eine ähnlich vereinnahmende Wirkung haben kann. 36 Iwand, GuE (1937), NW 4, 51. Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, 29^43, in seinen Ausführungen zur billigen und teuren Gnade. 37 Iwand, GuE (1937), NW 4, 51. 33
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„Konkret gesprochen: Ich predige heute dem Menschen die Vergebung der Sünden, und dieser Mensch lebt im Ehebruch. Der kann gar nicht verstehen, daß ihm diese Predigt gilt, ehe er sich nicht unter das Gebot stellt und sich von da aus zum Sünder machen läßt. Wir können alle nicht die Vergebung ernst nehmen, wenn wir nicht unter den Geboten Gottes stehen; denn dann können wir nicht verstehen, daß das uns gilt. Wenn ein Mensch sagt, ich höre zwar das Evangelium, aber es bedeutet mir nichts, dann antworte ich ihm: .Lieber Freund, du mußt dich unter die Gebote Gottes stellen, die machen dir das Evangelium für dich bedeutsam.'" 3 8
3. Die Predigt des Evangeliums
Im Blick auf die Evangeliusmverkündigung erinnert Iwand an das bekannte Lutherwort: „Evangelium aber heißt nichts anderes, denn eine Predigt und ein Geschrei von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes ... und das ist eigentlich nicht das, das in Büchern steht und in Buchstaben verfaßt wird, sondern mehr eine mündliche Predigt und lebendiges Wort und eine Stimme, die da in die ganze Welt erschallt und öffentlich wird ausgeschrien, daß man's überall hört" 39 . Die Predigt des Evangeliums als lebendiges Wort ist das lebenschaffende Wort Gottes, das im Unterschied zum Gesetz nicht nur sagt, was Gott will, sondern dem Menschen im Hören die Vergebung der Sünden und ein neues Sein schenkt. „Im Worte Gottes, im Evangelium von Jesus Christus wird uns das neue Leben zugesprochen." 40 Grundlegend für Iwands Verständnis der Evangeliumsverkündigung ist, daß die Predigt des Evangeliums den Menschen in das Heute, in die Gegenwart des Heils stellt und als promissio, Verheißung der Sündenvergebung ergeht. 41 Die Predigt des Evangeliums schafft nicht nur die Möglichkeit des Heils, stellt nicht nur in die Entscheidung als eine zukünftig zu treffende, sondern in der Predigt ereignet sich im Hier und Jetzt Vergebung, indem sie zugesprochen wird. Wer dieses nicht beachtet, der bewegt sich für Iwand auch bei der Verkündigung nur im Raum christlicher Philosophie, indem er über Gnade, Evangelium und Sündenvergebung spricht, sie aber nicht zuspricht. „In dem Augenblick aber, w o ich predige, indem ich Gnade zw-spreche: ,Euch ist heute der Heiland geboren', da ist das Heute darin, da bestimmt die Verkündigung die Zeit.... Predigen heißt also, durch die Verkündigung diesen Jesus Christus bringen. In
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A.a.O. 50. WA 12,259,8-13; zitiert (sprachlich geglättet) bei Iwand, PM II, 19. 40 Iwand, GuE (1937), NW 4, 156. 41 Vgl. a.a.O. 16-18. Zur zentralen Bedeutung der promissio bei Iwand vgl. Tacke, „Verheißung"; Gandras, Predigt, 90-124; Sänger, Annäherung, 18f; Seim, Christologie, 205207. Bei Iwand enspricht die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium der Unterscheidung von Gesetz und Verheißung; vgl. Gandras, Predigt, 91-97. 39
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der Verkündigung zieht Jesus Christus ein. Der gepredigte Christus ist der gegenwärtige Christus, so utopisch das auch erscheint.... in jeder echten Predigt geschieht dieses Heute." 42
Iwand greift Luthers Definition des Evangeliums als Predigt von der Vergebung der Sünden durch den Namen Jesu Christi43 auf und macht daran deutlich: Vergebung der Sünden geschieht nur im gepredigten Wort, sie „kann nur als Botschaft vernommen, geglaubt, gehört werden."44 Ohne die Verkündigung gibt es keine Vergebung der Sünden in der Welt. Der Inhalt die Vergebung - kann nicht von der Form - der Predigt - getrennt werden. Die Vergebung der Sünden wird zugesprochen und ist als solche keine beweisbare Wirklichkeit, sondern wir haben sie als „... zu glaubende Verheißung.... Evangelium heißt: im Mittelpunkt desselben steht die remissio peccatorum, nichts sonst! ... Und zwar nun eben die Vergebung als promissio, also immer so, daß sie der Wirklichkeit, in der und unter der wir leben, widerspricht." 45
Das neue Leben wird als Verheißung geschenkt, und das heißt negativ, daß es noch nicht sichtbar, nicht anschaulich ist, aber positiv ausgedrückt bedeutet es, daß es durchaus ein Sein der Christen ist, aber in Christus verborgen und darin unverlierbar.46 „Es entspricht also der Verheißung durchaus ein Sein, gerade ihr, aber dieses Verheißungsgut ist in Christus Wirklichkeit, es bleibt also meiner irdischen Gegenwart gegenüber immer ein zukünftiges, ich habe es nur im Glauben." 47
Wichtig ist für Iwands Verständnis der Verheißung, daß sie nicht aufhört, Verheißung zu sein. Wohl gibt es die Erfüllung der Verheißung im Eschaton, wenn Gott sein letztes Werk getan hat, wenn er den Gläubigen den endgültigen Sieg über den Tod geschenkt und ein unvergängliches Sein geschenkt hat, aber solange wir in dieser Welt leben, ist der Glaube getragen von der promissio.48 Der Glaube wird erst im Eschaton zum Schauen und ist 42 Iwand, GuE (1937), NW 4, 18f (Hervorhebung im Original). Vgl. auch die Bemerkung Iwands, daß „...der Mensch durch die Predigt neu geschaffen wird ...". Iwand, Studien, GA I, 51. Vgl. zum „Heute" in der Verkündigung eine Predigt Iwands zu Joh 1,43-51 von 1959 in NW 3, 291-298. 43 Vgl. WA 2, 466,12f: „Praedicatio remissionis peccatorum per nomen Christi, hoc est Euangelium." Zitiert bei Iwand, GuE (1950), NW 4, 277. 44 Iwand, GuE (1950), NW 4, 277. 45 A.a.O. 277f (Hervorhebungen im Original). Vgl. ders., PM I, 511-514; Tacke, „Verheißung", 181f. 46 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 125f; ders., PM I, 513f; s.o. Teil l.IV.2.1 Der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Geist, 120ff. 47 Iwand, PM I, 513, Anm. 1. „Nur in der Weise des Werdens, der Verheißung kann von dem ,Sein' der Christen geredet werden." A.a.O. 582. 48 Vgl. Iwand, PM II, 142f. Im Blick auf die endgültige Überwindung des Todes kann Iwand sagen: „Das Verheißungsziel liegt vor uns, nicht hinter uns oder gar in uns. Erfüllt ist die Schrift nicht durch das, was geschehen ist, sondern durch das, was geschehen wird." A.a.O. 143 (Hervorhebung im Original). Die eschatologische Perspektive ist bei Iwand - von Schniewind herkommend - immer präsent.
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doch gewiß, auf das Ziel der Verheißung zuzugehen. Iwand verwendet für diesen Sachverhalt mehrfach das Bild von der Morgenröte.49 „Es ist die Stunde der verheißenen Erfüllung, noch nicht die Stunde der erfüllten Verheißung."50 Weil der Glaube nicht aus der sichtbaren Wirklichkeit, sondern aus der Verheißung Gottes lebt, die ebenfalls Wirklichkeit setzt, braucht er nicht zu resignieren, sondern ist nach vorn auf das verheißene Ziel ausgerichtet.51
4. Zusammenfassung
1. Grundlegend für das richtige Verständnis der Predigt von Gesetz und Evangelium, die immer den Glauben zum Ziel hat, ist Iwands Unterscheidung von Buchstabe und Geist als zwei Formen des Wortes Gottes bzw. zwei Arten des Amtes des Wortes Gottes - das Amt des Buchstabens (des Mose) im Alten Bund und das Amt des Geistes im Neuen Bund. Das eine Mal ist es tötendes, das andere Mal lebendigmachendes Wort Gottes. Während das Evangelium als lebendigmachendes Wort nur als Amt des Geistes verkündigt werden kann - sonst wäre es nicht Evangelium - kann das Gesetz unter dem Vorzeichen des Buchstabens oder des Geistes gepredigt werden. Als Buchstabe ist das Gesetz nur tötendes Wort, das nicht über sich hinausweist, als Geist weist es auf Christus hin und ist ausgerichtet auf das Evangelium. Iwand weist darauf hin, daß jeder Verkündiger sich fragen muß, ob er vom Alten oder vom Neuen Bund herkommt, ob seine Verkündigung als Amt des Buchstabens zum Tode oder als Amt des Geistes zum Leben ergeht. Rechte Verkündigung von Gesetz und Evangelium geschieht immer als Amt des Geistes - mit dem Ziel des Glaubens und des ewigen Lebens. 2. Die Predigt des Gesetzes kommt als Amt des Geistes von Christus her und führt zu ihm hin, das Gesetz ist als νόμος in den λόγος gefaßt. Das Ziel der Gesetzespredigt liegt nicht darin, den Menschen an das Gesetz zu binden, sondern darin, ihn zu Christus zu führen und vom Gesetz zu befreien. Die Predigt des Gesetzes hat als richtendes Wort Gottes die Aufgabe, 49
Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 142; ders., PM II, 38: „Wir können dies Licht nicht anders haben als in dieser .Morgenröte'..."; a.a.O.115. 50 Tacke, „Verheißung", 180. 51 Vgl. a.a.O. 188f; Gandras, Predigt, 97-114. Gandras bestimmt das Verhältnis von Verheißung und Wirklichkeit folgendermaßen: „Das von Verheißung qualifizierte Wirklichkeitsverständnis meint stets auch Zukunft und geht nicht in der Gegenwart auf, es meint aber auch bereits Gegenwart und nicht nur noch ausstehende Zukunft." A.a.O. 101.
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den Menschen seiner Sünde zu überfuhren und ihn dem Urteil des Gottes auszuliefern, der den Sünder richtet und im Zuspruch des Evangeliums die Sünden vergibt. Das Gesetz als richtendes Wort fuhrt zur Selbsterkenntnis und hat für die Verkündigung des Evangeliums vorbereitenden Charakter. Als bewahrendes und weisendes Wort Gottes offenbart die Predigt des Gesetzes dem Wiedergeborenen den gnädigen Willen Gottes für das Leben in der Heiligung. 3. Die Predigt des Evangeliums ist das lebenschaffende Wort Gottes, das die Vergebung der Sünden und ein neues Leben zusagt und schenkt. Die Evangeliumspredigt stellt den Menschen in das Heute der Gnade Gottes und spricht ihm die Vergebung der Sünden als Verheißung zu. Das neue Leben wird als promissio geschenkt und ist deshalb verborgen und nicht anschaulich, aber in Christus, in dem die Verheißung Wirklichkeit ist, ist es unverlierbar.
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III. Gesetz und Evangelium in den Predigten Iwands
Iwand hat nicht nur in der Theorie die Predigt als das Ziel aller theologischen Arbeit und Lehre gesehen, sondern er hat selbst auch viel gepredigt. Am Schluß soll deshalb der Frage nachgegangen werden, wie Iwand selber das Wort Gottes als Gesetz und Evangelium verkündigt hat. Dazu werden unter der vorgegebenen Fragestellung exemplarisch einige seiner Predigten aus NW 3 analysiert.1 Die Durchsicht aller dort abgedruckten Predigten Iwands ergibt, daß in überall die Frage nach Gesetz und Evangelium, Gericht und Gnade, Tod und Leben zur Sprache kommt. Die genauere Analyse muß sich auf eine Auswahl der in NW 3 aufgenommenen sechsunddreißig Predigten beschränken. Dabei sollen neben der ersten und letzten Predigt Iwands solche Predigten aufgenommen werden, die in besonders eindrücklicher und eigentümlicher Weise die Verkündigung von Gesetz und Evangelium beinhalten und jeweils besondere Aspekte in der Verkündigung Iwands zeigen. Im Anschluß an die Wiedergabe der jeweiligen Predigt, bei der vor allem der Prediger Iwand selbst zu Wort kommen soll, wird jede Predigt nach zwei Kritierien analysiert: 1. Situationsbezug (Iwands Eingehen auf die konkrete Situation, den besonderen Anlaß, den Hörer usw.), 2. Textbezug und theologische Entscheidungen (auf dem Hintergrund der Frage von Gesetz und Evangelium).
1
Die in NW 3 gesammelten Predigten decken in ihrer Auswahl einen Zeitraum von fast dreißig Jahren ab und bieten eine repräsentative Auswahl aus dem gesamten Schaffensbereich Iwands. „Die Herausgeber haben aus der Fülle des Vorhandenen solche Predigten ausgewählt, an denen die Predigtweise Iwands oder das Ganze seines Verständnisses der biblischen Botschaft besonders deutlich wird, dazu auch solche, die unter besonderen Umständen und bei bemerkenswerten Gelegenheiten gehalten worden sind." Eßer/Gollwitzer, Vorwort, in: Iwand, NW 3, 12.
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1. P r e d i g t ü b e r J a k 2 , 1 4 - 2 6 ( v o r
1933?)2
1.1 Predigt Iwand überschreibt diese Predigt, gehalten am Gedenktag der Inneren Mission, mit dem Titel „Toter Glaube". Er beginnt mit dem Widerspruch, den das Bibelwort vom Glauben, der ohne Werke tot ist, bei dem Hörer hervorrufen muß, der das Wort des Paulus vom Glauben ohne Werke als Maßstab nimmt: „Ob es nicht einen unter uns gibt, der als Antwort auf diesen Text nichts anderes zu sagen hat, als ein glattes N e i n ? Hören wir nur den letzten Satz: Der Glauben, wenn er nicht Werke hat, ist er tot an ihm selber! Wenn er nicht Werke hat! Oder sind wir schon so stumpf geworden, daß wir diese Dinge hinnehmen, einfach darum, weil sie nun eben einmal in der Bibel stehen? Der Glaube, wenn er nicht W e r k e hat - j a , ist das nicht gerade das Gegenteil von dem, was Paulus predigt: daß der Mensch gerecht werde, ohne des Gesetzes Werke, allein aus dem Glauben?" 3
Dagegen stellt Iwand die Zustimmung zur Aussage dieses Bibelwortes auf der Seite derer, die ein „Christentum der Tat" propagieren: „Aber vielleicht gibt es auch andere unter uns, die froh sind, daß dies endlich einmal gesagt wird ... hier ist das Christentum der Tat der Maßstab des Glaubens."4 Diese Gegensätze stellt Iwand zurück, indem er unterstreicht, daß es hier allein um den Glauben geht. Er zeigt die Gefahr auf, die jedem Glauben droht: daß er zu einem toten Glauben wird, der nicht mehr tätig ist, wie es eigentlich sein müßte. Iwand verweist auf Luther, nach dem der Glaube ständig am Werk ist, weil auch Gott, aus dem der Glaube lebt, immer am Werk ist. „Es ist die höchste Gefahr, die Gefahr, daß auch das neue, aus Christus geborene Leben unter das Gesetz des Todes gerät. Weil er diese Gefahr sieht, darum stößt der Apostel in die Fanfare, darum schallt es hindurch und hinein in eine todesbedrohte Christenheit, hinein in die Sicherheit der Pauliner und Lutheraner, - das Werk entscheidet: Die Liebe mit der Tat, nicht die mit dem M u n d . ... wir sollten uns fragen lassen, ob nicht auch unser Glaube in Gefahr ist, solch ein Totengerippe zu werden, ob es nicht auch heute Kirchen, Gemeinden, Gemeinschaften von Christen gibt, die einem Feld von Totengebeinen gleichen. W o der Glaube nur noch herumgeistert in 2 Vgl. Iwand, NW 3, 17-22. Anmerkung der Hg.: „Vermutlich vor 1933". A.a.O. 14. Vgl. dazu Iwands Predigt über Lk 6,36-42 von 1939, NW 3, 67-75, in der er unter dem vom Bibelwort vorgegebenen Stichwort der Barmherzigkeit ebenfalls von der Not des Bruders redet. 3 Iwand, NW 3, 17. 4 A.a.O. 18.
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hohlen Phrasen und leeren, angelernten Formeln, aber ohne daß die Tat, das Leben von ihm regiert wird. Das ist die Lage." 5
Die Innere Mission mit ihren konkreten Tätigkeiten und ihre fuhrenden Persönlichkeiten stellt Iwand dann als ein gutes Beispiel für den tätigen Glauben dar, gibt aber zu bedenken, daß das Vorhandensein einer Inneren Mission neben der Kirche und sogar gegen sie eine große Anklage an die Kirche ist. „So erweckend, mahnend, den Finger in die tiefste Wunde der modernen Christenheit legend, stand einmal die innere Mission neben, gegen die Kirche: und das ist auch ihr gutes, göttliches Recht."6 Iwand betont die Verantwortung der Christen für die sozialen Fragen und mahnt, daß uns der Jesus vor Augen gehalten werden müßte, der die Tat fordert. Die Mißachtung der sozialen Not wird den Christen zum Gericht, weil darin die Fragwürdigkeit des Glaubens sichtbar wird, und so schließt Iwand die Predigt mit folgenden Sätzen: „Wehe euch, wenn ihr dem Namen nach Christen seid, im Herzen aber Kains Wege geht: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Wie du zu deinem Bruder bist, so wird Gott zu Dir sein! Der Bruder erlangt Ewigkeitsgewicht. Wegen Lazarus, den er übersah, kommt der Reiche ins Feuer des Zornes. Ihr habt das in der Hand: sagt ihr: es geht hier Auge um Auge, Zahn um Zahn, gut, dann soll es auch dort - vor Gott - so gehen: dann werdet ihr auch dort so gerichtet werden, wie ihr hier richtet. Denn Gott nimmt jeden so, wie er ihn findet."7
1.2 Analyse Die besondere Situation dieser Predigt, der Gedächtnistag der Inneren Mission, wird von Iwand an einigen Stellen aufgenommen. Die Innere Mission wird positiv als Christentum der Tat gewürdigt, es werden konkrete Beispiele und Personen genannt, es wird aber auch kritisch angemerkt, daß die Innere Mission eigentlich nicht neben der Kirche existieren dürfte, wenn der Glaube nicht ohne Werke sein kann. Der Hörer wird sofort in die Predigt hineingenommen, indem Iwand anfangs mögliche Einwände der Hörer verbalisiert, um sie dann zurückzustellen. Häufiger werden die Hörer durch ein „Wir" einbezogen, und am Schluß spricht Iwand bei einem Mahnwort die Hörer direkt in der zweiten Person an. Dabei läßt Iwand allerdings den von ihm selbst auch geforderten Raum, dazu Ja oder Nein zu sagen. Das zeigt sich an den Formulierungen: „Wehe euch, wenn ihr ...", „Wie du ... so wird Gott...", „Ihr habt das in der Hand..." Bereits in dieser frühen Predigt ist Iwand als textnaher Prediger zu erkennen. Er folgt dem Duktus des biblischen Wortes, in dem die Mahnung 5 6 7
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A.a.O. 19f. A.a.O. 21. A.a.O. 21 f.
ergeht, daß der Glaube ohne Werke tot ist. Das wird aufgenommen und im Blick auf die soziale Not konkretisiert: Der Christ ist an den Bruder gewiesen - eine Linie, die sich bei Iwand durchzieht. Der mahnende Charakter des Bibeltextes steht auch hier im Vordergrund und wird sogar verschärft. Auffällig ist der schroffe Predigtschluß mit einem Gerichtswort, das zwar die Umkehr intendiert, aber nicht verbalisiert. Die Predigt hat für die Evangeliumsverkündigung „vorbereitenden Charakter", indem der Hörer durch das Gesetz der Sünde überfuhrt und dadurch auf Christus gewiesen wird; sie will als Predigt des Gesetzes lau gewordene Christen zum lebendigen, tätigen Glauben zurückrufen.8 Das Evangelium als Zusage der Sündenvergebung kommt nicht zur Sprache, so daß hier ein Defizit im Blick auf den Anspruch, den Iwand an die Predigt als Heilsgeschehen in Gesetz und Evangelium stellt, vorliegt.
