mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke: Trends, Entwicklungen, Technologien [1. Aufl.] 9783658291327, 9783658291334

Die Digitalisierung im Gesundheitsmarkt verändert und erweitert die Möglichkeiten Menschen mit chronischen Erkrankungen

236 57 6MB

German Pages XII, 330 [328] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard? (Walter J. Swoboda, Marina Fotteler, Felix Holl)....Pages 1-9
Chancen durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland (Alexander Gmelin)....Pages 11-25
Ökonomische Aspekte von mHealth-Anwendungen (Alexander M. Würfel, Felix Holl)....Pages 27-44
Arzt-Patienten-App mit Alarmierungsfunktion (Bernhard Ammann, Carsten Nicolaus, Sigrid Blehle)....Pages 45-61
Digitale Anamnese für optimale Patientenkenntnis – die Idana App in der Versorgung und Prävention von Kreuzschmerzen (Verena Spohn, Lilian Rettegi, Lucas Spohn)....Pages 63-85
KI-gestütztes Wundmanagement (Robert Mischak, Bianca Schnalzer, Baptiste Alcalde, Jeroen de Bruin)....Pages 87-105
Die bwHealthApp: Eine Plattform und Infrastruktur zum dauerhaften dezentralen individuellen Patientenmonitoring für die personalisierte Medizin (Denise Junger, Yvonne Möller, Nisar P. Malek, Christian Thies)....Pages 107-133
Digitale Lösungen für die Versorgung von Herzinsuffizienzpatienten (Bettina Zippel-Schultz, Alexander Palant, Thomas M. Helms)....Pages 135-155
Die Rolle personalisierter mHealth-Anwendungen zur Risikoreduktion der Alzheimererkrankung (Hatem Al Khayyal, Hartmut Remmers)....Pages 157-175
Gesundheits-Apps in der hausarztbasierten Versorgung – Empirische Befunde zur Perspektive von Allgemeinmedizinern und Patienten (Julian Wangler, Michael Jansky)....Pages 177-194
Gesundheits-Apps zur verbesserten Versorgung von Patienten nach Nierentransplantation (Wiebke Düttman-Rehnolt, Marcel G. Naik, Verena Graf, Danilo Schmidt, Fabian Halleck, Martin Högl et al.)....Pages 195-211
Mobile Health und digitale Biomarker: Daten als „neues Blut“ für die P4-Medizin bei Parkinson und Epilepsie (Sven Meister, Salima Houta, Pinar Bisgin)....Pages 213-233
Die Bedeutung eines standardisierten EEG Formats für die Versorgung von Epilepsiepatienten und für die Anwendung in mobilen Applikationen (Silvia Winkler, Tilmann Kluge, Christoph Baumgartner)....Pages 235-251
Gebrauchstauglichkeit, Akzeptanz und Nutzungserlebnis von mHealth-Anwendungen (Tilo Mentler, Jannick Scherf)....Pages 253-270
Verbesserung der ganzheitlichen Gesundheit mittels mHealth und Coaching (Eva Gattnar)....Pages 271-287
Qualitätsbewertung von gesundheitsbezogenen Apps (Veronika Strotbaum, Marc Beckers)....Pages 289-310
Digitale Zukunft – Der steinige Weg der Informationssicherheit (Thomas Jäschke)....Pages 311-319
Back Matter ....Pages 321-330
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mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke: Trends, Entwicklungen, Technologien [1. Aufl.]
 9783658291327, 9783658291334

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Mario A. Pfannstiel Felix Holl Walter J. Swoboda Hrsg.

mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke Trends, Entwicklungen, Technologien

mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke

Mario A.  Pfannstiel · Felix Holl · Walter J. Swoboda (Hrsg.)

mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke Trends, Entwicklungen, Technologien

Hrsg. Mario A. Pfannstiel Neu-Ulm, Deutschland

Felix Holl Neu-Ulm, Deutschland

Walter J. Swoboda Neu-Ulm, Deutschland

ISBN 978-3-658-29132-7 ISBN 978-3-658-29133-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Kapitel 12 wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creative­ commons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Der Markt für mobile Gesundheitsanwendungen, kurz mHealth, gehört zu den am schnellsten wachsenden Bereichen im Gesundheitswesen. Immer mehr Leistungsanbieter kommen mit mHealth-Produkten und mHealth-Dienstleistungen auf den Markt. Durch die Digitalisierung verändert sich das Angebot und damit die Möglichkeiten, Menschen mit chronischen Erkrankungen zu helfen. Krankheiten wie z. B. Diabetes Mellitus, Colitis Ulcerosa, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Asthma bronchiale und Rheuma eignen sich für den zielgruppenspezifischen Einsatz von Anwendungen. Patienten nutzen mobile Endgeräte, wie z. B. Smartphones, Smartwatches und Tablets, um Gesundheitsdaten zu erfassen, einzusehen und zu analysieren, aber auch um sich über Krankheiten zu informieren oder sich unterrichten zu lassen. Zunehmend werden auch mHealth-Anwendungen entwickelt die auf die Bedürfnisse von Patienten eingehen und einen hohen Stellenwert bei der Prävention, der Diagnostik und der Therapie einnehmen können. Beispielsweise können Patienten Arzttermine und Online-Sprechstunden und andere digitale Services vereinbaren und in Anspruch ­ nehmen. Ein wichtiger Anwendungsfall für mHealth-Anwendungen ist die Kontrolle und Dokumentation von Vitalparametern. Eingesetzt werden können mHealthAnwendungen auch zur Unterstützung bei Medikamentendosierungen, bei Lebensstil ändernden Maßnahmen und zur Unterstützung von Therapiemaßnahmen. Entscheidend für den Erfolg von mHealth-Anwendungen ist, inwieweit die bestehenden Funktionalitäten genutzt werden können und eine Patientenbeteiligung möglich ist. Für Patienten steht im Vordergrund, ob sie Veränderungen am Gesundheitszustand erkennen, ob Messwerte und Informationen zur eigenen Krankheit eingesehen und abgerufen und ob Anweisungen, Anleitungen und Aufstellungen von behandelnden Ärzten nachvollzogen werden können. Setzen Patienten mHealth-Anwendungen ein, so übernehmen sie Verantwortung für ihre Gesundheit und achten verstärkt auf die Medikamenteneinnahme; sie werden zu Experten ihrer eigenen Krankheit. Damit nutzerfreundliche und ganzheitliche ­mHealth-Anwendungen entstehen, müssen sich Patienten, Ärzte, Entwickler, V

VI

Vorwort

Forscher, Hersteller, Analytiker und alle weiteren relevanten Entscheidungsträger zusammensetzen. Gemeinsam entwickelte Anwendungen können als Empfehlung für Patienten verstanden werden die allen Beteiligten Vorteile bringen. Der effiziente Einsatz kann z. B. Ärzte und Pflegekräfte bei der Patientenversorgung unterstützen und geht mit Kosteneinsparungen, Entlastungen und Vorteilen bei der Organisation, Koordination und Kommunikation einher. mHealth-Anwendungen erleichtern, unterstützen und verbessern die patientenzentrierte Behandlung und die technische Weiterentwicklung telemedizinischer Dienste. Es fehlen häufig fundierte Daten, die belegen, wie effizient die Anwendungen sind und wie risikobehaftet ihre Anwendung ist. Ärzte warnen Patienten davor, konkrete Behandlungsempfehlungen bei nicht geprüften mHealth-Anwendungen zu befolgen und Maßnahmen erst nach Rücksprache mit einem Arzt zu nutzen. Hier besteht großer Handlungs- und Aufklärungsbedarf, damit mHealth-Anwendungen nicht die Gesundheit gefährden. Ohne Zweifel besteht erhebliches Verbesserungspotenzial und es können sich vielfältige neue dienstleistungsbezogene Geschäftsfelder ergeben. Abb. 1 gibt einen Überblick über Einsatzmöglichkeiten und Trends im Bereich von ­mHealth-Anwendungen. Augmented Reality, Virtual Reality und Chatbots können beispielsweise zur Optimierung der Versorgung beitragen. Digitale Sprachassistenten können den Zugang zu symptom- und krankheitsbezogenen Informationen für Patienten erleichtern. Künstliche Intelligenz kann Ärzte z. B. bei der Diagnosefindung und der Stellung von Differenzialdiagnosen unterstützen. Information, die Patienten und Ärzten bereitgestellt wird, muss eine hohe Qualität aufweisen und soll nicht ungefiltert weitergegeben

Abb. 1   Einsatzgebiete von mHealth-Anwendungen. (Quelle: Eigene Darstellung 2018)

Vorwort

VII

werden. Aktuelle Daten können durch die Analyse von Zusammenhängen und Mustern erstellt werden und Aktualisierungen können durch Feedbackschleifen erfolgen. Augmented Reality kann den Lernprozess bei der Behandlung z. B. durch Simulationen und Krankheitsszenarien fördern. Eine sorgfältige, detaillierte und genaue Informationsauswahl wird für die Nutzung im Praxisalltag essentiell. Die Beiträge der einzelnen Autoren in diesem Sammelband sind wie folgt zusammengestellt: Zusammenfassung, Anschrift, Gliederung, Einleitung, Hauptteil, Schluss, Literaturverzeichnis und Autorenbiografie. Die Ausführungen und Erkenntnisse der Beiträge werden von jedem Autor in einer Schlussbetrachtung am Beitragsende zusammengefasst. Im Anhang wird ein Stichwortverzeichnis bereitgestellt, das zum besseren Verständnis des Sammelbandes dienen und die gezielte Themensuche beschleunigen soll. Wir möchten uns bei den zahlreichen Autorinnen und Autoren des Bandes bedanken, die viele aktuelle und spannende Themen aus Praxis und Wissenschaft in den Band eingebracht haben. Weiterhin möchten wir uns ganz herzlich an dieser Stelle bei Frau Schlomski bedanken, die uns bei der Erstellung des Sammelbandes sehr mit Ihren Ideen und Ratschlägen unterstützt hat. Mario A. Pfannstiel Felix Holl Walter J. Swoboda

Inhaltsverzeichnis

1

mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard? . . . . . . . . . . . . . . 1 Walter J. Swoboda, Marina Fotteler und Felix Holl

2

Chancen durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Alexander Gmelin

3

Ökonomische Aspekte von mHealth-Anwendungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Alexander M. Würfel und Felix Holl

4

Arzt-Patienten-App mit Alarmierungsfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Bernhard Ammann, Carsten Nicolaus und Sigrid Blehle

5

Digitale Anamnese für optimale Patientenkenntnis – die Idana App in der Versorgung und Prävention von Kreuzschmerzen. . . . . . . . . . . 63 Verena Spohn, Lilian Rettegi und Lucas Spohn

6

KI-gestütztes Wundmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Robert Mischak, Bianca Schnalzer, Baptiste Alcalde und Jeroen de Bruin

7

Die bwHealthApp: Eine Plattform und Infrastruktur zum dauerhaften dezentralen individuellen Patientenmonitoring für die personalisierte Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Denise Junger, Yvonne Möller, Nisar P. Malek und Christian Thies

8

Digitale Lösungen für die Versorgung von Herzinsuffizienzpatienten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Bettina Zippel-Schultz, Alexander Palant und Thomas M. Helms

9

Die Rolle personalisierter mHealth-Anwendungen zur Risikoreduktion der Alzheimererkrankung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Hatem Al Khayyal und Hartmut Remmers

IX

X

Inhaltsverzeichnis

10 Gesundheits-Apps in der hausarztbasierten Versorgung – Empirische Befunde zur Perspektive von Allgemeinmedizinern und Patienten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Julian Wangler und Michael Jansky 11 Gesundheits-Apps zur verbesserten Versorgung von Patienten nach Nierentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Wiebke Düttman-Rehnolt, Marcel G. Naik, Verena Graf, Danilo Schmidt, Fabian Halleck, Martin Högl, Philipp Legge, Jens Kopecky und Klemens Budde 12 Mobile Health und digitale Biomarker: Daten als „neues Blut“ für die P4-Medizin bei Parkinson und Epilepsie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Sven Meister, Salima Houta und Pinar Bisgin 13 Die Bedeutung eines standardisierten EEG Formats für die Versorgung von Epilepsiepatienten und für die Anwendung in mobilen Applikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Silvia Winkler, Tilmann Kluge und Christoph Baumgartner 14 Gebrauchstauglichkeit, Akzeptanz und Nutzungserlebnis von ­mHealth-Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Tilo Mentler und Jannick Scherf 15 Verbesserung der ganzheitlichen Gesundheit mittels mHealth und Coaching. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Eva Gattnar 16 Qualitätsbewertung von gesundheitsbezogenen Apps. . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Veronika Strotbaum und Marc Beckers 17 Digitale Zukunft – Der steinige Weg der Informationssicherheit . . . . . . . . 311 Thomas Jäschke Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Über die Herausgeber

Prof. Dr. Mario A. Pfannstiel ist Professor für Betriebswirtschaftslehre im Gesundheitswesen – insbesondere innovative Dienstleistungen und Services an der Hochschule Neu-Ulm. Er besitzt ein Diplom der Fachhochschule Nordhausen im Bereich „Sozialmanagement“ mit dem Vertiefungsfach „Finanzmanagement“, einen M.Sc.Abschluss der Dresden International University in Patientenmanagement und einen M.A.-Abschluss der Technischen Universität Kaiserslautern und der Universität Witten/ Herdecke im Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Die Promotion erfolgte an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und dem Lehrstuhl für Management, Professional Services und Sportökonomie der Universität Potsdam. An der Universität Bayreuth war er beschäftigt als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strategisches Management und Organisation im Drittmittelprojekt „Service4Health“. Im Herzzentrum Leipzig arbeitete er als Referent des Ärztlichen Direktors. Seine Forschungsarbeit umfasst zahlreiche Beiträge, Zeitschriften und Bücher zum Management in der Gesundheitswirtschaft. Felix Holl  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Bereich Digitalisierung Healthcare in der Fakultät Gesundheitsmanagement an der Hochschule Neu-Ulm und promoviert über die Entwicklung von Evaluationsmethoden für mHealth-Anwendungen an der Hochschule Neu-Ulm und an der ­ Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat einen B.Sc. in Informationsmanagement im Gesundheitswesen der Hochschulen Ulm und Neu-Ulm. Als Fulbright-Stipendiat hat er einen M.Sc. in Global Health Sciences an der University of California, San Francisco erworben. Prof. Dr. Walter J. Swoboda ist Forschungsprofessor der Fakultät Gesundheitsmanagement und Leiter der Arbeitsgruppe DigiHealth an der Hochschule Neu-Ulm (HNU). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Digitalisierung von Medizin und Pflege, eHealth, dem medizinischen Informationsmanagement und dem Projekt- und Prozessmanagement. Walter Swoboda ist approbierter Arzt und besitzt ein Diplom im

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Über die Herausgeber

Fach Informatik. Er ist Beirat der Stiftskliniken Weißenhorn, freiberuflicher Berater in den verschiedenen Klinika und Dozent in den Fortbildungsprogrammen der HNU in den Studiengängen „MBA für Ärzte“ (Masterstudiengang) und „Management für Gesundheits- und Pflegeberufe“ (Bachelorstudiengang).

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mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard? Walter J. Swoboda, Marina Fotteler und Felix Holl

1.1 Eine neue Technologie Der Begriff „mHealth“, kurz für „mobile Health systems“, meint den Einsatz mobiler Endgeräte wie Smartphones, Tablets, Smart Watches, persönlicher digitaler Assistenten oder ähnlicher Hardware im Bereich der Medizin zur Datenauf-, bzw. Datenübernahme, zur Steuerung von Abläufen oder zur Unterstützung telemedizinischer Prozesse. Die Aufzählung ist keineswegs vollständig, denn täglich kommen neue Soft- und Hardwarelösungen hinzu und es ist nicht abzusehen, welche Funktionalitäten noch entwickelt werden. Die erstaunliche Verbreitung von mHealth-Systemen in kürzester Zeit lässt aber vermuten, dass die neue Technik ernst zu nehmen ist und in bestehende medizinische Prozesse integriert werden wird. Eine Google-Suche erzeugte Ende April 2019 bei der Eingabe des Begriffes „mHealth“ über 4,7 Mio. Ergebnisse (Google-Suche mHealth 2019). Google Trends, das Suchstrategien von Nutzern über ausgewählte Subsets analysiert, zeigt beim gleichen Suchbegriff, dass die Entwicklung ungefähr seit 2013 in eine stagnierende Phase auf hohem Niveau mündet (Google-Trends mHealth 2019). Die Technologie ist also etabliert; dementsprechend wird sie von einigen Geräteherstellern geradezu als Rechtfertigung für die eigenen Produkte herangezogen (siehe z. B. Apple Watch der neuesten Generation).

W. J. Swoboda (*) · M. Fotteler · F. Holl  Neu-Ulm, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Fotteler E-Mail: [email protected] F. Holl E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_1

1

2

W. J. Swoboda et al.

Bei etablierten Systemlieferanten der Medizintechnik oder Medizininformatik ist von der Begeisterung für mobile Systeme allerdings nur wenig zu spüren. mHealth-Lösungen werden dort praktisch nicht angeboten. Deutet sich ein Technologiewechsel an? Können mHealth-Systeme die medizinische Versorgung verbessern, gibt es Einschränkungen und welche Auswirkungen haben diese?

1.2 Chancen und Risiken So vielfältig die Medizin, so vielfältig sind deren digitale Lösungen. Zusammenfassend lässt sich allerdings sagen, dass übliche stationäre Endgeräte nicht ideal geeignet sind in einem Umfeld, bei dem wichtige Daten hauptsächlich dezentral anfallen, beurteilt und bearbeitet werden müssen. Schon bei der Einführung moderner Bildbearbeitungssysteme (z. B. PACS) in den radiologischen Abteilungen fielen neben deren Vorteilen wie schnellere Bearbeitung, ubiquitäre Verfügbarkeit der Bilder und fortschrittliche Bearbeitungsmöglichkeiten auf, dass im Gegensatz zur herkömmlichen Radiologie auf Filmfolien die Bilder nicht ohne weiteres in den OP oder ins Patientenzimmer mitgenommen werden können. Für das erste Problem gibt es mittlerweile kostenintensive Systemerweiterungen, das zweite ist nur punktuell gelöst. Hochwertige Tablet-PCs mit der Funktionalität für klinische Informationssysteme sind teuer, von Herausforderungen des Datenschutzes, der Akkulaufzeit, der Gefahr des Diebstahls usw. abgesehen. Nur die Tatsache des nicht zu übersehenden Zusatznutzens moderner Bildbearbeitungssysteme verhinderte, dass der prozessuale Nachteil der fixen Bindung an stationäre Endgeräte zum Einführungshindernis wurde. Das Beispiel eignet sich gut, Vor- und Nachteile von mHealth-Systemen zusammenzufassen. Allgemeine Vorteile sind: • mHealth-Systeme sind uneingeschränkt mobil verwendbar. • mHealth-Systeme basieren auf leichten und relativ kostengünstigen Endgeräten, die oft bereits verfügbar sind. • mHealth-Systeme sind über die auf Nutzerfreundlichkeit optimierten Betriebssysteme leicht bedienbar. Dem stehen nicht zu vernachlässigende Nachteile entgegen: • Die Hardware von mHealth-Systemen ist eingeschränkt, was Bildschirmgröße betrifft. • Die Hardware von mHealth-Systemen ist eingeschränkt, was Akkulaufzeit betrifft. • Die Hardware von mHealth-Systemen ist eingeschränkt, was die Speicherkapazität betrifft. • mHealth-Systeme sind diebstahlgefährdet. • Daraus ergibt sich ein besonders hoher Schutzbedarf in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit.

1  mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard?

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Bildschirmgröße und Akkulaufzeiten werden bei künftigen Gerätegenerationen keine große Rolle mehr spielen. Schon jetzt sind Smartphones mit faltbaren Displays eingeschränkt verfügbar und neben der Entwicklung von noch leistungsfähigeren Akkus trägt die drahtlose Ladetechnik zur Entschärfung der Situation bei. Was die begrenzte Speicherkapazität betrifft, so kann bei größeren Datenmengen auf Cloud-Lösungen zurückgegriffen werden, womit auch die Datenschutzproblematik bei möglichem Gerätediebstahl entschärft wird. Es gibt seit Jahren Erfahrungen mit thin Clients, die wie Terminals an eine virtualisierte Serverinfrastruktur angebunden werden. Natürlich können die Geräte immer noch gestohlen werden, aber im besten Fall befinden sich keine vertrauenswürdigen Daten im Speicher. Davon abgesehen ist es technisch machbar, die Funktionsfähigkeit zu unterbinden, wenn sich die Geräte außerhalb der zugeteilten WLAN-Netze befinden. Zusammen mit einer biometrischen Zugangskontrolle (Gesichts-, Iris- oder Fingerprinterkennung) und der Verwendung geschützter Datenkanäle wären dies akzeptable Lösungen.

1.3 Datenebenen Gibt es Auswirkungen der neuen Technik auf die Versorgung und falls ja, welche? Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst ein Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland geworfen werden: Medizinische Daten werden in den Institutionen des Gesundheitswesens gespeichert und bearbeitet, also in Arztpraxen, Krankenhäusern, Sozialeinrichtungen und administrativen Einrichtungen (siehe Abb. 1.1). Diese Zentrierung auf Institutionen ohne die eigentlich notwendige interinstitutionelle Vernetzung hat eine Aufteilung der Daten zur Folge, die sich weder an Prozessen noch an Patienten orientiert (siehe Abb. 1.1). Das ist keineswegs unausweichlich: Schon vor einiger Zeit machte der inzwischen leider verstorbene Medizininformatiker Claus Köhler (Köhler und Schuster 1995) darauf aufmerksam, dass aus technischer Sicht medizinische Daten auch vollständig auf mobilen Devices oder Karten gespeichert werden könnten, welche in Patientenhand verbleiben. Zwar war damals die Technik der SmartCards noch nicht ausgereift genug, aber die Weiterentwicklung war absehbar und inzwischen wäre die technische Realisierbarkeit gegeben. Aber auch die gegenwärtige Dispersion der Daten wäre heilbar, wenn es eine Möglichkeit der nachträglichen Zusammenführung gäbe. Leider ist dies in Deutschland nicht der Fall, denn im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern ist hier keine zentrale Patientenidentifikation verfügbar. Ein Ausweg wäre die zentrale elektronische Patientenakte (ePA). Das ­Arzneimittelsicherheits-Ereignis um den Pharmaherstellers Bayer und dessen Produkt Lipobay® hat dazu beigetragen, dass die Bundesregierung im Jahr 2004 beschloss, eine einheitliche ePA nebst Telematik-Infrastruktur einzuführen (Weichert 2004). Aus verschiedenen Gründen verzögerte sich dieses Vorhaben, sodass aktuell weder Patientenidentifikation noch zentrale Patientenakte in nennenswertem Ausmaß existieren – ganz im Gegensatz zu anderen Ländern wie Österreich und Dänemark, um die bekanntesten

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W. J. Swoboda et al.

a)

b)

Daten

Daten

c)

Daten

Paenten

Hersteller

Instuonen

Abb. 1.1   Datenmodelle a Status quo, b Patientenzentriert, c Patientenzentriert mit neuer Datenebene durch App-Hersteller. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Beispiele zu nennen. Gegenwärtig werden allerdings auch in Deutschland ePAs eingeführt, allerdings nicht zentral, sondern durch einige Krankenversicherer und Klinikketten. Ob und wie sich die Datensätze vereinheitlichen lassen und welche Auswirkungen das Vorgehen auf das datenschutzrechtliche Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen hat, muss die Zukunft zeigen.

1.4 mHealth und Datenzentrierung Es liegt in der Natur der Sache, dass Daten, die mithilfe von mHealth-Systemen erhoben werden, auch auf mobilen Geräten oder damit zusammenhängenden C ­ loud-Diensten (s. u.) gespeichert werden. Das hat einerseits mit einer gewissen Einfachheit bei der Programmierung zu tun. Andererseits sind heutige Standard-Protokolle, die in der Medizin verwendet werden wie HL7, DICOM oder xDT (Swoboda 2017), nicht oder nicht vollständig auf mobile Devices übertragen sind. Es entsteht also im Gegensatz zur klassischen medizinischen Datenverarbeitung mit medizinischen Informationssystemen ein Datensatz, der sich dezentral auf den mobilen Devices befindet und damit primär in der Hand des Patienten liegt (in Abb. 1.1). Allerdings führt der beschränkte Speicherplatz auf den Smartphones, Tabletts und digitalen Assistenten neben der potentiellen Verwundbarkeit der Hardware und der

1  mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard?

5

Schwierigkeit, Backups zu erstellen die Hersteller meist dazu, die Daten zusätzlich oder gänzlich auszulagern. Nicht selten liegen die Daten bei kommerziellen Anbietern gar nicht auf den Endgeräten, sondern werden nur bei Bedarf, wie dem Zugriff auf Verlaufsdaten, zugeladen. Hier ergeben sich für die kommerzielle Nutzung neue Anwendungsmöglichkeiten, was beispielsweise Produktwerbung oder einen eventuell kostenpflichtigen Datenzugriff betrifft. Es ist daher zu erwarten, dass es bei dieser Lösung bleibt, auch wenn künftig vielleicht genügend Datenspeicherfähigkeit zur Verfügung stünde. Das hat Folgen: Im Gegensatz zum institutszentrierten Status-Quo-Datenmanagement und dem bei kleineren Anbietern oder wissenschaftlichen Projekten vorhandenen endgerätezentrierten Datenmanagement wird hier in der medizinischen Versorgung eine neue Ebene eingezogen (siehe Abb. 1.1c), die zwar patientenzentrierten Zugriff erlaubt, bei der die eigentlichen Daten aber auf Servern von Dritten liegen. Diese neue Datenebene, mit zumindest vermutet zweifelhafter Datensicherheit, verschärft die gegenwärtig eintretende Situation der Dezentralisierung von medizinischen Daten und kann deshalb nicht die gewünschte Lösung sein. Es bleibt zu hoffen, dass etablierte Anbieter die Lücke erkennen und Datenübertragung mittels Standardprotokollen oder zertifizierte Datenspeicherorte anbieten. Nach Meinung der Autoren könnte hohe Datensicherheit ein wirksames Marketinginstrument sein und ein echtes Gegenargument gegenüber internationalen Herstellern sein. Die Firma Apple hat dies offenbar erkannt, denn Daten, die über die gerätespezifische Gesundheits-App erhoben werden, werden – zunächst – nur auf den Geräten selbst gelagert (o. V. 2017).

1.5 Prozesseinbindung Wie oben beschrieben, führen mHealth-Systeme per se zu keiner nennenswerten Verbesserung der Datendispersion; die Einführung einer zusätzlichen herstellernahen Datenebene birgt sogar die Gefahr, dass Daten nicht dauernd oder nicht kostenfrei eingesehen werden können. Da aber mit derartigen Systemen gewonnene, wertvolle Datensätze wegen ihrer Aktualität und Validität für die Behandlung eingesetzt werden sollen, entstehen völlig neue Herausforderungen. Eine Diabetes-Schwerpunktambulanz wird nicht auf Messwerte verzichten wollen, die eine Patientin zuhause erhoben hat. Bisher geschah dies oft auf Papier, das kopiert und in die Patientenakte eingefügt werden konnte. Was geschieht mit den Werten, wenn sie über eine Bluethooth-Schnittstelle vom Messgerät in die App des Smartphones geschrieben werden? Wenn es keine Kopierfunktion gibt, dann bleibt dem behandelnden Arzt nur, anhand der Bildschirmplots des Smartphones zu therapieren und den Autoren ist mindestens eine Praxis bekannt, in der dies genau so gehandhabt wird. Dieses Vorgehen ist aber aus forensischen Gründen völlig inakzeptabel. Der einzige Ausweg liegt in der Schaffung von Schnittstellen oder zumindest Kopierbarkeit der Daten in die Informationssysteme der Leistungserbringer. Erst dann wird es möglich, m ­ Health-Systeme sicher und leitlinienkonform in die medizinischen Behandlungsprozesse einzubinden.

6

W. J. Swoboda et al.

1.6 Evaluation von mHealth-Systemen mHealth-Systeme bieten Vorteile, jedoch gibt es, wie oben beschrieben, einiges bezüglich Datenverfügbarkeit und Prozesseinbindung zu beachten. Leider finden diese Aspekte bei der Evaluation momentan noch zu wenig Beachtung: Bei der Bewertung geht es nicht nur darum, den medizinischen Outcome zu bestimmen. Ohnehin wird dieser schwer zu messen sein, da zum Vergleich ja eine etablierte Behandlungsmethode herangezogen werden muss. Es sollte stattdessen eine umfangreiche Systemevaluation erfolgen, die sich an folgenden vier Leitfragen orientiert:

1.6.1 Leitfrage 1: Werden Prozesse optimiert? Vor einer Beurteilung müssen Ist- und Sollprozesse zunächst dokumentiert werden, da erst danach eine Beurteilung möglich ist. Wegen der nötigen Partikularität ist es empfehlenswert, hierfür eine moderne Prozessdokumentation wie z. B. BPMN 2.0 (Swoboda 2015) zu verwenden.

1.6.2 Leitfrage 2: Welche Elemente werden in die Evaluation einbezogen? Im klassischen Behandlungsmodell sind im Wesentlichen zwei Elemente (Behandelter und Behandler) beteiligt. Bei digitalen Verfahren kommen weitere Teile (Module) zum Einsatz (siehe Abb. 1.2), die alle in die Evaluation mit einbezogen werden sollten.

Klassisches Behandlungsmodell

mHealth Behandlungsmodell

Behandelter

Behandelter

Behandler

App

Netzwerk

App

Behandler

Provider

Abb. 1.2   Module beim klassischen und digitalem Behandlungsmodell. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

1  mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard?

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1.6.3 Leitfrage 3: Welche Qualitäten werden erfüllt? Das klassische Qualitätsmodell nach Donabedian (1966) gibt drei Qualitätskriterien vor, die sich für die Wertung eignen: • Strukturqualität (Technische, personelle und finanzielle Ausstattung) • Prozessqualität (Eingesetzte Prozesse) • Ergebnisqualität (Medizinischer, und ökonomischer Outcome, Mitarbeiterzufriedenheit, usw.)

