Migranten im Sozialstaat 9783161521614, 9783161519338

In einer nationalstaatlich organisierten Weltordnung ist die Gewährung sozialer Sicherheit ureigene Aufgabe der National

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Kapitel Einleitung
A. Der Nationalstaat als Wohlfahrtsstaat
I. Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit zur „Nation“
1. Staatsangehörigkeit als effektive Zuordnung
2. Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk
II. Staatsbürgerschaft als erweitertes Kriterium der Zugehörigkeit
III. Erosion der Grundlagen stationär definierter Wohlfahrtstaatlichkeit
B. Internationales Sozialrecht
I. Nationales internationales Sozialrecht
1. „Fremdheit“ als Bezugspunkt fremdenrechtlicher Regelungen
2. § 30 SGB I als zentrale Kollisionsnorm des Sozialrechts
II. Supranationale Regelungen mit sozialrechtlichem Bezug
III. Wandel des Wohlfahrtstaats durch europäisches Recht
C. Ziel der Arbeit
D. Gang der Untersuchung
2. Kapitel Historische Entwicklung
A. Alttestamentarische Ursprünge der Armenpflege
B. Armenpflege im Altertum
I. Griechenland
II. Römisches Reich
III. Aufkommen des Christentums
C. Armenpflege im Mittelalter
I. Allmähliche Systematisierung der kirchlichen Armenpflege
II. Spitalwesen
D. Armenpflege in der Neuzeit
I. Unterstützungspflicht der Gemeinden nach dem Heimatprinzip
II. Übergang von der städtischen Armenfürsorge zum Territorialstaat
III. Versorgung durch Zünfte, Gilden und Knappschaften
IV. Freizügigkeitsgesetzgebung und Recht des Unterstützungswohnsitzes
1. Preußische Gesetzgebung
2. Gesetzgebung des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches
a. Freizügigkeitsgesetze
b. Gemeinsames Indigenat
c. Recht des Unterstützungswohnsitzes
3. Fortgeltung des Heimatprinzips in Bayern
4. Erste zwischenstaatliche Regelungen
V. Sicherung der Arbeitnehmerschaft durch die Bismarckschen Sozialgesetze
1. Leistungsumfang
2. Zugang zum Arbeitsmarkt
VI. Vom Fürsorge- zum Sozialstaat
1. Weimarer Republik
2. Völkische Überformung im Nationalsozialismus
3. Fortentwicklung nach 1945
E. Europäische Sozialpolitik
I. Sozialrechtliche Flankierung der Freizügigkeit
II. Erweiterung der sozialpolitischen Kompetenzen
1. Sozialrecht als Wirtschaftsfaktor
2. Einheitliche Europäische Akte
3. Vertrag von Maastricht
4. Verträge von Amsterdam und Nizza
5. Vertrag von Lissabon
III. Die Unionsbürgerschaft als besonderer Bürgerstatus
1. Vom Marktbürger zum Unionsbürger
2. Gehalt der Unionsbürgerschaft
3. Kapitel Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts
A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I
I. Territorialer Bezug der Solidargemeinschaft
II. Begriff des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts
III. Freizügigkeit der Deutschen nach Art. 11 GG
1. Schutzbereich
2. Schranken
3. Grundgesetzlicher Schutz der Freizügigkeit für Ausländer?
a. Freizügigkeit der Unionsbürger aus Art. 11 GG?
b. Bewegungsfreiheit von Migranten als Handlungsfreiheit i.S.v. Art. 2 I GG
c. Recht zur Einreise aus Art. 6 I GG
IV. Berechtigung zum Aufenthalt als Tatbestandsmerkmal des gewöhnlichen Aufenthalts?
1. Formelle Rechtmäßigkeit als Voraussetzung der Zukunftsoffenheit
2. Prognose der tatsächlichen Zukunftsoffenheit
V. Sozialhilfebedürftigkeit als Einreisehindernis
B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet
I. Unionsrechtlich begründete Aufenthaltsrechte
1. Grundfreiheiten im Primär- und Sekundärrecht
2. Unionsbürgerfreizügigkeit
a. Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
b. Zulässigkeit des Vorbehalts der Lebensunterhaltssicherung
3. Freizügigkeit für Familienangehörige von Unionsbürgern
4. Freizügigkeit für Drittstaatsangehörige
a. Freizügigkeit für türkische Staatsangehörige aufgrund Assoziationsrechts
b. Sonstiges Abkommensrecht der EU
II. Visum, § 6 AufenthG
1. Schengen-Visum
2. Nationales Visum
III. Daueraufenthaltsrechte
1. Niederlassungserlaubnis, § 9 AufenthG
2. Daueraufenthaltsrecht für sich legal in der EU aufhaltende Drittstaatsangehörige
a. Vorgaben der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG
b. Daueraufenthaltserlaubnis-EG, § 9a AufenthG
III. Aufenthaltserlaubnis, § 7 AufenthG
1. Ausbildung und Erwerbstätigkeit als Aufenthaltszweck
a. Völker- und europarechtliche Vorgaben
b. Aufenthalt zum Zwecke der Aus- und Weiterbildung, § 16 AufenthG
c. Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, § 18 AufenthG
d. Aufenthaltserlaubnis für besonders qualifizierte Inhaber einer Duldung, § 18a AufenthG
e. Aufenthalt zum Zwecke einer selbständigen Tätigkeit
f. Zukunftsoffenheit des Aufenthalts?
2. Völkerrechtliche, humanitäre und politische Gründe für den Aufenthalt
a. Aufnahme aus völkerrechtlichen und dringenden humanitären Gründen, § 22 AufenthG
b. Aufenthaltsgewährung durch die Landesbehörden und das BAMF, § 23 AufenthG
c. Härtefallklausel, § 23a AufenthG
d. Vorübergehender Schutz bei Massenzustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen, § 24 AufenthG
e. Aufenthaltserlaubnis für Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge, § 25 I, II AufenthG
f. Aufenthaltserlaubnis wegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote, § 25 III AufenthG
g. Erlaubnis des vorübergehenden Aufenthalts aus humanitären Gründen, § 25 IV-V AufenthG
h. Geltungsdauer der humanitären Aufenthaltstitel
3. Familiäre Gründe
a. International- und supranationalrechtliche Vorgaben
b. Allgemeine Voraussetzungen
c. Familiennachzug zu Deutschen, § 28 AufenthG
d. Familiennachzug zu Ausländern, § 29 AufenthG
e. Ehegattennachzug zu Ausländern, §§ 30, 31 AufenthG
f. Kindernachzug zu Ausländern, § 32 AufenthG
g. Nachzug von Eltern und sonstigen Familienangehörigen, § 36 AufenthG
4. Besondere Aufenthaltserlaubnisse
5. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
IV. Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber, § 55 AsylVfG
V. Duldung, § 60a AufenthG
1. Aufenthaltsstatus geduldeter Ausländer
2. Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete, § 18a AufenthG
3. Altfallregelung, § 104a AufenthG
VI. Irregulärer Aufenthalt
VII. Fazit
C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I
D. Gleichbehandlungsansprüche von Migranten
I. Das Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, Art. 1 I GG i.V.m. Art. 20 I GG
II. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 GG
1. Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit im Lichte des Art. 3 III GG
2. Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG als Willkürverbot
a. Anknüpfung an den Aufenthaltsstatus
b. Anknüpfung an die Gegenseitigkeit der Rechtsgewährung
III. Einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote im Arbeits- und Zivilrecht
1. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
2. Spezifisch sozialrechtliche Diskriminierungsverbote
3. Sozialrechtliche Ansprüche aufgrund des Diskriminierungsverbots?
IV. Inter- und supranationalrechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche
1. Das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK
2. Gleichbehandlungsansprüche aus der Grundrechte-Charta
3. Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, Art. 18 AEUV
a. „Im Anwendungsbereich der Verträge“
b. Sozialrechtlicher Teilhabeanspruch aus Art. 18, 20, 21 AEUV
c. Persönlicher Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV
4. Abkommensrecht
V. Völkerrecht
E. Fazit
4. Kapitel Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung
A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht
I. Versicherungspflicht kraft Beschäftigung
1. Sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis
2. Bestimmung des Beschäftigungsortes
3. Versicherungspflicht entsandter Arbeitnehmer
II. Versicherungspflicht kraft Wohnsitzes
1. Krankenversicherung der Rentner
2. Subsidiäre Versicherungspflicht in der GKV, § 5 I Nr. 13 SGB V
3. Familienversicherung
III. Abweichende Regelungen zu den Anknüpfungsmerkmalen der Versicherungspflicht
1. Europäisches koordinierendes Sozialrecht, VO (EG) 883/2004
a. Persönlicher Geltungsbereich
b. Sachlicher Anwendungsbereich
c. Bestimmung des anwendbaren Rechts
2. Abkommensrecht
3. Assoziationsrecht
4. Fazit
B. Bestimmung der Leistungsberechtigung in grenzüberschreitenden Fällen
I. Berücksichtigung von Versicherungs-, Beschäftigungs- und anderen Wartezeiten
1. Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld nach § 123 SGB III
2. Anspruchsbegründende und anspruchserhöhende Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
a. Wartezeiten, § 50 SGB VI
b. Beitragszeiten, § 55 SGB VI
c. Historisch bedingte Sonderregelungen zur Berücksichtigung von Zeiten in der Rentenversicherung
3. Anwartschaftszeiten in der Pflegeversicherung
4. Fazit
II. Besondere Anspruchsvoraussetzungen mit Inlandsbezug
1. Voraussetzungen der Verfügbarkeit i.S.v. § 119 SGB III
a. Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für Ausländer
b. Aufenthalt im „Nahbereich“ der Arbeitsagentur
2. Inlandsbezüge der rentenrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen
a. Vorzeitige Wartezeiterfüllung, § 53 SGB VI
b. Verlängerung der Anspruchsdauer für Waisenrenten, § 48 SGB VI
3. Grenzüberschreitende Verursachung von Berufskrankheiten und ihre Auswirkung auf die Leistungsberechtigung nach dem SGB VII
III. Rechtsfolgen des Auslandsaufenthalts während des Leistungsbezugs
1. Ruhen des Anspruchs wegen Auslandsaufenthalts
a. Ruhen der Ansprüche nach § 16 SGB V
b. Ruhen der Ansprüche nach § 34 SGB XI
2. Minderung von Ansprüchen wegen Auslandsaufenthalts
a. Grundsatz des Leistungsexports auch bei dauerhaftem Auslandsaufenthalt
b. Besonderheiten bei der Rentenberechnung
c. Erbringung von Rehabilitations- und Teilhabeleistungen im Ausland
3. Uneingeschränkter Leistungsexport trotz Auslandsaufenthalts
C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht und Leistungsberechtigung
I. Anknüpfungsmerkmale
1. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und Sozialstaatsprinzip, Art. 20 I GG
2. Wechsel der Anknüpfungsmerkmale als unzulässige Ungleichbehandlung nach Art. 3 I GG
a. Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung
b. Auslandswohnsitz als Hindernis für die Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft?
3. Eigentumsschutz von Anwartschaften in der Sozialversicherung, Art. 14 I GG
II. Primärrechtliche Vorgaben für Anknüpfungsmomente in der Sozialversicherung
III. Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit nach der VO (EG) 883/2004
1. Anspruch auf Inländergleichbehandlung nach Art. 4 VO (EG) 883/2004
a. Materieller Gehalt des Gleichbehandlungsanspruchs
b. Weltweite Geltung der Inländergleichbehandlung
2. Aufhebung von Wohnsitzklauseln durch Art. 7 VO (EG) 883/2004
a. Bindung an das wirtschaftliche und soziale Umfeld
b. Geldleistungen als Sachleistungssurrogat am Beispiel der Pflegeversicherung
c. Kontrolle der Leistungsvoraussetzungen am Beispiel der Arbeitslosenversicherung
d. Zulässigkeit von Wohnsitzklauseln für Ansprüche auf Sach- und Dienstleistungen?
3. Zusammenrechnung von Versicherungs- und Wartezeiten
a. Zusammenrechnung zur Begründung von Leistungsansprüchen
b. Einfluss der Zusammenrechnung auf die Leistungsgewährung?
4. Gleichstellung von anspruchsbegründenden Umständen
III. Anknüpfungsmerkmale und Assoziationsrecht
IV. Verflechtung nationalen Rechts durch Abkommensrecht
1. Leitlinien des Abkommensrechts
2. Multilateraler Effekt bilateraler Abkommen
V. Völkerrechtliche Zulässigkeit eines Wechsels der Anknüpfungsmerkmale
1. Mindeststandards und Gleichheitsgewährleistungen der IAO
2. EMRK als Schranke für den Wechsel der Anknüpfungsmomente
a. Schutz sozialversicherungsrechtlicher Anwartschaften als Eigentum
b. Folgerungen für die Rentenberechtigung von Drittstaatsangehörigen
D. Fazit
5. Kapitel Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe
A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II
I. Anknüpfungsmerkmale der Leistungsberechtigung
1. Dreimonatige Wartefrist
2. Leistungsausschluss wegen Aufenthalts zur Beschäftigungssuche
3. Leistungsausschluss wegen Leistungsbezugs nach AsylbLG
II. Zulässigkeit gesonderter Anknüpfungsregeln für Ausländer
1. Art. 24 II RL 2004/38/EG als taugliche Ermächtigungsgrundlage?
2. Primärrechtlich gebotene Anknüpfung für Grundsicherungsleistungen
a. Gleichbehandlungsanspruch aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit
b. Gleichbehandlungsansprüche freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger
c. Wirksamkeit der dreimonatigen Wartezeit
d. Wirksamkeit des vollständigen Leistungsausschlusses für Arbeitsuchende
3. Gleichbehandlungsansprüche von Arbeitnehmern nach Art. 7 II VO (EU) 492/2011
4. Anknüpfungskriterien nach koordinierendem Sozialrecht
a. Grundsicherung für Arbeitsuchende im Gefüge der VO (EG) 883/2004
b. Sonderkoordinierung der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen
c. Personelle Reichweite des Art. 4 VO (EG) 883/2004
d. Statutenwechsel nach der VO (EG) 883/2004
5. Völkerrechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche
a. Sonderregelungen für Ausländer im Lichte der EMRK
b. Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit im Lichte des Europäischen Fürsorgeabkommens
III. Fazit
B. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, §§ 41 ff. SGB XII
C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII
I. Sozialhilfe für Ausländer, § 23 SGB XII
1. Tatsächlicher Aufenthalt als Anknüpfungspunkt
2. Eingeschränkter Rechtsanspruch für Ausländer
3. Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen
4. Besondere Tatbestände zum Leistungsausschluss für Ausländer
a. Erschleichen von Sozialleistungen, § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII
b. Arbeitssuche als alleiniger Aufenthaltszweck, § 23 III 1 Alt. 2 SGB XII
c. Aufenthalt außerhalb des vorgegebenen Aufenthaltsorts, § 23 V SGB XII
II. Zulässigkeit von Differenzierungen im Sozialhilferecht
1. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG
2. Europarechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung in der Sozialhilfe
a. Primärrechtliche Bewertung der Sonderregelungen für Ausländer
b. Zugang zur Sozialhilfe nach VO (EU) 492/2011
c. Gleichbehandlungsanspruch nach Art. 24 RL 2004/38/EG
3. Europarechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche für Drittstaatsangehörige
a. Daueraufenthaltsberechtigte
b. Assoziationsrechtlich begründete Sozialhilfeansprüche
c. Gleichbehandlungsansprüche von Flüchtlingen
4. Der Gleichbehandlungsanspruch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen
a. Anwendbarkeit der Missbrauchsklauseln auf Angehörige der Vertragsstaaten
b. Rangverhältnis zwischen Unionsrecht und EFA
5. Zugang von Flüchtlingen zur Sozialhilfe nach Art. 23 GFK
III. Fazit
IV. Sozialhilfe bei Auslandsaufenthalt
D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG
I. Sonderregelungen für Personen mit lediglich vorübergehendem Aufenthalt
1. Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG
2. Umfang der zu gewährenden Leistungen
3. Rechtsfolgen längerfristigen Leistungsbezugs
II. Zulässigkeit einer eingeschränkten Existenzsicherung bei vorübergehendem Aufenthalt
1. Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, Art. 1 I, 20 I GG
a. Anforderungen an die Bemessung existenzsichernder Leistungen
b. Zulässigkeit divergierender Regelsätze für unterschiedliche Personengruppen
2. Vereinbarkeit des AsylbLG mit europarechtlichen Vorgaben
a. Mindeststandards für die soziale Absicherung von Asylbewerbern nach Art. 13 RL 2003/9/EG
b. Mindeststandards zur Sicherung der Bedürfnisse der Opfer von Menschenhandel nach Art. 7 RL 2004/81/EG
3. Zulässigkeit von Sonderregelungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach Art. 1 EFA
4. Gleichbehandlungsansprüche nach Art. 23 GFK
III. Fazit
E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen
I. Sozialhilfebezug als Ausweisungsgrund nach § 55 II Nr.6 AufenthG
II. Rechtfertigung der Aufenthaltsbeendigung
1. Europarechtlich begründeter Ausweisungsschutz
a. Ausweisung von Arbeitnehmern und Art. 45 AEUV
b. Ausweisung wirtschaftlich Inaktiver und Art. 21 AEUV
c. Ausweisungsschutz für Drittstaatsangehörige
2. Ausweisungsschutz nach dem EFA
3. Ausweisungsschutz für Flüchtlinge nach Art. 55 GFK
F. Fazit
6. Kapitel Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung
A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung
I. Leistungen zum Ausgleich familiärer Belastungen
1. Anknüpfungsmomente der Kindergeldberechtigung
a. Leistungsberechtigung nach dem EStG
b. Leistungsberechtigung nach dem BKGG
c. Antikumulierungsregeln
2. Anknüpfungsmomente der Elterngeldberechtigung
3. Besondere Anknüpfungsregeln im bilateralen Abkommensrecht
II. Leistungen zur Förderung des beruflichen Fortkommens
1. Anknüpfungsmomente für die Förderung der schulischen Bildung nach dem BAföG
a. Zugang für Deutsche und Unionsbürger
b. Zugang für Drittstaatsangehörige
c. Ort der Ausbildungsstätte
2. Anknüpfungsmomente für die Förderung der beruflichen Ausbildung nach §§ 59 ff. SGB III
a. Förderungsfähiger Personenkreis
b. Förderungsfähigkeit der Auslandsausbildung
III. Leistungen zur Sicherung der Wohnkosten
1. Tatsächlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment
2. Konkurrenz zu den Leistungen des AsylbLG
IV. Fazit
B. Rechtfertigung der Zugangskriterien
I. Verfassungsrechtliche Betrachtung
1. Zulässigkeit der Wohnsitzklausel für die Kindergeldberechtigung
2. Zulässigkeit besonderer Anspruchsvoraussetzungen in der Familienförderung für Drittstaater
a. Integration in den Arbeitsmarkt als Kriterium der Zukunftsoffenheit
b. Rechtfertigung der Anknüpfung an den Daueraufenthalt im Kindergeldrecht
c. Rechtfertigung der Anknüpfung an eine Erwerbstätigkeit im Kindergeldrecht
d. Rechtfertigung der Anknüpfungspunkte im Elterngeldrecht
3. Zulässigkeit der Beschränkung der Ausbildungsförderung auf Daueraufenthaltsberechtigte
II. Europarechtliche Vorgaben
1. Leistungen der sozialen Förderung im koordinierenden Sozialrecht
a. Koordinierung der Leistungen der Ausbildungsförderung?
b. Begriff der Familienleistungen nach Art. 1 lit. z) VO (EG) 883/2004
c. Koordinierung der Familienleistungen
2. Leistungen der sozialen Förderung als soziale Vergünstigungen i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011
a. Leistungen der Ausbildungsförderung
b. Leistungen der Familienförderung
3. Gleichbehandlungsansprüche aus der Unionsbürgerrichtlinie
4. Divergierende Zugangskriterien kraft Primärrechts
a. Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung nach Art. 45 AEUV
b. Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung nach Art. 20, 21, 18 AEUV
c. Zugang zu den Leistungen der Familienförderung nach Art. 20, 21, 18 AEUV
5. Assoziationsrecht
a. Leistungen der Familienförderung
b. Leistungen der Ausbildungsförderung
6. Ansprüche auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung aufgrund der EMRK
a. Familienförderung
b. Ausbildungsförderung
C. Schlussfolgerungen
7. Kapitel Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung
A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung
I. Aufopferung als causa der Entschädigungsleistungen
II. Zugang zu den Leistungen zur Entschädigung der Kriegsopfer
1. Militärische und zivile Kriegsopfer
2. Leistungserbringung in das Ausland
a. Einschränkungen des Leistungsumfangs
b. Antikumulierungsvorschriften
III. Zugang zu den Leistungen der Verbrechensopferentschädigung
1. Voraussetzungen der Entschädigung von Inlandstaten
a. Mit Deutschen gleichgestellte Personen
b. Eingeschränkte Leistungsberechtigung bei kürzeren Aufenthalten
c. Umfang der Leistungsberechtigung bei Aufenthalt im Ausland
d. Härteausgleich
2. Voraussetzungen der Entschädigung von Auslandstaten
IV. Zugang zu den Leistungen der unechten Unfallversicherung
B. Bewertung der Anknüpfungsmomente
I. Verfassungsrecht
1. Zulässigkeit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt bei Inlandstaten
2. Verfassungsrechtliche Tragfähigkeit des Gegenseitigkeitsprinzips
II. Europarechtliche Bewertung
1. Uneingeschränkte Exportpflicht kraft Sekundärrechts?
2. Primärrechtliche Vorgaben
3. Assoziationsrecht
III. Völkerrechtliche Bewertung
C. Fazit
8. Kapitel Bewertung und Ausblick
A. Systematisierung der Zugangskriterien
I. Systematisierung nach Zweigen
II. Systematisierung nach Normadressaten
1. Aufenthaltsrechtlich begründete Schichtung
2. Sozialrechtlich begründete Schichtung
B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?
I. Befugnis zur eigenständigen Ausgestaltung des (Sozial)Rechts
II. Wandel der territorialen Anknüpfung für sozialen Schutz
III. „Staatsvolk“ und personale Anknüpfung für soziale Inklusion
1. Soziale Inklusion als Mitgliedschaftsrecht
2. Rechtfertigung von Exklusion
a. Inklusion zum Schutz des Migranten
b. Inklusion aufgrund des Nutzens des Migranten
c. Inklusion wegen besonderer Bindungen zwischen Migrant und Aufenthaltsstaat
3. Unionsbürgerschaft als post-nationaler Bürgerstatus
4. Ausweitung des Bürgerstatus auf Drittstaatsangehörige
IV. Fazit
C. Schlussfolgerungen
I. Soziale Sicherheit als Menschenrecht
II. Soziale Sicherheit als Aufgabe eines Weltsozialstaats?
III. Anforderungen an die Bestimmung der Anknüpfungspunkte
1. Spannungsverhältnis zwischen innen- und sozialpolitischen Erwägungen
2. Statuswechsel als Ausdruck des Übergangs sozialrechtlicher Verantwortung
3. Spezifische Zuordnung nach dem Leistungszweck
IV. Fazit
Literaturverzeichnis
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Migranten im Sozialstaat
 9783161521614, 9783161519338

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I

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 167

II

III

Constanze Janda

Migranten im Sozialstaat

Mohr Siebeck

IV Constanze Janda, geboren 1976; Studium der Rechtswissenschaften an der FriedrichSchiller-Universität Jena; Postgraduate Studies an der Katholieke Universiteit Leuven/Belgien; 2002 Promotion; derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozialrecht und Bürgerliches Recht der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

e-ISBN 978-3-16-152161-4 ISBN 978-3-16-151933-8 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Minion gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

V

Vorwort Diese Studie hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena im Wintersemester 2011/2012 zur Begutachtung vorgelegen und ist im Januar 2012 als Habilitationsschrift angenommen worden. Herzlich danke ich Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer für die Betreuung dieser Arbeit und für die schöne, interessante und lehrreiche Zeit an seinem Lehrstuhl. Er hat mich stets in meinem Weg bestärkt, mir alle wissenschaftliche Freiheit eingeräumt und mein Forschungsprojekt mit konstruktivem Rat begleitet. Prof. Dr. Achim Seifert danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Bedeutende Anregungen habe ich durch Prof. Dr. Ulrike Davy und Klaus Barwig erfahren. Sie haben mich im Rahmen der „Weingartener Woche zum Einwanderungs- und Flüchtlingsrecht“ erstmals mit den vielfältigen Dimensionen des Migrationsrechts in Berührung gebracht. Auch die intensiven Gespräche und Diskussionen mit Freunden und Kollegen im „Netzwerk Migrationsrecht“ haben meine Arbeit bereichert. Das Forschungsprojekt hat von 2005 bis 2008 großzügige finanzielle Förderung im Rahmen des Hochschul- und Wissenschaftsprogramms (HWP) sowie von 2008 bis 2011 durch das „Pro Chance“-Programm der Friedrich-Schiller-Universität Jena erfahren. Danken möchte ich schließlich den Mitarbeitern des Lehrstuhls für die schöne Zeit und die Unterstützung bei der Durchsicht des Manuskripts, insbesondere Sylvia Bernhardt, Kai Bekos, Sarah Brückner, Christina Hellrung, Julia Hubert und Florian Wilksch – und nicht zuletzt: meiner Familie. Jena, im Mai 2012

Constanze Janda

VI

VII

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

1. Kapitel

Einleitung A. Der Nationalstaat als Wohlfahrtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit zur „Nation“ . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsangehörigkeit als effektive Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatsbürgerschaft als erweitertes Kriterium der Zugehörigkeit . . . III. Erosion der Grundlagen stationär definierter Wohlfahrtstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

B. Internationales Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

2 3 4 5

I. Nationales internationales Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. „Fremdheit“ als Bezugspunkt fremdenrechtlicher Regelungen . 8 2. § 30 SGB I als zentrale Kollisionsnorm des Sozialrechts . . . . . . . . 9 II. Supranationale Regelungen mit sozialrechtlichem Bezug . . . . . . . . . 10 III. Wandel des Wohlfahrtstaats durch europäisches Recht . . . . . . . . . . . 11

C. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gang der Untersuchung

12

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel

Historische Entwicklung A. Alttestamentarische Ursprünge der Armenpflege B. Armenpflege im Altertum

. . . . . . . . . . . . . . . 17

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

I. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Römisches Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Aufkommen des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

C. Armenpflege im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Allmähliche Systematisierung der kirchlichen Armenpflege . . . . . . 26 II. Spitalwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

D. Armenpflege in der Neuzeit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

I. Unterstützungspflicht der Gemeinden nach dem Heimatprinzip . . II. Übergang von der städtischen Armenfürsorge zum Territorialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versorgung durch Zünfte, Gilden und Knappschaften . . . . . . . . . . . IV. Freizügigkeitsgesetzgebung und Recht des Unterstützungswohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Preußische Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgebung des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 30 31 31 32

34 a. Freizügigkeitsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b. Gemeinsames Indigenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c. Recht des Unterstützungswohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

3. Fortgeltung des Heimatprinzips in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Erste zwischenstaatliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 V. Sicherung der Arbeitnehmerschaft durch die Bismarckschen Sozialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Zugang zum Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 VI. Vom Fürsorge- zum Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkische Überformung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . 3. Fortentwicklung nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 44 45 47

Inhaltsverzeichnis

E. Europäische Sozialpolitik

IX

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

I. Sozialrechtliche Flankierung der Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erweiterung der sozialpolitischen Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialrecht als Wirtschaftsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitliche Europäische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrag von Maastricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verträge von Amsterdam und Nizza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 50 50 50 51 51 52

II. Die Unionsbürgerschaft als besonderer Bürgerstatus . . . . . . . . . . . . . 53 1. Vom Marktbürger zum Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Gehalt der Unionsbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

3. Kapitel

Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Territorialer Bezug der Solidargemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts . . . . . . . III. Freizügigkeit der Deutschen nach Art. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundgesetzlicher Schutz der Freizügigkeit für Ausländer? . . . .

57 57 58 59

59 60 61 a. Freizügigkeit der Unionsbürger aus Art. 11 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b. Bewegungsfreiheit von Migranten als Handlungsfreiheit i.S.v. Art. 2 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c. Recht zur Einreise aus Art. 6 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

IV. Berechtigung zum Aufenthalt als Tatbestandsmerkmal des gewöhnlichen Aufenthalts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Formelle Rechtmäßigkeit als Voraussetzung der Zukunftsoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Prognose der tatsächlichen Zukunftsoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 64 V. Sozialhilfebedürftigkeit als Einreisehindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

X

Inhaltsverzeichnis

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

. . . . . . . . . . . 67

I. Unionsrechtlich begründete Aufenthaltsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Grundfreiheiten im Primär- und Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Unionsbürgerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a. Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b. Zulässigkeit des Vorbehalts der Lebensunterhaltssicherung . . . . . . 72

3. Freizügigkeit für Familienangehörige von Unionsbürgern . . . . . 74 4. Freizügigkeit für Drittstaatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a. Freizügigkeit für türkische Staatsangehörige aufgrund Assoziationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b. Sonstiges Abkommensrecht der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

II. Visum, § 6 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Schengen-Visum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Nationales Visum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Daueraufenthaltsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Niederlassungserlaubnis, § 9 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Daueraufenthaltsrecht für sich legal in der EU aufhaltende Drittstaatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a. Vorgaben der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG . . . . . . . . . . 84 b. Daueraufenthaltserlaubnis-EG, § 9a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

III. Aufenthaltserlaubnis, § 7 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Ausbildung und Erwerbstätigkeit als Aufenthaltszweck . . . . . . . 86 a. Völker- und europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Aufenthalt zum Zwecke der Aus- und Weiterbildung, § 16 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, § 18 AufenthG . . . . . d. Aufenthaltserlaubnis für besonders qualifizierte Inhaber einer Duldung, § 18a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Aufenthalt zum Zwecke einer selbständigen Tätigkeit . . . . . . . . . . . f. Zukunftsoffenheit des Aufenthalts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87 90 91 93 94 94

2. Völkerrechtliche, humanitäre und politische Gründe für den Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a. Aufnahme aus völkerrechtlichen und dringenden humanitären Gründen, § 22 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Aufenthaltsgewährung durch die Landesbehörden und das BAMF, § 23 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Härtefallklausel, § 23a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Vorübergehender Schutz bei Massenzustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen, § 24 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Aufenthaltserlaubnis für Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge, § 25 I, II AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97 98 98 99 99

XI

Inhaltsverzeichnis

f. Aufenthaltserlaubnis wegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote, § 25 III AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 g. Erlaubnis des vorübergehenden Aufenthalts aus humanitären Gründen, § 25 IV-V AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 h. Geltungsdauer der humanitären Aufenthaltstitel . . . . . . . . . . . . . . 101

3. Familiäre Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a. b. c. d. e. f. g.

International- und supranationalrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familiennachzug zu Deutschen, § 28 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . Familiennachzug zu Ausländern, § 29 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . Ehegattennachzug zu Ausländern, §§ 30, 31 AufenthG . . . . . . . . . . Kindernachzug zu Ausländern, § 32 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . Nachzug von Eltern und sonstigen Familienangehörigen, § 36 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 104 107 107 109 110 111

4. Besondere Aufenthaltserlaubnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber, § 55 AsylVfG . . . . . . . . . . V. Duldung, § 60a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufenthaltsstatus geduldeter Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete, § 18a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Altfallregelung, § 104a AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 114 115 116 117

VI. Irregulärer Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I D. Gleichbehandlungsansprüche von Migranten

. . . . . . . . . . . . . 120

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

I. Das Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, Art. 1 I GG i.V.m. Art. 20 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit im Lichte des Art. 3 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG als Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a. Anknüpfung an den Aufenthaltsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b. Anknüpfung an die Gegenseitigkeit der Rechtsgewährung . . . . . . 127

III. Einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote im Arbeitsund Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Spezifisch sozialrechtliche Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . 130 3. Sozialrechtliche Ansprüche aufgrund des Diskriminierungsverbots? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Inter- und supranationalrechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichbehandlungsansprüche aus der Grundrechte-Charta . . . 3. Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, Art. 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131 131 132

133 a. „Im Anwendungsbereich der Verträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b. Sozialrechtlicher Teilhabeanspruch aus Art. 18, 20, 21 AEUV . . . 135 c. Persönlicher Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

4. Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 V. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

E. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

4. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

. . . . . . . . . . . . . . 143

I. Versicherungspflicht kraft Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung des Beschäftigungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Versicherungspflicht entsandter Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . .

144

II. Versicherungspflicht kraft Wohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Krankenversicherung der Rentner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subsidiäre Versicherungspflicht in der GKV, § 5 I Nr. 13 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Familienversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148

144 146 146 148 150 151

III. Abweichende Regelungen zu den Anknüpfungsmerkmalen der Versicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Europäisches koordinierendes Sozialrecht, VO (EG) 883/2004 153 a. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c. Bestimmung des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

2. Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Inhaltsverzeichnis

XIII

3. Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

B. Bestimmung der Leistungsberechtigung in grenzüberschreitenden Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

I. Berücksichtigung von Versicherungs-, Beschäftigungs- und anderen Wartezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld nach § 123 SGB III 166 2. Anspruchsbegründende und anspruchserhöhende Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a. Wartezeiten, § 50 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b. Beitragszeiten, § 55 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c. Historisch bedingte Sonderregelungen zur Berücksichtigung von Zeiten in der Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

3. Anwartschaftszeiten in der Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Besondere Anspruchsvoraussetzungen mit Inlandsbezug . . . . . . . 177 1. Voraussetzungen der Verfügbarkeit i.S.v. § 119 SGB III . . . . . . . 177 a. Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für Ausländer . . . . . . . . . . . . 178 b. Aufenthalt im „Nahbereich“ der Arbeitsagentur . . . . . . . . . . . . . . . 181

2. Inlandsbezüge der rentenrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a. Vorzeitige Wartezeiterfüllung, § 53 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b. Verlängerung der Anspruchsdauer für Waisenrenten, § 48 SGB VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

3. Grenzüberschreitende Verursachung von Berufskrankheiten und ihre Auswirkung auf die Leistungsberechtigung nach dem SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 III. Rechtsfolgen des Auslandsaufenthalts während des Leistungsbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Ruhen des Anspruchs wegen Auslandsaufenthalts . . . . . . . . . . . 189 a. Ruhen der Ansprüche nach § 16 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b. Ruhen der Ansprüche nach § 34 SGB XI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

2. Minderung von Ansprüchen wegen Auslandsaufenthalts . . . . . 192 a. Grundsatz des Leistungsexports auch bei dauerhaftem Auslandsaufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b. Besonderheiten bei der Rentenberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c. Erbringung von Rehabilitations- und Teilhabeleistungen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

3. Uneingeschränkter Leistungsexport trotz Auslandsaufenthalts 196

XIV

Inhaltsverzeichnis

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht und Leistungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

I. Anknüpfungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und Sozialstaatsprinzip, Art. 20 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Wechsel der Anknüpfungsmerkmale als unzulässige Ungleichbehandlung nach Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a. Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b. Auslandswohnsitz als Hindernis für die Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

3. Eigentumsschutz von Anwartschaften in der Sozialversicherung, Art. 14 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Primärrechtliche Vorgaben für Anknüpfungsmomente in der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit nach der VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Anspruch auf Inländergleichbehandlung nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a. Materieller Gehalt des Gleichbehandlungsanspruchs . . . . . . . . . . . 205 b. Weltweite Geltung der Inländergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . 206

2. Aufhebung von Wohnsitzklauseln durch Art. 7 VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a. Bindung an das wirtschaftliche und soziale Umfeld . . . . . . . . . . . . b. Geldleistungen als Sachleistungssurrogat am Beispiel der Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Kontrolle der Leistungsvoraussetzungen am Beispiel der Arbeitslosenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Zulässigkeit von Wohnsitzklauseln für Ansprüche auf Sachund Dienstleistungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 209 211 216

3. Zusammenrechnung von Versicherungs- und Wartezeiten . . . 219 a. Zusammenrechnung zur Begründung von Leistungsansprüchen 220 b. Einfluss der Zusammenrechnung auf die Leistungsgewährung? . 221

4. Gleichstellung von anspruchsbegründenden Umständen . . . . . III. Anknüpfungsmerkmale und Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verflechtung nationalen Rechts durch Abkommensrecht . . . . . . . . 1. Leitlinien des Abkommensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Multilateraler Effekt bilateraler Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 224 227 227 228

V. Völkerrechtliche Zulässigkeit eines Wechsels der Anknüpfungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Inhaltsverzeichnis

XV

1. Mindeststandards und Gleichheitsgewährleistungen der IAO . 230 2. EMRK als Schranke für den Wechsel der Anknüpfungsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a. Schutz sozialversicherungsrechtlicher Anwartschaften als Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b. Folgerungen für die Rentenberechtigung von Drittstaatsangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

D. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

5. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anknüpfungsmerkmale der Leistungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . 1. Dreimonatige Wartefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsausschluss wegen Aufenthalts zur Beschäftigungssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leistungsausschluss wegen Leistungsbezugs nach AsylbLG . . .

238 239 239 241 242

II. Zulässigkeit gesonderter Anknüpfungsregeln für Ausländer . . . . . 242 1. Art. 24 II RL 2004/38/EG als taugliche Ermächtigungsgrundlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Primärrechtlich gebotene Anknüpfung für Grundsicherungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a. Gleichbehandlungsanspruch aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit . b. Gleichbehandlungsansprüche freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Wirksamkeit der dreimonatigen Wartezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Wirksamkeit des vollständigen Leistungsausschlusses für Arbeitsuchende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245 247 251 252

3. Gleichbehandlungsansprüche von Arbeitnehmern nach Art. 7 II VO (EU) 492/2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Anknüpfungskriterien nach koordinierendem Sozialrecht . . . . 254 a. Grundsicherung für Arbeitsuchende im Gefüge der VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b. Sonderkoordinierung der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

XVI

Inhaltsverzeichnis

c. Personelle Reichweite des Art. 4 VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . 257 d. Statutenwechsel nach der VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

5. Völkerrechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche . . . 258 a. Sonderregelungen für Ausländer im Lichte der EMRK . . . . . . . . . 258 b. Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit im Lichte des Europäischen Fürsorgeabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

B. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, §§ 41 ff. SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266

I. Sozialhilfe für Ausländer, § 23 SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatsächlicher Aufenthalt als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . 2. Eingeschränkter Rechtsanspruch für Ausländer . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere Tatbestände zum Leistungsausschluss für Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266 266 267 268

269 a. Erschleichen von Sozialleistungen, § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII . . . . . 269 b. Arbeitssuche als alleiniger Aufenthaltszweck, § 23 III 1 Alt. 2 SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c. Aufenthalt außerhalb des vorgegebenen Aufenthaltsorts, § 23 V SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

II. Zulässigkeit von Differenzierungen im Sozialhilferecht . . . . . . . . . 273 1. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Europarechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung in der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a. Primärrechtliche Bewertung der Sonderregelungen für Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b. Zugang zur Sozialhilfe nach VO (EU) 492/2011 . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c. Gleichbehandlungsanspruch nach Art. 24 RL 2004/38/EG . . . . . . 276

3. Europarechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche für Drittstaatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a. Daueraufenthaltsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b. Assoziationsrechtlich begründete Sozialhilfeansprüche . . . . . . . . . 280 c. Gleichbehandlungsansprüche von Flüchtlingen . . . . . . . . . . . . . . . 281

4. Der Gleichbehandlungsanspruch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

Inhaltsverzeichnis

XVII

a. Anwendbarkeit der Missbrauchsklauseln auf Angehörige der Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b. Rangverhältnis zwischen Unionsrecht und EFA . . . . . . . . . . . . . . . 283

5. Zugang von Flüchtlingen zur Sozialhilfe nach Art. 23 GFK . . . 284 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 IV. Sozialhilfe bei Auslandsaufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG

. . . . . . . . . . . . . . . . . 286

I. Sonderregelungen für Personen mit lediglich vorübergehendem Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der zu gewährenden Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen längerfristigen Leistungsbezugs . . . . . . . . . . . . . . . .

287 287 288 289

II. Zulässigkeit einer eingeschränkten Existenzsicherung bei vorübergehendem Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, Art. 1 I, 20 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a. Anforderungen an die Bemessung existenzsichernder Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b. Zulässigkeit divergierender Regelsätze für unterschiedliche Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

2. Vereinbarkeit des AsylbLG mit europarechtlichen Vorgaben . . 293 a. Mindeststandards für die soziale Absicherung von Asylbewerbern nach Art. 13 RL 2003/9/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 b. Mindeststandards zur Sicherung der Bedürfnisse der Opfer von Menschenhandel nach Art. 7 RL 2004/81/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

3. Zulässigkeit von Sonderregelungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach Art. 1 EFA . . . . . . . . . . . . . . . 295 4. Gleichbehandlungsansprüche nach Art. 23 GFK . . . . . . . . . . . . . 296 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

I. Sozialhilfebezug als Ausweisungsgrund nach § 55 II Nr. 6 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 II. Rechtfertigung der Aufenthaltsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Europarechtlich begründeter Ausweisungsschutz . . . . . . . . . . . . 299 a. Ausweisung von Arbeitnehmern und Art. 45 AEUV . . . . . . . . . . . 300 b. Ausweisung wirtschaftlich Inaktiver und Art. 21 AEUV . . . . . . . . 301 c. Ausweisungsschutz für Drittstaatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

XVIII

Inhaltsverzeichnis

2. Ausweisungsschutz nach dem EFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 3. Ausweisungsschutz für Flüchtlinge nach Art. 55 GFK . . . . . . . . 305

F. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

6. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

. . . . . . . . . . . . . . . . 308

I. Leistungen zum Ausgleich familiärer Belastungen . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Anknüpfungsmomente der Kindergeldberechtigung . . . . . . . . . 309 a. Leistungsberechtigung nach dem EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 b. Leistungsberechtigung nach dem BKGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c. Antikumulierungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

2. Anknüpfungsmomente der Elterngeldberechtigung . . . . . . . . . . 314 3. Besondere Anknüpfungsregeln im bilateralen Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 II. Leistungen zur Förderung des beruflichen Fortkommens . . . . . . . 316 1. Anknüpfungsmomente für die Förderung der schulischen Bildung nach dem BAföG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 a. Zugang für Deutsche und Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 b. Zugang für Drittstaatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 c. Ort der Ausbildungsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

2. Anknüpfungsmomente für die Förderung der beruflichen Ausbildung nach §§ 59 ff. SGB III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a. Förderungsfähiger Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b. Förderungsfähigkeit der Auslandsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

III. Leistungen zur Sicherung der Wohnkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Tatsächlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment . . . . . . . . . . 322 2. Konkurrenz zu den Leistungen des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324

I. Verfassungsrechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Zulässigkeit der Wohnsitzklausel für die Kindergeldberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Zulässigkeit besonderer Anspruchsvoraussetzungen in der Familienförderung für Drittstaater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Inhaltsverzeichnis

a. Integration in den Arbeitsmarkt als Kriterium der Zukunftsoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Rechtfertigung der Anknüpfung an den Daueraufenthalt im Kindergeldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Rechtfertigung der Anknüpfung an eine Erwerbstätigkeit im Kindergeldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Rechtfertigung der Anknüpfungspunkte im Elterngeldrecht . . . .

XIX 327 328 329 330

3. Zulässigkeit der Beschränkung der Ausbildungsförderung auf Daueraufenthaltsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 II. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Leistungen der sozialen Förderung im koordinierenden Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 a. Koordinierung der Leistungen der Ausbildungsförderung? . . . . . . 334 b. Begriff der Familienleistungen nach Art. 1 lit. z) VO (EG) 883/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 c. Koordinierung der Familienleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

2. Leistungen der sozialen Förderung als soziale Vergünstigungen i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 . . . . . . . . . . . 338 a. Leistungen der Ausbildungsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 b. Leistungen der Familienförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

3. Gleichbehandlungsansprüche aus der Unionsbürgerrichtlinie 342 4. Divergierende Zugangskriterien kraft Primärrechts . . . . . . . . . . 343 a. Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung nach Art. 45 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 b. Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung nach Art. 20, 21, 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 c. Zugang zu den Leistungen der Familienförderung nach Art. 20, 21, 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

5. Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 a. Leistungen der Familienförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 b. Leistungen der Ausbildungsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

6. Ansprüche auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung aufgrund der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 a. Familienförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 b. Ausbildungsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

C. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350

XX

Inhaltsverzeichnis

7. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung . . . .

353

I. Aufopferung als causa der Entschädigungsleistungen . . . . . . . . . . . II. Zugang zu den Leistungen zur Entschädigung der Kriegsopfer . . 1. Militärische und zivile Kriegsopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungserbringung in das Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

354 355

355 356 a. Einschränkungen des Leistungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 b. Antikumulierungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

III. Zugang zu den Leistungen der Verbrechensopferentschädigung . 358 1. Voraussetzungen der Entschädigung von Inlandstaten . . . . . . . 358 a. Mit Deutschen gleichgestellte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Eingeschränkte Leistungsberechtigung bei kürzeren Aufenthalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Umfang der Leistungsberechtigung bei Aufenthalt im Ausland . . d. Härteausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358 359 360 361

2. Voraussetzungen der Entschädigung von Auslandstaten . . . . . . 362 IV. Zugang zu den Leistungen der unechten Unfallversicherung . . . . 363

B. Bewertung der Anknüpfungsmomente

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

I. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 1. Zulässigkeit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt bei Inlandstaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 2. Verfassungsrechtliche Tragfähigkeit des Gegenseitigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 II. Europarechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Uneingeschränkte Exportpflicht kraft Sekundärrechts? . . . . . . 2. Primärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

368 369 370 371

III. Völkerrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

C. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

XXI

Inhaltsverzeichnis

8. Kapitel

Bewertung und Ausblick A. Systematisierung der Zugangskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375

I. Systematisierung nach Zweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematisierung nach Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufenthaltsrechtlich begründete Schichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialrechtlich begründete Schichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

376 378

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

378 381

. . . . . . . . . . . . . . . . 383

I. Befugnis zur eigenständigen Ausgestaltung des (Sozial)Rechts . . . II. Wandel der territorialen Anknüpfung für sozialen Schutz . . . . . . . III. „Staatsvolk“ und personale Anknüpfung für soziale Inklusion . . 1. Soziale Inklusion als Mitgliedschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung von Exklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

384 386 387

387 388 a. Inklusion zum Schutz des Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 b. Inklusion aufgrund des Nutzens des Migranten . . . . . . . . . . . . . . . 389 c. Inklusion wegen besonderer Bindungen zwischen Migrant und Aufenthaltsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

3. Unionsbürgerschaft als post-nationaler Bürgerstatus . . . . . . . . . 391 4. Ausweitung des Bürgerstatus auf Drittstaatsangehörige . . . . . . 391 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

C. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

394

I. Soziale Sicherheit als Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Soziale Sicherheit als Aufgabe eines Weltsozialstaats? . . . . . . . . . . . III. Anforderungen an die Bestimmung der Anknüpfungspunkte . . . 1. Spannungsverhältnis zwischen innen- und sozialpolitischen Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statuswechsel als Ausdruck des Übergangs sozialrechtlicher Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezifische Zuordnung nach dem Leistungszweck . . . . . . . . . . . .

394 395 397 397 398 399

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

XXII

XXIII

Abkürzungsverzeichnis ABl. AEMR AEUV a.F. AGG ALR ANBA ANG Anm. AöR ARB

Amtsblatt der Europäischen Union Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Preußisches Allgemeines Landrecht Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Arbeitsnachweisgesetz 1922 Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Beschluss des Assoziationsrats EWG-Türkei (Assoziationsratsbeschluss) ArbG Arbeitsgericht ArbuR Arbeit und Recht (Zeitschrift) Art. Artikel AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz AsylVfG Asylverfahrensgesetz AufenthG Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet AufenthV Aufenthaltsverordnung Aufl. Auflage AusÜbsiedWOG Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler AVAVG Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung AVR Archiv des Völkerrechts (Zeitschrift) BA BAB BAFöG BAG BAGE BAMF BBiG Bd. BGBl.

BEG

Bundesagentur für Arbeit Berufsausbildungsbeihilfe, § 59 SGB III Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Berufsbildungsgesetz Band Bundesgesetzblatt 1867 bis 1871: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes ab 1949: Bundesgesetzblatt der Bundesrepublik Deutschland Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz)

XXIV BEEG BFDG BFH BFHE BFH/NV

Abkürzungsverzeichnis

BKGG BKV BMI BSG BSGE BT-Drs. BVBl BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVFG BVG

Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundeskindergeldgesetz Berufskrankheiten-Verordnung Bundesministerium des Inneren Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Drucksachen des Bundestages Bundesversorgungsblatt Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges

CML Rev

Common Market Law Review (Zeitschrift)

DDR d.h. DÖV DStR DStZ DuR DVBl

Deutsche Demokratische Republik das heißt Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Demokratie und Recht, Vierteljahresschrift Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

EEA EFTA EG EGMR ELJ ELRev EK EMRK EMRK-ZP

Einheitliche Europäische Akte European Free Trade Association Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Law Journal (Zeitschrift) European Law Review (Zeitschrift) Eisenacher Konvention vom 11.7.1853 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ESC Europäische Sozialcharta EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EuGVÜ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuR Europarecht (Zeitschrift) Eur J Migrat Law European Journal of Migration and Law (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

EUV EWR EWRAbk.

Vertrag über die Europäische Union Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum

FEVS

Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte Fußnote Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift) Freizügigkeitsgesetz des Norddeutschen Bundes Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Fremdrentengesetz

Fn. FPR FreizG FreizügG/EU FRG GFK GG GK GKV-WSG GRCh HAuslG HFR Hg. HHG

HS HwO

XXV

Übereinkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen (Genfer Flüchtlingskonvention) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gothaer Konvention vom 15.7.1851 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Herausgeber Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz) Halbsatz Gesetz zur Ordnung des Handwerks

IAO i. e. info also

Internationale Arbeitsorganisation id est (das ist) Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht (Zeitschrift) IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und politische Rechte Int J Refugee Law International Journal of Refugee Law (Zeitschrift) JA jurisPK jurisPR JZ

Juristische Ausbildung (Zeitschrift) juris Praxiskommentar juris Praxisreport Juristenzeitung

KassKomm KH KOM KonsG

Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Das Krankenhaus (Zeitschrift) Dokument der Europäischen Kommission Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse

XXVI KritV

Abkürzungsverzeichnis

KVdR

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Krankenversicherung der Rentner

lit.

litera (Buchstabe)

MBliV MittLVA Oberfr

Ministerialblatt der inneren Verwaltung Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken mit weiteren Nachweisen

m.w.N. NDV n.F. NJW Nr. NVwZ NZA NZA-RR

Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Zeitschrift) neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht – Rechtsprechungsreport

OEG

Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

PrGS

Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten

R.A.E. – L.E.A.

Revue des Affaires Européennes – Law and European Affairs (Zeitschrift) Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Revue des Ètudes Juives Reichsgesetzblatt Richtlinie Randnummer Reichsversicherungsordnung

RdA RdJB RÈJ RGBl. RL Rn. RVO S. SDÜ

SGb SGB Slg. SozSich StAG StlÜbk

Seite Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.6.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen) Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Soziale Sicherheit (Zeitschrift) Staatsangehörigkeitsgesetz Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen

Abkürzungsverzeichnis

StuW SuP SVG

XXVII

Steuer und Wirtschaft – Zeitschrift für die gesamten Steuerwissenschaften Sozialrecht und Praxis Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz)

TuP

Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit

UN UWG

United Nations (Vereinte Nationen) Gesetz über den Unterstützungswohnsitz

VEA

Vorläufiges Europäisches Abkommen über soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vergleiche Verordnung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Vierteljahresschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

vgl. VO VSSR VSWG VVDStRL

WGSVG WRV ZDG ZESAR ZEuS ZfF ZfS ZfSH ZFSH/SGB ZfSoz ZIAS ZNR ZRG/GA ZRG/KA ZRP ZSR ZTR

Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung Weimarer Reichsverfassung Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer Zeitschrift für Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für das Fürsorgewesen Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für Sozialhilfe Sozialrecht in Deutschland und Europa (Zeitschrift) Zeitschrift für Soziologie Zeitschrift für Internationales Arbeits- und Sozialrecht Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/ Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/ Kanonische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform Zeitschrift für Tarifrecht

XXVIII

1

„Fremde sind um so fremder, je ärmer sie sind.“ (Hans Magnus Enzensberger, Die große Wanderung)

1. Kapitel

Einleitung In der Europäischen Union (EU) haben sich 27 Staaten des Europäischen Kontinents zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen, die als ihre wichtigsten Ziele die Wahrung des Friedens und das Streben nach Wohlstand nennt. Seinen individuellen Wohlstand mehrt der Einzelne regelmäßig durch Erwerbsarbeit. All jene, die hierzu nicht in der Lage sind, werden durch den Wohlfahrtsstaat unterstützt. Das Sozialrecht, welches den Wohlfahrtsstaat inhaltlich ausgestaltet, ist integraler Bestandteil der Rechtsordnungen aller europäischen Staaten. Es bildet den rechtlichen Rahmen für die Sicherung einer hinreichenden Lebensgrundlage in den Wechselfällen des Lebens, die sich in Gestalt von Alter und Invalidität, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Armut materialisieren und durch das Wirken des Marktes nicht ausgeglichen werden können. Der in der EU errichtete Sozialraum gilt für Bewohner und Beschäftigte. Zugang hat, wer Bürger ist. Zugehörig ist, wer aufgrund „Ausländerrechts“ – künftig „Migrationsrecht“1 genannt – Zugang erlangt. Das Migrationsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit weisen bei flüchtiger Betrachtung keine Berührungspunkte auf. Während dieses die Voraussetzungen für den Zugang zu oder den Verbleib auf dem Territorium eines Staates determiniert, regelt jenes die Ansprüche bei der Verwirklichung sozialer Risiken.2

A. Der Nationalstaat als Wohlfahrtsstaat Historischer Ausgangspunkt sozialer Sicherheit war das Armenrecht. Dieses verfolgte das Anliegen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einem räumlich begrenzten Bereich – der Gemeinde oder dem Landkreis – aufrecht zu erhalten. Diese konnte nicht allein durch Repression sozialwidrigen Verhaltens ge1 Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 8 ff.; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 24 ff. 2 Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 92.

2

1. Kapitel: Einleitung

lingen, sondern erforderte auch Leistungen der Fürsorge. Seit der Herausbildung des Nationalstaats im 19. Jahrhundert – angestoßen durch die Französische Revolution – wird soziale Sicherheit als dessen Domäne verstanden. Der Nationalstaat ermöglicht seinen Bürgern die Möglichkeit zur Teilhabe am Wohlstand der Gesellschaft und vermittelt damit sozialen Einschluss. Er bewirkt nicht zuletzt dadurch Integration, indem er Solidarität der Bürger untereinander vermittelt; die Nation formt sich in einem Solidarverband. 3 Kehrseite dieses Ansatzes ist der soziale Ausschluss all derer, die nicht Mitglied des Solidarverbands sind. „Fremde“ galten historisch als Gefahr für die (nationalstaatliche) Gemeinschaft, die sich nicht der gleichen Verbundenheit mit dem Staat vergewissern konnten. Ihre Abwehr war folglich Aufgabe des Polizeirechts.4

I. Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit zur „Nation“ Nach der klassischen staatsrechtlichen Drei-Elemente-Lehre5 sind ein nach außen abgegrenztes Staatsgebiet, ein Staatsvolk sowie die Souveränität zur Ausübung von Staatsgewalt unabdingbare und grundlegende Merkmale eines jeden Staates. Die Souveränität nach innen wie nach außen erlaubt nicht nur die verbindliche Festlegung von Werten in Gesetzen, sondern begründet auch das staatliche Gewaltmonopol. Die Hoheitsgewalt und damit der Geltungsbereich nationalen Rechts sind grundsätzlich auf das Staatsgebiet und die sich dort aufhaltenden Personen beschränkt. Zugleich ermöglicht das so genannte Territorialitätsprinzip eine einheitliche Rechtsanwendung im gesamten Staatsgebiet.6 Der Nationalstaat ist ferner gekennzeichnet durch ein Volk, welches sich in dessen räumlichen Grenzen „dargestellt und verwirklicht sieht“.7 Das Staatsvolk repräsentiert eine – wie auch immer geformte8 – Nation, für deren Wohl der Staat verantwortlich

3 Giddens, Jenseits von Links und Rechts, S. 189: „Wer Sozialstaat sagt, spricht auch vom Nationalstaat.“; dazu auch Sachße, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 107 (107 f.); Brubaker, Staats-Bürger, S. 54 („Insider und Outsider“); Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 135; Poferl in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 141. 4 Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 92; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 75; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 198 ff. 5 Begründet von Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 235. 6 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 235; Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 130. 7 Zacher, ZIAS 2002, 193 (201); Kaufmann, Sozialpolitik und Sozialstaat, S. 299 spricht vom Nationalstaat als „Schicksalsraum“ der Bürger. 8 Historisch war eine Nation anhand der Sprache, Kultur und Geschichte von anderen Nationen abzugrenzen, Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 10 f.; Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 133; ausführlich Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 78 ff.

A. Der Nationalstaat als Wohlfahrtsstaat

3

ist.9 Die Ausübung dieser Verantwortung erfordert jedoch, dass die Adressaten staatlicher Pflichten feststehen. Es sind daher Kriterien zu etablieren, die die Zugehörigkeit des Einzelnen zur Nation und damit eine Schutzansprüche vermittelnde Mitgliedschaft10 begründen. Die Auswahl dieser Zugehörigkeitskriterien gibt Aufschluss über die innere Verfassung und das Selbstverständnis des Staates und dient gleichzeitig seiner Abgrenzung gegenüber anderen Staaten.11 Im Zeitalter der Nationalstaaten findet die Mitgliedschaft in der Staatsangehörigkeit ihren Ausdruck. Sie bildet die „Grundbeziehung der mitgliedschaftlichen Verbindung und rechtlichen Zugehörigkeit zur staatlichen Gemeinschaft … und den kraft der Verfassung daraus unmittelbar erwachsenden Rechten“.12 1. Staatsangehörigkeit als effektive Zuordnung Die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit ist eine ureigene Domäne des Nationalstaats.13 Sie ist völkerrechtlich als innere Angelegenheit der Staaten anerkannt, determinieren diese damit doch den Träger der Souveränität, den pouvior constituant.14 Die völkerrechtliche Akzeptanz gründet ferner darin, dass die anerkannten Anknüpfungstatbestände für den Erwerb der Staatsangehörigkeit – Abstammung (ius sanguinis), Geburtsort (ius soli) oder eine besonders enge Verbindung zu einem Staat etwa durch Heirat oder Wohnsitz – eine effektive Zuordnung des Einzelnen zu einem bestimmten Staat ermöglichen.15 Während nach dem ius sanguinis die Zugehörigkeit zur Abstammungsgemeinschaft die Staatsangehörigkeit legitimiert, leitet sich diese Rechtfertigung nach dem ius soli aus der Eingliederung in Territorium und bei der Verleihung durch die Anerkennung der Eignung des Einzelnen, Mitglied des die Staatsangehörigkeit gewährenden Staates zu sein, ab.16 Die Gruppe der Staatsangehörigen ist daher nicht zwangsläufig identisch mit der Nation. Zu dieser können Personen unterschied9 Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (97); Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 157 f. 10 Brubaker, Staats-Bürger, S. 46; Schönberger, Unionsbürger, S. 27 f.; Soysal, Limits of Citizenship, S. 120. 11 Gosewinkel, Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 533 (533); Geddes in Spencer, The Politics of Migration, S. 152 f.; Brubaker, Staats-Bürger, S. 19; Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 70 f. Kritisch im Hinblick auf die „Parteilichkeit“ der von der Gesellschaft selbst getroffenen Zugangsregeln Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 155 ff. 12 BVerfGE 37, 217 (239). 13 Dubos, R.A.E. – L.E.A. 2003/2004, 83 (83); Grawert, Der Staat 23 (1984) 179 (186); Hammar, Democracy and the Nation State, S. 28. 14 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 253. 15 IGH 1955, 4 (Nottebohm); Grawert, Der Staat 23 (1984) 179 (187); Gosewinkel, Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 533 (547); Brubaker, Staats-Bürger, S. 58; Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (98); Schönberger, Unionsbürger, S. 280 f. 16 Grawert, Der Staat 23 (1984) 179 (192); Wiener, Theory and Society 26 (1997) 529 (535); Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 172 sowie 175.

4

1. Kapitel: Einleitung

licher Staatsangehörigkeit ebenso gehören wie jene Angehörigen verschiedener Nationen zuerkannt sein kann. 2. Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk Gemäß Art. 20 II 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volk aus. Sie wird nach Art. 20 II 2 GG im Rahmen von Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Zum Volk zählen damit in strenger Anlehnung an die politischen Gestaltungsrechte nur die aktiv und passiv wahlberechtigten Staatsangehörigen. Deutscher ist nach Art. 116 I GG, § 1 StAG, wer die deutsche Staatsangehörigkeit innehat. Diese kann durch Abstammung von deutschen Eltern, die Geburt in der Bundesrepublik sowie durch Einbürgerung, Erklärung oder Adoption erworben werden, § 3 I StAG. Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit bzw. deren Ehegatten oder Abkömmlinge, die im Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden haben, sind als so genannte Statusdeutsche17 ebenfalls Deutsche, § 6 II BVFG. Voraussetzung ist jedoch, dass sie sich zum „deutschen Volkstum“ bekennen, sei es durch die Sprache, Erziehung oder sonstiges Verhalten, das ihre Zugehörigkeit zur deutschen Kulturgemeinschaft bestätigt.18 Ausländer sind im Umkehrschluss alle natürlichen Personen, die Angehörige eines anderen Staates oder staatenlos sind. Deutsche Mehrstaater, die zugleich eine oder mehrere andere Staatsangehörigkeiten innehaben, gelten nicht als Ausländer.19 Hat ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit inne, so ist auch das Kind deutscher Staatsangehöriger, § 4 I StAG.20 Die Geburt im Inland vermittelt Kindern nichtdeutscher Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit nur unter der Voraussetzung, dass die Eltern sich seit mindestens acht Jahren rechtmäßig gewöhnlich im Inland aufgehalten haben und über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügen, § 4 III StAG. Tritt durch das ius soli Mehrstaatlichkeit ein, ist das Kind mit Erreichen der Volljährigkeit gemäß § 29 StAG zur Entscheidung zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit gezwungen.21 Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist folglich – im Gegensatz zum Recht der meisten anderen Staaten – vom Abstammungsprinzip geprägt. Dieser Rechtsgestaltung liegt die Annahme zugrunde, die durch Abstammung vermittelte Zugehörigkeit zum Nationalstaat sei stärker und verlässlicher als die „zufällige“ 17 Durner in Maunz/Dürig, Art. 11 GG, Rn. 55; Davy/Çınar in Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 354. 18 Vgl. BVerwGE 5, 239; 38, 224. 19 Renner, Ausländerrecht, § 2 AufenthG, Rn. 7. 20 Zu den Einzelheiten bei ehelichen bzw. nichtehelichen Kindern Davy/Çınar in Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 352. 21 So genanntes Optionsmodell, dazu ausführlich Wallrabenstein in Sahlfeld, Integration und Recht, S. 243; Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 170.

A. Der Nationalstaat als Wohlfahrtsstaat

5

Geburt an einem bestimmten Ort.22 Das familiäre – durch die Abstammung bestimmte – Umfeld trage entscheidend zur Integration in die innerstaatliche Gesellschaft bei23 – ein Argument, welches freilich auch die Anknüpfung der Staatsangehörigkeit an den Geburtsort trägt!24 Die Einbürgerung, also die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit durch Rechtsakt, setzt nach § 10 I StAG neben dem seit acht Jahren andauernden gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus, dass der Ausländer das 16. Lebensjahr vollendet hat und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik nachweist und nicht straffällig geworden ist. Er muss ferner imstande sein, den Lebensunterhalt für sich und seine Angehörigen aus eigener Kraft zu bestreiten.25 Die Einbürgerung steht damit unter dem Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, steht doch bereits das Bestehen eines Anspruchs auf ergänzende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II oder SGB XII der Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit entgegen.26 Vom Erfordernis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung kann nach § 8 II StAG nur im Härtefall oder aus Gründen des öffentlichen Interesses abgesehen werden.

II. Staatsbürgerschaft als erweitertes Kriterium der Zugehörigkeit Die Staatsangehörigkeit ist jedoch kein exklusives Kriterium für die Zuerkennung von Rechten und Pflichten. Viele Gesetze – auch und gerade im Sozialrecht, wie noch zu zeigen sein wird – knüpfen an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Einzelnen an. Sie definieren Staatsangehörigkeit im Sinne des Unterworfenseins unter die Hoheit eines Staates funktional und tragen damit nicht zuletzt menschenrechtlichen Standards Rechnung.27 Es ist also zwischen dem Volk im politischen Sinne und der Bevölkerung zu unterscheiden.28 22 Kvistad in Kurthen/Fijalkowski/Wagner, Immigration, Citizenship and the Welfare State in Germany and the United States, S. 149; Brubaker, Staats-Bürger, S. 166; Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 176. 23 BVerfGE 37, 217 (251). 24 Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 186 f. 25 Im Einzelnen Oberhäuser in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, § 10 StAG, Rn. 6 ff.; Davy/Çınar in Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 355. 26 BVerwGE 109, 142 (143 f.). 27 Grawert, Der Staat 23 (1984) 179 (184). 28 Vgl. bereits Brecht, Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, in: Versuche 20/21, S. 94: „Das Wort Volk besagt eine gewisse Einheitlichkeit und deutet auf gemeinsame Interessen hin, sollte also nur benutzt werden, wenn von mehreren Völkern die Rede ist, da höchstens dann eine Gemeinsamkeit der Interessen vorstellbar ist. Die Bevölkerung eines Landstriches hat verschiedene, auch einander entgegengesetzte Interessen…“

6

1. Kapitel: Einleitung

Indem eine Rechtsordnung dem Einzelnen Rechte einräumt und dadurch seinen aktiven Status begründet, entsteht neben der – formell durch Innehaben eines bestimmten Passes nachgewiesenen – Staatsangehörigkeit der Status der Staatsbürgerschaft. Dieser Status weist nach T.H. Marshall drei Dimensionen auf: eine zivile, eine politische und eine soziale.29 Wichtiges Korrelat der einzelnen Ausprägungen von Staatsbürgerschaft ist das Prinzip der Gleichheit – sowohl durch die Gewährung von gleichen Rechten und Pflichten30, als auch in dem Sinne, dass jeder einen Anspruch hat, die zur Wahrnehmung seiner staatsbürgerlichen Rechte notwendigen Mittel zu erhalten.31 Während die zivilen Rechte – begrifflich zurückzuführen auf cives – durch die allgemeine Handlungsfreiheit, Meinungs- und Religionsfreiheit oder die Eigentumsfreiheit, mithin durch die auch im Grundgesetz aufgeführten klassischen Grundrechte determiniert sind, sichern die politischen Rechte die Teilhabe des Einzelnen an der Willensbildung der Gesellschaft.32 Diese übt er durch sein Wahlrecht aus. Die für die Sozialpolitik als Leitmotiv maßgebliche Sozialbürgerschaft vermittelt dem Einzelnen ein Mindestmaß an Wohlstand und Sicherheit und sichert dessen Teilhabe am wirtschaftlichen Wohlstand der Gesellschaft. Diese wird durch die Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme des jeweiligen Staates hergestellt. Staatsbürger ist also, wer aufgrund seiner Mitgliedschaft in einem Staat alle von diesem gewährten Rechte innehat. Dieser Status wird zwar typischerweise durch die Staatsangehörigkeit vermittelt, ist mit dieser aber nicht zwingend deckungsgleich.33

III. Erosion der Grundlagen stationär definierter Wohlfahrtstaatlichkeit Die historisch begründete Prämisse, dass jeder Mensch einem Staat oder gar einem personell determinierten Herrschaftsverband dauerhaft angehört, lässt sich in einer mobilen Gesellschaft mit transnationalen Biografien nicht mehr aufrechterhalten.34 Seit jeher überschreiten Menschen die Grenzen ihres Heimatstaates, um sich vorübergehend in einem anderen Land aufzuhalten, zu arbeiten oder sich dauerhaft dort niederzulassen. Grenzüberschreitende Mobilität ist 29

Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen, S. 40, vgl. dazu Hammar, Democracy and the Nation State, S. 51 ff. 30 Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen, S. 53. 31 Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen, S. 67. 32 Gosewinkel, Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 533 (534). 33 Grawert, Der Staat 23 (1984) 179 (189); Gosewinkel, Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 533 (534); Zacher, ZIAS 2002, 193 (221). Zur Unterscheidung beider Begriffe Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 12 f. sowie Vink, Limits of European Citizenship, S. 28 f. 34 Zacher, ZIAS 2002, 193 (194 f.); Dohse, Ausländische Arbeitnehmer und bürgerlicher Staat, S. 12.

B. Internationales Sozialrecht

7

also kein neues Phänomen, das exklusiv den unter dem Schlagwort „Globalisierung“ zusammengefassten weltweiten Verflechtungen wirtschaftlicher Aktivität zuzuordnen ist.35 Die (Erwerbs-)Biografie eines Sozialversicherten stellt sich immer mehr als Aneinanderreihung zeitlicher Bindungen dar. Die Bindung an eine nationalstaatliche Ordnung scheint daher nur partiell und zeitlich begrenzt zu bestehen. Weiten sich aber die Aktionsräume der sozialen Schutzsphären – Familie und Arbeitsmarkt – aus, muss dem auch das „wohlfahrtsstaatliche Arrangement“36 Rechnung tragen. Arbeitsbeziehungen und Fragen der sozialen Sicherung können folglich nicht länger als ausschließlich nationale Angelegenheiten verstanden werden. Eine auf eine „Nation“ begrenzte Ausrichtung der sozialen Sicherheit wirkt sich negativ auf die Mobilität der Bevölkerung und damit auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Denn in einem rein national ausgerichteten Rechtssystem muss Migration nahezu zwangsläufig zum Verlust sozialer Rechte führen. Diese Erkenntnis gewann Adam Smith bereits im Jahr 1776 in seinem Werk über den „Wohlstand der Nationen“. Die vom Sozialstaat gewährten Leistungen sozialer Sicherheit können in einer mobilen Gesellschaft daher nicht als bloßes „stationäres“ Recht wirken. Der Sozialstaat ist gefordert, auch jenen Bürgern sozialen Einschluss gewähren, die sein Territorium nicht (mehr) bewohnen wie auch solchen „Fremden“, denen er Zugang zum eigenen Territorium gewährt.

B. Internationales Sozialrecht Die nationale Zuordnung wird durch das internationale Sozialrecht, welches Bestandteil jedes nationalen Rechts ist,37 sowie durch das internationale Abkommensrecht und das Europarecht zu überwinden gesucht.

I. Nationales internationales Sozialrecht Im internationalen Sozialrecht bestimmt der Gesetzgeber den Geltungsbereich nationalen Sozialrechts, also die Wirkung des inländischen Sozialrechts im Ausland wie auch die Wirkung ausländischen Sozialrechts im Inland.38 Diese Regelungen werden als Kollisionsnormen bezeichnet. Sie bestimmen, welches Recht – genauer: die Sachnormen welches Staates – bei Sachverhalten zur Anwendung kommen soll, die mehrere Rechtsordnungen berühren.39 Solche Normen, die 35

Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (2). Zum Begriff Kaufmann, Sozialpolitik und Sozialstaat, S. 312. 37 v. Maydell, VSSR 1973, 347 (348). 38 So Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 16 ff.; zur Terminologie ausführlich Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 55 ff. 39 v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 4, Rn. 3; Maydell, VSSR 1973, 347 (357); Devetzi, Die Kol36

8

1. Kapitel: Einleitung

regelmäßig unmittelbar an die Fremdeneigenschaft anknüpfen, werden im Internationalen Privatrecht ausdrücklich als „Fremdenrecht“ bezeichnet.40 Die Sachnormen des nationalen Rechts bestimmen dagegen die materiellen Rechtsfolgen, die durch die Erfüllung eines Tatbestands ausgelöst werden.41 Für die soziale Sicherheit bestimmt jeder Staat autonom in seinen Sachnormen, wen er im Falle des Eintritts eines sozialen Risikos absichert, welche Leistungen erbracht werden, wie diese finanziert werden und wer im Einzelnen einen Anspruch auf die Leistungen hat. 1. „Fremdheit“ als Bezugspunkt fremdenrechtlicher Regelungen Während fremdenrechtliche Regelungen im bürgerlichen Recht eine Ausnahme darstellen, sind sie im öffentlichen Recht häufiger anzutreffen. Spezielle Regelungen für „Fremde“ ergeben sich bereits aus dem Grundgesetz, soweit dies einzelne Grundrechte als Deutschenrechte statuiert. Dazu zählen namentlich das Recht auf Freizügigkeit aus Art. 11 I GG oder das Recht der freien Berufswahl und -ausübung aus Art. 12 I GG. In den einfachgesetzlichen Normen finden sich insbesondere im Sozialrecht und im Recht der Arbeitsverwaltung fremdenrechtliche Vorgaben. Anders als im Internationalen Privatrecht, welches – um Normenkonflikte zu vermeiden – die Anwendung fremden (ausländischen) Rechts im Inland bewirkt,42 dient das Internationale Sozialrecht der Zu- und Einordnung „fremder“ Personen in den innerstaatlichen Solidarverband. Internationales Sozialrecht bestimmt also, welche im inländischen Recht vorgesehenen sozialen Leistungen an „Fremde“ zu gewähren sind.43 Wesentliches Bezugsmoment für die Bestimmung des Fremdenbegriffs ist die Staatsangehörigkeit. Fremd sind danach alle „Ausländer“, d.h. die Angehörigen eines anderen Staates oder Staatenlose. Das Fremdenrecht wird daher auch als Ausländerrecht bezeichnet. Indes bildet die Staatsangehörigkeit nicht das einzige Anknüpfungskriterium. Im Wirtschafts- und Steuerrecht wird seit jeher vor allem auf die Gebietszugehörigkeit abgestellt. „Fremd“ sind danach alle, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik haben. Die Staatsangehörigkeit hat in diesen Rechtsgebieten ihre vormals unzweifelhaft überragende Bedeutung zugunsten des so genannten Auslandsbezugs von Sachverhalten verloren.44 Eine spezifische Regelung enthält Art. 116 I GG, der einen Sonderstatus für die deutschen Volkszugehörigen begründet. Dabei handelt es sich um Personen, lisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 122 f.; Zacher, ZIAS 2002, 193 (223); Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 15. 40 Sonnenberger in MüKo, EGBGB, 2. Kapitel, Einleitung, Rn. 385 f. 41 Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 15. 42 Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 28. 43 Selb in Tomandl, Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, S. 23. 44 Sonnenberger in MüKo, EGBGB, 2. Kapitel, Einleitung, Rn. 391.

B. Internationales Sozialrecht

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die von deutschen Staatsangehörigen abstammen, die infolge des Zweiten Weltkriegs von Vertreibung betroffen waren und auf dem Territorium des ehemaligen Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 leben. Auf sie sollen die fremdenrechtlichen Regelungen des deutschen Rechts nicht angewendet werden, weil sie deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt sind. Die Norm ist damit Fremdenrecht und Privilegierung im Rahmen fremdenrechtlicher Regelungen zugleich.45 2. § 30 SGB I als zentrale Kollisionsnorm des Sozialrechts Der Tatbestand einer Kollisionsnorm setzt sich regelmäßig aus zwei Elementen zusammen: dem Anknüpfungsgegenstand und dem Anknüpfungsmoment. Während jener einen rechtlich determinierten Sachverhalt beschreibt – im Sozialrecht ist dies vor allem die Verwirklichung eines sozialen Risikos – ordnet dieses den Sachverhalt einer bestimmten Rechtsordnung zu. Das Anknüpfungsmoment stellt damit eine Verbindung zwischen der den Sachverhalt erfüllenden Person und dem Recht her, nach deren Regeln dieser zu behandeln ist. Im Verwaltungsrecht, dem das Sozialrecht zuzuordnen ist, finden sich ausschließlich einseitige Kollisionsnormen.46 Diese regeln, in welchen Fällen das nationale (Sozial-)Recht zur Anwendung kommt. Für das deutsche Sozialrecht ist § 30 I SGB I die zentrale Kollisionsnorm: sie erklärt das Sozialgesetzbuch einschließlich seiner besonderen Teile für alle Personen anwendbar, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben. Welche Staatsangehörigkeit der eine Sozialleistung Begehrende hat oder auf welche Weise er das Territorium der Bundesrepublik erreicht hat, ist irrelevant. Gefordert wird nach § 30 III SGB I einzig ein nicht lediglich vorübergehender Bezug zur Bundesrepublik, sondern die Begründung des tatsächlichen und wirtschaftlichen Lebensmittelpunkts. Ob ein solcher Lebensmittelpunkt begründet werden darf, ist Gegenstand des Migrationsrechts. Dieses regelt, unter welchen Voraussetzungen der Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen, wie lange dieser beibehalten werden und ob eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden darf. Sozialrecht und Migrationsrecht stehen daher in unmittelbarem Zusammenhang: die Entscheidung eines Staates über die Zugehörigkeit zu seinem Volk, seinem Territorium oder seinem Arbeitsmarkt wirkt sich auf die soziale Inklusion des Einzelnen aus.47

45

Sonnenberger in MüKo, EGBGB, 2. Kapitel, Einleitung, Rn. 390. v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 1, Rn. 131; Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 17 f.; a.A. Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 38 ff. 47 Zacher, ZIAS 2002, 193 (238); Tholen, Eur J Migrat Law 6 (2005) 323 (324 f.); Davy, ZESAR 2010, 307 (308); Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 28. 46

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1. Kapitel: Einleitung

II. Supranationale Regelungen mit sozialrechtlichem Bezug Für Sachverhalte außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik trifft § 30 I SGB I keine Regelung. Dies wäre Aufgabe so genannter mehrseitiger Kollisionsnormen. Da diese im Verwaltungsrecht fehlen, kommt es bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu Normhäufung – wenn der Anwendungsbereich mehrerer nationaler Rechte eröffnet ist – oder Normmangel – wenn kein Staat sein Recht für diesen Sachverhalt für anwendbar erklärt. Diese Effekte werden durch internationalrechtliche Instrumente ausgeglichen.48 Trotz der Internationalität von Migration gibt es keine supranationalen Rechtsakte – weder der Vereinten Nationen (UN), der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), des Europarats oder der Europäischen Union – die eigenständige sozialrechtliche Ansprüche begründen. Sie können dies auch nicht leisten, fehlen den internationalen Organisationen doch die Kompetenz wie auch der organisatorische Rahmen für die Erhebung von Abgaben oder die Leistungsgewährung. Ein supranationaler Sozialstaat – ein im Zeitalter des Nationalstaats bereits im Wortsinne widersprüchliches Konstrukt – existiert nicht. Das Recht der Internationalen Organisationen beschränkt sich auf Prinzipienerklärungen, die etwa soziale Sicherheit als Menschenrecht definieren, und an die Konventionsstaaten gerichtete Gesetzgebungsaufträge. Letztere dienen dem Setzen von Standards, also Mindestanforderungen an die Systeme sozialer Sicherheit, die es in das nationale Recht umzusetzen gilt. Einzig das Europarecht etabliert unter den Mitgliedstaaten ein System mehrseitiger Kollisionsnormen, welche die im nationalen Recht etablierten sozialen Sicherungssysteme miteinander verbinden, ohne deren Grundprinzipien anzutasten. Seit ihrer Gründung im Jahr 1957 bestimmt das europäische koordinierende Sozialrecht für alle Mitgliedstaaten verbindlich den internationalen Geltungsbereich nationalen Sozialrechts. Denn mit der Öffnung des gemeinsamen Binnenmarktes und der daraufhin einsetzenden Europäisierung der (Erwerbs-)Biografien war ein praktisches Bedürfnis für gemeinschaftsrechtliche Instrumente auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit entstanden. In personeller Hinsicht war es stets ein Anliegen des Sozialstaats europäischer Prägung, neben dem Schutz der Inländer die Integration von Ausländern – sowohl aus der EU als auch aus Drittstaaten – sicherzustellen. Territoriale Beschränkungen, wonach Leistungsansprüche ruhen, solange sich der Berechtigte im Ausland aufhält, werden durch das Prinzip des Leistungsexports abgelöst. Der Grundsatz der einheitlichen Rechtsanwendung innerhalb des Staatsgebietes wird überformt, zwingt doch das europäische koordinierende Sozialrecht die Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung des Rechts anderer Mitgliedstaaten.

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Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 34.

B. Internationales Sozialrecht

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III. Wandel des Wohlfahrtstaats durch europäisches Recht Nationales, inter- und supranationales49 Recht verbürgt zudem den Grundsatz der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen. Dies bedeutet indes nicht, dass jeder Mensch unbesehen seiner Nationalität überall gleich berechtigt wäre. Der Universalität des Gleichheitspostulats steht die Lokalität der Realisierung sozialer Ansprüche gegenüber: ihre Gewährung knüpft an die Mitgliedschaft in einem bestimmten Verband an. Denn keine Gemeinde, kein Territorialstaat und kein Nationalstaat vermag jene in sein gesellschaftliches und soziales Gefüge zu integrieren, die nicht Bewohner oder Bürger sind.50 Sozialer Schutz ist also an Institutionen gebunden, die ihrerseits territorial gebunden sind. Die Reichweite der Hoheitsbefugnisse ist demzufolge geografisch mit den Grenzen des Staatsgebiets und personell mit dem Staatsvolk deckungsgleich; Staatsbürger und die Adressaten des Sozialstaats sind weitgehend identisch.51 Diese hergebrachte Sicht des Sozialstaats ist zwar ein Konstrukt der Neuzeit – im Mittelalter war der Staat ein Personalverband, dessen Herrschaftsbefugnis sich aus persönlicher Gefolgschaft und weniger aus festen Grenzen ableitete52 – sie entstand aber vor Schaffung der EU. In einer supranationalen Gesellschaft ist die Einheit von Bürgerstatus und wohlfahrtstaatlichen Rechten als Mitgliedschaftsrechten in Auflösung begriffen. Durch die europäische Integration verlagern sich die konstituierenden Elemente von Staatlichkeit zunehmend auf die supranationale Ebene. Einer solchen Entwicklung ist bereits lange vor Gründung der europäischen Staatengemeinschaft der geistige Boden bereitet worden – so bereits 1795 durch Immanuel Kant, der die Vision einer – nicht spezifisch europäischen53 – Föderation der Nationalstaaten54 entwickelte oder durch Victor Hugo, der anlässlich der Eröffnung des Friedenskongresses 1849 die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“55 for49

Zu den Begrifflichkeiten Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (10 f.). Zacher, ZIAS 2002, 193 (194); zu dieser „Aporie der Menschenrechte“ vgl. auch Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S. 454 f. 51 Zacher, ZIAS 2002, 193 (194). Diese Auffassung klingt auch im Lissabon-Urteil des BVerfG atn, wonach jeder Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger sicherzustellen hat, BVerfGE 123, 267 (362) unter Bezugnahme auf BVerfGE 82, 60 (80); 110, 412 (445). 52 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 235; Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 12 f. Ausführlich unten im 2. Kapitel. 53 Wehberg, Die Friedenswarte 1941 Nr. 2/3, 49 (51 f.). 54 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 28 f.: „Für Staaten, im Verhältnisse untereinander, kann es nach der Vernunft keine andere Art geben … als dass sie … sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (friedlich immer wachsenden) Völkerstaat … bilden.“ 55 Hugo, Discours d’ouverture du Congrès de la Paix, 21 août 1849: „Un jour viendra où l’on verra ces deux groupes immenses, les Etats-Unis d’Amérique, les Etats-Unis d’Europe, placés en face l’un de l’autre, se tendant la main par-dessus les mers, échangeant leurs produits, leur commerce, leur industrie, leurs arts, leurs génies, défrichant le globe, colonisant les déserts, améliorant la création sous le regard du Créateur, et combinant ensemble, pour 50

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1. Kapitel: Einleitung

derte.56 Zwar ist ein EU-Sozialstaat mit eigenen Leistungen und Beiträgen, eigenem Budget und eigener Sozialverwaltung auch langfristig nicht in Sicht.57 Dennoch gewinnt das Europarecht wachsenden Einfluss auf das nationale Sozialrecht. Der Nationalstaat verliert damit nicht vollkommen an Bedeutung,58 sondern wandelt sich von der rechtssetzenden zur vollziehenden und administrierenden Einheit. Gleichzeitig ist das Konzept der Staatsbürgerschaft im Umbruch. Mit der Etablierung der Unionsbürgerschaft ist die hergebrachte Annahme aufgehoben, Bürgerschaft könne nur über eine Nation vermittelt werden. Die Internationalisierung und Europäisierung der Sozialpolitik stellt eine wesentliche Herausforderung für den traditionellen Sozialstaat dar. Denn seine Rolle als Spiegel eines abgegrenzten Territoriums, innerhalb dessen ein hergebrachter sozialer Konsens über das Ausmaß gesamtgesellschaftlicher Solidarität herrscht, verliert an Wirkmacht und muss einem neuen – internationalen, europäischen – Solidarkonzept weichen.

C. Ziel der Arbeit Die Wissenschaft hat sich in einer nahezu unüberschaubaren Fülle von Beiträgen den rechts-, wirtschafts- und politikwissenschaftlichen wie soziologischen Zusammenhängen zwischen europäischer Integration und sozialer Sicherheit gewidmet. Die vorliegende Arbeit soll die Diskussion nicht lediglich um einen weiteren Beitrag ergänzen. Sie verfolgt ein spezifisches Anliegen. Sie hat das Ziel, den Wandel des personellen und territorialen Anwendungsbereichs sozialer Sicherheit darzustellen und aus dem Blickwinkel des Rechts zu analysieren. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Interdependenz von Migrationsund Sozialrecht. Beide Rechtsgebiete geraten immer stärker in den Fokus des Rechts der Europäischen Union. Es stellt sich daher die Frage, ob der Anspruch des Einzelnen auf soziale Inklusion weiter als Ausfluss der Mitgliedschaft in einem territorial begrenzten Solidarverband verstanden werden kann. Die hergebrachte These von der Identität des Wohlfahrtsstaates mit dem Nationalstaat lässt sich nicht länger aufrechterhalten. Die Arbeit sucht daher nach Wegen, soziale Sicherheit als Menschenrecht – als das von der Staatsangehörigkeit unaben tirer le bien-être de tous…“ (abrufbar unter http://crdp.ac-lille.fr/sceren/hugo/congres. htm). 56 Ausführlich Wehberg, Die Friedens-Warte 1941, 2/3, 49. 57 Leibfried in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 80; Müller/Hettlage in Müller/Hettlage, Die europäische Gesellschaft, S. 13; Hailbronner, JZ 2005, 1138 (1143); Davy, ZESAR 2010, 307 (309). 58 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 594. Die Bedeutung des nationalen Wohlfahrtsstaats stellt beispielsweise Schulte, ZFSH/SGB 2002, 328 (331) in Frage.

D. Gang der Untersuchung

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hängige „Recht, Rechte zu haben“ 59 – wahrzunehmen. Sie ist zwar in den Kontext weltweiter Migrationsbewegungen eingebettet, widmet sich aber nicht zuvörderst den Auswirkungen der Globalisierung auf den Sozialstaat, die häufig mit reduzierten Handlungsspielräumen in Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung des Wohlfahrtsstaats durch die Zwänge des weltumspannenden Handels gleichgesetzt wird. Zu dieser Thematik sind zahlreiche Abhandlungen erschienen.60 Der Fokus der Arbeit liegt weniger auf der Frage, ob und wie die Balance zwischen dem freien Wirken der Marktkräfte und sozialen Anliegen gehalten werden kann.61 Der Wandel der den Sozialstaat tragenden Konzeption sozialer und demokratischer Teilhabe ist aus rechtlicher Sicht weitaus interessanter. Es soll nicht untersucht werden, ob der Begriff des Sozialstaates noch angemessen ist. Vielmehr geht es darum, welchen Änderungen der Sozialstaat im Hinblick auf den Geltungsbereich des von ihm gesetzten Rechts unterworfen ist. Die Untersuchung stellt sich daher der Aufgabe, einen umfassenden Überblick über Änderungen des Systems sozialer Sicherheit und letztlich die geänderten Legitimationsgrundlagen des Sozialstaats darzustellen.

D. Gang der Untersuchung Welchen Personen im Einzelnen Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit gewährt wird, hängt von der Zielsetzung des jeweiligen Sicherungssystems ab und ist daher für jeden Zweig gesondert zu bestimmen. Neben der Rechtssetzungskompetenz sowie dem territorialen Geltungsbereich des Sozialrechts werden in den einzelnen Kapiteln die Regelungen des Migrationsrechts untersucht, die über die Aufnahme in den personalen Anwendungsbereich des Sozialrechts entscheiden. Es wird ferner der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnisrecht auf den Umfang der sozialen Inklusion, d.h. Art und Umfang der zu gewährenden Sozialleistungen haben. Nach einem historischen Abriss, der die sozialgeschichtliche Entwicklung bis zu den Grundlegungen der Europäischen Union nachzeichnet (2. Kapitel), klärt das 3. Kapitel die Grundlagen des Zugangs zum deutschen Sozialleistungsrecht im Allgemeinen. Zentrale Norm ist § 30 I SGB I, wonach auf den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik abzustellen ist. Es wird untersucht, welche materiell-rechtlichen Anforderungen das AufenthG für dessen Erlangung aufstellt. Da das gesamte deutsche Sozialrecht nach § 30 II SGB I unter dem Vorbehalt abweichender internationaler Regelungen steht, werden die zentralen supranatio59

Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 462. Statt vieler vgl. Mishra, Globalisation and the Welfare State, Cheltenham 1999; Begg/ Draxler/Mortensen, Is Social Europe Fit for Globalisation?, Brussels 2008. 61 So beispielsweise Schulte, ZFSH/SGB 2002, 387 (388). 60

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1. Kapitel: Einleitung

nalen Normen mit sozialrechtlichem Gehalt dargestellt. Insbesondere wird auf das europäische Primär- und Sekundärrecht eingegangen. Das 4. Kapitel widmet sich dem Zugang zu den Leistungen der sozialen Vorsorge. Diese sichern den Einzelnen beim Eintritt eines sozialen Risikos ab. Dies sind die Wechselfälle des Lebens, die regelmäßig mit einem Einkommensverlust einhergehen, namentlich Krankheit und Invalidität, Alter oder Arbeitslosigkeit. Die soziale Vorsorge wird in der Bundesrepublik aus der Sozialversicherung geleistet. Zu deren Finanzierung tragen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils hälftig durch am Einkommen orientierte Beiträge bei. Entscheidend für den Zugang zur sozialen Vorsorge ist daher die Berechtigung zur Arbeitsaufnahme. Des Weiteren sind die Modalitäten der Leistungsgewährung zu untersuchen, die durch das Recht der Europäischen Union und des Europarats stark modifiziert werden. Sodann wird im 5. Kapitel der Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der sozialen Hilfen untersucht. Diese dienen der Sicherung des Existenzminimums, wenn der Lebensunterhalt auf andere Art und Weise – sei es durch Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder durch Leistungen der Sozialversicherung – nicht bestritten werden kann. Anknüpfungspunkt ist insofern der gewöhnliche (SGB II) bzw. tatsächliche (SGB XII) Aufenthalt im Inland, so dass in diesem Zusammenhang auf die spezifischen Regelungen zu Einreise und Verbleib von Bedürftigen in der Bundesrepublik einzugehen ist. Sodann wird die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses bestimmter Migrantengruppen aus dem Sozialhilfebezug diskutiert – insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu einem aus dem primärrechtlichen Diskriminierungsverbot abgeleiteten Sozialhilfeanspruch für Unionsbürger. Gegenstand des 6. Kapitels ist der Zugang zu Leistungen der sozialen Förderung. Diese dienen nicht dem Ausgleich von materiellen Verlusten, sondern sollen Chancengleichheit vermitteln. Darunter fallen insbesondere die Leistungen der Familienförderung und der Arbeitsförderung. Das Recht der sozialen Entschädigung wird im 7. Kapitel untersucht. Dieses kommt zum Tragen, wenn der Einzelne im allgemeinen öffentlichen Interesse ein Sonderopfer erbringt. Hierzu zählen die Leistungen für Kriegs- und Gewaltopfer, aber auch die Leistungen der unechten Unfallversicherung. Das abschließende 8. Kapitel unternimmt zunächst eine Systematisierung der Zugangskriterien für die einzelnen Zweige sozialer Sicherheit. Es wird untersucht, inwieweit mit der Europäisierung des Rechts eine Universalisierung sozialer Rechte im Sinne vollkommener Gleichberechtigung von Menschen jedweder Staatsangehörigkeit einhergeht. Ausgehend von den gemeinschaftsrechtlichen Instrumenten wird bewertet, welche Auswirkungen die Europäisierung auf die Strukturen sozialer Sicherung in den Mitgliedstaaten zeitigt. Von besonderem Interesse ist die Frage, ob die Europäisierung dazu führt, dass sich die Zielsetzung der nationalen Sozialpolitik verändert und wie sich dies auf die Wahr-

D. Gang der Untersuchung

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nehmung sozialer Sicherheit auswirkt. In diesem Zusammenhang soll auf einen Wandel der Legitimation des Wohlfahrtsstaates eingegangen sein. Zielt dieser weiterhin auf Loyalität und Inklusion der eigenen Nation oder öffnet er sich und gewährt soziale Leistungen mehr und mehr als Menschenrecht? Die Antwort auf diese Fragen bildet die Grundlage für eine Neubestimmung der Anknüpfungsmomente sozialer Sicherheit.

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2. Kapitel

Historische Entwicklung Die Gewährung von öffentlichen Zuwendungen zur Sicherung der Wechselfälle des Lebens ist kein Novum. Sie lässt sich bis in die vorstaatlichen, antiken Gesellschaften zurückverfolgen. Zunächst als religiös motivierte Barmherzigkeit und Akt der Nächstenliebe aufgefasst, war sie in der Armenpflege verortet. Im Wandel der Zeiten und Wertvorstellungen wurden sie später der „Policey“ zugeordnet. Sozialrecht in seiner statussichernden Dimension ist erst Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen. Der Begriff des Sozialrechts entstand erst im 20. Jahrhundert. In allen Epochen lassen sich Regeln ausmachen, die auf eine territoriale Gebundenheit der Unterstützung benachteiligter Gruppen hindeuten. Diese lassen erkennen, dass Inklusion/Exklusion traditionell an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft gebunden ist.

A. Alttestamentarische Ursprünge der Armenpflege Die Ideale sozialer Gerechtigkeit und die Verpflichtung zu Barmherzigkeit und Mildtätigkeit sind bereits im Mosaischen Recht verankert. Dessen Traditionen waren für die Herausbildung der christlichen Wohlfahrt von maßgeblichem Einfluss1. Das Alte Testament statuierte die Nächstenliebe als heilige Pflicht.2 Hintergrund war der Gedanke der Genesis, dass der Mensch als Ebenbild Gottes ge1 Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 416 f., der darauf hinweist, dass die jüdische Wohltätigkeit wiederum von der Sozialmoral der Ägypter beeinflusst war, welche die Wohltätigkeit gegenüber den Armen als Pflicht und Tugend rühmte. Die Gewährung von Schutz und Unterstützung an Schwache und Notleidende entstamme daher einer orientalischen Tradition, die dem antiken Abendland gänzlich unbekannt war, Bolkestein, ebda. S. 14; vgl. auch die Nachweise zu ägyptischen und parsischen Texten bei Klostermann, Das Matthäusevangelium, S. 205, Anm. 35. Sulzberger, The Status of Labor in Ancient Israel, S. 120 sieht dagegen in der israelitischen Tradition die eigentliche Quelle der modernen Sozialgesetzgebung. 2 Vgl. 5. Mose 15, 7–8: „Wenn einer deiner Brüder arm ist in irgendeiner Stadt in deinem Lande, das der Herr, dein Gott, dir geben wird, so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder, sondern sollst sie ihm auftun und ihm leihen, soviel er Mangel hat.“; Psalm 72, 4: „Er soll den Elenden im Volk Recht schaffen und den Armen helfen.“; Sprüche 31, 20: „… sie [die „tüchtige Hausfrau“] breitet ihre Hände aus zu dem Armen und reicht ihre Hand dem Bedürftigen.“

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

schaffen sei. Auf dieser Grundlage basiert der Gedanke der Gleichheit aller Menschen, welche letztlich in der Menschenwürde gründet.3 Barmherzigkeit wurde mit Gerechtigkeit gleichgesetzt und war vor allem durch den Gedanken der Gottgefälligkeit motiviert.4 Da alles Eigentum als Eigentum Gottes angesehen wurde, war es mit den Armen zu teilen. Den Armen sollte daher alle drei Jahre ein Zehntel der Ernte überlassen werden. Alle sieben Jahre, im so genannten Sabbatjahr, war die gesamte Ernte mit ihnen zu teilen. Ferner gebührte den Armen die Nachlese, i.e. die auf dem Feld verbliebenen Reste der Ernte sowie eine Ackerecke, die ihnen zur freien Bewirtschaftung zu überlassen war. Diese Art der Fürsorge wurde vor allem in den agrarisch geprägten ländlichen Gebieten ausgeübt. In den Städten gab es ein öffentliches Fürsorgewesen: die Gemeinden stellten Armenpfleger an, welche Almosen – Geld oder Naturalien – von den Einwohnern einsammelten. Auch in den Synagogen fanden Sammlungen statt. Die Einnahmen kamen den Armen der Stadt, Witwen und Waisen, Besitzlosen und Tagelöhnern zu. Abgabepflichtig waren alle, die länger als 30 Tage in der Stadt lebten. 5 Das alttestamentarische Prinzip der Nächstenliebe war allumfassend und beschränkte sich nicht auf die Angehörigen derselben Ethnie oder Religion.6 Das Gebot kann indes nicht wörtlich genommen werden. Da es zunächst an einem Staatsgebiet fehlte, welche die Identität der Juden als Nation hätte begründen können, grenzte man sich über die geistig-religiöse Identität von anderen Völkern ab.7 Unter den Fremden wurde differenziert. Den gerim – den sesshaften Fremden, die aus Not oder wegen eines Krieges ihre Heimat verlassen mussten8 – wurde im Falle der Bedürftigkeit Hilfe zuteil. Sie konnten sich unter den persönlichen Schutz eines freien Landbesitzers begeben und erhielten dadurch einen erweiterten Gaststatus. Ihnen sollte die Nachlese der Ernte zukommen, sie sollten an den Mahlzeiten und den heiligen Festen teilhaben können.9 Voraussetzung der Unterstützungsberechtigung war jedoch, dass sie Loyalität gegenüber ihren Gastgebern bekundeten.10 3

Lehner, Jura 1999, 26 (27). Sprüche 14, 31: „Wer dem Geringen Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer; aber wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott.“, vgl. dazu ausführlich Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 44 f. 5 Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 416; Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 3; Lehmann, RÈJ 35 (1897), 1 (22 ff; 31 f.); Lehner, Jura 1999, 26 (29). 6 3. Mose, 19, 34: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.“ 7 Lehner, Jura 1999, 26 (26). 8 Sulzberger, The Status of Labor in Ancient Israel, S. 20, 25; Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 39 f. 9 4. Mose 15, 16: „Einerlei Gesetz, einerlei Recht soll gelten für euch und für den Fremdling, der bei euch wohnt.“ Dazu ausführlicher Lehmann, RÈJ 35 (1897) 1 (3). 10 1. Mose 21, 23: „So schwöre mir nun bei Gott, dass du mir und meinen Söhnen und 4

B. Armenpflege im Altertum

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B. Armenpflege im Altertum I. Griechenland Im antiken Griechenland bestand keine Wohlfahrtspflege im herkömmlichen Sinne, welche gezielt auf die Linderung von Armut ausgerichtet war. Angesichts der allgemein guten wirtschaftlichen Lage, stellte Armut zumindest bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. kein drängendes Problem dar. Umverteilung zum Zwecke der Förderung sozialer Gerechtigkeit spielte im Selbstverständnis des antiken Staates keine Rolle.11 Wichtigster Unterstützer im Falle der Bedürftigkeit war die Familie. Der Staat beschränkte sich darauf, die Getreidepreise zu subventionieren oder gelegentlich Getreidespenden an Bedürftige auszugeben. Unter Solon und Peisistratos (6. Jh. v. Chr.) wurden staatliche Unterhaltszahlungen sowie kostenlose medizinische Leistungen für Kriegsversehrte und die Hinterbliebenen von Kriegsopfern eingeführt.12 Spätestens seit den Perserkriegen war die griechische Gesellschaft indes durch drastische soziale Gegensätze gekennzeichnet. Einer verhältnismäßig kleinen Zahl Wohlhabender standen zahlreiche Arme und Sklaven gegenüber. Um die Loyalität dieser Bevölkerungsgruppen gegenüber dem Staat zu sichern und Unruhen oder gar revolutionäre Bestrebungen zu unterdrücken, wurde nach und nach ein staatliches Fürsorgesystem etabliert, drohten die sozialen Spannungen doch die gesamte Gesellschaftsordnung zu gefährden.13 Perikles (5. Jh. v. Chr.) führte mit der theoriká Geldleistungen für jedermann ein. Ursprünglich als Gegenleistung für die Volksvertreter anlässlich des Besuchs der Volksversammlung oder der zahlreichen öffentlichen Feste in Athen ausgestaltet, wurde sie bald bei Festen generell an alle ausgezahlt. Später wurde die Zahlung auf Bedürftige beschränkt. Anspruchsberechtigt waren indes nur die Bürger, die im démos – einem öffentlichen Register – eingetragen waren.14 Das Bürgerrecht erlangten alle männlichen Bewohner der poleis und der Landkreise, die das 18. Lebensjahr vollendet, den Wehrdienst oder das Gymnasion absolviert hatten und über Grundbesitz verfügten. Seit 451/450 v. Chr. war der Bürgerstatus an die Abstammung aus einer gültigen Ehe zwischen einem Bürger und der Tochter eines Bürgers gemeinen Enkeln keine Untreue erweisen wollest, sondern die Barmherzigkeit, die ich an dir getan habe, an mir auch tust und an dem Lande, darin du ein Fremdling bist.“ 11 Isocrates, Areopagitikos, § 83: „Damals mangelte keinem Bürger, was er zum Leben nötig hatte.“ (zitiert bei Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 207); Schönfeld, ZRG/KA 1922, 1 (23); Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 304 ff. 12 Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 61. 13 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 15. 14 Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 281, 283.; Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 270 f.; Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 68; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 10 f.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

knüpft.15 Frauen, Metöken – freie Fremde, die sich längerfristig in der polis niedergelassen hatten, unter deren Schutz standen und dadurch bestimmte Rechte, aber auch Pflichten (Wehrdienst, Steuerpflicht) hatten16 – und Sklaven genossen keine politischen Rechte. Letztere wurden von ihren Herren versorgt. Nachdem der Peloponnesische Krieg große Teile der Bevölkerung ihrer Existenzgrundlage beraubt hatte, wurde die Fürsorge auf alle Griechen ausgedehnt, die sich ihren Lebensunterhalt wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit nicht selbst erarbeiten und auch durch Familienangehörige keine Unterstützung erhalten konnten.17 Armenärzte erbrachten Behandlungsleistungen, die zumeist in Form einer „Ärztesteuer“ von den wohlhabenden Bürgern finanziert wurden. Besitzlose wurden in den Kolonien angesiedelt.18 Den Arbeitsfähigen wurden Aufgaben im öffentlichen Interesse zugewiesen. Die Gewährung der Fürsorgeleistungen war an eine Bedürftigkeitsprüfung durch den Rat der Fünfhundert – ein von Kleisthenes um 508/507 v. Chr. eingeführtes demokratisches Gremium, welches unter anderem die Entscheidungen der Volksversammlung vorzubereiten hatte – und einen stattgebenden Beschluss der Volksversammlung gebunden.19 Daneben widmeten sich Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (éranoi) der wirtschaftlichen Absicherung in Notlagen. Sie erbrachten Leistungen bei Erkrankungen, für Familien oder im Todesfall und gewährten auch Darlehen an ihre Mitglieder. Bei einer Verbesserung der Vermögenslage hatte der Empfänger die gewährten Hilfen zurückzugewähren. Ihre gemeinsamen Ausgaben finanzierten sie durch Beiträge nach dem Prinzip der Reziprozität. Die Mitglieder brachten aber auch Grundstücke oder Sklaven in die Vereine ein. Die éranoi standen jedermann offen, auch Frauen, Sklaven und Fremden – freilich unter der Voraussetzung, dass sie die monatlichen Beiträge aufzubringen imstande waren.20 Private Wohltätigkeit in Form des Almosengebens spielte nur eine untergeordnete Rolle. Bettler wurden mit Obdach und Verpflegung unterstützt. Stellten sie sich bei einem Griechen in Dienst, wurde ihnen ein Bleiberecht eingeräumt.21 Eine der höchsten Tugenden war die Gastfreundschaft (xenia), die man als Ausdruck der philanthropia verstand. Dem Begriff der Gastfreundschaft wurde spä15 Schnabel-Schüle in Gestrich/Raphael, Inklusion/Exklusion, S. 54; Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 86. 16 Dazu ausführlich Bleicken, die athenische Demokratie, S. 86 ff.; Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 94 ff. 17 Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 63 ff. 18 Die geschah jedoch weniger vor dem Hintergrund, diesen durch die Zuweisung von Land ein Auskommen zu ermöglichen, als die eroberten Gebiete zu sichern, Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 14. 19 Roscher, System der Armenpflege, S. 92; Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 63 f. 20 Peters, Geschichte der sozialen Versicherung, S. 16; Roscher, System der Armenpflege, S. 92; Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 94; ausführlich Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherheit, S. 47 ff. 21 Gauthier, Ancient Society 4 (1973) 1 (10).

B. Armenpflege im Altertum

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ter zwar auch die Barmherzigkeit gegenüber Bedürftigen zur Seite gestellt,22 die Armen waren indes nicht gesondert als Empfänger der Wohltätigkeit herausgestellt. Denn Freigiebigkeit sollte dem Spender Ehre, Ansehen und Einfluss verschaffen und vor allem den Mitbürgern, dem Staat zukommen.23 Von den Einheimischen waren daher die Fremden (xenos) abzugrenzen. Als Fremde galten alle, die nicht aus der polis stammten. Daraus, dass der Begriff xenos nicht nur allgemein für den Fremden steht, sondern daneben gleichermaßen den Gast wie den Gastgeber meint, ist zu folgern, dass die xenia auf dem Prinzip der Reziprozität beruhte und somit nur den hellenischen Fremden zugutekam, welche die Verehrung des Zeus, gleiche Riten und die gleiche Sprache teilten. Andere Personen (barbaroi) kamen allenfalls als Handelspartner oder (Kriegs-)Gegner, nicht aber als Adressaten der Gastfreundschaft in Betracht. 24

II. Römisches Reich Auch im Römischen Reich gab es kein organisiertes öffentliches Armenwesen. Bedürftige waren auf Selbsthilfe, familiäre oder patronale25 Unterstützung verwiesen. Im 1. Jh. v. Chr. entstanden mit den collegia tenuiorum Genossenschaften, die sich in geringem Umfang auch der Fürsorge im Falle der Verarmung widmeten. Ursprünglich als Begräbnisvereine gestiftet, veranstalteten sie sporadisch Sammlungen zugunsten bedürftiger Mitglieder, gewährten Darlehen oder kostenfreie medizinische Versorgung. Die Befugnis zur Errichtung eines collegium tenuiorum kam nur Bürgern zu. Die Mitgliedschaft stand aber nicht nur den Freien, sondern auch Freigelassenen und Sklaven offen. Die Ausgaben wurden durch die Eintrittsgelder und die monatlichen Beiträge der Mitglieder finanziert.26 Ferner konnte durch großzügige Wohltaten (beneficia) soziales Ansehen erworben werden, weshalb Wohlhabende häufig einen Teil ihres Vermögens spendeten oder stifteten. Neben Milde und Mitleid zählte die Wohltätigkeit zu den Tugenden der humanitas. Dies entsprach auch dem allgemeinen Selbstverständnis der Vornehmen: Wohlstand war nur dann gerechtfertigt, wenn er dem allge22 Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum. S. 200, 214; Gauthier, Ancient Society 4 (1973) 1 (10). 23 Bolkestein, ebda. S. 149. 24 Gauthier, Ancient Society 4 (1973) 1 (5 ff.); vgl. auch Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 81. 25 Als Patron unterstützten sozial Bessergestellte ihre Clienten, i.e. Personen, die sich unter ihren Schutz begeben hatten, beispielsweise durch gerichtliche Vertretung aber auch durch finanzielle Zuwendungen im Falle der Verarmung. Dazu ausführlich Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 24 ff.; Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Band, S. 54 ff. 26 Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 104 ff.; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 18.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

meinen Wohl und damit dem Ansehen der Stadt zugutekam. Die Mehrung des individuellen Ruhmes beruhte auf dem jeweiligen Beitrag zum Gemeinwohl.27 Der Gedanke der caritas oder des Almosen war den Römern dagegen fremd. Der Einzelne war in seine Familie eingebunden oder konnte als Bürger der Stadt von den beneficii profitieren. Es gab daher keine tragfähige Begründung für gezielte fürsorgliche Hilfe zugunsten der Armen.28 Unter Gaius Gracchus wurden 123 v. Chr. mit der lex Sempronia frumentariae die so genannten frumentationes, die Abgabe von Getreide zu stark subventionierten Preisen, eingeführt. Ab dem 1. Jh. v. Chr. spendeten die Kaiser zu besonderen Anlässen zunächst aus ihrem Privatvermögen, später aus der Staatskasse auch Geld und Naturalien – von Getreide, Lebensmitteln und Ackerland über öffentliche Bäder bis hin zu Tempeln. Diese Spenden (congiaria) waren nicht an den Nachweis der Bedürftigkeit geknüpft; sie wurden also nicht gezielt den Armen gewährt. Berechtigt zum Empfang waren alle Römischen Bürger. Um der Landflucht vorzubeugen, mussten die Empfänger der frumentationes jedoch bereits einen bestimmte Zeit lang in der Stadt ansässig gewesen sein. Erst unter Gaius Julius Caesar (100 bis 44 v. Chr.) wurde eine Bedürftigkeitsprüfung eingeführt.29 Justinian I. (482 bis 565 n. Chr.) systematisierte die Armenfürsorge weiter durch die Anordnung, dass jede Stadt ihre Armen selbst versorgen sollte. Um dies durchzusetzen, setzte er eigens einen procurator pauperum mit dem Auftrag ein, Beschäftigungslose und Arbeitsscheue von den Metropolen fernzuhalten. In der Stadt ansässige arbeitsfähige Bettler bekamen öffentliche Arbeiten zugewiesen. Verweigerten sie die Arbeitsaufnahme, wurden sie ausgewiesen. Allein Alten und Kranken, die sich nicht durch Arbeit ein Auskommen verdienen konnten, wurde ein Bleiberecht zugestanden. Zur Befriedigung ihres Lebensbedarfs wurden sie auf die private Wohltätigkeit verwiesen.30 Als cives Romani galten zunächst die Angehörigen der politischen Führungsklasse, später alle freien männlichen Bewohner der Stadt Rom. Daneben konnte das Bürgerrecht vom Kaiser als Gunstbeweis für besondere Verdienste an einzelne Soldaten oder die Angehörigen lokaler Eliten verliehen werden.31 Sklaven konnten auch nach ihrer Freilassung kein volles Bürgerrecht erwerben; diese 27 Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 318; Prell, Armut im Antiken Rom, S. 269. 28 Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 21; Prell, Armut im Antiken Rom, S. 268, 291. 29 Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, S. 372 ff.; Pfeffer, Einrichtungen der sozialen Sicherung, S. 128 ff.; Prell, Armut im Antiken Rom, S. 279; Vittinghoff, Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Band 1, S. 254 f. 30 Wenger, Quellen des Römischen Rechts, S. 665, Fn. 142; Scherner, ZRG/GA 1979, 55 (66); Scherner, ZRG/GA 1994, 330 (358). 31 Vittinghoff, Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Band 1, S. 169, 215; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 253.

B. Armenpflege im Altertum

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Möglichkeit stand erst ihren frei geborenen Nachkommen offen.32 Die Fremden (peregrini) – diejenigen, die von außerhalb der Stadt Rom stammten – wurden in unter dem Schutz Roms stehende Fremde (hospites = Gäste) und Feinde (hostes) unterteilt. Mit seinen latinischen Nachbarstädten, die als der gleichen Nation (nomen Latinum) zugehörig anerkannt waren, schloss Rom um 370 v. Chr. Verträge, in der sie sich die wechselseitige Gleichbehandlung ihrer Bürger im Privatrecht wie in der politischen Teilhabe zusicherten (Latinischer Bund).33 Latiner konnten damit als hospites in Rom bestimmte an den römischen Bürgerstatus geknüpfte Rechte (Stimmrecht in der Volksversammlung, Wehrdienst, Teilnahme am Privatrechtsverkehr) in Anspruch nehmen. Nach dem Latinischen Krieg (341 bis 338 v. Chr.), mit dem sich die Latiner vergeblich gegen die Vormachtstellung Roms in dem Bündnis zur Wehr zu setzen versuchten, wurden diese in die Römische Republik inkorporiert. In den eroberten Gebieten gründete Rom Städte (municipia, coloniae), deren Einwohnern das latinische Bürgerrecht eingeräumt wurde. Anders als in der bisherigen Tradition, nach der das Bürgerrecht an eine konkrete Stadt geknüpft war, handelte es sich dabei gewissermaßen um eine „Bundesbürgerschaft“, vermittelt durch die Zugehörigkeit zu einer latinischen Stadt. 34 Zudem hatten die Latiner das Recht der Freizügigkeit, konnten sich also ungehindert in Rom niederlassen – wobei der Magistrat jedoch im Einzelfall zur Ausweisung berechtigt war. Durch die dauerhafte Niederlassung in Rom erwarben sie ohne weitere Voraussetzungen das Römische Bürgerrecht.35 Fremde, die die gemeinsamen kulturellen Wurzeln – Sprache, Sitten und Gebräuche – nicht teilten, wurden unterdrückt und bekämpft. Im Zuge der Ausdehnung des Römischen Reichs wurden die peregrini also entweder der Versklavung oder Tötung preisgegeben oder – durch Inkorporierung der unterlegenen Gegner – zu Bürgern Roms. Gehörten die Unterworfenen nicht den latinischen Stämmen an, konnten sie zunächst allenfalls den Status eines civitas sine suffragio, eines Bürgers ohne Stimmrecht in der Volksversammlung – wohl aber unter Einbeziehung in die und bei völliger Gleichberechtigung in den Legionen – erwerben. Wegen ihrer eingeschränkten politischen Rechte stand es ihnen auch nicht zu, die öffentlichen Spenden zugunsten Bedürftiger in Anspruch zu nehmen.36 Erst infolge des Bundesgenossenkriegs im 1. Jh. v. Chr. wurde ihnen das volle Bürgerrecht eingeräumt.37 Mit der Constitutio Antoniniana verlieh Cara32

Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 21. Gauthier, Ancient Society 4 (1973) 1 (14 ff.).; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 228 ff.; Mommsen, Römisches Staatsrecht, Band 3, S. 591, 623 ff. 34 Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 232 ff.; Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Band, S. 178. 35 Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Band, S. 635 ff. 36 Raphael in Gestrich/Raphael, Inklusion/Exklusion, S. 26. 37 Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 220 f., 241. 33

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

calla 212 n. Chr. schließlich sämtlichen freien männlichen Bewohnern des Römischen Reichs das Bürgerrecht.

III. Aufkommen des Christentums Das Christentum propagierte nicht den Staat, sondern die Religionsgemeinschaft als Quelle des allgemeinen Wohlstands und etablierte eine Kultur der Almosen als Ausprägung der Solidarität der Wohlhabenden mit den Mittellosen. Wohltätigkeit stand im unmittelbaren Zusammenhang mit der Liebe zu Gott, nach dessen Ebenbild der Mensch geschaffen sei. Die unsterbliche Seele bildet nach christlichem Verständnis die Grundlage der Menschenwürde und der Gleichheit aller Menschen vor Gott. Die Gottesliebe war daher eng verknüpft mit der Nächstenliebe, welche weder durch den gesellschaftlichen Stand noch durch Bürgerstatus, Nationalität oder Religionszugehörigkeit begrenzt war, 38 gleichwohl wurden Glaubensgenossen als „erste Adressaten“ der Nächstenliebe herausgestellt.39 Das Neue Testament wurde als Botschaft der Armen verstanden, den Armen daher in der christlichen Gemeinschaft eine bevorzugte Stellung eingeräumt.40 Wie nach der jüdischen Lehre wurde auch unter den Christen alles Eigentum als Eigentum Gottes angesehen, das der Mensch lediglich besitze. Daraus wurde die Pflicht abgeleitet, den Bedürftigen vom Überfluss abzugeben. Nächstenliebe beinhaltete daher auch und gerade die Pflicht zur Unterstützung Notleidender, um Gottgefälligkeit zu erlangen.41 Dem Almosengeben wurde sündentilgende Kraft zugesprochen, so dass nicht die Linderung sozialer Missstände, sondern die Suche nach dem eigenen Seelenheil im Mittelpunkt stand.42 Zunächst informell ausgestaltet, wurde das Almosengeben in der ältesten nachweisbaren christlichen Kirchenordnung erstmals auf ein (kirchen-)rechtliches Fundament gestellt43 und Gemeindevorstände eingeführt, die ähnlich wie die jüdische Armenpflege organisiert waren. Unter der Leitung des Bischofs oder Priesters waren sie für die Entgegennahme und Verteilung des Almosens zuständig. Zwar war jeder aufgerufen, sich und seine Familie selbst zu versorgen und durch Arbeit die Mittel zum Lebensunterhalt zu verdienen. Hilflose und er38 Vgl. Matthäus 5, 43 ff: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben‘ und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde … “, dazu auch Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 37 39 Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 38 f. 40 Vgl. Matthäus 5, 3 (Bergpredigt): „Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“, vgl. dazu Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 14. 41 Vgl. die Werke der Barmherzigkeit nach Matthäus 25, 35, dazu näher Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 32 f.; Boshof, VSWG 1984, 153 (156 f.). 42 Fischer, Armut in der Geschichte, S. 28; Fischer, Städtische Armut, S. 146, 149; Geremek, Geschichte der Armut, S. 26; Mallot, Die Armen im Mittelalter, S. 69. 43 Die so genannte „Lehre der Zwölf Apostel“ (auch: Didache) entstand vermutlich um 100 n. Chr., Kraft in Lexikon des Mittelalters, Band 1, S. 793; Schönfeld, ZRG/KA 1922, 1 (2).

B. Armenpflege im Altertum

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werbsunfähige Gemeindemitglieder sollten jedoch das Almosen für sich beanspruchen können. Die Art der Unterstützung variierte nach den individuellen Bedürfnissen. Vereinzelt wurden den Bedürftigen im vollen Umfang finanzielle Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung gestellt, bisweilen wurden sie lediglich in Ergänzung zum erzielbaren Arbeitseinkommen gewährt. Ziel der Almosenvergabe war es, die Ursachen des Elends zu bekämpfen und Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Die Mittel zur Versorgung stammten aus Geldspenden in den Opferstock oder die Kollekte, aber auch aus Nahrungsmittelspenden anlässlich der Eucharistie.44 Die zu bedenkenden Personen wurden in ein Verzeichnis, die matricula, aufgenommen, welches genaue Angaben über die persönlichen Verhältnisse, die individuellen Ursachen und den Grad der Armut enthielt, um die zu gewährenden Leistungen gezielt auf die Bedürfnisse des Empfängers ausrichten zu können.45 Damit wurden für eine gezielte Armenpflege die ersten organisatorischen Grundlagen gelegt. Fremde sollten sich auf die Gastfreundschaft verlassen können.46 Ihnen die zum Lebensunterhalt notwendigen Mittel zukommen zu lassen, oblag dem Bischof.47 Voraussetzung für die Unterstützung war jedoch die Vorlage eines Legitimationsschreibens durch den Bischof der Heimatdiözese des Fremden. Dies verdeutlicht, dass die Gastfreundschaft letztlich auf Christen beschränkt war und eben nicht universell gewährt wurde.48 Mit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion durch Kaiser Konstantin (324 bis 337) wurden die Kirchenstrukturen weiter hierarchisiert und die unmittelbare brüderliche Hilfe verlor an Bedeutung. Es blieb weiterhin Aufgabe des Kaisers, die Bürger zu versorgen; die kirchlich organisierte Wohltätigkeit dominierte jedoch über dessen – häufig nur symbolische – Aktivitäten.49

44 Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 65 ff.; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 81. 45 Frerich/Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik, S. 4; Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 80 f.; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 106. 46 Hebr. 13, 2: „Gastfrei zu sein vergesst nicht.“, Röm. 12, 13: „… übt Gastfreundschaft.“, 1. Petr. 4,9: „Seid gastfrei untereinander … “ 47 constitutiones apostolae 2, 25 (Apostolische Konstitutionen) = Zusammenstellung älterer Kirchenordnungen aus dem 4. Jahrhundert, welche u.a. ein kirchliches Gesetzbuch über die klerischen Pflichten enthält, Kraft in Lexikon des Mittelalters, Band I, S. 793; abgedruckt bei Boxler, Die sogenannten Apostolischen Constitutionen, S. 64 ff. 48 Vgl. auch Tertullian, Apologeticum, Kapitel 39, zitiert bei Peters, Geschichte der sozialen Versicherung, S. 17; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 56: „Wohin der Christ kam, fand er nur eine Gemeinde am Orte, so fand er in ihr auch eine Familie, die ihn als Glied aufnahm.“ 49 „Brot und Spiele“, Almosen oder Schenkungen, vgl. Mollat, Die Armen im Mittelalter, S. 25; Raphael in Gestrich/Raphael, Inklusion/Exklusion, S. 28.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

C. Armenpflege im Mittelalter Die Gewährung von Almosen stellte auch im Mittelalter die bedeutendste Form sozialer Unterstützung dar. Die Wohlhabenden stifteten einen Teil ihres Vermögens oder wendeten ihn von Todes wegen den Kirchen zu, auf dass diese die Zuwendungen – regelmäßig in Form von Naturalien50 – unter den Armen und Bedürftigen verteilte. Damit erfüllten sie zugleich ihre Verpflichtung aus dem christlichen Prinzip der caritas. Der obligatorisch zu entrichtende Kirchenzehnt diente ebenfalls der Wohlfahrt, war doch regelmäßig ein Viertel bzw. ein Drittel der Kircheneinnahmen den Armen zuzuwenden.51 Die Tätigkeit der Kirchen war universell. Fremde wie Einheimische konnten daher gleichermaßen Almosen empfangen.52

I. Allmähliche Systematisierung der kirchlichen Armenpflege Durch die mangelnde Organisation und fehlende Kontrollmechanismen bei der Verteilung der Spenden reichten die Mittel der Kirche bald nicht mehr zu, um alle Bedürftigen angemessen versorgen zu können. Anlässlich des Konzils von Orléans im Jahre 511 wurden die Diözesen verpflichtet, die Armen ihres jeweiligen Sprengels zu versorgen. Bekräftigt wurde dieses Gebot durch das Zweite Konzil von Tours im Jahre 567, welches die Gemeinden dazu ermahnte, ihre bedürftigen Einwohner angemessen zu versorgen.53 Damit wurde erstmals ein regionaler Bezug der Armenpflege hergestellt. Denn auf diese Weise sollten Fremde, die der öffentlichen Unterstützung bedurften, aus den Städten ferngehalten werden.54 Die Almosen der kirchlichen Armenpflege wurden öffentlich verteilt und waren regelmäßig an den Besuch des Gottesdienstes oder die Verrichtung von kirchlichen Hilfsarbeiten geknüpft. Zuweilen wurden die Armen auch in gesonderte Herbergen aufgenommen, welche in Anlehnung an die früheren Armenregister matricula genannt wurden. Auf diese Weise konnte kontrolliert werden, dass die Spenden nur von den tatsächlich Armen angenommen wurden.55 Die unverändert vorherrschende Armut, der auch die Kirchen nicht Herr werden konnten, veranlasste schließlich die weltliche Gewalt zum Einschreiten. Vor allem Karl der Große gab zahlreiche Anstöße, die die Entstehung eines organi50

Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 1850, 129 (131). Geremek, Geschichte der Armut, S. 25; Scherner, ZRG/GA 1994, 330 (346). 52 Fischer, Armut in der Geschichte, S. 30; Sachße/Tennstedt, Die Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 31. 53 Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 41; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 254. 54 Boshof, VSWG 1984, 153 (154); Scherner, ZRG/GA 1994, 330 (356, 359); Mollat, Die Armen im Mittelalter, S. 34. 55 Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 1850, 129 (133); Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 252 f. 51

C. Armenpflege im Mittelalter

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sierten Armenwesens beförderten. Die Kirchen sollten die Einnahmen aus dem Zehnten für wohltätige Zwecke verwenden und Grundherren ihr Gesinde und ihre Untergebenen unterstützen. 779 wurden sie mit einer Armensteuer belegt.56 In einem capitularium missorum generale von 802 versicherte Karl der Große alle Bedürftigen seines Schutzes und räumte ihnen das Recht ein, sich überall frei niederzulassen.57 Im 46. Kapitular von Nijmegen aus dem Jahre 806 verpflichtete er die (Kirchen-)Gemeinden zur Unterstützung der Armen, verschärfte jedoch zugleich die Bedingungen der Armenpflege. So durften fremden Bettlern, die – obwohl dazu in der Lage– nicht arbeiteten, keine Almosen gewährt werden. Arbeitsunfähige wurden weiterhin unterstützt.58 Die öffentliche Versorgung war auf die freien Bewohner des jeweiligen Kirchensprengels beschränkt. Hörige wurden ausschließlich von ihren Grundherren versorgt. Der ihnen gewährte Unterhalt bestimmte sich vor allem nach der Leistungsfähigkeit der Untergebenen, variierte also mit zunehmendem Alter sowie bei Krankheiten oder Gebrechen und wurde lediglich im Falle von Krankheit, Invalidität und Alter erbracht.59

II. Spitalwesen Das immer weiter verbreitete Elend zu bewältigen, fiel ab dem 4. Jahrhundert auch den so genannten xenodochien zu. Diese waren ursprünglich im Oströmischen Reich als Pilgerherbergen gegründet worden, die zumeist an ein Kloster oder eine Kirche angebunden waren. Später wandelten sie sich in Armen-, Kranken- und Fremdenhäuser, die alle Bedürftigen versorgten. Ihr Vermögen wurde aus Stiftungen bereitgestellt, die der Gründer einer solchen Einrichtung dem jeweiligen Bischof unter Ausschluss dessen freier Verfügungsgewalt über die Mittel zur Verfügung stellte.60 Die zweckgerechte Verwendung der Stiftungsmittel und die ordnungsgemäße Verwaltung der Einrichtungen unterstanden der Aufsicht des Kaisers bzw. Königs. Sie breiteten sich bald über ganz Europa bis in den angelsächsischen Raum aus.61 Ausgehend von der Tradition der xenodochien fanden nichtsesshafte Arme Zuflucht in den Klöstern, in denen alsbald gesonderte Unterkünfte für sie eingerichtet wurden: die Armenspitäler (hospitalis pauperum).62 Anlässlich verschiedener Synoden wurden die Anforderungen 56

Frerich/Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik, S. 7. Müller-Mertens, Karl der Große, S. 98. 58 Boshof, VSWG 1984, 153 (156); Scherner, ZRG/GA 1994, 330 (340 f., 358); Roscher, System der Armenpflege, S. 102. 59 Geremek, Geschichte der Armut, S. 71; Roscher, System der Armenpflege, S. 102. 60 Scherner, ZRG/GA 1994, 330 (348); Boshof, VSWG 1984, 153 (158 f.); Die Versorgung beschränkte sich in aller Regel auf Bäder und die Armenspeisung, Schönfeld, ZRG/KA 1922, 1 (53) Fn. 1. 61 Boshof, VSWG 1984, 153 (161 f.). 62 Dazu ausführlich Reicke, Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, Stuttgart 1932. 57

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

an Ausstattung und Finanzierung dieser Einrichtungen präzisiert. Dies verdeutlicht, dass die Armenpflege nicht mehr als bloße Ausprägung der Mildtätigkeit, sondern als öffentliche Aufgabe der Kirchen angesehen wurde.63 Die Hospitäler wurden durch Dotationen ihrer Gründer finanziert, die durch Beiträge des Bischofs aus dem Kirchenvermögen, aber auch durch freiwillige Zuwendungen der Gemeinden ergänzt wurden.64 Häufig war der Kreis der Berechtigten infolge der Vorgaben der Stifter so eng und nach außen hin abgeschlossen, dass die Spitäler mit Genossenschaften verglichen werden.65 Einige der Armenspitäler wurden ab dem 9. Jh. von den Kommunen übernommen, welche die Versorgung regelmäßig auf Ortsansässige beschränkten, d.h. das Innehaben einer Wohnung auf dem Gemeindegebiet zur Voraussetzung machten.66 Die in den Spitälern Versorgten mussten nicht notwendig arm sein. Brachten sie ihr Vermögen in die Einrichtung ein, konnten sie im Alter oder bei Krankheit Versorgung oder gar Leibrenten beanspruchen. Das Mitgliedschaftsrecht in diesem Sozialverband konnte also erkauft werden. Diese so genannten Pfründner finanzierten auch die von den Spitälern erbrachte Armenversorgung.67

D. Armenpflege in der Neuzeit Mit dem Aufkommen der Städte ging die bischöfliche Verwaltung des Almosens allmählich von der Kirche auf die Städte über.68 In seiner wegweisenden Schrift „An den Adel deutscher Nation“ regte Luther an, dass jede Stadt ihre Armen selbst versorgen und fremde Bettler – auch Wallfahrer und Bettelmönche – abweisen solle. Um eine geregelte und geordnete Versorgung zu gewährleisten, schlug er die Einsetzung von Armenpflegern vor, welche vor allem die Bedürftigkeit überprüfen sollten. Da die Arbeit Gottesgebot sei, könne Vollkommenheit nur durch eigene Arbeit erlangt werden, während der Bettler von fremder Arbeit lebe. Es sollten daher nur die wirklich Bedürftigen, die ihren Unterhalt nicht selbst verdienen können, versorgt werden.69

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Boshof, VSWG 1984, 153 (168 ff.). Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 146. 65 Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 39. 66 Mollat, Die Armen im Mittelalter, S. 247; Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 28. 67 Fischer, Armut in der Geschichte, S. 32; Fischer, Städtische Armut, S. 141; Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 362. 68 Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit, S. 365; Roscher, System der Armenpflege, S. 107 ff.; Sachße/Tennstedt, Die Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 36 f. 69 Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation, S. 80: „Es ist genug, dass die Armen angemessen versorgt sind, so dass sie nicht Hungers sterben noch erfrieren“ unter Bezugnahme auf 2. Thessalonicher 3, 10: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ 64

D. Armenpflege in der Neuzeit

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I. Unterstützungspflicht der Gemeinden nach dem Heimatprinzip Neben der Gewährung von Almosen verlegte sich die Armenpflege daher zunehmend auf repressive Maßnahmen der so genannten Armenpolizei mit Arbeitszwang, Maßregeln gegen Bettler oder der Zwangsunterbringung Mittelloser. Zugleich wurde 1497 im Reichsabschied zu Lindau die städtische Fürsorge strikt auf Einheimische (Hausarme) beschränkt. Sie wurde aus Spenden der Bürger an ihre Stadt finanziert.70 Ansprüche der Bürger richteten sich also nach dem lokalen Recht ihres Heimatortes, und zwar ein Leben lang. Das bis dahin geltenden Personalitätsprinzip, nach dem Fürsorge aufgrund persönlicher Gefolgschaft geleistet wurde, wandelte sich damit zum Heimatprinzip: die „Stadtangehörigkeit“71 wurde zum bestimmenden Kriterium für die Gewährung individueller Rechte. Hintergrund dieser Regelung war, dass die Unterstützungspflicht derjenigen Gemeinde obliegen sollte, welcher die wirtschaftlichen Leistungen des um Unterstützung Ersuchenden vor dem Eintritt seiner Hilfsbedürftigkeit zugutegekommen waren. Die mittelalterliche Gemeinde mit ihren streng gegliederten Standesordnungen wirkte regelmäßig nicht über ihre räumlichen Grenzen hinaus. Die Bewohner ländlicher Gebiete waren über das grundherrliche System auf Lebenszeit an ihre Gemeinde gebunden, doch auch die Stadtbewohner verließen ihren Ort kaum auf Dauer. Von daher war die strenge Bindung der Armenpflege an den Geburtsort konsequent.72 Zugleich suchten die Gemeinden, Fremde aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten auszuschließen. Dies geschah einerseits durch eine Verschärfung der Zuzugsbedingungen für Arme. Bettler wurden mit Niederlassungsverboten belegt und der Erwerb des Kleinbürgerrechts wurde Einschränkungen unterworfen, indem seine Verleihung die mehrjährige Ansässigkeit in der Stadt voraussetzte.73 Der Status als Vollbürger war bereits seit der Frühzeit der deutschen Stadt an das Eigentum an einem Wohngrundstück in der betreffenden Kommune geknüpft, sei es durch Erbschaft, sei es durch Erwerb. Zudem war ein Bürgereid zu leisten, der in einigen Regionen sogar jährlich zu erneuern war. Ehefrauen und Kinder standen unter dem Schutz des Bürger70

Fischer, Städtische Armut, S. 179; Fischer, Armut in der Geschichte, S. 33; Sachße/ Tennstedt, Die Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 31; Scherner, ZRG/GA 1979, 55 (64) sowie Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 43, der insoweit auf die Ursprünge in Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ verweist. 71 Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 13. 72 Arnoldt , Die Freizügigkeit und der Unterstützungswohnsitz, S. 153 f.; im Ergebnis auch Sachße/Tennstedt, ZSWR 2001, 205 (216). 73 Das Kleinbürgerrecht unterstellte seine Inhaber dem Schutz der Stadt und gab ihnen das Recht, bei wirtschaftlichen Notlagen städtische Hilfen in Anspruch zu nehmen. Zusammen mit den Großbürgern bildeten sie das Bürgertum der Städte, Fischer, Städtische Armut, S. 79 f.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

rechts ihres Mannes bzw. Vaters. Weitere Voraussetzung war die Zahlung eines Bürgergeldes und der Nachweis einer Bürgschaft zur Sicherung dieser Zahlung. Diese fungierten als „Aufnahmegebühr“, waren jedoch von Stadt zu Stadt unterschiedlich ausgestaltet – je nachdem ob man den Zuzug von Neubürgern fördern oder verhindern wollte. Teilweise war nachzuweisen, dass man frei und ehelich geboren war. In einigen Regionen konnte das Bürgerrecht erst nach einjährigem Aufenthalt erworben werden, während andere dieses sofort verliehen und bei Unfreien, deren Herren ihren Herausgabeanspruch binnen Jahresfrist geltend machten, widerriefen.74

II. Übergang von der städtischen Armenfürsorge zum Territorialstaat In der frühen Neuzeit wurde die Armenpflege allein durch die Städte determiniert. Seit dem 16. Jahrhundert bildeten sich allmählich Territorialstaaten heraus. Diese regelten das städtische Armenwesen für ihr jeweiliges Gebiet. Das Betteln war fortan nur mit einer behördlichen Erlaubnis gestattet. Sie war durch Bettelzeichen sichtbar zu machen. Für Fremde wurden strikte Bettelverbote statuiert, namentlich in den Reichspolizeiordnungen von 1530 und 1577.75 Dabei handelt es sich um Rahmengesetze, deren Ausfüllung in die Zuständigkeit der Territorialstaaten fiel. Diese durften das Betteln verbieten und sanktionieren, die Befugnisse der Kirchen in der Armenpflege beschneiden und deren Kosten den Kommunen auferlegen. Wer als „fremd“ galt und damit von wirtschaftlicher und politischer Teilhabe ausgeschlossen war, war der Regelung durch die Städte überantwortet; diese schufen ihr eigenes Fremdenrecht. Ein Verstoß gegen das Bettelverbot hatte den Ausschluss aus dem Kreis der Unterstützungsberechtigten oder die Ausweisung aus der Stadt zur Folge.76 Die Ausweisung erforderte im Gegenzug Regelungen zur Unterstützung der Hausarmen. Es wurden zahlreiche Landesordnungen zur Armenpflege erlassen, die den Städten die Errichtung von Behörden zur Sammlung und Verteilung der Almosen aufgaben und den berechtigten Personenkreis sowie Voraussetzungen, Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen definierten. Auch Fremde konnten Unterstützung beanspruchen. Während bei den einheimischen Armen der Arbeitsfähigkeit die entscheidende Bedeutung bei der Beurteilung der Bedürftigkeit zukam, wurde bei den Fremden auf das Motiv ihrer Nichtsesshaftigkeit 74 Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 35; Ebel, Bürgereid, S. 46 ff.; Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 254. 75 Art. 34/1 der „Ordnung und Reformatio guter Polizey“, abgedruckt bei Weber, Reichspolizeiordnungen, S. 161, entsprechende Regelungen finden sich auch in den Reichspolizeiordnungen von 1848 (Art. 26/1) und 1877 (Art. 27/1), vgl. Weber, Reichspolizeiordnungen, S. 202, 256 f.; Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 43. 76 Sachße/Tennstedt, Die Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 31.

D. Armenpflege in der Neuzeit

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abgestellt. Wer einen Bettelbrief vorweisen konnte, in dem die Armenverwaltung seines Heimatortes bescheinigte, dass diese nicht in der Lage war, ihre Armen angemessen zu versorgen, war berechtigt, in fremden Städten zu betteln.77 Das Sesshaftwerden wurde ihnen jedoch regelmäßig nicht ermöglicht.78 Zur organisatorischen Vereinheitlichung der Armenpflege konnten die Reichspolizeiordnungen angesichts der weit reichenden Kompetenzen der Territorialstaaten indes nicht beitragen.79

III. Versorgung durch Zünfte, Gilden und Knappschaften Die öffentliche Wohltätigkeit wurde ab dem Spätmittelalter durch die Büchsen der Zünfte, Gilden und Knappschaften ergänzt, aus welchen freilich nur die Angehörigen der jeweiligen Berufsgruppe Unterstützung beanspruchen konnten.80 Sie bildeten die organisatorische Grundlage des mittelalterlichen Handwerks und Handels und waren als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften mit hoheitlichen Befugnissen – unter anderem einer eigenen Gerichtsbarkeit – ausgestattet. Zugleich agierten sie als religiös ausgerichtete Bruderschaften, die ihr Vermögen für wohltätige Zwecke stifteten und Arme sowie die Hinterbliebenen ihrer Mitglieder unterstützten. Den in den Zünften organisierten Meistern oblag eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten. Dieses Unterstützungssystem führte letztlich zur Herausbildung der so genannten Zunftbüchsen – Vorsorgekassen, in welche die Handwerksmeister regelmäßige Beiträge entrichten mussten, welche den Mitgliedern der Zunft im Falle von Krankheit, Invalidität, Alter, Hinterbliebenenschaft oder Armut zugutekamen. Ähnliches galt für die Gesellenbruderschaften.81

IV. Freizügigkeitsgesetzgebung und Recht des Unterstützungswohnsitzes Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden absolute, also auch einheimische Bedürftige betreffende Bettelverbote erlassen, an die sich schon bald eine Neukonzeption des Armenrechts anschloss. Da die Bedürftigen nunmehr aus öffentlichen Mitteln zu versorgen waren, wofür die freiwillig gewährten Almosen nicht mehr

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Scherner, ZRG/GA 1979, 55 (80). Sachße/Tennstedt, Die Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 108 79 Scherner, ZRG/GA 1979, 55 (67 ff.) mit zahlreichen Nachweisen zu Quellen und Sekundärliteratur. 80 Geremek, Geschichte der Armut, S. 81. 81 Frerich/Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik, Band 1, S. 9 f.; ausführlich zum Knappschafts- und Zunftwesen Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 21 ff. 78

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zureichten, wurde die Einführung von Armensteuern, teilweise82 sogar bereits eine Arbeitsversicherung nach dem Vorbild der Knappschaftskassen erwogen. 1. Preußische Gesetzgebung Das Preußische Allgemeine Landrecht vom 5.2.1794 überantwortete die Regelung der Armenfürsorge umfassend dem Staat. Dieser sollte durch die Kommunen die notwendigen Leistungen zum Unterhalt der Armen erbringen, welche aus eigener Kraft oder durch Unterstützung seitens Dritter hierzu nicht in der Lage waren (ALR Teil II, Titel 19, §§ 1–3, 9 f.). Im Gegenzug sollten die Armen zu Arbeiten im öffentlichen Interesse verpflichtet werden, was gegebenenfalls auch mit Zwang und Strafe durchgesetzt werden konnte. Ein subjektives Recht auf die Leistungen der Armenpflege begründete das ALR nicht. Vielmehr wurden die Gemeinden gegenüber dem Staat zur Armenpflege verpflichtet, worauf sich die Bürger als Rechtsreflex berufen konnten.83 Dieser kam indes nur den Armen zugute, denen das Einwohner- bzw. Heimatrecht verliehen worden war. Dieses konnte erwerben, wer drei Jahre vor Eintritt der Bedürftigkeit seinen Wohnsitz in der Gemeinde hatte – wobei die Gemeinden jedem Arbeitsfähigen die Wohnsitzbegründung gestatten mussten. Ferner sollten die Gemeinden diejenigen unterstützen, die zu deren gemeinsamen Lasten beigetragen hatten. Das preußische Recht machte also keinen Unterschied zwischen der Herkunft der Armen. Es genügten der bloße längere Aufenthalt und die Leistung von Gemeindeabgaben, um Zugehörigkeitsrechte zu erwerben.84 Waren die Gemeinden nicht in der Lage, ihrer Unterstützungspflicht zu genügen, griff subsidiär der Landesarmenverband ein, der daneben auch für die Errichtung von Arbeitshäusern zuständig war.85 Die bestehenden korporatistischen Vereinigungen wie Innungen und Zünfte ergänzten die öffentliche Armenpflege. Mit der erleichterten Ansässigmachung in den Gemeinden war eine Neuregelung der Armengesetzgebung erforderlich geworden, welche auch den Zugang zu den Leistungen der gemeindlichen Armenpflege erleichterte. Preußen erließ daher ein Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen86 sowie über die Verpflichtung zur Armenpflege.87 Beide sollten den preußischen Bürgern Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit einräumen. Der Einzelne sollte nicht mehr 82

Justi, Die Grundfeste zu der Macht, Band 2, § 325. Ritter, Der Sozialstaat, S. 42; Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 29. 84 Schnabel-Schüle in Gestrich/Raphael, Inklusion/Exklusion, S. 57; Münsterberg, Die deutsche Armengesetzgebung, S. 102. 85 Frerich/Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik, Band 1, S. 26; Sachße/Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 196. 86 Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen vom 31. 12. 1842, PrGS 1843, S. 5, vgl. die Erläuterungen bei Arnoldt, Die Freizügigkeit und der Unterstützungswohnsitz, S. 141 f. 87 Gesetz über die Verpflichtung zur Armenpflege vom 31. 12. 1842, PrGS 1843, S. 8. 83

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sein ganzes Leben lang an das Armenrecht seines Geburtsortes gebunden sein. Zwar hatte weiterhin jede Gemeinde ihre Armen selbst zu versorgen. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde sollte aber nicht mehr allein durch Geburt oder durch einen förmlichen Aufnahmeakt als Gemeindemitglied begründet werden. Stattdessen konnte der so genannte Unterstützungswohnsitz ab Erreichen des Volljährigkeitsalters durch Zeitablauf erworben werden. Dafür genügte die polizeiliche Meldung und darauf folgenden einjährigen, ununterbrochenen Aufenthalt oder der bloße dreijährigen Aufenthalt in der Gemeinde. Es kam also zur Aufgabe des seit dem Mittelalter die Armenfürsorge prägenden Heimatprinzips. Nach dreijähriger Abwesenheit aus der Gemeinde im Volljährigkeitsalter wurde der Unterstützungswohnsitz wieder verloren. Besondere Regelungen galten für Dienstboten, Beamte, Arbeiter oder andere in Dienstverhältnissen stehende Personen. Da das Dienstverhältnis als solches keinen armenpflegerischen Wohnsitz begründen sollte, waren diese in der Regel nicht von der Gemeinde, sondern von ihren Gutsherrschaften bzw. Dienstherren zu unterstützen. Trat am Unterstützungswohnsitz Bedürftigkeit ein, so war der betreffende Ortsarmenverband für die Gewährung von Leistungen der Armenpflege zuständig. Die Ehefrauen, Witwen und Kinder eines Verarmten hatten ein von diesem abgeleitetes Recht auf Armenpflege. Trat die Bedürftigkeit auf dem Gebiet eines anderen Armenverbandes ein, so war der Bedürftige zunächst vorübergehend von dieser Gemeinde zu versorgen, die ihrerseits Ausgleichansprüche gegen den Ort des Unterstützungswohnsitzes geltend machen konnte. Der Arme war jedoch umgehend in diesen zurückzuweisen. Im Falle einer Erkrankung während einer Reise waren Fremde – In- wie Ausländer – am Aufenthaltsort zu versorgen, bis sie wieder in der Lage waren, ihre Reise fortzusetzen. Wiederum konnte sich die aushelfende Gemeinde ihre Aufwendungen vom zuständigen Armenverband erstatten lassen. Bedürftige, die keinen Unterstützungswohnsitz erworben oder diesen verloren hatten, galten als „Landarme“ und waren von dem Landesarmenverband – einem Zusammenschluss mehrerer Ortsarmenverbände – zu versorgen, auf dessen Gebiet die Hilfsbedürftigkeit eintrat. Gegen Zahlung einer Entschädigung konnte der Landesarmenverband den Bedürftigen zur Versorgung an den Ortsarmenverband überweisen, in dem er sich im Zeitpunkt des Eintritts der Bedürftigkeit aufgehalten hatte. Der Landarmenverband unterstützte zudem Gemeinden, die keine hinreichenden Mittel zur Versorgung ihrer Armen hatten.88 An den Wohnsitzerwerb waren – abgesehen von der polizeilichen Meldung – keine Voraussetzungen geknüpft. Eine Ausnahme galt nur, wenn der Niederlassungswillige mittellos war und sich deshalb weder Wohnung noch sonstige Unterkunft verschaffen konnte. In diesem Fall konnte die Gemeinde ihn zurückweisen. Ergänzt wurde das Armenpflegegesetz durch Normen, die Bettelei und 88

Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 293.

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Landstreicherei sowie „Arbeitsscheue“ Repressionen unterwarfen.89 Namentlich wurden arbeits- oder mittellose Umherziehende mit Gefängnis oder Strafarbeit bedroht. Gleiches galt für Bettler oder Personen, die Leistungen der öffentlichen Armenfonds bezogen, ohne im Gegenzug zur Erbringung von Arbeiten im öffentlichen Interesse bereit zu sein. Ausländer sollten nach Bewirken der Strafe des Landes verwiesen, Inländer in so genannte Korrektionsanstalten eingewiesen werden. 2. Gesetzgebung des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches Mit dem Aufkommen der Industrialisierung im Laufe des 18. Jahrhunderts veränderten sich die fest gefügten Sozialstrukturen des Mittelalters erheblich. Landflucht setzte ein: viele Bauern zog es in die Ballungsgebiete um die Städte und auch die wirtschaftliche Tätigkeit der Stadtbewohner beschränkte sich immer weniger auf das angestammte Territorium. Schon bald wurde klar, dass die strenge Bindung an das Recht des Heimatortes den Anforderungen der modernen, sich dynamisch entwickelnden Industriegesellschaft mit immer größer werdenden Absatzgebieten nicht mehr genügte, da sie der Mobilität der Arbeitskräfte entgegenstand. Schon die Verfassung des Deutschen Bundes, die Bundesakte von 1815, trug diesem Befund Rechnung und räumte den Bundesangehörigen in Art. 18 Freizügigkeit und das Recht zur Niederlassung in jedem Bundesstaat ein – allerdings nur sofern dieser „erweißlich sie zu Unterthanen annehmen will“. Nach Art. 16 der Bundesakte hatte jeder Bundesangehörige im gesamten Bundesgebiet die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte. Eine Bundesbürgerschaft wurde damit jedoch nicht begründet. a. Freizügigkeitsgesetze Mit dem Preußischen Zollgesetz vom 26.5.1818 und der darauf folgenden Bildung des preußisch-hessischen Zollvereins, der 1834 schließlich im Deutschen Zollverein aufging, wurde neben der Warenverkehrsfreiheit auch das Gebot der Gleichbehandlung der Angehörigen der Vereinsstaaten, zumindest im Handelsgewerbe, bei Messen und Märkten etabliert.90 Auch der Norddeutsche Bund erließ in Anlehnung an die preußische Gesetzgebung ein Freizügigkeitsgesetz.91 Mit diesem sollte die Rechtsgleichheit aller Bürger im gesamten Gebiet des Norddeutschen Bundes (1867) hergestellt werden, indem die Befugnis der Kommunen, fremde Bedürftige abzulehnen und auszuweisen erheblich eingeschränkt wurde. Nunmehr hatte jeder Bundesangehörige unabhängig von landesrecht89 Gesetz betreffend die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen vom 6. 1. 1843, PrGS 1843, S. 19. 90 Weinstock, Das Indigenat, S. 14. 91 Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. 11. 1867, BGBl. 1867, S. 55.

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lichen Vorgaben das Recht des freien Aufenthalts und der Niederlassung innerhalb des Bundesgebietes, wenn er nur über die notwendigen Mittel verfügte, um sich Wohnung oder Unterkunft zu verschaffen (§ 1). Zudem war das Freizügigkeitsrecht im Falle der Hilfsbedürftigkeit beschränkt: Wer als Neuanziehender nicht über die notwendigen Mittel zum eigenen Lebensunterhalt wie dem seiner Angehörigen verfügte oder auf öffentliche Unterstützung aus anderen Gründen als der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit angewiesen war, konnte abgewiesen werden (§ 4). Gleiches galt, wenn ein Bewohner vor Erwerb des Unterstützungswohnsitzes an seinem Aufenthaltsort bedürftig wurde (§ 5). Die Ausweisung stand jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Heimatgemeinde schriftlich ihre Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Auszuweisenden erklärte. b. Gemeinsames Indigenat Die Verfassung des norddeutschen Bundes92 ordnete in Art. 3 I das gemeinsame Indigenat für alle Bundesbürger an. Danach waren die Angehörigen eines Mitgliedstaates des norddeutschen Bundes in jedem anderen Mitgliedstaat wie Inländer zu behandeln: jeder hatte unter den gleichen Voraussetzungen wie Einheimische das Recht auf Erwerb eines Wohnsitzes, Ausübung eines Gewerbes, Erwerb von Grundeigentum oder die Ausübung sonstiger bürgerlicher Rechte. Die Verfassung statuierte damit ein Diskriminierungsverbot unter den Angehörigen der Teilstaaten. Die Gesetzgebung über die Freizügigkeit, Niederlassung, Staatsangehörigkeit und die Fremdenpolizei wurden nach Art. 4 der Verfassung an den Bund überwiesen. Damit waren zwar die Weichen für die politische Einheit und damit die Entwicklung eines einheitlichen Wirtschaftsraums gestellt, in dem sich alle Individuen „überall gleichermaßen und gleichberechtigt“ entfalten konnten. Ein Gleichbehandlungsgebot im Sinne einer einheitlichen Bundesbürgerschaft wurde jedoch nicht geschaffen.93 Insbesondere blieben die Regelungen über die Armenfürsorge und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband unberührt (Art. 3 III). Das Indigenat konnte demzufolge nicht dazu beitragen, die in den meisten Territorialstaaten noch vorherrschende Anknüpfung der Armenpflege an das Heimatprinzip und die damit einhergehenden Freizügigkeitsbeschränkungen zu überwinden.94 Dies änderte sich am Vorabend der Gründung des Deutschen Reiches. Mit dieser wurde die Verfassung des Norddeutschen Bundes in die Reichsverfassung ebenso wie die Mehrzahl der Bundesgesetze in die Reichsgesetzgebung über92

BGBl 1867, S. 2. Arnoldt, Die Freizügigkeit und der Unterstützungswohnsitz, S. 147; Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 29; vgl. auch Sachße/Tennstedt, ZSR 2001, 205 (214 f.): „Nicht alle waren überall gleich zu behandeln, sondern der Preuße in Mecklenburg wie ein Mecklenburger, der Sachse in Preußen wie ein Preuße etc.“ 94 Münsterberg, Die deutsche Armengesetzgebung, S. 140; Weinstock, Das Indigenat, S. 17; Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 18 f. 93

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führt.95 So gewährte das Freizügigkeitsgesetz jedem Bundesangehörigen nunmehr das Recht des freien Aufenthalts und der freien Niederlassung im gesamten Bundesgebiet (§ 1 FreizG). Beschränkt wurde dieses Recht jedoch, falls ein neu Anziehender nicht über hinreichende Mittel verfügte, um sich oder seine Angehörigen zu versorgen. In diesem Fall hatten die Gemeinden das Recht zur Abweisung (§ 4 FreizG). Desgleichen konnte die Fortsetzung des Aufenthalts versagt werden, sofern der Zugezogene bedürftig wurde, bevor er einen Unterstützungswohnsitz in der betreffenden Gemeinde erworben hatte (§ 5 FreizG), dessen Erwerbsvoraussetzungen der Regelung durch Landesrecht überlassen blieb. c. Recht des Unterstützungswohnsitzes Am 6.6.1870 erließ der Norddeutsche Bund das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz (UWG)96, welches auf den Verwaltungsaufbau nach dem preußischen Armenrecht von 1842 zurückgriff und erst am 1.7.1871 als Gesetz für das Deutsche Reich in Kraft trat. Dieses statuierte nunmehr auch die Gleichberechtigung aller Reichsangehörigen im Hinblick auf die freie Niederlassung und den Erwerb des Unterstützungswohnsitzes sowie Art und Maß der zu gewährenden Unterstützung im gesamten Reich (§ 1 UWG). Nicht mehr die Gemeinde-, sondern die Reichsangehörigkeit des Bedürftigen war maßgeblich für die Fürsorgepflicht.97 Sie richtete sich nach dem Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit.98 Die Reichsangehörigkeit wurde vermittelt durch die Staatsangehörigkeit eines Bundesstaates, deren Erwerbsvoraussetzungen bundesweit einheitlich geregelt wurde. Sie konnte durch Abstammung von einem deutschen Vater,99 durch Heirat mit einem Deutschen, durch Aufnahme von Angehörigen anderer Bundesstaaten sowie durch Naturalisierung von Ausländern erworben werden, die frei und unbescholten waren und über die notwendigen Mittel für Lebensunterhalt und Wohnung verfügten (§§ 5 ff.). Bemerkenswert ist, dass die Staatsangehörigkeit nach zehnjährigem Aufenthalt im Ausland verloren ging (§ 21), wobei jedoch die Möglichkeit der Restitution, i.e. des Wiedererwerbs der Staatsangehörigkeit des früheren Heimatstaats bestand, sofern man zwischenzeitlich keine andere Staatsangehörigkeit erworben hatte. Das Staatsangehörigkeitsrecht stellte jedoch lediglich einen einheitlichen Rahmen für 95

Vgl. Art. 1, 3, 4, 80 der Reichsverfassung, BGBl. 1870, S. 627. BGBl. 1870, S. 360; ausführliche Kommentierung bei Flottwell, Preuß. Jahrbücher 43 (1879), 589 ff. , 44 (1879), 8 ff.; Luthardt, Armenpflege und Unterstützungswohnsitz; Waentig, Unterstützungswohnsitz oder Geburtsheimath?; Roscher, Prinzip der Armenpflege, S. 132 ff.; Arnoldt, Die Freizügigkeit und der Unterstützungswohnsitz, S. 165 ff. 97 Otto v. Bismarck: „Die alte Kommunalarmenpflege passt nicht zur Freizügigkeit. Der Staat ist Heimat geworden.“, zitiert bei Sachße/Tennstedt, ZSR 2001, 205 (216). 98 vom 1. 6. 1870, BGBl. 1870, S. 355. 99 Damit wurde im Staatsangehörigkeitsrecht das Territorialprinzip, d.h. die Begründung der Untertanenschaft durch Geburt auf dem Gebiet eines bestimmten Staates, durch das Personalitäts- oder Abstammungsprinzip ersetzt, Weinstock, Das Indigenat, S. 19, Fn. 2. 96

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die Reichangehörigkeit auf. Der Zugang zu den Gemeinden, der Erwerb des Heimatrechts und die Voraussetzungen sowie Art und Maß der öffentlichen Armenfürsorge blieben den einzelnen Bundesstaaten vorbehalten und konnten daher differieren.100 Die Unterstützung Bedürftiger oblag den Orts- bzw. Landesarmenverbänden (§ 2 UWG). Erstere waren vorläufig zur Unterstützung derjenigen verpflichtet, die sich beim Eintritt der Hilfsbedürftigkeit auf ihrem Gebiet aufgehalten haben, konnten aber Erstattungsansprüche101 gegen den Ortsarmenverband geltend machen, in dem der Bedürftige seinen Unterstützungswohnsitz hatte (§§ 29 ff. UWG). Diesem konnten die Bedürftigen aber zur direkten Unterstützung überwiesen werden, wenn ihre Bedürftigkeit nicht lediglich durch vorübergehende Arbeitsunfähigkeit begründet war; Voraussetzung der Abweisung war jedoch eine Aufnahmeerklärung des heimatlichen Armenverbands (§ 28 UWG, § 6 FreizG). Den Landesarmenverband traf eine subsidiäre Unterstützungspflicht, falls ein Bedürftiger keinen Unterstützungswohnsitz innehatte. Die Teilstaaten konnten ihm jedoch durch Landesrecht weitere Aufgaben zuweisen, etwa die finanzielle Unterstützung von Gemeinden, deren Mittel zur Versorgung ihrer Armen nicht hinreichten oder die Kostentragung für die Unterbringung in Armenhäusern oder „Korrekturanstalten“.102 Der Unterstützungswohnsitz wurde durch den zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt auf dem Gebiet eines Armenverbandes erworben (§§ 9, 10) und nach zweijähriger ununterbrochener Abwesenheit oder nach Erwerb eines neuen Wohnsitzes verloren. Wohnsitzlose, die keinem Ortsarmenverband zugeordnet werden konnten, unterlagen der subsidiären Zuständigkeit des Landesarmenverbandes (§ 5). Auch bedürftige Ausländer – d.h. Angehörige eines anderen Bundesstaates des Deutschen Reiches103 – konnten Leistungen der Armenfürsorge beanspruchen. Sie waren von dem Ortsarmenverband zu unterstützen, auf dessen Gebiet sie sich bei Eintritt der Bedürftigkeit aufgehalten hatten. Dieser hatte indes nur vorläufig zu leisten und konnte gegenüber dem Bundesstaat, dem er angehörte, Erstattungsansprüche geltend machen (§ 60). Die finanzielle Last traf also letztlich das Reich selbst. Das Gesetz stellte nur den formellen Rahmen zur Verfügung, welcher durch Ausführungsgesetze der Bundesstaaten auszufüllen war. Namentlich die Orga100 Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 14 f.; Sachße/Tennstedt, ZSR 2001, 205 (Fn. 40); Weinstock, Das Indigenat, S. 36. 101 Die Höhe des Erstattungsanspruchs richtete sich nach den tatsächlich geschuldeten Aufwendungen für die Armenunterstützung am Aufenthaltsort. Verwaltungskosten der Armenanstalten sowie Gebühren für Armenärzte waren von der Erstattung ausgenommen, Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 273 ff. 102 Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 293. 103 Münsterberg, Die deutsche Armengesetzgebung, S. 129 f., a.A. Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 411, der zwischen Deutschen und Ausländern unterscheidet, also damit gerade nicht die Angehörigen des Deutschen Reiches meint.