2. Predigt über Jes 43,24b-25 (1941)«
2.1 Predigt Diese relativ kurze Predigt eines Wochenschlußgottesdienstes in Dortmund während des Krieges setzt damit ein, daß wir Menschen Gott mit unseren Sünden Mühe machen. „Daß es das gibt: Gott Mühe machen, Gott Arbeit machen - ob wir das wohl je schon bedacht haben? ... Wir, ja wir sind die Beladenen, beladen mit Sorge, beladen mit Arbeit. War je eine Zeit so beladen wie wir? Gott lädt auf - und der Mensch muß es tragen, tragen bis er zerbricht! Denken wir nicht so, dachten sie nicht alle so - aber hier schauen wir auf einmal in Gottes Angesicht und erkennen, er, der Herr ist der Tragende, dieser Gott wohnt nicht in den olympischen Höhen, wohin das Leid und die Sorge nicht reichen; nicht mit den Göttern Griechenlands haben wir es hier zu tun, sondern mit dem Gott, den unsere Sünde beladen hat mit dem Kreuz, mit dem Gott, dessen Angesicht unsere Missetaten zerrissen, dessen Gestalt unsere Bosheit gegeißelt haben. Dieser Gott redet hier." 10
Gott ist nicht der ferne Gott, der von Leid und Sorge nicht erreicht werden könnte, sondern er ist der Zerschlagene und Gekreuzigte, der dem Menschen nahe ist und ihn liebt. Dann richtet Iwand den Blick auf das undurch8 Vgl. Iwand, GuE, CuW 5, 1929, 213: „Wo die Gnade nicht verkündet werden kann als Geschenk solchen, die sich nach ihr sehnen, da soll sie Uberhaupt nicht verkündet werden, da fehlt der Hintergrund, der dieser Verkündigung den Ernst der rechten Stunde gibt, die Erkenntnis der Sünde". 9 Vgl. Iwand, N W 3, 8 2 - 8 6 . 10 A.a.O. 82.
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sichtige und schwere (Kriegs-)Geschehen in der Welt, worin wir Gott nicht erkennen können, weil er darin als der verborgene Gott handelt. „Am Karfreitag ist Gottes Angesicht immer verborgen, erst, wenn er erlöst, erst, wenn er den Stein vom Grabe wegwälzt, erkennen wir seinen Plan, dann erst wissen wir, daß er allein der Herr ist! Aber bis dahin - welch ein Weg! Und darum halten wir mitten in der schwersten Bedrängnis Ausschau auf das Ende. Darum hoffen wir: am Ende steht der Vater, der auf sein Kind wartet." 11
Gott sucht den Menschen, der im Leid ist, Gott arbeitet an dem Menschen, den er - als der Verborgene - ins Leid geführt hat. Dann ist es eine Gnade Gottes, wenn der Mensch sich auch dann noch an Gott wendet, „wenn ich einen Menschen sehe, der mitten in seiner Not auch den Schrei ausstoßen kann: Mein Herr und mein Gott...". Mitten im Gericht, im Leid, in der Not klingt Trost auf, weil Gott an uns arbeitet. „Gott fuhrt in die Hölle und er führt auch wieder hinaus."12 Der Blick wird in die Zukunft gerichtet, wo Gott sich als der gnädige Gott offenbart, der um uns ringt. Als Rede Gottes an den Menschen spricht Iwand das Evangelium zu: „... ich, ich tilge deine Sünde um meinetwillen, so klingt es durch die ganze Heilige Schrift. Gott sagt: das ist meine Liebe, daß du gerecht sein sollst. Seht, wenn die Liebe das Verlorene sucht und wenn die Liebe das Verlorene findet und wenn der Mensch es nicht begreifen kann und fragt: ja, warum bist du denn gerade mir nachgegangen, warum mir, der ich dich so oft verlassen und ins Gesicht geschlagen habe, dann sagt die Liebe: nicht um deinetwillen, sondern um meinetwillen, ich konnte es nicht anders, es ist das innere Gesetz meines Lebens, so sagt Gott: ich, ich selbst kann nicht Gott sein, solange die Sünde auf dir sitzt. Das ist geschehen auf Golgatha, Gott will nicht ohne mich sein ... Ach, meine Freunde, wenn davon die Rede ist, wenn gleichsam beides gegenüber steht, das Gedenkenmüssen an die Sünde, das in uns regiert, und das Nicht-mehr-Gedenken der Liebe Gottes, das uns da verkündigt wird, dann wissen wir, wo die Grenze ist, an der unser Gewissen schweigt." 13
Die Predigt schließt mit dem Blickwechsel von mir zu dem, was Gott an mir getan hat, der neuen Kreatur in Christus: „Ich will mich vergessen, ich will aus dem leben, was Gott über mich denkt, was Gott an mir getan hat, so will ich neu sein. Denn wer in Christo ist, ist eine neue Kreatur."14
2.2 Analyse An dieser Predigt wird erkennbar, wie Iwand mit dem Hörer mitgeht, seine Nöte und Fragen teilt. Die Frage, warum Gott das unermeßliche Kriegsleid geschehen läßt, wird von Iwand nicht verschwiegen, aber er nimmt einen Blickwechsel vor, hin zum leidenden Gott. Dabei zeigt Iwand dem Hörer in 11 12 13 14
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A.a.O. 83. A.a.O. 85. A.a.O. 85f. A.a.O. 86.
seelsorgerlicher Weise den Weg in der Anfechtung vom Gesetz zum Evangelium. An dem zitierten Abschnitt ist sehr schön zu sehen, wie Iwand spricht - seiner eigenen Forderung gemäß - nicht über das Evangelium, sondern er spricht es als Rede Gottes zu, und darin wird es Ereignis - wenn der Heilige Geist es wirkt. Die Zusage des Evangeliums als direkte Rede Gottes ist ein von Luther in seinen Predigten häufig gebrauchtes Mittel, das Iwand hier übernimmt. Dadurch wird der Hörer unmittelbar vor Gott gestellt und hört die Zusage in besonderer Weise als Wort Gottes an ihn persönlich. Zum Schluß stellt Iwand sich mit dem Hörer noch einmal in die Anfechtung hinein, um den Schritt nach vorn, vom Gesetz zum Evangelium, vom verborgenen Gott zu Gott in Christus zu gehen. Die Aussage des Textes - die Last der Sünde, die auf Gott liegt, und der Zuspruch der Vergebung - wird von Iwand aufgenommen und mit den gegenwärtigen Fragen und Nöten der Hörer konfrontiert, ohne daß das Bibelwort seine leitende Funktion in der Predigt verliert. Darauf ist die Predigt ausgerichtet. In mehreren Anläufen geht Iwand, darin dem Text folgend, den Weg vom Gesetz zum Evangelium (vom verborgenen zum offenbaren Gott, von der Schuld zur Vergebung, vom sündigen Ich zu Christus).
3. Predigt ü b e r E x 2 0 , 2 - 3 ( 1 9 4 2 ) »
3.1 Predigt Bei dieser Predigt über das erste Gebot, ebenfalls gehalten in einem Wochenschlußgottesdienst in Dortmund, stellt Iwand gleich zu Beginn das Entweder - Oder heraus. Man kann nur einem Gott dienen. „Entweder - Oder! Entweder mich anbeten - oder die Götzen! Es kann nicht zwei Herren fur den Menschen geben ... Das ist die mit dem ersten Gebot aufgerichtete Entscheidung, in der uns Gott begegnet. Sein Entweder - Oder! Wer an ihn glaubt, muß das ,Allein' glauben und bekennen. Wer mit ihm in Leben und Tod gehen will, muß allem anderen den Abschied geben." 16
Gott lieben heißt, ihn allein gegen alle anderen Götzen, Mächte und Gewalten zu bekennen. Gott fordert im ersten Gebot das ungeteilte Herz. Iwand redet dabei klar und assertorisch, wie es seiner Erkenntnis von der Eindeutigkeit der Schrift entspricht: „Es gibt kein Ja zu Gott ohne ein Nein zu den Götzen, und je gewisser das Ja, desto klarer das Nein!" 17 Der Ver15 16 17
Vgl. a.a.O. 9 5 - 1 0 0 . A.a.O. 95. A.a.O. 96.
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führung, die Offenbarung Gottes mit der allgemeinen Religion des Volkes zu vermischen, muß vom ersten Gebot her widerstanden werden. Aaron, von Iwand in die Gegenwart übertragen als „dieser typische Vertreter des geschmeidigen Christentums"18, steht für diese Vermischung von Religion und Offenbarung. „Das ist die sehr beredte, an uns gestellte Frage: Religion oder Offenbarung des lebendigen Gottes - Volksreligion oder Gehorsam gegen den lebendigen Gott! Volk und Kirche stehen sich hier leidenschaftlich gegenüber, aber Mose nennt das, was das Volk unter Aarons Leitung tut, ,Sünde' und vollzieht die Entscheidung ,Her zu mir, wer zum Herrn gehört!'. Da ist auf einmal das erste Gebot wieder da, da als Entscheidung, als Prüfung, als Ernüchterung in diesem Taumel der Begeisterung." 19
Vom ersten Gebot her ist auch der Gottesdienst zu befragen: Ist er Religion, also die Darstellung eines religiösen Gefühls der Menschen20 oder ist es so, „daß Gott sich hier offenbart, daß Er redet und wir hören, Er gebietet und wir aufgerufen sind zu gehorchen?"21 Es ist die Entscheidung gefordert gegen die Götter und für den Gott des ersten Gebotes, den Gott des Gesetzes und der Gnade. An der Stellung zum ersten Gebot entscheidet sich die Frage nach allen Geboten: „Denn das erste Gebot bleibt das erste Gebot - und wer dem ersten Gebot widerstrebt, wird alle anderen auflösen müssen: es ist nicht gleich für die Menschheit, wen sie anbetet, der Götzendienst überschattet das ganze Leben, und die geistige Sünde gegen Gott wird offenbar in der Krankheit am Körper des ganzen Volkes." 22
Iwand zitiert Rom 1,26-34: Das Dahingegebensein durch Gott ist Folge des Ungehorsams gegen das erste Gebot, ist Folge des Unglaubens. Gott richtet, aber in seiner Liebe will er uns dennoch zu sich heimrufen, und er hat uns, die wir tot waren, nach Kol 2,13-15 mit Christus lebendig gemacht. Iwand schließt damit, daß in Christus das erste Gebot Verheißung und Wirklichkeit geworden ist: „Ich bin der Herr Dein Gott; laßt uns auch tun, was er von uns verlangt hat: nicht mehr an die zu glauben und unser Herz an sie zu hängen, die offenbar geworden sind in ihrer Nichtigkeit." 23
3.2 Analyse Erkennbarer Hintergrund dieser Predigt ist die Situation des Kirchenkampfes. Das ungeteilte, klare Bekenntnis zum Gott des ersten Gebots, die Reinheit des Bekenntnisses und die Entscheidung zwischen Religion und Offen18 19 20 21 22 23
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A.a.O. 97. Ebd. Vgl. a.a.O. 97f; Iwand spielt hier auf Schleiermacher an. A.a.O. 98. A.a.O. 99. A.a.O. 100.
barung deuten die Kampfsituation an, in der die Gemeinde steht. Was Iwand vorsichtig, aber deutlich genug anspricht, kann von der Gemeinde als ihre Situation verstanden werden. In der direkten Anrede an die Hörer ist Iwand bis auf den Schluß zurückhaltend, aber die assertorischen Aussagen im Entweder - Oder haben Entscheidungscharakter für den Hörer. Am Schluß wird dem Menschen in der Irre, unter dem Gesetz, das Gebot „Ich bin der Herr, dein Gott" als Zusage des Evangeliums gesagt, verbunden mit dem Ruf zum Glaubensgehorsam. Das erste Gebot als Predigtwort wird von Iwand in seiner Forderung und Verheißung entfaltet und auf die Gegenwart bezogen. Diese Predigt über das erste Gebot ist ein Exemplum einer Predigt des Gesetzes, wie Iwand es versteht. Zu Beginn steht Gott als der Fordernde in seinem Gebot vor uns, der ein klares Bekenntnis zu ihm verlangt. Dem sündigen Menschen wird das Gebot Gottes im usus elenchticus zum Gericht, aber vom Evangelium herkommend liegt im Gebot das Ziel, den Sünder in die Gemeinschaft mit Gott zu fuhren und ihm Vergebung der Sünden zu schenken. Am Schluß folgt das Verständnis des Gebotes als Verheißung in Christus: „Ich bin der Herr, dein Gott" ist dann nicht mehr nur eine Forderung, sondern eine Verheißung, die in Christus erfüllt und dem Sünder geschenkt ist.
4. Predigt über Rom 1,16-17 (1944)2"
4.1 Predigt Predigt über das Evangelium und Predigt des Evangeliums ist diese am Reformationstag gehaltene Predigt. Als Einstieg erklärt Iwand das Evangelium, sagt, was es heißt und bedeutet. In diese Erklärung bezieht er die Hörer mit ein, indem er von „uns Menschen" redet oder davon spricht, daß „Gott einen Weg weiß zum Heil, zur Rettung für jeden, der sich so von ihm fuhren läßt."25 Iwand vergleicht die Lage des Paulus mit der Gegenwart und sagt, daß es gegenwärtig Grund geben könnte, sich des Evangeliums zu schämen: „Denn es sieht so aus, als ob das Evangelium gar nichts wäre und die satanische, furchtbare, Dämonen beherrschte Welt, die uns heute gerade, bei der Reformationsfeier des Jahres 1944, so direkt und unentrinnbar entgegenstarrt, als ob diese gottlose, nach jeder Richtung hin entfesselte Welt alles wäre. Da sind die grauenhaften Zerstörungen, da sind die furchtbaren Nächte, in denen die Erbarmungslosigkeit der Menschen nie dagewesene Triumphe feiert, da sind die Leiden der Unschuldigen, da sind
24 25
Vgl. a.a.O. 101-107. A.a.O. 101.
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die zerquälten Gesichter der Frauen, da ist die gebrochene Hoffnung des Alters - und dazu das Evangelium! Müßten wir nicht eigentlich alle verstummen, was bedeutet es gegenüber dem erbarmungslosen Lied [Leid, R.M.] des Krieges, wenn hier und da noch gepredigt wird? Hat nicht Gott verloren und der Teufel gewonnen?" 26
Das Evangelium aber ist eine Kraft, die gegen allen Augenschein mitten in der Todeswelt (in der zerbombten Stadt Dortmund!) als Tod und Hölle überwindend die Menschen in ihrer Ohnmacht zu tragen vermag. Gerade im Gegenteil, in der Ohnmacht und Schwäche, liegt die Kraft Gottes verborgen - das gilt es zu glauben. Das Evangelium gehört für Paulus als Botschaft nach Rom, in die Zentren der Welt, weil es Gottes Sache ist, die verkündigt werden soll und allen Menschen gilt. Iwand ermutigt dazu, trotz der augenscheinlichen Übermacht des Teufels angesichts der Kriegsleiden sich des Evangeliums nicht zu schämen. Der Blick nach Golgatha zeigt, daß dort, wo scheinbar der Teufel gesiegt hat, Gott als der noch Stärkere erscheint.27 Das Evangelium bringt Rettung, die „Rettung von allem, was uns bedroht, von Schuld und Sünde, von Tod und Verzweiflung. So jedenfalls muß Evangelium verstanden werden, oder wir haben es noch nie verstanden."28 Dieses Wort von der Rettung gilt aber nur solchen, die Rettung brauchen, gilt denen, die in der Tiefe sind und nach der Hand greifen, die Gott in Jesus Christus von oben entgegenstreckt: „Erst wenn man so ganz tief gefallen ist, wenn man in der Grube sitzt, aus der es gar kein Entrinnen mehr gibt, und wenn dann eine Hand von oben nach uns greift und man kann diese Hand fassen und man weiß, die läßt dich nicht mehr los, die zieht dich heraus aus dem tiefen Schlamm, in dem du zu versinken drohst, dann weiß man wahrhaftig, daß das eine frohe Botschaft ist, diese Botschaft von Jesus Christus, von dem Leben, von der Vergebung, von der Erlösung und von der neuen, kommenden Welt Gottes. Und dann weiß man auch das andere, daß es nur eins gibt, dessen man sich nicht schämen sollte, einzuschlagen in diese Hand, sich ergreifen zu lassen von dieser Kraft, an sich zu verzweifeln und dafür an Gott zu glauben." 29
Iwand kommt dann auf die Gerechtigkeit Gottes zu sprechen und grenzt sie gegen die irdische Gerechtigkeit, in der Gleiches mit Gleichem vergolten wird, ab. Gottes Gerechtigkeit ist „... eine Gerechtigkeit, die alles neu macht, die den Menschen verwandelt, die mit einem wahrhaft königlichen Spruch Gottes den schuldverhafteten Menschen frei spricht und frei macht und ihm so den Neuanfang des Lebens schenkt." 30
Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes ist darin einzigartig, daß sie Freude, Leben, Heil und Rettung bringt. Das Urteil Gottes in Jesus Christus 26
A.a.O. 103. Vgl. a.a.O. 103f. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 52f, wo er zeigt, daß an der Macht der Sünde die Übermacht Gottes offenbar wird. 28 Iwand, NW 3, 104. 29 A.a.O. 104f. 30 A.a.O. 105. Vgl. das Miteinander der forensischen und effektiven Rechtfertigung in dem Ausdruck des freisprechenden und freimachenden Wortes! 27
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über die Menschen ist der Sieg der Gnade über die Sünde, der Sieg des Evangeliums über das Gesetz und der Anbrach des Versöhnungstages Gottes mit seinen Feinden. Iwand nennt allerdings eine Bedingung, die erfüllt sein muß, und geht dabei über in die persönliche Anrede des „Du": „... diese Bedingung heißt: aus Glauben in Glauben. Das bedeutet: wenn du davon leben willst, dann darfst du nicht versuchen, die ganze Sache wieder umzudrehen. Du bist jetzt von oben gehalten, du bist aus Gnaden gerettet, du bist einfach um Jesu Christi willen freigesprochen, nun darfst du nicht wieder anfangen, von unten her zu leben, von dem, was du vielleicht an Gutem hast und tust, mag das auch sehr viel sein."31
Iwand erwähnt die Liebe zum Gebot Gottes, die den Menschen dazu bringt, anderen zu helfen und zu vergeben, die aber nie Fundament der Gerechtigkeit werden darf. Das Fundament ist und bleibt die Versöhnung in Christus. Er mahnt, daß jeder Versuch, darüber hinauszukommen, „ein Sturz in den furchtbaren Abgrund neuer Ungerechtigkeit"32 ist. Er erinnert daran, daß alles Tun aus Glauben letztlich so geschieht, daß Christus es in uns wirkt.
4.2 Analyse Iwand betont in seiner Predigt, daß man sich des Evangeliums nicht schämen darf. Indem er Gründe nennt, die in der Gegenwart des Jahres 1944 dazu fuhren könnten, daß man sich des Evangeliums schämt, spricht er die Lebenswirklichkeit der Hörer an. Das unermeßliche Leid, die umfassende Zerstörung im letzten Kriegsjahr lassen das Evangelium als machtlos gegenüber den dämonischen Gewalten erscheinen. In dieser ausweglosen Situation erinnert Iwand an Golgatha, den verborgenen Sieg Gottes, und auch an die Glaubenszeugen der Reformation anläßlich des Reformationsfestes, das begangen wird. Auch in dieser Predigt ergeht für den Hörer, der unter dem Gesetz ist, das Evangelium als Zuspruch der Rettung aus dem Gericht. War die Predigt über das erste Gebot als Präzedenzfall einer Predigt des Gesetzes zu sehen, so gilt dies in gleicher Weise für die Predigt über den „klassischen Reformationstext" aus Rom 1,16f als Evangeliumspredigt. Iwand entfaltet das Predigtwort in Ausführungen über das Evangelium, die Gottesgerechigkeit und die Rechtfertigung, was der Predigt den Charakter einer Lehrpredigt gibt, aber im Zuspruch des Evangeliums darüber hinausgeht. Dabei verschweigt Iwand nicht, daß das Evangelium gute Botschaft nur für Sünder, für Menschen unter dem Gesetz ist. Er hebt die neuschaffende Gerechtigkeit Gottes hervor und betont den Sieg des Evangeliums über 31 32
A.a.O. 107. Ebd.
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das Gesetz. Gegen Ende der Predigt folgt die Mahnung, nicht über die Rechtfertigung hinauszugehen und die Heiligung zum Fundament der Gerechtigkeit machen zu wollen.