1.6.4 Leitfrage 4: Welche Indikatoren werden gemessen und wie? Indikatoren ermitteln Werte für die genannten Qualitätskriterien. Eine gute Basis für mögliche Messgrößen liefert die Amerikanische Fachgesellschaft für Teleradiologie (Shore et al. 2014). Die Tab. 1 stellt nur eine Basis für mögliche Indikatoren dar, sie muss jeweils ergänzt und optimiert werden. Tab. 1.1  Liste mit möglichen Messgrößen (Auszug). (Quelle: Eigene Darstellung 2019) Qualität

Modul Indikator

Erhebung, Messgrößen

Ergebnis

Alle

Behandlungsausfall

Zählung

Ergebnis

Alle

Behandlungsintegration

Typ des digitalen Verfahrens

Ergebnis

Alle

Behandlungskoordination Anzahl der digitalen zu nicht-digitalen Kontakten

Ergebnis

App

Datengenauigkeit

Median und StDev der erfassten Werte im Vergleich

Ergebnis

Beh

Zufriedenheit

Befragung

Ergebnis

Pat

Diagnosenkorrektur

Anzahl

Ergebnis

Pat

Direktheit

Befragung

Ergebnis

Pat

Therapievollständigkeit

Anzahl Behandlungspunkte im Vergleich

Ergebnis

Pat

Nutzbarkeit

Anzahl Abbrüche, Anzahl Trouble-Tickets, Wartungszeiten, Befragung

Ergebnis

Pat

Zufriedenheit

Befragung

Ergebnis

Pro

Nutzbarkeit

Anzahl Abbrüche, Anzahl Trouble-Tickets, Wartungszeiten, Befragung

Prozess

Beh

Adaptionsreife

Reifegradmessung, Pros, Cons

Prozess

Pro

Zufriedenheit

Befragung

Struktur

Beh

Direktheit

Befragung

Struktur

Beh

Neg. Vorbelastung

Befragung (Fortsetzung)

8

W. J. Swoboda et al.

Tab. 1.1  (Fortsetzung) Qualität

Modul Indikator

Erhebung, Messgrößen

Struktur

Beh

Nutzbarkeit

Anzahl Abbrüche, Anzahl Trouble-Tickets, Wartungszeiten, Befragung

Struktur

Pat

Neg. Vorbelastung

Befragung

Struktur

Pat

Wartezeiten

Minuten, Klicks, Zeiten

(…)

Neben dem Vergleich mit einem etablierten Modell bietet sich der zeitliche Longitudinalvergleich an. In der Praxis wird man beide Verfahren kombinieren, da viele digitale Verfahren anfängliche Herausforderungen bei der Einführung meistern müssen. Auch der umgekehrte Fall ist möglich, etwa, wenn die Compliance der User nach anfänglicher Euphorie nachlässt. In jedem Fall sinnvoll ist es, diejenigen Indikatoren, bei denen dies möglich ist, bereits vor Einsatz des digitalen Verfahrens zu messen.

1.6.5 Leitfrage 5: Wie ist die wirtschaftliche Relevanz? Eine vollständige ökonomische Bewertung des mHealth-Systems, die technische Aspekte (Investitionen, Wartungsaufwand, Personalbedarf) und auch sozial-medizinische Aspekte (Motivation von Behandlern und Behandelten, Nutzerfreundlichkeit, Arbeitsbelastung) einschließt, ist nicht zuletzt aus ethischen Gründen unbedingt erforderlich.

1.7 Schlussbetrachtung mHealth-Systeme werden künftig in der Medizin nicht mehr wegzudenken sein und besitzen bereits jetzt einen hohen Verbreitungsgrad. Ihre spezifischen Besonderheiten führen nicht nur zu einer möglichen Prozessoptimierung, sondern beinhalten bei sorgloser Nutzung auch Risiken, die es zu minimieren gilt. Insbesondere sind mHealth-Systeme keine Lösung per se gegen die derzeitige Daten-Separierung der ­ Medizin in Deutschland, können bei richtiger Implementation aber dazu beitragen, zentrale Datensätze zu etablieren und Patienten an ihren Daten teilhaben zu lassen. Das ist höchst wünschenswert, denn nur gemeinsame Datenstrukturen vermögen es, die medizinische Versorgungssituation zu verbessern. Zusammenfassend ist ein kritikloser Einsatz von mHealth-Systemen nicht anzuraten. Die jeweiligen Lösungen sollten vielmehr sorgfältig geprüft und evaluiert werden, bevor sie für den medizinischen Routineeinsatz freigegeben werden.

1  mHealth-Systeme in der Medizin – Ein neuer Standard?

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Literatur Donabedian, A. (1966). Evaluating the quality of medical care. The Milbank Memorial Fund Quarterly, 44(3 & Pt. 2), 166–203. https://doi.org/10.2307/3348969. Google-Suche mHealth. (2019). Google. http://www.google.de/#q=mhealth. Zugegriffen: 31. Mai 2019. Google-Trends mHealth. (2019). Google trends. https://trends.google.de/trends/explore?date= all&q=mhealth. Zugegriffen: 31. Mai 2019. Köhler, C.-O., & Schuster, W. (1995). Informationelle Selbstbestimmung des Patienten durch die Patientenkarte. In B. Blobel (Hrsg.), Datenschutz in medizinischen Informationssystemen (S.  93–122). Wiesbaden: Vieweg + Teubner. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14189-1_12. o. V. (2017). Apple is going after the health care industry, starting with personal health data, CB insights. https://www.cbinsights.com/research/apple-healthcare-strategy-apps/. Zugegriffen: 31. Mai 2019. Shore, J. H., et al. (2014). A lexicon of assessment and outcome measures for telemental health. Telemedicine Journal and e-Health, 20(3), 282–92. https://doi.org/10.1089/tmj.2013.0357. Swoboda, W. (2015). Prozessoptimierung und Prozessdokumentation: Funktioniert BPMN in der Praxis? In M. Pfannstiel, C. Rasche, & H. Mehlich (Hrsg.), Dienstleistungsmanagement im Krankenhaus, Nachhaltige Wertgenerierung jenseits der operativen Exzellenz (S. 325–332). Wiesbaden: Springer Gabler. Swoboda, W. (2017). Informationsmanagement. Stuttgart: UTB. Weichert, T. (2004). Die elektronische Gesundheitskarte. Datenschutz und Datensicherheit, 28(7), 391–403.

Marina Fotteler  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Digitalisierung der Pflege in der Fakultät Gesundheitsmanagement an der Hochschule Neu-Ulm und promoviert über assistierende Gesundheitstechnologien und die Digitalisierung in der Pflege an der Hochschule Neu-Ulm und an der Universität Ulm. Sie studierte Public Health an der University of Southern Denmark sowie der University of North Carolina at Greensboro, USA und schloss mit einem M.Sc. ab. Sie hat einen B.Sc. in Informationsmanagement im Gesundheitswesen der Hochschulen Ulm und Neu-Ulm.

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Chancen durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland Alexander Gmelin

2.1 Unterscheidung eHealth und mHealth Im Allgemeinen wird bei digitalen Gesundheitsanwendungen zwischen zwei Hauptbereichen unterschieden. eHealth, auch „Electronic Health“, ist ein Oberbegriff für die Bereitstellung digitaler Einsatzszenarien im Bereich des Gesundheitswesens. Darunter fallen alle Informations- und Kommunikationstechnologien, die bei der Prävention, Diagnose, Behandlung, Überwachung und Verwaltung im Gesundheitswesen unterstützen (Europäische Kommission o. J.). Zu Beginn der technologischen Entwicklung sollte damit hauptsächlich die Optimierung bereits bestehender Prozesse im Gesundheitswesen erreicht werden. Grundlage für die Optimierung war die Abbildung bestehender Prozess mittels elektronischer Technologien. Erste begriffliche Definitionen findet man in Publikationen bereits ab 1997. Durch den Technologiefortschritt entwickelte sich ab 2008 der Einsatz mobiler Devices, durch z. B. Smartphones oder Tablets. Seit 2016 kann in Deutschland von einer fast flächendeckenden Internetverfügbarkeit ausgegangen werden. Zwischenzeitlich ist selbst die Mobilverfügbarkeit über Smartphones durchgängig etabliert. mHealth, also „Mobile Health“, ist durch die Nutzung von Gesundheitsservices über mobile Endgeräte definiert. Ein Hauptmerkmal dabei ist, dass sich, über die reguläre Versorgung im Gesundheitswesen hinaus, weitere mobile Anwendungen integrieren lassen. Außerdem entstehen über diese Anwendungsszenarien zunehmend Applikationen, die Menschen im privaten Umfeld gesundheitlich unterstützen. In der Regel fallen darunter z. B. auch

A. Gmelin (*)  VidaWell GmbH, Mühlhausen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_2

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Fitness- und Abnehm-Apps. Allerdings ist der potenzielle Nutzen für den Anwender nochmals größer, wenn integrierte Zusatzanwendungen (z. B. Gesundheitsakten), Präventionsprogramme zur Gesundheitsförderung oder Motivationselemente bereitstehen.

2.2 Der deutsche Gesundheitsmarkt Das Bundesministerium für Gesundheit (BGM 2019) unterteilt den deutschen Gesundheitsmarkt ganz bewusst in den ersten und zweiten Gesundheitsmarkt. Der erste Gesundheitsmarkt finanziert sich größtenteils aus den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), den privaten Krankenversicherungen (PKV) und der Pflegeversicherung. Die Finanzierung wird in Deutschland seit dem 01.01.2009 durch den Gesundheitsfond gewährleistet. Diesen tragen fast vollständig Arbeitnehmer, Arbeitgeber, freiwillig Versicherte, weitere Sozialversicherungsträger (z. B. Rentenversicherung), öffentliche Haushalte und der Bund. Das Gesamtvolumen betrug 2017 ca. 375 Mrd. € (vdek 2019). In den zweiten Gesundheitsmarkt fallen alle privat finanzierten Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen. Darunter befinden sich hauptsächlich freiverkäufliche Arzneimittel und individuelle Gesundheitsdienstleistungen, z. B. auch die Gesundheitsdienstleistungen im Bereich Fitness und Abnehmen/Ernährung. Über das genaue Volumen gibt es, je nach Betrachtungsweise, unterschiedliche Schätzungen. Allerdings dürfte das deutsche Gesamtmarktvolumen bei ca. 100 Mrd. € pro Jahr liegen.

2.3 Stand der Digitalisierung Deutschland rangiert im europaweiten Vergleich bei Internetgeschwindigkeit und Mobilfunkabdeckung im hinteren Mittelfeld. Bereits Ende 2018 haben alle großen Medienunternehmen ausgiebig darüber berichtet, dass selbst Länder, in denen man die Qualität als eher schlecht annimmt, deutlich vor Deutschland rangieren. In einer von der Bundestagsfraktion der Grünen in Auftrag gegebenen Studie konnte ermittelt werden, dass Deutschland nur einen Platz hinter Polen und Albanien erreicht (Welt 2018). Damit wird offensichtlich, wie schlecht die innerdeutsche Mobilinfrastruktur für die anstehenden Herausforderungen zur Potenzialerschließung der mHealth-Anwendungen gerüstet ist. Viel entscheidender ist aber, wie groß der Rückstand Deutschlands zu anderen EU- und OECD-Nationen im Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung angewachsen ist. Ende 2019 hat die Bertelsmann Stiftung ein Ranking mit dem aktuellen Digital-Health-Index veröffentlicht, in dem Deutschland mit einem Index-Wert von 30 (von maximal 100), bei 17 teilnehmenden Ländern, den 16. Platz einnimmt (Bertelsmann Stiftung 2018). Angeführt wird das Ranking mit einem Index-Wert von 81,9 von Estland. Der Mittelwert über alle Länder beträgt 58,9.

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2.4 mHealth-Geschäftsmodelle Mit den mHealth-Anwendungen erschließen sich viele neue Versorgungsszenarien, die noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts undenkbar gewesen wären. In der Regel liegen die Potenziale in der verbesserten Therapie oder der kostengünstigeren Versorgung für den Patienten. Darüber hinaus schaffen intersektorale Ansätze erhebliche Erleichterungen für Behandler, durch die deutlich verbesserte Verfügbarkeit oder die Vollständigkeit von Untersuchungsergebnissen. Durch den Patienten selbst ermittelte Vitalwerte und Lebensstilparameter vervollständigen diese. Insbesondere dann, wenn bei einer Therapie von chronischen Erkrankungen Erkenntnisse aus dem Verhalten im häuslichen Umfeld ergänzend abgeleitet werden können.

2.4.1 Motivation von Gründern und Innovatoren Die eigentliche Frage, die sich stellt, ist natürlich, warum Innovatoren überhaupt mHealth-Geschäftsmodelle entwickeln. Nach langjähriger persönlicher Beobachtung lässt sich der Grund für die Ideen- und Modellentwicklung in vier allgemeingültige Bereiche einordnen: 1. Eigene Betroffenheit: Chronisch Erkrankte schaffen eine Lösung für ihr „individuelles“ Problem und gehen davon aus, dass diese Lösung auch anderen Menschen helfen kann (z. B. VidaGesund.de) 2. Produkt-Redesign: Etablierte Player erkennen, dass eine bereits entwickelte Lösung, mit einem vertretbaren Aufwand für eine Umgestaltung, auch andere Herausforderungen lösen kann 3. Produktentwicklung: Branchenfremde (z. B. Softwarehäuser) erfahren im Rahmen von Projekten von konkreten Herausforderungen, entwickeln eine Lösung und später daraus ein Produkt 4. Innovation: Visionäre erkennen eine einzigartige Nische, modellieren eine Vision und erschaffen dafür, nicht selten mit finanzstarker Unterstützung durch Investoren, eine Innovation (z. B. vivy)

2.4.2 Strategien der Projekte und Unternehmen Bei der Betrachtung von Unternehmensgründungen kann festgestellt werden, dass die vermeintliche Positionierung der mHealth-Anwendungen in der Regel auf einige wenige Vorgehensweisen gründet. Bei mHealth-Anwendungen sind hauptsächlich drei generelle Strategien anzutreffen:

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1. Bestehendes vereinfachen (z.  B. Zeitersparnis durch automatisiertes ­Blutzucker-Tagebuch) 2. Sekundärnutzen generieren (z.  B. Fitness-Apps wird mit Bonusprogrammen gekoppelt) 3. Marktinnovation einführen (z.  B. „pieksfreie“ Blutzuckermessung für Typ 1-Diabetiker) Dabei ist natürlich nicht unerheblich, an wen die neue Lösung vermarktet werden soll. Das Beschaffungsverhalten in Deutschland ist dadurch gekennzeichnet, dass viele Privatpersonen davon ausgehen, dass gesundheitsfördernde Lösungen grundsätzlich von den Krankenkassen erstattet werden müssen. Schließlich sorgt die Verbesserung des gesundheitlichen Zustands direkt für eine Kostenreduzierung beim Krankenversicherer. Unabhängig davon, ob darüber hinaus ein persönlicher Nutzen entsteht. Dabei kann es sich zum Beispiel um die konkrete gesundheitliche Verbesserung, die Reduzierung des Risikos für Folgeerkrankungen oder einen steigender Komfort sowie eine höhere Sicherheit im Alltag handeln. In Branchenkreisen wird dieses widersprüchliche Beschaffungsverhalten oft auch als „Vollkasko-Mentalität“ bezeichnet. Aus eigener Beobachtung lässt sich feststellen, dass, aufgrund des Beschaffungsverhaltens von Privatpersonen und der Schwierigkeit auf Basis des Sozialgesetzbuches V (SGB V) an Krankenversicherungen abzurechnen, nur ein Bruchteil der Projekte für digitale Gesundheitsanwendungen wirklich ertragsfähig wird und damit dauerhaft überlebensfähig bleibt. Viele erfolgversprechende Projekte müssen den Betrieb mit Ablauf von Fördermaßnahmen (z. B. Zuschüsse aus dem Innovationsfond, Fördergelder) oder einem endenden Finanzierungsrahmen einstellen. Wie groß der Anteil an „gestrandeten“ mHealth-Anwendungen tatsächlich ist, darüber liegen uns keine gesicherten Zahlen vor. Allerdings können wir an Hand der wechselnden Angebote an Krankenversicherer erkennen, dass mindestens 80 % aller Anwendungen entweder vom Markt verschwinden, deren Geschäftsmodell geändert wird oder eine Übernahme durch einen Wettbewerber erfolgt. Die eigentliche Frage, die sich stellt, ist, warum bei diesen unklaren und schwierigen Perspektiven so viele Unternehmen in die Entwicklung von mHealth-Anwendungen investieren. Im Wesentlichen konzentrieren sich die Erfolgschancen auf drei lukrative Bereiche: 1. Leistung an Nutzer vermarkten 2. Vision an Investoren verkaufen 3. Nutzerdaten für Dritte gewinnen

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2.4.3 Einsatzgebiete und Zielgruppen Positive und belegbare Effekte für mHealth-Anwendungen zeigen sich vor allen Dingen bei chronischen Erkrankungen in folgenden Bereichen: 1. Stoffwechsel (z. B. Diabetes) 2. Herz-Kreislauf (z. B. Bluthochdruck, Koronare Herzkrankheit (KHK)) 3. Lungenfunktion (z. B. Asthma, COPD) Diese Anwendungen eignen sich hervorragend, um bei diesen Erkrankungsarten die erforderliche Dokumentationsqualität und die notwendige Therapieadhärenz zu erreichen. Diese beiden Elemente sind für viele Patienten die eigentlichen Schlüssel für die Stabilisierung des gesundheitlichen Status Quo. Ferner eignen sich mHealth-Anwendungen selbstverständlich für viele weitere Einsatzszenarien. In erster Linie dann, wenn sich Behandler und Patienten über einen digitalen Prozess effizient verbinden. Hierzu zählen in erster Linie: 1. Optimierte Nachsorge nach Akutereignissen (z.  B. Schlaganfall, Herzinfarkt, Thrombose) 2. Ergänzende Versorgung über Telemedizin (z. B. bei Herz-Insuffizienz) 3. Effiziente Prozesse für klinische Ambulanzen (z. B. in Adipositas-Ambulanzen) 4. Motivierende Szenarien im Lifestyle-Coaching (z. B. Übergewicht, Bewegungsmangel) Natürlich bieten sich viele weitere Einsatzgebiete an, bzw. sind bereits erschlossen. Hierunter befinden sich allerdings viele Spezialanwendungen, die eine ganz eng zugeschnittene Zielgruppe adressieren. Ein gutes Beispiel hierfür sind z. B. die Apps für Tinnitus-Patienten (Tinnitracks) oder die spezielle Sprachtherapie für Stotterer (flunatic). Prädestinierte Zielgruppen für mHealth-Anwendungen sind also alle Kostenerstatter, Leistungserbringer und Nutzer im ersten und zweiten Gesundheitsmarkt, demzufolge: 1. Gesetzliche und Private Krankenversicherungen, sowie die Gesetzliche Pflegeversicherung 2. Kliniken, Ärzte und Heilberufler 3. Apotheken und Sanitätshäuser 4. Gesundheitsdienstleister (z. B. DMP-Dienstleister, Gesundheits-Coaches) 5. Private Endanwender

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2.5 Erfahrungen mit mHealth-Modellen Viele Modelle für die digitale Unterstützung der Versorgung benötigen deutlich länger als geplant, um sich im ersten Gesundheitsmarkt als erstattungsfähiges Modell zu etablieren. Während in anderen Bereichen der Wirtschaft mit einem Break Even, bzw. einer Kostendeckung, nach ca. drei bis vier Jahren gerechnet wird, empfehlen Experten für den Eintritt in den Gesundheitsmarkt mit einem Planungshorizont von sieben bis zehn Jahren zu kalkulieren. Vor allen Dingen in Bereichen, in denen mit z. B. künstlicher Intelligenz (KI/AI) extrem kurze Technologiezyklen herrschen, ergeben sich erhebliche Zusatzrisiken für eine präzise Planung der Finanzierungsbedarfe. Auch wenn in vielen Fällen der Nutzen klar auf der Hand zu liegen scheint, ist die zeitnahe und ausreichende Kostendeckung eine erhebliche Herausforderung. Viele Unternehmen, auch die VidaWell GmbH, entwickeln deswegen ergänzende Geschäftsmodelle oder beraten, um die laufenden Kosten und vor allen Dingen die Aufwendungen um den Entwicklungsvorsprung aufrecht zu erhalten, abzudecken. Dies ist der Grund, warum in vielen Startups die Häufigkeit der Finanzierungsrunden irgendwann die Anzahl der App-Releases pro Jahr übersteigt.

2.5.1 Chancen und Risiken Die Chancen für mHealth-Anwendungen werden maßgeblich, für einen Großteil der Anbieter, durch vier Faktoren beeinflusst: 1. Entwicklung der Demografie im adressierten Gesundheitsmarkt 2. Veränderungen der Morbidität der Gesamtpopulation 3. Grad der Verfügbarkeit der technologischen Infrastruktur 4. Nutzungsaffinität der Zielgruppe für geplante Oberflächen Von einigen chronischen Erkrankungen sind mittlerweile viele deutsche Bundesbürger betroffen. Fast 10 % leiden an Diabetes (DDG und diabetesDE 2019), mindestens 10 % sind von Asthma oder COPD (Helmholtz Zentrum München o. J.) und 18 % von Adipositas betroffen (Robert Koch-Institut Berlin 2017). Mittlerweile sind diese Erkrankungen keine Nischen mehr. Wer sich zusätzlich vor Augen hält, dass fast 50 % aller Bundesbürger übergewichtig sind und zwischenzeitlich über 30 % an Bluthochdruck leiden, erkennt, dass aus Nischenanwendungen Konzepte entstehen müssen, um die sich epidemiologisch ausbreitenden Volkskrankheiten einzudämmen. Extrem positiv ist, bedingt durch die relativ langen Innovationszyklen des Gesundheitsmarktes, dass viele Dienstleister bereits seit mehreren Jahrzehnten mit existierenden vertraglichen Vereinbarungen im Markt etabliert sind. Eine große Chance bietet sich dann, wenn Innovatoren es schaffen, mit den etablierten Playern gemeinsame Modelle zu entwickeln

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und zu vermarkten. Global gedacht, bieten diese Geschäftsmodelle sogar ein vielfaches Potenzial. Das ist sicherlich einer der Hauptgründe, warum selbst Alphabet (Google) und Apple seit 2014 erheblich in die Entwicklung von Gesundheitsanwendungen investieren. Doch bei allem Optimismus zum Start des Unternehmens, ergeben sich sehr schnell, oder auch erst im Laufe der Zeit, nicht unerhebliche Risiken in den Geschäftsmodellen. Natürlich ist fast jedem Unternehmer in der Nachbetrachtung bewusst, dass einzelne Business Cases viel zu optimistisch berechnet wurden. Die auftretenden Engpässe lassen sich in der Regel auf zwei wesentliche Kernelemente bis zur Kostendeckung zurückführen: 1. Erforderliche Dauer (Zeit) 2. Benötigte Mittel (Budget) Sehr häufig werden Perspektiven eines Business Cases viel zu positiv dargestellt. Dies liegt allerdings nicht nur daran, dass die Projektumsetzung nicht exakt so erfolgen kann, sondern vielmehr daran, dass den Erfolg hemmende Faktoren gar nicht erkannt oder als viel zu gering wirkend bewertet wurden. Ferner ergeben sich im Laufe der Anwendungsentwicklung oft völlig neue Erkenntnisse. Ein häufig auftretender Effekt ist, dass z. B. während der Entwicklungsphase ein anderes, fast vergleichbares Produkt parallel in den Markt eingeführt wird. Das bedeutet, dass, trotz umfangreicher Markterkundung, neben potenziellen Wettbewerbern auch immer mit potenziellen „gleichdenkenden Überholern“ gerechnet werden kann, bzw. sogar muss. Selbst dafür sollte ein sehr guter Business-Plan eine Backup-Strategie beinhalten. Ein weiteres Risiko in mHealth-Modellen sind die getroffenen Annahmen bezüglich der Nutzung der Anwendung. Selbst wenn Apps aus dem Apple App Store oder von Google Play heruntergeladen und installiert werden, bedeutet das noch lange nicht, dass sich damit kalkulatorisch eine dauerhafte Nutzung verbinden lässt. Selbst wenn die Conversion des Nutzers erfolgte, also die Marketingmaßnahme erfolgreich war, löschen Nutzer die Apps nicht selten unmittelbar nach der Installation oder kurze Zeit später. Andere Erwartungshaltungen an die Usability, das Design oder den Unterstützungsgrad sind aus unserer Erfahrung die häufigsten Gründe dafür. Nicht selten verändern sich aber auch die Prognosen zu den erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Präventionsgesetz (PrävG). Der Gesetzesentwurf, der bis September 2013 im Bundestag beraten und abgestimmt wurde, erhielt durch die anstehende Bundestagswahl und die wahltaktischen Manöver der Großen Koalition keine Ratifizierung durch den Bundesrat. Ein dadurch nicht gesetzlich verankertes Kernelement war die Erstattungsfähigkeit für Lösungen zur Unterstützung in der Sekundärprävention bei chronischen Erkrankungen. Das später folgende und 2015 in Kraft getretene PrävG in seiner heutigen Form, enthält die Erstattungsmöglichkeit der Sekundärprävention durch die Gesetzlichen Krankenversicherungen nach dem Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht mehr.

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Doch auch wer solche Hürden nimmt, ist noch lange nicht am Ziel. Die Unternehmen der Gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen als Körperschaften des öffentlichen Rechts den Vergaberichtlinien des Bundes oder der Länder. Infolgedessen müssen bereits ab relativ geringen Beschaffungswerten, teilweise ab 12.000 €, öffentliche Ausschreibung zwingend einer Beauftragung vorangestellt werden. Dadurch verzögern sich viele Beschaffungsprozesse. Neben der aufwendigen Erstellung der Ausschreibung bedeuten die abzubildenden Angebots- und Prüfungsprozesse sowie das Vergabeverfahren einen erheblichen Zeitbedarf. Darüber hinaus beeinflusst die Umsetzung von EU-Richtlinien viele ­mHealth-Modelle maßgeblich. Aktuelle Beispiele sind die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO, gültig ab 25.05.2018) und die Medical Device Regulation (MDR, gültig ab Mai 2020). Diese gesetzlichen Änderungen beeinflussen teilweise erheblich die bestehenden Architekturen, die Verfahren zur Datenhaltung und die etablierten Betriebsprozesse. Damit sind nicht nur Kosten für die Weiterentwicklung von mHealth-Plattformen verbunden, sondern sehr häufig auch Kosten für neue zu ­ erwerbende Zertifizierungen oder alternative Betriebs- und Securityszenarien.

2.5.2 Herausforderungen der Beteiligten Wer digitale Lösungen entwickelt, hat viele Herausforderungen zu meistern. Die meisten sind technologischer Art oder befinden sich im Bereich von Datenschutz und Datensicherheit. Wer allerdings diese digitalen Lösungen im ersten Gesundheitsmarkt vermarkten will, muss sich einer noch viel größeren Herausforderung stellen, der Monetarisierung des Geschäftsmodells. Deswegen kommt der möglichen und zeitnahen Monetarisierung dieser Geschäftsmodelle eine zentrale Bedeutung zu. Erlösströme sind zielgruppenspezifisch zu definieren und immer mit den gesetzlichen Möglichkeiten des ersten Gesundheitsmarktes abzugleichen. Viele mHealth-Modelle starten deswegen als kostenlose Version und hoffen, dass sich ein monetarisierbarer Vermarktungsansatz nach einiger Zeit ergibt. Andernfalls verschwinden diese Anwendungen in der Regel nach ca. drei Jahren wieder vom Markt. Aber auch chronisch Erkrankte haben sich einer Vielzahl von Herausforderungen zu stellen. Diabetiker beispielsweise sind sehr häufig nach der Erstdiagnose völlig überfordert. Viele Therapieelemente sind neu und einige wichtige Lebensstilparameter sollten dringend geändert werden. Die häufigsten sich stellenden Fragen sind: Was muss ich alles beachten und wie bekomme ich das alles im Alltag geregelt? Die zuverlässige Einnahme von Medikamenten, die turnusmäßige Kontrolle der Blutzuckerwerte, eine Ernährungsumstellung und eine ganze Reihe neuer Routinen (z. B. Vorsorge, Rezeptbestellungen) schaffen eine völlig neue Komplexität für den Betroffenen. In der DAWN2-Studie mit ca. 15.000 Teilnehmern (Novo Nordisk 2017) wurde festgestellt, dass sich 41 % aller Diabetiker mit der emotionalen Belastung durch den Diabetes und 22 % durch die Medikation Einschränkungen wahrnehmen. Im Umkehrschluss bedeutet

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dies, dass sich im Mittel fast 33 % aller Diabetiker mit der Umsetzung der Therapievorgaben überfordert fühlen. Wichtig ist außerdem, dass alle Therapieelemente und mögliche Einflussgrößen in einem Tagebuch korrekt festgehalten werden, damit ein therapierender Arzt auf Basis dieser vollständigen Datenlage die Therapievorgaben kontrollieren und unter Umständen korrigieren kann. Genau hier setzen erfolgreiche Selbstmanagement-Anwendungen an. Therapieadhärenz und Dokumentationsqualität zu steigern sind demzufolge genauso elementar für den Therapieerfolg, wie die dauerhafte Motivation und der Wissensaufbau zur eigenen Erkrankung.

2.5.3 Exemplarische Funktionen Mit VidaGesund.de hat die VidaWell GmbH ein digitales Patientenselbstmanagement für chronisch Erkrankte entwickelt, an Hand dessen im Folgenden denkbare Funktionen einer mHealth-Anwendung exemplarisch beschrieben werden. Durch den zielgruppenspezifischen Zuschnitt kann die Auflistung dieser Funktionen natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit für alle mHealth-Anwendungen erheben. VidaGesund.de besteht aus einem cloudbasierten Online-Gesundheitskonto, das mit einem Browser bedient wird. Als mobiles Frontend sind mit dem Online-Gesundheitskonto Smartphone-Apps gekoppelt. Über diese Apps erfolgt die ­ mobile Verwaltung von Therapie- und Vitalparametern. Dazu stehen Reminderservices, Dokumentationsmöglichkeiten und eine Bluetooth-Kopplung für die Anbindung von drahtlosen Messgeräten zur Verfügung. Im Wesentlichen sind folgende Funktionselemente enthalten: 1. Sicheres und geschütztes Online-Gesundheitskonto 2. Tagebuchfunktion zur Dokumentation von Vitalparametern, Medikamente, Ernährung, Fitness sowie Symptomen mit Analysemöglichkeit 3. Elektronische Gesundheitsakte für Laborwerte und Gesundheitsdokumente 4. Lebensmitteldatenbank zur Nährstoffberechnung, Energiedichtebewertung und ­-auswertung 5. Aufgabenmanager für Medikation, Routinen und Vorsorge 6. Unterstützende Gesundheits-Tools (Tests, Programme, Ratgeber und Informationen) 7. Smartphone-Apps mit Bluetooth-Kopplung von drahtlosen Messgeräten (Blutzuckerund Blutdruckmessgeräte, Schrittzähler und Körperanalysewaagen) 8. Secure Messenger für sicheres Teilen und Nachrichtenaustausch mit Ärzten, Angehörigen oder Gesundheits-Coaches Der Zugriff auf diese Daten erfolgt über das speziell für Therapeuten, Coaches und Angehörige entwickelte Coaching-Portal VidaCoach.de. Diese Umgebung bietet einen sicheren Zugang zu den besonders schützenswerten Daten des Betroffenen. Wer welche

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Daten einsehen kann und in welchem Zeitraum das gestattet wird, entscheidet allein der Besitzer dieser Daten, also der Patient. Erteilte Freigaben lassen sich jederzeit ändern oder löschen.