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nisation und Finanzierung sowie Art und Umfang der zu gewährenden Leistungen waren somit der teilstaatlichen Regelung unterworfen (§ 8 UWG). Einklagbare subjektive Rechte sollten durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz nicht begründet werden (§ 61 UWG). Die Armenpflege war also „lediglich“ eine Pflicht der Armenverbände. Dieser Ansatz war indes ein generelles Merkmal damaliger (Verwaltungs-) Gesetzgebung, zumal keine Gerichtsbarkeit zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche bestand.104 3. Fortgeltung des Heimatprinzips in Bayern In Bayern galt weiterhin das Heimatprinzip; die öffentliche Fürsorgepflicht oblag also der Gemeinde, in welcher der Bedürftige seinen Heimatwohnsitz hatte. Dieser richtete sich zunächst nach dem Besitz von Grund und Boden oder Wohnhäusern oder der Ausübung eines Gewerbes in der Gemeinde.105 Nach dem bayerischen Heimatgesetz vom 11. 9. 1825106 war der Erwerb des Heimatrechts im Regelfall an die Abstammung gebunden („ursprüngliche Heimat“). Es konnte aber auch durch „Ansässigmachung“ erworben werden, welche Grundbesitz, ein bestimmtes Vermögen, den Betrieb eines Gewerbes oder den Nachweis einer Anstellung sowie einen „guten Leumund“ erforderte. Mit dem Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt von 1868107 und dem Gesetz über öffentliche Armen- und Krankenpflege von 1869108 wurde die Fortgeltung des Heimatprinzips abermals bestätigt. Danach wurde unterschieden zwischen dem ursprünglichen (am Heimatrecht der Eltern orientierten), dem erworbenen (aufgrund Anstellung im Staatsdienst, Ehe oder Erwerb des Bürgerrechts), dem verliehenen (nach fünfjährigem Aufenthalt, wenn man keine Leistungen der Armenfürsorge in Anspruch genommen und Steuern gezahlt hatte bzw. nach zehnjährigem Aufenthalt, falls man keine Steuern gezahlt hatte) sowie dem angewiesenen Heimatrecht, wenn die Heimat nicht ermittelt werden kann.109 Einen subsidiär zuständigen Landesarmenverband kannten die vom Heimatprinzip geprägten Regionen nicht; die Zuständigkeit lag bei den Ortsgemeinden. Waren diese allerdings nicht zur Unterstützung in der Lage, griff der Distrikts- oder Kreisarmenverband ein.110 Das bayerische Gesetz blieb auch 104 Einklagbare Ansprüche gab es nur im Zivilrecht, d.h. § 61 UWG diente lediglich der Klarstellung, Sachße/Tennstedt, ZSR 2001, 205, 213; wohl aber existierten Beschwerdemöglichkeiten nach Landesrecht, Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 68 mit Einzelheiten zum Landesrecht. 105 Gemeindeedikt vom 14. 9. 1808, BayRegBl. 1808, 2405. 106 BayGBl 1825, 103 i. V. m. Gesetz über die Ansässigmachung und Verehelichung, BayGBl 1825, 111. 107 Vom 25.4.1868, BayGBl 1866–1869, 357. 108 Vom 29.4.1869, BayGBl 1866–1869, 1093. 109 Roscher, System der Armenpflege, S. 136. 110 Sachße/Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge, Band 1, S. 202; Sachße/Tennstedt, ZSR 2001, 205 (221).

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nach 1871 bestehen, als das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz auf das gesamte Reich ausgedehnt wurde, da Bayern als Königreich eigene Gesetzgebungskompetenzen hatte. Aufgrund der unleugbaren Mobilitätsbeschränkung verpflichtete das Reichsgesetz vom 30.6.1913111 Bayern schließlich doch zur Übernahme des Unterstützungswohnsitzes. Unterstützungswohnsitz und Heimatprinzip unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch die Art des Erwerbs des Unterstützungsanspruchs. Das Heimatprinzip ist streng an den Geburtsort und damit an eine bestimmte Gemeinde geknüpft und umfasst sämtliche Rechtsbeziehungen des Bürgers. Das Heimatrecht geht nicht durch bloße längere Abwesenheit verloren, sondern allein durch den Erwerb des Heimatrechts einer anderen Gemeinde. Das Prinzip des Unterstützungswohnsitzes begründet demgegenüber allein die armenrechtliche Zuständigkeit der Gemeinde des letzten Aufenthaltes. Es erlischt durch Zeitablauf nach dem Umzug in einen anderen Ort, kann in diesem aber vergleichsweise leicht erworben werden. Hintergrund ist, dass man im Zeitalter zunehmender Industrialisierung und Mobilität den Einzelnen nicht lediglich als Gemeindesondern als Staatsbürger betrachtete und ihm somit Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit ermöglichen wollte und musste.112 4. Erste zwischenstaatliche Regelungen Die Teilstaaten des Reiches bzw. des Deutschen Bundes waren autonom und souverän. Daher konnten sie frei und selbständig Regelungen über die Staatsangehörigkeit, das Heimatrecht oder die Armenunterstützung treffen. Der Angehörige eines Bundesstaates galt in einem anderen Staat als Ausländer.113 Die rein innerstaatlichen Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Die Staaten vereinbarten daher zunächst durch bilaterale, später durch multilaterale Staatsverträge die Zusammenarbeit in der Armenpflege. Schlüsseldokumente sind die Gothaer Konvention vom 15.7.1851114 und die Eisenacher Übereinkunft vom 11.7.1853.115 Diese regelten die Ausweisung von reichsangehörigen Ausländern im Falle bestehender oder drohender Hilfsbedürftigkeit. Wer von Armut bedroht war, sollte nach der Gothaer Konvention weiterhin aus dem Aufenthaltsstaat in seinen Heimatstaat ausgewiesen werden. Die Ausweisung wurde jedoch erschwert durch die Verpflichtung des aufnehmenden 111

RGBl 1913, 495. Breithaupt, Oeffentliches Armenrecht, S. 137, sowie S. 146: „So ist die Heimat das Ordnungsprinzip der ruhenden, der Unterstützungswohnsitz das Prinzip der beweglichen Bevölkerung.“ 113 Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 5; Münsterberg, Die deutsche Armengesetzgebung, S. 129. 114 PrGS 1851, S. 711. 115 PrGS 1853, S. 877. 112

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Staates zur Übernahme des Auszuweisenden. Bevor diese nicht ausdrücklich erklärt oder durch einen schiedsgerichtlichen Spruch angeordnet war, war der Aufenthaltsstaat weiter zur Unterstützung der betreffenden Person verpflichtet (§ 8 GK). Hatte der Auszuweisende in keinem Staat das Heimatrecht erworben, richtete sich die Unterstützungspflicht nach dem Aufenthalt: zuständig war der Staat, in dem sich der Auszuweisende in den letzten fünf Jahren durchgängig aufgehalten hatte oder in dem er geheiratet hatte und für mindestens sechs Wochen eine gemeinschaftliche Wohnung inne gehabt hatte. Letztlich konnte – wenn keine dieser Voraussetzungen erfüllt war – durch Geburt die Zuständigkeit zur Übernahme des Auszuweisenden begründet werden (§ 2 GK). Diese Regelungen stellten einen ersten Schritt zur Gleichstellung der Bürger der deutschen Teilstaaten dar. Gleichwohl blieben die Unterschiede in der Gesetzgebung der Territorialstaaten virulent.116 Die Eisenacher Konvention ergänzte die Regelungen des Gothaer Übereinkommens. Sie ordnete einen Regress für den Fall an, dass jemand während des Aufenthalts in einem anderen als dem zuständigen Staat der „Kur und Verpflegung“ bedurfte und aus gesundheitlichen Gründen nicht ausgewiesen werden konnte. Der Aufenthaltsstaat war in diesem Fall zur Unterstützung des Bedürftigen nach den gleichen Grundsätzen wie für seine eigenen Bürger berufen (§ 1 EK). Er konnte aber Regress gegen den Hilfebedürftigen nehmen (§ 3 S. 1 EK). Der Heimatstaat war nicht zur Kostenerstattung, wohl aber zur Rechtshilfe bei der Liquidation verpflichtet (§§ 2, 3 S. 2 EK). Diese Übereinkommen hatten Vorbildwirkung für die Entwicklung des internationalen Sozialrechts und stellen die ersten Rechtsakte zur zwischenstaatlichen Koordinierung sozialer Sicherheit überhaupt dar.117

V. Sicherung der Arbeitnehmerschaft durch die Bismarckschen Sozialgesetze Im Laufe des 19. Jahrhunderts steigerte sich der soziale Gegensatz zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft erheblich; die sozialen Missstände setzten die Politik zunehmend unter Druck und beförderten im Laufe der 1870er Jahre die sozialpolitische Reformdiskussion. Dabei stand vor allem die Bedrohung des Staates durch die Arbeiterschaft im Mittelpunkt, die abzuwehren Hauptanliegen der Debatte war. Die Vorschläge zielten also nicht in erster Linie auf Armutsbekämpfung, sondern sollten die Macht des 1871 neu geschaffenen Deutschen Reichs und dessen Regierung stärken und so die politische Situation stabilisieren.118 Eine systematische Unterstützung bildete sich jedoch nur zögerlich heraus. Gewerb116 Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts, S. 8; dazu auch Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 156 f. 117 Ritter, Der Sozialstaat, S. 49. 118 Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 29 ff., Rimlinger in Köhler/Zacher, Beiträge zu Geschichte und aktueller Situation der Sozialversicherung, S. 112 ff.

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liche Unterstützungskassen sicherten die auf der Basis von Ortsrecht Beschäftigten gegen Krankheit. Durch das Reichshaftpflichtgesetz119 wurden erweiterte Schadensersatzpflichten des Unternehmers im Vergleich zum allgemeinen Zivilrecht – beispielsweise Entschädigungsansprüche bei Erwerbsunfähigkeit bei Arbeitsunfällen – etabliert. Im Übrigen kamen Unfallversicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit – wenngleich in bescheidendem Umfang – für die Folgen von Arbeitsunfällen auf. In der Kaiserlichen Botschaft Wilhelms I. vom 17.11.1881 wurde eine umfassende Sozialgesetzgebung angekündigt. Das repressive, auf Absicherung gegen elementare Not ausgerichtete System der Armenpflege sollte durch einen wirklich wohlfahrtsstaatlichen Ansatz ergänzt werden, dessen Leitgedanke staatliche Fürsorge, nicht jedoch sozialer Ausgleich war. Der Arbeitnehmerschaft sollten Rechtsansprüche auf Versicherungsleistungen bei Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter eingeräumt werden, durchgeführt durch die Korporationen auf Basis von Selbstverwaltung und Gegenseitigkeit.120 Die Kaiserliche Botschaft gab den Anstoß zu den Bismarckschen Sozialgesetzen der Jahre 1883 bis 1889. Mit diesen wurde die staatliche Unterstützung von wenigen Marginalisierten oder einzelnen genossenschaftlich organisierten Berufsständen auf die arbeitende Bevölkerung des Reiches ausgedehnt. 1. Leistungsumfang Statt bloßer Almosen wurde den Bedürftigen erstmals ein Rechtsanspruch auf den Ausgleich von Einkommensausfall eingeräumt.121 Finanziert wurden die Leistungen durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das gesamte Versicherungssystem basierte also auf dem Beschäftigtenstatus, d.h. es bestand Versicherungszwang für Personen, die gegen Gehalt oder Lohn beschäftigt waren. Beiträge und Leistungen beruhten auf Gegenseitigkeit. Waren die öffentlichen Unterstützungsleistungen vor allem auf die Linderung von Armut gerichtet, sind mit den Bismarckschen Sozialgesetzen erstmals die „klassischen“ sozialen Risiken abgedeckt worden. Das Krankenversicherungsgesetz122 unterwarf zunächst nur die Arbeitnehmer der gewerblichen Berufe einer Zwangsversicherung. Sie wurde aber bald auf die im Transport- und Verladegewerbe sowie in reichsangehörigen Betrieben Beschäftigte ausgedehnt.123 Es baute auf den bestehenden Hilfskassen und der Ge119

Vom 7.6.1871, RGBl 1871, 207. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 50. 121 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 53; Ritter, Der Sozialstaat, S. 63; ausführlich Carius, Projekt: Einheitssozialversicherung, S. 26 ff. 122 Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15.6.1883, RGBl. 1883 Nr. 9, 73. 123 Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 24; vgl. auch die Nachweise bei Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 58 f. 120

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

meindeversicherung auf. Die Kassenzugehörigkeit war also abhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Durch das Unfallversicherungsgesetz124 wurde ein Versicherungszwang für alle Betriebe der die Unfallversicherung tragenden Berufsgenossenschaften begründet. Das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz125 erfasste alle Arbeiter und abhängig Beschäftigten wie z.B. Lehrlinge oder Gesellen (Versicherungspflicht). Den Anspruchsberechtigten wurde eine auf der Höhe der geleisteten Beiträge basierende Rente sowie ein aus Steuermitteln finanzierter Reichszuschuss gewährt, wenn sie aus anderen Gründen als Betriebsunfällen erwerbsunfähig oder älter als 70 Jahre waren.126 Zwischen 1885 und 1903 ergingen zahlreiche Änderungsgesetze, in deren Mittelpunkt auch die Ausdehnung des versicherungspflichtigen Personenkreises stand.127 Im Fokus blieb weiterhin die Absicherung der Arbeiterschaft in der Industrie. Die Errichtung einer Bürgerversicherung stand nicht zur Debatte. Zugleich wurde die Sozialversicherung für Angestellte, Gewerbetreibende und die Beschäftigten in der Landwirtschaft ausgedehnt. Ab dem 1.1.1913 wurden mit dem Versicherungsgesetz für Angestellte128 schließlich auch die Angestellten in die soziale Sicherung einbezogen, deren Jahreseinkommen eine bestimmte Grenze überstieg. Es wurde eine eigenständige Angestelltenversicherung etabliert. Im Vergleich zur Arbeiterschaft wurde den Angestellten damit ein Sonderstatus eingeräumt – nicht zuletzt um damit ein Gegengewicht zur sozialdemokratisch geprägten Arbeiterschaft zu bilden.129 Das Bismarcksche Sozialstaatsmodell war korporatistisch ausgerichtet. Der Staat bot also nur den gesetzlichen Rahmen und überließ dessen Ausführung den Arbeitern und Angestellten auf der einen sowie der Arbeitgeber auf der anderen Seite. Diesen Einrichtungen wurde der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt und ihnen wurde das Recht zur Selbstverwaltung – wenngleich im Rahmen der Gesetze und unter staatlicher Aufsicht – eingeräumt. Die bestehenden Klassen wurden durch die Sozialgesetzgebung also nicht egalisiert, sondern – im Gegenteil – konserviert, wenn nicht gar gestärkt. 2. Zugang zum Arbeitsmarkt Spezifische Regelungen über den Arbeitsmarktzugang, namentlich von Ausländern, existierten zunächst nicht. Die Rekrutierung von Arbeitskräften war in das Belieben der Unternehmer gestellt. Sie galt als Bestandteil der ökonomischen 124

Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884, RGBl. 1884 Nr. 19, 69. Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22.6.1889, RGBl. 1889 Nr. 13, 97. 126 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 65 f., Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 27. 127 Frerich/Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik, Band 1, S. 101. 128 Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20.12.1911, RGBl. 1911 I 989. 129 Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 39. 125

D. Armenpflege in der Neuzeit

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Handlungsfreiheit, die einer Regulierung nicht zugänglich war.130 Diese Rekrutierungsfreiheit stand für sich isoliert und korrespondierte namentlich nicht mit einer Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die Teilstaaten des Deutschen Reiches konnten jedoch eigene Regelungen erlassen. In Preußen wurde die Ausländerbeschäftigung durch allgemeine aufenthaltsrechtliche Maßnahmen wie Ausweisungen oder die generelle Abschottung der Grenzen gegenüber Angehörigen anderer Nationen „reguliert“. Durch einen Erlass des preußischen Innenministeriums vom 26.11.1890 wurde die Zulassung russischer und galizischer, aus Österreich-Ungarn stammender Polen zur Erwerbstätigkeit in Industrie – dies beschränkt auf wenige Provinzen Preußens – und Landwirtschaft ermöglicht. Die Sesshaftigkeit der ausländischen Arbeitskräfte war jedoch nicht vorgesehen: sie waren gezwungen, das Land während einer Karenzzeit in den Wintermonaten zu verlassen.131 Die Erwerbstätigkeit von Ausländern war daher ausschließlich im Rahmen von Saisonarbeit möglich. Erst ab 1903 erstreckten sich die Anwerbebemühungen der Arbeitgeber und privat organisierter Vermittlungsagenturen – aus nationalistischen Motiven – auch auf nichtpolnische Erwerbstätige. Mit einer Verfügung des preußischen Innenministeriums vom 21.12.1907132 wurde unter Bezugnahme auf § 3 des Passgesetzes von 1867,133 nach dem In- wie Ausländer jederzeit ausreichende Ausweispapiere vorweisen müssen, ein polizeibehördliches Verfahren für alle ausländischen Arbeitskräfte etabliert. Voraussetzung ihrer Beschäftigung war die Ausstellung einer Legitimationskarte durch die örtliche Polizeibehörde, deren Gültigkeit jeweils auf einen konkreten Arbeitgeber beschränkt war. Arbeitskräfte, die keine Legitimationskarte vorweisen konnten, wurden in ihr Herkunftsland ausgewiesen. Mit dem Arbeitsnachweisgesetz (ANG) vom 22.7.1922134 wurde erstmals auf Reichsebene ein formales Zulassungsverfahren für ausländische Arbeitnehmer auf den Weg gebracht. Gemäß § 26 II ANG sollte das Reichsamt für Arbeitsvermittlung im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer regeln und überwachen. Präzisiert wurden die Regelungen über den Arbeitsmarktzugang in der Verordnung über die Anwerbung und Vermittlung ausländischer Landarbeiter135 und die Verordnung über die Einstellung und Beschäftigung auslän130

Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 48. Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 33 ff. 132 Verfügung betreffend die Zulassung ausländischer Arbeiter zur Arbeit in der Landwirtschaft und in den gewerblichen Betrieben in Deutschland vom 21.12.1907, MBliV 1908, S. 17. 133 Dieses stellte jedoch keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für dieses Verfahren dar, Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 70. 134 Arbeitsnachweisgesetz vom 22.7.1922, RGBl 1922, S. 657 ff. 135 vom 19.10.1922, dazu Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 346. 131

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

discher Arbeiter136. Voraussetzung der Ausländerbeschäftigung war danach die rechtmäßige Einreise des Ausländers oder – soweit bereits früher ein Beschäftigungsverhältnis im Inland bestand – die ordnungsgemäße Beendigung desselben. Entsprechende Angaben waren durch die Ortspolizei auf den Legitimationskarten zu vermerken. Die Arbeitsgenehmigung wurde für einen konkreten Arbeitsplatz und jeweils befristet für zwölf Monate erteilt. Der Bezug auf einen konkreten Arbeitsplatz sollte eine Steuerung der Ausländerbeschäftigung je nach Lage des Arbeitsmarktes ermöglichen.137 Das 1927 erlassene Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG)138 übernahm in § 67 II AVAVG die Ermächtigung des Reichsarbeitsministers zur Regelung und Überwachung der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte. Die daraufhin ergangenen Verordnungen des Reichsarbeitsministers gaben die bereits unter dem ANG geltende Rechtslage wieder. Die Verordnung über ausländische Arbeitnehmer139 bündelte die Kompetenz zur Arbeitsmarktzulassung bei der Arbeitsverwaltung; die Legitimationspflicht bei den Polizeibehörden ging im Arbeitserlaubnisrecht auf. Die Arbeitserlaubnis konnte nach § 19 II der Verordnung über ausländische Arbeitnehmer versagt werden, wenn dieser gegen die Gesetze zur Ausländerbeschäftigung verstoßen hatte oder sonstige wichtige Gründe in seiner Person gegen die Erteilung der Erlaubnis sprachen. Ausländer, die sich bereits seit zehn Jahren ununterbrochen und rechtmäßig auf dem Gebiet des Deutschen Reiches aufhielten, konnten gemäß § 17 der Verordnung über ausländische Arbeitnehmer auf Antrag für einen Zeitraum von jeweils zwei Jahren von der Erlaubnispflicht befreit werden.

VI. Vom Fürsorge- zum Sozialstaat Die durch Bismarck etablierten Grundsätze der Sozialversicherung blieben im weiteren Verlauf im Wesentlichen unangetastet. Die Leistungen zur Behebung existenzieller Not waren jedoch den strukturellen Änderungen von Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Politik unterworfen. 1. Weimarer Republik In der Verfassung von 1919 wurden erstmals soziale Grundrechte als individuelle Rechte verankert. In der Weimarer Republik der 1920er Jahre wurde die Sozialversicherung weiter ausgebaut. So wurden nunmehr auch Witwen und Waisen in die soziale Sicherung einbezogen. Zu nennen ist insbesondere die 136 Verordnung über die Einstellung und Beschäftigung ausländischer Arbeiter vom 2.1.1923. 137 Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 103. 138 Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927, RGBl. I S. 187. 139 Verordnung über ausländische Arbeitnehmer vom 23.1.1933, RGBl. 1933 I 26.

D. Armenpflege in der Neuzeit

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Einführung der Arbeitslosenversicherung im Jahre 1927.140 Dieses Gesetz bezog alle in der Kranken- sowie der Rentenversicherung für Angestellte Versicherten ein. Auch das Recht der Armenfürsorge wurde reformiert. Bis dahin vorwiegend in den Händen der karitativen Organisationen der Kirchen und nur subsidiär von Kommunen und Reich wahrgenommen, wurde sie mit der Reichsfürsorgepflichtverordnung (RFV) vom 13.2.1924141 ganz dem Reich überantwortet und ein subjektives Recht auf Fürsorge begründet. Die RFV etablierte das Aufenthaltsprinzip in der Armenpflege, welches sowohl das Heimatrecht als auch das Prinzip des Unterstützungswohnsitzes überwindet. Danach obliegt die Fürsorgepflicht dem Bezirksfürsorgeverband, in dem der Bedürftige seinen tatsächlichen und gewöhnlichen Aufenthalt – i.e. seinen Lebensmittelpunkt – innehat. Die Vorgaben der RFV wurden durch die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGr) ergänzt. Inhaltlich und konzeptionell schlossen sie an die hergebrachte Armenfürsorge an. Ausländer konnten nach § 34 RGr Leistungen zum Lebensunterhalt, insbesondere Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Pflege sowie Krankenhilfe in Anspruch nehmen. Darüber hinausgehende Leistungen waren ihnen nur zu gewähren, soweit es die Reichsregierung oder ein Staatsvertrag bestimmte. 2. Völkische Überformung im Nationalsozialismus Unter dem Regime des Nationalsozialismus wurde der Gedanke der Volkszugehörigkeit nicht nur in der sozialen Sicherung zum Leitbild. Das Prinzip der Zugehörigkeit wurde zum vollständigen Ausschluss der Bevölkerungsteile aus dem sozialen Sicherungssystem benutzt, die nach der nationalsozialistischen Ideologie als „unwert“ galten. Gleichzeitig wird in dieser Periode auf drastische Art und Weise deutlich, in welchem Ausmaß die Zugehörigkeit zum staatlich alimentierten Solidarverband Loyalität zu Staat und Politik hervorrufen kann.142 Das Regime stützte sich auf den Gedanken der „Volksgemeinschaft“, welche alle „arischen“ Deutschen vereinen sollte und in den Nürnberger Gesetzen ihre juristische Ausprägung fand. Als Reichsangehörige galten nach dem Reichsbürgergesetz143 nur „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“, die durch ihr Verhalten bewiesen, dass sie „gewillt und geeignet [sind], in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ Nur sie waren Träger politischer Rechte, § 2 I, III Reichsbürgergesetz. Damit wurden vor allem die als „nicht-arisch“ angesehenen Juden aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen.144 140 Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 7. 7. 1927 (AVAG), RGBl. 1927 I 187. 141 RGBl. 1924 I 100. 142 Aly, Hitlers Volksstaat, 4. Auflage, Frankfurt 2005. 143 Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935, RGBl. I 1935, S. 1146. 144 Ausführlich Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 370.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

Ausländern war der Aufenthalt im Reichsgebiet nur erlaubt, wenn sie „nach ihrer Persönlichkeit und dem Zweck ihres Aufenthalts“ die Gewähr dafür boten, dass sie „der ihnen gewährten Gastfreundschaft“ würdig sind (§ 1 Ausländerpolizeiverordnung).145 Deren Kriterien wurden freilich nach Willkür festgelegt. Beabsichtigte ein Ausländer die Erwerbstätigkeit im Inland, war eine besondere Aufenthaltserlaubnis erforderlich (§ 2 Ausländerpolizeiverordnung). Ein regulärer und gleichberechtigter Zugang zum Arbeitsmarkt für Ausländer war damit jedoch nicht verbunden. Die Arbeitskraft von Angehörigen der so genannten „Feindstaaten“ – die einem generellen Ausreiseverbot unterlagen! – wurde im Rahmen von Zwangsarbeit ohne jedwede bürgerlich- oder sozialrechtliche Sicherung ausgebeutet.146 Alle Aufenthaltstitel standen zudem unter der Voraussetzung, dass der Betreffende seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie aus eigenen Mitteln bestreiten konnte (§ 5 I lit. i) Ausländerpolizeiverordnung). Die Vergabe von Aufenthaltstiteln folgte der vorherrschenden rassistischen und antisemitischen Praxis. So galten Juden nicht als reichsangehörig.147 Ihre Pässe wurden für ungültig erklärt.148 Der Sozialstaat wurde zu einem wesentlichen Stützpfeiler der Loyalität der deutschen „Volksgenossen“. Zwar gab es zunächst Bestrebungen, mit einem „Versorgungswerk des Deutschen Volkes“ eine am Führerprinzip orientierte Versorgung für „deutsche Volksgenossen“ zu errichten; diese konnten jedoch keine Mehrheit finden. Der nationalsozialistische Staat brach nicht völlig mit den durch Bismarck gelegten Fundamenten sozialer Sicherheit: zwar wurde im Rahmen der „Gleichschaltung“ die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung aufgehoben. Namentlich wurde aber deren Struktur mit dem Prinzip der Beitragszahlung und des damit korrespondierenden Rechtsanspruchs auf Leistungen beibehalten.149 Der Kreis der Leistungsberechtigten wurde einerseits ausgeweitet: 1938 wurde die Alterssicherung für selbständige Handwerker, 1941 die Krankenversicherung für Rentner eingeführt. Ausgeschlossen wurden indes die, welche nach den rassistischen und totalitären Kriterien des nationalsozialistischen Staats außerhalb der „Volksgemeinschaft“ standen. Anders als nach dem hergebrachten Ansatz von Wohlfahrtsstaatlichkeit sollte nicht Gleichheit durch Inklusion, sondern Ungleichheit durch Exklusion bewirkt werden.150 Wesentliches Kriterium 145

Ausländerpolizeiverordnung vom 22.8.1938, RGBl. I 1938, S. 1053. § 3 der Verordnung über die Behandlung von Ausländern vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1667; ausführlich Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 119 ff. 147 § 4 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935, RGBl. 1935 I, S. 1333. 148 Verordnung über Reisepässe von Juden vom 7.10.1938, RGBl. 1938 I, S. 1342. 149 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 105 f.; Sachße/Tennstedt, ZSR 1992, 129 (131); zur Kontroverse über Kontinuität vs. Diskontinuität des nationalsozialistischen Sozialrechts vgl. Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 62. 150 Sachße/Tennstedt, ZSR 1992, 129 (129, 138). 146

D. Armenpflege in der Neuzeit

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für die Mitgliedschaft im Solidarverband war die Zugehörigkeit zur „deutschen Volksgemeinschaft“. Der Herrschaftsanspruch orientierte sich nicht an den historisch gewachsenen Grenzen, sondern stellte allein auf die Komponente „Volk“ ab, die anhand ethnisch-rassistischer Merkmale definiert worden war. So bestimmte bereits das Parteiprogramm der NSDAP vom Februar 1920: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Den gesetzgeberischen Ausgangspunkt bildete das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums151 (1933), aufgrund dessen zunächst sämtliche – aus rassenideologischen oder parteipolitischen Gründen – als „minderwertig“ eingestufte Angestellte der Ortskrankenkassen entlassen wurden. Ferner das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre152 sowie das Reichsbürgergesetz153. Insgesamt wurde die Sozialpolitik als „Politik zur Verbesserung der völkischen Lebensbedingungen“154 aufgefasst, die alle diejenigen ausschloss, welche nach der NS-Ideologie nicht der „deutschen Volksgemeinschaft“ angehörten. Diese wurden nicht nur vom Wohlstand der Gesellschaft ausgeschlossen, sondern im weiteren Fortgang des Regimes der Vernichtung preisgegeben. In der öffentlichen Fürsorge sollte die NS-„Volkswohlfahrt“ gemeinsam mit dem „Winterhilfswerk“155 die etablierten Wohlfahrtsverbände ersetzen und dafür sorgen, dass die Sozialpolitik an den Grundsätzen der nationalsozialistischen Rassegesetze ausgerichtet wird. Leistungen der sozialen Fürsorge sollten ebenfalls nur noch den Angehörigen der „deutschen Volksgemeinschaft“ zukommen und wurden zu einem Symbol für Treue- und Schutzpflichten der „Volksgenossen“ untereinander. „Die Sozialpolitik war Teil des Kitts, der Staat und Gesellschaft im nationalsozialistischen Deutschland zusammenhielt.“156 Ziel des nationalsozialistischen Wohlfahrtsstaates war also keineswegs die Bewahrung des Einzelnen vor Armut. Das Individuum trat vielmehr vollkommen hinter den Interessen des Staates zurück. 3. Fortentwicklung nach 1945 Nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes unterstand das soziale Sicherungssystem einer Notverwaltung durch die Besatzungsmächte. Sie verfolgten jedoch keine einheitliche Linie im Hinblick auf dessen mögliche

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Vom 7.4.1933, RGBl. 1933 I 175. Vom 15.9.1935, RGBl. I 1146. 153 Vom 15.9.1935, RGBl. I 1146. 154 Bühler, Deutsche Sozialwirtschaft, S. 19; dazu Rimlinger in Rein, Stagnation and renewal in social policy, S. 19. 155 Gesetz über das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes vom 1. Dezember 1936, Reichsgesetzblatt 1936 I, S. 995. 156 Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 66 ff. 152

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

Neuausrichtung.157 Pläne zur Einführung einer Einwohnerversicherung, also die Zusammenfassung der verschiedenen Zweige der Sozialversicherung zu einer Einheitsversicherung, konnten sich in den westdeutschen Besatzungszonen nicht durchsetzen. Die Bismarcksche Struktur der Sozialversicherung mit ihrer gruppen- und statusbezogenen Absicherung wurde daher beibehalten. Das Sozialversicherungsrecht der späteren Bundesrepublik Deutschland knüpfte weiterhin am Arbeitnehmerstatus an und gewährte abhängigen Familienmitgliedern abgeleitete Rechte. Es wurde in den Folgejahren fortentwickelt und ausgebaut.158 Mit dem Erlass des BSHG (1961) wurde schließlich der Wandel vom Fürsorgezum Sozialhilferecht abgeschlossen. Statt die Hilfeleistungen als Mittel zur Herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu gewähren, rückte nunmehr der Aspekt der Hilfe zur Selbsthilfe in den Vordergrund. Sozialhilfe dient dem Individuum selbst und knüpft in Abkehr vom polizei- und ordnungsrechtlichen Ansatz unmittelbar an die Menschenwürde an.159 In der sowjetischen Besatzungszone wurde die Einheitsversicherung hingegen umgesetzt und blieb prägend für die Sozialversicherung der DDR.160 Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde die Rechtsangleichung beschlossen, die durch eine Übernahme des westdeutschen Gesetzesrechts durch den ostdeutschen Teil Deutschlands vollzogen wurde.161

E. Europäische Sozialpolitik Die durch die Römischen Verträge am 25. März 1957 etablierte Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hatte sich zunächst die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, also eine Wirtschafts- und Handelsunion zum Ziel gesetzt. Von Beginn an war Arbeitnehmern und Selbständigen Bewegungsfreiheit zum Zwecke der wirtschaftlichen Betätigung in anderen Mitgliedstaaten eingeräumt. Die soziale Sicherheit war zunächst kein ureigenes Anliegen der EWG. Sie war lediglich ein Reflex des Gemeinsamen Marktes,162 beschränkte sich die Rechtssetzung der EWG doch vor allem auf die Beseitigung der Hemmnisse für die Arbeitnehmermobilität. 157

Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 210. Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 51; ausführlich Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 209 ff. 159 Schellhorn/Jirasek/Seip, BSHG, Einführung S. 6 f. 160 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 127; ausführlich Carius, Projekt Einheitsversicherung, Berlin 2008. 161 Ausführlich Ritter, DRV 2007, 696. 162 Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (43): „Anhängsel des Binnenmarktprojekts“. 158

E. Europäische Sozialpolitik

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I. Sozialrechtliche Flankierung der Freizügigkeit Dem Bedürfnis, die Arbeitnehmerfreizügigkeit um eine soziale Komponente zu ergänzen, wurde bereits in den Gründungsverträgen Rechnung getragen. Zwar wurde der EWG keine originäre Kompetenz zur Etablierung eines sozialen Sicherungssystems eingeräumt. Die Zuständigkeit der Nationalstaaten blieb ausdrücklich unangetastet. Nach Art. 117 EWGV sollte das Wirken des Gemeinsamen Markts zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten führen, ohne dass es harmonisierender Maßnahmen im Primär- oder Sekundärrecht bedürfe. Die Kompetenz der Union beschränkte sich dementsprechend auf eine Förderung der Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten durch die Kommission, Art. 118 EWGV. Art. 51 EWGV verpflichtete jedoch den Rat, auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit die Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um die Arbeitnehmerfreizügigkeit herzustellen. Zu diesem Zweck sollte ein- und auswandernden Arbeitnehmern und ihren Angehörigen die Zusammenrechnung aller leistungsrechtlich relevanten Leistungen und die Auszahlung dieser Leistungen in den Wohnstaat ermöglicht werden. In Ausübung dieser Kompetenz hat der Rat bereits 1958 in den Verordnungen VO (EWG) Nr. 3/58, Nr. 4/58 die grundlegenden Regeln zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme erlassen.163 Diese ließen die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur eigenständigen Ausgestaltung ihres Sozialrechts bestehen, verknüpften die wohlfahrtstaatlichen Systeme aber so miteinander, dass sich die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nachteilig auf die soziale Sicherung auswirkte. Die Verordnungen wurden später durch die VO (EWG) 1408/71164 und VO (EWG) 574/72165 ersetzt. Seit 1.5.2010 sind die reformierte VO (EG) 883/2004166 und VO (EG) 987/2009167 an deren Stelle getreten.168 163

Cornelissen in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 17. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. L 149 S. 2. 165 Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. L 74 S. 1 ff. 166 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl L 166 vom 30.4.2004, S. 1 ff. 167 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 S. 1 ff. 168 Ausführlich zu den damit einher gegangenen Änderungen Fuchs, SGb 2008, 201; Eichenhofer, SGb 2010, 185. Im Einzelnen zu den Regelungen des Koordinierenden Sozialrechts vgl. Kapitel 4. 164

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

II. Erweiterung der sozialpolitischen Kompetenzen Die neben der Verflechtung der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten bestehenden Kompetenzen und Instrumente der EWG waren beschränkt. Der Kommission war nach Art. 118 EWGV lediglich die Förderung der engen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten durch Untersuchungen, Stellungnahmen oder die Vorbereitung von Beratungen zugewiesen, womit jedoch keine europäische Rechtssetzungsbefugnis einherging.169 1. Sozialrecht als Wirtschaftsfaktor Die Sozialpolitik der Gemeinschaft war zunächst eher markt- und wettbewerbsorientiert, als durch das Bedürfnis nach sozialer Absicherung motiviert. Die nationalen Standards sozialer Sicherheit standen vor allem als wirtschaftlicher Faktor in Rede, welcher sich auf die Kosten des Faktors Arbeit auswirken und dadurch die Wettbewerbschancen der Mitgliedstaaten mit hohem Sicherungsniveau beeinträchtigen könnte. Um einen Abbau dieser Standards im Sinne eines „race to the bottom“ zu verhindern, ergingen in den 1970er Jahren zahlreiche gemeinschaftsrechtliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere beim Zugang zu Beschäftigung, Entlohnung, im Hinblick auf die Arbeitsbedingen oder das Verfahren bei Massenentlassungen. Die Rechtsakte stützten sich auf die in Art. 100 EWGV enthaltene Ermächtigung des Rates, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien zur Angleichung der Wirtschafts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, die sich unmittelbar auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. 2. Einheitliche Europäische Akte Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA),170 die zum 1. Juli 1987 in Kraft trat, verpflichtete sich die Gemeinschaft, bis Ende 1992 die Errichtung eines Binnenmarktes abzuschließen, der durch den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital geprägt ist. Rechtsakte, die im Zusammenhang mit der Etablierung des Binnenmarktes stehen, konnten nunmehr mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet werden. Gleiches galt für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Eine einstimmige Entscheidung war demgegenüber in Bezug auf die allgemeinen Interessen der Arbeitnehmer erforderlich. Bis 1993 wurden lediglich einige Richtlinien zum Arbeitsschutz verabschiedet. Sozialversicherung und soziale Dienste waren nicht Gegenstand des Aktionsprogramms. Lediglich eine Empfehlung der Kommission befasste sich mit Konvergenzstrategien in der 169 Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 21; Eichenhofer, ZIAS 2003, 404 (412). 170 ABl. L 169 vom 29.6.1987.

E. Europäische Sozialpolitik

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Sozialpolitik.171 Mit der 1989 verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und einem Sozialpolitischen Aktionsprogramm zu deren Umsetzung sollten die sozialpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaften erweitert werden. Die Charta sah umfassende Freizügigkeitsrechte für Arbeitnehmer und das Recht auf Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und des sozialen Schutzes vor. Ihre Umsetzung scheitere jedoch am Widerstand des Vereinigten Königreichs.172 3. Vertrag von Maastricht Erst mit den Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht im Jahr 1992, mit dem der EWG neue Zuständigkeiten in der Währungspolitik, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie für Justiz und Inneres eingeräumt wurden,173 kam die Debatte um eine Stärkung der sozialen Dimension Europas wieder in Gang. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten strebte eine Erweiterung der gemeinschaftlichen Rechtssetzungskompetenz in der Sozialpolitik an. Dies scheiterte indes am Widerstand des Vereinigten Königreichs. Der Kompromiss bestand schließlich darin, den Vertrag um ein Sozialprotokoll zu ergänzen, dem alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs beitraten. Die elf der damals zwölf Mitgliedstaaten setzten sich das Ziel, Beschäftigung, Lebens- und Arbeitsbedingungen zu fördern und die Entwicklung des Humankapitals voranzutreiben, um dadurch eine hohe Beschäftigungsrate und sozialen Zusammenhalt zu erzielen.174 4. Verträge von Amsterdam und Nizza Weiter befördert wurde diese Entwicklung durch das „Weißbuch über Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“175 der Kommission aus dem Jahr 1993, die angesichts von Massenarbeitslosigkeit und der sich verfestigenden sozialen Gegensätze konstatierte, dass das Wirken des Gemeinsamen bzw. Binnenmarktes allein nicht die erhoffte Angleichung der Lebensbedingungen bewerkstelligen würde. Europa sei vielmehr als „Wirtschafts- und Sozialraum“ zu verstehen. Mit dem Vertrag von Amsterdam 1997176 wurde schließlich das durch das Sozialprotokoll in Gang gesetzte „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ überwun171

KOM(1999) 347 endg., Mitteilung der Kommission über eine konzertierte Strategie zur Modernisierung des sozialen Schutzes. 172 Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 25. 173 Suhr in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 67 AEUV, Rn. 8. 174 Ausführlich Schuster, EuZW 1992, 178; Lenze, NZS 1996, 313; sowie Schulz, Maastricht und die Grundlagen einer Europäischen Sozialpolitik, 1996. 175 Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung – Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert – Weißbuch, KOM(1993) 700 vom 5.12.1993. 176 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union,

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

den. Zum einen wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in Europäische Gemeinschaft umbenannt, was auf einen grundlegenden Wandel des Selbstverständnisses – von der Wirtschaftsgemeinschaft zur politischen und auch sozialen Union hindeutet.177 Zum anderen wurden das Sozialprotokoll sowie ein gesondertes Kapitel zur Beschäftigungspolitik sowie zur Sozialpolitik und deren Finanzierung durch die Mittel des Europäischen Sozialfonds in das Primärrecht aufgenommen.178 Der Union ist damit das Recht zur Etablierung von Mindeststandards zum Schutz der Arbeitnehmer, in der sozialen Sicherheit und dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer, der Beschäftigungsbedingungen für Drittstaatsangehörige, die Gleichbehandlung von Frauen und Männern und die Eingliederung ausgegrenzter Personen in den Arbeitsmarkt eingeräumt. Der Vertrag von Nizza179 führte im Jahr 2000 zu einer Erweiterung des Kompetenzkatalogs, der um Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer Exklusion und zur Modernisierung des sozialen Schutzes ergänzt wurde. Eine inhaltliche Neuausrichtung der europäischen Sozialpolitik ging damit indes nicht einher.180 Zudem wurde die Charta der Grundrechte als Bekenntnis zur europäischen Wertegemeinschaft verabschiedet.181 5. Vertrag von Lissabon Der Vertrag von Lissabon182 brachte – nach dem vergeblichen Versuch, eine europäische Verfassung zu etablieren – 2009 schließlich die umfassende Neuordnung der Europäischen Union voran. Der konsolidierte Vertrag über die Europäische Union (EUV) nennt in Art. 2 neben der Achtung der Menschenwürde und der Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte ausdrücklich Solidarität und Gerechtigkeit als Ziele europäischer Politik. In Art. 3 III EUV ist die Europäische Union als wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft beschrieben, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt und sich dem Kampf gegen soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen ebenso verschreibt wie der Förderung sozialer Gerechtigkeit und sozialen Schutzes, der Gleichstellung von Frauen und Männern, der Solidarität zwischen den Generationen und den Rechten des Kindes. Der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt und die Solidarider Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. C 340 vom 10.12.1997. 177 Schulte, ZFSH/SGB 2002, 328 (334). 178 Ausführlich Steinmeyer, RdA 2001, 10 (12 ff.). 179 Vertrag von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. C 80 vom 10.3.2001. 180 Krebber in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 151 AEUV, Rn. 4. 181 Ausführlich Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 6 EUV, Rn. 9 ff. 182 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Abl. C 306 vom 17.12.2007.

E. Europäische Sozialpolitik

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tät zwischen den Mitgliedstaaten sind ein wichtiges Anliegen europäischen Wirkens. Zur Umsetzung dieser Ziele schreibt der Vertrag die hergebrachten Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und Subsidiarität fort, Art. 4, 5 EUV. Die EU darf also nur rechtssetzend tätig werden, wenn und soweit ihr die Mitgliedstaaten ausdrücklich und unter Verzicht auf ihre Souveränität bestimmte Materien zuweisen183 und sofern die angestrebten Ziele auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind als im Wege nationalstaatlicher Rechtssetzung. Die Sozialpolitik ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) der geteilten Zuständigkeit unterworfen, Art. 4 AEUV. Danach dürfen sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten verbindliche Rechtsakte erlassen – die Mitgliedstaaten jedoch nur, wenn und soweit die Union von ihrer Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, Art. 2 II AEUV. Die grundlegende Befugnis der Mitgliedstaaten, die Prinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit eigenständig festzulegen, bleibt jedoch weiterhin unangetastet, Art. 153 IV AEUV.184 Die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, die Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und ein hohes Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes sind jedoch in Art. 9 AEUV als Querschnittsaufgabe der EU beschrieben. Diese Ziele sind folglich bei jedweder Rechtssetzung auf europäischer Ebene zu beachten. Von besonderer Bedeutung für die individuelle Rechtsposition der Unionsbürger ist die Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte, welche durch Art. 6 EUV begründet wird. Dem Anspruch auf Schutz vor Diskriminierungen (Art. 2 I EuGrCh), den Rechten der Kinder sowie älterer und behinderter Menschen (Art. 24 f. EuGrCh) und den sozialen Grundrechten (Art. 27–38 EuGrCh), die sich auf das kollektive Arbeitsrecht, die Arbeitsbedingungen sowie die soziale Sicherheit und Gesundheitsfürsorge erstrecken, kommt nunmehr primärrechtlicher Rang zu.185 Der Vertrag von Lissabon hat damit die Schaffung einer Sozialunion abgeschlossen.186

II. Die Unionsbürgerschaft als besonderer Bürgerstatus Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung waren die Europäischen Gemeinschaften zunächst kaum mit Fragen europäischer Identität befasst. Bereits in der Präambel des EWGV hatten die sechs Gründungsstaaten zwar zum Ausdruck gebracht, dass sie die EWG trotz ihres wesentlichen Anliegens einer Wirtschaftsunion als Grundlage für den engen Zusammenschluss der europäischen Völker verstanden. Das Gemeinschaftsrecht sicherte im Interesse der Verwirklichung 183 184 185 186

Schulte, ZFSH/SGB 2002, 328 (335). Davy, ZESAR 2010, 307 (308). Pitschas, NZS 2010, 177 (180). Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 27.

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

des Gemeinsamen Marktes zunächst die Mobilität von Arbeitskräften und Studenten. Als „Marktbürgern“187 waren ihnen vor allem solche Rechte eingeräumt, die auf europaweit gleiche Arbeitsbedingungen gerichtet waren. Weitere Garantien über die genannten Personengruppen hinaus oder gar politische Rechte waren nicht vorgesehen: das Gemeinschaftsrecht gewährte eine rein ökonomische Teilhabe.188 1. Vom Marktbürger zum Unionsbürger Die Diskussion um ein „Europa der Bürger“ wurde anlässlich einer Gipfelkonferenz in Den Haag im Jahre 1969 in Gang gesetzt. In einer „Erklärung über die europäische Identität“189 brachten die Außenminister der damaligen EUMitgliedstaaten anlässlich eines Gipfels in Kopenhagen 1973 ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die Position der Europäischen Gemeinschaften in der Welt durch eine nähere Definition einer europäischen Identität gestärkt würde. Als deren Grundelemente wurden neben den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte auch der wirtschaftliche Fortschritt und die soziale Gerechtigkeit genannt. Die Kommission schlug aus Anlass des Gipfels nicht nur die Einführung eines Europäischen Passes vor, sondern auch die Gewährung „besonderer Rechte“ an alle Angehörigen der Mitgliedstaaten. Diese sollten Rechte umfassen, die die Nationalstaaten Fremden typischerweise nicht gewähren, namentlich das aktive und passive Wahlrecht oder Zugang zu öffentlichen Ämtern.190 Weitere Initiativen, etwa des Europäischen Parlaments191 und der Kommission192 für eine Öffnung der EWG und der schrittweisen Erweiterung der Freizügigkeit blieben jedoch zunächst ohne rechtsverbindliches Ergebnis.193 1981 wurde zwar bereits ein einheitlich gestalteter Europäischer Pass eingeführt, der zumindest nach außen die Einheit der Mitgliedstaaten und ein Zugehörigkeitsgefühl ihrer Staatsangehörigen demonstrieren sollte.194 1985 einigten sich die Benelux-Staaten, Frankreich und 187

Ipsen/Nicolaysen, NJW 1964, 339 (340). Callies in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (10); Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 95. 189 Dokument über die europäische Identität vom 14. 12. 1973, abgedruckt in Schulze/ Paul, Europäische Geschichte. Quellen und Materialien, S. 280. Zur ideengeschichtlichen Herleitung ausführlich Rabenschlag, Leitbilder der Unionsbürgerschaft, S. 56 ff. 190 Towards European Citizenship, KOM(1975) 322 und 323 vom 2.7.1975, Bulletin der Europäischen Union 1975, Beiheft 7, S. 9 f. 191 Entschließung zur Zuerkennung besonderer Rechte an die Bürger der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 1977, C 299, S. 26 ff. 192 Vorschlag für eine Richtlinie über das Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, ABl. 1979, C 207, S. 14 ff. 193 Ausführlich zur Entwicklung des Unionsbürgerkonzepts Wiener, Theory and Society 26 (1997) 529 (537 ff.). 194 Entschließung der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten 188

E. Europäische Sozialpolitik

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Deutschland im Schengener Abkommen195 auf die schrittweise Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Mitgliedstaaten. Mit diesen Mobilitätserweiterungen ging jedoch kein eigenständiger rechtlicher Status für die Angehörigen der Mitgliedstaaten einher. Ein Schritt hin zum sozialen Bürgerstatus wurde mit der 1989 verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer196 gegangen. Sie definierte grundlegende Rechte wie den Zugang zu Gesundheitsfürsorge oder Alterssicherung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Freizügigkeit. Ihr Geltungsbereich war jedoch – im Einklang mit dem Ziel Sozialdumping unter den Mitgliedstaaten zu verhindern197 – auf Arbeitnehmer beschränkt und damit weiterhin an die Marktbürgerschaft gebunden. Erst mit dem Maastricht-Vertrag hat die Unionsbürgerschaft als eigenständiges Rechtskonzept Eingang in das Primärrecht gefunden. Die Wirtschafts- und Währungsunion wurde um eine politische Gemeinschaft ergänzt. Standen zuvor die Arbeitnehmer und Selbständige im Fokus des Gemeinschaftsrechts, sollten nunmehr alle Bürger von den Möglichkeiten eines vereinten Europas profitieren. Die Union sollte nicht nur die Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch die der europäischen Völker fördern, ex-Art. A EUV. Die gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten waren damit von ihrer Wirtschaftsbezogenheit gelöst.198 2. Gehalt der Unionsbürgerschaft Gemäß Art. 20 I 2 AEUV wird die Unionsbürgerschaft durch die Staatsangehörigkeit in einem Mitgliedstaat vermittelt, sie ist also lediglich ein Derivat nationalen Rechts. Die Kompetenz zur Bestimmung von Zugangskriterien auch zur Unionsbürgerschaft liegt folglich allein bei den Mitgliedstaaten, nicht bei der politischen Einheit – der EU – auf die sie bezogen ist.199 der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Juni 1981, ABl. 1981, C 241, S. 1 ff. Dazu auch Bulletin der Europäischen Gemeinschaft 1975, Supplement 7, S. 7; Wiener, Theory and Society 26 (1997) 529 (541); Höfler, Die Unionsbürgerfreiheit, S. 23. 195 Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, abgedruckt in ABl. 2000, L 239, S. 13 ff. Das Abkommen wurde mit einem Protokoll zum Vertrag von Amsterdam 1999 als Schengen-Besitzstand in die rechtlichen Institutionen der EU überführt. Inzwischen haben alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands den Schengen-Besitzstand vollständig übernommen. 196 Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.1989, KOM (1989) 248 endg. 197 Wiener, Theory and Society 26 (1997) 529 (542). 198 Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, S. 124; Windisch-Graetz in Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa, S. 98; Hailbronner, JZ 2005, 1138 (1138); Schönberger, Unionsbürger, S. 319. 199 Perchinig in Bauböck, Migration and Citizenship, S. 70; Höfler, Die Unionsbürger-

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2. Kapitel: Historische Entwicklung

Dies hat zur Folge, dass Drittstaatsangehörige die Unionsbürgerschaft über das nationale Staatsangehörigkeitsrecht in einigen Mitgliedstaaten leichter (ius soli), in anderen schwerer (ius sanguinis) erwerben können. Die Mitgliedstaaten sind an die Entscheidung des die Staatsangehörigkeit gewährenden Staates gebunden. Sie dürfen daher keine zusätzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung anderer Staatsangehörigkeiten etablieren und die Gewährung der im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Rechte an deren Erfüllung knüpfen.200 Entsprechende Regelungen würden dem effet utile zuwiderlaufen, auf den die Mitgliedstaaten in Art. 4 III 3 EUV verpflichtet werden. Danach dürfen sie keine Maßnahmen ergreifen, die den Zielen der Europäischen Union zuwiderlaufen. Die Unionsbürgerschaft tritt gemäß Art. 20 I 3 AEUV neben die nationale Staatsangehörigkeit. Sie soll diese nicht ersetzen und vermag auch keine eigenständige Staatsangehörigkeit zu begründen.201 Die Union teilt folglich ihre Bürger mit den Mitgliedstaaten.202 Die Rechte und Pflichten der Unionsbürger bestimmen sich nach den Verträgen, Art. 20 II 1 AEUV. Spezifische Pflichten sind darin jedoch nicht normiert. Die Unionsbürger sind also – im Gegensatz zu nationalen Staatsangehörigen gegenüber dem Staat – nicht der Hoheit der Europäischen Union unterstellt, so dass Art. 20 I AEUV tatsächlich „nur“ einen Staatsbürgerstatus, nicht aber eine Staatsangehörigkeit begründet.203 Flankiert wird die Unionsbürgerschaft durch das in Art. 18 AEUV verankerte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Unter den Unionsbürgern hat die Staatsangehörigkeit damit kaum noch rechtliche Unterscheidungskraft.204

freiheit, S. 200 f.; Schönberger, Unionsbürger, S. 275 f.; Davis, ELRev 2002, 27(2), 121 (123); Eichenhofer, ZIAS 2003, 404 (406). 200 EuGH, Slg. 1992, I-4258, Rn. 10 (Micheletti); Slg. 2004, I-9925, Rn. 39 (Zhu und Chen). 201 Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 403; Callies in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (15). 202 Callies in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (17). 203 Kadelbach in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19, Rn. 24; Davis, ELRev 2002, 27(2), 121 (123). 204 Dazu ausführlich auf S. 133.

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3. Kapitel

Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts Mit dem Sozialgesetzbuch sollen gemäß § 1 I SGB I soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit verwirklicht werden. Die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins, der Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung, die Förderung der Familie und der Ausgleich besonderer Belastungen bilden die wesentlichen Motive des Sozialstaats.

A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I1 § 30 SGB I beschränkt den Kreis der Leistungsberechtigten auf jene Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt „in seinem Geltungsbereich“, also in der Bundesrepublik 2 haben.

I. Territorialer Bezug der Solidargemeinschaft Die Solidargemeinschaft ist nach dieser Norm also durch einen territorialen Bezug definiert. Staats- und völkerrechtlichen Ursprungs, ist dieses „Territorialprinzip“ Ausdruck und Folge der auf das Staatsgebiet beschränkten Rechtssetzungsbefugnis der Nationalstaaten: keinem Staat ist es gestattet, außerhalb seiner Grenzen Hoheitsgewalt auszuüben.3 Dies hat indes nicht zur Folge, dass es Staaten generell verwehrt wäre, Sachverhalte außerhalb des eigenen Territoriums zu regeln. Es bedarf lediglich einer tragfähigen, legitimen Anknüpfung, bei deren Auswahl dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zusteht. Sie kann territorialer, aber auch personaler Natur sein.4 Der Sozialstaat darf daher Leistungen an eigene Staatsbürger erbringen, die sich im Ausland aufhalten. Er kann sich aber auch auf die Regelung von Sachverhalten auf dem eigenen Territorium 1

Auszüge dieses Abschnitts sind erschienen in KritV 2011, 275. Zur historischen Begründung der Wortwahl vgl. Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30, Rn. 29 f. 3 Statt vieler Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 43. 4 v. Maydell, Internationales Sozialversicherungsrecht, in: Festschrift 25 Jahre BSG, Band 2, 1979, S. 943, 947; Becker in Hauck/Noftz, SGB I, § 30, Rn. 1; Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30, Rn. 18; Schulte, ZSR 1976, 334 (337). 2

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

beschränken.5 Die Aussagekraft des Begriffs „Territorialprinzip“ ist daher beschränkt.6 Für die Eingriffsverwaltung mag der Grundsatz seine Berechtigung haben.7 In der Leistungsverwaltung, also der klassischen Domäne des Sozialrechts, greift er zu kurz, wird hier doch weniger Hoheitsgewalt ausgeübt als einer staatlichen Einstandspflicht nachgekommen.8 Diese Einstandspflicht zielt auf die Gewährung gleicher Lebenschancen, die Sicherung von Solidarität und soll so soziale Gerechtigkeit bewirken. § 30 I SGB I soll also nicht die sozialstaatlichen Befugnisse auf das Territorium der Bundesrepublik begrenzen: der Sozialstaat regelt keine Gegenstände – die räumliche Ordnung – sondern die Lebensverhältnisse von Menschen. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der Etablierung des Wohnortprinzips von einer Anknüpfung der Leistungsgewährung an die Staatsangehörigkeit („Personalprinzip“) absehen.9 Durch die Anwendbarkeitserklärung nationalen Sozialrechts auf dem inländischen Territorium werden „Staatsfremde“ also in den Verband der Leistungsberechtigten integriert.10 Nicht die nationale, sondern die soziale Zugehörigkeit ist entscheidend. Der Sozialstaat ist mithin allen Personen verpflichtet, die ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik haben, in diese integriert und ihr dadurch besonders verbunden sind. Darüber hinaus lässt das Gesetz die Leistungserbringung ins Ausland aufgrund spezieller Regelungen in den besonderen Teilen des SGB zu und wird auf diese Weise den Bedürfnissen einer mobilen Gesellschaft mit grenzüberschreitenden Erwerbsbiografien gerecht.

II. Begriff des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts Der Wohnsitz ist dort begründet, wo jemand unter Umständen eine Wohnung innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und nutzen wird, § 30 III 1 SGB I. Dies erfordert nicht lediglich eine formale Begründung des Wohnsitzes durch polizeiliche Meldung, sondern das tatsächliche Innehaben und Nutzen einer Wohnung über einen längeren Zeitraum.11 Der gewöhnliche Aufenthalt – auf den nur beim Fehlen eines Wohnsitzes im Inland abzustellen ist – setzt voraus, dass sich jemand unter Umständen in der Bun5 BVerfGE 14, 221 (236); 81, 208; (223 f.); BVerfG, NZA 2000, 391; BVerfG, NJW 1998, 2963 (2964); BSGE 27, 129 (132); 24, 227 (227); 33, 280 (284 f.); 73, 293 (294). 6 Brackmann, BG 1977, 174 (174 f.); dazu auch Selb in Tomandl, Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, S. 19 ff. 7 Im Sozialrecht beispielsweise im Hinblick auf die Begründung der Versicherungspflicht, vgl. BSGE 33, 280 (285). 8 Maydell, VSSR 1973, 347 (359); Schulte, ZSR 1976, 334 (339 ff.); Selb in Tomandl, Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, S. 18. Dazu auch bereits BSGE 33, 280 (285 f.). 9 BT-Drs. 7/868, S. 27. 10 Selb in Tomandl, Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, S. 23. 11 BSGE 45, 95 (99); 53, 394 (295); 67, 243 (347 f.); ausführlich Seewald in KassKomm, SGB I, § 30, Rn. 15 ff.

A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I

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desrepublik aufhält, die darauf schließen lassen, dass der Aufenthalt nicht nur vorübergehend ist, § 30 III 2 SGB I. Dies ist der Fall, wenn die Bundesrepublik faktisch und dauerhaft zum Lebensmittelpunkt gemacht wird, wenn also der Aufenthalt nicht nur kurzfristig – sei es als Tourist oder als Geschäftsreisender, zu Besuchszwecken oder auf der Durchreise – genommen wird. Eine starre zeitliche Grenze besteht nicht. Insbesondere kann die in § 9 I 2 AO spezifisch für das Steuerrecht vorgesehene Sechsmonatsfrist nicht auf § 30 SGB I übertragen werden.12 § 30 I SGB I weist einen doppelten Regelungsgehalt auf: die Norm bestimmt als einseitige Kollisionsnorm, in welchen Fällen der persönliche Anwendungsbereich des deutschen Sozialrechts eröffnet ist und klärt zugleich die örtliche Zuständigkeit der diesem unterliegenden Sozialleistungsträger.13 Darüber hinaus soll durch das Abstellen auf die tatsächlichen Verhältnisse eine lediglich äußerliche, scheinbare Wohnsitzbegründung zum Zwecke der Inanspruchnahme von Sozialleistungen vermieden werden.14 Die im Allgemeinen Teil (SGB I) des Sozialgesetzbuchs niedergelegten Grundsätze werden durch die einzelnen Bücher konkretisiert. Dessen Normen beschreiben soziale Rechte, ohne selbst eine Anspruchsgrundlage zu vermitteln.15 Zum Erfordernis des gewöhnlichen Aufenthalts aus § 30 I SGB I treten also gegebenenfalls weitere Anspruchsvoraussetzungen hinzu, vgl. auch § 37 SGB I.

III. Freizügigkeit der Deutschen nach Art. 11 GG Deutschen ist in Art. 11 GG das Recht auf Freizügigkeit garantiert. Es sichert die in einer mobilen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft notwendige Bewegungsfreiheit und ist damit ein die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG konkretisierendes Grundrecht. 1. Schutzbereich Das Freizügigkeitsrecht weist zwei Dimensionen auf: die Bewegungsfreiheit innerhalb der Staatsgrenzen sowie die grenzüberschreitende Freizügigkeit als Recht zur Einreise in die Bundesrepublik. Erstere hat das BVerfG bereits in einer seiner ersten Entscheidungen anerkannt. Das Grundrecht aus Art. 11 I GG umfasse danach das „Recht, an jedem Orte innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen“.16 Art 11 I GG beschränkt sich jedoch nicht auf den Schutz der Bewegungsfreiheit zum Zwecke der Begründung eines Wohn12

BSGE 63, 47 (48); 63, 93 (99); 65, 84 (86); SozR 5870 § 1 Nr. 12. BSGE 67, 243 (245); Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30, Rn. 7; Seewald in KassKomm, SGB I, § 30, Rn. 2; Selb in Tomandl, Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, S. 22. 14 BT-Drs. 7/3786, S. 5. 15 Weselski in jurisPK-SGB I, § 9, Rn. 10. 16 BVerfGE 2, 266 (273); vgl. auch BVerfGE 8, 95 (97); 80, 137 (150). 13

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

sitzes, sondern gewährt auch ein Bleiberecht an diesem frei gewählten Ort und schützt den Einzelnen beispielsweise vor Ausweisung oder Abschiebung.17 Die Herleitung der grenzüberschreitenden Dimension ist zwar angesichts des Wortlauts der grundrechtlichen Verbürgung – „Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“ – problematisch. Dieser deutet darauf hin, das Territorium der Bundesrepublik begrenze den räumlichen Geltungsbereich des Freizügigkeitsrechts und schließe damit die freie Ein- und Ausreise aus. Indes hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass auch die Einreise, welche die Wohnsitzbegründung in der Bundesrepublik erst ermöglicht, vom Schutzbereich des Art. 11 I GG erfasst ist.18 Das Recht auf Ausreise ist dagegen nicht Gegenstand der grundrechtlich geschützten Freizügigkeit. Begründet wird dies mit dem Wortlaut des Art. 11 I GG, welches das „ganze Bundesgebiet“ als territorialen Bezug etabliert. Das Verlassen dieses Territoriums könne der Natur der Sache nach nicht vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst sein.19 2. Schranken Die Freizügigkeit ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Sie kann nach Art. 11 II GG durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wenn die Grundrechtsträger ihre Lebensgrundlage nicht sicherstellen können und der Allgemeinheit dadurch besondere Lasten entstehen würden. Die Lebensgrundlage ist nach ständiger Rechtsprechung als gesichert anzusehen, wenn der Betreffende aufgrund seines Alters, Berufs und Gesundheitszustands in der Lage ist, sich seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob ihm der Zugang zum Arbeitsmarkt rechtlich möglich ist.20 Eine weitere Schranke bildet der Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährden sowie vor Seuchen, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen. Die Beschränkungsmöglichkeit wegen Fehlens einer gesicherten Lebensgrundlage ist sozialpolitisch motiviert. Sie soll die Allgemeinheit von finanziellen, namentlich durch das Sozialrecht begründeten Lasten freistellen, die aus einer unregulierten Wohnsitzbegründung resultieren können. Dies betrifft darüber hinaus namentlich infrastrukturelle Lasten, beispielsweise durch die Notwendigkeit der Bereitstellung von Wohnraum, Schulen und Kindergärten oder 17 Ob diese Freiheit grundrechtsdogmatisch als Ausdruck der positiven Freizügigkeit einzuordnen ist, die ohne diese Bleiberecht sinnentleert würde oder ob es aus der negativen Freizügigkeit, also der Freiheit, sich nicht im Bundesgebiet zu bewegen, herzuleiten ist, kann an dieser Stelle dahinstehen, vgl. dazu Baldus in Epping/Hillgruber, Art. 11 GG, Rn. 4. 18 BVerfGE 2, 266 (273); 43, 203 (211); 110, 177 (190 f.). 19 Ablehnend m.w.N. zum Streitstand BVerwGE 3, 130 (133); das Recht auf Ausreise bejahend Pernice in Dreier, GG, Art. 11, Rn. 15. 20 BVerwGE 5, 31 (35); 6, 173 (175).

A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I

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Maßnahmen zur Integration von Zuwanderern.21 Dem Gesetzgeber wird damit ein Instrument in die Hand gegeben, um die Ansiedlung im Bundesgebiet zu steuern und zu streuen und damit der Überlastung einzelner Gemeinden vorzubeugen.22 3. Grundgesetzlicher Schutz der Freizügigkeit für Ausländer? Das als Deutschengrundrecht konzipierte Freizügigkeitsrecht aus Art. 11 I GG versagt Ausländern das Recht zur freien Einreise und Aufenthalt in die Bundesrepublik. Eine solche Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit ist in nationalem Verfassungsrecht möglich und zulässig. Weder die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 I GG noch der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 I, III GG verbieten eine solche Unterscheidung bei der Gewährung von Aufenthaltsrechten. Dies wäre nur der Fall, wenn der Ausschluss Nicht-Deutscher aus dem Geltungsbereich einzelner Grundrechte gleichzeitig deren Menschenwürde verletzen würde.23 Die Regelung beruht auf der Annahme, dass alle Menschen eine Staatsangehörigkeit haben, aufgrund derer sie Aufnahme in einem Staat finden. Dieses Prinzip lässt sich bei Staatenlosen – Personen, die von keinem völkerrechtlich existierenden Staat als Staatsangehörige betrachtet werden24 – nicht durchhalten, woraus sich deren völkerrechtliche Sonderstellung25 erklärt. a. Freizügigkeit der Unionsbürger aus Art. 11 GG? Ausgehend vom Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 AEUV 26 und dem in Art. 23 I GG verankerten27 Geltungsvorrang europäischen Rechts wird diskutiert, ob der personelle Schutzbereich der Deutschengrundrechte zu erweitern sei, so dass sich auch Unionsbürger auf diese berufen können. Die Befürworter argumentieren, nationales Verfassungsrecht kollidiere mit Europarecht, wenn es Deutschen Rechtspositionen einräume, die es Ausländern – insbesondere Unionsbürgern – vorenthalte. Dieser Konflikt sei 21 Diese müssen freilich die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben, da sie anderenfalls nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Freizügigkeit erfasst wären. 22 Von dieser Möglichkeit hatte der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler Gebrauch gemacht; vgl. BVerfGE 110, 177; dazu kritisch Silagi, ZAR 2004, 225. 23 Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (77 f.); Wernsmann, JURA 2000, 657 (657). 24 Art. 1 StlÜbk, Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954, BGBl. 1976 II S. 474 ff. 25 Sie haben nach Art. 26 StlÜbk zwar ein Recht auf freie Wahl ihres Aufenthaltsorts und auf Freizügigkeit im Aufenthaltsstaat. Dieses steht jedoch unter der Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, welche eine Aufenthaltserlaubnis voraussetzt, deren Erteilung sich allein nach dem nationalen Recht des Aufenthaltsstaates richtet; BVerwGE 87, 11 (16). 26 Dazu ausführlich auf S. 144 ff. 27 BVerfGE 37, 271 (280); 58, 1 (28); 59, 63 (90).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

aufgrund des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlicher Regelungen zugunsten des Europarechts aufzulösen. Art. 11 I GG sei danach so zu interpretieren, dass der Deutschenvorbehalt in Bezug auf Unionsbürger nicht anwendbar sei28 oder dass Unionsbürger als Deutsche i.S.d. Deutschengrundrechte anzusehen seien.29 Nach der Gegenauffassung ist eine solche erweiternde Auslegung nicht geboten. Den Gleichbehandlungsansprüchen der Unionsbürger werde auch durch das Auffanggrundrecht des Art. 2 I GG genügt. Das Europarecht gebiete keine völlige Gleichstellung, sondern verbiete lediglich die Schlechterstellung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen. Zudem sei eine Aufspaltung des Begriffs der Deutschen – was im Übrigen gegen den eindeutigen Wortlaut des Art. 116 GG spreche – in den freiheitlichen Grundrechten wie Art. 11, 12 GG einerseits und den politischen Grundrechten wie Art. 38 GG andererseits zu vermeiden.30 b. Bewegungsfreiheit von Migranten als Handlungsfreiheit i.S.v. Art. 2 I GG Die Einreise- und Bewegungsfreiheit sämlticher nichtdeutscher Migranten ist mithin aus der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG oder der Freiheit der Person nach Art. 2 II 2 GG herzuleiten.31 Denn der Deutschenvorbehalt des Art. 11 I GG entfaltet keine Sperrwirkung in dem Sinne, dass die freizügigkeitsbezogenen Aspekte der Handlungsfreiheit ebenfalls nur Deutschen zustünden. 32 Ein allgemeines Aufenthaltsrecht für Ausländer lässt sich aus dem Rückgriff auf das Auffanggrundrecht gleichwohl nicht herleiten.33 Freilich reichen die Möglichkeiten zur Beschränkung des grundrechtlichen Schutzes in Art. 2 I GG viel weiter als die Schranken des Art. 11 I GG.34 Die allgemeine Handlungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt der Rechte Dritter, der verfassungsmäßigen Ordnung oder des Sittengesetzes. Damit ist es dem Gesetzgeber gestattet, die Handlungsfreiheit gesetzlich auszugestalten. Für Einreise und Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik ist das AufenthG maßgeblich. Sie dürfen ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach § 4 I AufenthG im Inland 28 Pernice in Dreier, GG, Art. 11, Rn. 20; im Ergebnis auch Wernsmann, JURA 2000, 657 (661). 29 Zuleeg, DÖV 1973, 361 (364 f.); Rabenschlag, Leitbilder der Unionsbürgerschaft, S. 234. 30 Durner in Maunz/Dürig, GG, Art. 11, Rn. 65; Bauer/Kahl, JZ 1995, 1077 (1082 f.). 31 BVerfGE 35, 382 (398), dazu kritisch Schwabe, NJW 1974, 1043 (1044 f.); Pernice in Dreier, GG, Art. 11, Rn. 18; ausführlich Tiemann, NVwZ 1987, 10 (12); Quaritsch in Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 120, Rn. 130. Nach Siehr, Die Deutschengrundrechte des Grundgesetzes, S. 488 f. ist auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG abzustellen. 32 Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (80); Durner in Maunz/Dürig, Art. 11 GG, Rn. 62; Zuleeg, DÖV 1973, 361 (362); ausführlich Zuleeg, RdA 1975, 221 (222 f.). 33 BVerwGE 100, 335 (343); a.A. Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 212. 34 Wernsmann, JURA 2000, 657 (658); Zuleeg, DÖV 1973, 361 (363).

A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I

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nur begründen, wenn ihnen ein Aufenthaltstitel erteilt worden ist. Das Recht statuiert also ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.35 § 4 I 1 AufenthG stellt zugleich einen Vorbehalt abweichender Regelungen durch Rechtsverordnung36 sowie im Europa- oder Assoziationsrecht auf. 37 Ein Aufenthaltstitel ist danach nicht erforderlich, wenn sich ein Aufenthaltsrecht aus diesen Rechtsinstrumenten ergibt. Aber auch internationales Recht gewährt keine „kosmopolitische Freizügigkeit“ im Sinne einer generellen Einreisefreiheit für Staatsfremde.38 Der Gesetzgeber hat die supranationalen Regelungen in weiten Teilen in das AufenthG aufgenommen und dort ausgeformt. c. Recht zur Einreise aus Art. 6 I GG Auch aus dem grundgesetzlichen Schutz der Familie in Art. 6 I GG ist ein verfassungsrechtliches Einreiserecht von Ausländern hergeleitet worden, wenn die Einreise der Herstellung der familiären Gemeinschaft dient. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein eigenes Grundrecht des um Einreise Ersuchenden, sondern um einen „Grundrechtsreflex“, den dieser aus dem Inlandsaufenthalt seiner Familienangehörigen ableiten kann.39 Das AufenthG trägt auch dieser Grundrechtsposition Rechnung mit umfangreichen Regelungen zum Familiennachzug zu Deutschen und Ausländern.40

IV. Berechtigung zum Aufenthalt als Tatbestandsmerkmal des gewöhnlichen Aufenthalts? Ob der gewöhnliche Aufenthalt i.S.v. § 30 I SGB I nur im Falle seiner materiellen Rechtmäßigkeit begründet ist, ist umstritten. Der Wortlaut des § 30 III SGB I legt ein Abstellen auf die tatsächlichen Umstände nahe, um einen Sozialleistungsmissbrauch durch eine bloß formale Wohnsitznahme zu verhindern. 35 Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 93; Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 24; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 28. 36 Aufenthaltsverordnung vom 25. November 2004, BGBl. 2004 I S. 2945. Die AufenthV sieht eine Befreiung von der Visapflicht, dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels für bestimmte Arten von Kurz- oder Transitaufenthalten, für die Inhaber bestimmter Ausweise oder für Forschungsmigranten vor. 37 Vor diesem Hintergrund hält auch Störmer, AöR 1998, 541 (557) die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs der Deutschen-Grundrechte auf alle Unionsbürger für entbehrlich, ergebe sich deren Rechtsposition doch bereits aus dem höherrangigen und unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht. 38 Pernice in Dreier, GG, Art. 11 GG, Rn. 3; Renner, Ausländerrecht, § 1 AufenthG, Rn. 4. 39 Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (65); BVerfGE 51, 386 (396); 76, 1, (45); 80, 81 (92 f.); zur europarechtlichen Herleitung EuGH, Slg. 2002, I-6279, Rn. 38 ff. (Mary Carpenter); zur menschenrechtlichen Dimension EGMR, NJW 1986, 3007 (Abdulaziz). 40 Dazu auf S. 103 ff. Ausführlich Walter, Familienzusammenführung in Europa: Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht, Nationales Recht.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

1. Formelle Rechtmäßigkeit als Voraussetzung der Zukunftsoffenheit Nach der vormals von der Rechtsprechung vertretenen „Einfärbungslehre“ ergibt sich die konkrete normative Bedeutung der in § 30 SGB I verwendeten Begriffe erst aus dem Gesetz, das sie verwendet. Der Wohnsitz- und Aufenthaltsbegriff des § 30 I SGB I werde also durch den jeweiligen Gesetzeszweck sozialleistungsspezifisch „eingefärbt“.41 Das BSG hat diese auf einer methodisch problematischen Bild- und Metaphernsprache beruhende Rechtsprechung inzwischen zugunsten einer für alle Sozialleistungen einheitlichen Auslegung des § 30 SGB I aufgegeben. Nur im Falle einer ausdrücklichen anderslautenden Regelung in den besonderen Teilen des SGB sei ein abweichendes Verständnis vom Wohnsitz- oder Aufenthaltsbegriff, im Übrigen aber eine einheitliche Auslegung geboten.42 Davon unberührt sei jedoch der Umstand, dass es für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des deutschen Sozialrechts nicht allein auf den faktischen Aufenthalt, also die rein physische Präsenz auf dem Bundesgebiet ankomme. Der Aufenthalt müsse auch materiell rechtmäßig sein. Denn er sei erst und nur dann „gewöhnlich“ i.S.v. § 30 III SGB I, wenn er auch ausländerrechtlich beständig sei, also dem Ausländer gleich einem Inländer ein zukunftsoffenes, zeitlich unbestimmtes Verweilen in der Bundesrepublik erlaube. Die aufenthaltsrechtlichen Vorgaben bildeten mithin einen Teil der „Umstände“ nach § 30 III SGB I, anhand derer die Prognose über die Aufenthaltsdauer zu erfolgen habe. Der Bleibewille des um Sozialleistungen Nachsuchenden sei insofern nicht zu berücksichtigen.43 Zudem gebiete die Einheitlichkeit der Rechtsordnung, dass ein aufenthaltsrechtlich unzulässiger Aufenthalt nicht über das Sozialrecht legitimiert und zum Anknüpfungspunkt für Rechtsansprüche gemacht werde.44 2. Prognose der tatsächlichen Zukunftsoffenheit Gegen diese Rechtsprechung wird vorgebracht, eine solche Auslegung begründe zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen, die sich dem Wortlaut des SGB nicht entnehmen ließen. Sie gehe daher über eine bloße Auslegung des Gesetzestextes hinaus. § 30 III SGB I bleibe nach dieser Auffassung ohne jeden Regelungsge41

Zur Familienkrankenhilfe BSGE 57, 93 (95 f.); zum freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung BSGE 60, 262 (264); zum Bundeserziehungsgeld BSGE 62, 67 (71) sowie BSGE 67, 243 (249); zum Kindergeld BSG, SozR 5870 § 1 Nr. 12; zur rentenrechtlichen Relevanz von Kindererziehungszeiten BSG, SozR 3–1200 § 30 Nr. 11 sowie BSG, SozR 3–1200 § 30 Nr. 21; zur Sozialhilfe für Deutsche im Ausland BVerwGE 99, 158 (162). Zustimmend Moritz, SGb 1988, 45 (46). 42 BSGE 63, 47 (51); BSG, SozR 3–1200 § 30 Nr. 15. 43 BSGE 67, 238 (242); 67, 243 (248 f.); 71, 78 (80 f.); 80, 209 (211 f.); BSG, SozR 5870 § 1 Nr. 12; SozR 3–1200 § 30 Nr. 15; zustimmend Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (303); Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 711. 44 BSGE 65, 261 (263 f.); BSG, SozR 3–6710 Art. 1 Nr. 1; SozR 3–2600 § 56 Nr. 7.

A. Gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment des § 30 SGB I

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halt. Zwar sei es dem Gesetzgeber unbenommen, sozialrechtliche Ansprüche an einen bestimmten aufenthaltsrechtlichen Status zu knüpfen. Wenn sich entsprechende Regelungen nur in einzelnen Zweigen sozialer Sicherheit finden – etwa in § 1 III BKGG, § 1 VII BEEG, § 6 II SGB VIII, § 1 VI OEG – sei daraus zu folgern, dass derartige Einschränkungen gerade nicht generell im Sozialrecht gelten sollen. Es komme daher grundsätzlich nicht auf das Bestehen eines bestimmten Aufenthaltstitels an.45 Auch die Vertreter der Gegenposition halten es jedoch für zulässig, den Begriff des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts unter Rückgriff auf aufenthaltsrechtliche Wertungen zu interpretieren. Die nach dem AufenthG zu erteilenden Aufenthaltstitel erlaubten zumindest eine Prognose über die Zukunftsoffenheit, d.h. die Dauer des Aufenthalts und damit über dessen Potenzial zur Begründung des Lebensmittelpunkts in der Bundesrepublik. Im Ergebnis nähern sich beide Positionen auf diesem Wege an. Denn steht fest, dass ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist und auch keine Abschiebungshindernisse bestehen, verneint die Rechtsprechung die Eröffnung des Geltungsbereichs des SGB ebenso wie die Literatur – diese gestützt auf das Fehlen eines materiellen Aufenthaltsrechts, jene auf eine Negativprognose, die sich aber wiederum am materiellen Aufenthaltsrecht orientiert.46 Daraus folgt, dass in der Erlaubtheit des Aufenthalts, nicht aber in der Staatsangehörigkeit ein maßgeblicher Bestimmungsgrund für die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem Staat liegt.

V. Sozialhilfebedürftigkeit als Einreisehindernis Die Erteilung eines Aufenthaltstitels erfodert, dass die in § 5 I, II AufenthG enumerierten Voraussetzungen erfüllt sind. Unter anderem muss die Identität des Migranten geklärt sein, er muss über einen Pass verfügen und mit dem erforderlichen Visum in die Bundesrepublik eingereist sein. Ausweisungsgründe nach §§ 53–55 AufenthG dürfen ebenso wenig vorliegen wie sonstige Umstände, die eine Beeinträchtigung oder Gefährdung der Interessen der Bundesrepublik durch den Aufenthalt des Ausländers begründen. Zu den geschützten Interessen zählen alle staatlichen oder öffentlichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen.47 Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt im Einklang damit regelmäßig voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist, § 5 I Nr. 1 AufenthG. Nur bei den humanitären Aufenthaltstiteln wird von diesem Erfordernis abgesehen, § 5 III AufenthG. 45 Brackmann, BG 1977, 173 (175); Schlegel in JurisPK-SGB I, § 30, Rn. 51; Seewald in KassKomm, SGB I, § 30, Rn. 1. So aber auch BSGE 63, 93 (97): „vorausschauende Betrachtungsweise“ sowie BSGE 80, 209 (211). 46 Vgl. auch Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30, Rn. 55, der auf BSGE 65, 84 verweist und zum gleichen Ergebnis kommt. 47 Renner, Ausländerrecht, § 4 AufenthG, Rn. 27; vgl. auch BVerwGE 61, 105 (107 f.).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

Maßgeblich ist nur die Unterhaltssicherung des den Aufenthaltstitel begehrenden Ausländers selbst, nicht aber die seiner Familienangehörigen. Denn anderenfalls würden Aufenthaltswillige mit Familie gegenüber Alleinstehenden benachteiligt.48 Der Lebensunterhalt gilt als gesichert, wenn der Ausländer hierzu keine öffentlichen Mittel in Anspruch nehmen muss. Dies ist der Fall, wenn er selbst über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügt oder diese aus privaten Mitteln Dritter, beispielsweise Unterhaltszahlungen erhält, vgl. § 2 III AufenthG. Alternativ kann ein Dritter eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgeben. Darin verpflichtet er sich als selbstschuldnerischer Bürge, für sämtliche Aufwendungen zur Sicherung des Lebensunterhalts des Ausländers aufzukommen.49 Maßgeblich sind die individuellen Bedürfnisse des Einreisenden für Ernährung, Wohnraum, Kleidung und Hygiene, nicht aber besondere, außergewöhnliche und unvorhersehbare Belastungen.50 Zwingend erforderlich ist auch ein ausreichender Krankenversicherungsschutz, der zumindest der Art nach den in der deutschen Sozialversicherung geltenden Bedingungen entspricht. 51 Der Höhe nach müssen die Mittel nach allgemeiner Auffassung52 in etwa den Umfang der Regelsätze nach dem SGB II oder SGB XII erreichen. Wird eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung beantragt, müssen die Mittel gemäß § 2 III 5 AufenthG den im BAföG vorgesehenen Regelsätzen entsprechen. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 20 AufenthG zum Zwecke der Forschung setzt einen Betrag von 2/3 der Bezugsgröße in der Rentenversicherung nach § 18 SGB IV voraus, § 2 III 6 AufenthG. Die Ausländerbehörden haben insoweit eine Prognose zu treffen, denn die Fähigkeit zum Selbstunterhalt darf nicht nur vorübergehender Natur sein.53 Daher muss beispielsweise ein Arbeitsverhältnis, aus dessen Einkünften der Lebensunterhalt bestritten werden soll, unbefristet sein.54 Unschädlich ist der Bezug von Sozialleistungen, denen eigene Beitragsleistungen zugrunde liegen. Wesentlicher Anwendungsbereich des § 5 I Nr. 1 AufenthG ist daher der Sozialhilfebezug. Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt wird mit dem öffentlichen Interesse begründet: dieses werde verletzt, wenn ein Aufenthaltstitel trotz absehbarer Bedürftigkeit erteilt wird. Aus der Formulierung als Regelvoraussetzungen folgt, dass 48 Dienelt/Röseler in Renner, Ausländerrecht, § 2 AufenthG, Rn. 17; neuerdings auch BVerfG, NVwZ 2010, 1302 (1303); a.A. VGH Kassel, ZAR 2006, 145 (146), welches auf die Bedarfssicherung für den Ausländer und dessen Ehefrau abstellt. 49 Zur Rechtsnatur solcher Verpflichtungserklärungen vgl. Brunner, ZAR 1991, 23. 50 EuGH, Slg. 2010, I- 1839, Rn. 48 (Chakroun) = Rs. C-578/08 weist ausdrücklich darauf hin, dass es nur auf den Regelbedarf ankommen kann. 51 So bereits BVerwGE 94, 35 (44) zum AuslG 1990; vgl. auch Marx, ZAR 2010, 222 (226); Renner, Ausländerrecht, § 2 AufenthG, Rn. 16. 52 Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 96 m.w.N.; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 15; VGH Kassel, ZAR 2006, 145 (146). 53 BVerwGE 66, 29 (30 f.). 54 OVG Berlin-Brandenburg, InfAuslR 2006, 277.

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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von den in § 5 I AufenthG statuierten Anforderungen im Einzelfall aufgrund besonderer, atypischer Umstände abgewichen werden kann. Bei allen Ermessensentscheidungen haben sich die Ausländerbehörden jedoch von dem übergeordneten Ziel des AufenthG leiten zu lassen.55 Dieses liegt nach § 1 I AufenthG in der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern im Hinblick auf die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik sowie deren humanitäre Verpflichtungen. Daraus folgt, dass namentlich eine Zuwanderung zum Zweck des Sozialhilfebezugs unzulässig ist, so dass neu einreisende Bedürftige grundsätzlich keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründen können.

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet Um legal in die Bundesrepublik einreisen zu können, müssen Ausländer gemäß §§ 13 I 2, 3 I AufenthG in Besitz eines gültigen Reisepasses sein. Dieser fungiert als Identitätsdokument: er gibt Aufschluss über die Person seines Inhabers, d.h. deren Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Aussehen. Auch der Aufenthalt steht unter dem Vorbehalt seiner behördlichen Genehmigung. Um auf dem Territorium der Bundesrepublik verbleiben zu können, bedürfen Ausländer nach § 4 AufenthG eines Aufenthaltstitels. Die Aufenthaltstitel werden als Visum, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG erteilt. Diese Regelung steht unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen im Recht der Europäischen Union, dem Assoziationsrecht oder in Rechtsverordnungen der Bundesregierung. Für den Gehalt der Einreise- und Aufenthaltsberechtigung ist deswegen nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren, ja mehr: ihr kommt für das Recht auf Aufenthaltsbegründung eines zentrale Bedeutung zu. Diese Verknüpfung zwischen Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsberechtigung zieht sich durch die Verfassungsordnungen nahezu aller westlichen Staaten.56

I. Unionsrechtlich begründete Aufenthaltsrechte Der Aufenthalt von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen in der Bundesrepublik ist im FreizügG/EU geregelt. Dieses begründet jedoch keine Rechtspositionen, sondern gibt lediglich die bereits aus dem Unionsrecht resultierenden Rechte wieder. Einreise- und Aufenthaltsrechte ergeben sich also trotz der einzelstaatlichen Regelung unmittelbar aus Europarecht.57 Aufgrund seiner 55

Marx, ZAR 2010, 222 (223); Renner, Ausländerrecht, § 1 AufenthG, Nr. 1.1.1. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 21 Rdnr. 41; Schönberger, Unionsbürger, 2005, S. 302 f. 57 Statt vieler Renner, Ausländerrecht, § 1 AufenthG, Rn. 16. 56

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

unionsrechtlichen Herleitung ist das FreizügG/EU vorrangig gegenüber den allgemeinen Regelungen des AufenthG ist, § 1 II Nr. 1 AufenthG. Etwas anderes gilt nur, wenn und soweit ein Unionsbürger nicht freizügigkeitsberechtigt ist oder soweit das AufenthG eine Begünstigung beinhaltet, § 11 I, II FreizügG/EU. Vom seinem persönlichen Geltungsbereich sind zum einen Unionsbürger erfasst, zum anderen deren Familienangehörige58 ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, folglich auch Drittstaatsangehörige. Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger haben ein uneingeschränktes Recht auf Einreise und Aufenthalt, § 2 II FreizügG/EU. Freizügigkeitsberechtigt ist, wer von den Grundfreiheiten des Vertrags Gebrauch macht, sich also als Arbeitnehmer, Beschäftigungssuchender oder Auszubildender in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, sich als Selbständiger niederlässt oder Dienstleistungen anbietet oder diese in Anspruch nehmen will, § 2 II Nr. 1–4 FreizügG/EU. Gemäß § 2 IV FreizügG/EU benötigen diese Personen weder Visum noch Aufenthaltstitel. Für die ersten drei Monate sind sie von jedweden Anforderungen freigestellt. Ihnen wird gemäß § 5 I FreizügG/EU von Amts wegen eine Bescheinigung über ihr Aufenthaltsrecht (Freizügigkeitsbescheinigung) ausgestellt. Diese hat jedoch keine konstituierende, sondern lediglich deklaratorische Wirkung. Die Freizügigkeitsbescheinigung ist daher kein Aufenthaltstitel.59 Der unter Inanspruchnahme der Grundfreiheiten begründete Aufenthalt ist allerdings rechtmäßig und im Hinblick darauf als „gewöhnlich“ i.S.v. § 30 III SGB I zu qualifizieren, wenn er zukunftsoffen ist. Will ein Freizügigkeitsberechtigter also seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik begründen, ist der Anwendungsbereich des SGB eröffnet. 1. Grundfreiheiten im Primär- und Sekundärrecht Für Arbeitnehmer und Selbständige ist die Bewegungsfreiheit bereits seit 1957 im Primärrecht verankert.60 Die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 III AEUV vermittelt Arbeitnehmern das Recht, sich in das Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten zu begeben, um sich dort auf Stellenangebote zu bewerben oder eine Beschäftigung auszuüben. Die Freizügigkeit umfasst auch das Recht, nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses in diesem Mitgliedstaat zu verbleiben. Einschränkungen dieser Grundfreiheit sind nur im Einzelfall aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit zulässig.61 Zugleich ist jede unterschiedliche, an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Behandlung 58 Nach EU-Recht wären jedoch auch die Familienangehörigen deutscher Unionsbürger in den Geltungsbereich des Gesetzes einzubeziehen, vgl. Fischer-Lescano, ZAR 2005, 288. 59 Renner, Ausländerrecht, § 1 AufenthG, Rn. 16. 60 Für die im Zuge der Erweiterung der EU im Jahre 2004 und 2007 aufgenommenen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten ist die Freizügigkeit vorübergehend suspendiert worden, dazu ausführlich Fuchs, ZESAR 2007, 97; Solka, ZAR 2008, 87. 61 Scheuing, EuR 2003, 744 (748); Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 114.

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung untersagt. Selbständigen ist in Art. 49 I AEUV das Recht auf freie Niederlassung zur Ausübung ihres Gewerbes, Dienstleistungserbringern in Art. 56 AEUV das Recht auf Angebot ihrer Leistungen in allen Mitgliedstaaten eingeräumt. Mit der VO (EWG) 1612/6862 hatte der Gemeinschaftsgesetzgeber ein umfassendes sekundärrechtliches Regelwerk zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer erlassen. Die umfassende Rechtsprechung und die grundlegenden Änderungen zu dieser Verordnung haben nunmehr Eingang in die VO (EU) 492/201163 gefunden. Diese gestattet es den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ungeachtet ihres Wohnsitzes, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben, Art. 1 VO (EU) 492/2011. Dies schließt die Begründung eines Wohnsitzes in diesem Mitgliedstaat ein. Darüber hinaus vermittelt die Verordnung einen Anspruch auf umfassende Gleichbehandlung mit inländischen Arbeitnehmern, sei es im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen, sei es in Bezug auf die Inanspruchnahme öffentlicher Unterstützung, beispielsweise durch die Arbeitsverwaltung, oder steuerlicher und sozialrechtlicher Vergünstigungen, Art. 7 VO (EU) 492/2011. Als Vergünstigungen gelten alle Leistungen, die Arbeitnehmern gewährt werden – sei es aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Inland, sei es wegen ihres dort belegenen Wohnsitzes – und die geeignet sind, die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der EU zu erleichtern.64 2. Unionsbürgerfreizügigkeit Die seit Gründung der EWG primärrechtlich verbürgten Freiheiten setzten die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit voraus. Sie waren und sind Folge wie notwendige Bedingung des Wirtschaftsraums ohne Binnengrenzen, als den sich die EU gemäß Art. 26 II AEUV versteht: in dieser Wirtschaftsunion sollen und müssen sich Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital frei bewegen können. Für die Etablierung einer entsprechenden Bewegungsfreiheit für wirtschaftlich Inaktive bestand vor diesem Hintergrund zunächst kein Anlass. Erstmals mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Luisi und Carbone65 ging eine Neuausrichtung der Grundfreiheiten einher. Der freie Dienstleistungsverkehr umfasse nicht nur die aktive Dimension des Anbietens der Leistung, son62 Verordnung (EWG) 1612/68 vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. L 257 vom 19.10.1968, S. 2 ff. 63 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1 ff. 64 EuGH, Slg. 1979, 2019, Rn. 22 (Even); Slg. 1982, 33, Rn. 11 (Reina); Slg. 1984, 3199, Rn. 11 (Castelli); Slg. 1985, 973, Rn. 20 (Hoeckx); Slg. 1998, I-2691, Rn. 25 (Martínez-Sala); Slg. 2007, I-6909, Rn. 48 (Hendrix). 65 EuGH, Slg. 1984, 377, Rn. 16 (Luisi und Carbone).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

dern weise auch eine passive Dimension, das Recht auf deren Inanspruchnahme auf. Daher sei notwendig auch den Dienstleistungsempfängern – Touristen, Geschäfts- und Studienreisende oder Patienten – die Freiheit einzuräumen, sich ohne Einschränkungen in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Freiheit der Dienstleistungsempfänger war damit ebenfalls an eine wirtschaftliche Aktivität – die des Dienstleistungsanbieters – geknüpft. Im Zuge der Öffnung des Marktbürgerstatus sind 1990 im Sekundärrecht Freizügigkeitsregelungen für die Personengruppen geschaffen worden, die bis dahin vom Primärrecht nicht erfasst waren. In drei Aufenthaltsrichtlinien wurde Rentnern66, Studenten67 und anderen nicht aufenthaltsberechtigten Personen68 konstitutiv Freizügigkeit eingeräumt. Das bis dahin rein binnenmarktorientierte Recht auf Mobilität ist damit auf alle Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeweitet worden.69 Mit dem Vertrag von Maastricht ist schließlich die Bewegungsfreiheit in der Europäischen Union vollständig vom wirtschaftlichen Bezug gelöst und damit von einem bloßen Begleitrecht ökonomischer Aktivität zur Bürgerfreiheit70 fortentwickelt worden. Als Unionsbürgern ist den Staatsangehörigen aller Mitgliedstaaten nunmehr nach Art. 20 II 2 lit. a, 21 AEUV Freizügigkeit in der gesamten Europäischen Union garantiert. Sie haben daher unabhängig vom Bestehen eines nationalrechtlichen Aufenthaltstitels71 und unabhängig von der Ausübung einer Beschäftigung oder vom Betreiben eines Gewerbes72 das Recht, sich frei in jedem Mitgliedstaat zu bewegen und aufzuhalten73 und können mithin einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 30 III SGB I begründen. a. Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Mit der das erweitere Verständnis von Freizügigkeit konkretisierenden Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG74 sind die einzelnen sekundärrechtlichen Rechtsakte zur Freizügigkeit in eine einheitliche Regelung überführt worden. 66 Richtlinie 90/365/EWG vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, ABl. L 180 vom 13.7.1990, S. 28 ff. 67 Richtlinie 90/366/EWG vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der Studenten, ABl. L 180 vom 13.7.1990, S. 30 ff. 68 Richtlinie 90/364/EWG vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht, ABl. L 180 vom 13.07.1990, S. 26 f. 69 Höfler, Die Unionsbürgerfreiheit, S. 49 ff. 70 Vgl. Becker, EuR 1999, 522. 71 EuGH, Slg. 1976, 497, Rn. 31 (Royer); Slg. 1989,723, Rn. 25 (Echternach und Moritz); Slg. 1992, I-1027, Rn. 42 (Raulin). 72 EuGH, Slg. 2002, I-7091, Rn. 83 f. (Baumbast). 73 Im Verhältnis zu Art. 45 AEUV ist dies das allgemeinere Recht, Husmann, NZS 2009, 547 (547); Kadelbach in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19, Rn. 38. 74 Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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Die Unionsbürgerrichtlinie räumt dem Einzelnen einen gestuften Zugang zum Aufenthalt und auch zu den Leistungen sozialer Sicherheit anderer Mitgliedstaaten ein. In Art. 6 RL 2004/38/EG ist Unionsbürgern voraussetzungslos das Recht auf einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten eingeräumt. Sie haben lediglich durch einen Personalausweis oder Reisepass75 ihre Identität nachzuweisen.76 Das kurzfristige Aufenthaltsrecht ist nach Art. 14 I RL 2004/38/EG in seinem Fortbestand jedoch daran gekoppelt, dass Sozialhilfeleistungen des Aufenthaltsstaates „nicht unangemessen“77 in Anspruch genommen werden.78 Das Recht auf längerfristigen, d.h. mehr als dreimonatigen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat steht von vornherein unter dem Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Art. 7 I lit. b) RL 2004/38/EG setzt voraus, dass Unionsbürger selbständig oder abhängig beschäftigt sind oder sonst über hinreichende Existenzmittel und ausreichenden Krankenversicherungsschutz für sich und ihre Familienangehörigen verfügen. Mit dieser Regelung sollte den Bedenken einzelner Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden, die für den Fall uneingeschränkter Bewegungsfreiheit in der gesamten EU einen „Sozialleistungstourismus“ befürchteten, der durch das unterschiedliche Niveau der sozialen Sicherungssysteme befördert würde.79 Nicht geklärt ist, in welcher Weise und in welchem Umfang derartige Subsistenzmittel nachzuweisen sind. Nach Art. 8 IV RL 2004/38/EG darf kein fester Betrag und auch nicht mehr als die im inländischen Recht verankerte Sozialhilfeschwelle gefordert werden. Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung angezeigt. Nicht erforderlich ist jedenfalls, dass vorhandene finanzielle Mittel ausreichen, um den Lebensunterhalt für die gesamte Aufenthaltsdauer zu decken.80 Auch muss nicht notwendig der Unionsbürger selbst über die Mittel zum Lebensunterhalt verfügen. Es reicht aus, wenn er diese von Dritten beziehen kann,81 und zwar unabhängig vom Rechtsgrund seiner Berechtigung.82 Die in Art. 24 II RL Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77. 75 Die Passpflicht ist mit dem Recht auf Freizügigkeit vereinbar, vgl. EuGH, Slg. 1999, I-6207, Rn. 42 ff. (Wijsenbeek). 76 Nationalrechtliche Regelungen, die die kurzfristige Einreise von der Auskunft über die finanziellen Mittel abhängig machen, verstoßen nach Auffassung des EuGH gegen die (passive) Dienstleistungsfreiheit des Einreisewilligen, EuGH, Slg. 1991, I-2637, Rn. 10 f. (Kommission/Niederlande). 77 Kritisch zur Vagheit dieses Begriffs Hailbronner, JZ 2005, 1138 (1142). 78 Der Sozialhilfebezug berührt ausdrücklich nicht das Entstehen des Aufenthaltsrechts, sondern nur dessen Fortbestehen, Husmann, NZS 2009, 652 (653); Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 4 FreizügG/EU, Rn. 34; a.A. Heinig, ZESAR 2008, 465 (469). 79 Scheuing, EuR 2003, 744 (755 und 769 f.). 80 Windisch-Graetz in Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa, S. 104; vgl. auch EuGH, Slg. 2000, I-4001, Rn. 44 (Kommission / Italien). 81 EuGH, Slg. 2004, I-9925, Rn. 30 (Zhu und Chen). 82 EuGH, Slg. 2006, I-2647, Rn. 47 (Kommission / Belgien); dazu kritisch Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (63).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

2004/38/EG vorgesehene Beschränkung des Zugangs zur Sozialhilfe83 ist auch bei längerfristigen Aufenthalten möglich, jedoch beschränkt auf die Fälle, in denen der Aufenthalt allein der Arbeitsuche dient. Ein Daueraufenthaltsrecht entsteht nach Art. 16 I RL 2004/38/EG nach einem fünfjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat. Die Voraussetzungen des Kapitels III der Unionsbürgerrichtlinie – eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und Nachweis eines hinreichenden Krankenversicherungsschutzes – sind ausdrücklich nicht mehr zu erfüllen. Daueraufenthaltsberechtigte Unionsbürger sind daher mit Inländern völlig gleich zu behandeln. b. Zulässigkeit des Vorbehalts der Lebensunterhaltssicherung Beschränkungen der primärrechtlich verbürgten Grundfreiheiten durch Sekundärrecht sind nicht von vornherein ausgeschlossen. Das Freizügigkeitsrecht steht nach Art. 21 I AEUV unter dem Vorbehalt der übrigen Regelungen im Primärrecht sowie der zu dessen Durchführung ergangenen Bestimmungen. Der Gehalt des Vorbehalts in Bezug auf die Durchführungsbestimmungen ist jedoch umstritten. Es wird vertreten, in diesem Vorbehalt liege eine Ermächtigung zur sekundärrechtlichen Beschränkung der Entstehung von Einreise- und Aufenthaltsrechten von Unionsbürgern. Die Bedingung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts sei demzufolge als tatbestandsimmanente Grenze des Art. 21 AEUV anzusehen, d.h. weniger als Rechtfertigungsmöglichkeit für Einschränkungen denn als zusätzliches Tatbestandsmerkmal.84 Im Gegensatz zu den anderen Grundfreiheiten, für die kein entsprechender Vorbehalt angeordnet ist, könne die Unionsbürgerfreizügigkeit weiter eingeschränkt werden. Die historisch angelegte Trennung zwischen wirtschaftlich aktiven und inaktiven Unionsbürgern werde so aufrechterhalten.85 Nach anderer Auffassung erstrecke sich der Vorbehalt lediglich auf Regelungen, die das Fortbestehen und die Beendigung der Aufenthaltsrechte berührten. Dass Einreise- und Aufenthaltsrechte überhaupt begründet werden, folge unmittelbar aus dem Primärrecht und sei daher einer Einschränkung durch Sekundärrecht grundsätzlich nicht zugänglich.86

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Dazu ausführlich auf S. 277. Becker, EuR 1999, 522 (530); Kadelbach in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19, Rn. 44; Pechstein/Bunk, EuGRZ 1997, 547 (549); Tomuschat, CML Rev 37 (2000), 449 (457). 85 Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (55). 86 Becker, EuR 1999, 522 (528 f.); Borchardt, NJW 2000, 2057 (2060); Martínez Soria, JZ 2002, 643 (647); Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207); Bode, EuZW 2003, 552 (554); Scheuing, EuR 2003, 744 (766 f.); Epiney, ELJ 13 (2007) 611 (619); Husmann, NZS 2009, 547 (549 f.). 84

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut der Verträge. Nach Art. 21 II AEUV können Parlament und Rat nur solche Vorschriften erlassen, mit denen „die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 erleichtert“ wird. Der in Art. 21 I AEUV statuierte Vorbehalt kann sich daher nur auf den acquis communautaire beziehen, der bei Inkrafttreten der Unionsbürgerfreizügigkeit bereits existierte.87 Eine weitgehende Beschränkbarkeit würde auch der unmittelbaren Anwendbarkeit88 der Unionsbürgerfreizügigkeit zuwiderlaufen. Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Rechtsnorm begründet subjektive Rechte und sichert damit deren Justiziabilität. Wäre der Gehalt dieses Rechts im Wesentlichen der sekundärrechtlichen Ausgestaltung vorbehalten, führte dies zu einem Mangel an hinreichender Bestimmtheit, welche jedoch Voraussetzung für die unmittelbare Anwendung primärrechtlicher Vorgaben und deren gerichtlicher Durchsetzung ist.89 Das Bestehen des Aufenthaltsrechts als solches folgt damit unmittelbar aus dem Vertrag, der dessen Existenz voraussetzt. Alles Sekundärrecht muss daher soweit teleologisch reduziert werden, dass die primärrechtliche Rechtsgewährung in ihrer Substanz unangetastet bleibt. Diese wird indes durch den Vorbehalt sozialer Absicherung nach Art. 7 RL 2004/38/EG auch nicht in Frage gestellt. Zum einen statuiert Art. 14 I RL 2004/38/EG den Fortbestand des Aufenthaltsrechts, solange „nicht unangemessen“ Sozialhilfeleistungen des Aufenthaltsstaats in Anspruch genommen werden. In jedem Fall ist eine automatische Ausweisung wegen des Bezugs derartiger Leistungen ausgeschlossen, Art. 14 III RL/2004/38/EG. Diese sekundärrechtliche Beschränkung deckt sich mit der materiellen Reichweite des Art. 21 AEUV. Das Freizügigkeitsrecht regelt lediglich das „Ob“ des Zugangs zum Gebiet eines anderen Mitgliedstaats. Die Modalitäten des Aufenthalts sind vom Geltungsbereich der Grundfreiheit nicht erfasst. Unionsbürgerfreizügigkeit begründet „ein Recht auf Aufenthalt, das aber keine Rechte im Aufenthalt einschließt“.90 Das Recht zur Aufenthaltsbegründung in einem anderen Mitgliedstaat ist damit trotz des sekundärrechtlichen Vorbehalts sozialer Sicherung nicht so absolut und untrennbar mit der Fähigkeit zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts verknüpft, dass sich daraus eine wesentliche Beschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 21 I AEUV ableiten ließe.

87

Scheuing, EuR 2003, 744 (767 f.). So explizit EuGH, Slg. 2002, I-7091, Rn. 84 (Baumbast); dazu Kadelbach in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19, Rn. 39; Kubicki, EuR 2006, 489 (490); a.A. Degen, DÖV 1993, 749 (752); Pechstein/Bunk, EuGRZ 1997, 547 (554). 89 St. Rspr. seit EuGH, Slg. 1963, 1, S. 24 f. (Van Gend & Loos); dazu auch Rabenschlag, Leitbilder der Unionsbürgerschaft, S. 171 ff. 90 Calliess in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (29); Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (56); zustimmend Bode, EuZW 2003, 552 (556). 88

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

3. Freizügigkeit für Familienangehörige von Unionsbürgern Familienangehörige von Freizügigkeitsberechtigten sind im deutschen Recht nur unter den in § 3 FreizügG/EU statuierten Voraussetzungen aufenthaltsrechtlich privilegiert. Sie müssen einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und hinreichende finanzielle Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nachweisen.91 Auch diese Regelung gibt die kraft Primärrechts bestehenden Rechtspositionen wieder. Aus dem Anwendungsbereich der Unionsbürgerfreizügigkeit sind Drittstaatsangehörige zwar ausgeschlossen, verfügen sie doch gerade nicht über die in Art. 20 I AEUV geforderte Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats. Gleichwohl hat der EuGH in bestimmten Konstellationen auch Drittstaatern die (mittelbare) Berufung auf Art. 21 AEUV eröffnet. Die nicht auf rein wirtschaftliche Aktivitäten bezogene Unionsbürgerfreizügigkeit müsse im Lichte des sozialen und familiären Schutzes ausgelegt werden. Ein Drittstaatsangehöriger hat daher in seiner Eigenschaft als Familienmitglied an der Unionsbürgerschaft teil. Dies erklärt sich vor allem aus dem völkerrechtlich verbürgten Schutz des familiären Zusammenlebens nach Art. 8 EMRK sowie Art. 7 GRCh.92 Aus diesem leitet der EuGH einen auch über das Unionsrecht geschützten Anspruch auf Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft her und zwar in jedem Mitgliedstaat der EU. Diese auf wenige Ausnahmefälle beschränkte Öffnung des Primärrechts für Drittstaater steht unter dem Vorbehalt strikter Akzessorietät.93 Art. 21 AEUV vermittelt Drittstaatsangehörigen nur dann ein Aufenthaltsrecht, wenn dies zur Sicherung der praktischen Wirksamkeit des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers notwendig ist.94 Die Zugangs- und Aufenthaltsrechte der Familienangehörigen werden mithin nicht als eigenständige, sondern nur als abgeleitete Rechte verstanden.95 Das Sekundärrecht eröffnete drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern zunächst in Art. 10 VO (EWG) 1612/68 ebenfalls Aufent91

Dazu kritisch Fischer-Lescano, ZAR 2005, 288 sowie Frenz/Kühl, ZESAR 2007, 313

(324). 92 Dubos, R.A.E. – L.E.A. 2003/2004, 83 (89); so auch EuGH, Slg. 2002, I-6279, Rn. 42 (Carpenter); Slg. 2003, I-9607, Randnr. 59 (Akrich); Slg. 2006, I-5769, Rn. 52 (Parlament / Rat). 93 Groß/Tryjanowski, Der Staat 48 (2009) 259 (262); Kubicki, EuR 2006, 489 (491). 94 hier: Sicherung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Kleinkindes durch die Einräumung eines Aufenthaltsrechts an die sorgeberechtigte, drittstaatsangehörige Mutter, EuGH, 2004, I-9925, Rn. 45 (Zhu und Chen); sinngemäß ebenso EuGH, Slg. 2002, I-7091, Rn. 75 (Baumbast). 95 In der Rechtssache Eind hat der EuGH dementsprechend gar nicht auf die Rechtsposition einer drittstaatsangehörigen Tochter, sondern allein darauf abgestellt, ob die Freizügigkeit ihres Vaters – eines Unionsbürgers – durch die Verweigerung einer Familienzusammenführung beeinträchtigt würde; EuGH, Slg. 2007, I-10719, Rn. 35 f. (Eind); Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 88.

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haltsrechte. Diese waren aber aus dem Aufenthaltsrecht der Unionsbürger abgeleitet (akzessorisch). Zugleich war ihnen unter bestimmten Voraussetzungen der Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildungssystem im Aufenthaltsstaat nach Art. 11, 12 VO (EWG) 1612/68 eröffnet. Diese Rechte sind vom EuGH extensiv ausgelegt worden, dienen sie doch dazu, die Freizügigkeit der unionsangehörigen Arbeitnehmer zu fördern. Würde Freizügigkeitsberechtigten die Trennung von ihren Familienangehörigen zugemutet, wenn sie von ihren Grundfreiheiten Gebrauch machen wollen, stellte dies eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung ihres Freizügigkeitsrechts dar.96 Mit der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG sind die Regelungen der VO (EWG) 1612/68 insoweit überholt, als Einreise- und Aufenthaltsrechte für alle Familienangehörigen von Unionsbürgern etabliert worden sind – und zwar unabhängig von jedweder wirtschaftlicher Aktivität. Sie müssen gemäß Art. 5 RL 2004/38/EG bei der Einreise lediglich ein Visum vorweisen. Als Familienangehörige gelten nach Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG die Angehörigen der Kernfamilie: Ehegatten und Lebenspartner sowie Verwandte in absteigender Linie, die nicht älter als 21 Jahre sind. Ferner sind Verwandte in auf- oder absteigender Linie erfasst, denen vom Unionsbürger oder dessen Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewährt wird. Der längerfristige Aufenthalt steht wie bei den Unionsbürgern unter dem Vorbehalt der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung, Art. 7 I lit. b) RL 2004/38/EG. Diese Regelungen haben umfassend Eingang in §§ 3, 4 FreizügG/EU gefunden. 4. Freizügigkeit für Drittstaatsangehörige Die Bewegungsfreiheit der Unionsbürger ist durch das Unionsrecht vorgegeben und unantastbar, macht sie doch das Wesen der Europäischen Union aus. Für Drittstaatsangehörige ist der Befund nicht eindeutig. Im europäischen Primärrecht fanden sich zunächst keine Regelungen über Aufenthalts- und Freizügigkeitsrechte von Drittstaatsangehörigen. Gleichwohl hatte der EuGH97 eine Kompetenz für eine „Wanderungspolitik“ gegenüber Drittstaaten bejaht. Diese wurde aus Art. 118 EGV a.F. hergeleitet. Danach war der Kommission die Aufgabe zugewiesen, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, insbesondere in der Beschäftigungs- und der Sozialpolitik. Dies schließe migrationsrechtliche Fragen ein, wirke sich doch der soziale Status von Beschäftigten in jedem einzelnen Mitgliedstaat auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union aus. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die unionsrechtlichen Ziele – Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen – durch die Politik der Mitgliedstaaten gegenüber Arbeitskräften aus Drittländern beeinträchtigt werden könne. Daher sei durch europarechtliche Maßnahmen, insbesondere eine abgestimmte Wan96 97

EuGH, Slg. 1982, 3723, Rn. 13 (Morson); Slg. 1985, 567, Rn. 17 (Diatta). EuGH, Slg. 1987, I-3203, Rn. 16 ff. (Deutschland u.a./Kommission).

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derungspolitik gegenüber Drittstaaten, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten diesen übergeordneten Zielen im Rahmen ihrer Einwanderungspolitik Rechnung tragen. Für die nicht (mehr) erwerbstätige Bevölkerung reichte diese primärrechtliche Grundlage nicht aus. Durch die Öffnung des Schengen-Raums mit dem Wegfall der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen hatte sich ein praktisches Bedürfnis für einen verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen manifestiert, nicht zuletzt um illegal Einreisende abzuwehren.98 Mit dem Vertrag von Amsterdam ist die Einwanderungspolitik daher als Bestandteil der „dritten Säule“ der Europäischen Union – der Zusammenarbeit in der Justiz und Innenpolitik – in das Primärrecht aufgenommen worden. In den Art. 67 ff. AEUV ist ein gesonderter Titel etabliert worden, welcher der Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik der Gemeinschaft gewidmet ist.99 Darüber hinaus ermöglicht Art. 216 AEUV den Abschluss von Übereinkünften mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen, vermöge derer die Außenbeziehungen der Union ausgestaltet werden können. Nach Art. 217 AEUV kann die EU Abkommen mit Drittstaaten schließen und dadurch eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren bewirken. Die Assoziierung kann einerseits einen künftig in Aussicht genommenen Beitritt zur Europäischen Union vorbereiten, andererseits in der bloßen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen EU und Drittstaat ihren Grund finden.100 In jedem Fall führt sie zu einer Annäherung der Rechtspositionen der Staatsangehörigen der Abkommensstaaten an die der Unionsbürger.101 Das Assoziationsrecht bildet einen integralen Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Es ist daher in den Mitgliedstaaten der EU unmittelbar anwendbar.102 a. Freizügigkeit für türkische Staatsangehörige aufgrund Assoziationsrechts Bereits seit 1963 besteht ein solches Assoziierungsabkommen mit der Türkei,103 welches langfristig in einen EU-Beitritt der Türkei münden soll. Aufgrund des Assoziationsrechts genießen türkische Staatsangehörige in der EU eine Sonderposition im Vergleich zu anderen Drittstaatern. Für ihre Aufenthaltsrechte ist 98

Dazu kritisch im Hinblick auf die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Löhr/Pelzer, KJ 2008, 303. 99 Ausführlich Hailbronner/Thiery, EuR 1998, 583; Tholen, Eur J Migrat Law 6 (2005) 323 (326 f.); Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 141 f. 100 Schumacher, DRV 1995, 681 (682). 101 Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 63. 102 Vgl. nur EuGH, Slg. 1990, I-3461, Rn. 26 (Sevince); ausführlich Weber, Der assoziationsrechtliche Status Drittstaatsangehöriger in der Europäischen Union, S. 38 ff. 103 Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei, ABl Nr. 217 vom 29.12.1964, S. 3687 ff. Zur historischen Entwicklung Hänlein, ZAR 1998, 21 (21 ff.).

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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der Assoziationsratsbeschluss (ARB) 1/80104 von besonderer Bedeutung. Dieser garantiert zwar kein Recht auf freie Einreise in die EU,105 wohl aber einen privilegierten Zugang zu den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten und ein daran anknüpfendes Aufenthaltsrecht.106 Art. 6 ARB 1/80 räumt türkischen Arbeitnehmern, die dem regulären Arbeitsmarkt107 eines Mitgliedstaats angehören, nach einem Jahr der Beschäftigung einen Anspruch auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis beim gleichen Arbeitgeber bzw. nach drei Jahren bei einem vergleichbaren Arbeitgeber – sofern keine vorrangig zu berücksichtigenden Inländer oder Unionsbürger für die Stelle in Betracht kommen – ein.108 Nach vier Jahren steht ihnen der freie Zugang zum gesamten Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaates offen. Diese Regelungen beziehen sich zwar ihrem Gehalt nach nur auf das Arbeitserlaubnisrecht. Sie sind aber eng mit dem aufenthaltsrechtlichen Status verknüpft, erfordert die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses doch zwangsläufig ein Verbleiben auf dem Territorium des Aufenthaltsstaats.109 Das Verbleiberecht erlischt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jedoch, wenn der türkische Staatsangehörige seinen Aufenthaltsstaat während des zeitlichen Bezugsrahmens ohne berechtigten Grund verlässt.110 Denn nach Art. 6 II ARB 1/80 sind nur die Abwesenheit wegen des Jahresurlaubs, wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Das Recht zum Verbleib in einem Mitgliedstaat der EU ist also an die hinreichende Wahrscheinlichkeit geknüpft, dass der Arbeitnehmer weiterhin dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaates angehören wird. Anderenfalls bestehe kein sachlicher Grund, Zugang zum Arbeitsmarkt und Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU zu gewähren.111 Für die erstmalige Einreise und Aufenthalt gilt also zunächst der Genehmigungsvorbehalt des § 4 AufenthG, knüpft Art. 6 ARB 1/80 doch an die Zugehörigkeit des türkischen Staatsangehörigen zum regulären Arbeitsmarkt eines Mit104 Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation, ANBA 1981, S. 4. Zum Rechtscharakter dieses „sekundären Abkommensrechts“ vgl. Schumacher, DRV 1995, 681 (687). 105 BVerwGE 135, 334 (341); vgl. auch Weber, Der assoziationsrechtliche Status Drittstaatsangehöriger in der Europäischen Union, S. 90 f.; Schumacher, DRV 1995, 681 (686 f.); Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 92. 106 St. Rspr. EuGH, Slg. 1990, I-3461, Rn. 29 ff. (Sevince); Slg. 1992, I-6781, Rn. 33 (Kus); Slg. 1997, I-329, Rn. 30 f. (Tetik), dazu Nachbaur, NVwZ 1995, 344; Weber, NVwZ 1997, 652. 107 Die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung ist ausreichend, BVerwG, Urt. v. 19.4.2012 (1 C 10.11) – juris. 108 Vorher ist der Wechsel des Arbeitgebers unzulässig, vgl. EuGH, Slg. 1994, I-5113, Rn. 13 f. (Eroglu); Slg. 1997, I-2697, Rn. 21 ff. (Eker). 109 EuGH, Slg. 2002, I-10691, Rn. 27 (Kurz); Slg. 2006, I-10279, Rn. 25 (Güzeli); dazu auch Gutmann, NJW 2010, 1862 (1862). 110 EuGH, Slg. 2000, I-1487, Rn. 48 (Ergat); Slg. 2004, I-10895, Rn. 36 (Cetinkaya); Slg. 2005, I-6181, Rn. 27 (Aydinli). 111 Vgl. auch EuGH, Slg. 1995, I-1475, Rn. 36 f. (Bozkurt).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

gliedstaates an.112 Diese Berechtigung muss bereits bestehen. Anders als für die daueraufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen kommt den verwaltungsrechtlichen Entscheidungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Beschäftigung und den Aufenthalt türkischer Staatsangehöriger jedoch keine transnationale Wirkung zu:113 das privilegierte Aufenthaltsrecht nach Art. 6, 7 ARB 1/80 ist auf den Aufenthaltsstaat beschränkt. Türkische Arbeitnehmer, die in der Bundesrepublik einer Beschäftigung nachgehen wollen, benötigen daher eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG, vgl. auch § 4 V AufenthG.114 Das daraus folgende Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik erstarkt indes nach Maßgabe des Assoziationsrechts, wenn der türkische Arbeitnehmer bzw. dessen Familienangehörigen115 die Voraussetzungen der Art. 6, 7 ARB 1/80 erfüllen. Sie können ihr Aufenthaltsrecht in diesem Fall wahrnehmen, ohne dass eine nationale Ausländerbehörde ihnen einen entsprechenden Bescheid erteilt. Dem trägt auch § 4 V AufenthG Rechnung, wonach assoziationsrechtlich Aufenthaltsberechtigte auf Antrag eine deklaratorische Aufenthaltserlaubnis erhalten. De facto sind sie in ihrem rechtlichen Status also den Unionsbürgern angenähert – vorausgesetzt, sie sind erwerbstätig! Dies zeigt auch die Rechtsprechung des EuGH, der die assoziationsrechtliche Position der türkischen Arbeitnehmer mit der der freizügigkeitsberechtigten EU-Arbeitnehmer vergleicht.116 Dies erklärt sich daraus, dass die Mitgliedstaaten die stattgehabte Zuwanderung von türkischen Staatsangehörigen in die EU aufgrund von Anwerbe- und Sozialversicherungsabkommen dauerhaft sichern müssen, aber keine weitere Zuwanderung aus der Türkei zulassen wollen. Türkische Staatsangehörige können daher einen gewöhnlichen Aufenthalt nach Maßgabe des § 30 III SGB I begründen, wenn sie ihren Erstaufenthalt als Arbeitnehmer zulässig in der Bundesrepublik genommen haben. b. Sonstiges Abkommensrecht der EU Weitere Abkommen hat die EU mit den Mittelmeeranrainern Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko und Tunesien geschlossen.117 Diese „Europa-Mittelmeer-Abkommen“ begründen eine Assoziierung der Vertragsstaa112

Husmann, ZAR 2009, 305 (305). Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (18). 114 EuGH, Slg. 1992, I-6781, Rn. 25 (Kus); Huber, NVwZ 1993, 246 (247). Es kommen aber auch andere Aufenthaltstitel in Betracht, etwa zum Zwecke des Studiums, vgl. dazu Slg. 1994, I-5113, Rn. 22 (Eroglu) sowie Gutmann, NJW 2010, 1862 (1863). 115 EuGH, Slg. 1994, I-5113, Rn. 23 (Eroglu); Slg. 1997, I-2133, Rn. 35 ff. (Kadiman), dazu auch Nachbaur, NVwZ 1995, 344. Als Familienangehörige gelten die Abkömmlinge des Arbeitnehmers sowie die seines Ehegatten; auf Blutsverwandtschaft kommt es nicht an, vgl. nur EuGH, Slg. 2004, I-8765, Rn. 46 (Engin Ayaz). 116 Siehe nur EuGH, Slg. 1994, I-5113, Rn. 21 (Eroglu) unter Bezugnahme auf die Rs. Antonissen, EuGH, Slg. 1991, I-745, Rn. 13. 117 Vgl. dazu die Beschlüsse des Rates und der Kommission 2006/356/EG (Libanesische 113

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ten zum Zwecke der wirtschaftlichen Kooperation. Damit soll jedoch keine umfassende Freizügigkeit für alle Angehörigen der Abkommensstaaten begründet, sondern „nur“ der wirtschaftliche Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften ermöglicht werden.118 Die Arbeitnehmer sind aufenthaltsrechtlich nicht privilegiert. Sie bedürfen weiterhin eines Aufenthaltstitels, können sich aber auf das abkommensrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot in Bezug auf die Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen berufen, welches indes keine aufenthaltsrechtliche Dimension in dem Sinne umfasst, dass es einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vermittle.119 Denn anders als mit dem Assoziationsrecht mit der Türkei soll mit diesem Abkommen kein künftiger Beitritt zur EU vorbereitet werden. Die aufenthaltsrechtliche Bedeutung des Diskriminierungsverbots beschränkt sich daher auf die Fälle, in denen eine aufenthaltsbeendigende Maßnahme zu dessen faktischer Wirkungslosigkeit führte. Die Angehörigen der Abkommensstaaten sind mithin lediglich vor Ausweisungen geschützt, für die keine berechtigten Interessen des Aufenthaltsstaates, sei es im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die öffentliche Gesundheit, sprechen.120 Einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 30 I SGB I können sie allein aufgrund des Abkommens nicht begründen. Das Afrika-Karibik-Pazifik-Abkommen121 ist ein auf wirtschaftliche Kooperation ausgerichtetes Vertragswerk. Es ist in seinem Anwendungsbereich noch weniger migrationsfreundlich. Nach dessen Art. 13 ist den Angehörigen der Vertragsstaaten, die sich bereits legal im Inland aufhalten oder dort erlaubt einer Erwerbstätigkeit nachgehen, lediglich ein „Recht auf faire Behandlung“ eingeräumt. Sie sollen im Rahmen einer Integrationspolitik alle Rechte und Pflichten erhalten, die denen der eigenen Staatsangehörigen vergleichbar sind. Diskriminierungen im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben sollen verringert und Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entwickelt werden. Staatsangehörige der Schweiz dagegen sind nach dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz122 zu Einreise und Aufenthalt in allen Republik), 2005/690/EG (Volksrepublik Algerien), 2004/635/EG (Ägypten), 2002/357/EG (Königreich Jordanien), 2000/384/EG (Israel), 2000/204/EG (Königreich Marokko) und 98/238/EG (Tunesische Republik). 118 Hailbronner, NVwZ 2007, 415 (415); Husmann, ZAR 2009, 305 (310). 119 BVerwGE 118, 249; BVerwG, DVBl 2010, 655; Dubos, R.A.E. – L.E.A. 2003/2004, 83 (93); Hailbronner, NVwZ 2007, 415 (415 f.). 120 EuGH, Slg. 1999, I-1209, Rn. 45 (El Yassini); Slg. 2006, I-11917, Rn. 40 (Gattoussi), dazu kritisch Hailbronner, NVwZ 2007, 415 (416). 121 Partnerschaftsabkommen 2000/483/EG zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000, ABl. L 317, S. 3 ff. 122 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten

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EU-Mitgliedstaaten berechtigt. Ihnen steht damit die freie Einreise ohne Vorlage eines Visums zu. Gleichwohl wird ihnen nach Anlage I, Art. 2 I 2 des Abkommens von Amts wegen eine (deklaratorische) Aufenthaltserlaubnis erteilt. Eine entsprechende Regelung ist mit § 28 AufenthV in das nationale Recht aufgenommen worden. Da das Abkommen zwischen der EU und der Schweiz auf eine weitreichende Annäherung der Rechte von Schweizern auf den EU-Standard gerichtet ist, ist Schweizer Staatsangehörigen der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik daher ohne Weiteres eröffnet.

II. Visum, § 6 AufenthG Das Visum berechtigt zur Einreise in die und zum kurzfristigen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Es wird vor der Einreise durch die Auslandsvertretungen – dies sind die Botschaften oder Generalkonsulate – in Form eines Sichtvermerks im Reisepass erteilt.123 Es wird unterschieden zwischen dem nationalen und dem Schengen-Visum. 1. Schengen-Visum Das unionsrechtlich etablierte Schengen-Visum nach § 6 I 1 AufenthG ist ein Aufenthaltstitel für die Durchreise (Nr. 1) oder für zweckgebundene Aufenthalte bis zu drei Monaten (Nr. 2). Es ist vor allem für Touristen oder Geschäftsreisende aus Drittstaaten von Belang. Visumpflichtig sind die Angehörigen der in der VO (EG) 539/2001124 aufgezählten Staaten. Die Voraussetzungen seiner Erteilung richten sich nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und den dazu ergangenen Ausführungsvorschriften. Das Visum ist bereits bei der Überschreitung der Außengrenzen der Europäischen Union („Schengen-Raum“) vorzuweisen, berechtigt dann aber zur freien (Durch-)Reise innerhalb der Schengen-Staaten, Art. 11 SDÜ. Zuständig ist der Staat, in dem das Hauptziel der Reise liegt, Art. 12 II 1 SDÜ. Da die Rechtswirkungen des Visums die Grenzen dieses Ausstellungsstaates überschreiten und gegenüber allen Schengen-Staaten gelten, handelt es sich um einen transnationalen Verwaltungsakt.125 Ein solcher ist gegeben, wenn eine Entscheidung einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21.6.1999, BGBl. 2001 II, S. 810 ff., dazu Kahil-Wolff/Mosters, EuZW 2001, 5. 123 Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 79, 92. 124 Verordnung (EG) Nr. 539/2001 vom 15.03.2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, ABl. L 81, S. 1 ff. 125 Westphal/Stoppa, ZAR 2003, 211 (211); Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 56. Zu Begriff und Rechtsnatur des transnationalen Verwaltungsakts ausführlich Ruffert, Verw 34 (2001) 453; Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (11 f.).

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einer staatlichen Verwaltungsbehörde aufgrund inter- oder supranationalrechtlicher Vorgaben in anderen Staaten gleichermaßen Rechtswirkung entfaltet.126 Der Antragsteller muss ein gültiges Personaldokument vorlegen, den Grund seines Aufenthalts angeben und nachweisen, dass er über ausreichende finanzielle Mittel zur Finanzierung der Reise sowie hinreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Zudem muss sichergestellt sein, dass der Einreisewillige keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen des Einreisestaates begründet, Art. 5 I lit. a)-e) Schengener Grenzkodex.127 Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, kommt eine ausnahmsweise Visagewährung aus humanitären oder politischen Gründen in Betracht, § 6 I 2 AufenthG. Der Geltungsbereich des Visums ist in diesem Fall auf das Territorium der Bundesrepublik beschränkt. Es bleibt jedoch bei der dreimonatigen Gültigkeitsdauer. Der Inhaber eines Schengen-Visums verfügt damit, obgleich die Aufenthaltsbegründung zulässig ist, nicht über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Es fehlt an der nach § 30 III SGB I erforderlichen Zukunftsoffenheit: eine Verlängerung des Visums ist gemäß § 6 III AufenthG in besonderen Fällen auf weitere drei, sowie in humanitär oder politisch begründeten Ausnahmefällen auf insgesamt sechs Monate zulässig.128 Die Bereitschaft, das Hoheitsgebiet des Schengen-Raums vor Ablauf der Gültigkeit des Visums wieder zu verlassen, ist sogar explizite Voraussetzung der Visumserteilung.129 Der Ausländer ist damit absehbar zum Verlassen des bundesdeutschen Territoriums verpflichtet, weshalb ihm der Zugang zum deutschen Sozialrecht grundsätzlich verschlossen bleibt. 2. Nationales Visum Das nationale Visum ist nach § 6 IV AufenthG für längerfristige Aufenthalte über drei Monaten vor der Einreise zu beantragen. Für seine Erteilung gelten die gleichen Regeln wie für die übrigen Aufenthaltstitel nach dem AufenthG. Da das nationale Visum der Niederlassungs- bzw. Aufenthaltserlaubnis weitgehend angenähert ist, bedarf es der vorherigen Zustimmung der für den in Aussicht genommenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde, § 31 I 1 Nr. 1 AufenthV. Seine gegenüber den sonstigen Aufenthaltstiteln eigenständige Rechtsbedeutung leitet sich aus § 5 II 1 Nr. 1 AufenthG ab. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG voraus, dass der Ausländer mit dem erfor126

Bast, Der Staat 46 (2007) 1, 11. VO (EG) 562/2006 vom 15.3.2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. L 105, S. 1 ff. 128 Ausführlich zur Geltungsdauer Westphal/Stoppa, ZAR 2003, 211 (216 f.). 129 BVerwGE 138, 371. 127

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derlichen Visum in die Bundesrepublik eingereist ist. Das nationale Visum ist – da das kurzfristig gültige Schengen-Visum hierfür nicht zureicht – mithin Einreise- und Erteilungsvoraussetzung für alle sonstigen im AufenthG vorgesehenen Titel durch die Ausländerbehörden.130 Die Geltungsdauer des nationalen Visums ist nicht gesetzlich bestimmt. In der Praxis ist diese regelmäßig auf höchstens ein Jahr beschränkt.131 Darüber hinaus kann der Aufenthalt nur fortgesetzt werden, wenn der Inhaber vor dessen Ablauf bei der zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis stellt.132 Das Visum gilt in diesem Fall bis zur endgültigen Erteilung eines Aufenthaltstitels als fortbestehend, § 81 V AufenthG. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. § 30 I, III SGB I durch das Innehaben des Visums allein ist ausgeschlossen.

III. Daueraufenthaltsrechte Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), welche gemäß Art. 6 I EUV gleichrangiger Bestandteil des Primärrechts ist, eröffnet in Art. 45 II den Mitgliedstaaten die Möglichkeit sich legal in einem Mitgliedstaat der EU aufhaltenden Drittstaatsangehörigen „nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit“ einzuräumen. Ein Daueraufenthaltsrecht kennen die Rechtsordnungen der meisten EU-Mitgliedstaaten. Personen mit langjährigem rechtmäßigem Aufenthalt können regelmäßig unter bestimmten Voraussetzungen einen unbefristeten Aufenthaltstitel erlangen. 1. Niederlassungserlaubnis, § 9 AufenthG Die Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Sie berechtigt ohne weitere Voraussetzungen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und darf weder räumlichen noch sachlichen Einschränkungen unterworfen werden. Die Inhaber einer Niederlassungserlaubnis sind damit den Deutschen vollständig gleichgestellt. Dies gilt auch für ihren Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit, ist ihr Aufenthalt doch hinreichend zukunftsoffen, um als „gewöhnlich“ i.S.v. § 30 III SGB I zu gelten. Die Voraussetzungen ihrer Erteilung sind in § 9 II AufenthG niedergelegt. Danach muss der Ausländer seit fünf Jahren in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein (Nr. 1), über hinreichende Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts (Nr. 2) und ausreichenden Wohnraum für sich und seine Familienangehörigen133 (Nr. 9) verfügen und mindestens 60 Monate freiwillige oder Pflichtbeiträge zur 130 131 132 133

Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 229. BMI, Vorläufige Anwendungshinweise zum AufenthG, Rn. 6.4.2. Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 115. BVerwG, InfAuslR 2011, 182 (184).

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gesetzlichen Rentenversicherung oder einer vergleichbaren Vorsorgeeinrichtung geleistet haben (Nr. 3). Ferner dürfen vom Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen (Nr. 4). Ihm muss zudem die Beschäftigung erlaubt sein (Nr. 5, 6) und er muss ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (Nr. 7) sowie der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik (Nr. 8) nachweisen. Begehren Ehegatten die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, genügt es, wenn einer der Ehegatten diese Voraussetzungen erfüllt. Erfüllt ein Ausländer die gesetzlichen Voraussetzungen, hat er einen einklagbaren Rechtsanspruch auf die Niederlassungserlaubnis. Für Hochqualifizierte („Blue Card-Regelung“)134, Familiennachzügler, Kinder und ehemalige Deutsche sind in §§ 19, 28 II, 35 und 38 I 1 Nr. 1 AufenthG besondere Formen der Niederlassungserlaubnis vorgesehen. Diese Titel können unter einfacheren Bedingungen erworben werden, da von einigen der in § 9 II AufenthG statuierten Erteilungsvoraussetzungen abgesehen wird. Zugleich sind die Hürden hoch, um in den Genuss dieser Privilegierungen zu kommen. So gelten gemäß § 19 II AufenthG nur wenige Personen als hochqualifiziert. Namentlich sind dies Wissenschaftler mit besonderen fachlichen Kenntnissen (Nr. 1), Lehrpersonen oder wissenschaftliche Mitarbeiter in herausgehobener Funktion (Nr. 2) sowie Spezialisten und leitende Angestellte mit besonderer Berufserfahrung, deren Gehalt mindestens der Beitragsbemessungsgrenze in der deutschen Rentenversicherung entspricht (Nr. 3). Die Erteilung der Blue Card setzt desweiteren die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bzw. deren Entbehrlichkeit nach Maßgabe des § 42 AufenthG oder aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarung voraus. Zudem muss die Annahme gerechtfertigt sein, dass die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und die Sicherung des Lebensunterhalts ohne staatliche Hilfe gewährleistet sind, § 19 I AufenthG.135 Die aufenthaltsrechtliche Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen steht im Ergebnis unter dem Vorbehalt einer verfestigten Integration in die deutsche Gesellschaft – sowohl in zeitlicher, als auch in sozio-kultureller wie rechtlicher Hinsicht.136 Auffallend ist, dass der Gesetzgeber diese Eingliederung nur bei Personen als gegeben ansieht, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können und auch bereits einen Beitrag zur Sozialversicherung, namentlich der Rentenversicherung geleistet haben. Nur wenn das Unvermögen zum eigenen Lebensunterhalt auf einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit 134 Die Einführung der Blue Card beruht auf Richtlinie 2009/50/EG über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung, ABl. L 155 vom 18.6.2009, S. 17 ff. Dazu ausführlich Carlitz/Schmidt, ZAR 2010, 309 (312 f.). 135 Ausführlich Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 325 ff.; Feldgen, ZAR 2006, 168 (173). 136 Renner, Ausländerrecht, § 9 AufenthG, Rn. 5.

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oder Behinderung beruht, kann gemäß § 8 II 6 AufenthG gleichwohl eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden. Diese Ausnahmeregelung gründet in dem in Art. 3 III 2 GG verankerten Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen, bestünde anderenfalls für diese doch keine Möglichkeit zur rechtlichen Verfestigung ihres Aufenthalts. Der ohne Behinderung bedürftige Ausländer bleibt mithin grundsätzlich vom dauerhaften Aufenthalt und damit auch vom Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit nach § 30 I SGB I ausgeschlossen. 2. Daueraufenthaltsrecht für sich legal in der EU aufhaltende Drittstaatsangehörige Die Richtlinie 2003/109/EG137 harmonisiert die Bedingungen, unter denen ein Daueraufenthaltsrecht erworben werden kann und gewährt den Drittstaatsangehörigen Rechte, die sie für den Ausschluss aus der Unionsbürgerschaft „entschädigen“ sollen. a. Vorgaben der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG Eine solche privilegierte Rechtsposition kann erwerben, wer sich seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen rechtmäßig in einem Mitgliedstaat der EU aufhält (Art. 4 I RL 2003/109/EG) und über ausreichende Einkünfte und einen Krankenversicherungsschutz für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen verfügt (Art. 5 I RL 2003/109/EG). Weitere Anforderungen, etwa ein Nachweis von Kenntnissen der Landessprache des Aufenthaltsstaats, können im nationalen Recht etabliert werden, Art. 5 II RL 2003/109/EG. Auf die Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts besteht gemäß Art. 7 III RL 2003/109/EG ein Rechtsanspruch, sofern die um Aufenthalt ersuchende Person keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Dem in einem Mitgliedstaat langfristig Aufenthaltsberechtigten ist nach Art. 14, 15 RL 2003/109/EG auch der Zugang zu anderen Mitgliedstaaten eröffnet. Dies geschieht zwar nicht automatisch und unmittelbar, sondern erfordert die Eröffnung eines erneuten aufenthaltsrechtlichen Verwaltungsverfahrens in diesem Staat, in dem der Nachweis über hinreichende Einkünfte und Krankenversicherungsschutz erneut zu erbringen ist, Art. 15 I, II RL 2003/109/EG. Aus der Gewährung eines Aufenthaltstitels im Staat des Erstaufenthalts folgt also ein mittelbares Aufenthaltsrecht in weiteren Mitgliedstaaten. Ersterer entfaltet transnationale Tatbestandswirkung:138 für das langfristige Aufenthaltsrecht im Zweitstaat ist nicht erneut ein fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt in die137 Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (Daueraufenthaltsrichtlinie), ABl. L 16 vom 23.1.2004, S. 44 ff. 138 Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 277.

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sem nachzuweisen. Zugleich ist dem Zweitstaat die Möglichkeit eingeräumt, im Falle einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Drittstaatsangehörigen aus dem Gebiet der Union zu verfügen, Art. 22 III RL 2003/109/EG. Damit verfügt er – wenngleich erst nach Konsultation mit dem Erststaat, der jedoch kein Vetorecht hat – über die Rechtsmacht, dessen Verwaltungsakte aufzuheben.139 b. Daueraufenthaltserlaubnis-EG, § 9a AufenthG Die Daueraufenthaltsrichtlinie ist mit der Einfügung der Daueraufenthaltserlaubnis-EG in § 9a AufenthG umgesetzt worden. Bei der Daueraufenthaltserlaubnis-EG handelt es sich ebenfalls um einen unbefristeten Aufenthaltstitel. In ihren Rechtsfolgen140 ist sie gemäß § 9a I 3 AufenthG der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt. Im Unterschied zu dieser wirkt sie jedoch transnational: dem Inhaber der Daueraufenthaltserlaubnis-EG ist der Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten – sei es zum Zwecke der Ausbildung oder der Erwerbstätigkeit – unter erleichterten Voraussetzungen gestattet.141 Eine entsprechende Regelung für im EU-Ausland erteilte Daueraufenthaltstitel enthält § 38a AufenthG. Auch die Erteilungsvoraussetzungen divergieren gegenüber der Niederlassungserlaubnis. Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG kann gemäß § 9a II AufenthG jeder Ausländer beanspruchen, der seit fünf Jahren einen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik innehat (Nr. 1), seinen Lebensunterhalt und den seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen durch feste und regelmäßige Einkünfte sichern kann (Nr. 2), über hinreichenden Wohnraum für sich und seine Familienangehörigen verfügt (Nr. 6) und ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (Nr. 3) sowie der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der hiesigen Lebensverhältnisse (Nr. 4) hat. Letztlich dürfen auch dem Aufenthalt dieses Ausländers keine Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstehen (Nr. 5). Wie bei der Niederlassungserlaubnis wird also eine Integration in die deutsche Gesellschaft gefordert. Die nachzuweisenden Subsistenzmittel müssen jedoch nicht nur den eigenen Unterhalt, sondern auch den der Familienangehörigen zu sichern geeignet sein. Sie müssen dem Ausländer zudem auch auf absehbare Zeit weiter zur Verfügung stehen. Es muss also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Lebensunterhalt für längere Zeit gedeckt werden kann.142 Genauere Bestimmungen enthält § 9c AufenthG. Einkünfte sind danach als fest und regelmäßig einzustufen, wenn der Ausländer seine steuerlichen Verpflichtungen143 erfüllt hat, Beiträge zur Altersvorsorge 139 140 141 142 143

Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (19 f.). BR-Drs. 224/07, S. 267 f. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 92. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 119. Der Gesetzgeber sieht die dauerhafte finanzielle Leistungsfähigkeit des Ausländers

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– für sich und seine Familienangehörigen – geleistet hat und darüber hinaus – ebenfalls für die familiäre Gemeinschaft – gegen das Risiko der Krankheit und Pflegebedürftigkeit gesichert ist. Die Erstreckung der finanziellen Leistungsfähigkeit – sei es durch laufende Einkünfte oder durch auf eigenen Beiträgen beruhenden Sozialleistungen – auf die unterhaltsberechtigten Familienangehörigen mag ihren Grund darin haben, dass diese nicht notwendig Angehörige eines EU-Mitgliedstaats sein müssen. Drittstaater sollen in den Genuss eines der Niederlassungserlaubnis gleichgestellten Titels also nur kommen, wenn sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen oder entsprechende durchsetzbare (!) Ansprüche gegen einen Unionsbürger als Familienmitglied innehaben. Auch die Inhaber einer Daueraufenthaltserlaubnis-EU verfügen über den nach § 30 I SGB I erforderlichen gewöhnlichen Aufenthalt, der den Zugang zum System sozialer Sicherheit eröffnet. Bezeichnend ist, dass dieser Zugang nur gewährt wird, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass dessen Leistungen in Anspruch genommen werden, gering ist oder aber wenn den zu erbringenden Sozialleistungen eigene Beiträge des Ausländers zugrunde liegen.

III. Aufenthaltserlaubnis, § 7 AufenthG Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel, der an einen bestimmten Aufenthaltszweck geknüpft ist. Nur ausnahmsweise und in begründeten Fällen darf sie für einen nicht im AufenthG vorgesehenen Zweck erteilt werden, § 7 I 3 AufenthG. 1. Ausbildung und Erwerbstätigkeit als Aufenthaltszweck Für deutsche Staatsangehörige ist das Recht zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Art. 12 I GG mit verfassungsmäßigem Rang ausgestattet. Wegen seiner Ausgestaltung als Deutschen-Grundrecht können sich andere Staatsangehörige nicht auf die Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung berufen. Für sie kann das Recht auf Arbeitsmarktzugang unter Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG hergeleitet werden.144 Dieses Auffanggrundrecht steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung145 und kann daher – freilich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – leichter eingeschränkt werden als die Berufsfreiheit der Deutschen. Dies ist im Hinblick auf die Subsidiarität des Art. 2 I GG konsequent, soll Nicht-

offenbar also nur dann als gegeben an, wenn er über Einkünfte verfügt, deren Höhe die Steuerpflichtgrenze überschreitet. 144 BVerfGE 78, 179 (195 f.). 145 BVerfGE 6, 32 (36 f.) („Elfes-Urteil“).

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deutschen durch die allgemeinen Freiheitsrechte doch gerade nicht die gleiche Rechtsposition eingeräumt werden wie Deutschen.146 Ebenso wie der Inlandsaufenthalt steht auch die Beschäftigung in der Bundesrepublik unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt:147 Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik ist zunächst ein Aufenthaltstitel. Dieser berechtigt nach § 4 II AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, soweit diese in diesem Titel gestattet worden ist. Personen ohne Aufenthaltstitel dürfen nach § 4 III AufenthG keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, sofern nicht durch Gesetz, Rechtsverordnung oder zwischenstaatliche Vereinbarung etwas anderes bestimmt ist. Die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis, die den Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt eröffnet, ist originäre Kompetenz jedes Staates. a. Völker- und europarechtliche Vorgaben Auf völkerrechtlicher Ebene existiert eine Vielzahl von Vereinbarungen, die eine Erleichterung der Arbeitskräftemigration ermöglichen sollen. Sie haben regelmäßig appellativen Charakter und setzen vorwiegend Mindeststandards in Bezug auf Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte.148 Übereinkommen der IAO. Von besonderer Relevanz sind die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 66, 97 und 143 über Wanderarbeiter sowie das Übereinkommen des Europarats über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer.149 Diese Instrumente behandeln jedoch weniger aufenthaltsrechtliche Fragen als die Verpflichtung der Anwerbestaaten, interessierte ausländische Arbeitskräfte umfassend und zutreffend zu informieren, ihnen gegebenenfalls Vorbereitungskurse anzubieten und sie nach ihrer Ankunft angemessen unterzubringen.150 Aufenthaltsrechtlich relevant sind lediglich die Regelungen im Übereinkommen Nr. 66, welches die Ausweisung von Arbeitskräften unter den Vorbehalt bilateraler Abkommen zwischen Herkunfts- und Aufnahmestaat stellt. Das Übereinkommen Nr. 97 bestimmt, dass nach fünfjährigem legalem Aufenthalt eine Ausweisung grundsätzlich ausgeschlossen sein soll. Es statuiert zusätzlich ein Schlechterstellungsverbot der Arbeitsmigranten in Bezug auf Entlohnung und Arbeitsbedingungen sowie den Zugang zu sozialem Schutz. Das Folgeübereinkommen Nr. 143 wiederum betont die Notwendigkeit und das Recht der Staaten, illegale Migration und illegale Beschäftigung von Migranten 146

BVerfGE 78, 179 (196); dazu Bauer, NVwZ 1990, 1152 (1154) m.w.N. Renner, Aufenthaltsrecht, § 4 AufenthG, Rn. 47, Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 24; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 28; Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 939. 148 Treutner in Voigt, Globalisierung des Rechts, S. 328 149 Übereinkommen über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer vom 24.11.1977, European Treaty Series N° 93. 150 Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 38 f. 147

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zu verhindern und dagegen gerichtete Verstöße zu sanktionieren. Rechtmäßig beschäftigte Migranten sollen jedoch nicht nur deshalb ihre Aufenthalts- und Beschäftigungsrechte verlieren, weil ihr Arbeitsverhältnis im Aufnahmestaat – aus welchen Gründen auch immer – endet. Arbeitnehmerfreizügigkeit für Drittstaater? Das Europarecht lässt die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Regelung des Zugangs zu ihren Arbeitsmärkten ausdrücklich unangetastet, Art. 79 V AEUV.151 Auch aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV lassen sich für Drittstaatsangehörige keine Freizügigkeitsrechte herleiten. Zwar differenziert der Wortlaut der Grundfreiheit nicht nach der Staatsangehörigkeit und garantiert die „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“. Nach Auffassung des EuGH schützt die Grundfreiheit unmittelbar jedoch nur die Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten.152 Anders als in Art. 56 AEUV für die Dienstleistungsfreiheit sieht das Primärrecht bislang auch keine Möglichkeit vor, den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf Drittstaatsangehörige auszuweiten. Zwar können die Arbeitnehmer aus Drittstaaten aus der Dienstleistungsfreiheit der sie in der EU beschäftigenden Arbeitgeber mittelbar Aufenthaltsrechte in anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Berufsausübung ableiten.153 Dies erfordert jedoch ein bereits bestehendes Arbeitsverhältnis in der EU, damit der Schutzbereich dieser Grundfreiheit überhaupt tangiert ist. Auch das Sekundärrecht eröffnet Drittstaatsangehörigen nicht den Zugang zu den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten. Zwar sehen einige Richtlinien Erleichterungen bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis vor, etwa für Hochqualifizierte.154 Regelmäßig lassen sie jedoch die Befugnis der Mitgliedstaaten zur eigenständigen Regelung des Arbeitsmarktzugangs unberührt. Dies gilt namentlich in Bezug auf die Daueraufenthaltsberechtigten. Art. 11 III RL 2003/109/EG ermächtigt die Mitgliedstaaten, Zugangsbeschränkungen zur selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit beizubehalten und die Erteilung von Arbeitserlaubnissen an den Nachweis von Sprachkenntnissen zu knüpfen. Auch das Weiterwanderungsrecht in andere EU-Mitgliedstaaten darf nach Art. 15 IV RL 2003/109/EG vom Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzan151 Dies stellt auch der derzeit im europäischen Gesetzgebungsverfahren befindliche Vorschlag für eine Richtlinie über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt- und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates, KOM(2007)638 endg. in seinem Art. 1 S. 2 explizit fest. 152 Die Formulierung des EuGH „Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten“ ist insofern jedoch nicht eindeutig, EuGH, Slg. 1984, 2631, Rn. 7 (Meade); Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 39 EG, Rn. 26; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 88. 153 EuGH, Slg. 1990, I-1417, Rn. 15 (Rush Portugesa); Slg. 1994, I-3803, Rn. 15 f. (Vander Elst) jeweils zur Entsendung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer. 154 Richtlinie 2009/50/EG über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung, ABl. L 155 vom 18.6.2009, S. 17 ff.

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gebots abhängig gemacht werden. Art. 14 III RL 2003/109/EG erlaubt zudem eine Vorrangprüfung: Unionsbürger und Drittstaatsangehörige, die sich bereits legal im Zielstaat aufhalten, dürfen danach vorrangig beim Arbeitsmarktzugang berücksichtigt werden. Sobald aber ein zweiter Mitgliedstaat einem Daueraufenthaltsberechtigten einen Aufenthaltstitel erteilt hat, hat er nach Art. 21 II 1 RL 2003/109/EG Zugang zum Arbeitsmarkt dieses Staates. Dieser kann für die Dauer von 12 Monaten jedoch auf die Tätigkeiten beschränkt werden, für deren Ausübung der Aufenthaltstitel erteilt worden ist, Art. 21 II 2 RL 2003/109/EG. Arbeitsmarktzugang der Familienangehörigen von Unionsbürgern. Vergleichsweise unproblematisch ist dagegen der Arbeitsmarktzugang für Familienangehörige geregelt. Bereits nach Art. 11 VO (EWG) 1612/68 hatten Ehegatte und Kinder von Wanderarbeitnehmern das Recht, im gesamten Hoheitsgebiet des Beschäftigungsstaats eine abhängige Beschäftigung auszuüben. Die Nachfolgeregelung in Art. 23 RL 2004/38/EG eröffnet daueraufenthaltsberechtigten Familienangehörigen von Unionsbürgern ein uneingeschränktes Recht auf Arbeitsmarktzugang, das auch die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit umfasst. Der Hintergrund der großzügigen Regelungen erschließt sich im Rekurs auf die Freizügigkeit der Unionsbürger: diese würde beeinträchtigt, dürften die Unionsbürger in Ausübung ihrer Grundfreiheit ihre Familienangehörigen nicht mitnehmen. Es handelt sich damit also um lediglich abgeleitete Rechte eines Familienmitglieds, das die Unionsbürgerschaft innehat. Der EuGH hat diesen nach der RL 2004/38/EG auf die daueraufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen beschränkten Rechtsreflex nunmehr erheblich ausgeweitet. Jeder Unterhalt leistende Verwandte eines minderjährigen Kindes in aufsteigender Linie kann demnach aus dessen Unionsbürgerschaft ein Recht auf Aufenthalt im und Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats ableiten, in dem sich das Kind aufhält. Denn die Ausübung der Unionsbürgerrechte durch das Kind wäre beeinträchtigt, wäre dies im Falle der Verweigerung eines Aufenthaltstitels für seine Eltern doch mit diesen faktisch zum Verlassen des Mitgliedstaats gezwungen. Über das Aufenthaltsrecht hinaus sei den Drittstaatsangehörigen zudem unter den gleichen Voraussetzungen wie ihren unionsangehörigen Familienmitgliedern Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats zu gewähren, damit diese durch Einsatz ihrer Arbeitskraft (weiterhin) die notwendigen Mittel zum Unterhalt ihrer minderjährigen Kinder beitragen können.155 Familienangehörigen, die zu einem daueraufenthaltsberechtigten Drittstaater nachziehen, ist in Art. 14 RL 2003/86/ EG ebenso wie dem Zusammenführenden das Recht auf Zugang zu einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eingeräumt.

155 EuGH, Urt. v. 8.3.2011, Rs. C-34/09, Rn. 44 (Zambrano). Vgl. dazu die Anmerkungen von Graf Vitzthum, EuR 2011, 550 sowie Hailbronner/Thym, NJW 2011, 2008.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

Arbeitsmarktzugang von Flüchtlingen. Flüchtlingen soll gemäß Art. 26 I RL 2004/83/EG die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach den allgemein geltenden Vorschriften gestattet werden. Bei Personen mit subsidiärem Schutz kann der Zugang nach Art. 26 II RL 2004/83/EG von der arbeitsmarktpolitischen Situation im Aufenthaltsstaat abhängig gemacht werden. Personen, die Opfer von Menschenhandel waren und die zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung mit den Behörden kooperieren sollen gemäß Art. 11 RL 2004/81/EG nach Maßgabe des nationalen Rechts Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten können. Abkommensrechtliche Regelungen. Schweizer Staatsangehörige genießen kraft des Freizügigkeitsabkommens mit der EU ein Recht auf Arbeitsmarktzugang in allen Mitgliedstaaten, das an die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV angelehnt ist.156 Türkischen Arbeitnehmern ist nach Art. 6, 7 ARB 1/80 der Arbeitsmarktzugang eingeräumt, der aber an die Erteilung eines nach nationalem Recht zu gewährenden Aufenthaltstitels gebunden ist. b. Aufenthalt zum Zwecke der Aus- und Weiterbildung, § 16 AufenthG Die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung kann nach § 16 AufenthG für ein Studium an einer anerkannten Hochschule erteilt werden. Dies erfordert den Nachweis, dass die Hochschule den Ausländer zum Studium zugelassen hat.157 Der Aufenthaltstitel schließt studienvorbereitende Maßnahmen, etwa Sprachkurse oder Kollegs ein. Die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis ist auf zwei Jahre beschränkt. Sie kann verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck – Abschluss des Studiums innerhalb der Regelstudienzeit158 – in einem angemessenen Zeitraum erreicht werden kann, vgl. § 16 I 5 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung berechtigt ihren Inhaber in eingeschränktem Umfang zur Erwerbstätigkeit. Diese darf 90 ganze bzw. 180 halbe Arbeitstage im Jahr nicht überschreiten. Der Umfang der Erwerbstätigkeit darf also die Fortführung des Studiums nicht gefährden und soll daher in erster Linie der Finanzierung der universitären Ausbildung dienen. Nach erfolgreichem Studienabschluss kann die Aufenthaltserlaubnis zudem für bis zu ein Jahr verlängert werden, um einen der Ausbildung angemessenen Arbeitsplatz zu suchen, § 16 IV 1 AufenthG. Trotz der Änderung des Aufenthaltszwecks wird in diesem Fall die ursprünglich erteilte Aufenthaltserlaubnis verlängert und nicht etwa ein neuer Titel erteilt. Die Regelung weicht insofern vom Grundsatz des § 16 II AufenthG ab, wonach eine Verlängerung des Aufenthaltstitels für einen anderen 156

Ausführlich Kahil-Wolf/Mosters, EuZW 2001, 5 (7 f.). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Studienbewerbung kommt nach § 16 Ia AufenthG für eine Dauer von maximal neun Monaten in Betracht. Sie setzt jedoch voraus, dass bereits „erste Schritte für eine förmliche Bewerbung in die Wege geleitet“ worden sind, Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 207. 158 OVG Niedersachsen, Beschluss v. 7.4.2006 (9 ME 257/05) – juris. 157

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als den ursprünglich vorgesehenen Zweck nicht bewilligt werden soll. Voraussetzung ist jedoch, dass der Ausländer eine Tätigkeit anstrebt, die fachlich und im Hinblick auf ihrer Vergütung seiner in Deutschland erworbenen Qualifikation entspricht. § 16 IV AufenthG beinhaltet den einzigen Aufenthaltstitel, der allein der Arbeitssuche dient. War diese erfolgreich, kann der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung nach § 18 AufenthG beantragen.159 Der Aufenthalt zur Teilnahme an einer betrieblichen Aus- oder Weiterbildung setzt gemäß § 17 AufenthG die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit160 oder eine Ausnahmeregelung durch Rechtsverordnung oder zwischenstaatliche Vereinbarung voraus. Als betriebliche Ausbildungen gelten alle im BBiG oder der HwO vorgesehenen Ausbildungsberufe. Eine Weiterbildung im Sinne der Norm erfordert demgegenüber eine bereits abgeschlossene Berufsausbildung, die um eine betriebliche oder schulische Berufsbildung oder ein Fachhochschul- oder Hochschulstudium ergänzt werden soll.161 c. Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, § 18 AufenthG Die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit wird durch die Ausländerbehörde erteilt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist an dem Verfahren lediglich intern beteiligt, insofern die Ausländerbehörde deren Zustimmung einholen muss, §§ 18 II 1, 39 I AufenthG („one stop government“162). Die BA hat gemäß § 39 II AufenthG zu prüfen, ob die Beschäftigung des Ausländers mit den Erfordernissen des Wirtschaftsstandorts Deutschland, insbesondere mit der hiesigen Lage auf dem Arbeitsmarkt, vereinbar ist. Die Zustimmung kann nur erteilt werden, wenn durch die Beschäftigung des Ausländers keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu befürchten sind. Maßstab dafür ist der regionale Arbeitsmarkt, aber auch das Arbeitskräfteangebot und die Nachfrage in den einzelnen Wirtschaftszweigen, Struktur und Qualifikation der bereits Beschäftigten sowie das Bedürfnis nach einer schnellen Besetzung offener Stellen.163 Ferner ist eine Vorrangprüfung anzustellen: für die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit dürfen nach § 39 II 1 Nr. 1b AufenthG weder geeignete deutsche Arbeitnehmer noch diesen gleichgestellte ausländische Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Durch die Ausländerbeschäftigung darf also kein Verdrängungseffekt zu erwarten sein. Zu den privilegierten Ausländern zählen neben den EU-Bürgern die Angehörigen der EWR-Staaten und der Schweiz sowie die Inhaber einer Niederlassungserlaubnis oder einer zur Erwerbstätigkeit be159 160

Ausführlich Maier-Borst, ZAR 2008, 126 (129). Ob diese zu erteilen ist, richtet sich nach § 39 AufenthG, der BeschV oder der Besch-

VerfV. 161 162 163

Rn. 4.

Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 213 f. Dazu Feldgen, ZAR 2006, 168 (172); Bünte/Knödler, NZA 2008, 743 (744). Bünte/Knödler, NZA 2008, 743 (748); Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, § 39,

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

rechtigenden Aufenthaltserlaubnis.164 Um Lohndumping und anderen Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken, darf der Ausländer gemäß § 39 II 1 a.E. AufenthG nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen beschäftigt werden als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer. Die Arbeitsmarktprüfung der BA, an deren Ergebnis die Ausländerbehörden gebunden sind,165 erfolgt demnach einzelfallbezogen. Der um eine Aufenthaltserlaubnis Ersuchende muss daher auch ein konkretes Stellenangebot vorweisen können, § 18 V AufenthG. Die Arbeitserlaubnis ist jedoch nicht zwingend auf diese konkrete Beschäftigung bezogen, sondern kann auch allgemein für jedwede selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit erteilt werden. Der Aufenthalt zum Zwecke der Beschäftigungssuche ist dagegen nicht genehmigungsfähig. Vielmehr müssen die wesentlichen arbeitsvertraglichen Bedingungen – Vertragsparteien, Arbeitsplatz, Art der Beschäftigung, Arbeitszeit und Entgelt – bereits feststehen, arg e § 39 II 3 AufenthG.166 Für die in der nach § 42 I AufenthG erlassenen Beschäftigungsverordnung (BeschV) geregelten besonderen Tatbestände ist die Zustimmung der BA bei neu einreisenden Ausländern entbehrlich. Dabei handelt es sich vorwiegend um Tätigkeiten, die eine hohe Qualifikation erfordern, sei es in Wissenschaft und Forschung, Führungspositionen in der Wirtschaft, Journalismus oder Sport. Ausländer, die sich bereits im Inland aufhalten, können unter den in der BeschVerfV niedergelegten Grundsätzen ohne Zustimmung der BA einer Beschäftigung nachgehen. Die Verordnung nimmt einerseits Bezug auf die BeschV und erweitert andererseits die Zustimmungsfreiheit einer Beschäftigung im Falle der Fortsetzung eines rechtmäßig eingegangenen Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber, für Familienangehörige von Fachkräften, Opfer von Menschenhandel, Personen mit langfristigem Voraufenthalt sowie in Härtefällen.167 Der Arbeitsmarktzugang von Familienangehörigen eines Ausländers ist von dessen Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig. Familienangehörige erhalten also im Grunde den gleichen Aufenthaltstitel wie ihr bereits im Inland lebendes Familienmitglied. Ist dieses zur Erwerbstätigkeit berechtigt, sind sie es ebenfalls, § 29 V AufenthG.168

164 Röseler in Renner, Ausländerrecht, § 39 AufenthG, Rn. 14; Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, § 39, Rn. 6. 165 Feldgen, ZAR 2006, 168 (183). 166 VG Hamburg, Beschluss v. 12.10.2006 (10 E 2519/06), Rn. 20 – juris. 167 Im Einzelnen Feldgen, ZAR 2006, 168 (176 ff.); Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 268 ff. 168 Zum akzessorischen Arbeitsmarktzugang von Familienangehörigen vgl. Carlitz/ Schmidt, ZAR 2010, 309.

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d. Aufenthaltserlaubnis für besonders qualifizierte Inhaber einer Duldung, § 18a AufenthG Inhaber einer Duldung verfügen zwar nicht über den nach § 4 III AufenthG für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Aufenthaltstitel.169 Gemäß § 10 I BeschVerfV kann ihnen jedoch mit Zustimmung der BA die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn sie sich seit einem Jahr erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufgehalten haben. Nach vierjährigem Aufenthalt kann die BA ohne Berücksichtigung vorrangiger Arbeitnehmer und ohne Prüfung der Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen der Beschäftigung zustimmen, § 10 II Nr. 2 BeschVerfV.170 Geduldete, die über eine besondere berufliche Qualifikation verfügen, können zudem unter den in § 18a AufenthG determinierten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung erhalten. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzt voraus, dass der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium in der Bundesrepublik abgeschlossen hat (Nr. 1a) oder über einen ausländischen Hochschulabschluss verfügt und mindestens zwei Jahre ununterbrochen in Deutschland in einem seiner beruflichen Qualifikation angemessenen Beruf gearbeitet (Nr. 1b) oder seit drei Jahren ununterbrochen als Fachkraft mit qualifizierter Berufsausbildung einer Beschäftigung nachgegangen ist und während dessen zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts und des seiner Familien- oder Haushaltsangehörigen nicht auf öffentliche Mittel angewiesen war (Nr. 1c). Er muss zudem über ausreichenden Wohnraum verfügen (Nr. 2), hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nachweisen (Nr. 3) und keine ausländerpolizeilichen Interessen verletzt haben. Dies ist beispielsweise bei einer Täuschung der Ausländerbehörden über aufenthaltsrechtlich bedeutsame Umstände (Nr. 4) oder einer Verhinderung oder Verzögerung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Nr. 5) der Fall. Der Aufenthalt des geduldeten Ausländers darf auch keine anderen öffentlichen Interessen der Bundesrepublik verletzen, etwa weil er Bezüge zu terroristischen oder extremistischen Organisationen aufweist (Nr. 6) oder Straftaten begangen hat (Nr. 7). Die angestrebte Beschäftigung muss der besonderen Qualifikation des Geduldeten entsprechen, muss also in seinem Ausbildungsstatus eine Entsprechung finden. Darüber hinaus ist die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit notwendig, wobei diese an die in § 39 AufenthG niedergelegten Bestimmungen gebunden ist. Lediglich die Vorrangprüfung nach § 39 II 1 Nr. 1 AufenthG ist suspendiert, § 18a II 1 AufenthG. Die BA prüft daher nur, ob der Geduldete tatsächlich über die geforderten Qualifikationen verfügt und ob die Arbeitsbedin-

169 170

Dazu auf S. 115. Ausführlich Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, § 39, Rn. 27 ff.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

gungen vergleichbar sind.171 Die Geltungsdauer dieses Aufenthaltstitels ist nach § 18a II 3 AufenthG auf zwei Jahre beschränkt. e. Aufenthalt zum Zwecke einer selbständigen Tätigkeit Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der selbständigen Tätigkeit setzt nach § 21 AufenthG voraus, dass für diese Tätigkeit ein übergeordnetes wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes regionales Bedürfnis besteht und positive Auswirkungen auf die Wirtschaft zu erwarten sind. Dies wird gemäß § 21 I 2 AufenthG in der Regel vermutet, wenn der Ausländer Investitionen in Höhe von mindestens 250.000 € tätigt und mindestens fünf Arbeitsplätze schafft. Die Finanzierung seines Vorhabens muss überdies durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage gesichert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, besteht jedoch kein Rechtsanspruch auf Erteilung des Titels. Vielmehr ist der Ausländerbehörde ein Ermessen eingeräumt. Bei ihrer Entscheidung hat sie sich auch von einer fachlichen Prognose über die Erfolgsaussichten der Geschäftsidee oder die unternehmerischen Erfahrungen des Ausländers leiten zu lassen, § 21 I 3 AufenthG. Die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis für Selbständige ist auf maximal drei Jahre beschränkt. Nach Ablauf dieses Zeitraums besteht die Möglichkeit der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, § 21 IV AufenthG. f. Zukunftsoffenheit des Aufenthalts? Die ausbildungs- und erwerbsbezogenen Aufenthaltserlaubnisse können einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 I, III SGB I begründen. Insbesondere gilt dies für die Erlaubnis nach § 18 AufenthG. Bei unbefristeten Arbeitsverträgen ist der Aufenthalt ohne Weiteres als zukunftsoffen zu qualifizieren, sieht doch § 9 I BeschVerfV eine erleichterte Verlängerung des Aufenthaltstitels, namentlich unter Verzicht auf die Prüfung der Auswirkungen der Ausländerbeschäftigung auf den nationalen Arbeitsmarkt vor. Aber auch während eines Studiums oder Ausbildungsverhältnisses oder im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses begründet ein Ausländer zumindest für einige Jahre seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik. Der Zugang zum System sozialer Sicherung ist damit grundsätzlich eröffnet. 2. Völkerrechtliche, humanitäre und politische Gründe für den Aufenthalt Besonders detailliert hat der Gesetzgeber die aufgrund internationalrechtlicher Verpflichtungen oder aus humanitären Gründen zu gewährenden Aufenthaltstitel geregelt. In Fällen „extremer Menschenrechtsnot“172 wird Ausländern dadurch ein Anspruch auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik ge171 Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, § 18a, Rn. 7; Röseler in Renner, Ausländerrecht, § 18a AufenthG, Rn. 24. 172 Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (62).

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währt. Der 5. Abschnitt des AufenthG ist wesentlich durch Völker- und Europarecht geprägt. Das Völkerrecht vermittelt zwar kein eigenständiges Einreiserecht, wohl aber ein Recht zum Verbleib. Zu den bedeutsamsten humanitär-völkerrechtlichen Übereinkommen zählt die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).173 Nach Art. 26 GFK genießen Flüchtlinge zwar Freizügigkeit im Aufenthaltsstaat. Dies setzt jedoch einen rechtmäßigen, d.h. durch einen Aufenthaltstitel legitimierten Aufenthalt voraus. Art. 33 GFK verbietet die Zurückweisung in Staaten, in denen Lebensgefahr, Folter, unmenschliche Behandlung oder Verfolgung droht. Auch die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen174 statuiert in Art. 3 II ein solches Refoulement-Verbot.175 Art. 78 AEUV verpflichtet die EU, eine gemeinsame Politik für die Gewährung von Asyl, subsidiärem und vorübergehendem Schutz zu entwickeln. Die GFK bestimmt den Gehalt dieser europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik, Art. 78 I 2 AEUV und determiniert die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl, Art. 18 GRCh. Die Kompetenz der EU umfasst die Entwicklung europaweit gültiger Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Staats für die Bearbeitung von Schutzersuchen sowie die Bedingungen der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Bereits 1990 ist das Dubliner Übereinkommen176 unterzeichnet worden, welches den Weg für eine Harmonisierung des Asylrechts ebnete. Anlässlich einer Sondertagung in Tampere im Oktober 1999 hat der Rat die Etablierung eines Europäischen Asylsystems beschlossen. Langfristiges Ziel ist ein einheitlicher Asylstatus, der in einem unionsweit geltenden, einheitlich geregelten Verfahren gewährt werden soll. VO (EG) 343/2003177 legt fest, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen zuständig ist. Grundsätzlich ist gemäß Art. 5 ff. VO (EG) 343/2003 die Zuständigkeit des Staates gegeben, in dem sich Familienangehörige des Asylbewerbers oder dieser selbst bereits legal aufhalten oder über ein gültiges Visum verfügen. Aus humanitären Gründen kann auch ein anderer als der zuständige Staat das Verfahren an sich ziehen. Das Recht, 173 Genfer Übereinkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen vom 28.7.1951, BGBl. 1953 II, S. 559 ff. 174 Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984, BGBl. 1990 II S. 246 ff. 175 Ausführlich zu den im Europa- und Völkerrecht verankerten Refoulment-Verboten Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 186 ff. 176 Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags, ABl. C 354 vom 19.8.1997, S. 1. 177 VO (EG) 343/2003 vom 18. 2. 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L-50 vom 25. 2. 2003, S. 1 ff.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

einen Asylbewerber nach Maßgabe des nationalen Asylrechts zurückzuweisen, bleibt – freilich im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention, deren Bestimmungen zwingend sind – nach Art. 3 III VO (EG) 343/2003 unberührt. Über die Festlegung des zuständigen Staates hinaus entfaltet das Dublin-System keine Rechtswirkung. Insbesondere kommt den Entscheidungen des supranational definierten zuständigen Staats über die Gewährung politischen Asyls keine transnationale Wirkung im Sinne einer Verbindlichkeit für alle übrigen Mitgliedstaaten zu.178 Die Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG gilt für Flüchtlinge nicht, vgl. Art. 3 II lit. d) RL 2003/109. Sie haben also keine Bewegungsfreiheit in der EU, sondern nur in ihrem Aufnahmestaat. Weiterwanderungsrechte innerhalb der Union179 können sie bislang lediglich im Rahmen von Art. 5 SGK herleiten. Der Aufenthalt in anderen Staaten des Schengenraums ist daher auf maximal drei Monate im Sechsmonatszeitraum befristet. Er erfordert zudem die Sicherung des Lebensunterhalts für die Dauer des Aufenthalts und für die Rückreise in den zuständigen Staat. Letztlich darf die Weiterreise keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen des Ziellandes darstellen. Ein Vorschlag180 der Kommission auf Ausweitung des persönlichen Geltungsbereichs der Daueraufenthaltsrichtlinie auf Personen mit internationalem Schutzstatus wurde zwar in Parlament und Rat beraten, jedoch bislang nicht umgesetzt. In einer legislativen Entschließung vom 14.12.2010 hat das Europäische Parlament die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Daueraufenthaltsrichtlinie auf Personen mit internationalem Schutzstatus jedoch ausdrücklich befürwortet und sich in der Begründung vor allem auf das in Art. 4 II lit. c) AEUV verankerte Ziel des sozialen Zusammenhalts in der Union berufen. Weiteres Sekundärrecht harmonisiert die Aufnahmebedingungen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten einzuhalten sind. In der Aufnahmerichtlinie181 sind die Mindeststandards verankert, die für die Lebensbedingungen der Asylsuchenden sicherzustellen sind. Die Qualifikationsrichtlinie182 etabliert Stan178 Die Mitgliedstaaten können jedoch optional das Ergebnis eines in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Asylverfahrens anerkennen und somit den Zugang zu ihrem eigenen Asylverfahren verschließen, vgl. Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (24 f.); Groß/Tryjanowski, Der Staat 48 (2009) 259 (264). Guild, Int J Refugee Law 18 (2006) 630 (636) nimmt jedoch eine negative Bindungswirkung an. 179 Mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks. Diese Staaten haben von der Möglichkeit des opting-out Gebrauch gemacht. 180 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG zwecks Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf Personen mit internationalem Schutzstatus vom 6.6.2007, KOM(2007) 298 endg. 181 Richtlinie 2003/9/EG vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18 ff. 182 Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerken-

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dards für die Anerkennung von Flüchtlingen und die Asylverfahrensrichtlinie183 schließlich solche für das Asylverfahren. Die Entscheidung, ob einer konkreten Person Asyl oder vorübergehender bzw. subsidiärer Schutz zu gewähren ist, bleibt jedoch weiterhin Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Dies erfordert und rechtfertigt weiterhin Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten, gilt das Recht auf Freizügigkeit doch nicht für jedermann, sondern nur für Unionsbürger.184 a. Aufnahme aus völkerrechtlichen und dringenden humanitären Gründen, § 22 AufenthG § 22 AufenthG eröffnet die Möglichkeit zur Aufnahme einzelner Ausländer aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen. Trotz ihrer systematischen Stellung zu Beginn des 5. Abschnitts ist diese Norm nicht als Generalklausel für humanitäre Aufnahmegründe zu verstehen. Ihre Anwendung ist vielmehr nur für den dringenden Ausnahmefall vorgesehen und zudem auf die Ausländer beschränkt, die sich bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel noch nicht auf dem Territorium der Bundesrepublik befinden und sich auf kein anderes Einreiserecht stützen können. Zwar statuiert das Völkerrecht grundsätzlich keine Aufnahmepflichten. Durch völkerrechtliche Verträge werden derartige Pflichten aber beispielsweise für Personen begründet, die aus Kriegs- oder Bürgerkriegsgebieten stammen. Der Begriff der dringenden humanitären Gründe bezieht sich dagegen weniger auf rechtliche als auf moralische Pflichten, etwa die Aufnahme von Personen, die sich in einer Notlage befinden und eine besondere persönliche Bindung zur Bundesrepublik aufweisen.185 Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 S. 1 AufenthG steht im Ermessen der Ausländerbehörden. Ihre Einschätzung, ob dringende humanitäre Gründe vorliegen, ist insoweit nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Gemäß § 22 S. 2 AufenthG ist eine Aufenthaltserlaubnis aber stets zu erteilen, wenn das Bundesministerium des Inneren oder eine von diesem berufene Stelle die Aufnahme des Ausländers zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik für geboten erachtet.

nung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 2 ff. 183 Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13 ff. 184 EuGH, Slg. 1999, I-6207, Rn. 43 (Wijsenbeek). Dazu auch Vink, Limits of European Citizenship, S. 70; Guild, Int J Refugee Law 18 (2006) 630 (634 f.). 185 Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 267 f.; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 449 f.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

b. Aufenthaltsgewährung durch die Landesbehörden und das BAMF, § 23 AufenthG Die obersten Landesbehörden (I) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (II) werden in § 23 AufenthG zur Aufnahme von Ausländern aus bestimmten Staaten oder in anderer Weise bestimmten Ausländergruppen ermächtigt. Diese ist jedoch an völkerrechtliche oder humanitäre Gründe oder die politischen Interessen der Bundesrepublik gebunden. Hintergrund der Aufnahme können bi- oder multilaterale völkerrechtliche Verträge, aber auch nichtjustiziable Umstände wie die wirtschaftliche und soziale Integration bestimmter Gruppen von Ausländern in die deutsche Gesellschaft sein. Die Norm enthält eine Öffnungsklausel, indem sie solchen Personen den Verbleib in der Bundesrepublik ermöglicht, obwohl ihnen kein entsprechender Rechtsanspruch eingeräumt ist. Bei ihrer Entscheidung zur Anordnung der Aufnahme sind die genannten Behörden gleichwohl nicht völlig frei. Sie müssen namentlich das Willkürverbot des Art. 3 I GG beachten und deswegen gleiche Gruppen von Ausländern gleich behandeln. c. Härtefallklausel, § 23a AufenthG Eine weitere, strikt auf individuelle, nicht standardisierte Ausnahmefälle beschränkte Regelung ist in § 23a AufenthG getroffen. Danach darf vollziehbar Ausreisepflichtigen, also Ausländern ohne Aufenthaltstitel, in Härtefällen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Den Landesregierungen ist das Recht eingeräumt, „Härtefallkommissionen“ zu errichten, die eine Entscheidung über den jeweiligen Einzelfall treffen. Das Verfahren ist ebenso durch Landesrecht zu bestimmen wie die einzelnen Gründe, die einen Härtefall darstellen oder ausschließen. Bei der Entscheidung über ein Härtefallersuchen kann gemäß § 23a I 2 AufenthG berücksichtigt werden, ob der Ausländer über die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt verfügt oder ob ein Dritter eine – einer Bürgschaft für die Lebenshaltungskosten des Ausländers vergleichbare – Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben hat. § 23a AufenthG begründet keinen Rechtsanspruch. Die Härtefallkommissionen entscheiden vielmehr selbst, über welche Fälle in ihrer räumlichen Zuständigkeit sie eine Entscheidung treffen wollen (Selbstbefassung, § 23a II 2 AufenthG). Die Aufenthaltsgewährung wird allein unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses getroffen, § 23a I 4 AufenthG. Sie ist der gerichtlichen Kontrolle entzogen.186

186 Dazu ausführlich Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 485 ff., Schönenbroicher, ZAR 2004, 351 (356 f.).

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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d. Vorübergehender Schutz bei Massenzustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen, § 24 AufenthG Für den Fall der Zuwanderung großer Zahlen von Flüchtlingen oder Vertriebenen, beispielsweise aufgrund eines Krieges oder Bürgerkrieges, sieht § 24 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Gewährung vorübergehenden Schutzes vor. Die Norm und die ihr zugrunde liegende Richtlinie187 zielen auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung von „Massenzuströmen“ auf die EU-Mitgliedstaaten ab, um die daraus resultierenden Belastungen für deren Unterbringung und Versorgung nicht allein den Staaten der EU-Außengrenzen zu überantworten. Sie erfolgt jedoch auf freiwilliger Basis: sowohl die Bundesrepublik als auch der betroffene Flüchtling oder Vertriebene müssen mit der Aufenthaltsgewährung in der Bundesrepublik einverstanden sein. Der vorübergehende Schutz wird in der Regel für ein Jahr erteilt, er kann um weitere sechs, höchstens aber zwölf Monate verlängert werden, wenn die Fluchtgründe fortbestehen und der Europäische Rat keinen anderslautenden Beschluss fasst, § 24 I AufenthG i.V.m. Art. 4 I RL 2001/55/EG. e. Aufenthaltserlaubnis für Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge, § 25 I, II AufenthG Ist ein Ausländer rechtskräftig als Asylberechtigter nach Art. 16a GG oder als Flüchtling nach der GFK anerkannt, ist ihm zwingend eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 I bzw. II AufenthG zu erteilen. Die Ausländerbehörden sind gemäß § 4 S. 1 AsylVfG insoweit an die asylrechtlichen Entscheidungen des BAMF gebunden. Bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist von den in § 5 I, II AufenthG vorgesehenen Voraussetzungen abzusehen, § 5 III AufenthG. Asylberechtigte und Flüchtlinge müssen daher namentlich nicht nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. Nur wenn der Betreffende aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist, wird kein Aufenthaltstitel erteilt, § 25 I 2 AufenthG. Ein solcher schwerwiegender Grund ist jedoch nur anzunehmen, wenn die Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik die Schutzinteressen des Ausländers klar und deutlich überwiegen.188 Zudem muss bereits eine – nicht notwendig bestandskräftige oder sofort vollziehbare – Ausweisungsverfügung ergangen sein; das bloße Vorliegen eines Ausweisungsgrundes genügt also nicht.189 187 Richtlinie 2001/55/EG vom 20.7. 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. L 212 vom 7.8.2001, S. 12 ff. 188 BVerwGE 81, 155 (158); BVerwG, NVwZ 1995, 1129 (1130). 189 Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 221.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

f. Aufenthaltserlaubnis wegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote, § 25 III AufenthG Besteht ein „zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot“ nach § 60 II, III, V, VII AufenthG, soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, § 25 III AufenthG. Derartige Abschiebungsverbote bestehen insbesondere, wenn dem abzuschiebenden Ausländer konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung, der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder anderer erheblicher Gefahren für Leib oder Leben im Herkunftsstaat droht. Ist ein Asylantrag gestellt worden, trifft gemäß § 24 II AsylVfG das BAMF die Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots. An diese sind die Ausländerbehörden im Rahmen des Erlaubnisverfahrens gebunden.190 Nur in den Fällen, in denen der Ausländer ohne das Asylverfahren zu durchlaufen eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, kommt den Ausländerbehörden insoweit ein eigenständiges Prüfungsrecht zu. Das BAMF ist in diesen Fällen jedoch zu beteiligen, § 72 II AufenthG. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzt voraus, dass die Ausreise in einen anderen Staat – etwa einen sicheren Drittstaat – weder möglich noch zumutbar ist und der Ausländer nicht gegen im Aufenthaltsrecht gründende Mitwirkungspflichten verstoßen, erhebliche Straftaten oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder aus anderen Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik begründet hat, § 25 III 2 AufenthG. g. Erlaubnis des vorübergehenden Aufenthalts aus humanitären Gründen, § 25 IV-V AufenthG Für den vorübergehenden Aufenthalt kann aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder wegen eines erheblichen öffentlichen Interesses einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 IV AufenthG erteilt werden. Als dringende Gründe gelten nur solche Umstände, die einen weiteren vorübergehenden – nicht aber dauerhaften – Verbleib in der Bundesrepublik erforderlich machen, beispielsweise dringende medizinische Behandlungen oder die Notwendigkeit der Vorladung als Zeuge in einem Gerichtsverfahren. Die ist jedoch nur der Fall, wenn diese Ziele nicht auch im Ausland in zumutbarer Weise verfolgt werden könnten.191 Die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis ist ferner vorgesehen nach § 25 IVa AufenthG für Opfer von Menschenhandel192 oder nach § 25 V AufenthG für ausreisepflichtige Ausländer, deren Abschiebung auf abseh190

BVerwGE 124, 326 (330); 126, 192 (195). Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275 (276); Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 235 m.w.N. sowie Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 527 ff. 192 Umsetzung der Richtlinie 2004/81/EG vom 29.4.2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (Opferschutzrichtlinie), ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19 ff. 191

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bare Zeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht durchgeführt werden kann. Bei letzteren bestehen keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote, sondern andere Hindernisse, die dem freiwilligen oder zwangsweisen Verlassen der Bundesrepublik entgegen stehen. Dies ist beispielsweise der Fall bei fehlenden Personaldokumenten, Einreiseverboten in das Herkunftsland, fehlenden Transportmöglichkeiten oder schweren Erkrankungen des Ausreisepflichtigen, die die Reisetauglichkeit beeinträchtigen.193 § 25 V AufenthG fordert darüber hinaus, dass das Ausreisehindernis in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht wegfallen wird. Der Ausländer darf ferner seine Rückreise nicht schuldhaft verhindert haben, etwa indem er falsche Angaben zu seiner Identität gemacht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses nicht erfüllt hat, § 25 V 3, 4 AufenthG. Allen vorübergehenden Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 IV-V AufenthG ist gemeinsam, dass sie nur Ausländern erteilt werden können, die sich bereits im Inland aufhalten. Bei ihrer Erteilung kann von den Regelvoraussetzungen des § 5 I, II AufenthG abgesehen werden. Dabei ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen den humanitären Interessen des Ausländers, dem Gewicht der einzelnen Regelvoraussetzungen und dem Anliegen, Kettenduldungen zu verhindern. h. Geltungsdauer der humanitären Aufenthaltstitel Die humanitären Aufenthaltserlaubnisse werden für jeweils maximal drei Jahre erteilt, § 26 I 1 AufenthG. Die Zukunftsoffenheit des Aufenthaltes ist angesichts dessen fraglich, steht doch von vornherein fest, dass der Ausländer die Bundesrepublik nach Ablauf dieser Frist wieder verlassen muss. Bei anerkannten Asylberechtigten oder Flüchtlingen kommt nach dreijährigem Bestehen der Aufenthaltserlaubnis jedoch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis in Betracht. § 26 III AufenthG statuiert insofern einen Rechtsanspruch, wenn keine Gründe für den Widerruf oder die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis bestehen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Gründe für die Flucht aus dem Herkunftsland nicht weiter fortbestehen.194 Für die Inhaber eines anderen Aufenthaltstitels nach den §§ 22–25 AufenthG besteht die Möglichkeit der Umwandlung ihres Titels in eine Niederlassungserlaubnis erst nach einem Aufenthalt von sieben Jahren.195 Die Umwandlung setzt unter anderem voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist und dieser mindestens 60 Monate freiwillige oder Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder einer vergleichbaren Vorsorgeeinrichtung geleistet hat, § 26 IV, 9 II 1 Nr. 2–9 AufenthG. Vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung kann nur abgesehen werden, wenn der Ausländer dieses wegen einer kör193

Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275 (278 f.). Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 219; dazu auch BVerfGE 49, 168 (186); BVerwGE 62, 206 (211). 195 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen ausführlich Heinhold, ZAR 2008, 161. 194

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perlichen, seelischen oder geistigen Erkrankung oder Behinderung nicht erfüllen kann. Der Rückgriff auf § 5 III 2 AufenthG, wonach bei den humanitären Aufenthaltstiteln generell auf die Fähigkeit zur eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts verzichtet werden kann, ist nach Auffassung des BVerwG nicht zulässig. Der Gesetzgeber habe eine Aufenthaltsverfestigung nach § 26 IV AufenthG nur für kranke oder behinderte Ausländer vorgesehen, nicht aber für Personen, die aus anderen Gründen – etwa wegen der Pflege minderjähriger Kinder oder pflegebedürftiger Angehöriger – keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.196 Dieser Auffassung ist zuzustimmen, geht es doch um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, für die § 9 AufenthG besondere Erteilungsvoraussetzungen statuiert, die über die des § 5 AufenthG hinausgehen. Der ursprüngliche Grund der Aufenthaltsgewährung mag humanitär oder völkerrechtlich begründet gewesen sein. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis knüpft dagegen an die – faktische – Verfestigung des Inlandsaufenthalts an, unabhängig von deren Motiven oder Hintergründen. Eine im Zeitpunkt der Antragstellung noch fortbestehende Erlaubnis zum vorübergehenden Aufenthalt nach § 25 IV AufenthG kann verlängert – nicht aber in eine Niederlassungserlaubnis umgewandelt – werden, wenn das Verlassen der Bundesrepublik für den Ausländer aufgrund besonderer Einzelfallumstände eine außergewöhnliche Härte begründen würde. Diese Möglichkeit ist auf individuelle Ausnahmesituationen beschränkt, bei denen die Beendigung des Aufenthalts den Ausländer unverhältnismäßig schwerer treffen würde als andere Ausländer der gleichen Staatsangehörigkeit, die in der gleichen Situation zur Ausreise verpflichtet wären.197 Der kulturellen und sozialen Verwurzelung des Ausländers in der Bundesrepublik angesichts eines mehrjährigen vorausgegangenen Aufenthalts ist in diesem Zusammenhang Rechnung zu tragen.198 Sie allein vermag eine solche Sondersituation jedoch nicht zu begründen. Erforderlich ist vielmehr das Hinzutreten weiterer Umstände, welche die mit dem Verlassen der Bundesrepublik einhergehende „Entwurzelung“ auch vor dem Hintergrund grundgesetzlich geschützter Rechtspositionen – namentlich Art. 2 I, 6 I GG – als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Neben der familiären Verbundenheit zu anderen im Inland lebenden Personen sind in diesem Zusammenhang die Dauer des Aufenthalts, dessen Legitimität, aber auch die soziokulturelle Prägung des Ausländers von Bedeutung. Sie gelangt durch Schulbesuch, 196 BVerwG, ZAR 2009, 105 unter Verweisung auf BT-Drs. 15/420, S. 72; Anm. Pfersich, ZAR 2009, 106. 197 BVerwG, NVwZ 2007, 844 (psychische Erkrankung des in Deutschland geborenen Sohnes); VGH Baden-Württemberg, VBlBW 2006, 36 (schwierige Arbeitsmarktlage und Armutsgefahr im Herkunftsland); VGH Baden-Württemberg, InfAuslR 1993, 62 (Rückkehr in eine muslimisch geprägte Heimat nach Scheidung einer Ehe mit einem Deutschen). 198 Dazu ausführlich Fritzsch, ZAR 2010, 14; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 197.

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Berufstätigkeit, Sprachkenntnisse oder den emotionalen Bezug zu seinem Herkunftsland zum Ausdruck.199 Im Ergebnis kann die Zukunftsoffenheit der aus humanitären oder völkerrechtlichen Gründen gewährten Aufenthaltstitel nicht von vornherein abgelehnt werden. Zwar geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Aufenthalt lediglich vorübergehender Natur ist – offensichtlich wird dies in §§ 24 I, 25 IV AufenthG, in dem ausdrücklich von „vorübergehendem Schutz“ die Rede ist. Auch die Aufnahme der Inhaber humanitärer Aufenthaltstitel in das AsylbLG200 zeugt von der Annahme eines nur vorübergehenden Aufenthalts. Gleichzeitig bestimmt aber beispielsweise § 24 V AufenthG, an welchem Ort der Ausländer seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ zu nehmen hat. Auch der uneingeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt nach § 25 I 4, II 2 AufenthG – der im Gegensatz zur Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG nicht die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit voraussetzt – ist ein Indiz für die Annahme des Gesetzgebers, dass diese Personen umfänglich in die Inlandsgesellschaft aufzunehmen sind. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 5. Abschnitt des AufenthG steht daher nicht von vornherein der Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 30 I SGB I entgegen. Vielmehr ist eine Prognose im Einzelfall zu treffen, welche die Rückkehrmöglichkeiten einerseits und die Verwurzelung des Ausländers im Inland andererseits berücksichtigt. Grundsätzlich ist daher der Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts auch für die Inhaber humanitärer Aufenthaltserlaubnisse eröffnet. 3. Familiäre Gründe Der 6. Abschnitt des AufenthG trägt dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 I GG Rechnung, indem Aufenthaltserlaubnisse zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft erteilt werden können. Zweck des Aufenthalts ist allein die Herstellung und Wahrung dieser Lebensgemeinschaft. Entsprechend dem Schutzbereich des Art. 6 I GG201 ist davon jedoch nur die – tatsächlich und nicht nur formell miteinander verbundene – Kernfamilie aus Ehegatten, Eltern und Kindern, nicht aber die mehrere Generationen übergreifende Großfamilie erfasst. a. International- und supranationalrechtliche Vorgaben Auch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen ist stark europa- und völkerrechtlich determiniert. Neben Art. 6 I GG gewährleisten Art. 8 EMRK202 und Art. 7 GRCh den Schutz des familiären Zusammenlebens, 199 BVerfG, NVwZ 2007, 1300 (1301); BVerwGE 126, 192 (197); 133, 72 (83 f.); zur „Verwurzelung“ als Abwägungskriterium Thym, DVBl 2008, 1346; Kluth, ZAR 2009, 381. 200 Dazu ausführlich auf S. 286 ff. 201 BVerfGE 48, 327 (339). 202 Ausführlich Fritzsch, ZAR 2010, 14 (16).

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der in seiner aufenthaltsrechtlichen Dimension durch Sekundärrecht, namentlich die Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG,203 näher ausgeformt ist. Art. 4 I RL 2003/86/EG statuiert für Ehegatten und minderjährige Kinder ein subjektives Recht204 auf Nachzug zu einem in einem EU-Mitgliedstaat lebenden Drittstaatsangehörigen. Nach Art. 7 I lit. a)-c) RL 2003/86/EG kann der Aufenthaltsstaat die Familienzusammenführung jedoch davon abhängig machen, dass der Zusammenführende über einen nach den regionalen Gepflogenheiten hinreichenden Wohnraum sowie Krankenversicherungsschutz für sich und seine Familienangehörigen verfügt, der dem Schutzniveau der nach nationalem Recht zu gewährenden Leistungen bei Krankheit entspricht. Ferner können feste und regelmäßige Einkünfte verlangt werden, so dass weder der Zusammenführende noch seine Familienangehörigen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Sozialhilfeleistungen beanspruchen müssen. Diese Einkünfte darf der Aufnahmestaat an den geltenden Mindestlöhnen und -renten messen. Der damit eingeräumte Beurteilungsspielraum muss jedoch so ausgeübt werden, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht ausgehöhlt wird, ist diese doch wesentlich durch die in Art. 8 EMRK verankerte menschenrechtliche Garantie der Achtung des Familienlebens geprägt.205 Dies verbietet jede pauschale Betrachtung, etwa die Festlegung bestimmter fester Einkommensgrenzen, unterhalb derer die Familienzusammenführung verweigert werden kann. Die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen wirkt daher nur dann rechtsverhindernd, wenn der Zusammenführende über keinerlei Einkünfte verfügt, um seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie zu bestreiten.206 b. Allgemeine Voraussetzungen Im AufenthG werden der Familiennachzug zu Deutschen, zu Ausländern sowie der Nachzug von Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern, Eltern und sonstigen Verwandten unterschieden.207 Der Aufenthaltstitel setzt also voraus, dass sich ein Familienmitglied oder Ehegatte – der so genannte Stammberechtigte – bereits legal in der Bundesrepublik aufhält. Das Recht des Familiennachzugs ist akzessorisch zu dessen Aufenthaltstitel. Aus diesem Grund muss die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gemäß § 27 IV AufenthG mit der dem im Inland lebenden Familienmitglied gewährten Aufenthaltsdauer korrespondieren und darf diese nicht überschreiten.

203 Richtlinie 2003/86/EG vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl L 251 vom 03.10.2003, S. 12 ff. 204 EuGH,Slg. 2010, I-1839, Rn. 41 (Chakroun). 205 Vgl. nur EuGH, Slg. 2006, I-5769, Rn. 57 ff. (Parlament / Rat). 206 EuGH, Slg. 2007, I-10719, Rn. 29 (Eind); Slg. 2010, I-1839, Rn. 48 (Chakroun). 207 Dazu umfassend Walter, Familienzusammenführung in Europa: Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht, Nationales Recht, Baden-Baden 2009.

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Eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen gelten ferner die allgemeinen Voraussetzungen des § 5 AufenthG, insbesondere auch die Sicherung des Lebensunterhalts des nachziehenden Familienmitglieds. Die Mittel zum Lebensunterhalt können aus eigenem Erwerbseinkommen, Unterhaltsleistungen aus eigenen Mitteln des in Deutschland lebenden Familienangehörigen oder eigenem bzw. dem Vermögen eines Familienangehörigen bezogen werden. Leistungen Dritter werden in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt.208 Ausnahmen vom Gebot der Lebensunterhaltssicherung werden nur in atypischen Fällen zugelassen, etwa wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik geführt werden kann. Der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 I GG wäre in diesem Fall verletzt, würde man den Nachzug von Familienmitgliedern unter Berufung auf fehlende finanzielle Mittel versagen.209 Weitere spezifische Anforderungen an den Familiennachzug statuieren die §§ 27 ff. AufenthG. Danach kann der Aufenthaltstitel versagt werden, wenn das Familienmitglied, zu dem der Familiennachzug erfolgen soll, seinerseits auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII angewiesen ist, um andere Familienoder Haushaltsangehörige zu unterhalten, § 27 III 1 AufenthG. Dadurch soll verhindert werden, dass durch den Zuzug weiterer Familienangehöriger bislang erbrachte Unterhaltsleistungen nicht aus eigenen Mitteln fortgeführt werden können, weil nunmehr weitere Unterhaltsberechtigte hinzutreten. Den Ausländerbehörden ist insoweit ein Ermessen eingeräumt, bei dessen Ausübung zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen der Familie und den fiskalischen Interessen der Bundesrepublik abzuwägen ist. Es kommt nach bisheriger Rechtsprechung nicht darauf an, dass diese Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden. Das bloße Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Grundsicherung oder Sozialhilfe genüge, um einen Versagungsgrund zu begründen.210 Ebenso wenig sei relevant, ob der Zusammenführende über eigene Einkünfte verfügt, die durch die Leistungen der Sozialhilfe lediglich aufgestockt werden.211 Denn auch in diesem Fall sei der Lebensunterhalt der Familie nicht durch eigene Einkünfte gesichert. Europarechtskonforme Auslegung. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH, die eine Handhabung der Familiennachzugsregelungen nur zulässt, soweit zugleich dem menschenrechtlichen Gebot auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK oder Art. 7 I GRCh genügt ist, ist diese Praxis bedenklich. 208 Dazu sowie zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 322. 209 Marx, ZAR 2010, 222 (223). 210 BT-Drs. 15/420, S. 81. BVerwGE 131, 370 (375 f.) hat die Rechtmäßigkeit dieser Praxis bestätigt. 211 BVerwGE 131, 370 (377).

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Schematische Regelungen sind danach unzulässig, stellt der Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung nach Art. 4 I RL 2003/86/EG doch die Regel, dessen Versagung dagegen die Ausnahme dar. Die Versagungsgründe, namentlich die Vorgaben zur Lebensunterhaltssicherung sind demnach eng auszulegen.212 § 27 III AufenthG ist daher unionsrechtskonform so zu interpretieren, dass nur die tatsächliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen, nicht aber das abstrakte Bestehen eines Anspruchs die Familienzusammenführung ausschließen kann. Selbst in diesen Fällen ist statt einer pauschalen Versagung der Familienzusammenführung eine Einzelfallentscheidung angezeigt, die neben der Höhe und Regelmäßigkeit der aufzustockenden Einkünfte auch die Anzahl der Familienangehörigen zu berücksichtigen hat.213 Diesen Anforderungen hat das BVerwG in seiner neueren Rechtsprechung Rechnung getragen. Soll der Nachzug zu einem Familienmitglied erfolgen, welches auf die Leistungen der Sozialhilfe angewiesen ist, werden zwar erweiterte Anforderungen an die Einkünfte des Nachziehenden gestellt: diese müssen ausreichend sein, um nicht nur den eigenen, sondern den Lebensunterhalt der gesamten Kernfamilie zu sichern.214 Das Maß der Integration der in der Bundesrepublik lebenden Familienangehörigen sei aber im Hinblick auf höherrangiges Recht, namentlich die Familienzusammenführungsrichtlinie RL 2003/86/EG oder den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 8 EMRK, ebenso gegen den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen zu gewichten wie die Höhe des Beitrags des Nachziehenden zum Familieneinkommen. Freibeträge des Sozialhilferechts – beispielsweise in §§ 11 II 1 Nr. 6, 30 SGB II – dürften nicht zu Lasten des Ausländers anzurechnen sein.215 Sonderregelungen. Kinder, die zu ihren deutschen Eltern oder Eltern, die zu ihrem minderjährigen deutschen Kind nachziehen, sowie Ausländer, denen vorübergehender Schutz gewährt worden ist, sind kraft Gesetzes vom Erfordernis der eigenen Lebensunterhaltssicherung befreit, § 28 I 2 AufenthG. Sie sind damit Deutschen weitgehend gleichgestellt. Bei Angehörigen von Asylberechtigten, Konventionsflüchtlingen, beim Ehegattennachzug zu Deutschen, dem Nachzug nichtsorgeberechtigter Elternteile zu einem minderjährigen deutschen Kind oder der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug kann von diesem Erfordernis abgesehen werden, §§ 28 I 3, 4, III, 29 II 2, IV 1 AufenthG.

212

EuGH, Slg. 2010, I-1839, Rn. 43 (Chakroun). So auch Huber, NVwZ 2010, 697 (702); Marx, ZAR 2010, 222 (225); Zeran, InfAuslR 2010, 221 (224). 214 BVerwG, InfAuslR 2011, 144 (146 f.). 215 BVerwG, InfAuslR 2011, 144 (148); so auch VGH Kassel, ZAR 2006, 145 (146); VG Berlin, InfAuslR 2006, 21 (24); VG Lüneburg, InfAuslR 2007, 241 (243). Anders noch BVerwGE 131, 370 (376); OVG Berlin-Brandenburg, InfAuslR 2007, 340 (341). 213

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Um einen Missbrauch des besonderen Schutzes für Familien zu verhindern, ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 27 Ia AufenthG ausgeschlossen, wenn eine Ehe oder ein Verwandtschaftsverhältnis allein zu dem Zweck begründet worden ist, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen oder wenn Tatsachen für das Vorliegen einer Zwangsehe sprechen, bei der einer der Ehepartner zur Eingehung der Ehe genötigt worden ist. c. Familiennachzug zu Deutschen, § 28 AufenthG Ausländische Ehegatten, minderjährige ledige Kinder sowie Eltern von minderjährigen Deutschen haben einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs. Voraussetzung ist, dass der Deutsche, zu dem der Nachzug erfolgen soll, seinen gewöhnlichen Aufenthalt216 im Bundesgebiet hat. Der Rechtsanspruch gründet im Freizügigkeitsrecht der deutschen Familienangehörigen aus Art. 11 I GG.217 Deren nicht-deutsche Familienangehörige genießen den grundrechtlichen Schutz des Art. 11 I GG daher zumindest mittelbar. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Absehen von der Fähigkeit, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu sichern nach § 28 I 2, 3 AufenthG. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, kann die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis von der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts abhängig gemacht werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft in zumutbarer Weise auch im Ausland hergestellt werden könnte, insbesondere bei Doppelstaatern, die auch die Staatsangehörigkeit dieses Staats innehaben.218 Nach dreijährigem Bestehen der Aufenthaltserlaubnis ist den zu einem Deutschen nachziehenden Familienangehörigen in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht und sie sich in einfacher Weise in deutscher Sprache verständigen können, § 28 II 1 AufenthG. im Übrigen kann die Aufenthaltserlaubnis bei Fortbestehen der Lebensgemeinschaft verlängert werden. Die ausländischen Familienangehörigen von Deutschen haben daher eine zukunftsoffene Aufenthaltsperspektive in der Bundesrepublik. Ihr Aufenthalt ist folglich „gewöhnlich“ i.S.d. § 30 III SGB I, so dass ihnen der Zugang zum deutschen Sozialleistungssystem grundsätzlich offensteht. d. Familiennachzug zu Ausländern, § 29 AufenthG Wird der Nachzug zu einem Ausländer angestrebt, muss dieser Stammberechtigter, d.h. im Besitz einer gültigen Niederlassungserlaubnis, Daueraufenthaltserlaubnis-EG oder Aufenthaltserlaubnis sein. Eine Duldung oder das bloße Be216 Bei der Prüfung dieser Voraussetzung ist auf die Kriterien des § 30 III SGB I zurückzugreifen, Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 729. 217 BT-Drs. 15/420, S. 81. 218 BT-Drs. 16/5065, S. 171.

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stehen eines Anspruchs auf einen Aufenthaltstitel reichen nicht aus. Zudem muss er über ausreichenden Wohnraum für alle Personen verfügen, die zur familiären Lebensgemeinschaft zählen.219 Lediglich bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen kann nach § 29 II 2 AufenthG von diesem Erfordernis abgesehen werden. In diesem Fall steht die Erteilung der Erlaubnis zum Familiennachzug jedoch unter der Voraussetzung, dass der Antrag innerhalb von drei Monaten nach der Anerkennung als Asylberechtigter bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Stammberechtigten gestellt wird (Nr. 1). Zudem muss die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in einem Drittstaat, zu dem der Ausländer und seine Familienangehörigen – beispielsweise wegen früherer Aufenthalte oder der Staatsangehörigkeit dieses Staates – eine besondere Bindung haben, nicht möglich sein (Nr. 2). Wollen Ehegatten oder minderjährige Kinder von Inhabern einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 22, 23 I oder 25 III AufenthG nachziehen, steht deren Aufenthalt unter dem Vorbehalt völkerrechtlicher oder humanitärer Gründe oder der politischen Interessen der Bundesrepublik. Der um Nachzug ersuchende Familienangehörige muss daher in seiner Person die Voraussetzungen für eine humanitäre Aufenthaltsgewährung genauso erfüllen wie der Stammberechtigte. Die bloße familiäre Verbundenheit genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Lebensgemeinschaft der Familie auf absehbare Zeit allein in der Bundesrepublik und nicht im Herkunftsland hergestellt werden kann.220 Beruht das Aufenthaltsrecht des Stammberechtigten allein auf einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis wegen dringender humanitärer Gründe oder wegen rechtlicher oder tatsächlicher Ausreisehindernisse nach § 25 IV-V AufenthG, ist der Familiennachzug von vornherein ausgeschlossen. Der Familiennachzug ist bei den kurzfristig angelegten Aufenthaltstiteln also restriktiv ausgestaltet. Der Gesetzgeber will auf diese Weise einer aus seiner Sicht nicht gebotenen Verfestigung des Aufenthalts entgegenwirken. Sei der Aufenthalt in der Bundesrepublik nur vorübergehend erforderlich, könne dem Einzelnen auch eine kurzfristige Trennung von seiner Familie zugemutet werden.221 Ist einem Ausländer dagegen vorübergehender Schutz nach § 24 I AufenthG gewährt worden, ist dessen Ehegatten oder minderjährigen Kindern in § 29 IV 1 AufenthG ein uneingeschränktes Nachzugsrecht eingeräumt. Dazu muss die Trennung der Familie jedoch gerade durch die Fluchtsituation – sei es im Herkunftsland oder auf dem Fluchtweg – verursacht worden sein (Nr. 1). Zudem muss das nachziehende Familienmitglied sich entweder in einem anderen EU219

Im Einzelnen Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 743. BT-Drs. 15/420, S. 81. 221 BT-Drs. 15/420, S. 81; zur verfassungsrechtlichen Bewertung einer solchen Trennung vgl. BVerfGE 76, 1 (47 f.); dazu auch Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 351. 220

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Mitgliedstaat aufhalten oder in einem Drittstaat, wobei in diesem Fall jedoch ein besonderes Schutzbedürfnis des Nachziehenden hinzukommen muss (Nr. 2). Sonstige Familienangehörige können im Rahmen einer Härtefallentscheidung nach § 29 IV 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zur Gewährung ebenfalls vorübergehenden Schutzes erhalten. e. Ehegattennachzug zu Ausländern, §§ 30, 31 AufenthG Handelt es sich bei dem nachziehenden Familienmitglied um einen Ehegatten, gelten zusätzlich zu den in §§ 5, 29 AufenthG statuierten Voraussetzungen die besonderen Regelungen des § 30 AufenthG. Danach müssen beide Ehegatten das Mindestalter von 18 Jahren erreicht haben. Sie müssen sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können.222 Darüber hinaus spezifiziert § 30 I 1 Nr. 3 AufenthG die Anforderungen an den Aufenthaltstitel des Stammberechtigten, der Inhaber einer Niederlassungs-, einer Daueraufenthaltserlaubnis-EU oder eines humanitären Aufenthaltstitels sein muss. Seit wann der Titel besteht, ist irrelevant. Eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen als humanitären Gründen vermittelt jedoch nur dann einen Rechtsanspruch auf Nachzug, wenn sie seit mindestens zwei Jahren besteht. Mit dieser Wartezeit soll eine stabile Ansiedlung und die hinreichende Eingliederung des Stammberechtigten in die Inlandsgesellschaft zur Voraussetzung für den Ehegattennachzug gemacht werden.223 Wird die eheliche Lebensgemeinschaft beendet,224 kann eine bestehende und noch gültige Aufenthaltserlaubnis des nachgezogenen Ehegatten unter den Voraussetzungen des § 31 AufenthG verlängert werden. Sie begründet dann ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Die Sozialhilfeabhängigkeit steht der Erteilung des Titels in diesem Fall ausnahmsweise nicht entgegen, sofern der Empfänger die Bedürftigkeit nicht selbst verschuldet hat, § 31 IV 1, II 3 AufenthG. Die eheliche Lebensgemeinschaft muss während des gemeinsamen Aufenthalts in der Bundesrepublik für mindestens zwei Jahre ununterbrochen bestanden haben. Ist die eheliche Gemeinschaft durch den Tod eines der Ehegatten beendet worden, reicht es aus, wenn die Gemeinschaft im Zeitpunkt des Todes in der Bundesrepublik bestanden hat. Zeitliche Vorgaben werden insofern nicht gemacht. Ausnahmen von der Zweijahresfrist im Falle des Scheiterns der Ehe werden nur zugelassen, wenn die Versagung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde. Davon ist nach § 29 II 2 AufenthG 222 Ausführlich Hillgruber, ZAR 2006, 304; dazu kritisch Kingreen, ZAR 2007, 13 sowie Markard/Truchseß, NVwZ 2007, 1025. 223 Dies ist zulässig, EuGH, Slg. 2006, I-5769, Rn. 98. Zur Problematik längerer Wartefristen bereits BVerfGE 76, 1 (52 ff.). 224 Das dauerhafte Getrenntleben genügt, auf eine Scheidung der Ehe oder ein Verschulden der Ehegatten kommt es nicht an, OVG Lüneburg, Beschluss v. 23.5.2007 (10 ME 115/07); VGH Bayern, Beschluss v. 5.6.2007 (19 CS 07.862) – juris.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

auszugehen, wenn die Verpflichtung des Ausländers zur Rückkehr in sein Herkunftsland dessen schutzwürdige Belange unzumutbar beeinträchtigen würde. Eine solche Beeinträchtigung kann beispielsweise vorliegen, wenn der Ehegatte wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft in seinem Heimatland gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt wäre oder die Gefahr bestünde, dass der Kontakt zu einem gemeinsamen Kind willkürlich untersagt würde.225 Hatte allerdings der Stammberechtigte selbst keine „Anwartschaft“ auf eine rechtliche Verfestigung seines Aufenthalts in der Bundesrepublik – sei es wegen des seiner Aufenthaltserlaubnis zugrunde liegenden Zwecks oder weil die Erteilung einer Niederlassungs- oder Daueraufenthaltserlaubnis-EG aus anderen Gründen ausgeschlossen ist – kann auch der nachgezogene Ehegatte keine eigenständige Aufenthaltserlaubnis beanspruchen, § 29 I 2 AufenthG. Ehegatten haben mithin nur dann Zugang zur Bundesrepublik, wenn bei der Einreise die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts gemeinsam mit dem Stammberechtigten hinreichend wahrscheinlich ist oder war. Ist dies der Fall, ist ihnen auch der Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit nach § 30 I SGB I eröffnet. f. Kindernachzug zu Ausländern, § 32 AufenthG Nach § 32 AufenthG haben minderjährige ledige Kinder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn beide Eltern oder der allein sorgeberechtigte Elternteil Inhaber einer Niederlassungserlaubnis, Daueraufenthaltserlaubnis-EU oder Aufenthaltserlaubnis sind und das Kind seinen Lebensmittelpunkt gemeinsam – nicht notwendig gleichzeitig, aber innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von etwa drei Monaten226 – mit den Eltern in die Bundesrepublik verlegt (Nr. 2). Hat das Kind das 16. Lebensjahr nicht vollendet, besteht ein uneingeschränkter Rechtsanspruch auf Nachzug zu einem oder beiden Elternteilen, § 32 III AufenthG. Anderenfalls muss das Kind Sprachkenntnisse nachweisen oder aufgrund seiner Ausbildung und bisherigen Lebensverhältnisse eine baldige Integration in die deutsche Gesellschaft erwarten lassen, § 32 II AufenthG. Die Kinder von daueraufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen haben einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf Familiennachzug, ohne dass sie bestimmte integrative Anforderungen erfüllen müssen, § 32 IIa AufenthG. Zur Vermeidung besonderer Härten im Einzelfall ist der Kindernachzug ungeachtet der in Abs. I-III statuierten Voraussetzungen zu ermöglichen, § 32 IV AufenthG. Von den allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen ist namentlich ab-

225 Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 797 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 226 Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 379.

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zusehen, wenn angesichts der besonderen familiären Situation durch die Versagung des Aufenthalts das Wohl des Kindes gefährdet würde. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs wandelt sich die akzessorische Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs in ein eigenständiges Aufenthaltsrecht um, § 34 II 1 AufenthG. g. Nachzug von Eltern und sonstigen Familienangehörigen, § 36 AufenthG Den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der als Asylberechtigter oder Flüchtling anerkannt ist, ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sich kein sorgeberechtigter Elternteil in der Bundesrepublik aufhält. Der Anwendungsbereich der Norm ist also auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge beschränkt. Ziel des elterlichen Aufenthalts muss die Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik sein.227 Vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts und dem Nachweis ausreichenden Wohnraums wird in diesen Fällen abgesehen, § 36 I 2 AufenthG. Sonstige Familienangehörige können nach § 36 II AufenthG lediglich in außergewöhnlichen Härtefällen eine Aufenthaltserlaubnis erlangen. Als sonstige Familienangehörige gelten alle Personen, die über die Angehörigen der Kernfamilie hinausgehen, dieser aber dennoch verwandtschaftlich verbunden sind, beispielsweise Neffen und Nichten, aber auch Verschwägerte.228 Von einer außergewöhnlichen Härte ist nur auszugehen, wenn – unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie nach Art. 6 I, II GG – durch die Versagung des Aufenthalts im Einzelfall Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft eintreten, deren Ausmaß die Aufenthaltsverweigerung schlechterdings unzumutbar erscheinen lassen.229 4. Besondere Aufenthaltserlaubnisse §§ 37, 38 AufenthG sehen weitere besondere Aufenthaltstitel für Rückkehrer und ehemalige Deutsche vor. Diese Aufenthaltserlaubnisse können ungeachtet der sonstigen im Gesetz vorgesehenen Aufenthaltszwecke an Ausländer erteilt werden, die die Bundesrepublik nach einem längeren – nach § 37 AufenthG mindestens achtjährigem, nach § 38 AufenthG mindestens fünfjährigem – legalen Voraufenthalt verlassen hatten und nun erneut Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet anstreben.230 Grundsätzlich ist auch die Erteilung dieser Titel von der Fähigkeit zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts abhängig. Nur bei ehema-

227

Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 414. OVG Hamburg, Beschluss v. 23.8.1994 (Bs IV 150/94) – juris. 229 BVerwG, ZAR 1998, 43 (43); OVG Niedersachsen, ZAR 2007, 104 (104). 230 Ausführlich Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 831 ff.; Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 441 ff. 228

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ligen Deutschen kann in besonderen Fällen231 gemäß § 38 III AufenthG von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG abgesehen werden. In Umsetzung der Richtlinie 2003/109/EG hat der Gesetzgeber in § 38a AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis für Drittstaatsangehörige etabliert, die sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat rechtmäßig dauerhaft aufhalten dürfen. Diese ist gegenüber den anderen befristeten Aufenthaltstiteln des AufenthG vorrangig. Entsandte, Erbringer von Dienstleistungen, Saison- oder Grenzarbeitnehmer sind jedoch vom Anwendungsbereich der Norm ausgeschlossen, § 38a II AufenthG. Alle anderen Drittstaater haben einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis, wenn sie sich länger als drei Monate in der Bundesrepublik aufhalten wollen und sie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllen. Ihnen wird daher auch nur dann der Zugang zur Bundesrepublik gewährt, wenn sie ihren Lebensunterhalt sichern können, ohne Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. 5. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis Die vorgeschriebene Befristung der Aufenthaltserlaubnis muss sich ihrer Dauer nach am Aufenthaltszweck ausrichten.232 Bei der Bestimmung der Geltungsdauer ist den Ausländerbehörden ein Ermessen eingeräumt, sofern nicht im Gesetz konkrete Anforderungen aufgestellt sind. Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist unter den Voraussetzungen des § 8 AufenthG grundsätzlich möglich. Dabei gelten im Wesentlichen die gleichen Bedingungen wie bei der erstmaligen Erteilung des Titels. Aus einem einmal gewährten, befristeten Aufenthaltsrecht erwächst mithin kein Rechtsanspruch auf dessen Verlängerung. Bei der Entscheidung über die Verlängerung sind jedoch der aus dem bestehenden Aufenthalt folgende Grad der Integration des Ausländers in die deutsche Gesellschaft sowie dessen soziale und berufliche Bindungen zu berücksichtigen.233 Ist der Ausländer während seines Voraufenthalts bedürftig geworden und damit im Zeitpunkt des Verlängerungsantrag nicht mehr in der Lage, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern (§ 5 II Nr. 1 AufenthG), ist abzuwägen, ob sein weiterer Aufenthalt die Belange der Bundesrepublik beeinträchtigt. Die fiskalische Last aufgrund der Pflicht zur Leistung von Sozialhilfe stellt dabei nicht die allein tragende Ermessenserwägung dar. Sie ist vielmehr in Beziehung zu stellen zu anderen Umständen, die für oder gegen den weiteren Aufenthalt sprechen. Besteht die Bedürftigkeit nur in gerin231 Beispielsweise bei Personen, die wegen der Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime oder kriegsbedingt die deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben haben bzw. aufgeben mussten, vgl. BMI, Vorläufige Anwendungshinweise zum AufenthG, Rn. 38.2.10. 232 Renner, Ausländerrecht, § 7 AufenthG, Rn. 25. 233 Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 133, zum Vertrauensschutz bei der Verlängerung von Aufenthaltstiteln vgl. auch BVerfGE 49, 168 sowie BVerwGE 66, 29 (32); 59, 104 (106).

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gem Maße oder ist sie voraussichtlich vorübergehender Natur, ist im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Verlängerung des Aufenthaltstitels durchaus möglich.234

IV. Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber, § 55 AsylVfG Art. 16a I GG garantiert politisch Verfolgten das Recht auf Asyl. Für die Einreise und den Aufenthalt von Asylbewerbern bildet das AsylVfG ein dem AufenthG vorrangiges Spezialgesetz. Einem Ausländer, der um Asyl in der Bundesrepublik nachsucht, sind kraft Gesetzes die Einreise in das und der Aufenthalt im Bundesgebiet bis zum Abschluss des Verfahrens gestattet. Dies ist notwendige Folge des Asylrechts aus Art. 16a GG einerseits und des Refoulement-Verbots aus Art. 33 I GFK andererseits, welches jede Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze, insbesondere die Überstellung von politisch Verfolgten an den Verfolgerstaat verbietet.235 Demnach sind Asylbewerber zwar zum Aufenthalt in der Bundesrepublik berechtigt.236 Die Aufenthaltsgestattung stellt jedoch keinen Aufenthaltstitel dar, sondern begründet ein lediglich vorläufiges Bleiberecht bis zum Abschluss des Asylverfahrens.237 Zudem ist Asylbewerbern keine Bewegungsfreiheit zugestanden. § 55 I AsylVfG statuiert ausdrücklich, dass Asylbewerber keinen Anspruch auf freie Wahl ihres Aufenthaltsortes – weder der Gemeinde, noch des Bundeslandes – haben. Gemäß § 47 I AsylVfG werden sie in den ersten sechs Wochen – bis maximal drei Monaten – ihres Aufenthalts in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht. Im Anschluss sollen sie regelmäßig in Gemeinschaftsunterkünften leben, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist, § 53 I AsylVfG. Den Bezirk der Ausländerbehörde, in dem die Aufnahme- oder Gemeinschaftsunterkunft liegt, dürfen sie gemäß § 56 I AsylVfG nicht verlassen und sei es nur kurzfristig oder vorübergehend. Mit der Etablierung dieser Residenzpflicht wollte der Gesetzgeber die Asylsuchenden für die zuständigen Behörden erreichbar halten und

234

BVerwGE 66, 29 (31); Wollenschläger/Wiestner, DVBl 1983, 748 (749). BVerfGE 54, 341 (360); 56, 216 (240 f.); BVerwGE 49, 202 (205); 62, 206 (210 f.) dazu auch Renner, Ausländerrecht, § 4 AufenthG, Rn. 17; Zuleeg, RdA 1975, 221 (223); Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 237. Auf dieses Recht kann sich gemäß Art. 16a II GG jedoch nicht berufen, wer über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist ist. 236 Ist der Ausländer jedoch aus einem sicheren Drittstaat eingereist, besteht die Zuständigkeit eines anderen Staates für die Bescheidung des Asylantrags oder geht vom Antragsteller eine Gefahr für die Allgemeinheit aus, ist er gemäß § 18 II, III AsylVfG an der Einreise zu hindern bzw. in sein Herkunftsland zurückzuschieben. 237 BVerwGE 62, 206 (210 f.); 71, 139 (145); Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 93, 762. 235

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

Missbrauch von Leistungen verhindern, die im Zusammenhang mit dem Asylverfahren gewährt werden.238 Vor Abschluss des Asylverfahrens kommt die Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich nicht in Betracht. Etwas anderes gilt nach § 10 AufenthG nur, wenn die oberste Landesbehörde dem zustimmt und wichtige Interessen der Bundesrepublik die Erteilung des Titels erfordern. Diese Ausnahmeklausel ist restriktiv zu handhaben. Ihre Anwendung kommt daher nur bei erheblichen außenpolitischen Interessen oder bei international geachteten Persönlichkeiten in Betracht.239 Asylbewerber streben zwar die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts an. Dieser soll aber aufgrund des Asylrechts hergestellt werden. Für die Dauer des Asylverfahrens ist eine solche Verfestigung deshalb nicht zu unterstellen. Denn die Aufenthaltsberechtigung gestattet gerade nur das vorübergehende Verweilen in der Bundesrepublik, bis über den Asylantrag entschieden ist. Ob dem Antrag stattgegeben und damit der weitere Verbleib im Inland erlaubt wird, ist jedoch ungewiss. Steht aber bereits vor Abschluss des Asylverfahrens fest, dass der Antragsteller selbst bei Zurückweisung seines Antrags auf unbestimmte Zeit im Inland verbleiben darf, etwa weil seiner Abschiebung auf unabsehbare Zeit unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen, ist die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts allerdings denkbar. Entscheidend ist insoweit die Ermessenspraxis der Behörden bei einer Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung in bestimmte Herkunftsstaaten.240 Der Aufenthalt von Asylbewerbern ist daher grundsätzlich nicht gewöhnlich i.S.v. § 30 III SGB I.241 Sie sind gleichwohl nicht völlig schutzlos: mit dem AsylbLG ist ein gesondertes Leistungssystem etabliert worden, welches nach dem Willen des Gesetzgebers durch gering bemessene Leistungssätze dem vorübergehenden Charakter ihres Aufenthalts Rechnung tragen soll.242

V. Duldung, § 60a AufenthG Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer – also alle Personen, die unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist sind oder nicht (mehr) über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügen – sind gemäß § 58 I AufenthG abzuschieben, wenn sie ihrer Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommen oder wenn eine Überwachung 238

BVerwGE 100, 335 (342); ausführlich Tiemann, NVwZ 1987, 10. BMI, Vorläufige Anwendungshinweise zum AufenthG, Rn. 10.1.4.; dazu auch Renner, Ausländerrecht, § 10 AufenthG, Rn. 6. 240 BSGE 65, 84 (87); BSG, SGb 1996, 383 (388); zustimmend Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (304 f.). 241 BVerfG, SozR 3–7833 § 1 Nr. 4; dazu auch Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (304); BSGE 65, 261; 71, 78; BSG, SozR 3–2600 § 56 Nr. 3. 242 Dazu ausführlich auf S. 287. 239

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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der Ausreise im öffentlichen Interesse geboten ist. Mit der Abschiebung wird als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung unmittelbarer Zwang ausgeübt. Sie setzt daher eine vorherige schriftliche Androhung voraus, in der dem Ausreisepflichtigen eine Frist zur freiwilligen Ausreise einzuräumen ist, § 59 AufenthG. Kommt er dieser nicht nach, wird er von den Polizeibehörde an die Grenze verbracht und dort den Grenzkontrollbehörden übergeben, § 71 III, V AufenthG.243 Die Abschiebung ist jedoch nur zulässig, wenn dieser keine gesetzlichen Verbote entgegenstehen. Nach § 60 AufenthG darf die Abschiebung nicht in Länder erfolgen, in denen der Betroffene Lebensgefahr oder der Gefahr von Verfolgung oder Bedrohung aufgrund seiner „Rasse“, Religion, Staatsangehörigkeit oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung (I), der konkreten Gefahr von Folter oder unmenschlicher Behandlung (II) oder der Verhängung der Todesstrafe für eine von ihm begangene Straftat (III) ausgesetzt ist. Von der Abschiebung soll im Regelfall abgesehen werden, wenn im Zielstaat erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bestehen, § 60 VII AufenthG. Ergänzend zu diesen allgemeinen, völker- und menschenrechtlich begründeten Abschiebungsverboten sieht § 60a AufenthG die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung vor. Diese kommt zum einen als genereller Abschiebestopp für bestimmte Gruppen von Ausländern auf Anordnung der obersten Landesbehörde aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen in Betracht (I). Zum anderen kann sich ein individueller Abschiebestopp aus rechtlichen oder tatsächlichen Hindernissen ergeben, die der Abschiebung entgegen stehen (II 1). Auch wenn die Anwesenheit des Ausländers in der Bundesrepublik zur Aufklärung einer Straftat notwendig und sachlich geboten ist (II 2) und wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interesse (II 3) die vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, ist vorläufig von der Abschiebung abzusehen. Steht fest, dass die Abschiebung auszusetzen ist bzw. ausgesetzt werden kann, wird eine Duldung erteilt. 1. Aufenthaltsstatus geduldeter Ausländer Die Duldung beinhaltet keinen Aufenthaltstitel, bleibt die Rückreisepflicht doch gemäß § 60a III AufenthG unberührt. Ihr Regelungsgehalt liegt allein in der Feststellung, dass die zwangsweise Durchsetzung der Ausreise vorübergehend ausgesetzt ist.244

243 Ausführlich zum Abschiebungsverfahren Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 583 ff. 244 Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, Rn. 45.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

Vor dem Hintergrund dieser Norm wird vertreten, der Geduldete habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 30 SGB I inne.245 Indes kann allein aus der Tatsache, dass der Aufenthalt geduldeter Personen in der Bundesrepublik nicht rechtmäßig ist, noch nicht gefolgert werden, dass dieser generell nur vorübergehender Natur ist. Zwar folgt aus § 25 V 2, 3 AufenthG, dass sich der geduldete Aufenthaltsstatus über maximal 18 Monate erstrecken und danach eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn der Ausreisepflichtige die Rückkehrhindernisse nicht selbst verschuldet hat. In der Praxis werden Duldungen jedoch vielfach und über Jahre hinweg verlängert (so genannte Kettenduldungen). Zwar sollte dies mit der Ablösung des AuslG durch das AufenthG verhindert werden. Da es sich bei § 25 V AufenthG jedoch lediglich um eine Soll-Bestimmung handelt, ist die Praxis der Kettenduldung zumindest nicht generell ausgeschlossen. In diesen Fällen ist auf die rechtlich gebilligte, tatsächliche Verfestigung des Aufenthalts abzustellen, unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit. Die Duldung wird in diesem Fall zu einem „Aufenthaltsrecht zweiter Klasse entfremdet“.246 Ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, dass die Aufenthaltsbeendigung durchgesetzt wird, kann daher auch bei Geduldeten von einem gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 III SGB I ausgegangen werden, so dass im Grunde der Zugang zum deutschen Sozialleistungssystem eröffnet ist.247 2. Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete, § 18a AufenthG Besonders qualifizierten geduldeten Ausländern wird ein erleichterter Zugang zur Legalisierung ihres Aufenthalts gewährt. Ihnen kann ausnahmsweise eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung nach § 18a AufenthG erteilt werden. Dazu muss dem Geduldeten ein Beschäftigungsverhältnis in Aussicht stehen, das seiner beruflichen Qualifikation entspricht und die Bundesagentur für Arbeit muss der Erwerbstätigkeit zugestimmt haben. Die notwendige Qualifikation kann gemäß § 18a I Nr. 1 AufenthG entweder durch eine qualifizierte Berufsausbildung oder ein abgeschlossenes Hochschulstudium in der Bundesrepublik oder durch einen vergleichbaren, anerkannten ausländischen Abschluss nachgewiesen werden – in letzterem Fall muss der Ausländer jedoch über zwei Jahre eine der Qualifikation entsprechende Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt haben. Auch eine dreijährige ununterbrochene Beschäftigung als Fachkraft mit qualifizierter Berufsausübung genügt den Anforderungen, wenn der Ausländer im letzten Jahr vor Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nicht auf öffentliche Leistungen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts und des seiner Familie 245 Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (304); Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 711. 246 BSGE 84, 253 (257). 247 BSGE 65, 84 (87); 84, 253 (257).

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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angewiesen war. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 18a AufenthG ist damit auf solche Geduldete beschränkt, die vormals einen Aufenthaltstitel innehatten – anders wären weder Ausbildung noch Studium oder Erwerbstätigkeit im Inland denkbar. Wie die sonstigen Aufenthaltserlaubnisse kann auch ein auf § 18a AufenthG basierender Titel einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 30 III SGB I vermitteln. 3. Altfallregelung, § 104a AufenthG Mit der 2007 in das Gesetz aufgenommene Altfallregelung sollte wirtschaftlich und sozial integrierten Ausländern, die über Jahre hinweg der Praxis der Kettenduldungen unterworfen waren, eine Perspektive auf einen dauerhaften Verbleib in der Bundesrepublik eingeräumt werden.248 Nach § 104a II AufenthG kann geduldeten volljährigen ledigen Kindern von Ausländern, die sich am 1.7.2007 seit mindestens acht Jahren – bzw. sofern sie mit minderjährigen Kindern zusammenleben: seit mindestens sechs Jahren – geduldet, gestattet oder aufgrund einer humanitären Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik aufhalten, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Ihr unrechtmäßiger Aufenthalt wird dadurch legalisiert. Dies setzt jedoch voraus, dass sie bei der Einreise in die Bundesrepublik noch minderjährig waren. Zudem muss eine so genannte Integrationsprognose darauf schließen lassen, dass sich der Betreffende aufgrund seiner Ausbildung und seiner bisherigen Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen wird. Für die sich langjährig im Inland aufhaltenden Ausländer, die nicht selbst Kinder von Einwanderern sind, gilt dies nach § 104a I AufenthG nur, wenn sie über ausreichenden Wohnraum und hinreichende Kenntnis der deutschen Sprache verfügen und keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – etwa durch Bezüge zu extremistischen Organisationen oder das Begehen aufenthaltsrechtlicher Ordnungswidrigkeiten oder von Straftaten – zu befürchten steht. Kann ein Ausländer seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit eigenständig sichern, wird ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 I 1 AufenthG erteilt, § 104a I 2 HS 1 AufenthG. Diese kann gemäß § 26 IV AufenthG nach siebenjähriger Gültigkeit in eine Niederlassungserlaubnis übergehen und somit zu einer dauerhaften Aufenthaltsverfestigung führen. Kann der Geduldete seinen Lebensunterhalt dagegen nur unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten, erhält er lediglich eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach § 104a I 1 AufenthG. Der Rückgriff auf § 26 IV AufenthG ist damit ausgeschlossen. Der Gesetzgeber wollte damit einen Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit setzen und einer befürchteten „Einwanderung in die Sozialsysteme“ Einhalt gebieten.249 248 249

BT-Drs- 16/5065, S. 201 f. Dazu Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 478; Kirsch, ZAR 2008, 130 (132).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

§ 104b AufenthG statuiert ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für minderjährige Kinder geduldeter Ausländer, die die Voraussetzungen des § 104a AufenthG nicht erfüllen und daher zur Ausreise verpflichtet sind. Dem Kind kann danach eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat, sich seit mindestens sechs Jahren legal oder mit Duldung in der Bundesrepublik aufhält, über deutsche Sprachkenntnisse verfügt und seine Personensorge sichergestellt ist. Ferner muss eine Integrationsprognose positiv ausfallen, d.h. darauf schließen lassen, dass sich das Kind aufgrund seiner Schulausbildung und Lebensführung in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik eingefügt hat und auch weiterhin einfügen wird. Das Aufenthaltsrecht ermöglicht damit die rechtliche Verfestigung eines lang andauernden tatsächlichen Aufenthalts und trägt somit den Integrationserfolgen und -bedürfnissen der Migranten Rechnung. Die Altfallregelung ist gleichwohl heftig kritisiert worden, etwa wegen der in § 104a III AufenthG angeordneten negativen Auswirkungen der Straftaten von zum gleichen Haushalt zählenden Familienmitgliedern auf die Integrationsprognose des um eine Aufenthaltserlaubnis ersuchenden Ausländers. Eine solche „Sippenhaft“ kennt das deutsche Rechtssystem für deutsche Staatsangehörige nicht.250 Die Altfallregelung stellt damit eine Inklusionshürde speziell für Migranten ohne Aufenthaltstitel auf, deren Aufenthalt lang andauert und aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bislang nicht beendet worden ist. Eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive und damit die grundsätzliche Eröffnung des Zugangs zum deutschen Sozialleistungssystem nach § 30 I SGB I wird – im Einklang mit den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 I Nr. 1 AufenthG – wiederum nur demjenigen gewährt, der in absehbarer Zeit voraussichtlich keine Leistungen sozialer Sicherheit in Anspruch nehmen wird.

VI. Irregulärer Aufenthalt Wird ein Ausländer an der Grenze aufgegriffen, der die notwendigen Einreisevoraussetzungen – etwa das Innehaben eines Aufenthaltstitels – nicht erfüllt, ist er gemäß §§ 14 I Nr. 2, 15 I AufenthG zurückzuweisen. Die Einreise darf ihm also nicht gestattet werden. Wird die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts erst nachträglich bekannt, ist der Ausländer binnen sechs Monaten zurückzuschieben, § 57 I 1 AufenthG. § 95 I Nr. 3 AufenthG ordnet überdies die Strafbarkeit der unerlaubte Einreise in die Bundesrepublik an. Ist nach legaler Einreise die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels abgelaufen, besteht nach § 50 I, II AufenthG die Pflicht zur unverzüglichen Ausreise. Die Illegalität des Aufenthalts folgt in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle aus 250 Entsprechend kritisch Kirsch, ZAR 2008, 130 (134); a.A. OVG Sachsen-Anhalt, DVBl 2009, 993.

B. Materielle Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet

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diesem Tatbestand („overstayers“). Da die Ausreisepflicht nach vorangegangener Androhung jederzeit durch Verwaltungszwang im Wege der Abschiebung nach § 58 AufenthG durchgesetzt werden kann, haben die irregulären Migranten typischerweise keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik inne. Dies gilt unabhängig von ihrem Willen und ihrer tatsächlichen Möglichkeit, ihren Aufenthalt unentdeckt zu halten und damit der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht auf Dauer zu entgehen. Der Zugang zu den Leistungen des SGB ist ihnen daher verwehrt. Davon geht auch der Gesetzgeber aus, der vollziehbar Ausreisepflichtige dem Leistungssystem des AsylbLG zuordnet, § 1 I Nr. 5 AsylbLG. Die restriktive Behandlung irregulärer Migranten ist durch europäisches Recht im Grunde gedeckt. Art. 79 II lit. c) AEUV sieht ausdrücklich die Etablierung gemeinschaftsrechtlicher Mechanismen über die Abschiebung und Rückführung illegaler Einwanderer vor. Die Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Behörden über die Rückführung werden – anders als die Anerkennung als politisch Verfolgter! – EU-weit gegenseitig anerkannt.251 Zur Durchsetzung der abwehrenden Politik hat die Union mit der Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX 252) eine eigenständige Organisation etabliert, in der die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten.253

VII. Fazit Die Gewährung von Aufenthaltsrechten und damit die Möglichkeit, seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, war und ist Angelegenheit der Nationalstaaten. Das Europarecht weist jedoch eine aufenthaltsrechtlich rechtserweiternde Dimension auf, indem es zwar keine eigenständigen europäischen Aufenthaltstitel etabliert, wohl aber über die Grundfreiheiten des Primärrechts und die ebenfalls im Vertrag angelegte Asyl- und Flüchtlingspolitik und den Erlass ausformender Richtlinien den Mitgliedstaaten Gesetzgebungsaufträge erteilt. Die Bundesrepublik ist diesen auch weitgehend nachgekommen. Ein gewöhnlicher Aufenthalt und damit die durch § 30 SGB I begründete Eröffnung des Anwendungsbereichs des Sozialgesetzbuches kann ohne Weiteres bei niederlassungswilligen Unionsbürgern sowie bei Drittstaatsangehörigen angenommen werden, die über eine Niederlassungs- oder eine Daueraufenthaltserlaubnis-EG verfügen. Die anderen Aufenthaltstitel sind aufgrund ihrer Befristung zwar nicht zukunftsoffen in dem Sinne, dass sie ihrem Inhaber ein zeitlich unbestimmtes Bleiberecht ermöglichen. Die Verlängerungsmöglichkeiten und 251 Richtlinie 2001/40/EG vom 28.5.2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen, ABl. L 149 vom 2.6.2001, S. 34 ff. 252 Vgl. dazu den Überblick bei Fischer-Lescano/Tohodipur, ZaöRV 67 (2007) 1219 ff. 253 Eingehend Kapuy, The social security position of irregular migrant workers, S. 145 ff.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

namentlich die Möglichkeit, den Titel nach einer gewissen Voraufenthaltszeit in eine Niederlassungserlaubnis umzuwandeln, erlauben gleichwohl nicht generell den Schluss auf die vorübergehende Natur des Aufenthalts. Auch der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis begründet seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik, und zwar so lange der vom Aufenthaltstitel umfasste Aufenthaltszweck besteht. Dies gilt nicht für die Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylVfG oder die Duldung. Bei irregulären Migranten, die sich ohne jedweden Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik aufhalten, ist – ungeachtet ihrer faktischen Aufenthaltsdauer – die rechtliche Unbeständigkeit angesichts des Erlaubnisvorbehalts und der Ausreisepflicht nach § 50 I AufenthG evident. Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts haben daher dem Grunde nach nur Deutsche sowie Ausländer – seien es Unionsbürger oder Drittstaater – die über hinreichende Mittel zum Lebensunterhalt sowie erworbene Rentenanwartschaften verfügen, dass eine „Belastung“ des Sozialstaats von vornherein nahezu ausgeschlossen ist.

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I § 30 SGB I, die zentrale Kollisionsnorm des deutschen Sozialrechts, steht unter dem Vorbehalt anderer Kollisionsnormen, die sich aus innerstaatlichem, aber auch aus internationalem Recht ergeben können. Dies folgt aus § 30 II SGB I, wonach die Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Supra- und internationales Recht kann also nicht nur in der Weise rechtserweiternd wirken, dass der gewöhnliche Aufenthalt abweichend von den im AufenthG vorgesehen Grundsätzen erlangt werden kann. Es kann auch bewirken – und dies ist der Gehalt des § 30 II SGB I – dass der gewöhnliche Inlandsaufenthalt für den Zugang zu bestimmten Sozialleistungen ohne Belang ist.254 Umgekehrt sind auch Einschränkungen zu Lasten von Migranten denkbar, wenn die Anspruchsberechtigung für bestimmte Sozialleistungen an bestimmte Aufenthaltstitel anknüpft. Entsprechende Sonderregeln, die nach dem Spezialitätsgrundsatz § 30 SGB I vorgehen, finden sich namentlich in den Regelungen über die Zweige sozialer Sicherheit – für die Sozialversicherung in § 3 SGB IV (Kapitel 4), ferner für die Sozialhilfe in § 23 SGB XII (Kapitel 5) sowie einzelgesetzlich geregelt im Recht der sozialen Förderung (Kapitel 6) und Entschädigung (Kapitel 7). Neben dem Europarecht sind völkerrechtliche Verträge die zentrale Rechtsquelle, die das Wohnsitzprinzip abbedingt und überformt.255 Dieses ist für 254

So Seewald in KassKomm, § 30 SGB I, Rn. 29. Auf die Besonderheiten für die Angehörigen und Bediensteten des diplomatischen oder konsularischen Dienstes wird in dieser Darstellung nicht eingegangen. 255

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I

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Unionsbürger, jene für Drittstaatsangehörige relevant. Für die soziale Sicherheit von sich in Deutschland aufhaltenden Drittstaatsangehörigen sind die Sozialversicherungsabkommen von besonderer Relevanz. Die Bundesrepublik hat diese mit zahlreichen Staaten256 abgeschlossen. Den Vereinbarungen kommt der Rechtscharakter eines Staatsvertrags zu. Verbindlich sind die Abkommen gemäß Art. 59 II GG jedoch erst nach ihrer Umsetzung ins nationale Recht, d.h. nach der Ratifizierung durch ein einfaches Gesetz. Erst dieses Zustimmungsgesetz beinhaltet einen Anwendungsbefehl.257 Ihr Regelungsgehalt liegt vor allem in der Koordinierung erworbener sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche, zumeist in der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Ihnen liegt üblicherweise das Prinzip der Gegenseitigkeit zugrunde, d.h. ein Vertragsstaat gewährt den Angehörigen des anderen Vertragsstaats nur Vorteile, soweit jener auch dessen Angehörigen vergleichbare sozialrechtliche Vorteile einzuräumen bereit und in der Lage ist. Die Abkommen enthalten eine allgemeine persönliche Gleichbehandlungsklausel. Danach sind die Angehörigen des Vertragsstaates bei gewöhnlichem Aufenthalt in dem anderen Staat wie dessen eigene Staatsangehörige zu behandeln. Der Auslandsaufenthalt eines Sozialversicherten wirkt sich damit nicht mehr negativ auf dessen Ansprüche in der sozialen Sicherung aus. Denn Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit beim Zugang zum inländischen Sicherungssystem sind im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander unzulässig. Neben dem Grundsatz der Inländerbehandlung ordnen die Abkommen die Gleichstellung von Gebieten und Tatbeständen an. Macht das nationale Recht den Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit vom Inlandsaufenthalt abhängig – so § 30 I SGB I – führen diese dazu, dass der Auslandsaufenthalt im Vertragsstaat dem Inlandsaufenthalt der nach dem Abkommen berechtigten Personen gleichzustellen ist. Üblicherweise ist diese Wirkung auf die Leistungsgewährung beschränkt, nicht aber für die Heranziehung zur Finanzierung des Sozialsystems des Aufenthaltsstaates.258 Besteht mit einem Staat kein Sozialversicherungsabkommen, ist für dessen sich im Inland aufhaltenden Staatsangehörige allein das deutsche „Ausländersozialrecht“ maßgeblich.

256 Eine Sammlung aller Abkommen findet sich bei Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten (Loseblattsammlung). Ausführlich zu den Leitlinien der Abkommen Eichenhofer/Abig in Lang, Double Taxation Conventions and Social Security Conventions, S. 321 ff. 257 So genannte dualistische Lehre, vgl. BVerwGE 80, 233; BVerwG, NVwZ 1992, 177; ausführlich Petersen in Maydell, Sozialrechtshandbuch, § 35, Rn. 19 ff. 258 Petersen in Maydell, Sozialrechtshandbuch, § 35, Rn. 52.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

D. Gleichbehandlungsansprüche von Migranten Der Zugang von Ausländern zu den Leistungen sozialer Sicherheit ist durch die im AufenthG angelegten Regelungen im Vergleich zu Deutschen erschwert. Über das Erfordernis des gewöhnlichen Aufenthalts hinaus differenzieren die besonderen Teile des SGB teilweise unmittelbar nach Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus und billigen Ausländern nur eingeschränkte Leistungsansprüche zu. Eine Erweiterung des Rechtsstatus von Ausländern ließe sich jedoch aus der menschenrechtlichen Dimension von Gleichbehandlungsansprüchen herleiten. Diese finden sich sowohl im nationalen als auch im Europa- und im Völkerrecht.

I. Das Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, Art. 1 I GG i.V.m. Art. 20 I GG In Art. 20 I GG ist die Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Rechtsstaat definiert. Das darin enthaltene Sozialstaatsprinzip berechtigt und verpflichtet den Gesetzgeber, die grundgesetzlich geschützte freie Entfaltung des Einzelnen durch Sozialrecht zu flankieren und so sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit zu erzielen.259 Die vom Sozialstaatsprinzip geforderte Herstellung sozialer Gleichheit bezieht sich nicht auf Gleichheit im freiheitsrechtlichen Sinne, sondern zielt auf gleiche Ausgangsbedingungen zur Verwirklichung der individuellen Freiheit. Derartige Teilhabeansprüche kommen Deutschen wie den im Inland lebenden Ausländern im Grunde gleichermaßen zu, eröffnet § 30 I SGB I doch jedermann den Zugang zu den nach dem SGB zu gewährenden Leistungen. Wie sämtliches (Verfassungs-)Recht ist auch das Sozialstaatsprinzip im Lichte der in Art. 1 I GG verankerten Menschenwürdegarantie zu interpretieren. Diese verpflichtet alle staatliche Gewalt; sie soll dem Einzelnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hat aus Art. 1 I GG im Zusammenspiel mit dem Sozialstaatsprinzip ein individuelles Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz abgeleitet. 260 Der Sozialstaat muss danach jedermann die Mittel leisten, die für ein würdiges Leben vonnöten sind. Das menschenwürdige Leben geht über das bloße Überleben, also die durch Art. 2 II GG geschützte Sicherung der physischen Existenz hinaus.261 Es erfordert ein gewisses Maß an Teilhabe am sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben.262 Dieser Aspekt wird vom Begriff des soziokulturellen Existenzminimums erfasst. Daraus lässt sich freilich kein konkret zu beziffernder Anspruch ableiten. Der Begriff des Existenzminimums ist vielmehr durch den Gesetzgeber 259 260 261 262

Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 119. BVerfGE 82, 60 (85); 125, 175 (221). BVerfGE 120, 125. BVerfGE 125, 175 (insbesondere Orientierungssatz 2b).

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I

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zu konkretisieren. Nur so kann den sich ständig wandelnden wirtschaftlichen Verhältnissen und gesellschaftlichen Normen und Anschauungen Rechnung getragen werden.263 Dieser Gestaltungsspielraum berechtigt jedoch nicht zu Willkür. Denn die Menschenwürdegarantie ist universell. Das Grundgesetz differenziert weder nach der Staatsangehörigkeit, noch der Berechtigung zum Inlandsaufenthalt. Alle aus der Menschenwürde abgeleiteten Rechte müssen daher grundsätzlich ungeachtet der Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Staat gewährleistet werden. Dies hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass jedermann überall gleich zu behandeln wäre. Das Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz ist nicht als absoluter Gleichbehandlungsanspruch zu verstehen. Sein Gehalt liegt vielmehr darin, dass der Sozialstaat existenzsichernde Hilfen orientiert am individuellen Bedarf leistet. Die Höhe der Leistungen muss aber auf validen, verlässlich ermittelten Daten basieren, so dass deren Tauglichkeit zur Bedarfsdeckung auf empirisch belegt sein muss.264 Lassen sich für bestimmte Personengruppen unterschiedliche Bedarfe nachweisen, sind Unterschiede in der Leistungsgewährung zulässig. Differenzierungen, die auf die Dauer des Aufenthalts und den Grad der Integration in die Inlandsgesellschaft rekurrieren, sind daher grundsätzlich zulässig. Für die elementaren, existenzsichernden Leistungen gilt dies jedoch nur, wenn sich unmittelbar aus dem Aufenthaltsstatus unterschiedliche Bedarfe ableiten lassen. 265

II. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 GG Ob sich absolute Differenzierungsverbote im Sozialrecht aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG ableiten lassen, ist ebenfalls fraglich. Art. 3 I GG statuiert die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Nach Art. 3 III GG ist jede Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund des Geschlechtes, der Abstammung, „Rasse“, Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens sowie wegen religiöser oder politischer Anschauungen untersagt. Diese Differenzierungsverbote gelten wie die Menschenwürdegarantie als Menschenrecht,266 also für Deutsche und Ausländer gleichermaßen. Beide Absätze stehen zueinander im Verhältnis der Spezialität: die Eröffnung des Anwendungsbereichs von Art. 3 III GG versperrt den Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG.267

263 264 265 266 267

Schulz, SGb 2010, 201 (204); Schnath, NZS 2010, 297 (298). BVerfGE 125, 175 (226 ff.). Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (86 f.). Dazu ausführlich auf S. 291 ff. Zuleeg, DÖV 1973, 361 (363). Siehr, Die Deutschengrundrechte des Grundgesetzes, S. 395.

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

1. Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit im Lichte des Art. 3 III GG Differenzierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit sind nach Art. 3 III GG nicht ausgeschlossen.268 Denn diese ist darin nicht ausdrücklich als verpöntes Differenzierungskriterium aufgeführt. Dies wird einerseits daraus hergeleitet, dass fremde Staatsangehörige anders als die eigenen der staatlichen Rechtsordnung nicht „unentrinnbar“ und auf Lebenszeit verbunden seien. Ihnen sei das Recht der jederzeitigen freien Ausreise eingeräumt, so dass sie die Bindung an die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaats jederzeit frei auflösen können.269 Ein anderer Ansatz begründet die Zulässigkeit von Unterscheidungen nach der Staatsangehörigkeit mit deren Veränderbarkeit:270 die Staatsangehörigkeit ist kein erworbenes, gänzlich der Disposition ihres Inhabers entzogenes Moment. Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit könne sich der Einzelne daher zumindest dem Grunde nach durch deren Wechsel entziehen. Eine Sonderstellung von Ausländern ist daher nicht per se unzulässig – es sei denn, der Anwendungsbereich eines der anderen Differenzierungskriterien ist eröffnet. Für Migranten sind insbesondere die Merkmale der „Rasse“, Sprache, Heimat und Religionszugehörigkeit von Relevanz. Diese Merkmale sind zwar nicht unmittelbar mit der Staatsangehörigkeit verknüpft, weisen aber gleichwohl einen starken Bezug zu dieser auf. Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ ist zwar problematisch, zielt dieses Diskriminierungsverbot doch gerade darauf ab, die anthropologische Einteilung der Menschheit in Rassen zu unterbinden. Die Verfassung macht sich dadurch rassistische Sichtweisen jedoch nicht zu Eigen, sondern greift in Anknüpfung an den verpönten Rassismus auf diese Wortwahl zurück. Das Merkmal bezieht sich auf vererbte äußerliche Merkmale eines Menschen, insbesondere die Hautfarbe oder eine bestimmte Physiognomie. Als Abstammung ist die biologische Beziehung eines Menschen zu seinen Vorfahren definiert.271 Heimat und Herkunft bezeichnen dagegen die sozialen Beziehungen des Einzelnen. Während mit dem Begriff der Herkunft eine gewissermaßen ständische Identität gemeint ist, ist unter Heimat die örtliche Herkunft, also die emotionale Verwurzelung eines Menschen in einer bestimmten Region zu verstehen. Dieses Merkmal soll insbesondere Flüchtlingen und Vertriebenen zur Gleichbehandlung verhelfen.272 Die Abstammung rührt damit – trotz des zunächst vernachlässigbaren Bezugs zum Staatsangehörigkeitsrecht – am ius sanguinis, die Heimat am ius soli. Auch die Deutscheneigenschaft in Art. 116 I GG knüpft an biologische und emotional-kulturelle Verwurzelung an. 268 269 270

BVerfGE 51, 1 (30); 90, 27 (37); BVerwGE 22, 66 (70). Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (58 f.) Heun in Dreier, GG, Art. 3, Rn. 116; Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht,

S. 23. 271 272

BVerfGE 9, 124 (128). BVerfGE 107, 257 (269); Heun in Dreier, GG, Art. 3, Rn. 116 f.

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Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit gründen auf Faktoren, die mit den in Art. 3 III GG umschriebenen Merkmalen verbunden sind. Sie können daher zumindest mittelbar die Differenzierungsmerkmale des Art. 3 III GG tangieren.273 Benachteiligungen sind – dies ist der rechtliche Gehalt der besonderen Hervorhebung dieser Merkmale in Art. 3 III GG gegenüber Art. 3 I GG – deswegen besonders zu rechtfertigen. Wegen der Vielfalt der verpönten Kriterien und der daran anknüpfenden Schutzzwecke gilt keine allgemeine Rechtfertigungsformel. Es herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass eine einfache Rechtfertigung einer Benachteiligung durch Nachweis eines sachlichen Grundes nicht ausreicht. Es ist vielmehr generell ausgeschlossen, Ungleichbehandlungen unter Rückgriff auf die genannten Kriterien zu begründen.274 Mittelbare Diskriminierungen aufgrund der Herkunft oder Heimat – und allenfalls diese folgen aus der im Sozialrecht zum Teil vorgenommenen Differenzierung nach Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsstatus – sind von diesem Begründungsverbot nicht erfasst.275 2. Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG als Willkürverbot Ungleichbehandlungen im Sozialrecht sind daher in der Regel am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG zu messen. Aus dessen weitem Verständnis als Willkürverbot kann sich die Unzulässigkeit differenzierender Regelungen und Maßnahmen ergeben. Nach der vom BVerfG entwickelten „neuen Formel“ liegt eine unzulässige Ungleichbehandlung vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine derart substanziellen Unterschiede bestehen, welche die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.276 Kann der Gesetzgeber mithin einen sachlichen Grund für die Notwendigkeit der Differenzierung nachweisen, liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor. Zwar wird unter Bezugnahme auf die verfassungsrechtliche Differenzierung nach Jedermann- und Deutschengrundrechten vertreten, die Staatsangehörigkeit bilde kraft Verfassungsrechts stets einen legitimen Grund für Ungleichbehandlungen. Sachverhalte, in denen sich „eigene“ und „fremde“ Staatsangehörige gegenüberstehen seien also per se nicht gleichwertig.277 Diese pauschale Aussage wird dem Gehalt der „neuen Formel“ jedoch nicht gerecht, erfordert die Ab273 Zuleeg, DÖV 1973, 361 (363); Siehr, Die Deutschengrundrechte des Grundgesetzes, S. 396 f. 274 Vgl. auch BVerfGE 23, 258 zum Ausschluss des Kindergeldanspruchs für Kinder ohne Wohnsitz und Aufenthalt in der Bundesrepublik. 275 Heun in Dreier, GG, Art. 3, Rn. 110 m.w.N. 276 St. Rspr., vgl. BVerfGE 22, 387 (415); 52, 277 (280); 55, 72 (88); 88, 87 (96); 112, 368 (401); 116, 229 (238). Zuletzt für den Ausschluss von Drittstaatsangehörigen vom bayerischen Landeserziehungsgeld BVerfG, Beschluss v. 7.2.2012 (1 BvL 14/07) – juris. 277 BVerwGE 22, 66 (70 f.) zu Ungleichbehandlung von Inländern und Ausländern im Steuerrecht.

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wägung doch die Bezugnahme auf konkrete Umstände des Einzelfalls.278 Das gewählte Differenzierungskriterium muss geeignet sein, um das (konkret) angestrebte Ziel der Ungleichbehandlung zu erreichen. Die Angemessenheit der Zweck-Mittel-Relation bildet mithin die äußerste Grenze für die Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen und diese kann nicht generell, sondern nur im spezifischen Kontext geklärt werden. a. Anknüpfung an den Aufenthaltsstatus Dem zur Sozialrechtsgestaltung nach dem Sozialstaatsprinzip befugten und berufenen Gesetzgeber steht ein weiter Gestaltungsspielraum zu. 279 Aus dem in Art. 1 II GG verankerten Bekenntnis zu den unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten folgt jedoch, dass Ungleichbehandlungen zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen absolut unzulässig sind, soweit der Anwendungsbereich der universellen Menschenrechte, d.h. der nicht ausschließlich den Deutschen vorbehaltenen Grundrechte eröffnet ist.280 Darüber hinaus ist es der Legislative versagt, bestimmte Personengruppen beliebig vom Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit auszuschließen. Das Sozialstaatsprinzip verstärkt insofern das Gebot der Gleichheit.281 Differenzierungen werden nicht nur in den Fällen für zulässig erachtet, in denen unterschiedliche Bedarfe an sozialer Sicherung bestehen. Auch die Zielsetzung bestimmter Sozialleistungen kann Ungleichbehandlungen erlauben, wenn die gewählten Kriterien geeignet sind, um diese Ziele zu erreichen. Dem Gesetzgeber ist es daher erlaubt, die Gewährung von Sozialleistungen vom Inlandswohnsitz282 oder von der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer abhängig zu machen.283 Je länger jedoch der Aufenthalt andauert und je weiter damit die Integration in die Inlandsgesellschaft fortgeschritten ist, um so weniger lassen sich an der Staatsangehörigkeit anknüpfende Unterscheidungen aufrecht erhalten.284

278 Zuleeg, DÖV 1973, 361 (363); Quaritsch in Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 120, Rn. 116 ff; Siehr, Die Deutschengrundrechte des Grundgesetzes, S. 426 ff.; dazu auch Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 73 ff. 279 BVerfGE 23, 258 (264); 58, 1 (13); 62, 117 (140); ausführlich Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 143 ff. 280 Isensee, VVDStRL 32 (1974) 49 (76). 281 BVerfGE 12, 354 (366); 37, 154 (164); 81, 156 (205); dazu auch Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 25. 282 BVerfGE 23, 258 (262) zum Ausschluss vom Kindergeldanspruch bei fehlendem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Inland. 283 BVerfGE 111, 160 (174) sowie 111, 176 (185) zum Kindergeldanspruch von Ausländern mit faktisch verfestigtem Aufenthalt; 116, 229 (239) zur Unzulässigkeit der Anrechnung von Schmerzensgeld auf existenzsichernde Leistungen für Asylbewerber. 284 Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 45.

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b. Anknüpfung an die Gegenseitigkeit der Rechtsgewährung Problematisch sind vor allem solche an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Differenzierungen, die dem Gegenseitigkeits- oder Reziprozitätsprinzip geschuldet sind. Aufgrund dessen werden fremde Staatsangehörige – sei es in der Sozialversicherung, sei es in der sozialen Entschädigung – gegenüber den eigenen schlechter gestellt, um den anderen Staat zum Abschluss von Abkommen in der sozialen Sicherheit zu bewegen. Diese Abkommen würden ihrerseits den sozialen Schutz deutscher Staatsangehöriger beim Aufenthalt im Vertragsstaat gewährleisten. Das Gegenseitigkeitsprinzip ist zwar ein hergebrachter Grundsatz des Völkerrechts.285 Die Benachteiligung von Migranten im Inland zum Zwecke der Durchsetzung besserer Rechtsansprüche von Deutschen im Ausland wird daher hergebracht als legitimes Mittel betrachtet. Gleichwohl steht das Prinzip in der Kritik, macht es die Rechtsansprüche des Einzelnen, die die bundesdeutsche Rechtsordnung im Grunde gewährt, zum Faustpfand staatlicher Interessen. Denn ob ein die Gegenseitigkeit und Gleichbehandlung wahrender Vertrag zustande kommt, hängt von internationalen Gegebenheiten ab, welche dem Einfluss des Einzelnen ganz entzogen sind. Einziges Differenzierungskriterium ist daher die Staatsangehörigkeit, der durch die Bezugnahme auf die Reziprozität lediglich ein weiteres Merkmal zur Seite gestellt sei.286 Der Einzelne kann dem nicht abhelfen, wird durch dieses Kriterium doch die völkerrechtliche Aktivität seines Heimatstaats bonifiziert und dessen Untätigkeit sanktioniert. Zudem ist die Gegenseitigkeitsverbürgung nur dann gehaltvoll, wenn die Abkommensstaaten in etwa gleiche Standards in ihren sozialen Sicherungssystemen aufweisen.287 Das BVerfG hat die Reziprozität daher auch nur gebilligt, soweit sozialrechtliche Ansprüche in Rede stehen, die nicht durch eigene Beiträge erworben worden sind und bei denen im Gegenzug gleichartige Ansprüche von Deutschen im Ausland ermöglichen sollen.288

285 286 287 288

Ausführlich BSGE 78, 51 (54) m.w.N. Zuleeg, DÖV 1973, 361 (363). So auch Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 50 f. BVerfGE 51, 1 (24 ff.); zum Urheberrecht vgl. BVerfGE 81, 208 (224).

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III. Einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote im Arbeits- und Zivilrecht Die in der Verfassung verankerten Diskriminierungsverbote sind durch einfaches Recht ausgeformt und präzisiert worden. 1. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Mit dem 2006 in Kraft getretenen AGG hat der deutsche Gesetzgeber mit einiger – in zwei Vertragsverletzungsverfahren289 vor dem EuGH kulminierenden – Verspätung die europarechtlichen Vorgaben aus vier Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Grundlage des Richtlinienerlasses war der damalige Art. 13 EG (jetzt Art. 19 AEUV), nach dem der Rat ermächtigt war, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Die einzelnen Richtlinien unterscheiden sich in ihren Anknüpfungsmerkmalen und ihrem Geltungsbereich. Während durch die 1.290 und die 2. Gleichbehandlungs-Richtlinie291 ein umfassender Gleichbehandlungsanspruch von Frauen und Männern im allgemeinen Zivilrecht und im Arbeitsrecht erzielt werden sollte, ist die Diskriminierung wegen der Religion und Weltanschauung, der Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung aufgrund der Rahmen-Richtlinie292 lediglich im Arbeitsrecht verpönt. Für die hier im Fokus stehende Ungleichbehandlung wegen der „Rasse“ oder ethnischen Herkunft sieht die Anti-Rassismus-Richtlinie293 ebenfalls ein umfassendes, für das Arbeits- wie das allgemeine Zivilrecht geltendes Diskriminierungsverbot vor. §§ 1, 2 AGG verbieten – entsprechend den Vorgaben der Anti-Rassismus-Richtlinie – jede Benachteiligung aus Gründen der „Rasse“ oder der ethnischen Herkunft in Bezug auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit, Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten, Berufsberatung und beruflicher Bildung, so289

EuGH, ABl 2004, C 143, 13; Slg. 2006, I-33 (Kommission/Deutschland). Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 269 vom 5.10.2002, S. 15. 291 Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 37. 292 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. L 303 vom 2.12.2000, S. 16. 293 Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der „Rasse“ oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180 vom 19.7.2000, S. 22. 290

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zialen Schutz einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigungen, Bildung sowie im allgemeinen Zivilrecht, also bei der Versorgung mit öffentlich bereit gestellten Gütern und Dienstleistungen. Wie in Art. 3 III GG wird mit der Verwendung des Begriffs „Rasse“ auf unzulässige, weil rassistisch motivierte – also am ererbten äußeren Erscheinungsbild orientierte – Ungleichbehandlungen Bezug genommen. Die ethnische Herkunft bezeichnet dagegen erworbene Eigenschaften, also die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sprachlich und kulturell einheitlich geprägten Personengruppe. Nicht relevant ist dagegen die Nationalität.294 Nach § 3 AGG sind verschiedene Diskriminierungstatbestände zu unterscheiden: die unmittelbare und die mittelbare Benachteiligung, die Belästigung und die Anweisung zur Benachteiligung. Eine Benachteiligung liegt in jeder unterschiedlichen Behandlung, die an eines der genannten Merkmale anknüpft und die mit der Zufügung eines Nachteils verbunden ist. Danach ist es unzulässig, als Arbeitgeber Migranten den Abschluss eines Arbeitsvertrags zu verwehren oder diese beispielsweise zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als ihre deutschen Kollegen zu beschäftigen. Nach § 3 II AGG ist eine mittelbare Benachteiligung gerechtfertigt, wenn die Ungleichbehandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Benachteiligung angemessen und erforderlich ist, um dieses Ziel zu erreichen. Außerhalb des allgemeinen Zivilrechts ist eine Ungleichbehandlung nur bei Vorliegen eines rechtmäßigen Zwecks und eines angemessenen Grundes nach § 8 AGG gerechtfertigt. Der Grund für die Ungleichbehandlung muss in der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung gründen und eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen. Positiv diskriminierende Maßnahmen („affirmative actions“) mit denen bestehende Nachteile für bestimmte Personengruppen kompensiert werden sollen, sind nach § 5 AGG dagegen generell zulässig. Das Recht auf Gleichbehandlung wird im nationalen Recht zwar bereits durch Art. 3 GG garantiert. Als Abwehrrechte richten sich die Grundrechte des Grundgesetzes jedoch vor allem gegen den Staat. Dies verdeutlicht nicht zuletzt Art. 1 III GG, wonach die Verfassung die öffentliche Gewalt – Legislative, Exekutive und Judikative – bindet. Sie vermögen keine Ansprüche auf Gleichbehandlung im Zivilrecht zu verschaffen, welches vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt ist.295 Dieser verbürgt das Recht der Vertragsfreiheit und damit die Freiheit, seine Vertragspartner selbst auszuwählen. Die Gleichbehandlungsrichtlinien verpflichten die Mitgliedstaaten indes zu aktiven Maßnahmen gegen Diskriminierungen, namentlich auch zur Etablierung eines wirksamen privatrechtlichen Schutzes gegen Diskriminierungen im Arbeits- und Sozialrecht. Sie haben daher sicherzustellen, dass jedermann ungeachtet seiner ethnischen 294 295

Perchinig in Bauböck, Migration and Citizenship, S. 80. Vgl. dazu Eichenhofer, DVBl 2004, 1078 mit ausführlichen Nachweisen.

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Herkunft, Rasse, Geschlecht etc. gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt erhält. Diese Verpflichtung zeitigt unmittelbare Auswirkungen auf die soziale Sicherheit, knüpft die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung Bismarckscher Prägung doch am Arbeitnehmerstatus an. Indem die Mitgliedstaaten also verpflichtet werden, für die Öffnung des Arbeitsmarktes Sorge zu tragen, wird damit der potenzielle Kreis der Sozialversicherten erweitert. Zumindest kann die Herkunft bei der Besetzung von freien Stellen auch durch private Arbeitgeber nicht mehr als Ausschlusskriterium herangezogen werden. Für gesetzgeberische Differenzierungen bei der Regelung des Arbeitsmarktzugangs in § 18 AufenthG ist das AGG dagegen irrelevant. 2. Spezifisch sozialrechtliche Diskriminierungsverbote Für die Erbringung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch verweist § 2 II AGG auf die §§ 33c SGB I und 19a SGB IV. Als leges speciales verdrängen diese Normen das AGG.296 Nach § 33c SGB I ist bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte jede Benachteiligung aus Gründen der „Rasse“ oder der ethnischen Herkunft untersagt. Diese Leitnorm bezieht sich auf alle nach den einzelnen Sozialversicherungszweigen zu erbringenden Dienst-, Sach- und Geldleistungen einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Auskunfts- und Beratungspflichten der Sozialbehörden.297 Danach ist jedwedes Verhalten – sei es tatsächlicher oder rechtlicher Natur – unzulässig, durch das die Erfüllung sozialrechtlicher Ansprüche des Leistungsberechtigten erschwert oder gar verhindert wird. Dies gilt umfassend, d.h. nicht nur im Verhältnis des Berechtigten zu den Sozialleistungsträgern, deren Verbänden und Ausschüssen, sondern auch im Verhältnis zu den Leistungserbringern.298 Das Diskriminierungsverbot richtet sich also nicht nur an staatliche Stellen, sondern auch an Private, derer sich der Staat bedient, um sozialrechtlich begründete Ansprüche zu erfüllen.299 Verboten ist nicht nur die unmittelbare, also direkt auf „Rasse“ oder ethnische Herkunft Bezug nehmende Ungleichbehandlung, sondern auch die mittelbare Diskriminierung. Bei dieser werden scheinbar neutrale Differenzierungskriterien gewählt, die aber Personen, die einer durch die Gleichbehandlungsgebote zu schützenden Gruppe angehören, häufiger und stärker beeinträchtigt als andere. Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlungen sind in § 33c SGB I nicht vorgesehen. Nach der dem Gesetz zugrunde liegenden Richtlinie ist bei mittelbaren Benachteiligungen jedoch in engen Grenzen eine Rechtfertigung möglich, wenn ein mit der „Rasse“ oder ethnischen Herkunft zusammenhängendes 296 297 298 299

Oppermann, ZESAR 2006, 432 (434); Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 717. Husmann, ZESAR 2007, 13 (15). Seewald in KassKomm, § 33c SGB I, Rn. 7 ff.. Oppermann, ZESAR 2006, 432 (436 f.).

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Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt und mit der Differenzierung ein legitimer Zweck verfolgt wird. Im Verhältnis zwischen Sozialleistungsträgern, Leistungserbringern und Leistungsberechtigten sind derartige Rechtfertigungen jedoch schlechterdings undenkbar. Zwingende berufliche Anforderungen können allenfalls im Rahmen spezieller Leistungen der Berufsberatung, Berufsbildung, beruflichen Weiterbildung oder Umschulung eine Rolle spielen. Für diese treffen die §§ 19a SGB IV, 36 II SGB III eine Sonderregelung, untersagen aber auch hier eine Ungleichbehandlung aus Gründen der „Rasse“ oder der ethnischen Herkunft. 300 3. Sozialrechtliche Ansprüche aufgrund des Diskriminierungsverbots? Art. 3 GG bindet den Gesetzgeber ebenso wie die Exekutive. Die Gleichbehandlungsgrundsätze des AGG sowie des SGB beziehen sich dagegen auf die Inanspruchnahme von Rechten. Der Gesetzgeber ist nicht Adressat dieser Differenzierungsverbote. Denn diese Normen statuieren, dass allein aus diesem Diskriminierungsverbot kein soziales Recht hergeleitet werden kann. Die Entstehung von Ansprüchen und deren Inhalt ist vielmehr durch die besonderen Regelungen in den einzelnen Normen des SGB vorgegeben. Diese werden durch das Gleichbehandlungsgebot nicht modifiziert.

IV. Inter- und supranationalrechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche Nach innerstaatlichem Recht ist die Staatsangehörigkeit damit durchaus ein zulässiges Anknüpfungsmerkmal für Differenzierungen in Gehalt, Art und Maß der zu gewährenden Sozialleistungen. Das Europarecht beinhaltet jedoch eine Vielzahl von Gleichheitsrechten, welche das Abstellen auf die Staatsangehörigkeit verbieten. 1. Das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK Art. 14 EMRK statuiert ein Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts, der „Rasse“, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status. Das Verbot gilt nicht isoliert als solches.301 Es erstreckt sich auf die in der Konvention und den Zusatzprotokollen anerkannten Rechte und Freiheiten, die zwar 300 Ausführlich Oppermann, ZESAR 2006, 432 (434 f.). Da die Norm im Vergleich zu § 33c SGB I keine speziellen Regelungen aufweist, wird sie für überflüssig gehalten, Husmann, ZESAR 2007, 13 (16). 301 Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 65; Davy, ZIAS 2000, 221 (224).

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neben ihrer freiheitsrechtlichen keine spezifisch sozialrechtliche Dimension aufweisen.302 Der EGMR hat jedoch der in Art. 1 EMRK-ZP verankerten Eigentumsgarantie einen sozialrechtlichen Gehalt zugemessen. Danach hat jede natürliche oder juristische Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Dieses darf nur im öffentlichen Interesse und nur aufgrund eines Gesetzes oder eines allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatzes entzogen werden. Sozialrechtliche Ansprüche gelten nach Auffassung des EGMR nicht nur dann als Eigentum, wenn aufgrund von Beitragsleistungen Anwartschaften auf diese begründet oder Ansprüche auf Sozialleistungen in sonstiger Weise mit Beitragszahlungen verknüpft sind.303 Der Eigentumsschutz erstrecke sich auch auf beitragsunabhängig gewährte Leistungen.304 Ungleichbehandlungen, die allein an die Staatsangehörigkeit des Leistungsempfängers anknüpfen, seien daher im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK unzulässig. Insbesondere könne eine besondere Verantwortung jedes Staates für die eigenen Staatsangehörigen nicht als Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen herangezogen werden. 2. Gleichbehandlungsansprüche aus der Grundrechte-Charta Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ist in Art. 6 I EUV ausdrücklich als den Verträgen gleichrangiger Bestandteil des Primärrechts anerkannt. Die darin verankerten Rechte sind – abgesehen von den politischen Rechten – als Menschenrechte jedermann eingeräumt, ungeachtet von der Staatsangehörigkeit. Sie umfassen das Recht auf Zugang zu Bildung (Art. 14 I GRCh), das Recht in einem frei gewählten Beruf zu arbeiten (Art. 15 I GRCh) und die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz (Art. 20 GRCh). Nach Art. 34 II GRCh hat jede Person, die in der Union ihren rechtmäßigen Wohnsitz oder Aufenthalt305 hat, Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Das Recht auf soziale Unterstützung zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins achtet und anerkennt die Union ebenfalls, Art. 34 III GRCh. Die Norm nimmt Bezug auf die nach nationalem Recht zu gewährenden Leistungen sozialer Sicherheit und verpflichtet die Union, Eingriffe in diese bestehenden Leistungssysteme abzuwehren.306 Eigene europarechtliche Leistungsansprüche sollen und können 302

Hailbronner, JZ 1997, 397 (398); Schmahl/Winkler, AVR 48 (2010) 405 (406). EGMR, InfAuslR 1997, 1 (Gaygusuz). Ausführlich zur Entwicklung dieser Rechtsprechung bereits durch die EKMR Davy, ZIAS 2000, 221 (238). Kritisch unter Berufung auf den Vorrang der Art. 12, 13 ESC als leges specialis Hailbronner, JZ 1997, 397 (398). Ausführlich zum Verhältnis zwischen EMRK und ESC Schmahl/ Winkler, AVR 48 (2010) 405 (410 ff.). 304 EGMR, ZESAR 2004, 142 (Poirrez). 305 Dazu Schumacher, ZESAR 2011, 368 (369). 306 Wiederin in Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa, S. 130. 303

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durch Art. 34 GRCh nicht vermittelt werden. Von Gewicht ist lediglich der in Art. 34 II GRCh garantierte Gleichbehandlungsanspruch. Dieser gibt indes den bereits vor Verabschiedung der Grundrechtecharta erlangten acquis communautaire wieder, so dass der Charta insofern keine neue Rechtsverbürgung innewohnt.307 3. Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, Art. 18 AEUV Art. 18 AEUV verbietet jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und überwindet damit für die Unionsbürger die Einteilung in In- und Ausländer.308 Dies gilt für alle Materien, die in den Anwendungsbereich der europäischen Verträge fallen. Auf die allgemeine Regelung des Art. 18 AEUV ist jedoch nur zurückzugreifen, sofern nicht konkretere Normen greifen, denn das Diskriminierungsverbot steht unter dem Vorbehalt besonderer Bestimmungen des Vertrags.309 Für Arbeitnehmer ist in Art. 45 II AEUV ein besonderer310 Gleichbehandlungsanspruch statuiert. Danach ist jede an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit der Beschäftigung, Entlohnung und den sonstigen Arbeitsbedingungen unzulässig. Zwischen beiden Normen besteht insoweit ein Unterschied, dass Arbeitnehmer in den in Art. 45 II AEUV genannten Materien generell nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit anders behandelt werden dürfen als die Angehörigen des Aufenthaltsstaats. Für die wirtschaftlich inaktiven Unionsbürger gilt das Verbot der Ungleichbehandlung jedoch nur, soweit keine sachliche Rechtfertigung für diese ersichtlich, wenn also die Beschränkung der Gleichbehandlung weder im allgemeinen Interesse objektiv erforderlich noch verhältnismäßig ist. Der Begriff der Diskriminierung beinhaltet also lediglich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen.311 Unzulässig sind unmittelbare, also offen auf das verpönte Merkmal Bezug nehmende Diskriminierungen ebenso wie mittelbare. Dies ist der Fall, wenn eine unterschiedliche Regelung auf ein offensichtlich neutrales Kriterium Bezug 307

Riedel in Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 34, Rn. 17. Kingreen in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 13, Rn. 2; Kubicki, EuR 2006, 489 (493). 309 Dazu bereits EuGH, Slg. 1977, 1495, Rn. 11 (Sagulo); 1992, I-04193, Rn. 18 (Europäisches Parlament/Rat). 310 Art. 45 AEUV als besonderes Freizügigkeits- und Gleichbehandlungsrecht der Arbeitnehmer und Art. 18, 21 AEUV als allgemeine Rechte aller Unionsbürger stehen zueinander im Verhältnis der Spezialität, vgl. Scheuing, EuR 2003, 744 (763 f.) m.w.N.; Husmann, NZS 2009, 547 (547 f.); Schönberger, Unionsbürger, S. 325; kritisch Rossi, EuR 2000, 197 (205 f.). Von der kumulativen Anwendbarkeit geht Fahey, ELRev 2009 (34) 933 (948) aus. 311 So bereits EuGH, Slg. 1977, 1753, Rn. 7 (Ruckdeschel); Slg. 1996, I-2617, Rn. 19 (O’Flynn); Slg. 1998, I-7637, Rn. 27 (Bickel und Franz); Störner, AöR 1998, 541 (553); Rossi, EuR 2000, 197 (2212); ; Epiney, ELJ 13 (2007) 611 (620); Husmann, NZS 2009, 547 (550). 308

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nimmt, faktisch aber die Personen häufiger benachteiligt, die der zu schützenden Gruppe angehören.312 a. „Im Anwendungsbereich der Verträge“ Das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV gilt nur „im Anwendungsbereich“ europäischen Rechts. Der Anwendungsbereich der Verträge war ursprünglich als eröffnet anzusehen, sofern darin eine sachliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane für eine bestimmte Regelungsmaterie angeordnet ist. 313 Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft ist auch der Gehalt des Diskriminierungsverbots erheblich ausgeweitet worden. In dem Maße, in dem das Primärrecht jedem – auch dem wirtschaftlich inaktiven – Bürger die Bewegungsfreiheit in sämtlichen Mitgliedstaaten eröffnet, ist auch der Gleichbehandlungsanspruch von der Teilnahme am Wirtschaftsleben abgekoppelt. Ansprüche auf Gleichbehandlung gründen nunmehr unmittelbar in der Unionsbürgerschaft, die „grundlegender Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten“314 zu sein bestimmt ist. Dieser Status soll es ermöglichen, dass alle von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machenden Unionsbürger, die sich in der gleichen Situation befinden, grundsätzlich die gleiche rechtliche Behandlung genießen. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Sachverhalte, für deren Regelung der EU keine Kompetenz eingeräumt ist. Abzustellen ist allein auf die Wirkung von Ungleichbehandlungen, nicht auf das Sachgebiet, in denen sie stattfinden. Eine andere Lesart würde Bereichsausnahmen vom Unionsbürgerstatus für alle Sachgebiete zulassen, die in die alleinige Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen.315 Der Anwendungsbereich des Vertrages ist daher in drei Konstellationen eröffnet: bei Anwendung und Vollzug von Gemeinschaftsrecht, z.B. durch nationale Umsetzungsakte,316 bei der Ausübung der Grundfreiheiten sowie bei rechtmäßigem Aufenthalt eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat, also der bloßen Inanspruchnahme der Unionsbürgerfreizügigkeit aus Art. 21 I AEUV.317

312

St. Rspr. EuGH, Slg. 1974, 153, Rn. 11 (Sotgiu); dazu Rossi, EuR 2000, 197 (210 f.). EuGH, Slg. 1983, 2323, Rn. 17 (Forcheri); Slg. 1985, 593, Rn. 19 (Gravier); Slg. 1988, 379, Rn. 11 (Blaizot); Slg. 1988, 3205, Rn. 15 (Brown); so auch Störmer, AöR 1998, 541 (555). 314 EuGH, Slg. 2001, I-6193, Rn. 31 (Grzelczyk). 315 Kubicki, EuR 2006, 489 (502), so auch Epiney, ELJ 13 (2007) 611 (619). 316 EuGH, 1989, 195, Rn. 10 (Cowan); Slg. 1994, I-1783, Rn. 19 (Corsica Ferries); Slg. 1996, I-929, Rn. 20 (Skanavi): „nur auf durch das Gemeinschaftsrecht geregelte Fallgestaltungen“. 317 EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 63 (Martínez-Sala); Slg. 2001, I-6193, Rn. 33 (Grzelczyk); Slg. 2002, I-6191, Rn. 29 (D’Hoop); Slg. 2004, I-5763, Rn. 17 (Pusa). Dazu auch Epiney in Callies/Ruffert, Art. 12 EG, Rn. 15 ff; Rossi, EuR 200, 197 (203 ff.); kritisch Hailbronner, NJW 2004, 2185 (2188). 313

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b. Sozialrechtlicher Teilhabeanspruch aus Art. 18, 20, 21 AEUV Dies hat zur Folge, dass die Unionsbürgerschaft in Verbindung mit der Freizügigkeit und dem Gleichbehandlungsanspruch allgemein den inländergleichen Zugang zu allen Vergünstigungen eröffnet, die ein Mitgliedstaat Personen gewährt, die sich auf dessen Territorium aufhalten. Die Unionsbürgerschaft vermittelt also umfassende Teilhabe an den von den Mitgliedstaaten etablierten (sozialen) Rechten, ohne jedoch eigene Rechte zu begründen.318 Die Herleitung sozialer Teilhabeansprüche aus der Normentrias der Art. 18, 20, 21 AEUV ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. Sie widerspreche der hergebrachten Struktur der Unionsbürgerschaft, welche die Staatsangehörigkeit auf nationaler Ebene unangetastet lasse. Diese rechtliche Bindung an einen bestimmten Staat könne nicht durch weitere Zugehörigkeitsmomente ersetzt werden, solange die Einräumung politischer und sozialer Rechte den Mitgliedstaaten vorbehalten ist.319 Dem stehe auch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 I, II EUV entgegen,320 wonach die Union nur im Rahmen der von den Mitgliedstaaten übertragenen Kompetenzen rechtssetzend tätig werden darf. Zumindest aber hätte eine derart weitreichende Rechtsfortbildung positiver Rechtssetzung durch den Rat statt einer negativen Integration durch den Gerichtshof bedurft.321 Die Grundfreiheiten gelten jedoch umfassend und sind in ihrem Anwendungsbereich nicht auf die Rechtsgebiete beschränkt, in denen der EU eine Regelungskompetenz eingeräumt ist. Die Unionsbürgerschaft begründet einen gemeinschaftsrechtlichen Status aller Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, der diesen ein Recht auf Gleichbehandlung eröffnet, soweit sie die Grenze ihres Heimatstaats überschreiten. Begeben sie sich in einen anderen Mitgliedstaat, machen Unionsbürger von den ihnen im Primärrecht eingeräumten Freiheiten Gebrauch, so dass der Anwendungsbereich des Vertrages eröffnet ist.322 Zwar soll mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV der Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts nicht auf Sachverhalte ausgedehnt werden, deren Regelung allein in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.323 Die primärrechtlichen Vorgaben in Art. 4 III 3 EUV zum effet utile machen jedoch deutlich, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Rechtssetzungsbefugnisse die Vorgaben 318

Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058); Husmann, NZS 2009, 547 (549). Becker, EuR 1999, 522 (529). 320 Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207); Niemann, EuR 2004, 946 (949); SG Reutlingen, Urt. v. 29.4.2008 (S 2 AS 2952/07) -juris. 321 Becker, EuR 1999, 522 (532); Hailbronner, NJW 2004, 2185 (2188); ebenfalls kritisch Bode, EuZW 2003, 552 (556); Sander, DVBl 2005, 1014 (1020); Heinig, ZESAR 2008, 465 (475); Frenz, ZESAR 2011, 307 (308). 322 So auch Schreiber, ZESAR 2006, 423 (427); Calliess in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (33). 323 EuGH, Slg. 1997, I-3171, Rn. 23 (Uecker und Jacquet); Slg. 2003, I-11613, Rn. 26 (Garcia Avello); Slg. 2006, I-10451, Rn. 23 (Tas-Hagen und Tas). 319

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

des Gemeinschaftsrechts zu beachten haben. Ob der in Rede stehende Sachverhalt darüber hinaus eine gemeinschaftsrechtlich geregelte Materie betrifft, ist vor diesem Hintergrund zweitrangig. Es kommt allein darauf an, ob sich ein – durch nationales Recht geregelter – Sachverhalt auf Unionsbürger auswirkt, die sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten.324 Zwar garantiert Art. 21 AEUV das Freizügigkeitsrecht nur „vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“. Daraus wird gefolgert, dass auch das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV auf die sekundärrechtlich anerkannten Aufenthaltsgründe beschränkt sei.325 Der Gebrauch der Freizügigkeit müsse demnach wirtschaftlichen Zwecken dienen, um Schutz vor Diskriminierungen auszulösen. Dieses Verständnis – zu dessen Begründung auf den Willen der Mitgliedstaaten verwiesen wird326 – ist zu eng. Zum einen spricht die Normenhierarchie gegen eine solche restriktive Interpretation: der sachliche Geltungsbereich des Primärrechts kann nicht durch niederrangiges Sekundärrecht determiniert werden.327 Die Freizügigkeit zum Zwecke wirtschaftlicher Betätigung wird zudem in Art. 45 AEUV als Arbeitnehmerfreizügigkeit spezieller geregelt. Der erst später – und übrigens in Kenntnis der großzügigen Rechtsprechung des EuGH – eingefügte Art. 21 AEUV wollte über diesen engen Anwendungsbereich gerade hinausgehen und allen Unionsbürgern umfassende Bewegungsrechte innerhalb der EU einräumen. Auf welches konkrete Aufenthaltsrecht sich ein Unionsbürger beruft, muss für seinen Anspruch auf Gleichbehandlung außer Acht bleiben. Erst in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV erwachsen dem einzelnen Unionsbürger aus Art. 21 AEUV daher Ansprüche und Rechte im Aufenthalt.328 Dies ist eine zwangsläufige Folge der Loslösung primärrechtlicher Freiheitsverbürgungen von einer bestimmten – ökonomischen – Zweckbindung: Gleichbehandlung ist nicht länger ein bloßes Mittel

324 So auch EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 42 (Francovich) zum Schadensersatzrecht; Slg. 1993 Seite I-5145, Rn. 27 (Phil Collins) zum Urheberrecht; Slg. 1996, I-4661, Rn. 12 (Data Delecta) zur Prozesskostenhilfe; dazu Streinz/Leible, IPrax 1998, 162 (165); Kubicki, EuR 2006, 489 (500 f.); Epiney, ELJ 13 (2007) 611 (616). Nach Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (58) sind Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit generell nur in Materien denkbar, in denen die EU keine Kompetenzen hat. 325 Hailbronner, JZ 2005, 1138 (1140); Niemann, EuR 2004, 946 (948); Bode, EuZW 2005, 280 (280). 326 Nach Sander, DVBl 2005, 1014 (1016 f.) habe die europäische Legislative lediglich die Freizügigkeit als solche, nicht aber deren Gewährleistungsgehalt ausdehnen wollen. Es fragt sich, welcher Sinn der Etablierung der Unionsbürgerschaft und der Unionsbürgerfreizügigkeit nach dieser Lesart überhaupt zukommen soll. 327 Epiney, ELJ 13 (2007) 611 (615). 328 Calliess in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (34); Kubicki, EuR 2006, 489 (492); Schreiber, ZESAR 2006, 424 (427).

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I

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zur Verwirklichung der Freizügigkeitsrechte, sondern ein Selbstzweck europäischen Rechts.329 c. Persönlicher Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV In jedem Fall ist der Anwendungsbereich der Verträge auf Unionsbürger330 beschränkt. Ob Drittstaatsangehörige aus Art. 18 AEUV Ansprüche auf Gleichbehandlung herleiten können, ist fraglich. Dafür spricht der Wortlaut, der im Unterschied zu Art. 49 AEUV nicht auf die „Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten“, sondern allgemein auf die Staatsangehörigkeit abstellt. Als Gegenargument wird die spezifische, auf den Binnenmarkt bezogene Ausrichtung und die fehlende supranationale Integrationsfunktion des Art. 18 I AEUV herangezogen.331 Indes handelt es sich bei dem allgemeinen Diskriminierungsverbot jedoch gerade um eine Auffangregelung, die einschlägig ist, wenn die binnenmarktbezogenen Grundfreiheiten selbst nicht hinreichen, um ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zu verhindern.332 Art. 18 AEUV ist daher nicht strikt auf den Binnenmarkt bezogen. Ferner wird auf die Unionsbürgerschaft als solche rekurriert. Deren besondere Heraushebung in den Verträgen bliebe ohne Gehalt, würde man Drittstaatsangehörigen die gleichen Rechte gewähren wie Unionsbürgern. Diesen sei vielmehr in jedem Mitgliedstaat eine „gegenüber Drittstaatern qualifizierte Zugehörigkeit“ zugestanden.333 Andererseits ist durch das Primär- wie Sekundärrecht bestimmten Gruppen von Drittstaatsangehörigen auch Freizügigkeit eingeräumt, sei es als Daueraufenthaltsberechtigte i.S.d. RL 2003/109/EG, als Familienangehörige eines Unionsbürgers oder als Angehörige eines Abkommensstaates.334 Es ist nicht ersichtlich, warum diese nicht vor Ungleichbehandlungen geschützt werden sollen, wenn sie von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen. Wenn das Gemeinschaftsrecht Regelungen trifft, die Drittstaatsangehörige zumindest mittelbar betreffen, fallen diese zwangsläufig in dessen persönlichen Anwendungsbereich.335 Räumt das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen also Rechtspositionen ein, müssen diese in gleichem Umfang und in gleichem Maße geschützt werden, unabhängig von der Herkunft oder Staatsangehörigkeit des Rechtsinhabers. 329

Jacqueson, ELRev 27 (2002) 260 (267); Kallenbach in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19, Rn. 90. 330 Als solche gelten auch Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, solange zumindest eine die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats ist, EuGH, Slg. 1992, I-4258, Rn. 15 (Micheletti); Slg. 1997, I-5325, Rn. 15 (Saldanha). 331 Kingreen in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 13, Rn. 5. 332 EuGH, Slg. 1994, I-1783, Rn. 19 (Corsica Ferries); Slg. 1996, I-929, Rn. 20 (Skanavi). 333 Kingreen in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 13, Rn. 5 m.w.N. 334 Dazu ausführlich auf S. 75. 335 Dubos, R.A.E. – L.E.A. 2003/2004, 83 (85).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

Eine Differenzierung zwischen „Freizügigkeitsberechtigten erster und zweiter Klasse“ ist nicht angezeigt.336 Für Arbeitnehmer aus anderen als den EU-Staaten ist dieser Anspruch sogar explizit im Primärrecht angelegt: nach Art. 153 I lit. g), II AEUV ist der Union die Befugnis zur Regelung der Arbeitsbedingungen von Drittstaatern eingeräumt, die sich rechtmäßig in der EU aufhalten. Die aufenthaltsrechtliche Gleichbehandlung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer ist als Annex der Dienstleistungsfreiheit ihrer europäischen Arbeitgeber gesichert. Danach stellt es eine ungerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56, 57 AEUV dar, wenn ein Dienstleistungserbringer durch aufenthaltsrechtliche Anforderungen daran gehindert wird, seine Leistungen mit „seinen“ Angestellten in allen Mitgliedstaaten zu erbringen. Einreise, Aufenthalt und Beschäftigung des entsandten Personals müssen daher in sämtlichen Mitgliedstaaten erlaubnisfrei sein, wenn diese im Staat der Niederlassung über einen Aufenthaltstitel und eine Beschäftigungserlaubnis verfügen.337 Sofern die Freizügigkeitsrechte für Drittstaatsangehörige allein wirtschaftlicher Natur sind, gelten also die besonderen Gleichbehandlungsgrundsätze der Grundfreiheiten. Genießen Drittstaater aber auch als wirtschaftlich Inaktive Freizügigkeit, kann und muss das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV auch für sie gelten. Dies zeigt auch der Blick ins Sekundärrecht, der entsprechende Ausformungen des Gleichbehandlungsgebots für Drittstaater statuiert. So begründet Art. 11 RL 2003/109/EG für Daueraufenthaltsberechtigte einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaats unter anderem im Hinblick auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit und beruflicher Bildung, Leistungen der Sozialversicherung, der Sozialhilfe oder sonstigen sozialen Schutzes, steuerrechtlichen Vergünstigungen und den freien Zugang zum Hoheitsgebiet dieses Staates. Der Gleichbehandlungsanspruch erstreckt sich auch auf die Weiterwanderung: sobald ein zweiter Mitgliedstaat dem Daueraufenthaltsberechtigten einen Aufenthaltstitel erteilt hat, haben dieser Zugang zur Erwerbstätigkeit, die allerdings für die Dauer von zwölf Monaten auf die Tätigkeiten beschränkt werden kann, für deren Ausübung der Aufenthaltstitel erteilt worden ist, Art. 21 RL 2003/109/EG. Auch die Unionsbürgerrichtlinie sichert in Art. 24 RL 2004/38/EG für Unionsbürger und deren Familienangehörige ungeachtet der Staatsangehörigkeit einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Einschlägig ist des Weiteren Art. 7 II VO (EU) 492/2011, der allen Freizügigkeitsberechtigten den Zugang zu den gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen eröffnet, die der Aufenthaltsstaat inländischen Arbeitnehmern gewährt. Unter den Begriff der „sozialen Vergünstigungen“ fallen alle Sozial336 Streinz in Streinz, EUV/EGV, Art. 12, Rn. 36; Streinz/Leible, IPrax 1998, 162 (166 f.); Epiney, ELJ 13 (2007) 611 (614); von Bogdandy in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV, Rn. 32; a.A. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207). 337 EuGH, Slg. 1990, I-1417, Rn. 12 (Rush Portuguesa); Slg. 1994, I-3803, Rn. 21 f (Vander Elst).

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I

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leistungen, die Arbeitnehmern – unabhängig davon ob sie direkt am Bestehen eines Arbeitsvertrags anknüpfen – wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder wegen ihres Wohnorts im Inland in einem Mitgliedstaat gewährt werden.338 Der Begriff wird weit ausgelegt 339 und umfasst damit sowohl Leistungen sozialer Vorsorge, Hilfe, Förderung und Entschädigung. Sie sollen allen Arbeitnehmern zugutekommen, um deren Freizügigkeit zu fördern. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ein Arbeitnehmer sich allein zum Zweck der Inanspruchnahme der betreffenden Sozialleistung in einen anderen Mitgliedstaat begibt, ohne dort Zugang zum Arbeitsmarkt zu suchen.340 Der Anspruch auf gleichberechtigten Zugang erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH auch auf die Familienangehörigen des freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmers, und zwar ungeachtet deren Staatsangehörigkeit.341 4. Abkommensrecht Zahlreiche Drittstaatsangehörige genießen aufgrund Assoziationsrechts Gleichbehandlung. Namentlich seien die Angehörigen der EWR-Staaten (Island, Norwegen, Liechtenstein) sowie der Türkei genannt. Art. 9 des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und der Türkei sieht vor, dass im Anwendungsbereich des Abkommens jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Es handelt sich dabei um ein allgemeines Diskriminierungsverbot, welches durch spezielle Regelungen verdrängt werden kann, namentlich im Rahmen der Koordinierung erworbener Ansprüche in der sozialen Sicherheit.342 In Art. 10 ARB 1/80 ist ein spezielles Diskriminierungsverbot verankert, welches den besonderen Interessen der assoziationsrechtlich Freizügigkeitsberechtigten Rechnung trägt. Danach sind türkische Staatsangehörige gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen gleichberechtigt. Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit sind unzulässig. Der Anwendungsbereich dieser Norm beschränkt sich auf die genannten Gegenstände, insbesondere kommt ihm grundsätzlich keine aufenthaltsrechtliche Bedeutung zu.343 Ein spezifisch sozialrechtliches Gleichbehandlungsgebot enthält Art. 3 I ARB 3/80, welcher die Gleichbehandlung von Unionsbür338 St. Rspr., vgl. nur EuGH, Slg. 1975, 1085, Rn. 10 (Christini); Slg. 1979, 2019, Rn. 3 (Even). 339 EuGH, Slg. 1986, 1283, Rn. 28 ff. (Reed): Auch die Gewährung von Aufenthaltsrechten für den ledigen Partner eines Wanderarbeitnehmers gilt als soziale Vergünstigung. Vgl. Kapuy, The social security position of irregular migrant workers, S. 158. 340 Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 7 VO (EWG) 1612/68, Rn. 13 m.w.N. 341 EuGH, Slg. 1985, 1027, Rn. 26 (Scrivner und Cole), Slg. 1985, 1873, Rn. 26 (Deak); Slg. 1987, 2811, Rn. 24 (Lebon). 342 EuGH, Slg. 2000, I-1287, Rn. 36 (Kocak und Örs); Slg. 2004, I-3605, Rn. 49 (Öztürk). 343 BVerwGE 135, 334 (341).

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3. Kapitel: Zugang zu den Leistungen des Sozialrechts

gern und türkischen Staatsangehörigen in den Angelegenheiten der sozialen Sicherheit anordnet.344

V. Völkerrecht Im Völkerrecht ist soziale Sicherheit als Menschenrecht verbrieft. Nach Art. 22, 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) hat jeder ein Recht auf soziale Sicherheit und Fürsorge. Dieser unverbindlichen Erklärung345 wurde mit dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte346 ein multilateraler Vertrag zur Seite gestellt, der mit seiner Ratifizierung den Rang einfachen Rechts einnimmt und dadurch verbindlich ist. Der Pakt garantiert in Art. 9 bis 12 grundlegende Rechte auf Einschluss in die soziale Sicherung und die Etablierung einer Sozialversicherung, einen angemessenen Lebensstandard und Zugang zu medizinischer Versorgung. Die völkerrechtlichen Instrumente zur Etablierung von Mindeststandards in der sozialen Sicherheit enthalten ebenfalls Klauseln, welche eine Benachteiligung wegen der Staatsangehörigkeit verbieten. Die IAO hat in ihrem Übereinkommen Nr. 102 über die Mindestnormen sozialer Sicherheit aus dem Jahr 1952 soziale Sicherheit als Menschenrecht anerkannt. Die Mitgliedstaaten der IAO sollen ihre Sozialordnungen dem Übereinkommen entsprechend ausgestalten. Ein ausreichender sozialer Schutz besteht danach nur, wenn ein Staat für mindestens drei soziale Risiken – Krankheit und Mutterschaft, Arbeitslosigkeit, Alter, Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten, Invalidität oder Hinterbliebenenschaft – Unterstützung gewährt. Ein solches Unterstützungssystem soll mindestens 50 % der Arbeitnehmer oder 20 % der Einwohner eines Staates erfassen und mindestens 40 % des aufgrund der Verwirklichung eines sozialen Risikos entfallenden Einkommens ersetzen. Das Übereinkommen Nr. 118 verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, allen Einwohnern die gleichen Rechte einzuräumen wie den eigenen Staatsangehörigen. Sämtlich stehen diese Gleichbehandlungsansprüche unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Ist dieser eröffnet, verbieten sie die Differenzierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, der „Rasse“ oder Religion oder wegen des Geschlechts. Die Gleichbehandlung darf namentlich nicht an bestimmte Aufenthaltszeiten geknüpft werden. Leistungen bei Invalidität, Alter, Hinterbliebenenschaft und Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten sollen unabhängig vom Aufenthalt im zuständigen Staat gewährt werden. Sie Die Konvention Nr. 152 verpflichtet die Mitgliedstaaten darüber hinaus zur Wahrung erworbener Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen der so344

Dazu ausführlich im 4. Kapitel. McHardy, RdA 1994, 93 (95); Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 57; Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (101). 346 BGBl. 1973 II 1533 und 1569. 345

C. Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I

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zialen Sicherheit, was namentlich durch bi- oder multilaterale Abkommen zwischen den einzelnen Staaten geschehen soll.

E. Fazit Europarecht gewährt nicht nur Unionsbürgern Ansprüche auf Gleichbehandlung. Für sich genommen vermögen die Gleichbehandlungsgebote jedoch keine konkreten Ansprüche zu begründen. Denn welchen Gehalt die Diskriminierungsverbote in den einzelnen Sozialversicherungszweigen (4. Kapitel), im Recht der sozialen Hilfen und der Grundsicherung (5. Kapitel), der sozialen Förderung (6. Kapitel) und sozialen Entschädigung (7. Kapitel) haben, lässt sich nicht generalisieren. Es ist vielmehr eine gesonderte Untersuchung der nationalrechtlichen Anknüpfungsmomente angezeigt, die ihrerseits auf ihre Vereinbarkeit mit unions- und völkerrechtlichen Vorgaben zu prüfen sind.

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4. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung § 4 I SGB I eröffnet „jedermann“ den Zugang zur Sozialversicherung. Den Begriff der Sozialversicherung definiert diese Norm nicht, nähert sich ihm aber im Wege der Beschreibung seines Gegenstands indirekt an. Den Versicherten und ihren Hinterbliebenen sind nach § 4 II SGB I das Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit einerseits und auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit, Mutterschaft, Minderung der Erwerbsfähigkeit und im Alter andererseits eingeräumt. Entsprechend definiert § 1 I SGB IV die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte sowie die soziale Pflegeversicherung als Versicherungszweige. Prägendes Merkmal der Sozialversicherung ist die an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – am Einkommen – der Versicherten orientierte Finanzierung durch Beiträge. Auch die Geldleistungen der Versicherung weisen einen Bezug zu den Einkünften des Versicherten auf (Äquivalenzprinzip). Die soziale Vorsorge dient damit einerseits der Statussicherung im Sinne der Aufrechterhaltung des vor dem Eintritt eines sozialen Risikos inne gehabten Lebensstandards. Zugleich ist sie gekennzeichnet durch Elemente der Umverteilung und des sozialen Ausgleiches.1 Nicht der Eigennutz für den einzelnen, sondern die Solidarität unter allen Versicherten in ihrer „organisierten Vielheit“2 sind Anliegen und Ziel der Sozialversicherung.

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht Die in § 4 SGB I genannten Rechte bestehen nicht uneingeschränkt, sondern werden nach Maßgabe des Sozialgesetzbuches gewährleistet. Anders als der Wortlaut der Norm nahelegt, wird der Zugang zur Sozialversicherung nicht durch die Eröffnung einer Wahlmöglichkeit in dem Sinne sichergestellt, dass sie jedermann offenstehe, der sich ihres Schutzes bedienen möchte.3 Die Mitgliedschaft 1 So die st. Rspr. BVerfGE 11, 221 (226); 20, 52 (54); 22, 241(253); 70, 101 (111); dazu auch Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit, S. 30. 2 BVerfGE 11, 105 (112);BSGE 6, 213 (218). 3 Seewald in KassKomm, § 4 SGB I, Rn. 7.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

in der Sozialversicherung wird vielmehr im Wege der Versicherungspflicht durch gesetzliche Anordnung begründet, § 2 I Alt. 1 SGB IV. Die Versicherungspflicht ist unabdingbar, um den sozialen Ausgleich im Sinne einer Einkommensumverteilung zu verwirklichen. Denn anders als in einem auf Freiwilligkeit beruhenden Vorsorgesystem steht nicht die Selbsthilfe im Vordergrund, sondern die soldarische Hilfe. Sie verlangt die Bildung von Gefahren- und Solidargemeinschaften. Der Einzelne soll sich der Sozialversicherung daher nicht entziehen können.4 Der freiwillige Beitritt ist lediglich im Rahmen der Versicherungsberechtigung eröffnet, § 2 I Alt. 2 SGB IV.

I. Versicherungspflicht kraft Beschäftigung § 3 SGB IV enthält eine § 30 SGB I vorrangige Sonderregelung. Für die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung kommt es weder auf den Wohnsitz noch auf den gewöhnlichen Aufenthalt an. Maßgeblich ist gemäß § 3 Nr. 1 SGB IV vielmehr die Ausübung einer abhängigen oder selbständigen Tätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzbuchs. Ob der Arbeitgeber ein in- oder ausländisches Unternehmen ist, ist ohne Relevanz. Es gilt also das Beschäftigungsortprinzip, die lex loci laboris. Folglich sind auch Grenzgänger, d.h. Personen mit Wohnsitz im Ausland, die im Inland beschäftigt sind, versicherungspflichtig. Nur wenn ausnahmsweise eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht gefordert ist, kommt nach § 3 Nr. 2 SGB IV der Rückgriff auf den Aufenthalt in Betracht. Die Versicherungspflicht wird selbst bei Bestehen eines hinreichenden territorialen Bezugs nur ausgelöst, wenn die aus dem Beschäftigungsverhältnis erzielten Einkünfte die Versicherungspflichtgrenze überschreiten, also nicht lediglich geringfügig i.S.v. § 8 SGB IV sind. Dies regeln Sondernormen in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs, beispielsweise § 7 SGB V oder § 5 II SGB VI. 1. Sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis Als Beschäftigung gilt nach § 7 I SGB IV jede nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Gekennzeichnet ist diese durch eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzustellen ist jedoch nicht auf den rechtlichen Rahmen: allein die tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistungen in persönlicher Abhängigkeit von einem Dritten gegen Entgelt löst die Versicherungspflicht aus.5 Daher wird auch im Rahmen eines verbotenen (§ 134 BGB) oder sittenwidrigen (§ 138 BGB) Arbeitsvertrags ein sozialversicherungsrechtlich relevantes Beschäftigungsverhältnis begründet. Grund dafür ist der Sinn und Zweck der Versicherungs4 5

Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit, S. 26 f. BSGE 15, 65 (68 f.); 19, 265 (267); 51, 234 (236); 52, 76 (78).

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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pflicht: werden Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt, sollen diese zur Eigenvorsorge herangezogen werden, damit der Einzelne nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses nicht auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Ein solcher Bedarf besteht unabhängig von der Rechtswirksamkeit des Arbeitsvertrags.6 Zwar steht die Erwerbstätigkeit von Ausländern in der Bundesrepublik unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Arbeitgeber sind danach zwar gehalten, sich vor Abschluss eines Arbeitsvertrags über die notwendigen Genehmigungen zu informieren, § 4 III 4 AufenthG. Die Beschäftigung eines Ausländers ohne die erforderliche Erlaubnis nach § 18 AufenthG erfüllt sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit, § 404 III Nr. 3, 4 SGB III. Dies hat nach Auffassung des BAG jedoch nicht die Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses als solches zur Folge. Begründet wird dies mit dem Zweck des Erlaubnisvorbehalts. Dieser soll sicherstellen, dass deutsche Arbeitnehmer bei der Besetzung offener Stellen vorrangig behandelt werden, um diese nicht dem Risiko der Arbeitslosigkeit auszusetzen. Dieser Zweck ziehe aber nicht zwingend ein generelles, sondern nur ein eingeschränktes Verbot der Ausländerbeschäftigung nach sich. Die Erbringung der versprochenen Arbeitsleistung sei dem Arbeitnehmer ohne Genehmigung daher rechtlich unmöglich i.S.v. § 275 BGB mit der Folge, dass die aus dem Arbeitsvertrag resultierenden Pflichten suspendiert sind, §§ 275 I, IV, 326 I BGB.7 Nach anderer Ansicht ist eine solche Vereinbarung wegen des Verstoßes gegen § 4 AufenthG nach § 134 BGB nichtig. Die Arbeitsleistung sei keinesfalls unmöglich, sondern werde faktisch ja erbracht, freilich ohne Rechtsgrund. Ansprüche ließen sich allenfalls aus dem Rechtsinstitut des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses ableiten.8 Erbringen die Parteien gleichwohl die jeweils versprochenen Leistungen, liegt unabhängig9 von der zivilrechtlichen Bewertung der Rechtsbeziehungen eine Beschäftigung i.S.v. § 7 I SGB IV vor, die eine Versicherungspflicht auslöst. Die vereinbarte Entlohnung wird gemäß § 14 II 2 SGB IV als Nettoentgelt betrachtet, auf dessen Basis die zu leistenden Beiträge und Steuern berechnet werden. Die Versicherungspflicht kraft Beschäftigung ist daher staatsangehörigkeitsneutral ausgestaltet, da das Anknüpfungsmerkmal des sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ungeachtet der aufenthaltsrechtlichen Erlaubnisvorbehalte von jedermann erfüllt werden kann.

6 7

BSGE 87, 53 (61). St. Rspr. seit BAG, NJW 1977, 1608 (1608); BAGE 29, 1 (4 f.); anders noch BAGE 22, 22

(27). 8 Eichenhofer, NZA 1987, 732 (735); McHardy, RdA 1994, 93 (98). Grundlegend zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis BAGE 5, 58. 9 Seewald in KassKomm, § 7 SGB IV, Rn. 3.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

2. Bestimmung des Beschäftigungsortes Problematisch kann im Einzelfall die Feststellung des hinreichenden territorialen Bezugs der Beschäftigung zum Geltungsbereich des Gesetzes sein. Gemäß § 9 I SGB IV ist Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich dauernd und regelmäßig ausgeübt wird. Es kommt allein auf die faktische Tätigkeit in einer bestimmten Gemeinde10 an, der rechtliche Rahmen oder Gerichtsstand des Arbeitsverhältnisses ist für die Bestimmung des Beschäftigungsortes nicht relevant. Wechselt der Einsatzort des Arbeitnehmers, so ist nach § 9 II SGB IV der Ort maßgeblich, an dem eine feste Arbeitsstätte errichtet ist. Bei Tätigkeiten an mehreren festen Arbeitsstätten gilt diejenige als Beschäftigungsort, an der der Arbeitnehmer überwiegend tätig ist, § 9 III SGB IV. Zur Klärung des Begriffs der „Arbeitsstätte“ wird entweder auf § 2 ArbeitsstättenVO11 oder auf § 12 AO12 abgestellt. Nach beiden Rechtsgrundlagen ist die Arbeits- oder Betriebsstätte eine feste Einrichtung in einem Betrieb, die entweder zur Nutzung für Arbeitsplätze vorgesehen ist oder der Tätigkeit des Unternehmens dient. Im Hinblick auf das Ziel des § 9 SGB IV, Klarheit über den Ort der Tätigkeit zu schaffen und Kontinuität des Versicherungsortes bei wechselnden Einsatzorten herzustellen, ist also nicht darauf abzustellen, an welchem Ort ein Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten – etwa als Monteur, Lieferant oder als Pilot – konkret erfüllt. Es kommt darauf an, welchem Betrieb die Wertschöpfung aus den Leistungen des Arbeitnehmers zugerechnet werden kann.13 Im Zweifel ist gemäß § 9 V SGB IV auf den Sitz des Unternehmens abzustellen. Abweichende Regelungen nach der Art der Tätigkeit trifft § 10 SGB IV. Personen, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr ableisten sowie Entwicklungshelfer gelten am Sitz des Trägers der Maßnahme als beschäftigt. Für Seeleute ist der Heimathafen ihres Schiffes maßgeblich. Für Selbständige ist der Beschäftigungsort gemäß § 11 SGB IV der Ort, an dem eine feste Arbeitsstätte besteht. Dies ist der Ort, an dem die selbständige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird bzw. der Ort, der den Mittelpunkt der Tätigkeit ausmacht.14 3. Versicherungspflicht entsandter Arbeitnehmer Befindet sich die Arbeitsstätte in Deutschland, schadet eine vorübergehende Entsendung des Arbeitnehmers ins Ausland nicht, § 4 SGB IV (Ausstrahlung). Der Tatbestand der Entsendung ist erfüllt, wenn sich ein Beschäftigter auf Geheiß

10 11 12

Grimmke in jurisPK, SGB IV, § 9, Rn. 16. Grimmke in jurisPK, SGB IV, § 9, Rn. 17. Brandenburg in Wannagat, SGB IV, § 9, Rn. 8; Seewald in KassKomm, SGB IV, § 9,

Rn. 6. 13 14

Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 307. Grimmke in jurisPK, SGB IV, § 11, Rn. 11, 13.

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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seines Arbeitgebers nach seiner Arbeitsaufnahme aus dem Inland15 ins Ausland begibt. Es genügt nicht, dass das Arbeitsverhältnis erstmals im Ausland aufgenommen wird.16 Die Auslandstätigkeit muss zudem zeitlich begrenzt sein. Eine solche Befristung kann sich sowohl aus einer ausdrücklichen vertraglichen Abrede, aber auch aus der Eigenart der ausgeübten Tätigkeit ergeben. Starre Fristen sind nicht vorgegeben. Ein zunächst in der Praxis als maßgeblich angesehener Zeitraum von ein bis zwei Jahren ist inzwischen aufgegeben worden. Es reicht aus, wenn die zeitliche Begrenzung der Auslandstätigkeit bereits bei ihrem Beginn absehbar ist.17 Während der Entsendung muss tatsächliche und rechtliche Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses weiterhin im Inland liegen. Dies erfordert, dass der Arbeitnehmer organisatorisch in den Betrieb seines Arbeitgebers eingegliedert und dessen Weisungen unterworfen ist.18 Nach Ablauf der Entsendungsfrist ist der Wille zur Rückkehr ins Inland gefordert, wäre doch anderenfalls der erforderliche Inlandsbezug der Tätigkeit aufgehoben.19 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Beschäftigte weiterhin im Inland versichert und kann im Falle der Verwirklichung eines sozialen Risikos Leistungen beanspruchen. Das deutsche Sozialrecht strahlt über die Grenzen aus. Umgekehrt wird durch die vorübergehende Beschäftigung eines im Ausland Erwerbstätigen in Deutschland kein Versicherungspflichtverhältnis begründet, § 5 SGB IV (Einstrahlung). Die Einstrahlung folgt den gleichen Prinzipien wie die Ausstrahlung. Das heißt, ein im Ausland Beschäftigter wird von seinem Arbeitgeber vorübergehend ins Inland entsandt, bleibt dabei aber in die Organisationsabläufe seines Beschäftigungsorts eingebunden.20 Der Bezug zu dem ausländischen Sozialversicherungssystem bleibt erhalten. Der Anwendungsbereich des SGB – die Mitgliedschaft im deutschen Solidarverband – ist trotz des im Inland belegenen Beschäftigungsortes oder Wohnsitzes nicht eröffnet. Ein- und Ausstrahlung sind mithin Durchbrechungen des Wohnortprinzips, mit denen der Gesetzgeber den Versicherten zu mehr Mobilität verhelfen will, ohne dass diese Doppelsicherungen oder einen Verlust ihres Versicherungsschutzes befürchten müssen.21

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BSGE 60, 96 (98). BSGE 7, 257 (265); 35, 70 (72). 17 Becker in Hauck/Noftz, SGB I, § 30, Rn. 22; Seewald in KassKomm, SGB IV, § 4, Rn. 11 ff.; Marschner in Kreikebohm, SGB IV, § 4, Rn. 12. 18 BSGE 60, 96 (98); BSG, SozR 4–2400 § 4 Nr. 1, Rn. 19; Fuchs in Gagel, SGB III, § 25, Rn. 46 ff.; Padé in jurisPK SGB IV, § 4, Rn. 36; Seewald in KassKomm, SGB IV, § 4, Rn. 6; Marschner in Kreikebohm, SGB IV, § 4, Rn. 10. 19 BSGE 75, 232 (234); BSG, NZA-RR 2000, 601 (602). 20 Im Einzelnen Padé in jurisPK SGB IV, § 5, Rn. 34 ff.; Seewald in KassKomm, SGB IV, § 5, Rn. 2. 21 Marschner in Kreikebohm, SGB IV, § 4, Rn. 1; Padé in jurisPK SGB IV, § 4, Rn. 1. 16

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

II. Versicherungspflicht kraft Wohnsitzes Nach § 3 I Nr. 2 SGB IV kann die Versicherungspflicht auch an den Wohnsitz anknüpfen, sofern die Ausübung einer Beschäftigung nicht ausdrücklich vorausgesetzt wird. Entsprechende Regelungen finden sich in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs. Der Begriff des Wohnsitzes ist unter Rückgriff auf § 30 III SGB I zu bestimmen. Der Wohnsitz liegt folglich dort, wo jemand eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er diese beibehalten und nutzen wird. Die Versicherungspflicht kraft Wohnsitzes wird in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 3 S. 1 SGB VI für Eltern in Kindererziehungszeiten nach § 56 SGB VI (Nr. 1), nicht gewerbsmäßig tätige Pflegepersonen (Nr. 1a), Wehroder Zivildienstleistende (Nr. 2), Bezieher von Entgeltersatzleistungen (Nr. 3) oder von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Nr. 3a) ausgelöst. In der sozialen Pflegeversicherung finden sich in § 21 SGB XI entsprechende Regelungen für Bezieher von Leistungen der sozialen Entschädigung oder von Zeitsoldaten in der sozialen Pflegeversicherung. Eine vergleichsweise starke Tendenz zur Einbeziehung der Einwohner in die Versicherungspflicht wird im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich. Nach § 5 I SGB V besteht die Versicherungspflicht zunächst für gegen Entgelt Beschäftigte und bestimmte, diesen gleichstellte Personen. Dazu zählen unter anderem Bezieher von Leistungen nach SGB II oder SGB III oder Studenten. 1. Krankenversicherung der Rentner § 5 I Nr. 11 SGB V begründet die Versicherungspflicht für alle Personen, die einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erworben und diese beantragt haben. Zugleich ist die Pflichtmitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung eröffnet, § 20 I Nr. 11 SGB XI. Die Versicherungspflicht wird jedoch nur durch Rentenansprüche begründet, die nach dem SGB VI erworben worden sind.22 Darunter fallen alle in § 33 SGB VI enumierten Renten wegen Alters, Erwerbsminderung oder Hinterbliebenenschaft. Weitere Voraussetzung ist eine Vorversicherungszeit, die sowohl durch eine eigene Pflicht- oder freiwillige23 Mitgliedschaft als auch durch Familienversicherung erfüllt werden kann. Dieses Erfordernis weist einen – zumindest mittelbaren – migrationsrechtlichen Bezug auf, soll sie doch der „Belastbarkeit der Solidargemeinschaft aller Versicherten“24 Rechnung tragen. Mit der Vorversicherungszeit soll sichergestellt werden, dass nur die Personen Leistungen zu Lasten 22 Peters in KassKomm, SGB V, § 5, Rn. 128; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 5, Rn. 422; Häusler in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 17, Rn. 13. 23 BVerfGE 102, 68 (91). 24 BT-Drs. 12/3608, S. 75. Entsprechend bereits BT-Drs. 8/166, S. 24.