5. Predigt über Eph 3,10-17 (1945)33
5.1 Predigt In Iwands Abschiedspredigt nach über siebenjähriger Pfarramtstätigkeit in Dortmund blickt er einleitend auf die gemeinsame schwere, aber gesegnete Zeit zurück. Die Zeit des Krieges war ein Kampf, „... in dem alles darauf ankam, der Wirklichkeit nicht zu glauben, die wir sahen, sondern dem zu glauben, der uns mit seinem Wort führte und tröstete."34 Am Ende dieses Kampfes ist die Kirche zerstört, die Gemeinde verkleinert und die Menschen leben noch in großer Not, aber Iwand sieht auch, daß etwas Neues geworden ist. „Wir haben etwas davon erkannt, daß Gottes Wort Schutz und Trost ist in aller Not, wir haben etwas davon erkannt, daß sein Wort unsere Speise ist, ohne die wir nicht leben können."35 Weil die Gemeinde erkannt hat, daß in aller Not nichts scheiden kann von der Liebe Gottes, darum „... sind wir bereit, weiter zu marschieren; wir wollen nicht zurückschauen, sondern wir wollen dem Tag entgegengehen, dem einen und einzigen Tag, in dem unser Leben sein Ziel findet, sein Ziel und seinen gerechten Richter."36 Über den Reichtum Gottes, der in der Verzweiflung der vergangenen Zeit dennoch als Halt da war, will Iwand vom Bibelwort ausgehend der Gemeinde ein Wort des Abschieds sagen. „Es ist ein letztes Wort, das hier der Apostel sagt, und wir dürfen ihm entnehmen, daß solch ein letztes Wort immer ein starkes, ermutigendes, auf den Endsieg [!] ausgerichtetes Wort sein muß. So sollen und so wollen auch wir voneinander scheiden, es soll alles auf den einen Ton eingestellt sein: Seid stark, stehet, bestehet bis ans Ende. Es ist der Marschbefehl Jesu Christi, den sein Apostel weitergibt, es ist die Erinnerung daran, daß der Sieg da ist, daß das Evangelium als Siegesbotschaft verkündet sein will und daß es schmachvoll wäre, zu meinen, es könnte noch irgend etwas diesen Sieg uns streitig machen." 37
Jesus ist Herr und Sieger, und Tod, Sünde und Schuld sind nicht letzte Wirklichkeiten. Die Macht Gottes, die Ostern gesiegt hat, soll auch in unse33 34 35 36 37
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Vgl. a.a.O. 171-183. A.a.O. 171. A.a.O. 172. A.a.O. 173. A.a.O. 174.
rem Leben siegen. Es geht in dem Kampf, in den jeder Christ gestellt ist, um die Macht Satans gegen die Macht Gottes. In diesem Kampf kann niemand neutral bleiben oder als Zuschauer draußen stehen, sondern der „Kampf zwischen Gott und Satan, der Kampf zwischen Gut und Böse, wie man auch sagen könnte, wird durch Menschen ausgetragen, hier wird keiner neutral sein können, ,wer nicht fur mich ist, der ist wider mich'." 38 . Es ist kein Kampf mit Fleisch und Blut, sondern mit geistigen Realitäten, es geht um Gottes Macht und die Macht der Finsternis, „die mit Hunger und Gewalt, mit Schändung von Menschenehre, mit Furcht und Todesschrecken über die ganze Welt sich auszubreiten droht." 39 Iwand mahnt eindringlich, sich dem Kampf nicht zu entziehen, so daß die Welt dem Satan überlassen wird, sondern in die Welt hineinzugehen und den Kampf aufzunehmen: „Wir sollen, wir dürfen die Welt nicht dem Feinde überlassen, wir dürfen uns nicht trösten mit dem Wort, daß die Welt im argen liegt, wir dürfen uns nicht zurückziehen in jene Unangefochtenheit, in jenen Seelenfrieden, den ein mattes Christentum lange genug und aller Welt zum Schaden gepredigt hat, sondern wir sollen antreten, um den Gegner zu schlagen. Der böse Tag ist da; wo sind die, die Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten?"40
In diesem Kampf geht es darum, die Rüstung Gottes anzuziehen. Dem Bibeltext folgend nennt Iwand zuerst die Wahrheit. Gemeint ist die Wahrheit, die vom Kreuz Christi her offenbart ist. Die Wahrheit über den Menschen heißt, daß er Sünder, Feind Gottes ist und das Gutsein des Menschen ein falscher Wahn. Aber ebenso gilt, „... daß Gott die Welt geliebt hat, daß alle Schuld vergeben ist, daß es Versöhnung gibt, Versöhnung zwischen Gott und Mensch, und darum auch Versöhnung zwischen dir und deinem Bruder." 41 So wie Iwand die Versöhnung von Gott und Mensch auf die Versöhnung der Menschen untereinander ausweitet, so tut er es auch mit der Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit Gottes ist in Jesus Christus offenbart worden, und in ihm ist Umkehr Freude, in ihm bekommen die Menschen die Lust zum Guten und Freude an seinen Geboten, das Gute zu tun. Von dort aus müßte die Gerechtigkeit hineinwirken in die Welt und dort Veränderung bringen. Das Evangelium des Friedens will hinaus in die Welt des Hasses, um das Denken im Gegensatz von Freund und Feind zu überwinden. Die Entscheidung des Glaubens liegt darin, gegen die sichtbare und scheinbare Wirklichkeit dieser Welt in ihrer Finsternis und Unmenschlichkeit die Verheißung Gottes als Wirklichkeit zu sehen. „Der Glaube ist immer ausgerichtet auf das Zukünftige, das Nochnicht, das Kommende. Mit der Entscheidung des Glaubens werdet ihr Kinder dieser zukünftigen Wirklichkeit, geht ihr dem kommenden Tag entgegen. Das, was die anderen Wirk-
38 39 40 41
A.a.O. 175. A.a.O. 177. Ebd. (Hervorhebung im Original; Zitat aus Eph 6,13b). A.a.O. 178.
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lichkeit nennen, ist für euch schon dahin, es ist vergangen, in Jesus Christus ist das Neue Wirklichkeit geworden, auf das hin ihr lebt... Ihr werdet mit hineingezogen in die große Bewegung Gottes, in die Umgestaltung der Welt, die bereits im Gange ist, und das Böse, weil es eben das Böse ist, und der Böse, weil er eben als der Böse sich nicht wandeln kann, wird daran zugrunde gehen." 42
Der Schutz der Gläubigen besteht darin, daß sie in Christus gerettet sind und von ihm behütet werden. Zuletzt geht es um das Schwert des Geistes, um das Wirken des Heiligen Geistes. „Wehe, wo der Geist nicht mehr Schöpfer ist, wo das Reich Gottes nur noch in Worten besteht, in frommen Phrasen, in leerer Rechtgläubigkeit! Denn Geist ist nichts anderes als die Begegnung mit dem Worte Gottes, so, daß es heute und jetzt uns trifft, uns richtet, uns zu neuem Leben weckt, uns erlöst und uns der Gegenwart Gottes gewiß macht. Ja, wirklich, heute und jetzt muß das Wort Gottes geschehen, wenn das Böse die Schlacht verlieren soll. ... Setzt auf den Geist, dann wird das Wort nicht tot bleiben, und es wird sündige, böse, todgeweihte Menschen neu zum Leben rufen." 43
Iwand schließt mit einem Hinweis auf einen „Baseler Theologe[n]"44, dem Deutschland sehr viel zu verdanken habe, der in einer Schrift an das Bild Albrecht Dürers vom Ritter erinnert, der ausgerichtet auf das Ziel seinen Weg zwischen Tod und Teufel hindurchreitet.45
5.2 Analyse In der Situation des Abschieds steht einleitend ein Rückblick auf die gemeinsamen Jahre mit der Gemeinde, die Jahre des Kampfes waren und äußerlich gesehen eine Niederlage, geistlich beurteilt aber in aller Not auch Zeiten des Gewinns waren. Hier zeigt sich die für Iwand charakteristische Sicht des Gegensatzes zwischen erfahrener und geglaubter Wirklichkeit. Ausgehend vom Bibelwort richtet er den Blick der Gemeinde in die Zukunft, die ebenfalls ein Kampf ist. Durch seinen typischen assertorischen Predigtstil wird dem Hörer das Entweder - Oder der Glaubensentscheidung deutlich: man kann nur auf der Seite Gottes oder der des Satans stehen; Neutralität gibt es nicht. Abgesehen von dem einleitenden Rückblick bestimmt der Bibeltext den Aufbau der Predigt. Iwand nimmt den Gedanken der „geistlichen Waffenrüstung" des Bibelwortes auf und entfaltet ihn im Blick auf die Gegenwart. Das Motiv des Kampfes zwischen Gott und Satan in dieser Welt ist dabei bestimmend. Iwand nimmt die unsichtbaren Mächte als Realitäten in den 42
A.a.O. 181. A.a.O. 182. 44 Ebd. Gemeint ist Karl Barth. 45 Iwand erinnert in einer Meditation von 1955 auch noch einmal an dieses Bild; vgl. Iwand, PM II, 215f. Krüger, Versöhnt, hat dieses Dürer-Bild (mit Iwands Erläuterung) als Titelblatt seiner Arbeit gewählt. 43
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Blick, er richtet auf der anderen Seite den Blick in die Welt hinein und faßt dabei auch das eschatologische Ziel ins Auge. Die politisch-gesellschaftliche Dimension der Versöhnung als Analogie zur göttlichen Versöhnung kommt hier deutlich vernehmbar zur Sprache. Erkennbar ist auch das persönliche Ringen Iwands, sein eigenes Hineingenommensein in den Kampf, in den er sich von Gott gestellt weiß. Der Wirklichkeit der Welt setzt Iwand die Verheißung Gottes als Realität entgegen und leitet dazu an, aus dem Evangelium heraus zu leben und von daher die Welt zu sehen. Im Schlußteil spricht er vom Handeln Gottes am Menschen in Gericht und Gnade durch seinen Heiligen Geist.
6. Predigt über Mt 5,21-22 (1950)«
6.1 Predigt Iwand hält die Predigt mit der Überschrift „Du sollst nicht töten" bei der Tagung des Christlichen Friedensdienstes 1950. Das Gebot, nicht zu töten, kann nur von Gott kommen, der ein Gott des Lebens ist im Gegensatz zum Teufel, der ein Mörder ist. Iwand geht es darum, daß Gott die Augen öffnet „... für eine z w a r sehr alte, aber für uns doch neue und entscheidende Einsicht. N ä m l i c h dafür, daß G o t t e s Gebot und alles m e n s c h l i c h e Leben, j a alles L e b e n in der W e l t , aufs engste miteinander z u s a m m e n h ä n g e n , daß Gottes Gebot nur um des L e bens willen da i s t . " 4 7
Iwand erinnert an den Anfang der Bibel, wo die Welt ohne Gottes Wort als „wüst und leer" beschrieben wird. Es besteht die Gefahr, daß die Welt, wo sie sich selbst überlassen wird, wieder so wird wie vor der Schöpfung. „Der Geist Gottes und die Wirklichkeit, in der wir leben, fallen auseinander. Wir wagen schon lange nicht mehr, zu sagen und zu glauben, was doch sogar die Heiden nicht preisgegeben haben: ,In ihm leben, weben und sind wir.'" 4 8 Wo dieses nicht mehr geglaubt wird, wird für Iwand die Bedeutung von Weihnachten, Ostern und Pfingsten preisgegeben. „Denn W e i h n a c h t e n heißt d o c h , daß Gottes Geist in einem M e n s c h e n gleich w i e wir W o h n u n g nahm, und Ostern heißt doch, daß derselbe Geist eben in diesem M e n schen alle Schuld aufgehoben und wiederum in diesem selben M e n s c h e n allen die Verheißung des L e b e n s wieder geschenkt hat, und Pfingsten schließlich heißt, ... daß eben dieser Geist G o t t e s weiter bei uns und in uns wohnt und uns alle in den L e b e n s und Gnadenbund einbezieht, der zwischen Gott und diesem einen M e n s c h e n , der z w i 46 47 48
Vgl. Iwand, N W 3, 2 1 3 - 2 2 5 . Vgl. zu dieser Predigt Seim, Bergpredigt, 3 0 7 - 3 1 1 . Iwand, N W 3, 2 1 3 . A.a.O. 2 1 4 ; vgl. Act 17,28.
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sehen Gott und Jesus Christus uns allen zum Heil geschlossen und für uns aufgeschlossen ist." 49
Demgegenüber sieht Iwand die Gefahr, daß die Kirchen vor den sogenannten Realitäten kapitulieren, die nur den Himmel für Gott reservieren und das Leben auf dieser Erde ohne Gott fuhren. Dagegegen stellt Iwand die Wirklichkeit, die von Gott her gilt. „Wirklichkeit ist eigentlich nur in einem, in Jesus Christus, und wir alle leben in unserer gefährlichen Traumwelt, bevor sein Ruf uns nicht geweckt und seine Hand uns nicht aus diesem Totenreich herausgeholt hat."50 Die Frage nach Krieg und Frieden ist für Iwand heute der Punkt, wo „diese Ferne zwischen dem Geist Gottes und den Fluten, in denen wir unterzugehen drohen, am vitalsten und gefahrlichsten empfunden wird"51. Die Rede vom gerechten Krieg, das Freund-FeindDenken und der Glaube an den Rüstungsvorsprung sind Kennzeichen dieser Ferne von Gottes Geist. Iwand wendet sich gegen das den möglichen Krieg „... rechtfertigende Gerede der Kirche, das uns in den vergangenen Jahren so zum Ekel geworden ist. Denn die Kirche müßte doch die Stelle sein, w o dieser böse und sinnlose Spuk zerstieben könnte, den die blinden Blindenführer mit ihren Völkern treiben. Hier könnte der Blitz aufflammen, der die Welt v o m Aufgang bis zum Niedergang, der Orient und Okzident in das helle und durchsichtige Licht der Rettung und Erkenntnis stellt. Hier könnte die Sprache gesprochen werden, die alle Welt eint im Hören auf Gottes Taten, die neue Sprache, die der Geist redet ,.." 52
Bis in die Kirche und Verkündigung hinein drängt die politische Leidenschaft, die andere ausgrenzt und zu Feinden macht. Dagegen „sollen wir nun den scheinbar aussichtslosen Versuch machen, vom Frieden zu reden ... so, daß alle Welt begreift, daß hier ihre große, göttliche Verheißung liegt."53 Umkehr von den althergebrachten Normen und Gesetzen tut not; es gilt, in Jesus den Schritt nach vorn zu wagen ins „Niemandsland". Mit dem Wort „Du sollst nicht töten" proklamiert Gott, „daß ihm der Mensch gehört, den er geschaffen, den er erlöst und erworben hat mit seinem Blut und seinem Leiden."54 Jesus weist in eine neue Richtung, die Iwand ausgehend von Mt 5,22 in dreifacher Weise sieht. Erstens richtet Jesus den Bruderhaß. Haß ist der Auslöser für Mord und Totschlag, denn „Haß ist ja der Wunsch, der andere möchte nicht mit mir in ein-und-derselben Welt leben."55 Jesus deckt die
49
Iwand, NW 3,215. A.a.O. 216. 51 Ebd. 52 A.a.O. 217 (Hervorhebung im Original). 53 A.a.O. 218 (Hervorhebung im Original). 54 A.a.O. 219. 55 A.a.O. 220. Vgl. Iwand, Geistige Entscheidungen und die Politik (1958), FO, 170: „Der Christ will mit allen Menschen in der einen Welt und in der einen Menschheit leben. Er kennt grundsätzlich keine Unversöhnlichkeit. Der kalte Krieger hingegen möchte die ganze 50
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mörderische Tat schon auf, wenn sie erst in Gedanken geschieht, überfuhrt uns der Sünde und bewahrt damit vor dem Ausfuhren der Tat - Jesus „richtet und rettet zugleich" 56 . Zweitens verurteilt Jesus, jemand anderen einen Dummkopf zu nennen. Damit ist die Wand gemeint, „die wir aufrichten zwischen Gebildeten und Ungebildeten, zwischen Urteilsfähigen und Unmündigen, zwischen Griechen und Barbaren, zwischen Akademikern und Nichtakademikern." 57 Wer den anderen einen Dummkopf nennt, macht sich des Tötens schuldig, weil für ihn der „dumme" Mitmensch nur besteht als „Herdentier, das es zu fuhren oder besser: zu verführen und auszunutzen gilt"58, wie es z.B. in den Kolonien der Europäer geschehen ist. Auch reißt Jesus die Mauer nieder, die zwischen Gebildeten und weniger Gebildeten besteht. „Wir werden uns fragen müssen, ob Jesus uns nicht hier einen aussichtsvollen Weg weist, um der Gesellschaft, in der wir leben, ein neues, frohgemutes und friedliches Dasein zu geben. Warum denn sonst ist die Bibel in die Sprachen der Völker übersetzt? ... Die Bibel hat es an sich, daß sie den Riß, der zwischen Gebildeten und Ungebildeten entsteht, schließt."
Drittens ist der des höllischen Feuers schuldig, der seinen Bruder einen Narren, und das heißt einen Gottlosen nennt. Wer einen anderen Menschen als gottlos bezeichnet, wird des höllischen Feuers schuldig, weil er damit die Freiheit und Allgemeingültigkeit der Gnade Gottes leugnet. Niemand darf andere als gottlos bezeichnen und sich selbst dabei gerecht nennen. „Damit wir von dieser unserer eigenen Gerechtigkeit frei würden, ist Jesus Christus ans Kreuz gegangen. Damit wir Brüder würden und aus dem leben, was er uns gebracht hat, nicht aus dem, was wir sind. Es gibt keine Gottlosen - oder es gibt nur Gottlose. Niemand hat ein Recht zu töten, indem er vorgibt, er vernichte damit die Gottlosen und rette das Christentum! Jesus Christus steht mitten unter uns als Zeichen der Langmut und Geduld Gottes." 59
6.2 Analyse Diese Predigt, ein Beispiel für eine politische Predigt Iwands, wurde bei der Tagung des Christlichen Friedensdienstes gehalten, wo die Sorge um den Frieden der Völker untereinander im Mittelpunkt steht. Die Friedensfrage wird von Iwand auch in der Predigt aufgenommen und ausgehend vom fünften Gebot bedacht, so daß er darin die gegenwärtigen Fragen und SorWelt und die ganze Erde filr sich und sein System haben; er spricht dem ideologischen Gegner das Daseins- und Lebensrecht ab." (Hervorhebung im Original). 56 Iwand, NW 3, 222, 57 Ebd. 58 Ebd. 59 A.a.O. 225. Iwand spielt auf das Argument an, es geht in dem Ost-West-Gegensatz um den Kampf des Christentums gegen die Gottlosigkeit in der Gestalt des Kommunismus.
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gen der Hörer und die kirchlich-politische Diskussion aufnimmt und in Beziehung zu Gottes Wort setzt. Vom fünften Gebot aus macht Iwand deutlich, daß Gottes Gebot um des Lebens willen gegeben ist und Gottes Gebot und sein Geist notwendig zum Leben gehören, wenn es nicht dem Chaos verfallen soll. Iwand verbindet Schöpfung und Erlösung, indem er den „Lebens- und Gnadenbund" Gottes mit den Menschen zusammennimmt, so daß die Versöhnung und der Friede Gottes mit den Menschen auch in diese Weltwirklichkeit - den Frieden der Menschen untereinander - hineinreichen und sich auswirken müssen. Das dreifache Gerichtswort Jesu schafft nach Iwand den Raum zur Umkehr und zum Neuanfang - sowohl im persönlichen Verhältnis des einzelnen zu Christus als auch im gesellschaftlich-politischen Bereich.
7. Predigt über Gal 2 , 1 5 - 2 1 (1954)«
7.1 Predigt Bei dieser Predigt in einem Universitätsgottesdienst in Bonn setzt Iwand mit dem letzten Vers des Bibelwortes ein, den er als Ziel des Ganzen sieht: „Denn wenn durch das Gesetz Gerechtigkeit käme, dann wäre ja Christus umsonst gestorben."61 Es geht um das große Entweder - Oder: Entweder kommt die Gerechtigkeit durch das Gesetz oder durch Christus. Der Gegensatz von Gesetz und Evangelium, von Werken und Glaube, Sinai und Golgatha ist unüberbrückbar. Wenn es noch andere Wege zur Gerechtigkeit vor Gott als Christus gäbe, „... dann stünde das Kreuz umsonst auf Golgatha, dann wäre der Tod Christi nutzlos. Dann wäre alles leer und fade, was wir von ihm, von diesem dort geopferten Jesus Christus sagen. Wenn beides möglich wäre, der Weg des Gesetzes und der Weg des Glaubens, der Weg unserer Taten und dieser einen großen Tat Gottes - dann wäre all das umsonst geschehen, was wir heute als unseren letzten Trost und als Gewißheit unseres Lebens und Sterbens verkündigen." 62
Der Glaube an Jesus Christus duldet kein Zurück, sondern fordert Eindeutigkeit. „In dieser Sache geht es ums Ganze."63 Wer noch meint, durch das Gesetz in der Frage des Heils etwas ausrichten zu können, steht noch nicht jenseits des Jordans, hat die Grenze noch nicht überschritten.
60 61 62 63
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Vgl. a.a.O. 245-256. Gal 2,21; zitiert nach Iwand, NW 3, 245. Ebd. A.a.O. 246.