2.5.4 Erzielbare Effekte Über 70 % aller Anwender erreichen im Laufe eines Jahres eine oder mehrere Zielvorgaben zur Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation, so unsere Beobachtung. Dabei sind die Effekte, die sich mit einem digital unterstützten strukturierten Selbstmanagement erzielen lassen, sehr unterschiedlich: 1. Steigerung des Sportpensums auf ca. 110 min/Woche 2. Reduzierung des Körpergewichts um ca. 7 % 3. Senkung des Langzeitblutzuckers um ca. 0,5 %-Punkte 4. Rückgang der Häufigkeit von Über-/Unterzuckerungen 5. Senkung des mittleren systolischen Blutdrucks um bis zu 20 mmHg 6. Verbesserung der Blutfettwerte In der längerfristigen Untersuchung des Nutzerverhaltens zeigte sich deutlich, dass sich sowohl die Therapietreue als auch die Dokumentationsqualität bei bis zu 90 % einpendeln. Das ist in der Therapie von chronisch erkrankten Menschen als sehr vorbildlich einzustufen, was übrigens auch von fachärztlicher Seite mehrfach bestätigt wurde. Diese Daten haben wir durch anonymisierte Auswertungen und eine zusätzliche Befragung der VidaGesund-Nutzerbasis im Januar 2015 gewonnen. Das Entwickeln konkreter Aktionspläne, das konsequente Erinnern an Aktivitäten, die zusätzliche Motivation mit Spielecharakter und Selbstreflexion können auf Dauer zu Volition führen. Anwender setzen nach geraumer Zeit Ihre Ziele bewusster und handeln eigenmotivierter. Offensichtlich helfen die Selbstbeobachtung und die Motivation, die Vitalparameter selbstständig verbessern zu wollen. Damit lässt sich bestätigen, was in vielen Studien in jüngster Zeit belegt werden konnte. Bei vielen chronischen Erkrankungen, wie z. B. Diabetes, können Lebensstiländerungen die Chance auf eine Remission (Umkehr) deutlich erhöhen (Lean et al. 2017).

2.5.5 Erfolgsfaktoren Die Zunahme der körperlichen Aktivität durch Sport oder Alltagsaktivitäten ist das wohl am meisten unterschätzte Therapieelement in der modernen Medizin der Industrieländer. Obwohl der positive Einfluss auf die Stoffwechselwerte mehrfach in klinischen Studien nachgewiesen werden konnte, setzen immer noch viel zu wenig Ärzte und Diabetesberater auf diese Ergänzung (Journal of the American College of Cardiology 2014; World Health Organization 2014).

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Auch aus meiner eigenen Erfahrung kann ich berichten, dass mehrmaliges Ausdauertraining pro Woche am Ende dafür gesorgt hat, dass sich meine zu hohen Blutdruckwerte bereits nach vier bis sechs Wochen wieder normalisiert haben. Das ist wahrscheinlich nicht grundsätzlich erreichbar und sehr stark von der Art der Hypertonie abhängig, aber in jedem Fall eine Möglichkeit, natürlich mit ärztlicher Unterstützung, die es auszuprobieren gilt. Zusätzliche gesundheitliche Verbesserungen, selbst im psychologischen Bereich, sind weitere Belege dafür, dass mHealth-Anwendungen die Nutzer in Bewegung versetzen, ein erhebliches volkswirtschaftliches Potenzial besitzen. Ob ein Modell, eine bestimmte App oder ein mHealth-Programm den gewünschten Effekt erbringen kann, und vor allen Dingen erfolgreich wird, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Fast alle Anwender von mHealth-Anwendungen, egal ob im B2C- oder im B2B-Bereich, achten darauf, dass die Daten sicher und geschützt genutzt werden. Das ist aber lediglich eine unabdingbare Grundvoraussetzung, kein Erfolgsfaktor. VidaGesund wird aus diesem Grunde in speziellen Rechenzentren in Deutschland betrieben, die nach DIN ISO 27001 zertifiziert sind. Außerdem setzen wir auf zusätzliche Siegel und Zertifizierungen (z. B. HealthOn), welche die inhaltliche Korrektheit der integrierten Fachinformationen und die Vertrauenswürdigkeit des Angebots bestätigen. Ab Mai 2020 ist darüber hinaus für alle Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) durch den GKV-Spitzenverband verbindlich vorgeschrieben, dass die Authentifizierung, auch bei einer telefonischen Kontaktaufnahme, durch eine Zwei ­Faktor-Authentifizierung zu erfolgen hat. Dies gilt übrigens auch für alle im Auftrag der GKV handelnden Dienstleister. Wie die neue, ebenfalls ab Mai 2020 gültige, Medical Device Regulation der EU auf mHealth-Anwendungen wirkt, wird aktuell evaluiert. Viele mHealth-Modelle bieten nur eine bedingte, oft rein digitale, Interaktion mit dem Nutzer. Doch gerade bei gesundheitlichen Fragen existiert häufig der Wunsch nach einem persönlichen Ansprechpartner bei aufkommenden Fragen. Vor allen Dingen in den Zeiträumen zwischen den turnusmäßigen ärztlichen Untersuchungen können persönliche Ansprechpartner im häuslichen Umfeld unterstützen. Telefonische Hotlines für Gesundheitsfragen oder persönliche Gesundheitscoaches lassen sich mit digitalen Angeboten perfekt kombinieren, sorgen für zusätzliche Sicherheit und nicht zuletzt für Motivation. „Digital plus persönlich“ ist das Credo von VidaGesund und Personalisierung und Emotionalisierung in jedem Fall ein Erfolgsfaktor. Eine steigende Vertrauensbasis und die verbesserte Unterstützung tragen maßgeblich zur Differenzierung im Gesundheitsmarkt bei. Wer z. B. Körperwerte dokumentiert, wird dazu in der Regel von seinem Arzt aufgefordert. Viele chronisch Erkrankte empfinden diese Aufgabe als äußerst lästig und unangenehm. Deswegen haben wir von Anfang an ausschließlich über drahtlose Schnittstellen kommunizierende Messgeräte integriert. Dadurch lassen sich die erforderlichen Körperwertetagebücher fast automatisiert erstellen. Ein hoher Automatisierungsgrad von Therapieprozessen wird von vielen Nutzern als deutliche Erleichterung und Komfort, somit als Mehrwert, wahrgenommen. Außerdem wünschen Nutzer, unabhängig von einem ärztlichen Feedback zum Gesundheitszustand, eine laufende individuelle Einordnung der gesundheitlichen

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Situation. Manchmal um Motivation aus dem Vergleich mit einer Community zu ziehen, in anderen Fällen um auf Basis von Prognosen die Therapiesteuerung zu erleichtern. In VidaGesund sind dafür sogenannte „Körperwerteampeln“ integriert, die an Hand von Indikationen, ärztlich vorgegebenen Zielbereichen, Alter, Geschlecht und aktuellem Körpergewicht ein direktes Feedback zum Status des vermeintlichen Gesundheitszustandes geben. Auf dieser Basis errechnen sich für bestimmte Kennwerte (z. B. HbA1c) prognostizierte Entwicklungen, die zum Handeln auffordern können. Ein weiterer Mehrwert entsteht durch eine erhöhte Proaktion. Ein einfaches Beispiel: Aktuelle Implementierungsbeispiele der elektronischen Patientenakte (ePA) fokussieren die Vollständigkeit der Dokumentation und der Abrechnungsdaten eines Patienten. Dadurch sollen Mehrfachuntersuchungen oder Therapieentscheidungen aufgrund unvollständiger Daten vermieden werden. Doch realistisch betrachtet hat das für Patienten keinen deutlich erkennbaren Mehrwert. Was bringt es einem Patienten zu wissen, wann er geimpft wurde und welche Kosten damit verbunden waren? Ist es aus Patientensicht nicht viel wichtiger zu wissen, welche Impfung als nächstes zu welchem Zeitpunkt ansteht? Deswegen setzen wir, unabhängig von der Integration in die ePA, vermehrt auf die Funktionen einer proaktiven elektronischen Gesundheitsakte (eGA).

2.6 Einschätzung der aktuellen Situation Viele mHealth-Anwendungen, die heute bereits verfügbar sind, werden in den nächsten drei Jahren vom Markt verschwinden. Experten reden bereits von einem bedrohlichen „App-Sterben“. Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung von sogenannten „RaucherApps“, deren Angebotsanzahl sich, trotz hohem Bedarf, innerhalb von zwölf Monaten um 25 % reduziert hat (HealthOn 2019). Leider verliert vor allen Dingen das deutsche Gesundheitswesen viele sinnvolle Innovationen, die die Kostenentwicklung deutlich verbessern könnten. Gerade durch die starke Zunahme von Volkskrankheiten (z. B. Diabetes), Stress, Übergewicht und Bewegungsmangel wäre eine Entlastung des sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) durch mHealthAnwendungen extrem wichtig. Dadurch von immenser, weil positiver, Bedeutung für Unternehmen, öffentliche Haushalte und die Sozialversicherungssysteme in Deutschland. Ungünstig wirkt sich zudem die Demografie auf die Entwicklung der Kosten im Gesundheitswesen in Deutschland aus. Aktuell ist nicht zu erkennen, dass sich diese Entwicklung in den nächsten 20 bis 30 Jahren grundsätzlich positiv in Bezug auf diesen Effekt ändert. Das bedeutet, dass die Demografie die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, neben der Ausbreitung von oben genannten Volkskrankheiten, zusätzlich beschleunigt. Die dafür erforderliche altersunabhängige Nutzungsaffinität von z. B. Smartphones, ist zwischenzeitlich weit genug fortgeschritten. Auf der Basis von mHealthAnwendungen lassen sich allein schon deswegen in Zukunft immer mehr Menschen, trotz fortgeschrittenen Alters, problemlos erreichen. Beispielsweise auch, um innovative Betreuungsmodelle für ältere Menschen zu realisieren.

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Das größte zukünftige Potenzial für die Profitabilität von mHealth-Anwendungen sehen wir im Bereich der Versorgungssteuerung von Krankenversicherungen. Digitale mHealth-Anwendungen könnten nahezu alle gesetzlich regulativen Einschränkungen für Krankenversicherungen technisch lösen. Damit würden zukünftig auch viele innovative Anwendungsszenarien entstehen, die heute noch gar nicht erfunden worden sind. Mit dem 5G-Standard lassen sich zukünftig deutlich größere Datenmengen übertragen, warten wir ab, wie sich ab 2021 die tatsächliche Flächenabdeckung mit den Mobilfunknetzen der nächsten Generationen entwickelt. Neben der Optimierung der medizinischen Versorgung sind mHealth-Anwendungen die perfekte Umgebung, um die Einbindung der Patienten, also der Bürger, zu realisieren. Dazu ist es aber erforderlich, dass nun in sehr kurzer Zeit der Zugang für weitere Unternehmen über die erforderlichen Schnittstellen zur Telematikinfrastruktur (TI) der Gematik und den zahlreichen ePA-Systemen entstehen kann. Nur so lassen sich Geschäftsmodelle für innovative Gesundheitsservices intersektoral, sicher und nutzbar erschaffen. Daraus ergibt sich, dass, neben den infrastrukturellen Voraussetzungen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen das größte Hemmnis für den flächendeckenden und gewinnbringenden Einsatz von mHealth-Anwendungen im Gesundheitswesen sind. Obwohl in der aktuellen 19. Legislaturperiode des Bundestages die Große Koalition viele Digitalisierungsinitiativen auf den Weg gebracht hat, sind die eingetreten Veränderungen marginal. Nach wie vor können fast keine digitalen Anwendungen durch die GKV im Rahmen der Leistungsausgaben erstattet werden. Die einschlägigen Änderungen, die dafür erforderlich sind, wurden bis heute nicht umgesetzt. Ob und wie die geplante Gesetzesänderung für den Sommer 2019 die Erstattungsfähigkeit nach SGB V tatsächlich ändert, bleibt abzuwarten. Damit einhergehend wäre auch eine Änderung des heutigen Verfahrens zur Einführung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) und des Nutzennachweises zu diskutieren. Die Dauer der Verfahren, die eine Grundvoraussetzung für eine durch das Bundesversicherungsamt (BVA) zugelassene Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung sind, übersteigt in fast allen Fällen die Innovationsund Lebenszyklen der mHealth-Anwendungen. Insofern wäre eine Transformation der Bewertungsverfahren für „analoge Behandlungsmethoden“ auf ein Kriteriensystem für „digitale Unterstützungsanwendungen“ dringend erforderlich und ein nächster gesundheitspolitischer Meilenstein.

2.7 Schlussbetrachtung Im Rahmen des Beitrages wurden unterschiedlichen Anwendungsbereiche und Funktionen von mHealth-Anwendungen dargestellt. Darüber hinaus lassen sich aus den Funktionen eine Reihe von Potenzialen für die zukünftige Gesundheitsversorgung ableiten. Von einer optimierten Versorgungssteuerung profitieren sowohl Patienten und Leistungserbringer (z. B. Ärzte) als auch die Kostenerstatter (z. B. Krankenversicherungen). Die

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A. Gmelin

mHealth-Anwendungen profitieren bei der zukünftigen Akzeptanz in jedem Fall von einer steigenden Verfügbarkeit von Internet- und Mobilfunkdiensten. Dem gegenüber stehen die notwendigen steigenden Anforderungen an Datenschutz- und -sicherheit. Potenziell könnte die steigende Transparenz zum Gesundheitsbewusstein des Einzelnen sehr schnell zu einer Diskussion führen, die das heutige Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung in Frage stellt. Außerdem fehlen für eine flächendeckende Nutzung innovativer Versorgungsansätze noch immer viele gesetzliche Rahmenbedingungen. Erst diese werden für eine feste Verankerung von m ­ Health-Anwendungen in der Regelversorgung durch die Krankenkassen sorgen. Insofern bleibt abzuwarten, wie das Digitale Versorgungsgesetz (DVG) samt Verfahrensanordnungen in der Praxis tatsächlich wirkt.

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2  Chancen durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens …

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Alexander Gmelin ist Geschäftsführer der VidaWell GmbH. Er hat über 30 Jahre Erfahrung in verschiedenen operativen und leitenden Funktionen in Vertrieb, Marketing, strategischer Geschäftsfeldplanung und -entwicklung. Außerdem verantwortete er über viele Jahre das programmatische Management für die Architektur, das Interfacing und die Oberflächenentwicklung verschiedener Tools eines globalen US-Konzerns im Bereich Sales. Seit 2014 verantwortet er den Vertrieb und das Marketing von Gesundheitsdienstleistungen und Medizinprodukten in der VidaWell GmbH. Außerdem berät Alexander Gmelin Unternehmen in der Vermarktung von Softwaredienstleistungen und Gesundheitsprodukten. In seiner Freizeit unterstützt er zusätzlich Startups im Gründungsprozess, der Business Case-Erstellung und in der Modellierung der Geschäftsmodelle.

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Ökonomische Aspekte von ­mHealth-Anwendungen Alexander M. Würfel und Felix Holl

3.1 Einleitung Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird gegenwärtig als Garant dafür gesehen, Kosten zu reduzieren und gleichzeitig eine bessere Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Die angestrebten Effizienz- und Effektivitätssteigerungen sind jedoch kein Automatismus aus dem Einsatz neuer Technologien. In der Anfangsphase des eBusiness in der Industrie um die Jahrtausendwende wurde schnell deutlich, dass entsprechende Steigerungen nicht sicher zu erwarten sind und Informationen als Ressource nicht zwingend den Regeln der vertrauten Ökonomie folgen. Mehr Informationen sind nicht zwingend ökonomisch vorteilhaft. Erst aus der Nutzung und Nutzbarkeit der Informationen ergeben sich Produktivitätsvorteile. Dies gilt auch im Gesundheitswesen. Im nachfolgenden sollen Rahmenbedingungen einer ökonomischen Bewertung von mHealth-Anwendungen aufgezeigt werden. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf den Veränderungen der Informationsumwelten.

A. M. Würfel (*) · F. Holl  Hochschule Neu-Ulm, Neu-Ulm, Deutschland E-Mail: [email protected] F. Holl E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_3

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A. M. Würfel und F. Holl

3.2 Ökonomische Betrachtung der Digitalisierung im Gesundheitswesen Mit der Digitalisierung wird zumeist die unmittelbare Erwartung verbunden, dass Prozesse effizienter gestaltet werden können. Kosteneinsparungen werden quasi als Automatismus angesehen. Dass dies nicht der Fall ist, wurde bereits im Anfang des eBusiness deutlich.

3.2.1 Informationsangebot und -nachfrage Im Dienstleistungsbereich ist Digitalisierung eng verbunden mit einer veränderten Verfügbarkeit von Informationen. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) schaffen einerseits einen veränderten Zugang zu Informationen und andererseits auch eine veränderte Erwartungshaltung der Beteiligten an die Verfügbarkeit von Informationen und das generelle Informationsangebot. Dies kann die Basis bilden für neue Dienstleistungen wie auch veränderte Kommunikationsprozesse (Brosziewksi 2002). Neue Technologien verändern bestehende Strukturen, schaffen neue Möglichkeiten für Prozesse und beeinflussen auch die Qualität von Dienstleistungen. Aus der Digitalisierung erwachsen entsprechend grundlegende Veränderungen für bestehende Prozesse. Im Kontext des Aufkommens des sogenannten eBusiness Anfang der 2000er Jahre beschrieb die Gartner Group die wahrscheinliche Entwicklung derart, dass es zunächst einen Boom überzogener Entwicklungen geben wird, der gefolgt von einer Desillusionierung dann zu einem realen Bild des eBusiness und einer konsequenten Umsetzung in allen Unternehmen führen wird. Die Abb. 3.1 veranschaulicht diese Entwicklung (Fenn und Raskino 2008). Im Zuge der Digitalisierung bzw. der Nutzung neuer IuK-Technologien ergeben sich mehrere Herausforderungen, die schon seit Aufkommen neuer IuK-Technologien bekannt sind. Grundlegend ergibt sich das Problem, dass der Nutzen von Informationen nur bedingt a priori beurteilt werden kann. Das Kosten–Nutzen-Verhältnis, also die ökonomische Bewertung wird damit erheblich erschwert. Dieser Zusammenhang wird in der Literatur auch als Informationsparadoxon (Picot et al. 1998) bzw. Produktivitätsparadoxon der Informationswirtschaft (Stickel 1997) bezeichnet. Zwar wird mit dem Einsatz neuer Technologien die Gewinnung von Informationen wie auch deren Speicherung erheblich vereinfacht, was zu den oftmals euphorischen Beschreibungen der Potenziale der Digitalisierung führt. Jedoch stehen diesen gesunkenen Kosten der Informationsbeschaffung nicht unerhebliche Kosten in der Aufbereitung der Informationen gegenüber (Brynjolfsson 1993). Zudem steigt im Zuge der Digitalisierung, zum Beispiel in Krankenhäusern, der Administrationsaufwand stetig (Kucera 2018). Festzuhalten ist, dass eine Veränderung des Informationsangebots nicht automatisch bessere Informiertheit der Akteure bewirkt. Vielmehr sind die Effekte und die Nutzung eines größeren Informationsangebots kritisch zu hinterfragen. So ist zu beachten, dass sich mit der absoluten wie wahrgenommenen Veränderung des verfügbaren Informationsvolumens

3  Ökonomische Aspekte von mHealth-Anwendungen

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Abb. 3.1   Gartner e-Business Hype Cycle. (Quelle: Gartner Group 1999 nach Fenn und Raskino 2008, S. 17)

auch die Informationsbedürfnisse der Akteure verschieben. Sowohl der objektive, wie auch der subjektive Informationsbedarf müssen sich verändern. Erst hieraus resultiert letztlich ein Effekt für die veränderte Informationsnachfrage (Picot et al. 1998). In den Abb. 3.2 und 3.3 wird der Zusammenhang zwischen Informationsangebot und Nachfrage verdeutlicht. Die Ausweitung des Informationsangebots verändert den Informationsstand der Beteiligten. Absolut gesehen ist, als Folge der aufgezeigten Veränderungen ein besserer Informationsstand zu erwarten. Ob dieser gemessen an veränderten Informationsbedarf und -angebot relativ besser ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Hierfür muss die Relation der Informationsbedarfe zum Angebot an Informationen betrachtet werden. Wenn es bspw. zu einer Ausdehnung des Informationsangebots jenseits bestehender Informationsbedarfe kommt, wird sich keine positive Entwicklung des Informationsstands ergeben. Die nachfolgende Formel (siehe Gl. 3.1) veranschaulicht den Grundzusammenhang.

Informationsstand(neu) Informationsangebot(neu) Effekt = Informationsstand(alt) Informationsangebot(alt)

(3.1)

Deutlich wird, dass eine reine Ausweitung des Informationsangebots nur bedingt einen Return on Investment in besserer Informiertheit der Akteure in Entscheidungssituationen findet. Entsprechend werden sich (Entscheidungs-)Prozesse verändern. Inwieweit sie effektiver oder effizienter werden, ist bedingt durch die aufgezeigten qualitativen Veränderungen jedoch nicht klar determiniert. Diese Grundüberlegungen sind in der

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A. M. Würfel und F. Holl Objektiver Informationsbedarf

Informationsangebot

Informationsnachfrage

Subjektiver Informationsbedarf

Informationsstand

Abb. 3.2   Veränderung des Informationsstands als Folge neuer IuK-Technologien. (Quelle: Eigene Darstellung (2007). Unter Bezugnahme auf Picot et al. 1998, S. 106)

Veränderung des Informationsstands Veränderung der Informationsstands (IS) durch den Einsatz neuer Informationsund Kommunikationstechnologien

ISalt

IKNalt Veränderung der Informations- und Kommunikationsnachfrage (IKN) durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien

Effekt aus dem Anstieg der Informationsnachfrage

ISneu Effekt aus dem Anstieg des objektiven Informationsbedarfs

IKNneu Effekt aus dem Anstieg des Informationsangebotes

Abb. 3.3   Relative Veränderung des Informationsstands. (Quelle: Würfel 2007)

3  Ökonomische Aspekte von mHealth-Anwendungen

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Gestaltung des Informationsangebots zu berücksichtigen. Informationsbedarfe wie -nachfrage sind im Grunde an (Informations-)Anbieter gerichtete Erwartungen. Die Erfüllung dieser Erwartungen wird die Zufriedenheit der Nutzer beeinflussen. Die Ausrichtung der Informationen am Nutzer ist entsprechend ein entscheidendes Kriterium für die ökonomische Effektivität und Effizienz. Ein reines „Mehr“ an Information wird keinen Nutzen haben. Ein Zusammenhang, der schon lange erkannt ist: „[…] unrestricted communication produces noise in the system. Without patterning, without pauses, without precision, there is sound but no music. Without structure, without spacing, without specifications, there is a Babel of tongues but no meaning“ (Katz und Kahn 1967).

Um eine differenzierte Betrachtung zu erreichen, gilt es den Impact von neuen Technologien auf Information und Kommunikation im Gesundheitswesen zu konkretisieren. Es lassen sich drei Ebenen differenzieren. Zum einen verändert sich das Informationsangebot gegenüber dem Patienten oder Anspruchsgruppen (externe Kommunikation). Zum zweiten werden Behandlungsprozesse selbst beeinflusst. Hier kann der Patient einen integralen Bestandteil in der Informationsbeschaffung bilden (z. B. Self-Monitoring während der Behandlung oder Nachsorge). Die Kommunikationsbeziehungen können in diesem Bereich auch als interaktiv bezeichnet werden, da das Informationsangebot in unmittelbarem Zusammenhang mit der Leistungserbringung steht. Die Informationen werden interaktiv im Zusammenspiel von Behandler und Patient generiert. Als drittes wäre der Einfluss neuer Technologien im Rahmen der internen Kommunikation zu betrachten (interne Kommunikation).

3.2.2 Veränderungen in der Kommunikationsqualität Kommunikationsbeziehungen im Gesundheitswesen sind gegenwärtig und traditionell weitgehend durch interpersonelle und interaktive Kommunikationsbeziehungen geprägt. Weit überwiegend erfolgt ein kommunikativer Austausch zwischen Mitarbeitern oder Mitarbeitern und Patienten als verbale, direkte Kommunikation. Dies impliziert, dass in der Regel ein interpretativer Rahmen für die Kommunikation gegeben ist. In Anlehnung an Watzlawick (Watzlawick et al. 1974) oder Schulz von Thun (Schulz von Thun 1996) kann davon ausgegangen werden, dass im Gesundheitswesen ein starker Beziehungsaspekt für den kommunikativen Austausch gegeben ist bzw. ein interpretativer Rahmen. Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bestehenden Informationsasymmetrie zwischen Patient und medizinischem Personal essenziell für die Qualität und Effektivität der Kommunikation (Zeithamel et al. 1992). Die interaktive Kommunikationssituation erlaubt bspw. Rückfragen und ein facial Feedback impliziert nonverbale Kommunikation und damit einen interpretativen Rahmen für die an der Kommunikation beteiligten Akteure. Die Vielschichtigkeit der Kommunikation verdeutlicht Abb. 3.4.

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A. M. Würfel und F. Holl

Abb. 3.4   Vier Seiten der Kommunikation nach Schulz von Thun. (Quelle: Eigene Darstellung nach Schulz von Thun 1996)

Eine Digitalisierung der Kommunikation verändert grundsätzlich die Qualität des kommunikativen Austauschs (Würfel 2007). Technisch vermittelte Kommunikation reduziert den Bereich der non-verbalen Kommunikation und verändert damit den Beziehungsaspekt eines kommunikativen Austauschs. Dies steigert die Gefahr für Missverständnisse. Wenn also mit der Digitalisierung neue Erreichbarkeiten geschaffen werden, so bieten sich Potenziale für ökonomische Vorteile, da anders als in der interaktiven Kommunikationssituation die beteiligten Akteure nicht gleichzeitig präsent sein müssen. Gleichzeitig jedoch wird der interpretative Aspekt bzw. die Dekodierung der Kommunikation nahezu ausschließlich auf den Akteur „Empfänger“ verlagert. Dies führt zu potenziell höheren Opportunitätskosten im Falle von falsch oder unvollständig verstandenen Inhalten (Shannon und Weaver 1949). Diese Veränderungen betreffen insbesondere die Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Patienten. Jedoch ergeben sich evtl. auch in der internen Kommunikation Veränderungen, wenn diese vermehrt digital und unpersönlich erfolgt. Gerade die Ausweitung des Informationsangebots kann hier als problematisch gesehen werden. Hieraus ergibt sich für die Akteure ein mehr an Informationen, dass gelichzeitig immer häufiger nur bedingt mit einem interpretativen Rahmen versehen ist. Relevanzeinschätzungen können evtl. erschwert werden. Grundsätzlich können technisch heute eine Vielzahl von (Patienten-)Daten erhoben und auch protokolliert werden. Die Produktionskosten sind durch digitale Datenhaltung erheblich gesunken. In der Rezeption dieser Daten müssen die Akteure jedoch entsprechend neue „Nutzungsroutinen“ im Sinne neuer Ordnungs- und Interpretationsschemata schaffen. Dies ist mit Aufwand verbunden. Hinzu kommt, dass im interpersonalen Austausch (bspw. in Fallbesprechungen) bei gestiegenem Informationsangebot anteilig weniger Patientendaten unmittelbar besprochen werden können. Weitergehende Informationen zum Patienten, müssen entsprechend von den

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Akteuren eigenständig interpretiert und einbezogen werden. Dies benötigt Zeit und entsprechende technische Lösungen. In der weiteren Betrachtung soll zunächst differenziert werden in die externe Kommunikation (mit dem Patienten bzw. Anspruchsgruppen) und die unmittelbare interne bzw. interaktive Kommunikation im Behandlungskontext.

3.3 Externe Kommunikation Nachfolgend werden zunächst die potenziellen Auswirkungen der Digitalisierung im Kontext der externen Kommunikation aufgezeigt. Im Fokus stehen hierbei insbesondere die Potenziale neuer Medien in der Schaffung zusätzlicher Dienstleistungen, die einen Mehrwert für die Adressaten bieten.

3.3.1 Value-Added Services im Gesundheitswesen Grundsätzlich können die Basisdienstleistungen im Gesundheitswesen hinsichtlich der Nutzenerwartung als extrem homogen bezeichnet werden. Vereinfacht könnten diese Nutzenerwartungen in der Art konkretisiert werden, dass der Patient erwartet, dass es ihm nach Inanspruchnahme der Dienstleistungen (z. B. medizinischen Behandlung) gesundheitlich unmittelbar oder perspektivisch besser geht. Die originäre Qualität der Leistungserbringung (primäre Qualitätsmerkmale), den Grundnutzen kann er bedingt durch die hohe Informationsasymmetrie nur unzureichend beurteilen (Lee 1995; Bürger 2003). Entsprechend wird ein Rückgriff auf sekundäre Qualitätsmerkmale, den eigentliche Zusatznutzen der Dienstleistung erfolgen, wie bspw. Komfortfaktoren oder Geltungsnutzen (Meffert und Bruhn 2012). Das Problem homogener Grundnutzen von Dienstleistungen ist kein originäres Phänomen des Gesundheitswesens. Auch in anderen Bereichen ergibt sich diese Problematik und die daraus resultierende Schwierigkeit der Kommunikation der angebotenen Leistung im Rahmen des Marketing. Eine Option, die hier bereits in den 1980er Jahren skizziert wurde, sind Value-Added-Services. Hierunter werden zusätzliche Dienstleistungen verstanden, die beim Kunden einen Mehrwert schaffen und das angebotene Dienstleistungsbündel so aus Kundensicht gegenüber Konkurrenzangeboten überlegen machen (Meffert und Bruhn 2012). Idealerweise ergibt sich insgesamt auch noch ein Kostenvorteil für die Gesamtdienstleistung, so dass sich ein Effektivitäts- und Effizienzvorteil im Sinne eines KKV ergibt (Backhaus und Weiber 1989). Aber auch der Effektivitätsvorteil alleine kann tragfähig sein. Ein einfaches Beispiel für einen Value Added Service wäre bspw. das Weißwurstfrühstück, das eine Autowerkstatt im Oktober zum Winterreifenwechsel anbietet, während der Kunde auf sein Fahrzeug wartet. Das Nutzenbündel von Kernleistung und Zusatzleistung kann die Differenz zu anderen Anbietern aus Kundensicht ausmachen.