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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der GKV beziehen können, die ihrerseits hinreichend lang als Mitglied der Versichertengemeinschaft zu deren Finanzierung beigetragen haben bzw. als Familienversicherte zumindest einen abgeleiteten Schutz innehatten. 25 Eine gezielte Einwanderung in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bzw. deren Mitnahme anlässlich einer Wohnsitzverlegung in die Bundesrepublik im Rentenalter soll folglich entgegengewirkt werden. Der zeitliche Rahmen der Vorversicherungszeit wird durch die Dauer des Erwerbslebens bestimmt, welches mit der erstmaligen Aufnahme einer – nicht notwendig versicherungspflichtigen26 – Erwerbstätigkeit beginnt und der Stellung eines Rentenantrags endet. In der zweiten Hälfte dieser Rahmenfrist muss der Antragsteller mindestens 9/10 in der GKV versichert gewesen sein. Ist der Nachweis der Vorversicherung grundsätzlich an das deutsche Krankenversicherungsrecht geknüpft, kommt es für die Bestimmung der Rahmenfrist dagegen nicht auf einen territorialen Bezug an. Auch abhängige oder selbständige Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Geltungsbereichs des SGB V sind geeignet, den Lauf der Rahmenfrist auszulösen. Der Beschäftigungsbegriff ist daher „gebietsneutral“ auszulegen.27 Diese unterschiedliche Handhabung erklärt sich aus dem Zweck der Vorversicherungszeit. Soll damit eine hinreichende eigene Beteiligung des Rentners am Solidarausgleich in der GKV zur Voraussetzung der Pflichtversicherung gemacht werden, ist diese denknotwendig nur durch die Mitgliedschaft in einem inländischen Versicherungsträger erbracht. Die Einbeziehung ausländischer Beschäftigungsverhältnisse in die Rahmenfrist ist demgegenüber gerechtfertigt, da der Gesetzgeber ausdrücklich nur die Halbbelegung mit Versicherungszeiten in der GKV fordert. Auf den Grund, warum ein Rentner während der Hälfte des Erwerbslebens möglicherweise nicht Mitglied der Versichertengemeinschaft war, kann und muss es vor diesem Hintergrund nicht ankommen.28 Die KVdR wird durch die Beantragung der Rente ausgelöst, wenn die weiteren Voraussetzungen – gewöhnlicher Inlandsaufenthalt 29 und Vorversicherungszeit – erfüllt sind. Wird der Antrag als unbegründet abgelehnt, besteht der Versicherungsschutz in der GKV zumindest übergangsweise während des Bescheidungsverfahrens. 25

Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 5, Rn. 412. Vgl. auch BSGE 54, 293 (299); 56, 39 (43). BSG, NZS 1996, 524 (525); a.A. jedoch ohne Begründung Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 5, Rn. 439. 27 BSGE 56, 39 (41); dazu auch Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 5, Rn. 58; Peters in KassKomm, SGB V, § 5, Rn. 136; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 5, Rn. 439. 28 BSGE 56, 39 (41 ff.). 29 Dazu BSGE 32, 174 (175), wonach die Einbeziehung in die KdVR bei lediglich vorübergehendem Inlandsaufenthalt aus kollisionsrechtlichen, aber auch praktischen Gründen abzulehnen ist. 26

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

2. Subsidiäre Versicherungspflicht in der GKV, § 5 I Nr. 13 SGB V Vor dem Hintergrund, dass trotz der bestehenden Sicherungssysteme 0,2 % der Bevölkerung30 über keine Absicherung im Krankheitsfall verfügt hatte, ist mit dem GKV-WSG31 ein Auffangtatbestand geschaffen worden. Nach § 5 I Nr. 13 SGB V sind über die Erwerbstätigen hinaus alle Personen pflichtversichert, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben.32 Dies führt zugleich ihre Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Nr. 12 SGB XI herbei. Dieser, eine Einwohnersicherung begründende Tatbestand erfasst grundsätzlich auch Ausländer, die sich auf dem Territorium der Bundesrepublik aufhalten. Der Gesetzgeber hat jedoch von der in § 37 SGB I eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht33 und eine Ausnahme von der in § 30 I SGB I angeordneten aufenthaltsbezogenen Sicherung statuiert. § 5 XI 1 SGB V beschränkt die Versicherungspflicht auf Ausländer, die über eine Niederlassungserlaubnis oder eine mindestens zwölf Monate geltende Aufenthaltserlaubnis verfügen. Sofern für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel nach § 5 I Nr. 1 AufenthG die hinreichende Sicherstellung des Lebensunterhalts nachzuweisen ist, entfällt die Versicherungspflicht. Denn dieser Nachweis umfasst die Versorgung im Krankheitsfall. Dies betrifft alle Aufenthaltstitel, die nicht zum vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG, aus humanitären Gründen nach § 25 I-III AufenthG oder wegen mehr als dreijährigem Aufenthalt aus humanitären Gründen nach § 26 III AufenthG erteilt werden. Bei allen anderen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erteilten Aufenthaltstiteln steht der Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts im Ermessen der zuständigen Behörde, § 5 III AufenthG. In der Regel können Ausländer daher aus Art. 5 I Nr. 13 SGB V keine Mitgliedschaft in der GKV herleiten.34 Nichterwerbstätige Unionsbürger sowie Angehörige eines EWR-Staates oder der Schweiz sind bereits nach § 4 S. 1 FreizügG/EU gehalten, vor der Begründung eines Wohnsitzes im Inland einen Krankenversicherungsschutz nachzuweisen und verfügen demnach auch über eine „anderweitige Absicherung“. § 5 XI 2 SGB V stellt dies ausdrücklich klar. Einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung haben auch Asylbewerber, die dem Grunde nach Leistungen nach dem AsylbLG beanspruchen können, § 5 XI 3 SGB V.35 Auch zwischen- und suprastaatliches 30

Statistisches Bundesamt, Sozialleistungen, S. 32; dazu auch BT-Drs 16/3100, S. 94. Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl I, S. 378 ff. 32 Ausführlich Janda, Medizinrecht, S. 49 ff. 33 BT-Drs. 16/3100, S. 95 begründet dies einerseits mit der Notwendigkeit, Missbrauch abzuwenden, andererseits mit der Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens für die Krankenkassen. 34 Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 5, Rn. 116. 35 Dazu auch LSG Hessen, KH 2008, 1335 (1336). 31

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Recht kann Ansprüche auf Krankenbehandlung vermitteln und damit die Versicherungspflicht nach § 5 I Nr. 13 SGB V ausschließen.36 3. Familienversicherung Die Familienversicherung in der GKV wird gemäß § 10 I 1 SGB V kraft Gesetzes für Ehegatten, Lebenspartnern sowie Kinder von Mitgliedern und Kinder familienversicherter Kinder begründet, sofern sie über keinen eigenen Versicherungsschutz verfügen.37 Sie setzt nach § 10 I 1 Nr. 1 SGB V den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des mitversicherten Familienangehörigen im Inland voraus. Gleiches gilt nach §§ 25 I Nr. 1, 26a SGB XII für die soziale Pflegeversicherung. Damit soll verhindert werden, dass Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik haben, durch eine vorübergehende Einreise leistungsrechtliche Ansprüche auf Versorgung im Krankheitsfall auslösen können, wenn eines ihrer Familienmitglieder Mitglied der GKV ist.38 Verlegen Familienangehörige eines Versicherten ihren Lebensmittelpunkt in die Bundesrepublik, sind sie familienversichert, sofern sie die sonstigen Voraussetzungen des § 10 I 1 SGB V erfüllen. Die Familienversicherung ist als akzessorischer Versicherungsstatus untrennbar mit der Mitgliedschaft des Stammversicherten in der GKV verknüpft. Diesem wächst sofort mit der Aufnahme seiner Beschäftigung der Schutz vor dem sozialen Risiko der Erkrankung zu.39 Als Beschäftigter hat der Stammversicherte regelmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland inne. Eine „Wartezeit“ für nachziehende Familienangehörige sieht § 10 SGB V nicht vor, so dass auch sie vom ersten Tag ihres Aufenthalts an den Versicherungsschutz innehaben. Dies gilt sicher und uneingeschränkt für die Inhaber eines Aufenthaltstitels. Ein solcher ist für die nachziehenden Familienmitglieder jedoch nicht zwingend notwendig, verfügt doch der Stammversicherte regelmäßig über einen gewöhnlichen Aufenthalt. An den Aufenthalt der Familienangehörigen und ihren abgeleiteten Versichertenstatus dürfen jedoch im Vergleich zum Stammversicherten keine strengeren aufenthaltsrechtlichen Anforderungen gestellt werden.40 Bei Asylbewerbern und Geduldeten, deren Aufenthalt nicht per se als gewöhnlich eingestuft werden kann,41 ist danach zu differenzieren, ob eine – auf36

Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 5, Rn. 78. Dies gilt beispielsweise für die im Rahmen des europäischen koordinierenden Sozialrechts angeordnete Sachleistungsaushilfe. 37 Ausführlich Janda, Medizinrecht, S. 56. 38 BSGE 80, 209 (212). 39 BSGE 57, 93 (95). 40 BSGE 80, 209 (211); BSG, SozR 3–2500 § 10 Nr. 11, Rn. 18. 41 Dazu bereits im 3. Kapitel; vgl. auch BSGE 57, 93 (95 f.) für Asylbewerber und BSGE 63, 47 (50) für Inhaber einer Duldung.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

enthaltsrechtlich vorgesehene – Beendigung ihres Aufenthalts in absehbarer Zeit durchsetzbar sein wird. Ihnen ist trotz der Ungewissheit ihrer Aufenthaltsdauer der Zugang zur Familienversicherung dem Grunde nach eröffnet. Dafür spricht auch die Gesetzessystematik. Nach § 27 II SGB V müssen Asylbewerber, Inhaber humanitärer Aufenthaltstitel, Vertriebene und Spätaussiedler sowie Versicherte, die sich lediglich vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten, eine zwölfmonatige Wartezeit zurücklegen, um einen Anspruch auf Zahnersatz zu erwerben. Vor Ablauf der Frist schuldet die GKV nur in unaufschiebbaren Fällen eine entsprechende Behandlung. Diese Regelung ist in das Gesetz aufgenommen worden, um die Solidargemeinschaft nicht mit regelmäßig sehr hohen Kosten für Zahnersatz für Personen zu belasten, die „sich erst seit kurzem … im Inland aufhalten“.42 Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass der durch die Gestattung nach § 55 AsylVfG begründete Aufenthaltsstatus von Asylbewerbern einem gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 10 SGB V nicht entgegensteht.43 Im umgekehrten Fall der Verlegung des Lebensmittelpunkts eines nach § 10 SGB V Versicherten ins Ausland, ist ebenfalls eine Prognose zu treffen, ob der Auslandsaufenthalt dauerhaft oder eine Rückkehr in die Bundesrepublik wahrscheinlich ist.44

III. Abweichende Regelungen zu den Anknüpfungsmerkmalen der Versicherungspflicht § 6 SGB IV statuiert einen Vorbehalt der Regelungen im über- und zwischenstaatlichen Recht. Sind dort für die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung andere Anknüpfungspunkte als der Beschäftigungs- oder Wohnort im Inland oder andere Regelungen zur Aus- oder Einstrahlung vorgesehen, so sind allein diese maßgeblich. Die Kollisionsnormen der §§ 3–5 SGB IV sind in diesem Fall nicht anwendbar. Der Regelungsgehalt des § 6 SGB IV erstreckt sich dagegen nicht auf die Leistungsberechtigung im Inland. Die rechtliche Handhabung, beispielsweise der Ruhensvorschriften bei Auslandsaufenthalten, ist im Rahmen von § 30 II SGB I sowie spezieller Regelungen in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches zu beurteilen.45 Abweichende Regelungen ergeben sich insbesondere aus dem Sekundärrecht, namentlich dem europäischen koordinierenden Sozialrecht sowie dem bi- oder multilateralem Abkommensrecht. Letzteres umfasst die Abkommen der EU über den Europäischen Wirtschaftsraum bzw. das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz und das Assoziationsrecht, aber auch die von der Bundesrepublik 42 43 44 45

BT-Drs. 12/3608, S. 78. BSGE 80, 209 (213). BSGE 63, 93 (98). Padé in jurisPK SGB IV, § 6, Rn. 12 mit umfassenden Nachweisen zur Rechtsprechung.

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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geschlossenen Sozialversicherungsabkommen.46 Das Völkerrecht, insbesondere die Rechtsakte der Vereinten Nationen bzw. deren Unterorganisation IAO enthalten keine verbindlichen Regelungen, die die Anknüpfung der sozialen Absicherung regeln. Das IAO-Übereinkommen Nr. 157 sieht in Art. 5 für Arbeitnehmer die Anknüpfung an den Ort der Beschäftigung (lit. a), für Selbständige an den Ort der Niederlassung (lit. b), für selbständig tätige und abhängig beschäftigte Seeleute an den Flaggenstaat (lit. c) sowie für wirtschaftlich Inaktive an den Wohnstaat vor. Dieses, im Wege bi- oder multilateraler Übereinkommen umzusetzende Übereinkommen ist von der Bundesrepublik bislang nicht ratifiziert worden. Die §§ 3 ff. SGB IV gelten daher vor allem im Verhältnis zu Drittstaaten, mit denen die Bundesrepublik kein Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat. 1. Europäisches koordinierendes Sozialrecht, VO (EG) 883/2004 In einem nationalstaatlich organisierten Wohlfahrtsstaat führt Mobilität aufgrund der territorialen Anknüpfung der Versicherungspflicht nahezu zwangsläufig zum Verlust sozialer Rechte. Besonders augenfällig ist dies bei Grenzgängern, die regelmäßig zwischen einem Mitgliedstaat als Wohnstaat und einem anderen als Beschäftigungsstaat pendeln. Beließe man die Zuständigkeit zur eigenverantwortlichen Regelung der Sozialversicherungssysteme bei den Mitgliedstaaten, hätte dies infolge der unterschiedlichen sozialpolitischen Traditionen Sicherungslücken – den Verlust erworbener sozialer Rechte – oder Doppelsicherung – die mehrfache Inanspruchnahme zur Finanzierung sozialer Vorsorge – zur Folge. Dass dies in der auf einer Öffnung der nationalen Märkte basierenden Europäischen Union keinen Bestand haben kann, ist evident, setzt eine Wirtschaftsunion doch zwingend die Mobilität der Arbeitskräfte voraus. Mit der Etablierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (jetzt Art. 45 AEUV) ist die Bewegungsfreiheit zur Grundfreiheit geworden. Seit 1.5.2010 wird die Verknüpfung der nationalrechtlichen Systeme sozialer Sicherheit durch die VO (EG) 883/200447 und die Durchführungsverordnung VO (EG) 987/200948 bewältigt.

46 Vgl. dazu DRV (Hg.), Sozialversicherungsabkommen, Sammlung der Texte der von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten zweiseitigen Abkommen und mehrseitigen Übereinkommen über soziale Sicherheit, 14. Auflage, Berlin 2007: ausführlich Petersen in Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 35. 47 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl L 166 vom 30.4.2004, S. 1 ff. 48 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 S. 1 ff.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

a. Persönlicher Geltungsbereich Ursprünglich auf Wanderarbeitnehmer und deren Familienangehörige beschränkt, ist der persönliche Anwendungsbereich des koordinierenden Sozialrechts im Laufe der Jahre auf wirtschaftlich Inaktive erweitert worden. Art. 2, Art. 1 lit. c) VO (EG) 883/2004 stellen explizit auf die Unionsbürgerschaft und den nach nationalem Recht begründeten Versichertenstatus ab, ohne nach der Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu differenzieren. Der persönliche Geltungsbereich der Vorgängerverordnung war ihrem Wortlaut nach auf Arbeitnehmer, Selbständige und Studierende sowie deren Familienangehörige beschränkt, vgl. Art. 2 I VO (EWG) 1408/71. Als Arbeitnehmer galten aber auch sämtliche in ein soziales Sicherungssystem einbezogenen Personen, unabhängig davon ob dieses nach nationalem Recht als Arbeitnehmer- oder Einwohnersicherung organisiert war, Art. 1 lit. a) i) und ii) VO (EWG) 1408/71. Die Koordinierung erworbener sozialrechtlicher Ansprüche war also bereits damals nicht von einem bestimmten „sozial-ökonomischen Status“ abhängig.49 Im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit ist dagegen zu unterscheiden. Nach Art. 2 VO (EG) 883/2004 sind nicht nur Unionsbürger, sondern auch Staatenlose und Flüchtlinge50 erfasst, wenn sie sich erlaubt auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Einbezogen sind desweiteren die Familienangehörigen der Unionsbürger, Flüchtlinge und Staatenlosen (Art. 2 I letzter HS VO (EG) 883/2004) sowie die Hinterbliebenen anderer Drittstaatsangehöriger, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterlagen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Hinterbliebenen ihrerseits Unionsbürger sind, Art. 2 II VO (EG) 883/2004. Sonstige Drittstaatsangehörige, ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen sind kraft Art. 1 VO (EU) 1231/201051 in den Geltungsbereich des koordinierenden Sozialrechts einbezogen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben. Diese noch unter Geltung der Vorgängerverordnung im Jahr 2003 erstmals eingeführte Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs war nicht unmittelbar in den Rechten der Drittstaater begründet. Vielmehr war ihre Einbeziehung in das koordinierende Sozialrecht durch die Grundfreiheiten ihrer unionsangehörigen Arbeitgeber vermittelt: würde diesen die Möglichkeit genommen, bei der Erbringung ihrer Leistungen in anderen Mit49

Dazu bereits Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Auflage, Art. 2, Rn. 7; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 101; Jorens/Overmeiren in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 111 f. Vgl. auch die Rechtsprechung des EuGH, Slg. 1979, 1977, Rn. 4 (Pierik II); Slg. 1998, I-3419, Rn. 21 (Kuusijärvi). 50 Guild, Int J Refugee Law 18 (2006) 630 (633 f.) bezeichnet die Einbeziehung der Flüchtlinge im Hinblick auf ihre eingeschränkten Weiterwanderungsrechte in der EU als inhaltsleer. 51 VO (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen, ABl. L 344 vom 29.12.2010, S. 1 ff.

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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gliedstaaten ihre legal beschäftigten drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer einzusetzen, beeinträchtigte dies ihre Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV.52 Die Anwendbarkeit des koordinierenden Sozialrechts erfordert eine Überschreitung der EU-Binnengrenzen, d.h. sofern sich ein Drittstaater in nur einem einzigen Mitgliedstaat aufhält, unterliegt er allein dessen nationalem Recht.53 Für die Vorgängerverordnung VO (EWG) 1408/71 war aufgrund Abkommensrechts die personelle und territoriale Erstreckung der Koordinierungsregeln auf das Staatsgebiet und die Staatsangehörigen der Schweiz54 sowie der EWR-Staaten55 angeordnet. Eine entsprechende Regelung für die VO (EG) 883/2004 fehlt derzeit noch. Die VO (EWG) 1408/71 gilt für diesen Personenkreis daher übergangsweise fort, Art. 90 I 2 lit. c) VO (EG) 883/2004. b. Sachlicher Anwendungsbereich VO (EG) 883/2004 betrifft alle Zweige sozialer Sicherheit, d.h. alle Leistungen, die im Falle der Verwirklichung eines sozialen Risikos zu erbringen sind. Art. 3 I VO (EG) 883/2004 enumeriert die Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft bzw. Vaterschaft, Invalidität, Alter und Vorruhestand, Hinterbliebenenschaft, Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit sowie das Sterbegeld und Familienleistungen. Die Leistungen der sozialen und medizinischen Fürsorge und der sozialen Entschädigung sind in Art. 3 V VO (EG) 883/2004 ausdrücklich von der Koordinierung ausgenommen. Unter Fürsorge sind solche Leistungen zu verstehen, deren Erbringung in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt ist und die nicht durch Beiträge finanziert werden.56 Dies entspricht dem deutschen Konzept der Sozialhilfe. Nach Auffassung des EuGH ist die Einbeziehung in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung jedoch im Einzelfall nach der Schutzrichtung einer sozialen Leistung zu prüfen. Beziehe sich diese auf eines der in Art. 3 I VO (EG) 883/2004 genannten sozialen Risiken und erfordere die Sicherung der Freizügigkeit die Koordinierung dieser Leistung, sei der Anwendungsbereich eröffnet.57

52

EuGH, Slg. 1990, I-1417, Rn. 12 (Rush Portuguesa); Slg. 1994, I-3803, Rn. 26 (Vander

Elst). 53

Schumacher, ZESAR 2011, 368 (369). Art. 8 und Anhang II des Freizügigkeitsabkommens EU-Schweiz. Dazu ausführlich Kahil-Wolf/Mosters, EuZW 2001, 5 (8 f.). 55 Beschluss 94/1/EG über den Abschluss des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten sowie der Republik Österreich, der Republik Finnland, der Republik Island, dem Fürstentum Liechtenstein, dem Königreich Norwegen, dem Königreich Schweden und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, ABl. L 1 vom 3.1.1994, S. 1 ff. 56 Schreiber, ZESAR 2006, 423 (423). 57 Statt vieler EuGH, Slg. 1985, 973, Rn. 12 (Hoeckx). 54

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

Sonderregelungen gelten für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nach Art. 3 III, 70 VO (EG) 883/2004.58 Darunter sind solche Leistungen zu verstehen, die ausschließlich durch Steuern finanziert werden und zwar auf eines der in Art. 3 I VO (EG) 883/2004 genannten sozialen Risiken bezogen sind, dem Empfänger aber lediglich eine Mindestsicherung zur Deckung des unmittelbaren Lebensbedarfs gewähren und ausdrücklich im Anhang X der Verordnung aufgeführt sind. Im deutschen Sozialrecht gilt dies für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit nach SGB XII sowie die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II. Diese Leistungen werden nur bei Aufenthalt im zuständigen Staat erbracht, Art. 70 IV 1 VO (EG) 883/2004. Die Anknüpfung für die Bestimmung der Versicherungspflicht richtet sich jedoch auch in diesen Fällen nach dem koordinierenden Sozialrecht. c. Bestimmung des anwendbaren Rechts Die Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme beruht auf vier grundlegenden Prinzipien: der einheitlichen Bestimmung des zuständigen Staates, der Gleichbehandlung von allen EU-Bürgern, der Zusammenrechnung von Anwartschaftszeiten sowie dem Leistungsexport. Für die Anknüpfungsmomente der Versicherungspflicht beinhalten die Vorgaben der Art. 11 ff. VO (EG) 883/2004 abweichende Regelungen i.S.v. § 6 SGB IV. Als so genannte Kollisionsnormen bestimmen sie die Rechtsordnung, nach der sich die Beurteilung grenzüberschreitender Sachverhalte zu richten hat.59 Sie stellen auf diese Weise sicher, dass jeder Versicherte nur – aber auch mindestens – dem Sozialrecht eines Staates unterliegt. Die Mitgliedstaaten können daher keine entgegenstehenden Regelungen erlassen, welche die Anwendbarkeit ihres nationalen Rechts auf bestimmte Sachverhalte begründen oder ausschließen.60 Einheitliche Bestimmung des zuständigen Staats, Art. 11 VO (EG) 883/2004. Dies ist nach Art. 11 III lit. a) VO (EG) 883/2004 der Beschäftigungsstaat für – selbständig oder abhängig – Beschäftigte (lex loci laboris), und zwar unabhängig davon ob sie dort auch ihren Wohnsitz innehaben. Als Beschäftigung gilt nach Art. 1 lit. a) VO (EG) 883/2004 jede Tätigkeit, die nach dem nationalen Recht des zuständigen Staates für die Zwecke sozialer Sicherheit als solche gilt.61 Steht die Zuständigkeit eines deutschen Sozialversicherungsträgers in Rede, ist die Ausübung einer Beschäftigung daher an § 7 SGB IV zu messen. Im Wesentlichen ist daher auf die Eingliederung in den Betrieb eines Weisungsberechtigten abzustellen. Welchen Umfang die Beschäftigung erreicht, ist dagegen nicht rele58

Ausführlich Verschuren in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 244 ff. Ausführlich Devetzi, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 132 ff.; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 142 ff. 60 Vgl. nur EuGH, Slg. 1986, 1821, Rn. 21 (Ten Holder). 61 Dazu bereits EuGH, Slg. 1976, 1901, Rn. 7/10 (Mouthaan). 59

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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vant. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Beschäftigungsverhältnis auch dann begründet, wenn der Ertrag der Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreicht.62 Auch Teilzeitbeschäftigungen sind anzuerkennen.63 Aufgrund der Bezugnahme auf die sozialrechtliche Anerkennung einer Tätigkeit im nationalen Recht kann es für die Bestimmung des zuständigen Staates im Rahmen von Art. 11 VO (EG) 883/2004 auch nicht darauf ankommen, ob diese mit dem erforderlichen Aufenthaltstitel ausgeübt wird. Von Bedeutung ist dies vor allem für die in die Koordinierung einbezogenen Drittstaatsangehörigen, können Unionsbürger doch erlaubnisfrei einer Beschäftigung in der Bundesrepublik nachgehen. Ein deutscher Sozialversicherungsträger kann daher nicht unter Berufung auf die aufenthaltsrechtliche Unzulässigkeit des Beschäftigungsverhältnisses seine Zuständigkeit verneinen. Bei Personen, die Entgeltersatzleistungen in Anspruch nehmen, wird die Beschäftigung fingiert, Art. 11 II 1 VO (EG) 883/2004. Dies gilt jedoch nur für den kurzfristigen Leistungsbezug. Da Renten bei Invalidität, wegen Alters, Hinterbliebenenschaft oder infolge von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten ausdrücklich ausgenommen werden, sind Erwerbsunfähige nicht als erwerbstätig einzustufen.64 Für Beamte, Wehr- und Zivildienstleistende sowie Seeleute sind Sonderregelungen statuiert, die den Zugang zum sozialen Sicherungssystem an den Anstellungs- bzw. den Flaggenstaat knüpfen, Art. 11 III lit. b), d), IV VO (EG) 883/2004. Wechselt der Einsatzort des Beschäftigten, so gilt als loci laboris – ebenso wie im nationalen Recht – nicht die einzelne Arbeitsstätte, sondern der feste Unternehmens- oder Betriebssitz.65 Für wirtschaftlich Inaktive ist gemäß Art. 11 III lit. e) VO (EG) 883/2004 die Zuständigkeit des Wohnstaats begründet (lex loci domicilii). Als Wohnort gilt der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, Art. 1 lit. j) VO (EG) 883/2004. Dieser ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH im dem Staat belegen, in dem sich der „gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen“ befindet und an den er regelmäßig zurückkehrt. Diese werden maßgeblich durch die familiäre Situation des Betreffenden, aber auch die Motive seiner Wanderung sowie Art und Umstände seiner Beschäftigung geprägt.66 Das Wohnortprinzip ist gegenüber der lex loci laboris nachrangig. Dies gilt selbst in den Mitgliedstaaten, deren Sozialversicherung nach dem Prinzip der Einwohnersicherung organisiert ist.67

62

EuGH, Slg. 1982, 1035, Rn. 16 (Levin); Slg. 1986, I-1741, Rn. 14 (Kempf). EuGH, Slg. 1990, I-1755, Rn. 11 (Kits van Heijningen). 64 Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 164. 65 Devetzi, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 84 f. 66 EuGH, Slg. 1973, 935, Rn. 32 (Hakenberg); Slg. 1977, 315, Rn. 17 (di Paolo); EuGH, NZA 1991, 285 (286) (Reibold). 67 EuGH, Slg. 1977, 815, Rn. 10/14 (Perenboom); Padé in jurisPK SGB IV, § 6, Rn. 36. 63

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

Die Vereinheitlichung des internationalen Sozialrechts der Mitgliedstaaten68 schließt einerseits Doppelsicherungen aus, die daraus resultieren können, dass ein Unionsbürger in einem Staat wohnt, der sein soziales Sicherungssystem nach den Grundsätzen der Einwohnersicherung organisiert und in einem auf Arbeitnehmersicherung basierenden Wohlfahrtsstaat arbeitet. Andererseits überwindet es Sicherungslücken im umgekehrten Fall, in denen ein Arbeitnehmer mangels Wohnsitz nicht der Einwohnersicherung im Beschäftigungsstaat, mangels Beschäftigungsstatus dagegen auch nicht der Arbeitnehmersicherung im Wohnstaat unterliegt.69 Bestimmung des zuständigen Staates bei Mehrfachbeschäftigung, Art. 13 VO (EG) 883/2004. Die in Art. 11 VO (EG) 883/2004 getroffene Zuordnung erlaubt grundsätzlich eine eindeutige Abgrenzung der Anknüpfungsmomente. Problematisch ist die lex loci laboris jedoch bei Personen, die regelmäßig und dauerhaft70 in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausüben – sei es für einen71 oder mehrere Arbeitgeber, gleichzeitig oder abwechselnd.72 Art. 13 I lit. a) VO (EG) 883/2004 ordnet die Anknüpfung an den Wohnstaat an, sofern der Beschäftigte für lediglich einen Arbeitgeber tätig ist73 und der Schwerpunkt der Beschäftigung im Wohnstaat liegt. Lässt sich ein solcher Schwerpunkt ausmachen, ist der Wohnstaat Versicherungsstaat für alle von dem Betreffenden ausgeübten Beschäftigungsverhältnisse.74 Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt gemäß Art. 14 VIII VO (EG) 987/2009 dort, wo der Arbeitnehmer einen „quantitativ erheblichen Teil seiner Tätigkeit ausübt“. Dies muss nicht zwingend der größte Teil der Tätigkeit sein. Vielmehr ist auf die Arbeitszeit bzw. das daraus erzielte Entgelt abzustellen. Nehmen diese bei Betrachtung der Gesamtheit aller ausgeübten Beschäftigungsverhältnisse – prognostiziert für die kommenden zwölf Kalendermonate75 – einen Anteil von weniger als 25 % ein, bildet dies ein Indiz gegen den Schwerpunkt der Tätigkeit, Art. 14 VIII 3 VO (EG) 987/2009.76 Hilfsweise ist nach Art. 13 I lit. b) VO (EG) 883/2004 auf den Sitzstaat des Arbeitgebers zurückzugreifen, wenn die Beschäftigung ihren Schwerpunkt nicht 68

Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 155. Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 147 f. 70 In Abgrenzung zur Entsendung, die lediglich die vorübergehende Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat erfasst. Die Abgrenzung begegnet im Einzelfall Schwierigkeiten, vgl. Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 182 ff. 71 EuGH, Slg. 1995, I-269, Rn. 13 f. (Calle Grenzshop Andresen). 72 EuGH, Slg. 1973, 935, Rn. 17 (Hakenberg) für die Tätigkeit eines Handelsvertreters. 73 Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, VO 883/04, Art. 13, Rn. 5. 74 Eichenhofer, SGb 2010, 185 (188); Devetzi, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 55. 75 Art. 14 X VO (EG) 987/2009. 76 Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 169. 69

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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im Wohnstaat hat. Der Anwendungsbereich der Norm beschränkt sich auf Arbeitnehmer, die für lediglich einen Arbeitgeber tätig sind.77 Die Anknüpfung an den Wohnstaat ist wiederum in den Fällen maßgeblich, in denen der Betreffende für mehrere Arbeitgeber tätig ist, die ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, Art. 13 I lit. a) 2. Alt. VO (EG) 883/2004. Auf den Umfang der Beschäftigung kommt es in diesem Fall nicht an.78 Eine vergleichbare Regelung ist in Art. 13 II VO (EG) 883/2004 für Selbständige getroffen.79 Ist eine Person sowohl selbständig als auch abhängig beschäftigt, gilt nach Art. 13 III VO (EG) 883/2004 der Ort ihrer abhängigen Beschäftigung als Anknüpfungsmoment bei der Bestimmung des zuständigen Staats. Übt die Person mehrere abhängige Beschäftigungen aus, kommen die in Art. 13 I VO (EG) getroffenen Regelungen zur Anwendung. Die Bestimmung des zuständigen Staates hat zur Folge, dass der Versicherte so zu behandeln ist, als übte er alle Beschäftigungsverhältnisse und selbständigen Tätigkeiten im zuständigen Staat aus, Art. 13 V VO (EG) 883/2004. Der Zugang zur Versicherungspflicht und damit auch die Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen richten sich allein nach dem nationalen Recht dieses Staates, und zwar für alle Einkünfte, die aus der Mehrfachbeschäftigung erzielt werden. 80 Bestimmung des zuständigen Staats bei entsandten Arbeitnehmern, Art. 12 VO (EG) 883/2004. Art. 12 VO (EG) 883/2004 bestimmt den Versicherungsstaat für entsandte Arbeitnehmer. Ebenso wie § 4 SGB IV ordnet die Norm an, dass die vorübergehende Ausübung einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat nicht mit einem Wechsel des Versicherungsstatuts einhergeht. Vielmehr wird die Versicherung im Staat der Stammbeschäftigung aufrecht erhalten. Hintergrund dieser Regelung ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die beeinträchtigt wäre, würde eine kurzfristige Auslandsbeschäftigung hohen bürokratischen Aufwand erfordern oder gar zu Lücken in der Versichertenbiografie führen.81 Auch eine Doppelsicherung soll vermieden werden, die dadurch eintreten würde, dass dem Entsandten am Ort seiner vorübergehenden Beschäftigung Beitragszahlungen auferlegt würden, mit denen angesichts des fortdauernden Versicherungsschutzes im Herkunftsland keine leistungsrechtlichen Vorteile einhergehen.82 Voraussetzung der Entsendung im Sinne des europäischen koordinierenden Sozialrechts ist die vorübergehende Ausübung einer Beschäftigung in einem an77

Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, VO 883/04, Art. 13, Rn. 10. Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 169; Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, VO 883/04, Art. 13, Rn. 12. 79 Ausführlich Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, VO 883/04, Art. 13, Rn. 14 ff. 80 Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 175; Devetzi in Hauck/Noftz/ Eichenhofer, VO 883/04, Art. 13, Rn. 23. 81 Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, VO 883/04, Art. 12, Rn. 5; Padé in jurisPK SGB IV, § 4, Rn. 15. 82 EuGH, Slg. 1982, 223, Rn. Rn. 9 f. (Seco); Slg. 1984, 2223, Rn. 16 (Brusse). 78

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

deren Mitgliedstaat auf Veranlassung und auf Rechnung des Arbeitgebers. Die arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, insbesondere das Weisungsrecht, die Vergütungspflicht und die Entlassungsbefugnis müssen während der Auslandsbeschäftigung also aufrecht erhalten werden.83 Der Entsendetatbestand setzt jedoch nicht voraus, dass der Arbeitnehmer bereits vorher sozialversichert war. Zwar ordnet Art. 12 I VO (EG) 883/2004 an, dass der Versicherte „weiterhin“ den Rechtsvorschriften des Entsendestaats unterliegt, was den Schluss auf die Notwendigkeit von Vorversicherungsperioden nahelegt.84 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es jedoch ausreichend, wenn der Arbeitnehmer allein zum Zwecke der Entsendung eingestellt worden ist, wenn der Auslandsbeschäftigung also keine Erwerbstätigkeit für diesen Arbeitgeber im Inland vorausging. Nur der entsendende Arbeitgeber muss gewöhnlich im Entsendestaat tätig sein.85 Art. 14 I VO (EG) 987/2009 nimmt diese Rechtsprechung auf. Dies dient der Vorbeugung des Missbrauchs der Entsendemöglichkeit in Staaten mit geringen Lohnnebenkosten durch Gründung von Briefkastenfirmen im Inland.86 Der vorübergehende Charakter der Entsendung ist gewahrt, wenn die Auslandstätigkeit – dies muss bereits zu Beginn der Entsendung feststehen!87 – nicht länger als 24 Monate andauert, Art. 12 I VO (EG) 883/2004. Die Ablösung einer bereits entsandten Person, bei der diese Frist abgelaufen ist, durch eine weitere ist als Kettenentsendung unzulässig.88 Mit dieser Regelung soll Lohndumping durch eine dauerhafte Verlagerung der Arbeit in andere Mitgliedstaaten verhindert werden. Dass eine Entsendung vorliegt, bestätigen die Sozialleistungsträger des zuständigen Staates durch Ausstellung einer Bescheinigung nach Art. 19 II VO (EG) 987/2009.89 Diese ist bindend für den Träger am Ort der vorübergehenden Beschäftigung, hindert diesen folglich daran, den entsandten Arbeitnehmer seinen sozialrechtlichen Regelungen zu unterwerfen.90

83 Buschermöhle, DStR 2010, 1845 (1846); Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, VO 883/04, Art. 12, Rn. 9; Tiedemann, NZS 2011, 41 (44 f.). 84 Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 149. 85 Dazu auch EuGH, Slg. 1970, 1251, Rn. 16 (Manpower); Slg. 2000, I-883, Rn. 23 (Fitzwilliam). Der Tatbestand der Entsendung ist dagegen nicht erfüllt bei der Rekrutierung von Personen, die bereits im Zielstaat ansässig und beschäftigt sind (so genannte Ortskräfte), Padé in jurisPK, SGB IV, § 4, Rn. 18. 86 Cornelissen in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 54. 87 Joussen, NZS 2003, 19 (23) noch zur Vorgängerregelung in Art. 14 VO (EWG) 1408/71. 88 Schoukens/Pieters in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 149; Devetzi, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 66 ff.; Tiedemann, NZS 2011, 41 (45). 89 Dazu im Einzelnen Buschermöhle, DStR 2010, 1845 (1847); Schüren/Wilde, NZS 2011, 121 (122); Tiedemann, NZS 2011, 41 (45 f.). 90 EuGH, Slg. 2000, I-883, Rn. 53 (Fitzwilliam); Slg. 2000, I-2005, Rn. 42 (Banks); Slg. 2006, I-1079, Rn. 25 (Herbosch Kiere).

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

161

Besonderheiten bei der Krankenversicherung der Rentner. Die Versicherungspflicht der Rentenbezieher in der GKV knüpft nach § 3 Nr. 2 SGB IV, § 5 I Nr. 11 SGB V an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und den Bezug von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung an. Die Zugehörigkeit zur Versicherung endet folglich, wenn der Rentenbezieher seinen Aufenthalt auf Dauer ins Ausland verlegt.91 Diesen Befund scheint auch das europäische koordinierende Sozialrecht zu bestätigen, indem es in Art. 11 III lit. e) VO (EG) 883/2004 für wirtschaftlich Inaktive die Anknüpfung der Versicherungspflicht an die lex loci domicilii bindet. Die Norm steht indes unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen. Nach Art. 16 II VO (EG) 883/2004 kann sich der Bezieher einer Rente, der in einem anderen als dem die Rente gewährenden Mitgliedstaat lebt, vom Wohnortprinzip freistellen lassen. Diese Möglichkeit besteht lediglich dann nicht, wenn er aufgrund einer Erwerbstätigkeit im Wohnstaat diesem versicherungsrechtlich ohnehin – über die lex loci laboris – zugeordnet ist. Die Geltendmachung dieser „Versicherungsbefreiung“ führt dazu, dass sich die Anknüpfungsmerkmale nach dem Recht des Rentenzahlstaats, freilich unter Suspendierung des in dessen nationalen Recht vorgesehenen Wohnsitzerfordernisses, richten. Art. 16 II VO (EG) 883/2004 etabliert damit eine akzessorische Anknüpfung. So wird sichergestellt, dass der den Beitrag zur Krankenversicherung schuldende Rentenzahlstaat auch über die Krankenversicherung der Rentner bestimmt. Spezifische Anknüpfungsregeln für die Absicherung der Rentenbezieher im Krankheitsfall enthalten die – insoweit im Leistungsrecht der Koordinierungsverordnung nicht hinreichend systematisch verorteten92 – Art. 23 ff. VO (EG) 883/2004. Art. 23 VO (EG) 883/2004 stellt zunächst klar, dass der Bezieher zweier oder mehrerer Renten aus verschiedenen Mitgliedstaaten (Mehrfachrentner) in das Sicherungssystem des Wohnstaats einbezogen ist, sofern er von dessen Träger eine Rente bezieht. Für Rentner, die im Wohnstaat keine Ansprüche auf Absicherung im Krankheitsfall herleiten können, begründet Art. 24 I VO (EG) 883/2004 hilfsweise die Anknüpfung an das Statut des Rentenzahlstaats. Dabei kommt es nicht darauf an, aus wie vielen Staaten der Betreffende eine Rente bezieht. Maßgeblich ist allein, ob er nach dem Recht des die Rente gewährenden Staates einen Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall hätte, wenn er dort wohnte. Die Norm stellt damit sicher, dass Rentner keine Sicherungslücken hinzunehmen haben, wenn sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen. Zugleich sollen Doppelsicherungen vermieden werden. Zu diesem Zweck ordnet Art. 25 VO (EG) 883/2004 ebenfalls die Zuständigkeit des Rentenzahlstaats an, wenn der Rentner seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, dessen 91

BSGE 32, 174 (175). Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 206. So auch EuGH, Slg. 1980, 75, Rn. 12 (Jordens-Vosters); Slg. 2003, I-7045, Rn. 39 (Van der Duin). 92

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

Gesundheitsversorgung als Nationaler Gesundheitsdienst organisiert ist.93 Die Träger des Wohnstaates haben in diesen Konstellationen lediglich eine aushelfende Funktion, insoweit sie die Versorgung der Versicherten mit Sachleistungen zu gewährleisten haben. Versicherungsverhältnis und Kostenlast verbleiben bei dem Staat, dessen Träger die Rente gewährt.94 Für die Krankenversicherung der Rentner etabliert das koordinierende Sozialrecht damit generell eine akzessorische Anknüpfung, ist die Anknüpfung an den Wohnstaat doch bedingt durch die Rentenzahlung durch die dort ansässigen Träger. Der Bezug der Rente bildet folglich die „Wurzel des Versicherungsschutzes“,95 allerdings mit der Besonderheit, dass mehrere Rentenzahlstaaten als zuständige Staaten berufen sind. 2. Abkommensrecht In den von der Bundesrepublik geschlossenen bi- und multilateralen Sozialversicherungsabkommen96 überwiegen leistungsrechtliche Bestimmungen.97 Sie eröffnen jedoch auch die Möglichkeit der Entsendung von Arbeitnehmern unter Beibehaltung des sozialen Schutzes durch den Herkunftsstaat.98 Ebenso wie das europäische koordinierende Sozialrecht treffen die Abkommen Regelungen zum anwendbaren Recht in bilateralen Lebenssachverhalten, so dass jeweils nur ein Staat für die soziale Sicherung der Personen zuständig ist, die in den – üblicherweise auf Arbeitnehmer und deren Familienangehörige beschränkten – persönlichen Anwendungsbereich der Abkommen fallen.99 Ist die Begründung eines Pflichtversicherungsverhältnisses an eine Wartefrist gekoppelt, stellt das Abkommensrecht sicher, dass Aufenthaltszeiten, die in einem Vertragsstaat zurückgelegt worden sind, dem Inlandsaufenthalt gleichgestellt werden.100 Soweit die Bundesrepublik Abkommen mit anderen EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen hat, werden diese gemäß Art. 8 I 1 VO (EG) 883/2004 zwar grundsätzlich durch das europäische koordinierende Sozialrecht verdrängt. In Aner93 Klein in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 25 VO 883/04, Rn. 10; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 25 VO(EG) Nr. 883/2004, Rn. 2. 94 Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 25 VO(EG) Nr. 883/2004, Rn. 3; Bauer, SGb 2006, 237 (237); Becker, ZESAR 2003, 421 (422). 95 BSGE 84, 98 (102); BSG, ZESAR 2006, 233 (234) bereits zur Vorgängerverordnung 1408/71, aus der sich diese Zuordnung jedoch noch nicht zweifelsfrei ergab. Entsprechend kritisch Bauer, SGb 2006, 237 (237). 96 Vgl. die Übersicht bei Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB IV, § 6, Rn. 13 ff. 97 Seewald in KassKomm, SGB IV, § 6, Rn. 5. 98 Padé in jurisPK SGB IV, § 4, Rn. 30. 99 Eichenhofer/Abig in Lang, Double Taxation Conventions and Social Security Conventions, S. 322 f.; ausführlich zu den abkommensrechtlichen Kollisionsnormen für die KVdR Schötz, DRV 2001, 514 (519). 100 BSG, SozR 3–2500 § 10 Nr. 11, Rn. 15 für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen und den Zugang zur Familienversicherung nach § 10 SGB V. Ausführlich für die KVdR Schötz, DRV 2001, 514 (517 f.).

A. Anknüpfungsmerkmale der Versicherungspflicht

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kennung des aus der primärrechtlich verbürgten Freizügigkeit abzuleitenden Grundsatzes, dass europäisches Recht nur rechtserweiternd wirken, nicht aber erworbene Rechtspositionen verdrängen oder beeinträchtigen dürfe,101 gilt dies jedoch nur, soweit das Abkommensrecht keine günstigeren Regelungen aufweist als die Koordinierungsverordnung, Art. 8 I 2 VO (EG) 883/2004.102 Die Abkommen, die von dieser Ausnahmeklausel erfasst sind, werden konstitutiv in Anhang II der Verordnung aufgeführt. Weitere Abkommen dürfen die Mitgliedstaaten untereinander nur abschließen, wenn sie den Grundsätzen und dem Geist des koordinierenden Sozialrechts entsprechen, Art. 8 II VO (EG) 883/2004. Das Abkommensrecht der Mitgliedstaaten darf die VO (EG) 883/2004 daher nicht ändern, sondern lediglich ergänzen. 3. Assoziationsrecht Auch die Assoziationsabkommen dienen der Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit der Vertragsstaaten. Sie konstituieren ebenfalls einheitliche Anknüpfungsmomente für die Begründung eines Versicherungsverhältnisses. Für das Verhältnis EU-Türkei verweist Art. 9 ARB 3/80103 auf einzelne Regelungen des europäischen koordinierenden Sozialrechts – Art. 13 I, II lit. a), b) sowie 14, 15, 17 VO (EWG) 1408/71 – zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. Da der persönliche Anwendungsbereich des Beschlusses gemäß Art. 2 ARB 3/80 auf Arbeitnehmer mit türkischer Staatsangehörigkeit sowie deren Familienangehörige oder Hinterbliebene mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat beschränkt ist, bildet für die in der EU tätigen türkischen Arbeitnehmer die lex loci laboris regelmäßig den Anknüpfungspunkt für ihre soziale Absicherung. Dass deren Aufenthaltsrechte gemäß Art. 6, 7 ARB 1/80 von der Erteilung eines Aufenthaltstitels durch den Aufenthaltsstaat abhängig sind,104 deutet zwar darauf hin, dass die Koordinierung ihrer sozialrechtlichen Ansprüche vom Vorliegen eines zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigenden Aufenthaltstitels abhängig ist. Art. 1 lit. b) ARB 3/80 definiert als Arbeitnehmer jedoch jede Person, die in einem der hergebrachten Zweige sozialer Sicherheit zumindest gegen ein soziales Risiko versichert ist.105 Die Norm beinhaltet also ebenso wie Art. 1 lit. a) VO (EG) 883/2004 eine Verweisung auf das nationale Recht des Beschäftigungsstaats.106 Für die in der Bundesrepublik beschäftigten türkischen Arbeitnehmer 101

St. Rspr. des EuGH seit EuGH, Slg. 1975, 1149, Rn. 11/13 (Petroni); Slg. 1980, 2205, Rn. 7 (Gravina); Slg. 1991, 323, Rn. 26 (Rönfeldt). Ausführlich Resch, NZS 1996, 603. 102 Anders noch EuGH, Slg. 1973, 599, Rn. 6/7 (Walder). 103 Beschluss des Assoziationsrats vom 19.9.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, ABl C 110 v. 25.4.1983, S. 60 ff. 104 EuGH, Slg. 1992, I-6781, Rn. 25 (Kus); Huber, NVwZ 1993, 246 (247). 105 Dazu auch EuGH, Slg. 1999, I-2685, Rn. 93 (Sürül). 106 Hänlein, ZAR 1998, 21 (25).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

kann es daher unter Rückgriff auf die in § 7 SGB IV enthaltene Wertung für die Begründung eines sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ebenfalls nicht auf dessen aufenthaltsrechtliches Erlaubtsein ankommen. 4. Fazit Um die Zuständigkeit eines Sozialversicherungsträgers zu bestimmen, bedarf es eindeutiger Anknüpfungsmerkmale. Sind diese nicht gegeben, drohen Sicherungslücken oder Doppelsicherungen. Die Anknüpfung an ein inländisches Beschäftigungsverhältnis, hilfsweise den Inlandswohnsitz in § 3 SGB IV erlaubt eine solche eindeutige Zuordnung. Die Anknüpfungsmerkmale sind aufenthaltsrechtlich neutral. Sie eröffnen damit jedermann den Zugang zur Sozialversicherung in der Bundesrepublik, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Auch das nach § 18 AufenthG begründete Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für die Beschäftigung von Ausländern bewirkt nicht per se den Ausschluss von der Sozialversicherung für die in illegal begründeten Arbeitsverhältnissen tätigen Personen. Freilich stehen der Realisierung des Versicherungsschutzes im Leistungsfall erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten gegenüber, drohen mit der Offenbarung der rechtswidrig ausgeübten Tätigkeit doch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen. Die hilfsweise Anknüpfung an den Aufenthalt erfordert dessen Zukunftsoffenheit i.S.v. § 30 III SGB I. Ausgeschlossen ist der Zugang zur Sozialversicherung damit lediglich für Personen ohne jedweden Aufenthaltstitel. Bei Inhabern einer Duldung oder Asylbewerbern ist je nach der Lage des Einzelfalls zu differenzieren. Auch ihnen ist aber zumindest dem Grunde nach der Zugang zur Sozialversicherung eröffnet. Der Grund für die vergleichsweise große Offenheit des Sozialversicherungssystems für In- wie Ausländer mag darin liegen, dass die Begründung der Pflichtversicherung nicht nur leistungsrechtliche Ansprüche des Versicherten nach sich zieht, sondern auch Beitragspflichten gegenüber den Versicherungsträgern begründet. Die Versicherten tragen also selbst (zumindest teilweise) die finanzielle Last der im Falle der Verwirklichung eines sozialen Risikos anfallenden Kosten. Das europäische Recht wie auch das bilaterale Abkommensrecht modifizieren die in § 3 SGB IV aufgestellten Grundsätze nicht grundlegend. Auch diese Instrumente knüpfen die Versicherungspflicht an den Beschäftigungs- oder den Wohnort. Ihre Funktion liegt weniger in der Erweiterung des Zugangs zu den sozialen Sicherungssystemen der verschiedenen Staaten als in der Abgrenzung der Zuständigkeiten in internationalen (Erwerbs-)Biografien.107 Sie sollen verhindern, dass der Einzelne aufgrund der historisch gewachsenen Unterschiede in der Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaaten, insbesondere bei Auseinanderfal107 Ausführlich Devetzi, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 113; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 143 ff.

B. Bestimmung der Leistungsberechtigung in grenzüberschreitenden Fällen

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len von Wohn- und Beschäftigungsort, gänzlich ohne Absicherung oder mehrfach pflichtversichert ist.108 Über- und zwischenstaatliches Recht hat im Hinblick auf den Zugang zur Sozialversicherung daher die Aufgabe, Kompetenzkonflikte aufzulösen, nicht aber eine Rechtserweiterung zu bewirken.

B. Bestimmung der Leistungsberechtigung in grenzüberschreitenden Fällen Das Bestehen der Versicherungspflicht nach § 3 SGB IV ist nicht deckungsgleich mit der Leistungsberechtigung in der Sozialversicherung. Die besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs treffen für jeden Versicherungszweig gesonderte Regelungen, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Leistungen besteht. Einige Leistungsansprüche sind bedingt durch die Zurücklegung von Vorversicherungs- oder gleichgestellten Zeiten innerhalb von bestimmten Rahmenfristen im Inland (I) oder die Erfüllung besonderer Anspruchsvoraussetzungen, die einen Inlandsbezug aufweisen (II). In nahezu allen Versicherungszweigen ist das Ruhen, zumindest aber eine Minderung der Ansprüche angeordnet, solange sich der Berechtigte im Ausland aufhält (III). Derartige territorial bezogene Anknüpfungspunkte sind geeignet, Migranten zumindest mittelbar zu benachteiligen, können diese im Unterschied zu den eigenen Staatsangehörigen doch häufig nicht bzw. nicht in vollem Umfang die geforderten Inlandsbezüge nachweisen. Daher ist zu untersuchen, ob eine solche Benachteiligung gerechtfertigt ist und inwieweit daraus resultierende Schutzlücken durch supra- und internationales Recht überwunden werden (C.).

I. Berücksichtigung von Versicherungs-, Beschäftigungsund anderen Wartezeiten Rahmenfristen sind vor allem in den Leistungszweigen von Bedeutung, in denen im Falle der Verwirklichung des abgesicherten sozialen Risikos längerfristig Geldleistungen gewährt werden. Mit der Etablierung der Anwartschafts- oder Wartezeiten soll sichergestellt werden, dass der vom Eintritt eines sozialen Risikos Betroffene hinreichend in der Solidargemeinschaft der Versicherten verankert ist. Die „Einwanderung in die Solidargemeinschaft“ soll verhindert werden.109 Eine kurze Vorbeschäftigungszeit, in deren Rahmen nur Beiträge in geringem Umfang entrichtet worden sind, soll und kann demnach keine An108 St. Rspr. des EuGH, Slg. 1967, 462, 472 (Van der Vecht); Slg. 1977, 815, Rn. 10/14 (Perenboom); Slg. 1990, I-1755, Rn. 12 (Kits van Heijningen), Slg. 1998, I-3419, Rn. 28 (Kuusijärvi); Slg. 2000, I-883, Rn. 20 (Fitzwilliam);Slg. 2000, I-9379, Rn. 18 (Plum). 109 Statt vieler Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 64.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

sprüche auf Leistungen der Sozialversicherung begründen. Dies entspricht dem Versicherungsprinzip, wonach Ansprüche nur dann zu gewähren sind, wenn ihnen hinreichende Versicherungszeiten und Beitragsleistungen gegenüberstehen.110 Namentlich ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 118 I Nr. 3 SGB III von der Erfüllung einer Anwartschaftszeit abhängig. Besonders umfangreiche Regelungen zu sozialversicherungsrechtlich relevanten Zeiten enthält des Rentenrecht in §§ 54 ff. SGB VI. 1. Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld nach § 123 SGB III Der Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt nach § 118 I SGB III voraus, dass der Versicherte arbeitslos ist, sich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und eine Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Anforderungen an die Erfüllung der Anwartschaftszeit sind in § 123 SGB III präzisiert. Der Versicherte muss danach in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben. Die Rahmenfrist ist ihrerseits in § 124 SGB III näher ausgestaltet.111 Sie beläuft sich auf zwei Jahre rückwirkend ab dem Tag, vor dem der Versicherte alle sonstigen Voraussetzungen für den Arbeitslosengeldanspruch erfüllt. Der Bezug des Arbeitslosen zur Solidargemeinschaft der Versicherten muss also nicht nur als solcher, sondern in engem zeitlichen Rahmen zur Verwirklichung des Risikos der Arbeitslosigkeit bestanden haben.112 Das Versicherungspflichtverhältnis in der Arbeitslosenversicherung wird – im Einklang mit der Anordnung des § 3 I Nr. 1 SGB IV und der Definition in § 7 I SGB IV – gemäß §§ 24 I, 25 SGB III grundsätzlich durch das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses begründet. Auszubildende sind den Beschäftigten gleichgestellt. § 26 SGB III begründet darüber hinaus die Versicherungspflicht für Jugendliche, die in Einrichtungen zur Rehabilitation oder der Jugendhilfe untergebracht sind und dort zur Teilhabe am Arbeitsleben befähigt werden sollen, Wehr- und Zivildienstleistende sowie Gefangene (Abs. I). Gleiches gilt für Personen, die von einem sozialrechtlichen Leistungsträger Einkommensersatzleistungen beziehen (Abs. II), Kinder unter drei Jahren erziehen (Abs. IIa) oder während einer Pflegezeit einen Pflegebedürftigen betreuen (Abs. IIb). Anstelle einer freiwilligen Versicherung besteht in der Arbeitslosenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Begründung der Versicherungspflicht auf Antrag nach § 28a SGB III. Auch diese begründet ein anwartschaftsrechtlich relevantes Versicherungspflichtverhältnis.113 Bei den Personen, die über §§ 26, 28a SGB III in die Arbeitslosenversicherung einbezo110 Für die Arbeitslosenversicherung vgl. BT-Drs. 13/4941, S. 146. Ausführlich Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 177. 111 Ausführlich Winkler, info also 1997, 126 (133). 112 Hünecke in Gagel, SGB II/SGB III, § 124, Rn. 5; Brand in Niesel/Brand, SGB III, Rn. 4. 113 Striebinger in Gagel, SGB II/SGB III, § 123 SGB III, Rn. 46a ff.

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gen sind, ist mangels Ausübung einer Beschäftigung unter Rückgriff auf § 3 I Nr. 2 SGB IV darauf abzustellen, ob sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben. Eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit wird also auch in der Arbeitslosenversicherung nicht getroffen. Der notwendige Inlandsbezug, der die Anwendbarkeit des SGB III begründet, wird vielmehr durch die Belegenheit des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthaltsort hergestellt. 2. Anspruchsbegründende und anspruchserhöhende Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung Anwartschaftszeiten sind in der gesetzlichen Rentenversicherung von herausgehobener Bedeutung. Sie sind nicht nur nach § 50 SGB VI rentenbegründend, sondern wirken sich als bestimmender Faktor für die Bemessung der Entgeltpunkte gemäß §§ 64 Nr. 1, 66 I Nr. 1, 70 SGB VI auch auf die Höhe der Rentenansprüche aus.114 Für einzelne Rentenarten sind Zeiten der Entrichtung von Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung zudem materielle Anspruchsvoraussetzung, vgl. § 43 I Nr. 2 SGB VI. Ferner ist die Zurücklegung von Anwartschaftszeiten Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe an erwerbsgeminderte Personen nach § 11 SGB VI. a. Wartezeiten, § 50 SGB VI Alle Rentenarten setzen voraus, dass der Versicherte eine Wartezeit zurückgelegt hat, also entsprechend der Legaldefinition in § 34 I SGB VI eine Mindestversicherungszeit nachweisen kann. Vor dem Hintergrund des Versicherungsprinzips ist dies nachvollziehbar,115 dauert der Rentenbezug doch bis zum Tod des Berechtigten an, ist also im Gegensatz zum Arbeitslosengeld (vgl. § 127 SGB III) zeitlich nicht begrenzt. Hinterbliebenenrenten reichen in ihrer zeitlichen Dimension noch weiter – als Witwen-/Witwerrente (§ 46 I 2 SGB VI) bis zu 24 Monate nach dem Tod des Versicherten bzw. als Waisenrente (§ 48 IV SGB VI) bis zur Vollendung des 18. bzw. 27. Lebensjahrs eines Abkömmlings des Versicherten. Die Wartezeiten haben daher eine wesentliche Funktion, um die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung zu garantieren, gewährleisten sie doch eine gewisse (zeitliche) Äquivalenz zwischen Beitragszahlung und Leistungsberechtigung.116 „Besonders schlechte Risiken“117 werden auf diese Weise aus der Solidargemeinschaft der Beitragszahler ausgeschlossen. 114 Ausführlich zur Bewertung von Beitragszeiten bei der Ermittlung der Entgeltpunkte Seiter in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 15, Rn. 23 ff. 115 Namini in jurisPK-SGB VI, § 50, Rn. 6. 116 Kritisch zum Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen ihrer Bedeutung für den solidarischen Ausgleich BVerfGE 76, 256 (306); BSGE 63, 195 (200). 117 Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 50, Rn. 3; ähnlich Reichert in Eichenhofer/Rische/ Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 14, Rn. 106.

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Für die Regelaltersrente (§ 35 SGB VI), die Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) oder wegen Todes (§§ 46 ff. SGB VI) ist gemäß § 50 I 1 SGB VI eine allgemeine Wartezeit von fünf Jahren zurückzulegen. Diese wird für die Regelaltersrente fingiert, wenn der Versicherte bis zum Eintritt der Altersgrenze eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat. Gleiches gilt für die Hinterbliebenenrente, wenn der Versicherte seinerseits bis zu seinem Tod eine Rente bezogen hat. Diese Fiktion soll das Vertrauen der Rentenbezieher in den Fortbestand dieser Leistungen schützen. Dieses Vertrauen ist jedoch nur begründet, wenn es sich um einen nach nationalem Recht begründeten Rentenanspruch handelt.118 Für Renten wegen voller Erwerbsminderung beläuft sich die Wartezeit auf 20 Jahre, wenn die allgemeine Wartezeit bei Eintritt der Erwerbsminderung noch nicht abgelaufen war (§ 50 II SGB VI), auf 25 Jahre für Bergleute (§ 50 III SGB VI) sowie auf 35 Jahre für die Altersrente für langjährig Versicherte oder schwerbehinderte Menschen (§ 50 IV SGB VI). b. Beitragszeiten, § 55 SGB VI Der auf die zeitliche Dimension bezogene § 50 SGB VI wird durch § 51 SGB VI ergänzt, welcher bestimmt, welche rentenrechtlichen Zeiten für die Erfüllung der Wartezeit zu berücksichtigen sind. Für die Zurücklegung der allgemeinen Wartezeit119 sind vor allem Beitragszeiten (§§ 51 I, 55 SGB VI) und Ersatzzeiten (§§ 51 IV, 250 SGB VI) relevant. Beitragszeiten sind gemäß § 55 I 1 SGB VI solche, in denen aufgrund bundesrechtlicher Anordnung Pflichtbeiträge oder Beiträge zur freiwilligen Versicherung entrichtet worden sind. § 55 I 2 SGB VI stellt Zeiten gleich, in denen die Beitragszahlung aufgrund einer gesetzlichen Anordnung fingiert wird.120 Beiträge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung. Pflichtbeiträge sind namentlich aus dem Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen (§§ 1 S. 1 Nr. 1, 174 SGB VI, §§ 28d ff. SGB IV) zu entrichten. Beitragszeiten werden jedoch nur begründet, wenn die Beiträge auch tatsächlich wirksam, d.h. nach § 197 I SGB VI: fristgemäß gezahlt worden sind.121 Für Beschäftigungsverhältnisse, die entsprechend § 190 SGB VI, § 28a I SGB IV der Einzugsstelle gemeldet worden sind, wird gemäß § 199 SGB VI die Entrichtung der Beiträge vermutet. 118

Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 50, Rn. 6; Namini in jurisPK-SGB VI, § 50, Rn. 7,

11. 119 Die besonderen Wartezeiten bleiben im Interesse der Übersichtlichkeit an dieser Stelle außer Betracht. 120 Dies gilt beispielsweise nach § 247 IIa SGB VI für Zeiten der beruflichen Ausbildung vom 1.6.1945 bis 30.6.1965. vgl. auch die umfassende Übersicht bei Flecks in jurisPK-SGB VI, § 55, Rn. 26. 121 BSG, SozR 3–5800 § 1 Nr. 1, Rn. 18 ff.; Reichert in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 14, Rn. 7.

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Arbeitnehmer in illegal begründeten Beschäftigungsverhältnissen, für die keine Beiträge abgeführt werden, erwerben daher regelmäßig keine Ansprüche in der Rentenversicherung, auch wenn ihre Tätigkeit grundsätzlich ein sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis begründet. Die große Offenheit in der Begründung der Versicherungspflicht spiegelt sich in dem vom Versicherungs- und dem Äquivalenzprinzip geprägten Leistungsrecht122 der Rentenversicherung daher nicht wieder. Beachtlich sind zudem nur Beiträge, die kraft Bundesrecht zu entrichten sind. Ausländische Beitragszeiten sind folglich nur dann zu berücksichtigen, wenn deren Gleichstellung mit inländischen Zeiten durch nationales bzw. inter- oder supranationales Recht angeordnet ist. Erfüllung von Beitragszeiten durch nicht gewerbsmäßig tätige Pflegepersonen. Personen, die nicht gewerbsmäßig Pflegebedürftige betreuen, erhalten für ihre Tätigkeit üblicherweise kein Entgelt, welches die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet. Zugleich sind sie durch die Pflegetätigkeit gehindert, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen. Um die informelle häusliche Pflege trotz dieser Einschränkungen zu fördern, sind nicht gewerbsmäßig tätige Pflegepersonen nach § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI in den Kreis der Pflichtversicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. Die Beiträge werden gemäß § 44 SGB XI, §§ 166 II, 170 I Nr. 6 lit. a) SGB VI durch die Pflegekasse getragen.123 Durch die Entrichtung der Beiträge legt der Versicherte Beitragszeiten i.S.v. § 55 SGB VI zurück, die auf die allgemeine Wartezeit nach § 50 SGB VI anzurechnen sind. Zugleich wirken sie sich auf die Höhe der Rentenansprüche aus, sind diese doch nach §§ 64 Nr. 1, 66 I Nr. 1 SGB VI im Rahmen der Bestimmung der Entgeltpunkte zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen der Versicherungspflicht sind in § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI näher determiniert. Sie wird begründet, wenn die gepflegte Person pflegebedürftig i.S.v. § 14 SGB XI ist und Anspruch auf Leistungen der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung hat. Die Pflegeperson muss den Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung124 mindestens 14 Stunden pro Woche betreuen. Ihre Tätigkeit darf jedoch kein solches Ausmaß erreichen, dass sie als gewerbsmäßig einzustufen ist, d.h. sie darf nicht der Erzielung eines Einkommens dienen.125 Ein Indiz dafür ist ein Arbeitsentgelt, welches das nach § 37 SGB XI zu gewährende Pflegegeld nicht überschreitet, § 3 S. 2 SGB VI. 122 Einschränkend unter Berufung auf den solidarischen Ausgleich BVerfGE 76, 256 (306); BSGE 63, 195 (200); dazu auch Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 178 f. 123 Zur Beitragsbemessung vgl. Roßbach/Bosien in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 11, Rn. 85 ff. 124 Vgl. § 14 SGB XI. 125 Zur Abgrenzung Gürtner, KassKomm, SGB XI, § 19, Rn. 9 ff.; Gebhardt in Krauskopf, Soziale Pflegeversicherung, SGB XI, § 19, Rn. 4.

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Da die Pflegetätigkeit i.S.v. § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet, knüpft die Versicherungspflicht der Pflegeperson und damit die Entrichtung von Beiträgen und die daran gekoppelte Erfüllung von Anwartschaftszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 3 I Nr. 2 SGB IV an den Wohnsitz der Pflegeperson im Inland an. Migranten, namentlich Grenzgängern, welche in Deutschland einen Pflegebedürftigen betreuen, aber in einem anderen Staat wohnen, ist daher die Erfüllung von Beitragszeiten grundsätzlich weder rentenbegründend noch rentenerhöhend zuzurechnen. Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten. Auch Zeiten der Erziehung eines Kindes im Alter von unter 3 Jahren begründen Pflichtbeitragszeiten zur Rentenversicherung. Die Versicherungspflicht von Personen, die Kinder erziehen, folgt aus § 3 S. 1 Nr. 1 SGB VI. Sie umfasst gemäß § 56 I 2 SGB VI, 56 I 1 Nr. 3, III SGB I nicht nur die leiblichen, sondern auch Stief- oder Pflegeeltern, die ein Kind in ihren Haushalt aufgenommen haben. Ihre Beiträge zur Rentenversicherung werden gemäß § 177 I SGB VI vom Bund getragen.126 Die Berücksichtigung setzt jedoch voraus, dass die Erziehung in der Bundesrepublik erfolgt oder dieser gleichzustellen ist, § 56 I 2 Nr. 2 SGB VI. Dies ist gemäß § 56 III 1 SGB VI nur dann der Fall, wenn sich der erziehende Elternteil mit dem Kind gewöhnlich in der Bundesrepublik aufgehalten hat.127 Die Norm nimmt damit Bezug auf den Aufenthaltsbegriff des § 30 SGB I.128 Eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit des Versicherten oder den Geburtsort des Kindes wird nicht getroffen. Es kommt allein darauf an, ob der erziehende Elternteil gerade wegen der Kindererziehung an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Inland gehindert ist.129 Bei einem Auslandsaufenthalt von Elternteil und Kind kommt die Anrechnung als Kindererziehungszeit nach § 56 III 2 SGB VI nur in Betracht, wenn der Versicherte unmittelbar vor der Geburt oder während der Erziehung des Kindes wegen einer im Ausland ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten im Inland130 zurückgelegt hat. In diesem Fall wird

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Zur Bemessung der Beiträge Roßbach/Bosien in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 11, Rn. 82 ff. 127 Igl/Fuchsloch, SGb 1993, 393 (394). Kindererziehungszeiten im Geltungsbereich der ehemaligen Reichsversicherungsgesetze, in den Herkunftsgebieten der nach dem FRG Berechtigten sowie in anderen Gebieten, wenn der Aufenthalt im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze wegen Verfolgung aufgegeben worden ist, sind gleichgestellt, vgl. § 249 II SGB VI, § 28b FRG sowie § 23a WGSVG. Dazu Funk, VSSR 1994, 119 (127). 128 Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (307); Zuleeg-Feuerhahn, ZSR 1992, 568 (573). 129 BSGE 63, 282 (286); 69, 101 (103); BSG, SozR 3–2600 § 56 Nr. 6, Rn. 20; Igl/Fuchsloch, SGb 1993, 393 (398). 130 Igl/Fuchsloch, SGb 1993, 393 (394 f.); Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 56, Rn. 60.

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also auf die Integration in den inländischen Arbeitsmarkt abgestellt.131 Der Anwendungsbereich der Norm ist faktisch auf Ausstrahlungsfälle beschränkt.132 Arbeitnehmer, die im Inland eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben, ihren gewöhnlichen Aufenthalt und damit die Kindererziehung aber im Ausland verbringen, können aus § 56 III SGB VI keine Anrechnung ihrer Kindererziehungszeiten in der deutschen Rentenversicherung herleiten und dies, obwohl sie gleichermaßen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sind. Trotz gewöhnlichen Aufenthalts im Inland und dort zurückgelegter Kindererziehungszeiten sind einige Personengruppen nach § 56 IV SGB VI von der Anrechnung ausgeschlossen. Dies betrifft namentlich in die Bundesrepublik entsandte Arbeitnehmer oder vorübergehend im Inland tätige Selbständige (Nr. 1a), Personen, die nach internationalem Recht nicht der Versicherungspflicht in Deutschland unterliegen (Nr. 1b) und von der Versicherungspflicht befreite Elternteile (Nr. 2). Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten ist Bestandteil des Familienleistungsausgleichs, den die Rechtsprechung aus dem Gebot des besonderen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 I GG hergeleitet hat.133 Danach sind wirtschaftliche Belastungen, die mit der Pflege und Erziehung von Kindern einhergehen, auszugleichen. Zugleich soll der generative Beitrag von Eltern zum System der Alterssicherung honoriert werden: der die Rentenversicherung prägende Generationenvertrag ziehe die nachgeborene Generation zur Finanzierung der Renten der aktuell erwerbstätigen Generation heran. Ohne Kinder lasse sich das gesamte Alterssicherungssystem daher nicht aufrecht erhalten.134 Die Beschränkung der Anrechenbarkeit auf inländische Erziehungszeiten scheint vor diesem Hintergrund konsequent, führt die Kindererziehung doch nur dann zu einer Sicherungslücke in der Rentenbiografie, wenn gerade diese Grund für den (vorübergehenden) Rückzug aus dem Erwerbsleben war. Wird die Erziehungsleistung dagegen im Ausland erbracht, dann fällt die erziehende Person aber nicht deshalb, sondern wegen des fehlenden territorialen Bezugs zum deutschen Rentenversicherungssystem aus dem persönlichen Anwendungsbereich des SGB VI heraus.135 Auch zur finanziellen Tragfähigkeit des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems können solche im Ausland zurückgelegten Zeiten nicht beitragen.136 Kindererziehungszeiten sind durch die durch Elternzeit suspendierten 131

BSGE 71, 227 (231); Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (308). Funk, VSSR 1994, 119 (125); Zuleeg-Feuerhahn, ZSR 1992, 568 (572). 133 BT-Drs. 10/2677, S. 28 f. 134 BVerfGE 87, 1 (36); 94, 241 (263). Dazu auch Kreikebohm-Kuszynski in Eichenhofer/ Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 10, Rn. 27; ZuleegFeuerhahn, ZSR 1992, 568 (576 f.). 135 BSGE 68, 31 (38 f.); 69, 101 (105); 71, 227 (231 f.). 136 BVerfGE 94, 241 (264). 132

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inländischen Beschäftigungszeiten begründet. Sie sind daher – um Ungleichbehandlungen zwischen den verschiedenen Versichertengruppen zu vermeiden – als Beitragszeiten genauso auszugestalten, wie es die allgemeinen Strukturprinzipien der Pflichtversicherung erfordern, und diese knüpfen auch an eine Beschäftigung im Inland an.137 c. Historisch bedingte Sonderregelungen zur Berücksichtigung von Zeiten in der Rentenversicherung Das nationale Recht ordnet die Berücksichtigung von im Ausland zurückgelegten Beschäftigungs- oder Beitragszeiten im Rentenrecht nur in eingeschränktem Umfang an. Diese soll also die Ausnahme, das Abstellen auf im Inland erfüllte Sachverhalte dagegen der Regelfall sein. Regelungen zur Berücksichtigung ausländischer Zeiten finden sich im Fremdrentengesetz (FRG) sowie im Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) und dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Diese Gesetze tragen dem Umstand Rechnung, dass die Alterssicherung langfristig organisiert ist, d.h. das gesamte (Erwerbs-)Leben der Versicherten Auswirkungen auf die Anspruchsbegründung und -höhe zeitigt. Politische Umbrüche, Kriege und Vertreibung sind daher – abgesehen von ihren unmittelbaren Folgen auf die Lebensführung der Betroffenen im Zeitpunkt ihres Geschehens – geeignet, die Versichertenbiografien langfristig zu beeinflussen. Der Gesetzgeber sah sich daher veranlasst, insbesondere die Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Herrschaft der Nationalsozialisten im Rentenrecht zu berücksichtigen. Mit dem FRG ist eine Gleichstellung ausländischer Zeiten kraft Volkszugehörigkeit geschaffen worden.138 Das WGSVG und das ZRBG zielen demgegenüber auf die (freilich auf das Rentenrecht beschränkte) Wiedergutmachung von erlittenem Unrecht in der nationalsozialistischen Diktatur und etablieren eine Gleichstellung von Zeiten als Entschädigung. Erwerb von Anwartschaften kraft deutscher Volkszugehörigkeit nach dem FRG. Das Fremdrentenrecht erfasst gemäß § 1 FRG vor allem Vertriebene und Spätaussiedler, die nach Maßgabe des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) als solche anerkannt sind. Vertriebene sind gemäß § 1 BVFG Personen, die als deutscher Staatsangehörige oder Volkszugehörige ihren Wohnsitz im Zuge des 2. Weltkriegs in den damals von Deutschland verwalteten Gebieten hatten und diesen durch Ver137

Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 68. Ausführlich zur historischen Entwicklung des Fremdrentenrechts Grotzer in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 19, Rn. 111 ff.; Peters, ZAR 2003, 193 (193). 138

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treibung, Ausweisung oder Flucht, verloren haben.139 Bei den Spätaussiedlern handelt es sich gemäß § 3 BVFG um deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz in den ehemaligen Sowjetrepubliken140 innehatten und diesen im Rahmen des Aufnahmeverfahrens nach §§ 26 ff. BVFG zugunsten eines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik aufgegeben haben. Die geforderte deutsche Volkszugehörigkeit ist nicht identisch, aber abgeleitet von der deutschen Staatsbürgerschaft. Sie ist nach § 6 BVFG gekennzeichnet durch das Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Dieses Bekenntnis muss durch andere Merkmale, namentlich die „Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur“ zutage treten.141 Mit der Anerkennung nach Maßgabe des § 27 BVFG gelten die deutschen Volkszugehörigen als Deutsche i.S.v. Art. 116 I GG. Verfolgte Vertriebene, die sich nicht zum deutschen Volkstum bekennen, aber dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehören, sind über § 20 WGSVG in den Geltungsbereich des FRG einbezogen.142 Die dem FRG unterliegenden Personen erwerben auch ohne Beitragsleistung Anwartschaften in der deutschen Rentenversicherung, da ihre im Herkunftsland verbrachte Erwerbsbiografie gemäß § 15 FRG bei der Bewertung der Rentenansprüche berücksichtigt wird. Die dort ausgeübte Beschäftigung müsste jedoch nach deutschem Recht zumindest dem Grunde nach als versicherungspflichtig einzustufen gewesen sein.143 Ist dies der Fall, gelten die bei einem nichtdeutschen Versicherungsträger144 zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten i.S.v. § 55 SGB VI. Auch andere Umstände, die im Herkunftsland einen Schutz durch ein öffentlich-rechtlich begründetes System sozialer Sicherheit begründen, welches Leistungen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wegen Alters oder Todes gewährt, können Beitragszeiten begründen – selbst wenn keine Beiträge entrichtet worden sind, § 15 III FRG. Maßgeblich ist allein die Tatsache, dass der in Rede stehende Zeitraum nach dem Recht des Heimatstaates Auswirkungen auf die Rentenberechtigung hätte.145 Kindererziehungszeiten im jeweiligen Herkunftsgebiet werden gemäß § 28b I 1 FRG in der deutschen Rentenversicherung berücksichtigt, wenn der Erziehende in den persönlichen Anwendungsbereich des § 1 FRG fällt.146 Die Erziehungsperson wird demzufolge

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Eingehend Häußer, DÖV 1990, 918 (920 f.). mit Ausnahme Estlands, Lettlands und Litauens, die die Unionsbürgerschaft innehaben und daher für den Status des Aussiedlers nicht in Betracht kommen. 141 Peters, ZAR 2003, 193 (194 f.); Häußer, DÖV 1990, 918 (922). 142 Vgl. dazu BSGE 63, 282 (287) sowie Grotzer in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 19, Rn. 124. 143 BSGE 93, 214 (219); BSG, SozR 2200 § 1251 Nr. 89, Rn. 17. 144 Zum Begriff Grotzer in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 19, Rn. 138. 145 BSGE 74, 1 (2 f.) für den Wehrdienst. 146 BSG, SozR 3–5050 § 28b Nr. 1, Rn. 16. 140

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so behandelt, als hätte sie die Kindererziehung in der Bundesrepublik erbracht (Eingliederungsprinzip).147 Hintergrund der Eingliederung von Aussiedlern und Vertriebenen in die Rentenversicherung ist das Anliegen, vertreibungsbedingte Nachteile im Hinblick auf erworbene Rechte und Anwartschaften zur Alterssicherung auszugleichen.148 Das FRG ist daher eher dem Recht der sozialen Entschädigung, i.e. dem Ausgleich erlittener Sonderopfer durch öffentlich finanzierte Leistungen, als dem Recht der sozialen Vorsorge zuzuordnen. Die praktische Relevanz des FRG nimmt ab.149 Zum einen hat der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten zur EU dazu geführt, dass deren Staatsangehörige als Unionsbürger den Aussiedlerstatus nicht erwerben können. Teilweise ist das Gesetz durch bilaterale Sozialversicherungsabkommen überformt.150 Auch in zeitlicher Hinsicht ist die Wirkung des Gesetzes begrenzt, ist die Entstehung von Ansprüchen doch an Vertreibungsmaßnahmen im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg gekoppelt. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts nach dem WGSVG und dem ZRBG. Die Einbeziehung von Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes in die gesetzliche Rentenversicherung ist Gegenstand des WGSVG. Verfolgt sind gemäß § 1 BEG Personen, die wegen ihrer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der „Rasse“, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden sind. Sie müssen dadurch einen Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder in ihrem beruflichen bzw. wirtschaftlichen Fortkommen erlitten haben. Einen solchen Schaden in der für den Rentenversicherungsschutz maßgeblichen Erwerbsbiografie soll das WGSVG kompensieren.151 Hat ein Verfolgter eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt, für die jedoch wegen der Verfolgung keine Beiträge entrichtet worden sind, werden diese Beschäftigungszeiten nach § 12 WGSVG als inländische Beitragszeiten anerkannt. Auch Zeiten der Kindererziehung werden nach Maßgabe des § 12a WGSVG berücksichtigt, wenn die Erziehung in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs des Reichsversicherungsgesetzes (ReichsVersG) erfolgt ist und die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder im Geltungsbereich des ReichsVersG aus Verfolgungsgründen aufgegeben hat. Die Norm bewirkt jedoch lediglich eine Gleichstellung der Erziehungsorte. Alle sonstigen Voraussetzungen der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Bei-

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BSGE 63, 282 (287); BSG, SozR 2200 § 1251 Nr. 89, Rn. 17. BSGE 98, 48 (62). 149 Grotzer in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 19, Rn. 158. 150 Dazu BSG, SozR 3–5050 § 28b Nr. 1, Rn. 18. 151 BSGE 63, 282 (288); 79, 113 (118). 148

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tragszeiten richten sich nach § 56 SGB VI.152 D.h. die Erfüllung von Beitragszeiten durch die Erziehung eines Kindes kann nicht unter Hinweis auf den im Ausland belegenen Erziehungsort abgelehnt werden. Eine weitere Ausnahme von der inlandsbezogenen Berücksichtigung von Zeiten bilden die nach § 2 ZRBG153 zu berücksichtigenden Zwangsbeschäftigungen in den Ghettos der vom Naziregime besetzten Länder Osteuropas. Diese Beschäftigungsverhältnisse begründen Anwartschaften in der deutschen Rentenversicherung, selbst wenn sie den Anforderungen des SGB VI an die Ausgestaltung von Pflichtversicherungsverhältnissen nicht in Gänze entsprachen. Die rentenrechtliche Anerkennung der Ghettoarbeiten weist daher auch weniger eine versicherungsrechtliche, denn eine Dimension der sozialen Entschädigung für das unter der Herrschaft der Nationalsozialisten erlittene Unrecht auf. Das ZRBG soll einen Ausgleich dafür bieten, dass die zwangsweise in ein Ghetto Internierten keine Möglichkeit hatten, Pflichtversicherungszeiten zu begründen.154 Zu diesem Zweck fingiert es die Beitragsentrichtung für – großzügig auszulegen – aus eigenem Willensentschluss eingegangene und gegen Entgelt155 ausgeübte Beschäftigungsverhältnisse in einem vom deutschen Reich besetzten oder diesem angegliederten Gebiet, § 2 I ZRBG.156 Zugleich gilt die allgemeine Wartezeit mit Erreichen des 65. Lebensjahrs als erfüllt, § 3 I ZRBG. 3. Anwartschaftszeiten in der Pflegeversicherung Auch im Recht der sozialen Pflegeversicherung sind Anwartschaftszeiten nachzuweisen. Der Anspruch auf Leistungen setzt gemäß § 33 II Nr. 6 SGB XI voraus, dass der Versicherte in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindestens zwei Jahre selbst oder als Familienversicherter Mitglied der sozialen Pflegeversicherung war. Nach nationalem Recht sind wiederum nur solche Zeiten zu berücksichtigen, die unter Inlandsbezug zurückgelegt worden sind. Durch dieses Vorversicherungserfordernis soll die Solidargemeinschaft vor finanziellen Lasten geschützt werden, die durch eine unmittelbar auf den Zuzug in die Bundesrepublik folgende Leistungsberechtigung eintreten würde.157 Von Bedeutung ist diese Regelung insbesondere für Migranten. Sie sollen – im Hin152

Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 56, Rn. 70. Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002, BGBl 2002 I, S. 2074. 154 Ausführlich BSGE 98, 48 (61 f. sowie 77); 103, 220 (225). 155 Seine frühere restriktive Rechtsprechung, wonach die Gewährung von Naturalien als Gegenleistung kein Entgelt i.S.d. § 2 ZRBG darstelle, hat das BSG inzwischen aufgegeben, vgl. noch BSGE 93, 214 (221 ff.) sowie nunmehr BSGE 103, 201 (205). Dazu ausführlich Röhl, SGb 2009, 464. 156 Im Einzelnen zu den Tatbestandsmerkmalen BSGE 98, 48 (64 ff.); 103, 220 (222 ff.) sowie Glatzel, NJW 2010, 1178 (1179). 157 BT-Drs. 12/5262, S. 110. 153

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blick auf die unproblematische Begründung der Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung durch die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts in die Bundesrepublik nach § 20 Nr. 12 SGB XI – erst nach Ablauf der Wartefrist Leistungen zu Lasten der Solidargemeinschaft beanspruchen können.158 Ob dies erforderlich ist, ist angesichts der Missbrauchsklausel des § 33a SGB XI fraglich. Danach kann keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung beanspruchen, wer seinen Wohnsitz gezielt und allein zu diesem Zweck in die Bundesrepublik verlegt hat. Der Anwendungsbereich dieser Norm betrifft ebenfalls vor allem Migranten, die erstmals ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik begründen.159 Die Unterscheidung wird aber durch das Anliegen, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen zu verhindern, gerechtfertigt. Im Unterschied zu § 33a SGB XI führen die Vorversicherungszeiten nach § 33 II SGB XI zu keiner Ungleichbehandlung zwischen In- und Ausländern, ist diese Norm doch staatsangehörigkeits- und aufenthaltsrechtlich neutral ausgestaltet.160 4. Fazit Anwartschaftszeiten führen dazu, dass der aufenthaltsrechtlich weitgehend neutral ausgestaltete Zugang zur Sozialversicherung nach § 3 SGB IV im Leistungsrecht beschränkt ist. Zumindest ist es für Migranten, insbesondere solche mit hochmobilen Erwerbsbiografien, schwerer als für Inländer, die erforderlichen Vorversicherungszeiten zu akkumulieren. Das Versicherungsprinzip bietet dafür eine – wenngleich im Sozialrecht nicht hinreichende – Erklärung. Einerseits soll nur die hinreichende Integration in die Solidargemeinschaft der Beitragszahler leistungsrechtliche Ansprüche begründen. Andererseits steht in der Sozialversicherung der Gedanke des sozialen Ausgleichs gegenüber der Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen klar im Vordergrund. Für die Leistungsberechtigung kann es daher nicht entscheidend sein, wie viel der Einzelne zur Finanzierung der begehrten Leistungen beigetragen hat. Solidarität besteht jedoch nicht voraussetzungslos. Eine Solidargemeinschaft erwächst erst dadurch, dass der Einzelne Beiträge zu ihr leistet. Dies überzeugt insbesondere für die längerfristig zu gewährenden Geldleistungen der Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung, zumal insbesondere die Renten und das Arbeitslosengeld ihrer Höhe nach den vor Eintritt des sozialen Risikos innegehabten Status sichern sollen. Die Leistungen der Sozialversicherung sollen den Einkommensausfall kompensieren, der aufgrund von Alter, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit eintritt. Es ist daher nachvollziehbar, dass der Einzelne in Zeiten der Leistungsfähigkeit Beiträge entrichten soll und damit Anwartschaften auf die Leistungen erwerben kann. Gerade diese einkommensbezogene 158 159 160

BT-Drs. 16/7439, S. 54. Ausführlich Leitherer, KassKomm, SGB X, § 33a, Rn. 7. LSG Bayern, Urteil v. 18.4.2007 (L 2 P 26/06), Rn. 23 -juris.

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Sicherung rechtfertigt es, den Leistungszufluss an den Ablauf von Wartezeiten zu koppeln. Der Gesetzgeber hat solche Wartezeiten zudem nicht generell angeordnet, sondern auf die Leistungszweige beschränkt, in denen die Solidargemeinschaft durch sofort zugesprochene umfassende Ansprüche besonders stark belastet wäre und für deren Risiken es im Übrigen mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II bzw. wegen Alters oder Erwerbsminderung nach dem SGB XII ein steuerfinanziertes Sicherungssystem gibt, welches diejenigen auffängt, die den notwendigen Inlandsbezug nachweisen, ohne die Anwartschaftszeiten erfüllt zu haben. Dass ausländische Zeiten im nationalen Sozialversicherungsrecht nur eingeschränkte Berücksichtigung finden, ist vor dem Hintergrund der territorial geordneten Wohlfahrtsstaatlichkeit nachvollziehbar. Die wenigen Auslandsbezüge namentlich des deutschen Rentenrechts im WGSVG und ZRGB erklären sich aus der historischen Verantwortung der Bundesrepublik und sind vom Entschädigungsgedanken geprägt. Das FRG weist demgegenüber einen deutlichen Bezug zum überkommenen Personalprinzip auf: die notwendige territoriale Anknüpfung wird wegen der Zugehörigkeit Einzelner zum deutschen Sprach- und Kulturkreis fingiert und zeugt damit von der Annahme, sozialstaatliche Verantwortlichkeit sei durch eine – abstammungsbezogene – besondere Bindung begründet und gerechtfertigt.

II. Besondere Anspruchsvoraussetzungen mit Inlandsbezug Der territoriale Bezug des Leistungsrechts ist nicht auf die Versicherungs-, Beitrags- und Wohnzeiten beschränkt. Der Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherung kann auch davon abhängen, ob sich das soziale Risiko im Inland verwirklicht hat. Der Inlandsaufenthalt ist zwar regelmäßig keine echte materielle Anspruchsvoraussetzung. Jedoch setzen die Leistungen einzelner Sozialversicherungszweige diesen zumindest mittelbar voraus. 1. Voraussetzungen der Verfügbarkeit i.S.v. § 119 SGB III Arbeitslosengeld wird gemäß §§ 117 I Nr. 1, 188 SGB III an arbeitslose Arbeitnehmer gewährt, die sich bei der Arbeitsagentur gemeldet und die notwendige Anwartschaftszeit erfüllt haben. Der Leistungsfall der Arbeitslosigkeit erfordert nach § 119 I SGB III neben der Beschäftigungslosigkeit (Nr. 1) und den Eigenbemühungen des Arbeitnehmers zu deren Beendigung (Nr. 2) dessen Verfügbarkeit für die Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur (Nr. 3). Diese ist gegeben, wenn der Versicherte unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes eine versicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 15 Wochenstunden ausüben kann und darf, § 119 V Nr. 1 SGB III. Außerdem muss der Arbeitslose gemäß § 119 V Nr. 2 SGB III den Vor-

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schlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten können (Erreichbarkeit). In subjektiver Hinsicht setzt die Verfügbarkeit die Bereitschaft voraus, eine Beschäftigung anzunehmen oder an Eingliederungsmaßnahmen teilzunehmen. a. Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für Ausländer Für Ausländer ist zunächst die in § 119 V Nr. 1 SGB III geforderte Möglichkeit von Belang, eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausüben zu dürfen. Diese Norm ist im Lichte des Arbeitserlaubnisrechts zu interpretieren, aus dem sich das Maß des rechtlichen Dürfens einer Erwerbstätigkeit von Ausländern ergibt, steht diese doch unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Relevant ist diese Anspruchsvoraussetzung daher für alle Beschäftigungslosen, die nicht Angehörige eines EU- oder EWR-Staates sind.161 Das BSG stellte zunächst auf eine tatsächliche Betrachtung ab. Es vertrat die Auffassung, die der früheren Beschäftigung – welche den Versicherungsschutz erst herbeigeführt hat – zugrunde liegende Arbeitserlaubnis wirke für ein Jahr fort. Könne ein Ausländer während dieses Prüfjahres nicht in ein Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden, spreche dies dafür, dass die Arbeitsmarktlage seiner Erwerbstätigkeit entgegensteht. Die Verfügbarkeit werde dadurch beendet.162 Im Einzelfall könne der Prüfzeitraum auch länger als ein Jahr zu bemessen sein, wenn sich innerhalb dieses Jahres keine Anhaltspunkte für die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ergeben hätten.163 Das BSG hat seine Rechtsprechung später präzisiert, ohne die Verschlossenheitstheorie gänzlich aufzugeben. Maßgeblich sei die rechtliche Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung zu erhalten. Bei Ausländern, deren Erwerbstätigkeit unter dem Vorbehalt der Vorrangprüfung nach § 39 AufenthG stehe, sei daher darauf abzustellen, ob ihr Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wegen der Verfügbarkeit deutscher bzw. diesen gleichgestellter Arbeitnehmer versperrt sei. Die Erfolglosigkeit der Arbeitsuche für die Dauer eines Jahres bilde hierfür ein Indiz.164 Diese Bestimmung der Verschlossenheit hat die Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zur Folge, wird die Verfügbarkeit von Deutschen, Unions- oder EWR-Bürgern doch losgelöst von den tatsächlichen Eingliederungsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt beurteilt.165 Die Ungleichbehand161

Davy, ZIAS 2001, 221 (232). St. Rspr. seit BSGE 43, 153 (162) mit Anm. Wollenschläger, SGb 1978, 359; BSG, SozR 1300 § 48 Nr 28, Rn. 21; BSG, SozR 3–4100 § 103 Nr. 3, Rn. 22.; BSG, SozR 1300 § 48 Nr. 28, Rn. 21. 163 BSGE 45, 153 (159). 164 BSG, SGb 1998, 311 (311); zustimmend Marschner, AuA 2000, 44 (44). 165 Bieback, InfAuslR 1987, 186 (186); Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 119, Rn. 132; Davy, ZIAS 2001, 221 (251). 162

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lung ist nicht gerechtfertigt. Als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Arbeitslosengeld soll die Verfügbarkeit sicherstellen, dass der Arbeitslose möglichst schnell wieder in den „für ihn in Betracht kommenden“ Arbeitsmarkt eingegliedert wird. Der in Betracht kommende Arbeitsmarkt erstreckt sich räumlich auf das gesamte Bundesgebiet, ist aber im Einzelfall ausgehend von der beruflichen Qualifikation, den gesundheitlichen Fähigkeiten sowie den persönlichen und familiären Verhältnissen des Arbeitsuchenden zu bestimmen.166 Die Verfügbarkeit ist daher regelmäßig auf einen Ausschnitt des Arbeitsmarktes beschränkt. § 119 III Nr. 1 SGB III fordert vor diesem Hintergrund die rechtliche Zulässigkeit der Erwerbstätigkeit des Arbeitslosen in diesem Sektor, würde eine Vermittlung doch anderenfalls keinen Erfolg zeitigen können. Üblicherweise schließen Beschäftigungsverbote – beispielsweise aus Gründen des Strafrechts oder des Seuchenrechts – die Verfügbarkeit jedoch nur für einzelne untersagte Tätigkeiten aus oder – aufgrund des MuSchG – für einen bestimmten Zeitraum. Sie führen aber nicht dazu, dass der Arbeitssuchende gänzlich vom inländischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleibt.167 Dies ist jedoch die Folge der vom BSG vertretenen Auffassung zur Verschlossenheit. Dem Ziel des Arbeitsförderungsrechts wird jedoch genügt, wenn der Arbeitsuchende grundsätzlich damit rechnen kann, im Falle des Nachweises einer Beschäftigungsmöglichkeit einen Aufenthaltstitel zu erhalten, der die Beschäftigung erlaubt.168 Verschlossen ist der Arbeitsmarkt daher nur für die Personen, bei denen die Zustimmung der BA nach § 39 AufenthG von vornherein undenkbar ist. Ausgeschlossen ist die Verfügbarkeit daher bei ausreisepflichtigen Personen.169 Diese sind gehalten, die Bundesrepublik umgehend zu verlassen und können den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur folglich nicht (mehr) zur Verfügung stehen. Bei Personen, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, gilt dies jedoch nicht. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt voraus, dass der Arbeitslose versichert ist. Dieses Versicherungsverhältnis knüpft an die Ausübung eines Beschäftigungsverhältnisses im Inland an, § 3 I SGB IV, § 25 SGB III. Arbeitslose Ausländer, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend machen, werden daher üblicherweise einen Aufenthaltstitel innehaben. Der Umstand, dass ihre Vermittlung über die Dauer eines Jahres nicht gelungen ist, ändert am Fortbestand des Titels nicht. Erforderlich ist vielmehr eine entsprechende Aufhebungsverfügung der Ausländerbehörden oder der Ablauf der Gültigkeitsdauer, falls der Titel befristet war. Solange dies nicht der Fall ist, hält sich der Ausländer rechtmäßig in der Bundesrepublik auf und steht damit auch 166

Winkler, info also 1997, 126 (128 f.); Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 119, Rn. 159. Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 119, Rn. 215. 168 So auch das BSG, SozR 1300 § 48 Nr. 28, Rn. 21; SGb 1998, 311 (311); ZESAR 2009, 450 (451). 169 Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 816; McHardy, RdA 1994, 93 (101). So im Ergebnis bereits BSGE 49, 278 (289). 167

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

faktisch den Eingliederungsbemühungen der Arbeitsverwaltung zur Verfügung. Es bedarf also einer aufenthaltsbeendenden Entscheidung der Ausländerbehörden, um die Verfügbarkeit zu beenden.170 Die vom BSG etablierte Jahresfrist fingiert das Ende der Aufenthaltsberechtigung folglich in unzulässiger Weise. Sie führt zudem dazu, dass die Verfügbarkeit von Ausländern im Ergebnis von der Dauer ihrer Arbeitslosigkeit abhängig ist und bürdet diesen damit das Risiko konjunktureller Schwankungen auf.171 Dies hatte das BSG selbst in einer frühen Entscheidung explizit abgelehnt: die Verfügbarkeit beziehe sich auf die sachliche und persönliche Bereitschaft des Arbeitslosen, nicht aber auf die Lage des Arbeitsmarktes!172 Seit Inkrafttreten des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (SGB II)173 ist die Rechtsprechung des BSG zumindest teilweise überholt. Denn die Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung ist auf Fälle vergleichsweise kurzfristiger Arbeitslosigkeit beschränkt. Im Anschluss daran werden bei Fortdauer der Erwerbslosigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II gewährt, die dem Recht der sozialen Hilfen zugeordnet sind. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ist für Arbeitnehmer unter 50 Jahren von vormals bis zu 34 Monaten auf grundsätzlich 12 Monate verkürzt worden, § 127 II SGB III. Für diese Personengruppe wirkt sich die Verschlossenheitstheorie daher nicht mehr aus. Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, haben dagegen im Einzelfall Einbußen hinzunehmen. Weisen sie eine Vorversicherungszeit von mehr als 30 Monaten nach, beläuft sich die Dauer ihres Anspruchs auf bis zu 24 Monate. Die Grundsicherung nach dem SGB II hat die frühere Arbeitslosenhilfe abgelöst, die dem Arbeitslosen im Falle der Bedürftigkeit einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Entgeltersatzleistungen sicherte. Die vom BSG entschiedenen Fälle hatten diese Leistungen zum Gegenstand, was die Hintergründe der Rechtsprechung zu erhellen vermag. Die Arbeitslosenhilfe war der Sozialversicherung zugeordnet, wenngleich aus Steuermitteln finanziert. Ihre Höhe orientierte sich am zuvor bezogenen Arbeitslosengeld. Es bestand daher wohl ein finanzielles Interesse, den Leistungsbezug für einzelne Personen zu beenden.174 Unterschwellig tritt damit die Auffassung zutage, die Verantwortlichkeit des deutschen Arbeitsförderungsrechts beschränke sich im Fall der Langzeitarbeitslosigkeit auf Inländer und Angehörige der EU- bzw. EWR-Staaten. Diese Annahme bildet keinen tragfähigen 170 Hierauf weist selbst das BSG hin, BSG, SozR 4100 § 103 Nr. 44 Nr. 29, Rn. 17; SozR 4100 § 103 Nr. 44, Rn. 20; SozR 3–4100 § 103 Nr. 3, Rn. 24. 171 Spindler, InfAuslR 1983, 290 (292); Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 119, Rn. 130 ff. m.w.N. 172 BSGE 2, 67 (74). 173 So genannte „Hartz-Reform“, Gesetz vom 24.12.2003, BGBl. I, 2954. 174 Dazu Davy, ZIAS 2001, 221 (249). Auf den Aspekt der finanziellen Lastenverteilung weist auch BSGE 43, 153 (161) hin.

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Grund für eine unterschiedliche Handhabung der Verfügbarkeitskriterien. Nach § 30 SGB I gilt das Sozialgesetzbuch für alle Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland. Solange dieser rechtmäßig begründet ist und fortgeführt werden darf, ist jede Differenzierung, insbesondere wenn sie von rein fiskalischen Erwägungen getragen ist, willkürlich. Denn der Umstand, dass Arbeitgeber Arbeitslose nicht einstellen, bildet gerade den Versicherungsfall des SGB III. Statuiert das Gesetz eine Anspruchsdauer von bis zu 24 Monaten, kann es sich nicht auf die Verfügbarkeit auswirken, wenn die objektive Lage auf dem Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Beschäftigung vor Ablauf der Höchstdauer nicht hergibt.175 b. Aufenthalt im „Nahbereich“ der Arbeitsagentur Neben der Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft setzt der Anspruch auf Arbeitslosengeld voraus, dass der Arbeitslose den Vorschlägen der Arbeitsagentur zeit- und ortsnah Folge leisten kann (Erreichbarkeit), § 119 III Nr. 2 SGB III. § 30 I SGB I deutet darauf hin, dass das im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit oder den Aufenthaltsort des Arbeitslosen neutral formulierte Kriterium der Erreichbarkeit so zu verstehen ist, dass die Verfügbarkeit an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gebunden ist. Zum einen statuieren die §§ 117 ff. SGB III keine Regelungen für Fälle mit Auslandsbezug; insbesondere enthalten sie keine Anordnung des Ruhens der Leistungsberechtigung bei Aufenthalt im Ausland. Die in § 3 I SGB IV vorgesehene Anknüpfung an den Ort der Beschäftigung gilt zudem nur für die Versicherungspflicht, nicht aber für das Leistungsrecht.176 Migranten könnten durch das Erfordernis der Erreichbarkeit vom Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschlossen sein. Dies gilt namentlich für arbeitslose ehemalige Grenzgänger, die kraft einer früheren Beschäftigung im Inland gemäß §§ 24 I, 25 I SGB III zwar pflichtversicherte Mitglieder der Arbeitslosenversicherung sind. Haben sie jedoch ihren Wohnsitz im Ausland inne, steht insbesondere ihre Erreichbarkeit für die Eingliederungsbemühungen i.S.v. § 119 V Nr. 2 SGB III in Frage. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Erreichbarkeit nicht in erster Linie sicherstellen, dass der Arbeitslose die Arbeitsagentur erreichen kann. Dies war unter Geltung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) noch der Fall: nach § 130 I AFG musste der Arbeitslose in der Lage sein, die Arbeitsagentur täglich persönlich aufzusuchen. Ein Auslandswohnsitz schloss die Verfügbarkeit explizit aus.177 Das Kriterium der Erreichbarkeit zielt nunmehr vor allem darauf ab, den Arbeitslosen in die Lage zu versetzen, jederzeit einen poten175 Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 119, Rn. 141; Davy, ZIAS 2001, 221 (251). Auf Grenzgänger will das BSG die Verschlossenheitstheorie nunmehr nicht länger anwenden, BSG, NZA-RR 2009, 277 (279), kritisch im Hinblick auf die fehlende Begründung für die Differenzierung zwischen Grenzgängern und anderen Arbeitslosen mit Auslandswohnsitz Eichenhofer, ZESAR 2009, 453 (453). 176 Mutschler, SGb 2000, 110 (111). 177 So § 1 Aufenthaltsanordnung.

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ziellen Arbeitgeber aufzusuchen, an einem Vorstellungs- oder Beratungstermin teilzunehmen oder anderen Vorschlägen der Arbeitsagentur Folge zu leisten.178 Maßgeblich ist also allein die Möglichkeit der zeitnahen Eingliederung in den inländischen Arbeitsmarkt.179 Die Voraussetzungen der Erreichbarkeit sind in der Erreichbarkeitsanordnung (EAO)180 näher determiniert. Danach soll sich der Arbeitslose grundsätzlich im so genannten „Nahbereich“ aufhalten. Dazu zählen gemäß § 2 S. 2 EAO alle Orte in der Umgebung der Arbeitsagentur, von denen aus der Arbeitslose die Arbeitsagentur täglich ohne zumutbaren Aufwand erreichen kann. Aufenthalte außerhalb des Nahbereichs bedürfen nach § 3 EAO der vorhergehenden Zustimmung der Arbeitsagentur und dürfen zudem nur vorübergehender Natur sein.181 Der Nahbereich deckt sich jedoch nicht mit dem Bezirk der Arbeitsagentur, sondern kann über diesen hinausgehen. Insbesondere gibt die EAO keinerlei Aufschluss darüber, dass der Nahbereich nur in der Bundesrepublik bestehen soll. Zwar bezieht sich der Geltungsbereich des Arbeitsförderungsrechts auf das Bundesgebiet.182 Liegt der Wohnort des Arbeitsuchenden im Ausland, schließt dies die Erreichbarkeit für die Vermittlungsbemühungen jedoch nur aus, wenn von diesem Ort aus keine Arbeitsagentur erreicht werden kann.183 § 119 V Nr. 3 SGB III darf daher nicht als Kollisionsnorm missverstanden werden, die den Anwendungsbereich des Arbeitsförderungsrechts auf Personen mit Inlandswohnsitz beschränken soll. Es handelt sich vielmehr um eine Anspruchsvoraussetzung, die eine (Wieder)Eingliederung des Arbeitsuchenden in den Arbeitsmarkt durch Maßnahmen der BA sicherstellen soll.184 2. Inlandsbezüge der rentenrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen Das Rentenrecht misst bestimmten Umständen und Ereignissen eine anspruchsbegründende oder -erweiternde Wirkung zu. Ist deren sozialversicherungsrechtliche Anerkennung auf inländische Sachverhalte beschränkt, kann dies Migranten den Nachweis eines rentenerheblichen Versicherungsverlaufs erschweren.

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BT-Drs. 13/4941, S. 176. Mutschler, SGb 2000, 110 (116). 180 Erreichbarkeitsanordnung vom 23.10.1997, ANBA 1997, 1685. 181 Ausführlich Wissing, SGb 1999, 10 (18 f.); Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 119, Rn. 268 ff. 182 So genannte „Ausgleichsfähigkeit“ BSGE 11, 16 (19); BSG, Breith 1970, 1041. 183 Wissing, SGb 1999, 10 (18); Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 119, Rn. 186. So auch BSG, SozR 3–6050 Art 71 Nr. 5, Rn. 15; BSGE 104, 280 (284). 184 So im Ergebnis auch Mutschler, SGb 2000, 110 (113); Eichenhofer, ZESAR 2009, 453 (453); Winkler, info also 1997, 126 (129). 179

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a. Vorzeitige Wartezeiterfüllung, § 53 SGB VI Nach § 53 I 1 SGB VI ist die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt, wenn bestimmte unvorhersehbare Ereignisse eine Erwerbsminderung oder den Tod des Versicherten herbeigeführt haben und er damit faktisch an der Zurücklegung der Wartezeit gehindert wird.185 Dies gilt für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (Nr. 1), Wehrdienst- (Nr. 2) oder Zivildienstschäden (Nr. 3) oder Schädigungen während eines Gewahrsams i.S.v. § 1 HHG186. Voraussetzung ist der Nachweis des Versichertenstatus. Die Norm bezieht sich folglich auf § 3 I SGB IV, § 1 SGB VI, welche die Versicherungspflicht an die Ausübung einer Beschäftigung im Inland knüpfen. Grundsätzlich wird der Versichertenstatus bereits durch eine einzige wirksame Beitragszahlung an die gesetzliche Rentenversicherung begründet.187 Eine Ausnahme gilt nur im Falle der vorzeitigen Wartezeiterfüllung wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit. War der Versicherte bei Eintritt des Ereignisses nicht versicherungspflichtig, muss er gemäß § 53 I 2 SGB VI in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge entrichtet haben. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass Beschäftigte durch die Entrichtung nur eines einzigen Beitrags den umfassenden Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben können.188 Die Ausnahme vom grundlegenden Erfordernis der Zurücklegung einer Wartezeit wird damit in ihrer Reichweite beschränkt. Die vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 I 1 Nr. 1 SGB VI kommt jedoch nur in Betracht, wenn die genannten Tatbestände Ansprüche nach dem SGB VII auszulösen geeignet sind.189 Ein Arbeitsunfall liegt gemäß § 8 SGB VII vor, wenn sich dieser im Zusammenhang mit einer nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit ereignet hat. Auch Berufskrankheiten müssen gemäß § 9 SGB VII einen Bezug zu einer versicherten Tätigkeit aufweisen. Im Zusammenhang mit § 3 I SGB IV hat dies zur Folge, dass nur Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung führen können, die sich während der Ausübung einer Beschäftigung im Inland ereignet haben.190 Versicherte mit internationalen Erwerbsbiografien können daher nur eingeschränkt von der in § 53 SGB VI verankerten Privilegierung profitieren. Eine Ausnahme gilt nur für solche Unfälle oder Krankheiten, die bei einer Auslandsbeschäftigung im Rahmen 185

Reichert in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 14, Rn. 117. 186 Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden vom 2.6.1993, BGBl. I S. 838. 187 BSGE 11, 295 (297); Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 53, Rn. 4; Löns in Kreikebohm, SGB VI, § 53, Rn. 3. 188 BT-Drs. 11/4124, S. 165. 189 Vgl. nur BSGE 7, 159 (161); 11, 295 (297 f.). 190 BSGE 7, 159 (161); 11, 295 (297 f.); 54, 199 (200); Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 53, Rn. 6.

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einer Entsendung aufgetreten sind. Hier ordnet § 4 SGB IV die Ausstrahlung des deutschen Sozialversicherungsrechts an, so dass der notwendige Inlandsbezug hergestellt ist. Die vorzeitige Wartezeiterfüllung hat zur Folge, dass der Versicherte von besonderen Anspruchsvoraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente befreit ist. Nach § 43 V SGB VI hat er namentlich nicht die grundsätzlich – § 43 I 1 Nr. 2 SGB VI – nachzuweisenden Pflichtbeiträge nachzuweisen. Die tatsächlichen Auswirkungen des § 53 I 1 Nr. 1 SGB VI sind daher erheblich, erleichtern sie doch den Erwerb eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente. Die Merkmale des § 53 I 1 Nr. 2–4 SGB VI weisen einen besonders starken Inlandsbezug auf. Ausländer sind faktisch von der Erfüllung dieser Tatbestände ausgeschlossen. Wegen der Bezugnahme auf § 1 SVG191 können nur Schädigungen in Betracht kommen, die sich im Zusammenhang mit Dienstzeiten in der Bundeswehr ereignet haben.192 Die Erbringung von Dienstzeiten in der Bundeswehr kommt nach § 1 WPflG jedoch nur für deutsche Staatsangehörige in Betracht. Das HHG gilt ebenfalls nur für deutsche Staatsangehörige sowie für Personen deutscher Volkszugehörigkeit. b. Verlängerung der Anspruchsdauer für Waisenrenten, § 48 SGB VI Bestimmte Ereignisse führen zwar keine Erleichterungen für die Begründung eines rentenrechtlichen Anspruchs herbei, vermögen aber deren Dauer zu verlängern. Beispielhaft dafür ist die Bezugsdauer von Waisenrenten. Grundsätzlich erfordert der Anspruch auf Waisenrente, dass die Waise Hinterbliebene einer in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Person ist. Die Anspruchsdauer der Rente endet nach § 48 IV 1 Nr. 1 SGB VI grundsätzlich mit Vollendung des 18. Lebensjahrs. Nach § 48 IV 2 Nr. 2 SGB VI verlängert sich die Anspruchsdauer jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs, wenn die Waise eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert (lit. a), sich in einer Übergangszeit vom maximal vier Monaten zwischen verschiedenen Ausbildungsabschnitten oder zwischen Ausbildung und Bundesfreiwilligendienst befindet (lit. b), den Bundesfreiwilligendienst leistet (lit. c.) oder wegen einer Behinderung außerstande ist, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen (lit. d). Durch die Ableistung des Wehrdienstes kann der Rentenbezug auch über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus in Betracht kommen, § 48 V SGB VI. Die Gewährung einer Waisenrente soll den Ausfall eines zivilrechtlich Unterhaltsverpflichteten kompensieren. Mit der Verlängerung der Bezugsdauer trägt der Gesetzgeber dem Umständ Rechnung, dass Waisen in bestimmten Lebenslagen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt bereits ab Vollendung des 18. Lebensjahres selbst zu bestreiten.193 Derartige Umstände wären auch im Rah191 Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen vom 16.9. 2009, BGBl. I, 3054. 192 BSGE 75, 199 (202). 193 BSG, NZS 2004, 372 (372 f.).

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men der Unterhaltsverpflichtung nach §§ 1601 ff. BGB zu berücksichtigen und müssen sich daher auch im Recht der Hinterbliebenenrenten wiederspiegeln. Abgesehen von der Verlängerung der Bezugsdauer aufgrund des Wehrdienstes – für dessen Ableistung nach § 1 WPflG nur deutsche Staatsangehörige herangezogen werden – ist die Norm staatsangehörigkeitsneutral. Dies gilt insbesondere deshalb, als die Gewährung der Rente nicht an einen Inlandsaufenthalt des Waisen gebunden ist, ermöglicht § 110 SGB VI doch grundsätzlich den Transfer von Renten ins Ausland. Daher müssen auch Ausbildungszeiten, die im Ausland absolviert werden, zu einer Verlängerung der Bezugsdauer führen. Dies erfordert der Sinn und Zweck der Hinterbliebenensicherung, die Unterhaltsausfälle durch den Tod eines Versicherten ausgleichen sollen. Da die Unterhaltspflichten ebenfalls grenzüberschreitend durchgesetzt werden können,194 müssen auch im Ausland einer Schulbildung nachgehende Hinterbliebene eines Versicherten die den ausgefallenen Unterhalt ersetzenden Hinterbliebenenrenten beziehen können. Leistet die Waise einen Freiwilligendienst ab, wird die Verlängerung der Bezugsdauer ihrer Rente nur durch einen nach dem BFDG195 geförderten Dienst begründet. Der Bundesfreiwilligendienst steht Menschen jeder Staatsangehörigkeit offen. Er kann bei Trägern abgeleistet werden, die ihren Sitz in der Bundesrepublik haben. Ist dies der Fall, kann der Dienst gemäß § 5 BFDG, § 14b III ZDG auch im Ausland geleistet werden. Waisen, die entsprechende Dienste in anderen Ländern für einen nicht in Deutschland ansässigen Träger erbringen, könnten dadurch benachteiligt werden, wäre dieser doch nicht geeignet, eine Verlängerung der Bezugsdauer für die Waisenrente herbeizuführen. Dieser Ausschluss betrifft Waisen deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit gleichermaßen, wird sich aber im Ergebnis auf Personen, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, stärker auswirken als auf Personen mit Inlandsaufenthalt. Fraglich ist, ob hierin eine unzulässige mittelbare Benachteiligung liegt. Die Rechtsprechung hat dies unter Hinweis auf den für die Hinterbliebenenleistungen prägenden Fürsorgegedanken196 abgelehnt. In den Fällen, in denen die Unfähigkeit der Waisen zur selbständigen Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht auf schulischer oder beruflicher Bildung oder einer Behinderung beruhe, sei der Spielraum des Gesetzgebers erheblich. Es sei daher nicht willkürlich, wenn er im Rahmen der Verlängerung der Bezugsdauer der Waisenrente nur bestimmte Freiwilligendienste berücksichtige. Der Umstand, dass andere Freiwil194 Dies gilt nicht generell für alle Staaten, zumindest aber für die Mitgliedstaaten der EU aufgrund der EuGVÜ, für die EFTA-Staaten aufgrund des Luganer Übereinkommens sowie für zahlreiche Staaten weltweit, die sich den Regeln des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen unterworfen haben. Dazu ausführlich Finger, FuR 2001, 97. 195 Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst (Bundesfreiwilligendienstgesetz) vom 28.4. 2011, BGBl. I, 687. 196 BSG, SozR 3–2600 § 48 Nr. 7, Rn. 35.

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ligendienste beispielsweise im Steuerrecht besonders gefördert werden, zwinge nicht zu einer sozialrechtlichen Gleichstellung.197 3. Grenzüberschreitende Verursachung von Berufskrankheiten und ihre Auswirkung auf die Leistungsberechtigung nach dem SGB VII Ansprüche, die aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit nach dem SGB VII begründet sind, weisen ebenfalls einen Inlandsbezug auf. Der Versicherungsfall eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erfordert gemäß §§ 8, 9 SGB VII i.V.m. § 3 I SGB IV den Bezug zu einer Inlandsbeschäftigung. Arbeitsunfälle lösen demzufolge nur dann Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB VII aus, wenn sie sich im Inland ereignet haben oder wenn ein entsandter Beschäftigter im Entsendestaat einen solchen Unfall erlitten hat. Dies ist nachvollziehbar, knüpft doch die Versicherungspflicht an die Inlandsbeschäftigung an. Ein im Ausland dauerhaft Beschäftigter weist nicht den notwendigen und hinreichenden Bezug zum deutschen Sozialversicherungssystem auf, der dessen Einstandspflicht auslösen könnte. § 140 SGB VII gibt den Unfallversicherungsträgern die Möglichkeit, eine Versicherung für im Ausland erlittene Arbeitsunfälle einzurichten. Dies erfordert jedoch ebenfalls die Tätigkeit für ein inländisches Unternehmen zum Zeitpunkt der Verwirklichung des versicherten Risikos. Bei Berufskrankheiten wäre es dagegen unbillig, bei der Entscheidung über die Leistungsberechtigung allein darauf abzustellen, an welchem Beschäftigungsort diese erstmals ausgebrochen ist. Eine Berufskrankheit liegt nach dem § 9 SGB VII prägenden Listenprinzip vor, wenn eine Erkrankung förmlich durch Rechtsverordnung198 als Berufskrankheit anerkannt worden ist. Ist eine Krankheit nicht in dieser Liste aufgeführt, ist sie als Berufskrankheit anzuerkennen, sofern dies nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, § 9 II SGB VII. Berufskrankheiten sind typischerweise199 Folge und Ergebnis einer langfristigen Aussetzung gegenüber gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, beispielsweise der Exposition gegenüber Gasen, Strahlen oder Stäuben. Die in Anlage 1 BKV gelisteten Krankheiten sind teilweise in Bezug zu einer mehr- oder langjährigen belastenden Tätigkeit gesetzt. Es ist denkbar, dass eine Berufskrankheit während einer international verlaufenden Erwerbsbiografie in verschiedenen Staaten verursacht worden ist. Tritt sie während der Beschäftigung in der Bundesrepublik zutage, d.h. bricht sie erstmals dort aus, stellt sich die Frage nach der Einstandspflicht der Berufsgenossenschaften für Umstände – Expositionszeiten – die sich im Ausland ereignet haben. Un197 LSG Berlin-Brandenburg v. 16.9.2010, L 8 R 1376/07, Rn. 24 -juris; LSG Niedersachsen v. 28.10.2009, L 2 KN 25/09, Rn. 28 ff. -juris. 198 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31.10.1997, BGBl. I, 2623. 199 Ricke in KassKomm, SGB VII, § 9, Rn. 3; Schmitt, SGB VII, § 9, Rn. 6.

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problematisch zu bejahen ist diese in den Fällen der Ausstrahlung nach § 4 SGB IV, war hier der Inlandsbezug der Beschäftigung doch während der gesamten Expositionszeit gegeben. Ist der Ausbruch der Berufskrankheit dagegen allein auf eine ausländischem Recht unterliegende Berufstätigkeit zurückzuführen, ist der deutsche Unfallversicherungsträger nicht zuständig.200 Es kommt also nicht darauf an, wo die Krankheit erstmals ausgebrochen ist. Maßgeblich ist deren Verursachung durch eine versicherte Tätigkeit.201 Ist das Auftreten der Berufskrankheit jedoch gleichermaßen durch mehrere – gleichzeitig oder nacheinander – im In- und Ausland ausgeübte Beschäftigungen verursacht, bleibt es grundsätzlich bei der in § 3 SGB IV vorgesehenen Anknüpfung an eine Inlandstätigkeit. Für die Auslösung des Versicherungsfalls kommt es nach Auffassung des BSG nicht darauf an, ob dessen Voraussetzungen im In- oder Ausland eingetreten sind. Die in der BKV aufgestellten Kriterien für die Anerkennung einer Berufskrankheit, stellten nur auf den tatsächlichen Zusammenhang mit einer gesundheitsgefährdenden Tätigkeit ab. Darauf, ob diese im Einzelnen im Inland versicherungspflichtig seien, komme es nicht an. Maßgeblich sei nur die grundsätzliche medizinisch begründbare Geeignetheit, eine solche Erkrankung auszulösen.202 Die Ansicht überzeugt. Die in der BKV verankerten Fristen und Expositionszeiten stellen keine Vorversicherungs- oder Wartezeiten dar. Die Rechtsverordnung dient ausschließlich dazu, die Entscheidung über die kausale Verknüpfung zwischen Tätigkeit und Erkrankung zu erleichtern. Die Zurücklegung der Expositionszeiten in verschiedenen Staaten ist dagegen von Bedeutung für den Umfang der Leistungspflicht der Berufsgenossenschaften. Diese haben naturgemäß nur für solche Schäden einzustehen, die durch eine versicherte Tätigkeit ausgelöst worden sind, trifft die BG doch eine umfassende Präventionspflicht. Auf belastende Arbeitsbedingungen im Ausland haben die BG keinerlei Einfluss. Zudem wird die gesetzliche Unfallversicherung durch Umlagen der Unternehmen finanziert, die sich nach dem für das konkrete Unternehmen geltende Risiko eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit richten, §§ 153 I, 157, 159 SGB VII. Die Beitragspflicht der Unternehmen ist gemäß § 150 I 1 SGB VII an die Beschäftigung von Versicherten gekoppelt, die ihrerseits wiederum einen Inlandsbezug aufweisen muss, § 3 I SGB IV. Die Träger der Unfallversicherung erhalten daher nur inlandsbezogene finanzielle Mittel. Es wäre daher unbillig, sie in vollem Maße zur Leistung heranzuziehen, wenn eine Berufskrankheit auch durch Auslandsbeschäftigungen verursacht worden ist. Das BSG greift in solchen Fällen auf den Rechtsgedanken des §§ 134, 174 SGB VII zurück.203 Ist eine Berufskrankheit 200

Ricke in KassKomm, SGB VII, § 9, Rn. 57e. Ausführlich Ricke in KassKomm, SGB VII, § 8, Rn. 10 f. 202 BSGE 35, 43 (45 f.).Dazu auch Jung in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 9, Rn. 18. 203 BSGE 35, 43 (46 f.) noch zur RVO, die insoweit aber inhaltlich mit den heutigen Regelungen im SGB VII übereinstimmt. Zustimmend Wickenhagen, SGb 1973, 462 (463). Der 201

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durch eine Tätigkeit in verschiedenen Unternehmen verursacht worden, die ihrerseits verschiedenen BG zugeordnet sind, ist die Zuständigkeit des Trägers der letzten Beschäftigung begründet, und zwar unabhängig davon ob diese Beschäftigung ursächlich für die Berufskrankheit war.204 Der leistungspflichtige Träger kann jedoch von den anderen Trägern einen Ausgleich verlangen. Dessen Umfang richtet sich gemäß § 174 II SGB VII „nach dem Verhältnis der Dauer der gefährdenden Tätigkeit in dem jeweiligen Unternehmen zur Dauer aller gefährdenden Tätigkeiten“, also nach dem pro-rata-temporis-Prinzip. Der Versicherte soll Leistungen nur bei einem einzigen Träger beantragen müssen. Doppelzuständigkeiten werden so vermieden.205 Zugleich wird sichergestellt, dass der zuständige Träger nicht unbillig belastet wird, sondern nur für die unter seiner Zuständigkeit erlebten Belastungen bei der Erwerbstätigkeit einzustehen hat.206 Damit wird nicht zuletzt dem Gebot der kausalen Verknüpfung zwischen versicherter Tätigkeit und der Erkrankung Rechnung getragen.207 Um eine Kumulation von Leistungsansprüchen gegenüber in- und ausländischen Trägern zu vermeiden, ordnet § 98 SGB VII zudem die Anrechnung von Leistungen des ausländischen Trägers an. Dies setzt jedoch voraus, dass die Leistungen der BG und des ausländischen Trägers sowohl im Hinblick auf das den Schaden auslösende Ereignis als auch in zeitlicher Hinsicht kongruent sind.208 Das Unfallversicherungsrecht ist damit geeignet, den Besonderheiten internationaler Versicherungsverläufe Rechnung zu tragen, indem es sowohl die Interessen des Versicherten an der Berücksichtigung von Expositionszeiten in seinem gesamten Berufsleben als auch die finanziellen Interessen der Unfallversicherungsträger zum Ausgleich bringt.

III. Rechtsfolgen des Auslandsaufenthalts während des Leistungsbezugs Die Verwirklichung eines sozialen Risikos kann den Versicherten veranlassen, das Bundesgebiet zu verlassen. Der Kranke möchte sich möglicherweise im Ausland behandeln lassen, der Altersrentner seinen Lebensabend in seinem Herkunftsland verbringen. Bereits § 30 I SGB I deutet darauf hin, dass ein Auslandsaufenthalt Auswirkungen auf die Leistungsberechtigung zeitigen kann, Rückgriff auf die Norm kommt jedoch nur bei langfristig verursachten, nicht aber bei unfallähnlichen Berufskrankheiten in Betracht, BSG, SozR 3–2200 § 1739 Nr. 1, Rn. 21 f. 204 Bigge in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 134, Rn. 3. 205 BSGE 5, 168 (175); BSG, SozR 4–2700 § 135 Nr. 1, Rn. 15; Bigge in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 134, Rn. 1. 206 Schmitt, SGB VII, § 134, Rn. 2; dazu auch BSG, SozR 2200 § 671 Nr. 1, Rn. 19. 207 Wickenhagen, SGb 1973, 462 (463). 208 Merten in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 98, Rn. 7; Ricke in KassKomm, SGB VII, § 98, Rn. 3.

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knüpft die Norm die Geltung inländischen Sozialrechts doch an den Inlandsaufenthalt. In Präzisierung des Vorbehalts nach § 37 SGB I ist in einzelnen Leistungszweigen das Ruhen der Ansprüche angeordnet, sobald und solange sich der Berechtigte im Ausland aufhält (1). Andere Zweige sehen einen Export der Leistungen ins Ausland vor, schränken jedoch den Umfang der Leistungsberechtigung ein (2), wieder andere knüpfen an den Auslandsaufenthalt keinerlei einschränkende Rechtsfolgen (3). Begründet werden die territorialen Beschränkungen der Leistungspflicht mit der Fürsorgepflicht des Sozialstaates, die sich aufgrund des „Territorialprinzips“ auf die Lebensstandardsicherung nach den Maßstäben der Inlandsgesellschaft beschränke. 209 1. Ruhen des Anspruchs wegen Auslandsaufenthalts Das Ruhen der Ansprüche ist im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung angeordnet. a. Ruhen der Ansprüche nach § 16 SGB V Nach § 16 I Nr. 1 SGB V ruhen Ansprüche auf Leistungen der GKV auch bei lediglich vorübergehenden Auslandsaufenthalten, freilich ohne dass damit die Beitragsfreiheit für die Zeit des Auslandsaufenthalts einherginge.210 Eine Ausnahme gilt gemäß § 16 IV SGB V für den Anspruch auf Krankengeld. Dieser wird uneingeschränkt ins Ausland exportiert, wenn die Krankenkasse zuvor ihre Zustimmung erteilt hat.211 Daran wird deutlich, dass das in § 2 II SGB V verankerte Sachleistungsprinzip wesentlicher Grund für die Ruhensanordnung ist. Dieses prägt das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und verpflichtet diese, den Versicherten sämtliche notwendigen Leistungen in natura zur Verfügung zu stellen. Da die Krankenkassen die Leistungen jedoch nicht selbst erbringen dürfen, sind sie auf den Abschluss von Verträgen mit freiberuflichen und gewerblichen Anbietern angewiesen, § 2 II 3 SGB V.212 Der Abschluss solcher Verträge zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten gestaltet sich im Ausland naturgemäß schwierig. Nur in Ausnahmefällen und nur aufgrund gesetzlicher Anordnung ist vom Sachleistungsprinzip abzusehen. Das Ruhen der Leistungsberechtigung gründet mithin unmittelbar im Versicherungsverhältnis und ist logische Konsequenz des Leistungsrechts der GKV.213 Die Umwandlung des Sachleistungs- in einen Kostenerstattungsanspruch sieht § 13 IV SGB V für die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen in den Mitgliedstaaten der 209

BVerfGE 51, 1 (28). BSG, NZS 1993, 544 (545); BSG, SozR 3–2500 § 243 Nr. 3, Rn. 15. 211 Hintergrund des Zustimmungserfordernisses ist das Bedürfnis, das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit durch die Krankenkasse zu überprüfen, Trenk-Hinterberger in Spickhoff, Medizinrecht, § 16 SGB V, Rn. 17. 212 So bereits BGHZ 82, 375 (387). Ausführlich Janda, Medizinrecht, S. 77. 213 BSGE 53, 150 (155 f.). So auch BT-Drs. 11/2237, S. 164 f. 210

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EU vor. Damit soll der passiven Dienstleistungsfreiheit der Versicherten Rechnung getragen werden.214 Eine weitere Durchbrechung der Ruhensanordnung enthält § 17 I SGB V. Ist der Auslandsaufenthalt durch eine Beschäftigung bedingt, bleibt es zwar grundsätzlich beim Ruhen aller gegen die Krankenversicherung gerichteten Ansprüche des Versicherten. Das Gesetz ordnet jedoch die Einstandspflicht des Arbeitgebers an. Dieser hat dem Versicherten alle im SGB V bzw. den noch geltenden Teilen der RVO zugestandenen Leistungen zu erbringen, kann sich seine Aufwendungen jedoch von der Krankenkasse erstatten lassen. Gleiches gilt für Familienversicherte, die ein im Ausland tätiges Pflichtmitglied begleiten oder besuchen.215 Mit dieser Regelung sollen unbillige Rechtsfolgen der Ruhensanordnung des § 16 SGB V vermieden werden, da sich ein Arbeitnehmer der Anweisung seines Arbeitgebers zur vorübergehenden Tätigkeit im Ausland nicht entziehen kann. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Sachleistungsaushilfe ist Ausdruck und Folge von dessen arbeitsrechtlicher Fürsorgepflicht. 216 Der Anwendungsbereich erfasst Fälle der Entsendung und korrespondiert insofern mit § 4 SGB IV,217 ist aber nicht auf diese beschränkt. Entscheidendes Kriterium für die Anwendbarkeit des § 17 SGB V ist der lediglich vorübergehende Auslandsaufenthalt des Arbeitnehmers. Dieser muss also weiter seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik innehaben, darf also den Versicherungsschutz der GKV nicht verloren haben und nur auf Veranlassung seines Arbeitgebers eine Beschäftigung im Ausland ausüben. § 17 SGB V kommt daher beispielsweise auch bei Dienstreisen ins Ausland in Betracht.218 Die Inpflichtnahme des Arbeitgebers anstelle der Krankenkassen hält das BSG vor dem Hintergrund des arbeitsrechtlichen Weisungsrechts für gerechtfertigt, ist der Krankenkasse die Erbringung von Sachleistungen außerhalb der Bundesrepublik doch nur eingeschränkt möglich.219 Hält sich ein Versicherter dagegen unabhängig von arbeitsrechtlichen Weisungen freiwillig im Ausland auf, kann § 17 SGB V dagegen nicht zum Tragen kommen.220

214 Dazu Becker, Die Inanspruchnahme ausländischer Ärzte zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, S. 17 ff.; Fuchs, NZS 2004, 225; Rixen, ZESAR 2004, 24. 215 Eine analoge Anwendung auf Familienmitglieder des Versicherten, die nicht über § 10 SGB V sondern eigenständig gegen das Risiko der Krankheit versichert sind, ist nicht angezeigt, da vom Regelfall des Ruhens nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung abgesehen werden kann, BSG, SozR 4–2500 § 17 Nr. 3, Rn. 21 ff. 216 BSG, SozR 4–2500 § 17 Nr. 1, Rn. 22. 217 Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 17, Rn. 7. 218 Trenk-Hinterberger in Spickhoff, Medizinrecht, § 17 SGB V, Rn. 3; Leube, ZTR 2006, 301 (302). 219 BSG, SozR 4–2500 § 17 Nr. 1, Rn. 22; Peters in KassKomm, SGB V, § 17, Rn. 2. 220 BSG vom 20.6.2006 (B 1 KR 29/06 B), Rn. 6 -juris.

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§ 18 SGB V statuiert eine weitere Ausnahme vom Grundsatz des Ruhens der Leistungsberechtigung bei Auslandsaufenthalten221 für die Fälle, in denen der Versicherte eine seinem Gesundheitszustand angemessene Behandlung im Inland nicht erhalten kann. Die Norm erfasst die Fälle so genannten Systemversagens. Dem Versicherten soll nicht das Risiko aufgebürdet werden, dass die Krankenkassen zur Erfüllung seines Sachleistungsanspruchs nicht imstande sind – sei es weil im Inland Leistungserbringer nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar sind, sei es weil die Behandlungsmethode ortsgebunden ist.222 Maßgeblich sind allein medizinisch-wissenschaftliche Kriterien, nicht dagegen der besonders gute Ruf eines ausländischen Leistungserbringers oder seine besonders moderne technische Ausstattung.223 b. Ruhen der Ansprüche nach § 34 SGB XI Auch im Pflegeversicherungsrecht ist das Ruhen der Ansprüche im Falle des Auslandsaufenthalts angeordnet. Nach § 34 I Nr. 1 SGB XI ist jedoch zwischen dauerhaftem und vorübergehendem Aufenthalt zu differenzieren. Während bei einer dauerhaften Verlagerung des Aufenthalts in das Ausland keine Leistungen mehr zu erbringen sind, kann das Pflegegeld für die Dauer von bis zu sechs Wochen pro Kalenderjahr exportiert werden. Der Export der Pflegesachleistung findet gemäß § 34 I Nr. 1 S. 2 SGB XI dadurch statt, dass die Pflegeperson, welche die Sachleistung üblicherweise erbringt, den Pflegebedürftigen ins Ausland begleitet. Ebenso wie in der gesetzlichen Krankenversicherung ist auch in der sozialen Pflegeversicherung der Sachleistungsgrundsatz Hintergrund der Ruhensanordnung. Gemäß § 36 I 3 SGB XI sind die Pflegeleistungen durch geeignete Pflegekräfte bzw. in geeigneten Einrichtungen zu erbringen. Die Überprüfung dieser Eignung von im Ausland tätigen Personen bzw. dort belegenen Einrichtungen erfordert jedoch einen so erheblichen Verwaltungsaufwand, dass die Beschränkung auf die Inanspruchnahme der Leistungen im Inland gerechtfertigt ist.224 Auch die Mitnahme der Pflegekraft als Voraussetzung für den kurzfristigen Export der Pflegesachleistung soll die Kontrolle der Geeignetheit der Pflegeperson sicherstellen.225

221 Von § 18 SGB V sind nur Behandlungen in Drittstaaten erfasst. Die medizinische Behandlung in Mitgliedstaaten der EU ist Gegenstand von § 13 IV – VI SGB V. 222 Trenk-Hinterberger in Spickhoff, Medizinrecht, § 18 SGB V, Rn. 3 mit Beispielen. 223 BSGE 84, 90 (93). 224 Zur Eignung der Pflegekräfte BSGE 86, 94 (100); BSG, SozR 4–3300 § 23 Nr. 5, Rn. 10d. 225 Leitherer in KassKomm, SGB XI, § 34, Rn. 9.

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2. Minderung von Ansprüchen wegen Auslandsaufenthalts Das Rentenrecht enthält ebenfalls Regelungen zur Leistungsberechtigung bei Auslandsaufenthalten. Nach § 110 I SGB VI resultieren aus einem lediglich kurzfristigen Auslandsaufenthalt des Rentenbeziehers keinerlei Abweichungen. Er erhält alle nach dem SGB VI zu gewährenden Leistungen so, als würde er sich im Inland aufhalten. Eine Höchstdauer des gewöhnlichen Aufenthalts definiert das Gesetz nicht. Maßgeblich ist, dass der Auslandsaufenthalt seiner Natur nach von vornherein begrenzt angelegt ist, also beispielsweise Urlaubs- oder Besuchszwecken dient.226 Eine Dauer von bis zu einem Jahr wird noch als „gewöhnlich“ angesehen, wobei diese zeitliche Grenze allein nicht den Ausschlag für die Bewertung geben kann.227 Der Aufenthalt kann aber nur dann vorübergehend sein, wenn der Berechtigte zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte, diesen also nunmehr ins Ausland verlegt hat.228 Wo der Aufenthaltsort – innerhalb oder außerhalb der EU- oder EWR-Staaten – belegen ist, ist irrelevant. Eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit des Berechtigten wird ebenfalls nicht getroffen. a. Grundsatz des Leistungsexports auch bei dauerhaftem Auslandsaufenthalt Verlegt ein Rentenbezieher seinen Aufenthalt dagegen dauerhaft ins Ausland, sind die Leistungen – vorbehaltlich anderweitiger Regelungen des zwischenoder überstaatlichen Rechts – nur nach Maßgabe der §§ 111 ff. SGB VI zu erbringen, § 110 II SGB VI. Die Normen tangieren die Begründung des Anspruchs nicht, sondern treffen lediglich Anordnungen für dessen Auszahlung.229 Grundsätzlich wird auch in diesen Fällen die Leistungsberechtigung nach dem SGB VI aufrecht erhalten. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 112 SGB VI jedoch nur gezahlt, wenn die Erwerbsminderung ihre alleinige Ursache in gesundheitlichen Gründen hat, also unabhängig von der Arbeitsmarktlage ist.230 Das Risiko, die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit auf dem (ausländischen) Arbeitsmarkt nicht verwerten zu können, trägt also allein der Versicherte – mit anderen Worten: die deutsche Rentenversicherung steht nur dafür ein, dass ein Erwerbsgeminderter aufgrund der besonderen Arbeits-

226

BSGE 26, 277 (278). Wagner in Wannagat, SGB VI, § 110, Rn. 17; Polster in KassKomm, SGB VI, Vorbem. § 110, Rn. 10; Löns in Kreikebohm, SGB VI, § 110, Rn. 5 unter Bezugnahme auf die bis 1979 geltende explizite Regelung. 228 Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (311); Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 110, Rn. 17. 229 BSGE 46, 51 (53) noch zur Rechtslage nach der RVO. 230 Ausführlich Schmidt, MittLVA Oberfr 2000, 301 (312); vgl. auch Eichenhofer in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der Rentenversicherung, Kap. 33, Rn. 38. 227

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marktlage im Inland von der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen bleibt.231 Dies wird einerseits mit dem Argument gerechtfertigt, dass ein sich dauerhaft im Ausland aufhaltender Versicherter den Vermittlungsbemühungen der Leistungsträger nicht zur Verfügung steht.232 Andererseits sei es einem inländischen Träger aufgrund seiner territorial begrenzten Hoheitsbefugnisse nicht möglich, einen ausländischen Arbeitsmarkt zu beobachten.233 Das Rentenrecht korrespondiert insofern mit den in § 119 SGB III aufgestellten Kriterien der Verfügbarkeit.234 b. Besonderheiten bei der Rentenberechnung Im Übrigen ergeben sich für alle Rentenarten Unterschiede bei der Rentenberechnung. Grundlage der Berechnung sind abweichend von § 66 SGB VI die nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten, § 113 I 2 SGB VI.235 Auf den Wohnsitz, Aufenthalts- oder Beschäftigungsort des Versicherten während der Zurücklegung dieser Zeiten kommt es nicht an.236 Maßgeblich ist allein ein tatsächlicher Zufluss von Beiträgen an den Träger der Rentenversicherung.237 Die Anordnung in § 113 I SGB VI gilt gleichermaßen für Deutsche und Nicht-Deutsche. Aus diesem Grund wird die Regelung für verfassungsgemäß gehalten.238 Bei Unionsbürgern und Angehörigen der EWR-Staaten werden jedoch zusätzlich Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten und weitere Zuschläge239 berücksichtigt, § 114 I SGB VI. Die Berücksichtigungsfähigkeit richtet sich nach dem pro-rata-temporis-Prinzip, d.h. nach dem Verhältnis zwischen den Entgeltpunkten für Bundes-Beitragszeiten zu den Entgeltpunkten für alle Beitrags- und Beschäftigungszeiten. Die danach festgestellten Entgeltpunkte werden bei Drittstaatsangehörigen zudem nur zu 70 % berücksichtigt, § 113 III 1 SGB VI. Dies gilt jedoch nicht für Hinterbliebenenrenten, wenn ein Drittstaater Hinterbliebener eines Unionsbürgers ist, § 113 III 2 SGB VI. Der Gesetzgeber wollte damit Ungleichbehandlungen vermeiden, die daraus resultierten, dass drittstaatsangehörige Hinterbliebene von Unionsbürgern durch das europäische koordinierende Sozialrecht besser gestellt waren als in dem vormals auf Hinterbliebene mit Unionsbürgerschaft beschränkte nationale Recht.240 231

Wagner in Wannagat, SGB VI, § 112, Rn. 3, 9. BSGE 44, 20 (21); BSG, NZS 1995, 366 (367). So auch der Gesetzgeber, BT-Drs. 9/458, S. 28 f. Kritisch im Hinblick auf im grenznahen Ausland lebende Personen BSG, SozR 2200 § 1246 Nr. 48, Rn. 18. 233 BSG, SozR 2200 § 1246 Nr. 48, Rn. 17; zustimmend Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 596. 234 Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 112, Rn. 12. 235 Im Einzelnen zu den Unterschieden der Rentenberechnung Wagner in Wannagat, SGB VI, § 113, Rn. 8 f. sowie Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 113, Rn. 13 ff. 236 Gürtner in KassKomm, SGB VI, § 113, Rn. 6. 237 BT-Drs. 9/458, S. 28. 238 LSG Berlin v. 28.01.1999 (L 8 RA 105/97), Rn. 30 -juris. 239 Ausführlich Polster in KassKomm, SGB VI, § 114, Rn. 4 ff. 240 BR-Drs. 543/07, S. 48. 232

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Drittstaatsangehörige erhalten daher, sofern sie sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, eine verminderte Rente – sowohl im Hinblick auf die in die Berechnung einzubeziehenden Entgeltpunkte, als auch auf deren umfangmäßige Berücksichtigung. Dies gilt selbst wenn die Drittstaatsangehörigen in den persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 fallen. Der Wortlaut der §§ 113 III, 114 I SGB VI sieht Privilegierungen ausschließlich für die Angehörigen der Staaten vor, in denen die Koordinierungsverordnung anwendbar ist. Durch diesen territorialen Bezug können nur Unionsbürger und Angehörige der EWR-Staaten aus dem nationalen Recht einen uneingeschränkten Rentenexport herleiten. Drittstaater werden dadurch benachteiligt, führt die eingeschränkte Berücksichtigung von Entgeltpunkten doch dazu, dass die Rente ihren Charakter als statussichernde Versicherungsleistung verliert.241 Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer differenzierenden Regelung der Auslandsrenten ist daher nicht isoliert in Bezug auf § 113 I SGB VI zu beantworten. Vielmehr ist eine Betrachtung in der Zusammenschau mit § 113 III SGB VI und § 114 SGB VI vorzunehmen, welche die Grundlage für die Berechnung von Auslandsrenten bilden. Die Sonderregelungen für die Rentenberechnung gelten nicht für Verfolgte i.S.d. WGSVG. Ihnen wird gemäß §§ 18, 19 WGSVG die Rente im vollen Umfang auch bei dauerhaftem Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik ins Ausland gewährt.242 c. Erbringung von Rehabilitations- und Teilhabeleistungen im Ausland Über die Rentenberechnung hinaus wirkt sich der dauerhafte Auslandsaufenthalt von Rentenberechtigten für Pflichtversicherte insbesondere auf ihre Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der Rehabilitation aus. Diese werden gemäß § 111 I SGB VI nur erbracht, wenn der Berechtigte im Monat der Antragstellung Pflichtbeiträge gezahlt hat bzw. wenn deren Entrichtung allein wegen Arbeitsunfähigkeit unterblieben ist. Maßgeblich sind nur solche nach dem SGB VI begründeten Pflichtbeiträge; eine Gleichstellung von Pflichtbeiträgen an ausländische Träger ist nicht vorgesehen.243 § 111 SGB VI etabliert folglich ein Anknüpfungsmerkmal für die Zuständigkeit der deutschen Rehabilitationsträger. Personen die keine Pflichtbeiträge nach dem SGB VI entrichten und auch keine anderen Tatbestände nachweisen, die eine Versicherungspflicht begründen, unterliegen im Zweifel dem Rehabilitations- und Teilhabesystem eines anderen Staates.244 Zumindest sind sie – auch im Hinblick auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland – nicht der Zuständigkeit der deutschen Rentenver241 Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 600; im Ergebnis auch Wagner in Wannagat, SGB VI, § 113, Rn. 9. 242 Dazu Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 110, Rn. 21. 243 Kater/Polster in KassKomm, SGB VI, § 111, Rn. 4. 244 Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 111, Rn. 7.

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sicherung zuzuordnen, so dass deren Verantwortlichkeit für die Erbringung von Rehabilitations- und Teilhabeleistungen nicht begründbar ist. Mit § 111 SGB VI korrespondiert der auch für das Rentenrecht relevante245 § 18 S. 1 SGB IX, wonach die Erbringung von Sachleistungen zur Rehabilitation und Teilhabe im Ausland davon abhängt, dass diese dort wirtschaftlicher, jedoch bei zumindest gleicher Qualität und Wirksamkeit erbracht werden können. Qualitative Anforderungen beziehen sich beispielsweise auf die Funktionsfähigkeit und Sicherheit von Hilfsmitteln oder die Qualifikation von Heilmittelerbringern.246 Die Wirtschaftlichkeit ist gegeben, wenn die Leistungen insgesamt – einschließlich etwaiger Reisekosten – kostengünstiger sind, wenn sie im Ausland in Anspruch genommen werden. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, entscheidet der zuständige Träger nach pflichtgemäßem Ermessen, nachdem er die Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Auslandsbehandlung mit einer im Inland möglichen Behandlung verglichen hat.247 Ebenso wie im Recht der Krankenversicherung ist die grundsätzliche Beschränkung der Leistungspflicht auf inländische Leistungserbringer vor dem Hintergrund des Leistungsrechts zu erklären. Die kostenfreie Gewährung medizinischer Rehabilitationsleistungen wird einerseits über Eigeneinrichtungen der Rehabilitationsträger (§ 17 I SGB IX), andererseits über ein komplexes System von Verträgen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern nach Maßgabe des § 21 SGB IX realisiert. Eine Selbstbeschaffung der Leistungen durch den Versicherten ist gemäß § 15 SGB IX grundsätzlich ausgeschlossen. Damit soll sichergestellt werden, dass den komplexen Anforderungen an die medizinische Rehabilitation genügt wird: diese soll nicht nur eine dauerhafte (Wieder)Eingliederung des Berechtigten in das Erwerbsleben ermöglichen.248 Zu diesem Zweck sind die Rehabilitationsleistungen insbesondere mit den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu verzahnen und abzustimmen, vgl. § 11 I, II SGB IX. Die Leistungserbringer sind nach § 20 II SGB IX auch zur Sicherstellung eines Qualitätsmanagements verpflichtet, das namentlich in zivilrechtlich organisierten249 Arbeitsgemeinschaften der Rehabilitationsdienste und -einrichtungen nach § 19 VI SGB IX zu realisieren ist. Diesen Arbeitsgemeinschaften steht wiederum das Recht zu, Rahmenverträge mit den Trägern zu schließen. Eine Ermächtigungsnorm für den grenzüberschreitenden Abschluss solcher Verträge wie beispielsweise in § 140e SGB V für die medizinische Versorgung in der GKV enthält weder das SGB VI noch das SGB IX. Diese gene245

Joussen in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, § 18, Rn. 3. O’Sullivan in jurisPK – SGB IX, § 18, Rn. 22. 247 von der Heide in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 18, Rn. 6 f.; Brodkorb in Hauck/Noftz, SGB IX, § 18, Rn. 6; Joussen in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, § 18, Rn. 7 f.; O’Sullivan in jurisPK – SGB IX, § 18, Rn. 25. 248 Zu dieser Zielsetzung bereits BT-Drs. 9/458, S. 28 f. 249 Brodkorb in Hauck/Noftz, SGB IX, § 19, Rn. 24. 246

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rell länderübergreifend abzuschließen dürfte zudem erhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich bringen, die vor allem aus den unterschiedlichen nationalrechtlichen Konzepten des Invaliditätsbegriffs resultieren. Die Tätigkeit als Leistungserbringer erfordert jedoch umfassende sozialmedizinische Kenntnisse, um der Zielsetzung des Rehabilitationsrechts gerecht zu werden.250 Letztlich sind auch die Bedürfnisse der Bedarfsplanung (vgl. § 19 I 1 SGB IX) und das wirtschaftliche Interesse der Träger an einer Auslastung der vorhandenen Rehabilitationseinrichtungen zu berücksichtigen.251 Daher ist es gerechtfertigt, die Zulässigkeit der Auslandsrehabilitation an eine Einzelfallentscheidung der inländischen Träger zu koppeln. Erforderliche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden nach § 18 S. 2 SGB IX nur im grenznahen Ausland erbracht. Das Leistungsspektrum umfasst Geld-, Sach- und Dienstleistungen und zielt auf eine Verbesserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und eine möglichst dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt, § 33 I SGB IX. Dazu werden gemäß § 33 III SGB IX namentlich verstärkte Beratungsleistungen und Vermittlungsbemühungen, aber auch Weiterbildungsoder Umschulungsmaßnahmen erbracht. Die Beschränkung der Erbringung von Teilhabeleistungen auf das grenznahe Ausland entspricht dem Konzept der Erreichbarkeit in § 119 III Nr. 2 SGB III, zielen diese doch wie jene auf eine Integration in den inländischen Arbeitsmarkt und setzen daher voraus, dass der Berechtigte den Eingliederungsbemühungen des zuständigen Trägers doch auch tatsächlich zur Verfügung steht.252 Dementsprechend einheitlich ist die Reichweite der Erreichbarkeit zu beurteilen: diese ist auch bei einem Auslandsaufenthalt noch gegeben, wenn der Versicherte den inländischen Träger ohne besondere Umstände aufsuchen kann.253 3. Uneingeschränkter Leistungsexport trotz Auslandsaufenthalts Abweichend von § 30 SGB I254 sind die Geldleistungen der Unfallversicherung gemäß § 97 Nr. 1 SGB VII uneingeschränkt auch an Personen zu erbringen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben. Die Aufwendungen für Sachund Dienstleistungen werden in vollem Umfang erstattet, § 97 Nr. 2 SGB VII. Dies erklärt sich nicht zuletzt aus der Funktion der gesetzlichen Unfallversicherung. Diese kommt für Schäden auf, die ein Beschäftigter aufgrund seiner Tätigkeit für einen Arbeitgeber erlitten hat. Die grundsätzlich gegenüber diesem be250

von der Heide in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 18, Rn. 8. Fuhrmann/Heine, NZS 2006, 341 (342 f.); kritisch Kingreen, ZESAR 2006, 210 (214). 252 So im Ergebnis auch Wagner in Wannagat, SGB VI, § 111, Rn. 4. 253 Nach Auffassung des Gesetzgebers ist die bei Tagespendlern der Fall sowie in Bezug auf alle an die Bundesrepublik angrenzenden Nachbarstaaten, BT-Drs. 14/5800, S. 26; einschränkend auf den Tagespendelbereich O’Sullivan in jurisPK – SGB IX, § 18, Rn. 29. 254 Merten in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 97, Rn. 6. 251

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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stehenden zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche werden – nicht zuletzt im Interesse des Betriebsfriedens – von den Trägern der Unfallversicherung mit befreiender Wirkung geleistet.255 Die Ablösung der zivilrechtlich fundierten Ansprüche durch ein öffentlich-rechtliches Leistungssystem darf nicht dazu führen, dass ein Versicherter durch die Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland diese Ansprüche verliert.256

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht und Leistungsberechtigung Der Gesetzgeber ist grundsätzlich frei in der Bestimmung der Anknüpfungspunkte für die Geltung nationalen Rechts. Er kann daher im Einklang mit historischen Traditionen und Werten ein soziales Sicherungssystem etablieren, das vorwiegend Erwerbstätige einbezieht und lediglich eine Ersatzanknüpfung an den Wohnsitz vorsieht. Ebenso ist ein auf Absicherung aller Einwohner basierendes System denkbar.

I. Anknüpfungsmerkmale Ein Wechsel zwischen den für die Versicherungspflicht und den für die Leistungsberechtigung anwendbaren Anknüpfungspunkten kann jedoch im Einzelfall Nachteile mit sich bringen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Versicherungspflicht an eine Inlandsbeschäftigung gekoppelt ist, für die Leistungsberechtigung dagegen der Inlandsaufenthalt maßgeblich ist. Diese Diskrepanz prägt das deutsche Sozialversicherungsrecht: während die Versicherungspflicht nach § 3 SGB IV an die lex loci laboris anknüpft, ist die Leistungsberechtigung unter Berufung auf das in § 30 I SGB I angeblich verankerte „Territorialprinzip“ grundsätzlich vom gewöhnlichen Inlandsaufenthalt abhängig. Staatsangehörigkeitsrechtlich neutral formuliert, wirkt sich die Unterscheidung zwischen § 3 I SGB IV für die Versicherungspflicht und § 30 I SGB I für die Leistungsberechtigung bei allen Personen aus, die grenzüberschreitende Lebensläufe haben. Dies kann Ausländer insbesondere nach Beendigung ihrer aktiven Erwerbsphase benachteiligen, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen.

255 256

Zu diesem haftungsrechtlichen Hintergrund Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 392. BT-Drs. 13/1204, S. 99.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

1. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und Sozialstaatsprinzip, Art. 20 I GG Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat dem Gesetzgeber in sozialrechtlichen Fragen einen erheblichen Gestaltungsspielraum zugestanden. Das in Art. 20, 28 GG verankerte Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat zwar, sozialpolitische Maßnahmen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit zu ergreifen und den Einzelnen insbesondere vor Armut zu schützen und ihm Sicherung in den Wechselfällen des Lebens zu gewähren.257 Konkrete Ansprüche oder gesetzessystematische Vorgaben erwachsen daraus freilich nicht. Vielmehr obliegt es dem Gesetzgeber, die gesellschaftlichen Wertvorstellungen, Normen und Anschauungen im einfachen Recht zu konkretisieren und umzusetzen.258 Es ist dem Gesetzgeber folglich nicht per se versagt, divergierende Anknüpfungsmerkmale zu etablieren. Die Differenzierung muss jedoch in sich schlüssig sein. Grundsätzlich muss den durch die Versicherungspflicht in die soziale Vorsorge einbezogenen Personen auch die Inanspruchnahme der Leistungen beim Eintritt eines sozialen Risikos offenstehen. Die Anknüpfungspunkte für Beitragserhebung und Leistungsberechtigung sollten daher übereinstimmen.259 Anderenfalls besteht einerseits entgegen dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Personen, die Beiträge einzahlen und daraus keine Leistungsberechtigung ableiten können, gegenüber denen, die (äquivalente) Leistungen der Sozialversicherung beziehen. Andererseits wird auch in die verfassungsrechtlich als Eigentum i.S.v. Art. 14 I GG geschützten Anwartschaften eingegriffen. Diese Prinzipien – Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistungen und Vertrauen in den Fortbestand und den Gehalt wohlerworbener Anwartschaften – prägen die Sozialversicherung und dürfen demzufolge durch einen Wechsel der Anknüpfungsmerkmale nicht inhaltsleer werden. 2. Wechsel der Anknüpfungsmerkmale als unzulässige Ungleichbehandlung nach Art. 3 I GG Das Auseinanderfallen der Anknüpfungsmerkmale benachteiligt die Personen, bei denen Wohn- und Aufenthaltsstaat nicht identisch sind. Ausländer sind von dieser Differenzierung stärker betroffen. Einerseits existieren – namentlich im Auslandsrentenrecht – Regelungen, die Deutschen und Unionsbürgern explizit eine bevorzugte Rechtsposition einräumen. Drittstaatsangehörige werden hier folglich unmittelbar benachteiligt. Die Regelungen wirken sich jedoch auch mittelbar nachteilig aus, ist bei Ausländern doch die Wahrscheinlichkeit höher, dass 257

Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 119 ff. St. Rspr. BVerfGE 27, 253 (282); 35, 202 (236); zuletzt BVerfGE 125, 175 (222); ebenso das BSGE 105, 279 (286 f.). Dazu auch Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 144. 259 BVerfG, NZA 2000, 391 (392); BSGE 104, 280 (282). 258

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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sie nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ihren Wohnsitz in ein anderes Land, nämlich ihr Herkunftsland, verlegen. Zwar sind auch im Sozialrecht spezifische Diskriminierungsverbote verankert (§§ 33c SGB I, 19a SGB IV, § 36 II SGB III). Diese untersagen jedwede Unterscheidung nach der „Rasse“ oder der ethnischen Herkunft bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte. Diese Normen richten sich jedoch an die Träger und Leistungserbringer und vermögen daher vom Gesetzgeber vorgesehene Ungleichbehandlungen nicht zu überwinden, stehen sie – wie beispielsweise § 33c S. 2 SGB I – doch ausdrücklich unter dem Vorbehalt materiellen Rechts. Die Diskriminierungsverbote sind daher nicht geeignet, Ansprüche für Migranten zu begründen, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat. a. Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung Begründet wird die Differenzierung mit der besonderen Verantwortung des Sozialstaats für die eigenen Staatsangehörigen unabhängig von ihrem Aufenthaltsort – „Nationalitätsprinzip“260 – sowie für die im Inland lebenden Personen.261 Aufgrund der solidarischen Verfassung und der beitragsbasierten Finanzierung der Sozialversicherung ist die Tragfähigkeit dieser Erwägungen jedoch problematisch. Die Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit des Versicherten läuft zwar nicht Art. 3 III GG zuwider. Indes verbietet Art. 3 I GG die Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte. Alle Versicherten zahlen Beiträge zur Finanzierung der sozialen Vorsorge. Diese sind abhängig vom Einkommen, orientieren sich also an der Leistungsfähigkeit der Versicherten, nicht an deren individuellen Risiko des Eintritts des Versicherungsfalls. Anders als in privatrechtlichen Versicherungsverhältnissen dienen die Beiträge nicht der individuellen Absicherung. Sie werden vielmehr zur Finanzierung der Leistungen verwendet, die für die aktuell von einem sozialen Risiko Betroffenen zu erbringen sind. Die Gesunden finanzieren damit die Leistungen der GKV für die Kranken, die Erwerbstätigen die Leistungen der Rentenversicherung für die Erwerbsgeminderten oder die aufgrund ihres Alters Inaktiven, die Beschäftigten die Leistungen der Arbeitslosenversicherung für die Arbeitslosen. Die „eigenen“ Beiträge kommen also nicht dem einzelnen Versicherten zugute. Indes erwachsen ihm aus der Beitragsentrichtung Anwartschaften, die ihm im Falle der Verwirklichung eines sozialen Risikos Ansprüche auf die Leistungen der Sozialversicherung vermitteln. Die Rechtsprechung hat aus diesem Finanzierungsmodus den Schluss gezogen, dass im Grunde Äquivalenz zwischen eingezahlten Beiträgen und zu gewährenden Leistungen bestehen muss.262 Die völlige Gleichwertigkeit zwischen Beiträgen und Leistungen ist in der Rentenversicherung jedoch nicht an260

So explizit BVerfGE 51, 1 (27). BVerfGE 51, 1 (27 f.); zustimmend BSGE 54, 97 (99). 262 BVerfGE 79, 87 (101); 90, 226 (240); 92, 53 (71 f.). Eingehend Ruland in Eichenhofer/ Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 9, Rn. 44 ff. 261

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gelegt und kann von dieser auch nicht gewährleistet werden: kein Rentenbezieher wird genau den Betrag als Rente erhalten, den er in Form von Beiträgen eingezahlt hat. Richtigerweise ist wohl eher die Adäquanz zwischen Beitrag und Leistung gemeint, um die Korrelation und das angemessene Verhältnis zwischen dem Aufwand des Versicherten und dem zu erwartenden Ertrag zu beschreiben. Das Willkürverbot des Art. 3 I GG wird daher verletzt, wenn einzelne Angehörige der Solidargemeinschaft in der Beitragsbemessung oder im Leistungsumfang anders behandelt werden, ohne dass sachliche oder teleologisch gebotene Gründe dies rechtfertigen. b. Auslandswohnsitz als Hindernis für die Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft? Die Tatsache, dass der Berechtigte seinen Wohnsitz im Ausland innehat, kann nicht den Ausschluss aus der Solidargemeinschaft der Versicherten, etwa mangels räumlicher Nähe herbeiführen. Anders als das Sozialhilferecht, welches ein menschenwürdiges Leben zu den Bedingungen der Inlandsgesellschaft ermöglichen soll, dient die Sozialversicherung – wie das BVerfG zu Recht herausstellt – der Statussicherung.263 Ihre Geldleistungen orientieren sich im Rentenrecht über den aktuellen Rentenwert (§ 68 I SGB VI) zwar tatsächlich an den im Inland geltenden Einkommensverhältnissen. Ebenso wesentlich bzw. in anderen Zweigen sogar allein maßgeblich ist aber die Orientierung der Leistungen am vormaligen Einkommen des Versicherten, der im Rentenrecht über die Entgeltpunkte (§ 70 SGB VI), im Arbeitsförderungsrecht über das Bemessungsentgelt (§ 131 SGB III) und im Krankenversicherungsrecht über das Regelentgelt (§ 47 I 1 SGB V) Rechnung getragen wird. Die Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft der Versicherten wird dementsprechend nicht an erster Stelle durch den Aufenthalt auf dem Bundesgebiet begründet. Entscheidend ist der finanzielle Beitrag, den der Versicherte leistet. Mit diesem unterstützt er in Zeiten eigener Erwerbsfähigkeit die Erwerbslosen, Erwerbsunfähigen, Erwerbsgeminderten oder aufgrund ihres Alters nicht Erwerbstätigen und erwirbt damit eigene Anwartschaften auf Leistungen. Es ist daher die an die Beschäftigung anknüpfende Versicherungspflicht und die wiederum daran gebundene Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen, welche den Zugang zur Solidargemeinschaft eröffnen. Werden Versicherte also zur Entrichtung von Beiträgen herangezogen, denen keine Leistungsansprüche gegenüber stehen, werden sie gegenüber den Versicherten benachteiligt, die äquivalente Leistungen erhalten. Art. 3 I GG wird verletzt.264 Das Gesetz selbst gibt keinerlei Hinweise auf ein „Nationalitätsprinzip“, das prägend für das Sozialversicherungsrecht als solches sein soll. Auch das BSG ist 263 BVerfGE 51, 1 (28) für die Leistungen der Rentenversicherung; BVerfGE 90, 226 (240) für die Leistungen der Arbeitslosenversicherung. 264 BVerfGE 92, 53 (71 f.).