„Darauf will der Apostel heraus, daß wir begreifen: In Jesus Christus ist ein Entweder-Oder gesetzt, kein Sowohl-als-auch! ... Entweder wirklich leere Hände, Bettlerhände, die sich nach oben strecken, um zu empfangen, was Gott für den Menschen bereit hält, oder freier Wille und Entschlossenheit, sich selbst mit seinem Tun die Grundlage der eigenen Existenz zu sichern." 64
Der Glaube an Jesus Christus beginnt nicht erst da, wo die Grenzen der eigenen Möglichkeiten erkannt werden, sondern er stellt sich ganz und gar unter das Gericht Gottes. Der Mensch mit seinen guten und schlechten Taten, mit seinen Tugenden und Schwächen wird gerichtet, um darin die Gerechtigkeit zu empfangen. Es geht um alles oder nichts, wenn Christus nicht umsonst gestorben sein soll. Die Gemeinde in Galatien sagte bei der Bekehrung ein klares Ja zu Gerechtigkeit aus Glauben allein, aber jetzt wollen die Gläubigen wieder etwas hereinbringen von dem Alten, vom Gesetz und den Traditionen. So ging es in der ganzen Kirchengeschichte und so wird es immer gehen. Iwand spricht dann mit der Stimme der Galater: „Gnade, jawohl, Tod Christi, jawohl, wer möchte ihn missen! Aber daneben nun eben doch auch ein wenig von dem, was wir tun können und was wir leisten." 65 Dagegen setzt Iwand mit Paulus ein eindeutiges Nein. Christus allein ist unsere ganze Gerechtigkeit und unser ganzes Heil ohne jeden Zusatz. „Entweder-Oder: Entweder kommt die Gerechtigkeit aus den Werken des Gesetzes oder Christus, der gekreuzigte, der fur mich dahingegebene Christus ist meine Gerechtigkeit! ... Das ist es, was man in der Sprache der Theologie die Rechtfertigungslehre nennt."66
Iwand fährt fort, daß iur jeden einmal der Tag kommt, wo er über das „Christus allein" hinausmöchte, wo die Gnade nicht mehr genug ist. Aber das ist Abfall, vor Gott kann man nur bloß und frei hintreten. Nach dieser scharfen Entgegensetzung von Gesetz und Christus kommt Iwand auf die Tatsache zu sprechen, daß es Juden waren, die den Weg zu Christus gewiesen haben. Sie als das edelste Volk haben erkannt, daß der Mensch durch das Gesetz nicht gerecht werden kann, sondern daß über ihm als Fleisch das Gottesgericht steht, und die wahren Juden haben in Christus das Heil gesucht. „Sie sind mitten in das Gericht Gottes hineingetreten, weil sie erkannten, daß dies Gericht Rettung ist, Leben, volle, ewige Gerechtigkeit." 67 Iwand greift den ethischen Einwand auf, ob es dann nicht egal ist, wenn wir sündigen, da doch alles Gnade ist und alles Tun umsonst, und wehrt ihn mit Paulus ab. Es geht darum, daß vor Gott alle menschlichen Unterschiede bedeutungslos werden und sowohl diejenigen, die das Gute tun, wie diejenigen, die Böses tun, vor Gott als Sünder offenbar werden und unter dem Gericht stehen. Hier ist der Punkt, wo es um die Rechtfertigung geht, wo es um 64 65 66 67
A.a.O. A.a.O. A.a.O. A.a.O.
247. 248. 249. 252.
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mich selbst und mein Heil geht. „Es gibt im Christentum einen Punkt, da kann man nicht mehr objektiv reden, da muß man - gerade um der Sache willen - subjektiv reden."68 Es ist die Frage nach dem Ich, nach dem Lebenszentrum. In Christus findet ein Wechsel statt, was Paulus in für Iwand einzigartiger Weise aussagt: „Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20). Den Gedanken der Mystik wehrt Iwand ab und zeigt, daß es in der Begegnung mit Christus um Tod und Leben geht, um das Sterben des alten Menschen, an dessen Stelle nun Christus tritt „als dein besseres, dein neues Ich!"69 Das neue Leben ist ein Leben aus dem Glauben. Glaube darf nicht mit Fühlen, Empfinden und Erfahren verwechselt werden, aber: „Der Glaube hat einen Mund bekommen, der ihn bekennt, einen Geist, der ihn begreift, ein Herz, in dem er immer aufs neue Fleisch wird, Mensch wird..."70 Iwand schließt seine Predigt damit, daß er die Versöhnung als für die Welt vollzogene feststellt, die aber das „pro me" des persönlichen Hineingenommenseins zum Ziel hat: „Die Welt ist wirklich erlöst, die Sünde ist wirklich gerichtet, und der Tod ist wirklich seiner Macht entkleidet. Die Frage, die bleibt, die Bitte, die offen bleibt, ist die, daß uns - jedem fur sich - daran liegen sollte, daß er [Christus, R.M.] fur ihn nicht umsonst gestorben sei! Daß wir uns alle dem großen Entweder-Oder Gottes, dem sola gratia und dem sola fide unterstellen sollten. Daß der Tod Christi auch für uns den Tod bedeuten sollte jener Welt und jenem Leben, das aus den Werken des Gesetzes gerecht sein wollte und darum den Namen Leben nicht verdient." 71
7.2 Analyse Anders als bei den Predigten des Gemeindepfarrers Iwand ist hier, in dem Universitätsgottesdienst, eine konkrete Situation der Hörer nicht greifbar. Meistens redet Iwand in der „Wir"-Form, z.T. redet er auch per „Du" oder in der allgemeinen, den Hörer freigebenden Form mit „wer ... der"72. In jedem Fall wird auch in dieser Predigt durch das eindeutige und explizit genannte Entweder - Oder der Hörer in die (vom Geist gewirkte) Entscheidung gestellt. In dieser Predigt, die in ihrem Aufbau der Gliederung des Bibeltextes folgt, zeigt Iwand sich als leidenschaftlicher Prediger des „Solus Christus" und stellt den Gegensatz von Gesetz und Evangelium in aller Klarheit heraus. Wo es um die Rechtfertigung geht, bleibt für ihn zeitlebens ein unversöhnliches Entweder - Oder von Gesetzeswerken oder Glaube. Iwand stellt 68 69 70 71 72
266
A.a.O. 254. A.a.O. 255. A.a.O. 256. Ebd. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 27; ders., Predigt, GA II, 163.
den alten Menschen dem neuen Menschen in Christus gegenüber und betont die Wichtigkeit des persönlichen Bekenntnisses. Der Schluß zeigt die bei Iwand nicht eingeebnete Spannung zwischen universaler Versöhnung der Welt und der Notwendigkeit der persönlichen Heilsaneignung im Glauben, zu dem er ruft.
8. Predigt über 2 . K o r 5 , 1 9 - 2 1 ( 1 9 5 7 p
8.1 Predigt Iwand beginnt seine Karfreitagspredigt damit, daß die Versöhnung Gottes eine Tat Gottes, eine Weltenwende ist und nicht nur Bewußtmachung dessen, was wir schon immer sind: „Es geht hier nicht um die Erlösung der Erlösten, oder um die Versöhnung der Versöhnten, es geht nicht etwa darum, nur bewußt zu machen, w a s wir j e schon sind in der Hand unseres Gottes, sondern es handelt sich um mehr, um eine Tat Gottes, die eine Weltenwende bedeutet." 7 4
Die Versöhnungstat Gottes am Karfreitag ist für die ganze Welt geschehen. „Diese ganze weite, große, verlorene Welt hat sich eingezeichnet in die Gestalt des Gekreuzigten. Hier ist sie aufgehoben." 75 In dem gekreuzigten Christus ist Gott selbst gegenwärtig, er greift in ihm selbst ein, versöhnt die Welt mit sich und ruft alle ohne Unterschied zu sich. An Karfreitag versöhnt Gott die Welt mit sich, und die Frage ist gestellt, „ob wir das auch wirklich glauben, denn erst dann sind wir Christen!" 76 Diese Versöhnungstat Gottes ist nicht positiv aussagbar, sondern negativ als Nichtanrechnung der Sünden. Aber gerade dies scheinbar Negative ist das Fundament des Lebens aus Glauben. Die Vergangenheit mit den Sünden und Verfehlungen kann uns nicht mehr einholen, weil Gott die Sünden nicht zurechnet. Damit handelt Gott im Gegensatz zu uns Menschen, wo alles aus der Vergangenheit herangezogen und aufgerechnet wird, um zu richten. Die Nichtanrechnung der Sünden bedeutet, daß ein Schlußstrich unter unsere Vergangenheit gezogen wird und wir in Christus das Leben geschenkt bekommen, in ihm unser Sein haben. So gilt die Zusage des Evangeliums: 73 Vgl. a.a.O. 278-287. Vgl. dazu Klappert, Versöhnung, EvTh 49, 1989, 341-369. Bei Klapperts Interpretation kommt der die Versöhnung annehmende Glaube des Menschen (als Gabe des Geistes Gottes!), der in Iwands Predigten durchgehend das Ziel der Verkündigung ist, zu kurz. 74 Iwand, NW 3, 278 75 A.a.O. 279. 76 A.a.O. 280.
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„Gott war in Christo und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Und hier dürfen sie alle kommen, die Menschen dieser Welt, und einsetzen, was sie wollen, was jeden bedrückt, es mögen Berge von Schuld sein oder Abgründe von Versuchungen, es mag all das sein, was die vom Zweifel Angefochtenen erleben und erleiden, all die Blasphemie, die sie gedacht, all die Leugnungen Gottes, die sie gelehrt haben. Die Ungerechtigkeiten dieser Welt, wenn sie Ereignis geworden sind in dem Erleiden der Kinder und der Frauen, die Grausamkeiten des Krieges, die Hartherzigkeit der Geldmenschen, alles das soll nicht gerechnet werden." 77
Im Gegensatz dazu steht das Gesetz dieser Welt, in der alle Rechnungen beglichen werden und auch beglichen werden müssen, um die Ordnung der Welt zu erhalten. Aber bei Gott am Karfreitag gilt nichts „als Gottes freie, vergebende, bedingungslose Gnade."78 Um dieses Wort vom Kreuz allen Menschen weiterzusagen, hat Gott einen Botendienst eingerichtet, durch den der Sieg des Königs proklamiert wird. Diese Freuden- und Friedensbotschaft vom Versöhnungstag Gottes muß hinaus in die ganze Welt. Gerade im Tod Jesu liegt der Sieg verborgen. Der Dienst der Boten ist kein Befehl, sondern nur eine Bitte, sich versöhnen zu lassen. „Er, der für uns dahingegebene Sohn Gottes, muß mitten unter unserem Bitten so groß werden, daß durch ihn geschieht, was an diesem Tage geschehen soll und kann."79 Das ist das Wunder des Glaubens, das geschehen kann und soll, wenn Gottes Geist an den Menschen wirkt. „... wir können, dürfen und sollen glauben, daß der Mensch sich versöhnen läßt, wenn Gott in Christus ihn bittet, daß er sich in innerer Freiheit versöhnen läßt, einfach darum, weil es ihm von Gott her aufgeht, daß die Feindschaft zu Ende ist und darum auch bei uns zu Ende sein muß." 80
Als Versöhnte gehören wir auf die Seite Christi. An die Stelle der eigenen Gerechtigkeit tritt die Gerechtigkeit Gottes, die unsere Sünde nicht anrechnet und „... durch die aus dem größten Elend die größte Freude, aus dem Unabänderlichen das Werden des neuen Lebens wird."81
8.2 Analyse Im Blick auf die Situation und die Hörer gilt - abgesehen davon, daß es sich um eine Karfreitagspredigt handelt - das gleiche wie in der vorangegangenen Predigt. Iwand entfaltet die Aussage des Bibeltextes, indem er den Einsatz beim Evangelium nimmt und das Versöhnungshandeln Gottes mit der Welt in den 77 A.a.O. 283. Vgl. Bittner, Aspekte, ThBeitr 12, 1981, 91, der diesen Abschnitt als Beispiel für den „reinen Zuspruch" des Evangeliums zitiert. 78 Iwand, NW 3, 284. 79 A.a.O. 286. 80 A.a.O. 286f. 81 A.a.O. 287.
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Mittelpunkt stellt. Der große Versöhnungstag Gottes ist für alle Menschen geschehen. Die Nichtanrechnung der Sünden ist die Tat Gottes am Kreuz, und diese Nichtanrechnung ist das Evangelium, wie Iwand es in anschaulicher und bedingungslos einladender und zusprechender Form verkündigt. Was von Gott her geschehen ist, soll bei den Menschen Wirklichkeit werden - dafür hat Gott den Botendienst, die Verkündigung des Evangeliums eingesetzt.
9. Predigt über Joh 1,43-51 (1959)«
9.1 Predigt In dieser mit „Von nun an" überschriebenen und von Iwand mit diesen Worten eingeleiteten Predigt in einem Universitätsgottesdienst in Bonn geht es um das Heute der Gnade Gottes. Der ferne Gott ist in Jesus Christus zum Greifen nahe gekommen, das Heil Gottes „... ist uns in des Wortes ureigenster Bedeutung auf den Leib gerückt."83 Dem Gott der Bibel kann man nur im Heute begegnen, wenn er ruft. „Anders als im Heute kann man Gott nicht finden. Gott hat auch sein Heute. Sein eigenes, sein besonderes Heute, in das er uns alle ruft und hineinziehen möchte. ... Wer in dieses Heute eintritt, der weiß, uns kann nichts mehr trennen von Gott. Das ist sehr, sehr viel. Denn es ist so vieles da, was uns von Gott trennen möchte, und das wenn jenes große Ereignis, von dem unser Text redet, nicht geschehen wäre - auch seine trennende Macht Gott gegenüber durchaus behalten hätte. Ich wißt, was ich meine. Ihr wißt, welche Macht die Sünde und die Schuld und das Leid, welche furchtbare Macht der Tod haben kann. Aber von nun an haben sie das nicht mehr. Von nun an hat die Gnade Gottes in Jesus Christus das erste und das letzte Wort. Jesus ist Gottes Heute."84
Im Alten Testament ist dieses Heute, dies Nun noch nicht da; dort heißt es: Noch nicht! Das Alte Testament lebt noch in der Erwartung des Kommenden, der im Neuen Testament der Gegenwärtige ist. Dort heißt es betont: Heute und Jetzt. Dieses Heute und Jetzt muß sich auch in den Predigten ereignen, und Iwand fragt: „Vermissen wir nicht manchmal dieses bewegende Heute in unseren Predigten? Man kann es nicht künstlich hineinbringen. Wir haben das nicht in unserer Macht. Wenn es da ist, ist es da, man weiß nicht, woher es kommt und wohin es geht. Aber machen kann man es nicht. Wenn es nicht da ist, dann ist alles so leer. Dann befinden 82 83 84
Vgl. a.a.O. 291-298. A.a.O. 292. Ebd. (Hervorhebung im Original).
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wir uns auch im Gottesdienst doch wieder auf der endlosen Straße der Zeit, dann fehlt uns die Mitte, dann fehlt der Punkt, um den unser Leben schwingt." 85
Wo das Heute fehlt, wird das Evangelium nicht Ereignis, kommt Gottes Gerechtigkeit nicht in unsere Sünde hinein und Christus nicht als Retter zu den Verlorenen. Wo aber dieses Heute da ist, wo Jesus Christus gegenwärtig ist, da ist „Neues Wirklichkeit geworden, Neues, das ganz und gar nicht aus dem Vorhandenen, aus dem Gewesenen ableitbar ist."86 Es geht darum, Jesus zu finden, der im Alten Testament verheißen und im Neuen Testament erschienen ist. Dann kommt Iwand auf den Zweifler Nathanael zu sprechen. Nathanael zweifelt, weil Gott in Niedrigkeit kommt - anders als erwartet. Nicht Nathanael findet Jesus, sondern Jesus findet Nathanael, kommt zu ihm. „Nicht er wird von uns gefunden, sondern erst werden wir gefunden. Dann aber werden wir auch ihn gefunden haben."87 Wer so von Jesus gefunden wurde, kann nicht sitzenbleiben, sondern muß ihm folgen, weil er ihm gehört. Er wird ihm folgen auf dem Weg des Kreuzes und diesen Weg lieben lernen. „Denn ,νοη nun an' werden wir den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herabfahren auf des Menschen Sohn!"
9.2 Analyse In dieser Predigt aus einem Universitätsgottesdienst im Januar 1959 stellt Iwand die Hörer in das Heute der Gnade, in das Heute von Weihnachten und damit in die Gegenwart des Heilshandelns Gottes. Der Einbruch des Evangeliums als das Heute der Gnade Gottes kommt in dieser Predigt sehr eindringlich zur Sprache. Wie in der Predigt über das Evangelium88 spricht Iwand über das Heute der Gnade Gottes, aber ebenso ist es Zuspruch der Gnade. Das Heute Gottes ist identisch mit dem Heil, mit der Rettung aus dem Gericht. Iwand nennt seine Sorge angesichts der Predigten der Gegenwart, daß in ihnen das Heute, also der Zuspruch des Evangeliums, fehlt. Wo das fehlt, wird das Ziel der Predigt, dem Menschen „ein aus Gott geborenes Leben [zu] schenken"89, verfehlt.
85 86 87 88 89
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A.a.O. 293. A.a.O. 294. A.a.O. 297. S.o. 255ff. Iwand, Studien, GA I, 52.
10. P r e d i g t ü b e r J o h 14,19 (1960)9°
10.1 Predigt „Ich lebe, und ihr sollt auch leben" ist das Thema dieser Osterpredigt, die Iwand zwei Wochen vor seinem Tod gehalten hat und die im Rundfunk übertragen wurde. Die Wahrheit von Ostern ist die Aussage Jesu „Ich lebe". Iwand erinnert daran, daß am Ostertag in der ganzen Welt Menschen zusammenkommen - wie z.B. die Christenheit in Rußland(!) - und die Auferstehung Jesu feiern. Aber dieses „Ich lebe" kann und darf nicht für sich allein stehen; das „Ihr sollt auch leben" gehört untrennbar hinzu. „Es geht nie um Jesus, ohne daß es zugleich um uns geht. Das ist das Wunderbare und Besondere an der Geschichte dieses Jesus von Nazareth, daß sie immer auch uns einschließt, uns sterbliche, uns sündhafte Menschen. Sie ist immer zugleich unsere Geschichte. Immer sind wir dabei. Bei seinem Sterben sind wir dabei und bei seinem Auferstehen. Das ist zwar ein Geheimnis der Gnade Gottes und schwer zu verstehen, aber wir haben ja an unserer Taufe das Zeichen dafür, daß wir dabei sind. Daß wir mithineingezogen sind in diesem Prozeß von Tod und Auferstehung, Gericht und Gnade, der über Jesus von Nazareth ergangen ist." 91
Das Leben Jesu bedeutet auch für seine dem Tod verhafteten Jünger das Leben. Daß das Leben in ihm ist, das gilt nur für Jesus und für keinen Menschen sonst. Wir tragen alle den Tod an uns. Aber Jesu Leben schließt unser Leben mit ein, er steht für uns. Iwand hebt hervor, daß dies Wort über das Leben nicht nach, sondern vor Ostern gesagt ist und auch dort gilt, wo vermeintlich der Tod gesiegt hat. Gerade angesichts des Todes Jesu sollen seine Jünger sich an sein Wort halten, daß er lebt. „Der Tod Jesu ist das Letzte, was Menschen gegen Gott zu tun vermochten, aber: Ich lebe! Und seine Auferstehung ist das Zeichen, der Beweis, daß auch der Tod dieses Leben nicht brechen kann." 92 Iwand unterstreicht den engen Zusammenhang von Weihnachten und Ostern, denn an Weihnachten wird der Eintritt des Lebens Gottes in die Todeswelt und an Ostern der Sieg dieses Lebens über den Tod gefeiert. Von Gottes Urteil her wird der Mensch in seiner Todesverfallenheit offenbar: „Ich lebe - das heißt im Munde Jesu: Ihr seid die Toten von dem Punkte her gesehen, den ich einnehme. ... Dieser Punkt heißt Gott. Wer Gott verliert oder verloren
90 91 92
Iwand, NW 3, 304-309. A.a.O. 304f. A.a.O. 307.
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hat, wer nicht mehr von ihm her lebt und auf ihn hin, der kann nicht mehr von Leben sprechen. Was wirklich Leben ist, weiß der nicht mehr."93
Wenn für uns auch der Tod das Letzte ist, so sehen wir mit den Augen des Glaubens etwas anderes: „... die Verheißung, mit dem Finger Gottes mir ins Herz geschrieben. Ihr sollt auch leben. ... Hier muß mit den Augen des Glaubens gesehen und mit der Vernunft des Glaubens geurteilt werden. Ihr werdet leben. Was als Wahrheit in Jesus vor uns steht, in dem Hirten seiner Schafe, den Gott schon herausgeführt hat aus dem Totenreich, dasselbe ist bei uns allen noch im Gange, es ist bei uns noch im Geschehen. Teilweise liegt unser Leben noch in der Todesnacht, aber es hat eine Mitte bekommen, wo es hell ist. Es ist hineingekommen in die Kraft der Verheißung Gottes, die Leben, ewiges Leben verheißt." 94
In der Anfechtung des Todes ist die Verheißung Gegenwart, erfüllt in Jesus Christus. Was bei ihm schon geschehen und gegenwärtig ist, ist für uns noch zukünftig. Aber um Jesu willen gehen auch wir dem Leben entgegen.
10.2 Analyse Indem Iwand in dieser letzten Predigt zwei Wochen vor seinem Tod als Beispiel die russische Christenheit nennt, zeigt er seine Verbundenheit mit den russisch-orthodoxen Christen und stellt gleichzeitig die im Gottesdienst versammelte Gemeinde in den weiten Raum der Weltchristenheit. In dieser letzten Predigt Iwands kommen noch einmal zentrale Themen seiner Theologie zur Sprache, indem er den Satz Christi „Ich lebe, und ihr sollt auch leben" entfaltet. Christi Leben und Sterben ist nur als ein „pro nobis" geschehenes zu sehen, kann nicht abgesehen vom Menschen verstanden werden, und Inkarnation und Passion gehören zusammen. Dem Menschen unter dem Gesetz als einem Toten steht der Lebendige gegenüber und schenkt ihm das Evangelium, die Verheißung des Lebens, das in Christus schon gegenwärtig, im Blick auf uns aber noch im Werden ist. Am Schluß steht die Gewißheit des ewigen Lebens, weil es in Christus geborgen und unverlierbar geschenkt ist.