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Bedingt durch die hohe Informationsasymmetrie hinsichtlich der Kerndienstleistung im Gesundheitswesen müssen Value-Added-Services besonders verortet werden. Grundlegend könnte eine Orientierung an der von Donabedian bekannten Unterscheidung in Potenzial-, Prozess- und Ergebnisqualität erfolgen (Donabedian 1980). Oder, mit anderen Worten vor, während und nach der Leistungserbringung. Eine Orientierung bzw. Informationssuche der Patienten wird in erster Linie auf Qualitätskriterien orientiert sein. Gerade in diesem Bereich ist die Informationsasymmetrie im Gesundheitswesen gegeben. Entsprechend dem Informationsökonomischen Ansatz können Kaufentscheidungen folglich als Vertrauenskäufe verstanden werden. Der Aufbau dieses Vertrauens ist primäre Orientierungsgröße in der externen Kommunikation von Einrichtungen des Gesundheitswesens und bestimmt die Gestaltung des Informationsangebots. In Analogie zum so genannten Informationsdreisprung (Weiber 2002) kann unter Bezugnahme auf Donabedian im Gesundheitswesen auch von einem Qualitätsdreisprung gesprochen werden. Ziel muss es insgesamt sein, Informationsbedarfe zur Dienstleistungsqualität zu identifizieren und entsprechende Informationen im Leistungserstellungsprozess verfügbar zu machen. In Abb. 3.5 werden die unterschiedlichen Dimensionen veranschaulicht (Weiber und Wolf 2013). Das Informationsangebot hat somit zum einen der Informationsasymmetrie Rechnung zu tragen und zugleich dem Dienstleistungsprozess selbst. Dabei kommt auch der quasi nachgelagerten Information zur Qualität eine entscheidende Bedeutung zu. Wenn dem Patienten die Qualität der erhaltenen Leistung nicht hinreichend kommuniziert wird, kann diese nicht verortet werden und entsprechend nicht so wahrgenommen werden, dass eine Zufriedenheit beim Patienten entsteht und Vertrauen aufgebaut wird. Dieser Zusammenhang wurde bereits im GAP-Modell zur Kundenzufriedenheit aufgezeigt (Zeithaml et al. 1990).

Abb. 3.5   Qualitätsdreisprung nach Weiber und Wolf 2013. (Quelle: Weiber und Wolf 2013)

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3.3.2 Erreichbarkeit und Gestaltung des Informationsangebots in value-added services Im Zuge der Digitalisierung sind Informationen generell leichter und einfacher verfügbar geworden. Wird ausschließlich der Krankenhausbereich betrachtet, so hat sich mit der Einführung der Qualitätsberichte eine Transparenz ergeben, die vorher nicht gegeben war. Heute ist es für jeden Bürger möglich sich in Portalen zu Krankenhäusern, Fallzahlen oder Qualitätsbewertungen zu informieren (Simon 2010). Diese Entwicklung korrespondiert mit anderen Bereichen des täglichen Lebens und den Erfahrungswelten der Patienten. In der Folge hat sich der objektive wie subjektive Informationsbedarf deutlich verändert. Ein weiterer Einfluss auf die Nachfrage nach Informationen und den wahrgenommenen Informationsbedarf ergibt sich aus der Zugangstechnologie. Eine Informationssuche erfolgt heute in der Regel über mobile Endgeräte. Diese haben zu einer Ubiquität der Informationsnachfrage geführt. Der Patient erwartet folglich auch einen ubiquitären Zugang zu benötigten Informationen. Dies schließt den direkten Kontakt zum Arzt ein (Körber et al. 2017). Im Rahmen von informationsorientierten ValueAdded-Services muss somit insbesondere der Fokus auf mHealth-Anwendungen liegen. Da hier zumeist der Zugang über eine mobile Anwendung (App) erfolgt, ergibt sich ein weiterer Vorteil im Hinblick auf die Kommunikation mit Patienten und potenziellen Patienten. Eine App wird als Software auf dem Gerät des Kunden installiert. Somit wird ein fester Kommunikationskanal etabliert, der beidseitig genutzt werden kann. Hieraus ergeben sich neue Szenarien der Kundenansprache für Einrichtungen des Gesundheitswesens (Jäschke 2017). Die Nutzung von Apps erlaubt damit neue Szenarien im Bereich des Customer Relationship Marketing. In wie weit diese rechtlich zu bewerten sind, soll nachfolgend noch ausgeführt werden. Hinsichtlich der Ausgestaltung von mobil nutzbaren und informationsorientierten Value-Added Services sind im Gesundheitswesen unterschiedliche Realisierungsoptionen denkbar, die hier nicht vertiefend ausgeführt werden sollen. Bereits heute verfügen viele Krankenhäuser über Apps, die Patienten und Angehörigen Informationen zum Aufenthalt bieten und Einblick bzw. Hilfestellungen für anstehende Behandlungen. Beispielhaft können hier Checklisten genannt werden, die auflisten, was zur geplanten Operation mitzubringen ist. Weitergehend sind informationsorientierte Angebote medizinischer Ausrichtung möglich. Hier ergeben sich Anwendungsszenarien gerade im Hinblick auf chronisch kranke Patienten. Möglich ist es den Patienten über mHealth-Anwendungen medizinisch zu begleiten und bedarfsorientierte Angebote zu gestalten. Exemplarisch kann hier etwa die Medikationsüberwachung bei chronisch Kranken angeführt werden um die Adhärenz der Patienten zu verbessern (Albrecht et al. 2018). Zudem besteht die Möglichkeit, aus dem medizinischen Kow-How der Einrichtung Content für Informationsangebote zu generieren, der für den Kunden einen Mehrwert bietet und somit zu Login-Effekten im Sinne einer Kundenbindung führen kann. Anzuführen wären in diesem Context etwa krankheitsbezogene Newsletter oder das Angebot und die Kommunikation von Seminarreihen. Letztere könnten dabei auch virtuell bzw. als Videos konzipiert werden.

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Die aufgezeigten Aspekte sind in erster Linie als Value-Added Services aus Kundensicht zu sehen. Im Vordergrund stehen zum einen Mehrwerte, die für die Wahl des Dienstleisters ausschlaggebend sein können (Kaufentscheidung) und Customer Relationship orientierte Dienstleistungen, die eine Kundenbindung fokussieren (Perleberg 2017). Werbende Tätigkeiten sind im Gesundheitswesen jedoch sehr streng gesetzlich geregelt. Die bestehenden Restriktionen sind entsprechend auch in der Konzeption von ­Value-Added-Services zu beachten.

3.3.3 Rechtliche und ethische Dimensionen Informationsangebote für Patienten bewegen sich rechtlich und ethisch auf einem sehr schwierigen Gebiet. Der Fokus des Gesetzgebers ist geprägt durch die herrschende Informationsasymmetrie im Gesundheitswesen und die potenzielle Notlage des Patienten. Die Regelungen des Weilmittelwerbegesetzes zielen entsprechend darauf ab, Situationen präventiv zu begegnen, in denen eine unklare Informationslage gegeben ist. So regelt bspw. § 11 Abs. 1 Nr. 2: „Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden, mit Angaben oder Darstellungen, die sich auf eine Empfehlung von Wissenschaftlern, von im Gesundheitswesen tätigen Personen, […] die auf Grund ihrer Bekanntheit zum Arzneimittelverbrauch anregen können, beziehen“. In § 11 Abs. 1 Nr. 9 wird untersagt, außerhalb von Fachkreisen mit „Veröffentlichungen, deren Werbezweck missverständlich oder nicht deutlich erkennbar ist“ zu werben. Davon ausgehend, dass bspw. Krankenhaus-Apps grundsätzlich auch einen werbenden Charakter haben, so bewegt sich die Gestaltung entsprechender Angebote auch in einem rechtlichen Graubereich. Im entsprechenden Gesetz finden sich darüber hinaus weitere Regelungen, die den Aufbau von Informationsangeboten für Patienten erheblich beeinträchtigen. Grundsätzlich würde das Verbot von Werbeverträgen, die auf eine „Entgegennahme von Anschriften“ abzielen (HWG § 11, Abs. 1 Nr. 8) sogar nahe an der Nutzung von Kontaktdaten von Patienten, die sich eine Krankenhaus-App installieren. Neben der rein rechtlichen Betrachtung muss jedoch auch die ethische und psychologische Perspektive einbezogen werden. Es ist in der Realisierung von neuen Informationsangeboten – auch im Rahmen von Value-Added-Services – zu beachten, dass eben keine Notlage der Patienten ausgenutzt wird oder eine solche durch das Angebot induziert wird. Durchaus denkbar wäre es, dass Informationen zu Behandlungsformen, chronischen Erkrankungen oder Krankheitsbildern eine psychologische Belastung für Patienten darstellen können. Im Hinblick auf chronisch kranke Patienten ergeben sich insbesondere aus Push-Informationen, wie sie etwa Newsletter darstellen unter Umständen belastende Faktoren, da ein „Abschalten“ von der Krankheit evtl. ­verhindert wird. Die durch entsprechende Angebote geförderte Präsenz der Erkrankung kann psychologisch belastend wirken und damit positive Effekte von mHealth ­überlagern.

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Es wird deutlich, dass gerade im Informationsangebot für den Patienten die Ablösung der Kommunikation von der interpersonalen Ebene, die im Gesundheitswesen weitgehend die Regel ist, durchaus problematisch ist. Rein informative medizinische Angebote für Patienten und oder Angehörige müssen sowohl den individuellen (Nutzungs-)Kontext als auch die bestehende Informationsasymmetrie einbeziehen. Auch wenn bei chronisch kranken Patienten zumeist von einer gewissen Angleichung des fachlichen Kenntnisstands und damit einhergehend einer Reduktion der Informationsasymmetrie auszugehen ist, ist psychologischen und ethischen Aspekten zwingend Rechnung zu tragen. Vereinfacht gesagt, darf dem Kranken durch mHealth nicht das Recht genommen werden, die Erkrankung – wenn auch nur zeitweise – zu vergessen. Anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass die höhere Transparenz psychisch belastende Situationen für die Patienten schafft, die dann wieder den Behandlungsprozess beeinträchtigen und im Extremfall sogar einen Mehraufwand generieren.

3.4 Interne und interaktive Kommunikation Neben den aufgezeigten Veränderungen in der externen Kommunikation ergeben sich auch Veränderungen in der internen und interaktiven Kommunikation. Gerade im Gesundheitswesen kommt der interaktiven Kommunikation, d. h. der Kommunikation mit dem externen Faktor (Patient) während der Erbringung der Dienstleistung besondere Bedeutung zu. Hier werden, bedingt durch bestehende Informationsasymmetrien, bspw. interpretative Rahmen für die qualitative Bewertung der Leistungen geschaffen. Entsprechend sind Auswirkungen neuer Technologien hier insbesondere zu betrachten.

3.4.1 Kommunikation im Behandlungsprozess Neben der externen Kommunikation ändert sich im Zuge der Digitalisierung auch die Kommunikation der Beteiligten im Behandlungsprozess. Hier sind unterschiedliche Aspekte und Kommunikationsbeziehungen zu betrachten um eine Bewertung der Veränderungen zu verorten. Zum einen werden die Kommunikationsbeziehungen zwischen Patient und Arzt im Rahmen der Behandlung selbst tangiert. Hierunter wären auch Informationsangebote zu subsumieren, die vom Patienten eigenständig erstellt werden (bspw. über sogenannte Wearables oder Implantate) und in den Behandlungsprozess einfließen. Zum anderen wird die Kommunikation aufseiten des Leistungserbringers durch die Digitalisierung Veränderungen erfahren wenn Medien und Informationstechnologien eingesetzt werden, die einen orts- und zeitentkoppelten Zugriff auf Informationen gewährleisten. Zudem muss hier die Rezeption der Verfügbaren Informationen – wie bereits oben herausgestellt – mit einbezogen werden. Während die direkte Kommunikation und Weitergabe von Informationen zwischen Kommunikationspartnern eine unmittelbare Interaktion der Akteure erlaubt bzw. voraussetzt, erfolgt

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die Informationsaufnahme technisch vermittelt oftmals ohne interaktiven Bezug. Die Informationsselektion wird somit ausschließlich durch einen Akteur geleistet, was die Gestaltung digitaler Informationsangebote zu berücksichtigen hat. Insbesondere in der internen Kommunikation wird Digitalisierung als relevanter Erfolgsfaktor gesehen. Hier unterscheidet sich die Diskussion nur wenig von der eBusiness-Euphorie im Dienstleistungssektor der Jahrtausendwende. Das eingangs zitierte Paradoxon der Informationswirtschaft zeigt jedoch auf, dass Digitalisierung nicht zwingend auch ökonomische Vorteilhaftigkeit bedeutet. Dies ist auch im Gesundheitswesen gültig und in der Gestaltung digitaler Prozesse zu berücksichtigen. Unbestritten ergeben sich Prozessverbesserungen, wenn bspw. der Krankenhausarzt ubiquitär über mobile Zugangstechnologien die Patientenkurven bei Bedarf unmittelbar verfügbar hat. Die Wartezeit um analoge Unterlagen zu holen entfällt. Auch in der Dokumentation ergeben sich Potenziale. Wenn bspw. eine RFID-gestützte Erfassung der Anwesenheitszeiten im OP im Controlling von Prozesszeiten genutzt werden kann, wird dies auch unter Berücksichtigung der Investitionskosten langfristig Einsparungen ergeben. Auch die digitale Dokumentation in der Pflege mittels Spracheingabe bietet eine unmittelbare Dokumentation ohne doppelte Datenhaltung und ohne technische Interfaces. Das zweite Beispiel zeigt jedoch schon Problembereiche der Digitalisierung auf. Im Rahmen der personengebundenen Zeitdokumentation konnten ergänzende Informationen unmittelbar mit dokumentiert werden. Exemplarisch könnte hier eine längere Einleitungsphase der Anästhesie angeführt werden, die sich ergibt, weil der Patient Angst vor der OP hat und zunächst beruhigt werden muss. Entsprechende Daten müssten in einer automatisierten Erfassung ex post generiert oder parallel zur automatisierten Datenerfassung eingepflegt werden. Dies erscheint bei einer durchgehenden digitalen Dokumentation möglich, setzt jedoch entsprechende Aufbereitungen der Daten voraus. Zudem werden sich evtl. weitere Informationsbedarfe aus der leichten Verfügbarkeit der Informationen ergeben und damit auch den Aufbereitungsaufwand vergrößern. Die Automatisierung der Erfassung alleine wird somit nicht zwingend ökonomisch vorteilhaft sein. Wenn sich mit dem Informationsangebot auch eine Verschiebung im objektiven, als sinnvoll und allgemein angemessen angesehenen Informationsbedarf ergibt, ändert sich die Qualität der Daten bzw. der verfügbaren Informationen. Das Beispiel verdeutlicht den engen Zusammenhang von internen Prozessen und der Nutzung neuer Technologien. Aber auch wenn sich im Beispielfall der Prozess optimieren lässt, sodass RFID-Chips eine Datenbasis zum Personaleinsatz im OP liefern und Anwesenheitszeiten automatisch erfasst werden, werden sich aus den generierten Daten neue Informationsbedarfe ergeben. Eben weil umfassende Daten mit neuen Technologien leicht generiert werden können, ermöglicht dies auch neue umfassendere Auswertungsmöglichkeiten. Diese sind jedoch sowohl in der Erstellung als auch in der Nutzung mit Aufwand verbunden und relativieren wieder die erzielten Kostenvorteile aus dem Technologieeinsatz. Bezug nehmend auf den einleitend angeführten Zusammenhang. Wenn das Verhältnis von Informationsstand und Informationsnachfrage bei allen sich ergebenden Verschiebungen gleich bleibt, wird in der Wahrnehmung der Beteiligten kein Effekt aus der Digitalisierung erwachsen.

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3.4.2 Der Patient als Produzer Neben dem, aus der Digitalisierung interner Prozesse selbst geschaffenen, größeren Informationsangebot ergeben sich weitere Informationen über den Einsatz neuer Technologien durch den Patienten. Leichte Anwendbarkeit medizinischer Selbstvermessungsinstrumente (bspw. Wearables) können neue Daten in den Versorgungsprozess einbringen. Dies bedingt auch eine neue Rolle des Patienten im medizinischen Behandlungsprozess. Die Positionen von Arzt und Patient werden nivelliert, der Interaktionsprozess gleichberechtigter (Loh et al. 2005). Bislang bildete der Patient einen eher passiven Part im Behandlungsprozess, dessen Daten maßgeblich im Rahmen des medizinischen Behandlungsprozesses erhoben wurden. Über neue Technologien kann er selbst bspw. seine Vitaldaten erheben und im Versorgungsprozess einbringen. Dies kann über relativ einfache Technologien erfolgen, wie bspw. vernetzte Blutdruck- oder Blutzuckermessgeräte, mit denen der Patient zu Hause Daten für den Behandlungsprozess erhebt (Körber et al. 2017). Dies erlaubt gerade bei chronisch Kranken eine neue Qualität der Überwachung und damit auch eine veränderte Datenbasis für die Behandlung. Untersuchungen zeigen, dass die Möglichkeit der Übermittlung medizinischer Parameter im Zuge eines Monitorings Kosten senken kann (Kuhn und Amelung 2016). Auf die Option mit mHealth-Applikationen eine Verbesserung der Therapietreue zu erreichen, wurde bereits oben verwiesen (Albrecht et al. 2018). Darüber hinaus sind auch Szenarien denkbar, in denen digitale Technologien im Rahmen der Behandlung im Patienten operabel eingesetzt werden, die dann Daten für den Behandlungsprozess liefern. Die Funktionsüberwachung von Herzschrittmachern wäre hier ebenso zu erwähnen wie bspw. Sensoren mit künstlichen Gelenken. Diese Daten können dann in den Behandlungsprozess einfließen und verändern damit auch die Entscheidungsgrundlagen der Akteure. Nicht eingegangen werden soll an dieser Stelle auf die rechtliche Dimension entsprechender Technologien. Da in den skizzierten Szenarien Daten ohne Zutun aber im Körper des Patienten generiert werden, wären Schutz und Nutzungsrechte dieser Daten rechtlich zu hinterfragen. Die aufgezeigten Beispiele machen deutlich, dass der Patient vom Konsumenten medizinischer Behandlungen zum Mit-Produzent (Prosumenten) dieser wird. Dabei kann hier durchaus die relativ offene Definition des Prosumenten nach Toffler gesehen werden, der den Prosumenten zwischen dem „produzierenden Konsumenten“ und dem „professionellen Konsumenten“ ansiedelte (Toffler 1980). Beide Aspekte kommen im Gesundheitswesen zum Tragen, da die umfassendere Informiertheit der Patienten durchaus auch den Dienstleistungsprozess verändert. Auch diese Entwicklungen vergrößert das Informationsangebot erheblich. Objektive und subjektive Informationsbedarfe werden hierdurch mit großer Wahrscheinlichkeit verändert. Darüber hinaus werden neue Prozesse zu elaborieren sein, wie eigene, selbst erhobene Daten und Fremdbefunde (vom Patienten eingebracht) im Behandlungsprozess zusammengeführt werden können. Dabei wird es auch eine Rolle spielen, in

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wie weit Patienten selbst untereinander interagieren oder aggregierte Patientendaten im Behandlungsverlauf eingebunden werden können. Gegenwärtig ist bereits vielfach zu beobachten, dass sich aus der Sammlung und Kommunikation von Nutzer- und auch Patientendaten erhebliche Auswirkungen im Gesundheitswesen ergeben können. Auf der Plattform patientslikeme.com tragen Patienten Informationen zusammen, um diese dann wieder in den Versorgungsprozess einfließen lassen zu können. Sie versuchen somit unmittelbar den Behandlungsprozess im Gesundheitswesen zu beeinflussen. Solche Datenpools werden sich mit der Etablierung von mHealth-Lösungen noch weiter vergrößern und eine Informationsressource sowohl für Patienten als auch Akteure des Gesundheitswesens bilden. Die Rolle des Patienten wandelt sich dabei noch weitergehend, da er hier Informationen produziert, die er nicht unmittelbar nutzt (Bimber et al. 2005). Die Begriffsschöpfung des Prosumenten aufgreifend wäre eher von einem Patienten als Produser zu sprechen. Grundsätzlich spielt es keine Rolle, ob entsprechende Informationsangebote von Patienten initiativ geschaffen werden oder bspw. nur durch Nutzung mobiler Anwendungen „gefüttert“ werden (z. B. garmin, apple iWatch). In der Konsequenz ergibt sich ein Informationspool, der kaum mehr in normalen, traditionellen Behandlungssituationen genutzt werden kann. Bezug nehmend auf die eingangs ausgegrenzte Betrachtung ergibt sich eine extreme Vergrößerung des Informationsangebots. Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass aus unterschiedlichen Perspektiven die Digitalisierung des Gesundheitswesens mit einer Vergrößerung des Informationsangebots verbunden ist. Als Reaktion ist eine Anpassung des objektiven Informationsbedarfs zwingend. Dem größeren Datenpool muss im Interesse der Versorgungsqualität Rechnung getragen werden. Auch aus direkter ökonomischer Perspektive sind die neu verfügbaren Daten einzubeziehen (z. B. Anwesenheitszeiten und verbundene Kosten). Gleichzeitig machen insbesondere die letzteren Ausführungen deutlich, dass dem technisch generierten Informationsangebot kaum mehr Rechnung getragen werden kann. Das Informationsmanagement und die nutzerorientierte Informationsaufbereitung rücken zunehmend in den Fokus.

3.4.3 Kompetenzen der Akteure Wie aber werden sich subjektiver Informationsbedarf und die Informationsnachfrage verändern? Hier werden die Kompetenzen der Akteure, die neuen Technologien zu Nutzen entscheidend sein. „The uses and consequences of information technology emerge unpredictably from complex social interactions“ (Lynne und Robey 1998).

Entsprechend gilt es die Behandlungsprozesse im Hinblick auf den Einsatz neuer Technologien zu hinterfragen und hierbei auch die Akteure selbst mit einzubeziehen. Wenn es nicht gelingt das neue Informationsangebot nutzbar aus Sicht der Handelnden

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zu gestalten, werden sich weder subjektive Informationsbedarfe noch die Informationsnachfrage entsprechend vergrößern bzw. anpassen. Resultat wird eine Nutzungslücke sein, die den Return on Investment von Investitionen in neue Technologien und Digitalisierung erheblich schmälert (Weiber und Krämer 2002). Gleichzeitig werden neue Kompetenzen von den Akteuren eingefordert (Weiber et al. 2002). Der Behandlungsprozess wird somit letztlich sowohl von den genutzten Kommunikationstechnologien und deren technischen Potenzialen bzw. Grenzen als auch von den Nutzern selbst beeinflusst (Jäckel et al. 2004).

3.5 Schlussbetrachtung Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass sich mit der Digitalisierung gerade im Gesundheitswesen aus ökonomischer Perspektive sowohl große Chancen als auch erhebliche Herausforderungen verbinden. Sowohl in der internen, interaktiven und externen Kommunikation ergeben sich Verschiebungen im Informationsangebot. Die Verfügbarkeit von medizinischen Daten für die Behandlung, wie auch für die Information des Patienten oder auch die interne Kommunikation (z. B. Forschung) steigt. Datenhaltung und der Zugang zu Informationen werden in weiten Teilen zudem entkoppelt von räumlichen und zeitlichen Restriktionen. Ein ubiquitärer Informationszugang in mobilen Nutzungsszenarien wird zukünftig Standard sein. Es wird weiterhin deutlich, dass die Produktion von relevanten Informationen nicht mehr ausschließlich aus dem Gesundheitssystem selbst bestimmt wird, sondern insbesondere die Patienten ihrerseits Daten und Informationen generieren werden, die in den Versorgungsprozess einfließen können. Weitergehende Datenpools Dritter, bspw. multinationaler IT-Konzerne wie Google oder apple wären hier ebenfalls anzuführen, wurden in der vorstehenden Betrachtung aber bewusst weitgehend ausgeblendet, da der Grundfokus auf die klassische Behandlungssituation und die beteiligten Akteure gelegt wurde. Das aus der Digitalisierung resultierende „Mehr“ an Informationen, ebenso wie die Veränderung von Kommunikationsbeziehungen setzen ebenso eine veränderte Aufbereitung und damit neue bedarfsgerechte Nutzungsszenarien voraus. Diese gilt es zu entwickeln. Ohne entsprechende Konzepte werden sich kaum ökonomische Vorteile in der Kommunikation im Gesundheitswesen ergeben. Die Investitionen in Digitalisierung würden keinen korrespondierenden ökonomischen Output in Form besserer Gesundheitsversorgung generieren. Gerade im Bereich von mHealth-Szenarien ergeben sich die aufgezeigten Problemfelder in besonderem Maße. Die ubiquitär verfügbaren Informationen verändern die klassischen Handlungsfelder im Gesundheitswesen radikal. Eine Ausweitung des Informationsangebots hat dabei sowohl für die Akteure auf Seiten der Dienstleistungsanbieter (z. B. Ärzte, Pflege, Therapeuten) Konsequenzen, wie auch für die Nachfrager (z. B. Patienten, Angehörige). Die Informationsumwelten sind dabei für Anbieter wie Nachfrager nicht selbstbestimmt zu sehen, sondern vielmehr interdependent. Die objektive Informationsnachfrage bspw. eines Arztes wird zum

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einen bestimmt durch fachliche und situationsspezifische bzw. aus dem Behandlungskontext resultierende Rahmenbedingungen. Zum anderen werden aber auch Erwartungshaltungen der Patienten oder persönliche bzw. gesellschaftliche Erwartungen Einfluss haben. Die aufgezeigten Entwicklungen implizieren in letzter Konsequenz vollkommen neue technologischen Ansätze und neue Prozesse in der Behandlung selbst. Wahrscheinlich kann eine Bewältigung der Ausweitung des Informationsangebots nur durch den Einsatz künstlicher Intelligenz erfolgen, was wiederum eine gänzlich neue Rolle der Technik im Behandlungsprozess bedingt. Diesem Ansatz folgend, müsste Informationstechnologie als KI selbst als Akteur im Dienstleistungsprozess einbezogen werden. Dies könnte enorme ökonomische Potenziale ergeben, erfordert jedoch eine grundlegende Diskussion rechtlicher und ethischer Perspektive und setzt neue Anforderungen an ein Risikomanagement.

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A. M. Würfel und F. Holl

Alexander M. Würfel  ist Professor der Fakultät Gesundheitsmanagement an der Hoch­ schule Neu-Ulm (HNU) und Studiengangleiter im Studiengang Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter promovierte er am Competence Center eBusiness an der Universität Trier und war in der Folge bei der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft tätig. Fokuspunkte in der Arbeit ­ sind die Potenziale und Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen für das Prozess- und Dienstleistungsmanagement insbesondere auch aus sozialer und arbeitsorganisatorischer Perspektive. Felix Holl  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Bereich Digitalisierung Healthcare in der Fakultät Gesundheitsmanagement an der Hochschule Neu-Ulm und promoviert über die Entwicklung von Evaluationsmethoden für mHealth-Anwendungen an der Hochschule Neu-Ulm und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat einen B.Sc. in Informationsmanagement im Gesundheitswesen der Hochschulen Ulm und Neu-Ulm. Als Fulbright-Stipendiat hat er einen M.Sc. in Global Health Sciences an der University of California, San Francisco erworben.

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Arzt-Patienten-App mit Alarmierungsfunktion Bernhard Ammann, Carsten Nicolaus und Sigrid Blehle

4.1 Einleitung Um den Befindlichkeitszustand von chronisch Kranken wiederherzustellen oder nicht schlechter werden zu lassen, arbeiten Ärzte und Krankenhäuser daran, ihre Patienten bestmöglich medizinisch zu versorgen. Dies funktioniert über ein großes Netzwerk von Medizinern, die sich als Experten ihres Fachgebiets jeweils auf eine bestimmte Teilmenge von gesundheitlichen Beschwerden spezialisiert haben. Deshalb sind ausgehend von der ersten Diagnose eines Leidens bis hin zu einer erfolgreichen Therapie häufig viele verschiedene Mediziner an der Gesundung eines einzelnen Patienten beteiligt. Oftmals sind dies ein Hausarzt, der als Hauptansprechpartner des Patienten in medizinischen Fragen auftritt, unterschiedliche Fachärzte, vereinzelte Krankenhäuser sowie mehrere Labore, die die Auswertung der bei Arzt- und Krankenhausbesuchen genommenen Proben übernehmen. Auch der Patient selbst erhebt und analysiert heute durch elektronische Tagebücher und anderen körpernahen Sensoren verstärkt Daten über seine eigene Gesundheit, die jedoch nur selten bei der medizinischen Diagnose und Therapie des Patienten Berücksichtigung finden. Gerade der behandelnde Arzt eines chronisch kranken Patienten benötigt objektive Daten über den Krankheitsverlauf

B. Ammann (*)  SymCollect GmbH, Langerringen, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Nicolaus · S. Blehle  BCA-clinic Betriebs GmbH & Co. KG, Augsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Blehle E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_4

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zwischen den Arztgesprächen, besonders wenn diese viele Wochen oder Monate auseinander liegen. Der Patient erwartet in diesem Zeitraum, dass er jeder Zeit seine Praxis telefonisch oder persönlich kontaktieren kann, falls sich seine Befindlichkeit verschlechtert. Die Arzt-Patienten-App stellt eine ganz neue Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung bei der Behandlung chronischer oder lang andauernder Erkrankungen dar. Der Arzt bekommt vom Patienten alle wichtigen Daten zu dessen Befindlichkeit, auffälligen Symptomen und eingenommenen Medikamenten, basierend auf die Krankheit angepassten Anamnesefragebogen, in ausgewerteten Listen und generierten Diagrammen. Der Fragebogen, bestehend aus 10 Fragegruppen mit insgesamt mehr als 100 Fragen und Folgefragen, ist auf die jeweilige chronische Erkrankung hin optimiert worden. Die tägliche Beantwortungszeit liegt bei wenigen Sekunden, wenn es keine Symptomveränderung gab, bis wenige Minuten, bei entsprechenden Veränderungen. Nachdem der Fragebogen per Internet versendet worden ist, erfolgt im Server des Softwarebetreibers eine punktemäßige Auswertung und die Aktualisierung der Auswertediagramme. Der Patient bekommt seinen Gesundheitsstatus unmittelbar zurückgemeldet. Bei einer Überschreitung eines kritischen Parameters bzw. dem Antippen einer maximal bewerteten Antwort wird von der App automatisch bei dem verantwortlichen Arzt Alarm ausgelöst. Für den Patienten ist dieser Alarm nicht erkennbar, um einen Missbrauch der App zu vermeiden und auch eine Notwendigkeit der Kontaktaufnahme der Praxis auszuschließen. Der behandelnde Arzt wird zeitnah proaktiv den Kontakt zum Patienten suchen und ihn unterstützen. Damit weiß sich der Patient eng mit seinem Arzt verbunden. Die Versuche des Patienten bei typischen Befindlichkeitsschwankungen den schwer erreichbaren Arzt zu kontaktieren oder sich ohne Termin in ein volles Wartezimmer zu setzen, reduzieren sich. Es bleibt damit weiterhin in der Eigenverantwortung des Patienten, sich bei einer erheblichen Verschlechterung seines Befindens, den nächsten Arzt zu kontaktieren oder aufzusuchen.