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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einer Unterscheidung zwischen In- und Ausländern entgegengetreten. Für die Leistungsberechtigung komme es nicht auf den in §§ 3 ff. SGB IV angeblich verankerten „Territorialitätsgrundsatz“ an, sondern auf das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses.265 Eine Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern oder Personen mit In- oder Auslandswohnsitz, die in Deutschland versichert sind, ist daher grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen sind nur bei Vorliegen gewichtiger Gründen angezeigt.266 Im Hinblick auf die auf das Hoheitsgebiet eines Staates beschränkten Eingriffsbefugnisse der öffentlichen Gewalt mag das „Territorialitätsprinzip“ allenfalls für die Anknüpfung der Versicherungspflicht überzeugen, weil mit ihr eine Beschränkung der Handlungsfreiheit einhergeht, die nur bei Inlandsaufenthalt vollzogen werden kann.267 In der Leistungsverwaltung treten jedoch keine Kollisionen hoheitlicher Befugnisse verschiedener Staaten ein, wird mit der Auszahlung einer Geldleistung in das Ausland doch kein Rechtsakt erlassen. Zudem erfolgt das behördliche Handeln mit der Anweisung der Zahlung im Inland, lediglich deren Auswirkungen treten mit deren Gutschrift auf das Konto des Versicherten im Ausland ein. Für Sach- und Dienstleistungen ist der Inlandsbezug dagegen plausibler, sofern diese über vertragliche Systeme sichergestellt werden, die an besondere sozialversicherungsrechtliche Parameter – Wirtschaftlichkeit, Beitragssatzstabilität, Qualitätssicherung – gebunden sind. 3. Eigentumsschutz von Anwartschaften in der Sozialversicherung, Art. 14 I GG Dieser Befund entspricht auch der mit dem Begriff „Äquivalenzprinzip“ nur unzureichend umrissenen268 Regel, dass jeder, der aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder aus anderen gesetzlich normierten Gründen zu Beiträgen zur Sozialversicherung herangezogen wird, Leistungen erhalten muss. Hintergrund dieses Prinzips ist der verfassungsrechtliche Schutz der auf eigenen Beitragsleistungen beruhenden Anwartschaften als Eigentum i.S.v. Art. 14 I GG. Der Eigentumsschutz setzt weiterhin voraus, dass die durch die Beitragszahlung bedingten Leistungen der Sicherung der Existenz dienen. 269 Art. 14 I GG ist ein Menschenrecht; eine Differenzierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist darin nicht vorgesehen, so dass Eigentumspositionen von Deutschen und Ausländern grundsätzlich gleich zu behandeln sind.270 265 BSGE 31, 288 (290); 104, 280 (282 f.); BVerfG, NZA 2000, 391 (392), zustimmend Fuchs, SGb 2002, 111. 266 BVerfG, NZA 2000, 391 (392); BSGE 104, 280 (282). 267 Vgl. BVerfGE 75, 108 zur Verfassungsmäßigkeit der Künstlersozialversicherung. 268 Dazu Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 318. 269 St. Rspr. BVerfGE 53, 257 (289); 55, 114 (131); 58, 81 (109); 72, 9 (21); 74, 203 (214); 76, 220 (235); 90, 226 (236). 270 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 604.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

Der Eigentumsschutz besteht freilich nicht uneingeschränkt, sondern steht in seinem Gehalt unter dem Vorbehalt der einfachgesetzlichen Ausgestaltung, Art. 14 I 2 GG. Daher ist zu berücksichtigen, dass die Anwartschaften durch sozialrechtliche Ziele geprägt sind. Allein daraus bereits auf die generelle Zulässigkeit sozialrechtlicher Eigentumsschranken zu schließen, ist jedoch nicht zulässig – zumal Regelungen wie § 113 SGB VI keine generelle, sondern eine ausländerspezifische Eigentumsschranke beinhalten.271 Die im Sozialrecht gründenden Eigentumsschranken dürfen den Kern der Anwartschaftsrechte nicht beeinträchtigen. Sie müssen einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck verfolgen und verhältnismäßig sein.272 Im Rahmen dieser Abwägung hat der Gesetzgeber daher zu berücksichtigen, dass die Anwartschaften durch nicht unerhebliche eigene Leistungen der Versicherten erworben sind. Die Auffassung, die Anknüpfung der (vollumfänglichen) Leistungsberechtigung verstoße deshalb nicht gegen den Eigentumsschutz, weil der Erwerb sozialversicherungsrechtlicher Anwartschaften von Anfang an unter dem Vorbehalt des § 30 SGB I stehe,273 vermag nicht zu überzeugen. § 30 SGB I beinhaltet eine Kollisionsnorm, nicht aber eine Schranke des Grundrechts auf Eigentumsschutz nach Art. 14 I GG. Für Rentenanwartschaften hat das BVerfG vertreten, dass Differenzierungen in der Leistungsberechtigung durch die begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit der Träger und den Generationenvertrag zu rechtfertigen seien.274 Der Wert einer Anwartschaft bemesse sich nicht allein nach den geleisteten Beiträgen, sondern sei durch den Gedanken der Generationengerechtigkeit geprägt. Zwar mag der Generationenvertrag – ein Begriff, der sich vor allem auf das Umlageverfahren bezieht275 – auf die Solidarität der in der inländischen Gesellschaft lebenden Kohorten ausgerichtet sein. Dies erlaubt aber allenfalls eine Differenzierung bei der Leistungsgewährung zwischen In- und Auslandswohnsitz, nicht aber innerhalb dessen nach der Staatsangehörigkeit des Berechtigten.276 Auch der Aufenthaltsort des Beitragspflichtigen ist für seine Einbeziehung als Beitragszahler in das Umlagesystem irrelevant, solange eine Beschäftigung im Inland vorliegt. Aufenthaltsbezogene Differenzierungen bei der Leistungsgewährung sind daher schon aus diesem systematischen Grund abzulehnen. Der Leistungsfähigkeit der Träger wird überdies auf anderem Wege hinreichend Rechnung getragen. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Leistungsrecht vom Wirtschaftlichkeitsprinzip (§ 12 SGB V) sowie vom Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 271

Dazu Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 603 f. 272 Vgl. nur BVerfGE 58, 137 (148); 72, 9 (23). 273 Die Anwartschaften würden daher nur unter dem Vorbehalt erworben, dass sie lediglich im Inland ausgezahlt werden, Mutschler, SGb 2000, 110 (114). 274 BVerfGE 51, 1 (27 f.); zustimmend BSGE 54, 97 (99); Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 110, Rn. 11. 275 Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 318. 276 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 602.

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SGB V) geprägt. Ausgehend von einem für jeden Versicherten identischen Leistungskatalog sollen nur die Leistungen gewährt werden, die notwendig, ausreichend und zweckmäßig sind. Die Wirtschaftlichkeit ist im Einzelfall zu beurteilen, rechtfertigt jedoch nicht den Ausschluss ganzer Personengruppen aus der Leistungsberechtigung in der GKV. In der Rentenversicherung hat das Anliegen der nachhaltigen Finanzierbarkeit seinen Niederschlag in der Rentenformel gefunden, ist bei der Berechnung der Rente gemäß § 64 Nr. 3 SGB VI doch der aktuelle Rentenwert zu berücksichtigen. Dieser spiegelt die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung aus den durchschnittlichen Einkommen aller Versicherten wieder, § 68 I SGB VI. Der Erhalt der Finanzierbarkeit des Sozialversicherung ist zwar von erheblichem öffentlichen Interesse, darf aber nicht zu willkürlichen Ungleichbehandlungen zwischen einzelnen Versichertengruppen führen, die sich ebenso wie andere Gruppen durch die Entrichtung von Beiträgen an der Finanzierung der Versicherungsleistungen beteiligt haben. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG bildet folglich seinerseits eine Schranke für die Eigentumsbeschränkungen.

II. Primärrechtliche Vorgaben für Anknüpfungsmomente in der Sozialversicherung Die Entscheidung über materiell-rechtliche Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme treffen die Mitgliedstaaten selbst.277 Dies gilt für die Frage der Versicherungspflicht ebenso wie für das Leistungsrecht. Internationales Recht überlässt die Wahl der Anknüpfungspunkte also nationaler Rechtssetzung. Führt der Wechsel der Anknüpfungsmerkmale jedoch zu einer Benachteiligung von Personen mit grenzüberschreitenden Lebens- und Arbeitsbiografien, steht deren europarechtliche Zulässigkeit in Frage. Denn stimmen die Gründe, die zu einer Einbeziehung in den Kreis der Versicherungspflichtigen führen, nicht mit den Gründen der Leistungsberechtigung überein, kann die internationale Mobilität der Versicherten beeinträchtigt werden. Sie müssen sich, um ihre volle Berechtigung aufrecht zu erhalten, gegen einen Auslandsaufenthalt entscheiden oder anderenfalls Verluste im Versicherungsschutz hinnehmen.278 Vor dem Hintergrund des von der Freizügigkeit einerseits und dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit andererseits geprägten Europarechts, scheint die im deutschen Sozialrecht angelegte Differenzierung problematisch. Bei der Ausgestaltung ihrer Systeme sozialer Sicherheit sind die Mitgliedstaaten an das Primärrecht gebunden. Nationales Sozialrecht 277 EuGH, Slg. 1984, 523, Rn. 16 (Duphar); EuGH, Slg. 1997, I-3395, Rn. 27 (Sodemare); EuGH, Slg. 1980, 1445, Rn. 12 (Coonan); EuGH, Slg. 1991, I-4501, Rn. 15 (Paraschi); EuGH, Slg. 1997, I-511, Rn. 36 (Stöber und Piosa Pereira). 278 Fuchs, SGb 2002, 111 (112).

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darf daher keine Regelungen beinhalten, welche die Versicherten an der Wahrnehmung ihrer Grundfreiheiten hindern.279 Arbeitnehmer und Arbeitsuchende können folglich aus Art. 45 AEUV umfassende Gleichbehandlungsansprüche im Hinblick auf ihre Beschäftigung, Entlohnung und Arbeitsbedingungen herleiten, was deren gleichberechtigten Zugang zu Sozialleistungen einschließt. Damit soll und darf jedoch keine Harmonisierung des Sozialrechts innerhalb der Europäischen Union einhergehen, würde anderenfalls doch gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verstoßen. Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen müssen die Versicherten folglich als Preis ihrer Bewegungsfreiheit innerhalb der EU hinnehmen.280 Das Primärrecht selbst statuiert daher in Art. 48 AEUV, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch ein von Rat und Parlament zu beschließendes System sicherzustellen ist, überantwortet die Regelung der Anknüpfungskriterien also dem Sekundärrecht. Dieses System soll insbesondere die Zusammenrechnung von Zeiten für die Begründung und Aufrechterhaltung von Leistungsansprüchen und die Zahlung von Geldleistungen in alle Mitgliedstaaten ermöglichen. Diese Vorgaben sind Gegenstand des koordinierenden Sozialrechts, welches in der VO (EG) 883/2004 seine Ausprägung gefunden hat. Für die wirtschaftlich Inaktiven ist über Art. 21, 18 AEUV einer Beeinträchtigung ihrer Freizügigkeit entgegenzuwirken, die aus diskriminierenden Regelungen nationalen Sozialrechts herrühren, die ihre Teilhabe an sozialen Vergünstigungen in anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.281 Diese aus der primärrechtlichen Trias Unionsbürgerschaft – Freizügigkeit – Gleichbehandlung hergeleitete Teilhabe steht unter dem Vorbehalt primär- und sekundärrechtlicher Ausgestaltung, vgl. Art. 21 I AEUV („in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften“) sowie Art. 18 II AEUV. Die sozialversicherungsrechtliche Dimension der Unionsbürgerfreiheit ist ebenfalls von der VO (EG) 883/2004 erfasst, die sich in ihrem persönlichen Anwendungsbereich nicht auf wirtschaftlich Aktive beschränkt, sondern alle nach nationalem Recht Versicherten einbezieht, Art. 1 lit. c) VO (EG) 883/2004.

279

EuGH, Slg. 1998, I-1831, Rn. 23 (Decker); Slg. 1998, I-1931, Rn. 19 (Kohll). EuGH, Slg. 2002, I-2829, Rn. 50 ff. (Hervein); Slg. 2004, I-4981, Rn. 55 (Weigel); Slg. 2006, I-2369, Rn. 34 (Piatkowski); Slg. 2007, I-3505, Rn. 76 (Alevizos). 281 EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 63 (Martínez-Sala); Slg. 2001, I-6193, Rn. 33 (Grzelczyk); Slg. 2002, I-6191, Rn. 29 (D’Hoop); Slg. 2004, I-5763, Rn. 17 (Pusa). Dazu auch Epiney in Callies/Ruffert, Art. 12 EG, Rn. 15 ff; Rossi, EuR 200, 197 (203 ff.); kritisch Hailbronner, NJW 2004, 2185 (2188). 280

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III. Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit nach der VO (EG) 883/2004 Die VO (EG) 883/2004 beruht im Wesentlichen auf vier Säulen, die dem Verlust erworbener Ansprüche auf Leistungen sozialer Sicherheit entgegenwirken sollen: die einheitliche Bestimmung des zuständigen Staats, die Gleichbehandlung aller in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallenden Personen, die Suspendierung von Wohnortklauseln sowie die Berücksichtigung von Ereignissen, Umständen und Versicherungs- oder Wartezeiten, die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegt worden sind. 1. Anspruch auf Inländergleichbehandlung nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 Das koordinierende Sozialrecht konkretisiert die primärrechtlichen Gleichbehandlungsansprüche aus Art. 45 II, 18, 20 AEUV.282 Art. 4 VO (EG) 883/2004 gewährt allen Personen, für die diese Verordnung gilt, ein Recht auf Inländergleichbehandlung. Wenn sie sich in einem Mitgliedstaat aufhalten, sind sie folglich so zu behandeln, als seien sie Angehörige dieses Staates. Dies gilt nicht nur für Unionsbürger, sondern auch für die von einem Mitgliedstaat aufgenommenen Flüchtlinge283 und Staatenlosen sowie deren Familienangehörige284, vgl. Art. 2 I VO (EG) 883/2004. Aufgrund von Art. 1 VO (EU) 1231/2010 sind zudem alle sich legal in der EU aufhaltenden Drittstaatsangehörigen und deren Familienangehörigen einbezogen, sofern sie einen die Binnengrenzen überschreitenden Sachverhalt erfüllen. Erforderlich ist aber, dass die betreffende Person bereits in das soziale Sicherungssystem eines Mitgliedstaats eingegliedert ist, um europaweit von der Gleichbehandlung im Rahmen der Koordinierungsverordnung zu profitieren. Koordination begründet also keine eigenen Rechte, sondern transportiert lediglich den Versichertenstatus in alle Mitgliedstaaten. a. Materieller Gehalt des Gleichbehandlungsanspruchs Maßgeblich für den materiellen Inhalt des Gleichbehandlungsgebots ist allein das nationale Recht des Aufenthaltsstaats. Die Gleichbehandlungsklausel vermittelt keinen Anspruch auf „Mitnahme“ der im nationalen Recht des Herkunftslands vorgesehenen Rechte und Ansprüche in dem Sinne, dass ein Wechsel des Aufenthaltsstaats im Hinblick auf die soziale Sicherung neutral sei muss. Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen werden durch Art. 4

282 Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 4 VO 883/04, Rn. 3; Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 4 VO (EG) 883/2004, Rn. 4. 283 EuGH, Slg. 2001, I-7413, Rn. 39 (Khalilu.a.). 284 EuGH, Slg. 1996, I-2097, Rn. 21 (Cabanis-Issarte).

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VO (EG) 883/2004 nicht tangiert 285 – es sei denn, diese verfolgen das Ziel, Angehörige anderer Staaten gegenüber eigenen Staatsangehörigen zu benachteiligen.286 Der Anspruch auf Inländergleichbehandlung enthält das Verbot jedweder Differenzierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Als absoluter Anspruch formuliert, ist eine Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe zu rechtfertigen. Das Verbot gilt nicht nur für unmittelbare, d.h. explizit an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlungen. Auch mittelbare Differenzierungen sind nicht erlaubt. Solche liegen vor, wenn das nationale Recht Rechtsfolgen an bestimmte Umstände und Sachverhalte knüpft, die sich für Personen anderer Staatsangehörigkeit nachteilig auswirken, 287 weil sie diese häufiger betreffen288 oder weil sie deren Voraussetzungen nicht so leicht wie Inländer erfüllen können.289 Eine mittelbare Diskriminierung liegt nur dann nicht vor, wenn solche Normen von objektiven Erwägungen getragen sind, die ihrerseits keinen Bezug zur Staatsangehörigkeit des Versicherten haben und die Verhältnismäßigkeit zwischen dem verfolgten Zweck und der dazu etablierten Norm gewahrt ist.290 Typischerweise resultieren solche mittelbaren Diskriminierungen im Recht der sozialen Sicherheit daraus, dass die Entstehung von Ansprüchen von Umständen abhängig ist, die sich im Inland ereignet haben. Solche Voraussetzungen sind von Personen mit internationalen (Erwerbs)Biografien schwerer zu erfüllen als von Personen, die den zuständigen Staat nie verlassen haben. Da die Gleichstellung derartiger Umstände und Sachverhalte nunmehr als gesonderter Tatbestand Eingang in Art. 5 VO (EG) 883/2004 gefunden hat, verbleibt im Rahmen von Art. 4 VO (EG) 883/2004 kein nennenswerter Anwendungsbereich für mittelbare Diskriminierungen.291 b. Weltweite Geltung der Inländergleichbehandlung Eine Lücke im Gleichbehandlungsanspruch ergibt sich für Drittstaatsangehörige daraus, dass dieser nur für die Zeit ihres Aufenthalts in der EU gilt. Verlässt ein Versicherter, der nicht Unionsbürger ist, die Europäische Union, kann 285 Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 4 VO 883/04, Rn. 4; Hauschild, jurisPK SGB I, Art. 4 VO (EG) 883/2004, Rn. 15. 286 Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 4 VO (EG) 883/2004, Rn. 9. Vgl. auch EuGH, Slg. 1980, 1445, Rn. 12 (Coonan). 287 EuGH, Slg. 1990, I-1779, Rn. 14 (Biehl); Slg. 1992, I-249, Rn. 9 (Bachmann). 288 EuGH, Slg. 1986, 1, Rn. 24 (Pinna I); Slg. 1989, 1591, Rn. 12 (Allué); Slg. 1992, I-5785, Rn. 42 (Kommission / Vereinigtes Königreich); Slg. 1993, I-5185, Rn. 18 (Spotti). 289 EuGH, Slg. 1991, I-4501, Rn. 23 (Paraschi). 290 EuGH, Slg. 1979, 2645, Rn. 12 ff. (Toia); Slg. 1989, 1591, Rn. 15 (Allué); Slg. 1996, I-2617, Rn. 18 (O’Flynn); Slg. 1997,I-3659, Rn. 32 (Mora Romero); Slg. 1997, I-6708, Rn. 45 (Meints); Slg. 2000, I-7293, Rn. 25 f. (Borawitz); Slg. 2007, I-563, Rn. 25 (Celozzi). 291 Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 4 VO (EG) 883/2004, Rn. 15. Unter Geltung der Vorgängerverordnung VO (EWG) 1408/71 war die Tatbestandsgleichstellung dagegen noch aus dem Gleichbehandlungsgebot herzuleiten.

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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er aus der Koordinierungsverordnung kein Recht auf Mitnahme seiner Gleichbehandlungsansprüche herleiten. Dies folgt aus Art. 1 VO (EU) 1231/2010, wonach Drittstaater nur in das koordinierende Sozialrecht einbezogen sind, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben. Auch die Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG bewirkt keine Ausdehnung der Koordinierungsvorschriften über das Gebiet der EU hinaus. Nach Art. 11 I RL 2003/109/EG haben daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zwar einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung sowohl für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und damit die Begründung sozialversicherungsrechtlichen Schutzes (lit. a). Gleiches gilt für die soziale Sicherheit (lit. d). Für diese ist der nationale Gesetzgeber in Art. 11 II RL 2003/109/EG jedoch berechtigt, die Gleichbehandlung an den Inlandsaufenthalt zu koppeln. Das Sekundärrecht stellt Drittstaatsangehörige daher nicht in vollem Umfang den Unionsbürgern gleich. Denn diese können anders als jene unmittelbar aus der VO (EG) 883/2004 von weltweiter Gleichbehandlung profitieren. Das Gleichbehandlungsgebot gilt unabhängig vom Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts.292 Für eine arbeitsrechtliche Gleichbehandlung im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen hat der EuGH entschieden, dass es entscheidend auf die Ausübung einer Beschäftigung ankommt, die in hinreichendem Bezug zum Recht eines Mitgliedstaats steht. Dies kann bei einer Erwerbstätigkeit in einem Drittstaat beispielsweise darauf beruhen, dass der Arbeitsvertrag nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats abgeschlossen worden ist. Gleichbehandlung im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen sei daher auch den Unionsbürgern zu gewährleisten, die nicht diesem Mitgliedstaat angehören und zwar unabhängig davon, dass der Beschäftigungsort in einem Drittstaat belegen ist.293 Die weltweite Gleichbehandlung im Hinblick auf die Leistungen der Sozialversicherung ist in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen an das nationale Recht des Mitgliedstaats gebunden, unter dem ein Versicherter Anwartschaften auf Leistungen der Sozialversicherung erworben hat. Sieht das nationale Recht eines Mitgliedstaats – beispielsweise weil dieser ein bi- oder multilaterales Abkommen mit einem Drittstaat geschlossen hat – die Berücksichtigung von Zeiten und Umständen vor, die sich in Drittstaaten ereignet haben bzw. ordnet das nationale Recht den weltweiten Leistungsexport an, kann dies nicht nur für die Angehörigen der Vertragsstaaten gelten, sondern für jeden (Unionsbürger), der unter dem Recht dieses Staates Anwartschaften auf Leistungen der Sozialversicherung erworben hat. Das „Territorialprinzip“ wird damit von der klassischen staatenbezogenen Ebene auf die supranationale Ebene ausgedehnt. 292 Jorens/van Overmeiren in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 126; Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 4 VO 883/04, Rn. 5 sowie Art. 7 VO 883/04, Rn. 13; Hauschild in jurisPK-SGB I, Art. 4 VO (EG) 883/2004, Rn. 10. 293 EuGH, Slg. 1984, 3153, Rn. 6 (Prodest); Slg. 1989, 2989, Rn. 15 (Lopes da Veiga); Slg. 1994, I-2991, Rn. 14 (Aldewereld); Slg. 1996, I-2253, Rn. 15 (Boukhalfa).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

2. Aufhebung von Wohnsitzklauseln durch Art. 7 VO (EG) 883/2004 Zwar soll das koordinierende Sozialrecht lediglich die Verflechtung der eigenständig ausgestalteten nationalen Sicherungssysteme ermöglichen. Gleichwohl wirkt es in einzelnen Aspekten harmonisierend in dem Sinne, dass bestimmte Normen des nationalen Rechts unanwendbar werden, die eigentlich dazu dienen, die Territorialität sozialer Sicherung zu gewährleisten. Dies gilt namentlich für die Wohnsitzklauseln, die nach dem SGB ein Ruhen der Ansprüche vorsehen, wenn und solange sich der Berechtigte außerhalb des zuständigen Staats aufhält. Art. 7 VO (EG) 883/2004 hebt solche Anordnungen in Bezug auf Geldleistungen auf und verbietet deren Kürzung, Änderung, Ruhen, Entzug oder Beschlagnahme, wenn der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Folge ist ein uneingeschränktes Exportgebot: der zuständige Träger ist verpflichtet, alle Geldleistungen in voller Höhe ins EU-Ausland zu transferieren.294 Dabei kommt es nicht darauf an, wann der Berechtigte seinen Wohnsitz aus dem zuständigen Staat heraus verlegt. Es genügt, wenn er dies nach seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben tut, selbst wenn er dieses ausschließlich in ein und demselben Mitgliedstaat verbracht hat.295 Art. 7 VO (EG) 883/2004 erweitert den territorialen Bezug der Leistungsberechtigung daher auf das gesamte Unionsgebiet. Unabhängig davon ist es den Mitgliedstaaten aber unbenommen, Leistungen darüber hinaus in Drittstaaten zu exportieren. a. Bindung an das wirtschaftliche und soziale Umfeld Die europaweite Auszahlung von Leistungen ist im Primärrecht als wesentliche Säule der Koordinierung angelegt, vgl. Art. 48 I lit. b.) AEUV. Ausnahmen, auch wenn sie in der Koordinierungsverordnung festgelegt sind, bedürften vor diesem primärrechtlichen Hintergrund daher der Rechtfertigung.296 Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur zulässig, wenn die in Rede stehenden Leistungen so eng an das „wirtschaftliche und soziale Umfeld“ des zuständigen Staates gebunden sind, dass die Etablierung einer Wohnsitzklausel gerechtfertigt ist.297 Typischerweise sind die Leistungen der Sozialversicherung in ihrer Höhe nicht vom wirtschaftlichen und sozialen Umfeld abhängig. Sie dienen der Statussicherung und weisen daher einen Bezug zum früheren Einkommen des Berechtigten auf.298 Eine Ausnahme bilden die besonderen beitragsunabhängigen 294

Becker, VSSR 2000, 221 (235). Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 7 VO 883/04, Rn. 1. 296 Devetzi, ZESAR 2009, 63 (65). 297 EuGH, Slg. 1988, 5391, Rn. 16 (Lenoir); Slg. 1997, I-6057, Rn. 42 (Snares); Slg. 2006, I-6249, Rn. 33 (Kersbergen-Lap). 298 Daher sind auch Leistungen der deutschen Rentenversicherung, die auf Beitragszei295

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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Geldleistungen, Art. 3 III, 70 VO (EG) 883/2004. Sie weisen sowohl Elemente der Sozialversicherung als auch der Fürsorge auf. Einerseits werden sie nicht zum Zwecke der Armutssicherung, sondern anlässlich der Verwirklichung eines der in Art. 3 I VO (EG) 883/2004 enumerierten sozialen Risikos gewährt. Sie sollen dem Berechtigten jedoch lediglich eine Mindestsicherung gewährleisten, die gemäß Art. 70 II lit. a) i) VO (EG) 883/2004 „in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht.“ Für diese Leistungen ist in der Koordinierungsverordnung selbst angeordnet, dass diese nicht zu exportieren sind. Ihre Erbringung ist nach Art. 70 IV VO (EG) 883/2004 an den Wohnsitz im zuständigen Staat gebunden.299 Die Bindung an das Umfeld des zuständigen Staates lässt sich bei anderen als diesen Leistungen jedenfalls nicht aus praktischen Erwägungen herleiten. Insbesondere lassen Schwierigkeiten bei der Berechnung der Leistung – etwa wenn Leistungen in mehreren Mitgliedstaaten bezogen werden – nicht den Schluss auf deren Bindung an den Wohnsitz des Berechtigten im zuständigen Staat zu.300 Auch historische Gründe vermögen nicht die Bindung an das wirtschaftliche und soziale Umfeld des zuständigen Staates zu begründen. Daher sind auch die auf dem Entschädigungsgedanken beruhenden Leistungen nach dem FRG zu exportieren. Das FRG fingiert die Zurücklegung von Beitragszeiten in der Bundesrepublik, auch wenn tatsächlich keine Beiträge entrichtet worden sind. Die Fiktion der Beitragsentrichtung genügt jedoch, um sie als Leistungen der sozialen Sicherheit zu qualifizieren, die nicht der Integration in das soziale Umfeld der Bundesrepublik dienen. Vielmehr sollen Verluste kompensiert werden, die aus dem kriegs- bzw. vertreibungsbedingten Unvermögen eigener Beitragsleistungen resultieren, um den vom FRG erfassten Personen eine Alterssicherung zu gewähren. Ihre Gewährung an einen Inlandswohnsitz zu binden, ist folglich unzulässig.301 b. Geldleistungen als Sachleistungssurrogat am Beispiel der Pflegeversicherung Eine Bindung an das Umfeld des zuständigen Staats könnte sich ferner aus einer Gesamtbetrachtung ergeben, beispielsweise wenn die Geldleistung Surrogat für eine Sachleistung ist. Dies ist für das Pflegegeld nach §§ 37, 38 SGB XI diskutiert worden. Gemäß § 37 I 2 SGB XI soll der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die Grundpflege und seine hauswirtschaftliche Versorgung sicherstellen. Dies deutet darauf hin, dass das Pflegegeld lediglich ein Ersatz für die eigentlich als Sachten in den ehemaligen Reichsgebieten beruhen, zu exportieren EuGH, Slg. 2007, I-11895, Rn. 82 (Habelt) mit Anm. Bourauel/Petersen, RV aktuell 2008, 352 (354). 299 Ausführlich Verschuren in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 244 ff. 300 EuGH, Slg. 1991,I-1119, Rn. 24 (Masgio). 301 EuGH, Slg. 2007, I-11895, Rn. 109 ff. (Wachter); kritisch Bourauel/Petersen, RV aktuell 2008, 352 (355 f.).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

leistung zu gewährende Pflege ist.302 Dagegen spricht jedoch, dass das Pflegegeld nicht vom Wert der selbst beschafften Pflegesachleistungen abhängig ist. 303 Der Versicherte muss zudem nicht nachweisen, wie er die Geldleistung verwendet hat.304 Der EuGH hat das Pflegegeld daher als Geldleistung bei Krankheit qualifiziert, die uneingeschränkt der Koordinierung unterliegt.305 Die rechtliche Einordnung der Aufwendungen für die Alterssicherung der Pflegekräfte war ebenfalls lange umstritten. § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI bezieht die nichtgewerbsmäßig tätigen Pflegepersonen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Die Beiträge werden gemäß § 44 SGB XI, §§ 166 II, 170 I Nr. 6a SGB VI von den Pflegekassen getragen. Einerseits werden diese aus den Mitteln der Pflegeversicherung finanziert und sind auch organisatorisch durch die Leistungspflicht der Pflegekassen diesem Versicherungszweig zugeordnet. Andererseits zielt sie darauf ab, die Pflegeperson vor Einbußen in der Altersvorsorge zu schützen.306 Die Leistung mehrt also die Beitragszeiten und Entgeltpunkte der Pflegekraft in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der EuGH hat ungeachtet dieser Folge den Bezug der Beitragsleistungen zur Zahlung von Pflegegeld an den Pflegebedürftigen als wesentliches Abgrenzungsmoment qualifiziert. Aufgrund der strikten Akzessorietät zu den Kernleistungen der Pflegeversicherung sei daher auch die Zahlung der Beiträge zur Alterssicherung für die Pflegeperson eine Leistung bei Krankheit i.S.v. Art. 3 I lit. a) VO (EG) 883/2004.307 Dies hat zur Folge, dass die Beitragszahlung nicht vom Inlandswohnsitz der Pflegekraft abhängig gemacht werden kann. Art. 5 VO (EG) 883/2004 ordnet die Gleichstellung aller sozialversicherungsrechtlich relevanter Tatbestände an, so dass der Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat dem Wohnsitz im zuständigen Staat rechtlich äquivalent ist. Diese Konsequenz überzeugt, verbietet doch bereits das Primärrecht in Art. 18 AEUV jede ungerechtfertigte Differenzierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Wohnsitzklauseln sind geeignet, andere Staatsangehörige zu benachteiligen, die ihren Aufenthalt nicht in den zuständigen Staat verlegen. Erbringen sie Leistungen im Inland – hier: Pflege eines Pflegebedürftigen – ist kein Grund ersichtlich, der die Verweigerung der gesetzlich angeordneten „Gegenleistung“ für die Pflegetätigkeit rechtfertigen könnte. Die Beiträge zur Altersvorsorge sind aber auch bei Auslandswohnsitz der Pflegekraft nicht in die Rentenkasse des Aufenthaltsstaates zu „exportieren“. Es bleibt bei der in § 3 S. 1 302

Leitherer in KassKomm, § 37 SGB XI, Rn. 14. Das Pflegegeld wird daher auch als „partielles Sachleistungssurrogat“ bezeichnet, Schulin, NZS 1994, 433 (441). 304 Linke in Krauskopf, § 37 SGB XI, Rn. 12. 305 EuGH, Slg. 1998, I-843, Rn. 36 (Molenaar); EuGH, Slg. 2006, I-5341, Rn. 32 (Acereda Herrera); EuGH, Slg. 2001, I-1901, Rn. 25 (Jauch); EuGH, Slg. 2006, I-1771, Rn. 44 (Hosse). Dazu Eichenhofer, NZA 1998, 742, 743; Gassner, NZS 1998, 313, 316 f. 306 Eichenhofer, ZESAR 2005, 397 (398). 307 EuGH, Slg. 2004, I-6483, Rn. 27 (Gaumain-Cerri und Barth). 303

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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Nr. 1a SGB VI angeordneten Rechtsfolge, dass die Pflegekraft in der deutschen Rentenversicherung pflichtversichert ist.308 c. Kontrolle der Leistungsvoraussetzungen am Beispiel der Arbeitslosenversicherung Eine weitere Ausnahme vom Exportgebot hat der EuGH für die Fälle zugelassen, in denen die Gewährung der Leistungen von Umständen abhängig ist, die der Kontrolle durch den zuständigen Träger bedürfen. Dies gilt namentlich für die Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Das Arbeitslosengeld setzt nach § 119 SGB III voraus, dass der Arbeitslose fähig und bereit ist, eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Zu diesem Zweck hat er hinreichende Eigenbemühungen nachzuweisen. Dieser Nachweis ist faktisch nur schwer zu erbringen, wenn sie der Leistungsberechtigte in einem anderen Staat aufhält und damit für den zuständigen Träger nicht erreichbar ist. Wohnsitzklauseln sind vor diesem Hintergrund jedoch strikt an das Bedürfnis der Kontrolle des Verhaltens der Leistungsempfänger oder die Veränderung von Umständen während des Leistungsbezugs gebunden. Zudem muss die Überprüfung derartiger Umstände persönliche Kontrollen erfordern, so dass dieser nicht durch die Vorlage von Dokumenten oder Bescheinigungen309 oder dadurch genügt werden kann, dass sich der Berechtigte zu diesem Zweck vorübergehend in den zuständigen Staat begibt.310 Notwendig ist ferner ein Zusammenhang zwischen dem zu überprüfenden Umstand und dem Inlandsaufenthalt.311 Die Prüfung von Anspruchsvoraussetzungen im engeren Sinne, die den Leistungsbezug erst auslösen, etwa die Feststellung der Unfreiwilligkeit der Beschäftigungslosigkeit, können auch bei einem Auslandswohnsitz des Berechtigten getroffen werden und rechtfertigen eine Wohnsitzklausel daher nicht.312 Das koordinierende Sozialrecht trägt diesen besonderen Gegebenheiten der Leistungen an Arbeitslose Rechnung, stellt aber zugleich die Bewegungsfreiheit Beschäftigungssuchender über das grenznahe Ausland hinaus sicher. Gemäß Art. 63 VO (EG) 883/2004 ist Art. 7 VO (EG) 883/2004 nur im Rahmen der von Art. 64, 65 VO (EG) 883/2004 geregelten Fallgestaltungen anwendbar. Diese Normen erhalten einerseits die Zuständigkeit des Staats der letzten Beschäftigung für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit aufrecht.313 Sie sind insofern deckungsgleich mit der Anordnung in Art. 11 II VO (EG) 883/2004, wo308

Eichenhofer, ZESAR 2005, 397 (399); Lenze, ZESAR 2008, 373, 376. EuGH, Slg. 2006, I-6947, Rn. 45 (de Cuyper) zur Notwendigkeit unerwarteter persönlicher Kontrollen zur Überprüfung der familiären Situation bzw. verdeckter Einkünfte. 310 EuGH, Slg. 2008, I-6989, Rn. 62 (Petersen). 311 EuGH, Slg. 2001, I-7625, Rn. 19 ff. (Stallone) zur fehlenden Notwendigkeit des Inlandsaufenthalts, um die Gewährung von Unterhalt an die Angehörigen zu überprüfen. 312 EuGH, Slg. 1997 I-6689, Rn. 48 (Meints). 313 Fuchs, SGb 2002, 111 (112). 309

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

nach bei Arbeitslosen der Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses fingiert und damit die lex loci laboris zur Anwendung gebracht wird. Beschäftigungssuche in einem anderen Mitgliedstaat. Art. 64 I VO (EG) 883/2004 ermöglicht die Beschäftigungssuche in anderen Mitgliedstaaten, findet aber einen Kompromiss, um den zuständigen Trägern den Nachweis der Verfügbarkeit zu erleichtern. Der Anspruch auf Geldleistungen bei Arbeitslosigkeit bleibt für die Dauer von drei Monaten aufrechterhalten (lit. c). Die Leistungen sind daher auf Rechnung des zuständigen Trägers und nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften zu bemessen und ins Ausland zu exportieren. Dies setzt voraus, dass der Arbeitslose alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und dem zuständigen Träger für mindestens vier Wochen zur Verfügung gestanden hat (lit. a). Ferner ist der Arbeitslose verpflichtet, sich binnen sieben Tagen bei der Arbeitsverwaltung des Aufenthaltsstaats zu melden und sich deren Kontrollmechanismen zu unterwerfen (lit. b). Die vierwöchige Wartezeit dient der Feststellung der Leistungsvoraussetzungen durch den zuständigen Träger. Die Arbeitssuche im EU-Ausland soll daher erst beginnen, wenn der zuständige Träger selbst dem Arbeitslosen keine Beschäftigung nachweisen konnte.314 Der Arbeitsuchende muss seine Beschäftigungssuche im Aufenthaltsstaat fortsetzen und für den dortigen Träger verfügbar sein. Maßstab für die Bewertung seiner Verfügbarkeit ist dann allein das nationale Recht des Aufenthaltsstaates. Etwaige Unterschiede sollen durch die Verordnung nicht tangiert werden, wäre doch eine effiziente Kontrolle durch den Träger des Aufenthaltsorts nicht möglich, wenn dieser fremdes Recht anzuwenden hätte.315 Die Verfügbarkeit im Aufenthaltsstaat bewirkt also eine Fiktion der Verfügbarkeit im zuständigen Staat, aus der sich die Leistungsberechtigung trotz des Auslandsaufenthalts begründet.316 Die Befristung der Exportpflicht hat zur Folge, dass der Berechtigte seinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit verliert, wenn er nach Ablauf der drei- bzw. sechsmonatigen Frist nicht in den Staat seiner letzten Beschäftigung zurückkehrt. Dies gilt selbst in den Fällen, in denen der Arbeitsuchende – wenn auch verspätet – dem zuständigen Träger wieder zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Vor dem Hintergrund der eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaften auf die Leistungen der Sozialversicherung scheint diese Rechtsfolge bedenklich, stehen den Beitragsleistungen des Arbeitslosen in diesem Fall doch keine korrespondierenden Leistungen mehr gegenüber. Das BSG hat gleichwohl einen Verstoß gegen Art. 14 I GG317 abgelehnt. Die Regelungen der Koordinierungsverordnung beschränkten die Ansprüche Arbeitsuchender nicht, sondern 314 315 316 317

9 (21).

EuGH, Slg. 2002, I-1817, Rn. 30 (Rydergård). Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 883/04, Rn. 27. Kador in jurisPK-SGB I, Art. 64 VO (EG) 883/2004, Rn. 24. Auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld unterliegt Art. 14 I GG, vgl. BVerfGE 72,

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führten insgesamt zu einer Erweiterung ihrer Leistungsberechtigung, indem sie ihnen die Möglichkeit der Beschäftigungssuche im Ausland eröffnen. Nehme ein Arbeitsuchender eine solche Vergünstigung in Anspruch, müsse er sich an deren Voraussetzungen halten. Der Verlust der Ansprüche beruhe auf einem Fehlverhalten des Arbeitsuchenden und könne durch fristgerechte Rückkehr in den zuständigen Staat leicht vermieden werden. 318 Der EuGH teilt diese Auffassung. Das koordinierende Sozialrecht beinhalte eine Begünstigung, indem es den Begriff der Verfügbarkeit ausdehne und trage auf diese Weise der Arbeitnehmerfreizügigkeit Rechnung. Das Primärrecht gebiete es jedoch nicht, Begünstigungen zeitlich unbefristet und voraussetzungslos zu gewähren.319 Dies überzeugt, sofern man die Chancen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt in diesem Staat als erfolgversprechender als in anderen Staaten erachtet, in denen der Betreffende keine Berufserfahrungen gesammelt hat und zu dem möglicherweise weniger enge persönliche Bindungen bestehen.320 Nachteilige Auswirkungen zeitigt die Norm jedoch für Rückkehrer, die zum Zwecke der Beschäftigung ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat genommen hatten und nach Eintritt der Arbeitslosigkeit in ihren Herkunftsstaat zurückkehren wollen. Diese machen faktisch den größten Anteil der Personen aus, die von der Exportmöglichkeit des Art. 64 VO (EG) 883/2004 Gebrauch machen.321 Das Primärrecht, namentlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 AEUV stellt es auch Arbeitsuchenden frei, in welchem Mitgliedstaat sie ihren Aufenthalt nehmen wollen. Art. 64 VO (EG) 883/2004 zwingt sie demgegenüber um der Aufrechterhaltung ihrer Ansprüche willen zur Rückkehr in den Staat der letzten Beschäftigung. Auch Art. 48 I lit. b) AEUV – die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Koordinierungsverordnung – sieht, ohne dass Einschränkungen darin angelegt sind, die Auszahlung von Leistungen an Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat vor.322 Indes soll das koordinierende Sozialrecht nicht zu unbeschränkter und grenzenloser Freizügigkeit führen. Art. 45 III AEUV statuiert selbst einen Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Besonderheiten der Leistungen bei Arbeitslosigkeit ist die Befristung des Leistungsexports gerechtfertigt. Art. 64 VO (EG) 883/2004 erweitert den Radius, in dem der Arbeitsuchende eine Beschäftigung suchen kann. Dabei verbleibt es bei der Zuständigkeit des Trägers im Staat der letzten Beschäftigung.323 Leistungen bei Arbeitslosigkeit stehen ty318

BSG, SozR 6050 Art. 69 Nr. 5. Rn. 24. EuGH, Slg. 1980, 1979, Rn. 14 (Testa, Maggio und Vitale); bestätigt in Slg. 1992, I-2737, Rn. 10 (Gray). 320 EuGH, Slg. 1976, 1901, Rn. 12/15 (Mouthaan); Slg. 1986, 1837, Rn. 20 (Miethe). Zweifelnd Pennings in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 272. 321 Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 883/04, Rn. 7. 322 Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 883/04, Rn. 47 folgert daraus die Primärrechtswidrigkeit. 323 EuGH, Slg. 1985, 801, Rn. 14 (Cochet); Slg. 1997, I-1409, Rn. 21 (Huijbrechts). 319

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pischerweise – anders als beispielsweise die Altersrenten – in einer Art Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Beschäftigungslose ist verpflichtet, alle zumutbaren Mittel zu ergreifen, um den Leistungsbezug zu beenden. Sind die Beschäftigungschancen im Aufenthaltsstaat realistisch, bietet Art. 64 I lit. c) VO (EG) 883/2004 die Möglichkeit zur Verlängerung des Dreimonatszeitraums auf sechs Monate. Besteht eine solche Erfolgsaussicht, wird der zuständige Träger die Fristverlängerung nicht ablehnen, ist die Beendigung der Beschäftigungslosigkeit doch auch in seinem eigenen Interesse. Besteht sie nicht, wird der Anspruch auf Arbeitslosengeld nur bei Rückkehr in den zuständigen Staat aufrecht erhalten. Art. 45 III lit. a) AEUV gewährt das Recht auf Stellensuche in anderen Mitgliedstaaten und vermittelt Arbeitsuchenden in lit. b) ein entsprechendes Aufenthaltsrecht. Daraus einen Anspruch auf uneingeschränkten Leistungsexport zu folgern,324 ist indes nicht angezeigt, steht doch insbesondere das Aufenthaltsrecht des Arbeitsuchenden unter dem Vorbehalt der Erfolgsaussichten der Arbeitsuche. Zumindest sind die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht verpflichtet, Arbeitsuchenden aus anderen Mitgliedstaaten unbefristet Aufenthalt zu gewähren, wenn diese keine hinreichenden Erfolge verspricht.325 Dies bestätigen die aufenthaltsrechtlichen Regelungen des Sekundärrechts: Art. 14 IV RL 2004/38/EG statuiert das Verbot der Ausweisung von Arbeitsuchenden für den Fall, dass diese eine begründete Aussicht auf Eingehung eines Beschäftigungsverhältnisses haben. Die vom EuGH als zulässig erachtete Frist beläuft sich auf ca. sechs Monate.326 Insoweit sind Aufenthaltsrecht und koordinierendes Sozialrecht deckungsgleich. Dies entspricht auch dem öffentlichen Interesse an einer Kontrolle des Fortbestands der Leistungsvoraussetzungen. Der zuständige Träger muss sicherstellen können, dass die Beschäftigungssuche tatsächlich nachhaltig betrieben wird. Zeitigt die Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat keinen Erfolg, ist es daher gerechtfertigt, dass sich der Arbeitsuchende wieder der unmittelbaren Kontrolle des zuständigen Trägers unterwerfen muss.327 Dieser kann gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit ergreifen, die über die bloße Vermittlung hinausgehen. Der Träger des Aufenthaltsortes ist nach Maßgabe des Art. 55 III, IV VO (EG) 987/2009 auch zu keiner konkreten Vermittlungstätigkeit verpflichtet. Er hat den Arbeitslosen lediglich über seine Pflichten aufzuklären und dem zuständigen Staat auf Ersuchen Informationen über Umstände zu übermitteln, die die Anspruchsvoraussetzungen tangieren. 328 Der Aufenthalt im zustän324

Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 271. EuGH, Slg. 1991, I-745, Rn. 21 (Antonissen); Slg. 1993, I-2925, Rn. 13 (Tsiotras); Slg. 1997, I-1035, Rn. 17 (Kommission/Belgien); Slg. 2004, I-2703, Rn. 37 (Collins). 326 Vgl. nur EuGH, Slg. 1991, I-745, Rn. 21 (Antonissen). 327 Diese Kontrollmöglichkeit betont auch Pennings in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 286. 328 A.A. offenbar Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 325

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digen Staat vermag den Arbeitslosen daher nachhaltiger in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Unbilligen Ergebnissen wird durch eine restriktive Handhabung der Rückkehrklausel Rechnung getragen: der Leistungsausschluss tritt nur ein, wenn der Versicherte die verspätete Rückkehr zu vertreten hat.329 Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit verfolgen das übergeordnete Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Sicherung der Bewegungsfreiheit unter Wahrung des im Erwerbsleben innegehabten Status im Sinne einer „Rückkehrhilfe für Remigranten“330 ist dagegen nicht Gegenstand und Ziel dieser Leistungen.331 Wohnsitz außerhalb des zuständigen Staats. Für Grenzgänger – Personen, bei denen Wohn- und Beschäftigungsstaat nicht identisch sind – enthält Art. 65 VO (EG) 883/2004 eine Sonderregelung. Sie haben sich nach Art. 65 II VO (EG) 883/2004 grundsätzlich der Arbeitsvermittlung durch den Wohnstaat zur Verfügung zu stellen. Sie erhalten dann von diesem die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften. Wahlweise dürfen sie sich zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Staats ihrer letzten Beschäftigung zur Verfügung stellen. Hintergrund dieser unterschiedlichen Zuordnung ist der Gedanke, den Arbeitslosen dem Recht des Staates zu unterstellen, wo die größten Erfolgsaussichten für seine Vermittlung in ein Beschäftigungsverhältnis bestehen.332 Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit, namentlich das Arbeitslosengeld sind nach dem Recht des Wohnstaats von diesem und auf dessen Kosten zu erbringen, Art. 65 V VO (EG) 883/2004.333 Aus dem eng gefassten Anwendungsbereich des Art. 65 VO (EG) 883/2004 können im Einzelfall Schutzlücken resultieren, setzt die Norm doch voraus, dass der Arbeitslose während seiner Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem Beschäftigungsstaat gewohnt hat. Verlegt er seinen Wohnsitz erst später in einen anderen Mitgliedstaat und will er nicht dort, sondern im früheren Beschäftigungsstaat Arbeit suchen, verliert er seine Ansprüche auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Weder Art. 64 noch Art. 65 VO (EG) 883/2004 erfassen solche Konstellationen.334 Indes dürfte in diesen Konstellationen bereits nach natio883/04, Rn. 33, der den Träger des Aufenthaltsorts in der Pflicht sieht, bei der Arbeitssuche zu „helfen“. 329 EuGH, Slg. 1979, 991, Rn. 5 (Coccioli); Slg. 1980, 1979, Rn. 19 ff. (Testa, Maggio und Vitale). Dazu Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 278. 330 Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 883/04, Rn. 7. 331 kritisch Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 702. 332 Vgl. bereits EuGH, Slg. 1986, 1837, Rn. 20 (Miethe). Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 292; Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 65 VO 883/04, Rn. 4. 333 Ausführlich Kador in jurisPK-SGB I, Art. 65 VO (EG) 883/2004, Rn. 37. 334 EuGH, Slg. 1984, 3507, Rn. 9 (Guyot); BSG, SozR 3–6050 Art 71 Nr. 5; BSG, NZS 1996, 84 (85 f.).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

nalem Recht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld gegeben sein.335 Die Arbeitsuche in einem anderen als dem Wohnstaat ist nur dann sinnvoll, wenn sich der Wohnort im grenznahen Raum zum Staat der Beschäftigungssuche befindet. In diesem Fall ist die für die Verfügbarkeit erforderliche Erreichbarkeit für die Bemühungen des zuständigen Trägers gegeben.336 d. Zulässigkeit von Wohnsitzklauseln für Ansprüche auf Sach- und Dienstleistungen? Die Aufhebung der Wohnsitzklauseln durch Art. 7 VO (EG) 883/2004 bezieht sich ausschließlich auf Geldleistungen. Jedoch wird auch die im Wesen des Sachleistungsprinzips gründende Beschränkung der Inanspruchnahme von Sach- und Dienstleistungen auf im Inland ansässige Leistungserbringer durch Europarecht überwunden. Dieses lässt zwar Unterschiede im nationalen Recht aufgrund historisch gewachsener Strukturen unangetastet, so dass es den Mitgliedstaaten unbenommen ist, ihr System zur medizinischen Versorgung und Rehabilitation nach dem Sachleistungsgrundsatz auszugestalten. Die aus unterschiedlicher Rechtstradition gewachsenen Strukturen werden einerseits durch das koordinierende Sozialrecht bewahrt, aber so verknüpft, dass der Einzelne keine Einbußen in seiner sozialen Absicherung hinzunehmen hat. Im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit müssen die Mitgliedstaaten vor dem Hintergrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts und im Interesse des effet utile zudem die Vorgaben des Primärrechts beachten. Steht das nationale Recht im Widerspruch zu den Vorgaben der Verträge, können auch unmittelbar aus diesen Ansprüche der Versicherten resultieren. Koordinierung der Leistungen bei Krankheit nach Art. 17 ff. VO (EG) 883/2004. Die Art. 17 ff. VO (EG) 883/2004 etablieren ein System der Sachleistungsaushilfe, welches es Versicherten ermöglicht, Sach- und Dienstleistungen bei Krankheit und Mutterschaft bzw. Vaterschaft auch in anderen EU-Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen. Zu den Leistungen bei Krankheit zählen nicht nur die klassischen Vorsorge-, Behandlungs- und Nachsorgeleistungen des Krankenversicherungsrechts. Auch die Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sind darunter zu fassen.337 Zwar können die im Allgemeinen nicht zur Wiederherstellung der Gesundheit des Pflegebedürftigen führen. Sie tragen aber entscheidend zur Verbes335 336

Fuchs, SGb 2002, 111 (112); Bieback in SGb 1996, 400 (403). Ebenso Schlegel in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 883/04,

Rn. 17. 337 EuGH, Slg. 1998, I-843, Rn. 24 f. (Molenaar); Slg. 2001, I-1901, Rn. 25 (Jauch); Slg. 2004, I-6483, Rn. 25 (Gaumain-Cerri); Slg. 2006, I-1771, Rn. 44 (Hosse); EuGH, Slg. 2009, I-6095, Rn. 40 (Chamier-Gliescinski). Zustimmend Eichenhofer, NZA 1998, 742 (742); Gassner, NZS 1998, 313 (316); Windisch-Graetz, Europäisches Krankenversicherungsrecht, S. 131 f.

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serung des körperlichen und geistigen Zustands und der Lebensqualität des Versicherten bei. Zudem sind sie organisatorisch eng an das System der gesetzlichen Krankenversicherung angebunden – nach § 46 I 2 SGB XI ist bei jeder Krankenkasse eine Pflegekasse zu errichten. Eine entsprechende Klarstellung hat Eingang in Art. 1 lit. va) VO (EG) 883/2004 gefunden. Auch die Sachleistungen der medizinischen Rehabilitation sind Leistungen bei Krankheit, dienen sie doch der Wiederherstellung der Gesundheit. Es kommt nicht darauf an, in wessen Trägerschaft die Leistungen erbracht werden und welchem Sozialversicherungszweig sie nach nationalem Recht zuzuordnen sind. Maßgeblich für die Einordnung in das System des koordinierenden Sozialrechts ist allein ihr objektiver Bezug zum sozialen Risiko der „Krankheit“ 338 zum Ziel der „Gesundheitspflege“.339 Die Koordinierungsverordnung differenziert nach den Umständen der Inanspruchnahme von Leistungen bei Krankheit in einem anderen als dem zuständigen Staat. Sie sieht einerseits spezifische Regelungen für Personen, die ihren Wohnsitz außerhalb des zuständigen Staats haben (Art. 17) sowie für Grenzgänger (Art. 18) vor. Sie ermöglicht ferner die ungeplante medizinische Behandlung während vorübergehender Auslandsaufenthalte (Art. 19) wie auch die gezielte Reise in einen anderen Mitgliedstaat, um sich dort einer Behandlung zu unterziehen (Art. 20). In allen Konstellationen wird dem Versicherten ein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe eröffnet. Ob Leistungsansprüche überhaupt begründet sind, richtet sich nach dem Recht des zuständigen Staats. Dieser trägt auch die Kostenlast.340 Voraussetzungen, Art und Weise der Leistungserbringung richten sich dagegen nach dem Recht des Aufenthaltsstaates. 341 Der Träger des Aufenthaltsorts erbringt die erforderlichen Sachleistungen, als ob der Versicherte in dessen Sicherungssystem einbezogen wäre. Die Koordinierung der Leistungen bei Krankheit begründet damit eine „modifizierte Rechtsfolgenverweisung“.342 Sieht das Recht des Aufenthaltsstaats also entsprechenden Leistungen nicht vor, kann der Versicherte diese auch nicht in Anspruch nehmen, selbst wenn sie nach dem Recht des zuständigen Staates geschuldet wären.343 Sieht beispielsweise das Recht eines Mitgliedstaates keine Sachleistungen für Pflegebedürftige vor, kann ein Versicherter der deutschen Pflegeversicherung diese auch nicht durch das koordinierende Sozialrecht in diesem Staat erhalten.344 Solche Unterschiede in 338

BSG, NZS 1996, 122 (123). EuGH, Slg. 1980, 75, Rn. 7 (Jordens-Vosters). 340 Ausführlich Janda, jurisPK-SGB I, Art. 22 VO (EG) 883/2004, Rn. 27 ff.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 504 f. 341 EuGH, Slg. 1995, I-1545, Rn. 19 (Delavant); Slg. 2005, I-2529, Rn. 54 (Keller). 342 Klein in Hauck/Noftz/Eichenhofer, Art. 17 VO 883/04, Rn. 14; so auch Janda, ZESAR 2010, 465 (468). 343 Huster, NZS 1999, 10 (11); Lenze, ZESAR 2008, 371 (373). 344 EuGH, Slg. 2009, I-6095, Rn. 86 (Chamier-Gliescinski) mit kritischer Anmerkung Bassen, NZS 2010, 479. 339

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den historisch gewachsenen Rechtsordnungen haben die Versicherten als Preis ihrer Bewegungsfreiheit hinzunehmen.345 Das koordinierende Sozialrecht soll den Versicherten gerade keine unionsweit einheitliche medizinische Versorgung zu gleichen Bedingungen, Umständen und Kosten ermöglichen.346 Primärrechtlich begründetes Recht auf Inanspruchnahme von Sach- und Dienstleistungen im Ausland. Die Besonderheiten des nationalen Rechts können Versicherte im Einzelfall jedoch davon abhalten, Leistungen in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen. Dies ist beispielsweise in den Fällen denkbar, in dem das Recht des zuständigen Staates dem Versicherten medizinische Leistungen kostenfrei zur Verfügung stellt, während das Recht eines anderen Staates diese nur im Wege der Kostenerstattung mit umfassender Selbstbeteiligung vorsieht. Da sich Art und Weise der medizinischen Behandlungsleistung sowie ihrer Abrechnung nach dem Recht des Aufenthaltsstaats richten, kann sich ein Versicherter daher veranlasst sehen, medizinische Versorgung nur im Versicherungsstaat zu beanspruchen.347 Aufgrund dessen ist das koordinierende Sozialrecht im Einzelfall geeignet, Unionsbürger an der Ausübung ihrer passiven und Leistungserbringer in ihrer aktiven Dienstleistungsfreiheit zu hindern.348 Der EuGH hat das in der Arbeitnehmerfreizügigkeit gründende koordinierende Sozialrecht daher um die Dimension der Dienstleistungsfreiheit erweitert und den Versicherten unmittelbar aus Art. 56 AEUV einen uneingeschränkten Anspruch auf Inanspruchnahme von Sach- und Dienstleistungen außerhalb des zuständigen Staats abgeleitet.349 Das Primärrecht vermittelt jedoch keine Sachleistungsaushilfe, sondern räumt den Versicherten die EU-weite Inanspruchnahme von Behandlungsleistungen nach dem Recht des zuständigen Staates ein, die er im Wege der Kostenerstattung begehren kann.350 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der EUGH allein für die Fälle zugelassen, in denen der uneingeschränkte Zugang zu den Gesundheitsleistungen sämtlicher Mitgliedstaaten zu einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des sozialen Sicherungssystems im zuständigen Staat führt. Die 345 EuGH, Slg. 2002, I-2829, Rn. 50 ff. (Hervein); Slg. 2004, I-4981, Rn. 55 (Weigel); Slg. 2007, I-3505, Rn. 76 (Alevizos). 346 EuGH, Slg. 1998, I-1931, Rn. 27 (Kohll); Slg. 2001, I-5363, Rn. 36 (Vanbraekel). 347 Janda, ZESAR 2010, 465 (467). 348 EuGH, Slg. 1984, 377, Rn. 16 (Luisi und Carbone); Slg. 1992, I-249, Rn. 31 (Bachmann); Slg. 1998, I-1931, Rn. 35 (Kohll). 349 EuGH, Slg. 1998, I-1831, Rn. 25 (Decker); Slg. 1998, I-1931, Rn. 21 (Kohll); Slg. 2001, 5363, Rn. 41 (Vanbraekel); Slg. 2001, I-5473, Rn. 53 (Smits und Peerbooms); Slg. 2003, I-4509, Rn. 38 (Müller-Fauré und van Riet); Slg. 2003, I-12403, Rn. 16 (Inizan); Slg. 2006, I-4325, Rn. 86 (Watts). Vgl. dazu die Anmerkungen von Eichenhofer, VSSR 1999, 101; Schulte, ZFSH/SGB 1999, 278. 350 Becker, NJW 2003, 2272, 2274 f.; Bieback, ZESAR 2006, 241, 242; Janda, ZESAR 2010, 465. 467.

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Finanzierbarkeit stellt einen zwingenden Grund des allgemeinen Interesses dar, der nach Art. 62, 52 AEUV eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigt. Diese restriktive handzuhabende Ausnahme ist bislang jedoch allein im stationären Sektor anerkannt. Dieser ist geprägt durch eine umfassende Bedarfsplanung, die sich unter anderem nach der Bevölkerungsdichte im Planungsraum richtet, so dass hier ein gesteuerter Zugang von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten gerechtfertigt ist.351 Entsprechende Grundsätze gelten für die Leistungen der stationären Rehabilitation.352 Die Rechtsprechung des EuGH hat mittlerweile Eingang in Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung gefunden, die noch der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedarf.353 Nicht tangiert ist die Dienstleistungsfreiheit jedoch bei unerwarteten Erkrankungen während eines Auslandsaufenthalts. Der Versicherte nimmt hier – anders als im Rahmen des Art. 20 VO (EG) 883/2004 – seine Dienstleistungsfreiheit nicht als Patient wahr mit dem Ziel im EU-Ausland medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen. In diesen Konstellationen bleibt es daher bei dem in Art. 19 VO (EG) 883/2004 vorgesehenen Verfahren der Sachleistungsaushilfe.354 In jedem Fall sind aber auch im Falle von Sach- und Dienstleistungen die Wohnsitzklauseln im nationalen Recht der Mitgliedstaaten kraft koordinierenden Sozialrechts unanwendbar. Primärrecht garantiert darüber hinaus die Umwandlung des Sachleistungs- in einen Kostenerstattungsanspruch, wenn und soweit die Dienstleistungsfreiheit des Versicherten die Inanspruchnahme medizinischer Behandlung im EU-Ausland gebietet. 3. Zusammenrechnung von Versicherungs- und Wartezeiten Sieht das nationale Recht eines Mitgliedstaats lange Wartezeiten355 vor, bevor Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung geltend gemacht werden können, benachteiligt auch dies Personen mit internationalen Biografien. Aufgrund 351 EuGH, Slg. 2001, I-5473, Rn. 108 (Smits und Peerbooms); Slg. 2003, I-4509, Rn. 91 (Müller-Fauré und Van Riet); EuZW 2010, 907, 910 (Elchinov). Dazu ausführlich WindischGraetz, Europäisches Krankenversicherungsrecht, S. 62 f.; Janda in jurisPK-SGB I, Art. 22 VO (EG) 883/2004, Rn. 70 f.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 530 f. 352 Eingehend von der Heide in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 18, Rn. 15 ff.; zweifelnd an einer Beeinträchtigung der Planung durch die Inanspruchnahme von ausländischen Einrichtungen Kingreen, ZESAR 2006, 210 (214 f.); Christophers/Görike, ZESAR 2006, 349 (352). 353 Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, ABl. L 88 vom 04.04.2011, S. 45. Dazu ausführlich Kingreen, ZESAR 2009, 109. 354 EuGH, ZESAR 2010, 479 (Kommission / Spanien) mit Anm. Janda, ZESAR 2010, 465. 355 Für Teilhabeleistungen nach § 11 SGB VI beträgt die Wartezeit 15 Jahre.

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ihrer Mobilität können diese nicht ohne Weiteres Beitragszeiten oder gleichgestellte Zeiten in ein und demselben Mitgliedstaat nachweisen. Das nationale Recht macht den Anspruch jedoch regelmäßig davon abhängig, dass solche Wartezeiten nur im Inland erfüllt werden können. Nach Art. 45 III, 18 AEUV sind solche inlandsbezogenen Anspruchsvoraussetzungen, die sich negativ auf mobile Arbeitnehmer auswirken nur zulässig, wenn sie durch objektive, von der Staatsangehörigkeit des Berechtigten unabhängige Erwägungen getragen sind und in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen.356 Versicherungs- und Wartezeiten zielen darauf ab, eine Einwanderung in die Solidargemeinschaft der Leistungsbezieher zu verhindern. Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung soll nur haben, wer seinerseits durch die Entrichtung von Beiträgen zu deren Finanzierung beigetragen hat. Die Wartezeiten sollen folglich die langfristige Finanzierbarkeit der sozialen Sicherheit gewährleisten, die der EuGH in ständiger Rechtsprechung als legitimes öffentliches Interesse der Mitgliedstaaten anerkannt hat. Gleichwohl ist die Zusammenrechnung von Zeiten explizit in Art. 48 AEUV als zentrales Ziel und Instrument des koordinierenden Sozialrechts vorgesehen. Die VO (EG) 883/2004 trägt dem Rechnung, 357 findet aber wiederum einen Kompromiss zwischen der primärrechtlich verankerten Mobilität der Versicherten und den anerkennenswerten Interessen der Mitgliedstaaten. a. Zusammenrechnung zur Begründung von Leistungsansprüchen Art. 6 VO (EG) 883/2004358 verpflichtet den zuständigen Träger auch Versicherungs-, Beschäftigungs-, Wohn- oder Kindererziehungszeiten359 zu berücksichtigen, die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegt worden sind, wenn solche Zeiten für den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben von Ansprüchen von Bedeutung sind. Solche Zeiten sind so zu behandeln, als wären sie nach dem Recht des zuständigen Staats zurückgelegt worden. Dadurch wird sichergestellt, dass der Versicherte keine Nachteile daraus erleidet, dass er nicht seine gesamte Erwerbsbiografie im zuständigen Staat erbracht hat.360 Reichen die unter dem Recht des zuständigen Staats vollendeten Zeiträume nicht aus, um einen Anspruch auf Leistungen zu begründen, kann dieser Mangel („soweit erforderlich“) durch die Heranziehung entsprechender Zeiten aus anderen 356 EuGH, Slg. 1975, 891, Rn. 10 f. (D’Amico); Slg. 1977, 2311, Rn. 20/22 (Kuyken); Slg. 1990, I-1779, Rn. 15 f. (Biehl). 357 Vgl. die Erwägungsgründe 13, 14. Dazu auch Hauschild in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 6 VO 883/04, Rn. 2; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 6 VO (EG) 883/2004, Rn. 3. 358 Besondere Regelungen zur Zusammenrechnung von Zeiten für Alters- und Hinterbliebenenrenten enthält Art. 51 VO (EG) 883/2004. 359 Dazu bereits EuGH, Slg. 2000, I-10409, Rn. 33 ff. (Elsen); Slg. 2002, I-1343, Rn. 45 (Kauer) 360 EuGH, Slg. 1983, 583, Rn. 17 (Baccini).

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Mitgliedstaaten ausgeglichen werden. Art. 6 VO (EG) 883/2004 überwindet damit ein Hindernis für den Leistungszugang („Ob“)361 und fingiert die „Einheitlichkeit des Versicherungslebens“.362 Ob eine Wartezeit wirksam zurückgelegt worden ist, ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, unter dem sie zurückgelegt worden ist – und zwar gesondert für die einzelnen Leistungsarten. Es ist also Sache dieses Staats festzulegen, welche Art von Zeiten beispielsweise einen Anspruch auf Altersrenten zu eröffnen geeignet sind.363 Ob diese Zeiten dagegen für die Begründung eines Anspruchs auf Leistungen im zuständigen Staat tatsächlich versicherungsrechtlich relevant sind, bemisst sich allein nach dem Recht des Staats, in dem die Zusammenrechnung durchgeführt wird. Der Nachweis von Wohnzeiten in einem anderen Mitgliedstaat vermag daher nicht zur Erfüllung einer bestimmten Beschäftigungszeit im zuständigen Staat beizutragen.364 Die Wirkung des Zusammenrechnungsgebots ist nicht auf das Gebiet der EU beschränkt. Verlegt ein Versicherter seinen Wohnsitz in einen Drittstaat, muss der zuständige Träger Zeiten aus anderen Mitgliedstaaten ebenso berücksichtigen, als würde der Versicherte noch dort wohnen. Dies gilt freilich nur, wenn das Recht dieses Mitgliedstaats den Export der in Rede stehenden Leistung in Drittstaaten vorsieht, denn aus dem koordinierenden Sozialrecht folgt eine solche Exportpflicht in Drittstaaten nicht.365 b. Einfluss der Zusammenrechnung auf die Leistungsgewährung? Auf den Umfang der Leistungsberechtigung wirkt sich die Zusammenrechnung von Zeiten jedoch grundsätzlich nicht aus.366 Ein entsprechendes Gebot ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut des Art. 6 VO (EG) 883/2004. Nur im Einzelfall ist die Zusammenrechnung geeignet, die Anspruchshöhe zu beeinflussen, wenn sich die Bemessungsgrundlage für eine Leistung erhöht, je länger Zeiten zurückgelegt worden sind.367 Grundsätzlich hat die Vereinheitlichung der Versichertenbiografie keine Auswirkungen auf die Höhe von Ansprüchen. Art. 6 VO (EG) 883/2004 führt also 361 Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 223; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 6 VO (EG) 883/2004, Rn. 3. 362 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 542; ähnlich Fuchs, SGb 2008, 201 (203) Ziel sei die „Herstellung möglichst geschlossener Versicherungsbiografien“. 363 EuGH, Slg. 2005, I-705, Rn. 31 (Alonso); BSG, SozR 3–6050 Art. 45 Nr. 2, Rn. 16. Dazu Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 6 VO (EG) 883/2004, Rn. 18. 364 EuGH, Slg. 1989, 1203, Rn. 23 (Warmerdam-Steggerda); Slg. 1997, I-869, Rn. 35 (Losada). Ausführlich zum Ganzen Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 4 VO 883/04, Rn. 13 ff. 365 EuGH, Slg. 2008, I-1957, Rn. 36 f. (Chuck). 366 Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 223; Eichenhofer in Eichenhofer/Rische/Schmähl, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Kap. 33, Rn. 32; Becker, VSSR 2000, 221 (238). 367 EuGH, Slg. 1998, I-8701, Rn. 23 (Lustig).

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nicht dazu, dass der Versicherte auch seine Leistungen so zu erhalten hätte, als hätte er seine gesamte Versichertenbiografie unter dem Recht des zusammenrechnenden Trägers verbracht. Deutlich wird dies bei den Vorgaben zur Berechnung von Renten. Art. 52 VO (EG) 883/2004 eröffnet hierfür zwei Möglichkeiten: die autonome oder die anteilige Rentenberechnung. Für die autonome Rentenberechnung werden nur die Zeiten berücksichtigt, die unter dem Recht des zuständigen Staats zurückgelegt worden sind. Im Rahmen der anteiligen Rentenberechnung wird dagegen zunächst ein theoretischer Rentenbetrag ermittelt, der sich ergäbe, wenn der Versicherte seine gesamte Biografie im zuständigen Staat zurückgelegt hätte. Dieser theoretische Betrag wird sodann ins Verhältnis zu allen Zeiten in sämtlichen Mitgliedstaaten gesetzt (pro rata temporis). Der Träger ermittelt also eine zeitenabhängige Teilrente. Der zuständige Träger hat beide Berechnungsmethoden anzuwenden und schuldet den Versicherten – dies ist Ausdruck des Günstigkeitsprinzips368 – den höheren der beiden Beträge.369 Der Versicherte erhält folglich Renten von allen Staaten, in denen er versicherungsrechtlich relevante Zeiten zurückgelegt hat; diese aber jeweils nur im Verhältnis zu den dort tatsächlich vollendeten Zeiten.370 Auf diese Weise trägt die Koordinierungsverordnung zur finanziellen Stabilität der Rentensysteme bei, ist doch sichergestellt, dass diese nur Leistungen zu erbringen haben, die äquivalent zu den dort entrichteten Beiträgen bzw. gleichgestellten Zeiten sind. 4. Gleichstellung von anspruchsbegründenden Umständen Die auf Zeiten bezogene Regelung des Art. 6 VO (EG) 883/2004 wird ergänzt durch Art. 5 VO (EG) 883/2004. Danach hat der zuständige Träger Sozialleistungen oder Einkünfte, die in anderen Mitgliedstaaten erzielt werden, zu berücksichtigen (lit. a). Ebenso sind alle Sachverhalte und Ereignisse, an die eine Leistungsberechtigung anknüpft, gleichgestellt – unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie sich ereignet haben (lit. b). In die Befugnis der Mitgliedstaaten zur eigenständigen Ausgestaltung ihrer Systeme sozialer Sicherheit wird dadurch nicht eingegriffen,371 ist doch Voraussetzung des Art. 5 VO (EG) 883/2004, dass die Berücksichtigung solcher Umstände im nationalen Recht des Aufenthaltsstaats vorgesehen sein muss. Europarecht zwingt die Mitgliedstaaten daher nicht zur Berücksichtigung von Ereignissen und Umständen, die zwar nach dem Recht des Herkunftsstaates des Versicherten, nicht aber nach dem eigenen Recht anspruchsbegründende oder -erhöhende Auswirkungen zeitigen. Sieht das nationale Recht des zuständigen Staates aber beispielsweise die Berücksichtigung 368

St. Rspr. vgl. nur EuGH, Slg. 1975, 1149, Rn. 14/17 (Petroni). Eingehend Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 229 f.; Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 563 f. 370 Zur Kumulierung von Rentenansprüchen vgl. EuGH, Slg. 1977, 1857 (Giuliani). 371 Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 4 VO 883/04, Rn. 12. 369

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der Schulbildung372 oder des Wehrdienstes373 (so § 48 SGB VI für die Waisenrenten), den Eintritt eines Arbeitsunfalls374 (so § 53 SGB VI für die vorzeitige Wartezeiterfüllung) oder die Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung375 (so § 249 SGB VI für die Anrechnung als Beitragszeit, die sich nach § 70 SGB VI auf die Ermittlung der Entgeltpunkte auswirkt) vor, sind diese ungeachtet ihres territorialen Bezugs durch den Träger anzuerkennen. Art. 5 VO (EG) 883/2004 vermag nicht die Zuständigkeit eines bestimmten Staates zu begründen. Die Verpflichtung zur Tatbestandsgleichstellung setzt voraus, dass der zuständige Träger bereits feststeht. Dieser darf die Gewährung von Ansprüchen jedoch nicht davon abhängig machen, dass sich die anspruchsbegründenden Umstände im Inland ereignet haben. 376 Durch diese Äquivalenzregel377 wird die Gleichstellung internationaler Versicherungsverläufe vollkommen, wird das nationale Recht „entterritorialisiert“.378 Art. 5 VO (EG) 883/2004 fängt all jene Umstände auf, die im Rahmen der Zusammenrechnung von Zeiten keine Berücksichtigung finden, gleichwohl von erheblicher Bedeutung für die Begründung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche sind und ersetzt damit den Rückgriff auf das Rechtsinstitut der mittelbaren Diskriminierung.379 Ist ein bestimmter Tatbestand in einem Mitgliedstaat erfüllt, wird diese auch im zuständigen Staat fingiert, als wäre er dort erfüllt worden. Nicht fingiert wird hingegen die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Tatbestände. Welche Rechtswirkungen den zu berücksichtigenden Umständen beizumessen sind, richtet sich allein nach dem nationalen Recht des zuständigen Staates, so dass beispielsweise die Frage nach der Feststellung einer Erwerbsminderung nur nach dessen Rechtsvorschriften zu beurteilen ist. Eine Harmonisierung nationalen Sozialrechts wird also auch durch die Tatbestandsgleichstellung nicht bewirkt.380

372

EuGH, Slg. 2002, I-6191, Rn. 39 (D’Hoop). EuGH, Slg. 1997, I-3659, Rn. 36 (Mora Romero). 374 Ablehnend noch BSGE 54, 199 (201); anders BSGE 95, 293 (296) f.). 375 BSGE 71, 227 (230 ff.); EuGH, Slg. 2000, I-10409, Rn. 36 (Elsen); Slg. 2002, I-1343, Rn. 44 (Kauer). Zur Rechtslage unter der VO (EWG) 1408/71, die keine solche Gleichstellungsklausel enthielt Zuleeg-Feuerhahn, ZSR 1992, 568 (580 f.). 376 Jorens/van Overmeiren in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 128; Hauschild in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 5, Rn. 10; Otting in jurisPK-SGB I, Art. 5 VO (EG) 883/2004, Rn. 14. 377 Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 28. 378 Fuchs, SGb 2008, 201 (204). 379 Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 5 VO (EG) 883/2004, Rn. 6. Unter der VO (EWG) 1408/71 war die Sachverhaltsgleichstellung dagegen noch über die Diskriminierungsverbote herzuleiten, eingehend Becker, VSSR 2000, 221 (241) Vgl. auch Igl/Fuchsloch, SGb 1993, 393 (396) mit einem Beispiel zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. 380 Hauschild in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 5, Rn. 13. 373

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III. Anknüpfungsmerkmale und Assoziationsrecht Der assoziationsrechtlich gewährleistete Zugang zum Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten bedarf ebenso wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit der sozialrechtlichen Flankierung, wird dieser doch beeinträchtigt, wenn mit ihm kein Zugang zu den sozialen Rechten des Aufenthaltsstaats einhergeht bzw. wenn deren Verlust bei Rückkehr in die Türkei drohte. Mit dem Beschluss des Assoziationsrats 3/80381 ist im Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Türkei ein System zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit geschaffen worden.382 Für die Durchführung und die Art und Weise der Koordinierung verweist ARB 3/80 auf die VO (EWG) 1408/71 und die zu ihrer Durchführung ergangene VO (EWG) 574/72 und übernimmt damit alle für die innereuropäische Sozialrechtskoordinierung geltenden Grundsätze.383 Der persönliche Anwendungsbereich des ARB 3/80 umfasst nicht nur Arbeitnehmer, 384 sondern auch deren Familienangehörige.385 Nach ARB 3/80 sind die Versicherungs- und Beschäftigungszeiten in den Mitgliedstaaten für die Alters-, Hinterbliebenen- und Invaliditätsrenten sowie die Krankenfürsorge so zu berücksichtigen, als wären sie im zuständigen Staat zurückgelegt worden. Eine Zusammenrechnung mit den Zeiten, die in der Türkei zurückgelegt worden sind, ist dagegen nicht vorgesehen.386 Leistungen bei Arbeitslosigkeit sind vom Assoziationsrecht nicht erfasst. In näherer Ausgestaltung des in Art. 9 Assoziierungsabkommen EWG-Türkei387 verankerten Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit ordnet Art. 3 I ARB 3/80 die Gleichbehandlung von Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen in den Angelegenheiten der sozialen Sicherheit an. Der rechtliche Gehalt dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes war zunächst umstritten. Den im Assoziierungsabkommen gewährten Rechten kommt eine unmittelbare Geltung nur unter der Voraussetzung zu, dass deren Wortlaut eindeutig ist, einen Anspruch und nicht lediglich einen Programmsatz vermitteln soll und kein weiterer Umsetzungsakt erforderlich ist. 388 Für die im Assoziationsrecht 381 Beschluss Nr. 3/80 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige vom 19.9.1980, ABl. C 110, S. 60. 382 Zur Rechtsentwicklung Schumacher, DRV 1995, 681 (688); Hänlein, ZAR 1998, 21 (23). 383 Dazu auch EuGH, Slg. 1996, I-4085, Rn. 27 ff. (Taflan-Met). 384 Arbeitnehmer sind entsprechend der auf Art. 1 VO (EWG) 1408/71 basierenden Auslegung alle Personen, die nach nationalem Recht gegen mindestens eines der genannten sozialen Risiken versichert sind, Höller in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Teil 11, Rn. 47. 385 EuGH, Slg. 1997, I-5143, Rn. 20 (Günaydin); Slg. 1998, I-7519, Rn. 20 (Akman); Slg. 1998, I-7747, Rn. 52 (Birden). 386 Hänlein, ZAR 1998, 21 (26); Höller in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Teil 11, Rn. 21. 387 EuGH, Slg. 2004, I-3605, Rn. 49 (Öztürk). 388 EuGH, Slg. 1987, 3719, Rn. 14 (Demirel); Slg. 1990, I-3461, Rn. 14 f. (Sevince); Slg.

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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enthaltenden Regeln zur Koordinierung der Invaliden- und Hinterbliebenenrenten hat der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit unter Hinweis auf deren programmatischen Charakter verneint. Der ARB 3/80 sei seinem Wesen nach darauf angelegt, durch weitere Rechtsakte umgesetzt zu werden, die Durchführungsbestimmungen enthalten müssten.389 Dies macht nicht zuletzt die explizite Anordnung weiterer Durchführungsvorschriften in Art. 32 ARB 3/80 deutlich. Für den allgemeinen Gleichbehandlungsanspruch in Art. 3 ARB 3/80 gelte dies jedoch nicht, stellten sich hier – anders als in der Koordinierung – doch keine technischen und administrativen Fragen wie die Zusammenrechnung von Anwartschaftszeiten oder die Durchführung des Leistungsexports.390 Art. 3 ARB 3/80 statuiert i.V.m. Art 9 des Assoziierungsabkommens vielmehr ein Verbot der – unmittelbaren wie mittelbaren391 – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dieser Grundsatz sei so eindeutig und unbedingt, dass er dazu bestimmt sei, von den Vertragsstaaten unmittelbar angewendet zu werden.392 Die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots erfordert keinen die Binnengrenzen der EU überschreitenden Sachverhalt, sondern ist eröffnet, sobald ein türkischer Staatsangehöriger dem sozialen Sicherungssystem eines Mitgliedstaats zugeordnet ist.393 Auch ein territorialer Bezug zur Türkei ist nicht erforderlich: Art. 3 ARB 3/80 greift auch, wenn der türkische Arbeitnehmer in einem EU-Mitgliedstaat geboren ist und diesen nie verlassen hat. 394 In einer neueren Entscheidung hat der EuGH die zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 ARB 3/80 entwickelten Grundsätze auch auf das Gebot der Aufhebung von Wohnsitzklauseln nach Art. 6 ARB 3/80 übertragen. Das Verbot, Leistungen deshalb zu kürzen, zu entziehen, zu beschlagnahmen oder zum Ruhen zu bringen, weil sich der Berechtigte außerhalb des zuständigen Staats aufhalte, sei ebenfalls eindeutig formuliert. Folglich sind alle Leistungen, auf welche ein türkischer Staatsangehöriger Anwartschaften erworben hat, uneingeschränkt zu exportieren, wenn dieser in die Türkei zurückkehrt.395 Die Entscheidung ist zu begrüßen, ist doch der uneingeschränkte Leistungsexport der einzig mögliche Schluss, der aus dem Verbot der Wohnsitzklau1991, I-199, Rn. 15 (Kziber); Slg. 1998, I-3655, Rn. 31 (Racke); zuletzt EuGH v. 26.5.2011, C-485/07 (Akdas). 389 EuGH, Slg. 1987, 3719, Rn. 23 (Demirel); Slg. 1996, I-4085, Rn. 32 (Taflan-Met). 390 EuGH, Slg. 1999, I-2685, Rn. 57 ff. (Sürül). 391 EuGH, Slg. 2000, I-1287, Rn. 34 (Kocak und Örs); Slg. 2004, I-3605, Rn. 54 (Öztürk). 392 EuGH, Slg. 1999, I-2685, Rn. 74 (Sürül); Slg. 2000, I-1287, Rn. 35 (Kocak und Örs); Slg. 2004, I-3605, Rn. 59 (Öztürk). So bereits Sieveking, NZS 1994, 213 (217). 393 Höller in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Teil 11, Rn. 52; Hänlein, ZAR 1998, 21 (27). 394 VGH Baden-Württemberg, InfAuslR 2001, 369 (369); BVerwG, NVwZ 2002, 864 (866). 395 EuGH v. 26.5.2011, C- 485/07, Rn. 69 ff. (Akdas); zustimmend Schumacher, ZESAR 2011, 368 (371).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

seln zu ziehen ist. Weder bedarf es hierzu technischer Umsetzungsnormen noch besonderer inhaltlicher Präzisierung. Namentlich das deutsche Auslandsrentenrecht der §§ 112, 113, 114 SGB VI ist für türkische Rückkehrer nicht anwendbar. Alle Rentenarten sind daher ungekürzt unter voller Berücksichtigung aller Entgeltpunkte ins Ausland zu leisten. Dies gilt auch für die Renten wegen Erwerbsminderung (entgegen § 112 SGB VI), entfällt mit dem Eintritt einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit doch das Aufenthaltsrecht des türkischen Arbeitnehmers in der EU, da der Grund für dessen Gewährung – der Zugang zum Arbeitsmarkt – durch ihn nicht mehr realisiert werden kann.396 Auch dies überzeugt, hat der Arbeitnehmer in diesem Fall doch keine andere Wahl, als in die Türkei zurückzukehren. Ein Exportverbot für Arbeitsunfähigkeitsrenten machte die Entrichtung von Beiträgen zur Absicherung dieses Risikos von vornherein ungeeignet, um in Leistungen konvertierbare Anwartschaften zu erwerben. Auch das Europa-Mittelmeer-Abkommen enthält Regelungen, die Nachteile in der sozialen Sicherung ausgleichen sollen. So sind in den EU-Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten bei der Ermittlung von Ansprüchen auf Leistungen wegen Alters, Invalidität oder Hinterbliebenenschaft zusammenzurechnen. Anwartschaften auf Leistungen, die in den Mitgliedstaaten erworben wurden, sind in die Vertragsstaaten zu exportieren.397 Das Abkommen enthält ferner ein unmittelbar anwendbares398 Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die soziale Sicherung der Angehörigen der Abkommensstaaten, die sich rechtmäßig in der EU aufhalten. Das Assoziationsrecht bewirkt damit eine nahezu umfassende Gleichstellung der Angehörigen der Abkommensstaaten mit den Unionsbürgern – jedenfalls solange und soweit sie das Recht zum Aufenthalt in der Europäischen Union wahrgenommen haben.399 Es stellt folglich sicher, dass die durch die Assoziierungsabkommen eingeräumte Bewegungsfreiheit nicht durch sozialrechtliche Territorialität faktisch beschränkt wird. Ein Wechsel der Anknüpfungsmomente für die Versicherungspflicht einerseits und die Leistungsberechtigung andererseits wird also auch für die assoziationsrechtlich begünstigten Arbeitnehmer überwunden.

396

EuGH v. 26.5.2011, C- 485/07, Rn. 93 f. (Akdas). Vgl. der Überblick bei Schumacher, DRV 1995, 681 (690) sowie Höller in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Teil 11, Rn. 66 ff. 398 EuGH, Slg. 1991, I-199, Rn. 23 (Kziber); Slg. 1994, I-1353, Rn. 16 ff. (El Youssfi); Slg. 1995, I-719, Rn. 21 ff. (Krid); Slg. 1996, I-4807, Rn. 19 f. (Hallouzi-Choho); Slg. 1998, I-183, Rn. 17 (Babahenini); Slg. 2001, I-2415, Rn. 56 (Fahmi). 399 Höller in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Teil 11, Rn. 46. 397

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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IV. Verflechtung nationalen Rechts durch Abkommensrecht Im Verhältnis zu den Drittstaaten sind ferner die bi- und multilateralen Sozialversicherungsabkommen geeignet, Benachteiligungen zu überwinden, die aus einem Wechsel der Anknüpfungspunkte resultieren. 1. Leitlinien des Abkommensrechts Angesichts der Vielzahl der von der Bundesrepublik eingegangenen Sozialversicherungsabkommen400 variiert deren Gehalt. Es lassen sich jedoch einige Leitlinien ausmachen, die kennzeichnend für diese Art von Verträgen ist. Ihr personeller Anwendungsbereich kann sich einerseits auf die Angehörigen der Vertragsstaaten beschränken (geschlossene Abkommen). Andererseits können die Abkommen alle Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit einbeziehen, die auf dem Territorium der vertragsschließenden Staaten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (offene Abkommen).401 Ebenso wie im europäischen koordinierenden Sozialrecht werden mit den Abkommen keine eigenen Ansprüche etabliert, sondern lediglich die nationalrechtlich begründeten Ansprüche transportabel gemacht. Dies geschieht durch umfassende Gleichstellungsklauseln im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich des Rechts sozialer Sicherheit, deren Gehalt davon abhängt, ob es sich um ein offenes oder geschlossenes Abkommen handelt. Daneben finden sich Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates sowie zur Sicherung erworbener Anwartschaften durch Zusammenrechnung von Versicherungs- oder Wartezeiten. Das Regelungsgefüge ist dem System der Koordinierung sozialrechtlicher Ansprüche nach der VO (EG) 883/2004 vergleichbar, gründet dieses doch auf jenem.402 Es ist jedoch andererseits vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt: Leistungen sind den Angehörigen der Abkommensstaaten nur zu gewähren, sofern deren Recht entsprechende Leistungen für deutsche Staatsangehörige vorsieht. Dies ist problematisch, werden auf diese Weise doch die Versicherten dafür haftbar gemacht, dass das nationale Recht des Abkommensstaats Sicherungslücken aufweist.403 Auch das BVerfG hat das Gegenseitigkeitsprinzip als unzulässiges „Faustpfand“ eingestuft, nehme es die durch eigene Beitragszahlungen erworbenen Ansprüche ausländischer Versicherter doch ohne sachlichen Grund in die Pflicht, um Ansprüche von Deutschen im Ausland durchzusetzen.404 400 Vgl. die Sammlung bei Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten (Loseblattsammlung). 401 Petersen in Maydell, Sozialrechtshandbuch, § 35, Rn. 35 ff.; Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 104. 402 Von einer Darstellung im Einzelnen wird daher an dieser Stelle abgesehen. Für eine ausführliche Betrachtung vgl. Petersen in Maydell, Sozialrechtshandbuch, § 35, Rn. 30 ff. 403 Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 168. 404 BVerfGE 51, 1 (25).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

Der sachliche Anwendungsbereich der einzelnen Abkommen unterscheidet sich erheblich. So sind nicht alle sozialen Risiken von sämtlichen Vereinbarungen erfasst.405 Selbst wenn die gleichen Risiken Gegenstand sind, kann auch die Art und Weise der Verflechtung variieren. So ist beispielsweise mit Marokko ein uneingeschränkter Rentenexport vereinbart. Unabhängig von seinem Wohnsitz kann daher ein Marokkaner seine in Deutschland erworbenen Ansprüche in voller Höhe beanspruchen, wenn der die Bundesrepublik wieder verlässt. Ein türkischer Staatsangehöriger muss hingegen einen Abschlag in Höhe von 30 % seiner Rente hinnehmen, wenn er seinen Wohnsitz in einem Drittstaat nimmt.406 2. Multilateraler Effekt bilateraler Abkommen Lang umstritten war die Frage, ob das Abkommensrecht der Mitgliedstaaten durch das Gebot der Inländergleichbehandlung im koordinierenden Sozialrecht einen multilateralen Effekt zeitigt. Indem Art. 4 VO (EG) 883/2004 jede Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit verbietet, stellt sich die Frage, ob der personelle Anwendungsbereich geschlossener Abkommen nicht nur die Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, sondern sämtliche Unionsbürger umfassen müsse. Zwar ersetzt die Koordinierungsverordnung frühere Abkommen, die die Mitgliedstaaten untereinander geschlossen haben, Art. 8 I VO (EG) 883/2004. Dies lässt jedoch die Befugnis zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge mit Drittstaaten unberührt. Zudem räumt die Verordnung den Mitgliedstaaten in Art. 8 II VO (EG) 883/2004 auch ausdrücklich das Recht zum Abkommensschluss ein, soweit diese mit den Grundsätzen und dem Geist der Verordnung übereinstimmen. Die Frage nach dem multilateralen Effekt stellt sich daher weiterhin. Das BSG hatte diesen zunächst bejaht. Ziel des Abkommensrechts sei die Stärkung der Rechte von Wanderarbeitnehmern. In diesem Lichte seien die Bestimmungen der Abkommen auszulegen. Daher seien bei multilateralen Sachverhalten, die lediglich durch bilaterale Abkommen erfasst sind, auch Versicherungszeiten multilateral anzurechnen. Eine Ausnahme sei nur denkbar, wenn ein zwischen zwei Staaten geschlossenes Abkommen auf diese Weise einen dritten Staat benachteiligen würde.407 Die daraufhin in die Verträge aufgenommenen Abwehrklauseln, mit denen der multilaterale Effekt ausdrücklich ausgeschlossen408 und damit auch nicht mehr der Auslegung zugänglich war, hat das BSG jedoch unter Berufung auf den Willen der Vertragsstaaten akzeptiert.409 405

Vgl. die Übersicht bei Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 117. Schmähl, DRV 2009, 187 (193 f.) 407 BSGE 34, 90 (92); BSGE 51, 5 (8); BSG, SozR 2200 § 1250 Nr. 11, Rn. 27 ff. Zustimmend Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 550. 408 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 551. 409 BSGE 72, 25 (34 f.); 72, 196 (201); dazu Eichenhofer/Abig in Lang, Double Taxation Conventions and Social Security Conventions, S. 334. 406

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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Nach Auffassung des EuGH zählen bilaterale Abkommen eines Mitgliedstaats nicht zu den „Rechtsvorschriften“ i.S.d. Art. 4 VO (EG) 883/2004 unter denen Inländergleichbehandlung zu gewährleisten ist, da die Verordnung nur das Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander regele. Der EuGH hat dem bilateralen Abkommensrecht daher zunächst keinen multilateralen Effekt zugesprochen.410 Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof mittlerweile jedoch aufgegeben und aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV i.V.m. dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV ein Gebot zur „Multilateralisierung“411 bilateraler Sozialversicherungsabkommen in dem Sinne gefolgert, dass deren persönlicher Anwendungsbereich nicht mehr auf die Angehörigen der Vertragsstaaten beschränkt ist, sondern alle Unionsbürger umfasst.412 Unionsbürger sind daher umfassend gleich zu behandeln. Ihr uneingeschränkter, durch Primär- und Sekundärrecht vermittelter Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit der Mitgliedstaaten kann folglich nicht durch Abkommensrecht unterlaufen werden. Drittstaatsangehörige sind zwingend in die Multilateralisierung einzubeziehen, ist ihnen über Art. 4 VO (EG) 883/2004 doch ebenfalls die Inländergleichbehandlung garantiert. Auch das primärrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV ist auf alle sich legal in der EU aufhaltenden Drittstaatsangehörigen anzuwenden.413 Dieses lässt zwar Ungleichbehandlungen zu, sofern sie sachlich gerechtfertigt sind. Ein vernünftiger Differenzierungsgrund, der eine Ungleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen im Gegensatz zu Unionsbürgern rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich, sofern diese in ein mitgliedstaatliches System sozialer Sicherheit einbezogen und zur Entrichtung von Beiträgen herangezogen worden sind.

V. Völkerrechtliche Zulässigkeit eines Wechsels der Anknüpfungsmerkmale Die aus dem Europarecht gewonnenen Erkenntnisse über Gleichbehandlungsansprüche in der Sozialversicherung werden durch das Völkerrecht, insbesondere das Recht des Europarats bestätigt. Dieses bindet die Mitgliedstaaten der EU nicht nur aufgrund ihrer eigenen Mitgliedschaft in dieser Institution, sondern auch durch Art. 6 II EUV, in dem sich die EU zu den Grundrechten der EMRK bekennt und dieser damit primärrechtlichen Rang einräumt. Von Bedeutung sind ferner die Rechtsakte der IAO, mit denen Mindeststandards für

410

EuGH, Slg. 1993, I-4505, Rn. 23 ff. (Grana Novoa). Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058). 412 EuGH, Slg. 2002, I-413, Rn. 34 (Gottardo); entsprechend für Doppelbesteuerungsabkommen EuGH, Slg. 1999, I-6161, Rn. 44 (Saint-Gobain). 413 Dazu bereits oben auf S. 138. 411

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

den materiellen Gehalt sozialer Sicherungssysteme414 einerseits und umfassende Gleichstellungsregelungen andererseits etabliert worden sind. 1. Mindeststandards und Gleichheitsgewährleistungen der IAO Die unmittelbar verbindlichen415 Übereinkommen der IAO zielen auf die Überwindung von Ungleichbehandlungen im Recht der sozialen Sicherheit und sollen zur Angleichung der nationalen Sicherungssysteme beitragen. Prägender Grundgedanke ist die Abkehr von staatsangehörigkeitsbezogenen Zugangskriterien zu den Leistungen sozialer Sicherheit. Die Mittel, mit denen die Gleichstellung der Berechtigten erreicht werden soll, sind denen des europäischen Sozialrechts vergleichbar. So sah bereits das Übereinkommen Nr. 48 über die Herstellung eines internationalen Gegenseitigkeitsverhältnisses für die Wahrung der Rechte in der Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung aus dem Jahr 1935 die Zusammenrechnung von Zeiten vor (Art. 2), um die Einheitlichkeit internationaler Versicherungsverläufe herzustellen.416 Die Konvention ist inzwischen durch das Übereinkommen Nr. 157 über die Einrichtung eines internationalen Systems zur Wahrung der Rechte der sozialen Sicherheit fortentwickelt worden. Im Gegensatz zu ihrem Vorläufer umfasst das Übereinkommen Nr. 157 sämtliche Zweige sozialer Sicherheit. Es behält indes den komplexen Durchführungsmechanismus bei: die Koordinierung soll durch bi- oder multilaterales Abkommensrecht sichergestellt werden (Art. 4), wobei die Mitgliedstaaten zur Amtshilfe verpflichtet sind (Art. 12).417 Da das Abkommensrecht typischerweise nur bilaterale Verläufe erfasst, wird das Übereinkommen dem Anliegen einer weltweiten Koordinierung nicht gerecht, nicht zuletzt da ihre Umsetzung aus Sicht der Versicherten bürokratisch und wenig transparent ist. Dies mag ein Grund für die nur zögerliche Ratifizierung dieses Regelwerkes durch die Mitgliedstaaten sein. Im Übereinkommen Nr. 102 über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit findet sich neben den Anforderungen an das Mindestniveau der Sozialleistungen das Gebot der Gleichbehandlung von allen Personen, die ihren Wohnsitz im zuständigen Staat haben (Art. 68). Zugleich ermöglicht es diese Norm jedoch, die Gleichbehandlung von Gegenseitigkeitsverbürgungen (Art. 68 II) abhängig zu machen. Der Export von Leistungen, wenn der Berechtigte seinen Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt, ist ebenfalls nicht verpflichtend angeordnet (Art. 69). Auch das Übereinkommen Nr. 118 über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der sozialen Sicherheit untersagt jede Differenzie414

Übereinkommen Nr. 102 über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit. Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 59. 416 Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 63. 417 Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 41; Eichenhofer/Abig, Zugang zu steuerfinanzierten Sozialleistungen, S. 28. 415

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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rung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dies gilt sowohl für den Zugang zur Mitgliedschaft in der Sozialversicherung als auch im Hinblick auf die Leistungsberechtigung (Art. 3). Die Anknüpfung der vollen Leistungsberechtigung an einen Inlandswohnsitz ist wiederum unter dem Aspekt der Gegenseitigkeit zulässig (Art. 4). Die ILO-Staaten dürfen die Leistungsgewährung an Angehörige anderer Staaten folglich von einem Wohnsitzerfordernis abhängig machen, wenn dieser Staat den eigenen Staatsangehörigen Leistungen ebenfalls nur bei einem Inlandswohnsitz einräumt. Die Übereinkommen der ILO sind zwar vom Ziel der Gleichbehandlung aller Versicherten und der Vision der weltweiten Auszahlung erworbener Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung getragen. Die praktische Umsetzung lässt den Nationalstaaten indes so weitreichende Spielräume, dass die durch sie erzielbare Gleichheit der Versicherten unvollkommen ist. 2. EMRK als Schranke für den Wechsel der Anknüpfungsmomente Als wirklich tragfähiges Fundament der Gleichstellung aller Versicherten haben sich jedoch die EMRK und die auf die eigentumsrechtliche Dimension sozialversicherungsrechtlicher Anwartschaften rekurrierende Rechtsprechung des EGMR erwiesen. a. Schutz sozialversicherungsrechtlicher Anwartschaften als Eigentum Zwar gewährt die EMRK keine konkreten Ansprüche auf bestimmte Sozialleistungen.418 Aus dem Zusammenspiel des Eigentumsschutzes aus Art. 1 ZPEMRK mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK ist ein Verbot unterschiedlicher Anknüpfungen für die Versicherungspflicht und die Leistungsberechtigung zu folgern, wenn diese auf eine Benachteiligung aus Gründen der Staatsangehörigkeit hinauslaufen. Dass Anwartschaften in der Sozialversicherung Eigentum i.S.v. Art. 1 ZPEMRK sind, hat der EGMR aufgrund der Verknüpfung der Sozialleistungsansprüche mit vorangegangenen Beitragszahlungen des Versicherten bestätigt.419 Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof in einer neueren Rechtsprechung bestätigt und zugleich um eine weitere Dimension ergänzt: bereits aus der Pflichtmitgliedschaft in einem Sicherungssystem ergibt sich die legitime und folglich als Eigentum geschützte Erwartung, Leistungen im Falle des Eintritts des versicherten Risikos zu beziehen. Denn der Pflichtversicherte habe keine Ausweichmöglichkeit, um auf andere Art und Weise Vorsorge gegen dieses Risiko zu treffen.420 Der Gesetzgeber hat daher bei einem Wechsel der Anknüpfungsmerk418

EGMR, Urt. v. 22.10.12009, Az. 39574/07, Rn. 27 (Apostolakis). EGMR, InfAuslR 1997, 1 (Gaygusuz); Urt. v. 16.3.2010, Az. 42184/05, Rn. 64 (Carson). Ausführlich Davy, ZIAS 2000, 221 (238). 420 EGMR, Urt. v. 3.3.2011, Az. 57028/00, Rn. 45 sowie 55 (Klein). 419

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

male sicherzustellen, dass dieses Eigentum nicht inhaltsleer wird. Das Prinzip der Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung klingt folglich auch in der Rechtsprechung des EGMR an: wer zur Beitragsentrichtung herangezogen wird, muss auch Leistungen beziehen können.421 Eine Reduzierung oder der Verfall von Anwartschaften bedarf daher nach Art. 1 I 2 ZP -EMRK der Rechtfertigung durch das öffentliche Interesse. Bei dessen Bewertung habe der nationale Gesetzgeber zwar einen Spielraum. Dieser müsse jedoch das öffentliche Interesse im angemessenen Verhältnis zu den individuellen Interessen berücksichtigen.422 Dies gilt mit Blick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK umso mehr, wenn der Gesetzgeber bei der Wahl der Anknüpfungsmomente zwischen Inund Ausländern differenziert. Denn der Wohnsitz oder Aufenthaltsort einer Person stellt einen „sonstigen Status“ i.S.v. Art. 14 EMRK dar, dessenthalben eine Diskriminierung unzulässig ist.423 Sind im nationalen Recht verankerte Unterscheidungen nicht durch tragfähige und legitime Unterschiede legitimiert, die gerade ihren Grund in der Staatsangehörigkeit oder der Belegenheit des Aufenthalts haben, hat der Anknüpfungswechsel einen Verstoß gegen Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 ZP-EMRK zur Folge.424 Dass solche, in der Staatsangehörigkeit selbst angelegte Rechtsfertigungsgründe in einem auf Erwerbstätigkeit basierenden Versicherungssystem nicht denkbar sind, wurde bereits nachgewiesen. Weder die Anliegen der Generationengerechtigkeit noch die Erhaltung der Finanzierbarkeit der Sozialversicherung gründen in der Inhaberschaft eines deutschen Passes oder im Aufenthaltsort des Versicherten. Sie betreffen die Versichertengemeinschaft insgesamt. b. Folgerungen für die Rentenberechtigung von Drittstaatsangehörigen Der Zugang zur Mitgliedschaft in der Versichertengemeinschaft ist neutral im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit und den Aufenthaltsort. Einschränkungen im Leistungsrecht, die einen territorialen Bezug aufweisen, lassen sich in den meisten Fällen verfassungs-, europarechts- und menschenrechtskonform auslegen (so die „Verfügbarkeit“ nach § 119 SGB III) oder sind durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt und werden durch Umwandlung in Geldleistungen überwunden (so die Einbindung der Leistungen der GKV in das Sachleistungssystem nach §§ 16, 2 I SGB V und deren Überwindung durch die passive Dienstleistungsfreiheit). Unmittelbar und evident benachteiligt werden Drittstaatsangehörige dagegen im Auslandsrentenrecht, welches ihnen im Falle des Aus421

Ebenso Schumacher, ZESAR 2011, 368 (372). EGMR, Urt. v. 22.10.12009, Az. 39574/07, Rn. 41 (Apostolakis); Urt. v. 3.3.2011, Az. 57028/00, Rn. 49 (Klein). 423 EGMR, Urt. v. 16.3.2010, Az. 42184/05, Rn. 70 (Carson). So bereits EGMR, Urt. v. 18.12.1986, Az. 9697/82, Rn. 60 (Johnston); Urt. v. 23.10.1990, Az. 11581/85, Rn. 33 (Darby). 424 EGMR, NJW 2002, 2851 (2855) (Pretty); NVwZ 2008, 533 (534) (D.H.); Urt. v. 16.3.2010, Az. 42184/05, Rn. 61 (Carson). 422

C. Wechsel der Anknüpfungspunkte für Versicherungspflicht

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landsaufenthalts nur eingeschränkte Rentenbeträge gewährt. Als langfristiges Sicherungssystem, welches den Einkommensausfall wegen Alters bis zum Tod des Versicherten ausgleichen soll, kommt dem restriktiven Auslandsrentenrecht eine besondere Brisanz zu. Renten sollen nicht nur kurzfristige Einbußen überbrücken. Sie sind für die Armutsvorsorge von unbestreitbarer Bedeutung und sollen dem Einzelnen die Sicherung seines während des aktiven Erwerbslebens innegehabten Status ermöglichen. Diese Möglichkeit wird Angehörigen des vertragslosen Auslands425 genommen, wenn diese das Erreichen der Regelaltersgrenze zum Anlass nehmen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Ihnen steht allenfalls die Möglichkeit der Beitragsrückerstattung nach § 210 I Nr. 1 SGB VI offen. Diese hat das BVerfG als angemessenes Mittel gesehen, um die Auswirkungen des eingeschränkten Rentenexports auszugleichen.426 Auch diese Norm gründet letztlich in dem für die Rentenversicherung prägenden Äquivalenzprinzip – des angemessenen Verhältnisses zwischen gezahlten Beiträgen und den erworbenen Anwartschaften auf Leistungen, stellt sie doch sicher, dass Personen, die keinerlei Ansprüche auf eine Rente haben, auch nicht an deren Finanzierung zu beteiligen sind. Indes gewährleistet die Beitragserstattung allenfalls einen minimalen Ausgleich, keinesfalls aber eine hinreichende Kompensation für den teilweisen Verlust der Rentenansprüche. Zum einen muss der Erstattungsberechtigte eine Wartefrist von 24 Monaten einhalten, § 210 II SGB VI. Die Norm soll den Versicherten einerseits vor einem übereilten Ausscheiden aus der Solidargemeinschaft und damit dem Verlust seiner erworbenen Rentenansprüche schützen, andererseits der Rentenversicherung dessen Beiträge zumindest vorübergehend erhalten.427 Zudem werden die Beiträge nach § 210 III SGB VI nur in der Höhe erstattet, in der die Versicherten sie tatsächlich entrichtet haben. Namentlich ist der Arbeitgeberanteil von der Erstattung ausgenommen.428 Eine Verzinsung der eingezahlten Beiträge ist nicht vorgesehen, so dass die vom Versicherten erzielbare Rendite denkbar gering ist. Für die Altersvorsorge bildet die Erstattung der Beiträge mithin keine tragfähige Grundlage, zumal die Anlagemöglichkeiten für Versicherte nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vergleichsweise gering sein dürften.429 Mit der Entrichtung der Beiträge ist aber nicht nur eine eigentumsrechtlich geschützte Rentenanwartschaft begründet worden, sondern auch die Erwartung des Versicherten, aufgrund dieser Zahlungen seinen Lebensunterhalt im Alter bestreiten zu kön425

Der eingeschränkte Export von Renten ins Ausland steht nach § 110 III SGB VI unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen des zwischen- und überstaatlichen Rechts. Solche finden sich sowohl im europäischen koordinierenden Sozialrecht als auch im Abkommensrecht. Die §§ 110 ff SGB VI kommen daher nur im Verhältnis zu Staaten zur Anwendung, die nicht durch diese Rechtsakte gebunden sind. 426 BVerfGE 51, 1 (28 f.). 427 BT-Drs. 13/4610, S. 28. 428 Grintsch in Kreikebohm, SGB VI, § 210, Rn. 16. 429 So auch die abweichende Meinung von Katzenstein, BVerfGE 51, 1 (33 f.).

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

nen. Diese Funktion kann die Beitragserstattung nicht sicherstellen, so dass sie im Vergleich zum geminderten Rentenexport kein milderes – weil untaugliches, da nicht äquivalentes – Mittel ist. Das Ziel der Statussicherung muss durch die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung auch für Drittstaatsangehörige zu realisieren sein. Davon abzusehen, lässt sich nicht durch sachliche Gründe rechtfertigen. Weder ist eine besondere Verantwortung eines Wohlfahrtstaates für eigene Staatsangehörige anzuerkennen.430 Noch ist ein unterschiedliches Niveau der Leistungsberechtigung vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass sich die Rentenhöhe nach den im Inland geltenden Lebensverhältnissen bemesse. Dieses Argument hat der EGMR zwar als Rechtfertigungsgrund für die Vorenthaltung von Rentenanpassungen für im Ausland lebende Bezieher der britischen basic state pension angesehen.431 Diese soll aber anders als die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung lediglich eine Mindestsicherung gewährleisten. Ihre teilweise Finanzierung durch Beiträge ist im Verhältnis zu den erheblichen Steuermitteln nur von untergeordneter Bedeutung. Die Höhe der Rente richtet sich nach dem Preisniveau im Inland. Dementsprechend verfolgt die Rentenanpassung das Ziel des Inflationsausgleichs.432 Diese starke Inlandsbezogenheit, welche Parallelen zum Sozialhilferecht erkennen lässt, weisen die Leistungen nach dem SGB VI nicht auf. Wesentlicher Orientierungspunkt für die Rentenberechnung ist die Versichertenbiografie und die darauf beruhenden Beiträge, die einkommensbezogen erhoben worden sind. Die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gehen über ein bloßes Mindesteinkommen hinaus. Dieses zu gewährleisten ist vielmehr Anliegen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit nach §§ 41 ff. SGB XII. Auch das Argument, die ins Ausland exportierten Renten würden für den Konsum im Ausland eingesetzt und könnten daher nicht zum Produktivitätsfortschritt im Inland beitragen,433 verfängt nicht. Der Eigentumsschutz kann nicht danach differenzieren, ob dieses im In- oder Ausland verwertet wird. In anderen Rechtsgebieten ist der Rechtsordnung eine solche Betrachtungsweise ebenfalls unbekannt. Im Rentenrecht wird sie zudem auch für Deutsche mit Auslandswohnsitz nicht getroffen, obwohl die vorgebrachten Argumente – Wegfall der Steuerpflicht und ausbleibender Konsum im Inland – auch bei ihnen verwirklicht sind.434 Zudem ist auch bei den reinen Inlandsrenten nicht gewährleistet, dass die Rentenbezieher zum inländischen Steueraufkommen beitragen, können diese ihre Renten doch 430 EGMR, InfAuslR 1997, 1 (3) (Gaygusuz); dazu ausführlich Davy, ZIAS 2000, 221 (238 f.). 431 EGMR, Urt. v. 16.3.2010, Az. 42184/05, Rn. 90 (Carson). 432 Vgl. die Erläuterungen des EGMR, Urt. v. 16.3.2010, Az. 42184/05, Rn. 85 ff. (Carson). 433 BT-Drs. 9/458, S. 28. 434 Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 113, Rn. 6. Kritisch auch Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 603.

D. Fazit

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ebenfalls im Ausland ausgeben oder sparen und damit gar nicht für Konsumzwecke verwenden. Eine explizit nach der Staatsangehörigkeit differenzierende Regelung wie in den §§ 111 ff. SGB VI ist mit den Gewährleistungen der EMRK schlechterdings unvereinbar. Die Auswirkungen dieser Konvention sind erheblich, erfasst sie doch nicht nur die Angehörigen der ratifizierenden Staaten des Europarats, sondern alle Menschen. Jeder, der unter deutscher Hoheitsgewalt (vgl. Art. 1 EMRK), also aufgrund einer Inlandsbeschäftigung durch die Entrichtung von Beiträgen Anwartschaften auf Leistungen der Sozialversicherung akkumuliert hat, muss diese zu gleichen Bedingungen und im gleichen Umfang erhalten, als wäre er Deutscher.

D. Fazit Für die Begründung der Mitgliedschaft in der deutschen Sozialversicherung ist das Beschäftigungsortprinzip – lex loci laboris – zentral. Es eröffnet die Zuständigkeit der inländischen Versicherungsträger. Seine leistungsrechtliche Bedeutung schwindet hingegen.435 Die Beschränkung der (vollumfänglichen) Leistungspflicht in der sozialen Vorsorge wird herkömmlich mit dem „Territorialprinzip“ gerechtfertigt, welches die Verantwortung des Sozialstaats an den Grenzen des Nationalstaats enden lässt. Nunmehr, so scheint es, wird dem Äquivalenzprinzip eine stärkere Rechtsmacht zugesprochen, wird in Rechtsprechung und Literatur doch die Relation von Beiträgen zu Leistungen immer stärker betont. Allein die Tatsache, dass sich der Berechtigte im Ausland aufhält, ändert nichts daran, dass er durch die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen Anwartschaften erworben hat. Ihm diese zu entziehen, mag unter dem traditionellen Verständnis territorial begrenzter Verantwortung nachvollziehbar gewesen sein. Zu rechtfertigen ist sie vor dem Hintergrund des verfassungs- und völkerrechtlich als Eigentum geschützten Anwartschaftsrechts nicht. Dieses Abstellen auf ein neutrales, rechtstechnisches Kriterium ermöglicht einen sachgerechten Umgang mit erworbenen Ansprüchen. Das „Territorialprinzip“ taugt folglich nicht als Anknüpfungsmoment für die Leistungsberechtigung, verbietet dieses auch seinem klassischen Ansatz nach nur hoheitliches Handeln auf dem Gebiet anderer Staaten. Für die Begründung der Versicherungspflicht mag dies zunächst einleuchten. Es erweist sich aber auch dafür als zu allgemein, weil es offenlässt, auf welchem Merkmal – Wohnsitz, Aufenthalt, Beschäftigung, Handlungs- oder Erfolgsort –

435 BSGE 33, 280 (285); Selb in Tomandl, Auslandsberührungen in der Sozialversicherung, S. 22.

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4. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung

der territoriale Bezug zu einer Rechtsordnung beruht.436 Die Leistungsverwaltung geht indes nicht mit Eingriffen in die hoheitlichen Befugnisse eines anderen Staates oder gar Zwangsmaßnahmen einher, sondern vermittelt dem Berechtigten lediglich den tatsächlichen Zugriff auf soziale Vergünstigungen, die er sich durch – erhebliche – eigene Leistungen „verdient“ hat.437 Zudem würde die Sozialversicherung ihres Vorsorgegedankens beraubt, wenn Versicherte an ihrem Aufenthaltsort auf Leistungen der sozialen Fürsorge angewiesen sind, nur weil sie die Bundesrepublik verlassen. Gerade das Anliegen, den Einzelnen von öffentlich finanzierten Sozialleistungen wie der Sozialhilfe unabhängig leben zu lassen, ist Ursache und Rechtfertigung ihrer Einbeziehung in die Versichertengemeinschaft der Erwerbstätigen und ihrer Angehörigen. Die Leistungsberechtigung muss daher uneingeschränkt allen Versicherten offen stehen.

436 v. Maydell, VSSR 1973, 347 (359); eingehend Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 93 ff. 437 Auf die Notwendigkeit dieser Differenzierung weist bereits BSGE 33, 280 (285 f.) hin.

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5. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe1 Nach § 9 SGB I hat jeder, der nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst oder durch die Hilfe anderer zu bestreiten, einen Anspruch auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe. Diese soll seinen Bedarf decken, ihn zugleich aber zur Selbsthilfe befähigen. Der Gesetzgeber versteht die Sozialhilfe darüber hinaus als Mittel der sozialen Inklusion, die dem Einzelnen ein menschenwürdiges Leben als Teil der Gesellschaft ermöglichen soll. Dies ist ein Gebot der Menschenwürdegarantie, „denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen“.2 Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz werden aufgrund des SGB II für erwerbsfähige sowie nach dem SGB XII für nichterwerbsfähige Hilfebedürftige gewährt. Für Personen, die sich lediglich vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten, ist mit dem AsylbLG ein „Sondersozialhilferecht“3 geschaffen worden. Diese Leistungen sind steuerfinanziert. Sie decken das Existenzminimum und werden pauschal – d.h. ungeachtet eines zuvor innegehabten Lebensstandards – gewährt. Die in § 9 SGB I verankerten Leitlinien des Sozialhilferechts4 treffen keine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit des Berechtigten. Einzige Anspruchsvoraussetzung ist die Hilfebedürftigkeit, also das Unvermögen, aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder sich in besonderen Bedarfslagen zu versorgen. Aus dem integrativen Anliegen, der Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Gesellschaft, ergeben sich jedoch Spielräume: Wer ist der Gesellschaft zugehörig? Wer zählt zur Solidargemeinschaft, d.h. für wen steht die Solidargemeinschaft finanziell ein? Diese Fragen sind differenziert für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (A.), die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit (B.) und die Sozialhilfe (C.) zu beantworten.

1

Auszüge dieses Kapitels sind erschienen in KritV 2011, Heft 3, S. 275. BVerfGE 125, 175 (222) m.w.N. 3 Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Vorbem. AsylbLG, Rn. 4; Wollenschläger in v. Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 338 spricht demgegenüber vom „Asylsozialrecht“, also ebenfalls einem Sonderrecht für Asylbewerber. 4 Seewald in Kasseler Kommentar, SGB I, § 9, Rn. 2. 2

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II Mit dem „Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“5 ist eine Neuabgrenzung zwischen den vormals im BSHG zusammengefassten Leistungen der sozialen Hilfen vorgenommen worden. Das SGB II ist an die Stelle der vormaligen Arbeitslosenhilfe getreten. In den Anwendungsbereich des SGB II fallen alle hilfebedürftigen Personen, die erwerbsfähig sind. Erwerbsunfähige sowie Personen, die die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) überschritten haben, erhalten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben gemäß § 5 II SGB II, § 21 S. 1 SGB XII Vorrang vor der Sozialhilfe nach SGB XII. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten gemäß § 7 I 1 SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige, die das 15. Lebensjahr vollendet und das Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben. Hilfebedürftig ist, wer außer Stande ist, seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen durch Verwertung der eigenen Arbeitskraft oder durch den Einsatz von Einkommen oder Vermögen zu decken, § 9 SGB II. Die Erwerbsfähigkeit bemisst sich nach gesundheitlichen und arbeitsmarktpolitischen Kriterien. Deshalb ist jeder erwerbsfähig, der auch im Falle einer Krankheit oder Behinderung in der Lage ist, auf absehbare Zeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 8 I SGB II. Ausländern muss darüber hinaus die Aufnahme einer Beschäftigung gestattet sein oder zumindest gestattet werden können, § 8 II SGB II. Dabei ist allein auf die im AufenthG eröffnete Möglichkeit zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis abzustellen.6 Folglich sind die Inhaber eines Visums nach § 6 AufenthG, also Touristen oder Durchreisende und Ausländer, die einem Einreise- oder Aufenthaltsverbot unterliegen, sowie Asylbewerber (§ 61 AsylVfG) und Geduldete (§ 10 BeschVerfV) im ersten Jahr ihres Aufenthalts von vornherein vom Bezug der Grundsicherung ausgeschlossen.7

5

Gesetz vom 24.12.2003, BGBl. I, 2954. Dies war lange umstritten, ist aber mit der Einfügung des § 8 II 2 SGB II zum 1.7.2011 explizit klargestellt worden. Eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit forderten LSG Rheinland-Pfalz, FEVS 58, 403; LSG Niedersachsen, NZS 2007, 431 (432); LSG Baden-Württemberg, NZS 2009, 512 (514); Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 8, Rn. 66 ff. A.A. Sieveking, ZAR 2004, 283 (286); Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 11; so auch die Anwendungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II, Rn. 8.15 (www.arbeitsagen tur.de). 7 Hackethal in jurisPK-SGB II, § 8, Rn. 34; Sieveking, ZAR 2004, 283 (286); SG Dessau, InfAuslR 2006, 29 (30). 6

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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I. Anknüpfungsmerkmale der Leistungsberechtigung Die Leistungsberechtigung knüpft nach § 7 I 1 Nr. 4 SGB II – in Übereinstimmung mit § 30 SGB I – an den gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik an. Der Gesetzgeber hat in § 7 I 2 SGB II jedoch Sonderregelungen für Ausländer etabliert, mit denen diese trotz eines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik8 von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen werden sollen. Da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sind, kommt für die von der Ausschlussklausel betroffenen Personengruppen wegen § 21 SGB XII auch kein Rückgriff auf die Leistungen der Sozialhilfe in Betracht.9 1. Dreimonatige Wartefrist Gemäß § 7 I 2 Nr. 1 SGB II haben sämtliche Ausländer und deren Familienangehörige – auch EU-Bürger – während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Erst nach Ablauf dieser Wartefrist können sie erstmals Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn sie sich als Arbeitnehmer oder Selbständige im Inland aufhalten, selbst wenn sie vorübergehend erwerbsgemindert oder arbeitslos sind oder sich in der Berufsausbildung befinden.10 Arbeitnehmer ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch, wer einer Erwerbstätigkeit nachgeht, deren Ertrag zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts nicht ausreicht.11 Geringfügig i.S.v. §§ 8, 8a SGB IV Beschäftigte können daher, freilich unter Beachtung der Anrechnungsregeln des § 11 SGB II, von Anfang an ergänzend Leistungen der Grundsicherung beziehen.12 Unionsbürger und ihre Familienangehörigen betrifft die Wartefrist jedoch nur, wenn sie als Arbeitsuchende erstmals in die Bundesrepublik einreisen. Denn wird ein in Deutschland beschäftigter Unionsbürger arbeitslos, ergibt sich sein Freizügigkeitsrecht aus dem früheren Beschäftigtenstatus, § 2 III FreizügG/ EU.13 Das aus dem früheren Arbeitnehmerstatus erwachsene Freizügigkeitsrecht wirkt also fort. Bezüglich der Dauer ist jedoch zu differenzieren. Nach § 2 III 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleiben der Status als Erwerbstätiger und das daran geknüpfte Freizügigkeitsrecht uneingeschränkt erst nach einjähriger Erwerbstä8

So explizit der Gesetzgeber, BT-Drs. 16/688, S. 13. Heinig, ZESAR 2008, 465 (470), anders noch LSG Nordrhein-Westfalen, Breith 2007, 796 (798); aufgegeben durch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.6.2007 (L 20 B 59/07 AS ER), Rn. 21 -juris. 10 Dies folgt aus der Verweisung auf § 2 III FreizügG/EU. 11 EuGH, Slg. 1982, 1035, Rn. 16 (Levin); Slg. 1986, I-1741, Rn. 14 (Kempf). 12 Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195 (200); Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 12; Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 2 FreizügG/EU, Rn. 25. 13 Strick, NJW 2005, 2182 (2184). Gleiches gilt für die Familienangehörigen von Unionsbürgern. 9

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

tigkeit im Inland erhalten, wenn die Arbeitslosigkeit unfreiwillig, also ohne vom Arbeitnehmer verursacht zu sein,14 eingetreten ist. Tritt die Arbeitslosigkeit bereits nach einem kürzeren Zeitraum ein, bleibt das Aufenthaltsrecht lediglich für die Dauer von sechs Monaten unberührt, § 2 III 2 FreizügG/EU. Gleichwohl kann die Wartefrist auch nach Ablauf dieser Frist nicht gelten, da der Inlandsaufenthalt des Arbeitslosen bereits länger als drei Monate andauert.15 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus politischen, völkerrechtlichen oder humanitären Gründen nach §§ 22–26 AufenthG sind vom Leistungsausschluss nicht betroffen, § 7 II 3 SGB II. Der Zweck der Wartefrist, keinen Anreiz für Migration aus wirtschaftlichen Gründen zu bieten, steht bei dieser Personengruppe offenkundig nicht im Vordergrund ihrer Zuwanderungsentscheidung. Gleichwohl birgt diese Gegenausnahme für die Mehrzahl der Titelinhaber kaum leistungsrechtliche Vorteile, da sie dem AsylbLG16 unterliegen, so dass für sie der in § 7 I 2 Nr. 3 SGB II verankerte Leistungsausschluss für Berechtigte nach dem AsylbLG zum Tragen kommt.17 Dieser gestufte Zugang von Ausländern zur Grundsicherung für Arbeitsuchende scheint deckungsgleich mit aufenthaltsrechtlichen Wertungen. Personen, deren Aufenthalt weniger als drei Monate andauert, begründen nicht zwingend und in jedem Fall ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik.18 Es fehlt dann aber bereits an dem in § 7 I 1 Nr. 4 SGB II als Anspruchsvoraussetzung geforderten gewöhnlichen Aufenthalt. Wer jedoch die dauerhafte Übersiedelung in die Bundesrepublik beabsichtigt, verfügt auch in den Anfangsmonaten über einen zukunftsoffenen und damit gewöhnlichen Aufenthalt“ i.S.v. § 7 I 1 Nr. 4 SGB II und § 30 I, III SGB I. Denn dieser liegt vor, sobald der Lebensmittelpunkt in die Bundesrepublik verlagert wird.19 Aufgrund der Gegenausnahme für Arbeitnehmer ist der persönliche Anwendungsbereich der Wartefrist daher beschränkt auf erwerbslose Drittstaatsangehörige, die nicht über einen Aufenthaltstitel nach §§ 22–26 AufenthG verfügen und auf Unionsbürger, die noch nie in der Bundesrepublik beschäftigt waren, sowie deren Familienangehörige. 20

14

Dazu Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU, Rn. 93. Vgl. auch Schreiber, info also 2008, 3 (3). 16 Dazu ausführlich auf S. 286. 17 Schreiber, info also 2008, 3 (3); Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, § 7, Rn. 40. 18 So auch Strick, NJW 2005, 1282 (1285). 19 A.A. Heinig, ZESAR 2008, 465 (470), der „je nach den Umständen … einen gewissen Zeitablauf“ für notwendig erachtet. 20 Letztere sind jedoch nur dann von der Ausschlussklausel erfasst, wenn sie ihr Aufenthaltsrecht allein daraus ableiten, dass sie einen Aufenthaltsberechtigten nach § 3 FreizügG/ EU bzw. §§ 27 ff. AufenthG begleiten bzw. zu ihm nachziehen. Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, § 7, Rn. 31; vgl. dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v. 14.1.2008 (L 8 SO 88/07 ER), Rn. 33 -juris. 15

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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2. Leistungsausschluss wegen Aufenthalts zur Beschäftigungssuche Nach Ablauf der dreimonatigen Wartefrist kommt es für die Leistungsberechtigung auf den Zweck des Aufenthalts an. Gemäß § 7 I 2 Nr. 2 SGB II sind Personen, deren Aufenthalt allein der Beschäftigungssuche dient, generell von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss betrifft Unionsbürger, die von ihrer Freizügigkeit aus Art. 45 AEUV Gebrauch machen und auf dem Gebiet der Bundesrepublik eine Beschäftigung suchen, 21 sowie Angehörige der EWR-Staaten und der Schweiz, die der EU mit einem Freizügigkeitsabkommen verbunden sind und deshalb Unionsbürgern gleichstehen. Arbeitsuchenden Unionsbürgern ist mit der Ausschlussklausel jedoch nicht per se die Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwehrt. Können sie sich neben der Beschäftigungssuche auf ein weiteres Moment der Freizügigkeit berufen, greift der in § 7 I 2 Nr. 2 SGB II normierte Leistungsausschluss nicht. Dies gilt namentlich für Unionsbürger und deren Familienangehörige, die nach fünfjährigem ständigem und rechtmäßigem Aufenthalt in der Bundesrepublik ein Daueraufenthaltsrecht 22 nach § 4a FreizügG/EU erworben haben, die zu Familienangehörigen nachziehen23 oder als wirtschaftlich Inaktive, die aber über hinreichende Mittel zum Lebensunterhalt und ausreichenden Krankenversicherungsschutz nach § 4 FreizügG/EU verfügen.24 Letzteren dürfte es aber schon an der Hilfebedürftigkeit i.S.v. § 7 I Nr. 3, § 9 SGB II fehlen. Zwar wird vorgebracht, dass Unionsbürger stets zumindest auch den Zweck verfolgen, von ihrer Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 AEUV Gebrauch zu machen, so dass ein Aufenthalt allein zum Zwecke der Arbeitssuche nicht denkbar sei.25 In der Praxis wird jedoch darauf abgestellt, dass Personen, die weder einen der in § 2 FreizügG/EU enumerierten wirtschaftlichen Zweck verfolgen, noch zu einem Familienangehörigen nachziehen und auch nicht über hinreichende Mittel zum Lebensunterhalt verfügen, notwendig arbeitsuchend seien, damit sie ihren Lebensunterhalt sichern können.26 Dass dies der Fall ist, folgt aus der Stellung eines Antrags auf Gewährung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der Leistungsausschluss nach § 7 I 2 Nr. 2 SGB II kann 21

BT-Drs. 16/688, S. 13. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.1.2007 (L 29 B 896/06 AS ER) -juris. Nach Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195 (201) setzt der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts voraus, dass die Freizügigkeitsvoraussetzungen vorliegen und damit auch der Nachweis hinreichender Mittel zum Lebensunterhalt zu erbringen ist. Diese Ansicht findet im Wortlaut der Richtlinie jedoch keine Stütze; vgl. auch VG Berlin, InfAuslR 2007, 228 (229). 23 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v. 14.1.2008 (L 8 SO 88/07 ER), Rn. 33 -juris. 24 Vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/688, S. 13; Brühl/Schoch in Münder, LPKSGB II, § 7, Rn. 34. 25 Husmann, NZS 2009, 652 (655); ebenso Sokolowski, ZESAR 2011, 373 (372 f.), der aber auf die passive Dienstleistungsfreiheit abstellt. 26 Vgl. nur BSG, SozR 4–4200 § 7 Nr. 21, Rn. 18 ff. 22

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

daher nur die Unionsbürger erfassen, die erstmals27 ins Inland einreisen oder solche, deren Inlandsbeschäftigung nach weniger als einem Jahr geendet hat, wenn die sechsmonatige Frist des § 2 III 2 FreizügG/EU abgelaufen ist. Drittstaatsangehörigen ist der Aufenthalt ausschließlich zur Beschäftigungssuche allein nach § 16 IV AufenthG gestattet, d.h. nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums im Inland, allerdings begrenzt auf die Dauer eines Jahres.28 Die Erteilung des Titels setzt nach § 5 I Nr. 2 AufenthG wiederum voraus, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. 3. Leistungsausschluss wegen Leistungsbezugs nach AsylbLG Ein weiterer genereller Leistungsausschluss betrifft die Bezieher von Leistungen nach dem AsylbLG, § 7 I 2 Nr. 3 SGB II. Das AsylbLG regelt abschließend die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Personen, deren Aufenthalt in der Bundesrepublik lediglich vorübergehender Natur ist. Dies wird allgemein als vertretbar erachtet, da das Ziel der langfristigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei dieser Personengruppe aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus nicht erreichbar sei.29

II. Zulässigkeit gesonderter Anknüpfungsregeln für Ausländer Die in § 30 I SGB I verankerte Grundregel wird im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende für Ausländer erheblich modifiziert. Die von zahlreichen Ausnahmen und Gegenausnahmen geprägte Zugangsnorm des § 7 I 2 SGB II stark verallgemeinernd, ist eine Doppelanknüpfung etabliert: sofortigen Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung haben nur Ausländer, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten und vor Eintritt der Erwerbslosigkeit im Inland beschäftigt waren oder das Recht zum Daueraufenthalt erworben haben. Allein die Tatsache, dass bestimmte Anknüpfungen im nationalen Recht nur für Ausländer gelten, begründet noch nicht die Rechtswidrigkeit solcher Regelungen. Das Verfassungsrecht lässt im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 I GG Spielraum für Ungleichbehandlungen, wenn diese auf einem objektiv tragfähigen Differenzierungsgrund beruhen. Ein völliger Ausschluss 27 SG Osnabrück, info also 2006, 223 (224); LSG Niedersachsen-Bremen, InfAuslR 2008, 52 (53); LSG Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2008, 209 (210); LSG Baden-Württemberg, NZS 2009, 512 (515 f.); Schreiber, info also 2008, 3 (3); a.A. SG Reutlingen, Urt. v. 29.4.2008 (S 2 AS 2952/07) -juris. 28 Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, § 7, Rn. 34 sehen darin jedoch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche, sondern einen Annex zu ihrem an die vorangegangene Ausbildung geknüpften Aufenthaltsrecht und verneinen daher in Gänze die Relevanz des § 7 I 2 Nr. 2 SGB II für Drittstaatsangehörige. Der Gesetzgeber will diese Personengruppe aber ausdrücklich in die Ausschlussklausel einbeziehen, BT-Drs. 16/688, S. 13. 29 Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 19.

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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vom Zugang zu existenzsichernden Sozialleistungen verstößt aber gegen das aus Art. 1 I, 20 I GG hergeleitete Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, wenn der Betreffende keine Möglichkeit hat, einen Anspruch auf Gewährung hinreichender Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts geltend zu machen. Bei Ausländern besteht insofern – anders als bei den „eigenen“ Staatsangehörigen – zumindest dem Grunde nach die Möglichkeit, den Bedürftigen der Verantwortung eines anderen Staates, i.e. seines Heimat- bzw. Herkunftsstaats, zuzuweisen.30 Dies bedarf einer Überprüfung der Bindungen und Bezugspunkte des Betroffenen zum Aufenthalts- sowie zum Herkunftsstaat, um abschließend über einen Statutenwechsel befinden zu können. Ob diese Überlegung eine hinreichende Basis für staatsbürgerschaftsbezogene Differenzierungen im Grundsicherungsrecht zu bilden vermag, sei im Folgenden anhand der europa- und völkerrechtlichen Gleichbehandlungsgebote untersucht. 1. Art. 24 II RL 2004/38/EG als taugliche Ermächtigungsgrundlage? Hält sich ein Unionsbürger aufgrund der Unionsbürgerrichtlinie in einem Mitgliedstaat auf, ist ihm in Art. 24 I RL 2004/38/EG ein Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates eingeräumt. Eine Ausnahme statuiert Art. 24 II RL 2004/38/EG, der die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe in den ersten drei Monaten des Aufenthalts oder an Arbeitsuchende in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellt. Diese Norm soll „Sozialtourismus“31 entgegenwirken, also der gezielten Einwanderung in steuerfinanzierte und voraussetzungslos gewährte Sozialleistungen. Der Gesetzgeber wollte mit der Einfügung der Leistungsausschlüsse in § 7 SGB II von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.32 Es ist jedoch fraglich, ob diese Grundlage die faktische Doppelanknüpfung für Ausländer speziell in der Grundsicherung für Arbeitsuchende trägt. Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass Leistungen, die dem Berechtigten die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als Sozialhilfe i.S.v. Art. 24 II RL 2004/38/EG qualifiziert werden können. Die Einstufung einzelner Sozialleistungen richte sich zwar nach nationalem Recht, könne aber nicht anhand formeller Kriterien erfolgen. Die Abgrenzung müsse vielmehr auf das Ziel und die Voraussetzungen der Leistungsgewährung Bezug nehmen.33 Dabei deute das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit in § 7 I 1 Nr. 2 SGB II darauf hin, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende den Zugang zur Beschäftigung er-

30 Eichenhofer, SGb 2011, 463 (465); so wohl auch Husmann, NZS 2009, 652 (654); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 26.2.2010 (L 15 AS 30/10 B ER), Rn. 30 -juris. 31 Dazu kritisch Schönberger, Unionsbürger, S. 354 f. 32 BT-Drs. 16/5065, S. 234. 33 So bereits EuGH, Slg. 1985, 973, Rn. 11 (Hoeckx).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

leichtern solle.34 Von solchen Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt können Unionsbürger im Hinblick auf Art. 45 AEUV nicht dauerhaft ausgeschlossen werden,35 so dass Art. 24 II RL 2004/38/EG insoweit keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für Leistungsbeschränkungen enthalte. Nach deutscher Doktrin ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende klar als Leistung der sozialen Hilfen einzustufen: sie wird aus Steuern finanziert; ihre wesentliche Funktion ist die Sicherung der Existenz, die über pauschal bemessene Regelsätze sichergestellt wird. Anders als die Leistungen des SGB XII ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende jedoch nicht allein vom Fürsorgegedanken geprägt, sondern zielt auch auf die (Wieder)Eingliederung der Hilfebedürftigen in den Arbeitsmarkt, vgl. § 1 I 2 SGB II. Diese besondere Zielsetzung des SGB II war wegbereitend für die unter Geltung des BSHG nicht erfolgte Einteilung in Leistungen für Erwerbsfähige und Nichterwerbsfähige.36 Sie kommt an mehreren Stellen im Gesetz zum Ausdruck, wird aber durch das in § 2 SGB II verankerte Prinzip des Förderns und Forderns besonders augenfällig. Die Leistungsbezieher sollen alle Möglichkeiten nutzen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden und aktiv an ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt mitwirken. Sie sollen ihren Lebensbedarf insbesondere durch Einsatz und Verwertung ihrer Arbeitskraft selbst decken. Zu diesem Zweck sollen die Behörden nach § 3 I 1 SGB II Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erbringen. Die Aufhebung der Hilfebedürftigkeit und damit der Rückzug aus der Leistungsgewährung sind folglich in engen Bezug zur angestrebten Vermittlung einer Erwerbstätigkeit gesetzt. Verstöße gegen die Eingliederungsbemühungen werden auf der Leistungsebene sanktioniert: nach § 31 SGB II kann der Regelsatz um bis zu 100 % gemindert werden, wenn Leistungsempfänger nicht hinreichend an der Beseitigung ihrer Bedürftigkeit mitwirken. Die in der Gesetzessystematik angelegte starke Verknüpfung der Lebensunterhaltssicherung mit den Bemühungen zur Integration in den Arbeitsmarkt spricht dagegen, die Leistungen nach dem SGB II als „klassische“ Sozialhilfe mit ihrem vorrangigen Ziel der Armutsbekämpfung einzustufen. Sie sollen vielmehr das soziale Risiko der Arbeitslosigkeit absichern.37 Die Gegenauffassung will die nach dem SGB II zu gewährenden Leistungen für die Zwecke des Europarechts aufspalten: die Grundsicherung werde unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geleistet, um den Lebensunterhalt zu sichern. Sie verfolge daher einen sozialhilferechtlichen Zweck.38 Die üb34

EuGH, Slg. 2009, I-4585, Rn. 43 ff. (Vatsouras und Koupatantze) explizit zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. 35 EuGH, Slg. 2004, I-2703, Rn. 72 f. (Collins) zur britischen Job Seekers’ Allowance. 36 Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 13d; LSG Baden-Württemberg, info also 2010, 276 (278 f.). 37 In diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, info also 2010, 276 (297); Piepenstock, jurisPR-SozR 23/2009, Anm. 1; Fuchs, NZS 2007, 1 (4). 38 Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243 (249); Heinig, ZESAR 2008, 465 (472); Schreiber, info also 2008, 3 (3); SG Reutlingen, Urt. v. 29.4.2008 (S 2 AS 2952/07) -juris; LSG Ber-

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rigen Leistungen dienten dagegen der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Zudem unterscheide auch das nationale Recht beide Leistungszwecke und führe die Dienstleistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in § 4 I Nr. 1 und 2 SGB II als unterschiedliche Kategorien auf.39 Eine solche Differenzierung ist jedoch nicht sachgerecht. Sie hätte zum einen zur Folge, dass Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts bzw. denen die sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten für die gesamte Dauer der Beschäftigungssuche wohl die Eingliederungsleistungen, nicht aber jene zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erbringen wären.40 Beide sind aber so eng aneinander gekoppelt, dass die Verweigerung der Eingliederungsleistungen nach den Vorgaben des § 31 SGB II eine Kürzung der Lebensunterhaltsleistungen zur Folge hat. Art. 24 II RL 2004/38/EG vermag die in § 7 I 2 SGB II verankerten Ausnahmeklauseln daher nicht zu stützen, da die Grundsicherung für Arbeitsuchende keine Sozialhilfe im Sinne dieser Norm ist.41 § 7 I 2 ist somit am Primärrecht zu messen. 2. Primärrechtlich gebotene Anknüpfung für Grundsicherungsleistungen Mit der Doppelanknüpfung nach § 7 I 2 SGB II werden Arbeitsuchende aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber Deutschen ungleich behandelt. Eine solche Differenzierung könnte sowohl dem Recht der Arbeitnehmer auf Gleichbehandlung aus Art. 45 II AEUV, als auch dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 AEUV zuwiderlaufen. a. Gleichbehandlungsanspruch aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist – als „Vorwirkung“ der Grundfreiheit42 – allen Personen eröffnet, die in einem anderen Mitgliedstaat Arbeit suchen. Sie haben das Recht, sich vom Wohnstaat aus auf Stellen zu bewerben, können zu diesem Zweck aus Art. 45 I AEUV aber auch ein Recht auf Einreise in einen anderen Mitgliedstaat ableiten.43 lin-Brandenburg, Beschl. v. 8.6.2009 (L 34 AS 790/09 B) -juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17.9.2009 (L 9 AS 4/07) -juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 26.2.2010 (L 15 AS 30/10 B ER) -juris; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.2.2010 (L 13 AS 365/10 ER-B) -juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 22.6.2010 (L 1 AS 36/08) -juris; Hailbronner, ZFSH/ SGB 2009, 195 (201). 39 LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 22.6.2010 (L 1 AS 36/08), Rn. 30 -juris. 40 Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 13c. 41 Husmann, NZS 2009, 652 (656); Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 13d; Sokolowski, ZESAR 2011, 373 (375); SG Berlin, Urt. v. 29.2.2008 (S 37 AS 1403/08) -juris; LSG Bayern, InfAuslR 2008, 260 (262); LSG Bayern, Beschl. v. 4.5.2009 (L 16 AS 130/09 B ER) -juris. 42 Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 2 FreizügG/EU, Rn. 22. 43 Brechmann in Calliess/Ruffert, Art. 45 AEUV, Rn. 82.

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Das Aufenthaltsrecht von Arbeitsuchenden ist im Primärrecht nicht befristet. Einschränkungen der Aufenthaltsdauer sind jedoch zulässig, wenn sie die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheit nicht aushöhlen. Der Aufenthalt zur Arbeitsuche muss daher zumindest so bemessen sein, dass Stellenangebote im Aufenthaltsstaat zur Kenntnis genommen und Bewerbungen abgegeben werden können. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang eine maximale Aufenthaltsdauer von sechs Monaten grundsätzlich gebilligt, im Einzelfall davon aber Ausnahmen zugelassen, wenn der Betreffende „weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht“.44 Die Erfolgsaussicht soll bei Unionsbürgern grundsätzlich zu bejahen sein, wenn sie erwerbsfähig und arbeitswillig sind; sie kann nicht allein mit Hinweis auf die schlechte Arbeitsmarktlage verneint werden.45 Art. 45 II AEUV garantiert die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Collins erfordert dies aber eine „tatsächliche Verbindung“ des Arbeitsuchenden zu dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats. In diesen Fällen ist absolute Gleichbehandlung mit Inländern zu gewährleisten, und zwar auch im Hinblick auf finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen.46 Der EuGH hat insoweit seine frühere Rechtsprechung47 aufgegeben, nach der sich die Gleichbehandlungsansprüche nur auf Arbeitnehmer, nicht aber auf Arbeitsuchende erstrecken. Dieser in den 1980er Jahren begründeten Rechtsprechung lag der damalige Rechtszustand zugrunde, der Freizügigkeitsrechte an die wirtschaftliche Aktivität koppelte und der durch den Maastricht-Vertrag überwunden worden ist. Der Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 45 II AEUV gilt absolut, Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit eines Arbeitnehmers sind daher keiner Rechtfertigung zugänglich. Das vom EuGH aufgestellte Kriterium der „tatsächlichen Verbindung“ stellt dementsprechend auch kein rechtfertigendes Element für Ungleichbehandlungen dar, sondern ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Anknüpfungsmoment48 für die Zuständigkeit des Aufenthaltsstaates und die Eröffnung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 45 II AEUV. Insofern ist es deckungsgleich mit dem im deutschen Recht aufgestellten Erfordernis 44

EuGH, Slg. 1991, I-745, Rn. 21 (Antonissen); Slg. 1993, I-2925, Rn. 13 (Tsiotras); Slg. 1997, I-1035, Rn. 17 (Kommission/Belgien); Slg. 2004, I-2703, Rn. 37 (Collins). Diese Rechtsprechung hat inzwischen Eingang in die aufenthaltsrechtlichen Regelungen des Sekundärrechts gefunden: Art. 14 IV RL 2004/38/EG statuiert das Verbot der Ausweisung von Arbeitsuchenden, wenn diese die begründete Aussicht auf Einstellung haben. 45 SG Berlin, Urt. v. 29.2.2008 (S 37 AS 1403/08), Rn. 32 -juris; Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 2 FreizügG/EU, Rn. 22. 46 EuGH, Slg. 2004, I-2703, Rn. 63 (Collins), bestätigt in Slg. 2005, I-8275, Rn. 22 (Ioannidis) sowie Slg. 2009, I-4585, Rn. 37 (Vatsouras und Koupatantze). 47 EuGH, Slg. 1987, 2811, Rn. 26 (Lebon). 48 So offenbar auch Kunkel/Frey, ZFSH/SGB 2008, 387 (393).

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des gewöhnlichen Aufenthalts: nur Arbeitsuchende mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik können sich auf die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des deutschen Sozialleistungssystems berufen und sind dort gleich zu behandeln.49 Dies deckt sich im Ergebnis auch mit dem Arbeitnehmerbegriff des EuGH.50 Das Gericht differenziert zwischen Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende erstmalig in einen anderen Mitgliedstaat begeben und solchen, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt waren und dort arbeitslos werden. Nur letzteren räumt er einen umfassenden Gleichbehandlungsanspruch ein. Alle anderen Unionsbürger erfüllen dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 45 II AEUV nicht. Ihr Aufenthalt fällt – selbst wenn sie Arbeit suchen – in den Anwendungsbereich der Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 18 AEUV. In der Rechtssache Collins hat der EuGH auf die Unionsbürgerschaft und das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit abgestellt, weil der Kläger als Arbeitsloser in das Vereinigte Königreich eingereist war. In der Rechtssache Ioannidis kam dagegen der Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 45 II AEUV zum Tragen, da der Kläger nach Abschluss seiner in Belgien absolvierten Ausbildung dort keine Beschäftigung fand und Überbrückungsgeld beantragte.51 b. Gleichbehandlungsansprüche freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger Mit der Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 AEUV ist auch den wirtschaftlich Inaktiven das Recht zum Aufenthalt und zur Beschäftigungssuche in anderen Mitgliedstaaten eingeräumt. Die Etablierung von Wartezeiten und darüber hinaus die Versagung existenzsichernder Leistungen während der Arbeitssuche könnte die Ausübung dieses Rechts unzulässig beeinträchtigen und zugleich dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV zuwiderlaufen. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch fiskalische Interessen? Wohnsitzoder Aufenthaltserfordernisse und Wartezeiten sollen einer einseitigen Belastung der Sozialleistungssysteme einzelner Mitgliedstaaten entgegenwirken. Eine solche könne durch einen uneingeschränkten Zugang zu den existenzsichernden Leistungen vom ersten Aufenthaltstag an ausgelöst werden, bestehe in diesem Fall doch ein Anreiz für „Sozialtourismus“.52 Die Ausschlussklauseln sind also von dem Anliegen getragen, nur diejenigen Personen an steuerfinanzierten 49 Im Ergebnis auch Schreiber, ZESAR 2006, 424 (429); Husmann, NZS 2009, 652 (656); Eichenhofer, SGb 2011, 463 (464). 50 EuGH, Slg . 1982, 1035, Rn. 18 (Levin); Slg. 1986, 1741, Rn. 16 (Kempf); Slg. 1988, 3161, Rn. 33 (Lair); Slg. 2004, I-2703, Rn. 32 (Collins). 51 Kritisch im Hinblick auf die Methodik des EuGH Fahey, ELRev 2009 (34) 933 (941). 52 Statt vieler Windisch-Graetz in Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa, S. 101; dazu LSG Hessen, FEVS 59, 110 (116).

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Leistungen teilhaben zu lassen, die bereits selbst einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Wohlstand geleistet haben. Halte sich ein Ausländer erst seit Kurzem im Inland auf, sei er noch nicht in die Gesellschaft integriert und habe dieser gegenüber noch keinerlei Leistungen erbracht. Daher sei er noch nicht als Bürger dieser Solidargemeinschaft anzusehen.53 Führt man diesen Gedanken konsequent fort, bedeutete dies, dass nur ehemaligen Erwerbstätigen – denn nur diese tragen durch Erfüllung ihrer steuerlichen Verpflichtungen zur Finanzierung der Sozialhilfe bei – die hinreichende Nähe zum Aufenthaltsstaat zukommt, aus der sich deren Teilhabeansprüche ableiten lassen sollen. Wer nicht am Wirtschaftsleben teilnehme, müsse selbst für sein Auskommen sorgen und könne keine Inklusion in die sozialen Sicherungssysteme des Aufenthaltsstaats fordern.54 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Aufenthaltsvoraussetzung. Diese Ansicht findet im Sekundärrecht zunächst eine Stütze, wird die Reichweite der Unionsbürgerfreizügigkeit durch die Unionsbürgerrichtlinie doch insoweit beschränkt, als Nichterwerbstätige wirtschaftlich leistungsfähig sein müssen, um sich auf ihr Freizügigkeitsrecht berufen zu können. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Beschränkungen des Freizügigkeitsrechts auf den Gehalt der Gleichbehandlungsansprüche zeitigen Das kurzfristige Aufenthaltsrecht von weniger als drei Monaten besteht nach Art. 14 I RL 2004/38/EG nur, solange Sozialhilfeleistungen „nicht unangemessen“ in Anspruch genommen werden. Einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten dürfen wirtschaftlich Inaktive nur begründen, wenn sie hinreichende Existenzmittel nachweisen, die eine Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen unwahrscheinlich machen, Art. 7 I lit. b) RL 2004/38/EG, § 4 FreizügG/EU. Erst das Daueraufenthaltsrecht nach fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt entsteht gemäß Art. 16 I 2 RL 2004/38/EG, § 4a FreizügG/EU unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.55 Der EuGH hat die Berufung auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abhängig gemacht, 56 diese aber bei Unionsbürgern ohne hinreichende Existenzmittel nicht aus Art. 21 AEUV hergeleitet.57 Indes folgt aus der Systematik der Unionsbürgerrichtlinie, dass das Fehlen der notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt nicht bereits Voraussetzung für die Begründung des Aufenthaltsrechts, sondern erst für dessen Fort-

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Windisch-Graetz in Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa, S. 100. So Tomuschat, CML Rev 37 (2000), 449 (455); Niemann, EuR 2004, 946 (947). 55 Dazu kritisch Schönberger, Unionsbürger, S. 378. 56 EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 63 (Martínez-Sala); Slg 2004, I-7573, Rn. 43 (Trojani); Slg. 2005, I-2119, Rn. 37 (Bidar). 57 EuGH, Slg. 2004, I-7573, Rn. 36 (Trojani). 54

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bestand von Relevanz ist.58 Für die Begründung des Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat bedarf es keines förmlichen Verfahrens, in dem ein Titel erteilt wird. Art. 14 II RL 2004/38/EG statuiert, dass die Aufenthaltsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen bestehen, solange diese die in Art. 7 RL 2004/38/EG statuierten Voraussetzungen erfüllen. Auch § 5 III FreizügG/EU ermöglicht eine Überprüfung der Aufenthaltsvoraussetzungen erst nach Ablauf von drei Monaten. Nach § 5 V FreizügG/EU kann bei Entfallen der Aufenthaltsvoraussetzungen ex post der Verlust des Aufenthaltsrechts festgestellt werden. In diesem Fall kommt gemäß § 11 II FreizügG/EU das AufenthG zur Anwendung, welches die Möglichkeit zur Ergreifung aufenthaltsbeendender Maßnahmen eröffnet.59 Ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts deutet zwar darauf hin, dass die Voraussetzungen der Freizügigkeit und damit das Aufenthaltsrecht eines wirtschaftlich Inaktiven in anderen Mitgliedstaaten entfallen sind.60 Dies hat aber nicht per se die Rechtswidrigkeit und damit die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts zur Folge. Der EuGH hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es den Mitgliedstaaten zwar aufgrund der sekundärrechtlichen Regelungen unbenommen ist, einem bedürftigen Unionsbürger, der keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, den Aufenthalt zu verweigern bzw. diesen zu beenden. Sie dürfen diese Befugnis jedoch nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausüben. Die Ausweisung dürfe demnach keine „automatische Folge“ der Bedürftigkeit sein.61 Sie ist auch nicht ins Belieben des Aufenthaltsstaates gestellt, verbietet doch Art. 14 IV RL 2004/38/EG explizit die Ausweisung von Arbeitnehmern und Selbständigen (lit. a) und von Arbeitsuchenden und deren Familienangehörigen, solange diese ernsthaft und mit Aussicht auf Erfolg nach einer Beschäftigung suchen (lit. b). Die Ausweisung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ist dem Betreffenden ein Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltskarte erteilt worden, ist für eine Ungleichbehandlung mit Inländern kein Raum.62 Dies gilt, selbst wenn die im Grunde nur deklaratorisch wirkende Aufenthaltskarte nach § 5 I FreizügG/EU zu Unrecht erteilt worden ist, beispielsweise weil die Aufenthaltsvoraussetzungen nach § 2 I FreizügG/EU entfallen sind oder nie vorgelegen haben.63 Fehlt es an einem formellen Titel, kann die Rechtmäßigkeit des Aufent58 Husmann, NZS 2009, 652 (653); Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 4 FreizügG/EU, Rn. 37; Schönberger, Unionsbürger, S. 375. 59 Schreiber, ZESAR 2006, 424 (429). 60 Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 4 FreizügG/EU, Rn. 39. 61 EuGH, Slg. 2001, I-6193, Rn. 42 f. (Grzelczyk); Slg. 2002, I-7091, Rn. 87 ff. (Baumbast); Slg. 2004, I-7573, Rn. 45 (Trojani). Die Rechtsprechung hat inzwischen Eingang in Art. 14 III RL 2004/38/EG gefunden. 62 EuGH, Slg 2004, I-7573, Rn. 46 (Trojani); zustimmend Calliess in Hatje/Huber, EuR 2007, Beihelft 1, 7 (34). 63 Der Aufenthaltskarte kommt in diesem Fall Tatbestandswirkung, zumindest aber In-

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halts erst nach Ergehen einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung verneint werden.64 Es gilt mithin eine Vermutung der Freizügigkeit, die nur durch eine behördliche Feststellung entkräftet werden kann.65 Statutenwechsel als Voraussetzung für Gleichbehandlungsansprüche. Eine die Freizügigkeit hindernde Ausweisungsverfügung gegen Angehörige anderer Mitgliedstaaten stellt als solche keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV dar. Zwar können denknotwendig nur fremde Staatsangehörige davon betroffen sein. Die Ausweisung aus Gründen der Bedürftigkeit ist jedoch gerechtfertigt, wenn die „Zuständigkeit“ für die Sicherung der Existenz einem anderen Mitgliedstaat, nämlich dem Herkunftsstaat zufällt. Im Umkehrschluss begründet der einem Unionsbürger gewährte Aufenthalt einen umfassenden Anspruch auf Teilhabe an den Leistungen des Sozialsystems, welches von den die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bedingenden Voraussetzungen – insbesondere der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung – entkoppelt ist.66 Diesen Befund spiegelt die – zu Unrecht als inkonsistent und inkonsequent kritisierte67 – Rechtsprechung des EuGH wieder: In der Rechtssache Martínez Sala68 hat der Gerichtshof einer sich seit mehr als zehn Jahren in der Bundesrepublik aufhaltenden, arbeitslosen spanischen Staatsangehörigen unmittelbar aus Art. 21, 18 AEUV einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Deutschen im Erziehungsgeldbezug zugesprochen, da sie in Besitz einer mehrfach verlängerten Aufenthaltserlaubnis war. In der Rechtssache Grzelczyk69 ist der gleichberechtigte Zugang der Unionsbürger auch zu den Leistungen der Sozialhilfe bekräftigt worden: die Unionsbürgerschaft gewähre dem Einzelnen einen „grundlegenden Status“, der ihm unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit die gleichen Rechte verleihe, die auch die Angehörigen des Aufenthaltsstaats genießen. dizwirkung dafür zu, dass die Behörden die Aufenthaltsbeendigung nicht anstreben, Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU, Rn. 20; LSG Baden-Württemberg, NZS 2009, 512 (514); vgl. auch SG Berlin, Urt. v. 29.2.2008 (S 37 AS 1403/08), Rn. 33 -juris; a.A. LSG Hessen, FEVS 59, 110 (116). 64 Schreiber, ZESAR 2006, 424 (429); Frenz/Kühl, ZESAR 2007, 313 (320); Höfler, Die Unionsbürgerfreiheit, S. 168; Kunkel/Frey, ZFSH/SGB 2008, 387 (393); Hailbronner, ZFSH/ SGB 2009, 195 (197 f.); Schreiber, info also 2009, 195 (199); Schönberger, Unionsbürger, S. 347; Frenz, ZESAR 2011, 307 (309); LSG Baden-Württemberg, NZS 2009, 512 (515); a.A. unter Berufung auf den Willen des Gesetzgebers SG Reutlingen, Urt. v. 29.4.2008 (S 2 AS 2952/07) -juris. 65 BT-Drs. 15/420, S. 106. 66 Heinig, ZESAR 2008, 465 (468). 67 Statt vieler Hailbronner, NJW 2004, 2185; Fahey, ELRev 2009 (34) 933; Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195 (197). 68 EuGH, Slg. 1998, I-2691 (Martínez Sala); kritisch Becker, EuR 1999, 522 (531 f.). 69 EuGH, Slg. 2001, I-6193 (Grzelczyk), dazu kritisch Hailbronner, NJW 2004, 2185 (2186 f.).