93 94
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A.a.O. 308. A.a.O. 109.
11. Zusammenfassung
Die Analyse von zehn exemplarisch ausgewählten Predigten Iwands ergibt hinsichtlich des Situationsbezugs und des Textbezugs einschließlich der theologischen Entscheidungen folgendes Ergebnis: Die Situation der Predigt kommt am deutlichsten zur Sprache, als Iwand Gemeindepastor in Dortmund in der Zeit des zweiten Weltkriegs ist und dabei die Probleme und Fragen seiner Gemeindeglieder kennenlernt. Die Situation des Kampfes und der Anfechtung wird in den Predigten genannt, mit dem Bibelwort in Beziehung gesetzt und vom Wort Gottes aus beleuchtet und beurteilt. Die Hörer werden auf ihre konkrete Situation angesprochen, ihre Nöte, Zweifel und Anfechtungen werden von Iwand ausgesprochen und unter das Licht des Wortes Gottes gestellt. Wenngleich der Predigthörer bei Iwand sehr ernstgenommen wird, ist er dennoch nicht der Ausgangspunkt der Predigt - dieser liegt bei dem Wort der Schrift. Vom Bibelwort ausgehend werden die Fragen des Hörers aufgenommen, aber der Hörer selbst auch in Frage gestellt und in die Krisis der Entscheidung gefuhrt. Iwand spricht dabei den Hörer unterschiedlich an: Häufig redet er in der „Wir"-Form, immer wieder auch in der Anrede des „Du" oder „Ihr". Wichtiger aber ist der assertorische, bekenntnisartige Charakter der Predigten, die den Hörer nicht in der Neutralität belassen, sondern zu einer Entscheidung fuhren. Hervorzuheben ist auch, daß Iwand seinem theologischen Ausgangspunkt entsprechend nicht nur über das Evangelium predigt, sondern es dem Predigthörer auch zuspricht,95 Iwand zeigt sich in seinen Predigten als textgemäßer Prediger, d.h. er folgt in dem Aufbau der Predigt dem zugrundeliegenden Schriftwort und inhaltlich der Intention des Textes. Seine Predigten sind an das konkrete Bibelwort gebunden, haben aber immer auch das Ganze der biblischen Botschaft - zugespitzt auf die Rechtfertigung des Sünders - im Blick. Iwands theologische Erkenntnis, daß es in der Predigt des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium um das Geschehen der Rechtfertigung als der Rettung aus dem eschatologischen Gericht geht und daß somit der Glaube das Ziel jeder Predigt ist, findet in seinen eigenen Predigten ihre Bestätigung. In fast allen Predigten wird deutlich, daß es in der Begegnung zwischen dem lebendigen Gott und dem Menschen nur um ein Entweder - Oder geht, um Tod und Leben, um Gericht und Gnade - aber immer mit dem Ziel des Lebens in 95 Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 18: „Predigen heißt in der Tat, im Auftrag Jesu Christi dieses Wort zusprechen denen, die von Gott dazu bereitet sind" (Hervorhebung R.M.).
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Christus als Weg vom Gesetz zum Evangelium. Die Aussagen über die Sünde und Verlorenheit des Menschen dienen dazu, auf Christus zu weisen und zu ihm als dem Versöhner zu rufen. Am Ende der Predigten steht häufig die Verheißung des Lebens und der Ruf zu Christus, zum Glauben.
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Zusammenfassung und Ausblick
Hans Joachim Iwand wurde durch seinen Lehrer Rudolf Hermann „... auf die Lehre von der Rechtfertigung gewiesen, auf die Fragen von Glauben und Werk, Gesetz und Evangelium, Sünde und Gnade, also mitten in das Zentrum von Luthers Theologie und der Theologie überhaupt."1 Iwand bekennt weiter, von Luther her den Zugang zu Paulus - damit zugleich zur Heiligen Schrift - und zum christlichen Glauben gefunden zu haben.2 Iwands Lehre von Gesetz und Evangelium als dem Zentrum der Theologie, geprägt von der Heiligen Schrift und Luther als ihrem Ausleger, wird erstmals dargelegt in der Habilitationsschrift „Rechtfertigungslehre und Christusglaube" von 1927 (mit Ergänzungen 1930 veröffentlicht)3. Diese Schrift zeigt den Ort der Lehre von Gesetz und Evangelium an: Christologie und Rechtfertigung - und damit auch die theologische Anthropologie. Die ausfuhrlichste Entfaltung von Gesetz und Evangelium bietet Iwand in seiner Vorlesung von 1937 im Predigerseminar der Bekennenden Kirche.4 Am Ende dieser Untersuchung stellt sich die Frage nach der Aktualität Iwands für das Verständnis von Gesetz und Evangelium. Die wichtigsten Ergebnisse sollen deshalb im folgenden dargelegt und mit gegenwärtigen Fragestellungen konfrontiert werden.
1. Die Lehre von der Heiligen Schrift
1.1 Einheit und Unterscheidung von Wort Gottes und Heiliger Schrift Bei aller Kontinuität zeigen sich in Iwands Theologie deutliche Veränderungen, die auch das Verständnis von Gottes Wort und Heiliger Schrift in ihrem Verhältnis zueinander betreffen. In der Zeit des Kirchenkampfes ver1 2 3 4
Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 13. Vgl. ebd. Vgl. Iwand, RuC. Vgl. Iwand, GuE (1937), NW 4, 11-230.
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tritt Iwand die Einheit von Gottes Wort und Heiliger Schrift. Gegen Karl Barth lehnt er eine Trennung von Gottes Wort als verbum dei intrinsece und Menschenwort als verbum dei extrinsece mit der Begründung ab, diese Unterscheidung sei uns nicht zugänglich. Zur Inkarnation gehört für Iwand, daß Gott in menschlicher Rede zu uns spricht, er sich darin uns naht und uns zugänglich wird. Durch den Heiligen Geist als Ausleger der Schrift wird im Glauben die Einheit von innerem und äußerem Wort Gottes erkannt. Nach dem Krieg postuliert Iwand entgegen seinen früheren Äußerungen stärker die Unterscheidung von Gottes Wort und Heiliger Schrift, um die Unverfügbarkeit und den Ereignischarakter des Wortes Gottes herauszustellen. Dennoch bleibt ihm die Heilige Schrift die einzige Quelle zur Erkenntnis Jesu Christi, so daß er es ablehnt, über das geschriebene Wort hinauszugehen. Dabei ist Gottes Reden im Gesetz - in Ablehnung der Volksnomoslehre - ebenso Gottes Offenbarung in der Heiligen Schrift wie das Evangelium. Obwohl Iwand durchgängig die Heilige Schrift als alleinige Norm, als norma normans der Kirche ansieht, erhebt sich die Frage, ob er nicht - entgegen seiner Intention! - mit der in den fünfziger Jahren erkennbar werdenden ontischen Unterscheidung von Gottes Wort und Heiliger Schrift in der Gefahr steht, die alleinige Bindung an das Wort der Heiligen Schrift zu verlieren.5 Wo die Heilige Schrift nicht allein die Quelle der Erkenntnis Gottes und seines Redens ist, wo also Gottes Wort und Heilige Schrift voneinander getrennt werden, tritt anderes an die Stelle der Schrift - wie z.B. bei der Volksnomoslehre der Deutschen Christen das völkisch-sittliche Empfinden als Gesetz Gottes.
1.2 Gott als Subjekt der Heiligen Schrift Iwand versteht die Heilige Schrift, die alleinige Norm der Kirche, als Selbstzeugnis und Selbstoffenbarung Gottes, der das Subjekt der Schrift ist. Damit erteilt er der Auffassung, die Bibel sei menschliche Rede über Gott, eine Absage. Mitte, Inhalt und Ziel der Schrift ist für ihn Jesus Christus, auf den die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments ausgerichtet ist. Wenn gegenwärtig vielfach die Heilige Schrift nicht „als Wort Gottes anerkannt, sondern als ,Theologie' im Sinne einer doktrinären Umsetzung menschlicher Erfahrungen verstanden und verwendet"6 wird, ist das Votum 5 Vgl. die Bindung vom Geist Gottes an das äußere Wort in CA V, BSLK 58,11-15 und ASm VIII, BSLK 453,16 - 456,18. 6 Slenczka, „Nonsense" (Lk 24,11). Dogmatische Beobachtungen zu dem historischen Buch von Gerd Lüdemann, „Die Auferstehung Jesu. Historie. Erfahrung. Theologie", Göttingen 1994, KuD 40, 1994, 179. Nach Slenczka geht es in dem umstrittenen Buch von Lüdemann nicht nur um das Problem bestimmter Thesen des Autors, sondern um „methodisch und
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Iwands eine wichtige Stimme zur Besinnung auf das Wesen der Heiligen Schrift als Selbstzeugnis Gottes, wo nicht der Mensch, sondern Gott das Subjekt ist, der durch sein Wort in Gesetz und Evangelium den Menschen in die Krisis fuhrt.
1.3 Die Heilige Schrift als Gesetz und Evangelium Gott redet in der Schrift richtend und rettend in Gesetz und Evangelium, in Imperativ und Indikativ. Iwand sieht ein eindeutiges Gefalle vom Gesetz zum Evangelium, eine Bewegung, die vom Sinai nach Golgatha geht und nicht rückläufig ist. Dabei ist Golgatha der Standort, von dem aus auch das Wort vom Sinai erkannt wird, d.h. von Christus als dem τέλος des Gesetzes aus wird der Sinn des Gesetzes offenbar. Wer Gesetz und Evangelium in der Schrift nicht unterscheidet, kann nach Iwand das Heilswerk Christi in seiner Tiefe nicht erfassen und gerät auf den Irrweg des Nomismus oder des Antinomismus. Ein richtiges Verständnis der Heiligen Schrift wird für Iwand im Anschluß an Luther nur dort gefunden, wo sie in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gelesen wird.
2. Die Unterscheidung und Einheit von Gesetz und Evangelium
2.1 Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium Bei Luther findet Iwand die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Zentrum der Theologie. Dem Gesetz als Imperativ steht das Evangelium als Indikativ, als Gabe gegenüber. So wie Jesus Christus Mitte, Inhalt und Ziel der Schrift ist, so ist er auch die Mitte von Gesetz und Evangelium; das eine Mal als Forderung, das andere Mal als Verheißung. Für Iwand spezifisch ist die zeitliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Wo Zeit zwischen dem Menschen und Christus liegt - Christus also eine Forderung ist, wo er postuliert wird da herrscht das Gesetz, während Evangelium da ist, wo Christus und der Mensch gleichzeitig sind, wo das Heil Gegenwart ist. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium muß sich in der Anfechsachlich in Theologie und Verkündigung des neueren Protestantismus weit verbreitete Auffassungen" (a.a.O. 172) wie die Ablehnung der Heiligen Schrift als Gottes Wort, die Verdrängung der Sünde des Menschen, die Umformung von Christus als handelndem Subjekt zum reinen Objekt des Glaubens oder die Nichtunterscheidung von Gottes Geist und menschlichem Geist (vgl. a.a.O. 179f).
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tung bewähren, wo die Gefahr der Vermischung von Gesetz und Evangelium am größten ist. Denn der Angefochtene sieht seine Sünde und die Forderung des Gesetzes und versucht, durch sein Tun vor Gott zu bestehen. Den Sieg über die Anfechtung erfahrt der Mensch dort, wo er sich vom anklagenden Gesetz hin zu Christus flüchtet und seine Sünde nicht mehr bei sich selbst, sondern in Christus sieht, der sie weggetragen hat. Das Ziel der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium liegt darin, Christus zu verherrlichen, d.h. insbesondere sein Heilswerk in seiner tiefen Bedeutung zu erfassen, und den Menschen in die Gegenwart des Heils zu stellen.7 Für die gegenwärtige Diskussion verdient das von Iwand formulierte Ziel der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium Beachtung. „Gesetz und Evangelium" ist kein Thema neben anderen in der Dogmatik, sondern in der Unterscheidung beider geht es um das Zentrum, die Erkenntnis Jesu Christi in seinem Heilswerk und um das Geschehen der Rechtfertigung. „Gesetz und Evangelium" ist demnach kein Prinzip, mit dem sich arbeiten ließe, sondern eine durch den Heiligen Geist gewirkte Unterscheidung, die den Menschen in die Rechtfertigung vor Gott fuhrt und die sich in der Situation der Anfechtung bewähren muß. Dieses Ziel und diese Grenze müssen vor allem da im Blick bleiben, wo es darum geht, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu lehren, wie Iwand selbst es getan hat.
2.2 Die Einheit von Gesetz und Evangelium Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist für Iwand nicht identisch mit einer strikten Scheidung, weil Gesetz und Evangelium immer aufeinander bezogen sind. Sie gehören zusammen unter die Klammer der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Zum ersten sieht Iwand einen engen Zusammenhang von Gesetz und Evangelium darin, daß beide Gottes offenbartes Wort sind. Die Frage, ob das eine Wort Gottes jenseits des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium erkennbar ist, wird von Iwand in den dreißiger Jahren verneint, nach dem Krieg dagegen in stärkerer Annäherung an Barth zunehmend bejaht, weil er andernfalls eine Isolierung des Gesetzes vom Evangelium befurchtet.8 Zum zweiten liegt die Einheit von Gesetz und Evangelium in Jesus Christus, weil beide auf ihn ausgerichtet sind. Am Kreuz Christi werden das Gesetz im Gericht über die Sünde und das Evangelium im Sieg Christi über die Sünde offenbart. In Jesus Christus werden die zwei Worte Gottes von Gesetz und Evangelium mit dem Ziel des Evangeliums, des Heils laut. Zum dritten ist die Einheit im Menschen zu nennen, weil dieser das Wort des Gesetzes wie auch das Wort des Evangeliums hört 7 8
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Vgl. /MWji/,GuE(1937),NW4,20. S.o. Teil V.l.l Die Einheit im Wort Gottes, 145ff.
und als „simul iustus et peccator", im Gegensatz von Fleisch und Geist, von homo carnalis und homo spiritualis lebt. Iwand versucht insgesamt, sowohl die Unterscheidung als auch die Einheit von Gesetz und Evangelium zu wahren. Wo dies nicht der Fall ist, gerät man seiner Meinung nach entweder dahin, daß - bei einer scharfen Trennung - Gesetz und Evangelium als zwei Offenbarungen angesehen werden oder aber, daß beide Worte Gottes nicht unterschieden werden und dabei das Evangelium verlorengeht. Bei Iwand ist eine Entwicklung erkennbar, die von der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium innerhalb des einen Wortes Gottes zum einen Wort Gottes, unterschieden in Gesetz und Evangelium, fuhrt.
3. Nomismus und Antinomismus
Wo die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in ihrem Bezogensein aufeinander nicht beachtet wird, gerät man auf die Irrwege des Nomismus und des Antinomismus, wie sie von Iwand in besonders deutlicher Weise gesehen und dargestellt werden. Im Nomismus wird aus der Gabe des Evangeliums eine Forderung, ein Gesetz. Das sittlich gute Streben des Menschen, die Ethik, ist für Iwand der Ausgangspunkt dieses Ansatzes. Der Wille des Menschen wird dabei nicht als unfrei, sondern nur als geschwächt gesehen. Zur Erfüllung der Gebote Gottes bzw. zum sittlich guten Leben bedürfe er als Ergänzung der Gnade Gottes bzw. der Hilfe Christi. Die Gnade wird damit zu einer Forderung an den Menschen, die zu den guten Werken noch hinzutreten muß, sie wird ihres Charakters der reinen Gabe beraubt. Diese Fehlentwicklung sieht Iwand im gesamten Katholizismus wie auch in der protestantischen Theologie des neunzehnten Jahrhunderts verwirklicht - mit dem Unterschied, daß im Katholizismus die Gnade sakramental, im Protestantismus personal (auf Christus bezogen) verstanden wird. Der Antinomismus als typisch protestantische Erscheinung hingegen versteht sich selbst als Vollendung des reformatorischen Ansatzes, indem er die Freiheit vom Gesetz so auffaßt, daß die Sündenerkenntnis allein aus dem Evangelium heraus geschehen soll. Die Predigt des Gesetzes zur Buße wird abgelehnt, so daß es in der Predigt nur um die Verkündigung des Evangeliums geht. Damit wird aber nach Iwand das Evangelium als allein schenkendes Wort seiner Eindeutigkeit beraubt, weil es die Funktion des Gesetzes zur Überführung der Sünde mit übernehmen muß. Prägnantestes Beispiel des Antinomismus in diesem Jahrhundert ist für Iwand die Volksnomoslehre, weil in ihr das Gesetz aus der Verkündigung verbannt und ein dem Volk 279
innewohnendes natürlich-sittliches Empfinden als Gesetz Gottes proklamiert wird. Dieses Gesetz hat angeblich die Funktion des usus politicus und des usus elenchticus legis, so daß in der Predigt allein das Evangelium zu verkündigen wäre. Gegen dieses Verständnis eines natürlichen Gesetzes als Gottesgesetz betont Iwand den Offenbarungscharakter des Gesetzes, das auf Christus hinweisend - allein aus der Heiligen Schrift erkannt wird und das natürliche Empfinden richtet. Als bleibend gültige Abwehr der Lehre von einem Volksnomos sei an die erste These der Barmer Theologischen Erklärung erinnert: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse oder Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung hören, anerkennen und verkündigen."9 Mit der Volksnomoslehre als Beispiel für einen (Gesetzes-)Anspruch an die Kirche außerhalb des am Sinai geoffenbarten Gottesgesetzes ist eine Grundgefahr deutlich geworden, die mit dem Ende der konkreten Volksnomoslehre in den dreißiger Jahren noch nicht beseitigt ist. In seinem Vortrag zur Barmer Erklärung hebt Hans Asmussen hervor, daß ein fremder Anspruch an die Kirche auch durch „... die Vernunft oder die Kultur oder das ästhetische Empfinden, den Fortschritt oder andere Mächte und Größen ,.."10 erfolgen kann. Die Grundthese der Antinomer, daß die Predigt des in der Schrift geoffenbarten Gottesgesetzes zur Erkenntnis der Sünde abzulehnen sei, ist in der Verkündigung der Gegenwart häufig anzutreffen. So lehnt beispielsweise Karl Barth die Verkündigung des Gesetzes zur Buße ab, weil er das tötende Gesetz und das lebendigmachende Evangelium in die Christusgeschichte verlagert und in der Predigt nur das Evangelium - auch zur Erkenntnis der (in Christus getragenen) Sünde - verkündigt. Darin wahrt er das Anliegen Agricolas.11 „Das anklagende, richtende Gesetz, die lex accusans Luthers ist
9
Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, hg.v. Alfred Burgsmüller und Rudolf Weth, 5., bearb. und erg. Aufl., Neukirchen 1993, 36. 10 Asmussen, Vortrag über die Theologische Erklärung, 52. 11 Vgl. Klappert, Erwägungen zum Thema: Gesetz und Evangelium bei Luther und K. Barth, ThBeitr 7, 1976, 153f. Klappert vertritt die These, daß Barth Anliegen Luthers und Agricolas angemessen miteinander verbinde, indem er die Anklage des Gesetzes und den Freispruch durch das Evangelium nicht beiseite lasse, aber allein in Kreuz und Auferstehung Christi vollzogen sehe. Da Luther im Unterschied zu Barth aber gerade an dem Geschehen der Rechtfertigung in der Verkündigung von Gesetz und Evangelium gelegen ist, wird man dem Urteil Klapperts, daß Barths Verhältnis zu Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium ein „inklusives Verhältnis" (a.a.O. 157) ist, nicht zustimmen können.
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für Barth keine Kategorie der neutestamentlichen Verkündigung, der Predigt der Gemeinde, sie ist keine kerygmatische Kategorie."12 Das Gesetz Gottes wird auch dort nicht verkündigt, wo an die Stelle des offenbarten Gesetzes andere Forderungen treten wie z.B. der Leistungsdruck, unter dem die Menschen leiden oder die Ansprüche, die von außen an sie gestellt werden. Unter der Annahme, daß alle Menschen in irgendeiner Weise unter Zwängen und damit unter dem Gesetz leiden, wird dann in der Predigt nur die Befreiung von diesen Zwängen verkündigt, ohne den Willen Gottes in seinem Gebot zu predigen und somit zur wahren Sündenerkenntnis zu fuhren.13
4. Die Aufgabe des Gesetzes und die Gabe des Evangeliums
4.1 Die Aufgabe und Grenze des Gesetzes Der wichtigste Gebrauch des Gesetzes besteht für Iwand mit Luther im usus elenchticus legis. Das Ziel des Gesetzes liegt dabei nicht in der Tat, sondern in der Buße des Menschen und der Hinwendung zu Jesus Christus. Dieses Ziel des Gesetzes wird erst vom Evangelium, von Jesus Christus her erkannt, so daß es für Iwand - unabhängig von der Frage der Reihenfolge von Gesetz und Evangelium - keine rechte Gesetzesverkündigung losgelöst vom Evangelium geben kann. Die Aufgabe des Gesetzes besteht in der Erkenntnis der Sünde und ihrer Macht, der der Mensch unterworfen ist. Die Sündenerkenntnis durch das Gesetz ist vom Heiligen Geist gewirkt und stellt den Menschen coram deo, so daß er sich selbst als Sünder und Gott als Gerechten erkennt, d.h. Gott in seinem Urteil recht gibt. Wo der Mensch sich vor Gott als Sünder erkennt und seine Sünden bekennt, gibt er Gott recht (als formaler Aspekt der Rechtfertigung), liefert sich ihm aus und wird von Gott gerechtgesprochen, so daß Gericht und Gnade, Gesetz und Evangelium zusammengehören. Dieses Geschehen der Rechtfertigung ereignet sich im Gebet. Das Gesetz schenkt dem Menschen die Erkenntnis des pro me der Erlösungstat Jesu Christi, weil er im Gesetz sich selbst als Sünder erkennt, für den Christus gestorben ist. Das eigentliche Ziel des Gesetzes und seine Heilsbedeutung liegt darin, daß es als Zuchtmeister den Menschen über das Gesetz hinaus zu Christus führen will. An der durch das Gesetz erkannten Macht der Sünde offenbart das Evangelium die Übermacht Gottes als Sieg 12 13
Klappert, Promissio, 148; vgl. ders., Erwägungen, ThBeitr 7, 1976, 153. Vgl. dazu Peters, Gesetz und Evangelium, 334.