4.2 Zielsetzung Damit diese Verflechtung von Akteuren, Systemen und Datenquellen bestmöglich für die Gesundheit des Patienten eingesetzt werden kann, ist ein zielgerichteter Austausch von medizinischen Informationen zwischen allen Beteiligten notwendig. Insbesondere die Kommunikation mit dem Patienten rückt dabei aber häufig in den Hintergrund und findet nicht im erforderlichen Maße statt. Das hat zum einen mit der Schwierigkeit des Patienten zu tun seine zwischenzeitlichen Beschwerden seit dem letzten, möglicherweise viele Wochen zurückliegenden Arztbesuch korrekt wieder zu geben und zum anderen durch das Terminfindungsproblem der Arztpraxis, welche für das Patientengespräch nur eine knapp bemessene Sprechzeit mit dem Arzt einplanen kann, zumal die Zeit durch die GOÄ/ EBM (GOÄ/EBM = Gebührenordnung für Ärzte/Einheitlicher Bewertungsmaßstab) vorgegeben ist. Diese Situation kann durch neue Kommunikationstechnologien zwischen Arzt und Patient deutlich verbessert werden. Durch intelligente Kommunikations-Apps

4  Arzt-Patienten-App mit Alarmierungsfunktion

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werden kontinuierlich Daten gesammelt, ausgewertet und dem behandelnden Arzt auf einer Plattform zur Verfügung gestellt. Damit spart sich der Arzt wichtige Zeit bei der – meist sehr kurzen – Vorbereitung vor dem Patientengespräch und stützt sich auf objektive Befindlichkeitsdaten im Patientengespräch. Die vom Patienten eingegebenen Daten verbessern nicht nur die Entscheidungen seines Arztes, sondern dienen auch einer allgemeinen Verbesserung der Therapie im Bereich einer chronischen Erkrankung, wenn diese Daten von vielen Patienten und Ärzten zusammengeführt werden. Eine statistische oder wissenschaftliche Auswertung kann ganz neue Erkenntnisse über das Verhalten der Patienten in der Therapie, aber auch über die Therapiequalität aufzeigen.

4.3 Kommunikation zwischen Arzt und Patient Der persönliche Bezug zwischen Arzt und Patient ist heute, aufgrund des Ärztemangels etc., weniger ausgeprägt als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Kommunikation zwischen beiden ist meist auf wenige persönliche Gespräche pro Jahr im Rahmen von Arztbesuchen beschränkt. Meist reicht die Zeit in diesen Terminen nur, um eine Momentaufnahme über die aktuelle Gesundheit des Patienten zu erhalten. Zusammenhänge zwischen verschiedenen Krankheitsbildern oder tieferliegende Ursachen können dabei übersehen werden. Der Einbezug zusätzlicher patientengenerierter Daten kann deshalb die zielgerichtete Therapie unterstützen. Bei lang andauernden Krankheitsbildern, speziell bei chronischen Erkrankungen, finden in regelmäßigen Abständen ­Check-up-Termine ohne akuten gesundheitlichen Anlass statt, in denen der Patient dem Arzt einen breiteren Einblick in seine Befindlichkeit geben kann. Diese Termine ermöglichen es dem Arzt die Behandlung, unter Berücksichtigung von Schwankungen im Krankheitsverlauf, anzupassen und könnten wesentlich zielgerichteter und effizienter ablaufen, wenn dem Arzt kontinuierliche Informationen über den Gesundheitszustand des Patienten seit dem letzten Arztbesuch vorliegen würden, die einen objektiven Trendverlauf erkennen lassen. Gerade chronisch kranke Patienten können von einem verbesserten Informationsaustausch sehr profitieren und würden den geringen zeitlichen Aufwand für die Eingaben bereitwillig in Kauf nehmen. Manche von ihnen wären sogar bereit, zusätzliche Daten aus Self-Tracking-Geräten beizusteuern, um dem Arzt ein objektives und umfassendes Bild des Krankheitsverlauf zu vermitteln. Dies trifft insbesondere auf solche Patienten zu, deren chronische Erkrankung mit starken physischen und psychischen Einschränkungen verbunden ist und sich mittels einer verbesserten Therapie lindern lassen. Die Arzt-Patienten-App zielt darauf ab, eine Plattform zur Unterstützung des Informationsaustauschs zwischen Ärzten und Patienten zu schaffen. Behandelnde Ärzte können über diese App-Plattform tagesaktuelle Patienteninformationen erhalten und dem Patienten wiederum relevante Informationen zukommen lassen, z. B. sie auffordern einen Termin mit der Praxis zu vereinbaren, den nächsten Arzt aufzusuchen oder für einen Arztanruf zur Verfügung zu stehen.

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4.4 Lösungsansatz Um diese Vorteile zu erreichen, ist eine internetbasierte Kommunikationsplattform konzipiert und entwickelt worden, die marktwirtschaftlichen Prinzipien folgt und Patienten, Ärzte und andere medizinische Leistungsempfänger unterstützt und auf freiwilliger Basis vernetzt. Die LymeCare-Plattform unterstützt Patienten mit dem Krankheitsbild vektorübertragene Erkrankungen am Beispiel Lyme-Borreliose (Die Lyme-Borreliose ist eine Infektionskrankheit, die akut und chronisch verlaufen kann. Sie wird durch das Bakterium Borrelia Burgdorferi oder verwandte Borrelien aus der Gruppe der Spirochäten ausgelöst.), da hier seitens des Patienten ein großes Interesse an einer verbesserten Behandlung besteht. Um den Investitionsaufwand für Ärzte und Praxen gering zu halten, verfügt die Plattform über eine zentrale cloudbasierte Speicherung der Daten. Das übergreifende Ziel des verbesserten Informationsaustausches bewerkstelligt diese Plattform auf folgende Weise: Der Patient als Hauptinteressent an der eigenen Gesundheit füttert das System auf regelmäßiger – besser täglicher – Basis mit Informationen über seine Befindlichkeit. Alle gesammelten Daten werden über bestimmte Algorithmen in leicht verständliche Diagramme und Kurven umgesetzt. Die Diagramme erlauben eine Darstellung der eingegebenen Symptome auf täglicher, wöchentlicher, monatlicher oder längerfristiger Basis. Durch die standardisierte Selbstauskunft ergeben sich bei mehrmaliger Eingabe aus subjektiven Tagesbefindlichkeiten objektive Trenddaten, wie sie bei einem einzelnen und zeitlich limitierten Arzt-Patientengespräch nicht gewonnen werden können. Das integrierte Alarmsystem erlaubt es die Intervalle der Arzt-Patientengespräche zu optimieren, da bei einer überraschenden Befindlichkeitsverschlechterung ein kurzfristiges Eingreifen des Arztes in die Therapie ermöglich wird. Damit wird die Behandlungsqualität verbessert und die Patienten-Arzt-Beziehung gestärkt. Daraus ergeben sich mannigfache Möglichkeiten der Datenanalyse und der Kostenreduzierung in der Praxis und für das Gesundheitssystem im Allgemeinen (siehe Abb. 4.1). Die Arzt-Patienten-App verfügt über zwei unterschiedliche Bedieneroberflächen: a) Der Patient verwendet die Software als Patienten- und Medikamententagebuch, in welche er regelmäßig Fragen zu seiner Befindlichkeit beantwortet und die Einnahme seiner Medikamente bestätigt, ähnlich einem klassischen Patiententagebuch in Papierform. Die Software wertet diese Eingaben aus und generiert daraus verschiedene Diagramme, die dem Patienten den Stand seiner Befindlichkeit zurückmelden. Weiterhin kann dieser per Push-Nachricht Mitteilungen von der Praxis zugestellt bekommen. Die Trendkurve bewertet den Therapieerfolg über die Zeit (siehe Abb. 4.2). Das Matrix-Diagramm zeigt die Häufigkeit der App-Anwendung und die Entwicklung der Symptome in den einzelnen Fragegruppen (siehe Abb. 4.3). Das Netzdiagramm zeigt die Symptome je Fragegruppe am Tag der Eingabe (siehe Abb. 4.4).

4  Arzt-Patienten-App mit Alarmierungsfunktion

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Abb. 4.1   Funktionsschema. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Abb. 4.2   Trend-Diagramm. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

b) Die behandelnde Praxis bzw. der Arzt hat nun im eigenen Arzt-Backend Zugang zu den obigen Diagrammen und zusätzlich zu den bewerteten Antworten seines Patienten (siehe Abb. 4.5). Im Fall einer auffälligen Verschlechterung der Befindlichkeit, wir der Arzt automatisch, ohne Kenntnis und Zutun des Patienten, von der App alarmiert. Der behandelnde Arzt kann sich dann die Befindlichkeitsdaten des Patienten ansehen und – falls notwendig – umgehend Empfehlungen durch die App als PushNachricht (Push-Nachrichten werden direkt auf dem Handy angezeigt, ohne vorher

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Abb. 4.3   Matrix-Diagramm. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

Abb. 4.4   Netzdiagramm. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

eine Anwendung öffnen zu müssen.) oder telefonisch übermitteln lassen. Auf dem Arzt-Backend kann die Praxis den Patienten anlegen und die Nutzung verwalten (Vertragsdauer und Kosten). Weitere Funktionen, wie die Anbindung an das Praxisinformationssystem sind hier denkbar. Bei der Verwendung des App-Alarmsystems muss die Anmeldung des Patienten im ­Arzt-Backend durch die Praxis erfolgt sein. Dazu sind folgende Schritte notwendig:

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Abb. 4.5   Startseite Arzt-Backend. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

1. Die Praxis wurde für die Verwendung der App und des Arzt-Backends von der Softwarefirma freigeschaltet. Formal ist ein Nutzungsvertrag zwischen der Praxis und dem Softwareanbieter – der Softwarefirma, dem Versicherungsunternehmen oder Krankenkasse – abgeschlossen worden. 2. Dem Patienten wird vom Arzt die Verwendung der App empfohlen. 3. Stimmt der Patient zu, hat dieser, nach einer Einführung in die App, eine Patientenaufklärung zu unterschreiben, in welcher über die Funktion der App, des stillen Alarms und über den Datenschutz aufgeklärt wird. Registriert sich der Patient selbst in der App, kann er nur das Patiententagebuch nutzen, da er keinem Arzt zugewiesen ist.

4.5 Qualitätssicherung in der Anamnese und in der Therapie Die regelmäßige Eingabe der Befindlichkeitsdaten durch den Patienten in einen Fragebogen mit Anamnesefragen und der sofortigen Auswertung zeigt dem behandelnden Arzt, aber auch dem Patienten die Wirksamkeit einer Therapie bzw. eine Verbesserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustands. Jeder Arzt kennt die Problematik bei dem ArztPatientengespräch. Ein Patient stellt die momentane Befindlichkeit beim Arztgespräch mehr oder weniger subjektiv dar. Das Arztgespräch ist eine seltene Ausnahmesituation

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für einen Patienten, in welcher dieser seine Gesundheitsprobleme entweder schlimmer schildert als sie sind oder eher verharmlost. Nur selten erfährt der Arzt den objektiven Befindlichkeitszustand des Patienten, wobei er diesen dann möglicherweise als subjektive Aussage bewertet! Aufgrund der von der GOÄ/EBM (GOÄ/EBM = Gebührenordnung für Ärzte/Einheitlicher Bewertungsmaßstab) vorgegebenen Zeitpauschale für ein Patientengespräch und der daraus folgenden zeitlichen Taktung in der Arztpraxis, kann ein Arzt häufig nicht alle relevanten Fragen stellen oder nach speziellen Ursachen forschen, besonders wenn der Patient selbst wichtige Symptome nicht benennt oder Symptome als unwichtig einordnet, bzw. ungenau bis falsch darstellt. Für Patienten sind Fragen des Arztes verschiedentlich tendenziös oder im Zusammenhang unverständlich. Nicht selten sind ihm ehrliche Antworten peinlich, besonders wenn sie seine Intimität betreffen, oder er traut sich nicht den Arzt in seiner Verdachtsdiagnose zu korrigieren. Besonders schwierig wird es für einen Patienten, wenn der Arzt nach dem Krankheitsverlauf oder den Symptomen der letzten Wochen oder Monate fragt, da gewöhnlich nur erhebliche Beschwerden oder bedeutende Ereignisse in Erinnerung bleiben. Dem Patienten ist es, nach der Erfahrung vieler Ärzte, nur sehr schwer möglich viele seiner Symptome objektiv darzustellen und noch schwieriger, diese innerhalb der zurückliegenden Wochen oder Monate korrekt zu vergleichen. Selbst deutliche Befindlichkeitsverbesserungen werden von bestehenden Restbeschwerden überdeckt und nicht bewusst wahrgenommen. Die digitale Arzt-Patienten-App reduziert die obigen Probleme auf ein Minimum. Die Eingaben entstehen stressfrei in privater Umgebung. Durch die Vielzahl der regelmäßigen Eingaben wird der Trend in der statistischen Auswertung objektiv, im Vergleich zu den subjektiven Antworten im Patientengespräch. Der Arzt kann sich nun im Patientengespräch auf Auffälligkeiten in den Diagrammen konzentrieren und muss sich nicht mehr mit Anamnesestandardfragen befassen oder Antworten des Patienten anzweifeln. Auch für den Patienten ergeben sich neue Ansätze für das Arztgespräch, da dieser ebenfalls die generierten Diagramme und den Trend bzw. die Wirksamkeit seiner Therapie gezielt hinterfragen kann. Durch die sofortige Neuberechnung der Diagramme nach einer App-Eingabe bekommt der Patient eine sofortige Rückmeldung zu seinem aktuellen Verhalten oder Lebensweise und deren Auswirkung auf die Befindlichkeit durch Selbstreflektion. Trendverbesserungen motivieren sein Verhalten und seine Lebensweise beizubehalten. Verschlechterungen in der Befindlichkeit zeigen möglicherweise einen direkten Zusammenhang von Ursache und Wirkung in der Lebensführung. Werden zudem Therapieverläufe einer Patientengruppe wissenschaftlich ausgewertet, kann ein Rückschluss auf die Wirksamkeit einer speziellen Therapie geschlossen werden, was für den Arzt, Krankenkassen und Versicherungsunternehmen wertvolle Daten liefern kann. Damit lassen sich Therapien optimieren oder verschiedene Therapieansätze miteinander vergleichen (siehe Abb. 4.6).

4  Arzt-Patienten-App mit Alarmierungsfunktion

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Abb. 4.6   Beispiel einer kombinierten Auswertung. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

4.6 Anwendungsvorteile Aufzählung der Anwendungsvorteile bei Verwendung der App und des Arzt-Backends auf der Seite des Patienten, des Arztes und den Krankenkassen bzw. Versicherungen. Die Vorteile erstrecken sich über den Verständnisgewinn beim Patienten, der Visualisierung der Daten, den Zugang zum Internet bis hin zur Erfassung von echten und vergleichbaren Qualitätszahlen bei einer Therapie.

4.6.1 Die „Sprache“ des Patienten und des Arztes Der Arzt verwendet oftmals Fachbegriffe, die vom Patienten falsch oder ungenau verstanden werden. Eine Rückfrage des Patienten wird aus unterschiedlichen Gründen nicht immer stattfinden. Das liegt zum einen an der besonderen psychologischen Situation für den Patienten im zeitlich begrenzten und lang erwarteten Arztgespräch. Zudem ist es für den Patienten kein Gespräch auf Augenhöhe. Der Arzt ist die fachliche Autorität, auf der große Hoffnungen liegen, die ersehnte Hilfe zu bekommen. Aus verschiedenen Gründen hat dieser aber nur begrenzt Zeit für Rückfragen oder umfassende Erklärungen. In der App dagegen können Symptome oder Fachbegriffe mit Beispielen oder Bildern detailliert erklärt werden. Gerade Patienten, die die Sprache des Arztes nicht ausreichend beherrschen, können die Befindlichkeitsfragen und Symptomerklärungen in ihrer Muttersprache lesen und durch zusätzliche Texte oder Bilder erklärt bekommen. Der behandelnde Arzt liest die täglichen Patienteneingaben in der App ebenfalls in seiner Sprache. Technisch ist es zudem sehr einfach einen in die Software implementierten Fragebogen, sowie die Steuerungsbefehle der Software in der App und im Arzt-Backend

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in verschiedene Sprachen zu übersetzen und dem Patienten, so wie dem Arzt die Auswahl der Sprache zu ermöglichen.

4.6.2 Visualisierung von Patientendaten im Arzt-Trend-Diagramm Der Arzt besitzt im Arzt-Trend-Diagramm der App die Möglichkeit, den aktuellen Gesundheitszustand eines Patienten, korreliert mit weiteren Daten, visuell und zeitsparend zu analysieren. So markiert der Arzt oder das medizinische Personal nach jedem Patientengespräch wichtige Änderungen der Therapie- oder der Medikation im Arzt-Trend-Diagramm mit Symbolen und einem Link zu den Daten im bestehenden Arztinformationssystem. Damit kann ein Arzt Therapiemaßnahmen und deren Wirkung auf die Befindlichkeit des Patienten im direkten zeitlichen Zusammenhang erkennen. Weitere wichtige Datumsmarken können auf der Trendkurve sichtbar gemacht werden, z. B. die Erhebung von Laborwerten, Änderung von Medikamenten oder durchgeführte Patientengespräche etc. Daten, die dem Arzt bei der Einarbeitung in den Krankheitsverlauf zeitsparend helfen (siehe Abb. 4.7). In der Zukunft ist eine direkte Anbindung der App an die elektronische Patientenakte möglich. Gerade bei einem Praxis- oder Arztwechsel sollten dem neuen Arzt alle bisherigen Befindlichkeitsdaten ebenfalls vorliegen.

4.6.3 Technikzugang Der Patient benötigt ein internetfähiges Eingabegerät, wie ein Smartphone, Tablett-PC oder einen Computer. Für Personen, welche selbst kein Eingabegerät bedienen können, wie psychisch oder physisch eingeschränkte Personen oder Kinder, kann ein Familienmitglied oder die Pflegeperson die Eingaben in die App vornehmen. Die Arztpraxis kann die bereits vorhandenen und internetfähigen Computer verwenden. Eine zusätzliche Investition in Hard- oder Software ist nicht notwendig.

Abb. 4.7   Arzt-Trend-Diagramm. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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4.6.4 Qualitätssicherungstool im medizinischen Bereich Krankenkassen und private Krankenversicherer können die von der Tagebuch-App gewonnenen Daten in verschiedenen Richtungen statistisch und wissenschaftlich auswerten. Damit lassen sich Unterschiede zwischen verschiedenen Therapieformen beim gleichen Krankheitsbild, aber auch zwischen Ärzten, Praxen oder Kliniken, feststellen. Die DIN EN 15224 (ISO 9001) (DIN EN 15224 folgt dem Text der ISO 9001 wortgenau), welche im Gesundheitswesen mehr und mehr Einzug hält, fordert eine Erfassung von Qualitätszahlen zu den erbrachten Dienstleistungen, um festzustellen, ob definierte Ziele in der Prozesslandschaft einer Praxis oder Klinik erreicht worden sind. Die korrekte Erfassung oder „Messung“ eines Behandlungserfolges ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe im Gesundheitswesen. Bei chronisch kranken Patienten im Allgemeinen (Diabetes, Bipolare Störung, Schizophrenie, Schmerz, Borreliose und weiteren Erkrankungen) und bei chronisch Kranken mit einer schlechten Prognose (Multiple Sklerose, Onkologie) im Besonderen, war die bisherige Erfassung der vom Patienten selbst empfundenen Befindlichkeit fast ausschließlich dem Arzt-Patientengespräch vorbehalten. Diese – mehr oder weniger – subjektiven Daten wurden vom Arzt in teilweise großen zeitlichen Abständen erfasst und sind für eine vergleichende oder statistische Auswertung wenig geeignet. Ein nicht unwesentlicher Grund, warum vor einem Patientengespräch eine Geräte-, Sensor- und/oder Labordatenaufnahme (EKG = Elektrokardiogramm), Blutabnahme, Röntgen- oder Ultraschallbilder etc.) durchgeführt wird, um an objektive, technische Patientendaten zu gelangen. Durch objektive Daten fühlt sich ein Arzt weniger angreifbar, falls eine Therapie nicht greift oder sogar widererwartend negativ verläuft. Technische Patientendaten geben ebenfalls Auskunft über die Befindlichkeit des Patienten, führen aber bei Abweichungen oft nicht zu einer Einschränkung oder zu einer bewussten Verschlechterung seines Befindens. Hintergrundinformation Erklärung des Begriffs: technische Patientendaten Technisch erzeugte Daten unterliegen der Genauigkeit der verwendeten Bild-, Mess- und Analysegeräte und der eingestellten Grenzwerte, sowie der technischen Fähigkeit und der Interpretation des ermittelnden, medizinischen Personals. Die Daten selbst (Zahlen oder Bilder) wirken sehr genau, können jedoch einen nicht erkennbaren Fehlerwert beinhalten.

4.7 Anwendungsbarrieren Verschiedene psychologische Bedenken und die unklare Kostenübernahme behindern die generelle Verwendung der App durch den Patienten oder den Arzt.

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4.7.1 Überwachung der Therapie Der Patient bekommt seinen Gesundheitszustand in objektiven Trenddiagrammen angezeigt, welche nun auch gespeichert, verschickt, ausgedruckt oder selbst bewertet werden können. Damit kann der Patient sehr viel einfacher die Wirkung der Therapie überwachen. Waren bisher Aussagen des Patienten subjektiv und von der Tagesbefindlichkeit abhängig, so besitzt dieser nun objektive Diagramme, welche mit dem Arzt besprochen werden und therapeutische Konsequenzen abgeleitet werden können. Damit sind objektive Befindlichkeitsdaten vergleichbar mit technischen Patientendaten wie z. B. Laborergebnisse. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die Arzt-Patienten-App erst nach einer Empfehlung vom Arzt regelmäßig vom Patienten verwendet worden ist. Ein Arzt, der die gewonnenen Befindlichkeitsdaten nicht analysiert und mit dem Patienten bespricht, reduziert die App auf ein gewöhnliches Patiententagebuch. Ein Arzt, der sich durch die Arzt-Patienten-App überwacht fühlt oder weiß, dass seine Therapie wenig erfolgreich ist, wird die App nicht empfehlen.

4.7.2 Motivation des Patienten Patienten verhalten sich bei der Anwendung von Gesundheits-Apps sehr unterschiedlich. Eine eher kleine Gruppe von chronisch kranken Patienten setzt die Arzt-Patienten-App täglich ein und sieht einen hohen Nutzen in der App. Eine weitere Gruppe verwendet die App überwiegend bei Problemen oder bei auffälligen Symptomverschlechterungen. Bei gleichbleibenden Symptomen kann es zu längeren Anwendungspausen bis zu mehreren Wochen kommen. Andere beginnen mit der Anwendung und verlieren schnell die Lust, insbesondere, wenn keine Befindlichkeitsänderung erkennbar wird. Ohne speziellen Motivationsgrund für den Patienten ist eine langfristige Anwendung nur schwer aufrecht zu erhalten. Der entscheidende Motivationsgrund ist sicher das Wissen um das nächste Patientengespräch, in welchem der Arzt den Therapieverlauf besprechen möchte, vorausgesetzt der Arzt hat die App dem Patienten empfohlen und den Patienten im ­Arzt-Backend registriert. Eine starke Motivation für die regelmäßige Verwendung der App könnte eine Kostenrückerstattung oder ein Bonus durch eine Krankenkasse oder eine private Krankenversicherung sein.

4.7.3 Motivation des behandelnden Arztes Durch den Einsatz einer solchen APP verändert sich die Arzt-Patienten-Beziehung. Neben den normalen Arzt-Patienten-Terminen meldet sich der Arzt bei akuten Befundverschlechterungen unaufgefordert bei den Patienten. Die Patienten reagieren darauf überrascht und es kommt zu einer Intensivierung der Arzt-Patienten-Beziehung. Die deutlich frühere Intervention führt zu früheren Korrekturen in laufenden Therapien und

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damit zu Qualitätsverbesserungen der Behandlung, früherer Genesung und damit zu Kosteneinsparungen. Wünschenswert wäre ein Bonus der Krankenkassen für Patienten und Ärzte, die ein solches Instrument regelmäßig und erfolgreich nutzen.

4.7.4 Bezahlung der App Die App unterliegt der gleichen problematischen Erwartungshaltung vieler Softwarebenutzer, wie auch bei anderen App-Anwendungen. Sie darf nichts kosten! Um eine signifikante Verbreitung der Software zu ermöglichen, sollte diese von Versicherungen oder Krankenkassen eingeführt werden. Die Bezahlung erfolgt dann durch die Versicherung oder Krankenkasse an das Softwareunternehmen. Da die Ziele der Software die verbesserte Therapie und weniger Patientenbesuche in der Praxis sind, sollte es im Eigeninteresse der Versicherungen und Krankenkassen sein, den Ärzten und Patienten ein kostenloses Werkzeug zur Verfügung zu stellen und/oder dieses mit einem Bonus zu fördern. Hierzu bedarf es noch einer GOÄ-Ziffer (GOÄ-Ziffer ist die Beschreibung einer ärztlichen Leistung und deren Verrechnungssatz) für die Abrechnung. Eine indirekte Bezahlung durch Werbung scheidet aus und wäre auch bei einer medizinischen App nicht zulässig. Ebenso eine direkte Bezahlung durch den Patienten an das Softwareunternehmen, aufgrund der Aufhebung der Anonymität des Patienten. Laut www.digibib.tu-bs.de (Albrecht et al. 2016) Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps gab es im Jahr 2015 laut Bitkom (Weicksel und Pentsi 2015a) in Deutschland von insgesamt 164 App-Anbietern nur 9, die mehr als 100.000 US$ umgesetzt haben. Eine Analyse der Downloadzahlen im Google Play Store zeigt ein ähnliches Bild. Sobald eine App kostenpflichtig ist, ist die Downloadzahl sehr niedrig. Die dadurch erzielten Einnahmen decken meist weder die Entwicklungskosten der App noch den technischen Support oder eine Weiterentwicklung. Aktuell ist eine App-Entwicklung im medizinischen Bereich mit sehr großen finanziellen Risiken verbunden.

4.8 Datensicherheit Die mobile Anwendung erlaubt eine Eingabe an jedem Ort mit Internetzugang. Da es sich bei der Arzt-Patienten-App mit Alarmsystem nach der Richtlinie 93/42/EWG ([R2]) (Richtlinie über Medizinprodukte) um ein medizinisches Produkt (medical device Class 1) handelt und auch die DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) eingehalten werden muss, werden die Daten in vier Stufen abgesichert: a) Verschlüsselte Internetverbindung mittels https-Protokoll (HTTPS = Hypertext Transfer Protocol Secure (englisch für „sicheres Hypertext-Übertragungsprotokoll“ im World Wide Web)) und SSL-Zertifikat (SSL-Zertifikat = ein digitaler kryptografischer Schlüssel für die Verwendung das HTTPS-Protokoll) b) Zugangsgeschützter Sicherheitsserver mit einem Standort in Deutschland

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c) Patienten werden mit der Patientennummer der behandelnden Praxis/Klinik oder einem Aliasnamen geführt. d) Übertragung verschlüsselter Daten Damit können die eingegebenen Daten weder von Dritten im Internet mitgelesen werden, noch kann der Softwareanbieter entschlüsselte Patientendaten einer Person zuordnen. Die Zuordnung der Patientennummer zum Patientennamen erfolgt einzig in der behandelnden Praxis. Eine Fehlfunktion der App ist als unkritisch zu betrachten, da eine Tagebuchfunktion keinen bis unbedeutenden Einfluss auf die Therapie besitzt. Deshalb die Einschätzung als medizinische Produkt Class 1. Selbst ein Ausfall der Alarmfunktion, die der Patient nicht bewusst auslösen kann, beeinflusst nicht die Selbstverantwortung des Patienten, sich bei erheblichen Problemen selbst mit seinem Haus- oder Facharzt in Verbindung zu setzen. Ein nicht funktionierendes Internet hätte ebenfalls die Unterbrechung der Alarmfunktion zur Folge.

4.9 Best-Practice-Beispiele einer mobilen Arzt-Patienten-App mit Tagebuchfunktion Die Verbreitung einer Arzt-Patienten-App steckt noch in den Anfängen. Es gibt bereits einige digitale Tagebuch-Apps für verschiedene Erkrankungen, jedoch nur eine App mit einem „stillen“ Alarm zum Arzt. Die Beispiele zeigen einige aktuell erhältliche digitale Tagebuch-Apps (Tab. 4.1).