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Das Interesse der Mitgliedstaaten, die finanzielle Tragfähigkeit ihrer sozialen Sicherungssysteme zu schützen, hat der EuGH zwar grundsätzlich als zwingenden Grund des allgemeinen Interesses anerkannt. Dieses sei jedoch nur dann legitim, wenn die finanziellen Belastungen erheblich seien, wenn also die Gewährung der Leistungen an sämtliche zuwandernden Unionsbürger zu einer übermäßigen Belastung zu werden droht. Jedoch müsse auch im Einzelfall die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein: habe ein Unionsbürger bereits seit einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in einem anderen Mitgliedstaat und bedürfe er für einen lediglich vorübergehenden Zeitraum der Leistungen der Sozialhilfe, sei eine solche Belastung „über Gebühr“ noch nicht gegeben.70 Der Aufenthaltsstaat ist in derartigen Fällen zu finanzieller Solidarität mit den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten verpflichtet.71 Diese Rechtsprechung hat der EuGH in der Rechtssache Collins72 bestätigt und dabei insbesondere auf die „tatsächliche Verbindung“ des Leistungsempfängers zum Aufenthaltsstaat abgestellt. Je länger der Aufenthalt besteht, so die Klarstellung in der Rechtssache Bidar73, umso weiter ist die Bindung an die Gesellschaft des Aufenthaltsstaats fortgeschritten. Aufgrund dieser tatsächlichen Verbindung ist die Gewährung von Sozialhilfe angezeigt und geboten. Nichts anderes kann für die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gelten. Die Mitgliedstaaten können nicht einerseits Freizügigkeit gewähren, andererseits aber Solidarität gegenüber den auf ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Personen verweigern. c. Wirksamkeit der dreimonatigen Wartezeit Daraus ist jedoch nicht zwingend auf die Unwirksamkeit der Wartezeit in § 7 I 2 Nr. 1 SGB II zu schließen. Wartezeiten sind vom EuGH grundsätzlich gebilligt worden, dienen sie doch dem Nachweis einer tatsächlichen Verbindung des eine Fürsorgeleistung Begehrenden zu dem die Leistung gewährenden Staat und sind daher geeignet, „Sozialtourismus“ zu vermeiden. Die Dauer des geforderten Voraufenthalts muss jedoch im angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck stehen.74 Damit erkennt der Gerichtshof das Interesse der Mitgliedstaaten an der Aufrechterhaltung der Stabilität ihrer steuerfinanzierten Sozialleistungen an. Wären diese jedermann unabhängig von dessen Integration in den Aufenthaltsstaat zu gewähren, könne dies zu einer übermäßigen Belastung führen, die sich negativ auf das Gesamtniveau der Leistungen auswirken könne. Es ist jedoch fraglich, ob die in § 7 I 2 Nr. 1 SGB II verankerte Wartezeit erforderlich ist, wenn sie auch Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bun70

EuGH, Slg. 2001, I-6193, Rn. 40 (Grzelczyk); Slg. 2005, I-2119, Rn. 61 ff. (Bidar). Windisch-Graetz in Eilmansberger/ Herzig, Soziales Europa, S. 99; kritisch Sander, DVBl. 2005, 1014 (1018), Strick, NJW 2005, 2182 (2184). 72 EuGH, Slg. 2004, I-2703, Rn. 72 (Collins). 73 So auch EuGH, Slg. 2005, I-2119, Rn. 59 ff. (Bidar). 74 Vgl. nur EuGH, Slg. 2004, I-2703, Rn. 70 (Collins); Slg. 2005, I-2119, Rn. 56 ff. (Bidar). 71

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desrepublik zurücklegen müssen. Der gewöhnliche Aufenthalt, der durch eine zukunftsoffene Verlagerung des Lebensmittelpunkts gekennzeichnet ist, bei der eine Rückkehr ins Herkunftsland nicht absehbar ist, ist für sich genommen bereits geeignet, um eine tatsächliche Bindung zum Aufenthaltsstaat zu begründen. Denn auch wirtschaftlich Inaktive können unabhängig von sonstigen anerkannten Aufenthaltszwecken einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik begründen.75 Ist dessen Rechtmäßigkeit nicht in einem förmlichen Verfahren abgelehnt worden, ist Gleichbehandlung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist die starre dreimonatige Wartefrist als unverhältnismäßig einzustufen, ermöglicht sie es doch nicht, auf Besonderheiten des Einzelfalls einzugehen.76 Unionsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt zukunftsoffen und zeitlich unbegrenzt in der Bundesrepublik begründet haben, müssen um ihrer Gleichbehandlungsansprüche aus Art. 21, 18 AEUV willen daher ab dem ersten Tag ihres Aufenthalts unter den gleichen Bedingungen wie Deutsche Zugang zur Grundsicherung bekommen. Diese Begründung des Lebensmittelpunkts als Anspruchsvoraussetzung fordert bereits § 7 I 1 Nr. 4 SGB II! d. Wirksamkeit des vollständigen Leistungsausschlusses für Arbeitsuchende Auch der in § 7 I 2 Nr. 2 SGB II verankerte Leistungsausschluss für Arbeitsuchende ist vor diesem Hintergrund als unverhältnismäßig zu bewerten. Zwar hat es der EuGH als zulässig erachtet, die Gewährung von Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt an die Voraussetzung zu knüpfen, dass der Empfänger eine hinreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats aufweist.77 Nach den soeben aufgestellten Kriterien ist diese Verbindung jedoch von vornherein bei allen Personen begründet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben. Die vom EuGH geforderte Nähe zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaates statuiert mithin keinen Rechtfertigungsgrund für Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit, sondern ist konstitutiv für den Statutenwechsel. Im Ergebnis hat die Rechtsprechung daher nur bestätigt, dass der gewöhnliche Aufenthalt ein geeignetes Anknüpfungskriterium für die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit eines wohlfahrtstaatlichen Systems ist. Damit wird keineswegs dem befürchteten „Sozialtourismus“ arbeitsuchender Unionsbürger Vorschub geleistet. Denn typischerweise wird der Wohnsitz bzw. der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts erst dann in einen anderen Staat verlegt, wenn dort ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet wird. Die Beschäftigungssuche als solche begründet noch keinen Statutenwechsel, der 75 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.6.2009 (L 34 AS 790/09 B) -juris: Nachzug eines Erwerbslosen zu seiner Lebensgefährtin. 76 So auch Husmann, NZS 2009, 652 (656). 77 EuGH, Slg. 2002, I-6191, Rn. 38 (D’Hoop); Slg. 2004, I-2703, Rn. 70 (Collins); Slg. 2005, I-8275, Rn. 30 (Ioannidis); Slg. 2009, I-4585, Rn. 38 (Vatsouras und Koupatantze).

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die Verantwortung für die Gewährung existenzsichernder Leistungen auf einen anderen Staat übergehen lässt.78 Solange aber die „tatsächliche Verbindung“ zum Herkunftsland fortbesteht, besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Angehörigen des Aufenthaltsstaats. Der dauerhafte Ausschluss von Arbeitsuchenden in § 7 I 2 Nr. 2 SGB II ist folglich weder geeignet noch erforderlich, um eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaates nachzuweisen. Er macht es vielmehr einem Arbeitsuchenden Unionsbürger von vornherein unmöglich, diesen Nachweis zu erbringen.79 Dieses Ergebnis wird – wie im folgenden darzulegen ist – sowohl vom Sekundärrecht als auch von internationalrechtlichen Garantien bestätigt. 3. Gleichbehandlungsansprüche von Arbeitnehmern nach Art. 7 II VO (EU) 492/2011 Unionsangehörige Arbeitnehmer, die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, genießen nach Art. 7 II VO (EU) 492/2011 die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Fraglich ist, wie unterschiedliche Anknüpfungsmerkmale für In- und Ausländer beim Zugang zur Grundsicherung damit vereinbar sind. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erfüllen den Tatbestand der „sozialen Vergünstigung“ nach Art. 7 II VO (EU) 492/2011. Denn als solche sind nicht nur die mit einem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden sozialrechtlichen Ansprüche zu verstehen, sondern alle, die der Linderung einer Notlage dienen,80 die nicht explizit in der VO (EG) 883/2004 über die Koordinierung der Leistungen der Sozialversicherung geregelt sind81 und deren Nichtgewährung der Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft entgegenstehen könnte.82 Der Arbeitnehmerbegriff wird jedoch nicht einheitlich ausgelegt, so dass durchaus fraglich ist, ob alle von § 7 II Nr. 1, 2 SGB II erfassten Konstellationen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 7 II VO (EU) 492/2011 tangieren. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Arbeitnehmer, wer über einen bestimmten Zeitraum weisungsgebunden Leistungen für einen anderen erbringt und von diesem 78 Eichenhofer, SGb 2011, 463 (465); so auch Fasselt, ZFSH/SGB 2004, 655 (667); zu den Schwierigkeiten bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts von Arbeitsuchenden vgl. auch Schreiber, info also 2009, 195 (198). 79 Schreiber, ZESAR 2006, 424 (430); Husmann, NZS 2009, 652 (656). 80 Zuleeg, NDV 1987, 342 (345); Eichenhofer, ZfF 1999, 109 (110). 81 Hailbronner, VSSR 1992, 77 (90). 82 Korde/Berger-Delhey, ZfSH/SGB 1987, 393 (399); Husmann, ZFSH/SGB 2010, 87 (89); so auch die st. Rspr. des EuGH, Slg. 1979, 2019, Rn. 22 (Even); Slg. 1982, 33, Rn. 11 (Reina); Slg. 1984, 3199, Rn. 11 (Castelli); Slg. 1985, 973, Rn. 20 (Hoeckx); Slg. 1998, I-2691, Rn. 25 (Martínez-Sala); Slg. 2007, I-6909, Rn. 48 (Hendrix).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

eine Vergütung erhält.83 Die Arbeitnehmereigenschaft kann in bestimmten Fällen nach Ende des Arbeitsverhältnisses fortbestehen, wenn Arbeitnehmerrechte beispielsweise aufgrund einer Kündigung betroffen sind.84 Diese weite Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs erfährt eine Einschränkung, soweit die Regelungen der Art. 7–10 VO (EU) 492/2011 betroffen sind, welche die Ausübung der Beschäftigung und die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer regeln: Der Gleichbehandlungsanspruch gilt nur für Personen, die bereits Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats gefunden hatten85 und nunmehr – aufgrund von Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit oder Erwerbsunfähigkeit – keiner Beschäftigung mehr nachgehen. Die Geltung des § 7 II VO (EU) 492/2011 knüpft mithin an eine frühere Erwerbstätigkeit im Aufenthaltsstaat an.86 Als absoluter Gleichbehandlungsanspruch formuliert, erlaubt diese Norm keine Ausnahmen und ist damit auch der Rechtfertigung durch das Anliegen der Vermeidung von „Sozialtourismus“ nicht zugänglich. Diese Gefahr besteht bei ehemaligen Arbeitnehmern zudem nur scheinbar, war doch das früher ausgeübte Beschäftigungsverhältnis das prägende Motiv ihrer Einreise, nicht aber die Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Verlegt ein Unionsbürger seinen Wohnsitz erst nach Ende eines Beschäftigungsverhältnisses in einen anderen Mitgliedstaat, stehen ihm dagegen keine Ansprüche aus der Wanderarbeitnehmerverordnung zu.87 Der Anspruch auf Gleichbehandlung resultiert in diesen Fällen unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft, dem primärrechtlichen Diskriminierungsverbot und dem zu ihrer Umsetzung ergangenen Sekundär- und nationalem Recht.88 4. Anknüpfungskriterien nach koordinierendem Sozialrecht Der Rückgriff auf die Regelungen der VO (EU) 492/2011 ist jedoch nicht erforderlich, wenn und soweit sich aus der VO (EG) 883/2004 besondere Anknüpfungsregeln ableiten lassen. Denn die Koordinierungsverordnung geht aufgrund ihrer Spezialität zur Regelung der sozialrechtlichen Folgen von Migration der allgemeinen Wanderarbeitnehmerverordnung vor.89

83

EuGH, Slg. 1986, 2121, Rn. 16 f. (Lawrie-Blum); Slg. 1998, I-2691, Rn. 32 (Martínez Sala); Slg. 1999, I-3289, Rn. 13 (Meeusen). 84 EuGH, Slg. 1998, I-5325, Rn. 41 (Kommission / Frankreich); Slg. 2003, I-13187, Rn. 34 (Ninni-Orasche). 85 EuGH, Slg . 1982, 1035, Rn. 18 (Levin); Slg. 1986, 1741, Rn. 16 (Kempf); Slg. 1988, 3161, Rn. 33 (Lair); Slg. 2004, I-2703, Rn. 32 (Collins). 86 Husmann, ZFSH/SGB 2010, 87 (89). 87 Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 19; Hailbronner, VSSR 1992, 77 (90); Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195 (195); LSG Bayern, InfAuslR 2008, 260 (262). 88 Vgl. EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 34 (Martínez-Sala); Slg. 2004, 2703, Rn. 33 (Collins). 89 Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195 (195); Schreiber, ZESAR 2006, 423 (424).

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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a. Grundsicherung für Arbeitsuchende im Gefüge der VO (EG) 883/2004 Der Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnung ist eröffnet, wenn Leistungen im Hinblick auf eines der in Art. 3 I VO (EG) 883/2004 genannten sozialen Risiken erbracht werden. Die Arbeitslosigkeit ist in lit. h) als in die Koordinierung einbezogener Leistungszweig explizit aufgeführt. Jedoch beziehen sich die entsprechenden Regelungen im 6. Kapitel (Art. 61 ff.) auf die Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Denn dem Risiko der Arbeitslosigkeit sind nur solche Leistungen zugeordnet, die Einkommensausfälle infolge von Arbeitslosigkeit ausgleichen sollen. Sie setzen voraus, dass der Einzelne arbeitsuchend ist, d.h. einer Vermittlung durch die Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht.90 Die Grundsicherung für Arbeitsuchende als Hybrid zwischen existenzsichernden – also gerade nicht am früheren Einkommensstatus orientierten – und zugleich arbeitsmarktbezogenen Leistungen ist davon nicht erfasst. Die auf Existenzsicherung gerichteten Leistungen der Sozialhilfe („soziale Fürsorge“) sind gemäß Art. 3 V VO (EG) 883/2004 explizit von der Koordinierung ausgenommen. Ihr Anliegen, Armut als soziales Risiko zu kompensieren, gilt als traditionelle Aufgabe des Wohn- bzw. Herkunftsstaates, so dass namentlich der Export in andere Mitgliedstaaten nicht angezeigt ist.91 Sie stellen daher keine Leistungen der sozialen Sicherheit im Sinne des koordinierenden Sozialrechts dar.92 Wegen ihrer Anknüpfung an das Merkmal der Erwerbsfähigkeit und ihrer Ausrichtung auf die Beseitigung von Hilfebedürftigkeit durch (Wieder)Eingliederung in den Arbeitsmarkt, sind die Leistungen der Grundsicherung andererseits auch nicht eindeutig den Fürsorgeleistungen zuzuordnen. Der Verordnungsgeber hat der verbreiteten Einführung solcher Leistungen mit Mischcharakter Rechnung getragen und spezifische Regelungen für so genannte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen in Art. 70 VO (EG) 883/2004 etabliert. Darunter sind gemäß Art. 70 II lit. a) i) VO (EG) 883/2004 alle Leistungen zu subsummieren, die an eines der in Art. 3 I VO (EG) 883/2004 genannten sozialen Risiken anknüpfen und ihrem Empfänger ein Mindesteinkommen garantieren, das sich an den im Aufenthaltsstaat geltenden wirtschaftlichen und sozialen Umständen orientiert. Sie sind notwendig aus Steuern zu finanzieren und in ihrer Gewährung unabhängig von früheren Beitragszahlungen (II lit. b) und müssen im Anhang X zur Koordinierungsverordnung enumeriert sein (II lit. c). Liegen diese Voraussetzungen kumulativ 93 vor, ist eine Leistung als 90 EuGH, Slg. 1992, I-4341, Rn. 44 (Koch); Slg. 1997, I-6708, Rn. 27 (Meints); Slg. 2006, I-6947, Rn. 27 (de Cuyper). Dazu auch Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/2004, Rn. 37; Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 3 VO (EG) 883/2004, Rn. 21. 91 Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/2004, Rn. 49. 92 EuGH, Slg. 1983, 1427, Rn. 17 (Piscitello); Slg. 1985, 973, Rn. 13 f. (Hoeckx), Slg. 1985, 1027, Rn. 17 (Scrivner), Slg. 1987, 955, Rn. 11 f. (Giletti). 93 Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 70 VO 883/2004, Rn. 3 ff.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

besondere beitragsunabhängige Geldleistung zu qualifizieren, für die das koordiniere Sozialrecht anzuwenden ist. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Grundsicherung für Arbeitsuchende erfüllen diese Kriterien. Sie sind 2006 in den Anhang X aufgenommen worden.94 b. Sonderkoordinierung der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen Die beitragsunabhängigen Geldleistungen unterliegen nur eingeschränkt den Koordinierungsregeln. Namentlich ist nach Art. 70 III VO (EG) 883/2004 ihr Export ausgeschlossen, denn sie sind nach Art. 70 IV 1 VO (EG) 883/2004 an den Wohnstaat und die für diesen geltenden Bestimmungen gebunden. Dies führt dazu, dass Grenzgänger, die zwar vormals in der Bundesrepublik beschäftigt waren, dort aber keinen Wohnsitz begründet haben, keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beanspruchen können.95 Diese Rechtsfolge ergibt sich bereits unzweifelhaft aus nationalem Recht, fordert § 7 I 1 Nr. 4 SGB II doch den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik – eine Norm, die insofern nicht durch über- oder zwischenstaatliches Recht derogiert wird. Dies ist auch gerechtfertigt, denn die Leistungen sind in ihrer existenzsichernden Funktion so eng an die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik gekoppelt, dass ihre Auszahlung in anderen Staaten nicht angezeigt ist. Nicht tangiert von der eingeschränkten Koordinierung ist dagegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004.96 Dabei handelt es sich um eine umfassende Garantie der Inländergleichbehandlung, nicht lediglich um ein Diskriminierungsverbot, welches die Möglichkeit der Rechtfertigung von Sonderregelungen eröffnen würde.97 Wartefristen wie in § 7 I 2 Nr. 1 SGB II oder der Leistungsausschluss während der Beschäftigungssuche nach § 7 I 2 Nr. 2 SGB II wären daher nur dann zulässig, wenn sie uneingeschränkt auch für Deutsche gelten würden. Dies ist jedoch nicht der Fall: deutsche Staatsangehörige haben lediglich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik nachzuweisen und müssen erwerbsfähig und hilfebedürftig sein, § 7 I SGB II. Die Sonderregelungen des SGB II für Ausländer laufen diesem unbedingten Gleichbehandlungsgebot schon aus diesem Grund zuwider.98

94

Anhang Ziff. 4 lit. a) VO (EG) Nr. 629/2006, ABl. L 114 vom 27.4.2006, S. 4. BSG, Urteil vom 18.1.2011 (B 4 AS 14/10 R), Rn. 15 – juris; so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17.9.2009 (L 9 AS 4/07), Rn. 30 -juris. 96 LSG Bayern, InfAuslR 2009, 260 (262); Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243 (253). 97 Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht (5. Auflage), Art. 4 VO (EG) 883/2004, Rn. 2 und 12; Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 4 VO 883/2004, Rn. 7. 98 Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, § 7, Rn. 36; a.A. LSG Bayern, InfAuslR 2008, 260. 95

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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c. Personelle Reichweite des Art. 4 VO (EG) 883/2004 Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 ist in seinem persönlichen Anwendungsbereich umfassend. Die vormals getroffene Unterscheidung zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unionsbürgern ist spätestens mit der Ablösung der früheren Koordinierungsverordnung VO (EWG) 1408/71 durch die VO (EG) 883/2004 obsolet, bezieht diese doch explizit sämtliche Unionsbürger und deren Familienangehörige in ihren persönlichen Geltungsbereich ein, die einem nationalen System sozialer Sicherheit angehören.99 Jedoch war bereits in der Vorgängerverordnung klargestellt, dass als Arbeitnehmer alle Personen gelten, die in einem auf Arbeitnehmersicherung ausgerichteten System pflichtversichert waren, Art. 1 lit. a) i) bis iv) VO (EWG) 1408/71. Dies erfasste daher auch Arbeitsuchende.100 Im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit der Empfänger von Leistungen sozialer Sicherheit begünstigt die Koordinierung nicht nur Unionsbürger. Das Gleichbehandlungsgebot erstreckt sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auf alle „Personen, für die diese Verordnung gilt“. Der persönliche Geltungsbereich ist in Art. 2 VO (EG) 883/2004 umschrieben und erstreckt sich neben den Unionsbürgern auf Staatenlose und Flüchtlinge sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebenen. Andere Drittstaatsangehörige sind aufgrund Art. 1 VO (EU) 1231/2010101 in den Geltungsbereich des koordinierenden Sozialrechts einbezogen, sofern sie sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten und ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt. Damit gilt das Gebot der Inländergleichbehandlung auch für sie, so dass sich ihr Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende ebenfalls von Beginn ihres Aufenthalts an ausschließlich nach § 7 I SGB II richten kann. d. Statutenwechsel nach der VO (EG) 883/2004 Die Regelungen des koordinierenden Sozialrechts zur Bestimmung des zuständigen Staates spiegeln den bereits im Rahmen des nationalen Rechts hergeleiteten Statutenwechsel („gewöhnlicher Aufenthalt“) wieder. Nach Art. 11 II VO (EG) 883/224 unterliegt eine Person, die aufgrund oder infolge einer Beschäftigung eine Geldleistung bezieht, weiterhin dem Recht des Beschäftigungsstaats. Dies umfasst auch Arbeitslose.102 Nichterwerbstätige, die keine solchen Leistun99

Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 101. Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht (4. Auflage), Art. 2, Rn. 7 m.w.N. Dies verkennen Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243 (253) und Kunkel/Frey, ZFSH/SGB 2008, 387 (391). 101 VO (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen, ABl. L 344 vom 29.12.2010, S. 1 ff. 102 Devetzi in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 11, Rn. 20. 100

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

gen beziehen – etwa weil sie die notwendigen Beitragszeiten nicht erfüllt oder noch nie eine Beschäftigung ausgeübt haben – unterliegen demgegenüber nach Art. 11 III lit. e) VO (EG) 883/2004 dem Recht des Wohnstaates. Als Wohnstaat gilt der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts. Die Regelungen zur Koordinierung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit stellen sicher, dass Erwerbslose auch im Falle der Arbeitssuche in anderen Mitgliedstaaten finanziell abgesichert sind. Art. 64 VO (EG) 883/2004 belässt die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Regelfall für drei Monate beim Träger des Herkunftslands. Diese Leistungen sind als Einkommen i.S.v. § 11 SGB II zu bewerten,103 so dass ihr Bezug die Hilfebedürftigkeit i.S.v. §§ 7 I Nr. 2, 9 SGB II entfallen lassen, zumindest aber mindern könnte. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass das europäische Recht den Übergang der Verantwortung eines Staats für die soziale Sicherung Erwerbsloser auf einen anderen an einen Statutenwechsel knüpft. Erst wenn ein Arbeitsuchender nicht rechtzeitig innerhalb der Dreimonatsfrist in sein Herkunftsland zurückkehrt, verliert er endgültig seine Ansprüche gegen den dortigen Träger.104 Bezieht ein Arbeitsuchender keine Leistungen vom Träger des Beschäftigungsstaates, begründet aber seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat – auch um dort Arbeit zu suchen – ist ihm der Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit nach den dort geltenden Regelungen eröffnet. Wegen der Gleichbehandlungsklausel aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 darf der nunmehr zuständige Träger des Wohnstaats keine Differenzierung zwischen In- und Ausländern treffen. Solange also die Aufenthaltsbegründung und -fortführung vom Aufenthaltsstaat nicht infrage gestellt wird, tritt ein Statutenwechsel ein, der eine Leistungsberechtigung auch für Leistungen an Arbeitsuchende eröffnet. 5. Völkerrechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche Gewährt das Europarecht subjektive Rechte auf Gleichbehandlung regelmäßig nur in grenzüberschreitenden Konstellationen, sind völkerrechtliche Gewährleistungen nicht von einem Grenzübertritt abhängig. Als Menschenrechte knüpfen sie allein an das Mensch-Sein an und vermögen daher einen weiter gefassten Zugang zur gleichberechtigten Gewährung von Leistungen sozialer Sicherheit zu eröffnen. a. Sonderregelungen für Ausländer im Lichte der EMRK Art. 14 EMRK statuiert ein Diskriminierungsverbot im Hinblick auf das Geschlecht, die „Rasse“, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauungen sowie wegen der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines 103 104

Vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17.9.2009 (L 9 AS 4/07), Rn. 30 -juris. Schlegel in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 64 VO 883/2004, Rn. 35.

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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sonstigen Status. Die Staatsangehörigkeit wird zwar nicht explizit erwähnt, ist aber durch die sonstigen Merkmale, insbesondere das Verbot der Rassendiskriminierung bzw. das Verbot der Diskriminierung aufgrund der nationalen Herkunft erfasst.105 Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK. Art. 14 EMRK knüpft an die sonstigen in der EMRK und den dazu ergangenen Zusatzprotokollen verankerten Rechte an, weist also akzessorischen Charakter auf. Sein Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn in eines der Rechte eingegriffen wird oder wenn eine Personengruppe bei der Ausübung dieser Rechte gegenüber anderen Personen benachteiligt wird.106 Das Diskriminierungsverbot ist verletzt, wenn für die Ungleichbehandlung kein sachlicher Rechtfertigungsgrund besteht, d.h. wenn diese „kein berechtigtes Ziel verfolgt oder wenn kein angemessenes Verhältnis zwischen den angewendeten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht.“107 Den Staaten ist zwar grundsätzlich ein Ermessenspielraum eingeräumt, inwieweit sie die unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten als gerechtfertigt erachten. Insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist dieser Spielraum sehr weit zu fassen, haben die nationalen Gesetzgeber und Behörden aufgrund ihrer Nähe zur inländischen Gesellschaft und den dortigen Lebensbedingungen doch eine stärkere Kompetenz zur Bewertung der diesbezüglich bestehenden öffentlichen Interessen.108 Im Gegenzug misst der EGMR einzelnen verpönten Differenzierungsmerkmalen eine so erhebliche Bedeutung zu, dass allein an diese anknüpfende Ungleichbehandlungen der weitgehenden Entscheidungsfreiheit der Staaten entzogen sind. Dies gilt namentlich für den Rekurs auf die nationale oder die ethnische Herkunft.109 Eine darauf gestützte Ungleichbehandlung ist mit den Grundsätzen demokratischer Gesellschaften schlechterdings unvereinbar.110 Soziale Sicherheit als Eigentum. Zwar finden sich in der EMRK keine Rechtsverbürgungen mit spezifisch sozialrechtlichem Charakter. Der EGMR hat jedoch aus Art. 1 EMRK-ZP, dem Schutz des Eigentums, umfassende Gleichbehandlungsansprüche im Recht der sozialen Sicherheit hergeleitet. In der Rechtssache Gaygusuz111 hat das Gericht Leistungen, auf die durch Beitragszahlungen 105

Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 14, Rn. 29. EGMR, NVwZ 2006, 917 (917) (Okpisz); Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 14, Rn. 5 f.; Schmahl/Winkler, AVR 48 (2010) 405 (418). 107 EGMR, NJW 2002, 2851 (2855) (Pretty); NVwZ 2008, 533 (534) (D.H.). 108 EGMR, Urt. v. 21.2.1986, Az. 8793/79, Rn. 46 (James); Urt. v. 23.10.1997, Az. 117/1996/736/933–935, Rn. 80 ff. (National and Provincial Building Society); Urt. v. 27.11.2007, Az. 77782/01, Rn. 48 (Luczek); NJW-RR 2009, 1606 (1609) (Burden). 109 EGMR, InfAuslR 1997, 1 (2) (Gaygusuz); EGMR, ZESAR 2004, 142 (142) (Poirrez). 110 EGMR, NVwZ 2008, 533 (534) (D.H.). 111 EGMR, InfAuslR 1997, 1 (Gaygusuz). 106

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

Anwartschaften erworben wurden, dem Eigentumsschutz zugeordnet. Sehr viel weiter ging der EGMR in der Rechtssache Poirrez.112 Danach sind auch solche Leistungen der Eigentumsgarantie des Art. 1 EMRK-ZP unterworfen, die nicht auf Beitragszahlungen beruhen. Die Begründung stützt sich darauf, dass der Kläger über einen rechtmäßigen Aufenthalt verfügte und bereits Leistungen der Sozialhilfe bezog. Mit Ausnahme der Staatsangehörigkeit hatte er alle Voraussetzungen für den zusätzlichen Bezug der Behindertenbeihilfe erfüllt, so dass mangels jedweder objektiver Rechtfertigung des Staatsangehörigkeitserfordernisses das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 14 EGMR verletzt sei. Dieses Urteil führt der EGMR in seiner Rechtsprechung zum Eigentumsschutz konsequent fort. Dieser gewährt zwar kein allgemeines Recht zum Erwerb von Eigentum. Von der Garantie des Art. 1 EMRK-ZP sind jedoch alle Forderungen und Ansprüche auf Leistungen vermögensrechtlicher Natur erfasst, auf die die berechtigte Erwartung ihrer Realisierung besteht. Sobald die im nationalen Recht niedergelegten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind („wohl erworbene Rechte“113), entfaltet der menschenrechtliche Eigentumsschutz seine Wirkung. Dies gilt auch für Sozialleistungen, ohne dass es auf deren Finanzierung durch Beiträge oder aus sonstigen Quellen ankommt.114 Mit dieser Rechtsprechung hat der EGMR keineswegs einen uneingeschränkten Zugang zu allen Sozialleistungen für jedermann eröffnet, sondern dem nationalen Gesetzgeber stets weiten Gestaltungsspielraum eingeräumt. Ansprüche auf Leistungen sozialer Sicherheit können daher auch im Interesse der fiskalischen Konsolidierung von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Eine Verletzung der menschenrechtlichen Garantien der EMRK kommt erst in Betracht, wenn ein Antragsteller abgesehen von der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates alle sonstigen Bedingungen und Leistungsvoraussetzungen erfüllt.115 Ausländern ist es prinzipiell möglich, die in § 7 I 1 SGB II verankerten Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen. Die Sonderregeln für Nichtdeutsche in § 7 I 2 SGB II sind mit Blick auf den menschenrechtlichen Gehalt der Art. 14 EMRK, 1 EMRK-ZP folglich nicht gerechtfertigt. Existenzsichernde Leistungen können nicht an besondere personelle Bindungen, wie sie durch den Erwerb einer Staatsangehörigkeit begründet oder verfestigt werden, anknüpfen.116 Der Rekurs auf eine „besondere Verantwortung“ für die eigenen Staatsangehörigen ist 112

EGMR, ZESAR 2004, 142 (Poirrez) mit Anm. Eichenhofer. Schmahl/Winkler, AVR 48 (2010) 405 (424). 114 EGMR, Urt. v. 12.4.2006, Az. 65731/01, Rn. 53 (Stec); Urt. v. 15.9.2009, Az. 10373/05, Rn. 38 (Mozkal). Ausführlich Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 1 ZP, Rn. 12, 14 m.w.N.; kritisch Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (106). 115 Davy, ZIAS 2000, 221 (240); Hailbronner, JZ 1997, 397 (400). 116 Schmahl/Winkler, AVR 48 (2010) 405 (422) leiten aus dem Folterverbot des Art. 3 EMRK eine leistungsrechtliche Dimension her, stelle ein Leben in Armut ohne Aussicht auf staatliche Unterstützung doch eine verbotene unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. 113

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

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unzulässig.117 Auf den Gleichbehandlungsanspruch im Grundsicherungsrecht können sich daher im Einklang mit Art. 1 EMRK alle Personen ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu einem Konventionsstaat berufen, die der Hoheitsgewalt des deutschen Sozialstaats unterworfen sind. Bereits 2005 ist das 12. Zusatzprotokoll zur EMRK118 in Kraft getreten. Dieses enthält anders als Art. 14 EMRK ein eigenständiges, nichtakzessorisches Diskriminierungsverbot und verbietet jede Ungleichbehandlung wegen „des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status“ für alle gesetzlich niedergelegten Rechte. Als Diskriminierung i.S.d. 12. Zusatzprotokolls gelten wie in Art. 14 EMRK alle Ungleichbehandlungen, die nicht durch objektive und vernünftige Gründe zu rechtfertigen sind.119 Das Verbot der ungerechtfertigten Benachteiligung erstreckt sich auf alle durch oder aufgrund eines Gesetzes begründeten Rechtspositionen und gilt daher uneingeschränkt für alle Sozialleistungen.120 Die Bundesrepublik hat das Dokument zwar unterzeichnet, nicht aber ratifiziert, so dass sich bislang keine Rechtsfolgen für das deutsche Recht daraus ableiten lassen. An der bisherigen Bewertung unterschiedlicher Anspruchsvoraussetzungen für Deutsche und Ausländer würde aber auch dieses weiter gefasste Diskriminierungsverbot nichts ändern. b. Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit im Lichte des Europäischen Fürsorgeabkommens Auch das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11.12.1953 – ein vom Europarat vermitteltes multilaterales Abkommen121 – garantiert die Gleichbehandlung der Angehörigen der Vertragsstaaten in den Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge. Zugleich statuiert es ein Abschiebungsverbot aus Gründen der Bedürftigkeit. Eine Harmonisierung der existenzsichernden Leistungen ist nicht Gegenstand des Abkommens. Es präzisiert vielmehr den in Art. 13 ESC verankerten Grundsatz, dass jeder Mittellose ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit Anspruch auf die Fürsorgeleistungen des Aufenthaltsstaats hat.

117 EGMR, InfAuslR 1997, 1 (3) (Gaygusuz); dazu ausführlich Davy, ZIAS 2000, 221 (238 f.). 118 Protokoll Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.2000. Die Bundesrepublik hat das Dokument zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. 119 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 14, Rn. 3. 120 So auch Schmahl/Winkler, AVR 48 (2010) 405 (426). 121 Ausführlich Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 45.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Fürsorgeleistungen. Der sachliche Anwendungsbereich des EFA erstreckt sich auf Leistungen der Fürsorge. Darunter sind nach Art. 2 a) lit. i) EFA die Leistungen zu verstehen, die an Personen ohne ausreichende eigene Mittel gewährt werden, damit diese ihren Lebensbedarf decken können. Davon umfasst sind nicht nur finanzielle Zuwendungen, sondern auch Dienstleistungen, die der Betreuung der Leistungsempfänger dienen.122 Die nationalrechtlichen Normen, auf die das EFA anzuwenden ist, sind im Anhang I des Abkommens aufgeführt, Art. 2 b) EFA. Ob die nach dem SGB II zu gewährenden Leistungen als Fürsorge i.S.d. EFA zu qualifizieren sind, ist umstritten. Die ablehnende Auffassung weist darauf hin, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht explizit in Anhang I aufgeführt ist. Dort hat der Gesetzgeber erklärt, dass die nach dem inzwischen außer Kraft getretenen BSHG zu gewährenden Leistungen vom EFA erfasst sein sollen. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende seien aber nicht deckungsgleich mit denen des BSHG, da sie aufgrund ihrer Verknüpfung mit den aktivierenden Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt gerade nicht nur der Deckung des Lebensbedarfs dienen.123 Die Gegenauffassung stellt auf den rein deklaratorischen Charakter der Anhänge zum EFA ab. Diese dienten nur der Information über den Stand der fürsorgerischen Gesetzgebung in den Vertragsstaaten. Dem ist zuzustimmen. Würde man das Abkommen allein auf die in die Anhänge aufgenommenen Leistungen beschränken, wäre der Gehalt des Gleichbehandlungsanspruchs aus Art. 1 EFA in das Belieben der Vertragsstaaten gestellt, die auf diese Weise anderen als den eigenen Staatsangehörigen bestimmte Fürsorgeleistungen vorenthalten könnten.124 Die Aufführung eines Gesetzes ist daher nicht konstitutiv für dessen Bewertung als Fürsorgeleistung i.S.d. Abkommens.125 Auch die lex posterior-Regel zeitigt keine Auswirkungen auf den Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 1 EFA. Nach diesem völkerrechtlich anerkannten Grundsatz wird ein Gesetz überlagert, sofern später erlassenes Recht den gleichen Sachverhalt regelt Dies gilt auch für als Bundesgesetz geltende völkerrechtliche Verpflichtungen.126 Die Bundesrepublik hat das Abkommen durch Gesetz vom 15.5.1956127 ratifiziert und es damit in den Rang eines einfachen Ge122

Fenge, ZfSH 1979, 257 (258). Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 13b; SG Reutlingen, Urt. v. 29.4.2008 (S 2 AS 2952/07) -juris; im Ergebnis auch LSG Bayern, Beschl. v. 4.5.2009 (L 16 AS 130/09 B ER) -juris. 124 So Ziffer 49 des Erläuternden Berichts des Europarats zum Europäischen Fürsorgeabkommen, zitiert bei Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243 (260 f.). 125 Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, § 7, Rn. 35; Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243 (261); BVerwGE 111, 200 (206); BSG, SozR 4–4200 § 7 Nr. 21, Rn. 34; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v. 14.1.2008 (L 8 SO 88/07 ER), Rn. 40 -juris. 126 Fritzsch, ZAR 2010, 14 (15). 127 BGBl 1956 II 563. 123

A. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung

263

setzes überführt. Es zählt mithin nicht zum per se höherrangigen Völkerrecht i.S.v. Art. 25 GG,128 so dass der Anwendungsbereich der lex posterior-Regel dem Grunde nach eröffnet ist. Das SGB II ist zwar weit nach der Ratifikation des EFA ergangen. Die Ausschlussklauseln des § 7 I 2 SGB II verdrängen gleichwohl nicht die Regelungen des EFA. Zum einen wird das Abkommen als spezielles Recht angesehen.129 Zum anderen muss der Wille des Gesetzgebers, von völkerrechtlichen Verpflichtungen abzuweichen, bei Erlass eines späteren Gesetzes deutlich hervortreten.130 Auf das EFA hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zum SGB II jedoch keinerlei Bezug genommen. Zwar hat die Bundesregierung in Reaktion auf ein Urteil des BSG131 für die Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt gegen das EFA erklärt.132 Damit sollen die Angehörigen der Vertragsstaaten von den Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen werden. Wegen des Vorrangs des Unionsrechts kann sich dieser Vorbehalt aber einerseits nur auf die Vertragsstaaten erstrecken, die nicht Mitgliedstaaten der EU sind.133 Im Übrigen läuft er der Regelung in Art. 16 lit. b) EFA zuwider, welche derartige Vorbehaltserklärungen nur bei Erlass substanziell neuer Rechtsvorschriften erlaubt. Der von der Bundesregierung wegen eines, wenn auch höchstrichterlichen, Urteils erklärte Vorbehalt genügt diesen Anforderungen nicht. Auch die in der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) niedergelegten Vorgaben zu völkerrechtlichen Verträgen sprechen gegen die Zulässigkeit des Vorbehalts. Nach Art. 19 lit. c) WVRK dürfen Vorbehalte nicht dem Ziel und Zweck des Vertrags zuwider laufen. Wesentliches Anliegen des EFA ist die Gleichbehandlung der Angehörigen aller Vertragsstaaten beim Zugang zu existenzsichernden Leistungen. Damit ist es schlechterdings unvereinbar, wenn der begünstigte Personenkreis von vornherein von jedweden Fürsorgeleistungen, die die Bundesrepublik an erwerbsfähige Hilfebedürftige gewährt, ausgeschlossen wird. Persönlicher Anwendungsbereich des EFA. Gemäß Art. 1 EFA sind die Angehörigen der vertragsschließenden Staaten berechtigt, in anderen Konventionsstaaten Fürsorgeleistungen unter den gleichen Bedingungen wie Inländer in Anspruch zu nehmen. Nach Art. 13 Ziff. 4) ESC erstreckt sich der Gleichbehandlungsanspruch auf die Angehörigen der Staaten, die die Europäische Sozialcharta ratifiziert haben. 128 Fenge, ZfSH 1979, 257 (258); Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 24; Mangold/ Pattar, VSSR 2008, 243 (261); BVerwGE 71, 139 (142); BSG, SozR 4–4200 § 7 Nr. 21, Rn. 24. 129 Brüh/Schoch in Münder, LPK-SGB II, § 7, Rn. 35. 130 BVerwGE 111, 200 (211);OVG Berlin, FEVS 55, 186 (189); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl v. 14.1.2008 (L 8 SO 88/07 ER), Rn. 50 -juris; Fritzsch, ZAR 2010, 14 (15). 131 BSG, SozR 4–4200 § 7 Nr. 21. 132 Geschäftsanweisung SGB II Nr. 8 vom 23.2.2012, abrufbar unter www.arbeitsagentur.de. 133 Denn Unionsbürger sind kraft VO (EG) 883/2004 gleich mit Inländern zu behandeln.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

Voraussetzung der Inländergleichbehandlung ist der erlaubte Aufenthalt. Der Aufenthalt gilt nach Art. 11 lit. a) EFA so lange als erlaubt, wie der fremde Staatsangehörige in Besitz einer Erlaubnis ist, die ihm den Aufenthalt in diesem Staat gestattet. Die Erlaubnis fehlt dagegen, sobald eine wirksame und vollstreckbare Anordnung zum Verlassen des Landes besteht, Art. 11 lit. b) EFA. Der aufenthaltsrechtliche Rahmen für die Teilhabeansprüche nach dem EFA ist damit deckungsgleich mit dem des Unionsrechts, nachdem ein Aufenthalt auch ohne formellen Titel so lange als erlaubt gilt, bis der Aufenthaltsstaat dessen Beendigung verfügt hat. Auf das EFA kann sich jedoch nicht berufen, wer sich missbräuchlich verhält, d.h. sich allein zu dem Zweck in einen Vertragsstaat begibt, um dort Fürsorgeleistungen in Anspruch zu nehmen.134 Namentlich wird vertreten, dass der Anwendungsbereich des Abkommens nicht eröffnet sei, wenn die Bedürftigkeit bereits bei der Einreise bestand, was regelmäßig auf Personen, die allein zum Zwecke der Arbeitsuche einreisen, zutreffen dürfte. Zwar enthalte das EFA keine entsprechende Öffnungsklausel, jedoch könne es den ratifizierenden Staaten nicht verwehrt sein, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen zu verhindern.135 Nach dieser Auffassung wäre der persönliche Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsanspruchs insoweit zu reduzieren, dass bedürftig Einreisende von ihm nicht erfasst seien. Dies überzeugt jedoch nicht, bietet doch das Abstellen auf den erlaubten Aufenthalt in Art. 1 EFA hinreichende Gewähr für eine Missbrauchskontrolle. Für die Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten, die das EFA ratifiziert haben, gilt eine Vermutung der Freizügigkeit, die es durch einen nationalen Rechtsakt zu entkräften gilt. Die Angehörigen der übrigen Vertragsstaaten des EFA benötigen für Einreise und Aufenthalt in die Bundesrepublik ohnehin eines Aufenthaltstitels, der nach § 5 I Nr. 1 AufenthG unter anderem an den Nachweis hinreichender Existenzmittel geknüpft ist. Eine generelle Ausnahme von der Inländergleichbehandlung ist daher nicht angezeigt.136

III. Fazit Für Unionsbürger und in das Koordinierungsrecht einbezogene Drittstaatsangehörige läuft der Anwendungsbereich des § 7 I 2 SGB II leer. Ohne Ausweisungsverfügung ist der Leistungsausschluss primär- und sekundärrechtswidrig. Nach einer in zulässiger Weise ergangenen Ausweisungsverfügung fehlt es an dem für den Leistungsbezug nach § 7 I 1 Nr. 4 SGB II erforderlichen gewöhnlichen Aufenthalt. Europarechtlich nicht privilegierte Drittstaatsangehörige mit recht134 Argumentation in Bezug auf die Sozialhilfe nach BSHG bzw. SGB XII: OVG Hamburg, NVwZ-RR 1990, 141 (142); OVG Berlin, FEVS 55, 186 (189 f.); Fenge, ZfSH 1979, 257 (266); Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 100. 135 OVG Berlin, FEVS 55, 186 (189 f.). 136 So im Ergebnis auch BSG, SozR 4–4200 § 7 Nr. 21, Rn. 40.

B. Zugang zu den Leistungen im Alter und bei Erwerbsminderung

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mäßigem Aufenthalt in der Bundesrepublik können sich als Angehörige eines Vertragsstaats auf Art. 1 EFA, alle anderen auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 EMRK-ZP berufen. Die Sonderregelungen des SGB II zur Anknüpfung der Leistungsberechtigung von Ausländern sind daher obsolet.137 Denn durch das Erfordernis des gewöhnlichen Aufenthalts in § 7 I 1 Nr. 4 SGB II ist bereits hinreichend Vorsorge zur Verhinderung einer Sozialleistungsmigration getroffen. Besteht die sozialrechtliche Verantwortlichkeit des Herkunftslandes fort und kann diese in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden – was regelmäßig nur bei den Deutschen ohnehin gleichgestellten Flüchtlingen und Asylberechtigten nicht der Fall ist – ist der im Erfordernis eines zukunftsoffenen Aufenthalts gründende Leistungsausschluss unproblematisch. Weder ist das aus der Menschenwürdegarantie nach Art. 1 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 I GG resultierende Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz verletzt. Denn wer Fürsorgeleistungen im Herkunftsstaat (= Wohnstaat) beanspruchen kann, wird durch § 7 I 1 Nr. 4 SGB II bei Arbeitsuche in der Bundesrepublik nicht jedweder existenzsichernder Leistungen beraubt. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 I GG ist nicht tangiert, stellt doch der nicht erfolgte Statutenwechsel einen hinreichend tragfähigen Grund für die Verweigerung der Grundsicherungsleistungen dar.

B. Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, §§ 41 ff. SGB XII Die existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII sind an alle Personen zu erbringen, die nicht vom Anwendungsbereich des SGB II erfasst sind. Im Zuge der Ablösung des BSHG durch das SGB II und SGB XII ist in den §§ 41 ff. SGB XII eine Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung etabliert worden. Danach ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen Leistungen der Grundsicherung zu gewähren, wenn sie notwendigen Lebensunterhalt weder aus Einkommen noch Vermögen bestreiten können. Der Unterschied der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zur bis dahin geltenden Sicherung dieser Personengruppen über die Sozialhilfe liegt im eingeschränkten Regress gegenüber den Unterhaltsschuldnern des Bedürftigen. Die Leistungen werden jedoch nach den für die Sozialhilfe geltenden Grundregeln berechnet und auch von den Sozialhilfeträgern erbracht.138

137 Schreiber, ZESAR 2006, 424 (430); Heinig, ZESAR 2008, 465 (470); Husmann, NZS 2009, 652 (656); Eichenhofer, SGb 2011, 463 (466). 138 Fuchs, NZS 2007, 1 (2).

266

5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

Eine Differenzierung nach Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsstatus erfolgt nicht.139 § 41 SGB XII knüpft allein an den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an. Neben dem Wortlaut dieser Norm spricht dafür § 23 I 2 SGB XII, der die nach dem 4. Kapitel des SGB XII zu gewährenden Leistungen von den Sonderregelungen in der Sozialhilfe für Ausländer unberührt lässt.140

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII Personen, die weder von der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch für Ältere und voll Erwerbsgeminderte erfasst sind, können in Notlagen Sozialhilfeleistungen nach §§ 8 ff. SGB XII, insbesondere Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII in Anspruch nehmen. Der persönliche Anwendungsbereich dieses subsidiären Fürsorgesystems ist gering.141

I. Sozialhilfe für Ausländer, § 23 SGB XII § 23 SGB XII beinhaltet einerseits eine Kollisionsnorm,142 die Ausländern mit tatsächlichem Inlandsaufenthalt Zugang zum deutschen Sozialhilferecht eröffnet. Als Sachnorm statuiert sie Leistungsbeschränkungen für diese Personengruppe. Gemäß § 23 I 1 SGB XII haben Ausländer, die sich tatsächlich in Deutschland aufhalten und bedürftig sind, einen Anspruch auf Gewährung einer Grundversorgung. Im Übrigen können Leistungen nach dem SGB XII gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist, § 23 I 3 SGB XII. 1. Tatsächlicher Aufenthalt als Anknüpfungspunkt Der tatsächliche Aufenthalt i.S.v. § 23 SGB XII erfordert im Gegensatz zum gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 III SGB I lediglich physische Präsenz.143 Auch die örtliche Zuständigkeit der Sozialhilfeträger richtet sich gemäß § 98 I SGB XII nur nach der tatsächlichen Anwesenheit. Hintergrund ist das Ziel der sozialen Hilfen: sie sollen in gegenwärtigen Notlagen schnell und effektiv Abhilfe schaffen.144 Es kommt damit weder auf die Dauer noch auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts oder eine polizeiliche Meldung am Aufenthaltsort an.145 139

Fasselt, ZFSH/SGB 2004, 655 (655). Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 23, Rn. 12. 141 Ausführlich zur schwierigen Abgrenzung zwischen SGB II und SGB XII Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Einleitung, Rn. 12 ff. 142 Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 1. 143 Statt vieler Herbst in Mergler/Zink, § 23 SGB XII, Rn. 8. 144 BVerwGE 79, 46 (49); Deiseroth, DVBl. 1998, 116 (122). 145 Fenge, ZfSH 1979, 257 (265); Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 7; Berger, Die 140

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII

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2. Eingeschränkter Rechtsanspruch für Ausländer Trotz des Abstellens auf die lediglich territoriale Zugehörigkeit, ohne Differenzierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, erhalten Ausländer andere Leistungen als Deutsche. Hat ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland inne, ist ihm keine vollumfängliche Sozialhilfe zu leisten. Die Gewährung eines Darlehens zur Finanzierung der Rückreise in das Herkunftsland wird für ausreichend erachtet.146 Ein Rechtsanspruch besteht im Übrigen nur auf Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII), Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII), bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 SGB XII) sowie auf Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII). § 23 SGB XII enthält eine Rechtsgrundverweisung auf diese Normen.147 Ein Ausländer kann diese Leistungen daher unter den gleichen Voraussetzungen, in gleicher Art und im gleichen Umfang wie ein Deutscher beanspruchen. Sieht das Gesetz aber für Deutsche lediglich Ermessensleistungen vor, kann ein Ausländer aus § 23 SGB XII keinen Rechtsanspruch, sondern ebenfalls lediglich ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung herleiten. Die völlige Gleichstellung mit Deutschen bezieht sich lediglich auf das physische Existenzminimum, d.h. die Sicherung des Überlebens. Andere als die in § 23 I 1 SGB XII genannten Leistungen – dies sind namentlich solche, die dem Einzelnen eine dauerhafte Integration in die Gesellschaft ermöglichen148 – kann die Behörde erbringen, soweit dies nach den Umständen des Einzelfalls gerechtfertigt ist. Dem Sozialhilfeträger ist damit nach überwiegender Meinung sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ ein Ermessen eigenräumt.149 Bei der Ausübung des Ermessens sind neben den Einzelfallumständen auch die gesetzgeberischen Ziele, insbesondere ausländerrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Welche Leistungen und in welchem Umfang diese zu gewähren sind, kann sich daher beispielsweise am Aufenthaltstitel, der Dauer des bisherigen Aufenthalts und des Grades der Integration des Bedürftigen in die Inlandsgesellschaft orientieren.150 Je länger der Aufenthalt andauert, umso mehr

Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 18; McHardy, RdR 1994, 93 (102); Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 28. 146 Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 21. 147 Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 27; Hohm in Schellhorn/ Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 23, Rn. 9. 148 Eichenhofer, ZAR 1987, 108 (113). 149 A.A. Sauer, ZAR 1994, 168 (169), demzufolge sich das Ermessen allein auf Art und Maß der zu erbringenden Leistungen bezieht. Über das „Ob“ sei vom Sozialhilfeträger nicht zu befinden, denn der Anwendungsbereich des § 23 I 3 SGB XII sei stets eröffnet, wenn kein Rechtsanspruch auf die Sozialhilfeleistung bestehe. 150 Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 27 f.; Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 36 f.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

muss der Umfang der gewährten Leistungen dem entsprechen, was ein deutscher Hilfebedürftiger beanspruchen kann.151 3. Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen Die Einschränkungen gelten nach § 23 I 4 SGB XII jedoch nicht für Ausländer, die in Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten. Von einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt ist auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte darauf schließen lassen, dass ein Ausländer die Bundesrepublik auf absehbare Zeit nicht verlassen wird. Dies ist beispielsweise bei der Eheschließung mit einem Deutschen der Fall.152 In zeitlicher Sicht wird die Grenze des § 2 AsylbLG herangezogen. Danach kommt für Personen, auf die das AsylbLG anzuwenden ist, nach 48monatigem Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG Leistungen das SGB XII zur Anwendung, wenn sie die Dauer ihres Aufenthalts nicht missbräuchlich beeinflusst haben. Ausländer können ohne dauerhaften Aufenthalt nach vier Jahren Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Daraus wird gefolgert, dass dies erst Recht für Ausländer gelten müsse, die über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügen. Der voraussichtliche Daueraufenthalt müsse also nicht völlig zukunftsoffen sein. Es genüge, wenn der Ausländer voraussichtlich noch mindestens vier Jahre im Inland bleibe.153 Allzu starre Maßstäbe dürfen jedoch nicht angelegt werden, so dass es ausreicht, wenn eine Prognose der künftigen Aufenthaltsdauer auf einen verfestigten Status hindeutet.154 Nach der Gesetzesbegründung soll bei diesen privilegierten Personengruppen das behördliche Ermessen „in der Regel“ auf null reduziert sein, ein Rechtsanspruch also gleichwohl nicht begründet werden.155 Diese Auslegung findet indes weder in Wortlaut noch Systematik der Norm eine Stütze. Die Begründung von Ermessensansprüchen in § 23 I 3 SGB XII stellt einen Ausnahmefall im Sozialhilferecht dar. Üblicherweise besteht ein Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies liegt nicht zuletzt an ihrer existenzsichernden Funktion: wollte der Staat die Sicherung des Existenzminimums in das Ermessen der Träger stellen, führte dies – auch wenn dieser nach Art. 1 III GG an das Recht gebunden sind – zu einem Verstoß gegen die Menschenwürde des Einzelnen. Denn es bestünde stets die Möglichkeit, trotz Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen zu werden. Existenzsichernde Leistungen sind aus diesem Grund stets als 151

Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 30. BT-Drs. 15/1761, S. 5; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 23, Rn. 13. 153 Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 39. 154 Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 17; Herbst in Mergler/Zink, § 23 SGB XII, Rn. 23. 155 BT-Drs. 15/1761, S. 5. 152

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII

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Pflichtleistungen ausgestaltet.156 Diesen Grundsatz schränkt § 23 I 3 SGB XII für Ausländer mit wenig verfestigtem Aufenthaltsstatus ein. Indem § 23 I 4 SGB XII klarstellt, dass „diese Einschränkungen“ für bestimmte Personengruppen nicht gelten, statuiert die Norm folglich eine Ausnahme von der Ausnahme, Sozialhilfeleistungen lediglich als Ermessensleistung zu gewähren. 4. Besondere Tatbestände zum Leistungsausschluss für Ausländer Bestimmte Personengruppen sind über die Sonderregelung in § 23 I SGB XII hinaus vom Sozialhilfebezug ausgeschlossen. Dies betrifft gemäß § 23 II SGB XII Berechtigte nach § 1 AsylbLG. Nach § 23 III SGB XII haben Ausländer und ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn sie mit dem Ziel in die Bundesrepublik eingereist sind, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen157 oder wenn einziger Zweck ihres Aufenthalts die Beschäftigungssuche ist. a. Erschleichen von Sozialleistungen, § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII Eine Einreise, um Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen („um-zu Einreise“) liegt vor, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Entschluss zur Einreise und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe besteht. Die Aufenthaltsbegründung in der Bundesrepublik muss also gerade das Mittel sein, um den Sozialhilfebezug erreichen zu können. Dieser muss freilich nicht der einzige Zweck, sondern lediglich das prägende Motiv der erstmaligen Grenzüberschreitung sein.158 Dieses wird überformt, wenn der Ausländer in erster Linie mit seinem im Inland lebenden Ehegatten, Lebenspartner oder seinen Kindern zusammenleben möchte oder wenn er einreist, um einer Gefährdung von Leib und Leben, etwa durch einen Krieg im Heimatland zu entgehen. Die Beweislast für das Vorliegen des Leistungsausschlusses trägt der Sozialhilfeträger.159 Dieser Nachweis ist regelmäßig schwer zu führen, handelt es sich doch um die Würdigung von Migrationsabsichten, d.h. um innere Motive des Antragstellers. Die Behörde darf die missbräuchliche Einreise deshalb nicht unterstellen, sondern ist auf die Überprüfung der vom Ausländer selbst vorgetragenen Einreisemotive verwiesen. In der Praxis sind bestimmte Umstände als An156

So auch Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern,

S. 34 f. 157 Erfolgt die Einreise allein zum Zwecke der Behandlung einer Erkrankung, soll einem bedürftigen Ausländer die zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustands unabweisbar notwendige und unaufschiebbare Behandlung erbracht werden, § 23 III 2 SGB XII. 158 BVerwGE 90, 212 (214); Zuleeg, NDV 1987, 342 (342); Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 46 m.w.N.; Strick, NJW 2005, 1282 (1285); Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 23 f.; Anders noch BVerwGE 59, 73 (77), wonach eine billigende Inkaufnahme des Sozialhilfebezugs, auch wenn diese anderen Einreisezwecken untergeordnet war, eine „um zu“-Einreise begründete. 159 OVG Berlin, NVwZ 1983, 430 (431); Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 31.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

haltspunkte für den Missbrauch anerkannt, beispielsweise die Einreise ohne jede finanzielle Mittel, die Beantragung von Sozialhilfe kurz nach der Einreise oder das Aufsuchen von Verwandten, die ihrerseits Sozialhilfeleistungen beziehen. Kann der Ausländer diese Anhaltspunkte durch überragende andere Einreisemotive erschüttern, kommt der Leistungsausschluss nicht zum Tragen.160 Anders als der Wortlaut vermuten lässt, schließt § 23 III SGB XII nicht jedwede Unterstützung des Hilfebedürftigen aus. So wird vertreten, dass sämtliche Leistungen in das Ermessen des Sozialhilfeträgers gestellt seien. Nur wenn die Hilfe im Einzelfall trotz des Missbrauchs gerechtfertigt sei, könne diese erbracht werden.161 Das Ermessen ist nach einschränkender Auffassung im Hinblick auf das „Ob“ der Leistungsgewährung auf Null reduziert, wenn dem Ausländer die Rückkehr in sein Herkunftsland unmöglich oder unzumutbar ist. Die Versagung von Sozialhilfe dürfe die Menschenwürde nicht verletzen. Dies sei aber unabhängig vom Einreisegrund der Fall, der Betreffende nicht auf die Fürsorge seines Heimatlandes verwiesen werden könne, denn anderenfalls würde über das Sozialhilferecht eine ausländerrechtlich nicht bestehende Ausreisepflicht begründet.162 Die Gegenposition gesteht dem missbräuchlich in die Bundesrepublik Einreisenden gleichwohl einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe zu. Zur Begründung wird vorgebracht, dass selbst die dem AsylbLG unterliegenden Ausländer im Falle der „um zu“-Einreise einen Rechtsanspruch auf das im Einzelfall unabweisbar Gebotene haben, § 1a AsylbLG. Diese Auffassung überzeugt. Da der in § 1a AsylbLG genannte Personenkreis regelmäßig keinen Aufenthaltstitel innehat, ist es nicht gerechtfertigt, den von § 23 SGB XII erfassten Personen mit Aufenthaltstitel keinerlei Rechtsansprüche einzuräumen. § 1a AsylbLG ist daher analog anzuwenden. Darüber hinausgehende Leistungen sind dagegen in das Ermessen der Behörde gestellt.163 Als unabweisbar geboten gelten bei einer möglichen Rückreise indes nur die Mittel zur Ermöglichung der Rückkehr in das Heimatland sowie die Übernahme der bis dahin notwendigen Aufwendungen für den Aufenthalt im Inland. Ist die Rückkehr unmöglich oder wegen einer drohenden Gefährdung von Leib und Leben unzumutbar, muss aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz auch Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts geleistet werden.164

160

Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 36 ff. BVerwGE 78, 314 (316 ff.) mit zahlreichen Nachweisen. 162 VG Düsseldorf, InfAuslR 1985, 266; VG Hamburg, NVwZ 1988, 280; VGH Hessen, FEVS 32, 369 (372); Sauer, ZAR 1994, 168 (170 f.). 163 Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 50. 164 OVG Berlin, DVBl. 2000, 68 (69); OVG Nordrhein-Westfalen, DVBl. 2001, 1700 (1701) m.w.N. 161

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII

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b. Arbeitssuche als alleiniger Aufenthaltszweck, § 23 III 1 Alt. 2 SGB XII Der Leistungsausschluss bei Aufenthalt allein zum Zwecke der Arbeitsuche folgt den gleichen Grundsätzen. Der Sozialhilfeanspruch entfällt nicht in Gänze, sondern der Träger ist im Hinblick auf Art. 1 I GG zur Leistung des unabwendbar Gebotenen verpflichtet.165 Der Begriff der Arbeitsuche ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Unter Rückgriff auf das FreizügG/EU wird davon ausgegangen, dass diese nur bei der Suche nach einer abhängigen Beschäftigung, nicht aber bei geplanter selbständiger Erwerbstätigkeit gegeben ist.166 Sie muss jedoch alleiniger Zweck der Einreise in die Bundesrepublik sein. Ein Arbeitsuchender, der seinen Aufenthalt zum Zweck des Familiennachzugs begründet, ist folglich nicht betroffen. Gleiches gilt für einen mittellosen Bürgerkriegsflüchtling, der Abhängigkeit von Sozialhilfe als „notgedrungene Konsequenz seiner Flucht“167 in Kauf nimmt, sich in erster Linie aber vor den Kriegsfolgen in Sicherheit bringen möchte.168 Zudem muss die Arbeitssuche von einem Aufenthaltsrecht gedeckt sein. Fehlt es am Aufenthaltsrecht, sind keine Leistungen nach SGB XII zu gewähren, sondern es steht die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen offen. Bei Unionsbürgern kann das Aufenthaltsrecht nach Art. 14 IV RL 2004/38/EG bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Beschäftigungssuche entfallen. Drittstaater haben nur nach einem in Deutschland abgeschlossenen Studium ein einjähriges Aufenthaltsrecht zur Beschäftigungssuche, § 16 IV AufenthG. Dieses setzt indes die Fähigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 I Nr. 1 AufenthG voraus, so dass der Anwendungsbereich des § 23 III SGB XII – ähnlich wie der des § 7 I 2 Nr. 2 SGB II – schon in personeller Hinsicht sehr gering sein dürfte.169 Hinzu kommt, dass ein Arbeitsuchender zwangsläufig erwerbsfähig sein muss, wäre anderenfalls seine Beschäftigungssuche doch ohne jede Erfolgsaussicht. In diesem Fall wären Leistungen Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu gewähren, der Rückgriff auf die Hilfen zum Lebensunterhalt wäre wegen § 5 II SGB II grundsätzlich gesperrt. Lediglich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 S. 2 SGB XII – wenn Ansprüche nach dem SGB II mangels Hilfebedürftigkeit nicht eröffnet sind – können Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, allerdings nur solche zur Sicherung der Unterkunft (i.e. Hilfe bei Mietschulden) nach § 36 SGB XII. Ergänzend kommen Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII in Betracht.

165 Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 54l; Herbst in Mergler/Zink, § 23 SGB XII, Rn. 48. 166 LSG Hessen, FEVS 59, 110 (113). 167 BVerwGE 90, 212 (216). 168 VGH Kassel, NVwZ 1993, 502 (502). 169 Herbst in Mergler/Zink, § 23 SGB XII, Rn. 47a ff.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

c. Aufenthalt außerhalb des vorgegebenen Aufenthaltsorts, § 23 V SGB XII Nach §§ 12 II, IV AufenthG können Visa und Aufenthaltserlaubnisse mit Nebenbestimmungen, insbesondere mit räumlichen Beschränkungen versehen werden. Diese Möglichkeit besteht jedoch nur im Ausnahmefall und auch nur dann, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, gilt ein Aufenthaltstitel doch grundsätzlich für das gesamte Bundesgebiet. Es muss daher ein öffentliches Interesse an der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts bestehen, welches das individuelle Interesse des Titelinhabers an umfassender Bewegungsfreiheit überwiegt. Diese Umstände müssen objektiv bestehen. Bloße Befürchtungen, beispielsweise einer Ghettobildung oder der Ausbildung von „Parallelgesellschaften“ genügen nicht.170 Der Anwendungsbereich der Norm beschränkt sich daher vor allem auf Flüchtlinge im Anerkennungsverfahren und subsidiär nach §§ 22 bis 25 AufenthG geschützte Personen. Sie genießen zwar Bewegungsfreiheit in der gesamten Bundesrepublik, dürfen ihren Wohnsitz jedoch nur in dem Bundesland bzw. Landkreis nehmen, in dem der Aufenthaltstitel erteilt worden ist.171 Bei Aufenthalt außerhalb des im Aufenthaltstitel angegebenen Ortes sind gemäß § 23 V SGB XII am Ort des tatsächlichen Aufenthalts (§ 98 I 1 SGB XII) zwingend nur „unabwendbare Leistungen“ zu erbringen. Dies sind regelmäßig die Kosten für die Rückreise an den durch das Aufenthaltsrecht vorgegebenen Aufenthaltsort.172 Darüber hinausgehende Leistungen sind nicht in das Ermessen der Behörde gestellt. Die Norm zielt auf eine gerechte Verteilung der Sozialhilfelasten ab: durch die Verhinderung einer ungesteuerten Binnenmigration, die sich zumeist in Ballungszentren konzentrieren würde, soll sichergestellt werden, dass die Sozialhilfeträger möglichst gleichmäßig Fürsorgeleistungen erbringen.173 Das BVerfG hat diese Erwägung ausdrücklich als überwiegendes Interesse des Gemeinwohls anerkannt, welches eine Beschränkung der in Art. 2 I GG geschützten Bewegungsfreiheit von Ausländern in der Bundesrepublik zulässt.174 Davon zwingend auszunehmen sind wegen des in Art. 23 GFK angeordneten Gleichbehandlungsgebots Personen, die als Flüchtlinge i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind.175 Mit der Aufnahme des § 23 V 3 SGB XII hat 170

Im Einzelnen vgl. Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 12 AufenthG, Rn. 10 f. Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 12 AufenthG, Rn. 23. 172 Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 23, Rn. 36; Luthe in Hauck/ Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 57 m.w.N.; Pfohl, NVwZ 1998, 1048 (1048); Wahrendorf in Grube/ Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 50. 173 BT-Drs. 11/6321, S. 90; BVerwGE 100, 335 (342). 174 BVerfG, DVBl. 2001, 892 (893) für Staatenlose; FamRZ 1997, 1469 (1496) für Flüchtlinge; NVwZ 1997, Beilage Nr. 10, 73 (74) für Flüchtlinge. Zustimmend Fritzsch, ZAR 2007, 356 (357), kritisch Deiseroth, ZAR 2000, 7 (8 f.). 175 Deiseroth, DVBl. 1998, 116 (121 ff.); Deiseroth, ZAR 2000, 7 (14); Wenzel in Fichtner/ 171

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der Gesetzgeber den bis dahin heftig geführten Streit176 um die Anwendung des § 23 V SGB XII auf anerkannte Flüchtlinge entschieden. Gleiches gilt für Personen, die den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsort aus familiären – oder vergleichbar wichtigen Gründen – wechseln, § 23 V 3 SGB XII. Damit wird dem Gebot des besonderen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 I GG Rechnung getragen, würde dieses Grundrecht doch verletzt, wenn Familien um der Erhaltung eines ungekürzten Sozialhilfeanspruchs wegen dauerhaft getrennt leben müssten.177

II. Zulässigkeit von Differenzierungen im Sozialhilferecht Die besonderen Regeln zur Sozialhilfeberechtigung von Ausländern stehen gemäß § 23 I 5 SGB XII unter dem Vorbehalt abweichender nationaler und internationaler Rechtsvorschriften. Ordnen diese die Gleichbehandlung von In- und Ausländern an, bleibt für die Anwendung des § 23 SGB XII kein Raum. 1. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG Das Verfassungsrecht verbietet Differenzierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit nicht. In Art. 3 III GG ist diese nicht als verpöntes Differenzierungsmerkmal aufgenommen. Nach Art. 3 I GG ist eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn sie von einem sachlichen Grund getragen und verhältnismäßig ist. Die Beschränkung des Rechtsanspruchs für bestimmte Personengruppen ist jedoch trotz der grundsätzlich gegebenen Möglichkeit der Differenzierung zwischen In- und Ausländern nur zulässig, soweit das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum nicht unterschritten wird. Aus der Menschenwürde nach Art. 1 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 I GG folgt die Verpflichtung des Staates, ein soziales Sicherungssystem vorzuhalten, das jedem, der sich anderweitig nicht zu helfen vermag, die für ein menschenwürdiges Leben notwendige Unterstützung gewährt.178 Die in § 23 SGB XII getroffene Sonderregelung wird mit ausländerrechtlichen und haushaltspolitischen Erwägungen gerechtfertigt. Ziel der Regelung ist die Verhinderung der Einreise nach Deutschland, um von Sozialleistungen, namentlich höheren Regelsätzen oder geringeren Anspruchsvoraussetzungen als im Heimatland zu profitieren.179 Zugleich soll den in Deutschland sich aufhalWenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 38; BVerwGE 111, 200 (208 f.); 130, 148 (152 f.); dazu Pfersich, ZAR 2008, 272. 176 Statt vieler vgl. nur Deiseroth, ZAR 2000, 7 (8); Fritzsch, ZAR 2007, 356 (359) m.w.N. 177 So bereits die Rechtsprechung vor der Gesetzesänderung, vgl. nur OVG Bautzen, DÖV 2001, 826; OVG Lüneburg, FEVS 52, 82; zustimmend Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 40. 178 BVerfGE 125, 175 (221) mit zahlreichen Nachweisen. 179 Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 54b; kritisch Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (67 ff.).

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tenden Ausländern ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit gewährt werden.180 Unter Berufung auf das „Personalprinzip“ wird darauf hingewiesen, dass jeder Staat zur Fürsorge für die eigenen Staatsangehörigen verpflichtet ist. Ausländer seien zur Sicherung ihrer Existenz daher an ihren Heimatstaat verwiesen. Zudem würden Deutsche grundsätzlich auf Dauer im Inland verbleiben, während dies bei Migranten nicht der Fall sei. Sie seien daher nicht konstant der inländischen Solidargemeinschaft zugehörig.181 Darauf deutet auch § 23 IV SGB XII hin, wonach die Behörden bei der Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch Ausländer auf Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen sind. Diese Argumentation mag im Zuge der erstmaligen Einreise eines Bedürftigen in die Bundesrepublik noch überzeugen. Für Personen mit verfestigtem Aufenthalt ist die Verweisung auf die Rückkehr ins Heimatland jedoch problematisch. Sie kann namentlich nicht als Maßnahme der Selbsthilfe gefordert werden, hätte dies doch zur Folge, dass § 23 SGB XII nur für solche Ausländer gälte, denen die Rückreise in ihre Heimat wegen der Gefahr von Verfolgung unmöglich ist.182 Indes hat die Gruppe der Ausländer mit eingeschränktem Rechtsanspruch nach § 23 I 1, 3 SGB XII gerade keinen verfestigten Aufenthaltsstatus inne: die Einschränkungen gelten für Inhaber einer Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis mit voraussichtlich dauerhaftem Aufenthalt nicht. Sie sind Deutschen umfassend gleichgestellt. Aber auch die sich kurzfristig in Deutschland aufhaltenden Personen haben einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in gleicher Höhe wie Deutsche.183 Soweit sonstige Leistungen in das Ermessen des Sozialhilfeträgers gestellt sind, begegnet dies keinen grundlegenden Bedenken, ist das Ermessen doch nach Art. 1 III GG durch den Grundrechtskatalog bestimmt. Neben den zum bloßen Überleben (Art. 2 II GG) notwendigen Leistungen sind daher auch die zur freien Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 I GG), also zur soziokulturellen Teilhabe, der Religionsausübung (Art. 4 I GG) und die zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 I GG) notwendigen Leistungen zu erbringen. Bei der Ausübung des Ermessens ist zudem der Grad der Integration in die deutsche Gesellschaft zu berücksichtigen. Die Sonderregelung in § 23 I SGB XII entzieht Ausländern in Notlagen daher nicht jedwede sozialhilferechtliche Unterstützung, sondern sichert gleichwohl deren Existenzminimum. Auch der Leistungsausschluss im Rahmen der „um-zu Einreise“ ist durch das überwiegende öffentliche Interesse gerechtfertigt. Zudem werden auch in diesem Fall die im Einzelfall unerlässlichen Leistungen erbracht. Das Leistungs180

Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 2. Hailbronner, VSSR 1992, 77 (87); Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 127. 182 BVerwG, NVwZ 1989, 671 (671); Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 19 m.w.N.; ebenso Sauer, ZAR 1994, 168 (170). 183 Herbst in Mergler/Zink, § 23 SGB XII, Rn. 10. 181

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system ist insofern differenziert ausgestaltet und erlaubt es, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Eine willkürliche Differenzierung184 erfolgt nicht. Die gesetzliche Regelung ist daher im Ergebnis als verhältnismäßig anzusehen und mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 I GG und dem Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz aus Art. 1 I i.V.m. Art. 20 I GG vereinbar. 2. Europarechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung in der Sozialhilfe Die Zulässigkeit von nach der Staatsangehörigkeit differenzierenden Regelungen in der Sozialhilfe wird teilweise mit der fehlenden Kompetenz der Europäischen Union zum Erlass von Regeln Sozialhilfe begründet.185 Diese Auffassung wird jedoch dem Gehalt der Grundfreiheiten des AEUV nicht gerecht, schützen diese freizügigkeitsberechtigte Personen doch in jeder grenzüberschreitenden Konstellation und gewähren diesen sozialrechtliche Teilhabeansprüche. a. Primärrechtliche Bewertung der Sonderregelungen für Ausländer Arbeitnehmer genießen nach Art. 45 AEUV Freizügigkeit in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und können unmittelbar daraus einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen sozialen Vergünstigungen ableiten, die Inländern gewährt werden.186 Lediglich für den Zugang zu Leistungen, die der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dienen, kann nach der Rechtsprechung des EuGH eine „tatsächliche Verbindung“ zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats zur Voraussetzung der Gleichbehandlung gemacht werden. Eine solche spezifische Zielsetzung weisen die Leistungen der Sozialhilfe jedoch nicht auf. Ihr Anliegen ist die Eingliederung in die Gesellschaft des Aufenthaltsstaates, indem sie das Führen eines menschenwürdigen Lebens ermöglicht, vgl. § 1 SGB XII. Wirtschaftlich Inaktive können primärrechtliche Gleichbehandlungsansprüche aus Art. 21, 18 AEUV herleiten. Ungleichbehandlungen sind daher einerseits durch Sekundärrecht beschränkbar, andererseits – soweit dieses keine Rechtsgrundlage für Differenzierungen aufweist – im Rahmen des Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV der Rechtfertigung zugänglich. § 23 SGB XII steht also nur dann im Widerspruch zum Europarecht, wenn auch für vorübergehende und kurzfristige Aufenthalte in anderen Mitgliedstaaten ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung bestünde.

184 185 186

So aber die alte Rechtslage nach § 120 BSHG, vgl. Sauer, ZAR 1994, 168 (170). Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 21. Husmann, NZS 2009, 652 (654).

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b. Zugang zur Sozialhilfe nach VO (EU) 492/2011 Leistungen der Sozialhilfe sind soziale Vergünstigungen im Sinne des Art. 7 II VO (EU) 492/2011.187 Das Gleichbehandlungsgebot der Wanderarbeitnehmerverordnung erfordert für wirtschaftlich Inaktive jedoch eine (frühere) Erwerbstätigkeit im Aufenthaltsstaat. Personen, die diese Voraussetzung erfüllen, haben bereits eine hinreichende Verbindung zur inländischen Solidargemeinschaft etabliert. Sie sind daher bereits nach § 23 I 2 SGB XII von den Sonderregeln für Ausländer ausgenommen. Fraglich ist jedoch, ob die Ausschlussklauseln des § 23 III SGB XII auf sie anzuwenden sind. Nach dem Wortlaut der Norm gilt diese für alle Ausländer. Unter Bezugnahme auf die Unbedingtheit des Gleichbehandlungsanspruchs nach Art. 7 II VO (EU) 492/2011 wird die Anwendbarkeit der Leistungsausschlüsse auf die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Unionsbürger nahezu einhellig abgelehnt.188 Der Missbrauchstatbestand („um-zu Einreise“) kann bei ihnen zudem von vornherein nicht erfüllt sein: das ursprüngliche Einreisemotiv muss gerade in der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gelegen haben, um die Schutzmechanismen der Wanderarbeitnehmerverordnung auszulösen. Die Frage nach dem Bestand des § 23 III SGB XII stellt sich in diesem Rahmen daher allenfalls für Familienangehörige eines Wanderarbeitnehmers, die als Bedürftige in den Staat der Beschäftigung eingereist sind.189 Bei diesen wird die Missbrauchsklausel ebenfalls nicht erfüllt, ist der Nachzug doch zumindest auch durch den Willen der Familienzusammenführung geprägt. Die möglicherweise in Kauf genommene Angewiesenheit auf Leistungen der Sozialhilfe, ist daher allenfalls Bestandteil eines Motivbündels. c. Gleichbehandlungsanspruch nach Art. 24 RL 2004/38/EG Ist der Anwendungsbereich der VO (EU) 492/2011 nicht eröffnet, sind die Sonderregeln in der Sozialhilfe für die Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf die Unionsbürgerrichtlinie zu bewerten. Art. 24 I RL 2004/38/EG statuiert einen Gleichbehandlungsanspruch für Unionsbürger und deren Familienangehörige. Die Regelung lässt ausdrücklich Ausnahmen für die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe zu. Es ist den Mitgliedstaaten unbenommen, Personen, die nicht Arbeitnehmer oder Selbständige sind, während der ersten drei Monate des Aufenthalts Sozialhilfe zu verweigern. Auch der Leistungsausschluss beim Aufenthalt allein zur Beschäftigungssuche nach § 23 III SGB XII ist von der Richtlinie gedeckt, Art. 24 II, 14 187 EuGH, Slg. 1985, 973, Rn. 17 (Hoeckx); Slg. 1985, 1027, Rn. 15 (Scrivner); Slg. 1985, 1739, Rn. 21 (Frascogna). 188 So die ganz h.M. Fasselt in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 321; Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 32. 189 So auch Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 174.

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IV lit. b) RL 2004/38. Da Personen, die aus einer vormals ausgeübten – abhängigen oder selbständigen – Beschäftigung ausscheiden, ihren Status als Erwerbstätige gemäß Art. 7 III RL 2004/38 aufrecht erhalten, gilt diese Öffnungsklausel nur für Personen, die zur erstmaligen Beschäftigungssuche in einen anderen Mitgliedstaat einreisen.190 Ermächtigung für eine Einschränkung des Rechtsanspruchs bei vorübergehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik. Art. 21 AEUV ermächtigt den Unionsgesetzgeber zur Beschränkung der Unionsbürgerfreizügigkeit. Es ist jedoch fraglich, ob diese Ermächtigung auch den Erlass von Regeln über den Zugang freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger zu den Sozialsystemen der Mitgliedstaaten einschließt. Teilweise wird vertreten, Art. 21 AEUV ermögliche lediglich Regelungen zu Einreise und Fortdauer des Aufenthalts, nicht aber leistungsrechtlicher Fragen. Auch Art. 18 AEUV biete dafür keine hinreichende Basis, da Einschränkungen des Diskriminierungsverbots ausdrücklich dem Primärrecht („unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge …“) vorbehalten seien. 191 Schon der Hinweis auf den Wortlaut des Art. 18 AEUV überzeugt nicht. Die Formulierung „unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge“ stellt lediglich klar, dass an anderer Stelle etablierte, absolute Gleichbehandlungsansprüche – beispielsweise für Arbeitnehmer nach Art. 45 II AEUV – nicht unter Rekurs auf das allgemeine Diskriminierungsverbot umgangen und einer Rechtfertigung zugänglich gemacht werden können. Auch Art. 21 AEUV steht der in Art. 24 II RL 2004/38/EG getroffenen Regelung nicht entgegen. Diese Norm ist nicht isoliert, sondern im Kontext der gesamten Unionsbürgerrichtlinie zu betrachten. Diese schränkt das Aufenthaltsrecht wirtschaftlich Inaktiver als solches ein und tangiert leistungsrechtliche Ansprüche nur als mittelbare Folge aufenthaltsrechtlicher Regelungen.192 Art. 6, 7 RL 2004/38/EG beziehen die Bewegungsfreiheit wirtschaftlich Inaktiver und deren Fähigkeit zur eigenständigen Sicherung ihres Lebensunterhalts unmittelbar aufeinander. Das Aufenthaltsrecht besteht in den ersten drei Monaten nur, so lange Leistungen der Sozialhilfe nicht „unangemessen“ in Anspruch genommen werden. Danach ist es an den Nachweis hinreichender Existenzmittel gekoppelt. Mit der in Art. 24 II RL 2004/38/EG vorgesehenen Möglichkeit, anderen Unionsbürgern in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts keine Sozialhilfe zu gewähren, findet die aufenthaltsrechtliche Beschränkung lediglich eine klarstellende leistungsrechtliche Entsprechung. Diese beansprucht in der Gesamtschau

190

Husmann, NZS 2009, 652 (653). Husmann, NZS 2009, 652 (654). 192 So im Ergebnis auch Schönberger, Unionsbürger, S. 371; Rabenschlag, Leitbilder der Unionsbürgerschaft, S. 217. 191

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von Art. 6 und 24 II RL 2004/38/EG keine strikte Geltung, sondern ist namentlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz („unangemessen“) zu messen.193 Gleiches gilt für den Leistungsausschluss der erstmalig zur Arbeitsuche in einen anderen Mitgliedstaat einreisenden Personen. Ihr Freizügigkeitsrecht steht unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, so dass es konsequent ist, den Aufenthaltsstaat im Falle existenzieller Notlagen nicht für die Lebensunterhaltssicherung einstehen zu lassen. Die nicht von der VO (EU) 492/2011 erfassten Arbeitsuchenden unterliegen daher der Verantwortlichkeit und Zuständigkeit ihres Herkunftsstaates, solange sie keinen dauerhaften Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat begründen. Diese auf die Problematik eines Statutenwechsels bezogenen Erwägungen tragen daher die Öffnungsklausel des Art. 24 II RL 2004/38/EG194 und damit auch § 23 III 1 Alt. 2 SGB XII. An die zukunftsoffene Verlagerung des Aufenthalts dürfen jedoch keine zu hohen Hürden gelegt werden. Üblicherweise behält ein Arbeitsuchender seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Herkunftsland, auch wenn er im Ausland nach einer Beschäftigung sucht. Der dauerhafte Ausschluss Arbeitsuchender aus dem Sozialhilfebezug verstößt jedoch gegen Art. 21, 18 AEUV, wenn diese selbst bei einem dauerhaften Wechsel des Aufenthaltsstaates – also im Falle eines Statutenwechsels – keinen Anspruch auf die Leistungen der Sozialhilfe erwerben.195 Die Öffnungsklausel darf daher jedenfalls nicht so interpretiert werden, dass der Erwerb der Anspruchsberechtigung auf Dauer ausgeschlossen ist.196 Die Beschränkung des Leistungsausschlusses auf drei Monate in Art. 24 RL 2004/38/EG gestattet den Schluss, dass nach Ablauf dieser Frist bei fortdauernder Arbeitsuche in dem Mitgliedstaat ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird oder jedenfalls begründet werden kann. Verhältnismäßigkeit. Europarecht und nationales Recht statuieren anders als § 23 III 1 Alt. 2 SGB XII keinen völligen Leistungsausschluss, sondern ermöglichen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessene Lösungen. Die Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals der „Unangemessenheit“ in Art. 6 RL 2004/38/EG einerseits und das generelle Verbot einer automatischen Ausweisung wegen des Sozialhilfebezugs nach Art. 14 III RL 2004/38/EG andererseits, machen stets eine Einzelfallentscheidung erforderlich, deren Ausgang offen ist. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung sind gemäß Art. 28 I RL 2004/38/EG die Dauer des Aufenthalts, Alter, Gesundheitszustand, familiäre und wirtschaftliche Lage sowie die soziale und kulturelle Integration des Betreffenden im Aufnahmemitgliedstaat gegen das Ausmaß seiner Bindungen zum 193 EuGH, Slg. 2002, 7091, Rn. 91 (Baumbast); Slg. 2004, 2703, Rn. 66 und 72 (Collins); Slg. 2004, I-7573, Rn. 34 (Trojani). 194 So auch Eichenhofer, SGb 2011, 463 (465). 195 Schreiber, info also 2009, 195 (197); Heinig, ZESAR 2008, 465 (473). 196 Heinig, ZESAR 2008, 465 (473).

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Herkunftsstaat abzuwägen. Ergibt sich bei dieser Prüfung, dass der Hilfebedarf – beispielsweise weil ein Tourist Opfer eines Diebstahls geworden ist – lediglich vorübergehender Natur ist, wird eine Leistungsverweigerung kaum in Betracht kommen. Anders ist wohl zu entscheiden, wenn ein völlig mittelloser Unionsbürger, der zudem über keine Wohnung verfügt, unmittelbar nach seiner Einreise in einen anderen Mitgliedstaat Sozialhilfe beantragt.197 Bei diesem wäre es gerechtfertigt, unter Bezugnahme auf die fehlende Aufenthaltsverfestigung nur eingeschränkte Sozialhilfeansprüche zuzugestehen, besteht doch eine alternative Möglichkeit der Lebensunterhaltssicherung im Herkunftsland, die nach den Umständen des Einzelfalls zumutbar (vgl. § 9 I SGB XII) ist. Anwendbarkeit der Missbrauchsklausel. Auch die Missbrauchsklausel des § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII ist ohne Weiteres auf Unionsbürger anwendbar. Im Hinblick auf die Unionsbürgerfreizügigkeit und das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 21, 18 AEUV wird zwar für eine restriktive Handhabung dieser Norm bei Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten plädiert.198 Üblicherweise wird die Inanspruchnahme der Unionsbürgerfreizügigkeit prägendes Motiv der Einreise sein, unabhängig von den dahinterstehenden Beweggründen, zumal solche bei der Einreise in einen anderen Mitgliedstaat nicht offengelegt werden müssen.199 Die Unionsbürgerfreizügigkeit berechtigt nur dann zur Gleichbehandlung im Sozialhilferecht, wenn sie nicht in der Absicht wahrgenommen wird, Sozialleistungen zu erschleichen.200 Aus der Sicht jedes Mitgliedstaats begründet die Erschleichung des Status den Missbrauch – er liegt immer vor, wenn der einzige Grund der Aufenthaltsbegründung die Inanspruchnahme von Sozialhilfe ist. Dieses Motiv wird von der Freizügigkeitsgarantie nicht gedeckt. 3. Europarechtlich begründete Gleichbehandlungsansprüche für Drittstaatsangehörige Für Drittstaatsangehörige, die nicht Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, gelten keine einheitlichen Regelungen, die ihren gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe gewährleisten. Zu unterscheiden sind Drittstaater mit Daueraufenthaltsrecht, Angehörige von Abkommensstaaten und Flüchtlinge.

197

Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 6. Wenzel in Fichtner/Wenzel, Handbuch der Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 32 („genaue Prüfung im Einzelfall“). 199 Darauf weist auch Strick, NJW 2005, 1282 (1285) hin. 200 Eichenhofer, ZfF 1999, 109 (110). Nach Kunkel/Frey, ZFSH/SGB 2008, 387 (394) darf die Missbrauchsklausel – ohne eingehendere Begründung – wegen des Gleichbehandlungsgebots auf Unionsbürger nicht angewendet werden. 198

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a. Daueraufenthaltsberechtigte Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts genießen einen umfassenden Anspruch auf Inländergleichbehandlung. Art. 11 I lit. d) RL 2003/109/EG gewährt ihnen namentlich das Recht auf Gleichbehandlung in der Sozialhilfe. Den Mitgliedstaaten ist in Art. 11 IV RL 2003/109/EG jedoch die Möglichkeit eröffnet, Sozialhilfeleistungen auf Kernleistungen zu beschränken. Der Begriff der Kernleistungen ist im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie dahingehend präzisiert, dass diese zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, Schwangerschaft, Elternschaft und Langzeitpflege umfassen müssen. Mit dieser sekundärrechtlichen Vorgabe steht § 23 SGB XII in Einklang, sind die Inhaber einer Niederlassungs- oder längerfristig gültigen Aufenthaltserlaubnis Deutschen doch vollumfänglich gleichgestellt. b. Assoziationsrechtlich begründete Sozialhilfeansprüche Für türkische Staatsangehörige ergeben sich unabhängig von ihrer Aufenthaltsdauer aus dem Assoziationsrecht grundsätzlich umfassende Gleichbehandlungsansprüche. Dies folgt bereits aus Art. 9 des Assoziierungsabkommens EWG – Türkei, der auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach den Gründungsverträgen der EG (jetzt Art. 18 AEUV) Bezug nimmt. Die Norm steht jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Präzisierung durch noch zu erlassende Bestimmungen. Art. 3 ARB 3/80201 bekräftigt den Anspruch auf Gewährung gleicher Rechte und Pflichten für alle sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhaltenden Personen. Art. 4 ARB 3/80 beschränkt den Gleichbehandlungsanspruch jedoch auf Leistungen sozialer Sicherheit. Ob die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII darunter zu fassen sind, ist fraglich. Als Leistungen der sozialen Sicherheit wären sie nach unionsrechtlicher Diktion nur dann zu qualifizieren, wenn sie einen Bezug zu einem sozialen Risiko – Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Invalidität – aufweisen.202 Anderenfalls wären sie der Sphäre der sozialen Fürsorge zuzuordnen, für die das Assoziationsrecht keine Gleichbehandlung vorsieht. Hintergrund ist das Anliegen des Assoziationsrechts, die Mobilität der Arbeitnehmer zu sichern. Daher sind sie nur vor den aus Erwerbstätigkeit, namentlich abhängiger Beschäftigung rührenden sozialen Risiken zu schützen, die mit einem Einkommensausfall einhergehen. Denn das Ziel des Assoziationsrechts ist die Gleichstellung der sich in einem Mitgliedstaat erlaubtermaßen aufhaltenden Beschäftigten mit Inländern. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts schützen den Berechtigten vor der Gefahr, ein Leben un201 Beschluss Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, ABl C 110/69. 202 Höller in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Teil 11, Rn. 45 f.

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ter menschenunwürdigen Bedingungen führen zu müssen und decken mithin ein allgemeines, nicht auf Erwerbsarbeit zurückzuführendes Armutsrisiko.203 Das Assoziationsrecht vermag türkischen Staatsangehörigen daher keine Ansprüche auf Gleichbehandlung in der Sozialhilfe zu vermitteln. Eine Ausnahme gilt nur, wenn Leistungen der Sozialhilfe die Eingliederung in den Arbeitsmarkt bezwecken oder Bezug zu einem anderen sozialen Risiko aufweisen.204 Das Assoziationsrecht selbst gibt eine Privilegierung türkischer Staatsangehöriger im Sozialhilferecht mithin ausdrücklich nicht vor. Die ihm unterliegenden Personen verfügen aber in der Regel über eine Niederlassungs-, zumindest aber Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, so dass sie kraft nationalen Rechts Deutschen gleichgestellt sind. c. Gleichbehandlungsansprüche von Flüchtlingen Anerkannten Flüchtlingen und Personen, denen trotz Fehlens eines Fluchtgrundes wegen Verfolgungsgefahr im Herkunftsland (vgl. Art. 2 lit. e) RL 2004/83/ EG) subsidiärer Schutz zu gewähren ist, räumt die Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG Zugang zu Bildungseinrichtungen und existenzsichernden Leistungen des Aufenthaltsstaates ein. Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art. 28 I RL 2004/83/EG sicherzustellen, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in dem Staat, der den Schutzstatus verliehen hat, die „notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten“. Das Maß des Notwendigen bestimmt sich nach den individuellen Bedarfen des Flüchtlings.205 Personen, denen ein lediglich subsidiärer Schutzstatus eingeräumt ist, müssen nach Art. 28 II RL 2004/83/EG nur Kernleistungen gewährt werden. Diese sind aber unter den gleichen Voraussetzungen und unter den gleichen Bedingungen wie für Inländer zu erbringen. Nach dem 34. Erwägungsgrund der Richtlinie müssen die Kernleistungen ein Mindesteinkommen sicherstellen und zusätzlich Hilfen bei Krankheit, Schwangerschaft und Elternschaft umfassen. Erlaubt ist daher lediglich eine Beschränkung des Leistungsumfangs, nicht aber eine restriktivere Handhabung der Anspruchsvoraussetzungen im Vergleich zu Inländern. Anerkannte Flüchtlinge sind daher Deutschen umfassend gleichzustellen. § 23 SGB XII kann für sie keine Geltung entfalten. Anders ist die Rechtslage bei den subsidiär Schutzberechtigten. Diese sind nach § 23 II SGB XII vom Sozialhilfebezug ausgeschlossen und unterliegen gemäß § 1 I Nr. 3, 4 AsylbLG dem „Sondersozialhilferecht“ für Personen mit lediglich vorübergehendem Aufent203 So auch Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 160 f. 204 EuGH, Slg. 1998, I-7747, Rn. 18 (Birden); Fasselt, ZFSH/SGB 2004, 655 (675 f.). 205 Battjes in Hailbronner, EU-Immigration and Asylum Law, Directive 2004/83/EC, Rn. 4.

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halt, das lediglich eine Mindestsicherung gewährleistet. Diese Ausgliederung aus dem „allgemeinen Sozialhilferecht“ ist von der Qualifikationsrichtlinie dem Grunde nach gedeckt, was jedoch noch keine Rückschlüsse auf die inhaltliche Rechtmäßigkeit des AsylbLG zulässt.206 4. Der Gleichbehandlungsanspruch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen Angehörige der Konventionsstaaten des EFA können aus dem in Art. 1 EFA statuierten Differenzierungsverbot gleiche Zugangsrechte zu sämtlichen Fürsorgeleistungen wie Inländer beanspruchen. Dies gilt nicht nur für Art und Umfang der zu gewährenden Leistungen. Dieses Gebot ist auch bei Ausübung von Ermessensspielräumen durch die zuständigen Behörden zu befolgen.207 Die Sonderregelungen zur Sozialhilfe für Ausländer gelten daher für die Angehörigen der Abkommensstaaten grundsätzlich nicht – freilich unter der Voraussetzung, dass sie sich nicht nur tatsächlich (so § 23 SGB XII), sondern auch rechtmäßig (so explizit Art. 1 EFA) in der Bundesrepublik aufhalten. a. Anwendbarkeit der Missbrauchsklauseln auf Angehörige der Vertragsstaaten Aus dem Gleichbehandlungsgebot wird gefolgert, dass auch die Missbrauchsklausel des § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII nicht anwendbar sei.208 Eine gezielte Einreise, um Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, hätte daher für Angehörige der Vertragsstaaten keinen Leistungsausschluss zur Folge. Denn eine völlige Gleichstellung mit Inländern müsse im Grunde zur Unbeachtlichkeit einer ausschließlich auf Ausländer bezogenen Norm führen. Die Gegenmeinung209 beruft sich auf den Sinn und Zweck des EFA. Dieser liege darin, allen Angehörigen der Vertragsstaaten, die nach legaler Aufenthaltsbegründung in einem anderen Staat hilfebedürftig werden, gleiche Leistungen zukommen zu lassen wie Inländern. Ziel des EFA sei allein die Gleichbehandlung der sich erlaubt in einem Staat aufhaltenden Ausländer im Hinblick auf Fürsorgeleistungen, nicht aber die Ermöglichung der Migration von einem Sozialhilfesystem in ein anderes.210 Zudem verstoße es gegen Treu und Glauben, wenn jemand Leistungen beantragt, deren Notwendigkeit er selbst herbeigeführt habe. 206

Dazu ausführlich auf S. 290 ff. Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 95; Fenge, ZfSH 1979, 257 (262); Zuleeg, NDV 1987, 342 (342). 208 VG Würzburg, NVwZ-RR 1990, 575 (576 f.); BSG, SozR 4–4200 § 7 Nr. 21, Rn. 34. 209 OVG Hamburg, NVwZ-RR 1990, 141 (142); OVG Berlin, FEVS 55, 186 (189 f.); Fenge, ZfSH 1979, 257 (266); vgl. auch Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 100. 210 OVG Berlin, FEVS 55, 186 (190); zustimmend Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 32. 207

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII

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Die Missbrauchsklausel des § 23 III Alt. 1 SGB XII ist zwar spezifisch auf Ausländer bezogen. Im System des Sozialhilferechts ist aber die mutwillige Herbeiführung der Bedürftigkeit generell missbilligt, was § 103 SGB XII belegt, wonach der schuldhaft die Voraussetzungen für den Leistungsbezug Herbeiführende zum Kostenersatz verpflichtet ist. Zutreffend ist ferner der Hinweis, dass es nicht Anliegen des EFA ist, den Angehörigen der Abkommensstaaten ein Wahlrecht zur Aufenthaltsbegründung in einem bestimmten Staat einzuräumen.211 Das Abkommen soll keine „kosmopolitische Freizügigkeit“ innerhalb der Vertragsstaaten schaffen. § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII gilt daher uneingeschränkt auch für die Ausländer, die sich im Grunde auf den Schutz des EFA berufen können. Der Leistungsausschluss in § 23 III 1 Alt. 2 SGB XII bei einem Aufenthalt allein zum Zwecke der Beschäftigungssuche kommt bei den Angehörigen der Vertragsstaaten dagegen nicht zum Tragen. Haben ihnen die Behörden einen Aufenthaltstitel erteilt, in dessen Rahmen sie nach einer Beschäftigung suchen dürfen – in Betracht kommt allein der Titel nach § 16 IV AufenthG – sind ihnen aufgrund der unbedingten Formulierung des Gleichbehandlungsanspruchs des Art. 1 EFA auch Leistungen der Sozialhilfe zu gewähren. b. Rangverhältnis zwischen Unionsrecht und EFA Als im Rahmen des Europarats vermitteltes Abkommen ist der Anwendungsbereich des EFA in geografischer Hinsicht nicht deckungsgleich mit dem Europarecht, denn nicht alle Mitgliedstaaten haben das EFA ratifiziert. Grundsätzlich ist das Unionsrecht gegenüber dem durch Bundesgesetz ratifizierten multilateralen Abkommen vorrangig. Allerdings genießen Unionsbürger nach Art. 21 AEUV Freizügigkeit und dürfen durch den Gebrauch dieser Grundfreiheit keine Nachteile erleiden. Wollte man sie allein auf das nationale und europäische Recht verweisen, würden sie wegen des auf die Öffnungsklausel in Art. 24 II RL 2004/38/ EG gestützten § 23 III Alt. 2 SGB XII schlechter gestellt als Ausländer aus EUoder Drittstaaten, die das EFA ratifiziert haben, denen „lediglich“ eine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Dieses Ergebnis scheint ungerecht, ist der Grundsatz der Gleichbehandlung doch ein tragender Pfeiler des Unionsrechts. Die dogmatische Herleitung einer Ausnahme vom lex superior-Grundsatz ist jedoch problematisch. Art. 18 AEUV verbietet eine unterschiedliche Behandlung von Unionsbürgern nicht per se. Die Norm statuiert gerade keinen allumfassenden und unbedingten Anspruch auf Inländergleichbehandlung, sondern enthält ein Diskriminierungsverbot. Bei Vorliegen eines sachlichen Grundes sind Ungleichbehandlungen unter Unionsbürgern daher gerechtfertigt. Die Ratifizierung des EFA bzw. deren Unterbleiben durch einzelne Mitgliedstaaten 211 Berger, die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 101 f.; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1990, 141 (142).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

stellt einen solchen Sachgrund dar, macht der nationale Gesetzgeber damit doch deutlich, ob er eine gegenseitigkeitsverbürgte Gleichbehandlung von In- und Ausländern in der Fürsorge auch für die eigenen Staatsangehörigen ablehnt oder nicht.212 Unterschiede in der rechtlichen Behandlung von Unionsbürgern im Sozialhilferecht sind vor diesem Hintergrund hinnehmbar. 5. Zugang von Flüchtlingen zur Sozialhilfe nach Art. 23 GFK Gemäß Art. 23 GFK sind anerkannte Flüchtlinge, die sich rechtmäßig auf dem Territorium eines Staates aufhalten, im Hinblick auf Fürsorge- und sonstige Unterstützungsleistungen mit Inländern gleich zu behandeln. Die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts folgt aus § 25 II AufenthG i.V.m. § 3 IV AsylVfG, denn mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistungen sozialer Fürsorge müssen daher denen für eigene Staatsangehörige entsprechen.213 Die Anwendung der Sonderregelungen für Ausländer nach § 23 SGB XII auf Flüchtlinge ist daher auch kraft Völkerrechts ausgeschlossen. Dies schließt namentlich auch die Missbrauchsklausel des § 23 III 1 Alt. 1 SGB XII ein. Bei Flüchtlingen ist eine Kürzung ihrer sozialhilferechtlichen Ansprüche daher nicht denkbar, selbst wenn ihre Bedürftigkeit für den Entschluss, gerade in die Bundesrepublik zu fliehen, entscheidend war.214

III. Fazit Aufgrund der Vorbehalte in § 23 I 4, 5 SGB XII ist der Anwendungsbereich der Sonderregelungen in der Sozialhilfe für Ausländer beschränkt. Zu den privilegierten Anspruchsinhabern gehören neben den Unionsbürgern – sofern sie nicht in den Anwendungsbereich des Art. 24 II RL 2004/38/EG fallen – anerkannte Flüchtlinge, Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge215 sowie heimatlose Ausländer.216 Aber auch die Personen, die nicht von dieser Privilegierung erfasst sind, haben Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe. Ihnen ist zwar im Rahmen des § 23 I 1 SGB XII nur ein eingeschränkter Rechtsanspruch auf Sozialhilfe einge212

Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243 (263); so wohl auch Schönberger, Unionsbürger,

S. 339. 213 Ausführlich Deiseroth, DVBl. 1998, 116 (117 ff.); Herbst in Mergler/Zink, § 23 SGB XII, Rn. 35. 214 Statt vieler Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 23 SGB XII, Rn. 32. 215 Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22.7.1980, BGBl I 1980, S. 1057, außer Kraft mit Wirkung vom 1.1.2005. 216 Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 23, Rn. 9 ff.; Hohm in Schellhorn/ Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 23, Rn. 15 ff.

C. Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8 ff. SGB XII

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räumt. Dieser knüpft aber lediglich an den tatsächlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik an, so dass für die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen keine aufenthaltsrechtlichen Hürden zu überwinden sind. Die Möglichkeit der Gewährung ergänzender Ermessensleistungen erlaubt angemessene Lösungen im Einzelfall. In Notlagen ist daher jedermann die Inanspruchnahme von Leistungen zum Lebensunterhalt eröffnet. Anders als im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende kommt es auf einen Statutenwechsel – zumindest im Hinblick auf das „Ob“ der Leistungsgewährung – nicht an. Allein für den Umfang der Rechtsansprüche ist die durch einen zukunftsoffenen Aufenthalt begründete sozialstaatliche Verantwortung der Bundesrepublik maßgeblich. In jedem Fall ist die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen, wobei es sich weniger um eine Frage des Erschleichens der Leistungen als um eine Erschleichung des Aufenthalts handelt, die leistungsrechtlich motiviert ist. Dieser Ausschluss ist vor dem Hintergrund konsequent, dass durch keinerlei national- wie internationalrechtliche Instrumente eine weltweite Freizügigkeit im Sinne einer freien Wahl des Aufenthaltsstaates begründet ist. Die auf einzelne Weltregionen (z.B. die Europäische Union) beschränkte Bewegungsfreiheit verdeutlicht die Verantwortung des Herkunfts- bzw. Heimatstaats für die Absicherung des Einzelnen in existenzieller Not. Sie ist aber nicht starr. Denn die Verantwortung geht mit der Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Staat in vollem Umfang auf diesen über, in dessen Folge dann auch im Sozialhilferecht ein Statutenwechsel eintritt.

IV. Sozialhilfe bei Auslandsaufenthalt § 24 SGB XII tritt als Ersatzanknüpfung neben § 30 SGB I. Danach ist der Inlandsaufenthalt zwar eine grundsätzliche Voraussetzung um Sozialhilfe zu erlangen. Sozialhilfe kann in außergewöhnlichen Notlagen ausnahmsweise ins Ausland exportiert werden, wenn dem Bedürftigen die Rückkehr ins Inland unmöglich ist. Ein Rechtsanspruch besteht nicht; der Leistungsexport steht im Ermessen der Behörden. Diese Regelung gilt jedoch nur für Deutsche. Diese Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ist Ausdruck der besonderen Verbundenheit (Treueverhältnis) zwischen einer Person und „ihrem“ Staat.217 Die ausnahmsweise Geltung des Staatsangehörigkeitsprinzips ist vom Vorbehalt des § 37 SGB I gedeckt. Auch völkerrechtlich ist das Staatsangehörigkeitsprinzip anerkannt und etabliert, zählt die Unterstützung der eigenen Staatsangehörigen im Ausland doch zu den wesentlichen Aufgaben des konsularischen Dienstes, vgl. § 5 KonsG. Die Gewäh217 Schönberger, Unionsbürger, S. 461 f.; Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30, Rn. 17 spricht von einer Anknüpfung an die Abstammung. Diese ist zwar eine bedeutende, wenngleich nicht die einzige Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

rung von Sozialhilfe nach § 24 SGB XII entfaltet ihre Wirkung zwar ausschließlich außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik. Der notwendige Inlandsbezug ist jedoch durch das Abstellen auf die Staatsangehörigkeit hergestellt. Voraussetzung der Hilfegewährung ist, dass der deutsche Staatsangehörige seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Ausland hat. Dazu muss der Aufenthalt an einem bestimmten Ort so verfestigt sein, dass er als dauerhaft anzusehen ist. Hierfür genügt es nicht, wenn sich der Hilfebedürftige zwar insgesamt dauerhaft außerhalb der Bundesrepublik aufhält, im Ausland aber jeweils nicht seinen Lebensmittelpunkt begründet, sondern vielmehr von einem Land zum anderen reist.218 Die Hilfeleistung ist zudem auf das unabwendbar Notwendige beschränkt, also auf die Leistungen, die zur Behebung einer existenziellen Notlage, die über bloße Mittellosigkeit hinausgeht – namentlich einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit – erforderlich sind. Die Höhe der Leistungen ist am allgemeinen Lebensstandard im Aufenthaltsstaat orientiert. Im Grunde wird danach eine Rückkehr ins Inland als dem Gebiet, in dem Existenzsicherung zu gewährleisten ist, erwartet. Leistungen der Sozialhilfe werden also nur dann ins Ausland exportiert, wenn diese aus den in § 24 I 2 SGB XII enumerierten Gründen nicht möglich ist. Ein Hinderungsgrund für die Rückreise kann die Pflege und Erziehung eines Kindes sein, das rechtlich – beispielsweise wegen des Sorgerechts des anderen Elternteils – am Verlassen des Aufenthaltsstaats gehindert ist (Nr. 1). Schwere Pflegebedürftigkeit oder die längerfristige Unterbringung des Bedürftigen in einer stationären Einrichtung rechtfertigen den Verbleib im Aufenthaltsstaat ebenfalls (Nr. 2). Letztlich kann hoheitliche Gewalt, etwa Ausreiseverbote des Aufenthaltsstaats, der Rückkehr entgegenstehen (Nr. 3).

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG219 Ist der persönliche Anwendungsbereich des AsylbLG eröffnet, versperrt dieses den Zugang zu den Leistungen des SGB II und des SGB XII. Das 1993 in Kraft getretene Gesetz war Bestandteil des so genannten Asylkompromisses, mit dem das vormals großzügiger ausgestaltete Grundrecht auf Asyl aus Art. 16 II GG a.F. insbesondere durch die Drittstaatenregelung220 wesentlich eingeschränkt wor-

218

BVerwGE 99, 158 (162 ff.). Auszüge dieses Abschnitts sind erschienen in Janda/Wilksch, SGb 2010, 565. 220 Die als „sicher“ geltenden Drittstaaten sind in § 26a II AsylVfG i.V.m. Anlage I zu § 26a definiert. Dazu zählen alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz. Sichere Herkunftsstaaten sind die EU-Mitgliedstaaten sowie Ghana und Senegal, § 29a II AsylVfG i.V.m. Anlage II zu § 29a. Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung vgl. BVerfGE 94, 49. 219

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG

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den ist. Zugleich ist mit dem AsylbLG ein „Sondersozialhilferecht“221 mit sehr restriktiv bemessenen Leistungssätzen zur Sicherung des Existenzminimums geschaffen worden, mit dem befürchtete Zuwanderungsanreize durch einen vermeintlichen Missbrauch des Asylrechts gemindert werden sollten. Zugleich soll der vom Geltungsbereich des Gesetzes erfasste Personenkreis zur freiwilligen Ausreise veranlasst werden.222

I. Sonderregelungen für Personen mit lediglich vorübergehendem Aufenthalt Der Gesetzgeber sieht für den in das Gesetz einbezogenen Personenkreis ungeachtet der faktischen Lebenssituation den gewöhnlichen Aufenthalt als noch nicht eröffnet an und nimmt daher nur eine eingeschränkte sozialstaatliche Verantwortung für deren Existenzsicherung an. Dies steht mit § 30 I, III SGB I in Einklang, der die Anwendbarkeit des Sozialgesetzbuches an den gewöhnlichen, also nicht nur vorübergehenden Aufenthalt knüpft. 1. Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG Ursprünglich galt das Gesetz nur für die Inhaber einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG, § 1 I Nr. 1 AsylbLG. Der persönliche Geltungsbereich ist seit 1993 jedoch erheblich ausgeweitet worden. Er erfasst nunmehr auch Ausländer, die über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise – sei es weil sie aus einem sicheren Herkunftsstaat einreisen oder weil sie nicht über gültige Personaldokumente verfügen – nicht oder noch nicht gestattet ist, § 1 I Nr. 2 AsylbLG. Darüber hinaus sind Ausländer, die über eine Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach §§ 23 I, 24 oder 25 IV 1, IVa, V AufenthG verfügen (Nr. 3), Geduldete nach § 60a AufenthG (Nr. 4), vollziehbar Ausreisepflichtige (Nr. 5) oder deren Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder (Nr. 6) sowie Folgeantragsteller nach § 71 AsylVfG (Nr. 7) einbezogen. All diesen Gruppen ist gemeinsam, dass ihr Aufenthalt nach den Maßstäben des AufenthG befristet ist und daher keine zukunftsoffene Prognose erlaubt, da jederzeit mit einer Verfügung zur Beendigung des Aufenthalts zu rechnen ist. Das AsylbLG fordert daher lediglich den tatsächlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Die Aufenthaltsperspektive der Inhaber eines Aufenthaltstitels 221 Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Vorbem. AsylbLG, Rn. 4; Wollenschläger in v. Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht spricht demgegenüber vom „Asylsozialrecht“, also ebenfalls einem Sonderrecht für Asylbewerber. 222 Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 99; allgemein zur Regulierung von Migration durch restriktive Sozialleistungsgewährung Geddes in Spencer, The Politics of Migration, S. 153; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 45 f.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

nach dem 5. Abschnitt des 2. Kapitels des AufenthG, die nicht von § 1 I Nr. 3 AsylbLG erfasst sind,223 besteht dagegen längerfristig und ist damit bereits verfestigt, so dass ihnen der Zugang zu den Leistungen des SGB II nicht verschlossen bleiben soll.224 2. Umfang der zu gewährenden Leistungen Die Berechtigten haben Anspruch auf Leistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, 225 Heizung, Kleidung, Gesundheitsund Körperpflege sowie Verbrauchsgütern des Haushalts. Als notwendig gelten nur die Aufwendungen, die auf Grund der individuellen Situation des Berechtigten und im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten als erforderlich anzusehen sind.226 § 3 AsylbLG statuiert jedoch im Unterschied zu den Leistungen der „allgemeinen“ Sozialhilfe einen Vorrang des Sachleistungsprinzips. Die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Leistungen sind den Berechtigten also in natura zur Verfügung zu stellen. Nur im Ausnahmefall, nämlich wenn es „die Umstände“ konkret erfordern, sollen nach § 3 II AsylbLG Wertgutscheine, andere unbare Abrechnungen und Geldleistungen erbracht werden. Solche Umstände können sowohl aus objektiven, beispielsweise den örtlichen Gegebenheiten, wie aus subjektiven, beim Leistungsberechtigten bestehenden Gründen, etwa Krankheiten, resultieren.227 Die Krankenversorgung umfasst nach § 4 AsylbLG nur die Behandlung akuter Zustände. Dies gilt auch bei chronisch Kranken. Geschuldet ist lediglich die Gewährung des aus medizinischer Sicht Erforderlichen, also der Behandlungen, bei denen die Möglichkeit einer nicht gänzlich zu vernachlässigenden Linderung des krankhaften Zustandes besteht.228 Den Leistungsberechtigten wird ferner ein Taschengeld zur Deckung der eigenen persönlichen Bedarfe zur Verfügung gestellt, § 3 I 4 AsylbLG. 223 Dies betrifft die aufgrund besonderer politischer Interessen der Bundesrepublik aufgenommenen Personen nach § 23 II AufenthG, die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen nach § 23a AufenthG, Asylberechtigte und Flüchtlinge nach § 25 I, II sowie Ausländer, die im Herkunftsland Folter, der Vollstreckung der Todesstrafe, bewaffneten Konflikten oder anderen schweren Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wären und die auch nicht in einen anderen Staat ausreisen können, §§ 25 III, 60 II, III, V, VII AufenthG. 224 Gerenkamp in Mergler/Zink, § 7 SGB II, Rn. 18 unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zu § 1 I Nr. 3 AsylbLG, BT-Drs. 15/4491, S. 14. 225 Die Unterbringung als Sachleistung erfolgt in Aufnahmeeinrichtungen nach § 44 AsylVfG bzw. Gemeinschaftsunterkünften nach § 53 AsylVfG. 226 Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, § 3 AsylbLG Rn. 33; Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (567). 227 Deibel, ZAR 1998, 28 (31); Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, § 3 AsylbLG Rn. 27. 228 Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (567); VGH Mannheim, FEVS 49, 33.

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG

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Die Höhe der geldwerten Leistungen ist in § 3 II 2 AsylbLG näher bestimmt. Die dort genannten Beträge229 sind auch mehrere Jahre nach der Begründung der Europäischen Währungsunion (1999) nicht in Euro, sondern weiterhin in DM ausgewiesen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die Leistungshöhe nach § 3 III AsylbLG durch Rechtsverordnung jährlich zum 1. Januar erneut festzusetzen, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten zur Bedarfsdeckung erforderlich ist. Eine Anpassung ist seit Inkrafttreten des Gesetzes ohne nähere Begründung des Verordnungsgebers230 nicht erfolgt, wiewohl in diesem Zeitraum die Sozialhilfe- und Grundsicherungssätze wiederholt angehoben wurden. Soweit der tatsächliche individuelle Bedarf durch die Regelleistungen nach § 3 AsylbLG nicht gedeckt wird, sind im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen sonstige Leistungen zu gewähren, § 6 AsylbLG. Dieses Ermessen ist bei unaufschiebbaren Leistungen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind oder die der Deckung der besonderen Bedürfnisse von Kindern dienen, unter Berücksichtigung der Wertung der Art. 1 I, 2 I, II, 6 GG jedoch auf Null reduziert.231 § 6 AsylbLG ist nur auf besondere, also ausnahmsweise bestehende Bedarfe beschränkt. Leistungsbedarfe, die bei allen Berechtigten bestehen, genügen dem Einzelfallerfordernis nicht. Sie sind vielmehr durch die nach § 3 AsylbLG zu gewährenden Regelleistungen zu decken.232 3. Rechtsfolgen längerfristigen Leistungsbezugs Das auf die Versorgung sich vorübergehend in der Bundesrepublik aufhaltender Personen ausgerichtete AsylbLG trägt dem Umstand Rechnung, dass sich Asylverfahren bis zu deren Abschluss oft über lange Zeiträume hinziehen, die Dauer von Bürgerkriegen häufig nicht absehbar ist oder dass Duldungen – obwohl sich diese gemäß § 60a I 1 i.V.m. § 25 V 2 AufenthG auf längstens 18 Monate erstrecken sollen – vielfach und über Jahre hinweg als so genannte Kettenduldungen verlängert werden. Faktisch hat ein großer Teil der Leistungsberechtigten einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik, der lediglich aus aufenthaltsrechtlichen Erwägungen als nicht zukunftsoffen und daher nicht als gewöhnlich i.S.v. § 30 I SGB I zu werten ist. Daraus zieht das Gesetz die Folgerung: Wer 48 Monate lang Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen und die Dauer seines Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat, erhält gemäß § 2 I AsylbLG Leistungen nach Maßgabe des 229 Der Haushaltsvorstand hat Anspruch auf 360 DM (= 184,07 €), Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des siebenten Lebensjahres auf 220 DM (= 112,48 €) und ab Beginn des achten Lebensjahrs auf 310 DM (= 158,50 €). 230 BT-Drs. 16/7574, S. 5 sowie BT-Drs. 16/9018, S. 5. 231 Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, § 6 AsylbLG Rn. 10; Deibel, ZAR 1998, 28 (32). 232 Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (568).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

SGB XII. Diese so genannten „Analogleistungen“ erfordern einen ununterbrochenen Leistungsbezug über den Vierjahreszeitraum.233 Wird ein versicherungspflichtig beschäftigter Asylbewerber arbeitslos, fällt er nach Ablauf der Bezugsfristen für das Arbeitslosengeld nach SGB III daher wieder auf die nach dem AsylbLG zu gewährenden Leistungen zurück.234 Erst nach erneutem vierjährigem ununterbrochenem Leistungsbezug ist ihm der Zugang zu Analogleistungen eröffnet. Ferner darf dem Berechtigten kein missbräuchliches Verhalten vorzuwerfen sein, das ursächlich für seinen langen Aufenthalt in der Bundesrepublik war. Dies erfordert ein unredliches, allgemein missbilligtes, vorsätzliches Tun oder Unterlassen, das beispielsweise in der Verschleierung der Identität durch Vernichtung der Personaldokumente liegen kann.235 § 2 AsylbLG lässt die grundsätzliche Leistungsberechtigung i.S.v. § 1 AsylbLG unberührt. Sozialhilfeleistungen sind daher nur zu gewähren, soweit dies mit dem Sinn und Zweck des AsylbLG oder des SGB XII im Einklang steht. Dabei ist zwar der in zeitlicher Hinsicht verfestigten Integration in die Inlandsgesellschaft Rechnung zu tragen. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Antragstellers nach wie vor nicht auf Dauer angelegt ist.236 Statt der Sach- sind daher regelmäßig Geldleistungen zu erbringen.237

II. Zulässigkeit einer eingeschränkten Existenzsicherung bei vorübergehendem Aufenthalt Mit der Regelung des § 30 I SGB I über die Anwendbarkeit des Sozialgesetzbuches auf Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik sind Sonderregeln für Personen, die diese Voraussetzungen gerade nicht erfüllen, durchaus vereinbar. Indes steht die Norm unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen, § 30 II SGB I. Aufgrund der restriktiven Ausgestaltung des „Sondersozialhilferechts“ nach dem AsylbLG ist es durchaus fraglich, ob dieses mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

233

Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, AsylbLG, § 2, Rn. 6. Brühl/Schoch in LPK-SGB II, § 7, Rn. 39. 235 BT-Drs. 15/420, S. 121; vgl. auch Hohm, NVwZ 2005, 388 (390) mit Einzelfällen sowie BSGE 101, 49 (62). 236 BT-Drs. 12/5008, S. 15.; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, AsylbLG, § 2, Rn. 5. 237 VG Meiningen, InfAuslR 2003, 450; VG Frankfurt (Oder), InfAuslR 2002, 442; Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (569); a.A. Deibel, ZAR 2004, 321 (324). 234

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG

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1. Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, Art. 1 I, 20 I GG Aus der Verbürgung der Menschenwürde in Art. 1 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 I GG hat das BVerfG238 ein Grundrecht auf Gewährleistung der materiellen Mittel abgeleitet, die für eine menschenwürdige Lebensführung unerlässlich sind. Dieses Grundrecht gilt für jedermann unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit oder seinem aufenthaltsrechtlichen Status.239 Es ist im bloßen Mensch-Sein begründet. a. Anforderungen an die Bemessung existenzsichernder Leistungen Die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz umfasst nicht nur die notwendigen Leistungen für das Überleben und die Wahrung der körperlichen Integrität („physisches Existenzminimum“). Die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen macht das Mensch-Sein ebenso aus wie ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben („soziokulturelles Existenzminimum“).240 Zwar steht dieser grundrechtlich geschützte Anspruch auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz der Konkretisierung durch den Gesetzgeber offen. Der ihm dabei eingeräumte Gestaltungsspielraum berechtigt jedoch nicht zu Willkür. Die Ermittlung der notwendigen Bedarfe muss vielmehr in einem transparenten Verfahren anhand sachgerechter Kriterien erfolgen.241 Dies ist beim AsylbLG nicht erfolgt. Der Gesetzgeber hat explizit darauf abgestellt, dass die Leistungen so zu bemessen sind, dass durch sie keine Zuwanderungsanreize begründet werden. Eine transparente und nachvollziehbare Herleitung ist nicht erfolgt. Vielmehr basieren die Regelsätze auf Schätzungen.242 Bereits daraus ergibt sich die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.243 b. Zulässigkeit divergierender Regelsätze für unterschiedliche Personengruppen Das Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz aus Art. 1 I i.V.m. 20 I GG erfordert nicht zwingend die unbedingte Gleichbehandlung aller Bezieher von Fürsorgeleistungen. Unterschiede sind jedoch vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 I GG zu rechtfertigen. Bestehen zwischen verschiedenen Gruppen oder Sachverhalten Unterschiede erheblicher Art und erheblichen Gewichts, kann dies eine ungleiche Behandlung rechtfertigen.244 Im Steuerrecht ist eine gruppenspezifische Berücksichtigung 238

BVerfGE 40, 121; 82, 60; 125, 175 (221). Dazu Schulz, SGb 2010, 201. Ekhart, ZAR 2004, 142 (144); Haedrich, ZAR 2010, 227 (229). 240 Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (569) m.w.N. 241 BVerfGE 125, 175 (225) m.w.N.; Rothkegel, ZfSH/SGB 2010, 135 (137). 242 BT-Drs. 16/9018, S. 6. 243 Hohm, ZFSH/SGB 2010, 269 (271); Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (570); vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.3.2010 (L 20 B 3/09 AY ER). 244 S.t. Rspr., BVerfGE 112, 368 (401). 239

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

von spezifischen Bedarfen im Rahmen der Ermittlung des Existenzminimums zulässig.245 Im Sozialrecht ist das Abstellen auf die Aufenthaltsdauer im Hinblick auf Art und Umfang der zu gewährenden Leistungen ebenfalls in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt.246 Das AsylbLG als Sondersozialhilferecht steht dem Gleichheitssatz folglich nur dann nicht entgegen, wenn sich aus dem lediglich vorübergehenden Aufenthalt ein besonderer, von dem der nach dem SGB II oder SGB XII abzusichernden Personen unterschiedlicher Bedarf ergibt. Dieser Bedarf ist im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG durch transparente Berechnungen aufgrund statistischer Daten nachzuweisen. Soweit keine einschlägigen Statistiken vorliegen, ist er anhand einer normativen Bewertung aufzuschlüsseln, darzustellen und die erforderlichen Kosten der Bedarfsdeckung zu ermitteln. Die Auffassung, Personen mit vorübergehendem Aufenthalt bedürften lediglich der Leistungen zur Sicherung der physischen Existenz,247 überzeugt jedoch nicht, erfordert die Menschenwürdegarantie doch mehr als die Gewährleistung des bloßen Überlebens.248 Diesem Gebot wird auch die auf die Linderung akuter Beschwerden beschränkte medizinische Versorgung nicht gerecht.249 Die Verweigerung von Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ist besonders problematisch, wenn der Aufenthalt in der Bundesrepublik einen kurzen Zeitraum überschreitet, das Leben im Inland also zur Normalität wird. Die Leistungen nach dem AsylbLG werden über einen Zeitraum von 48 Monaten erbracht, bevor nach § 2 I AsylbLG die Regelsätze des SGB XII zum Tragen kommen. Hat aber der Leistungsberechtigte seinen Lebensmittelpunkt über einen derart langen Zeitraum in der Bundesrepublik, ist sein Aufenthalt verfestigt und damit auch seine Perspektive, auf Dauer in der Bundesrepublik zu bleiben. Entsprechend größer ist das Bedürfnis nach Integration. Für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum scheint die Gewährung unerlässlicher Mittel zum Lebensunterhalt und zur Krankenversorgung gerade noch vertretbar, besteht in dieser Konstellation tatsächlich nur eine schwache Bindung an die Bundesrepublik und die deutsche Gesellschaft. Trägt der Staat aber nicht dafür Sorge, dass unberechtigt Einreisende sein Territorium alsbald wieder verlassen, obliegt ihm aus dem Sozialstaatsprinzip Verantwortung im Sinne einer Einstandspflicht für das Wohl und Wehe aller sich hier gewöhnlich aufhaltenden Personen.250 245

BVerfGE 87, 153 (172); vgl. auch BVerwG, NVwZ 1999, 669. BVerfGE 111, 160 (174); 111, 176 (185). 247 BT-Drs. 16/5065, S. 467 f., BVerwGE 40, 121; VGH Mannheim, VBlBW 1995, 327. 248 BVerwGE 87, 212; Ekhart, ZAR 2004, 142 (144). 249 Statt vieler Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (571). 250 Janda, Ausschuss für Arbeit und Soziales, Drucksache 17(11)379, 78; Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (571); Hohm, ZFSH/SGB 2010, 269 (275); Mahler/Follmar-Otto, ZAR 2011, 378 (383); ausführlich Classen, Menschenwürde mit Rabatt, S. 127. 246

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG

293

2. Vereinbarkeit des AsylbLG mit europarechtlichen Vorgaben In Gebrauch der Ermächtigung aus Art. 78 II AEUV zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Politik über Asyl und die Gewährung internationalen Schutzes für Drittstaatsangehörige hat die EU eine Vielzahl von Richtlinien erlassen, mit denen die Aufnahmebedingungen für die betroffenen Personengruppen vereinheitlicht werden.251 Diese beinhalten auch Regelungen zur sozialen Fürsorge für Asylbewerber, Flüchtlinge oder andere schutzbedürftige Personen. a. Mindeststandards für die soziale Absicherung von Asylbewerbern nach Art. 13 RL 2003/9/EG Die RL 2003/9/EG252 (Aufnahmerichtlinie) beschreibt die allgemeinen Grundsätze und Mindestanforderungen, die bei der Aufnahme von Asylbewerbern einzuhalten sind.253 Nach Art. 13 RL 2003/9/EG sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Asylbewerbern die materiellen Mittel zu gewähren, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts und ihrer Gesundheit erforderlich sind. Zwar ist es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie dieser Verpflichtung durch die Gewährung von Geld- oder Sachleistungen, Gutscheinen oder durch eine Kombination dieser Leistungen nachkommen. Die Erwägungsgründe der Aufnahmerichtlinie nehmen jedoch ausdrücklich Bezug auf die in Art. 1 GRCh verankerte Menschenwürdegarantie. Die bloße Überlebenssicherung und die Verweigerung von Teilhabeleistungen würden diesem Anspruch nicht gerecht. Auch die Aufnahmerichtlinie erfordert daher die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums.254 Zwar eröffnet Art. 14 VIII RL 2003/9/EG die Möglichkeit, die Leistungen auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse zu beschränken. Dies ist jedoch lediglich vorübergehend („so kurz wie möglich“) und nur im Einzelfall zulässig, wenn zunächst eine Evaluierung der spezifischen Bedürfnisse des Asylbewerbers erforderlich ist. Ein über 48 Monate generell auf eine Grundversorgung gerichtetes Leistungsniveau wie derzeit im AsylbLG vorgesehen, ist damit nicht vereinbar. Die notwendige medizinische Versorgung von Asylbewerbern muss nach Art. 15 RL 2003/9/EG zumindest eine Notversorgung und unbedingt erforderliche Behandlungen gewährleisten. Die im Vergleich zu den üblichen Standards nach dem SGB V oder dem SGB XII restriktive Gewährung von Leistungen zur Krankenbehandlung nach § 4 AsylbLG genügt diesen Anforderungen nicht. Denn chronisch Kranke können allenfalls bei einer plötzlichen, akuten 251 Ausführlich Hailbronner in Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Introduction, Rn. 1 ff. 252 Richtlinie 2003/9/EG vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18. 253 Ausführlich Hohm/Hachmann, NVwZ 2008, 33. 254 Peek in Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Directive 2003/9/EC, Art. 13, Rn. 8; Haedrich, ZAR 2010, 227 (231); Janda/Wilksch, SGb 2010, 565 (573).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder akuten Schmerzzuständen einen Behandlungsanspruch als Regelleistung geltend machen. Die Aufnahmerichtlinie erlaubt eine solche Einschränkung nicht. Auch die nach Art. 18 II RL 2003/9/EG vorzuhaltenden qualifizierten Leistungen der Rehabilitation und der psychologischen Betreuung für besonders bedürftige Personen gewährt das AsylbLG nicht im erforderlichen Umfang.255 b. Mindeststandards zur Sicherung der Bedürfnisse der Opfer von Menschenhandel nach Art. 7 RL 2004/81/EG Die RL 2004/81/EG256 etabliert die grundlegenden Standards für die Aufnahme von Drittstaatsangehörigen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die mit den Behörden zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung zusammenarbeiten. Ihnen ist ein vorübergehender Aufenthalt zu gewähren. Bis zur Erteilung des Titels sind ihnen nach Art. 7 I RL 2004/81/EG die Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu leisten. Gleichzeitig ist ihnen der Zugang zu einer medizinischen Notversorgung zu eröffnen. Nach Erteilung des Aufenthaltstitels soll dieser Standard zumindest nicht wieder unterschritten werden, Art. 9 I RL 2004/81/EG. Die Richtlinie enthält keine detaillierten Regelungen zur Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen. Da jedoch die fundamentalen Rechte der GRCh gemäß Art. 6 I EUV unmittelbarer Bestandteil des Primärrechts sind, ist auch alles Sekundärrecht im Lichte dieser Gewährleistungen auszulegen. Der in Art. 1 CRCh verankerte Schutz der Menschenwürde muss daher auch Maßstab aller Fürsorgeleistungen für die Opfer von Menschenhandel sein, selbst wenn diese ihren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat unerlaubt begründet haben. Ihnen sind daher zumindest solche finanzielle oder Sachleistungen zu gewähren, die ihre Bedürfnisse nach Unterkunft, Ernährung und Kleidung befriedigen. Werden die Leistungssätze in der sozialen Fürsorge für Inländer unterschritten, bedarf dies jedoch der eingehenden Begründung bzw. des Nachweises, dass diese andere Bedarfe aufweisen.257 Dieser Verpflichtung zur Herleitung der Bedarfssätze genügt das AsylbLG nicht, so dass ein Verstoß gegen die Richtlinie gegeben ist. Die nach § 4 AsylbLG geschuldete medizinische Behandlung genügt demgegenüber den Vorgaben. Die Notversorgung i.S.d. Art. 7 I RL 2004/81/EG erfordert lediglich

255 Dazu ausführlich Schreiber, ZESAR 2010, 107 (111); Peek in Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Directive 2003/9/EC, Art. 18, Rn. 8 ff. 256 Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren, ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 3 ff. 257 Kau in Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Directive 2004/81/EC, Art. 7, Rn. 6.

D. Zugang zu den Leistungen nach dem AsylbLG

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die Versorgung mit unaufschiebbaren Leistungen zum Zwecke der Behandlung akuter Krankheitszustände.258 3. Zulässigkeit von Sonderregelungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach Art. 1 EFA Für die Angehörigen der Staaten, die das EFA ratifiziert haben, könnte sich die Unwirksamkeit des AsylbLG als Sondersozialhilfesystem aus dem Gebot der Inländergleichbehandlung aus Art. 1 EFA ergeben. Dies setzt einen erlaubten Aufenthalt voraus. Der Aufenthalt gilt gemäß Art. 11 lit. a) EFA so lange als erlaubt, wie der fremde Staatsangehörige in Besitz einer Erlaubnis ist, die ihm den Aufenthalt in diesem Staat gestattet. Die Erlaubnis fehlt dagegen, sobald eine wirksame und vollstreckbare Anordnung zum Verlassen des Landes besteht, Art. 11 lit. b) EFA. Danach ist auch der geduldete Aufenthalt nach § 60a AufenthG nach dem eindeutigen Wortlaut des Abkommens in dessen Anwendungsbereich als rechtmäßiger Aufenthalt zu werten.259 § 1 I Nr. 4 AsylbLG ist daher für die Angehörigen der Vertragsstaaten nicht anwendbar. Problematisch und umstritten ist dagegen die Rechtswirkung einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG. Überwiegend wird vertreten, sie begründe keinen rechtmäßigen Aufenthalt, denn sie bestehe lediglich vorübergehend bis zum Abschluss des Asylverfahrens.260 Die Gewährung des Aufenthaltsrechts sei zwar zwingend notwendig, wäre anderenfalls die Inanspruchnahme des Asylrechts aus Art. 16a GG kaum möglich. Sie trete infolge der Einreise als Asylsuchender kraft Gesetzes ohne Zutun des Aufenthaltsstaates ein. Eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus und damit die Eingliederung des Asylbewerbers in die Inlandsgesellschaft sei vor Abschluss des Verfahrens jedoch nicht beabsichtigt, 261 so dass die Voraussetzungen für eine Gleichstellung mit Inländern nicht gegeben seien. Indes lässt die zeitliche Beschränkung nicht zwangsläufig auf das fehlende Erlaubt-Sein des Aufenthalts schließen.262 Aus dem Wortlaut des EFA ist nicht erkennbar, dass dessen Anwendungsbereich Personen nicht umfassen soll, die sich im Rahmen eines Asylverfahrens in einem Vertragsstaat aufhalten. Auch die Gesetzgebungshistorie spricht nicht zwangsläufig gegen eine Einbeziehung 258

Kau in Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Directive 2004/81/EC, Art. 7, Rn. 7; Kapuy, The social security position of irregular migrant workers, S. 160. 259 Bethäuser, DVBl. 1983, 536 (537). 260 Bergmann in Renner, Ausländerrecht, § 55 AsylVfG, Rn. 5; Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 97 f.; Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 93, 762; Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23, Rn. 24; BVerwGE 71, 139 (143 f.); VGH Baden-Württemberg, DÖV 1999, 123. 261 BVerwGE 49, 202 (205); 62, 206 (210 f.) dazu auch Renner, Ausländerrecht, § 4 AufenthG, Rn. 17. Auf dieses Recht kann sich gemäß Art. 16a II GG jedoch nicht berufen, wer über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist ist. 262 Bethäuser, DVBl. 1983, 536 (538); VGH Baden-Württemberg, NVwZ 1984, 193 (193).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

von Asylbewerbern in den Gleichbehandlungsanspruch. Zwar ist das AsylbLG erst nach der Ratifizierung des EFA in Kraft getreten. Die lex posterior-Regel, nach der das später erlassene Gesetz früheres Recht verdrängt, gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Denn bei der Beurteilung der Vereinbarkeit späterer nationalrechtlicher Regelungen mit dem Völkerrecht ist der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung und Anwendung zu beachten.263 Anderenfalls würde der Gesetzgeber durch den nachträglichen Erlass anderslautender Normen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen unterlaufen können. Die Dokumente, die die Vertragsstaaten als Nachweis des erlaubten Aufenthalts anerkennen, sind jedoch im Anhang III264 zum EFA explizit aufgeführt. Die Aufzählung im Anhang III hat konstitutive Wirkung. Nur die dort – abschließend, nicht lediglich beispielhaft – genannten Erlaubnistatbestände determinieren den Gehalt des erlaubten Aufenthalts i.S.v. Art. 11 EFA.265 Die Aufenthaltsgestattung ist dort nicht erwähnt, so dass sich die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik nicht auf die volle Gleichstellung von Asylbewerbern im Hinblick auf Fürsorgeleistungen erstrecken. 4. Gleichbehandlungsansprüche nach Art. 23 GFK Das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 23 GFK verlangt ebenso wie das EFA einen rechtmäßigen Aufenthalt. Personen, die kein Recht zum langfristigen Verbleib im Aufenthaltsstaat haben, können daraus mithin keine Ansprüche ableiten.266 Ungeachtet der faktischen Lebensumstände vieler Personen, die in den Anwendungsbereich des AsylbLG fallen, ist diesen aufenthaltsrechtlich gerade nicht das Recht eingeräumt, auf Dauer in der Bundesrepublik zu verbleiben. Die Regelungen der GFK sind für die Beurteilung des AsylbLG daher ohne Gehalt.

III. Fazit Abgesehen von den durch Art. 1 EFA vermittelten unbedingten Ansprüchen auf Inländergleichbehandlung in der Fürsorge schließen weder nationales noch Europa- oder internationales Recht per se die Etablierung eines gesonderten Existenzsicherungssystems für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt aus. Sie setzen jedoch voraus, dass durch die zu gewährenden Leistungen das soziokulturelle Existenzminimum gewahrt ist. Eine Unterschreitung der Mindeststandards durch Regelsätze, die auf bloßer Schätzung beruhen, ist mit all diesen In263

BVerfGE 59, 63 (89); 74, 358 (370), dazu auch Deiseroth, DVBl. 1998, 116 (121). Anhänge zum Europäischen Fürsorgeabkommen samt Protokoll, BGBl. II-1991, S. 698 ff. 265 BVerwGE 71, 139 (144); Wollenschläger in v. Wulffen/Krasney, S. 334. 266 BayVGH, BayVBl. 1973, 435 (436); Wollenschläger in v. Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 335. 264

E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen

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strumenten nicht vereinbar. Das AsylbLG kann in seiner derzeitigen Form daher nicht aufrecht erhalten werden.

E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen Das Sozialrecht sichert den Zugang zu den Leistungen der sozialen Hilfen für jedermann, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit oder seines Aufenthaltsstatus. Letzterer ist allein für den Umfang der Rechtsansprüche von Bedeutung. Gleichwohl wird deutlich, dass die Verantwortung für die Fürsorge an Ausländer nicht ebenso unbedingt besteht wie in Bezug auf Deutsche. Das Aufenthaltsrecht stellt schon die Begründung des Aufenthalts in § 5 I Nr. 1 AufenthG unter den Vorbehalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

I. Sozialhilfebezug als Ausweisungsgrund nach § 55 II Nr. 6 AufenthG Dem entspricht § 55 II Nr. 6 AufenthG, der den Ausländerbehörden die Möglichkeit der Ausweisung bei Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe für sich, seine Familien- oder Haushaltsangehörigen einräumt. Aus der systematischen Stellung des Sozialhilfebezugs als Ausweisungsgrund folgt, dass der Gesetzgeber in diesem Fall die fiskalischen und damit „die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen“ der Bundesrepublik beeinträchtigt sieht. Es genügt daher nicht, dass lediglich ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe besteht. Die Ausweisung kommt nur bei der tatsächlichen Inanspruchnahme in Betracht.267 Maßgeblich sind allein die Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII.268 Denn anders als in den §§ 27 III 1, 31 II 3, 31 IV 1, 35 III 1 Nr. 3 AufenthG über die Erteilung bzw. Verlängerung bestimmter Aufenthaltstitel wird ausdrücklich nur diese, nicht aber wie dort „Leistungen nach SGB II und SGB XII“ genannt.269 Die Sozialämter trifft nach §§ 87 II Nr. 3 AufenthG eine Meldepflicht an die Ausländerbehörden. Bei der Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts sind gemäß § 55 III Nr. 1, 2 AufenthG die Dauer des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts und die Folgen der Ausweisung für die Familiengemeinschaft zu berücksichtigen. Die Gewichtung der Abwägungskriterien ist allerdings unklar. So wird vertreten, die fiskalischen Interessen der Bundesrepublik seien durch sozialrechtliche Aspekte 267

Brunner, ZAR 1991, 23 (27). Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 55 AufenthG, Rn. 50; Beichel-Benedetti in Huber, § 55 AufenthG, Rn. 9. 269 Strick, NJW 2005, 2182 (2183); Alexy in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, § 55 AufenthG, Rn. 33. 268

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

zu relativieren. Sie stünden mit zunehmender legaler Aufenthaltsdauer hinter dem Verbleibeinteresse des Ausländers zurück. Zu berücksichtigen sei insofern auch die Verfestigung persönlicher Bindungen in der Familie und im Freundeskreis des Ausländers. Etwaige Beiträge zum Steueraufkommen und damit zur Finanzierung der Sozialhilfe als solcher seien ebenfalls von erheblichem Gewicht. Wer an den fiskalischen Lasten beteiligt werde, sei auch in den entsprechenden Rechten gleich zu behandeln.270 Spätestens nach einem fünfjährigen legalen Aufenthalt spreche eine Vermutung dafür, dass die fiskalischen Interessen zurückgedrängt seien und dem Ausländer sozialrechtliche Solidarität zuzugestehen sei.271 Diese Einwände sind in der Rechtsprechung jedoch nicht geteilt worden. Nach Auffassung des BVerwG stelle eine „Dauerbelastung der öffentlichen Hand mit Sozialhilfeleistungen“ eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen dar. Diese werde insbesondere nicht durch frühere Steuerzahlungen des Ausländers aufgewogen. Denn die Entrichtung von Steuern begründe keine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche – insbesondere nicht, wenn der Aufenthalt nur durch Leistungen der Sozialhilfe ermöglicht werden könne.272 Eine lediglich vorübergehende Hilfebedürftigkeit oder ein vergleichsweise geringfügiger Anspruchsumfang rechtfertigen die Ausweisung aber nach allgemeiner Auffassung regelmäßig nicht.273 Dies ist nicht zuletzt Ausprägung des Sozialstaatsprinzips nach Art. 20 I GG. Der daraus resultierenden Fürsorgepflicht für die Wohnbevölkerung kommt der Rang einer verfassungsrechtlich geschützten Ermessenserwägung zu.274 Auch internationales Recht ist in die Abwägung einzubeziehen. Abschiebeverbote, die beispielsweise durch das Erfordernis des Schutzes vor Folter und Verfolgung im Herkunftsstaat begründet sind, sind daher ebenso zu beachten wie das Menschenrecht auf Achtung des Familienlebens. Die Ausweisung des bedürftigen Ausländers muss also im Einklang mit diesen Vorgaben verhältnismäßig sein.275

270

Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 777 ff.; Wollenschläger/Wiestner, DVBl. 1983, 748 (749). 271 Bender, DuR 1974, 36 (42); Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 779. 272 BVerwGE 66, 29 (32); 94, 35 (47). 273 Statt vieler Alexy in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, § 55 AufenthG, Rn. 36; Beichel-Benedetti in Huber, § 55 AufenthG, Rn. 9; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 55 AufenthG, Rn. 53. Vgl. dazu auch BVerwGE 66, 29 (31). 274 Bender, DuR 1974, 36 (40 ff.). 275 Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 40; Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 100.

E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen

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II. Rechtfertigung der Aufenthaltsbeendigung Die Ausweisung wegen des Bezugs von Leistungen der Sozialhilfe scheint widersprüchlich, billigt der Gesetzgeber über § 23 SGB XII Ausländern doch ausdrücklich Ansprüche auf diese zu.276 Die Möglichkeit, „fremde“ Bedürftige des Landes zu verweisen, scheint dem mit Etablierung des Rechts des Unterstützungswohnsitzes historisch überkommenen Heimatprinzip wieder zur Geltung zu verhelfen.277 Es fragt sich daher, ob die Inanspruchnahme sozialer Rechte über das Aufenthaltsrecht sanktioniert werden darf, ob der Gesetzgeber Ausländern also durch das AufenthG Rechtspositionen nimmt, die ihnen das SGB XII einräumt. Die Ausweisungsregel wird mit der unterschiedlichen Zielsetzung von Sozial- und Ausländerrecht begründet: dieses solle existenzielle Notlagen verhindern, während jenes die öffentlichen Belange der Bundesrepublik im Hinblick auf den Aufenthalt von Fremden im Inland sichern soll. Diese würden gefährdet, wenn die Zuerkennung sozialhilferechtlicher Ansprüche eine Sogwirkung, also einen Einwanderungsanreiz auslöse.278 Das nationale Recht gibt weder den Vorrang der aufenthaltsrechtlichen noch der sozialrechtlichen Belange vor. Der Ausgleich zwischen beiden Interessenlagen ist daher im Einzelfall im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu treffen, in deren Rahmen zwischen den Grundrechten, dem Vertrauensschutz und den – fiskalischen – Belangen der Bundesrepublik zu vermitteln ist.279 Subjektive Rechtspositionen, die einen Schutz vor der Ausweisung wegen Bedürftigkeit vermitteln, können sich jedoch aus Europa- und Völkerrecht ergeben. 1. Europarechtlich begründeter Ausweisungsschutz Die Möglichkeit, Ausländer aufgrund des Bezugs von Sozialhilfeleistungen auszuweisen, scheint schon bei oberflächlicher Betrachtung zumindest für Unionsbürger problematisch, vermittelt das Primärrecht diesen doch umfangreiche Teilhaberechte in allen Mitgliedstaaten. Da die Entziehung des Aufenthaltsrechts denknotwendig nur andere als die eigenen Staatsangehörigen betreffen kann, bedarf eine entsprechende Maßnahme als unmittelbare Diskriminierung sowohl einer spezifischen Ermächtigungsgrundlage als auch einer objektiven Rechtfertigung.

276

Wollenschläger/Wiestner, DVBl. 1983, 748 (749); Bender, DuR 1974, 36 (41). Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 776. 278 Fenge, ZfSH 1979, 257 (267). 279 BVerwGE 66, 29 (31); Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 45; Brunner, ZAR 1991, 23 (28). 277

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

a. Ausweisung von Arbeitnehmern und Art. 45 AEUV In Art. 45 I AEUV ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Diese umfasst nach Art. 45 III lit. d) AEUV das Recht, nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu verbleiben. Während der Dauer der Ausübung einer Beschäftigung besteht das Aufenthaltsrecht nach Art. 45 III lit. c.) AEUV. Bedürfen Arbeitnehmer der Leistungen der Sozialhilfe, ist ihre Ausweisung schon mit dem Primärrecht unvereinbar. Zwar stehen die Gewährleistungen des Freizügigkeitsrechts unter dem Vorbehalt der Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit. Dieser ordre public-Vorbehalt ist als Ausnahme von der Grundfreiheit jedoch eng auszulegen. Sein Tatbestand erfordert eine tatsächliche und hinreichende Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft des Aufenthaltsstaats.280 Diese Gefährdung muss von so erheblichem Ausmaß sein, dass der Aufenthaltsstaat bei einem entsprechenden Verhalten seiner eigenen Staatsangehörigen ebenfalls Zwangsmaßnahmen ergreifen oder Sanktionen erlassen würde.281 Dies ist bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe nicht der Fall. Eine Sanktionierung von Bedürftigen durch staatliche Zwangsmaßnahmen ist auch vor dem Hintergrund der verfassungs- und völkerrechtlichen Garantie des Schutzes der Menschenwürde undenkbar. Das Verbleiberecht des inaktiven Arbeitnehmers nach Art. 45 III lit. d) AEUV besteht indes nicht uneingeschränkt, sondern ist unter den Vorbehalt der näheren Ausgestaltung im Sekundärrecht gestellt. Maßgeblich ist insoweit die im FreizügG/EU umgesetzte Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG. Diese hält das Recht zum Verbleib in einem anderen Mitgliedstaat für Personen, die weniger als zwölf Monate dort beschäftigt waren, für die Dauer von sechs Monaten, für alle anderen unbeschränkt aufrecht, Art. 7 III RL 2004/38/EG; § 2 III FreizügG/ EU. Zugleich statuiert Art. 14 IV RL 2004/38/EG ein Ausweisungsverbot für Arbeitnehmer, das lediglich im Rahmen der Art. 27 ff. RL 2004/38/EG unbeachtlich ist. Nach Art. 27 RL 2004/38/EG können die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern und Familienangehörigen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit beschränkt werden. Dies setzt eine Gefährdung voraus, die den Aufenthaltsstaat bei eigenen Staatsangehörigen zu denselben Maßnahmen veranlassen würde, um dem unerwünschten bzw. missbilligten Verhalten entgegen zu wirken.282 Die Berufung auf die Gründe der öffentlichen Ordnung ist überdies nur zulässig, wenn damit keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgt werden, Art. 27 I 2 RL 2004/38/EG. Das Argument, Bezieher von Leistungen der 280 St. Rspr. EuGH, Slg. 1977, 1999, Rn. 33/35 (Bouchereau); Forsthoff in Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 45 AEUV, Rn. 41; Brechmann in Calliess/Ruffert, Art. 39 EGV, Rn. 93. 281 Brechmann in Calliess/Ruffert, Art. 39 EGV, Rn. 93; EuGH, Slg. 1982, 1665, Rn. 9 (Adoui); Slg. 1989, 1263, Rn. 19 (Kommission/Deutschland). 282 Steinebach/Güneş, ZAR 2010, 97 (97).

E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen

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Sozialhilfe seien auszuweisen, weil anderenfalls die öffentlichen Haushalte zu stark belastet würden, kann daher nicht vorgebracht werden.283 Nach deutschem Recht ist der Bezug steuerfinanzierter Sozialleistungen zwar mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gleichgesetzt, wie die Systematik des § 55 AufenthG verdeutlicht. Die Unionsbürgerrichtlinie stellt jedoch klar, dass Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Auszuweisenden Bezug nehmen können, welches eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft des Aufenthaltsstaats begründet. Der Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts kann daher nicht per se eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen. Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind, können daher trotz der Anordnung in § 55 II Nr. 6 AufenthG nicht ausgewiesen werden, vgl. § 11 FreizügG/EU. b. Ausweisung wirtschaftlich Inaktiver und Art. 21 AEUV Nichterwerbstätige können sich auf die Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 AEUV berufen, die freilich nur in den Grenzen des Sekundärrechts gewährleistet ist. Dieser Vorbehalt abweichender Regelungen lässt eine Beendigung des Aufenthaltsrechts grundsätzlich zu. Wie bereits dargestellt, setzt das Aufenthaltsrecht wirtschaftlich Inaktiver deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit voraus: Nach Art. 14 I RL 2004/38 ist das kurzfristige Aufenthaltsrecht daran gebunden, dass der Unionsbürger bzw. dessen Familienangehörige Sozialhilfeleistungen des Aufenthaltsstaats „nicht unangemessen“ in Anspruch nehmen. Gemäß Art. 14 II RL 2004/38/EG erlischt mit dem Wegfall seiner Voraussetzungen auch das längerfristige Aufenthaltsrecht. Selbst wenn also im Zeitpunkt der Einreise die Existenz gesichert war, ist ein Unionsbürger bei späterer Verarmung nicht länger aufenthaltsberechtigt. Diese sekundärrechtlich angeordneten Beschränkungen dürfen indes nicht so weit reichen, dass das Freizügigkeitsrecht zu einem „prekären Aufenthalt auf Widerruf“284 ausgehöhlt wird. Sie müssen verhältnismäßig sein.285 Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die marktbezogenen Grundfreiheiten kein Vorbehalt sozialer Absicherung besteht. Begründet wird dies damit, dass die Arbeitnehmer zum Wohlstand der Aufenthaltsgesellschaft beitragen und als solche auch an deren Sozialleistungen, die sie selbst mitfinanziert haben, teilhaben dürfen.286 Die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV ist in ihrem Gehalt und ihrer rechtlichen Beständigkeit unabhängig davon, wie lange ein Arbeitnehmer in ei283 Brinkmann in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 205; Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 185. 284 Scheuing, EuR 2003, 744 (770). 285 EuGH, Slg. 2002, I-7091, Rn. 91 (Baumbast); Slg. 2004, I-5257, Rn. 64 ff. (Orfanopoulos und Oliveri) m.w.N. 286 Tomuschat, CML Rev 37 (2000), 449 (453).

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

nem anderen Mitgliedstaat arbeitet oder wie hoch die Einkünfte sind, die er aus seiner Tätigkeit erzielt. Sie gilt vollumfänglich, selbst wenn diese Einkünfte unterhalb dessen liegen, was zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendig wäre.287 Die Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV lässt sich zudem nicht stets deutlich von der Unionsbürgerfreizügigkeit aus Art. 21 AEUV abgrenzen.288 Fundamentale Unterschiede zwischen den einzelnen Aufenthaltsrechten sind vor diesem Hintergrund nur schwer zu rechtfertigen, so dass der Vorbehalt sozialer Absicherung eher restriktiv im Sinne eines Missbrauchsvorbehalts zu interpretieren ist.289 Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen darf daher – und dies ordnet auch Art. 14 III, IV RL 2004/38/EG an – keine automatische Ausweisung nach sich ziehen, sondern bedarf einer Einzelfallentscheidung, ob die finanziellen Lasten für den Aufenthaltsstaat „über Gebühr“ angestiegen sind. Dies wird nur in Ausnahmesituationen der Fall sein, soll mit der Unionsbürgerschaft doch eine Vollintegration in die nationalrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten herbeigeführt werden. Bei der Abwägung spielen Faktoren wie die Dauer des Voraufenthalts, Dauer und Grund der Notlage oder die Kenntnis von der fehlenden Fähigkeit zum Selbstunterhalt bei der Einreise eine Rolle.290 Der EuGH hat diese Grundsätze bestätigt und darauf hingewiesen, dass eine Ausweisung wegen Bedürftigkeit am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen ist. 291 Unionsbürger, die zum Zweck der Arbeitsuche eingereist sind, dürfen nach Art. 14 IV RL 2004/38/EG gar nicht ausgewiesen werden. Dies gilt zumindest, solange die Arbeitsuche fortgesetzt wird und eine begründete Aussicht auf das Eingehen eines Arbeitsverhältnisses besteht, Art. 14 IV lit. b) RL 2004/38. Die Anwendung dieser Kriterien läuft im Ergebnis allein auf den Ausschluss von Sozialleistungsmissbrauch hinaus, der nach der Rechtsprechung des EuGH vorliegt, wenn sich anhand objektiver Merkmale nachweisen lässt, dass sich jemand nur in der Absicht in einen anderen Mitgliedstaat begibt, dort Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.292

287

EuGH, Slg. 1982, 1035, Rn. 9 ff. (Levin); Slg. 1986, 1741, Rn. 16 (Kempf). Dies wurde namentlich in den Rechtssachen Martínez Sala und Grzelczyk deutlich, in denen beide Kläger als ehemalige Arbeitnehmer im Aufenthaltsstaat möglicherweise auch in den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit gefallen waren. Vgl. EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 34 (Martínez Sala); Slg. 2001, I-6193, Rn. 18 (Grzelczyk). 289 Borchardt, NJW 2000, 2057 (2060); Scheuing, EuR 2003, 744 (772). 290 Bode, EuZW 2003, 552 (555); Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1208). 291 EuGH, Slg. 2001, I-6193, Rn. 42 f. (Grzelczyk); Slg. 2004, I-7573, Rn. 45 (Trojani). Entsprechend, wenngleich in anderem Kontext EuGH, Slg. 1997, I-1035, Rn. 18 (Kommission / Belgien) sowie Slg. 2002, I-7091, Rn. 91 (Baumbast). 292 EuGH, Slg. 1988, 3161, Rn. 43 (Lair). 288

E. Beendigung des Aufenthalts von Bedürftigen

303

c. Ausweisungsschutz für Drittstaatsangehörige Auch Drittstaatsangehörige sind durch Europarecht vor einer Ausweisungsverfügung geschützt. Angehörige von Unionsbürgern profitieren uneingeschränkt von den in der RL 2004/38/EG niedergelegten Regelungen.293 Art. 12 I RL 2003/109/EG statuiert einen besonderen Ausweisungsschutz für Daueraufenthaltsberechtigte, der nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen, hinreichenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beschränkbar ist. Insbesondere dürfen wirtschaftliche Erwägungen nicht in die Ermessensentscheidung einbezogen werden, Art. 12 II RL 2003/109/EG. Fiskalische Interessen der Bundesrepublik, mit denen die Ermessensausweisung begründet wird, sind daher nicht zu berücksichtigen. Türkische Staatsangehörige dürfen nur nach einer eingehenden Ermessensausübung ausgewiesen werden, wenn sie Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen. Sie können sich auf das Assoziationsrecht berufen. Der EuGH hat die assoziationsrechtlich begünstigten Arbeitnehmer in ihrem Rechtsstatus weitgehend den unionsangehörigen Arbeitnehmern gleichgestellt. Zur Begründung wird der Zweck des Assoziierungsabkommens herangezogen, das türkischen Arbeitnehmern einen weitgehend freien Zugang zum Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten einräumen soll.294 Daher sind alle nationalen Rechtsakte, die das an den Arbeitnehmerstatus anknüpfende Aufenthaltsrecht tangieren, am strengen Maßstab der Freizügigkeit zu messen.295 Weitere Ausweisungs- und Abschiebeverbote ergeben sich aus dem in Art. 8 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens. Dies setzt voraus, dass der Betreffende in der Bundesrepublik intensive Beziehungen familiärer und zwischenmenschlicher Art aufgebaut hat, die seine Verwurzelung im Inland begründet haben. Diese Erwägungen haben in die Ermessensentscheidung über die Ausweisung im Rahmen von § 55 II Nr. 6 AufenthG einzufließen.296 Ist ein Bezieher von Sozialhilfeleistungen im Herkunftsland der Gefahr von Folter oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt, darf die Ausweisung wegen Art. 3 EMRK in keinem Fall angeordnet werden.297

293

Steinebach/Güneş, ZAR 2010, 97 (98). EuGH, Slg. 1995, I-1475, Rn. 19 f. (Bozkurt); Slg. 1997, I-329, Rn. 20 (Tetik); Slg. 1997, I-5143, Rn. 21 (Günaydin); Slg. 2000 Seite I-00957, Rn. 55 (Nazli). 295 So bereits BVerwGE 121, 315 (320 f.); Beichel-Benedetti in Huber, AufenthG, Vorbem. §§ 53–56, Rn. 12; ausführlich Steinebach/Güneş, ZAR 2010, 97 (99); a.A. Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 196. 296 Beichel-Benedetti in Huber, AufenthG, Vorbem. §§ 53–56, Rn. 12; Steinebach/Güneş, ZAR 2010, 97 (100). 297 Ausführlich Steinebach/Güneş, ZAR 2010, 97 (100). 294

304

5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

2. Ausweisungsschutz nach dem EFA Auch das EFA schützt die Angehörigen der Vertragsstaaten davor, ihren Aufenthalt wegen des Bezugs von Fürsorgeleistungen beenden zu müssen. Das Gebot der Inländergleichbehandlung wird über das Diskriminierungsverbot des Art. 1 EFA hinaus durch das Verbot der Abschiebung bzw. Ausweisung allein298 aus dem Grund der Bedürftigkeit nach Art. 6 EFA sichergestellt. Erst durch diese Klausel wird die vollständige Gleichbehandlung erreicht, steht den Staaten in Bezug auf ihre eigenen Staatsangehörigen doch ebenfalls keine Möglichkeit offen, diese ihres Territoriums zu verweisen, wenn sie Sozialhilfe beanspruchen. Voraussetzung des Ausweisungsschutzes ist jedoch der mindestens seit fünf Jahren bzw. bei Einreise nach Vollendung des 55. Lebensjahres mindestens seit zehn Jahren andauernde, legale Aufenthalt, Art. 7 EFA. Es wird vertreten, der Ausweisungsschutz schließe nicht aus, dass ein befristeter Aufenthaltstitel nicht verlängert wird. Art. 6 EFA sei insofern eng auszulegen und beziehe sich nur auf die Rückschaffung im Sinne einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung, nicht aber auf die Regelungen über die Erlaubnis des Aufenthalts selbst. Ausländer, die einer (neuen) Aufenthaltserlaubnis bedürfen, stünden nicht unter dem Schutz des Abkommens.299 Dieser Befund wird als zufällig kritisiert: es könne im Hinblick auf das Verbleibeinteresse des Ausländers nicht darauf ankommen, ob ein bestehender Aufenthaltstitel während des Sozialhilfebezugs aufgrund einer Befristung auslaufe. Die Zielsetzung des EFA, dem Bedürftigen einen Verbleib im Aufenthaltsstaat zu ermöglichen, werde dadurch umgangen. Es sei jedwede Rückschaffung, nicht nur die während des rechtlichen Bestehens eines Aufenthaltsrechts, untersagt. Denn anderenfalls hätte es die Ausländerbehörde in der Hand, bei befristeten Aufenthaltstiteln den nach dem EFA zu gewährenden Schutz immer wieder in Frage zu stellen.300 Diese Auffassung wird in der Rechtsprechung nicht geteilt. Wortlaut und Systematik des Art. 6 EFA sprächen gegen eine solche weite Auslesung des Rückschaffungsverbots. Die Norm beziehe sich lediglich auf die vorfristige zwangsweise Entfernung aus dem Gebiet der Bundesrepublik. Die bloße Nichtverlängerung einer abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis falle nicht darunter, setze die Norm doch ihrerseits einen rechtmäßigen Aufenthalt voraus. Dieser bestehe nach Ablauf der Geltungsfrist einer Aufenthaltserlaubnis gerade nicht mehr. Der Schutz des EFA ende dort, wo es der erneuten Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels bedarf.301 298 Die Möglichkeit der Ausweisung aus anderen Gründen der Gefährdung der öffentlichen Interessen bleibt davon unberührt, Fenge, ZfSH 1979, 257 (262). 299 So BVerwGE 66, 29 (33 f.); 94, 35 (52); Berger, die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 103 f.; Zuleeg, NDV 1987, 342 (343). 300 Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 781; Huber, NJW 1981, 1816 (1870); Wollenschläger/Wiestner, DVBl. 1983, 748 (750). 301 BVerwGE 66, 29 (33 f.).