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über die Sünde, so daß das Gesetz dazu dient, die Größe und Tragweite des Heilswerks Christi erkennen zu lassen. Die zweifache Grenze des Gesetzes liegt darin, daß es zum einen Leben in der Gemeinschaft mit Gott voraussetzt, um positiv zum rechten Tun fuhren zu können, zum anderen aber diese Voraussetzung selbst nicht schaffen kann, nicht lebendigmachen kann. Die natürliche Voraussetzung, auf die das Gesetz trifft, ist der sündige, gefallene Mensch, der sein Sünder-Sein zwar erkennen, aber nicht aufheben kann. Für den durch Gesetz und Evangelium gerechtfertigten Menschen, dem Gerechtigkeit nicht als habitus, sondern als promissio unverlierbar in Christus extra nos gegeben ist, verändert sich das Gesetz. Aus der Forderung des Gesetzes wird die Gabe Gottes, aus dem „Du sollst" ein „Du wirst", so daß der Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium hinfällig wird. Das Gesetz hat in der Heiligung die Aufgabe, den Christen zu bewahren und vor den Irrwegen des Nomismus und des Antinomismus zu schützen. Für den Christen hat das Gesetz, sofern er Sünder ist, weiterhin die sündenaufdekkende Funktion, aber ebenso gibt es für ihn als Wiedergeborenen das Gesetz im tertius usus legis, das ihn zum Tun der Gebote fuhrt und bei Christus bewahrt. In seinen Ausführungen zu Aufgabe und Grenze des Gesetzes in der Rechtfertigung und Christologie verdeutlicht Iwand die große Bedeutung des Gesetzes. Darin liegt ein entscheidender Beitrag Iwands zur Lehre von Gesetz und Evangelium. Zum einen zeigt er die auch gegenwärtig wichtige Aufgabe des Gesetzes für die Sündenerkenntnis, zum anderen bietet sein Verständnis des tertius usus legis wichtige Ansätze zu einer Ethik, wozu auch der Aufweis der zweifachen Grenze des Gesetzes gehört.
4.2 Die Gabe des Evangeliums Die Gabe des Evangeliums ist die Gerechtigkeit Gottes, die im stellvertretenden Leiden und Sterben Jesu Christi offenbart worden ist. Sie wird dem Sünder, der hier allein Empfangender ist, als iustitia passiva geschenkt. Iwand betont die Einheit von Sein und Schaffen Gottes, der den Sünder in der Rechtfertigung gerechtspricht und gerechtmacht. Die Unterscheidung von forensischer und effektiver Rechtfertigung lehnt Iwand von daher ab Rechtfertigung ist sowohl forensisch als auch effektiv zu verstehen. Das Gesetz offenbart die Einheit von Ich und Sünde und den Gegensatz zwischen Gottes und des Menschen Sein; die Gottesgerechtigkeit als Evangelium dagegen schenkt und offenbart die Einheit von Ich und Christus, von Gottes und des Menschen Sein. Die Einheit mit Christus ist aber nicht substanzhaft zu fassen, sondern sie ist uns als promissio extra nos in Christo geschenkt. Der Mensch ist peccator in re et iustus in spe. Die Spannung des simul ius282
tus et peccator wird erst im Eschaton aufgehoben sein, wenn die Sünde abgetan ist. Am Kreuz Christi erweist sich Gottes Gerechtigkeit als seine Barmherzigkeit, weil Christus zur Sünde gemacht und der sündige Mensch zum Gerechten wird. Der Horizont der Gerechtigkeit, die Christus dem Sünder schenkt, ist das Endgericht Gottes, so daß die geschenkte Gerechtigkeit gleichzeitig der Freispruch im Endgericht ist.
5. Die Abfolge von Gesetz und Evangelium
Im Blick auf das Gesamtwerk Iwands ist in der Frage nach der Abfolge von Gesetz und Evangelium keine einheitliche Interpretation möglich, weil nach 1945 (spätestens ab 1950) eine Veränderung seiner Anschauung erkennbar ist.
5.1 Gesetz und Evangelium In den dreißiger Jahren vertritt Iwand mit Luther die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - in dieser Reihenfolge. Das konkrete Geschehen der Rechtfertigung in der Begegnung des sündigen Menschen mit dem rechtfertigenden Gott (nach Luther das Subjekt der Theologie) als Handeln Gottes am Menschen in Gericht und Gnade steht dabei im Zentrum. Das Gesetz als opus alienum geht dem Evangelium voran und fuhrt den Menschen in die Buße; es dient als Zuchtmeister auf Christus hin. Das Evangelium als opus proprium Gottes spricht dem Sünder die Vergebung zu und spricht ihn gerecht. Trotz dieser Reihenfolge ist das Evangelium dem Gesetz sachlich vorgeordnet, weil die Gesetzesverkündigung von Christus her geschieht und zu ihm hinfuhrt, so daß eine Diastase von Gesetz und Evangelium vermieden wird. Iwand befindet sich in dieser Zeit in größter sachlicher Nähe zu Edmund Schlink, der im Unterschied zu ihm die stärkere Annäherung an Barth nach dem Krieg nicht mitvollzogen hat.
5.2 Evangelium und Gesetz Nach 1945 verteidigt Iwand Barths Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz, weil darin Christus mit seiner Versöhnungstat und nicht der Mensch
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ins Zentrum zu stehen komme. Bei der Vorordnung des Evangeliums kommt für Iwand nicht - wie bei der Vorordnung des Gesetzes - der Mensch als Sünder, sondern als in Christus Versöhnter in den Blick, so daß das Gesetz für den Christen hauptsächlich in seiner Funktion des tertius usus legis von Bedeutung ist. Iwand vertritt in jener Zeit die Vorordnung des Evangeliums, weil er nur so den Offenbarungscharakter des Gesetzes und die Einheit von Gesetz und Evangelium gewahrt sieht. Während für Barth das Gesetz in seiner anklagenden Funktion keine für die Verkündigung relevante Kategorie darstellt, macht Iwand in der Versöhnung des einzelnen den Vorbehalt des Glaubens, der im Geschehen der Rechtfertigung geschenkt wird. Bei Iwand zeigt sich ein nicht abgeschlossenes Ringen (und nicht etwa eine Synthese!) zwischen dem Verständnis Luthers und Barths, weil er trotz der von Barth übernommenen Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz die Verkündigung von Gesetz und Evangelium für die Rechtfertigung beibehalten möchte. Insbesondere am für Luther schlechthin entscheidenden usus elenchticus legis in seiner Bedeutung für die Verkündigung, von Barth abgelehnt, zeigt sich, wie problematisch der Versuch ist, das Verständnis Luthers und Barths zu vereinbaren. Während sich für Luther unter der Verkündigung von Gesetz und Evangelium die Rechtfertigung des Sünders als Rettung aus dem endzeitlichen Gericht vollzieht14, ist dieses Geschehen bei Barth in die den Menschen einschließende Christusgeschichte verlagert. Diese Unterschiede lassen sich nicht lediglich als zwei Ebenen verstehen, die miteinander zu verbinden sind.15 „Die ,Realdialektik' zwischen verurteilendem Gesetz und freisprechendem Evangelium läßt sich für einen biblisch gebundenen Christen nicht entschärfen",6.
14
Vgl. a.a.O. 318. Gegen Klappert, Erwägungen, ThBeitr 7, 1976, 140-157, der zwar feststellt, daß an diesem Punkt der Verkündigung von anklagendem Gesetz und freisprechendem Evangelium eine „nicht aufzuhebende Differenz zwischen Luther und Barth" (a.a.O. 152) bestehe, aber dennoch zu dem Schluß kommt: „Barths Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz schließt Luthers Nacheinander von Gesetz und Evangelium nicht aus, sondern legitim ein." A.a.O. 157. Vgl. auch die Kritik von Andreas Siemens, Karl Barth, der Vollender der lutherischen Reformation? Eine notwendige Replik zu B. Klapperts „Erwägungen zum Thema: Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth", ThBeitr 8, 1977, 31-35. Vgl. zur Problematik des Verständnisses der Rechtfertigung in der Gegenwart Gottfried Martens, Die Rechtfertigung des Sünders - Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament? Grundentscheidungen lutherischer Theologie und Kirche bei der Behandlung des Themas „Rechtfertigung" im ökumenischen Kontext, FSÖTh 64, Göttingen 1992. 15
16
284
Peters, Gesetz und Evangelium, 315 (Hervorhebung im Original).
6. Die theologische Anthropologie
6.1 Der Mensch unter dem Gesetz Die theologische Anthropologie kann nach Iwand wie das Verständnis des Gesetzes nur aus der Offenbarung Gottes in Christus gewonnen werden. Vom Evangelium her, das universale Geltung hat und als Befreiung vom Gesetz allen Menschen gilt, wird das natürliche Sein aller Menschen als Sein unter dem Gesetz erkannt. Bei dem Menschen als Sünder sieht Iwand vor allem in den dreißiger Jahren den Ansatzpunkt der theologischen Anthropologie. Vom sündigen Menschen her wird auch eine Sicht des Gesetzes gewonnen, die dieses begrenzt, weil mit der Erkennntis, daß der Mensch Sünder ist, auch die Unfähigkeit des Menschen erkannt wird, das Gesetz zu erfüllen. Jeder Mensch lebt unter der Anklage des Gesetzes und braucht den Freispruch aus dem eschatologischen Gericht Gottes. Iwand sieht das Ziel Gottes mit dem Menschen darin, ihn von der Herrschaft des Gesetzes zu befreien und unter die Herrschaft Christi zu stellen.
6.2 Fleisch und Geist Dem natürlichen Menschen als homo carnalis steht der homo spiritualis als der neue Mensch in Christus gegenüber. Fleisch und Geist sind für Iwand nicht Teilaussagen, sondern Totalitätsaussagen über den Menschen, er ist ganz Fleisch - mit allen seinen Trieben und Bestrebungen - aber als Wiedergeborener ebenso ganz Geist. Im Unterschied zum homo carnalis ist die Wirklichkeit des homo spiritualis nicht empirisch aufweisbar, sondern verborgen in Christus. Der Christ lebt allerdings nicht in einem friedlichen Nebeneinander oder Nacheinander von Fleisch und Geist, sondern ist bis an sein Lebensende in den Kampf zwischen beide, zwischen Adam als Ursprung und Christus als Bestimmung des Menschen gestellt. Darin ist er simul iustus et peccator. Der Sieg des Geistes über das Fleisch jedoch ist in Christus verbürgt, wobei das Sein des Christen als ein Werden vom homo carnalis zum homo spiritualis zu beschreiben ist, das im Eschaton seine Vollendung findet. Iwand weist mit dieser Anthropologie zum einen das Mißverständnis ab, die Wirklichkeit des neuen Menschen sei nicht real, kein neues Sein, sondern lediglich eine Gerechterklärung, und zum anderen wehrt er einem fal-
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sehen Heiligungsbestreben, das die Wirklichkeit des neuen Menschen empirisch nachweisbar machen möchte. Dadurch, daß der neue Mensch eine in Christus verborgene Wirklichkeit hat, ist er nur im Glauben zu erkennen und allein gebunden an die Zusage aus dem Wort Gottes. Als Kennzeichen des neuen Menschen könnte allenfalls der Kampf zwischen Fleisch und Geist, in den der Christ gestellt ist, genannt werden.
6.3 Der versöhnte Mensch In den fünfziger Jahren kommt bei Iwand mit der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz nicht mehr so sehr der Mensch unter dem Gesetz, sondern der versöhnte Mensch unter der Gnade in den Blick. Die in Christus versöhnte Welt, in der es aufgrund des Kreuzestodes keine Sünde mehr gibt, ist für Iwand die Wirklichkeit des Glaubens, die realer ist als die Wirklichkeit, die vor Augen ist. Zwar macht Iwand weiterhin den Vorbehalt des Glaubens - das neue Sein des Menschen ist für ihn keine vorgegebene ontologische Wirklichkeit, sondern muß im Glauben ergriffen werden - , aber der Ausgangspunkt der Versöhnung der Welt in Christus bildet die Basis für Iwands Ethik, insbesondere im politischen Raum. Wo Luther davon spricht, daß Christus die Sünde der Welt getragen und fortgeschafft hat, betrifft das nicht seine Sicht des Staates. Die Versöhnung in Christus ist eine Wirklichkeit, die allein im Blick auf Jesus Christus im Glauben gilt, aber nicht am Menschen erkennbar ist, der auch als Gerechtfertigter Sünder bleibt und Sünde tut. Wer nicht an Christus glaubt, bleibt für Luther unter dem Fluch des Gesetzes und der Macht der Sünde. Für den politischen Raum gilt für ihn der von Iwand vernachlässigte primus usus legis als Damm gegen das Chaos: „Nu aber kein Mensch von Natur Christen oder frumm ist, sondern allzumal Sunder und böse sind, wehret ihnen Gott allen durchs Gesetz, daß sie äußerlich ihr Bosheit mit Werken nicht türren (wagen) nach ihrem Mutwillen üben"17. Diese Sicht des Menschen entspricht Iwands Verständnis in den dreißiger Jahren, läßt sich aber mit seinen späteren Aussagen, die die versöhnte Menschheit zum Ausgangspunkt haben, schwerlich vereinbaren.
17 WA 11, 250,28, zitiert bei Peters, Gesetz und Evangelium, 42. Peters weist ebd. auch auf das „Gesetz als Erhaltungsmacht in den grundlegenden Gottesstiftungen ..., der Oeconomia, der Politia und der Ecclesia" hin (Hervorhebungen im Original).
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7. Ethische Grundlagen
Ethik und Dogmatik gehören für Iwand untrennbar zusammen, wobei die Ethik allerdings der Dogmatik immer nachgeordnet ist und somit in ihr die Basis hat. Grundlage für seine Ethik ist die strenge Scheidung von Person und Werk. Damit ist gemeint, daß die Beurteilung der Person durch Gott entgegen der allgemeinen Überzeugung des natürlichen Menschen - unabhängig von allem Tun des Menschen geschieht. Entscheidend ist vor Gott, ob der Mensch aus seinem eigenen Tun bestehen möchte oder ob er aus dem lebt, was Christus für ihn getan hat, ob der Mensch also aus den Werken oder aus dem Glauben lebt. Das Urteil über den Wert eines Werkes hängt nicht am Werk als solchem, sondern an der Person, die das Werk im Glauben oder Unglauben tut. Von daher kommt Iwand zu einer nicht materialen, sondern personalen Ethik. Die Werke haben im Blick auf den Wert der Person keinen Einfluß und können sie nicht verändern, so daß Iwand vom sachlichen anstatt vom schöpferischen Handeln des Menschen spricht. Mit dem Glauben als Erfüllung des ersten Gebotes sind auch die anderen Gebote erfüllt. Im Glauben ist Gott nicht mehr der fordernde, sondern der dem Menschen seine Nähe verheißende Gott, so daß sich das Gesetz für den Gläubigen verändert und er mit der Liebe zu Gott auch die Liebe zum Gesetz und zum Tun des Gesetzes gewinnt - wenn auch der usus elenchticus legis für den Christen als simul iustus et peccator in Geltung bleibt. Entscheidend für das Werk des Glaubens ist, daß Gott es ist, der dieses Werk gebietet, so daß Gott selber das Subjekt des durch den Menschen getanen Werkes ist. Der Christ ist frei allen menschlichen Lehrern gegenüber, aber gebunden an Gottes Willen, der ihm in seinen Geboten (vornehmlich im Dekalog) begegnet. Die Gebote für den Wiedergeborenen dienen seiner Bewahrung in Christus und dem Wohl des Nächsten. Das Doppelgebot der Liebe versteht Iwand so, daß die Liebe zu Gott sich in der tätigen Liebe zum Nächsten erweisen soll. Die Liebe zu Gott ist der Ursprung für die Liebe zum Nächsten. Iwand vertritt die universale Geltung des Gesetzes Gottes für alle Menschen, so daß er die Aufteilung von christlicher und allgemeiner Ethik ablehnt. Nicht überall gibt es freilich ein Wissen um Gottes Gebote, die darum allen Menschen zu verkündigen sind. Die Erfüllung der Gebote Gottes geschieht allein im Glauben. Bestimmte Weisungen wie die Bergpredigt sind nach Iwand in besonderer Weise an die Christen gerichtet, gelten aber nicht nur für die private Existenz des Christen, sondern für alle Bereiche seines Lebens einschließlich der politischen Existenz. 287
8. Politische Ethik
8.1 Die Zwei-Reiche-Lehre In den dreißiger Jahren lehrt Iwand die Vorordnung des Gesetzes vor das Evangelium und betont die Unterscheidung zwischen beiden, nach 1945 liegt der Schwerpunkt auf der Vorordnung des Evangeliums und der Einheit von Gesetz und Evangelium. Analog entwickelt sich Iwands Verständnis der Zwei-Reiche-Lehre. Vor 1945 betont er vor allem die bleibende Grenze zwischen Reich Gottes und Welt, wenn auch Gott der Herr beider Reiche ist. Eine Eigengesetzlichkeit des Staates lehnt Iwand dabei ab, weil Gottes Gesetz auch der Welt gegeben ist und die Kirche die Amtsinhaber daran zu erinnern hat. Wenngleich zwischen Amt und Person zu unterscheiden ist, nehmen Christ und Nichtchrist ihr Amt unterschiedlich wahr, weil der Christ um Gott als den Herren weiß und sein Amt in Verantwortung vor Gott ausübt. Nach 1945 hingegen betont Iwand die Herrschaft Christi über Kirche und Welt, aufgrund derer Kirche und Welt zwar nicht zusammenfallen, aber aufeinander bezogen sind. Gottes Reich und das Reich der Welt stehen nicht quantitav nebeneinander als christlich-privater und politischer Raum, sondern unterscheiden sich in der Form der Herrschaft und treffen darin aufeinander, qualitativ unterschieden in der Art und Weise der Herrschaft.
8.2 Iwands Eintreten fur den Frieden Iwands friedenspolitisches Engagement nach dem Krieg hat als theologischen Hintergrund die Vorordnung des Evangeliums mit der Perspektive der in Christus versöhnten einen Menschheit. Die Versöhnungstat Christi sucht nach Entsprechung im politischen Zusammenleben der Menschen. Sie ruft zur Anerkennung der Schuld und zur Umkehr von den falschen Wegen der politischen Gegnerschaft zwischen Ost und West hin zum friedlichen Miteinander der Menschen. In der Verbindung von konkreter politischer Entscheidung bzw. eines bestimmten ethischen Verhaltens (am Beispiel der Ablehnung der Atomwaffen) mit dem „status confessionis" gerät Iwand in die Gefahr, „Letztes
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und Vorletztes" 18 miteinander zu vermischen. Es geht hier um die Frage, ob es neben der dogmatischen eine „ethische Häresie" 19 gibt, eine Häresie also, die das Handeln der Christen betrifft. Luther lehnt es ab, das Handeln von Christen als Häresie zu bezeichnen, wenn er feststellt, daß derjenige nicht als Häretiker bezeichnet werden kann, der die göttlichen Gebote der Werke übertritt 20 . Der Grund für diese Aussage Luthers „... liegt in der sorgfältigen Unterscheidung von Werk Christi, dem allein der Glaube entspricht, und dem Werk der Christen, die immer auf die Gerechtigkeit des Glaubens aus dem Werk Christi angewiesen bleiben." 21 Iwand hat die Gewissenlosigkeit des öffentlichen Lebens 22 als Gefahr für das Leben der Menschen miteinander erkannt. Von dieser Einsicht aus wird man die Aufgabe der Kirche darin sehen dürfen, die Gewissen durch die Verkündigung neu zu schärfen und an Gottes Wort zu binden, um damit die Voraussetzungen für ein verantwortliches politisches Handeln zu schaffen. 23 Dafür hat Iwand sich bis an sein Lebensende unermüdlich eingesetzt.