4.10 Schlussbetrachtung Arzt-Patienten-Apps werden mittelfristig den Gesundheitsmarkt verändern. Intelligente Apps sind in der Lage Kosten im Gesundheitsbereich einzusparen und durch die gewonnenen Daten Therapien zu verbessern. Im Problemfeld der Ausdünnung von Hausärzten in ländlichen Gegenden kann eine App unnötige und zeitaufwändige Arztbesuche beim Hausarzt oder vom Hausarzt beim Patienten vermeiden. Bei chronisch kranken Patienten ist eine Überwachung per App zukunftsweisend und gerade bei jüngeren Patienten gewünscht. In Kombination mit Self-Tracking-Geräten entstehen neue Gesundheitsprofile, die Teil einer digitalen Patientenakte werden können. DSGVO

 atenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 des Europäischen D Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr 93/42/EWG ([R2])  Richtlinie 93/42/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte MDD (Medical Device Directive 93/42ECC) ILADS International Lyme and Associated Diseases Society (www.ilads.org)

Quelle

Mit der Migräne-App können Symptome erfasst und Anfälle dokumentiert werden, mit dem Ziel den Verlauf, den Zeitpunkt und die wirksame Medikation zu erkennen

Die MS Tagebuch App ist ein Symptom-Tagebuch für Patienten mit Multiple Sklerose Symptome können kontinuierlich dokumentiert und als Graph und in einer Kalenderansicht angezeigt werden

STEPS bietet Patienten mit Schizophrenie oder Bipolaren-Störungen eine App um besser mit der Erkrankung klar zu kommen. Die App ist ein persönliches Tagebuch mit einem Stimmungskalender und der Möglichkeit durch Spiele und Informationen die Therapie zu unterstützen

Einsatz der App für Patienten in Kommunikation zu Ärzten und Apothekern. Erinnerung an die Einnahme und Dokumentation der Einnahme von Medikamenten. Es besteht die Möglichkeit eigene Befindlichkeitsdaten einzutragen und dem Arzt zu zeigen Geeignet für alle Krankheiten oder Therapien mit hohem Anspruch an die Adhärenz der Medikamenteneinnahme

Einsatz der App im Bereich Lyme-Borreliose als Patiententagebuch mit Medikamenteneingabe und der Möglichkeit den behandelnden Arzt mittels eines stillen Alarms zu alarmieren, wenn sich die Befindlichkeit des Patienten deutlich verschlechtert hat. Die Eingaben werden in verschiedenen Diagrammen ausgewertet und dem Patienten und dem Arzt online zur Verfügung gestellt Die App kann mit einem angepassten Fragebogen für alle Langzeittherapien bzw. chronischen Erkrankungen eingesetzt werden

Erklärung

Die Liste ist nicht komplett und enthält nur Apps, die im Internet leicht gefunden werden

Nein

Schmerzklinik Kiel GmbH & Co KG (2019a) Techniker Krankenkasse (2019b)

Migräne App

Nein

AMSEL e. V. (2019)

MS Tagebuch Das Multiple Sklerose Portal

Nein

Ja

Nein

Otsuka Pharma GmbH (2019)

STEPS Tagebuch für Schizophrenie oder BipolareStörungen

Nein

Ja

Diagramme

Nein

Nein

Smartpatient GmbH (2019)

Ja

Alarmfunktion

MyTherapy Tagebuch für die Einnahme von Medikamenten

LymeCare-App für SymCollect zeckenübertragene GmbH (2019) Erkrankungen

Name und ­Einsatzgebiet

Tab. 4.1  Beispiele einer Patienten-App mit Tagebuchfunktion. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019)

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B. Ammann et al.

Literatur Albrecht, U.-V., Höhn, M., & von Jan, U. (2016). Kapitel 2. Gesundheits-Apps und Markt. In U.-V. Albrecht (Hrsg.), Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA) (S. 62–82). Medizinische Hochschule Hannover. http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=60007. Zugegriffen: 7. Juni 2019. LymeCare-App (2019). Startseite SymCollect/LymeCare, SymCollect GmbH (Hrsg.). https:// www.symcollect.de. Zugegriffen: 7. Juni 2019. Migräne App. (2019a). Startseite Schmerzklinik/Migräne-App, Schmerzklinik Kiel GmbH & Co KG (Hrsg.). http://www.schmerzklinik.de. Zugegriffen: 7. Juni 2019. Migräne App. (2019b). Startseite tk/Digitale Gesundheit/Apps, Techniker Krankenkasse (Hrsg.). https://www.tk.de. Zugegriffen: 7. Juni 2019. MS Tagebuch App. (2019). Startseite amsel/Multimedia, AMSEL – Aktion Multiple Sklerose Erkrankter Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e. V. (Hrsg.). https://www.amsel. de. Zugegriffen: 7. Juni 2019. Mytherapyapp. (2019). Startseite MyTherapy/Patienten, smartpatient GmbH (Hrsg.). https://www. mytherapyapp.com. Zugegriffen: 7. Juni 2019. STEPS-App. (2019). Startseite STEPS, Otsuka Pharma GmbH (Hrsg.). https://www.meine-steps. de. Zugegriffen: 7. Juni 2019. Weicksel, J., & Pentsi, A. (2015a). Deutscher App-Markt knackt Milliarden-Marke. Bitkom e. V. (Hrsg.). https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/. Zugegriffen: 25. Dez. 2015.

Bernhard Ammann, Dipl. Ing. (FH), ist Geschäftsführer der Firma SymCollect GmbH. Er besitzt ein Diplom der Fachhochschule Augsburg im Bereich „Elektrotechnik“ mit dem Vertiefungsfach „Nachrichtentechnik“. Er war Manager bei der Firma Siemens-Nixdorf im Bereich OEM-Qualifizierung in der Abteilung Qualitätssicherung des Computerwerks in Augsburg und hat 1993 die Firma ASIG Quality Services GmbH mitgegründet. ASIG GmbH Augsburg und deren Niederlassungen in China und Taiwan wurden im Jahr 2008 vom VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.) in Frankfurt übernommen. Sein Spezialgebiet sind die Lebensdauerbestimmungen von elektronischen Produkten und die Auditierung und Begutachtung von Firmen nach ISO 9001 QM-Standard, QM = Qualitätsmanagement und BSCI = amfori Business Social Compliance Initiative Sozialstandard. Carsten Nicolaus, Dr. med.,  ist Medizinischer Direktor und Geschäftsführer der BCA-Klinik in Augsburg. Nach dem Studium der Humanmedizin an der Uni Regensburg und TU München erhielt er 1988 seine Approbation. Von 1991 bis 2006 Niederlassung in allgemeinärztlicher Praxis mit Schwerpunkt zeckenübertragener Erkrankungen. 2006 gründete er die BCA-Klinik in Augsburg, der ersten europäischen Privatklinik für Zeckenübertragener Krankheiten mit eigenem Labor- und Forschungsbereich. Ehrenämter und Mitgliedschaften: ILADS = International Lyme and Associated Diseases Society USA seit 2007, ILADEF USA Board Director 2012–2017, Schatzmeister von ILADS von 2013–2017, CEHF Medizinischer Beirat (Charles E, Holman Foundation), Instruktor der P.A.I.N. Initiative gegen Schmerzen mit Schwerpunkt Training für Ärzte in der Schmerzbehandlung, Mitglied in der Deutsche Borreliose-Gesellschaft e. V. Sigrid Blehle, MBA,  ist stellvertretende Medizinische Direktorin der BCA-Klinik in Augsburg sowie Partnerin in der Privatpraxis für zeckenübertragene Erkrankungen in der BCA-Klinik. 1982– 1989 Studium der Humanmedizin an der Justus-Liebig-Universität, Gießen. 1995 Facharzt für

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Allgemeinmedizin. 2010–2011 Studium zum Gesundheitsökonom und MBA Health Care Management. Verschiedene Führungspositionen u. a. im Handel, bei der Landesärztekammer Hessen, der RHÖN-Klinikum AG (dort Umsetzung Online-Bibliothek und Weiterbildungs-APP) und der HELIOS Kliniken GmbH. Krankenhausgeschäftsführung zweier Kliniken in Wiesbaden. 2015– 2016 Managing Partner in einer Personalberatung. Seit 2017, stellvertretende Ärztliche Direktorin in der BCA-clinic, seit 2018 Partnerin in der Privatpraxis für zeckenübertragene Erkrankungen in der BCA-clinic. Mitglied der Deutschen Borreliose Gesellschaft und von ILADS.

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Digitale Anamnese für optimale Patientenkenntnis – die Idana App in der Versorgung und Prävention von Kreuzschmerzen Verena Spohn, Lilian Rettegi und Lucas Spohn

5.1 Einleitung Die „Volkskrankheit“ Rückenschmerz zählt zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland: Wie der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2018 eindrücklich unter Beweis stellt, sind allein 9 % aller Krankschreibungen auf Rückenprobleme zurückzuführen (TK Pressemitteilung 2018). Entgegen der inzwischen von Experten vertretenen und in die nationalen Versorgungsleitlinien aufgenommenen Einschätzung, Rückenschmerzen seien nur in den seltensten Fällen eine Erkrankung, sondern ein Symptom, entscheiden sich Patienten und Ärzte noch viel zu oft für invasive Eingriffe. Diese sind nicht nur belastend für den Patienten und kostenintensiv für das Gesundheitssystem, sondern wie eine Studie der TK zeigen konnte, in den meisten Fällen auch nicht nötig: Acht von zehn Rücken-Operationen seien überflüssig (TK Pressemitteilung 2018). Grund dafür ist nicht nur die in der deutschen Orthopädie weit verbreitete „Bildergläubigkeit“ (Bossmann 2015), sondern auch das fehlende Bewusstsein über ­nicht-somatische Ursachen, die in die Kreuzschmerzsymptomatik hineinspielen. Für ein Krankheitsbild mit einem hohen Chronifizierungsrisiko ist eine umfassende Anamnese unerlässlich. Die Rückbesinnung auf den individuellen Patienten, seine Krankheitsgeschichte, Lebensumstände und Gewohnheiten legte bereits William Osler angehenden

V. Spohn (*) · L. Rettegi · L. Spohn  Tomes GmbH, Freiburg i. Br., Deutschland E-Mail: [email protected] L. Rettegi E-Mail: [email protected] L. Spohn E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_5

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Ärzten nahe. Sein Mantra „Listen to your patient, he is telling you the diagnosis“, mit dem er Ärzte zu einer gründlichen Anamnese aufforderte (Pitkin 1998), wurde inzwischen durch eine Reihe von klinischen Studien belegt. Eine Studie aus dem Jahr 1975 verglich die drei zentralen Diagnoseinstrumente (körperliche Examination, laborative Untersuchung und Anamnese) miteinander und konnte nachweisen, dass die Anamnese unter diesen das zuverlässigste ist (Hampton et al. 1975). Die Empfehlung, die sich aus diesen Befunden ableiten lässt, ist auch der Schlüssel zur Diagnose von Kreuzschmerzen: Eine ausführliche und gewissenhafte Anamnese legt den Grundstein für den Einsatz weiterer diagnostischer Maßnahmen, identifiziert potentielle Risikofaktoren und trägt dazu bei, kostenintensive und für den Patienten belastende Folgeuntersuchungen auf ein Minimum zu beschränken. Die Anamnese ist auch bei Diagnose und Therapie von Kreuzschmerzen insofern unerlässliches Instrument, da sich nur hier psychosoziale Risikofaktoren im Umfeld des Patienten sowie ungünstige kognitive Dispositionen ausfindig machen lassen, die nicht selten darüber entscheiden, ob der Kreuzschmerz chronisch wird.

5.2 „Ein Kreuz mit dem Kreuz“ – nicht-spezifischer Kreuzschmerz als Herausforderung für Patienten, Ärzte und das Gesundheitswesen Nicht-spezifischer Kreuzschmerz hat eine hohe Prävalenz: Statistisch gesehen sind Kreuzschmerzen der häufigste Anlass für Arbeitsunfähigkeit und Rehamaßnahmen (Marschall et al. 2016). Nach psychischen Erkrankungen sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems auf Platz 2 der Gründe für eine vorzeitige Berentung aufgrund eingeschränkter Erwerbsfähigkeit gerückt (Chenot et al. 2017). Nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Gesundheitssystem stellen Kreuzschmerzen daher eine hohe Belastung dar. Darüber hinaus bringt die Versorgung von Patienten mit ­nicht-spezifischem Kreuzschmerz für Behandler besondere Schwierigkeiten mit sich, die Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung haben: Aufgrund der komplexen Ätiologie werden Kreuzschmerzen häufig falsch diagnostiziert, das Resultat ist nicht selten eine Fehl-, Unter- oder sogar Überversorgung der Betroffenen, die das Risiko auf Chronifizierung und damit auf erhebliche Einbußen in der Lebensqualität stark erhöhen – und das Gesundheitssystem teuer zu stehen kommen können. Mit Ausgaben in Höhe von 254 Mrd. EUR, die im Jahr 2008 für Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems aufgewandt wurden, gehören diese zu den teuersten (RKI Gesundheit in Deutschland 2015), allein 3,6 Mrd. fielen dabei auf das Krankheitsbild des nicht-spezifischen Kreuzschmerzes. Hier sind es jedoch weniger die direkten Ausgaben für Diagnose und Therapie als vielmehr die indirekten Kosten, die sich aus Arbeitsausfällen ergeben (RKI und Raspe 2012). Die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ setzt hier an und verfolgt das Ziel, die Versorgung von Kreuzschmerzpatienten zu optimieren. Ausgangspunkt der Leitlinie, die die Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit der

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Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zuletzt 2017 in überarbeiteter Form veröffentlichte, ist eine systematische Literaturrecherche. Auf dieser Grundlage haben die 29 beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen Empfehlungen ausgesprochen, wie nicht-spezifische Kreuzschmerzen sinnvoll diagnostiziert und therapiert werden können (Chenot et al. 2017).

5.2.1 „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ im Profil: Klassifikation, Epidemiologie und Prognose Unter Kreuzschmerzen versteht die Nationale VersorgungsLeitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ im Wesentlichen verschiedene Formen von Rückenschmerz, die unterschiedlich stark ausfallen können: „Kreuzschmerzen sind definiert als Schmerzen unterhalb des Rippenbogens und oberhalb der Gesäßfalten, mit oder ohne Ausstrahlung“ (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017). Zusätzlich können weitere Begleiterscheinungen auftreten. Weitergehende Definitionsversuche konzentrieren sich entweder auf die Dauer oder die Ursache des Kreuzschmerzes. So unterscheidet die Leitlinie in Hinblick auf den zeitlichen Verlauf zwischen akuten, subakuten und chronischen sowie rezidivierenden Kreuzschmerzen: Akuter Kreuzschmerz meint dabei neu auftretende Episoden mit einer Dauer von weniger als sechs Wochen; länger anhaltende Episoden (zwischen sechs und zwölf Wochen) werden nach der Leitlinie als subakut bezeichnet. Dauern die Symptome länger als sechs Wochen an, so muss von chronischem Kreuzschmerz gesprochen werden, wobei die Schmerzen in ihrer Intensität durchaus schwankend verlaufen können. Wenn Schmerzepisoden nach einer mindestens sechsmonatigen Phase, in denen keine Symptome zu beobachten waren, erneut akut auftreten, handelt es sich um rezidivierenden Kreuzschmerz. Während die Leitlinie bei ihren Empfehlungen für Diagnostik und Therapie keine Unterschiede zwischen (sub)akuten, chronischen oder rezidivierenden Kreuzschmerzen macht, hat die ätiologische Klassifikation entsprechend der Ursache weitreichende Konsequenzen für die Behandlung. Abzugrenzen ist zunächst der spezifische Kreuzschmerz, dem eine somatische Grunderkrankung zugrunde liegt. Zu den häufigen Ursachen von spezifischem Kreuzschmerz zählen bspw. Bandscheibenvorfälle, Osteoporose, Tumoren, Frakturen oder Infektionen. Wird die Grunderkrankung therapiert, so bessert sich meist auch der Kreuzschmerz. Der Anteil spezifischen Kreuzschmerzes liegt allerdings in einem geringen Bereich (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017), weshalb der Fokus sowohl in der Leitlinie als auch in diesem Beitrag nicht auf dieser Entität liegen soll. Bei nicht-spezifischem Kreuzschmerz sind die Ursachen nicht eindeutig feststellbar, insbesondere lassen sich keine körperlichen Veränderungen beobachten, die die Schmerzen erklären würden: Zu begünstigenden somatischen Faktoren wie der Schmerzprädisposition können auch psychische und soziale hinzutreten, die die Entwicklung und Prognose der Schmerzepisoden stark beeinflussen. Gerade aufgrund dieser multikausalen

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Genese von nicht-spezifischem Kreuzschmerz ist das Risiko auf Chronifizierung der Schmerzen vergleichsweise hoch: Zwischen 5 und 10 % der Kreuzschmerzpatienten entwickeln einen chronischen Verlauf (Wadell 1998). In Deutschland zählen Rückenschmerzen zu den häufigsten Beschwerden in der Bevölkerung. Die groß angelegte deutsche Rückenschmerzstudie 2003/2006 brachte zutage, dass 85 % der Bevölkerung zumindest einmal in ihrem Leben unter Kreuzschmerzen leiden (Schmidt et al. 2007 bzw. Raspe und Kohlmann 1993). 2014 wurden rund 3,35 Mio. Fälle von Kreuzschmerz unter den GKV-Versicherten diagnostiziert (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017). Damit zählen Kreuzschmerzen auch zu den häufigsten Behandlungsanlässen in hausärztlichen Praxen, die Praxisprävalenz beträgt durchschnittlich 8 % pro Woche (Becker et al. 2001). Männer scheinen insgesamt seltener betroffen zu sein als Frauen: Während jede vierte Frau angab, im Jahr vor der Befragung Kreuzschmerzsymptome gehabt zu haben, waren es nur 17 % der Männer, d. h. jeder sechste, der unter Kreuzschmerzen litt. Mit fortschreitendem Alter nimmt auch die Häufigkeit von Kreuzschmerzen zu: Ca. 30 % der über 65-Jährigen litten unter chronischem Kreuzschmerz, unter denjenigen, die das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, waren es gerade einmal 11 % (RKI 2015). Auffällig ist außerdem, dass sozioökonomische Faktoren beim Auftreten von Kreuzschmerzen eine große Rolle spielen: Unabhängig von der Altersgruppe waren Personen mit einem niedrigerem Sozialstatus (gemessen am höchsten Bildungsabschluss, beruflicher Position und Einkommen) signifikant häufiger von Kreuzschmerzen betroffen (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017). Angesichts der multikausalen Ätiologie ist es nicht verwunderlich, dass Kreuzschmerzpatienten häufiger eine oder sogar mehrere Komorbiditäten aufweisen. Zu den am häufigsten dokumentierten Begleiterkrankungen zählen Osteoarthrose, degenerative Gelenkerkrankungen sowie kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Erkrankungen (Schneider et al. 2006). Weitere Studien konnten zeigen, dass es außerdem eine Korrelation zwischen Kreuzschmerzen und weiteren Beschwerden wie Migräne und Kopfschmerzen, Erschöpfungserscheinungen oder Schlafstörungen (Hagen et al. 2006) sowie psychische Störungen, z. B. Depression oder Angststörungen gibt (Schur et al. 2007).

5.2.2 Red Flags, Yellow Flags, Blue Flags – wie den Ursachen von Kreuzschmerzen auf die Schliche kommen? Die komplexe Ätiologie des nicht-spezifischen Kreuzschmerzes ist für Behandelnde, ins­ besondere Hausärzte, die meist als erste Ansprechpartner von Kreuzschmerzpatienten aufgesucht werden, eine besondere Herausforderung. Übereinstimmend wird in Diagnose und Therapie ein biopsychosoziales Krankheitsmodell angenommen, nach dem Kreuzschmerzen als „Kombination aus physikalischen und psychosozialen Faktoren“ zu werten sind (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017). Die Erfassung dieser „interindividuell unterschiedlichen Faktoren“ gestaltet sich oftmals (Taylor

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et al. 2014). Gerade psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren werden häufig unterschätzt, da sie die Prognose begünstigen oder negativ beeinflussen können. Für Ärzte kann dies mitunter eine Gratwanderung sein: Einerseits müssen gefährliche Verlaufsformen und ihre physikalischen bzw. biomechanischen Ursachen so früh wie möglich abgeklärt werden, um eine Chronifizierung zu verhindern, andererseits kann die Prognose verschlechtert werden, wenn der Patient vorschnell auf somatische Ursachen festgelegt wird (Chenot et al. 2004). Das Verhalten und die Einstellung der behandelnden Ärzte und Physiotherapeuten hat also einen großen Einfluss auf den Krankheitsverlauf (Darlow et al. 2012). Kreuzschmerzpatienten, bei denen eine rein körperliche Ursache ausgeschlossen werden kann, haben dann die besten Aussichten, wenn von Anfang an psychosoziale Faktoren bei der Diagnose berücksichtigt und im weiteren Therapieverlauf mit eingebunden werden. Umgekehrt kann eine ausschließlich biomechanische Orientierung der behandelnden Ärzte und Physiotherapeuten den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen: Eine übermäßige Konzentration auf somatische oder radiologische Befunde führt oftmals dazu, dass Patienten in ihren (kontraproduktiven) Laientheorien bestärkt werden. Indirekt wird Patienten häufig vermittelt, dass Heilung der Kreuzschmerzen allein über somatisch greifende Maßnahmen, z. B. durch Schonung, Bettruhe, Spritzen oder Krankschreibung, möglich ist. Das wiederum verhindert die Ausbildung eines multikausalen Krankheitsverständnisses (NVL ­ „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017) und erhöht das Risiko auf Chronifizierung. Aus diesem Grund kommt der Anamnese neben der körperlichen Untersuchung bei der Diagnose von ­ nicht-spezifischem Kreuzschmerz sowie der Entscheidung über das weitere therapeutische Vorgehen eine zentrale Rolle zu. Ausgangspunkt ist die detaillierte Erhebung der Schmerzcharakteristika: Erfragt werden müssen die genaue Lokalisation und Ausstrahlung des Schmerzes, Beginn und (tages-)zeitlicher Verlauf, auslösende oder verstärkende Faktoren, lindernde Maßnahmen, Stärke und Beeinträchtigung bei Aufgaben des Alltagslebens sowie frühere Schmerzepisoden. Geklärt werden muss außerdem, ob Hinweise auf „extravertebragene“ Ursachen vorliegen, d. h. ob die Schmerzen insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule, durch benachbarte Organe ausgelöst werden können, z. B. durch gynäkologische oder neurologische Erkrankungen. Zudem muss untersucht werden, ob Hinweise auf spezifische Ursachen für die Kreuzschmerzen vorliegen, die eine schnelle, gegebenenfalls auch notfallmäßige Diagnostik erforderlich machen. Solche Warnhinweise, sogenannte „red flags“, können Indikationen für gefährliche Verläufe sein und auf eine eindeutige somatische Ursache hinweisen, z. B. eine Infektion, Fraktur oder Neuropathie. Da red flags jedoch in der ambulanten Versorgung relativ selten sind und für sich genommen zudem eine vergleichsweise niedrige Aussagekraft besitzen, müssen alle Symptome zusammen betrachtet werden, um eine verlässliche Diagnose zu stellen (Henschke et al. 2013). Hier kommen nun die bereits beschriebenen psychosozialen und arbeitsplatzbezogenen Faktoren ins Spiel, die sogenannten „yellow flags“ (psychosoziale Risikofaktoren) und „blue“ bzw. „black flags“ („subjektive arbeitsplatzbezogene Faktoren bzw. objektive arbeitsplatzbezogene Faktoren“, siehe Tab. 5.1). Psychosoziale Faktoren

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Tab. 5.1  Psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren für die Chronifizierung nichtspezifischer Kreuzschmerzen. (Quelle: Eigene Darstellung 2019 nach NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017, Tab. 3 und 4) Psychosoziale Faktoren (Yellow Flags)

Arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren (Blue/Black flags)

• Depressivität, Distress (negativer Stress, vor allem berufs-/arbeitsplatzbezogen) • schmerzbezogene Kognitionen (z. B. Katastrophisieren, Hilf-/Hoffnungslosigkeit, Angst-Vermeidungs-Überzeugungen, Gedankenunterdrückung) • passives Schmerzverhalten (z. B. Schon- und Angst-Vermeidungs-Verhalten) • überaktives Schmerzverhalten (z. B. beharrliche Arbeitsamkeit, suppressives Schmerzverhalten) • Neigung zur Somatisierung

Physische Faktoren • Verrichten von überwiegend körperlicher Schwerarbeit (Tragen oder Heben schwerer Lasten) • überwiegend monotone Körperhaltung Psychosoziale Faktoren • geringe berufliche Qualifikation • geringer Einfluss auf die Arbeitsgestaltung • geringe soziale Unterstützung • berufliche Unzufriedenheit • Verlust des Arbeitsplatzes • Kränkung am Arbeitsplatz, chronische Konflikte (Mobbing) • Negative Erwartungen bezüglich der Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit • Angst vor erneuter Schädigung am Arbeitsplatz

sind „kognitiv/emotionale und verhaltensbezogene Merkmale“, die das Risiko für eine Chronifizierung erhöhen und den Krankheitsverlauf stark beeinflussen (NVL ­„Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017). Die Versorgungsleitlinie empfiehlt den Einsatz diagnostischer Fragebögen, die als Screeninginstrument das Chronifizierungsrisiko berechnen und als diagnostische Scores angeben. Eine Reihe von Studien konnte zeigen, dass Depressivität und Distress, die allgemeine Neigung zur Somatisierung oder kognitive Muster wie die Tendenz zum Katastrophisieren mit dem Auftreten von ­nicht-spezifischen Kreuzschmerzen korrelieren (Linton 2000; Wertli et al. 2014). Die arbeitsplatzbezogenen Faktoren bzw. „blue/black flags“ berücksichtigen einerseits die von den Betroffenen „subjektiv empfundene [physischen oder psychosozialen] Belastungen am Arbeitsplatz“, andererseits die „objektivierbare[n], soziale[n] Rahmenbedingungen seitens der Arbeitgeber/Versorgungssysteme [sowie] objektiv messbare Arbeitsplatzfaktoren“ (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017).

5.2.3 Die Rolle der Anamnese für die weitere Therapie Sofern Anamnese und körperliche Untersuchung keine Hinweise auf akut behandlungsbedürftige Verläufe hervorbringen, so die Empfehlung der Leitlinie, sollen weitere diagnostische Maßnahmen nur sparsam eingesetzt werden. Grund dafür ist die hohe

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Evidenz dafür, dass weitere Befunde aus der technischen, insbesondere bildgebenden Diagnostik in diesen Fällen meist keinen positiven Einfluss auf den Therapieerfolg haben, sondern – im Gegenteil – eine hohe Belastung für den Patienten darstellen und eine „iatrogene Fixierung“ fördern (Kendrick et al. 2001). Der Einsatz von umfangreicher Diagnostik suggeriert dem Patienten, dass somatische Ursachen hauptverantwortlich für seine Schmerzen sind. So stärken sie kontraproduktives Schonverhalten und schüren die Angst davor, Alltagsaktivitäten wieder aufzunehmen (Chenot et al. 2004). Dadurch steigt das Risiko auf Chronifizierung der Kreuzschmerzen signifikant, im schlimmsten Fall führt eine großangelegte bildgebende Untersuchung zu unnötigen Therapiemaßnahmen (Chou et al. 2011). Aus dieser nicht-indizierten Zusatzdiagnostik und der daraus initiierten „Über- bzw. Fehlversorgung“ entstehen auch dem Gesundheitssystem unnötige Kosten. Die Empfehlung bei nicht-spezifischem Kreuzschmerz ist die, den Patienten zum Selbst-Management und zu Aktivität zu ermutigen; allenfalls unterstützend sind medikamentöse oder nicht-medikamentöse Therapiemaßnahmen wie Bewegungstherapie vorgesehen. Behandelnde Ärzte sollen dabei die Rolle eines „Lotsen“ übernehmen (Chenot et al. 2017), der nicht nur die weiteren therapeutischen Schritte koordiniert, sondern auch aufklärend tätig wird. Dass Ärzte ihre Einstellungen und Haltungen bewusst oder unbewusst auf ihre Patienten übertragen und so deren Umgang mit der Erkrankung stark beeinflussen, zeigt sich nicht nur anhand der das Chronifizierungsrisiko erhöhende Fixierung auf somatische und morphologische Befunde, sondern kann auch eine positive Einstellung des Patienten befördern (Kaili et al. 2017). Da gerade auch das Bewusstsein über die psychosozialen Ursachen als einer der wesentlichen Faktoren betrachtet wird, die eine Verbesserung der Schmerzsymptomatik mit sich bringen oder zumindest den weiteren Verlauf der Beschwerden stark beeinflussen, sollen Patienten im ärztlichen Beratungsgespräch zunächst über die komplexe Ätiologie aufgeklärt werden: Patienten (und Ärzte) haben häufig das Bedürfnis, den Schmerz in seiner Kausalität zu ergründen, was jedoch, wie bereits dargelegt, einen gegenteiligen Effekt haben kann (Chenot et al. 2004). Eine ausführliche und ganzheitliche Anamnese, die von Anfang an somatische Beschwerden und psychosoziale Gegebenheiten hinterfragt, kann hier ein multikausales Krankheitsverständnis erleichtern. Die Zielsetzung, Patienten verstärkt in den Heilungsprozess einzubinden und ihnen die Verantwortung für den Krankheitsverlauf zu übertragen, wird durch eine multidisziplinäre Anamnese, die neben psychosozialen Verhaltensmustern auch Lifestyle-Aspekte wie Ernährungs- oder Bewegungsgewohnheiten erhebt, ebenfalls befördert. Damit geht auch die Reperspektivierung der somatischen Beschwerden selbst einher: Wenn die Bedeutung nicht-somatischer Faktoren akzeptiert und verinnerlicht wird, verliert der Kreuzschmerz für den Patienten einen Teil seiner Bedrohlichkeit. Günstige Faktoren wie eine positive Erwartungshaltung gegenüber der Behandlung, Problemlösekompetenzen und Selbstwirksamkeitserwartungen werden so gefördert (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017).

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Eine derartige Auseinandersetzung mit Patienten, die sich mit nicht-spezifischem Kreuzschmerz vorstellen, ist jedoch zeitintensiv – Zeit, die den meisten Ärzten im Praxisalltag jedoch nicht zur Verfügung steht. Denn deutsche Ärzte haben im Schnitt nur 8 Minuten Zeit für das Patientengespräch (Irving et al. 2017).