F. Fazit

305

Indes sprechen Wortlaut und Systematik des Abkommens gegen die enge Auslegung. Aus Art. 11 lit. a) EFA wird deutlich, dass die Verlängerungsmöglichkeit eines Titels die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht berührt. Diese tritt nach Art. 11 lit. b) EFA vielmehr erst nach Ergehen einer Anordnung zum Verlassen des Landes ein. Auch das nationale Recht stuft das Verlängerungsverfahren nicht als ein Stadium vorübergehenden rechtswidrigen Aufenthalts ein. Die Verlängerung des Titels nach § 8 AufenthG ist rechtzeitig vor dessen Ablauf zu beantragen. Gemäß § 81 IV AufenthG gilt in diesem Fall bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens der ursprüngliche Aufenthaltstitel fort. Lediglich bei verspäteten Anträgen kommt diese Fiktionswirkung nicht zum Tragen.302 Der Einwand, der Schutz des EFA ende mit Gültigkeitsablauf des Aufenthaltstitels, verfängt daher regelmäßig nicht, da üblicherweise ein nahtloser Übergang zwischen ursprünglichem und Folgetitel besteht. Mit dem Stellen eines Verlängerungsantrags ändert sich die Rechtsposition des Ausländers im Vergleich zum Fortbestehenden Aufenthaltstitel also nicht.303 Die Verlängerung kann daher wegen Art. 6 EFA nicht allein wegen der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers verweigert werden. 3. Ausweisungsschutz für Flüchtlinge nach Art. 55 GFK Die Ausweisung von anerkannten Flüchtlingen wegen der Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe ist nach Art. 33 GFK ausgeschlossen. Der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG trägt diesem Gebot Rechnung.304

F. Fazit Im Recht der sozialen Fürsorge entscheidet die Staatsangehörigkeit zwar nicht über das „Ob“ des Zugangs zu Leistungen. Denn es ist lediglich auf den gewöhnlichen (SGB II) bzw. tatsächlichen (SGB XII) Aufenthalt abzustellen. Allerdings steht der Aufenthalt Ausländern gemäß § 5 I Nr. 1 AufenthG nur offen, wenn sie nicht bereits bei ihrer Einreise hilfebedürftig sind. Die Staatsangehörigkeit des Hilfebedürftigen ist auch für die Determinierung der Ansprüche von Bedeutung. Sie bestimmt zum einen über die Dauer des Leistungsbezugs, ist den Ausländerbehörden nach § 55 II Nr. 6 AufenthG doch die Möglichkeit der Ausweisung eingeräumt. Auch Art, Umfang und Höhe der zu gewährenden Leistungen hängen von der Staatsangehörigkeit bzw. dem Aufenthaltsstatus des Berechtigten ab. Grundsicherung für Arbeitsuchende ist erst zu leisten, wenn ein Statutenwechsel eingetreten ist, wenn ein Ausländer also eine tatsächliche Verbindung 302 303 304

Dienelt/Röseler in Renner, Ausländerrecht, § 8 AufenthG, Rn. 11. Dienelt in Renner, Ausländerrecht, § 81 AufenthG, Rn. 18. Berger, Die Sozialhilfeansprüche von Ausländerinnen und Ausländern, S. 69 f.

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5. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung und der Sozialhilfe

zum inländischen Arbeitsmarkt begründet hat. Migranten erhalten auch Sozialhilfe nicht in vollem Umfang, vgl. § 23 SGB XII. Ist ihr Aufenthalt lediglich vorübergehend angelegt, können sie im Regelfall lediglich die gering bemessenen Leistungen des – verfassungswidrigen und daher aufzuhebenden – AsylbLG beanspruchen. Die Differenzierungen werden damit begründet, dass die Leistungen der Sozialhilfe eine Eingliederung in die inländische Gesellschaft bewirken sollen. Diese sei im Grunde nur Deutschen geschuldet, da nur sie per se ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik innehaben. Die Unionsbürger partizipieren über die Grundfreiheiten des AEUV an dieser Rechtsposition, was ihren Sonderstatus – die nahezu völlige Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen im Sozialhilferecht – erklärt. Indes ist ein wesentliches Motiv der Leistung von Sozialhilfe die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz. Die Achtung der Menschenwürde obliegt aller staatlichen Gewalt gegenüber jedermann, ungeachtet seiner Nationalität oder Herkunft, Art. 1 I, III GG. Wenn die sozialen Hilfen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen sollen, stellt sich angesichts der Unveräußerlichkeit der Menschenwürde nach Art. 1 I GG die Frage, ob Differenzierungen im Leistungsumfang überhaupt zulässig sind. Haben Menschen unterschiedlicher Herkunft oder mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus eine voneinander verschiedene Menschenwürde? Dies wäre ein Fehlschluss. Die Menschenwürde steht jedermann universell und überall zu. Sie zu schützen und zu sichern, ist ein generelles Gebot jedweder öffentlicher Gewalt. Die Differenzierungen erklären sich allein aus der Frage der Zuständigkeit eines Sozialstaats für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins. Sind die Bindungen an den Aufenthaltsstaat noch nicht so verfestigt, dass die Rückreise in das Herkunftsland schlechterdings unzumutbar wäre, besteht die Verpflichtung zur sozialen Fürsorge nur eingeschränkt. Ist eine Person – einerlei welcher Staatsangehörigkeit – jedoch in die Aufenthaltsgesellschaft integriert, weil ihr Aufenthalt geduldet oder sogar rechtlich verfestigt ist, ist sie umfassend gegen soziale Exklusion zu sichern. Sie ist dann Teilhaber der Solidargemeinschaft. Ihnen Fürsorge zu gewähren, sichert nicht zuletzt den sozialen Frieden im Aufenthaltsstaat.305

305

Schönberger, Unionsbürger, S. 364.

307

6. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung Das Konzept der sozialen Förderung ist nicht definiert. Sein Gehalt ist daher über die Bestimmung seiner Ziele zu klären, die sich aus § 1 I SGB I herleiten lassen. Danach soll das Sozialrecht – neben der Sicherung einer menschenwürdigen Existenz – gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit schaffen, Familien schützen und fördern und besondere Belastungen des Lebens abwenden. Anders als die soziale Vorsorge soll die soziale Förderung keine Einkommensausfälle kompensieren. Sie dient auch nicht – wie die sozialen Hilfen – der Existenzsicherung. Eine Bedürftigkeitsprüfung findet nicht in jedem Fall statt. Vielmehr soll mit der sozialen Förderung Chancengleichheit1 durch die Deckung spezifischer Bedarfslagen2 hergestellt werden. Dieses Anliegen wird durch die Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII) ebenso wie durch das Wohngeld nach dem WoGG, die Beschäftigungsförderung nach dem SGB III sowie die Ausbildungsförderung nach dem BAföG, Kindergeld und Elterngeld und den Unterhaltsvorschuss sichergestellt.3 Die Abgrenzung ist schwierig, da sich die Anliegen der einzelnen Leistungen mitunter überschneiden. So ist das Arbeitsförderungsrecht sowohl der sozialen Vorsorge als auch der Förderung zuzuordnen. Das Elterngeldrecht vereint Förderelemente mit dem Anliegen der Kompensation von Einkommensverlusten.4 Die soziale Förderung nimmt damit eine Schnittstellenfunktion ein. Aus Steuermitteln finanziert, kommt ihr vor allem die präventive Aufgabe zu, Benachteiligungen in bestimmten Lebenslagen zu vermeiden. Indem spezifische Bedarfe von Familien gedeckt, das Fortkommen auf dem Arbeitsmarkt unterstützt oder die Bezahlbarkeit des Wohnraums gesichert werden, beugt die soziale Förderung der Entstehung von Armut vor und versetzt den Einzelnen in die Lage, sein Auskommen unabhängig von Fürsorgeleistungen zu bestreiten. Sie sichert damit die freie Entfaltung der Persönlichkeit, ohne stigmatisierend zu wirken.

1

Eichenhofer, Sozialrecht, S. 10, Abb. 3; Mrozynski, SGB I, § 1, Rn. 33. Seewald in KassKomm, SGB I, Vorbem., Rn. 17; Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 88 unterscheidet arbeits- und familienbezogene Förderungslagen. 3 Übersicht bei Seewald in KassKomm, SGB I, Vorbem., Rn. 17. 4 Mrozynski, SGB I, § 1, Rn. 34. 2

308

6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung Als der Sozialhilfe vorgreifliche Maßnahme scheint es naheliegend, dass der Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung deren Grundsätzen folgt. Grundsätzlich kommt deshalb auch für die Leistungen der sozialen Förderung die Regelung des § 30 SGB I zum Tragen, die den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik als Anknüpfungsmoment der Berechtigung benennt. Diese Norm steht unter gemäß § 37 SGB I dem Vorbehalt abweichender Regelungen, die sich im Recht der sozialen Förderung insbesondere aus den besonderen Teilen des SGB (vgl. § 68 SGB I) ergeben.

I. Leistungen zum Ausgleich familiärer Belastungen § 6 SGB I statuiert ein Recht – nicht aber einen Anspruch, vgl. § 2 I 2 SGB I – auf Ausgleich der wirtschaftlichen und persönlichen Belastungen, die aus der Betreuung und Pflege von Kindern entstehen. Die Norm konkretisiert das in Art. 6 I GG verankerte Gebot des besonderen Schutzes der Ehe und der Familie. Aus diesem Grundrecht ist der Gesetzgeber zum Ausgleich familiär bedingter Lasten, insbesondere zur sozialrechtlichen Berücksichtigung der Einkommensminderung aufgrund der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten von Eltern an ihre Kinder verpflichtet.5 Diesem Gebot wird einerseits mit dem Kindergeld nach § 62 EStG bzw. § 1 BKGG genügt, welches die Unterhaltslasten der Familien kompensieren soll.6 Zugleich soll es den Erziehenden einen Ausgleich für die persönlichen Opfer gewähren, die mit der Erziehung und der Sorge um das persönliche Wohl der Kinder verbunden sind.7 Das Elterngeld nach § 1 BEEG dient dagegen primär dem Ausgleich von Einkommensverlusten, die aus der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kinderbetreuung resultieren, weil es einkommensproportional bemessen wird, während für Eltern ohne Einkommen gemäß § 2 V BEEG nur ein Grundbetrag von 300 Euro vorgesehen ist. Dieser Bezug rechtfertigt es, auch das Elterngeld dem Recht der Familienförderung zuzuordnen, führt das Elterngeld doch zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten.8 Außer Betracht bleibt an dieser Stelle der Unterhaltsvorschuss nach § 1 UVG. Dieser gleicht keine familiären Belastungen aus, sondern überbrückt den Leistungsverzug bzw. -ausfall des Unterhaltsschuldners – gerade ohne diesen zu entlasten.9 5 Vgl. nur BVerfGE 82, 60 (78); Weselski in jurisPK-SGB I, § 6, Rn. 9 f.; Eichenhofer, StuW 1997, 341 (341); Schnath in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 388. 6 BSGE 25, 295 (297); BVerfGE 111, 160 (172). 7 BVerfGE 22, 163 (169); 23, 258 (263 f.). 8 Will, Familienförderung im Sozialrecht, S. 106. 9 Eichenhofer, StuW 1997, 341 (344); Eichenhofer, IPRax 1005, 158 (159). Für den Zugang

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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1. Anknüpfungsmomente der Kindergeldberechtigung Das Kindergeld ist die wichtigste finanzielle Unterstützung zur Förderung von Familien. Es steht den Eltern eines Kindes zu, falls sie diesem Unterhalt gewähren. Es ist einerseits Bestandteil des im Steuerrecht geregelten Familien leistungsausgleichs, andererseits eine echte Transferleistung, die nach Maßgabe der §§ 62 ff. EStG bzw. des BKGG ausgezahlt wird.10 Das Rechtsverhältnis zwischen EStG und BKGG ist vom Verhältnis der Spezialität geprägt. Nach § 25 SGB I kann Kindergeld aufgrund des BKGG nur in Anspruch genommen werden, wenn der Anwendungsbereich des § 31 EStG nicht eröffnet ist. a. Leistungsberechtigung nach dem EStG Das aus Art. 6 I GG abgeleitete Gebot der besonderen Förderung von Familien durch den Ausgleich familienspezifischer Lasten erfordert es, das Existenzminimum des Kindes – das neben den physischen Grundbedürfnissen auch die Betreuung, Erziehung und Ausbildung des Kindes umfasst – steuerfrei zu stellen.11 § 31 S. 1 EStG ordnet hierzu an, dass diese Steuerfreiheit entweder durch die Gewährung von Freibeträgen nach § 32 VI EStG oder durch das Kindergeld zu bewirken ist. Soweit das Kindergeld den Betrag überschreitet, der zur Steuerfreistellung des elterlichen Einkommens notwendig ist, dient es nach § 31 S. 2 EStG explizit der Familienförderung. Auch das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld ist folglich eine Sozialleistung.12 Aufenthalt des Kindes, § 63 EStG. Das Kind, welches den Eltern den Anspruch auf Kindergeld vermittelt,13 muss gemäß § 63 I 3 EStG seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik, in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR innehaben. Ist ein Elternteil nach § 1 III EStG wegen inländischer Einkünfte unbeschränkt steuerpflichtig, kommt es auf den Aufenthaltsort des Kindes nicht an, solange das Kind mit dem Steuerpflichtigen in einem Haushalt lebt. Der Aufenthaltsstatus ist nach Maßgabe der AO zu bestimmen. Der Wohnsitz ist gemäß § 8 AO dort belegen, wo jemand eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Auf die behördliche Meldung der Wohnung kommt es nicht an. Es genügt, dass der Betreffende jederzeit die faktische Möglichkeit hat, über die Wohnung zu verfügen.14 Der gewöhnliche Aufenthalt ist nach § 9 AO durch Umstände gekennvon Ausländern zu den Leistungen des UVG gelten die gleichen Grundsätze wie nach dem EStG, BKGG und BEEG. Vgl. dazu Conradis in Rancke, UVG, § 1, Rn. 14. 10 Zur Rechtsentwicklung vgl. Kaiser-Plessow, FPR 2003, 39 (40); BVerfGE 82, 60 (78 f.). 11 BVerfGE 82, 60 (85); 110, 412 (433). 12 Eichenhofer, StuW 1997, 341 (341). 13 Das Kind selbst ist nicht leistungsberechtigt nach dem EStG, Weber-Grellet in Drenseck, EStG, § 62, Rn. 5. 14 Ebling in Blümich, EStG, § 1, Rn. 184 f.

310

6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

zeichnet, die auf ein nicht lediglich vorübergehendes Verweilen schließen lassen. Im Gegensatz zu § 30 SGB I definiert die AO auch die zeitliche Dimension, wonach ein gewöhnlicher Aufenthalt von Anfang an begründet ist, wenn er auf eine Dauer von mindestens sechs zusammenhängenden Monaten angelegt ist. Aufenthalte zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken von unter einem Jahr begründen keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Durch einen vorübergehenden Auslandsaufenthalt, etwa im Rahmen eines Studiums, wird der Inlandswohnsitz des Kindes folglich nicht aufgehoben.15 Als Kinder gelten gemäß § 32 I EStG sowohl die mit dem Berechtigten im ersten Grad verwandten Kinder, Pflegekinder, die in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten, Stiefkinder sowie die Enkelkinder, § 63 I Nr. 2, 3 EStG. Berücksichtigungsfähig sind gemäß § 32 III EStG Kinder bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahrs. Für arbeitsuchende Kinder wird Kindergeld bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs gewährt. Absolviert das Kind eine Berufsausbildung oder einen anerkannten Freiwilligendienst, ist die Altersgrenze von 25 Jahren maßgeblich. Gleiches gilt für Kinder, die wegen einer Krankheit oder Behinderung außerstande sind, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen, § 32 IV EStG. Aus der in § 63 I 3 EStG verankerten Wohnsitzklausel folgt, dass die Ausbildung, der Freiwilligendienst oder die Arbeitsuche nicht auf das Bundesgebiet beschränkt sein müssen. Vielmehr sind auch solche Sachverhalte anzuerkennen, die sich in den EU- oder EWR-Staaten ereignen. Inlandsaufenthalt oder Inlandssteuerpflicht des Berechtigten, § 62 I EStG. Nach § 62 I EStG sind die Personen kindergeldberechtigt, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben oder gemäß § 1 II EStG oder § 1 III EStG im Inland uneingeschränkt steuerpflichtig sind. § 1 II EStG betrifft deutsche Staatsangehörige, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, aber in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen und von dieser einen Arbeitslohn beziehen. Deutsche Auslandsbeamte sowie ins Ausland entsandte Angestellte des öffentlichen Dienstes sind damit nach dem Welteinkommensprinzip der Besteuerung unterworfen.16 In die uneingeschränkte Steuerpflicht nach § 1 II EStG sind ferner deren Familienangehörige einbezogen, soweit sie im selben Haushalt wohnen und ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben oder keine bzw. nur im Inland steuerpflichtige Einkünfte beziehen. Auf Antrag werden Personen ohne Inlandswohnsitz gemäß § 1 III EStG unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig, wenn sie im Inland Einkünfte erzielen. Die Steuerpflicht erfordert folglich stets einen dauer15 BFHE 193, 569 (575): keine Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes bei neunjähriger Schulbildung im Ausland; BFHE 229, 270 (271): Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes bei mindestens fünfmonatigem Inlandsaufenthalt binnen eines Jahres. 16 Ebling in Blümich, EStG, § 1, Rn. 234 und 249.

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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haften Inlandsbezug, sei es durch den Aufenthalt oder die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen oder der Quelle seiner Einkünfte (Ursprungsprinzip). Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Personen. Nach § 62 II EStG haben nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer trotz des gegebenen Inlandsaufenthalts nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn sie in Besitz17 einer Niederlassungs- (Nr. 1) oder Aufenthaltserlaubnis sind, in der ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattet ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Aufenthaltserlaubnis lediglich zum Zwecke der Ausbildung nach §§ 16, 17 AufenthG erteilt ist oder wenn die Bundesagentur die Beschäftigungserlaubnis nach Maßgabe der BeschV lediglich befristet erteilt hat (Nr. 2). Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen i.S.d. §§ 23 ff. AufenthG vorweisen, können Kindergeld nur beziehen, wenn sie sich bereits mindestens drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten (Nr. 3 lit. a) und berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach SGB III beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (Nr. 3 lit. b). Im Ergebnis setzt der Leistungsbezug nach § 62 EStG also nicht nur wie § 30 I SGB I den Inlandswohnsitz voraus. Der Berechtigte muss zusätzlich einen Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt nachweisen. Im Gegensatz zu den anderen nichtfreizügigkeitsberechtigten Personen, die lediglich die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit belegen müssen,18 wird von den aus humanitären Gründen Aufenthaltsberechtigten eine weitergehende Integration in den Arbeitsmarkt gefordert. Sie müssen ihren Kindergeldanspruch aus einer Erwerbstätigkeit oder dem Arbeitslosengeldbezug oder einer Elternzeit heraus geltend machen. Die Erwerbstätigkeit muss keinen Umfang annehmen, der deren Sozialversicherungspflicht begründet. Es genügt die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung.19 Ausnahmen von der Erwerbstätigkeit des Berechtigten sind auf kurzfristige Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit – allerdings nur während der Bezugsdauer von Leistungen nach dem SGB III – oder Elternzeit beschränkt. Die Beschränkungen gelten für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte nicht, denn die Inhaber eines Aufenthaltstitels nach § 25 I, II AufenthG sind in § 62 II EStG nicht enumeriert. Ihr Aufenthaltstitel berechtigt sie nach § 25 I 4, II 2 AufenthG zudem zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Ihnen ist der Zugang zum Kindergeld daher uneingeschränkt eröffnet.20 Geduldete und Asylbewerber sind dagegen vom Kindergeldbezug nach dem EStG ausgeschlossen, da 17 Dies setzt die förmliche Erteilung des Titels durch die Ausländerbehörde voraus, BSG, NVwZ 1998, 1110 (1110). Die Erteilung eines Titels wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Beginns des Aufenthalts zurück, BSGE 72, 8 (10). 18 Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 57 für die Parallelregelung in § 1 BEEG. 19 Voigt, Asylmagazin 2006, 9 (10); Weber-Grellet in Drenseck, EStG, § 62, Rn. 10; Felix in Kirchhof, EStG, § 62, Rn. 3. 20 Hildesheim, DStZ 2000, 25 (27).

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

sie die Voraussetzung des § 62 II Nr. 3 EStG mangels Aufenthaltstitel nicht erfüllen.21 Unionsbürger und Angehörige der EWR-Staaten sind als Freizügigkeitsberechtigte wiederum deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. b. Leistungsberechtigung nach dem BKGG Wer nicht in dem Anwendungsbereich des EStG zuzuordnen ist, kann gemäß § 25 SGB I Ansprüche auf Kindergeld aus dem BKGG herleiten. Im Unterschied zu dem Kindergeld, welches nach § 31 S. 3 EstG monatlich als Steuervergütung – also durch Freistellung von Erwerbseinkommen von der Besteuerung – gewährt wird, handelt es sich bei den Leistungen des BKGG um eine eigens auszuzahlende Transferleistung. Das BKGG stellt mithin einen – in seinem persönlichen Anwendungsbereich sehr beschränkten – Auffangtatbestand dar für alle Familien, deren Familienleistungsausgleich nicht steuerrechtlich abgewickelt wird.22 Die Leistungsvoraussetzungen sind mit denen des EstG weitgehend identisch. Die Berechtigung der Eltern ist nach § 1 I Nr. 1 BKGG grundsätzlich an das Bestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses nach dem SGB III geknüpft, aus dem jedoch keine Steuerpflicht im Inland folgen darf. Dies betrifft vor allem Arbeitnehmer, die vorübergehend ins Ausland entsandt worden sind.23 Anspruchsberechtigt sind ferner Rentner sowie voll oder teilweise Erwerbsgeminderte (nach § 28 SGB III versicherungsfreie Personen), Entwicklungshelfer (Nr. 2), entsandte Beamte (Nr. 3) oder Ehegatten von Angehörigen der NATO-Truppen mit Inlandsaufenthalt (Nr. 4). Der Kindergeldanspruch nach dem BKGG setzt folglich ebenso wie das EstG einen Bezug der unterhaltsverpflichteten Person zum inländischen Arbeitsmarkt voraus, sofern nicht einer der besonderen Tatbestände der Ziffern 2–4 erfüllt ist. Die Berechtigung zum Kindergeldbezug aus eigenem Recht des Kindes ist gemäß § 1 II BKGG an den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik geknüpft. Er setzt ferner voraus, dass das Kind Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt. Für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer sind in § 1 III BKGG die gleichen Einschränkungen normiert, wie sie auch im EstG vorgesehen sind. Sie gelten sowohl für die anspruchsberechtigten Eltern nach Abs. 1 als auch die Kinder nach Abs. 2. Auch das Kindergeld nach dem BKGG soll nicht freizügigkeitsberechtigten Personen daher nur bei voraussichtlich dauerhaftem Inlandsaufenthalt und Integration in den inländischen Arbeitsmarkt zustehen. Die Inhaber humanitärer Aufenthaltstitel müssen die Wartezeit von drei Jahren zurücklegen. Asylbewerber und Geduldete können keine Leistungen nach dem BKGG beanspruchen. 21 BFHE 217, 443 (446 f.); BFHE 220, 45 (47); BFH, BFH/NV 2009, 1638 (1639); Weber-Grellet in Drenseck, EStG, § 62, Rn. 10. 22 Kaiser-Plessow, FPR 2003, 39 (40 f.); Mrozynski, SGB I, § 25, Rn. 4. 23 Conradis in Rancke, BKGG, § 1, Rn. 3.

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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c. Antikumulierungsregeln Kinder, die die aufenthaltsbezogenen Anforderungen des § 63 I 3 EStG oder § 1 II, III BKGG erfüllen, erhalten gemäß § 65 I 1 Nr. 2 EstG bzw. § 4 I 1 Nr. 2 BKGG kein Kindergeld, wenn sie Anspruch auf entsprechende Leistungen aus dem Ausland haben, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit ausländischer Leistungen mit dem Kindergeld bemisst sich ausschließlich nach deren Funktion und deren Finanzierung,24 nicht aber nach deren Höhe.25 Die Funktion der Leistung ist nicht an die spezifische rechtliche Qualifizierung als Leistung der sozialen Förderung von Familien gebunden. Entscheidend ist, dass sie zumindest teilweise den Zweck verfolgen, die Unterhaltsleistungen der Eltern an ihre Kinder zu sichern.26 Neben Familienbeihilfen sind daher auch Waisenrenten und kinderbezogene Zuschüsse zu Invaliden- und Altersrenten als vergleichbare Leistung anzurechnen.27 Ob das Kind diese Leistungen tatsächlich bezieht, ist nach dem Wortlaut der Norm irrelevant. Es kommt nur darauf an, ob diese Leistung im Falle der Antragstellung zu gewähren wäre. Diese Folge ist indes angesichts des Zwecks des § 65 I EstG, § 4 BKGG jedoch nicht hinnehmbar. Die Normen beinhalten eine Antikumulierungsregel,28 die den Mehrfachbezug gleichgerichteter Leistungen ausschließen soll und zu diesem Zweck den Nachrang der Kindergeldansprüche nach dem EstG bzw. BKGG anordnet. Dieser Zweck ist nur erfüllt, wenn entsprechende Leistungen tatsächlich ausgezahlt werden. Die bloße abstrakte Möglichkeit, solche Leistungen zu erlangen, der möglicherweise erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegenstehen, kann eine Anrechnung dieser Leistungen auf das Kindergeld nicht rechtfertigen.29 Ließe man den generellen Nachrang der Leistungspflicht der Familienkassen zu, könnte dies im Einzelfall zu Schutzlücken führen, wenn das internationale Sozialrecht des anderen Staats ebenfalls den Nachrang der eigenen Leistungen anordnet. Denn dann hätten alle involvierten Träger die Möglichkeit, Leistungen unter Berufung auf die Antikumulierungsnormen zu verweigern. Richtigerweise kann und darf es daher nur auf den tatsächlichen Zufluss von vergleichbaren ausländischen Leistungen ankom24 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 290; BVerfGE 110, 412 (413). 25 BVerfGE 110, 412 (438); Treiber in Blümich, EStG, § 65, Rn. 22. 26 BSG, SozR 5870 § 8 Nr. 9, Rn. 14 (für Zuschüsse zur US-amerikanischen Invalidenrente); SozR 5870 § 8 Nr. 1, Rn. 14 (für die nach Schweizer Recht vom Arbeitgeber zu zahlende Kinderzulage); SozR 5870 § 8 Nr. 3, Rn. 21 (für den nach dänischem Recht zu zahlenden Kinderzuschuss). 27 Schreiben des Bundesamts für Finanzen betreffend den Familienleistungsausgleich – Vergleichbare Leistungen im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG vom 14. Februar 2002, BStBl. I S. 241. 28 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 830; a.A. BSGE 55, 131 (137) sowie Behn, SGb 1986, 541 (542): Kollisionsnorm. 29 BSGE 55, 131 (137); 60, 126 (127).

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

men. Im Ergebnis hat der Berechtigte die Wahl unter den zuständigen Trägern verschiedener Staaten, in denen ihm Ansprüche auf Leistungen der Familienförderung zustehen.30 2. Anknüpfungsmomente der Elterngeldberechtigung Elterngeld wird an die Personen gewährt, die zum Zwecke der Pflege und Erziehung von Kindern vorübergehend ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Die Leistung nimmt eine Zwischenposition ein, dient sie doch nicht nur der Familienförderung, sondern stellt zugleich eine Entgeltersatzleistung dar, soweit sie den mit einem vorübergehenden Verzicht auf Erwerbstätigkeit einhergehenden Einkommensverlust teilweise ausgleicht.31 Das Elterngeld sichert Eltern damit Wahlfreiheit zwischen Berufstätigkeit und Kindererziehung.32 Es ist aber auch in Höhe von 300 Euro monatlich geschuldet, wenn durch die Elternschaft kein Einkommensverlust eintritt. Voraussetzung ist gemäß § 1 I BEEG, dass der Erziehende mit dem Kind in einem Haushalt lebt und dass dieser in der Bundesrepublik belegen ist. Der Aufenthaltsstatus des Kindes ist irrelevant.33 Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, sind nach § 1 II BEEG elterngeldberechtigt, wenn sie im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses oder eines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses ins Ausland entsandt bzw. abgeordnet worden (Nr. 1), als Entwicklungshelfer oder Missionar tätig (Nr. 2) oder als deutsche Staatsangehörige vorübergehend in einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig sind (Nr. 3). Grundsätzlich unterscheidet das Gesetz also nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern ist vom Wohnortprinzip geprägt. Alternativ ist an ein inländisches Beschäftigungsverhältnis anzuknüpfen, dessen Fortbestand durch den gewöhnlichen Auslandsaufenthalt nicht tangiert ist.34 Indes trifft § 1 VII BEEG besondere Regelungen für nichtfreizügigkeitsberechtigte Personen, die insbesondere auch die Regelung des § 1 II BEEG überformen.35 Diese sind identisch mit den Anordnungen in § 62 II EStG und § 1 III BKGG. Sie können folglich nur dann Elterngeld beziehen, wenn sie sich voraussichtlich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten, erwerbstätig sind, Ar-

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Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 830. Ablehnend Behn, SGb 1986, 541 (545): wegen der Subsidiarität des BKGG müsse der Berechtigte zunächst nachweisen, dass die Gewährung entsprechender ausländischer Leistungen bindend versagt worden ist. 31 Mrozynski, SGB I, § 25, Rn. 16; Birk in Däubler, Arbeitsrecht, vor §§ 1–14 BEEG, Rn. 3. 32 BSGE 67, 238 (240). 33 LSG Hessen, Urt. v. 25.2.2004 (Az. L 6 EG 922/02), Rn. 22 f. 34 Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 22. 35 Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 16.

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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beitslosengeld beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen36 und die dreijährige Wartezeit erfüllt haben. Dies erklärt sich aus dem Ziel des BEEG, den Eltern kleiner Kinder Wahlfreiheit zwischen Familien- und Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Diese ist nur dann tangiert, wenn überhaupt der Zugang zur Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik besteht. 37 Da das Erziehungsgeld eine Entgeltersatzleistung darstellt, wird diese Anknüpfung als sachgerecht angesehen.38 Geduldete und Asylbewerber können jedoch, selbst wenn sie einer Erwerbstätigkeit im Inland nachgehen, kein Elterngeld beanspruchen, da sie nicht über den nach § 1 VII Nr. 3 BEEG erforderlichen Aufenthaltstitel verfügen.39 3. Besondere Anknüpfungsregeln im bilateralen Abkommensrecht Die von der Bundesrepublik abgeschlossenen bilateralen Sozialversicherungsabkommen enthalten vereinzelt Regelungen, die einen Bezug zu den Leistungen der Familienförderung aufweisen. Üblicherweise statuiert das Abkommensrecht einen allgemeinen Anspruch auf Inländergleichbehandlung für die Angehörigen der Abkommensstaaten im Hinblick auf die Leistungen der sozialen Sicherheit. Das Kindergeld stellt eine Leistung der sozialen Sicherheit dar.40 Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Abkommensstaates innehaben, sind folglich so zu behandeln, als wären sie Deutsche. Indes sind die Abkommen einerseits in ihrem persönlichen Anwendungsbereich auf (ehemalige) Arbeitnehmer beschränkt. Es gilt die lex loci laboris.41 Nichterwerbstätigen wird über das Abkommensrecht folglich kein Zugang zur Familienförderung vermittelt.42 Zum anderen weisen sie typischerweise Klauseln auf, die eine Kürzung der Leistungen erlauben, sofern sich das die Berechtigung vermittelnde Kind außerhalb des zuständigen Staats aufhält.43 Ferner enthalten sie Regelungen, die eine Kumulierung von Kindergeldansprüchen verhindern sollen.44 Das Elterngeld unterliegt nicht der abkommensrechtlichen Koordination. Die meisten Abkommen beinhalten allerdings Regelungen zu den Rechtswirkungen der Entsendung.45 Diese spielen im Rahmen des § 1 VII BEEG für die Elterngeldberechtigung zumindest mittelbar eine Rolle, insofern die Auslandstätigkeit

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Diese Möglichkeit besteht gemäß § 15 BEEG nur für Arbeitnehmer. BT-Drs. 16/1368, S. 8 f.; BSGE 67, 238 (239 f.). 38 Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 84. 39 BSGE 105, 70 (74). 40 Heuermann, DStR 1997, 1631 (1632); Hildesheim, DStZ 2000, 25 (30). 41 BVerfGE 110, 412 (416). 42 Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 842. 43 Gutmann, ZESAR 2009, 221 (222). 44 Weber-Grellet in Drenseck, EStG, § 62, Rn. 12; vgl. auch den Überblick bei BVerfGE 110, 412 (420 f.). 45 Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 18. 37

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

im Rahmen der Entsendung als Inlandsbeschäftigung gilt. Die Angehörigen der Abkommensstaaten sind Deutschen daher insgesamt nur teilweise gleichgestellt.

II. Leistungen zur Förderung des beruflichen Fortkommens § 3 SGB I vermittelt dem Einzelnen ein Recht auf die Leistungen der Bildungsund Arbeitsförderung. Eine den Neigungen und der Eignung des Berechtigten entsprechende Ausbildung ist danach individuell zu fördern (Abs. 1). Desgleichen besteht ein Anspruch auf Bildungs- und Berufsberatung, Förderung der beruflichen Weiterbildung und Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes ebenso wie auf wirtschaftliche Sicherung im Falle der Arbeitslosigkeit bzw. bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Abs. 2).46 Sie sollen das in § 1 SGB I verankerte Ziel flankieren, dem Einzelnen die Sicherung des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Beschäftigung zu ermöglichen.47 Systematisch sind verschiedene Förderinstrumente zu unterschieden, die dem beruflichen Fortkommen dienen. Die schulische Bildung ist Gegenstand des BAföG (1), während die berufliche Ausbildung nach Maßgabe des SGB III zu fördern ist (2). 1. Anknüpfungsmomente für die Förderung der schulischen Bildung nach dem BAföG § 8 BAföG knüpft den Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung expressis verbis an die Staatsangehörigkeit, differenziert tatsächlich jedoch nach dem aufenthaltsrechtlichen Status. Gleichzeitig ist die Förderfähigkeit einer Ausbildung vom Ausbildungsort abhängig. Dieser Aspekt hat in §§ 4 ff. BAföG eine Konkretisierung erfahren. Die Regelungen sind unübersichtlich und daher einer Systematisierung nur schwer zugänglich. a. Zugang für Deutsche und Unionsbürger Uneingeschränkten Zugang zu den Leistungen des BAföG haben nur Deutsche, § 8 I Nr. 1 BAföG. Unionsbürger können die Leistungen nur beanspruchen, wenn sie nach Maßgabe des FreizügG/EU daueraufenthaltsberechtigt sind (§ 8 I Nr. 2 BAföG, § 4a FreizügG/EU) oder vor Beginn der zu fördernden Ausbildung eine Beschäftigung im Inland ausgeübt haben, die einen inhaltlichen Bezug zum Ausbildungsgang aufweist (§ 8 I Nr. 4 BAföG). Die Ausbildung muss die vorangegangene Erwerbstätigkeit fachlich sinnvoll ergänzen.48 Freizügigkeitsberech46 Da letztere Leistungen – das Arbeitslosengeld sowie das Insolvenzgeld – der Kompensation von Einkommensverlusten dienen und damit ein klassisches Charakteristikum der Vorsorge erfüllen, bleiben sie an dieser Stelle außer Betracht. 47 Voelzke in jurisPK-SGB I, § 3, Rn. 1. 48 Ramsauer, RdJB 1995, 458 (465); Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, § 8, Rn. 18. Vgl. dazu EuGH, Slg. 1988, 3161, Rn. 37 (Lair).

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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tigte Ehegatten und Kinder von Unionsbürgern haben ebenso Zugang zu den Leistungen des BAföG, § 8 I Nr. 3 BAföG. b. Zugang für Drittstaatsangehörige Drittstaatsangehörige müssen über ein Daueraufenthaltsrecht verfügen, sei es durch den Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG (§ 8 I Nr. 2 BAföG). Dies gilt auch für die Angehörigen des EWR, die nicht Unionsbürger sind (§ 8 I Nr. 5 BAföG). Anerkannte Flüchtlinge und heimatlose Ausländer müssen lediglich ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nachweisen, § 8 I Nr. 6, 7 BAföG. Für sonstige Drittstaatsangehörige ist der Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung an den ständigen Wohnsitz im Inland einerseits und den Besitz eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen andererseits geknüpft, wenn sie entweder mit einem Daueraufenthaltsberechtigten verwandt sind (§ 8 II Nr. 1 BAföG) oder sich seit mindestens vier Jahren ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet in der Bundesrepublik aufhalten (§ 8 II Nr. 2 BAföG). Inhaber einer Duldung mit ständigem Wohnsitz im Inland müssen sich ebenfalls seit mindestens vier Jahren ununterbrochen legal49 im Inland aufgehalten haben, § 8 II Nr. 2a BAföG. Der Begriff des ständigen Wohnsitzes ist in § 5 I 2 BAföG definiert und beschreibt den Ort, der nicht nur vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Auszubildenden ist. Wird der Aufenthalt allein zum Zwecke der Ausbildung genommen, reicht dies nicht aus, um einen ständigen Wohnsitz zu begründen. Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, können Leistungen nach dem BAföG nur beanspruchen, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Ausbildung rechtmäßig im Inland erwerbstätig waren (§ 8 III Nr. 1 BAföG) oder ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn der Ausbildung mindestens drei Jahre lang rechtmäßig einer Erwerbstätigkeit im Inland nachgegangen ist (§ 8 III Nr. 2 BAföG). Dass deren Aufenthalt seinerseits rechtmäßig, zumindest aber geduldet oder gestattet gewesen sein muss, folgt aus der Bezugnahme auf die erlaubte Erwerbstätigkeit.50 Anrechenbar sind nur solche Beschäftigungen, die tatsächlich in der Bundesrepublik ausgeübt werden.51 Sie müssen zudem einem Umfang annehmen, der typischerweise die für die Steuer- und Sozialversicherungspflicht maßgebliche Geringfügigkeitsgrenze überschreitet.52 Die nichtprivilegierten Migranten, respektive deren Eltern müssen folglich durch die Entrichtung von Steuern aus ihrer Erwerbstätigkeit zur Finanzierung 49 Auf den Grund und die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts kommt es nicht an, Schieckel/Oestreich/Decker, BAföG, § 8, Rn. 15. 50 Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 811. 51 Eine Tätigkeit für einen deutschen Arbeitgeber im Ausland reicht nicht aus, BVerwGE 70, 185 (187). 52 OVG Münster, FamRZ 1992, 867 (868); VGH Baden-Württemberg, FamRZ 2004,

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

der Leistungen sozialer Förderung beigetragen haben.53 Damit soll nicht zuletzt einer befürchteten Einwanderung zum Zwecke der Inanspruchnahme solcher Leistungen entgegengewirkt werden.54 Die Wartefristen sind von dem Anliegen getragen, einen gezielten Zuzug zum Zwecke der Inanspruchnahme von Leistungen der Bildungsförderung zu vermeiden.55 Sie dienen dem Nachweis, dass der Berechtigte dem „deutschen Lebens- und Kulturkreis“56 zugehörig ist. Diese Unterscheidung im Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung wird unter Rückgriff auf die Zielsetzung des BAföG gerechtfertigt, eine „Gesellschaft mit hohem Ausbildungsgrad“ zu schaffen. Zu dieser Gesellschaft gehörten Migranten jedenfalls dann nicht, wenn ihr Aufenthalt von vornherein – tatsächlich oder rechtlich – begrenzt ist.57 c. Ort der Ausbildungsstätte Sind die Zugangshindernisse überwunden, haben Deutsche und Ausländer weitgehend gleiche Leistungsansprüche.58 Gefördert werden nicht nur Ausbildungsgänge im Inland (§ 4 BAföG), sondern auch solche im Ausland, solange der ständige Wohnsitz des Auszubildenden im Inland belegen ist, § 5 II BAföG. Der ständige Wohnsitz entspricht dem Lebensmittelpunkt. Durch einen Auslandsaufenthalt zum Zwecke der Ausbildung wird der ständige Inlandswohnsitz gemäß § 5 I 2 BAföG nicht aufgehoben. Dies gilt jedoch auch im Umkehrschluss: Ausländer können durch die Verlegung ihres Wohnsitzes nach Deutschland allein zum Zwecke der Ausbildung keinen die Anknüpfung des BAföG vermittelnden ständigen Wohnsitz begründen.59 Die Auslandsförderung beschränkt sich jedoch auf Studiengänge, die in der EU oder der Schweiz absolviert werden, § 5 II 1 Nr. 3 BAföG. Deutsche können auch dann Leistungen nach dem BAföG beanspruchen, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz im Ausland haben – jedoch nur, wenn besondere Umstände des Einzelfalls die Förderung rechtfertigen, § 6 BAföG. In dieser Norm spiegelt sich das Staatsangehörigkeitsprinzip wieder. Dies ist nicht zu beanstanden, solange die Staatsangehörigkeit nicht den einzigen Anknüp1827 (1827); Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, § 8, Rn. 21; Ramsauer, RdJB 1995, 458 (466). 53 BVerwGE 58, 353 (356 f.); 70, 185 (187); VGH Baden-Württemberg, FamRZ 2004, 1827 (1827); Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, § 8, Rn. 19; Gutmann, InfAuslR 2006, 142 (147). 54 Ramsauer, RdJB 1995, 458 (465). 55 BT-Drs. 16/10914, S. 8. 56 BVerwGE 58, 353 (357); BVerfG, NVwZ 1993, 881 (882); entsprechend BVerwGE 70, 185 (188) „Vertrautheit mit den deutschen Lebens- und Ausbildungsverhältnissen“. 57 Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 811; Sopp, Drittstaatsangehörige und Sozialrecht, S. 49. 58 Ramsauer, RdJB 1995, 458 (460). 59 Im Ergebnis auch Ramsauer, RdJB 1995, 458 (461).

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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fungspunkt bildet. Dass Ausländer ohne jedweden Inlandsbezug keine Leistungen der sozialen Förderung beanspruchen können, ist evident, besteht in diesen Fällen doch kein Grund zur Begründung der Einstandspflicht der inländischen Sozialleistungsträger. 2. Anknüpfungsmomente für die Förderung der beruflichen Ausbildung nach §§ 59 ff. SGB III Die berufliche Ausbildung und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen werden durch die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach § 59 SGB III gefördert. Dies setzt einerseits voraus, dass die betriebliche oder außerbetriebliche Bildungsmaßnahme als solche (dazu §§ 60, 61 SGB III) wie auch der Berechtigte (§ 63 SGB III) förderungsfähig ist, dieser die persönlichen Voraussetzungen nach § 64 SGB III erfüllt und seinen Lebensunterhalt und die Kosten der Ausbildung nicht anderweitig decken kann. Ziel der Leistungen ist die Sicherung der freien Persönlichkeitsentfaltung im Hinblick auf die Berufswahl einerseits. Andererseits dienen sie der Lenkung und Steuerung des Arbeitsmarktes.60 Insbesondere die Beratungs- und Fördermaßnahmen werden sich daher stets an den Bedürfnissen des Wirtschaftsstandorts Bundesrepublik orientieren, um Übereinstimmung zwischen Arbeitskräftebedarf und -angebot herzustellen. a. Förderungsfähiger Personenkreis Uneingeschränkten Zugang zur BAB haben nur Deutsche, anerkannte Flüchtlinge und heimatlose Ausländer. Die Gleichstellung von im Ausland anerkannten Flüchtlingen steht nach § 63 I Nr. 6 SGB III unter dem Vorbehalt, dass sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten und ihre Aufenthaltsberechtigung nicht lediglich vorübergehender Natur ist. Denn im Ausland anerkannte Flüchtlinge verfügen regelmäßig nur über befristete Aufenthaltstitel, nach deren Ablauf sie in den Anerkennungsstaat zurückkehren.61 Die Befristung des Titels steht der Dauerhaftigkeit des Aufenthalts jedoch nicht entgegen. Ist die Sachlage im Herkunftsland unverändert, d.h. der Wegfall der Fluchtgründe nicht absehbar, ist die Verlängerung des Titels zumindest prinzipiell möglich, so dass der Aufenthalt nicht lediglich als vorübergehend einzustufen ist.62 Andere Ausländer zählen nur dann zum Kreis der Berechtigten, wenn sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus innehaben. § 63 SGB III nennt die Voraussetzungen im Einzelnen. Danach müssen Unionsbürger und EWR-Angehörige ein Recht zum Daueraufenthalt besitzen. Drittstaatsangehörige haben eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt/EG nachzuweisen, § 63 I Nr. 2 und Nr. 5 SGB III. Kinder und Ehegatten von Unionsbürgern 60 61 62

Mrozynski, SGB I, § 3, Rn. 2; Voelzke in jurisPK-SGB I, § 3, Rn. 8. Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 34. BVerwGE 99, 254 (261 f.).

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

sind nur berechtigt, wenn sie den Unionsbürger begleiten bzw. ihm nachziehen. Sind sie erwerbslos, müssen sie ferner über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen, § 63 I Nr. 3 SGB III i.V.m. §§ 3, 4 FreizügG/EU. Nicht daueraufenthaltsberechtigte Unionsbürger oder EWR-Bürger können BAB beanspruchen, wenn sie zuvor einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, die in inhaltlichem Zusammenhang mit der zu fördernden Ausbildung steht, § 63 I Nr. 4 und 5 SGB III. Dafür reicht es jedoch nicht aus, wenn die Erwerbstätigkeit allein in der Absicht aufgenommen wurde, die Fördervoraussetzungen herbeizuführen.63 Drittstaatsangehörige sind nur unter der Voraussetzung berechtigt, dass sie ihren Wohnsitz im Inland innehaben und über einen Aufenthaltstitel aus humanitären oder familiären Gründen, als Rückkehrer64 oder als ehemalige Deutsche verfügen. Diese Titel berechtigen ihren Inhaber entweder zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder sie beruhen – wie §§ 23 I, 23a AufenthG – auf einem öffentlichen Interesse. Ist die Erwerbstätigkeit nicht gestattet, muss der Inhaber des humanitären Titels einen mindestens vierjährigen, ununterbrochenen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Inlandsaufenthalt nachweisen, § 63 II SGB III. Dies gilt gemäß § 63 IIa SGB III auch für Geduldete. Sonstige Ausländer haben eine Wartefrist von fünf Jahren zurückzulegen. Dabei sind sowohl der Aufenthalt als auch eine rechtmäßige Erwerbstätigkeit nachzuweisen. Alternativ muss sich ein Elternteil in den letzten sechs Jahren mindestens drei Jahre im Inland aufgehalten haben und65 rechtmäßig erwerbstätig gewesen sein, § 63 III SGB III. Dafür ist jede Beschäftigung gegen Entgelt, sei es abhängig oder selbständig, geringfügig oder sozialversicherungspflichtig ausreichend.66 Aus der Systematik der BAB, welche nach § 60 II 1 SGB III nur die erstmalige Ausbildung bzw. nach § 61 SGB III berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für förderfähig erklärt, folgt, dass die vorangegangene eigene Erwerbstätigkeit des Berechtigten nicht auf einer entsprechenden Ausbildung beruhen kann, sondern als ungelernte Arbeitskraft ausgeübt worden sein muss.67 Auf diese Weise wird eine doppelte Hürde für den Zugang von nichtprivilegierten Ausländern etabliert, besteht doch das Erfordernis früherer Erwerbstätigkeit bei Deutschen, Unionsbürgern, EWR-Angehörigen, Flüchtlingen und Asylberechtigten gerade nicht.68

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Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, § 63, Rn. 6. So genannte Bildungsinländer, die sich als Minderjährige rechtmäßig in der Bundesrepublik aufgehalten haben und von ihrem Recht auf Rückkehr nach § 37 AufenthG Gebrauch machen, BT-Drs. 16/5172, S. 20. 65 kumulativ während der gesamten Wartezeit, LSG Hamburg, NZS 2009, 172 (173). 66 Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, § 63, Rn. 16. 67 Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 12. 68 Kritisch im Hinblick auf die pädagogische und arbeitsmarktpolitische Zielsetzung der BAB Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 12 ff. 64

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

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Diese Kriterien sollen sicherstellen, dass der Ausländer nach Ende der Ausbildung rechtmäßig im Inland erwerbstätig sein kann. Die Förderung kommt daher nicht in Betracht, wenn nach Ende der Ausbildung die Ausreisepflicht eintritt.69 b. Förderungsfähigkeit der Auslandsausbildung Auslandsausbildungen werden nicht generell gefördert, sondern nach § 62 I SGB III nur, wenn der Auslandsaufenthalt im Rahmen einer inländischen Ausbildung stattfindet. Zu dieser muss er in angemessenem Verhältnis stehen und darf die Dauer von einem Jahr nicht überschreiten. Die vollständige Förderung von Auslandsausbildungen steht nach § 62 II SGB III unter dem Vorbehalt, dass diese im angrenzenden Ausland oder einem EU-Mitgliedstaat durchlaufen wird. Förderfähig ist zudem nur eine betriebliche Ausbildung, nicht aber eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme. Diese muss zudem einer in der Bundesrepublik durchgeführten Ausbildung gleichwertig und der Beschäftigungsfähigkeit des Geförderten dienlich sein. Beide Kriterien werden im Regelfall als erfüllt anzusehen sein, solange der Auslandsaufenthalt nicht rein touristischer Natur ist, sondern tatsächlich Bildungszwecken dient.70 Der notwendige Inlandsbezug, der ein Einstehen der inländischen Träger für die Auslandsförderung auslöst, wird durch das Erfordernis eines mindestens dreijährigen Inlandswohnsitzes vor Beginn der Ausbildung begründet, § 62 II Nr. 3 SGB III.

III. Leistungen zur Sicherung der Wohnkosten Bereits in § 7 SGB I ist das Recht auf Zuschüsse zur Miete verankert, wenn dem Einzelnen die Aufwendungen, die er für eine angemessene Wohnung zu erbringen hat, nicht zumutbar sind. Dieser Zuschuss unterscheidet sich von den Leistungen der Sozialhilfe. Zwar zählen Wohnraum und Obdach zu den elementaren Voraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz. Angemessenen Wohnraum zu finden, ist jedoch ein allgemeines Bedürfnis und betrifft nicht nur jene, die außerstande sind, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu finanzieren. Die von § 7 SGB I erfassten Leistungen beschränken sich auf einen Zuschuss zur Miete (vgl. auch § 26 SGB I), nicht aber auf deren vollständige Übernahme durch einen öffentlichen Träger wie beispielsweise in § 22 SGB II oder § 35 SGB XII.71 Das Wohngeldrecht ist daher eine besondere – sozialrechtliche – Ausprägung des Mietrechts.72 69 Gutmann, InfAuslR 2006, 142 (145); Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 819; Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, § 63, Rn. 10; Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 110. 70 Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 62, Rn. 8. 71 Mrozynski, SGB I, § 7, Rn. 3. 72 Weselski in jurisPK-SGB I, § 7, Rn. 2.

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

1. Tatsächlicher Aufenthalt als Anknüpfungsmoment Der personelle Anwendungsbereich des WoGG erfasst Deutsche und Ausländer gleichermaßen. Die in § 3 V WoGG verankerte Zugangsregelung für Ausländer setzt lediglich den tatsächlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik voraus. Im Gegensatz zu § 23 SGB XII genügt die bloße physische Präsenz nicht, fordert die Norm doch über die bloße Anwesenheit hinaus, dass der Ausländer nach Maßgabe des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist (Nr. 1), über einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung nach dem AufenthG verfügt (Nr. 2), ein völkerrechtlich vermitteltes Aufenthaltsrecht innehat (Nr. 3), über eine Aufenthaltsgestattung nach dem AsylVfG verfügt (Nr. 4), heimatlos ist (Nr. 5) oder durch Rechtsverordnung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit ist (Nr. 6). Mit der Einbeziehung der Duldung und der Aufenthaltsgestattung wird deutlich, dass auch solche Aufenthaltslagen, denen es kraft Gesetzes an der Zukunftsoffenheit i.S.v. § 30 III SGB I fehlt, einen Wohngeldanspruch vermitteln können. Es genügt mithin der – durch Verwaltungsakt legitimierte! – tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik. Damit sind dem Grunde nach nur Personen ohne Aufenthaltsstatus vom Wohngeldbezug ausgeschlossen. Ein weiterer Leistungsausschluss ist in § 3 V 2 WoGG für Ausländer angeordnet, für die kraft Völkerrechts deutsches Sozialrecht nicht zur Anwendung kommt. Dies trifft lediglich auf Diplomaten und Angehörige der NATO-Truppen zu.73 Auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer soll es für die Wohngeldberechtigung folglich nicht ankommen. Vor dem Hintergrund des Zwecks des WoGG ist dies nachvollziehbar und geboten, besteht das Bedürfnis der Unterkunft zu einem angemessenen Preis doch auch bei lediglich vorübergehenden Inlandsaufenthalten.74 Indes stellt das Wohngeldrecht an anderer Stelle sicher, dass Personen während eines Kurzaufenthalts in der Bundesrepublik keine Leistungen beanspruchen können. Nach § 5 I WoGG muss der Wohnraum, für dessen Finanzierung das Wohngeld beantragt wird, „Mittelpunkt … [der] Lebensbeziehungen“ des Antragstellers bzw. seiner Haushaltsangehörigen sein. Dieser Lebensmittelpunkt wird nach Auffassung des Gesetzgebers frühestens nach drei Monaten begründet.75 2. Konkurrenz zu den Leistungen des AsylbLG Personen mit lediglich vorübergehendem Aufenthalt – also die Inhaber eines humanitären Aufenthaltstitels, einer Duldung oder einer Aufenthaltsgestattung – ist der Zugang zu den Leistungen des WoGG wegen der vorrangigen Geltung des AsylbLG gleichwohl versperrt. Das WoGG enthält in § 7 I Nr. 8 WoGG 73

BT-Drs. 16/6543, S. 89. BT-Drs. 16/6543, S. 89. Vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 24.4.2012, Rs. C-571/10 (Kamberaj) – juris. 75 BT-Drs. 16/6543, S. 89 f. 74

A. Anknüpfungsmomente der sozialen Förderung

323

eine explizite Nachrangklausel. Vom Wohngeldbezug ausgeschlossen sind danach Personen, die Analogleistungen nach § 2 AsylbLG oder Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beziehen, soweit die Kosten der Unterkunft in deren Berechnung einfließen. In diesem Fall besteht kein Bedarf einer weiteren Bezuschussung der Wohnraummiete im Rahmen des WoGG.76 Die Unterkunft wird im Rahmen des AsylbLG typischerweise als Sachleistung zur Verfügung gestellt, vgl. § 3 I 1 AsylbLG. Hintergrund ist die in § 47 AsylVfG angeordnete Unterbringung von Asylbewerbern in Aufnahmeeinrichtungen für die ersten sechs Wochen bis drei Monate ihres Aufenthalts. Im Anschluss daran sollen Asylbewerber gemäß § 53 AsylVfG in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Für die sonstigen nach dem AsylbLG Berechtigten, namentlich die Inhaber einer Duldung oder eines humanitären Aufenthaltstitels trifft diese Art der Unterbringung zwar nicht zu. An sie werden die Kosten der Unterkunft jedoch nach Maßgabe des § 3 II AsylbLG erbracht. Auch die Empfänger von Analogleistungen, die gemäß § 2 AsylbLG nach einem Leistungsbezug von mehr als 48 Monaten Leistungen nach Maßgabe des SGB XII enthalten, erhalten Mittel zur Finanzierung ihrer Unterkunft. Denn diese sind Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts nach § 27a I 1 SGB XII. Für Geduldete, Asylbewerber und Inhaber humanitärer Aufenthaltstitel besteht daher nur unter der Voraussetzung ein Anspruch auf die Leistungen des WoGG, dass sie einerseits über Einkünfte und Vermögen verfügen, das ihre Leistungsberechtigung gemäß § 7 AsylbLG entfallen lässt. Diese Einkünfte dürfen jedoch andererseits nicht so hoch sein, dass sie dem Wohngeldbezug entgegenstehen. Die vergleichsweise großzügige Gewährung des Zugangs zu dieser Förderleistung wird daher im Wege der Gesetzeskonkurrenz erheblich beschränkt.

IV. Fazit Im Recht der Familien- und Ausbildungsförderung wird die in § 30 SGB I etablierte Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt für Ausländer präzisiert und ergänzt. Allein wegen der Zukunftsoffenheit des Inlandsaufenthalts genügt dieser nicht, um Ansprüche auf Leistungen zu vermitteln. Erforderlich ist vielmehr ein Daueraufenthaltsrecht. Alternativ müssen Voraufenthalts- und Beschäftigungszeiten im Inland zurückgelegt worden sein. Das Wohnortprinzip wird durch diese Sonderanknüpfung durchbrochen.77 Die Staatsangehörigkeit wird zumindest mittelbar zum maßgeblichen Anknüpfungsmoment, insoweit Ausländer die im Arbeitserlaubnisrecht aufgestellten Zugangshindernisse für eine Beschäftigung überwinden müssen. Das Elterngeldrecht nimmt im 76 BT-Drs. 15/1516, S. 48. Kritisch im Hinblick auf den Nachrang der Transferleistungen Gerlach, ZFSH/SGB 2007, 719. 77 Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 3.

324

6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

Recht der familienfördernden Maßnahmen eine Sonderstellung ein. Es ist überwiegend den die Sozialversicherung prägenden Grundsätzen angepasst. Dies erklärt sich aus der Funktion des Elterngelds, Eltern Einkommensersatz beim Ausfall von Erwerbseinkommen zu vermitteln. Namentlich stimmen die in §§ 4, 5 SGB IV getroffenen Anknüpfungspunkte mit § 1 BEEG überein, so dass Elterngeld auch in Entsendefällen zu leisten ist. Der Gesetzgeber hat sich gleichwohl nicht für die uneingeschränkte Anknüpfung an das Beschäftigungsortprinzip entschieden, sondern dieses mit dem Wohnortprinzip kombiniert.78 An der restriktiven Fassung der Anspruchsvoraussetzungen im Recht der Ausbildungsförderung wird deutlich, dass das Anliegen, Chancengleichheit zu vermitteln, hinter das Ziel der Arbeitsmarktsteuerung zurücktritt. Nicht das individuelle Fortkommen, sondern die Sicherung der fortdauernden Verwertbarkeit des im Rahmen der geförderten Maßnahmen erworbenen Wissens auf dem inländischen Arbeitsmarkt bildet den Kern des gesetzgeberischen Anliegens. Um dies sicherzustellen, werden Leistungen nur jenen gewährt, bei denen sehr unwahrscheinlich ist, dass sie die Bundesrepublik wieder verlassen. Gleiches gilt für die Leistungen der Familienförderung. Zur Gewährung gleicher Lebenschancen sieht sich der Gesetzgeber nur für die Kinder verpflichtet, die auf Dauer der Inlandsgesellschaft angehören. Dies zeigt, dass die soziale Förderung bezweckt, den inländischen Arbeitsmarkt zu fördern.

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien Diese stark an Arbeitsmarktzielen ausgerichtete Prägung des Rechts der sozialen Förderung steht in offensichtlichem Widerspruch zu deren weiteren Anliegen, Armut zu vermeiden. Das Verhindern des Transferleistungsbezugs kommt der Gesellschaft als Ganzes zugute, nützt dieser womöglich also mehr als der Ausschluss vieler Menschen, der vor allem von fiskalischen und ausländerpolizeilichen Zwecken getragen ist. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Entlastung der steuerfinanzierten Fürsorgesysteme. Chancengleichheit und der freie Zugang zu Bildung sind Voraussetzungen für sozialen Frieden. Die Unterscheidung zwischen „Dauer-Inländern“ und anderen Personen, die ebenfalls erhebliche Abschnitte ihrer Biografie im Inland zurücklegen, scheint daher fragwürdig. Dies muss umso mehr gelten, als von den Leistungen der sozialen Förderung vor allem Kinder profitieren. Jahrelange Wartefristen setzen diese in einer prägenden Lebensphase einem Armutsrisiko aus und sind geeignet, ihre geistige und persönliche Entwicklung, ihren Zugang zu Bildung und ihr späteres berufliches Fortkommen zu behindern. Dass Deutschland eine im internationalen Vergleich

78

Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 16.

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

325

hohe Rate von Kinderarmut – verstanden als Armut von Kindern, nicht Armut an Kindern! – ausweist, ist auch Folge eines solchen Sozialrechts.

I. Verfassungsrechtliche Betrachtung Grundsätzlich ist der Gesetzgeber in der Ausgestaltung sozialrechtlicher Ansprüche frei. Weder das Sozialstaatsprinzip noch die Grundrechte verpflichten ihn zur Gewährung bestimmter Leistungen an einen bestimmten Personenkreis.79 Unzulässig ist jedoch die willkürliche Vorenthaltung von Leistungen gegenüber einzelnen Personen oder Personengruppen. Denn nicht nur das Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz ist ein Menschenrecht, steht also jedermann gleichermaßen zu. Eine Differenzierung bei der Zugangsberechtigung bei sozialer Förderung ist auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG nur zulässig, wenn sie von einem legitimen Zweck getragen und verhältnismäßig ausgestaltet ist. 1. Zulässigkeit der Wohnsitzklausel für die Kindergeldberechtigung Die Berechtigung zum Bezug von Kindergeld hängt nach § 63 EStG vom Aufenthalt des Kindes in der Bundesrepublik, der EU oder einem EWR-Staat ab. Kinder von Steuerpflichtigen, die sich in anderen Staaten aufhalten, werden nicht berücksichtigt, so dass ihre Eltern von der Leistungsberechtigung ausgeschlossen sind. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Ungleichbehandlung unter Bezugnahme auf das „Territorialprinzip“ gerechtfertigt. Es sei notwendig, den begünstigten Personenkreis anhand des Aufenthaltsortes abzugrenzen.80 Begünstigt sei aber nicht der Elternteil, der durch das Kindergeld von seinen Unterhaltspflichten entlastet werden soll, sondern die „Familie, in der das Kind lebt“.81 Abgesehen von der fehlenden Aussagekraft des Begriffs „Territorialprinzip“ ist diese Begründung dürftig, wenn der Aufenthalt in EU-Staaten ebenfalls als territorialer Bezug zur Bundesrepublik gesetzlich bestimmt wird, der in Drittstaaten hingegen nicht. Die Annahme, dass der zu begünstigende Personenkreis einen Bezug zum Inland aufweisen muss, trifft zwar zu. Denn dieser ist notwendig, um die Zuständigkeit und Einstandspflicht des Sozialstaats zu begründen, soll also Zuständigkeitshäufungen oder -mangel vermeiden. Dies würde bei einer rein nationalrechtlichen Betrachtung indes nur eine auf das eigene Staatsgebiet beschränkte Wohnsitzklausel nahelegen. 79 St. Rspr., BVerfGE 39, 316 (326); 82, 60 (81); 111, 160 (169); 111, 176 (184); BSGE 25, 295 (297). 80 BSGE 25, 295 (296); BFHE 193, 569 (573); zustimmend Treiber in Blümich, EStG, § 63, Rn. 63. 81 BVerfGE 23, 258 (263).

326

6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

Der weite territoriale Bezug des § 63 I EStG ist Ausdruck und Auswirkung europäischen Rechts, welches die Bindung von Sozialleistungen an einen bestimmten innerstaatlichen Aufenthaltsort untersagt.82 Warum jedoch der Aufenthaltsort des Kindes in anderen Staaten den Kindergeldbezug ausschließen soll, erschließt sich nicht, besteht doch mit der Steuerpflicht der Eltern – diese und gerade nicht das Kind sind leistungsberechtigt! – eine hinreichende Anknüpfung an das Bundesgebiet. Diese Steuerpflicht ist Grund und Auslöser der steuerrechtlichen Berücksichtigung familiärer Belastungen. Die im Inland Steuerpflichtigen haben ihrem Kind unabhängig von dessen Aufenthaltsort Unterhalt zu leisten, werden also gleichermaßen belastet.83 Sie für erbrachten Kindesunterhalt zu entlasten, ist Zweck des Kindergeldes. Zwar wird vorgebracht, das Kindergeld orientiere sich seiner Höhe nach an den Lebensverhältnissen im Inland.84 Jedoch erreicht der Zahlbetrag des Kindergeldes bei weitem nicht die gesamte Unterhaltslast eines in der Bundesrepublik lebenden Kindes. Die Lebensverhältnisse, insbesondere das Preisniveau in den EU- und EWR-Staaten divergieren zudem teilweise stark von den inländischen Bedingungen. Der Zuschnitt auf die inländischen Lebensverhältnisse vermag daher nicht zu erklären, warum die Leistung den Kindesunterhalt in den Mitgliedstaaten der EU zu mildern geeignet ist, nicht aber in Drittstaaten. Zudem gründet die Kindergeldberechtigung gerade wegen der Arbeitsmarktbindung der anspruchsberechtigten Eltern an das Inland im Staat der Einkommenserzielung. Wie hoch die Lebenshaltungskosten im Wohnstaat des Kindes sind, ist folglich unerheblich.85 Eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsort des die Leistungsberechtigung vermittelnden Kindes ist folglich nicht geeignet, die Unterhaltslasten steuerpflichtiger Eltern gleichmäßig zu mindern. Unbillige Ergebnisse – etwa wegen der Kumulierung von Leistungen der Familienförderung nach dem Recht aller in die transnationalen Sachverhalte einbezogenen Staaten – können durch Regelungen wie in § 65 EStG oder einzelne Sozialleistungsabkommen vermindert werden. Diese Antikumulierungsregeln sind im Verhältnis zum vollständigen Leistungsausschluss das mildere Mittel; sie führen zur Absenkung des Kindergeldes – nicht aber zum gänzlichen Ausschluss.

82

Art. 7, 67 VO (EG) 883/2004. Diesen Hintergrund betont auch BSGE 25, 295 (299). Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 823; a.A. BSGE 25, 295 (297) welches die Unterhaltsbelastung bei im Ausland lebenden Kindern als reduziert oder gar aufgehoben ansieht. 84 BT-Drs. 7/2032, S. 9. 85 Stahlberg, SGb 1989, 238 (239). 83

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

327

2. Zulässigkeit besonderer Anspruchsvoraussetzungen in der Familienförderung für Drittstaater Für die Leistungen der Familienförderung hat das BVerfG konkret vorgegeben, dass das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder zwingend steuerfrei zu belassen ist.86 Dieses Gebot hat das Gericht aus dem Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 I GG und dem besonderen Schutz der Familie nach Art. 6 I GG hergeleitet. Beide Normen bergen Menschenrechte.87 Es ist daher fraglich, ob der Zugang zu familienfördernden Leistungen vom Aufenthaltsstatus abhängig gemacht werden darf, wiewohl diese wie die Regelung über die Steuerfreiheit eine Existenzsicherungsfunktion erfüllen. a. Integration in den Arbeitsmarkt als Kriterium der Zukunftsoffenheit Der Gesetzgeber wollte den Kinder- und Elterngeldbezug auf Personen beschränken, die sich voraussichtlich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten. Dieses Ziel hat das BVerfG nicht beanstandet.88 Es ist jedoch fraglich, ob die geforderte Prognose über die Verbleibedauer allein vom formalen Kriterium eines bestimmten Aufenthaltstitels abhängen kann, lässt dies doch die tatsächliche Situation der Familien gänzlich außer Acht.89 Die Aufenthaltsprognose ist nur unter Schwierigkeiten zu treffen. Nach Auffassung des BSG reichte es zunächst hin, wenn in absehbarer Zeit nicht mit der Beendigung des Aufenthalts zu rechnen war. Folglich sollten auch Geduldete und Asylbewerber Elterngeld beziehen können, wenn mit dem Wegfall der ihre Rückreise hindernden Gründe nicht zeitnah zu rechnen war.90 Diese großzügige Rechtsprechung nahm der Gesetzgeber zum Anlass, das Erfordernis eines dauerhaften Aufenthalts ausdrücklich im Gesetz zu verankern.91 Dabei wurde auf den Besitz eines bestimmten Aufenthaltstitels abgestellt. Für die Inhaber befristeter Titel kommt es zusätzlich auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit an. Diese bildet nach Auffassung des Gesetzgebers ein Indiz für die Zukunftsoffenheit des Aufenthaltes, die bei einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht von vornherein und ohne Weiteres zu unterstellen sei. Denn das Erzielen eines Einkommens, welches eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts ermöglicht, ist Voraussetzung für eine Verlängerung befristeter Titel.92 Diese Indizwirkung mag bestehen. Die Erwerbstätigkeit ist ein zwar wichtiges, aber nicht das

86

BVerfGE 82, 60 (85). BVerfGE 111, 160 (169) Felix, ZAR 1994, 124 (130); Schnath in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 379. 88 BVerfGE 111, 160 (174); 111, 176 (185); zustimmend BFHE 217, 443 (447). 89 Dau, jurisPR-SozR 7/2011, Anm. 4. 90 BSG, SozR 7833 § 1 Nr. 4, Rn. 18; BSGE 65, 84 (86); 72, 8 (9); anders BSGE 62, 67 (70). 91 BT-Drs. 11/4776, S. 2; dazu Felix, ZAR 1994, 124 (127). 92 BT-Drs. 16/1368, S. 8. Kritisch Voigt, Asylmagazin 2006, 9 (11). 87

328

6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

einzige Indiz für einen dauerhaften Inlandsaufenthalt.93 Die explizite Regelung mag für die Familienkassen von Vorteil sein, die sich auf die Tatbestandswirkung der Aufenthaltstitel berufen94 und keine eigene Beurteilung der Zukunftsoffenheit des Aufenthalts anstrengen müssen. Dennoch scheint es nur wenig sachgerecht, einem Indiz den Charakter einer Anspruchsvoraussetzung einzuräumen, führt dies doch zum Ausschluss all jener, die sich auch ohne Berufstätigkeit ständig und dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten.95 Dazu zählen beispielsweise Personen, die früher erwerbstätig waren und ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschöpft haben.96 b. Rechtfertigung der Anknüpfung an den Daueraufenthalt im Kindergeldrecht Im Kindergeldrecht wird der Leistungsausschluss der Familien ohne Daueraufenthalt mit dem Leistungszweck begründet. Als Bestandteil des Familienleistungsausgleichs soll das Kindergeld den finanziellen Aufwand der Kindererziehung ausgleichen und die geminderte Leistungsfähigkeit durch die Steuerfreiheit des Existenzminimums abfedern. Zudem sollen die besonderen gesellschaftlichen Leistungen der Familien honoriert werden, trügen diese doch zur „politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staat“97 bei. Ausländer erbrächten den besonderen – sozialen, wirtschaftlichen, generativen – gesellschaftlichen Beitrag jedoch nur, sofern ihr Aufenthalt auf Dauer angelegt ist. Denn nur dann sei sichergestellt, dass die durch die Kindergeldgewährung geförderten Kinder ihrerseits einen Beitrag zur Inlandsgesellschaft leisten.98 Die Beschränkung der Anspruchsvoraussetzungen für Ausländer ist zudem fiskalisch motiviert.99 So wird darauf verwiesen, dass das Existenzminimum der Kinder und Familien durch die Leistungen der Sozialhilfe hinreichend gesichert sei.100 Für steuerpflichtige Ausländer werde der Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum und den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes nach § 32 VI EStG uneingeschränkt

93

BSG v. 30.9.2010 (B 10 EG 9/09 R), Rn. 105 – juris. Statt vieler Felix, ZAR 1994, 124 (128) sowie BSGE 70, 197 (200 f.); BSG, NVwZ 1998, 1110 (1111). 95 Werner, InfAuslR 2006, 237 (240); Werner, InfAuslR 2007, 112 (113); Felix, ZAR 1994, 124 (127); vgl. auch Stahlberg, SGb 1989, 238 (238). 96 BSG v. 30.9.2010 (B 10 EG 9/09 R), Rn. 95 – juris. 97 BSGE 53, 294 (295). Kritisch Schnath in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 392 f.; Felix, ZAR 1994, 124 (125). 98 BSGE 53, 294 (296). 99 BT-Drs. 12/4401, S. 44.Vgl. dazu auch die Bundestagsdebatte vom 19.10.2006, zitiert bei Voigt, Asylmagazin 2006, 9 (11). Vgl. auch Felix, ZAR 1994, 124 (129); Werner, InfAuslR 2006, 237 (237). 100 BSG, SozR 3–5870 § 1 Nr. 6, Rn. 23; BFHE 229, 262 (265). 94

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

329

in Ansatz gebracht.101 Die wirtschaftlichen Lasten der Kindererziehung werden folglich bei der Steuerveranlagung für jedermann berücksichtigt.102 Eine darüber hinausgehende weitere Begünstigung im Rahmen des Steuerrechts von der Erwartung abhängig zu machen, dass sich der Berechtigte dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalte, wird angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers für zulässig gehalten.103 Diese Auffassung lässt jedoch die Situation nichtdeutscher Familien unberücksichtigt, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie von den Kinderfreibeträgen nicht profitieren können.104 Sie bleiben trotz Steuerpflicht von jedweder familienbezogener Förderung im Rahmen des Kindergeldes ausgenommen. Soweit sie Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Sozialhilfe beziehen, wird das Kindergeld zwar gemäß § 11 I 4 SGB II bzw. § 82 I 2 SGB XII in vollem Umfang als Einkommen des Kindes berücksichtigt. Die Gewährung eines Anspruchs auf Kindergeld wäre somit zwar wirtschaftlich ohne Auswirkungen.105 Entscheidend dürften aber die rechtlichen Auswirkungen sein, bildet der Sozialhilfebezug doch gemäß § 55 II Nr. 6 AufenthG einen Grund für die Ausweisung bzw. nach §§ 8 I, 5 I Nr. 2 AufenthG für die Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels.106 Der Bezug von Kindergeld bleibt jedoch ohne Auswirkungen auf den aufenthaltsrechtlichen Status, bleibt es doch bei der Beurteilung, ob ein Ausländer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, außer Betracht, vgl. § 2 III 2 AufenthG.107 c. Rechtfertigung der Anknüpfung an eine Erwerbstätigkeit im Kindergeldrecht Die Tatsache, dass die Inhaber eines humanitären Titels nur dann kindergeldberechtigt sind, wenn sie erwerbstätig sind oder Arbeitslosengeld oder Elterngeld beziehen, überzeugt nicht. Denn das Kindergeld soll die Unterhaltslasten kompensieren, die unabhängig von einer Erwerbstätigkeit der Eltern bestehen und zu leisten sind. Auch im Hinblick auf die steuerrechtliche Verortung des Kindergeldrechts ist die Anknüpfung unschlüssig. Zwar ist der Anwendungsbereich des EStG in sachlicher Hinsicht nur eröffnet, wenn Einkünfte während der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 I, II EStG erzielt werden, vgl. § 2 I 1 EStG. Zu den steuerpflichtigen Einkünften zählen jedoch sämtliche Einkünfte, also nicht nur solche aus abhängiger Beschäftigung, sondern auch aus selbständiger Tätig101

BVerfGE 111, 160 (170). Hildesheim, DStZ 2000, 25 (26); Heuermann, DStR 1997, 1631 (1634); Treiber in Blümich, EStG, § 62, Rn. 49. 103 Heuermann, DStR 1997, 1631 (1633); Selder, HFR 2010, 948 (948). 104 BVerfGE 111, 160 (170); Treiber in Blümich, EStG, § 62, Rn. 51. 105 BSG, SozR 3–5870 § 1 Nr. 6, Rn. 28; BFHE 229, 262 (265); BFH, BFH/NV 2010, 2242 (2244). Auf die Anrechnung weist auch BVerfGE 111, 160 (171) hin. 106 BVerfGE 111, 160 (170). 107 Soweit fehlerhaft BFHE 229, 262 (266). 102

330

6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

keit, Land- und Fortwirtschaft, Vermietung und Verpachtung oder Kapitalerträgen. Die steuerrechtliche Berücksichtigung der familienbedingten Mehraufwendungen wäre daher auch bei Personen mit gewöhnlichem Inlandsaufenthalt denkbar, die über andere steuerpflichtige Einnahmen verfügen. Insbesondere die Kumulation des Aufenthaltstitels und einer Erwerbstätigkeit führt zum Ausschluss von Geduldeten und Asylbewerbern mangels Aufenthaltstitels. Dies widerspricht der in § 10 I BeschVerfV sowie § 61 II AsylVfG getroffenen Bestimmung, wonach sie tatsächlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen. Übersteigt das hieraus erzielte Einkommen die Steuerpflichtgrenze, werden sie gemäß § 1 IV EStG zur Entrichtung von Steuern herangezogen, ohne dass dem ein Anspruch auf Steuerfreiheit des Existenzminimums ihrer Kinder zusteht. Die besonderen wirtschaftlichen Belastungen bei der Betreuung und Erziehung von Kindern treffen jedoch alle sich in der Bundesrepublik aufhaltenden Familien gleichermaßen und unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.108 Das Gebot des besonderen Schutzes der Familie nach Art. 6 I GG, aus dem das BVerfG die Notwendigkeit zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums aller Familienmitglieder abgeleitet hat, ist ein Menschenrecht, welches weder durch die Staatsangehörigkeit, noch den Aufenthaltsstatus der Familienmitglieder bedingt ist. Ebenso ist die wirtschaftliche Belastung durch die familiären Unterhaltspflichten für jedermann gleich hoch. Art. 3 I GG gebietet es, jeden, der zur Entrichtung von Steuern herangezogen wird, gleich zu behandeln. Es ist daher mit dem Gebot der steuerlichen Lastengleichheit nicht vereinbar, einzelne Personengruppen von der Steuerfreistellung des Existenzminimums auszunehmen, wenn sie an den Steuerlasten uneingeschränkt beteiligt werden.109 d. Rechtfertigung der Anknüpfungspunkte im Elterngeldrecht Im Elterngeldrecht ist eine differenzierende Betrachtung geboten. Die Einführung des Elterngeldes war dadurch motiviert, Erwerbstätigen – insbesondere Vätern – den vorübergehenden Ausstieg aus der Berufstätigkeit durch den teilweisen Ersatz des dadurch wegfallenden Einkommens zu erleichtern.110 Diese Funktion setzt voraus, dass eine Erwerbstätigkeit überhaupt ausgeübt wird bzw. ausgeübt werden darf.111 Soweit das Elterngeld als Entgeltersatzleistung gewährt wird, ist es sachgerecht, dieses an einen aufenthaltsrechtlichen Status zu binden, der eine Erwerbstätigkeit zulässt.112 Die formale Anknüpfung an den rechtlich 108

BVerfGE 111, 160 (174). Heuermann, DStR 1997, 1631 (1633); Werner, InfAuslR 2007, 112 (113); im Ergebnis auch Schnath in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 389. So auch BVerfGE 110, 412 (434): „Im Ergebnis muss das soziahilferechtlich definierte Existenzminimum für alle Steuerpflichtigen … in voller Höhe von der Einkommenssteuer freigestellt werden“. 110 Will, Familienförderung im Sozialrecht, S. 107. 111 BVerfGE 111, 176 (185 f.); BSG v. 30.9.2010 (B 10 EG 9/09 R), Rn. 82 – juris. 112 Buchner/Becker, BEEG, § 1, Rn. 45. 109

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

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unsicheren Aufenthaltsstatus Duldung bzw. Aufenthaltsgestattung ist folglich nicht geeignet, die Ausländer vom Elterngeldbezug auszuschließen, denen der Arbeitsmarktzugang von vornherein verschlossen ist. Denn es besteht kein Zusammenhang zwischen dieser Art der Aufenthaltsberechtigung und der Befugnis, eine Erwerbstätigkeit im Inland auszuüben.113 Es ist zudem nicht sachgerecht, isoliert auf den Arbeitsmarktzugang des Elternteils abzustellen, der das Elterngeld beantragt. Die notwendige dauerhafte Integration in die Inlandsgesellschaft ist auch gegeben, wenn einer der beiden Elternteile erwerbstätig ist, besteht in diesem Fall doch die Aussicht, dass die gesamte Familie und nicht nur das erwerbstätige Familienmitglied im Inland verbleibt.114 Immerhin liegt der Zahlung des Elterngeldes an die vor der Geburt des Kindes nicht Erwerbstätigen die Erwägung zugrunde, die Erziehungsleistung sei als solche zu honorieren. Der Inlandsbezug kann daher auch gegeben sein, wenn nach einer früheren langjährigen Erwerbstätigkeit der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III erschöpft ist und eine Elternzeit – aufgrund von fortdauernder Arbeitslosigkeit – nicht in Anspruch genommen werden kann.115 Zudem setzt der Elterngeldbezug nicht notwendig voraus, dass der Berechtigte eine Erwerbstätigkeit wegen der Kindererziehung unterbricht. Nach § 1 I Nr. 4 BEEG kommt es nur darauf an, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt. Dieses Kriterium ist auch bei Hausfrauen erfüllt, die nie einer Beschäftigung nachgegangen sind.116 Sie erhalten den einkommensunabhängigen Mindestbetrag von 300 Euro nach § 2 V BEEG. Diese Regelung stellt sicher, dass Familien durch die Ausgestaltung der Förderleistungen nicht in ein bestimmtes Lebensmodell gezwungen werden. Damit können auch Eltern, die das Modell der Hausfrauenehe gewählt haben, Elterngeld beziehen. Den in § 1 VII Nr. 3 BEEG aufgezählten Ausländern wird diese Wahlfreiheit117 zwischen Erwerbstätigkeit und Familienarbeit vorenthalten, wenn sie das Elterngeld nur aus der Erwerbstätigkeit oder der kurzfristigen Arbeitslosigkeit heraus beanspruchen können.118 Diese Wahlfreiheit zu ermöglichen, war jedoch stets eines der tragenden Ziele der familienfördernden Leistungen. Auch wenn die neueren Gesetzesinitiativen auf eine verstärkte Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt zielen,119 sollen andere Familienformen wie etwa die Hausfrauenehe dadurch nicht verdrängt werden. Nichtfreizügigkeitsberechtigte Familien sind durch die in §§ 62 VI EStG, 1 III BKGG oder § 1 III BEEG

113 114 115 116 117 118 119

Vgl. die Argumentation des BVerfGE 111, 176 (186) zur Rechtslage unter dem AuslG. Vorlagebeschluss des BSG v. 30.9.2010 (B 10 EG 9/09 R), Rn. 101 – juris. BSG v. 30.9.2010 (B 10 EG 9/09 R), Rn. 95 – juris. Birk in Däubler, Arbeitsrecht, § 1 BEEG, Rn. 20. BSGE 67, 238 (240). BSG v. 30.9.2010 (B 10 EG 9/09 R), Rn. 102 – juris. Will, Familienförderung im Sozialrecht, S. 108.

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

jedoch faktisch in das Modell der Doppelverdiener gezwungen, werden ihnen anderenfalls doch keine Ansprüche auf Kindergeld oder Elterngeld zugestanden. Es ist daher zu unterscheiden: die Elterngeldgewährung ist nicht nur als Entgeltersatzleistung zu verstehen. Das Elterngeld soll zwar primär Einkommensausfälle kompensieren, die aus der vorübergehenden Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kinderbetreuung und -erziehung resultieren. Dies erfordert gerade die Anknüpfung an den Ort der Beschäftigung! Soweit die Leistung in ihrem Charakter als Transferleistung für Nichterwerbstätige tangiert ist, kann und muss dieses Ziel jedoch allein durch Anknüpfung an den Wohnsitz gesichert werden. 3. Zulässigkeit der Beschränkung der Ausbildungsförderung auf Daueraufenthaltsberechtigte Auch beim Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung sind Ausländer gegenüber Deutschen benachteiligt. Betrachtet man die Ausbildung als Vorstufe zur späteren Berufswahl, mag dies im Hinblick auf die als Deutschengrundrecht gewährte Berufsfreiheit des Art. 12 I GG nachvollziehbar sein. Indes ist die Vereinbarkeit der Unterschiedlichen Zugangskriterien mit Art. 3 I GG problematisch, wenn gleiche Sachverhalte – Personen, die an einer betrieblichen oder außerbetrieblichen Bildungsmaßnahme teilnehmen oder ein Studium absolvieren – unterschiedlich behandelt werden, indem nur einigen die Leistungen der Ausbildungsförderung offenstehen. § 8 BAföG und § 63 SGB III differenzieren nicht lediglich nach der Staatsangehörigkeit der Berechtigten, sondern ferner nach ihrem Aufenthaltsstatus. Die Gleichstellung der Unionsbürger sowie ihrer drittstaatsangehörigen Familienmitglieder beruht auf EU-Recht,120 die von Flüchtlingen und Asylberechtigten auf den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik, insbesondere aus Art. 23, 24 GFK. Andere Drittstaatsangehörige müssen über einen verfestigten Aufenthaltsstatus verfügen, der entweder durch eine eigene oder die Erwerbstätigkeit der Eltern nachgewiesen wird. Der Bezug zur Erwerbstätigkeit scheint zunächst mit den Kriterien zur Begründung der Versicherungspflicht in § 25 SGB III übereinzustimmen und damit für die im SGB III verortete BAB schlüssig. Indes handelt es sich weder bei der BAB noch bei den Leistungen nach BAföG, für die identische Zugangsvoraussetzungen bestehen, um eine Sozialversicherungsleistung. Die Förderung einer beruflichen oder schulischen Ausbildung stellt kein die Versicherungspflicht nach sich ziehendes soziales Risiko dar – dies gilt jedenfalls seit die Ausbildungszeiten in der Rentenversicherung nicht mehr als Anrechnungszeiten zählen. Entsprechend ist das Erfordernis der vorangegangenen Erwerbstätigkeit von 120 Vgl. EuGH, Slg. 1974, 773, Rn. 4 (Casagrande) für Kinder von Unionsbürgern. Ausführlich unten S. 338 f.

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

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Ausländern auch nicht auf versicherungspflichtige Beschäftigungen begrenzt, sondern gleichermaßen bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen oder selbständiger Erwerbstätigkeit erfüllt. Sie muss zudem nicht notwendig in eigener Person verwirklicht sein. Ausländer können ihre Förderfähigkeit auch aus der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern ableiten. Der Fördervoraussetzung fehlt es folglich an jedwedem sozialversicherungsrechtlichen Bezug.121 Stattdessen zielt sie wohl aus fiskalischen Gründen122 darauf ab, die Förderfähigkeit Drittstaatsangehöriger an ihren eigenen Beitrag zur Finanzierung sozialer Förderung durch Steuern oder Sozialabgaben zu binden – ein Ziel, das angesichts des fehlenden sozialversicherungsrechtlichen Bezugs der früheren Erwerbstätigkeit ebenfalls nicht erreichbar ist.123 Soweit dagegen eingewandt wird, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für Ausländer dazu dienen, deren „gewachsene engere Beziehung zum deutschen Lebens- und Kulturkreis“ nachzuweisen,124 vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Diese Zugehörigkeit lässt sich ebenso gut durch das Erfordernis eines gewöhnlichen Inlandsaufenthalts begründen. Die Kombination von aufenthalts- und erwerbsbezogenen Wartezeiten hat allein den nicht hinnehmbaren Effekt, dass Kinder und Jugendliche, die sich seit langem im Inland aufhalten, vom Zugang zu Bildung ausgeschlossen werden, wenn ihre Eltern erwerbslos sind.125 Dies birgt die fragliche Tendenz, Armutsbiografien und den Sozialhilfebezug über Generationen zu verfestigen. Die Kombination der Zugangsbedingungen ist folglich unverhältnismäßig, da nicht erforderlich, um den hinreichend starken Bezug zum Inland nachzuweisen, der eine Verantwortlichkeit des inländischen Sozialsystems auslöst.

II. Europarechtliche Vorgaben Auch im Hinblick auf die Vorgaben des Europarechts ist der restriktive Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung bedenklich. Zwar verfügt die Europäische Union über keine originären Kompetenzen zur Regulierung des Bildungswesens126 oder für familienpolitische Maßnahmen. Gleichwohl sind der Schutz und die Förderung der Familie ebenso wie der freie Zugang zum Bildungswesen Anliegen europäischen Rechts. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union achtet nicht nur das Recht auf Familienleben (Art. 7 GRCh) 121

Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 11. BVerfG, NVwZ 1993, 881 (882) weist explizit auf die „Beschränktheit öffentlicher Mittel“ hin, die den Gesetzgeber dazu veranlasst habe, nicht jedem Ausländer Leistungen nach dem BAföG zu gewähren. 123 Niewald, RdJB 2004, 82 (86 f.); Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 18. 124 BVerwGE 58, 353 (357); BVerfG, NVwZ 1993, 881 (882). 125 Gutmann, InfAuslR 2006, 142 (147). 126 Avenarius, NVwZ 1988, 385 (385). 122

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

und auf Gründung einer Familie (Art. 9 GRCh), sondern gewährleistet auch den sozialen Schutz der Familie (Art. 33 I GRCh). Ebenso ist das Recht auf Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung (Art. 14 GRCh) geschützt. Auch die EMRK stellt die Gründung der Familie (Art. 12 EMRK), das Familienleben (Art. 8 EMRK) und das Recht auf Bildung (Art. 2 ZP-EMRK) unter besonderen Schutz. 1. Leistungen der sozialen Förderung im koordinierenden Sozialrecht Die VO (EG) 883/2004 enthält kein generelles Gebot, auch die Leistungen der sozialen Förderung zu koordinieren. Es ist daher im Einzelfall zu ermitteln, ob eine im nationalen Recht vorgesehene Leistung den in Art. 3 VO (EWG) 883/2004 etablierten Kriterien sozialer Sicherheit entspricht. Die Leistungen sozialer Sicherheit sind nicht auf die Sozialversicherung beschränkt, sondern erfassen alle staatlichen Leistungen, die Schutz im Falle der Verwirklichung eines sozialen Risikos gewähren. Familienleistungen sind in Art. 3 I lit. j) VO (EG) 883/2004 explizit genannt. a. Koordinierung der Leistungen der Ausbildungsförderung? Die Leistungen der Ausbildungsförderung lassen sich jedoch nicht unter die enumerierten127 sozialen Risiken subsumieren. Obwohl sie der Bedarfsdeckung des in Ausbildung befindlichen Kindes dienen, zählen sie nicht zu den Familienleistungen.128 Die Ausbildungsförderung setzt früher an als diese, denn sie soll eine Bedürftigkeit des Kindes – und damit die Entstehung der Unterhaltslasten – vermeiden. Eine Kompensation der wirtschaftlichen Belastung von Familien bewirken sie folglich nicht.129 Die Ausbildungsförderung ist auch nicht als Leistung bei Arbeitslosigkeit einzustufen. Sie setzt im Lebenslauf so früh an, dass sie nicht aus der Arbeitslosigkeit – definiert als Zustand vorübergehender Nichtbeschäftigung, der typischerweise eine Beschäftigung vorausging – heraus gewährt werden. Vielmehr dienen sie der Vermeidung von Arbeitslosigkeit bzw. der Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen. Der Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnung ist nur ausnahmsweise in den Fällen eröffnet, in denen Ausbildungsförderung gezielt an Arbeitslose oder konkret von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen gewährt wird.130 Diesen Bezug weisen jedoch weder die Leistungen der BAB 127

Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/04, Rn. 4. EuGH, Slg. 1974, 773, Rn. 6 (Casagrande); Slg. 1990, I-4185, Rn. 9 (Di Leo); Slg. 1992, I-1071, Rn. 25 (Bernini) hat Leistungen der Ausbildungsförderung nur am Maßstab der VO (EWG) 1612/68 (nunmehr VO (EU) 492/2011), nicht aber anhand koordinierenden Sozialrechts bewertet. 129 Eichenhofer, StuW 1997, 341 (344 f.); Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 1 VO (EG) 883/2004, Rn. 41. 130 EuGH, Slg. 1987, 2387, Rn. 12 (Campana). 128

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

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nach §§ 59 ff. SGB III noch die des BAföG auf. Sie sind daher nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfasst.131 b. Begriff der Familienleistungen nach Art. 1 lit. z) VO (EG) 883/2004 Familienleistungen i.S.d. koordinierenden Sozialrechts sind alle Sach- oder Geldleistungen, die dem Ausgleich von Familienlasten132 zu dienen bestimmt sind, Art. 1 lit. z) VO (EG) 883/2004. Der EuGH hat die Definition dahingehend präzisiert, dass davon alle Leistungen erfasst sein sollen, die die Allgemeinheit an den familiären Lasten beteiligen.133 Folglich sind sowohl das Kindergeld – auch in seiner Ausgestaltung als Steuervergütung134 – als auch das Elterngeld135 Familienleistungen i.S.v. Art. 3 I lit. j) VO (EG) 883/2004. Ob auch der Kinderfreibetrag nach § 32 VI EStG als Familienleistung einzuordnen ist, ist fraglich. Zwar dient auch dieser der wirtschaftlichen Entlastung von Familien, indem seine Anrechnung zu einer Verminderung des als steuerpflichtig zu berücksichtigenden Einkommens führt. Diese Freistellung von der Steuerpflicht beinhaltet jedoch keine Geld- oder Sachleistung im rechtstechnischen Sinne, auch wenn sie im Ergebnis eine vergleichbare Wirkung wie eine unmittelbar vom Staat an den Berechtigten gewährte Transferleistung hat.136 Unterhaltsvorschüsse und besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfen sind nach Art. 1 lit. z) VO (EG) 883/2004 vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, sofern sie nicht ausdrücklich im Anhang I zur Verordnung aufgeführt sind. Dies liegt ebenfalls in der Natur dieser Leistungen, dienen diese doch der Überbrückung von Unterhaltsausfällen – ohne den Unterhaltsschuldner zu entlasten – oder als Geburtsbeihilfe der Sicherung besonderer Bedarfe.137 c. Koordinierung der Familienleistungen Für die Leistungen der Familienförderung gelten daher die gleichen Grundsätze wie für die Koordinierung der Sozialversicherungsleistungen. Das absolute Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 erstreckt sich folglich auf Flüchtlinge, Staatenlose und Drittstaatsangehörige, für die die Verordnung gilt. 131 Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/04, Rn. 7; a.A. für die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nach § 61 SGB III Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 63, da hier die Vermeidung von Arbeitslosigkeit im Vordergrund stehe. 132 Kritisch zur Vagheit dieser Begriffe Eichenhofer, StuW 1997, 341 (342). 133 EuGH, Slg. 1985, 2205, Rn. 14 (Kromhout); Slg. 2001, I-2261, Rn. 38 (Offermanns). 134 BVerfGE 110, 412 (417); BFH, BFH/NV 2003, 29 (30); Eichenhofer, StuW 1997, 341 (342). 135 EuGH, Slg. 1996, I-4895, Rn. 19 ff. (Hoever und Zachow); Slg. 2001, I-2261, Rn. 39 (Offermanns); Slg. 1998, I-3419, Rn. 61 ff. (Kuusijärvi); Lenz in Rancke, BEEG, § 1, Rn. 27. 136 Eichenhofer, StuW 1997, 341 (343). 137 Eichenhofer, StuW 1997, 341 (344); Eichenhofer, IPRax 1005, 158 (159); a.A. EuGH, Slg. 2001, I-2261, Rn. 43 (Offermanns); Slg. 2002, I-1205, Rn. 33 (Humer); Slg. 2005, I-553, Rn. 26 (Effing).

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

Sie sind beim Zugang zum Kindergeld und Elterngeld wie Inländer zu behandeln.138 Dies erfordert jedoch einen grenzüberschreitenden Sachverhalt. Flüchtlinge, die lediglich eine EU-Außengrenze, nicht aber Binnengrenzen überschritten haben, erfüllen diese Voraussetzung nicht.139 Ebenso wie bei den Leistungen der Sozialversicherung sind anspruchsbegründende oder -verlängernde Umstände, die sich in anderen EU-Mitgliedstaaten ereignet haben, im Rahmen von Art. 5 VO (EG) 883/2004 so zu behandeln, als wären sie im Inland eingetreten. Dies gilt namentlich für den Schulbesuch, die Berufsausbildung oder die Arbeitslosigkeit von Kindern, die gemäß § 32 IV EStG bzw. § 2 II BKGG zu einer Verlängerung der Bezugsdauer des Kindergeldes bis zur Vollendung des 21. bzw. 25. Lebensjahrs führen.140 Die Gewährung der familienfördernden Leistungen darf wegen Art. 7 VO (EG) 883/2004 nicht an den Inlandswohnsitz des Berechtigten bzw. des den Anspruch vermittelnden Kindes geknüpft sein.141 Erforderlich ist lediglich ein zuständigkeitsbegründender Bezug zu einem Mitgliedstaat. Für die Familienleistungen sind in Art. 67 VO (EG) 883/2004 insoweit spezielle Regelungen etabliert worden, die die in Art. 11 II VO (EG) 883/2004 getroffene Regelung ergänzen. Bestimmung des zuständigen Staates, Art. 67 VO (EG) 883/2004. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des zuständigen Staats sind im Kindergeldrecht augenfällig. Zwar sind an dem Sozialrechtsverhältnis nur der Träger und der berechtigte Elternteil beteiligt; der Anspruch auf Kindergeld wird durch das Kind vermittelt, welches seinen Wohnsitz in einem anderen Staat als die Eltern haben kann. Weitere Komplikationen ergeben sich, wenn die Eltern des Kindes ihrerseits in unterschiedlichen Staaten leben oder beschäftigt sind.142 Art. 67 VO (EG) 883/2004 stellt auf die Person ab, die Inhaber des Anspruchs auf Familienleistungen ist. Es bleibt daher für Beschäftigte bei der lex loci laboris nach Art. 11 III lit. a) VO (EG) 883/2004, für wirtschaftlich Inaktive gilt die lex loci domicilii, Art. 11 III lit. e) VO (EWG) 883/2004. Ansprüche können sich folglich sowohl aus dem Recht des Beschäftigungsstaates der Eltern als auch aus dem Recht des Wohnstaats des Kindes ergeben.143 Deren Leistungsberechtigung besteht gemäß Art. 67 VO (EG) 883/2004 auch dann im vollen Umfang nach dem Recht des zuständigen Staates, wenn die Familienangehörigen, für die diese Leistungen gewährt werden, in anderen Mitgliedstaaten wohnen. Die Norm gibt 138

Treiber in Blümich, EStG, § 62, Rn. 35. EuGH, Slg. 2001, I-7413, Rn. 70 ff. (Khalil). 140 So bereits EuGH, Slg. 1990, I-531, Rn. 12 ff. (Bronzino), ebenso EuGH, Slg. 1990, I-557 (Gatto) aufgrund der speziellen Gleichstellungsklausel für Familienleistungen in Art. 73 VO (EWG) 1408/71; Eichenhofer, StuW 1997, 341 (350). 141 Zum Kindergeldanspruch bereits explizit EuGH, Slg. 1986, 1, Rn. 24 (Pinna). 142 Dazu Steinmeyer in SDSRV, Europäisches Sozialrecht, S. 172. 143 Reinhard in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 67 VO 883/04, Rn. 7. 139

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

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insoweit den bereits aufgrund Art. 5, 7 VO (EG) 883/2004 geltenden Rechtszustand wieder.144 Antikumulierungsvorschriften. Da Art. 67 VO (EG) 883/2004 wegen des familienbezogenen Regelungsansatzes zur Kumulierung gleichgelagerter Ansprüche führen kann, wenn die Familienmitglieder in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnen bzw. einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sind in Art. 68 VO (EG) 883/2004 Anordnungen zur Rangfolge kumulierter Ansprüche getroffen. Ist der Leistungsgrund der zusammentreffenden Ansprüche unterschiedlich, sind die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche vorrangig. An zweiter Stelle rangieren die durch den Bezug einer Rente, erst an dritter Stelle die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche. Mit der Priorität der lex loci laboris wird das die soziale Förderung prägende Wohnortprinzip im koordinierenden Sozialrecht durchbrochen.145 Voraussetzung der Vor- bzw. Nachrangigkeit ist jedoch, dass die Leistungen für denselben Zeitraum und dasselbe Familienmitglied gewährt werden.146 Es kommt nicht darauf an, ob die Leistungsberechtigung als solche bei den Eltern oder den Kindern liegt. Vielmehr ist auf die tatsächliche Begünstigung der Familie abzustellen.147 Kumulieren mehrere aus dem gleichen Grund zu gewährende Familienleistungen – namentlich weil beide Eltern in unterschiedlichen Staaten arbeiten und daher in beiden Staaten kraft ihrer Beschäftigung Kindergeldansprüche haben – ordnet Art. 68 I lit. b) i) VO (EG) 883/2004 den Vorrang des Staats an, in dem sich der Wohnort des Kindes befindet. Diese Regel kann freilich nur greifen, wenn der Wohnort des Kindes auch Beschäftigungsort eines Elternteils ist.148 Ist dies nicht der Fall, bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem Günstigkeitsprinzip: Vorrang hat der Staat, nach dessen Recht die höchste Leistung zu gewähren ist. Knüpft die Kindergeldberechtigung an den Bezug einer Rente an, ist nach Art. 68 I lit. b) ii) VO (EG) 883/2004 der Wohnort des Kindes maßgeblich, wenn dieser im Rentenzahlstaat liegt, anderenfalls der Staat, unter dessen Recht der Rentner die längsten rentenrechtlich relevanten Zeiten zurückgelegt hat. Im Falle der Anknüpfung an den Wohnstaat der Eltern ist, wenn die Eltern in verschiedenen Staaten leben, wiederum der Wohnort des Kindes maßgeblich, Art. 68 I lit. b) iii) VO (EG) 883/2004. 144

Spiegel, ZIAS 2006, 85 (138); Reinhard in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 67 VO 883/04, Rn. 5; Devetzi in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 294. 145 Steinmeyer in SDSRV, Europäisches Sozialrecht, S. 173. 146 EuGH, Slg. 1981, 503, Rn. 11 (Beeck); Reinhard in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 68 VO 883/04, Rn. 5. 147 EuGH, Slg. 1992, I-6393, Rn. 23 (McMenamin); Slg. 2005, I-5049, Rn. 62 (Dodl und Oberhollenzer); Slg. 2005, I-6017, Rn. 32 (Weide). 148 Reinhard in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 68 VO 883/04, Rn. 17; Igl in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, Art. 68 VO (EG) 883/2004, Rn. 3.

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

Diese Prioritätsregeln führen nicht zur vollständigen Aufhebung konkurrierender Kindergeldansprüche, sondern lediglich zu deren Aussetzung,149 Art. 68 II 2 VO (EG) 883/2004. Darüber hinausgehende Beträge, die nicht durch vorrangige Leistungen gedeckt sind, sind von dem nachrangigen Staat auszuzahlen.150 Dies gilt auch, wenn der Berechtigte die konkurrierende Leistung nicht beantragt hat, wenn also nur eine Kumulation der Ansprüche,151 nicht aber der Auszahlungen besteht.152 Die Zuständigkeit des Wohnstaats zur Leistungserbringung wird durch den Vorrang des Beschäftigungsstaats folglich nicht aufgehoben. Denn europäisches Recht darf in keinem Fall zu einer Verkürzung der Rechte von Wanderarbeitnehmern und anderen Freizügigkeitsberechtigten führen.153 Das Argument, dass die Leistungsberechtigten unterschiedliche Leistungssätze als Folge ihrer freien Wahl von Wohnsitz und Arbeitsplatz hinzunehmen haben,154 verfängt daher nicht. Grenzgänger können Familienleistungen daher auch im Wohnstaat in Anspruch nehmen, wenn nach dessen Recht Leistungen zu gewähren sind, die im Beschäftigungsstaat nicht vorgesehen sind.155 2. Leistungen der sozialen Förderung als soziale Vergünstigungen i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 Da die Leistungen der Ausbildungsförderung nicht zu koordinieren sind, ist zu überprüfen, ob sie als soziale Vergünstigungen i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 einzustufen sind. Der Begriff der sozialen Vergünstigung ist weiter gefasst als der der sozialen Sicherheit nach Art. 3 VO (EG) 883/2004.156 Erfasst sind alle Leistungen, die an Arbeitnehmer und deren Familienangehörige gewährt werden und die zu deren Integration in den Aufenthaltsstaat beitragen,157 indem sie

149 Nach deutscher Rechtssprache: zum Ruhen, Reinhard in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 68 VO 883/04, Rn. 28. 150 So bereits EuGH, Slg. 1981, 503, Rn. 13 (Beeck); Slg. 1985, 2205, Rn. 21 (Kromhout); Slg. 1986, 1401, Rn. 19 (Ferraioli); aus jüngerer Zeit EuGH, Urt. v. 12.6.2012 (C-611/10). 151 Vgl. Art. 68 II 1 VO (EG) 883/2004: „Zusammentreffen von Ansprüchen“. 152 BSG, SozR 6050 Art 76 Nr. 3; anders EuGH, Slg. 1984, 3741, Rn. 10 (Solzano); Slg. 1986, 1401, Rn. 14 f. (Ferraioli); Slg. 1990, I-2781, Rn. 18 (Kracht); zustimmend Stahlberg, SGb 1989, 238 (241). Die Rechtsprechung hat keinen Eingang in die Verordnung gefunden. In diese ist vielmehr eine explizit klarstellende Formulierung aufgenommen worden, die die Rechtsprechung nicht umsetzt. 153 So genanntes Petroni-Prinzip nach EuGH, Slg. 1975, 1149, Rn. 11/13 (Petroni), dazu Devetzi in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 299 f. 154 So BFHE 212, 551 (555). 155 EuGH, Slg. 2008, I-3827, Rn. 31 (Bosmann); zustimmend Devetzi in Eichenhofer, 50 Jahre nach ihrem Beginn, S. 300. Vgl. dazu auch die EuGH-Vorlagen in BFHE 231, 183 für entsandte und BFHE 231, 194 für Saisonarbeitnehmer. 156 Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/04, Rn. 3. 157 EuGH, Slg. 1985, 973 (Hoeckx); Slg. 1985, 1739 (Frascogna); Slg. 1993, I-3011 (Schmid).

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die Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern und damit den sozialen Aufstieg erleichtern.158 a. Leistungen der Ausbildungsförderung Leistungen der Ausbildungsförderung sind ohne Weiteres als soziale Vergünstigung i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 zu qualifizieren, denn die Förderung einer Ausbildung ist in besonderem Maße geeignet, zur beruflichen Qualifizierung und somit zum sozialen Aufstieg des Auszubildenden beizutragen.159 Die Wanderarbeitnehmerverordnung vermittelt daher einen Anspruch auf Gleichbehandlung bei Zugang zu den Leistungen des BAföG ebenso wie der BAB nach § 59 SGB III. Gleichstellung aus eigenem Recht. Auszubildende in betrieblichen Maßnahmen sind Arbeitnehmer i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011. Denn der Anwendungsbereich der Verordnung ist eröffnet, sobald eine Tätigkeit in einem Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird. Als Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gelten alle Leistungen, die während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung erbracht werden und für die eine Vergütung als Gegenleistung gewährt wird.160 Da Auszubildende an die Weisungen des Ausbilders gebunden sind und typischerweise eine Ausbildungsvergütung erhalten, ist der Arbeitnehmerbegriff unproblematisch erfüllt. Folglich erwächst Auszubildenden, sofern sie die sonstigen Voraussetzungen des § 64 SGB III erfüllen, ein Anspruch auf BAB, mangels Vergütung aber nicht auf eine Förderung berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen.161 Der Arbeitnehmerstatus wirkt auch nach Beendigung einer bereits ausgeübten Beschäftigung zum Zwecke der Aufnahme eines Hochschulstudiums fort, wenn zwischen Beschäftigung und Ausbildung eine inhaltliche Kontinuität besteht. Auf die Dauer der vorangegangenen Erwerbstätigkeit kommt es nicht an.162 Auszubildende selbst können folglich aus Art. 7 II VO (EU) 492/2011 einen Anspruch auf Gleichbehandlung in der Ausbildungsförderung herleiten. Ferner können sie sich auf Art. 7 III VO (EU) 492/2011 stützen, um gleichberechtigten Zugang zu den Maßnahmen der Bildungsförderung nach dem SGB III zu erhalten. Diese Norm gewährt den freien Zugang zu Berufsschulen und Umschulungszentren und damit auch zur betrieblichen wie außerbetrieblichen

158

EuGH, Slg. 1988, 3161, Rn. 20 (Lair). EuGH, Slg. 1988, 3161, Rn. 23 f. (Lair); Slg. 1988, 5589, Rn. 11 (Matteucci). 160 EuGH, Slg. 1986, 2121, Rn. 17 (Lawrie-Blum); Slg. 1988, 3205, Rn. 21 (Brown); Slg. 1992, I-1027, Rn. 10 (Raulin). 161 Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 70. 162 EuGH, Slg. 1988, 3161, Rn. 37 und 42 (Lair); Slg. 1992, I-1071, Rn. 19 (Bernini). 159

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beruflichen Bildung.163 Dieser freie Zugang wird beeinträchtigt, wenn Auszubildenden die finanziellen Mittel vorenthalten werden, die notwendig sind, um den Lebensunterhalt während der Ausbildung zu sichern. Gleichbehandlungsansprüche der Abkömmlinge von Wanderarbeitnehmern. Leistungen, die an unterhaltpflichtige Eltern zur Finanzierung der Ausbildung ihrer Kinder gewährt werden, sind einerseits soziale Vergünstigungen i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 für den Wanderarbeitnehmer selbst. Dessen Abkömmlinge können Ansprüche auf Ausbildungsförderung zudem aus eigenem Recht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ableiten. Diese Norm gewährt Kindern von Wanderarbeitnehmern den gleichen Zugang zu den allgemeinen Einrichtungen der Lehr- und Berufsausbildung wie den eigenen Staatsangehörigen. Um dieses Recht effektiv zu gestalten, ist es notwendig, alle Hindernisse zu beseitigen, die diesen freien und gleichberechtigten Zugang zu Bildung beeinträchtigen können. Dies erfordert es, den Kindern von Wanderarbeitnehmern im gleichen Maße und unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländern Leistungen der Ausbildungsförderung zu gewähren. Denn deren Integration in die Gesellschaft des Aufenthaltsstaates wäre erschwert, könnten sie ihren Unterhalt während der Ausbildung nicht durch öffentliche Förderung sichern.164 Von dem Gleichbehandlungsanspruch können nicht nur Kinder von Wanderarbeitnehmern profitieren, die ihrerseits Unionsbürger sind. Es genügt, wenn sie als Drittstaater in absteigender Linie mit einem Unionsbürger verwandt sind.165 Eine Altersgrenze ergibt sich aus der Wanderarbeitnehmerverordnung nicht. Wie lange ein Studierender oder Auszubildender als „Kind“ gilt, das Leistungen der Ausbildungsförderung beanspruchen kann, richtet sich nach dem nationalen Recht, welches freilich gleiche Kriterien für Inländer und die Abkömmlinge der Wanderarbeitnehmer zu etablieren hat. Gleiches gilt für die Frage, ob das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber ihrem Abkömmling Leistungsvoraussetzung sein kann.166 Gleichbehandlung bei der Förderung von Ausbildungsgängen im Ausland. Die Notwendigkeit der Ausbildungsförderung von Wanderarbeitnehmern und deren Angehörigen ist nicht auf das Inland beschränkt. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 7 II VO (EU) 492/2011 gilt umfassend für alle gesetzlichen Voraussetzungen der Ausbildungsförderung. Folglich darf die Leistungsberech163 Avenarius, NVwZ 1988, 385 (390); Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 78; Armbrecht, ZEuS 2005, 175 (185). dazu auch EuGH, Slg. 1985, 593, Rn. 20 (Gravier). 164 EuGH, Slg. 1974, 773, Rn. 6 (Casagrande); Slg. 1989, 723, Rn. 34 (Echternach und Moritz); Slg. 1990, I-4185, Rn. 9 (Di Leo); Slg. 1992, I-1071, Rn. 25 (Bernini); Ramsauer, RdJB 1995, 458 (465). 165 EuGH, Slg. 1985, 1873, Rn. 22 ff. (Deak). 166 EuGH, Slg. 1995, I-1031, Rn. 25 (Gaal).

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tigung nicht vom Inlandswohnsitz des die Förderung vermittelnden Kindes abhängen, wenn dieser bei den Kindern der eigenen Staatsangehörigen keine Fördervoraussetzung ist.167 Ebenso sind Ausbildungsgänge außerhalb des zuständigen Staates auch für die Kinder von Wanderarbeitnehmern zu fördern, wenn ein Mitgliedstaat den eigenen Staatsangehörigen Förderungsleistungen auch für Ausbildungsgänge gewährt, die im Ausland absolviert werden.168 Dies gilt freilich nicht uneingeschränkt im Sinne eines unbedingten Exportgebots169, setzt die Zuständigkeit des inländischen Trägers doch einen Inlandsbezug voraus. Dieser Bezug wird durch eine (frühere) Inlandsbeschäftigung des die Förderung Begehrenden170 oder aber durch die Inlandsbeschäftigung eines Wanderarbeitnehmers als Elternteil und den darauf gründenden ständigen Inlandswohnsitz des förderungsberechtigten Kindes vermittelt.171 Anknüpfungspunkt der Förderung ist im Rahmen der VO (EU) 492/2011 also ebenso wie im koordinierenden Sozialrecht die Beschäftigung. Die Argumentation, die Förderung von Ausbildungsgängen im Ausland sei in das gesetzgeberische Ermessen gestellt, der aufgrund des „Territorialprinzips“ nur zur Inlandsförderung verpflichtet sei,172 verkennt diese Bezüge. Denn die Verantwortlichkeit des Sozialstaats kann auch für außerhalb seiner Grenzen bestehende Sachverhalte begründet sein. Sie verkennt zudem die Dimension des Gleichbehandlungsanspruchs. Denn der fraglos bestehende Gestaltungsspielraum ermächtigt den Gesetzgeber nicht zur Ungleichbehandlung von Unionsbürgern und eigenen Staatsangehörigen. b. Leistungen der Familienförderung Die gleichen Grundsätze gelten für die Leistungen der Familienförderung, die ebenso wie die der Ausbildungsförderung soziale Vergünstigungen i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 sind.173 Besteht folglich ein – durch Wohnsitz oder Beschäftigung vermittelter – Inlandsbezug, kommt der Gleichbehandlungsanspruch zum Tragen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch berechtigt, den Zugang zu sozialen Vergünstigungen von einem Inlandsbezug abhängig machen. Folglich begegnet es keinen Bedenken, Personen solche Leistungen zu versagen, wenn sie den notwen167

EuGH, Slg. 1992, I-1071, Rn. 25 und 28 (Bernini); Slg. 1999, I-3289, Rn. 22 und 28 (Meeusen). Vgl. auch EuGH, Slg. 1985, 1873, Rn. 22 f. (Deak). 168 EuGH, Slg. 1988, 5589, Rn. 16 (Matteucci); Slg. 1990, I-4185, Rn. 15 (di Leo); Slg. 1992, I-1071, Rn. 28 (Bernini). 169 Huster, NZS 1999, 10 (12). 170 Devetzi, ZESAR 2009, 63 (68). 171 Steinmeyer in SDSRV, Europäisches Sozialrecht, S. 185; Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 84. 172 Domröse/Kubicki, EuR 2008, 873 (881). 173 EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 26 (Martìnez-Sala); Slg. 2007, I-6303, Rn. 22 (Hartmann); Slg. 2007, I-6347, Rn. 13 (Geven).

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

digen Inlandsbezug nicht nachweisen. Die Einführung des Elterngeldes war von der Motivation getragen, die Geburtenrate in Deutschland zu erhöhen. Aus diesem Grund wollte der Gesetzgeber den Elterngeldbezug vom Inlandswohnsitz der Berechtigten abhängig machen, da nur so der hinreichend enge Bezug zur Inlandsgesellschaft nachgewiesen sei.174 Hat der Berechtigte jedoch eine Beschäftigung im zuständigen Staat ausgeübt, stellt es eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn die Leistung nur ausgezahlt wird, sofern er sich im zuständigen Staat aufhält. Denn auch ein „maßgeblicher Beitrag zum deutschen Arbeitsmarkt“ vermittelt einen hinreichenden Inlandsbezug, der eine Leistungsberechtigung auslösen muss.175 Der maßgebliche Beitrag wird durch eine geringfügige Beschäftigung im Inland ohne Inlandswohnsitz jedoch nicht begründet.176 3. Gleichbehandlungsansprüche aus der Unionsbürgerrichtlinie Auch die Unionsbürgerrichtlinie vermittelt in Art. 24 I RL 2004/38/EG allen Unionsbürgern das Recht auf Gleichbehandlung mit den Angehörigen des Staates, in dem sie sich aufhalten. Von diesem Grundsatz statuiert Art. 24 II RL 2004/38/EG eine Ausnahme für die Leistungen der Sozialhilfe und für Studienbeihilfen. Zu diesen zählen Leistungen zur Förderung der Berufsausbildung, aber auch Stipendien oder Studiendarlehen. Sowohl die Leistungen des BAföG als auch die BAB nach § 59 SGB III erfüllen diese Kriterien. Leistungen der Familienförderung sind von der Ausnahmevorschrift nicht erfasst. Sie erfüllen namentlich nicht den Begriff der Sozialhilfeleistungen, da sie nicht bedürftigkeitsabhängig gewährt werden.177 Der Aufenthaltsstaat ist nach der in der Unionsbürgerrichtlinie verankerten Öffnungsklausel berechtigt, derartige Leistungen Arbeitnehmern, Selbständigen und deren Familienangehörigen sowie Daueraufenthaltsberechtigten vorzubehalten. Das Daueraufenthaltsrecht wird gemäß Art. 16 I RL 2004/38/EG erst nach fünfjährigem rechtmäßigem Inlandsaufenthalt erworben. Im nationalen Recht der Ausbildungsförderung sind folglich Wartezeiten von bis zu fünf Jahren mit dem Sekundärrecht vereinbar. Daher verstoßen die restriktiven Zugangskriterien des § 8 I Nr. 2–4 BAföG und des § 63 I Nr. 2–4 SGB III zumindest nicht gegen die Unionsbürgerrichtlinie.178

174

Zustimmend Beschorner, ZfSH/SGB 2007, 643 (647). EuGH, Slg. 2007, I-6303, Rn. 23 (Hartmann); Slg. 2007, I-6347, Rn. 25 (Geven). Im Ergebnis so auch bereits Steinmeyer in SDSRV, Europäisches Sozialrecht, S. 186. 176 EuGH, Slg. 2007, I-6347, Rn. 29 (Geven). 177 BFH/NV 2010, 203 (204) zu Art. 28 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie), die ein Gleichbehandlungsgebot für Leistungen der Sozialhilfe für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte vorsieht. 178 Lindner, NJW 2009, 1047 (1049); Schollmeyer, DVBl 2009, 823 (829). A.A. Husmann, NZS 2009, 652 (655), der für eine Einzelfallentscheidung ohne starre Fristen plädiert. 175

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

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4. Divergierende Zugangskriterien kraft Primärrechts Für Personen, die weder selbst Wanderarbeitnehmer noch deren Angehörige sind, ergeben sich aus der VO (EU) 492/2011 keine Ansprüche. Auch das koordinierende Sozialrecht vermag nur eingeschränkt Rechte auf Teilhabe an den Leistungen der sozialen Förderung zu vermitteln. Dies scheint vor dem Hintergrund des aus der Trias Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV) – Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) – Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) hergeleiteten allgemeinen Teilhabeanspruchs bedenklich. Zwar sind die Leistungen der sozialen Förderung nicht von existenzieller Bedeutung für die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins. Sie leisten jedoch einen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft des Aufenthaltsstaats und versetzen den Einzelnen in die Lage, Bildung in Anspruch zu nehmen oder eine Familie zu gründen. Die Gleichbehandlung aller sich in einem Mitgliedstaat aufhaltenden Personen ist folglich auch bei den Leistungen der Familien- oder Ausbildungsförderung unabdingbar, würde die Bewegungsfreiheit doch anderenfalls inhaltsleer.179 Zwar besteht der Gleichbehandlungsanspruch nach Art. 18 AEUV nicht uneingeschränkt, sondern ist der Rechtfertigung durch das öffentliche Interesse zugänglich. Insbesondere hatte es der EuGH für zulässig erachtet, die Gewährung von Sozialleistungen von einem tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Berechtigten und dem zuständigen Staat abhängig zu machen.180 Bei der Etablierung solcher Zugehörigkeitskriterien ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die Möglichkeit der Zugangsbeschränkung besteht zudem nicht, wenn das Sekundärrecht eine bestimmte Ausgestaltung der Leistungsberechtigung fordert und in diesem Zusammenhang das Gebot der absoluten Inländergleichbehandlung und ein Verbot von Wohnsitzklauseln anordnet.181 Diese sekundärrechtliche Ausgestaltung der primärrechtlichen Vorgaben kann nicht ignoriert werden. a. Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung nach Art. 45 AEUV Die Beschäftigung im Rahmen einer betrieblichen Ausbildung begründet die Arbeitnehmereigenschaft i.S.v. Art. 45 AEUV182 und gewährt dem Einzelnen die freie Wahl des Ausbildungsstaats. Aus dem daran anknüpfenden unbedingten Gleichbehandlungsgebot des Art. 45 III AEUV folgt zwar kein Recht auf Zugang zu den Bildungseinrichtungen,183 wohl aber ein Recht auf Gleichbehandlung in der beruflichen Ausbildungsförderung.184 179

So bereits Steinmeyer, SDSRV, Europäisches Sozialrecht, S. 189. EuGH, Slg. 2002, I-6191, Rn. 38 (D’Hoop); Slg. 2004, I-2703, Rn. 67 (Collins); Slg. 2005, I-2119, Rn. 57 (Bidar); Slg. 2008, I-8507, Rn. 49 ff. (Förster). 181 Dies verkennt BFH, BFH/NV2009, 580 (580). 182 Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 49. 183 Avenarius, NVwZ 1988, 385 (386). 184 Steindorf, NJW 1983, 1231 (1231 f.). 180

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

b. Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung nach Art. 20, 21, 18 AEUV Für Studierende ergibt sich die Bewegungsfreiheit aus der Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 20, 21 AEUV. In Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV ist damit auch ohne185 primärrechtliche Kompetenz zur Regelung des Bildungswesens der gleichberechtigte Zugang zu den nach nationalem Recht etablierten Bildungseinrichtungen eröffnet, erleichtert dies doch den Unionsbürgern die Ausübung ihrer Freizügigkeit.186 Dies gilt sowohl für die Berufsausbildung als auch für Schulen und Hochschulen, die allesamt Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die für eine spätere Berufstätigkeit vonnöten sind.187 Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung in allen EU-Mitgliedstaaten schließt den Zugang zu den finanziellen Vergünstigungen ein, die den Besuch der Bildungseinrichtungen erst ermöglichen. Das Gleichbehandlungsgebot gilt auch für Nichterwerbstätige und umfasst folglich auch Studierende, die sich zum Zweck des Studiums in einen anderen Mitgliedstaat begeben.188 Der EuGH hat damit seine ursprüngliche Rechtsprechung189 aufgegeben, die indes noch vor Einführung der Unionsbürgerschaft ergangen war. Art. 18 AEUV vermittelt jedoch kein unbedingtes Gleichbehandlungsgebot, sondern verbietet lediglich Unterscheidungen ohne jedwede sachliche Rechtfertigung. Die volle Gleichstellung von Unionsbürgern und ihren Angehörigen wird unter Hinweis auf den Zweck der Bildungsförderung abgelehnt. Diese sei Bestandteil der innerstaatlichen Organisation des Bildungswesens insgesamt. Die völlige Öffnung zugangsfördernder Leistungen führte zu einer Sogwirkung gegenüber ausländischen Schülern, Auszubildenden und Studierenden, die eine eigenständige Bildungspolitik torpedierte.190 Ansprüche nach dem BAföG oder nach dem SGB III sind daher nicht generell allen Auszubildenden zuzugestehen, die eine Ausbildung in der Bundesrepublik absolvieren und die sonstigen Fördervoraussetzungen erfüllen. Denn die Mitgliedstaaten dürfen den aus der Unionsbürgerschaft, der Unionsbürgerfreizügigkeit und dem Diskriminierungsverbot hergeleiteten sozialen Teilhabeanspruch von einem tatsächlichen Inlandsbezug des Berechtigten abhängig machen.191 Dies ist notwendig, um die Einstandspflicht eines wohlfahrtstaatlichen Systems – des Herkunftsstaates oder 185

Ablehnend Steindorf, NJW 1983, 1231 (1231). EuGH, Slg. 1983, 2323, Rn. 18 (Forcheri); Slg. 1985, 593, Rn. 24 (Gravier). 187 EuGH, Slg. 1983, 2323, Rn. 17 (Forcheri); Slg. 1985, 593, Rn. 31 (Gravier); Slg. 1988, 379, Rn. 19 ff. (Blaizot); Slg. 2002, I-6191, Rn. 29 ff. (D’Hoop). 188 EuGH, Slg. 2005, I-2119, Rn. 34 f. (Bidar). 189 EuGH, Slg. 1988, 3161, Rn. 15 (Lair); Slg. 1988, 3205, Rn. 18 (Brown). Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung explizit EuGH, Slg. 2005, I-2119, Rn. 42 (Bidar). 190 Avenarius, NVwZ 1988, 385 (389); Schöneberger, Unionsbürger, S. 399 f. 191 EuGH, Slg. 2004, I-2703, Rn. 63 (Collins), bestätigt in Slg. 2005, I-8275, Rn. 22 (Ioannidis) sowie Slg. 2009, I-4585, Rn. 37 (Vatsouras und Koupatantze). 186

B. Rechtfertigung der Zugangskriterien

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des Staats der Ausbildung192 – auszulösen.193 Denn ein unbeschränkter Zugang von Ausländern zu den steuerfinanzierten Sozialleistungen jedes Mitgliedstaates könnte dessen finanzielle Stabilität beeinträchtigen.194 Die Bindung an den Arbeitsmarkt kann jedenfalls nicht zur zwingenden Voraussetzung für den Zugang zur Ausbildungsförderung gemacht werden. Denn die Kriterien zur Prüfung der tatsächlichen Verbindung des Berechtigten zum leistungspflichtigen Staat müssen den Umständen des Einzelfalls gerecht werden. Eine Verbindung zum Arbeitsmarkt darf daher nur bei Personen gefordert werden, die Leistungen zur Eingliederung in diesen beanspruchen, während wirtschaftlich Inaktive, die Studienbeihilfen geltend machen wollen, den tatsächlichen Bezug bereits durch einen über einen gewissen Zeitraum andauernden Voraufenthalt nachweisen könnten.195 Die Bindung an das Herkunftsland und damit die Fortdauer dessen Zuständigkeit für die Ausbildungsförderung wird nicht tangiert, wenn eine Person, die in diesem Staat geboren und aufgewachsen ist, sich allein zum Zwecke der Ausbildung in einen anderen Mitgliedstaat begibt.196 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass allein durch die Aufenthaltsbegründung zum Zwecke des Studiums oder der Berufsausbildung noch kein hinreichender tatsächlicher Bezug zu einem Mitgliedstaat begründet wird, der dessen Leistungspflicht in der Ausbildungsförderung auslösen kann.197 Fraglich ist, wann die Zugehörigkeit zur Inlandsgesellschaft beginnt, um Ansprüche auf Ausbildungsförderung auszulösen. Der EuGH hat – systematisch ungewöhnlich198 – den Gehalt der primärrechtlichen Gleichheitsverbürgung an den Vorgaben des Sekundärrechts gemessen und im Einklang mit Art. 24 II RL 2004/38/EG Wartezeiten von bis zu fünf Jahren als zulässig angesehen.199 c. Zugang zu den Leistungen der Familienförderung nach Art. 20, 21, 18 AEUV Im Einklang mit den soeben aufgestellten Grundsätzen ist auch der Zugang von Unionsbürgern zu den Leistungen der Familienförderung gewährleistet, wenn sie von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben. Erforderlich ist wiederum 192

So auch Steindorf, NJW 1983, 1231 (1233). Hilpold, EuZW 2009, 40 (42). 194 EuGH, Slg. 2005, I-2119, Rn. 56 (Bidar). 195 EuGH, Slg. 2005, I-2119, Rn. 61 (Bidar) zur Angemessenheit des Erfordernisses einer Inlandsbeschäftigung; EuGH, Slg. 2002, I-6191, Rn. 39 (D’Hoop) zur Angemessenheit des Erfordernisses eines inländischen Schulabschlusses, um Studienbeihilfen beanspruchen zu können; Slg. 2008, I-8507, Rn. 54 ff. (Förster) zur Angemessenheit des Erfordernisses eines fünfjährigen Inlandsaufenthalts. 196 EuGH, Slg. 2007, I-9161, Rn. 45 (Morgan und Bucher); so auch jüngst EuGH, Urt. v. 14.6.2012 (C-542/09). 197 Im Ergebnis so auch Hilpold, EuZW 2009, 40 (41); Armbrecht, ZEuS 2005, 175 (205). 198 Lindner, NJW 2009, 1047 (1048). 199 EuGH, Slg. 2008, I-8507, Rn. 55 (Förster); zustimmend Hilpold, EuZW 2009, 40 (43); Lindner, NJW 2009, 1047 (1049); ablehnend Husmann, NZS 2009, 652 (655). 193

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

ein sachgerechtes Anknüpfungskriterium, welches die tatsächliche Verbindung zu dem die Leistung gewährenden Staat begründet. Diese Anknüpfung kann zum einen in einer Erwerbstätigkeit 200 des Berechtigten, aber auch in einem rechtmäßigen Voraufenthalt 201 liegen. Da die Leistungen der Familienförderung nicht in den Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie fallen, kann Art. 24 II RL 2004/38/EG nicht zur Auslegung der notwendigen Voraufenthaltsfrist herangezogen werden. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob Umstände den Schluss auf einen langfristigen Inlandsaufenthalt zulassen. Solange der Aufenthalt aber nicht durch aufenthaltsrechtliche Maßnahmen beendet wird, ist er als so verfestigt anzusehen, dass er eine wohlfahrtstaatliche Einstandspflicht des Aufenthaltsstaates auslöst.202 5. Assoziationsrecht Die Angehörigen der Assoziationsstaaten können aus den Assoziierungsabkommen vergleichbare Rechte im Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung ableiten, gewährleisten diese doch die Gleichbehandlung der Angehörigen der Vertragsstaaten mit Unionsbürgern. a. Leistungen der Familienförderung Türkische Staatsangehörige haben bereits aufgrund des vom Europarat vermittelten Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit (VEA)203 einen Anspruch auf Kinder-204 und Elterngeld,205 wenn sie mindestens sechs Monate in Deutschland gewohnt haben. Auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit kommt es nicht an.206 Maßgeblich ist allein der Inlandswohnsitz. Der Zugang zu den Leistungen der Familienförderung wird für die in der EU beschäftigten türkischen Staatsangehörigen und deren Familienmitglieder zudem über den Assoziationsratsbeschluss 3/80 vermittelt, welcher die Vorgaben des europäischen koordinierenden Sozialrechts übernimmt. Zwar haben die Regelungen zur Koordinierung der Familienleistungen selbst keinen Eingang in den ARB 3/80 gefunden. Uneingeschränkte und unmittelbare Anwendung findet jedoch das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 3 I ARB 3/80.207 Türkische Arbeitnehmer können daher unter den glei200

EuGH, Slg. 1986, 1, Rn. 10 (Pinna); Slg. 1996, I-4895, Rn. 38 (Hoever und Zachow). EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 63 (Martínez Sala). 202 EuGH, Slg. 1998, I-2691, Rn. 63 (Martínez Sala). 203 Vorläufiges Europäisches Abkommen über soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953; BGBl. 1956 II, S. 507. 204 BSGE 93, 194 (198). 205 BFHE 230, 545 (552). 206 Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 842; Gutmann, ZESAR 2009, 221 (223). 207 EuGH, Slg. 1999, I-2685, Rn. 57 ff. (Sürül). So auch BFHE 230, 545 (549). 201

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chen Voraussetzungen wie Deutsche Leistungen der Familienförderung beanspruchen.208 Dies gilt auch für die Leistungen, die allein kraft Landesrechts gewährt werden.209 Der Anwendungsbereich des Assoziationsrechts und der darin gründenden Gleichbehandlungsansprüche ist jedoch nur eröffnet, wenn sich sowohl der Berechtigte als auch seine Kinder im Inland aufhalten.210 Entsprechende Gleichbehandlungsgebote enthalten die Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Algerien, Marokko und Tunesien.211 b. Leistungen der Ausbildungsförderung Nach Art. 9 ARB 1/80 haben türkische Kinder, die mit ihren in der EU beschäftigten Eltern ihren rechtmäßigen Wohnsitz haben, ein Recht auf Zugang zum Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Ausbildung einschließlich der Vorteile „in diesem Bereich“ wie eigene Staatsangehörige des Aufenthaltsstaats. Gesichert ist folglich nicht nur der Zugang zu den Institutionen, sondern auch zu den Sozialleistungen, die Bildung ermöglichen.212 Das BSG hat Ansprüche türkischer Kinder auf Ausbildungsförderung gleichwohl abgelehnt, da Art. 9 ARB 1/80 nicht unmittelbar anwendbar und folglich keine Gleichbehandlung mit Deutschen geboten sei.213 Die unmittelbare Anwendbarkeit des Assoziationsrechts setzt indes lediglich voraus, dass die in Rede stehenden Normen hinreichend konkret sind und keiner weiteren Umsetzungsakte bedürfen.214 Der Wortlaut des Art. 9 ARB 1/80 ist sowohl in seinen Voraussetzungen als auch in seinen Rechtsfolgen eindeutig. Die Norm beinhaltet ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für den Zugang zu Bildung. Die Formulierung, dass Kinder türkischer Wanderarbeitnehmer Anspruch auf Vorteile haben „können“, begründet kein Ermessen bezüglich des Ob und Wie der Gewährung ausbildungsfördernder Leistungen. Denn wären die zuständigen Träger auch zur Vorenthaltung oder Kürzung der Ausbildungsförderung berechtigt, wäre das unbedingt garantierte Recht auf Zugang zu den Bildungsinstitutionen für Kinder aus bedürftigen Familien inhaltsleer.

208 Gutmann, ZESAR 2009, 221 (222); Birk in Däubler, Arbeitsrecht, § 2 BEEG, Rn. 22; Sieveking, NZS 1994, 213 (217 f.). 209 BVerwG, NVwZ 2002, 864 (866 f.); LSG Baden-Württemberg, SGb 2002, 52 (52); ausführlich Gutmann, ZFSH/SGB 2002, 214 (215). Anders noch BVerwGE 91, 327 (333 f.), dazu kritisch Sieveking, NZS 1994, 213 (214) sowie Sieveking in Barwig u.a., Vom Ausländer zum Bürger, S. 325 f. 210 Hänlein, ZAR 1998, 21 (27). 211 Husmann, ZAR 2009, 305 (310). 212 Baysu/Hänlein, ZESAR 2005, 425 (426). 213 BSG, SozR 4100 § 40 Nr. 29, Rn. 19. 214 EuGH, Slg. 1987, 3719, Rn. 14 (Demirel); Slg. 1990, I-3461, Rn. 14 f. (Sevince); Slg. 1991, I-199, Rn. 15 (Kziber); Slg. 1998, I-3655, Rn. 31 (Racke); zuletzt EuGH v. 26.5.2011, C-485/07 (Akdas).

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

Chancengleichheit lässt sich vielmehr nur begründen, wenn türkische Kinder und Inländer in der Ausbildungsförderung gleich behandelt werden.215 Voraussetzung der Förderung ist lediglich, dass die Kinder rechtmäßig bei ihren Eltern in einem Mitgliedstaat der EU wohnen. Dieses, im Interesse des effet utile weit auszulegende Kriterium erfordert nicht, dass das Kind während seiner Ausbildung die Wohnung der Eltern teilt. Es genügt, wenn im Vorfeld eine häusliche Gemeinschaft bestanden hat, wäre doch anderenfalls die Gleichbehandlung mit Deutschen, die ihren Ausbildungsort frei wählen können, nicht gewährleistet.216 Im Einklang mit den Wertungen des Art. 10 VO (EU) 492/2011 kann ein Kind türkischer Wanderarbeitnehmer folglich sein Studium oder seine Ausbildung auch außerhalb des Wohnstaats, sogar außerhalb der EU absolvieren, wenn das nationale Recht des Wohnstaats eine entsprechende Auslandsausbildung für die eigenen Staatsangehörigen ebenfalls fördern würde.217 § 5 BAföG ist an diese Erfordernisse inzwischen weitgehend angepasst worden.218 Da türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aufgrund des ARB 1/80 ohnehin regelmäßig in Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung sind (vgl. auch § 4 V AufenthG), ist ihnen der Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung ohne Weiteres eröffnet.219 Ein entsprechendes Gleichbehandlungsgebot besteht nach den Bestimmungen der EU-Mittelmeer-Abkommen mit Algerien, Marokko und Tunesien. Wanderarbeitnehmer aus diesen Staaten und deren Kinder, die sich rechtmäßig in der EU aufhalten, haben folglich ebenfalls uneingeschränkten Zugang zu den Leistungen der Ausbildungsförderung.220 6. Ansprüche auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung aufgrund der EMRK Für andere Drittstaatsangehörige ergeben sich umfassende Teilhaberechte aus der EMRK. Die Rechtsprechung des EGMR hat bereits im Sozialversicherungsrecht und im Sozialhilferecht zu einer erheblichen Ausweitung der Leistungsberechtigung geführt. Dies liegt nicht zuletzt am Abstellen auf die menschenrechtliche Dimension, die anders als im Unionsrecht losgelöst von einer grenz215

EuGH, Slg. 2005, I-6199, Rn. 39 (Gürol). EuGH, Slg. 2005, I-6199, Rn. 32 (Gürol). 217 EuGH, Slg. 2005, I-6199, Rn. 36 und 44 (Gürol); zustimmend Baysu/Hänlein, ZESAR 2005, 425 (428). 218 BT-Drs. 5/420, S. 123. 219 BT-Drs. 16/5172, S. 20; Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, § 63, Rn. 14;. a.A. Gutmann, InfAuslR 2006, 142 (146); Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 63, Rn. 101 und 106; Baysu/ Hänlein, ZESAR 2005, 425 (429). 220 Umkehrschluss aus EuGH, Slg. 2001, I-2415, Rn. 57 (Fahmi); zustimmend Gutmann, InfAuslR 2006, 142 (146). 216

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überschreitenden Perspektive umfassende Schutzansprüche für jedermann vermittelt. Auch im Recht der sozialen Förderung ist das in Art. 14 EMRK garantierte Diskriminierungsverbot Ausgangspunkt für die Bewertung der Anknüpfungsmomente. Es ist verletzt, wenn ohne sachliche Rechtfertigung in eines der in der EMRK oder ihren Zusatzprotokollen gewährten Rechte eingegriffen wird oder wenn eine Personengruppe bei der Ausübung dieser Rechte gegenüber anderen Personen benachteiligt wird.221 a. Familienförderung Die Leistungen der Familienförderung sind Art. 8 I EMRK zuzuordnen. Diese Norm gewährt dem Einzelnen ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Geschützt sind nicht nur die sozialen Beziehungen der Familienmitglieder, sondern auch deren materielle Interessen.222 Mit der Gewährung familienfördernder Leistungen bringen die Staaten ihre Achtung des Familienlebens zum Ausdruck, beeinflussen diese doch die Möglichkeit, das in Art. 8 EMRK garantierte Recht wahrzunehmen.223 Folglich ist auch der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots nach Art. 14 EMRK eröffnet, so dass die unterschiedliche Behandlung bestimmter Personengruppen der Rechtfertigung bedarf. Für eine Differenzierung nach der Art des Aufenthaltstitels bzw. der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer im Hinblick auf die Kindergeldberechtigung hat der EGMR keine sachlichen Gründe gesehen.224 b. Ausbildungsförderung Für die arbeitsmarktbezogenen Förderleistungen existiert bislang keine vergleichbare Rechtsprechung. Aus der EMRK folgt kein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt im Allgemeinen oder gar zu einem bestimmten Beruf.225 Die Berufstätigkeit ist zwar als Bestandteil des Privatlebens nach Art. 8 EMRK anzusehen. Dieses Menschenrecht ist jedoch nur tangiert, insofern die Berufsausübung nicht so ausgestaltet werden darf, dass sie die freie Verfügung über das Privatleben beeinträchtigt.226 Indes schützt Art. 2 ZP-EMRK das Recht auf Bildung. Dieses schließt den freien Zugang zu allen Bildungseinrichtungen einschließlich der Hochschulen 221

EGMR, NJW 2002, 2851 (2855) (Pretty); NVwZ 2006, 917 (917) (Okpisz); NVwZ 2008, 533 (534) (D.H.); Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 14, Rn. 5 f.; Schmahl/Winkler, AVR 48 (2010) 405 (418). 222 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8, Rn. 49. 223 EGMR, Urt. v. 27.3.1998, Az. 20458/92, Rn. 29 (Petrovic); EGMR, NVwZ 2006, 917 (918) (Okpisz); EGMR, Urt. v. 25.10.2005, Az. 58453/00, Rn. 21 (Niedzwiecki); ablehnend, jedoch ohne Begründung BFH, BFH/NV 2011, 248 (249). 224 EGMR, NVwZ 2006, 917 (918) (Okpisz); EGMR, Urt. v. 25.10.2005, Az. 58453/00, Rn. 33 (Niedzwiecki). Zustimmend Gutmann, ZESAR 2009, 221 (223). 225 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8, Rn. 31. 226 Vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8, Rn. 87 ff.

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

ein.227 Im Einklang mit der Argumentation des EGMR zu den Familienleistungen muss man auch hier zu dem Ergebnis kommen, dass der Staat die Wahrnehmung dieses Rechts ermöglicht, indem er Leistungen der Ausbildungsförderung gewährt. Für diese Gewährleistung muss zwingend Gleichberechtigung gelten. Differenzierungen bedürfen wiederum der sachlichen Rechtfertigung. Das Anliegen, die durch öffentliche Förderung erworbene Bildung der Inlandsgesellschaft zu erhalten und für diese nutzbar zu machen, dürfte nur schwer als Rechtfertigungsgrund für die langen Wartezeiten in § 8 BAföG dienen, die zudem den Inlandsbezug aufgrund Wohnsitzes, eigener Erwerbstätigkeit und der Erwerbstätigkeit der Eltern von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern kombinieren. Derart starre Zugangskriterien hindern den erfassten Personenkreis an der Wahrnehmung seines Rechts auf Bildung. Sie bieten zudem keine hinreichende Gewähr dafür, dass der Berechtigte nach Abschluss der geförderten Ausbildung tatsächlich auf Dauer im Inland verbleibt. Die Regelungen in § 8 BAföG sowie §§ 59 ff. SGB III zur Ausbildungsförderung von Drittstaatsangehörigen verstoßen daher mangels sachlicher Rechtfertigung gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 2 ZP-EMRK.

C. Schlussfolgerungen Das geltende Recht der sozialen Förderung beruht zwar nicht mehr auf der Annahme, eine Gegenleistung für das „Aufziehen und Erziehen der künftigen Staatsbürger oder Einwohner“228 zu gewähren. Dennoch klingt der Gegenleistungsbezug229 in der Gesetzessystematik immer noch an, indem die Zugangskriterien so restriktiv ausgestaltet bleiben, dass nur die Personen von den Leistungen profitieren können, die die Bundesrepublik voraussichtlich nicht wieder verlassen. Der Gesetzgeber hat Korrekturen nur vorgenommen, soweit dies durch europäische Rechtssetzung und Rechtsprechung geboten war.230 Die schrittweise vollzogene Anpassung lässt die Anknüpfungsmomente für die Leistungsgewährung unsystematisch und unübersichtlich werden. Dies deutet darauf hin, dass der Regelung ein Konzept fehlt. Statt bloßer Reaktion ist eine Konsolidierung des Rechtszustands und dessen Anpassung an die Ziele sozialer Förderung geboten. Dieser muss – hält man sich die vom EGMR gestärkte menschenrechtliche Dimension vor Augen – weiter gehen als das durch Primär- und Sekundärrecht unbedingt Gebotene. Das Recht 227

EGMR, NVwZ 2006, 1389 (1395) (Sahin). BSGE 53, 294 (296); kritisch Stahlberg, SGb 1989, 238 (238): „Auslandsfeindlichkeit des BKGG“. 229 Felix, ZAR 1994, 124 (125 f.). 230 Armbrecht, ZEuS 2005, 175 (179). Insofern instruktiv für das Recht der Ausbildungsförderung die Kommentierung bei Schieckel/Oestreich/Decker, BAföG, § 8, Rn. 10 ff. 228

C. Schlussfolgerungen

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auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz aus Art. 1 I, 20 I GG muss notwendig auch die Vorbeugung der Entstehung existenzieller Notlagen einschließen, insbesondere wenn es sich um bekanntermaßen armutsanfällige Umstände handelt. Zwar sind Familien nicht generell vom Risiko der Armut bedroht. Indes lebt eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Kindern von den Leistungen der Sozialhilfe. Dies gilt insbesondere für Familien mit kleinen Kindern oder Kinder alleinerziehender Eltern.231 Die Folgen fehlender oder mangelhafter Ausbildung für das Fortkommen in einer auf Arbeit basierenden Gesellschaft sind evident. Es besteht folglich ein erhebliches öffentliches Interesse, diese Armutsfallen und den Bezug von Fürsorgeleistungen zu vermeiden und dadurch die Chancengleichheit als Ziel sozialer Förderung zu stärken. Mit der rechtlichen Ermöglichung des Aufenthalts geht eine sozialrechtliche Einstandspflicht einher, die zur Gewährleistung von Chancengleichheit verpflichtet, sobald sich der Bezug zum Inland verfestigt hat. Es ist zwar zutreffend, dass nicht jeder kurze Aufenthalt eine solche Einstandspflicht auszulösen vermag. Ebenso ist sicherzustellen, dass der Aufenthalt nicht nur in der Absicht begründet wird, die Leistungsberechtigung herbeizuführen. Erforderlich ist vielmehr – wie im Recht der sozialen Fürsorge – ein Statutenwechsel,232 der die Verantwortung vom Herkunftsland auf den Aufenthaltsstaat übergehen lässt. Dieser Statutenwechsel ist mit der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts vollzogen, der typischerweise mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels eröffnet ist. Feste gesetzliche Fristen stehen einer Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls entgegen und sind insoweit nicht verhältnismäßig.233 Nicht erforderlich ist ferner eine Kombination aus formeller Inhaberschaft eines Aufenthaltstitels und Erwerbstätigkeit. Diese bewirkt nichts anderes als eine Abschottung gegenüber Ausländern und enthält diesen bewusst Bildung und Chancengleichheit vor. Sonderregelungen im Recht der Familien- und Ausbildungsförderung, die § 30 I SGB I derogieren, sind folglich nicht notwendig. Weiterhin prekär bliebe nach dieser Lösung die Lage der Personen, die sich als Geduldete im Inland aufhalten. Denn die Duldung vermittelt gerade keinen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt.234 Sie wird aufgehoben, sobald die der Rückreise in das Herkunftsland entgegenstehenden Gründe weggefallen sind. Faktisch hält sich die Mehrzahl der Geduldeten über viele Jahre in der Bundesrepublik auf, zumal häufig nicht absehbar ist, wann Kriege oder Verfolgungsgefahr im Herkunftsland nicht mehr drohen.235 Auch die mehrfache Verlängerung einer Duldung über viele Jahre hinweg berührt die Ungewissheit und die feh231

Will, Familienförderung im Sozialrecht, S. 19 f. So wohl auch Schönberger, Unionsbürger, S. 418, der eine „abgestufte Solidarität“ für gewisse Zeiträume postuliert. 233 Ebenso Husmann, NZS 2009, 652 (655); Papp, NVwZ 2009, 87 (90). 234 BSGE 105, 70 (79). 235 BVerfGE 111, 160 (174 f.). 232

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6. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Förderung

lende rechtliche Zukunftsoffenheit des Aufenthalts in seiner Prognose nicht, mag er auch retrospektiv durchaus verfestigt sein.236 Vor diesem Hintergrund ist es tatsächlich problematisch, wenn dieser Personenkreis vom Leistungsbezug ausgeschlossen ist.237 Es wird diskutiert, ob die Beseitigung dieser Schieflage im Sozialrecht oder im Aufenthaltsrecht anzusiedeln ist, die rechtlich ungewisse Daueraufenthalte ausschließt.238 Diese Alternative ist aber unangemessen. Sozialrecht hat nicht die Folgen eines Aufenthaltsgesetzes zu bewältigen, die de facto das Daueraufenthaltsrecht schaffen. Sollen die Geduldeten dennoch aus der sozialen Förderung ausgeschlossen und notfalls auf die Sozialhilfe auf niedrigstem Niveau – nämlich die Leistungen nach dem AsylbLG – verwiesen werden? Die Öffnung des Sozialrechts für alle Personen, die sich tatsächlich im Inland aufhalten, wird mit der Erwägung abgelehnt, dass sich der „rechtstreu verhaltende“ Inhaber einer Duldung nach Wegfall der Rückkehrhindernisse wieder in sein Heimatland begeben werde.239 Tatsächlich wird aber mit der Gewährung einer Duldung zugleich eine wohlfahrtstaatliche Verantwortlichkeit begründet. Sie folgt daraus, dass Personen, die diesen Status innehaben, aufgrund der im Herkunftsland herrschenden Krisensituation nicht die Wahl eingeräumt ist, in diesen zurückzukehren.240 Abhilfe schafft die Anknüpfung ihrer Leistungsberechtigung an die rechtmäßige Erwerbstätigkeit. Diese vermag eine Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus zu begründen. Diese Anknüpfung darf jedoch nur alternativ, nicht kumulativ erfolgen. Denn die Frage bleibt: ist soziale Förderung auf die Beschäftigten zu beschränken oder im Interesse der Chancengleichheit aller auf die Bewohner auszurichten? Soziale Förderung ist nicht Teil der Sozialversicherung – die von der lex loci laboris bestimmt wird – sondern Teil einer auf Armutsvermeidung gerichteten und dem Ziel der Chancengleichheit verpflichteten Form sozialer Intervention. Für sie sollte deshalb wie für die Überwindung der Armut durch Sozialhilfe die lex loci domicilii – das Wohnortprinzip – gelten.

236

BSGE 105, 70 (79 f.); ähnlich bereits BSGE 53, 294 (298); 67, 238 (242 f.); 67, 243 (248). Treiber in Blümich, EStG, § 62, Rn. 51; Felix in Kirchhof, EStG, § 62, Rn. 3; Werner, InfAuslR 2006, 237 (244); Felix, ZAR 1994, 124 (131); a.A. ohne Begründung Birk in Däubler, Arbeitsrecht, § 2 BEEG, Rn. 25. 238 Auf die Möglichkeit der aufenthaltsrechtlichen Bewältigung der sich dauerhaft ohne Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik aufhaltenden Personen weist auch BFHE 217, 443 (447) sowie BSGE 105, 70 (80 f.) hin. 239 BFHE 220, 39 (42) sowie 220, 45 (48). 240 Schnath in Barwig, Sozialer Schutz von Ausländern, S. 389. 237

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7. Kapitel

Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung Das in langer historischer Tradition zur Bewältigung der Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen etablierte1 Recht der sozialen Entschädigung nimmt im System der sozialen Sicherheit eine Sonderposition ein. Es dient dem Ausgleich von besonderen Opfern, die der Einzelne im Interesse der staatlichen Gemeinschaft erbracht hat. Die Leistungen werden aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen finanziert, da sie sich auf Risiken beziehen, für die schlechterdings keine Vorsorge im Rahmen eines Sozialversicherungsverhältnisses getroffen werden kann.2 Anders als die finalen Sozialleistungen der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe, die ungeachtet der Ursache des Leistungsfalls gewährt werden, ist das Recht der sozialen Entschädigung kausal geprägt, stellt also gerade darauf ab, ob eine bestimmte Schädigung durch ein Ereignis ausgelöst worden ist, welches „entschädigungswürdig“ ist.3

A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung Das Recht auf soziale Entschädigung ist in § 5 SGB I verankert und setzt eine gesundheitliche Schädigung voraus. Danach kann eine Person, die einen Gesundheitsschaden erlitten hat, nicht nur die notwendigen Maßnahmen und Mittel zur Wiederherstellung und Erhaltung der Gesundheit, sondern auch eine angemessene wirtschaftliche Versorgung beanspruchen.

1 Vgl. BT-Drs. 7/868, S. 24; Getrost in Müller, Festschrift für Schieckel, S. 124; Rüfner in Wannagat, SGB I, § 5, Rn. 2; Hase in v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 26, Rn. 12 ff; Zacher, ZIAS 2002, 193 (215); ausführlich zur historischen Entwicklung Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 64 ff. 2 Hansen in Wissing/Umbach, 40 Jahre Landessozialgerichtsbarkeit, S. 342; Voelzke in jurisPK-SGB I, § 5, Rn. 10. 3 Bogs in Baumann/Schirmer/Schmidt, Festschrift für Karl Sieg, S. 74 f.

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

I. Aufopferung als causa der Entschädigungsleistungen Voraussetzung ist, dass die Entschädigung wegen des besonderen Opfers für die staatliche Gemeinschaft oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen geboten ist. Die Grundsätze des Versorgungsrechts und damit der Gehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche ergeben sich aus dem für das Recht der sozialen Entschädigung zentralen, die Kriegsopferversorgung normierenden Bundesversorgungsgesetz (BVG).4 Dieses wird durch zahlreiche Spezialgesetze konkretisiert, die auf die Besonderheiten des die Leistungspflicht auslösenden schädigenden Ereignisses abstellen. Der Kreis der Berechtigten ist daher für jeden Entschädigungstatbestand gesondert zu bestimmen. Daraus ergeben sich jeweils unterschiedliche Anknüpfungsmerkmale, die sich auf den Zugang von Ausländern auswirken. Das Leistungsspektrum reicht vom Ausgleich von Schäden im Rahmen des Wehrdienstes (§ 80 SVG) über die Entschädigung von Schäden, die durch eine öffentlich empfohlene Impfung oder Maßnahme zur medizinischen Prophylaxe verursacht worden sind (§ 60 IfSG) bis hin zur Entschädigung von Opfern von Verkehrsunfällen5 (§ 12 PflVG). Auch die unechte Unfallversicherung lässt sich strukturell dem Recht der sozialen Entschädigung zuordnen,6 wird hier doch ebenfalls ein Ausgleich für Schädigungen geleistet, die im Zusammenhang mit einem im öffentlichen Interesse liegenden Verhalten (Nothelfer) oder einer öffentlich-rechtlich geförderten bzw. angeordneten Tätigkeit (Kindergarten- oder Schulbesuch) stehen. Trotz der vom Gesetzgeber bezweckten Ausgliederung aus dem Recht der sozialen Entschädigung7 lassen sich die Leistungen der unechten Unfallversicherung wegen dieser Zweckbezogenheit und nicht zuletzt wegen ihrer Finanzierung aus Steuermitteln nicht ohne Weiteres dem Sozialversicherungsrecht zuordnen, wenngleich sie rechtssystematisch Eingang in das Unfallversicherungsrecht nach dem SGB VII gefunden haben. Die causa der Entschädigungsleistungen liegt nicht in der materiellen Bedürftigkeit des Opfers, sondern in dessen immaterieller Schädigung.8 Entscheidend ist allein, dass der Einzelne sich im Interesse des gemeinen Wohls freiwillig oder durch hoheitliche Veranlassung oder (Mit)Verursachung einem besonderen Ri-

4

Statt vieler Rüfner in Wannagat, SGB I, § 5, Rn. 6. Dazu LG Tübingen, NVwZ-RR 1993, 454 (455). 6 Kessler, ZfS 2001, 235 (236). Ausführlich Voelzke in jurisPK-SGB I, § 5, Rn. 4; Rüfner in Wannagat, SGB I, § 5, Rn. 3; Hase in v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 26, Rn. 6 f.; Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 32; Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 91; vgl. auch Schulin in Gitter/Schulin/Zacher, Festschrift für Krasney, S. 472: „Soziale Entschädigung im Gewand der Sozialversicherung“. 7 BT-Drs. 7/868, S. 23 f. 8 BSGE 49, 104 (114). 5

A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung

355

siko ausgesetzt – aufgeopfert9 – hat.10 Aus anderen Gründen i.S.v. § 5 SGB I ist die Entschädigung geboten, wenn die Verletzung durch Dritte verursacht, letztlich aber auf ein staatliches Versagen zurückzuführen ist. Dies gilt etwa für die Versorgung von Verbrechensopfern, bei denen der Staat seiner Aufgabe der Gewaltprävention nur unzureichend nachgekommen ist oder die Kompensation für Impfschäden, die auf eine staatlich veranlasste Gesundheitsbeschädigung zurückzuführen sind.11

II. Zugang zu den Leistungen zur Entschädigung der Kriegsopfer Die soziale Entschädigung hat ihren Entstehungsgrund in der Bewältigung der Kriegsfolgen nach Ende des 2. Weltkriegs. Die Entschädigung der Kriegsopfer bzw. ihrer Hinterbliebenen ist Gegenstand des BVG. Dieses Gesetz erfasst nur Schädigungen, die aus Anlass oder in Folge des Krieges eingetreten sind. Gesundheitsschäden, die aktuell im Zuge des Wehrdienstes erlitten werden, sind nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) zu kompensieren, welches dem BVG strukturell so weit angenähert ist, dass für deren Tatbestände im Wesentlichen die gleichen Regelungen gelten. 1. Militärische und zivile Kriegsopfer Leistungen der Kriegsopferversorgung sind zu gewähren, wenn im Rahmen eines militärischen oder militärähnlichen Dienstes – sei es durch die Tätigkeit selbst, durch einen währenddessen erlittenen Unfall oder wegen der einem solchen Dienst eigentümlichen Verhältnisse12 – eine Gesundheitsbeschädigung eingetreten ist, § 1 I BVG. Gleichgestellt sind alle Personenschäden, die durch Kriegseinwirkungen, Kriegsgefangenschaft, Internierung im Ausland oder vergleichbare Sachverhalte verursacht worden sind, § 1 II BVG. Die Leistungsberechtigung scheint dem Staatsangehörigkeitsprinzip zu unterliegen, knüpft diese nach § 7 I Nr. 1 BVG doch an die deutsche Staatsangehörigkeit bzw. Volkszugehörigkeit an. Dies liegt in der Natur der Sache, denn nur Deutsche wurden verpflichtend zum Militärdienst in der Wehrmacht oder ver9 Kritisch zum Aufopferungsgedanken als Rechtsgrund sozialer Entschädigung Hansen in Wissing/Umbach, 40 Jahre Landessozialgerichtsbarkeit, S. 344; Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 119 f.; Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 42 ff. 10 Kessler, ZfS 2001, 235 (235); BVerfGE 48, 281 (288 f.); BSGE 54, 206 (208). Ausführlich zu den rechtsphilosophischen Hintergründen Schmidt-Klügmann, ZSR 1989, 257 (262 f.). 11 Dau, SGb 2009, 695 (695); Kessler, ZfS 2001, 235 (235); kritisch zum Aspekt des „Staatsversagens“ Hase in v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 26, Rn. 5; Schmidt-Klügmann, ZSR 1989, 257 (268); Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 86 f. 12 Dazu im Einzelnen Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 BVG, Rn. 17 ff.