9. Die Predigt von Gesetz und Evangelium
Die Predigt ist für Iwand das Ziel der Lehre von Gesetz und Evangelium, weil sich hier in der Kraft des Heiligen Geistes die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ereignet. In der Predigt wird in Gesetz und Evangelium das ganze Heil verkündigt, in ihr geschieht die Rechtfertigung des Sünders als Errettung aus dem eschatologischen Gericht Gottes, in ihr wird vom Tod ins Leben, vom Unglauben zum Glauben gerufen. Voraussetzung für die Verkündigung ist, daß der Prediger, den Iwand als Boten und auf Chri18 Vgl. zur Unterscheidung von Letztem und Vorletztem: Bonhoeffer, Ethik. Hg.v. Ilse Tödt u.a., DBW 6, München 1992, 137-162 (Die letzten und die vorletzten Dinge). 19 Zu dem Begriff der „ethischen Häresie" vgl. Slenczka, Bekenntnis als Deutung, Gemeinschaft und Grenze des Glaubens, KuD 26, 1980, 2 5 7 - 2 5 9 ; vgl. ders., Die Lehre trennt aber verbindet das Dienen? Zum Thema: Dogmatische und ethische Häresie, KuD 19, 1973, 125-149. 20 Vgl. WA 30/11, 422,13. 21 Slenczka, Bekenntnis, KuD 26, 1980, 259. 22 Vgl. Iwand, Das Gewissen und das öffentliche Leben, N W 2, 125-152. 23 Vgl. die Ausführungen von Werner Führer zum Beitrag der Kirche zur Sicherung des internationalen Friedens. „Der eigentliche Friedensbeitrag der Kirche ist jedoch nicht in öffentlichen Stellungnahmen, so hilfreich diese sein können, sondern in der unverfälschten, auf der Unterscheidung im Wort Gottes beruhenden Verkündigung des Wortes Gottes zu sehen. Die Wortverkündigung löst aus gottlosen Bindungen; denn sie allein bindet an Gottes Wort!" Führer, Der internationale Friede. Theologisch-ethische Studien zum Problem der politischen Friedenssicherung, Frankfurt a.M. 1993, 315; vgl. a.a.O. 3 1 4 - 3 1 9 (Hervorhebung im Original).
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stus hinweisenden Zeugen charakterisiert, selbst in die Bewegung des Wortes Gottes vom geschriebenen zum lebendigen Wort des Evangeliums hineingenommen wurde. Die Predigt von Gesetz und Evangelium kann als Amt des Buchstabens oder als Amt des Geistes geschehen. Als Amt des Buchstabens ist sie allein tötendes Wort Gottes, als Amt des Geistes und des Neuen Bundes lebendigmachendes Wort Gottes. Evangelium wird nur dort verkündet, wo es als Amt des Geistes gepredigt wird, weil das Evangelium immer lebendigmachendes Wort ist, während das Gesetz sowohl unter dem Vorzeichen des Buchstabens als auch des Geistes gepredigt werden kann. Als Buchstabe ist es allein tötendes Wort, als Geist ist es richtendes, aber über sich hinaus auf Christus ausrichtendes Wort Gottes mit dem Ziel des Heils. Diese von Iwand vertretene Unterscheidung ist deshalb unverzichtbar, weil es hier um den Unterschied von Gesetzes-Predigt als Amt des Geistes und gesetzlicher Predigt als Amt des Buchstabens geht. In der gesetzlichen Predigt dient das Gesetz als christliche Norm des Lebens und wird moralisierend verstanden, es wird verkündigt mit dem Ziel des Tuns - und nicht zur Aufdeckung der Sünde, um zu Christus zu fuhren. „Erst wo das Gesetz in seiner Gerichtsschärfe verharmlost wird, kann man es zur Normierung des christlichen Lebens benutzen."24 Die Predigt des Gesetzes kommt bei Iwand als Amt des Geistes von Christus her und führt zu ihm hin, sie ist in den λόγος gefaßter νόμος und als solcher unverzichtbarer Bestandteil der Verkündigung des Wortes Gottes. Das Ziel der Gesetzespredigt liegt darin, den Menschen zu Christus zu führen und vom anklagenden Gesetz zu befreien. Als richtendes Wort Gottes überfuhrt es den Menschen seiner Sünde, offenbart ihm seine Stellung vor Gott und zeigt ihm das pro me der Versöhungstat Jesu Christi. Das Gesetz führt zur Selbsterkenntnis und hat für die Predigt des Evangeliums vorbereitenden Charakter. Dem Christen als neuer Kreatur offenbart für Iwand die Predigt des Gesetzes als bewahrendes und weisendes Wort den gnädigen Willen Gottes für das Leben in der Heiligung und führt in die Freude an Gottes Gebot. Die Predigt des Evangeliums hingegen ist das lebenschaffende Wort Gottes, das dem Sünder die Vergebung und damit das ewige Leben als promissio im Heute zusagt und schenkt. Die Folge der Nichtunterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Predigt und nicht zuletzt der Vernachlässigung der Predigt des Gesetzes als des richtenden Wortes Gottes hat Manfred Josuttis in einer Untersuchung von fast tausend Predigten als Gesetzlichkeit beschrieben: „Die Gesetzlichkeit der gegenwärtigen Predigt gründet in der mangelnden Unterscheidung
24
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Josuttis, Gesetzlichkeit, 119; vgl. a.a.O. 41-58.
von Gesetz und Evangelium sowie in der mangelnden Predigt des Gesetzes."25 Der Beitrag Iwands zu einer Erneuerung der Verkündigung, verstanden als Predigt des Gesetzes und des Evangeliums mit dem Ziel, Christus zu verherrlichen und Glauben zu wecken, hat von seiner Aktualität und Dringlichkeit nichts eingebüßt und dürfte Predigern des Wortes Gottes eine Hilfe zu vollmächtiger Verkündigung bieten.
25
Josuttis, Gesetzlichkeit, 118f. Er verweist in seiner Untersuchung mehrfach auf Iwand.
291
Literaturverzeichnis
Die Abkürzungen folgen dem Abkürzungsverzeichnis der TRE, zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin - New York 1994.
I. Primärliteratur Hans Joachim Iwand
Bei den Schriften von Hans Joachim Iwand sind - falls verwendet - jeweils die Kurztitel kursiv vorangestellt:
1. Veröffentlichte Schriften Ad malos: Ad malos informatores melius informandos, Politische Verantwortung 3, 1959, Nr. 10, 1-2. An Heinz Kloppenburg (1945), in: Besier, Gerhard u.a. (Hg.), Kirche nach der Kapitulation, Bd. 2: Auf dem Weg nach Treysa, Stuttgart/Berlin/Köln 1990, Nr. 133. Antwort. Ein Brief an J.L. Hromadka, FO, 199-217. Art. Gerechtigkeit, ESL, 6 1969, 478-482 (= 1954, 413-417). Art. GuE (1956), EKL 1, 21961: Art. Gesetz und Evangelium (B. Dogmatisch), EKL 1, 2 1961 (=1956), 1562-1567. Bedeutung, GA I: Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben (1930), GA I, 13-30. Der Berliner Kirchentag, JK 12, 1951, 396-403. Betrachtungen zur Hamburger Synode der EKiD, JK 12, 1951, 202-206. Bibel, JK 13, 1952: Die Bibel und die soziale Frage, JK 13, 1952, 65-75, 113-123. Bildung: Von Bildung, Einbildung und Unbildung. Ein Wort zum sogenannten Boykott der Königsberger Theologischen Fakultät. Als Handschrift gedruckt, Selbstverlag, 1936. Brief an Georg Eichholz vom 4.4.1953, EvTh 44, 1984, 125-126 (Auszug). Brief an J.B. Soucekv. 14.3.1958, FO, 177-181.
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Brief an Karl Barth vom 31.12.1959, BVP, 139-144. BVP: Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen. Eine Auswahl, hg.v. Peter-Paul Sänger, Berlin (DDR) 1979. Christliche Verantwortung, NW 2: Die christliche Verantwortung für die Bildung, Vortrag (1955), NW 2, 286-304. Dogma, NW2: Der moderne Mensch und das Dogma, Vortrag, NW 2, 91-105. Dogmatik, NFur 5, 1951: Dogmatik und Ökumene, NFur 5, 1951, 6-13. Ein Brief [an Wilhelm Niemöller], in: Die Bekennende Kirche ist wieder da! Beiträge von Hans Iwand u.a., Bielefeld 1949, 1-6. Ende, JK 11, 1950: Das Ende der restaurativen Episode. Zum Treffen in Darmstadt, JK 11, 1950, 755-759. Entwurf (1947), FO: Entwurf zum Darmstädter Wort (1947), FO, 20-22. Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950, FO, 34^*3. Erläuterungen: Erläuterungen zu: Martin Luther, Daß der freie Wille nichts sei, Ausgewählte Werke, hg. v. H. Borcherdt/G. Merz, Erg.reihe Bd. 1, München 3 1983 (= 1954), 251-315. Erläuterungen zu: Martin Luther, Vom unfreien Willen, MA, Erg.bd. 1, 2 1939, 2 8 7 371. Erneuerung, EvErz 3, 1951, Nr.4: Erneuerung unserer Bildung aus dem Evangelium, EvErz, 1951, Nr. 4,2-14. 1. Barmer These (1936), EvTh 46, 1986: Die 1. Barmer These und die Theologie Martin Luthers (1936), EvTh 46, 1986, 214-231. Die evangelische Kirche und der Protest gegen die atomare Bewaffnung (1958), in: B. Klappert/U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Wuppertal 1983, 166-168. Evangelium und Bildung, NW 2, 272-285. Evangelium, NW 4: Evangelium und Gesetz aus der Vorlesung über „Rechtfertigung", NW 4, 4 4 1 ^ 5 1 . FO. Frieden mit dem Osten. Texte 1933-1959. Hg.v. Gerard C. den Hertog unter Mitarbeit von Klaus Geyer, Jürgen Seim und Dieter Schellong, KT 28, München 1988. Freiheit, GA I: Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens (1957), GA I, 247-268. GA I: Um den rechten Glauben. Gesammelte Aufsätze. Hg. und eingeleitet von Karl Gerhard Steck, TB 9, München 2 1965 (= 1959). GA II: Glaubensgerechtigkeit. Lutherstudien. Hg.v. Gerhard Sauter, TB 64, 2., durchg. Aufl., München 1991 (= 1980). Galaterbrief, NW 4: Gesetz und Evangelium in Luthers Vorlesung zum Galaterbrief von 1531/35. Zwei Vortragsfassungen (nicht datiert), NW 4, 404-^40. Gebot Gottes, NW 2: Das Gebot Gottes und das Leben, Vortrag, NW 2, 46-73. Geistige Entscheidungen und die Politik (1958), FO, 159-174. Das Gewissen und das öffentliche Leben, NW 2, 125-152.
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Glauben und Wissen (1955), NW 1: Glauben und Wissen, Vortrag (1955), NW 1 , 1 7 26, 295-300. Glauben und Wissen, NW 1: Glauben und Wissen, Vorlesung (1955), NW 1, 27-218, 301-309. Glaubensgerechtigkeit, GA II: Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre (1941), GA II, 11-125. Erstveröffentlichung: TEH 75,1941. Gottesgerechtigkeit, SGKL 3, 1951, H. 8, 5-8; H. 9, 5-7. GuE (1937), NW4: Gesetz und Evangelium I (1937), NW 4, 11-230. GuE (1950), NW 4: Gesetz und Evangelium II. Einfuhrung in die Theologie der Reformatoren (1950), NW 4, 23l^tOl. GuE, CuW 5, 1929: Gesetz und Evangelium, CuW 5, 1929, 209-218. Heilige Schrift, GA I: Die heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes (1936), GA I, 110-124. Jenseits von GuE, GA I: Jenseits von Gesetz und Evangelium? Eine kritische Besprechung der Lehre von dem Worte Gottes in Karl Barths „Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik" 1,1 (1935), GA I, 87-109. Erstveröffentlichung: ThBl 14, 1935, 65-80. Kirche, BVP: Kirche und Gesellschaft (1952), BVP, 284-299. Kirche und Öffentlichkeit, NW 2: Kirche und Öffentlichkeit, Vortrag (1948), NW 2, 11—45. Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, Vorlesungsauszug (1959), in: Bertold Klappert (Hg.), Diskussion um Kreuz und Auferstehung, Wuppertal 6 1992 (= 1967), 279297. Leben und Lehre: Leben und Lehre. Etwas über vergessene Schätze aus Luthers Theologie, Schriften des Lutherheims Köngisberg, Verlag der Inneren Mission, Königsberg H. 2, 1931. Lutherische Kirche? Warum ich als lutherischer Theologe grundsätzlicher Gegner der VELKD bin, EvTh 6, 1946/47, 385-388. Martin Luther: Martin Luther - Der Kampf um die reine Lehre, in: H.-J. Kraus u.a., Im Kampf um die Erneuerung der Kirche, Bekennen und Bekenntnis, H. 6, Neukirchen 1959, 20-34. Menschwerdung: Menschwerdung Gottes - nicht Vergottung des Menschen, Ev. Gemeindeblatt für Ostpreußen 91, 1936, Η. 1, 3-5, H. 4, 26-28. Die Neuordnung der Kirche und die konfessionelle Frage (1947), GA I, 138-172. NW 1: Nachgelassene Werke. Erster Band: Glauben und Wissen. Hg.v. Helmut Gollwitzer, München 1962. NW 2: Nachgelassene Werke. Zweiter Band: Vorträge und Aufsätze. Hg.v. Dieter Schellong und Karl Gerhard Steck, München 1966. NW ^/Nachgelassene Werke. Dritter Band: Ausgewählte Predigten. Hg.v. Hans Helmut Eßer und Helmut Gollwitzer, München 2 1967 (= 1963). NW 4: Nachgelassene Werke. Vierter Band: Gesetz und Evangelium. Hg.v. Walter Kreck, München 1964.
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NW 5: Nachgelassene Werke. Fünfter Band: Luthers Theologie. Hg.v. Johann Haar, München 2 1983 (= 1974). NW 6: Nachgelassene Werke. Sechster Band: Briefe an Rudolf Hermann. Hg. und eingeleitet von Karl Gerhard Steck, München 1964. Offenbarung, NW 1: Thesen: Von der Offenbarung. Für eine Arbeitsgemeinschaft im Göttir er Theologischen Stift, nach 1946, ΝW 1, 287-291. Ordnung, NW2: Von Ordnung und Revolution, NW 2, 153-192. P M I : Predigtmeditationen I, Göttingen 4 1984 (= 1963). P M I I : Predigtmeditationen. Zweite Folge, Göttingen o.J. [ca. 1973], Politische Existenz, GA I: Die politische Existenz des Christen unter dem Auftrag und der Verheißung des Evangeliums von Jesus Christus (1954), GA I, 183-201. Politisierende Kirche? Ein Wort zur gesamtdeutschen Synode der EKD in BerlinWeißensee vom 23.-27. April 1950, JK 11, 1950, 169-174. Predigt, GA II: Die Predigt des Gesetzes (1934), GA II, 145-170. Predigt, NW 2: Die Predigt des Gesetzes, Vortrag (1951), NW 2, 74-90. Primat: Vom Primat der Christologie, in: Antwort. Karl Barth zum siebzigsten Geburtstag am 10. Mai 1956, Zürich 1956, 172-189. Prinzipienstreit, GA I: Der Prinzipienstreit innerhalb der protestantischen Theologie (1958), GA I, 222-246. Protestantismus als Aufgabe (1955), NW 2, 305-320. Rechtfertigungslehre (1959): Rechtfertigungslehre; Glaube und Werke, in: Tradition und Glaubensgerechtigkeit. Das Arnoldshainer Gespräch zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Russischen Orthodoxen Kirche vom Oktober 1959. Studienheft Nr. 3, hg.v. Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Witten 1961, 41-50. Reformation, GA II: Der Kampf um das Erbe der Reformation (1932), GA II, 126— 144. Rez.: Hans Michael Müller, Erfahrung und Glaube bei Luther, 1929, DLZ 51, 1930, 963-968. Rez.: Paul Althaus, Der Geist der lutherischen Ethik im augsburgischen Bekenntnis, 1930, DLZ 52, 1931, 2257-2261. RuC: Rechtfertigungslehre und Christusglaube. Eine Untersuchung zur Systematik der Rechtfertigungslehre Luthers in ihren Anfangen, ThB 14, München 3 1966 (= Leipzig 1930). Schleiermacher, BVP: Schleiermacherais Ethiker, BVP, 265-280. Sed originale, GA II: „Sed originale per hominem unum". Ein Beitrag zur Lehre vom Menschen (1943), GA II, 171-193. Stand und Sakrament (1957), GA II, 240-264. Studien, GA 1: Studien zum Problem des unfreien Willens (1930), GA I, 31-61. Theologie als Beruf, Vortrag (1929), NW 1, 219-227. Theologie, NFur 5, 1951: Die Theologie vor der wartenden Gemeinde, NFur 5, 1951, 769-778. (NFur)
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Theologie, Vorlesung (1951), NW 1: Theologie als Beruf. Vorlesung, Göttingen, Sommersemester 1951, NW 1,228-274. Über das Wesen: Über das Wesen und die Wurzel des Bösen, in: Woord en Wereld, Festschrift für K.H. Miskotte, Amsterdam 1961, 200-211. Über den Verlust, JK 14, 1953: Über den Verlust der theologischen Existenz heute, JK 14, 1953,509-517. Verantwortung, FO: Die Verantwortung und die Aufgaben der Christen in der heutigen internationalen Situation (1958), FO, 182-197. Verhältnis, GA I: Über das Verhältnis von Theologie und Kirche (1954), GA I, 202213. Vorwort zu: Margarete Kühnapfel, Auch in der Hölle bist du da. Not und Gnade meiner Russenjahre, Neuhausen-Stuttgart 1983, 7-8 (= Stuttgart 1951, 5-6). Weiß und Rot, FO: Deutschland zwischen Weiß und Rot (1951), FO, 62-75. Wider den Mißbrauch, SGKL 5, 1953: Wider den Mißbrauch des pro me („Für mich") als methodisches Prinzip in der Grundlegung theologischer Erkenntnis, SGKL 5, 1953,205-212.333-336. Wider den Mißbrauch, ThLZ 79, 1954: Wider den Mißbrauch des pro me als methodisches Prinzip in der Theologie, ThLZ 79, 1954, 453-458. Das Widerstandsrecht der Christen nach der Lehre der Reformatoren, Vortrag (1952), NW 2, 193-229. Wir wandeln im Glauben, EvTh 2, 1935: Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen. Antwort auf W. Hauers „Deutsche Gottschau", EvTh 2, 1935, 153-183. Wunder der Weihnacht, JK 12, 1951, 673-675. Das Zeugnis - das Martyrium, in: Was ist Wahrheit? Zehn Predigten über die Pilatusfrage, gehalten auf der Deutschen Evangelischen Woche Stuttgart 1936, hg.v. Eberhard Müller, Berlin 1936, 56-65. Zu Edmund Schlink, ThBl 21, 1942: Zu Edmund Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, ThBl 21, 1942, 158-169. Zur Entstehung von Luthers Kirchenbegriff. Ein kritischer Beitrag zu dem gleichnamigen Aufsatz von Karl Holl (1957), GA II, 198-239. Zur Versöhnungslehre (1956), GA I, 214-221. Zusammenleben, FO: Über das Zusammenleben in einer Welt widerstreitender Ideologien und politischer und wirtschaftlicher Systeme (1956), FO, 138-152. Zwischen Karl Barth und Luther. Disputation zwischen Gustav Wingren und Hans Joachim Iwand (1950). Gegenthesen von H.J. Iwand, NW 2, 401-405.
2. Unveröffentlichte Schriften Brief an Hans Asmussen vom 26.3.1937, Iwand-Archiv Beienrode. Brief an Karl Barth vom 8.7.1951, Karl Barth-Archiv Basel; Kopie im Iwand-Archiv Beienrode.
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Einführung in die KD, Iwand-Archiv: Einführung in die „Kirchliche Dogmatik" Karl Barths. Vorlesungs-Manuskript, 41 Blätter, (ca. 1954), Iwand-Archiv Beienrode. GuE (1958), Iwand-Archiv: Gesetz und Evangelium, 4 Blätter, (ca. 1958), IwandArchiv Beienrode. Homiletik, Iwand-Archiv: Homiletik, Vorlesung SS 1937, Bloestau, Iwand-Archiv Beienrode. Luthers Theologie (1930?), Vorlesungsmanuskript, Iwand-Archiv Beienrode. Zeit und Selbst (1929), Iwand-Archiv: Zeit und Selbst im Lichte der Offenbarung (1929). Iwand-Archiv Beienrode
II. Sekundärliteratur zu Hans Joachim Iwand
Beckmann, Klaus-Martin, Politische Ethik bei H.J. Iwand. Gastvorlesung an der Comenius-Fakultät Prag 7.10.1986, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 326-338. Bittner, Wolfgang, Aspekte der Predigt bei Hans Joachim Iwand, ThBeitr 12, 1981, 72-93. Bizer, Christoph, Unterricht und Predigt. Analysen und Skizzen zum Ansatz katechetischer Theologie, Gütersloh 1972. Burdach, Ernst, Hans Joachim Iwand. Theologe zwischen den Zeiten. Ein Fragment 1899-1937. Mit einer biographischen Skizze des Verfassers von Jürgen Seim, Beienrode 1982. Ε. K., Die Herborner Theologen-Tagung mit Karl Barth, BeKiW, 2, 1951, Nr. 5, 1 18.