5.3 Case Study: Kreuzschmerzpatienten mit Idana anamnestizieren In den letzten Jahren ist das Angebot an verschiedensten eHealth-Lösungen für Diagnostik und Therapie, für Behandelnde und Patienten rasant gewachsen. In der ärztlichen Praxis sind Lösungen für Smartphone, Tablet oder PC inzwischen fest etabliert: Schon für das Jahr 2014 belegen Studien, dass bereits 41 % aller klinisch tätigen Ärzte in ihre tägliche Arbeit eHealth-Lösungen integrieren (Rutz et al. 2016). Ärzte rechnen außerdem schon jetzt damit, dass Gesundheits-Apps langfristig Eingang in die Leitlinien finden werden (Obermann et al. 2015; Kuhn und Amelung 2016).

5.3.1 Idana WebApp Eine Lösung, die auf Ebene der Diagnostik greift und die für die Versorgung von Kreuzschmerzpatienten so wichtige Anamnese unterstützt, ist Idana. Die Software erlaubt es Ärzten, ihren Patienten vorab individuelle Fragebögen zuzusenden, die diese geräteunabhängig entweder von zu Hause aus oder vor Ort im Wartezimmer beantworten. Konfiguriert wird die Befragung auf dem Praxis-PC, entweder im Idana-Desktop-Client oder direkt aus dem Arztinformationssystem, das über eine GDT-Schnittstelle an Idana angebunden ist: Entsprechend des Besuchsanlasses oder der Symptomatik wählt das Praxispersonal einen oder mehrere Fragebögen aus. Als Link kann die Befragung dem Patienten per E-Mail oder über einen sicheren Messengerdienst zugesandt werden. Falls der Patient sich bereits in der Praxis befindet, kann sie alternativ auch per ­QR-Code auf einem Smartphone oder Tablet in die Idana WebApp eingelesen werden. Vor dem Absenden der Patientenantworten zurück an den Desktop-Client werden die Daten Ende-zu-Ende-verschlüsselt, um die Vertraulichkeit der hochsensiblen Gesundheits­ daten zu gewährleisten. Wie viele gängige WebApps (Albrecht und von Jan 2016) basiert auch die Idana WebApp auf den Web-Technologien JavaScript und HTML5/CSS3, die mit dem Framework AngularJS verwendet werden. Dargestellt wird die Idana WebApp in gängigen Browsern wie Google Chrome, Safari, Mozilla Firefox oder Microsoft Edge. Damit hat die Idana WebApp den entscheidenden Vorteil, dass sie ohne vorherige Installation auf nahezu jedem Gerät genutzt werden kann.

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5.3.2 Der Idana-Fragebogen „Rückenschmerz“ Idana stellt nicht nur die Infrastruktur bereit, um Fragebögen zum Patienten zu bringen, sondern liefert auch proprietäre Inhalte, die von ärztlichen Redakteuren anhand der Leitlinie entwickelt wurden. Als Krankheitsbild mit einer hohen Prävalenz in der hausärztlichen Praxis sind auch Rückenschmerzen mit einem Anamnesefragebogen unter den Inhalten der Anamnese-Software Idana vertreten. Der Fragebogen orientiert sich an den Empfehlungen der Versorgungsleitlinie zum nicht-spezifischen Kreuzschmerz und leistet insofern eine Übersetzung der Versorgungsleitlinie in die Anamnese-Praxis. Wie von der Leitlinie angeraten, zielt auch der Fragebogen „Rückenschmerz“ darauf, somatische Ursachen, die auf das Vorliegen eines „spezifischen“ Kreuzschmerzes hindeuten, auszuschließen und diagnostische Maßnahmen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Tab. 5.2 bietet eine Übersicht über die Anforderungen an die Anamnese von ­Rückenschmerz-Patienten. Beim strukturellen Aufbau orientiert sich der Anamnesebogen an der Leitlinie. Tab. 5.3 zeigt die Gliederung des Fragebogens. Im Sinne eines „patient empowerments“ spielt die Aufklärung des Patienten über das Vorgehen und Krankheitsaspekte eine wichtige Rolle. Den Patienten zu „empowern“ bedeutet, ihm Kontrolle und Handlungsmacht über den eigenen Gesundheitszustand zurückzugeben und in die Entscheidungsfindung über die weitere Therapie mit einzubinden (Aujoulat et al. 2007; Feste und Anderson 1995). Selbstwirksamkeitserfahrungen beeinflussen die Prognose bei vielen Krankheitsbildern positiv (Anderson und Funnell 2005), bei der Versorgung von Kreuzschmerzpatienten gewinnen diese verstärkt Bedeutung, wenn es darum geht, eine Chronifizierung zu verhindern. Voraussetzung dafür, ist die Aufklärung des Patienten. Das versuchen verschiedene Willkommensbildschirme zu leisten (siehe Abb. 5.1). Ein erster Screen, der jedem Idana-Fragebogen vorausgeschickt wird, informiert Patienten zunächst über Sinn und Zweck der Befragung: Indem die Rolle der Anamnese für die weitere Behandlung erklärt wird, wird der Patient zur aktiven Mitarbeit an der eigenen Gesundheit eingeladen. Der Hinweis, die Befragung diene der Vorbereitung des ärztlichen Gesprächs, baut Hemmungen ab, sich der App anzuvertrauen. Ein weiterer Fragebogen, d. h. Krankheits-spezifischer Willkommensscreen, wendet sich persönlich an den Patienten und relativiert die zwar Tab. 5.2  Anforderungen an die Anamnese von Rückenschmerz-Patienten. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) • Erkennen von Notfällen, die einer dringlichen Behandlung bedürfen • Erkennen von Ursachen der Beschwerden, die eine spezifische Therapie erfordern • Erkennen von „extravertebragenen“ Ursachen der Beschwerden • Gezielte Steuerung weiterführender Untersuchungen und Vermeiden unnötiger und belastender Untersuchungen, die keine therapeutische Konsequenz haben • Erkennen von Faktoren, die ein Risiko für die Chronifizierung der Schmerzen sind

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Tab. 5.3  Gliederung des Fragebogens nach Sektionen und nach von der Leitlinie empfohlenen Diagnoseschritten. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) Sektion

Funktion nach Leitlinie

1.

Willkommensbildschirm

(Aufklärung)

2.

Abklären der Schmerzcharakteristika Beschreibung der Rückenschmerzen (Beginn, Dauer, Verlauf, Schmerztyp, Lokalisation, Ausstrahlen, Begleitsymptome, Schmerzstärke)

3.

Verstärkende/lindernde Faktoren

Abklären der Symptome

4.

Frühere Rückenschmerzen

Abklären des Chronifizierungsrisikos

5.

Hinweise auf spezifische Ursachen

Abklären von möglichen somatischen Ursachen (red flags, extravertebragene Ursachen)

6.

Psychosoziale Risikofaktoren

Abklären des Chronifizierungsrisikos (yellow flags)

7.

Arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren

Abklären des Chronifizierungsrisikos (blue/black flags)

8.

Selbsteinschätzung, Erwartungen und Befürchtungen

Abklären des Chronifizierungsrisikos (Assessment)

Warum Anamnese?

Was ist „Rückenschmerz“?

Abb. 5.1   Patientenedukation in der WebApp. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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schmerzhafte, aber in den meisten Fällen harmlose Symptomatik, indem die geringe Wahrscheinlichkeit betont, dass schwerere Erkrankungen zugrunde liegen: „Rückenschmerzen treten häufig im Laufe eines Lebens auf und sind für die Betroffenen zwar häufig sehr unangenehm, aber meistens harmlos. In seltenen Fällen kann die Ursache jedoch auch eine Erkrankung sein. Die folgenden Fragen dienen dazu, mögliche Ursachen einzuschränken.“ (Formulierung in der Idana App)

Weitere edukative Elemente finden sich über den ganzen Fragebogen hinweg verteilt. So werden bspw. für Laien möglicherweise unklare Termini erklärt und der jeweilige Fragenblock in den Kontext eingeordnet (siehe dazu Tab. 5.4).

Tab. 5.4  Beispiele für edukative Elemente. (Quelle: Eigene Darstellung 2019) Erklärungen zu unverzichtbarem Fach- • Episode: „In einer Episode können mehrere Anfälle vokabular oder Attacken auftreten. Die Rückenschmerzen können in einer Episode jedoch auch durchgängig anhalten. Zwischen zwei Episoden liegt allerdings ein Zeitraum ohne Rückenschmerzen“ • Nachtschweiß: „d. h. wenn Sie nachts so stark schwitzen, dass Sie am nächsten Morgen die Bettwäsche wechseln müssen“) Veranschaulichen von Abstrakta

• Antwortmöglichkeit auf Frage nach Begleitbeschwerden: „Gefühlsstörungen wie Taubheitsgefühle oder Empfindungsstörungen (Kribbeln) in den Beinen“ • Antwortmöglichkeit auf Frage nach Begleitbeschwerden „Lähmungserscheinungen in den Beinen (z. B. den Fuß nicht mehr anheben können)“

Erklärungen zur Vorgehensweise/ Begründung der Fragen

• Einleitung zur Sektion „Hinweise auf spezifische Ursachen“: „In sehr seltenen Fällen lassen sich Rückenschmerzen auf eine konkrete Grunderkrankung zurückführen. Die nächsten Fragen dienen dazu, diese seltenen Fälle auszuschließen. Einige Fragen kommen Ihnen vielleicht komisch und unpassend vor. Aber sie haben alle ihren Sinn.“ • Einleitung zur Erfragung von extravertebragenen Ursachen: „Rückenschmerzen können auch von benachbarten Organen ausgehen, also nicht im Rücken lokalisiert sein.“ • Einleitung zur Sektion „Arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren“: „Die nachfolgenden Fragen zielen darauf, Ihre Arbeitsfähigkeit im Zusammenhang mit Ihren Rückenschmerzen zu erfassen. Denken Sie daran: Das Ziel ist stets die Erhaltung Ihrer Arbeitsfähigkeit.“

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Neben der edukativ-aktivierenden Vorgehensweise, die die Leitlinie empfiehlt, befolgt der Rückenschmerz-Fragebogen auch die Empfehlung, psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren abzufragen, die dem behandelnden Arzt wichtige Anhaltspunkte geben und die in die Therapie miteinbezogen werden müssen. Bevor diese erhoben werden, widmet sich der digitale Fragebogen jedoch zunächst den Charakteristika der aktuellen Schmerzepisode. Erfragt werden wichtige Information wie Beginn, Verlauf, Schmerztyp, Lokalisation, Ausstrahlen, Begleitsymptome und die Schmerzstärke. Abb. 5.2 zeigt Screenshots der WebApp zur Erhebung der Dauer und der Lokalisation des Kreuzschmerzes. Einen Schwerpunkt legt der Fragebogen, wie in der Leitlinie angeraten, auf die subjektive Einschätzung des Patienten bezüglich seiner Symptomatik. Im Bereich der yellow flags wird auf indirekte Art und Weise etwa die Einstellung des Patienten bzw. das Mindset gegenüber der Erkrankung erfragt. Patienten werden dabei aufgefordert, einzuschätzen, ob Aussagen wie „Für eine Person in meinem Zustand ist es wirklich nicht sehr ratsam, körperlich aktiv zu sein“ oder „Ich fühle, dass ich schreckliche Rückenschmerzen habe und dass sie nicht mehr besser werden“ auf die eigene Person zutreffen oder nicht. Fragen wie diese zielen darauf, frühzeitig kognitive Verhaltensmuster aufzudecken, die eine Chronifizierung der Kreuzschmerzen begünstigen können – beantwortet ein Patient derartige Aussagen mit „Trifft zu“, kann der Behandler gezielt gegensteuern oder gegebenenfalls auch (verhaltens-)therapeutische Maßnahmen einleiten (Chenot et al. 2017). Auch die Fragen bezüglich arbeitsplatzbezogener Risikofaktoren zielen vor allem auf die subjektive Einschätzung des Patienten. Gefragt wird zwar entsprechend des Work Ability Index (WAI) auch nach den objektiven Rahmenbedingungen

Dauer und Verlauf

Schmerzlokalisation

Abb. 5.2   Erhebung der Schmerzcharakteristika. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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der Erwerbstätigkeit (im Sinne der black flags), etwa danach, ob überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeiten verrichtet werden. Es ist jedoch das Selbst-Assessment (im Sinne der blue flags), das dem Arzt die meisten Anhaltspunkte bietet und deswegen verstärkt abgefragt wird. Patienten werden daher aufgefordert, ihre derzeitige allgemeine Leistungsfähigkeit zu beurteilen und ihre Erwartung bezüglich der Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit binnen zwei Jahren abzugeben. Auch psychische Leistungsreserven und die Resilienz des Patienten sind Gegenstand der Befragung. Die erhobenen „objektiven“ Charakteristika sowie die subjektiven Einschätzungen des Patienten werden nach Abschicken des Fragebogens an den Desktop-Client gesendet und vom System in eine strukturierte Berichtsübersicht umgewandelt, die via Schnittstelle in das Arztinformationssystem übertragen werden kann. Diese enthält neben der Auflistung der Fragen und Antworten des Patienten (in medizinische Fachsprache übersetzt) auch eine Kurzübersicht über „wichtige Antworten“, diagnostische Scores und eine vom Patienten vorgenommene Lokalisation der Schmerzen (siehe Abb. 5.3). Bei der Erhebung der yellow flags, d. h. der psychosozialen Risikofaktoren, schlägt die Leitlinie vier Screening Tools vor, mit denen sich Aussagen dazu treffen lassen, ob ein erhöhtes Chronifizierungsrisiko vorliegt: Örebro Musculoskeletal Pain Screening Questionnaire (ÖMPSQ), Heidelberger Kurzfragebogen (HKF-R 10), die Risikoanalyse der Schmerzchronifizierung (RISC-R) und das STarT Back Tool (SBT). Letzteres liegt dem Idana-Fragebogen zugrunde, da das SBT – wie auch in der Leitlinie hervorgehoben wird – einen vergleichsweise geringen Zeitaufwand in Durchführung und Anwendung erfordert und die ermittelten Scores mit klaren Handlungsempfehlungen

Hervorhebung wichtiger Antworten

Score-Berechnung

Schmerzlokalisation durch Patienten

Abb. 5.3   Berichtsansicht (Ausschnitt). (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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bezüglich des weiteren Vorgehens verbunden sind (NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ 2017). Das SBT, das ursprünglich in Großbritannien entwickelt wurde und in über 25 Sprachen vorliegt, evaluiert basierend auf vier Fragen zu biomedizinischen und zu fünf psychosozialen Faktoren das Chronifizierungsrisiko und ordnet den Patienten einer von Prognosegruppen (niedriges, mittleres und hohes Risiko) zu (Hill et al. 2008). Entsprechend dieser Zuordnung greifen spezielle Behandlungsempfehlungen (Hill et al. 2011). Patienten mit einem niedrigen Risiko werden bei weitgehendem Verzicht auf medikamentöse Therapie ausdrücklich zum Selbst-Management ermutigt, Patienten mit mittlerem Risiko wie die Patientin in Abb. 5.3 erhalten evidenzbasierte Therapiemaßnahmen wie Physiotherapie, für Patienten mit einem hohen Risiko ist eine Physiotherapie mit psychotherapeutischer Begleitung vorgesehen, um gezielt kontraproduktive Kognitionen und Verhaltensmuster zu reduzieren (Hill et al. 2011). Der Fragebogen übernimmt einerseits die Aufgabe eines digitalen ärztlichen Assistenten: Er befragt stellvertretend bzw. in Vorbereitung für den Arzt den Patienten nach seinen Symptomen, Begleitbeschwerden, der Krankheitsvorgeschichte, den persönlichen Lebensumständen. Jeder Fragebogen basiert daher auf medizinischem Wissen über die zu erfragenden Symptome und über die ärztliche Gesprächsführung und transportiert dieses Wissen zum Patienten. Andererseits fungiert der Fragebogen als Sprachrohr des Patienten: Er übermittelt dem Arzt Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche in der nötigen Breite und bietet dem Patienten damit die Möglichkeit, sich selbst mitzuteilen. Die Idana-Software übernimmt eine Mittlerfunktion, indem sie zugleich auch gewichtet, welche dieser Informationen für den Arzt relevant sind. Veranschaulicht diese Kommunikationsstruktur.

5.4 Anforderungen von Anamnese-Apps in der Diagnostik Bei der Behandlung von Krankheiten und Krankheitssymptomatiken, die ein hohes Chronifizierungsrisiko besitzen, ist die Interaktion zwischen Arzt und Patient ein entscheidender Faktor für eine günstige Prognose (Kaplan et al 1989). eHealth-Lösungen erweitern dieses duale Beziehungsgeflecht um einen weiteren Interaktanten: „Die Bedeutung von Telemedizin, d. h. die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen zwischen Arzt und Patient sowie zwischen Arzt und Arzt, stellen einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel dar, dessen Bedeutung und Folgen noch unterschätzt und dessen Chancen bisher unzureichend genutzt werden“ (Brauns und Loos 2015).

Ärzte und Patienten äußern dabei gleichermaßen Bedenken, dass digitale Technologien einen negativen Einfluss auf das persönliche Verhältnis haben könnten. Die Befürchtungen reichen dabei von der Sorge, dass der persönliche Kontakt durch die Technologie ersetzt werde (Mühlgassner 2018) und dass die individuelle Perspektive des Patienten nicht angemessen abgebildet werden könne (Brauns und Loos 2015), über Datenschutzbedenken bis hin zu Bedenken, dass Fehler in der Bündelung und

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­ eitergabe von Patienteninformationen zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen führen W können (Albrecht 2016b). Um diese teils berechtigten Befürchtungen auszuräumen, müssen digitale Apps sowohl von Behandler- als auch von Patientenseite eine Reihe von Anforderungen erfüllen.

5.4.1 Anforderungen von Patientenseite Die Grundvoraussetzung, die jede Gesundheitssoftware erfüllen muss, ist der Schutz persönlicher Daten: Gesundheitsdaten gelten nach § 46, Abs. 13/14 des Bundesdatenschutzgesetzes als „besondere Kategorie personenbezogener Daten“ und unterliegen als solche höchsten Datenschutzanforderungen. Nur wenn sensible Daten wie Krankengeschichte, Informationen über aktuelle und chronische Erkrankungen, Medikation oder andere gesundheitsbezogene Informationen ausreichend geschützt sind, ist die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient gewährleistet, die wiederum die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Idealerweise werden die Datenschutzvorkehrungen für den Patienten transparent gemacht. Auf technischer Seite muss gewährleistet sein, dass eine problemlose Bedienung für einen größtmöglichen Kreis an Patienten möglich ist. Eine hohe Usability und eine intuitive Oberfläche, die keine Vorkenntnisse erfordert, sind essenziell dafür, dass nicht nur digital natives sondern auch unerfahrene Patienten die Apps nutzen können. In diese Richtung zielt auch die einfache Zugänglichkeit zu eHealth-Angeboten, wie sie mit WebApps, die keine Installation oder Einrichtung eines Accounts erfordern, geradezu paradigmatisch umgesetzt ist. Damit können sie auch leicht auf den Geräten der Patienten genutzt werden, was nicht nur den Komfort verbessert, sondern auch die Investitionskosten der Praxis bzw. Klinik reduziert und das Hygienemanagement vereinfacht. Neben diesen rechtlichen und technologischen Grundanforderungen müssen Anamnese-Apps eine Reihe weiterer Bedingungen erfüllen, um akzeptiert und gewinnbringend eingesetzt zu werden. Eine ganze Reihe von Anforderungen stammen aus dem Feld der Kommunikation: Bei der Formulierung der Inhalte muss darauf geachtet werden, dass eine eindeutige, leicht verständliche Sprache Anwendung findet – fachsprachliche Terminologien sollten nur in den Fällen gebraucht werden, wo sie in den Alltagsgebrauch übergegangen oder schlichtweg alternativlos sind. Wie ein guter Arzt in der Lage ist, mit seinem individuellen Patienten adressatengerecht zu kommunizieren, sollten sich auch Apps an diese Kommunikationsvorgaben halten. Dazu zählt idealerweise auch Mehrsprachigkeit. Zu einer patientengerechten Kommunikation gehört aber auch die Flexibilität der Inhalte: Bei der Beantwortung von Anamnesefragebögen muss der Patient in der Lage sein, seine individuelle Situation abzubilden und dem Arzt zu kommunizieren. Idealerweise orientieren sich Anamnese-Apps auch hier an der ärztlichen Arbeit: Adaptive Fragebögen, die Folgefragen in Abhängigkeit von bereits gegebenen Antworten stellen, gehören hier ebenso dazu wie das Vermeiden von Redundanzen. Was in der realen Kommunikationssituation selbstverständlich ist, dass nämlich das sich entspinnende Gespräch kein stures Befolgen eines festgelegten

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Protokolls wird, sondern die bereits enthaltenen Informationen aufgreift und in die weitere Gesprächsführung miteinbezieht, ist auch in Apps über Fragebäume möglich: Sie triggern bestimmte Fragen nur dann, wenn der Patient zuvor eine dementsprechende Eingabe getätigt hat. Paradebeispiele hierfür sind Fragen nach dem Zigarettenkonsum pro Tag, die nur dann gestellt wird, wenn der Patient sich zuvor als Raucher zu erkennen gegeben hat, oder die Bitte, vorherige Schmerzepisoden zu beschreiben, wenn die Frage, ob die aktuelle Episode die erste war, mit „Nein“ beantwortet wurde. Um den Anspruch der Patientenautonomie zu erfüllen, sollten Apps außerdem transparent machen, welche Ziele sie verfolgen. Die Akzeptanz auf Patientenseite steigt dann erheblich, wenn dem individuellen Patienten deutlich wird, dass der Einsatz der App kein Selbstzweck oder technische Spielerei ist, sondern wesentliche Aufgaben in Behandlung, Prävention und Gesundheitsförderung übernimmt. Wenn der behandelnde Arzt seine Entscheidung für Anamnese-Apps gegenüber dem Patienten begründend offenlegt (im persönlichen Gespräch oder über ein Informationsblatt in der Praxis), kann hier das ­Arzt-Patienten-Verhältnis noch deutlich gestärkt und die Bereitschaft, eHealth-Lösungen auch in anderen Bereichen zu nutzen, gefördert werden (Eckrich et al. 2016).

5.4.2 Anforderungen von Behandlerseite Dass auch Ärzte wie Patienten von Anamnese-Apps die Sicherheit der erhobenen Daten und eine hohe Usability erwarten, liegt auf der Hand. Zusätzlich zu den allgemeinen technischen Anforderungen spielt gerade im Gesundheitssystem die Interoperabilität eine große Rolle: Um den Bürokratieaufwand zu reduzieren und nicht durch eine zeitintensive Doppeldokumentation erst recht zu vergrößern, müssen die erhobenen Informationen automatisch in die IT der Praxis bzw. Klinik eingespielt werden (Sunyaev et al. 2010). Die meisten Arztinformationssysteme verfügen über standardisierte Schnittstellen, die das Einspeisen von externen Daten unterstützen. Konkrete Anforderungen an Anamnesesysteme ergeben sich zunächst aus den medizinischen Inhalten: Anamnesefragebögen müssen demnach die ärztliche Kommunikation abbilden, das heißt eine ähnliche Fragetechnik anwenden wie der Arzt im direkten Gespräch. Im Falle eines Einzelfragebogens bedeutet das, dass die gestellten Fragen relevant und auf den jeweiligen Konsultationsgrund zugeschnitten sind. Um zuverlässige Anamnesedaten zu liefern, die das darauffolgende ärztliche Gespräch vorbereiten und entlasten, muss sichergestellt sein, dass die gestellten Fragen nicht nur relevant, sondern auch medizinisch korrekt sind. Anhaltspunkt sind hier die in den meisten Leitlinien enthaltenen Empfehlungen zur Diagnose. Ein wirklicher Mehrwert wird geschaffen, wenn die Informationen nicht nur gesammelt, sondern vorab ausgewertet werden. Ärzte wollen dabei aber nicht von eHealth-Lösungen ersetzt, sondern unterstützt werden. Indem Apps wie Idana einfache Aufgaben wie die Score-Berechnung erledigen oder kritische Antworten hervorheben, behält der Arzt seine Autonomie –

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­ oftware fungiert idealerweise als Assistent, der dem Arzt den Rücken freihält, um S spezifisch medizinisch-menschliche Tätigkeiten wie das Beratungsgespräch fokussiert angehen zu können.

5.5 Schlussbetrachtungen: Potenziale von WebApps in der Diagnostik und Therapie von chronischen Erkrankungen Die Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen ist eines der Hauptanwendungsgebiete für Gesundheits-Apps und eHealth-Lösungen, wie eine Umfrage von App-Entwicklern aus dem Jahr 2015 zutage brachte (research2guidance 2015). Vor allem Lösungen, die ein engmaschiges (Fern-)Monitoring fördern oder die Therapieadhärenz steigern, sind, wie diverse Studien zeigen, besonders vielversprechend (Albrecht 2016a bzw. Becker et al. 2012). Gerade bei chronischen Erkrankungen spielen die Adhärenz und Compliance des Patienten eine wesentliche Rolle. eHealth-Lösungen unterstützen das, indem sie dem Patienten erlauben, seine individuelle Situation zu erfassen und diese als strukturierte Daten dem behandelnden Arzt zu übermitteln. Apps fungieren dabei – wie oben für die Idana WebApp gezeigt – als Mediator. Sie ermöglichen eine effiziente und ressourcenschonende Kommunikation gemäß der Maxime „doing more with less“, auch über die Grenzen der Fachsprache hinweg (Graffigna et al. 2015). Indem sie Ärzte darin unterstützen, Therapieempfehlungen passgenau auf die individuelle Lebenssituation ihrer Patienten zuzuschneiden, leisten sie nicht zuletzt auch einer patientenzentrierten Versorgung Vorschub (Kuhn und Amelung 2016). Eine allgemeine Übersicht darüber, welche Potenziale Ärzte in der Nutzung von e­ Health-Lösungen sehen, bietet Abb. 5.4.

Potenal eHealth Verbesserung der Kommunikaon an den Schnistellen mit anderen Behandlern

57%

Verbesserung der Kommunikaon mit Paenten

32.20%

Verbesserung der Versorgung von Paenten in größerer Enernung Verbesserung der Qualität der Versorgung

29% 19.40%

Verbesserung der Paentensicherheit

18.20%

Wirtschalichere Versorgung

17.80%

Verbesserung der Compliance und Adhärenz der Paenten Verbesserung des Arbeitsalltags und der Lebensqualität von Ärzten und Praxismitarbeitern

15.90% 12.70%

Abb. 5.4   Ergebnisse der Umfrage nach den größten Potenzialen von eHealth. (Quelle: Darstellung nach Stiftung Gesundheit 2016)

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Das gilt insbesondere für die Diagnose und Therapie von Krankheiten, in der die individuellen Lebensumstände eine wesentliche Rolle spielen: Hier können Apps bspw. die Kommunikation über psychische Aspekte erleichtern. Sie unterstützen nicht nur Ärzte darin, diese sensiblen Informationen zu erheben, sondern bieten Patienten auch die Möglichkeit zur Selbstreflexion, indem sie durch das Thematisieren psychosozialer Aspekte diese überhaupt erst ins Bewusstsein rücken. Insgesamt tragen sie dazu bei, den Patienten aus seiner passiven Rolle herauszuholen und ihn zu einem Mitarbeiter an der eigenen Gesundheit, zu einem „coproducer[…] of [his/her] health“ zu machen (Graffigna et al. 2015). Gerade in der ambulanten Versorgung, wo Ärzte vielfach nicht ausreichend Zeit haben, um ihre Patienten in aller Tiefe zu anamnestizieren, können Apps entlasten. So gaben 2018 57 % der im Rahmen der Studie „Ärztemonitor“ befragten Ärzte an, dass „für die Behandlung [ihrer] Patienten [nicht] ausreichend Zeit zur Verfügung [stehe]“ (KBV 2018), wobei sich die Situation in den letzten Jahren nur weiter verschlechtert hat: 2014 waren es laut dem Ärztemonitor „nur“ 40 % der befragten Ärzte gewesen, die über Zeitmangel im Arbeitsalltag klagten (KBV 2014). Vor allem bei Krankheitsbildern, bei denen eine umfassende Anamnese und ein tiefgehendes ärztliches Beratungsgespräch essenziell für den Therapieerfolg sind und wesentlich dazu beitragen, einen chronischen Verlauf zu verhindern, bietet eHealth einen Ausweg. Im Falle von Kreuzschmerzbehandlungen können Apps die Daten schnell und strukturiert aufarbeiten und außerdem den interdisziplinären Austausch, wie es im Rahmen der von der Leitlinie empfohlenen multimodalen Behandlung empfohlen wird, erheblich erleichtern (Kraft 2011; Kuhn und Amelung 2016). Langfristig könnten diese Daten auch der Versorgungsforschung zugänglich gemacht werden: Auf diese Weise ließen sich Korrelationen von Symptomen, Dispositionen und der Effizienz von Maßnahmen nebenbei validieren (Meyer et al. 2013). Das größte Potenzial entfalten Diagnose-Apps jedoch, wenn sie zum Monitoring eingesetzt werden. Bei verschiedenen Krankheitssymptomatiken, insbesondere denen die ein hohes Chronifizierungsrisiko besitzen, ist eine Überwachung des Patienten angeraten, um die Wirkung der Maßnahmen zu kontrollieren. Im Falle von nicht-spezifischem Kreuzschmerz etwa werden Behandler dazu angehalten, in den ersten vier Wochen nach Behandlungsbeginn die Beschwerden des Patienten zu reevaluieren, um weitere Maßnahmen, insbesondere eine zusätzliche psychotherapeutische Betreuung, frühzeitig zu initiieren oder gegebenenfalls weitere Untersuchungen einzuleiten. Digitale Anamnese-Lösungen eignen sich hervorragend zum Telemonitoring sowohl somatischer Beschwerden als auch regelmäßiger Selbst-Assessments. In Kombination mit weiteren patientenzentrierten Gesundheitsapplikationen, etwa Bewegungs- oder Stimmungstagebücher, können Ärzte und weitere Behandler eine umfassende Informationsbasis erlangen, um rechtzeitig relevante Veränderungen zu bemerken, die Therapie besser an den Patienten und seine Bedürfnisse anzupassen und Therapierisiken zu verhindern (Budych 2013; Fischer et al. 2016). Die Studie

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„­ Telemedical-Interventional-Monitoring-in-Heart-Failure“(TIMHF), die telemedizinische Betreuung von herzkranken Risikopatienten untersuchte, konnte zeigen, dass die Lebensqualität von telemedizinisch überwachten Patienten deutlich stieg; bei Hochrisikopatienten konnte sogar die Sterblichkeitsrate signifikant verringert werden (Brauns und Loos 2015). Letztlich ließen sich Anamnese-Apps auch zur Gesundheitsprävention einsetzen: Regelmäßige Befragungen von Patienten könnten es Ärzten erleichtern, statt. Maßnahmen zu planen, die Gesundheitsbeeinträchtigungen vermeiden oder deren Wahrscheinlichkeit verringern. Ansatzpunkte liegen hier alle im Bereich der Prävention, sei es als Primärprävention zur Risikoaufklärung, sei es als Sekundärprävention zur Planung einer möglichst frühzeitigen Therapie, oder sei es im Rahmen der Tertiärprävention, wenn eine bestehende Krankheit bereits vorliegt und es darum geht, Folgesymptome oder eine Verschlimmerung des allgemeinen Zustands zu verhindern oder Rückfälle im Rahmen der Rehabilitation zu vermeiden (Albrecht und von Jan 2016). Es wurde ein Überblick zu Kreuzschmerzen geboten, einer Krankheitssymptomatik mit einem hohen Chronifizierungsrisiko. Aufgrund der oftmals zu starken ­physisch-somatischen Ausrichtung vieler Ärzte und Patienten wird diese häufig fehltherapiert und kommt das Gesundheitssystem, vor allem indirekt über Arbeitsausfälle, teuer zu stehen. Um nicht-spezifischen Kreuzschmerz zuverlässig von Kreuzschmerzen mit physischen Ursachen abzugrenzen, muss eine gründliche, nicht nur somatische Beschwerden (red flags), sondern auch psychische (yellow flags) und arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren (blue flags) umfassende Anamnese erfolgen. Insofern nichtspezifischer Kreuzschmerz nur dann erfolgreich behandelt werden kann, wenn die Lebenssituation des individuellen Patienten und seine Einstellungen bezüglich der Krankheitssymptomatik berücksichtigt werden, bietet die Anamnese wesentliche Anhaltspunkte, die nicht nur über den Verlauf der aktuellen Schmerzepisode entscheiden, sondern eine Chronifizierung verhindern können. Am Beispiel der Idana WebApp wurde gezeigt, wie eine leitlinienkonforme Anamnese mit ihrem edukativen Impetus und der Fokussierung auf psychosoziale Aspekte digital aussehen kann. Anforderungen, die dabei von Patientenseite an vergleichbare eHealth-Lösungen gestellt werden, sind neben der Gewährleistung des Datenschutzes und einer hohen Usability vor allem die Transparenz über die von der App begleiteten Versorgungsprozesse und die Möglichkeit, die eigene Situation mithilfe der Software abzubilden. Ärzte hingegen fordern vor allem die Interoperabilität der Einzellösungen mit der bestehenden Arztinformationssoftware, klinisch validierte Inhalte sowie die Respektierung der ärztlichen Entscheidungshoheit. Sind diese Anforderungen erfüllt, so entfaltet eine Anamnese-App weitreichende Potenziale zur Optimierung der Versorgung von (chronischen) Patienten: als Instrument zum Telemonitoring, als Kommunikationsmittel zwischen Behandlern und Patienten einerseits und Behandlern untereinander andererseits sowie als Datenlieferant für die klinische Forschung.