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

gleichbaren Organisationen (vgl. § 2 BVG) herangezogen.13 Angehörige anderer Staaten können gemäß § 1 I Nr. 2 BVG jedoch gleichermaßen14 Leistungen der Kriegsopferversorgung beanspruchen, wenn sie in den Dienst der Wehrmacht getreten waren.15 Für aktiv an den Kriegshandlungen Beteiligte knüpft der Zugang zu den Entschädigungsleistungen folglich allein an der Soldateneigenschaft in den deutschen militärischen Verbänden an. Schädigungen, die durch die Kriegseinwirkungen im Rahmen militärischer Dienstleistung für andere Staaten, also allein im „Interesse“ deren Kriegsziele erlitten wurden, sollen durch das BVG nicht ausgeglichen werden.16 Bei den zivilen Kriegsopfern ist nach § 7 I Nr. 3 BVG darauf abzustellen, dass sie durch unmittelbare Kriegshandlungen (vgl. § 5 BVG) in Deutschland oder den von der Wehrmacht besetzten Gebieten einen Gesundheitsschaden erlitten haben. Notwendig ist zudem eine deutsche Beteiligung an der in Rede stehenden Kriegshandlung.17 Der territoriale Bezug erstreckt sich nicht auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik, sondern umfasst das im historischen Rückblick im Zeitpunkt der Schädigung bestehende deutsche Staatsgebiet, bildet doch die hoheitliche Befugnis und Befähigung, den Einzelnen vor den Auswirkungen des Krieges zu schützen, die causa der Entschädigung.18 Ferner muss der Berechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben. 2. Leistungserbringung in das Ausland Der Inlandswohnsitz bildet jedoch keinen Ausschlussgrund. §§ 8, 64 ff. BVG ermöglichen die Erbringung von Leistungen an Berechtigte im Ausland. War die Leistungserbringung ins Ausland bis Juli 2011 im Rahmen einer „Kann-Bestimmung“19 noch daran gebunden, dass die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen mit dem Aufenthaltsstaat unterhalten muss, findet eine solche Differenzierung nun nicht mehr statt. Diese wurde einerseits mit dem Gebot der politischen Rücksichtnahme gegenüber den ehemaligen gegnerischen Staaten, andererseits unter Bezugnahme auf die Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Aufenthaltsstaaten gerechtfertigt.20 Mit der Öffnung des internationalen An13 Eichenhofer, ZAR 1987, 108 (111); Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 725 f. 14 BSGE 83, 171 (175). 15 Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 BVG, Rn. 11 mit Beispielen; Dahm, BVG, § 7, S. 12 f. 16 Heinz/Krülle, SGb 1998, 397 (400). 17 Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 75. Entsprechend BVerfGE 27, 253 (272) für die Entschädigung von Besatzungsschäden. 18 BSGE 16, 67 (70 f.). 19 mit der Folge, dass bei Auslandsaufenthalt des Berechtigten kein Rechtsanspruch auf Versorgung bestand, Dahm, BVG, § 7, S. 2. 20 Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, Rn. 563. Vgl. auch Zacher, ZIAS 2002, 193

A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung

357

wendungsbereichs des BVG ist vor allem den Vorgaben des europäischen Rechts Rechnung getragen.21 Die Neuregelung führt dazu, dass das vormals das Recht der Kriegsopferfürsorge prägende Staatsangehörigkeitsprinzip nunmehr weitgehend ohne Relevanz ist.22 a. Einschränkungen des Leistungsumfangs Indes bestehen weiterhin Unterschiede im Umfang der Leistungsberechtigung zwischen im In- oder Ausland lebenden Berechtigten. Die Leistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit haben sich die Berechtigten im Ausland nach § 64a I BVG selbst zu beschaffen, erhalten die dafür aufzuwendenden Kosten jedoch erstattet. Die wirtschaftlichen Folgen der Gesundheitsbeschädigung werden nicht kompensiert, solange sich der Berechtigte im Ausland aufhält: § 64a II 1 BVG schließt die Leistung von Versorgungskrankengeld – einer Einkommensersatzleistung23 – und von Beihilfen zur Heilbehandlung explizit aus. Ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt, die der Sicherung einer angemessenen Versorgung dienen und nur bei Bedürftigkeit gewährt werden,24 können dagegen auch ins Ausland erbracht werden, §§ 64b I Nr. 3, 27a BVG. Die Höhe der Leistungen richtet sich gemäß § 64b II BVG nach den üblichen Verhältnissen im Aufenthaltsstaat. § 64b BVG statuiert damit – freilich entschädigungsrechtlich motiviert und dadurch erklärbar – eine Ausnahme vom Exportverbot für existenzsichernde Leistungen, wie es beispielsweise im Sozialhilferecht gilt. Dieses wird stets damit begründet, dass diese Leistungen sich an den im Inland herrschenden Verhältnissen orientieren und daher so stark an die inländische Solidargemeinschaft gebunden sind, dass ihr Export nicht angezeigt ist. Das Recht der Kriegsopferentschädigung überwindet dieses Spezifikum der Existenzsicherung und verpflichtet den inländischen Träger, bei der Leistungsbemessung auf eine Integration in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats abzustellen. Dies erklärt sich jedoch nicht zuletzt daraus, dass die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27a BVG insoweit über das sozialhilferechtlich zu gewährende Existenzminimum hinausgeht, als sie eine angemessene Lebensführung ermöglichen soll.25 Zugleich ordnet der Gesetzgeber deren Subsidiarität gegenüber vergleichbaren Leistungen des ausländischen Trägers an, § 64b II BVG. Soziale Entschädigung stellt damit sicher, dass die durch von Deutschland veranlasste militärische Einwirkungen Geschädigten nicht mittellos sind. (217): „nur das Unrecht, das an zugehörigen Personen oder Sachen geschehen war“, war zu entschädigen. 21 BT-Drs. 17/5311, S. 15. 22 Dazu auch die Begründung des Gesetzgebers, BT-Drs. 17/5311, S. 15. Zur alten Rechtslage noch Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, S. 486. 23 Hase in v. Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, § 26, Rn. 72; Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, Rn. 179. 24 Leisner in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 27a BVG, Rn. 1. 25 Zu dieser Zielsetzung Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, Rn. 299.

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

b. Antikumulierungsvorschriften Um Doppelleistungen zu vermeiden, ordnet § 7 II BVG – vorbehaltlich zwischenstaatlicher Regelungen – den Nachrang der Ansprüche nach dem BVG an, soweit der Geschädigte entsprechende Leistungen nach dem Recht eines anderen Staates beanspruchen kann. Es kommt allein auf das Bestehen des Anspruchs, unabhängig von der Möglichkeit seiner tatsächlichen Realisierung an.26 Zudem dürfen Leistungen ins Ausland versagt werden, wenn diese durch den Träger des Aufenthaltsorts teilweise oder vollständig auf eigene Leistungen angerechnet werden, § 64 I 2 BVG. Die Leistungserbringung ins Ausland ist folglich nur vorgesehen, wenn diese dem Berechtigten tatsächlich in voller Höhe zugutekommt.27

III. Zugang zu den Leistungen der Verbrechensopferentschädigung Auf die leistungsrechtlichen Grundsätze des BVG verweist auch das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Das Gesetz unterscheidet für die Opfer von Straftaten im Inland und im Ausland. 1. Voraussetzungen der Entschädigung von Inlandstaten § 1 I OEG statuiert einen Anspruch auf Versorgung für die Personen, die im Geltungsbereich des Gesetzes durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff oder dessen rechtmäßige Abwehr einen Gesundheitsschaden erlitten haben. Diese sowohl im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit als auch den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrechensopfers neutrale Grundregel wird für Ausländer modifiziert. Die zunächst strikt auf das Gegenseitigkeitsprinzip beschränkte Entschädigung von ausländischen Verbrechensopfern ist unter dem Eindruck fremdenfeindlicher Übergriffe in den 1990er Jahren zumindest in Ansätzen geöffnet worden. a. Mit Deutschen gleichgestellte Personen Ausländer können nach § 1 IV OEG in vollem Umfang Leistungen der Opferentschädigung in Anspruch nehmen, wenn sie Unionsbürger sind (Nr. 1), andere europarechtliche Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit auf sie Anwendung finden (Nr. 2) – dies betrifft die Angehörigen der EWR-Staa26 BSG, SozR 3–3100 § 7 Nr. 2, Rn. 12; Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 BVG, Rn. 14; Dahm, BVG, § 7, S. 17; kritisch Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 737, da die Frage unbeantwortet bleibt, wie im Falle negativer Kompetenzkonflikte zu verfahren ist. 27 BT-Drs. 17/5311, S. 21.

A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung

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ten und der Schweiz28 – oder wenn die Gegenseitigkeit gewährt ist (Nr. 3). Das Gegenseitigkeitsprinzip besagt, dass Ausländer Deutschen nur dann gleichgestellt sind, wenn deren Herkunftsstaat seinerseits Deutschen in vergleichbaren Fällen Leistungen der Opferentschädigung gewähren würde. 29 Die Vergleichbarkeit ist gegeben, wenn ähnliche Tatbestände einen Anspruch auf Entschädigung vermitteln und deren Höhe der nach deutschem Recht zu gewährenden Leistung entspricht.30 Solange die Gegenseitigkeit nicht hergestellt ist, ruht der Anspruch auf Leistungen nach dem OEG.31 Das Gegenseitigkeitsprinzip wird als Anreiz zum Abschluss entsprechender bilateraler Vereinbarungen gesehen. Die Bundesrepublik macht den Schutz fremder Staatsangehöriger also davon abhängig, dass die Interessen und Rechtsgüter der eigenen Staatsangehörigen im Ausland verwirklicht werden. In allen anderen Fällen ist die Leistungsberechtigung von Ausländern daran gebunden, dass der Geschädigte sich nicht lediglich vorübergehend im Inland aufhält, was bei Aufenthalten von mehr als sechs Monaten der Fall ist. Die vollumfängliche Anspruchsberechtigung ist gemäß § 1 V 1 Nr. 1 OEG jedoch nur im Falle eines ununterbrochenen rechtmäßigen Voraufenthalts von drei Jahren gegeben. Die Rechtmäßigkeit setzt nicht das Vorliegen eines Aufenthaltstitels voraus. Das OEG verwendet insofern eine gegenüber dem AufenthG eigenständige Begrifflichkeit. Es genügt, wenn der Aufenthalt legal ist,32 so dass auch Asylbewerber mit der Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG sich rechtmäßig im Inland aufhalten.33 Der Aufenthalt ist auch in den Fällen rechtmäßig, in denen kein formales Aufenthaltsrecht besteht, die Abschiebung aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen oder auf Grund erheblicher öffentlicher Interessen ausgesetzt ist, § 1 V 2 OEG. Daher ist auch den Inhabern einer Duldung der Zugang zu den Leistungen der Verbrechensopferentschädigung eröffnet.34 b. Eingeschränkte Leistungsberechtigung bei kürzeren Aufenthalten Personen, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten, die dreijährige Wartefrist aber noch nicht zurückgelegt haben, können nur einkommensunabhängige Leistungen in Anspruch nehmen, § 1 V 1 Nr. 2 OEG. Das ist – neben den Leistungen zur Krankenbehandlung und Rehabilitation – die einkommensunabhängig gewährte Beschädigtengrundrente nach § 29 BVG. 28 Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, Rn. 782; Bartke, SozVerw 2009, 36 (37); Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 64. 29 Vgl. nur Sailer in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG, Rn. 20; Böhm, ZRP 1988, 420 (421). 30 BSGE 78, 51 (53); Held/Wältermann, BArbBl 9/1993, 9 (9); Kunz/Zellner/Gelhausen/ Weiner, OEG, § 1, Rn. 65. 31 BSGE 60, 186 (188). 32 BSGE 88, 103 (106 f.); Behn, ZfS 1993, 289 (296). 33 Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 67. 34 A.A. Held/Wältermann, BARbBl 9/1993, 9 (10).

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

Hält sich ein Ausländer nur vorübergehend für längstens sechs Monate in der Bundesrepublik auf, kann er nach Maßgabe des § 1 VI OEG ebenfalls einkommensunabhängige Leistungen beanspruchen. Dies setzt voraus, dass er entweder mit einem Deutschen oder einem der in § 1 IV, V OEG genannten Ausländer in gerader oder Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt, verheiratet oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft verbunden35 ist (Nr. 1) oder Angehöriger eines Vertragsstaates des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten36 ist (Nr. 2). Die Einschränkungen für Ausländer gelten gleichermaßen, wenn diese als Hinterbliebene Ansprüche auf Opferentschädigung geltend machen, § 1 VII 2 OEG. Deutsche Hinterbliebene erhalten dagegen Leistungen in vollem Umfang, selbst wenn das infolge des tätlichen Angriffs verstorbene Opfer nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Denn die Leistungsberechtigung setzt nicht voraus, dass sowohl das Opfer als auch dessen Hinterbliebene die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen in eigener Person erfüllen. Hinreichende, aber auch notwendige Bedingung der Leistungsberechtigung ist lediglich, dass der Antragsteller die persönlichen Voraussetzungen nachweist.37 Der in Abhängigkeit vom Voraufenthalt gestaffelte Zugang von Ausländern zu den Leistungen der Opferentschädigung soll dem Grad ihrer Integration in die Inlandsgesellschaft Rechnung tragen. 38 Zur Begründung wird auf die Haushaltslage39 und die regelmäßig vorhandene Absicherung durch eine private Versicherung dieser Personengruppen40 verwiesen. Das Aufenthaltserfordernis bewirkt jedoch keinen generellen Anspruchsausschluss von Ausländern, die diese besonderen Voraussetzungen nicht erfüllen. Vielmehr können sie, wenn sie Opfer einer Gewalttat geworden sind, ein „Stammrecht“ auf Leistungen der Opferentschädigung erwerben, das bis zur Erfüllung der aufenthaltsbezogenen Anspruchsvoraussetzungen lediglich nicht durchsetzbar ist.41 Ausländer können daher in die OEG-Ansprüche „hineinwachsen“. c. Umfang der Leistungsberechtigung bei Aufenthalt im Ausland Hat ein nach § 1 V, VI OEG berechtigter Ausländer das Gebiet der Bundesrepublik verlassen, wandelt sich sein Versorgungsanspruch nach § 1 VII OEG in einen Abfindungsanspruch um. Dessen Höhe hängt von der Dauer des rechtmäßigen Voraufenthalts ab. Mit der Entstehung des Abfindungsanspruchs erlö35

Dau, SGb 2009, 695 (697). Europäisches Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24. November 1983, BGBl. 1996 II, S. 1120. 37 BSGE 60, 186 (189); Behn, ZfS 1993, 289 (301). 38 BSGE 78, 51 (57); Held/Wältermann, BArbBl 9/1993, 9 (9 f.); Behn, ZfS 1993, 289 (299). 39 BR-Prot. 431 v. 20.2.1976, S. 67. 40 BT-Drs. 16/12273, S. 6. 41 BSGE 60, 186 (188); BSG, SozR 4–3800 § 1 Nr. 12, Rn. 18. 36

A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung

361

schen gemäß § 1 VII 3 OEG alle sonstigen Ansprüche auf Leistungen der Opferentschädigung. Dies gilt selbst bei einer späteren Verschlechterung des Gesundheitszustands oder gar dem Tod des Opfers.42 Die Leistungen des OEG werden für diese Personengruppe folglich nicht ins Ausland exportiert. Begründet wird dies einerseits mit der fehlenden Möglichkeit, die durch die Gewalttat verursachte Gesundheitsbeschädigung durch Rehabilitationsmaßnahmen auszugleichen.43 Dieser Grund vermag indes kaum zu überzeugen, da für die nach § 1 IV OEG berechtigten Ausländer die – wenngleich eingeschränkte – Exportpflicht nach Maßgabe der §§ 64 ff. BVG44 zum Tragen kommt. Andererseits wird auf die Integrationsbezogenheit der Leistungen abgestellt, die es notwendig und vertretbar mache, den vollen Leistungsbezug an den Inlandsaufenthalt zu binden, da die Integration bei Verlassen des Bundesgebietes „aufhört“.45 d. Härteausgleich Die Opferentschädigung verbindet bei Inlandstaten die Anknüpfung an den Tatort46 mit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder – alternativ – den legalen, dauerhaften Aufenthalt. Diese Doppelanknüpfung47 schließt alle Personen, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, vom Leistungsbezug aus. § 10b OEG ermöglicht im Einzelfall ein Abweichen von § 1 V, VI OEG, um unbillige Folgen dieser Beschränkung abzumildern. Danach kann dem Opfer eines tätlichen Angriffs mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine einmalige Leistung als Härteausgleich gewährt werden. Mit dieser Regelung soll namentlich Touristen oder Geschäftsreisenden die Möglichkeit der Entschädigung eröffnet werden, wenn sie aus Staaten stammen, in denen die Gegenseitigkeit nicht gewährleistet ist.48 Dies setzt jedoch einen Härtefall, also eine besonders schwere Schädigung voraus, die zur Schwerbeschädigung49 oder zum Tod des Opfers geführt hat.

42

BSG, SozR 4–3800 § 1 Nr. 9, Rn. 21; kritisch Behn, ZfS 1993, 321 (321 f.). Held/Wältermann, BArbBl 9/1993, 9 (10). 44 Behn, ZfS 1993, 289 (302). 45 Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 73. 46 BSGE 90, 190 (194 f.);Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 731; a.A. Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 6: maßgeblich sei der Erfolgsort, d.h. der Ort, an dem sich der durch die Tat verursachte Gesundheitsschaden manifestiert. 47 Zum Begriff Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 475. 48 Held/Wältermann, BArbBl 9/1993, 9 (9). 49 Dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 %, Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, Rn. 889; Held/Wältermann, BArbBl 9/1993, 9 (11); Behn, ZfS 1993, 321 (327). 43

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

2. Voraussetzungen der Entschädigung von Auslandstaten Nach dem OEG konnte ursprünglich nur eine staatliche Entschädigung beanspruchen, wer im Inland Opfer eines tätlichen Angriffs geworden war. Diese Rechtsfolge wurde mit dem Argument begründet, das Versagen des Staates bei der Verbrechensprävention bilde die causa der Opferentschädigung. Denn die hoheitlichen Befugnisse, die notwendig mit der Vorbeugung von Straftaten einhergehen, sind auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik beschränkt. 50 Mit Wirkung vom 1.7.200951 ist der Anwendungsbereich auf im Ausland begangene Taten erweitert worden. Dies setzt nach § 3a I OEG aber voraus, dass der Berechtigte Deutscher ist oder einer der in § 1 IV, V OEG privilegierten Personengruppen angehört, sich also seit mehr als drei Jahren rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält bzw. EU- oder EWR-Bürger oder Angehöriger eines Staates ist, in dem die Gegenseitigkeit gewährleistet ist. Er muss ferner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland innehaben. Der Auslandsaufenthalt, in dessen Rahmen die Gesundheitsschädigung eingetreten ist, darf dagegen lediglich vorübergehender Natur, d.h. auf maximal sechs Monate angelegt gewesen sein. Der Leistungsumfang ist im Vergleich zu inländischen Straftaten begrenzt und beschränkt sich auf Maßnahmen zur Heilbehandlung und medizinischen Rehabilitation sowie Einmalzahlungen, deren Höhe vom Grad der Schädigungsfolgen abhängig ist, die durch den tätlichen Angriff verursacht worden sind.52 Aus anderen (privat- oder öffentlich-rechtlichen) Rechtsgründen zu zahlende Entschädigungsleistungen für dieselbe Straftat sind nach § 3a IV OEG auf die Leistungen der Opferentschädigung anzurechnen. Dies gilt namentlich für Leistungen, die nach dem Recht des Tatorts geschuldet sind. Die Entschädigung von Auslandstaten ist folglich subsidiär, so dass mit der Einführung des § 3a OEG keine grundsätzliche Abkehr vom Tatortprinzip, sondern lediglich dessen Ergänzung um das Personalprinzip einhergegangen ist.53 Der Gesetzgeber hat diese Erweiterung der Entschädigungsberechtigung auf Auslandstaten mit der allgemeinen Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern begründet.54 Diese wiege geringer als das Staatsversagen, welches den tragenden Entschädigungsgrund für Inlandstaten bilde und rechtfertige daher das geringere Leistungsniveau.55 50 BT-Drs. 11/7969, S. 19 f.; BSGE 16, 67 (71); 90, 190 (194); Kunz, Probleme der Opferentschädigung im deutschen Recht, S. 188 f.; Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 6; entsprechend für die Entschädigung von Impfschäden BSGE 54, 202 (204). 51 Drittes Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (3. OEGÄndG) vom 25.06.2009, BGBl. I S. 158. 52 Kritisch zu dieser Einschränkung Dau, SGb 2009, 695 (697); Bock, ZRP 2009, 148 (149 f.). 53 Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 6. 54 BT-Drs. 17/5311, S. 25. 55 Leube, ZFSH/SGB 2010, 325 (325).

A. Anknüpfungspunkte im Recht der sozialen Entschädigung

363

IV. Zugang zu den Leistungen der unechten Unfallversicherung Die unechte Unfallversicherung ist zwar in das Leistungsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung eingeordnet; sie folgt aber den Prinzipien sozialer Entschädigung. Für die gesetzliche Unfallversicherung bestimmt § 2 I Nr. 1 SGB VII zunächst die Versicherung kraft Gesetzes für alle im Inland beschäftigten Personen. Der Begriff der Beschäftigung ist in § 7 I SGB IV definiert durch eine weisungsgebundene, entgeltliche Tätigkeit für einen anderen. Die unechte Unfallversicherung gewährt dagegen eine Entschädigung für Tätigkeiten, die nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern im öffentlichen Interesse ausgeübt werden. Das SGB VII ordnet die Entschädigungspflicht nicht generell, sondern nur für einzelne Fälle an. Der unechten Unfallversicherung sind namentlich die Schädigungen zuzuordnen, die im Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeiten (I Nr. 9, 10 und 12), als Zeuge und Sachverständiger (I Nr. 11), bei der Blut- und Organspende oder als Nothelfer56 (I Nr. 13), im Rahmen der Erfüllung sozialrechtlicher Meldeobliegenheiten (I Nr. 14) oder bei der Tätigkeit in Freiwilligendiensten oder als Entwicklungshelfer (III Nr. 2) hervorgerufen werden.57 Ferner sind Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, Schüler und Auszubildende während des Schul- oder Hochschulbesuchs versichert (I Nr. 8). Das Unfallversicherungsrecht enthält in § 2 III 4 SGB VII für die Tatbestände sozialer Entschädigung eine spezifische Anknüpfungsregel. Soweit der Versicherungsschutz danach nicht an eine Beschäftigung gebunden ist, sind alle Personen versichert, die die entschädigungsrelevanten Handlungen im Inland vornehmen. § 3 Nr. 2 SGB IV gilt ausdrücklich nicht, so dass es nicht darauf ankommt, ob die betreffende Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.58 Hat eine Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, erstreckt sich der Versicherungsschutz nach § 2 III 5 SGB VII auch auf Handlungen, die als Blut- und Organspender, Lebensretter oder Nothelfer im Ausland vorgenommen werden.59 Diese Neutralität im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit und den Aufenthaltsstatus der Anspruchsberechtigten setzt sich im Leistungsrecht fort. § 97 SGB VII sieht den uneingeschränkten Export von Geldleistungen in voller 56 Ausführlich Leube, ZESAR 2009, 176 (177): „Erfüllung einer humanitären Pflicht gegenüber der Allgemeinheit“. 57 Vgl. auch die Übersicht bei Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 440. 58 Riebel in Hauck/Noftz, SGB VII, § 2, Rn. 313; Will, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, Rn. 788 für den Besuch von Kindertagesstätten und Schulen durch Personen ohne Aufenthaltsstatus. 59 Zu den Hintergründen Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 512; kritisch Leube, ZESAR 2009, 176 (178 ff.).

364

7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

Höhe60 für In- und Ausländer gleichermaßen61 vor. Lediglich Ansprüche auf Sachleistungen wandeln sich bei Auslandsaufenthalt in Kostenerstattungsansprüche um. Eine Ruhensanordnung wie in den anderen Zweigen der Sozialversicherung ist nicht vorgesehen. Grund ist die Inlandsbezogenheit des Versicherungsfalls.62 Hat sich ein entschädigungsrelevanter Sachverhalt im Inland ereignet, kann es für die Gewährung dieser Entschädigung nicht darauf ankommen, wo sich der Geschädigte aufhält.

B. Bewertung der Anknüpfungsmomente Die Anknüpfungskriterien im Recht der sozialen Entschädigung sind uneinheitlich. Während es für den Schutz der unechten Unfallversicherung allein auf die Schadensveranlassung im Inland ankommt, werden in der Verbrechensopferentschädigung das Tatort-, Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsprinzip kombiniert. Die Kriegsopferentschädigung folgt der spezifischen und in der Natur der Sache liegenden akzessorischen Anknüpfung an die Verrichtung militärischer Handlungen im Dienste deutscher militärischer Einheiten.63 Für zivile Kriegsopfer wird jedoch ebenso wie in der unechten Unfallversicherung allein auf die Veranlassung des Schadens im Inland abgestellt. Der Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung macht deutlich, welche Schädigungen der Gesetzgeber als besonderes Opfer für die Allgemeinheit oder aus anderen Gründen „entschädigungswürdig“ einstuft. Die Anknüpfungspunkte und der daraus folgende Ein- oder Ausschluss von Migranten spiegeln also wieder, ob der Einzelne der zur Kompensation verpflichteten Allgemeinheit zugehörig ist und gibt somit Aufschluss über die Reichweite sozialstaatlicher Verantwortung. Diese sieht der Gesetzgeber gegenüber ausländischen Verbrechensopfern offenbar nur in beschränktem Maße.

60

Palsherm in jurisPK-SGB VII, § 97, Rn. 16. BT-Drs. 13/2204, S. 99. Unter Geltung der RVO war der Leistungsexport nur für deutsche Staatsangehörige vorgesehen. Dazu ausführlich Schuler, ZfS 1984, 225 sowie Dahm, Kompass 1988, 542. 62 Ricke in KassKomm, SGB VII, § 97, Rn. 2. 63 Vgl. auch EuGH, Slg. 2004, I-8411, Rn. 17 (Baldinger), wonach Leistungen für ehemalige Kriegsgefangene einen „Beweis der nationalen Anerkennung für die erduldeten Prüfungen [geben] und … daher als Gegenleistung für die ihrem Land erwiesenen Dienste gezahlt [werden]“. Ebenso für vorgezogene Altersrenten für ehemalige Soldaten bereits EuGH, Slg. 1979, 2019, Rn. 23 (Even). 61

B. Bewertung der Anknüpfungsmomente

365

I. Verfassungsrecht Die soziale Entschädigung gründet im Sozialstaatsprinzip. Dieses gebietet solche Lasten auszugleichen, die einem gemeinsamen „Schicksal“ der staatlichen Gemeinschaft entspringen, tatsächlich aber nur einzelnen Personen oder einer kleinen Gruppe von Personen zugefallen sind.64 Bildet die Aufopferung für das allgemeine Wohl den entscheidenden Leistungsgrund, so ist ein Abstellen auf den gewöhnlichen Inlandsaufenthalt oder gar die deutsche Staatsangehörigkeit des Geschädigten jedoch problematisch, wird das Opfer einzelner Personengruppen gegenüber anderen doch ungleich behandelt. Dies gilt insbesondere für die Entschädigung von Verbrechensopfern, welches bestimmte Migranten generell aus dem Kreis der Berechtigten ausschließt. Aber auch der eingeschränkte Leistungsumfang in der Kriegsopferversorgung nach §§ 64 ff. BVG ist vor diesem Hintergrund auf seine Tragfähigkeit zu untersuchen. 1. Zulässigkeit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt bei Inlandstaten Die Dauerhaftigkeit des Inlandsaufenthalts bildet ein Indiz für die Zugehörigkeit zur inländischen Solidargemeinschaft. Sie gibt damit Aufschluss darüber, ob die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des sozialen Sicherungssystems des Aufenthaltsstaates bereits begründet ist oder ob die des Herkunftsstaates fortdauert. Für die Systeme sozialer Hilfen ist diese Abgrenzung überzeugend. Zwar wird auch für die soziale Entschädigung auf das Sozialstaatsprinzip rekurriert, welches es gebiete, das Opfer bei der Bewältigung der Folgen des Angriffs zu unterstützen65 und es namentlich vor dem sozialen Abstieg wegen der fehlenden Durchsetzbarkeit von Ansprüchen gegen den Täter zu bewahren. 66 Dieses Argument vermag jedoch für sich genommen nicht zu überzeugen, denn der Anspruch auf Opferentschädigung besteht unabhängig von privatrechtlichen Ansprüchen gegen den Täter und deren Vollstreckbarkeit. Die soziale Entschädigung ist nicht vom Anliegen der Existenzsicherung getragen. Es kommt also nicht darauf an, ob sich der Einzelne den Bezug steuerfinanzierter Leistungen im Aufenthaltsstaat wegen der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft „verdient“ hat. Entscheidend ist vielmehr das besondere Opfer, das der Einzelne im Interesse der Allgemeinheit erbracht hat. Dieser Aufopferungsgedanke wird für die Verbrechensopferentschädigung durch das im Rechtsstaatsprinzip gründende staatliche Gewaltmonopol präzisiert. Dieses verpflichtet den Staat, die Bürger 64

BVerfGE 27, 253 (283). Bock, ZRP 2009, 148 (149). 66 Körtek, ZIAS 2010/2011, 2 (4); so auch bereits Böhm, ZRP 1988, 420 (420); Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 730 f. sowie BSGE 52, 281 (287). 65

366

7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

vor Gefahren zu schützen und so die innere Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Damit ist auch der Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG tangiert. Kann der Staat Schädigungen nicht abwehren, obwohl dies potenziell möglich bzw. geboten wäre, ist der Rechtsgrund für die soziale Entschädigung eröffnet.67 Eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit des Opfers ist vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt, bezieht sich der Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG doch gleichermaßen auf Deutsche und Ausländer.68 Verfehlt ist auch das Abstellen auf den dauerhaften Inlandsaufenthalt.69 Es kann für die soziale Entschädigung von Gewaltopfern nicht darauf ankommen, ob der durch eine Straftat Geschädigte durch die Entrichtung von Steuern zur Finanzierung der Polizeibehörden beigetragen hat, die bei der Verbrechensbekämpfung versagt haben – dass der Staat also seine Gegenleistung zur Steuerzahlung schuldig geblieben ist.70 Die staatliche Schutzpflicht erstreckt sich nicht nur auf Personen, die „sich in Deutschland integriert haben“,71 sondern auf alle sich im Inland aufhaltenden Personen.72 Folglich kann der Rechtsgrund der Opferentschädigung allein das Staatsversagen: die nicht verhinderte Gewalttat im Inland sein. Andere Anknüpfungspunkte wären willkürlich gewählt.73 Daher sind auch Touristen oder Geschäftsreisenden volle Entschädigungsleistungen zu gewähren, wenn sie im Inland Opfer einer Gewalttat werden. 2. Verfassungsrechtliche Tragfähigkeit des Gegenseitigkeitsprinzips Ob dieser Grundsatz durch das Gegenseitigkeitsprinzip eingeschränkt werden kann, ist ebenfalls fraglich. Das BVerfG hat das Gegenseitigkeitsprinzip im Rentenrecht als unzulässige Haftung von Personen für gesetzgeberische Untätigkeit abgelehnt,74 im Rahmen der Entschädigung von Häftlingen jedoch als legitim angesehen, da dem zu Unrecht Inhaftierten die Haltung „seines“ Staates zuzu67 BT-Drs. 11/7969, S. 19 f.; Bogs in Baumann/Schirmer/Schmidt, Festschrift für Karl Sieg, S. 72 f.; Hansen in Wissing/Umbach, 40 Jahre Landessozialgerichtsbarkeit, S. 349; Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 731; Wulfhorst, VSSR 1997, 185 (188); Dau, SGb 2009, 695 (695); Leube, ZFSH/SGB 2010, 325 (325); Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, Rn. 709; Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 1; Körtek, ZIAS 2010/2011, 2 (3); BSGE 49, 104 (105); 52, 281 (287); 81, 288 (291); 90, 190 (191). 68 Eichenhofer, ZAR 1987, 108 (114); Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 493; Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 33 und 89; BSG, SozR 4–3800 § 1 Nr. 12, Rn. 30. Vgl. auch BSGE 16, 67 (71) zur Kriegsopferversorgung. 69 Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 494. 70 Dies klingt in BT-Drs. 12/4889, S. 6 an. 71 So aber BSGE 88, 103 (108). 72 Kunz, Probleme der Opferentschädigung im deutschen Recht, S. 191. 73 Böhm, ZRP 1988, 420 (423); Körtek, ZIAS 2010/2011, 2 (4). 74 BVerfGE 51, 1 (25).

B. Bewertung der Anknüpfungsmomente

367

rechnen sei.75 Das Gegenseitigkeitsprinzip mag daher nicht generell zu beanstanden sein; fraglich ist jedoch seine Berechtigung im Recht der sozialen Entschädigung. In der Entscheidung zum Gegenseitigkeitsprinzip in der Rentenversicherung hat das BVerfG nicht zuletzt auf den eigentumsrechtlichen Schutz der auf eigenen Beitragsleistungen beruhenden Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung abgestellt. Diese Anwartschaften ausländischer Versicherter würden ohne sachlichen Grund in die Pflicht genommen, um Ansprüche von Deutschen im Ausland durchzusetzen.76 Nach Auffassung des BSG unterliegen auch Entschädigungsansprüche dem in Art. 14 I GG gewährleisteten Schutz des Eigentums. Die Gewährung dieser Leistungen entspreche nicht lediglich Billigkeitserwägungen, sondern diene dem „Ausgleich für das dem Staat an Gesundheit und Leben erbrachte besondere Opfer“.77 Zwar beruhen die Leistungen der Opferentschädigung nicht auf eigenen Vorleistungen des Berechtigten in Form von Beiträgen. Das Opfer eines tätlichen Angriffs hat stattdessen eine Einbuße in seiner körperlichen Integrität erlitten, die für die Allgemeinheit nicht hinnehmbar ist. Ob daraus ein hinreichender Gegenleistungsbezug abzuleiten ist, scheint fraglich.78 Denn das Opfer, welches der an Leib und Leben Geschädigte für die Allgemeinheit erbracht hat, kann nur schwerlich mit dem vermögensrechtlichen Charakter der Beitragsentrichtung verglichen werden.79 Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass der Leistungsausschluss für Ausländer nicht gegen Art. 3 I GG verstoße.80 Denn der Gesetzgeber nimmt mit dem Gegenseitigkeitsprinzip keine schützenswerten Belange der eigenen Staatsangehörigen wahr.81 Zum einen ist das Anliegen, die Einbeziehung deutscher Opfer von Gewalttaten im Ausland in das (bzw. ein noch zu schaffendes) ausländische Entschädigungssystem zu befördern, bislang nicht von Erfolg getragen.82 Zum anderen zielt es darauf ab, Ungleichbehandlungen zwischen Inländern und Deutschen an einem im Ausland gelegenen (!) Tatort aufzuheben.83 Um dieses Ziel zu erreichen, greift der Gesetzgeber seinerseits auf die Ungleichbehandlung von Ausländern zurück.84 Da75

BVerfGE 30, 409 (415). BVerfGE 51, 1 (25). 77 BSG, SozR 3100 § 56 Nr. 3, Rn. 11: zustimmend Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 132 f. und 723; kritisch Hansen, SGb 1987, 77 (78). 78 So aber Getrost in Müller, Festschrift für Schieckel, S. 125 sowie 134. 79 Schulin in Gitter/Schulin/Zacher, Festschrift für Krasney, S. 471; Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 196; Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 31. 80 So aber Kunz, Probleme der Opferentschädigung im deutschen Recht, S. 191. 81 So aber BVerfG, Beschl. v. 14.3.2001 (1 BvR 1931/96), Rn. 25 -juris. 82 Böhm, ZRP 1988, 420 (421); ebenfalls kritisch Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 734. Dies ist nach Auffassung des BSG wegen der Langzeitwirkung des Gegenseitigkeitsprinzips irrelevant, BSGE 78, 51 (54). 83 BT-Drs. 11/7969, S. 19; BVerfGE 30, 409 (414); BSGE 60, 186 (188). 84 Eichenhofer, ZAR 1987, 108 (114): „Wenn das Inland Ausländer diskriminiert, um zu 76

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

durch werden voneinander völlig unabhängige Umstände in einen Zusammenhang gestellt – die tatsächlich stattgefundene Gewalttat an einem Ausländer im Inland und die möglicherweise fehlende Entschädigung deutscher Opfer potenzieller Gewalttaten im Ausland. Auch die zur Begründung des Leistungsausschlusses bei fehlender Gegenseitigkeit angeführten fiskalischen Gründe sind im Hinblick auf die sozial- und rechtsstaatliche Herleitung der Entschädigungsleistungen sachfremd und unverhältnismäßig.85 Soweit die Ungleichbehandlung unter Hinweis auf den Härteausgleich nach § 10b OEG verneint wird, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Zwar können über den Härteausgleich zumindest potenziell alle Ausländer, die in der Bundesrepublik Opfer einer Gewalttat werden, eine Entschädigung beanspruchen – selbst wenn sie sich nur vorübergehend oder gar illegal im Inland aufhalten.86 Dieser ist jedoch nicht gleichwertig mit den nach Maßgabe des BVG (vgl. § 1 I 1 OEG) zu gewährenden Leistungen. Er beschränkt sich auf eine der Höhe nach begrenzte Einmalzahlung und wird zudem nur im Einzelfall gewährt, wenn die obersten Landesbehörden im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Vorliegen einer besonderen Härte bejahen. Da der Staat, wenn sich ein Verbrechen ereignet, gleichermaßen seine Pflicht zum Schutz von Leib und Leben nicht erfüllt hat, wird durch diese Auffangregelung ein wesentlich gleicher Sachverhalt ungleich behandelt. Die Beschränkung der Entschädigungsansprüche von Migranten durch das Gegenseitigkeitsprinzip ist daher weder geeignet noch verhältnismäßig, um das damit verfolgte Ziel zu erreichen.

II. Europarechtliche Bewertung Gestützt auf die Dienstleistungsfreiheit hatte der EuGH bereits Ende der 1990er Jahre Unionsbürgern einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung in der Opferentschädigung zugesprochen. Wenn das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen die Freiheit verleiht, in andere Mitgliedstaaten zu reisen und sich dort aufzuhalten, ist der Aufenthaltsstaat in gleicher Weise wie bei den eigenen Staatsangehörigen zum Schutz von Leib und Leben der freizügigkeitsberechtigten Personen verpflichtet.87 Seit der Etablierung der Unionsbürgerschaft ist der Rückgriff auf die Grundfreiheit nicht mehr notwendig, 88 bildet diese im Zusammenspiel mit der Unionsbürgerfreizügigkeit und dem Diskriminierungsverbot aus Grünerreichen, dass das Ausland Inländer nicht diskriminiert, widerspricht dies dem propagierten Anliegen“. Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 492. 85 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 733; ebenfalls kritisch BSGE 78, 51 (58). 86 BSGE 78, 51 (56). 87 EuGH, Slg. 1989, 195, Rn. 17 (Cowan). 88 Eingehend zur früheren Rechtslage Hackspiel, NJW 1989, 2166 (2170 f.).

B. Bewertung der Anknüpfungsmomente

369

den der Staatsangehörigkeit doch ein soziales Teilhaberecht für alle – auch die wirtschaftlich inaktiven – Unionsbürger. Dieser Anspruch auf Inländergleichbehandlung ist gerechtfertigt, erstreckt sich doch die hoheitliche Pflicht zum Schutz des Einzelnen auf Schutz von Leib und Leben nicht nur auf die eigenen Staatsangehörigen, sondern auf alle Personen, die sich in einem Staat aufhalten.89 Eine Unterscheidung der Berechtigten nach der Staatsangehörigkeit ist folglich unzulässig.90 Unionsbürger werden beim Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung mit Deutschen gleich behandelt. Die Vereinbarkeit mit dem Europarecht steht insofern außer Frage. Indes könnte der eingeschränkte Leistungsumfang bei der Erbringung von Leistungen im Ausland nach Maßgabe der §§ 64 ff. BVG europarechtlichen Vorgaben zuwiderlaufen. Ein Unionsbürger, der als Tourist in Deutschland einem Verbrechen zum Opfer fällt, wird dadurch zumindest mittelbar gegenüber deutschen Opfern diskriminiert, welche regelmäßig im Inland verbleiben. 1. Uneingeschränkte Exportpflicht kraft Sekundärrechts? Zwar sind die Leistungen sozialer Entschädigung als soziale Vergünstigung i.S.v. Art. 7 II VO (EU) 492/2011 zu qualifizieren,91 wenn ihre Gewährung an die Arbeitnehmereigenschaft anknüpft.92 Das Gleichbehandlungsgebot ist jedoch durch §§ 64 ff. BVG nicht verletzt, da die Beschränkung des Leistungsexports für alle Berechtigten mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland gelten, und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Auch die Opferentschädigungsrichtlinie 2004/80/EG93 gibt den uneingeschränkten Leistungsexport nicht vor. Sie statuiert in Art. 2 RL 2004/80/EG die Anknüpfung an den Tatort, überlässt Weiteres aber den einzelstaatlichen Regelungen, vgl. Art. 12 RL 2004/08/EG. Das europäische koordinierende Sozialrecht lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Europarechtswidrigkeit der §§ 64 ff. BVG zu. Staatliche Leistungen zur Entschädigung von Personenschäden sind in Art. 3 V lit. b) VO (EWG) 883/2004 explizit von der Koordinierung ausgenommen. Leistungen zur Entschädigung von Kriegs- oder Verbrechensopfern sind beispielhaft aufgezählt, daher sind sowohl das BVG als auch das OEG nicht in die Koordinierung einbezogen.94 Fraglich ist jedoch, ob und inwieweit Leistungen der unechten Un89

EuGH, Slg. 1989, 195, Rn. 17 (Cowan). EuGH, Slg. 2008, I-4143, Rn. 16 (Wood). 91 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 735; Böhm, ZRP 1988, 420 (422). 92 Dies ist bei den Leistungen der Kriegsopferfürsorge jedoch nicht der Fall, EuGH, Slg. 1979, 2019, Rn. 23 (Even); Slg. 2004, I-8411, Rn. 19 (Baldinger). 93 Richtlinie 2004/80/EG vom 29.04.2004 zur Entschädigung der Opfer von Straftaten, ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 2 ff. 94 Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/04, Rn. 54. 90

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7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

fallversicherung zu koordinieren sind. Sie dienen nicht der Absicherung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten nach Art. 3 I lit. f) VO (EG) 883/2004. Gleichwohl wird vertreten, dass alle von den Trägern der Unfallversicherung nach dem SGB VII erbrachten Leistungen dieser Norm unterliegen,95 folglich auch die von den Trägern der öffentlichen Hand nach §§ 125 ff. SGB VII erbrachten Leistungen der unechten Unfallversicherung. Zwar sind diese systematisch als Versicherungsleistung ausgestaltet. Dies enthebt sie jedoch nicht ihres entschädigungsrechtlichen Charakters. Eine Koordinierung findet folglich entsprechend der Anordnung in Art. 3 V lit. b) VO (EG) 883/2004 nicht statt.96 Indes findet für die Leistungen der Unfallversicherung ein Leistungsexport doch bereits nach nationalem Recht uneingeschränkt statt, vgl. § 97 SGB VII. 2. Primärrechtliche Vorgaben Die §§ 64 ff. BVG sind jedoch mit dem aus dem Primärrecht abgeleiteten umfassenden sozialen Teilhabeanspruch der Unionsbürger unvereinbar. Die Regelung hat zur Folge, dass ein uneingeschränkter Entschädigungsanspruch nur beim Verbleib in der Bundesrepublik besteht. Zwar ist es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH auch im Recht der sozialen Entschädigung zulässig, die Gewährung der Leistung von einer hinreichenden Verbindung des Berechtigten zur Gesellschaft des zuständigen Staats abhängig zu machen. Die Anknüpfungsmomente dürfen jedoch nicht so gewählt sein, dass die Inanspruchnahme der Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 AEUV mit dem Verlust sozialer Rechte einhergeht. Dies wäre allenfalls aus objektiven Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt. Der Wohnsitz im Inland bildet jedoch allenfalls ein Indiz für diese Verbundenheit mit dem zuständigen Staat.97 Zwar wollte der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung mit der Reform des BVG zum 1.8.2011 nachkommen, mit der er die Leistungserbringung in das Ausland geöffnet und zugleich einheitlich für alle Staaten ausgestaltet hat.98 Die freie Wahl des Aufenthaltsstaats wird jedoch auch nach der Neufassung des § 64 BVG unzulässig beeinträchtigt, da das Verlassen der Bundesrepublik mit dem teilweisen Verlust von Entschädigungsansprüchen einhergeht. Das Argument, der Inlandsaufenthalt sei erforderlich für die volle Leistungsberechtigung, um das Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen zu überprüfen, verfängt nicht, sind doch mildere, die Bewegungsfreiheit weniger beschränkende Mittel denkbar, um administrativen Bedürfnissen nachzukommen. Dies könnte beispiels95

Otting in Hauck/Noftz/Eichenhofer, EU-Sozialrecht, Art. 3 VO 883/04, Rn. 35. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 244; zustimmend Leube, ZESAR 2009, 176 (177). 97 EuGH, Slg. 2006, I-10451, Rn. 34 und 38 (Tas-Hagen); Slg. 2008, I-3993, Rn. 43 (Nerkovska); Slg. 2008, I-9029, Rn. 36 (Zablocka-Weyhermüller). 98 BT-Drs. 17/5311, S. 13. 96

B. Bewertung der Anknüpfungsmomente

371

weise darin gesehen werden, dass sich der Berechtigte zu Kontrolluntersuchungen regelmäßig im zuständigen Staat einzufinden habe und erst im Fall der Verweigerung die Leistungen auszusetzen.99 Das Primärrecht gebietet folglich den uneingeschränkten Export der Entschädigungsleistungen für in Deutschland verursachte bzw. veranlasste Gesundheitsschädigungen in alle Mitgliedstaaten der EU. Dies entspricht auch dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Cowan,100 in dem die Verbrechensopferentschädigung als Begleitregelung zur Dienstleistungsfreiheit eingeordnet wurde. Diese Überlegung lässt sich dahin verallgemeinern, dass der EuGH in der Gewaltopferentschädigung eine Garantie aller Grundfreiheiten sieht, stellt diese doch sicher, dass der rechtmäßige Aufenthalt in allen Mitgliedstaaten ohne Gefährdung der körperlichen Integrität wahrgenommen werden kann. 3. Assoziationsrecht Die Angehörigen der Staaten, mit denen die EU Assoziierungs- oder Kooperationsabkommen geschlossen hat, sind nicht kraft § 1 IV Nr. 2 OEG in der Opferentschädigung privilegiert.101 Zwar beinhalten die Abkommen Klauseln, die eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbieten. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich aber in personeller Hinsicht regelmäßig auf Arbeitnehmer und deren Angehörige und in sachlicher Hinsicht auf die im Rahmen der sozialen Vorsorge gesicherten sozialen Risiken.102 Leistungen der sozialen Entschädigung sind vom Assoziationsrecht folglich nicht erfasst.

III. Völkerrechtliche Bewertung Die Entschädigung der Opfer von Kriegen oder Gewalttaten war und ist Gegenstand völkerrechtlicher Übereinkommen. Ihre inhaltlichen Auswirkungen auf das nationale Recht sind jedoch beschränkt. Für die Kriegsopferversorgung existieren unverbindliche internationale Übereinkünfte, etwa die Empfehlungen der Haager Konferenz über die Gesetzgebung für ehemalige Kriegsteilnehmer und Kriegsopfer im Jahr 1961.103 Die Konferenz befürwortete den Export von Leistungen der Kriegsopferversorgung ins Ausland, da anderenfalls die Wahl des Wohnstaats insbesondere für die Kriegsopfer beeinträchtigt würde. Der Export dürfe jedoch von der Gewährleistung der Gegenseitigkeit abhängig gemacht werden.104 99

EuGH, Slg. 2008, I-3993, Rn. 45 (Nerkovska). EuGH, Slg. 1989, 195 (Cowan). 101 So aber Behn, ZfS 1993, 289 (293). 102 BSGE 78, 51 (52); 88, 103 (105); BSG, SozR 4–3800 § 1 Nr. 9, Rn. 18; BSG, SozR 3–3800 § 1 Nr. 13, Rn. 16; BSG, Urt. v. 6.3.1996 (9 RVg 10/95), Rn. 10 f. -juris. 103 Dazu Ruh, BVBl 1962, 31 (31). 104 Empfehlung VL-III/R 1, abgedruckt bei Ruh, BVBl 1962, 31 (35). 100

372

7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

Für die Entschädigung der Verbrechensopfer ist vor allem die Europäische Konvention über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten105 von Bedeutung. Danach ist der Staat zur Entschädigung verpflichtet, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen worden ist. Berechtigt sind sowohl die Angehörigen der Vertragsstaaten als auch die Angehörigen der Mitgliedstaaten des Europarats, die ihren ständigen Aufenthalt in dem Staat haben, in dem der Tatort belegen ist. Mit diesen Vorgaben steht § 1 OEG in Einklang, wenn der uneingeschränkte Zugang zu den Leistungen der Opferentschädigung an einen dauerhaften rechtmäßigen Aufenthalt gekoppelt ist. Auch für Flüchtlinge ist keine weiterreichende Anspruchsberechtigung aus dem Völkerrecht abzuleiten.106 Insbesondere gebietet Art. 7 II GFK, dass die Geltung von Gegenseitigkeitsklauseln erst nach einem Inlandsaufenthalt von drei Jahren keinen Grund mehr für die Leistungsversagung bilden darf. Möglicherweise ist aber aus der EMRK die absolute Gleichbehandlung aller sich im Inland aufhaltenden Personen in der Opferentschädigung abzuleiten. Der EGMR hat im Versagen des Staates, den Einzelnen vor Verletzungen an Leib und Leben zu schützen, den sachlichen Grund für die Einstandspflicht in der Opferentschädigung gesehen.107 In Anbetracht der großzügigen Rechtsprechung des EGMR zum Schutz sozialer Rechte als Eigentum i.S.v. Art. 1 ZP-EMRK dürfte wohl auch die soziale Entschädigung als solches zu qualifizieren sein. Zwar fehlt es an einer monetären Eigenleistung des Opfers, welche Anwartschaften auf Entschädigungsleistungen begründet. Eine solche Eigenleistung hat der EGMR jedoch auch bei den Leistungen der Sozialhilfe nicht für erforderlich angesehen.108 Für eine unzulässige Ungleichbehandlung i.S.v. Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 1 ZP-EMRK genüge es, dass eine Person, die im Übrigen alle Anspruchsvoraussetzungen erfülle, der Anspruch also allein an der Staatsangehörigkeit scheitere.109 Solche Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit sind nur zulässig, wenn sie von sachlichen Erwägungen getragen und verhältnismäßig sind. Wenn aber das Versagen des Staates bei der Verbrechensbekämpfung der tragende Grund der Opferentschädigung ist, kann die Staatsangehörigkeit des Opfers keinen Rechtfertigungsgrund für den Ausschluss der Entschädigung bilden.

105 Europäisches Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24.11.1983, BGBl. 1996 II S. 1120, 1121. 106 Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, § 1, Rn. 68. 107 EGMR, SozR 4–3800 § 1 Nr. 13, Rn. 42. 108 EGMR, ZESAR 2004, 142 (Poirrez). 109 Davy, ZIAS 2000, 221 (240); Hailbronner, JZ 1997, 397 (400).

C. Fazit

373

C. Fazit Zwar besteht kein einheitlicher Rechtsgrund für die soziale Entschädigung.110 Allen Leistungen gemeinsam ist jedoch die staatliche Veranlassung eines Gesundheitsschadens,111 der aber nicht notwendig durch hoheitlichen Zwang ausgelöst sein muss.112 Welche Tatbestände im Einzelnen die Gewährung einer Entschädigung gebieten, ist vom Gesetzgeber zu entscheiden.113 Die Anknüpfungspunkte für die Leistungsberechtigung dürfen jedoch nicht willkürlich gewählt werden. Sie müssen mit den zu entschädigenden Umständen im Einklang stehen. Freilich muss die Verantwortlichkeit des Staates tangiert sein, um dessen sozialrechtliche Zuständigkeit auszulösen.114 Diese Verantwortlichkeit leitet sich in der sozialen Entschädigung jedoch nicht aus dem Motiv der „Solidarität innerhalb der allgemeinen staatlichen Gefahrengemeinschaft“ ab.115 Die Verantwortung ist vielmehr aus der staatlichen Pflicht zum Schutz von Leib und Leben.116 Die Gewährung von Entschädigungsleistungen darf mithin nicht allein von der Zugehörigkeit zur staatlichen Gemeinschaft – sei es aufgrund Daueraufenthalts oder aufgrund der Staatsangehörigkeit117 – abhängig sein. Die durch das Opfer an Leben oder Gesundheit begründete Verbindung des Geschädigten zur Inlandsgesellschaft muss nicht auf Dauer angelegt sein. Auch ein kurzfristiger temporärer Bezug reicht aus. Die kollisionsrechtliche Abgrenzung der Zuständigkeit verschiedener Staaten muss sich also allein nach der Zurechenbarkeit des eingetretenen Schadens zur Verantwortung eines Staates richten,118 so dass richtigerweise allein die Anknüpfung an den Aufenthaltsort im Zeitpunkt des Eintritts des zur Entschädigung verpflichtenden Ereignisses (Tatortprinzip)119 geboten ist. Eine Ausnahme ist lediglich in der Kriegsopferversorgung angezeigt, sofern Schädigungen der Wehrdienstleistenden in Rede stehen. Bei diesen ist danach zu differenzieren, durch welchen Staat der militärische Dienst veranlasst war, 110 Schulin in Gitter/Schulin/Zacher, Festschrift für Krasney, S. 474; Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 89. 111 Schmidt-Klügmann, ZSR 1989, 257 (265); Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 117; Wulfhorst, Soziale Entschädigung, S. 89; Wulfhorst, VSSR 1997, 185 (188); zustimmend Voelzke in jurisPK-SGB I, § 5, Rn. 12; Kessler, ZfS 2001, 235 (236). So auch BSGE 54, 202 (203) für Impfschäden. 112 Schulin in Gitter/Schulin/Zacher, Festschrift für Krasney, S. 475. 113 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 722: „spezifisch nationale Angelegenheit“. 114 Voelzke in jurisPK-SGB I, § 5, Rn. 17; Zacher, ZIAS 2002, 193 (216). 115 So aber BSGE 49, 104 (105). 116 EuGH, Slg. 1989, 195, Rn. 17 (Cowan). So auch Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 724. 117 So aber Schmidt-Klügmann, ZSR 1989, 257 (269). 118 Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 724. 119 BSGE 90, 190 (194 f.); Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 501.

374

7. Kapitel: Zugang zu den Leistungen der sozialen Entschädigung

d.h. in wessen Diensten der Geschädigte stand. Diesem Staat ist der entstandene Schaden zuzurechnen, indem er den Einzelnen zur Leistung militärischer Dienste verpflichtet.120 Dies wird auf eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit hinauslaufen, darf aber freiwillig Dienstleistende anderer Staatsangehörigkeit nicht ausschließen.121 Bei den zivilen Kriegsopfern ist die Verantwortlichkeit des kriegsführenden Staates für die Tötung oder Verletzung fremder Staatsangehöriger dagegen evident, wird durch kriegerische Maßnahmen doch die bestehende territoriale Ordnung gestört. Die Verantwortung für die Kriegsopferentschädigung ist folglich nicht auf die Staatsbürger beschränkt, sondern erstreckt sich auf jeden durch die Kriegseinwirkungen geschädigten Menschen.122 Neben der Wahl der Anknüpfung gibt die causa der Entschädigung auch den Umfang der Leistungsberechtigung vor. Das besondere Opfer für die staatliche Gemeinschaft wird nicht dadurch geschmälert, dass sich der Geschädigte gewöhnlich in einem anderen Staat aufhält. Folglich kann auch die Leistungshöhe nicht vom Aufenthaltsort abhängen. Die angemessene Kompensation staatlich veranlasster Gesundheitsschäden verpflichtet vielmehr zum uneingeschränkten Leistungsexport in voller Höhe.123 Das Leistungsrecht der unechten Unfallversicherung ist insofern Vorbild für sämtliche Tatbestände sozialer Entschädigung.

120 So auch Schmidt-Klügmann, ZSR 1989, 257 (266): Zurechenbarkeit durch „Verantwortlichkeit für die Entscheidung über Krieg und Frieden“. Ebenso Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 725. 121 Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, Rn. 478. 122 Schmidt-Klügmann, ZSR 1989, 325 (332) stellt auf die Berechtigung des Einzelnen „als Weltbürger“ ab. 123 So bereits Hackspiel, NJW 1989, 2166 (2169).

375

8. Kapitel

Bewertung und Ausblick A. Systematisierung der Zugangskriterien Die Voraussetzungen, an die der Gesetzgeber den Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit knüpft, weisen zwei Dimensionen auf. Einerseits geben sie Aufschluss über das Maß an Solidarität, das eine wohlfahrtstaatlich verfasste Gesellschaft zu erbringen bereit ist. Denn die Etablierung von Anknüpfungskriterien führt nicht nur zur Öffnung der sozialen Sicherungssysteme für jene, die diese erfüllen; zugleich werden dadurch alle anderen Personen vom Zugang zu sozialer Sicherheit ausgeschlossen. Dieser Ausschluss wirkt jedoch nicht absolut – wenn man die Anknüpfungsregeln als Mechanismus zur Abgrenzung wohlfahrtstaatlicher Zuständigkeit versteht. Diese andere Dimension der Anknüpfung stellt sicher, dass die Zuständigkeit des Sozialstaats anhand klarer Regeln determiniert und jeder einzelne Mensch (zumindest) einem Staat zugeordnet werden kann.1 Die Anknüpfungsmomente müssen daher so gewählt werden, dass der Einzelne weder dem Sicherungssystem mehrerer Staaten unterliegt, also einer Doppel- oder gar Mehrfachsicherung, die zur Kumulation von Ansprüchen, aber auch zur Kumulation von Finanzierungslasten führt. Noch wichtiger ist das Anliegen, Sicherungslücken zu vermeiden. Unterliegt der von einem sozialen Risiko Getroffene der Zuständigkeit keines Staates, weil jede hoheitliche Gewalt die wohlfahrtstaatliche Verantwortung für diese Person ablehnt, führt dies zu sozialer Exklusion. Denn nicht nur die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen ist ausgeschlossen, sondern gleichermaßen das gleichberechtigte Leben in und die Teilhabe an der die Sozialleistung verweigernden Gesellschaft. Dieser Ausschluss beruht auf der Annahme, dass der Ausgeschlossene der Gemeinschaft nicht zugehörig ist und folglich ihrer Solidarität nicht bedarf. Die Annahme, der Wohlfahrtstaat führe den Zusammenhalt der „Nation“ herbei, wird in einer von Mobilität und Migration geprägten Welt in Frage gestellt. Die Zuordnung zu einer Gesellschaft stößt nämlich dann an ihre Grenzen, wenn diese nicht homogen – etwa durch gleiche Abstammung – zusammengesetzt ist.2 1 So auch Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (96); Zacher, ZIAS 2002, 193 (226). 2 Kleinert in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 351 f.

376

8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

I. Systematisierung nach Zweigen Die Anknüpfungsmomente können nicht für das gesamte Sozialrecht einheitlich bestimmt werden. § 30 I SGB I, welcher die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt vorgibt, wird für alle Leistungen sozialer Sicherheit modifiziert. ( siehe nebenstehende Übersicht) Die Staatsangehörigkeit des Berechtigten, die im Rahmen von § 30 I SGB I ohne Relevanz ist, wirkt sich in den einzelnen Leistungszweigen erheblich auf den Zugang aus. Soziale Förderung und soziale Entschädigung knüpfen – mit Ausnahme der unechten Unfallversicherung – explizit an die Staatsangehörigkeit an und statuieren erhebliche Wartezeiten, namentlich für Drittstaatsangehörige. In der Sozialversicherung ist die Anknüpfung davon getragen, dass ihre Leistungen aufgrund erworbener Rechte, namentlich eigener Beitragsleistungen des Berechtigten zu erbringen sind und folglich neutral ausgestaltet. Gleichwohl ist auch die Aufnahmebereitschaft des Arbeitsmarktes entscheidend für den Zugang zur Sozialversicherung, bedürfen Ausländer doch einer Genehmigung, um eine Beschäftigung auszuüben.3 Selbst die allein an den Inlandsaufenthalt anknüpfenden Leistungen wie die Sozialhilfe werden nicht durch die bloße physische Präsenz vermittelt. Das AufenthG statuiert die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Aufenthaltsbegründung und fordert hierfür explizit die Fähigkeit zur eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts. Die Begründung des Aufenthalts und damit der Zugang zu den Leistungen der Sozialhilfe sind daher faktisch auf die Personen beschränkt, die dieser Leistungen auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht bedürfen. Der Bezug von Leistungen der Sozialhilfe kann ferner die Ausweisung zur Folge haben. Anders als die deutsche Staatsangehörigkeit – die zwar bei Bedürftigkeit schwerer zu erwerben,4 jedenfalls aber nicht zu entziehen ist – kann die Aufenthaltsberechtigung entzogen werden. Der fortdauernde Inlandsaufenthalt entscheidet zudem über die Höhe und den Umfang der Leistungsberechtigung. Dies gilt in der sozialen Entschädigung, deren Leistungen nur in eingeschränktem Umfang ins Ausland exportiert werden, ebenso wie im Sozialversicherungsrecht, in dem beispielsweise nur Kindererziehungszeiten im Inland in der Rentenversicherung berücksichtigt werden oder bei Auslandsaufenthalten das Ruhen der Leistungsberechtigung angeordnet ist. Auch hier ist die Staatsangehörigkeit faktisch ein Differenzierungskriterium,5 ist es doch insbesondere bei Arbeitsmigranten wahrscheinlich, dass sie die Bundesrepublik nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben weder verlas3 Kleinert in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 354; Mohr, ZfSoz 2005, 383 (386). 4 § 10 I 1 Nr. 3 StAG 5 Hailbronner, VSSR 1992, 77 (84 f.).

A. Systematisierung der Zugangskriterien

Leistungsart

Anknüpfungskriterium

Sozialversicherung

Inlandsbeschäftigung, § 3 I SGB IV

377

Soziale Hilfen Grundsicherung für Arbeitsuchende

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Sozialhilfe

gewöhnlicher Inlandsaufenthalt, § 7 I Nr. 4 SGB II zusätzlich für Ausländer: Daueraufenthaltsrecht oder vorangegangene Inlandsbeschäftigung, § 7 I 2 SGB II gewöhnlicher Inlandsaufenthalt, § 41 I SGB XII tatsächlicher Inlandsaufenthalt, § 23 SGB XII

Soziale Förderung Kindergeld

Elterngeld

Ausbildungsförderung

gewöhnlicher Inlandsaufenthalt, § 1 I BKGG, § 62 I EStG zusätzlich für nichtfreizügigkeitsberechtigte Ausländer: Inlandsbeschäftigung, § 1 III BKGG, § 62 II EStG gewöhnlicher Inlandsaufenthalt, § 1 I BEEG zusätzlich für nichtfreizügigkeitsberechtigte Ausländer: Inlandsbeschäftigung, § 1 VII BEEG deutsche Staatsangehörigkeit, § 8 I Nr. 1 BAföG, § 63 I Nr. 1 SGB III für Ausländer: Daueraufenthalt oder (langjährige) Inlandsbeschäftigung, § 8 I – IIa BAföG, § 63 I – IIa SGB III

Soziale Entschädigung Kriegsopferentschädigung

deutsche Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit, § 7 I Nr. 1 BVG Dienst in der deutschen Wehrmacht oder mit einem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation, § 7 I Nr. 2 BVG gewöhnlicher Inlandsaufenthalt und Schädigung durch Kriegshandlungen in Deutschland, § 7 I Nr. 3 BVG

Verbrechensopferentschädigung

tätlicher Angriff in der Bundesrepublik und deutsche Staatsangehörigkeit, Unionsbürgerschaft oder Gewährleistung der Gegenseitigkeit, § 1 I, IV OEG für sonstige Ausländer: dauerhafter Inlandsaufenthalt oder Verwandtschaft mit einem Deutschen oder privilegierten Ausländer, § 1 V, VI OEG

Unechte Unfallversicherung

Vornahme der zu entschädigenden Handlung im Inland, § 2 III 4 SGB VII

378

8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

sen. Die endgültige, uneingeschränkte und unauflösbare Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft steht und fällt folglich mit der Staatsangehörigkeit!6

II. Systematisierung nach Normadressaten Der Ein- und Ausschluss in das System sozialer Sicherheit ist nicht nur vom jeweiligen Zweig und den daran anknüpfenden Charakteristika – Steuer- oder Beitragsfinanzierung, Existenz- oder Statussicherung – abhängig. Denn die Leistungssysteme unterscheiden nicht nur zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Vielmehr lässt sich eine Abstufung im Zugang verschiedener Gruppen von Migranten feststellen, welche auf das AufenthG zurückführen ist.7 1. Aufenthaltsrechtlich begründete Schichtung Durch die Interdependenz von Aufenthalts- und Sozialrecht wird letztlich eine mehrfache Stratifizierung8 sozialen Schutzes herbeigeführt: der unterschiedliche aufenthaltsrechtliche Status bedingt Unterschiede im Zugang zu den Systemen sozialer Sicherheit.9 Als Vollmitglieder stehen die deutschen Staatsangehörigen an erster Stelle, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Staatsangehörigkeit durch Geburt oder durch Einbürgerung erworben worden ist. Von der Staatsbürgerschaft als Schlüssel zum vollen Zugang profitieren auch die deutschen Volkszugehörigen.10 Für sie wird in der Sozialversicherung fingiert, dass sie ihr gesamtes Erwerbsleben in der Bundesrepublik verbracht und Beiträge entrichtet haben. Hier wird die historisch begründete starke Orientierung des deutschen (Ausländer)Rechts an der Abstammung noch immer sichtbar. An zweiter Stelle stehen die Personen, deren Aufenthalt faktisch nicht beendet werden kann: die Staatenlosen. Ihre sozialrechtliche Gleichstellung ist durch Völkerrecht geboten, gründet aber letztlich im Übergang der wohlfahrtstaatli6 So auch Mohr, ZfSoz 2005, 383 (387); Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 93; Kvistad in Kurthen/Fijalkowski/Wagner, Immigration, Citizenship and the Welfare State in Germany and the United States, S. 142: „… successful political incorporation in Germany is necessary for secure social incorporation.“ 7 Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (4); Kleinert in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 355. 8 Grundlegend zur sozialen Schichtung Stichweh in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 242 ff. 9 Davy, ZESAR 2010, 307 (308); Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (54); Zacher, ZIAS 2002, 193 (238); Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 28; Mohr, ZfSoz 2005, 383 (385). Brubaker, Staats-Bürger, S.48 beschreibt dieses Phänomen als „territoriale Schließung“. 10 Kvistad in Kurthen/Fijalkowski/Wagner, Immigration, Citizenship and the Welfare State in Germany and the United States, S. 148; Geddes in Spencer, The Politics of Migration, S. 159.

A. Systematisierung der Zugangskriterien

379

chen Verantwortlichkeit auf die Bundesrepublik, da es keinen Staat gibt, in den der Betreffende verwiesen werden könnte. Dieser Status gleicher Rechte, also die faktische „Einbürgerung“, begründet zwar nicht die formelle Staatsangehörigkeit, aber den Status der denizenship.11 Anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte können faktisch zwar ebenfalls nicht auf das Herkunftsland verwiesen werden.12 Ihr gleichberechtigter Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit ist daher – durch völkerrechtliche Anordnung im Rahmen der GFK – sichergestellt. Gleichwohl ist ihre aufenthaltsrechtliche Position nicht unantastbar, wird ihnen doch zunächst nur ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsrecht erteilt, § 26 I 2 AufenthG. Erst wenn danach die Flucht- bzw. Asylgründe weiterhin bestehen, kann ihnen ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt werden, § 26 III AufenthG. Auch bei Unionsbürgern sowie Angehörigen der EWR-Staaten besteht kein den Inländern völlig äquivalentes Aufenthaltsrecht. Ihnen ist zwar Bewegungsfreiheit in der gesamten EU eingeräumt. Jedoch steht diese in vollem und unbeschränktem Maße nur denjenigen zu, die ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können, Art. 7 I lit. b) RL 2004/38/EG. Erst nach einem fünfjährigen Aufenthalt wird das Daueraufenthaltsrecht erworben, welches nach Art. 16 I RL 2004/38/EG unabhängig von jedweden Voraussetzungen besteht. Zuvor ist die Ausweisung Bedürftiger möglich – sofern sie „unangemessen“ Sozialleistungen in Anspruch nehmen und nicht nach Arbeit suchen, Art. 14 I, IV RL 2004/38/EG. Wegen dieser im Vergleich zu Flüchtlingen, Asylberechtigten und Staatenlosen etwas eingeschränkten aufenthaltsrechtlichen Position13 werden Unionsbürger und die ihnen gleichgestellten Angehörigen der EWR-Staaten hier erst an dritter Stelle aufgeführt, wenngleich deren Zugehörigkeit zur Gruppe der denizens gleichwohl ohne Weiteres gegeben ist. Dieser Status kommt auch Drittstaatsangehörigen zu, die über eine Niederlassungserlaubnis verfügen. Diese genießen zwar den unbeschränkten Zugang zu den Leistungen sozialer Sicherheit, könnten aber nach § 56 I 2 AufenthG aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Ihr Aufenthaltsrecht ist daher nicht ebenso sicher wie das der Deutschen oder der Staatenlosen.14 Eine Zwischenposition nehmen die über das Assoziationsrecht dem Status der EU-Bürger angenäherten türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen ein. Sie sind im Hinblick auf die Qualität ihrer Aufenthaltsrechte und das 11 Von denizen = Bewohner (engl.); Vink, Limits of European Citizenship, S. 69; Hammar, Democracy and the Nation State, S. 13 ff; Geddes in Spencer, The Politics of Migration, S. 151; Soysal, Limits of Citizenship, S. 138. 12 Ihnen fehlt die Schutzansprüche vermittelnde Zugehörigkeit zum Herkunftsland, vgl. Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 88 f. 13 Auf die Beschränkungen des Aufenthaltsrechts von Unionsbürgern verweisen auch Davy, ZESAR 2010, 307 (319) sowie Schönberger, Unionsbürger, S. 309. 14 Davis, ELRev 2002, 27(2), 121 (124).

380

8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

Ausmaß ihrer sozialrechtlichen Gleichstellung den Deutschen nicht vollständig gleichgestellt. Ihr Zugang zu Aufenthalt und sozialen Rechten ist vielmehr an die rechtmäßige Erwerbstätigkeit im Inland geknüpft. Ihr Status ist gleichwertig mit den Angehörigen der Staaten, mit denen die Bundesrepublik bilaterale Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, sollen diese doch ebenfalls in erster Linie die Arbeitskräftemigration erleichtern und sozialrechtlich flankieren. Dieser Übergangsgruppe15 sind ferner Drittstaatsangehörige zuzuordnen, die über eine befristete Aufenthaltserlaubnis verfügen. Ihnen steht der Aufstieg in die Gruppe der denizens offen, wenn sie – so die Regelung in § 9 II AufenthG – seit fünf Jahren über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen und ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können.16 Asylbewerber und Geduldete sowie andere Personen, deren Aufenthalt als lediglich vorübergehend eingestuft wird, sind der Schicht der so genannten margizens zuzuordnen.17 Wegen der Ungewissheit ihres weiteren Aufenthalts im Inland sind sie aus dem regulären sozialen Sicherungssystem weitgehend ausgegliedert. Ihnen werden über die Dauer von vier Jahren lediglich minimale Leistungen nach dem AsylbLG gewährt. Indes sind sie nach Ablauf eines Jahres – dies betrifft nur Asylbewerber und Inhaber einer Duldung – zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, in deren Rahmen sie den Schutz der Sozialversicherung erlangen können. Die Marginalisierung besteht daher vorübergehend und schwerpunktmäßig im Recht der sozialen Hilfen. Dies macht wiederum die Gegenleistungsbezogenheit der Sozialversicherungsleistungen deutlich: wer Beiträge entrichtet, kann – im Grunde – auch Leistungen in Anspruch nehmen, jedenfalls solange er die Bundesrepublik nicht verlässt. In der unteren Schicht sind die Personen anzusiedeln, die über keinerlei aufenthaltsrechtlichen Status verfügen. Ihnen ist zwar über menschenrechtliche Garantien ein Recht auf Unterstützung eingeräumt. Ebenso können sie, sofern sie einer mehr als geringfügigen Beschäftigung nachgehen, ein Sozialversicherungsverhältnis begründen. Ihnen ist jedoch faktisch der Zugang zu jedweder Leistung sozialer Sicherheit versperrt, riskieren sie mit deren Inanspruchnahme doch die Entdeckung und damit die Gefahr ihrer Ausweisung und Abschiebung.18

15

Mohr, ZfSoz 2005, 383 (387). Eingehend zur Gruppe der Gastarbeiter Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 98 ff. 17 von margin = Rand, Saum (engl.); Mohr, ZfSoz 2005, 383 (390); so auch Kvistad in Kurthen/ Fijalkowski/Wagner, Immigration, Citizenship and the Welfare State in Germany and the United States, S. 147. 18 Mohr, ZfSoz 2005, 383 (389); eingehend Kapuy, The social security position of irregular migrant workers, S. 167 f. 16

381

A. Systematisierung der Zugangskriterien

Deutsche Staatsangehörige und Volkszugehörige

Vollmitgliedschaft

Staatenlose

denizen

anerkannte Flüchtlinge

Unionsbürger

Asylberechtigte

Angehörige der EWR-Staaten

Türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen

Inhaber einer Niederlassungserlaubnis

Angehörige der Abkommensstaaten

Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltserlaubnis

Asylbewerber

Inhaber einer Duldung

Personen mit vorübergehendem Aufenthalt

Personen ohne Aufenthaltsstatus

denizen

denizen

Zwischenstatus

Zwischenstatus

margizen Exklusion

2. Sozialrechtlich begründete Schichtung Neben dem aufenthaltsrechtlichen Status hindern die Rahmenbedingungen des Sozialrechts die volle Gleichbehandlung von Migranten und Deutschen. Dies gilt namentlich für die vermeintlich territorial beschränkte Befugnis des Sozialstaats zur Leistungsgewährung, auf die sich die Anhänger des „Territorialprinzips“ berufen. Die Anwendung dieses Prinzips hat zur Folge, dass erworbene soziale Rechte faktisch nicht eingelöst werden können. Die unbilligen Folgen manifestieren sich insbesondere in der gesetzlichen Rentenversicherung: Migranten, die nach Ende ihrer Erwerbstätigkeit wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren, die also vom standardisierten Lebensverlauf eines „gewöhnlichen“ Versicherten abweichen,19 können trotz langjähriger Entrichtung von Beiträgen ihre Anwartschaften nicht in vollwertige – äquivalente – Leistungsansprüche umwandeln. Denn die Entgeltpunkte von Drittstaatsangehörigen werden nur zu 70 % berücksichtigt, wenn sie ihren Aufenthalt in einen Drittstaat verlegen.20 19

Mohr, ZfSoz 2005, 383 (386). Dazu kritisch Schumacher, ZESAR 2011, 368 (368); allgemein zur Behinderung der Arbeitskräftemigration durch den Ausschluss des Leistungsexports Leibfried in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 87. 20

382

8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

Im Sozialhilferecht erhalten Deutsche auch bei Aufenthalt im Ausland Leistungen – allerdings insoweit beschränkt, als diese lediglich die Rückkehr ins Inland ermöglichen sollen. Drittstaatsangehörige haben – selbst wenn sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten – nur einen eingeschränkten Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe und sind insofern schlechter gestellt als Deutsche und Unions- oder EWR-Bürger. Bei den Leistungen der Grundsicherung, der sozialen Förderung und der sozialen Entschädigung erfolgt hingegen keine Differenzierung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Dies betrifft sowohl die Höhe der Leistungssätze als auch den Umfang der Exportpflicht bei Auslandsaufenthalt des Berechtigten. Die dargestellte ausdifferenzierte aufenthaltsrechtliche Schichtung spiegelt das Sozialrecht nur begrenzt wieder. Die sozialrechtlich bedingte Stratifizierung ist nicht durch die Qualität des Aufenthaltsstatus, sondern unmittelbar durch die Staatsangehörigkeit bedingt, werden die Differenzierungen zwischen Deutschen und Ausländern nach nationalem Recht doch durch das Unionsrecht für die EU- und EWR-Bürger abbedungen. Ebenfalls privilegiert aufgrund des Assoziierungsrechts sind türkische Staatsangehörige. Sie sind zwar dem Status der Unionsbürger angenähert, werden aber außerhalb der Sozialversicherung ungleich behandelt. Angehörige der Staaten, die Sozialversicherungsabkommen mit der Bundesrepublik abgeschlossen haben, sind Deutschen in einzelnen Zweigen sozialer Sicherheit gleichgestellt – in der Regel in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung – dies aber auch nur, soweit Gegenseitigkeit besteht. Ist dies der Fall, werden ausländische Versicherungszeiten wie inländische behandelt, Leistungen werden exportiert. Alle anderen Drittstaatsangehörigen repräsentieren die dritte Schicht. Faktisch ausgeschlossen bleiben wiederum Personen ohne Aufenthaltsstatus. Deutsche Staatsangehörige und Volkszugehörige Unionsbürger

Angehörige der EWR-Staaten

Türkische Arbeitnehmer

Vollmitgliedschaft denizen

Angehörige von Abkommensstaaten

denizen

sonstige Drittstaatsangehörige

Teilinklusion

Personen ohne Aufenthaltsstatus

Exklusion

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

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Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus wirken sich folglich nicht nur auf das „Ob“ des Zugangs zu den Leistungen sozialer Sicherheit aus, sondern entscheiden auch über Umfang und Qualität der Leistungsberechtigung.

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung? Europarecht überwindet die traditionell im nationalen Recht angelegten Unterschiede zwischen „eigenen“ und „fremden“ Bürgern. Dies geschieht auf der aufenthaltsrechtlichen ebenso wie auf der sozialrechtlichen Ebene. Denn Europarecht bewirkt mit seinen primärrechtlichen Freizügigkeitsgewährleistungen nicht nur eine Rechtserweiterung im Hinblick auf die Freiheit der Einreise und Aufenthaltsbegründung. Im Sozialversicherungsrecht verbietet es zudem, die Leistungsgewährung vom Inlandsaufenthalt des Berechtigten abhängig zu machen und gebietet die Berücksichtigung anspruchsbegründender Umstände, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet haben. Von weitaus größter Bedeutung ist jedoch das allgemeine soziale Teilhaberecht, welches der EuGH aus der Trias Art. 20 – 21 – 18 AEUV hergeleitet hat. Über das Zusammenwirken der Freizügigkeitsrechte mit dem Anspruch auf Nichtdiskriminierung erwächst Unionsbürgern unmittelbar ein Anspruch auf Leistungen in allen Teilsystemen sozialer Sicherheit, selbst wenn diese nach nationalem Recht nur für die „eigenen“ Staatsangehörigen vorgesehen sind. Dies geht weit über die einfachgesetzlich normierten Diskriminierungsverbote im Sozialrecht hinaus, schließen diese doch – wie § 30c SGB I – die Begründung von Ansprüchen allein aus dem Diskriminierungsverbot explizit aus. Gesetzgeberische Unterscheidungen zwischen In- und Ausländern sollen dadurch unangetastet bleiben, d.h. Gleichbehandlung wird nur im Rahmen der gesetzlich statuierten Ansprüche gewährleistet. Insbesondere dieser letzte Aspekt des Unionsrechts bewirkt folglich eine Universalisierung sozialer Rechte: Ansprüche können nicht mehr unter Berufung auf die vermeintlich fehlende Zugehörigkeit zur Inlandsgesellschaft verweigert werden. Diese rechtserweiternden Dimensionen des Unionsrechts bewirken einen grundlegenden Wandel des Sozialstaats in seiner hergebrachten Form. Die Gleichung Sozialstaat = Nationalstaat lässt sich nicht länger aufrechterhalten, rührt das Unionsrecht doch an sämtlichen, nach der Jellinekschen Lehre Staatlichkeit konstituierenden Elementen: Staatsgewalt, Staatbürger und Staatsgebiet. Zwar ersetzt die Europäische Union den als Nationalstaat organisierten Sozialstaat nicht,21 verändert aber die nationalstaatliche Konzeption von Sozialstaatlichkeit fundamental. 21 Leibfried in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 80; Müller/Hettlage in Müller/Hettlage, Die europäische Gesellschaft, S. 13; Hailbronner, JZ 2005, 1138 (1143).

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

I. Befugnis zur eigenständigen Ausgestaltung des (Sozial)Rechts Die Staats- oder Hoheitsgewalt – die durch das Votum der wahlberechtigten Staatsbürger zu legitimieren ist – versetzt den Staat in die Lage, seine Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln. Dies erfordert, dass dem Staat „hinreichend bedeutsame eigene Aufgabenfelder … von substanziellem Gewicht“ verbleiben.22 Staatsgewalt umfasst namentlich die Befugnis, Menschen den Zugang zum eigenen Territorium zu gewähren oder diesen zu verweigern, sei es durch Gestattung oder Nichtgestattung der Einreise oder durch die Ausweisung von „Fremden“.23 Auch die Regelung sozialrechtlicher Angelegenheiten ist eine typische Domäne des Nationalstaats.24 Die Mitgliedstaaten haben seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften einen Teil ihrer Souveränität auf diese übertragen. Als supranationales Recht genießt das Europarecht Geltungs- und Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Der Vorrang umfasst sämtliches nationales Recht, auch das Verfassungsrecht.25 Dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsakte bleiben danach unanwendbar, wenn und soweit der materielle Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts eröffnet ist. Es wird daher behauptet, die Mitgliedstaaten seien zu „postsouveränen Nationalstaaten“26 geworden. Die Staatengemeinschaft hat jedoch keine eigenständige Souveränität erlangt, fehlt es ihr doch insbesondere an der Kompetenz-Kompetenz, i.e. an der Befugnis, eigene Zuständigkeiten zu schaffen.27 Die EU bildet folglich keinen föderalen Bundesstaat, welcher die Bundesrepublik ihres völkerrechtlichen Status als souveräner Staat entheben würde.28 Wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität ist die Union nach Art. 4 I, 5 I, II EUV in ihrer Rechtsetzungsbefugnis vielmehr auf die Gegenstände beschränkt, für die ihr die Mitgliedstaaten ausdrücklich die Zuständigkeit eingeräumt haben. Das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 III EUV stellt darüber hinaus sicher, dass die Rechtssetzung auf supranationaler Ebene nur dort in Betracht kommt, wo eine einzelstaatliche Regelung im Hinblick auf die verfolgten Ziele ungeeignet ist.29 Sowohl in der Sozialpolitik als auch in den Angelegenheiten des Raums der Frei22

BVerfGE 89, 155 (186) (Maastricht). Zacher, ZIAS 2002, 193 (208). 24 Dazu bereits ausführlich auf S. 2. 25 H.M., vgl. nur Ruffert in Calliess/Ruffert, EVG/EUV, Art. 1 AEUV, Rn. 19; a.A. Sodan, JZ 2002, 53 (59). 26 Schulte, ZFSH/SGB 2002, 328 (328) 27 Statt vieler Calliess in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (16 f.); ausführlich Oppermann in Epiney/Haag/Heinemann, Die Herausforderung von Grenzen, S. 397 ff. 28 BVerfGE 89, 155 (188 ff.) (Maastricht). 29 Damit sollen die Nationalstaaten vor einer Erosion ihrer Zuständigkeiten geschützt werden, BVerfGE 89, 155 (210 f.) (Maastricht). 23

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

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heit, der Sicherheit und des Rechts teilen sich die Union und die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit, Art. 4 II lit. b) und j) AEUV. Beide Entitäten können insofern verbindliche Rechtsakte erlassen – die Mitgliedstaaten jedoch nur, wenn und soweit die Union von der ihr eingeräumten Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, Art. 2 II AEUV. Der vormals strikt national begrenzten Rechtssetzungskompetenz ist damit in einem Mehrebenen-System30 die geteilte Zuständigkeit der EU zur Seite gestellt. Das in seinem ganzen rechtlichen Gehalt unklare Konzept des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ergänzt den Binnenmarkt 31 und berechtigt die Union zur Regelung der Mobilität von Personen innerhalb ihres Gebietes, insbesondere den Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen und die Etablierung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik, Art. 67 II AEUV.32 Insofern ist die Frage, wer unter welchen Voraussetzungen Zugang zum nationalstaatlichen Territorium erhalten soll, der eigenständigen Regelung der Mitgliedstaaten wenngleich nicht in Gänze entzogen, doch in erheblichem Umfang auf die Union übergegangen.33 Bei der Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme haben die Mitgliedstaaten zwar die Vorgaben des Primärrechts zu beachten. 34 Ihre Befugnis zur Festlegung von Struktur und Prinzipien sozialer Sicherheit, namentlich dem geschützten Personenkreis, den abgedeckten Risiken, dem Modus der Finanzierung und der Leistungsvoraussetzungen im Einzelnen, bleibt nach der ausdrücklichen Bestimmung in Art. 153 IV AEUV jedoch unangetastet.35 Das Primärrecht enthält keine Rechtsgrundlage für eine Harmonisierung, noch werden der EU substanzielle Kompetenzen im Recht der sozialen Sicherheit übertragen, wiewohl der tatsächliche Einfluss des Unionsrechts auf das nationale Sozialrecht unbestreitbar ist: die Etablierung der Unionsbürgerschaft, der Unionsbürgerfreizügigkeit und des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit haben die Spielräume der Nationalstaaten für die Etablierung von Einund Ausschlusskriterien erheblich eingeschränkt.36 Den Unionsbürgern ist daraus ein sozialrechtlicher Teilhabeanspruch erwachsen, den die Mitgliedstaaten 30 Dieser Begriff wurde etabliert von Leibfried, vgl. nur Leibfried in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 80. 31 Suhr in Calliess/Ruffert, EGV/EUV, Art. 67 AEUV, Rn. 73. 32 So genanntes Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1 ff. 33 Calliess in Calliess/Ruffert, EGV/EUV, Art. 4 AEUV, Rn. 19; Weber, EuZW 2008, 7 (13). 34 Statt vieler EuGH, Slg. 1998, I-1831, Rn. 23 (Decker); Slg. 1998, I-1931, Rn. 19 (Kohll). 35 Vgl. auch die st. Rspr. des EuGH, Slg. 1984, 523, Rn. 16 (Duphar); Slg. 1993, I-637, Rn. 6 (Poucet Pistre); Slg. 1997, I-3395, Rn. 27 (Sodemare); Slg 2001, I-5473, Rn. 44 (Geraets-Smits/ Peerbooms). 36 Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (70); Zacher, ZIAS 2002, 193 (277); Schulte, ZFSH/SGB 2002, 328 (328) sowie 387 (388).

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

nicht durch eine Abschottung ihrer Sicherungssysteme für Migranten beschränken dürfen. Dieser Teilhabeanspruch gründet zwar im europäischen, richtet sich aber auf das nationale Recht. Strukturen und Kompetenzgefüge räumen der EU keine Möglichkeit ein, eigene sozialstaatliche Garantien zu etablieren. Die Sicherung der menschenwürdigen Existenz bleibt folglich weiterhin eine ureigene und eigenverantwortlich zu bewältigende Aufgabe der Mitgliedstaaten.37

II. Wandel der territorialen Anknüpfung für sozialen Schutz Indes hat das Staatsgebiet als konstituierendes Element von Staatlichkeit an Schärfe und damit an Bedeutung als taugliches Abgrenzungsmoment für die Begründung und Gewährung sozialen Schutzes verloren. Denn die Mitgliedstaaten teilen das Staatsgebiet mit der EU, vgl. Art. 52 EUV, 355 AEUV.38 Ziel der europäischen Politik ist seit jeher die Überwindung der durch die Nationalstaaten gezogenen Binnengrenzen: die europäische Integration bewirkt eine „Institutionalisierung von Grenzüberschreitungen und Grenzüberwindungen“.39 Die Steuerung der Einwanderung verfolgt typischerweise das Ziel, „Freiheit und Wohlfahrt sowie Politik und Kultur einer Gruppe von Menschen zu bewahren, die sich einander und einem gemeinsamen Leben verpflichtet fühlen“.40 Durch die europäische Integration ist diese territoriale Selbstbestimmung nicht in ihren Grundfesten berührt. Sie ist den Mitgliedstaaten jedoch insoweit entzogen, als es sich um die Zuwanderung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten handelt. Seinen Grund hat dies in den Freizügigkeitsgarantien des Primärrechts, welche letztlich aber auch „nur“ der Annahme Ausdruck verleihen, dass die Unionsbürger gemeinsame Werte teilen und daher einander freiheitlich verbunden sind. Die Außengrenzen der Bundesrepublik sind zumindest für Unionsbürger keine Hürde mehr, die es zu überwinden gilt, um den nach § 30 I SGB I für die Eröffnung des Anwendungsbereichs inländischen Sozialrechts maßgeblichen Inlandsaufenthalt zu begründen. Aber auch der spezifisch sozialrechtliche Gehalt von Territorialität hat an Bedeutung verloren. Namentlich durch das europäische koordinierende Sozialrecht ist der Inlandsaufenthalt als Leistungsvoraussetzung außer Kraft gesetzt. Die herkömmliche Differenzierung zwischen Inlands- und Auslandsaufenthalt ist um die unionsrechtliche Dimension zu erweitern, so dass als sozialrechtlich relevante Gebiete das Inland (des zuständigen Staats), das Unionsgebiet und das

37 BVerfGE 123, 267 (361 f.) (Lissabon); vgl. auch Davy, ZESAR 2010, 307 (308); Schulte, ZFSH/SGB 2002, 328 (331). 38 Callies in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 7 (17). 39 Bach in Hettlage/Müller, Die europäische Gesellschaft, S. 179; ähnlich Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 227. 40 Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 76.

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

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Territorium sonstiger Staaten zu unterscheiden sind.41 Eine wesentliche Folge dieser Durchbrechung territorial gebundener Leistungsgewährung ist die Verpflichtung zum Export von Leistungen der Sozialversicherung und besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen ebenso wie die Verpflichtung zur Berücksichtigung von anspruchsbegründenden oder -erhöhenden Umständen und Tatbeständen, die sich in anderen Mitgliedstaaten ereignet haben. Koordinierendes Sozialrecht hebt folglich die Gebundenheit sozialer Rechte an das (bzw. den Aufenthalt im) Gebiet des zuständigen Staates auf.42 Von Bedeutung ist das Staatsgebiet daher nur noch insoweit, als der Wohlfahrtsstaat Verantwortung für all jene zu übernehmen hat, die sich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten.43

III. „Staatsvolk“ und personale Anknüpfung für soziale Inklusion Dass die hergebrachte Bindung des Sozialbürgerstatus an die politische Mitbestimmung – verstanden als das an die Staatsangehörigkeit gekoppelte Wahlrecht zu den demokratischen Institutionen des Staates44 – an Wirkmacht verliert, ist evident. In den vorangegangenen Kapiteln wurde nachgewiesen, dass der Zugang zu sozialer Sicherheit nicht vom Innehaben eines bestimmten Passes abhängig sein darf. 1. Soziale Inklusion als Mitgliedschaftsrecht Soziale Inklusion bezieht ihre Rechtfertigung aus der Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer zu definierenden, homogenen Gemeinschaft: wer außerhalb dieser Gemeinschaft steht, kann sich deren Solidarität45 nicht versichern.46 Dies ist nicht zuletzt Ausdruck des Gesellschaftsvertrags. Dieser – freilich nicht explizit abgeschlossene, sondern nur angenommene – Vertrag definiert das Maß der Rechte und Pflichten des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit. Der Mensch genießt danach keine unbeschränkte Freiheit, sondern ist aufgrund seiner Eingliederung in die Gesellschaft Einschränkungen unterworfen.47 Positiv lässt sich diese Annahme so formulieren, dass der Einzelne, weil er in die Gesellschaft ein41

Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (5). Kingreen, EuR 2010, 338 (350): koordinierendes Sozialrecht bewirkt die „territoriale Erstreckung“ nationalen Sozialrechts. 43 Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (53). 44 BVerfGE 83, 37 (51). 45 Zu den Schwierigkeiten der Begriffsbestimmung vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 244 ff.; Poferl in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 136 ff. 46 Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen, S. 53; Sachße, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 107 (108). 47 Rousseau, Le Contrat Social, Livre I, Chapitre 6 sowie Livre II, Chapitre 4. 42

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

gegliedert und dieser zugehörig ist, bestimmte Leistungen beanspruchen kann. Als moralische Verbindung, die den allgemeinen Konsens unter den Mitgliedern der Gesellschaft repräsentiert, bestimmt der Gesellschaftsvertrag, inwieweit und in welchen Bedürfnislagen die Mittel der Gemeinschaft umzuverteilen sind.48 Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft vermag zwar emotionale und affektive Verbundenheit und das „Gefühl“ von Solidarität und gegenseitiger Verantwortung auslösen, führt aber nicht per se zur Umverteilung von Wohlstand. Sozialen Einschluss zu vermitteln ist Aufgabe des Wohlfahrtsstaates, welcher den rationalen und verbindlichen Rahmen für Solidarität bildet und kraft der Mitgliedschaft in seinem Verband individuelle Ansprüche auf soziale Sicherheit vermittelt.49 Wenn aber Europarecht die Migration der Unionsbürger im Territorium der Europäischen Union zum rechtlichen Normalzustand erklärt, 50 ist für eine auf die Gemeinschaft der Staatsangehörigen beschränkte Inklusion kein Raum. Erforderlich ist vielmehr, „dass sich das politische Gemeinwesen offenhält für die Einbeziehung von Bürgern jeder Herkunft, ohne diese Anderen in die Uniformität einer gleichgearteten Volksgemeinschaft einzuschließen.“51 2. Rechtfertigung von Exklusion Die Exklusivität (nationaler) Systeme sozialer Sicherheit ist nicht per se unerträglich – werden die ausgeschlossenen Personen anderswo gleichwertig abgesichert, ist sie durchaus vertretbar. Im Einzelfall ist die Abgrenzung des Verantwortungsübergangs von einem sozialstaatlichen System auf ein anderes schwierig. Der Gesetzgeber ist daher gezwungen, Kriterien für die Eröffnung seiner eigenen Zuständigkeit zu etablieren. In einer humanitär geprägten Gesellschaft darf der Ein- oder Ausschluss freilich nicht willkürlich erfolgen. Er bedarf der Rechtfertigung, deren Gründe regelmäßig zwischen zwei Polen angesiedelt sind: der Befürwortung staatlicher Autonomie und Souveränität zur Steuerung von Migration einerseits und der Berücksichtigung individueller Interessen der Wanderungswilligen, die ihren Ausschluss aus bestimmten gesellschaftlichen Systemen als Verletzung der Gleichheitsrechte begreifen könnten.52 Typischerweise orientiert sich die – rechtspolitisch motivierte – Wahl der Ein- und Ausschlusskriterien an folgenden Erwägungen: der Schutzbedürftigkeit der Migranten, der An48

Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 133. Kritisch zur Vertragstheorie Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 437 ff. Im Ergebnis auch Geddes in Spencer, The Politics of Migration, S. 152 f.; Davy, ZESAR 2010, 307 (308); Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (97). 49 Crouch, Social Change in Western Europe, S. 367; dazu auch Pankoke, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 81 (86); Sachße, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 107 (108). 50 Sachverständigenrat für Integration und Migration, Einwanderungsgesellschaft 2010, S. 67. 51 Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 112 f. 52 Tholen, Eur J Migrat Law 6 (2005) 323 (333).

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

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nahme gegenseitigen Nutzens durch die Migration oder die Aufnahme wegen spezieller Bindungen des Einzelnen zum Zielstaat.53 a. Inklusion zum Schutz des Migranten Die Gewährung des Zugangs zum Territorium und damit auch die soziale Inklusion wegen des Schutzbedürfnisses des Zuwanderers spiegeln die humanitären Verpflichtungen der Staatengemeinschaft wieder. Insbesondere im refoulement-Verbot aus Art. 33 GFK hat dieser Grundsatz eine Ausprägung erfahren: niemand darf in ein Land ausgewiesen werden, in dem ihm unmittelbare Gefahr droht. Im Umkehrschluss verpflichtet dies jeden Staat zur Aufnahme jener, die außerhalb seines Territoriums in Gefahr sind. Dies trägt die Zulassung von Flüchtlingen, Asylberechtigten und Asylbewerbern zum Aufenthalt im Inland, wenngleich deren soziale Inklusion bis zur rechtverbindlichen Anerkennung ihres Status als Schutzbedürftige faktisch ausgesetzt ist. Dieser Gedanke ist bereits von Kant als so genanntes Weltbürgerrecht entwickelt worden. Danach haben alle Menschen das Recht, „nicht feindselig behandelt“ zu werden, wenn sie sich in friedlicher Absicht auf dem Gebiet eines anderen (Staates) aufhalten.54 Zugleich ist jeder Staat verpflichtet, einen Fremden aufzunehmen, wenn dies „nicht ohne … [dessen] Untergang geschehen kann“,55 wenn dieser also keine Möglichkeit hat, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, weil dort sein Leben bedroht wäre.56 b. Inklusion aufgrund des Nutzens des Migranten Über diese Notsituationen hinaus ist keine unbeschränkte Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit anerkannt. Auch Kant lehnte bereits ein individuelles Gastrecht ab, welches dem Einzelnen einen Anspruch darauf vermitteln könnte, als Gast aufgenommen und beherbergt zu werden. Stattdessen sei lediglich ein Besuchsrecht, verstanden als Recht zur Kontaktaufnahme anzuerkennen, das aber von der Gegenseite abgelehnt werden kann.57 Außerhalb humanitärer Notlagen erfordert ein Bleiberecht also einen Konsens58 zwischen Gast und Gastgeber.

53

Systematisierung nach Tholen, Eur J Migrat Law 6 (2005) 323 (335 f.). Kant, Zum ewigen Frieden, S. 30. 55 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 30. Vgl. dazu die ausführlichen Erläuterungen bei Eberl/Niesen in Kant, Zum ewigen Frieden, S. 252. 56 Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 88 f. weist insofern aber darauf hin, dass möglicherweise andere Staaten vorrangig zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet sein können, etwa weil sie die Ursache für die Verfolgung gesetzt haben oder weil die Flüchtlinge enge persönliche Bezüge – ethnische oder „ideologische Nähe“ – zu den eigenen Staatsangehörigen aufweisen. 57 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 30. 58 Also den Abschluss eines „besonders wohltätigen Vertrags“, Kant, Zum ewigen Frieden, S. 30 und 84, dazu Eberl/Niesen, ebenda S. 253. 54

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

Ein solcher Konsens ist insbesondere in der Arbeitsmigration denkbar. Diese folgt üblicherweise einem utilitaristischen Ansatz, der unter Zugrundelegung wirtschaftspolitischer Erwägungen vor allem nach dem Nutzen der Migranten für den Aufnahmestaat fragt.59 Hintergrund ist zum einen die Befürchtung, durch ungesteuerte Zuwanderung werde eine Einwanderung in die Sozial(hilfe) systeme bzw. auf dem Arbeitsmarkt ein Lohn- und Sozialdumping befördert. Zum anderen trägt der Staat mit einer utilitaristischen Einwanderungspolitik den Interessen der Wirtschaft Rechnung. Die Deregulierung auf den Märkten und die damit einhergehenden internationalen Verflechtungen setzen neben der grenzüberschreitenden Versorgung mit Kapital, Gütern und Dienstleistungen auch die Migration (spezialisierter) Arbeitskräfte voraus. Gerecht ist dieser Ansatz jedoch nur, wenn wirklich auf die Gegenseitigkeit der involvierten Interessen, nicht nur einseitig auf die des Aufnahmestaats abgestellt wird.60 Der Abschluss bilateraler Sozialversicherungsabkommen lässt sich aus diesem Modell ebenso herleiten wie die Etablierung des Assoziationsrechts oder der Abschluss der Kooperationsabkommen durch die EU, sind derartige Übereinkommen doch von dem Anliegen getragen, die Migration von Arbeitskräften zu erleichtern und sozial zu flankieren. c. Inklusion wegen besonderer Bindungen zwischen Migrant und Aufenthaltsstaat Das Abstellen auf spezifische Bindungen des Migranten an den Aufnahmestaat unterstellt, dass bestimmte Personengruppen eine größere Nähe zum Zielstaat aufweisen als andere. Typischerweise wird in diesem Zusammenhang auf die (frühere) Staatsangehörigkeit oder die Abstammung von eigenen Staatsangehörigen abgestellt. Kritiker sehen darin nicht nur die Gefahr einer rassistisch orientierten Migrations- und Sozialpolitik. Sie weisen auch zu Recht darauf hin, dass keine der modernen Gesellschaften so homogen ist, dass ausschließlich Nationalität und Abstammung eine besondere Bindung begründen könne. Eine solche kann beispielsweise auch darin liegen, dass sich Familienangehörige im Zielstaat aufhalten. Ebenso können kulturelle oder religiöse Vorstellungen ein Näheverhältnis und den daran hängenden Aufenthaltswillen in einem bestimmten Staat rechtfertigen.61 Die besondere Bindung an die Inlandsgesellschaft hat der Gesetzgeber vor allem für die Statusdeutschen – die deutschen Volkszugehörigen – anerkannt. Befördert durch völkerrechtliche Vorgaben ist der Familiennachzug ermöglicht worden, wenngleich dieser unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Leistungs-

59 60 61

Groß/Tryjanowski, Der Staat 48 (2009) 259 (260 f.). Vgl. nur Tholen, Eur J Migrat Law 6 (2005) 323 (336). Tholen, Eur J Migrat Law 6 (2005) 323 (337).

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

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fähigkeit steht, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen also zunächst unwahrscheinlich ist. 3. Unionsbürgerschaft als post-nationaler Bürgerstatus Eine kulturelle Nähe wird innerhalb der Europäischen Union als Wertegemeinschaft für alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten angenommen. Die Unionsbürgerschaft, die die nationale Staatsangehörigkeit nicht verdrängt, wohl aber die durch diese begründete Zugehörigkeit zum Nationalstaat um eine Zugehörigkeit zur EU ergänzt,62 hat die „personale Erstreckung“63 des nationalrechtlich definierten Anwendungsbereichs sozialer Sicherheit auf alle Unionsbürger und deren Familienangehörige zur Folge. Der persönliche Anwendungsbereich des Rechts der sozialen Sicherheit ist folglich durch Unionsrecht harmonisiert. Für die Sozialversicherung ist dieser Befund übrigens seit Anbeginn europäischer Rechtssetzung in den Verordnungen Nr. 3/58 und Nr. 4/58 Standard: die durch das Primärrecht (Art. 48 S. 1 AEUV) vorgegebene Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit soll Arbeitnehmer vor dem Verlust sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche schützen, die mit der Wahrnehmung ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit bei gleichzeitiger Abschottung der nationalen Sozialrechte einhergehen würden. In diesem Rahmen wird insbesondere sichergestellt, dass die Leistungen an alle Personen gewährt werden, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen. Wenn nun das Unionsrecht in seinem Gewährleistungsgehalt ausgedehnt und die wirtschaftsbezogene EG zu einer bürgerbezogenen EU im Wandel begriffen ist, ist diese Rechtsfolge konsequent, bildet die soziale Inklusion der Bevölkerung doch causa wie telos des Sozialstaats.64 4. Ausweitung des Bürgerstatus auf Drittstaatsangehörige Der soziale Bürgerstatus setzt in der EU jedoch nicht notwendig die Unionsbürgerschaft voraus. Mit der Einbeziehung und Gleichbehandlung der Angehörigen der EWR-Staaten, der Assoziations- und Kooperationsstaaten sowie drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer oder Familienangehöriger hat das europäische Recht den sozialen Schutz an den (rechtmäßigen) Aufenthalt in einem Mitgliedstaat gebunden.65 Für neu einreisende Angehörige sonstiger Drittstaaten ohne familiäre oder arbeitsvertragliche Bindungen an Unionsbürger erweist 62 Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (70); Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 403; Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 230 f.; Davy, Die Integration von Einwanderern, S. 926. Nach Faist in Beck/ Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 629 ff. wird dadurch eine „verschachtelte soziale Bürgerschaft“ begründet. 63 Kingreen, EuR 2010, 338 (350). 64 Kleinert in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 354. 65 Eichenhofer, ZIAS 2003, 404 (415).

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

sich der Zugang zum Sozialbürgerstatus ungleich schwerer. Während die EU innerhalb der Binnengrenzen die weitgehend unbeschränkte Migration fördert, weist die europäische Migrationspolitik mit Blick auf ihre Außengrenzen vor allem eine abwehrende Dimension auf. Ihr Gegenstand ist in Art. 79 I AEUV mit einer wirksamen Steuerung der „Migrationsströme“ sowie der Verhütung und Bekämpfung illegaler Einwanderung und von Menschenhandel umschrieben. Während Waren aus Drittstaaten gemäß Art. 28 II AEUV in der EU uneingeschränkt zirkulationsfähig sind, gilt dies für Personen nicht. Für sie wird ein Fremdenstatus aufrecht erhalten. Die Binnengrenzen gelten für sie fort, während die Unionsbürger diese ohne Weiteres überschreiten können.66 Die gemeinsame Einwanderungspolitik soll gemäß Art. 67 II AEUV Drittstaatsangehörigen gegenüber „angemessen“ sein bzw. nach Art. 79 I AEUV die „angemessene Behandlung“ der sich rechtmäßig in der EU aufhaltenden Drittstaater gewährleisten. In diesem Gebot wird eine Kompetenznorm zur Regelung der sozialen Rechte von Drittstaatsangehörigen gesehen, die insbesondere den Erhalt ihrer erworbenen sozialen Rechte im Falle ihrer Rückkehr in das Herkunftsland sichern soll.67 Der inhaltlich unbestimmte Begriff der „angemessenen Behandlung“ bedarf freilich der (politischen) Ausfüllung.68 Dementsprechend sieht Art. 79 II AEUV den Erlass konkretisierender sekundärrechtlicher Regelungen vor. Bislang hält der Unionsgesetzgeber an der Unterscheidung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen fest, wie die Daueraufenthaltsrichtlinie zeigt, die im sozialen Schutz Abstufungen und Beschränkungen auf Kernleistungen für Drittstaater ausdrücklich erlaubt, Art. 11 IV RL 2003/109/EG. Mit dem Verlassen des Territoriums der EU erlöschen zudem jedwede Rechte, die das Gemeinschaftsrecht Drittstaatsangehörigen einräumt, denn diese resultieren aus dem legalen Aufenthalt. Die Europäische Kommission strebt eine Gleichbehandlung von Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen in der sozialen Sicherheit an.69 Eine solche Richtlinie würde den bereits jetzt geltenden Rechtszustand einer sekundärrechtlichen Regelung zugänglich machen. Denn Drittstaatsangehörigen sind bereits jetzt umfassende Zugangsrechte zu sozialem Schutz eröffnet, erweitert das großzügig ausgelegte Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 EMRK-ZP doch die personale Erstreckung des Sozialrechts auf sämtliche sich rechtmäßig im Inland aufhaltenden Personen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. 66

Bast, Der Staat 46 (2007) 1 (31). Schumacher, ZESAR 2011, 368 (373). 68 Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 143. 69 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, KOM(2007) 638 endg. Dazu Schumacher, ZESAR 2011, 368 (372). 67

B. Wandel des Sozialstaats durch Europäisierung?

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IV. Fazit Durch supra- und internationales Recht wird die an die Nation gebundene Identität des Sozialbürgers relativiert. Das „Staatsvolk des Sozialstaats“ ist durch die europäische Integration ebenso wie durch menschenrechtliche Verbürgungen folglich von der Ebene der politischen Mitbestimmung gelöst. Während jene an die Staatsangehörigkeit gebunden bleibt, ist die bürgerliche und soziale Teilhabe an den Bürgerstatus nach Marshallscher Doktrin gebunden. Social citizenship ist daher nicht als Anspruch der Staatsangehörigen auf Gewährung sozialer Rechte zu verstehen.70 Sie ist vielmehr Ausdruck der Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft aufgrund rechtmäßigen Aufenthalts und spiegelt damit einen Status aktiver Teilhabe, also die Gesamtheit an Rechten und Pflichten wieder, die einer Person in einer Gesellschaft zukommen.71 Soziale und politische Rechte sind in ihrer europäisierten Dimension folglich nicht deckungsgleich, denn das Wahlrecht der Unionsbürger in anderen Mitgliedstaaten besteht nach Art. 22 AEUV lediglich auf kommunaler, nicht aber auf der für die Sozialgesetzgebung zuständigen nationalen Ebene.72 Dies schadet jedoch nicht. Zwar wird die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit als Mittel verstanden, um Loyalität und Legitimation für das politische System zu erzielen73 Dieses Anliegen trug bereits die Bismarckschen Sozialgesetze.74 Die wesentliche Funktion sozialer Sicherheit ist jedoch eine andere: Ziel des Sozialstaates ist es, die Lebensverhältnisse in der Bevölkerung anzugleichen und dadurch inneren Frieden herzustellen.75 Auf diese Weise wird das politische System durch den Sozialstaat stabilisiert und fortentwickelt.76 Die in der Jellinekschen Lehre ausgemachten Elemente der Staatlichkeit haben auch in der suprastaatlichen Gesellschaft weiterhin ihre Berechtigung. Sie sind jedoch in ihrem Gehalt modifiziert: wesentliches Kennzeichen des Nationalstaats ist die auf das Staatsgebiet beschränkte Souveränität ungeachtet der Nationalität 70

So Kadelbach in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19, Rn. 23. Hammar, Democracy and the Nation State, S. 51; so auch Kleinert in Allmendinger/ Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 352 (dort in Fn. 2: „Bürgerrechtsstatus“). 72 Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (111). Nach Eichenhofer, ZIAS 2003, 404 (407) ist diese Inkongruenz unschädlich. 73 Kaufmann, Sozialpolitik und Sozialstaat, S. 366; Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 135; Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 118; so auch bereits Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen, S. 87. 74 Kvistad in Kurthen/Fijalkowski/Wagner, Immigration, Citizenship and the Welfare State in Germany and the United States, S. 148 f. 75 Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (52). So auch bereits Montesquieu, De l’Esprit des Lois, Livre XXIII, Chapitre XXIX: „C’est pour lois que l’état a besoin d’apporter un prompt secours, soit pour empêcher le peuple de souffrir, soit pour éviter qu’il ne se révolte“. 76 Ritter, Der Sozialstaat, S. 20; vgl. auch Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 117. 71

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und Staatsangehörigkeit der Personen, die sich dort aufhalten. Je weiter der Aktionsradius des Einzelnen im Rahmen seiner Lebensführung reicht, umso mehr muss die Staatsangehörigkeit in den Hintergrund treten und einer Staatsbürgerlichkeit Raum geben.77 Die Europäische Union ersetzt also die Nationalstaaten nicht, verändert aber das traditionelle Verständnis von Nationalstaatlichkeit.78 Gleiches gilt für den als Nationalstaat verfassten Sozialstaat. Europäische Integration bewirkt dessen De-Nationalisierung und öffnet ihn für alle, die nicht zur „Nation“ gehören.

C. Schlussfolgerungen Die Legitimität sozialer Sicherheit erfährt somit einen Wandel: soziale Inklusion dient weniger der nationalstaatlichen Ordnung, sondern wird zu einem überstaatlichen Anspruch. Offen bleibt damit freilich der Rahmen, innerhalb dessen das Recht auf soziale Sicherheit zu verwirklichen ist.

I. Soziale Sicherheit als Menschenrecht Infolge des mittels Europarecht und Völkerrecht angestoßenen tiefgreifenden Wandels können Sozialleistungen nicht mehr als Ausdruck der Mitgliedschaft in einem nationalstaatlich definierten Solidarverband oder gar als Instrument der „Polizey“ angesehen werden. Vielmehr ist ihre Gewährung allein im Vorliegen einer rechtlich anerkannten Bedürftigkeitslage – der Verwirklichung eines sozialen Risikos begründet. Ob sich ein solches Risiko verwirklicht, ist ohne Bezug zu Herkunft, Nationalität oder Staatsangehörigkeit eine Folge des bloßen Mensch-Seins.79 Soziale Sicherheit als Menschenrecht zu verstehen, ist daher um der Achtung der Menschenwürde Willen unerlässlich. Denn anderenfalls wären Migranten bei der Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens auf das „Wohlwollen der Staaten, unter denen sie leb[t]en, angewiesen.“80 Nur der menschenrechtliche Ansatz vermag die Teilhabe des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben zu sichern. Dieser Gedanke ist weder neu noch revolutionär: bereits in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776 war das Recht auf Leben, Freiheit und Glückseligkeit („pursuit of happi77 Kleinert in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 352 f.; Grawert, Der Staat 23 (1984) 179 (184). 78 Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 234. 79 Soysal, Limits of Citizenship, S. 137; Soysal in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 587 f. 80 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S. 425. Vgl. dazu auch Eichenhofer, VSSR 2007, 87 (96) m.w.N. zur wohlfahrtsphilosophischen Herleitung dieser Grundsätze bei Sen und Nussbaum.

C. Schlussfolgerungen

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ness“) verankert, welches dem Einzelnen die Forderung nach Unterhalt oder Arbeit gegen den Staat zugestand.81 Das menschenrechtliche Verständnis sozialer Sicherheit hat jedoch nicht zur Folge, dass (National)Staatlichkeit für ihren Gewährleistungsgehalt vom vornherein ohne Bedeutung wäre.82 Zwar knüpfen Menschenrechte an das bloße Menschsein an. Sie sind aber in ihrer Durchsetzung an einen Staat gebunden. Kann ein Mensch sich keines Schutzes durch eine Regierung versehen, ist der Gehalt der Menschenrechtsgarantien, deren Unveräußerlichkeit und Unabdingbarkeit praktisch gegenstandslos.83 Es bedarf daher zwingend einer lokalen Instanz, die die Verwirklichung und Einhaltung sozialer Rechte garantiert und überwacht.84 Menschen, die keinem übergeordneten Verband angehören, sind schutzlos.85

II. Soziale Sicherheit als Aufgabe eines Weltsozialstaats? Die Globalisierung, verstanden als die Grenzen überwindende Kommunikation und Mobilität von Menschen, Dienstleistungen und Gütern86 führt dazu, dass der Nationalstaat nicht mehr den hinreichenden Rahmen für die Bewältigung der aus dieser Grenzüberschreitung folgenden Probleme bietet. Die Organisation von Wohlfahrt durch die Nationalstaaten ist zudem problematisch, wenn der Kreis der Berechtigten nicht durch homogene Kriterien zu definieren ist.87 Der Nationalstaat muss und wird vielmehr supranationalem Recht Raum machen müssen.88 Durch die europäische Integration ist die Mitgliedschaft des Einzelnen im Solidarverband seines Mitgliedstaates durch die Mitgliedschaft in der größeren Zugehörigkeitseinheit EU überlagert worden. Diese Entwicklung konsequent fortführend wird angenommen, dass die europäische Zuordnung langfristig durch eine globale Zugehörigkeitsordnung überlagert wird.89 Berücksichtigt man, dass die Fortentwicklung von Solidarität historisch vor allem als „Grenzverschiebung“90 wahrzunehmen ist, ist der Schluss naheliegend, dass mit der Er81

Ritter, Der Sozialstaat, S. 3 f. So aber offensichtlich Siehr, Die Deutschengrundrechte des Grundgesetzes, S. 132 f. 83 Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S. 455. 84 Eichenhofer, VSSR 2007, 87 (94); Soysal in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 588 f. Vgl. auch Arendt, Elemente und Ursprünge nationaler Herrschaft, S. 466. Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 391 f. sieht Menschenrechte darüber hinaus als ethische oder moralische Verpflichtung eines jeden Menschen, die über den Rahmen des Rechts hinaus Wirkung entfalten. 85 Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 66. 86 Ausführlich Bhalla/Lapeyre in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 440 ff. 87 Kleinert in Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer, Soziologie des Sozialstaats, S. 352. 88 Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 129 f. 89 Schnabel-Schüle in Gestrich/Raphael, Inklusion/Exklusion, S. 52. 90 Sachße, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 107 (107). 82

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

weiterung des Mobilitätsradius auch eine Erweiterung der diese Mobilität flankierenden sozialen Rechte einhergeht. In einer sich Wanderungsbewegungen öffnenden Welt wird und muss folglich auch die Bereitschaft der staatlichen Systeme zum Einschluss „Fremder“ steigen.91 Ob soziale Sicherheit jedoch auf der Ebene der Weltgemeinschaft92 verwirklicht werden kann, ist zweifelhaft. Zu Bedenken ist einerseits, dass Inklusion einen Verband erfordert, in den der Einschluss vollzogen werden kann. Es fragt sich, ob die Weltgemeinschaft hier nicht eine zu groβe, vielfältige und unübersichtliche Einheit darstellt.93 Denn eine wirkliche Weltgesellschaft wird nur entstehen können, wenn sich alle Staaten gleichermaßen verbunden fühlen und miteinander in Austausch treten. Solidarität unter einander vollkommen Fremden ist schlechterdings undenkbar.94 Zum anderen existiert (noch) keine juristische „Sphäre, die über den Nationen stünde.“95 Der Weltgesellschaft fehlt es an den notwendigen, demokratisch legitimierten Institutionen, welche die Zuweisung von Rechten und Ansprüchen zu überwachen und durchzusetzen vermögen.96 Ein Versuch weltweiter Koordinierung ist mit dem Übereinkommen Nr. 15797 der IAO unternommen worden. Hintergrund war die Idee, die im europäischen koordinierenden Sozialrecht entwickelten Grundsätze der Gleichbehandlung, der Gleichstellung von Tatbeständen und des Leistungsexports weltweit anzuwenden. Dieses, bislang lediglich von Spanien, Schweden, den Philippinen und Kirgisistan ratifizierte Instrument ist letztlich auch an seinem bürokratischen Ansatz gescheitert, der aus einer fehlenden weltweit legitimierten Gewährleistungsinstanz resultiert. Denn die Umsetzung des Übereinkommens Nr. 157 sollte im Wege völkerrechtlicher Verträge zwischen den einzelnen Staaten erfolgen, die jedoch nur bilaterale Wanderungsbewegungen erfassen konnten. Die Gewährung sozialer Sicherheit obliegt daher auf absehbare Zeit weiter den Nationalstaaten, die sich jedoch im Rahmen einer internationalen Ordnung

91 Vgl. auch die Überlegungen von Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 153 ff., welcher davon ausgeht, dass die Erfahrungen mit den Erfahrungen der europäischen Geschichte Lernprozesse auszulösen imstande sind, die letztendlich zu einer „europäisch erweiterten Solidarität von Staatsbürgern“ führt, ebenda S. 155. 92 Die Idee eines Weltstaats wurde maßgeblich entwickelt von Kant, Zum ewigen Frieden, S. 28f; aus neuerer Zeit Luhmann, Soziologische Aufklärung, Band 2, S. 51 ff.; Albert/ Stichweh, Weltstaat und Weltstaatlichkeit, S. 55 ff.; Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, S. 192 ff.; Kuhnen, Die Zukunft der Nationen in Europa, S. 112 ff. 93 Poferl in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 151 f. 94 Sie kommt allenfalls in Form von Mitleid zum Ausdruck, Pankoke, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 81 (82). 95 Arendt, Elemente und Ursprünge nationaler Herrschaft, S. 465. 96 Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 168; so auch Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 163. 97 Convention concerning the Establishment of an International System for the Maintenance of Rights in Social Security vom 21.6.1982.

C. Schlussfolgerungen

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auch zu supranationalen Verbänden zusammenschließen und die Gestaltungsmacht zur Regelung von In- und Exklusion auf diese übertragen können.98

III. Anforderungen an die Bestimmung der Anknüpfungspunkte Bis dahin sind die Anknüpfungspunkte für die Gewährleistung sozialer Rechte auf nationaler Ebene zu bestimmen. Diese sind so zu wählen, dass jeder Mensch einer die Menschenrechte gewährenden staatlichen Ordnung zugeordnet ist. 1. Spannungsverhältnis zwischen innen- und sozialpolitischen Erwägungen Die Diskussion über die Offenheit der sozialen Sicherungssysteme bewegt sich zwischen sozialrechtlichen und innenpolitischen Erwägungen. Während jene die Einbeziehung aller Bedürftigen unter dem Blickwinkel fundamentaler Menschenrechtsgarantieren stützen, steht bei diesen der Gedanke der Abwehr von (illegitimer) Zuwanderung99 im Vordergrund.100 Beide Positionen können jedoch zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Fest steht, dass die Funktionsfähigkeit und die Finanzierbarkeit des Sozialstaates Raum für Beschränkungen der Solidargemeinschaft lassen müssen. Es besteht keine Pflicht, jedermann in das Staatsgebiet aufzunehmen; die Entscheidung über die Aufnahme oder Ablehnung von „Fremden“ und die Art und Weise ihrer „Beherbergung“ trifft die Inlandsgesellschaft. Die ihr angehörenden Menschen sind Mitglieder der Schutzansprüche vermittelnden Entität. Sie haben daher auch das Recht, Mitgliedschaftsrechte zu vergeben und auf Grundlage ihrer moralischen und ethischen Grundwerte zu bestimmen, in welchem Rahmen – sei es als Gastrecht, sei es als Bleiberecht – solche Rechte bestehen sollen.101 Sobald aber Personen der Zugang zum Staatsgebiet eröffnet und eingeräumt ist, 98 Zacher, ZIAS 2002, 193 (281); so bereits Kant, Zum ewigen Frieden, S. 31, dazu Eberl/ Niesen, ebenda S. 265. 99 Vgl. nur Hailbronner, JZ 2005, 1138 (1138). Ausführlich zur „welfare magnet thesis“ Kingreen in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 43 (67 f.), zur (Un)Möglichkeit der Steuerung von Migration aus sozialwissenschaftlicher Sicht Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 13 ff. 100 Dazu auch Geddes in Spencer, The Politics of Migration, S. 150; Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 25; Soysal in Beck/Poferl, Große Armut, großer Reichtum, S. 586. Gosewinkel, Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 533 (540) bezeichnet die Abschottung als „liberales Paradoxon“, da sie dem Selbstverständnis freiheitlich verfasster Gesellschaften eigentlich zuwiderläuft. 101 Schönberger, Unionsbürger, S. 304; dazu auch Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 66 ff. sowie S. 78: „Souveränität über die eigenen Auswahlprozesse“. Kritisch im Hinblick darauf, dass „Ausländer“ die Zugangsregeln nicht mitbestimmen dürfen, obwohl sie diesen unterworfen sind Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, S. 157.

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

können die Staatsbürgerrechte nicht vorenthalten bleiben, wären zugewanderte „Fremde“ anderenfalls doch dauerhaft der Herrschaft der Mitglieder unterworfen, ohne ihrerseits Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu genießen.102 Hat der Staat also einem Ausländer den Zugang zu seinem Territorium gewährt und die Integration in die hiesige Gesellschaft ermöglicht, muss er die soziale Absicherung verantworten. Das Füreinander-Einstehen kann nicht an die Staatsangehörigkeit gekoppelt sein, sondern muss sich an der Zugehörigkeit zur Bevölkerung als kulturellem und sozialem Bezugspunkt orientieren. Die Verweisung auf die Fürsorge eines Heimatstaates ist dort verfehlt, wo jemand diese Heimat gerade in der Bundesrepublik begründet hat bzw. zu begründen beabsichtigt. Die Rückkehr in eine quasi-fremde Herkunftsgesellschaft ist insofern keine zumutbare Option. Will der Gesetzgeber die Koppelung an die Staatsangehörigkeit beibehalten, wäre allein die Öffnung des Staatsangehörigkeitsrechts die Alternative.103 Dies würde indes den Umständen globalisierter Arbeitsbiografien nicht im gebotenen Maße gerecht: sollte mit jedem Aufenthaltswechsel notwendig ein Wechsel der Staatsangehörigkeit einher gehen müssen, um volle soziale Inklusion beanspruchen zu können? 2. Statuswechsel als Ausdruck des Übergangs sozialrechtlicher Verantwortung Der sozialen Einschluss vermittelnde Umstand kann daher nur der Aufenthalt in einem Staat sein.104 Indes ist zu differenzieren, wann der Aufenthalt in einem Staat dazu führt, dass die sozialrechtliche Verantwortung des Herkunftsstaats auf diesen übergegangen ist. Die maßgebliche Frage für die kollisionsrechtliche Zuordnung von Sozialrechtsverhältnissen ist die, zu welchem (Sozial)Staat der Einzelne die engste Verbundenheit aufweist. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist in seiner Bedeutung nur schwer auszufüllen. Häufig wird die Lösungsmöglichkeit in einer Entscheidung zwischen dem Personalprinzip oder dem Territorialitätsprinzip gesehen, wobei ersteres die lebenslange Bindung an einen Staat kraft Abstammung, letzteres die temporäre Zugehörigkeit kraft Aufenthalts beschreibt. Eine schematische Entscheidung für oder gegen eines dieser Prinzipien wird dem Anliegen sozialer Sicherheit jedoch nicht gerecht. Denn Sozialrecht ist gerade nicht schematisch denkbar, soll es doch in einer Vielzahl von Lebenslagen adäquate, dem Einzelfall angemessene Unterstützung bieten. Es kommt daher nicht auf die Bindung eines Menschen an einen Staat an, sondern vielmehr darauf, welcher Bezug durch den Eintritt sozialstaatliche Schutzpflichten aus102 Nach Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 106 f. wäre dann ein unter demokratischen und moralischen Gründen nicht hinnehmbarer Zustand der Tyrannei und des Despotismus erreicht. 103 Hailbronner, VSSR 1992, 77 (88). 104 Davis, ELRev 2002, 27(2), 121 (135); Wiener, Theory and Society 26 (1997) 529 (535).

C. Schlussfolgerungen

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lösender Umstände hergestellt wird.105 Der EuGH hat mit dem Erfordernis der „tatsächlichen Verbindung“ zum Aufenthaltsstaat bereits ein taugliches Instrument etabliert.106 3. Spezifische Zuordnung nach dem Leistungszweck Die in § 30 SGB I gewählte Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt spiegelt damit die gerechteste Wahl der Anknüpfungsmomente wieder. Sie bedarf aber der spezialgesetzlichen Ausformung.107 Zahlreiche Normen, die zu einer Annäherung des sozialrechtlichen Status von Migranten an den der Deutschen geführt haben, sind durch supra- und internationales Recht geboten. Die Wahl der Anknüpfungsmomente war dem deutschen Gesetzgeber also durch höherrangiges Recht vorgegeben, was sich in der Vielzahl unterschiedlicher Kriterien selbst in den einzelnen Sozialleistungszweigen anschaulich wiederspiegelt. Es fehlt an einer einheitlichen, systematischen Konzeption der Zugangskriterien. Diese sollte nicht als bloße Reaktion auf supranationale Rechtsakte erfolgen. Dem im Sozialstaatsprinzip gründenden Gerechtigkeitsgedanken ist dann am ehesten genügt, wenn der Gesetzgeber die Reichweite der innergesellschaftlichen Solidarität einer konsolidierten Neuausrichtung unterwirft. Eine solche Neukonzeption der Anknüpfungsmomente sollte sich nicht nur von utilitaristischen Erwägungen leiten lassen. Angezeigt ist vielmehr die Wahl der Anknüpfungspunkte ausgehend von Zweck und Funktion der einzelnen Sozialleistungszweige. Dies führt zu einer Vereinfachung der Zugangskriterien und macht soziale Rechte transparent. Damit wird zugleich der für den Statuswechsel maßgebliche Moment präzisiert. Leistungen, die Einkommensausfälle kompensieren, müssen daran anknüpfen, in welchem Staat dieses Einkommen erzielt worden ist. Für die Sozialversicherung und das Elterngeld in seiner Funktion als Einkommensersatzleistung kann daher nur die Ausübung einer Beschäftigung im Inland maßgeblich sein. Ob der Beschäftigte sich darüber hinaus im Inland aufhält, der Inlandsgesellschaft also wirklich angehört, ist irrelevant.108 § 3 SGB IV genügt diesem Anspruch, wenngleich das Leistungsrecht dem bislang nicht gänzlich gerecht wird. Dieses muss sicherstellen, dass Leistungen an alle gewährt werden, die Beiträge zu deren Finanzierung entrichtet haben. 105

Für eine konkrete Bestimmung der Kollisionsnormen bereits v. Maydell, VSSR 1973, 347 (359); ebenfalls für die zweckbezogene Zuordnung Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (99). 106 Erstmals EuGH, Slg. 2004, I-2703, Rn. 63 (Collins), bestätigt in Slg. 2005, I-8275, Rn. 22 (Ioannidis) sowie Slg. 2009, I-4585, Rn. 37 (Vatsouras und Koupatantze). 107 v. Maydell, VSSR 1973, 347 (362); Pankoke, Rechtsphilosophische Hefte 1995, Bd. 4, 81 (87) spricht insoweit von „generalisierbaren Systembezügen (Staatsbürgerrolle, Arbeitnehmerrolle, Geschlechts- und Altersrollen)“. 108 Zacher, ZIAS 2002, 193 (211); Bast, Aufenthaltsrecht und Migrationssteuerung, S. 44.

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8. Kapitel: Bewertung und Ausblick

Soll eine Sozialleistung dagegen das Leben einer menschenwürdigen Existenz oder die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, kann es nur auf die Lebensführung in diesem gesellschaftlichen Umfeld, also den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ankommen.109 Für die Sozialhilfe und die Leistungen der Grundsicherung sind daher Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland die zutreffende Anknüpfung. Die Integration in die Inlandsgesellschaft fordert zugleich eine vollumfängliche Gleichstellung von Deutschen und Nichtdeutschen im Leistungsrecht. Unterschiedliche Leistungssätze sind daher nur dort angezeigt und gerechtfertigt, wo eine Notlage im Rahmen eines vorübergehenden, tatsächlichen Aufenthalts eingetreten ist. Solange die Integration noch nicht vollzogen ist, beschränkt sich die Aufgabe der Sozialhilfe daher darauf, die Rückkehr des Bedürftigen in den zuständigen Herkunftsstaat zu ermöglichen. Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Inland ist auch für die Leistungen maßgeblich, die die Entstehung von Armut verhindern sollen. Damit ist das Recht der sozialen Förderung von seiner utilitaristischen Ausrichtung zu lösen. Dessen Leistungen differenzieren der Höhe nach zwar nicht nach der Staatsangehörigkeit, sind aber im Zugang so restriktiv ausgestaltet, dass große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen werden und damit keine Möglichkeit haben, durch geförderte Ausbildungsgänge oder die Erleichterung der Unterhaltspflichten für ihre Kinder ihr Armutsrisiko zu mildern. Die Leistungen sozialer Entschädigung, die einen Ausgleich für ein Staatsversagen bzw. die staatliche Veranlassung eines Schadens leisten sollen, sind dagegen von jedweder persönliche „Betroffenheit kraft Zugehörigkeit“110 unabhängig zu gewähren. Maßgeblich kann allein die Verwirklichung des zur Entschädigung verpflichtenden Tatbestands im Inland sein – eine Anknüpfung, die im Recht der unechten Unfallversicherung bereits ihre Ausprägung erfahren hat. Die Wahl der Anknüpfungsmomente hat sich folglich allein nach dem Sachrecht bzw. der materiell-rechtlichen „Eigenart [des jeweiligen] Regelungsgegenstands“111 zu richten.

109 Becker in Hatje/Huber, EuR 2007, Beiheft 1, 95 (99); so auch Zuleeg in Barwig/Lörcher/Schumacher, S. 105: „Lebensgemeinschaft auf deutschem Boden“. 110 Zacher, ZIAS 2002, 193 (216). 111 Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 330.

401

C. Schlussfolgerungen

Zweig

Anknüpfung

Leistungsrecht

Sozialversicherung

Ausübung einer Beschäftigung im Inland

gleiche Leistungen für alle Beitragszahler unabhängig vom Aufenthaltsort

Grundsicherung und Sozialhilfe

tatsächlicher Aufenthalt im Inland

gleiche Leistungen für alle Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt ggf. abgesenkte Leistungen der Sozialhilfe bei vorübergehendem Aufenthalt, um Rückkehr in den Herkunftsstaat zu ermöglichen

Soziale Förderung

Soziale Entschädigung

gewöhnlicher Aufenthalt im Inland Inlandsbeschäftigung für Elterngeld als Entgeltersatzleistung Verwirklichung des Entschädigungstatbestands im Inland

gleiche Leistungen für alle Berechtigten gleiche Leistungen für alle Berechtigten unabhängig vom Aufenthaltsort

IV. Fazit Migration, zumal wenn sie in großem Umfang stattfindet, fordert eine stetige Vergewisserung über die Abgrenzung zwischen In- und Ausländern, Einheimischen und Fremden.112 Dies muss umso mehr gelten, wenn die Wanderungsbewegungen ausdrücklich gewünscht und sogar zu einer grundlegenden Freiheit und einem geschützten Recht des Einzelnen ausgestaltet worden sind, wie es für die freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger geschehen ist. Der Rechtsstatus der „Fremden“ muss also daran gemessen und so ausgestaltet werden, dass gewünschte Wanderungsbewegungen nicht durch exkludierende Zugehörigkeitsregeln gehindert werden. Unter den geänderten Voraussetzungen einer mobilen, zunehmend global agierenden Gesellschaft muss sich das Recht auf soziale Sicherheit vom Mitgliedschaftsrecht zum Menschenrecht wandeln. Nur so kann internationalisierten (Erwerbs-)Biografien wirksam Rechnung getragen werden. Die Europäisierung sozialer Sicherheit sollte daher nicht als Gefahr, sondern als Chance begriffen werden, nämlich als Chance, Ansprüche auf soziale Teilhabe über den Nationalstaat hinaus zu erweitern und sie so zu stärken. 112

Degen, DÖV 1993, 749 (749).

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Register Abkommensrecht 90, 121, 139, 227 ff., 380, 390 – Anknüpfung der Versicherungspflicht 162 – Familienleistungen 315 – geschlossene und offene Abkommen 227 – multilateraler Effekt 228 Abschiebung – Abschiebungsverbote 100, 298 – Duldung 115 Abstammungsprinzip 4, 19, 390 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 140 Almosen 20, 22, 24 Altes Testament 17 Altfallregelung 117 Amsterdam, Vertrag von 51, 76 Anknüpfung 9 – Anforderungen an die gerechte Anknüpfung 397 f. – Ausbildungsförderung 316 ff. – Familienleistungen 309 ff., 330 f. – im Abkommensrecht 162 – im Assoziationsrecht 162, 224 ff. – im Grundsicherungsrecht 245 – im koordinierenden Sozialrecht 156 – im Sozialhilferecht 266, 285, 376 – primärrechtliche Vorgaben 203, 245 ff. – soziale Entschädigung 353 f., 376 – soziale Förderung 308 f., 376 – unechte Unfallversicherung 363 – Versicherungspflicht 143, 376 – Wechsel der Anknüpfungsmomente 197, 229 ff. Antikumulierungsregeln 313, 326, 337, 358

Anwartschaft – Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung 166 – Anwartschaftszeiten in der Pflegeversicherung 175 – Eigentumsschutz 201 f., 231 f. Äquivalenzprinzip 143, 199, 201, 233 Äquivalenzregel 223 Arbeitnehmerfreizügigkeit 68 – Ausweisungsschutz 300 – für Drittstaatsangehörige 88 – Gleichbehandlungsgebot 133, 245 f., 275, 343 f. – koordinierendes Sozialrecht 153 Arbeitslosenversicherung – Anwartschaftszeiten 166 – Aufenthalt im Nahbereich 181 – Verfügbarkeit 177 – Verschlossenheit des Arbeitsmarktes 178 – Weimarer Republik 45 – Wohnsitzklauseln 211 Arbeitsmarktzugang – Assoziationsrecht 77 – Aufenthaltserlaubnis 86, 91 – Familienangehörige von Unionsbürgern 75, 89 – Flüchtlinge 90 – Geduldete 93 – historische Entwicklung 42 f. – und Grundsicherung 246 – und sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis 145 – Utilitarismus 390 – Verschlossenheit des Arbeitsmarktes 178 – Vorrangprüfung 91

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Register

Arendt, Hannah 13 Armenrecht 1 Assoziationsrecht 76, 379, 390 – Anknüpfung der Versicherungspflicht 163, 224 ff. – Assoziierungsabkommen Türkei 76 – Ausbildungsförderung 347 – Ausweisungsschutz 303 – Diskriminierungsverbot 139 – Europa-Mittelmeer-Abkommen 78 – Familienleistungen 346 – Leistungsexport 225 – soziale Entschädigung 371 – Sozialhilfe 280 – Wohnsitzklauseln 225 Asyl – Aufenthaltsgestattung von Asylbewerbern 113 – Aufenthaltsstatus von Asylberechtigten 99 – Mindeststandards für soziale Sicherheit 293 Asylbewerberleistungsgesetz 286 ff., 380 – Analogleistungen 289 f. – Europäisches Fürsorgeabkommen 295 – Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern 288, 293 – Kindergeld 312, 330 – Vereinbarkeit mit Europarecht 293 f. – Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht 291 f. – Wohngeld 322 Aufenthalt – Duldung 115, 351 f. – gewöhnlicher Aufenthalt 9, 58 f., 309 – irregulärer Aufenthalt 118 – räumliche Beschränkung 272 – tatsächlicher Aufenthalt 266, 322 – vorübergehender Aufenthalt 287 Aufenthaltserlaubnis – Asylberechtigte 99 – auf Probe 117 – Aus- und Weiterbildung 90 f. – Beschäftigungssuche 92 – Erwerbstätigkeit 91 f. – Familienzusammenführung 103 ff. – Härtefallklausel 98 – humanitäre Gründe 97 ff., 100 f.

– selbstständige Tätigkeit 94 – Verlängerung 112 – Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit 5, 65, 70, 248, 277 – vorübergehender Schutz bei Massenzustrom 99 Aufenthaltsgestattung 113, 295 Aufnahmeeinrichtungen 113 Aufnahmerichtlinie 96 Aufopferung 354, 365 Ausbildungsförderung 316 ff. – Assoziationsrecht 347 – Europäische Menschenrechtskonvention 349 – Förderung von Auslandsausbildung 321 – Gleichbehandlungsansprüche 342 ff. – Koordinierung 334 – Teilhabeanspruch von Unionsbürgern 334 – Zulässigkeit der Beschränkung 332 ff. Auslandsaufenthalt – Erbringung von Rehabilitationsleistungen 194 – Minderung von Rentenansprüchen 192, 232 ff. – Ruhen von Ansprüchen 189 ff. – Zugang zu Sozialhilfeleistungen 285 – Zugehörigkeit 200 Ausstrahlung 146 Ausweisung – Assoziationsrecht 303 – Ausweisungsschutz 299 f. – bei Bedürftigkeit 249 – bei Sozialhilfebezug 297 – Drittstaatsangehörige 303 f. – Europäisches Fürsorgeabkommen 304 – Flüchtlinge 305 – Unionsbürger 300 f. Beitragszeiten – Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten 170 – Pflegepersonen 169 – versicherungspflichtige Beschäftigung 168 Berufsausbildungsförderung 319 Berufskrankheiten 186

Register

Beschäftigungsortprinzip 144 – Bestimmung des Beschäftigungsortes 146 Beschäftigungssuche – Ausschluss von Grundsicherungsleistungen 241 f. – Ausschluss von Sozialhilfeansprüchen 271, 278 – im Ausland 211 ff. besondere beitragsunabhängige Geldleistungen 255 Binnenmarkt 10, 385 Bismarck, Otto von 41, 393 Blue Card 83 Bürgerstatus 6, 11, 23 Chancengleichheit 351 Christentum 24 Daueraufenthaltsrecht 72, 82 ff. – Drittstaatsangehörige 84 ff. – Zugang zu Familienleistungen 328 ff. – Zugang zur Ausbildungsförderung 317, 332 f. – Zugang zur Sozialhilfe 274 denizens 379 Deutsche Staatsangehörigkeit 4 Dienstleistungsfreiheit 88, 218, 368 Diskriminierungsverbot – Abkommensrecht – Assoziationsrecht 224 – Anwendbarkeit auf Drittstaatsangehörige 137 f. – Art. 14 EMRK 131, 232, 259, 349 – Art. 18 AEUV 133 ff., 385 f. – Europäische Grundrechte-Charta 132 – sozialrechtliche Diskriminierungsverbote 130 Drei-Elemente-Lehre 2, 383, 393 Drittstaatsangehörige – Anspruch auf Inländergleichbehandlung 206 f., 279 ff. – Anwendbarkeit des koordinierenden Sozialrechts 154 – Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV 137 f. – Ausbildungsförderung 317, 320

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Ausweisungsschutz 303 f. Daueraufenthaltsrecht 84 ff. Elterngeld 314, 327 ff. Freizügigkeit 75 Grundsicherung für Arbeitsuchende 240 – Kindergeld 311, 327 ff. – multilateraler Effekt von Abkommen 229 – Rentenberechtigung bei Auslandsaufenthalt 232 – Status 379 – Unionsbürgerstatus 391 f. – Verbrechensopferentschädigung 358 f. – Zugang zur Sozialhilfe 266 ff. Duldung 114 ff., 380 – Altfallregelung 117 – existenzsichernde Leistungen 286 f. – Kindergeldberechtigung 312, 330 – soziale Förderung 351

– – – – –

effet utile 135, 216, 348 Ehegattennachzug 109 Eigentumsschutz – Anwartschaften in der Sozialversicherung 201 – Europäische Menschenrechtskonvention 231 f., 259, 372 – steuerfinanzierte Leistungen 259 f. Einbürgerung 5 Einfärbungslehre 64 Eingliederungsprinzip 174 Einstrahlung 147 „Einwanderung in die Sozialsysteme“ 117, 165, 243, 299 Elterngeld 308 – Anknüpfungsmomente 314, 330 Entschädigung 172 Entsendung 146 – Ausstrahlung 146 – Einstrahlung 147 – Familienleistungen 312 f. – koordinierendes Sozialrecht 159 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 48 Europäisches Fürsorgeabkommen 261 f. – Asylbewerberleistungsgesetz 295 – Ausweisungsschutz 304

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Register

– Gleichbehandlungsanspruch in der Sozialhilfe 282 – persönlicher Anwendungsbereich 263 – Rangverhältnis zum Unionsrecht 283 – Vorbehalt der Bundesregierung 263 Europarat 10 Europäische Union 10 – gemeinsame Einwanderungspolitik 95, 392 – sozialpolitische Kompetenzen 50 Existenzminimum – Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums 122, 291 f. – soziokulturelles 122, 291 – Steuerfreiheit 330 Exklusion 2, 46, 306, 388 Expositionszeiten 186 Familie – Arbeitsmarktzugang von Familienangehörigen 89 – Ausweisungsschutz 303 – Familiennachzug 103 ff. – Grundrecht auf Schutz 63, 103, 349 f. Familienleistungen 308 ff. – Assoziationsrecht 346 – Europäische Menschenrechtskonvention 349 – Koordinierung 335 ff. – Teilhabeanspruch von Unionsbürgern 345 Familienversicherung in der GKV 151 fehlerhaftes Arbeitsverhältnis 145 Flüchtlinge 4, 90, 95, 379 – Anwendbarkeit des koordinierenden Sozialrechts 154 – Ausweisungsschutz 305 – Kindergeldanspruch 311 – Zugang zur Sozialhilfe 271, 281, 284 freie Berufswahl 9 Freizügigkeit – Arbeitnehmerfreizügigkeit 68 ff., 218, 275 – Assoziationsrecht 76 – Deutschengrundrecht 8, 59 f. – Drittstaatsangehörige 75 – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 49

– Familienangehörige 74 f. – FreizügG/EU 67 – Freizügigkeitsgesetzgebung ALR 32 – Latinischer Bund 23 – Norddeutscher Bund 34 – Unionsbürgerfreizügigkeit 69 Freizügigkeitsabkommen Schweiz 79 Fremde 2, 21, 23, 396 Fremdenrecht 8 Fremdrentenrecht 172, 209 Gastfreundschaft 19 Gastrecht 389 Gegenseitigkeitsprinzip 127, 226, 230, 359, 366 Gemeinsames Indigenat 35 Gemeinschaftsunterkünfte 113 Genfer Flüchtlingskonvention 95, 113, 272, 296, 305 Gewaltmonopol 365 Gewaltopferentschädigung siehe Verbrechensopferentschädigung gewöhnlicher Aufenthalt 9, 58 f., 119 – Asylbewerber 114 – Duldung 116 – Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis 94 – Steuerrecht 309 – Tatbestandsmerkmale 63 – türkische Staatsangehörige 78 Gleichbehandlungsansprüche – AGG 128 f. – Arbeitnehmerfreizügigkeit 133, 245 – Europäisches Fürsorgeabkommen 261 – existenzsichernde Leistungen 247 ff., 259 ff., 273 ff. – koordinierendes Sozialrecht 205 – sozialrechtliche Diskriminierungsverbote 130 – Statutenwechsel 250 – Unionsbürger 133, 247 f., 342 f. – Wanderarbeitnehmerverordnung 253, 276 – Wechsel der Anknüpfungsmomente 198 Globalisierung 7, 12, 395 Grenzgänger 215 Griechenland 19 f.

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Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz 122 – Asylbewerberleistungsgesetz 291 ff. Grundrechte-Charta 132 Grundsicherung für Arbeitsuchende – Europäisches Fürsorgeabkommen 262 – Leistungsausschluss bei Beschäftigungssuche 241, 252 – Rechtscharakter 244 – Wartefrist 239, 251 f. – Zugang 238 ff. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit 265 Harmonisierung 385 Härtefallklausel 98 Heimatprinzip 29 f., 38, 299 Hugo, Victor 11 Impfschäden 354 Inlandsaufenthalt als Anspruchsvoraussetzung 177 Inlandssteuerpflicht 310 Internationale Arbeitsorganisation 10, 87, 140, 230, 396 Internationales Sozialrecht – Gesetzgebungsaufträge 10 – Prinzipienerklärungen 10 irregulärer Aufenthalt 118 f., 380 – Beschäftigung ohne Erlaubnis 145 ius sanguinis 3, 124 ius soli 3, 124 Jellinek, Georg 2, 383, 393 Kaiserliche Botschaft 41 Kant, Immanuel 11, 389, 396 Karl der Große 26 Kindererziehungszeiten 170, 172, 220 Kindergeld – Anknüpfungsmoment 309 – Antikumulierungsregeln 313, 326, 337 – nicht freizügigkeitsberechtigte Personen 311 Kindernachzug 110 Kollisionsnorm 7, 9 f., 59, 120 – Anknüpfungsgegenstand 9 koordinierendes Sozialrecht 10, 153

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– – – –

Äquivalenzregel 223 Assoziationsrecht 223 Ausbildungsförderung 334 besondere beitragsunabhängige Geldleistungen 256 – Bestimmung anwendbaren Rechts 156 – Entsendung 159 – Familienleistungen 335 – Grundsicherung für Arbeitsuchende 254 – Inländergleichbehandlung 205 – Leistungen bei Krankheit 216 f. – Leistungsexport – Mehrfachbeschäftigung 158 – persönlicher Geltungsbereich 154 – Sachleistungsaushilfe 216 f. – sachlicher Anwendungsbereich 155 – soziale Entschädigung 369 – soziale Förderung 334 – weltweite Koordinierung 396 – Wohnsitzklauseln 208 – Zusammenrechnung von Wartezeiten 220 ff. kosmopolitische Freizügigkeit 63 Krankenversicherung – Bismarck 41 – Familienversicherung 151 – Krankenversicherung der Rentner 148, 161 – Leistungsexport 216 – Ruhen von Ansprüchen 189 – subsidiäre Versicherungspflicht 150 Kriegsopferversorgung 354 – Antikumulierungsvorschriften 358 – Leistungsexport 356 Latinischer Bund 23 Lebensmittelpunkt 58, 64, 240, 251 Lebensunterhalt 5 – als Voraussetzung der Einreise 65 – als Bedingung der Freizügigkeit 72 – Ausnahme bei humanitären Aufenthaltstiteln 101 – bei Familiennachzug 104 f. Leistungsexport 10 – Arbeitslosenversicherung 214 – Assoziationsrecht 225

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– besondere beitragsunabhängige Geldleistungen 256 – gesetzliche Krankenversicherung 216 – gesetzliche Rentenversicherung 192, 232 ff. – Kriegsopferversorgung 356 – Sozialhilfe 286 – Verbrechensopferentschädigung 361, 369 f. lex loci domicilii 157, 161, 336, 352 lex loci laboris 144, 156, 197, 235, 315, 336 Lissabon, Vertrag von 52 Luther, Martin 28 Maastricht 51 margizens 380 Marshall, Thomas Humphrey 6, 393 matricula 25 Menschenwürdegarantie 18, 24, 306, 400 – Grundrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz 122 Menschenrecht 12, 140, 394 Migrationsrecht 1, 9 – europäische Einwanderungspolitik 95 – Interdependenz zum Sozialrecht 378 Mindeststandards 140, 230 Missbrauch von Sozialleistungen 63, 114, 264, 268, 302 Mittelalter 26 ff. Nächstenliebe 17, 24 Nation 7, 375, 393 Nationalitätsprinzip 199 f. Nationalsozialismus 45 ff. – Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts 174 Nationalstaat 1, 12, 383, 393 Neues Testament 24 Niederlassungserlaubnis 82 f. Nizza, Vertrag von 52 Normhäufung und Normmangel 10, 375 Personalprinzip 29, 58, 177, 274 Pflegeversicherung – Anwartschaftszeiten 175 – Alterssicherung der Pflegekräfte 169, 210

– Ruhen von Ansprüchen 191 – Wohnsitzklauseln 209 Polizeirecht 2, 394 Prinzip der begrenzen Einzelermächtigung 53, 384 pro rata temporis-Prinzip 193 Qualifikationsrichtlinie 96 Rahmenfristen 165 Refoulement-Verbot 113, 389 Rehabilitation 194 Rentenversicherung – Alterssicherung von Pflegekräften 169, 210 – Auslandsaufenthalt des Berechtigten 192, 232 ff. – Beitragszeiten 169 – Kindererziehungszeiten 170 – pro rata temporis-Prinzip 193 – vorzeitige Wartezeiterfüllung 183 – Waisenrenten 184 – Wartezeiten 167 Residenzpflicht 113 Reziprozitätsprinzip 127 Römisches Reich 21 ff. Ruhen von Ansprüchen – Gesetzliche Krankenversicherung 189 – Soziale Pflegeversicherung 191 Sachnorm 7 Schichtung – aufenthaltsrechtlich begründete Schichtung 378 – sozialrechtlich begründete Schichtung 381 Smith, Adam 7 social citizenship 6, 393 Solidarität 2, 12, 52, 375, 387 Solidarverband 2, 8, 47, 57, 365, 393 – Zugehörigkeit bei Auslandsaufenthalt 200 Souveränität 2 Sozialbürgerschaft 6, 393 soziale Entschädigung 353 ff., 376 – Assoziationsrecht 371 – Gegenseitigkeitsprinzip 366 ff. – Kriegsopferversorgung 355

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– Rechtsgrund 354 – Verbrechensopferentschädigung soziale Förderung 307 ff., 376 – Assoziationsrecht 346 f. – Bildungs- und Arbeitsförderung 316 ff. – Europäische Menschenrechtskonvention 348 f. – Familienleistungen 308 – Koordinierung 334 ff. – Teilhabeanspruch von Unionsbürgern 343 f. – Wohngeld 321 soziale Inklusion 9, 12, 387 f. soziale Teilhabe – Teilhabeanspruch aus Art. 18, 20, 21 AEUV 135 ff., 250 ff., 275 f., 343 ff., 383 – Verweigerung von Teilhabeleistungen nach AsylbLG 292 soziale Risiken 9, 41 soziale Vergünstigungen (Wanderarbeitnehmerverordnung) 138, 253, 276, 338 f. Sozialhilfe – Anspruchsberechtigung von Ausländern 266 – Assoziationsrecht 280 – Ausweisung 297 – bei Auslandsaufenthalt 285 – bei Beschäftigungssuche 271 – Europäisches Fürsorgeabkommen 282 – Flüchtlinge 281, 284 – Missbrauchsabwehr 269, 282 – Zugang 266 ff., 376 Sozialrecht – Internationales Sozialrecht 7 sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis 144 Sozialstaat 7, 375, 383 – supranationaler Sozialstaat 10 Sozialstaatsprinzip 122, 126, 198, 298, 365, 399 Sozialtourismus 71, 243, 247 Sozialversicherung – Bismarck 42 – Zugang 143 ff., 376 Spätaussiedler 173 Spitalwesen 27 Staatenlose 378

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Staatsangehörigkeit 3, 378, 390 – als Differenzierungskriterium 124 f., 261 ff. – deutsche Staatsangehörigkeit 4 – Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV 133 f. Staatsangehörigkeitsprinzip 285, 318, 355, 364 Staatsgebiet 2, 11, 386 Staatsgewalt 2, 384 Staatsvolk 2, 4, 11, 387 f. Statutenwechsel 250, 257, 351, 398 Steuerfreiheit des Existenzminimums 330 Steuerrecht 59 Stratifizierung 378, 381 Subsidiarität 53, 384 Tatortprinzip 364, 373 Teilhabe – Teilhabeanspruch aus Art. 18, 20, 21 AEUV 135 ff., 250 ff., 275 f., 343 ff. – Verweigerung von Teilhabeleistungen nach AsylbLG 292 Territorialprinzip 2, 57, 197, 201, 235, 325, 381, 386 transnationale Wirkung 78, 80, 84, 96 Unfallversicherung – Berufskrankheiten 186 – Bismarck 42 – Expositionszeiten 186 – Leistungsexport 196 – unechte Unfallversicherung 354, 363 – Wartezeiten 187 Unionsbürgerfreizügigkeit – Ausweisungsschutz 301 – Einschränkung bei Bedürftigkeit 72 f., 248 – historische Entwicklung 69 f. Unionsbürgerschaft 12, 379 – als Bürgerstatus 53 f., 391 – Ausweitung auf Drittstaatsangehörige 391 – Diskriminierungsverbot 133 f., 243, 276 f., 344 f. – Erwerb 55 – postnationaler Charakter 391

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Unterstützungswohnsitz 31 f., 36 Utilitarismus 390 Verbrechensopferentschädigung – Ausländer 358 – Auslandstaten 362 – Gegenseitigkeitsprinzip 359, 366 ff. – Härteausgleich 361 – Inlandstaten 358 – vorübergehender Inlandsaufenthalt 360 f. Vereinte Nationen 10 Verpflichtungserklärung 66 Versicherungspflicht – Anknüpfungsmerkmale 143 ff., 197 – Bismarck 42 – Entsendung 146 – Krankenversicherung der Rentner 148 – sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis 144 – subsidiäre Versicherungspflicht in der GKV 150 – Wohnsitz 148 Versicherungsprinzip 176 Vertriebene 4, 172 Verwurzelung 103 Visum – nationales Visum 81 – Schengen-Visum 80 Volkszugehörigkeit 4, 8, 45, 172, 355, 378, 390 Vorbehalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit 5, 65, 70, 248, 277 Vorrangprüfung 91 Waisenrenten 184 Wanderarbeitnehmer 87

– Abkömmlinge von Wanderarbeitnehmern 340 Wanderarbeitnehmer-Verordnung 138, 253, 276, 338 Wartezeiten – Grundsicherung für Arbeitsuchende 239, 251 f. – Rentenversicherung 167 – soziale Förderung 333 – Sozialversicherung 165 – vorzeitige Erfüllung 183 – Zusammenrechnung 218 Weimarer Republik 44 Wehrdienst 354 Weltbürgerrecht 389 Weltgemeinschaft 396 Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts 174 Willkürverbot 125 Wohlfahrtsstaat 11 Wohngeld 321 Wohnsitz 9, 58, 148 – außerhalb des zuständigen Staates 215 Wohnsitzklauseln – Arbeitslosenversicherung 211 – Assoziationsrecht 225 – gesetzliche Krankenversicherung 216 – Kindergeldberechtigung 325 – koordinierendes Sozialrecht 208, 216 ff. – soziale Pflegeversicherung 209 Wohnsitzprinzip 120 Zugehörigkeit 5 – bei Auslandsaufenthalt 200 Zünfte 31 Zusammenrechnung von Wartezeiten 219 ff.