Eßer, Hans Helmut/Gollwitzer, Helmut, Vorwort, in: Iwand, NW 3, 7-13. Fischer, Max, Das tat Gott. Fünfzig Jahre Bahnau, Unterweißach 1956. Ders./Iwand, Hans Joachim, Wie wir uns fanden! Ein Wort zur Begegnung von Kirche und Gemeinschaft, Einheit der Kirche Heft 2, Stuttgart 3 1949. Friedrich, Gerhard, Hans Joachim Iwand, in: ders., Auf das Wort kommt es an. Gesammelte Aufsätze. Zum 70. Geburtstag hrsg. von Johannes H. Friedrich, Göttingen 1978,492-505. Führer, Werner, Rechtfertigung und Heiligung bei Hans Joachim Iwand, KuD 40, 1994, 272-281. Gandras, Joachim, Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand. Aspekte und Perspektiven einer homiletischen Theorie und theologischen Kommunikation nach seinen Predigtmeditationen im Kontext seiner Theologie, APTh 14, Göttingen 1975. Geyer, Klaus, Hans Joachim Iwands Erbe für heute, JK 12, 1988, 689-700. Göll, Hans-Peter, Iwand-Nachlaß und Iwand-Studien, VF 34, 1989, 52-61. Gollwitzer, Helmut, Geleitwort, in: Iwand, PM I, 5-11.
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- , Hans-Joachim Iwand. Zu seinem Heimgang am 2. Mai 1960, ZdZ 14, 1960, 287292. Vorwort, in: Iwand, NW 1,7-12. Hasselmann, Niels, Predigthilfen und Predigtvorbereitung, Gütersloh 1977. Heinrich, Rolf, Verheißung des Kreuzes. Die Christologie Hans-Joachim Iwands, GT.FT 4, München/Mainz 1982. Hermelink, Jan, Die homiletische Situation. Zur jüngeren Geschichte eines Predigtproblems, APTh 24, Göttingen 1992. Hertog, Gerard Cornells den, Befreiende Erkenntnis. Die Lehre vom unfreien Willen in der Theologie Hans Joachim Iwands, NBST 16, Neukirchen-Vluyn 1994. Hoffmann, Martin, Bezeugte Versöhnung. Die trinitarische Grundlegung der Ethik Hans Joachim Iwands, Theologie im Gespräch Bd. 5, Essen 1988. Jordahn, Bruno, Nachwort des Übersetzers, in: Martin Luther, Daß der freie Wille nichts sei, Ausgewählte Werke, hg. v. H. Borcherdt/G. Merz, Erg.reihe Bd. 1, München 1983 (= 3 1975), 315. Klages, August, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, Der Reichgottesarbeiter Heft 1, 1987, 10-20. Klappert, Bertold, Bekennende Kirche in ökumenischer Verantwortung. Die gesellschaftliche und ökumenische Bedeutung des Darmstädter Wortes, ÖEH 4, 1988. -, „Wer seinen Bruder Atheist nennt, ist des höllischen Feuers schuldig". H. J. Iwands Engagement in der Friedensfrage. Einführung, in: ders./Ulrich Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Wuppertal 1983, 128-141. - , Versöhnung, Reich Gottes und Gesellschaft, EvTh 4, 1989, 341-369. Koschorke, Manfred (Hg.), Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen 19331945: Allein das Wort hat's getan, Göttingen 1976. Kreck, Walter, Hans Joachim Iwand 1899-1960, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische Theologie, Bonn 1968, 215-226. Krüger, Ralf-Dieter, Versöhnt mit Gott. Rechtfertigung und Heiligung bei Hans Joachim Iwand, Tübingen 1993, Selbstverlag (Diss. Basel 1991). Lempp, Eberhard/Thaidigsmann, Edgar, Gottes Gerechtigkeit in der Dialektik der Aufklärung. Annäherungen an die Theologie Hans Joachim Iwands, München 1990. Linck, Hugo, Der Kirchenkampf in Ostpreußen, München 1968. Ludwig, Hartmut, Der Beitrag Hans Joachim Iwands zur Diskussion um das rechte Verständnis der Barmer Theologischen Erklärung, in: Wolf-Dieter Hauschild u.a. (Hg.), Die Lutherischen Kirchen und die Bekenntnissynode von Barmen. Referate... Göttingen 1984, 289-306. - , „Ein aufgeschlagenes Fenster". Die Banner Theologiesche Erklärung in der Sicht Hans Joachim Iwands, in: Günther van Norden (Hg.), Zwischen Bekenntnis und Anpassung, Köln 1985, 71-88.
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Kritik und Erbschaft der Bekennenden Kirche - H.J. Iwands Verarbeitung des Kirchenkampfes, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 96-133. Martikainen, Eeva, Evangelium als Mitte. Das Verhältnis von Wort und Lehre in der ökumenischen Methode Hans Joachim Iwands, AGTLNF 9, Hannover 1989. Miskotte, Kornelis Heiko, Karl Barth, Inspiratie en vertolking: inleidingen, essays, briefwisseling, verzorgd door Dr. A. Geense, Dr. H. Stoevesandt. Verzameld Werk Deel 2, Kampen 1987. Müller, Hans Michael, Rez.: Iwand, Hans Joachim: Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 1930, ThLZ 57, 1932, 42^13. Müller-Streisand, Rosemarie, Überlegungen zu H.J. Iwand „Die Predigt des Gesetzes", Weißenseer Blätter, 1991, 5-14. Pauly, Dieter, Bibliographie. 1. Hans Joachim Iwand: Publikationen 1920-1960, 2. Über Hans Joachim Iwand: Sekundärliteratur, in: Peter-Paul Sänger/Dieter Pauly, Hans Joachim Iwand - Theologie in der Zeit, KT 85, München 1992, 225-316. Sänger, Peter-Paul, Annäherung an Iwand. Versuch einer Einführung, in: ders./Dieter Pauly, Hans Joachim Iwand - Theologie in der Zeit. Lebensabriß und Briefdokumentation. Bibliographie, München 1992, 9-26. -, Briefe und Lebensgang, in: BVP, 7-158. - , Iwands theologische Lehrer, in: Jürgen Seim/Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands, ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 3-60. Ders, Zur Wirkung von Iwands Theologie, ZdZ 43, 1989, 182-186. Schellong, Dieter, Versöhnung und Politik. Zur Aktualität des Darmstädter Wortes, in: Karl Gerhard Steck/Dieter Schellong, Umstrittene Versöhnung, TEH.NF 196, 1977. Schneemelcher, Wilhelm, Theologische Arbeitstagung mit Karl Barth, EvTh 10, 1950/51, 565-572. Schrey, Heinz-Horst, Das Herborner Religionsgespräch 1951, ThZ 7, 1951, 151-155. Schwarzwäller, Klaus, Von Zeit zu Zeit. Ein Aspekt in H.J. Iwands Anleitung zur Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium, KuD 27, 1981, 20-44. Seim, Jürgen, Bergpredigt und Politik - Hans Iwands Auslegung der Bergpredigt, in: ders./Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands. ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 277-325. -, Christologie bei Hans J. Iwand, in: ders./Martin Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands. ArTe 51, Frankfurt a.M. 1988, 189-225. „Das große, unbegreifliche Angebot der Versöhnung", Β ThZ 9, 1992, 74-86 -, Der Grund des christlichen Lebens. Über die theologische Begründung ethischer Sätze in den Predigtmeditationen von Hans J. Iwand, in: Hermann Horn (Hg.), Entscheidung und Solidarität, FS für Johannes Harder, Wuppertal 1973, 45-52. - , Die Lehre von Evangelium und Gesetz bei Hans J. Iwand, EvTh 46, 1986, 231246. Die Lehre von Gesetz und Evangelium bei Hans J. Iwand, EvTh 44, 1984, 77-94. - , Luther aus der Nähe betrachtet. EK 8, 1975, 693-694.
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III. Weitere Sekundärliteratur
Althaus, Paul, Art. Zwei-Reiche-Lehre, EKL 3, 2 1962 (= 1959), 1928-1936. g
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Agricola, J. 8If; 280 Althaus, P. 84; 86f; 98; 124; 129; 156; 173; 189; 209 Anselm 115 Aristoteles 187 Asendorf, U. 68 Asmussen, Η. 24; 94f; 205; 222; 280 Assel, Η. 80; 116; 126 Aus tad, Τ. 207 Barth, H.-M. 141 Barth, Κ. 15; 17; 20; 23f; 29f; 34f; 40; 45-48; 51; 54ff; 62; 85; 87; 90; 93ff; 98; 123; 130f; 133; 138; 143; 146f; 150-158; 160-166; 176; 179; 181f; 194; 204f; 207; 214f; 218; 220f; 223; 228; 260; 276; 278; 280; 283f Baur, Chr. F. 41 Bayer, O. 31; 46; 62; 82; 108; 131; 178; 207; 226 Beckmann, K.-M. 202 Besier, G. 220 Bittner, W. 226f; 232f; 268 Bizer, Chr. 232; 234f Bodelschwingh, Fr.v. 49 Bonhoeffer, D. 24; 49; 69; 226; 234; 243; 289 Brecht, M. 81 Bring, R. 146 Brunner, E. 165; 176; 194 Brunner, P. 31; 118; 139 Bultmann, R. 30; 85; 98; 113; 156
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Burdach, E. 20-24; 50; 64; 66; 146; 221 Chamberlain, H.S. 88 Dehn, G. 204f; 223 Diem, H. 203 Dinkier, Ε. 49 Dollinger, R. 136 Dorner, I.A. 41 Dürer, A. 260 Ebeling, G. 167; 225 Eber, J. 25; 131 Ehrenberg, H. 94 Eichholz, G. 25; 87 Eiert, W. 94; 129f; 133; 143; 147 Engelland, H. 137 Erhardt, I. 22 Eßer, H.H. 226; 229; 248 Fichte, J.G. 88; 90 Fischer, M. 23; 28 Friedrich, G. 20; 23; 154 Führer, W. 21; 37f; 41; 225; 289 Gandras, J. 28; 154; 218; 230-234; 244; 246 Geyer, K. 27 Gloege, G. 52; 59 Gogarten, Fr. 23; 34; 40; 88-93; 113; 117; 156; 194 Göll, H.P. 224
Gollwitzer, Η. 26f; 160; 220; 226f; 229; 234; 248 Graf, Fr. W. 168 Haendler, K. 130 Harnack, A.v. 42 Harnack, Th. Ti Hasselmann, N. 234f Hauer, W. 106 Haug.M. 222 Meckel, J. 209 Heidegger, M. 66 Heim, K. 21; 73 Heinrich, R. 20; 26; 29f; 85; 98; 154; 234 Henke, P. 90f Henkys, J. 234 Herder, J.G. 88 Hermann, R. 17; 20ff; 40; 59; 64; 66; 68; 71; 80f; 105; 111; 116; 172f; 178; 187; 240; 275 Hermelink, J. 28; 226; 232; 234f Herrmann, W. 65; 73; 168 Hertog, G.C. den 16; 20; 25f; 34; 56; 70; 84; 86; 90; 112f; 171; 193; 205; 215; 221 Hirsch, E. 23; 80; 88 Hoffmann, Μ. 24; 29ff; 65; 67; 95; 118; 120; 138; 154; 162; 175; 183; 191 ff; 195; 212; 215; 217; 230 Holl, K. 48; 79; 80; 126 Hromadka, J.L. 217 Iwand, L. 20 Jwand, O. 20 Joest, W. 15; 81; 85; 93; 118; 143; 157; 160; 165; 173; 175; 207 Jordahn, B. 50 Josuttis, M. 242; 290f Köhler, M. 20; 55; 61; 76 Kant, I. 104; 113; 117
Kessel, F. 23f Kinder, £ . 3 1 ; 74; 77; 120; 130; 136 Klages.A. 28 Klappert, A. 26; 135; 138; 161; 164; 179f; 215ff; 219-222; 224; 267; 280f; 284 Kloppenburg, H. 240 Koch, K. 205 Koschorke, M. 22f Kraus, H.-J. 22f; 89 Kreck, W. 27; 154 Krötke, W. 129 Krüger, R.-D. 33; 54; 99; 108; 112; 131; 138; 154; 260 Kuhlmann, H. 74ff Lagarde, P.A.d. 88 Lempp, E. 32; 92; 103; 11 lf; 121; 128; 135; 137f; 140; 169; 173 Lilje, H. 222 Linck, H. 21; 23f Loofs, Fr. 111 Ludendorff, E. 49 Ludendorff, M. 49 Ludwig, H. 23f; 60; 95; 154; 158; 205; 219 Luther, Μ. 15-18; 20ff; 25; 28f; 31; 34-38; 40; 42f; 46ff; 50; 53; 57-60; 62-65; 68; 7Iff; 77; 79-83; 85; 93f; 99-105; 108f; 111; 113; 116; 118; 120; 124; 126; 135-139; 143; 145148; 151 f; 154; 157; 161-164; 167170; 172ff; 176; 178-182; 184f; 188-191; 197f; 202ff; 206; 209; 216; 225; 233; 245; 249; 253; 275; 277; 280f; 283f; 286; 289 Maier, Th. 32 Mannermaa, T. 138 Marcion 135 Martens, G. 284 Martikainen, Ε. 16; 31 f; 45; 47; 49; 59f; 86; 138
309
Marx, D.I. 89 Maser, H. 24 Matthias, W. 108 Mayer, F.E. 146 Melanchthon, Ph. 94; 129; 136; 152; 215 Merz, G. 49; 90; 94 Miskotte, K.H. 156 Müller, H.M. 50ff; 60 Müller, L. 50 Müller-Streisand, R. 198; 202 Niemöller, M. 49; 220 Niemöller, W. 50 Oslander, A. 136 Oyen, H.v. 65 Pauly.D. 17; 20; 28; 227 Peters, A. 81; 118; I29f; 139; 143; 147; 167; 178; 189; 281; 284; 286
Schrey, H.-H. 155f Schultz, R.C. 74f; 79 Schütz, P. 92 Schwarzwäller, K. 66 Seeberg, E. 20; 64 Seim, J. 33; 35; 39; 48; 54; 59; 67; 90; 145; 147; 154f; 159; 162; 190; 193; 198; 208; 211; 213; 215; 226; 244; 261 Semler, J.S. 88 Siemens, A. 284 Slenczka, R. 37; 52; 61; 111; 116; 124; 137; 139; 276; 289 Soden, H.v. 20; 49 See, N.H. 123 Soucek, J.B. 25 Spinoza, B. 135 Stange, C. 172 Stapel, W. 23; 88f Steck, K.G. 20 Stöhr.M. 215 Surkau, H.-W. 27
Quervain, A.d. 123 Ratschow, C.-H. 52 Ritsehl, A. 40; 73-79; 87 Rogge, J. 81 Ruhbach, G. 49 Saarinen, R. 138 Sänger, P.-P. 20ff; 25-28; 115; 154; 227; 234; 244 Sasse, H. 49; 52; 54; 60 Schäfer, R. 74ff Schellong, D. 219f Schleiermacher, F.D.E. 30; 40f; 73; 77; 217; 227; 234; 254 Schlink, E. 25; 56; 95; 97; 13Iff; 136; 143; 147; 151; 153; 169; 283 Schneemelcher, W. 155f; 158 Schniewind, J. 20; 22f; 25; 27; 114; 205; 245 Schott, E. 74; 76; 172
310
Tacke, Η. 172; 244ff Thaidigsmann, E. 32; 92; 103; 111; 112; 121; 128; 135; 137; 138; 140; 169; 173; 215 Thielicke, H. 73; 74; 80 Tilgner, W. 88; 90; 91; 92 Troeltsch, E. 65 Vogel, H. 52; 90; 220 Vogel, J. 220 Walther, C.F.K. 59 Wenz.G. 75f Wilkens, E. 206;219f Wingren, G. 161 Wintermann, G. 155f Wolf, E. 23; 27; 40; 42; 46; 49; 73; 93f; 129; 138; 162; 206; 209; 220 Wolff, O. 73-78
Zum gegenwärtigen Stand
der Theologie- und Zeitgeschichtsforschung
Joachim Mehlhausen (Hg.)
. . . und über Barmen hinaus Studien zur Kirchlichen Zeitgeschichte.
Heinrich Assel
Der andere Aufbruch
Die Lutherrenaissance - Ursprünge, Aporien
Festschrift für Carsten Nicolaisen zum 4. April
und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch,
gemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte.
zur systematischen und ökumenischen
1994. Hrsg. für die Evangelische Arbeits-
(Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte,
Reihe B, Band 23). 1995. 642 Seiten, geb. ISBN 3-525-55723-X
Über mehrere Jahrzehnte hinweg hat sich die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung vor allem auf den "Kirchenkampf" in der Zeit des Nationalsozialismus konzentriert und mit bleibend gültigen Argumenten in der ersten Bekenntnissynode der DEK in Barmen im Mai 1934 den sachlichen und thematischen Mittelpunkt der damaligen Ereignisse gesehen. Der Fortgang der Forschung führte in jüngster Zeit jedoch zu einer erheblichen Ausweitung des Arbeitsfeldes über die Jahrel933 bis 1945 hinaus. Sowohl die Zeit der Weimarer Republik als auch die Nachkriegszeit bis hin zu den Ereignissen der Jahre 1989 und 1990 sind zum Gegenstand der Zeitgeschichtsforschung geworden. Eine grundsätzliche Diskussion über die Methoden der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung hat ferner sichtbar gemacht, daß der interdisziplinäre Austausch mit den anderen historischen Fachdisziplinen für alle kirchlichen Zeithistoriker unerläßlich ist. Die Beiträge dieser Festschrift belegen in exemplarischer Weise den gegenwärtigen Stand der Forschung.
Rudol Hermann (1910-1935). (Forschungen
Theologie, Band 72). 1994. 528 Seiten, geb. ISBN 3-525-56279-9
Vom Neuansatz der Lutherforschung bei Karl Holl, dem anderen Aufbruch neben dem der Dialektischen Theologie, ist zwar viel geredet, jedoch bisher nur wenig wirklich erforscht worden. Untersucht werden neben Karl Holl eine ganze Reihe weiterer Theologen, die in jedem Fall Aufmerksamkeit verdienen. Auf Schritt und Tritt wird hier historisch und dogmatisch Material entfaltet, das von höchster Bedeutung nicht nur für die Zeit- und Theologiegeschichte ist, sondern auch für das Selbstverständnis und die Ausrichtung heutiger Theologie. „Assel hat außerordentlich gründlich gearbeitet und zieht Linien bis in das heute aufgegebene theologische Denken. Imponierend ist der Abschnitt über Rudolf Hermanns Theologie." Deutsches Pfarrerblatt
V&R
Vandenhoeck Ruprecht
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka. Eine Auswahl:
81 Caroline Schröder Glaubenswahrnehmung und Selbsterkenntnis Jonathan Edward's theologia experimentalis. 1997. Ca. 140 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 8 - 8 79 Henning Wrogemann Mission und Religion in der Systematischen Theologie der Gegenwart Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert. 1997. 350 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 5 - 3 78 Reinhold Flogaus Theosis bei Palamas und Luther Ein Beitrag zum ökumenischen Gespräch. 1997. 471 Seiten, geb. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 6 - 1 76 Karsten Lehmkühler Kultus und Theologie Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule. 1996. 327 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 3 - 7 75 Armin Wenz Das Wort Gottes - Gericht und Rettung Untersuchungen zur Autorität der Heiligen Schrift in Bekenntnis und Lehre der Kirche. 1996. 343 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 2 - 9 74 Barbara Schwahn Oer ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen von 1946 bis 1975 1995. 427 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 1 - 0 73 Berthold W. Köber Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi Ihr Verständnis und ihr Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie der Gegenwart. 1995. 225 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 0 - 2 72 Heinrich Assel Der andere Aufbruch Die Lutherrenaissance - Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910-1935). 1994. 528 Seiten, geb. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 9 - 9
71 Andreas Grünschloß Religionswissenschaft als Welt-Theologie Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik. 1994. 360 Seiten mit 6 Abb., kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 8 - 0 70 Stefan Streiff „Novis Unguis loqui" Martin Luthers Disputation über Johannes 1,14 „verbum caro factum est" aus dem Jahr 1539. 1993. 251 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 7 - 2 69 Michael Basse Certitudo spei Thomas von Aquins Begründung der Hoffnungsgewißheit und ihre Rezeption bis zum Konzil von Trient als ein Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Eschatologie und Rechtfertigungslehre. 1993. 261 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 6 - 4 68 Matthias Zeindler Gott und das Schöne Studien zur Theologie der Schönheit. 1993. 452 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 5 - 6 67 Jochen Eber Einheit der Kirche als dogmatisches Problem bei Edmund Schlink 1993. 301 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 4 - 8 66 Notger Slenczka Realpräsenz und Ontotogie Untersuchung der ontologischen Grundlagen der Transsignifikationslehre. 1993. 602 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 3 - X 65 Werner Thiede Auferstehung der Toten - Hoffnung ohne Attraktivität? Grundstrukturen christlicher Heilserwartung und ihre verkannte religionspädagogische Relevanz. 1991. XII, 437 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 2 - 1
V&R
Vandenhoeck &_Ruprecht