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Verena Spohn, ist promovierte Germanistin und Wissenschaftsjournalistin und arbeitet als Kommunikationsmanagerin für die Tomes GmbH. Lilian Rettegi,  ist Ärztin und Mitgründerin der Tomes GmbH. Ihr Fokus liegt dabei auf der Entwicklung medizinischer Inhalte und dem Vertrieb von Idana. Sie studierte Medizin an den Universitäten Luxemburg, Freiburg und Innsbruck und war während ihres Studiums als medizinische Redakteurin in der Anamneseschule für ausländische Ärzte der Freiburg International Academy tätig. In dem vom GBA geförderten Projekt „GAP – Gut informierte Kommunikation zwischen Arzt und Patient“ entwickelte sie unter anderem ein Online-Portal für Rückenschmerz-Patienten. Dr. Lucas Spohn,  ist Mitgründer und Geschäftsführer der Tomes GmbH. Er studierte Medizin und Embedded Systems Engineering an der Universität Freiburg und gründete 2016 das Unternehmen hinter Idana. Seine Spezialgebiete liegen dabei im Bereich gesetzlicher Rahmenbedingungen und Verschlüsselungstechnik.

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KI-gestütztes Wundmanagement Robert Mischak, Bianca Schnalzer, Baptiste Alcalde und Jeroen de Bruin

6.1 Das disruptive Potenzial von mHealth-Anwendungen im Wundmanagement Chronische Wunden stellen für die Betroffenen oft eine hohe Belastung im Alltag dar und unterliegen langwierigen und oft komplexen Behandlungsmethoden. Aufgrund chronischer Erkrankungen erfordert das Wundmanagement ein kontinuierliches und exaktes Monitoring des Heilungsverlaufs und der Behandlung. Besonders betroffen von chronischen Wunden sind Personen mit einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI), Diabetes Mellitus Typ I und Typ II, neurologischen Erkrankungen mit Paralysen sowie alle Personen, welche von Immobilitäten und dermatologischen Fragestellungen betroffen sind. Allen gemein ist in der Regel ein eher schlechter Allgemeinzustand sowie die Anwesenheit diverser Risikofaktoren wie etwa Bluthochdruck, Nikotin und/oder Alkoholkonsum sowie ein schlechter Ernährungszustand, welcher für gewöhnlich durch eine Mangelernährung begleitet wird. Das Wundmanagement ist ein Leistungsbereich der Regelversorgung, der durch die Zunahme an chronischen Erkrankungen eine immer größer werdende Bevölkerungsgruppe

R. Mischak (*) · B. Schnalzer · B. Alcalde · J. de Bruin  FH JOANNEUM Institut eHealth, Graz, Österreich E-Mail: [email protected] B. Schnalzer E-Mail: [email protected] B. Alcalde E-Mail: [email protected] J. de Bruin E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_6

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betreffen wird, und der vor dem Hintergrund des steigenden Pflegepersonalmangels unweigerlich eine höhere Produktivität aufweisen muss, andernfalls man Gefahr einer Unterversorgung läuft (siehe z. B. Mischak, Ranegger 2017). In Hinblick auf Effizienzpotenziale seien oftmalige Patientenüberweisungen in Ambulanzen bzw. Hausbesuche durch mobile Pflegekräfte oder Ärzte erwähnt. Sowohl für Patienten und deren Angehörige wie auch für die Gesundheitsberufe (bzw. für die kostentragenden Krankenversicherungen) gestalten sich diese Prozesse als sehr aufwendig. Prozessverbesserungen finden kaum mehr statt. Vor dem Hintergrund der Budgetknappheit wird mit dem Argument des nicht medizinischen Bedarfs bei der Anzahl der Hausbesuche gespart, ein Vorgehen, welches keine Rationalisierung, sondern vielmehr eine implizite Rationierung darstellt. Auf der anderen Seite werden den Patienten und Angehörigen immer länger werdende Wartezeiten in den Ambulanzen zugemutet. Auch sind die damit im Zusammenhang stehenden Kosten durch Krankentransporte zu beachten. In Hinblick auf die Qualität der Prozesse, ist zu berücksichtigen, dass die Behandlung chronischer Wunden interdisziplinäre Teams erfordert. Dementsprechend ist der Koordinations- und Abstimmungsbedarf aller beteiligten Gesundheitsberufe sowie der Angehörigen zu berücksichtigen. Sollen wissenschaftliche Erkenntnisse in Form evidenzgestützter Leitlinien in die Wunderkennung und Wundbehandlung einfließen, sind standardisierte Dokumentations- und Datenaustauschmodelle zu etablieren. Gleiches gilt für die Datengewinnung zu Zwecken der internen Qualitätssicherung bzw. der fachspezifischen Forschung. Es scheint mehr als plausibel, dass eine Lösung zur Überbrückung dieser Schnittstellen nur auf Basis standardisierter Terminologien und mithilfe IT-gestützter Systeme erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass wissensbasierte Ansätze in Verbindung mit Entscheidungsunterstützungs-Systemen oder KI-gestützte Diagnosen den Prozessbeteiligten über mobile Endgeräte angeboten werden können. Die prozessualen Möglichkeiten, die sich durch diese Erweiterung auf mobile, vernetzte Technologien in Hinblick auf mHealth ergeben sind enorm. Man könnte es auch so ausdrücken, die Grenzen der kontinuierlichen Prozessverbesserungen sind im herkömmlichen Wundmanagement erreicht, und man tritt in die Phase des Business Process Reengineering (BPR). BPR verlangt, dass Prozesse kundenorientiert ausgerichtet werden und von digitalen Möglichkeiten zur Prozessunterstützung intensiv Gebrauch gemacht wird. Hübner et al. (2016) haben eine Marktanalyse zu elektronischen Wunddokumentationssystemen durchgeführt und dabei 64 Produkte in Hinblick auf verschiedene Kriterien wie Eignung für eHealth, Telehealth, Interprofessionalität etc. genauer analysiert und fassen zusammen, dass sich die Produkte noch weiterentwickeln müssen. Trotzdem scheint die Zeit reif, weil sich die Voraussetzungen auf der technologischen, organisatorisch-informationstheoretischen, ökonomischen und rechtlichen Ebene ständig verbessern. Viele technologische Innovationen begünstigen mHealth-Anwendungen. Infrastrukturell steht Europa an der Schwelle zum Mobilfunkstandard 5G mit Datenraten bis zu 20 Gbit/s. Smartphones und Wearabels sind mit modernsten Sensoren bestückte Hochleistungsrechner und als Endconsumer-Artikel ausgereift und weit verbreitet

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(siehe z. B. Mischak 2016). Die organisatorisch-informationstheoretischen Rahmenbedingungen sind durch die Etablierung von elektronischen Gesundheitsakten in Verbindung mit standardisierten Terminologien in vielen europäischen Ländern zumindest in Vorbereitung, wenn nicht schon etabliert. Intelligente Algorithmen sind über entsprechende KI-Plattformen bzw. Bibliotheken leicht in mobile Endgeräte zu integrieren. Als weitere Treiber erweisen sich die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen einer älter und kränker werdenden Bevölkerung, die dramatische Prozessverbesserungen erfordert. Der notwendige rechtliche Paradigmenwechsel, nämlich die Anerkennung und auch Verrechenbarkeit von telemedizinischen Leistungen steht in deutschsprachigen Ländern unmittelbar bevor, in anderen europäischen – vor allem skandinavischen – Ländern ist dies ohnehin schon längst Realität. Als letzter Aspekt sei erwähnt, dass sich mit dem Einsatz von mHealth-Anwendungen auch das Verständnis für die eigene Erkrankung und damit die Adhärenz der Betroffenen erhöhen wird. In weiterer Konsequenz werden die health-literacy und das patient-empowerment der Allgemeinbevölkerung gefördert und möglicherweise der ­ Weg zu einem selbst gesteuerten und selbstverantworteten Heilungsverlauf im Sinne des ­self-care geebnet. Im Folgenden sei auf den Zusammenhang zwischen KI-Methoden und mHealth am Beispiel des Wundmanagements näher eingegangen.

6.2 Die Digitalisierung des Wundmanagements In diesem Teil wird diskutiert, wie eine digitale Transformation und Standardisierung des Wundmanagements zur Qualität des Wundmanagements beitragen könnten. Es wird der medizinische Hintergrund einschließlich seiner Schwierigkeiten beschrieben und Methoden präsentiert, mittels derer das medizinische Personal unterstützt werden kann, um die Patientenversorgung zu verbessern.

6.2.1 Medizinischer Hintergrund Chronische Wunden sind Wunden, die sich langsam entwickeln und lange anhalten, d. h. Wunden, bei denen der Heilungsprozess eine geordnete Reihe von Wundstadien nicht durchläuft und die länger dauern als die vorhersehbare Zeit, die für die meisten Wunden erforderlich ist (Streit et al. 2008). Chronische Wunden werden in der Regel durch eine zugrunde liegende chronische Erkrankung verursacht, zum Beispiel chronische Venösen Insuffizienz (CVI), Diabetes mellitus Typ I und Typ II, und neurologische Erkrankungen mit Lähmungen. Das Wundmanagement erfordert vor allem aufgrund dieser zugrunde liegenden Krankheiten eine kontinuierliche und genaue Überwachung der Behandlung und des Heilungsprozesses. Chronische Wunden gelten als große Herausforderung für die öffentliche Gesundheit, aber die tatsächliche Belastung konnte bislang noch nicht

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ausreichend quantifiziert werden. Grobe Schätzungen zeigen, dass die Prävalenzrate chronischer Wunden in Industrieländern bis zu 1 % der Allgemeinbevölkerung beträgt (Heyer et al. 2016; Posnett und Franks 2008). Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Behandlung chronischer Wunden wurden bislang noch nicht ausreichend erforscht, aber vorläufige Studien in den USA zeigen, dass die Kosten für die Behandlung und das Management chronischer Wunden zwischen 3 und 5 % des Gesundheitsbudgets betragen (Posnett und Franks 2008; Fife et al. 2010). In der Versorgung komplexer chronischer Wunden ist die Expertise von Fachkräften aus der Medizin, Pflege und medizinisch-technischer Berufsgruppen in das Wundmanagement im intra- und extramuralen Versorgungsbereich involviert. Aufgrund steigender Inzidenz von Wunden mit der demografischen Entwicklung nimmt der Bedarf an professioneller Wundversorgung zu. Jedoch werden mit steigender Tendenz auch informell pflegende Angehörige aufgefordert die chronischen Wunden ihrer Angehörigen zu versorgen. Zeitlicher Druck und Unsicherheiten in der häuslichen Versorgung chronisch kranker Patienten stellen im österreichischen Gesundheitssystem eine große Herausforderung dar. Eine österreichische Studie zu chronischen Wunden und zum Wundmanagement zeigt, dass 250.000 Österreicher von chronischen Wunden betroffen sind, von denen nur 15 % angemessen behandelt werden (Institut für empirische Sozialforschung GmbH 2015). Eine angemessene Wunduntersuchung unterliegt vielen kovarianten Faktoren (Guo und Dipietro 2010; Frykberg und Banks 2015). Darüber hinaus erfordert die Vermeidung von septischen Wundinfektionen hygienische Wundbedingungen sowie eine genaue Beurteilung des Wundzustands über die Zeit, z. B. durch Fotodokumentation. Angesichts der Teilnahme informell pflegender Angehöriger, verbunden mit den Ungewissheiten und Komplexitäten der Wundbehandlung die selbst für geschulte Fachkräfte eine Herausforderung darstellen, sollte es nicht überraschen, dass die Beurteilung chronischer Wunden in der Praxis mit einer hohen Anzahl von Fehleinschätzungen behaftet ist (Stremitzer et al. 2007). Um trotzdem eine qualitativ hochwertige Beurteilung und Verwaltung von Wunden zu ermöglichen, wurden daher elektronische Methoden untersucht: Die Digitalisierung des Wundmanagements.

6.2.2 Digitales Wundmanagement: eine Frage der Standardisierung und Modellierung Wegen der hohen Zahl an Fehleinschätzungen bei der Beurteilung chronischer Wunden wurde die elektronische Unterstützung des Wundmanagements und der Wunddokumentation in den letzten Jahren forciert. Die Forschung hat sich in diesem Bereich zunehmend auf die Sammlung von Daten durch Mobiltelefone und mobile Sensoren konzentriert. Herkömmlicherweise wurden Smartphones hauptsächlich als tragbare Lösungen für eine schnellere, grafische Wunddokumentation sowie zur Sammlung von Metadaten im Rahmen von Telecare-Lösungen verwendet (Kassal et al. 2015; Ajovalasit

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et al. 2018). In dieser prozessgestützten Dokumentation werden Wundmerkmale, z. B. die Größe, erfasst und von Experten beurteilt. Damit das digitale Wundmanagement die Qualität der Wundversorgung verbessern kann, muss der Wundmanagementprozess, und damit der elektronische Datensammlungsprozess, auf verschiedenen Ebenen in elektronischer Form modelliert und standardisiert werden. Dies umfasst die Standardisierung und elektronische Implementierung von ­Wundmanagement-Workflows sowie die Erstellung und Anwendung von Techniken der künstlichen Intelligenz, die hochwertige Modelle und Regeln für verschiedene Stadien des Wundmanagements liefern.

6.2.2.1 Digitale Workflow-Standards Gesundheitsprozesse, und damit auch das Wundmanagement, sind komplexe Prozesse, die durch die Dynamik der Diagnose, die Variabilität der von Experten aufgrund ihrer Erfahrungen getroffenen Entscheidungen, die lokalen Einschränkungen, die Bedürfnisse des Patienten, die Unsicherheit der Reaktion des Patienten und die Unbestimmtheit der Einhaltung der Behandlung durch den Patienten gekennzeichnet sind (Ferrante et al. 2016). Die elektronische Darstellung von Workflows erfolgt häufig über die Geschäftsprozessmodellierung, wobei Standards wie das Business Process Model and Notation (BPMN) (Object Management Group 2011) sowie das Case Management Model and Notation (CMMN) (Object Management Group 2016) verwendet werden. BPMN bietet dabei eine Notation, die für Geschäftsanwender leicht verständlich ist, für technische Benutzer jedoch eine komplexe Prozesssemantik darstellt. Im Gegensatz zu BPMN wird CMMN zum Erfassen von Arbeitsmethoden verwendet, die auf der Bearbeitung von Fällen basieren. Diese Fälle erfordern oft verschiedene Aktivitäten, die in einer unvorhersehbaren Reihenfolge ausgeführt werden können. Als solche fungiert CMMN als Erweiterung für BPMN in Situationen, die weniger prozessorientiert und mehr e­ reignisoder datenzentriert sind und aufgrund mangelnder Wiederholbarkeit weniger für die Automatisierung geeignet sind. Aktuell wurde die Geschäftsprozessmodellierung mit BPMN und CMMN auch für die elektronische Darstellung medizinischer Workflows untersucht, mit ermutigenden Ergebnissen (de Bruin et al. 2018; Wiemuth et al. 2017). In Bezug auf die elektronische Modellierung medizinischer Arbeitsabläufe wurden verschiedene Vorteile theoretisiert, z.  B. computergestützte Identifizierung von Arbeitsablaufoptimierungen und Verbesserung der klinischen Ergebnisse (Rodriguez-Loya et al. 2014). Angesichts dieser Möglichkeiten zur Implementierung medizinischer Workflows in BPMN und CMMN und der potenziellen Vorteile, die sich daraus ergeben könnten, wurde eine Vorstudie zur Implementierung von Wundmanagement-Workflows in BPMN und CMMN durchgeführt. In dieser Studie wurden drei etablierte Arbeiten zu Wundmanagement (Daumann 2009; Mader 2016; ABZ Verbund Pflege HF 2018) analysiert und mithilfe des PRISMA-Standards für systematische Übersichten (Altman 2009) Informationen darüber extrahiert, welche Aktivitäten in Wundmanagement-Workflows

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stattfanden, in welcher Phase des Wundmanagements diese Aktivitäten stattfanden und welche Methode (BPMN oder CMMN) besser war, um diese Aktivitäten zu modellieren. Tab. 6.1 zeigt die vorläufigen Ergebnisse dieser Studie. Basierend auf diesen vorläufigen Ergebnissen ist der obere Workflow für das Wundmanagement in BPMN/CMMN in Abb. 6.1 dargestellt.

6.2.2.2 Digitale Wundanalyse Die Digitalisierung von Wundmanagement-Workflows ermöglicht die Erstellung medizinischer Entscheidungsunterstützungssysteme, die die Analyse und Entscheidungsfindung in diesen Workflows unterstützen. Diese Systeme können unter Verwendung einer Vielzahl von wissensbasierten und/oder maschinellen Lerntechniken konstruiert werden, wobei insbesondere der letzte Ansatz bei digitalem Wundmanagement in den letzten Jahren erhebliche Beachtung gefunden hat. Darüber hinaus sind Smartphones wesentlich leistungsfähiger geworden, und hat sich ihre Rolle geändert: nicht länger dienen sie nur als Werkzeug für die Informationserfassung, sondern auch als Plattform für die Informationsanalyse, vor allem in der Wundanalyse. Bei der digitalen Wundanalyse werden Wundfotos verwendet, um Wunden oder spezifische Merkmale der Wunde, die die Heilungsrate beeinflussen (z. B. Wundtiefe, Wundflächengröße oder Mischung der Wundfarben), zu klassifizieren. In diesem Prozess werden maschinelle Lerntechniken eingesetzt, die sich auf die Klassifizierung spezifischer Wundmerkmale konzentrieren (Ahmad Fauzi et al. 2015; Veredas et al. 2010). Dabei erfolgt die digitale Analyse von Wundmerkmalen fast immer mit klassischen maschinellen Bildanalyse-Techniken (Mean shift-Algorithmen, K-Means clustering, Neuronale Netzen, Fuzzy-Logik, Support Vector Machines, etc.) (Ahmad Fauzi et al. 2015). Obwohl sich diese Algorithmen als substanziell erfolgreich erwiesen haben, hat ihre Effektivität ein Plateau erreicht, das moderate Klassifikations- und Differenzierungsempfindlichkeiten von bis zu 80 % erreicht (Ahmad Fauzi et al. 2015). Aufgrund der Fortschritte in der Hardware und Software konnten anspruchsvollere Algorithmen für maschinelles Lernen wie Deep Learning verwendet werden. Dabei kommen für die hier beschriebene Aufgabenstellung zwei Verfahren in Betracht. Zum einen sind das Convolutional Neural Networks (CNNs), die sich als sehr effektiv für die Klassifikation von Bildausschnitten erwiesen haben (Yamashita et al. 2018). Zum anderen sind das semantische Segmentierungsmethoden (Goyal et al. 2018), die sich zur Erkennung und Abgrenzung der Wundregion gegenüber dem Rest des Bildes anbieten. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Architekturen für CNNs, die sich je nach Anwendungsfall und Genauigkeitsanforderungen unterscheiden lassen. Im Folgenden wird ein detaillierter Überblick über diese Architekturen und Plattformen für mHealth gegeben.

BPMN, Business Process Model and Notation; CMMN, Case Management Model and Notation

BPMN

Beurteilungsphase der Maßnahmen Vergleich der Ist-Situation mit den Zielen

BPMN/CMMN

BPMN

Therapieplanung

Behandlungsfestlegungsphase

Modellierungsstandard BPMN, CMMN (Kausaltherapie)

Behandlungs- und Dokumentations- Festlegung der Arbeitsschritte für phase die ausgewählte Wunde

Tätigkeiten Anamnese, Basisdiagnostik, Wundassessment, Wunddiagnostik, Kausaltherapie

Workflow Stadium

Informationsphase

BPMN, da eine solche Evaluierung der Ziele immer stattzufinden hat, nicht ereignisabhängig ist und deshalb keinen Sonderfall (Case) darstellt

Dieselbe Argumentation wie bei der Behandlungsfestlegungsphase

BPMN: Den Modellierungsunterschied gibt es, da es sich aufgrund der festgelegten Wunde, am Beginn immer um eine temporäre Wunde handelt, bei welcher die Arbeits- und Behandlungsschritte strukturiert darstellbar und bekannt sind. Sobald diese jedoch chronisch wird, tritt ein Sonderfall auf welcher in CMMN modelliert wird

BPMN: Strukturierte und vor allem vorhersagbare Aufgaben. Tätigkeiten können standardisiert durchgeführt werden und sind nicht von einer speziellen Wundart abhängig Kausaltherapie mit CMMN, da es Sonderfälle geben könnte, und es sich daher weniger um vorhersehbare Ereignisse/ Prozesse handelt und somit kein kontrollierbarer Ablauf beschrieben werden kann

Argumentation

Tab. 6.1  Ergebnisse der BPMN- und CMMN-Modellierung von Wundmanagement-Workflows. (Quelle: Eigene Zusammenstellung 2019)

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Informationen erheben

Plan zur Behandlung erstellen

Arbeitsschritte durchführen

Maßnahmen beurteilen

Nein

Chronische Wunde? Ja

CMMN Behandlung CASE

Erfolg der Maßnahmen beurteilen

Ja

Behandlung abgeschlossen

Nein

Wunde verheilt?

Abb. 6.1   Wundmanagement-Workflow in BPMN mit einem eingebetteten CMMN-Fall für chronische Wunden. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

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6.3 Überblick über mHealth KI-Plattformen In einer durchgeführten Analyse zu Deep Learning in der medizinischen Bildverarbeitung durch Schnalzer (2018), bezugnehmend auf die Studien von Baht et al. (2017), Lee et al. (2017) sowie Litjens et al. (2017), wurden die medizinischen Handlungsfelder, verschiedene Methodiken im Deep-Learning-Bereich, Modelle und Probleme detailliert analysiert. Tab. 6.2 illustriert die wesentlichen Ergebnisse. Als Deep-Learning-Modelle finden primär CNN (Convolutional Neural Networks) sowie RNN (Recurrent Neural Networks) Anwendung, wobei CNN vor allem in der Bildanalyse häufig verwendet werden (Xu et al. 2019). Als weitere häufig verwendete Technik finden, neben der klassischen Bild-Analyse, im medizinischen Bereich ebenso SVM (Support Vektor Maschinen) Anwendung. Sie werden im Bereich des maschinellen Lernens häufig zur Erkennung diverser Bildmerkmale, beispielswiese der Arealdetektion, verwendet (Gómez-Moreno et al. 2002). In der Literatur findet sich die Verwendung von SVM im medizinischen Kontext der Wunderkennung ebenso wieder (Veredas et al. 2015). Wesentliche Erfolgsfaktoren für das Training einer mHealth-KI-Anwendung sind die geeignete Bildqualität, eine adäquate Menge an Trainingsdaten und Trainingsbildern und die geeignete Trainingsmethode für das zu lösende Problem. Gerade um das sogenannte „Overfitting“ (Überanpassung des KI-Modells) zu vermeiden, müssen Trainingsparameter adäquat gesetzt werden und die Trainingsdaten dementsprechend vorbereitet werden. Anzumerken ist hier, dass aus der Tiefe des Deep-Learning-Modells

Tab. 6.2  Deep Learning Aspekte bei der Analyse von medizinischen Bilddaten. (Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Inhalten aus Baht et al. 2017; Lee et al. 2017 sowie Litjens et al. 2017) Medizinische Bildanalyse

Häufig verwendete Modelle

Techniken

Probleme

Verbesserungspotenzial durch

Radiologie, Digitale Pathologie und Mikroskopie, Anatomische Strukturen wie Herz, Brustgewebe, Augen, Gehirn

Deep belief networks, Convolutional Neural Networks, Auto Encoders/ stacked Auto Encoders

Klassifikation, Detektion, Segmentierung, Erfassung, inhaltsbasierte Bildsuche, Generierung und Verbesserung, Reporting

Overfitting, eine zu geringe Menge an Datensets, Qualität der Daten, unterschiedliche Daten, heterogene Parameter, Verantwortlichkeiten bei Fehlern, Lernstrategien

Daten-Augmentation, verbesserte GPU (Graphical Processing Unit), automatische Erfassung und automatisches Labeln

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und der Anzahl der trainierten Parameter sehr schnell unterschiedliche Modell-Größen resultieren, so können Netzwerke von wenigen MB bis hin zu mehreren hunderten MB Speichergröße umfassen.

6.3.1 Bekannte Deep-Learning-Architekturen Ein weiterer wichtiger Aspekt im Bereich des maschinellen Lernens ist die Wahl der geeigneten Architektur eines (Deep-Learning-) Modells. Dies spielt vor allem eine Rolle, wenn die Frage der lokalen bzw. serverseitigen Verwendung auftritt. Die Art der Verwendung korreliert hier häufig mit den Anforderungen der Nutzer an die Anwendung. KI-Algorithmen können im mobilen Bereich einerseits serverseitig zur Verfügung gestellt werden, andererseits erlauben es neue Frameworks und Technologien die ­KI-Anwendung auch direkt lokal auf dem Smartphone zu nutzen bzw. zu integrieren und damit optimal auf die Hardware zuzugreifen (Apple Core ML 2019). Wenngleich die lokale Nutzung Vorteile hinsichtlich der Sicherheit sowie Verfügbarkeit in der Auswertung bringt, muss im Modell-Design die Verfügbarkeit der begrenzten Ressourcen im Design des Algorithmus beachtet werden. Damit wird deutlich, dass nicht nur die Wahl der Parameter eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch die Anzahl der Layer (Netzwerk-Tiefe). Diverse KI-Frameworkanbieter stellen dabei bereits vortrainierte ­ Modelle zur Verfügung (Chollet 2015), die seitens der Entwickler verwendet bzw. erneut trainiert werden können. Unter den bekanntesten Deep-Learning-Modellen finden sich die Netzwerke Xception (Chollet 2017), VGG16 und VGG19 (Simonyan und Zisserman 2015), ResNet (Kaiming et al. 2016), Inception (Szegedy et al. 2016), MobileNet, (Howard et al. 2017), DenseNet (Huang et al. 2017), NASNet (Zoph et al. 2018), AlexNet (Krizhevsky et al. 2012) sowie das GoogLeNet (Szegedy et al. 2015). Ein speziell für die Bildsegmentierung entwickeltes Deep-Learning-Modell ist das sogenannte SegNet (Badrinarayanan und Cipolla 2017), welches häufig im Bereich des autonomen Fahrens eingesetzt wird. Im medizinischen Bereich findet man zur Segmentierung von biomedizinischen Bildern das U-Net (Ronneberger et al. 2015), im Bereich der Klassifikation von Fuß-Ulzera beispielsweise das DFUNet (Goyal et al. 2018). Eine weitere Frage, die sich im Zuge des Trainings einer künstlichen Intelligenz stellt, ist die Wahl der geeigneten Trainingsstrategie. Während ein grundlegendes Training eines neuronalen Netzes eine Vielzahl an Bildern erfordert, ermöglicht es die ­Transfer-Learning-Strategie Teile der Gewichte und Parameter des neuronalen Netzes wiederzuverwenden, einem Training auf einem neuen Task zu unterziehen und im Anschluss ein Fine-Tuning vorzunehmen (Towards Data Science 2019; MathWorks Inc. 2019b). Somit ist es auch möglich, ein bereits vortrainiertes Modell, auch wenn es für einen anderen Zweck trainiert wurde, erneut beispielsweise für den Einsatz einer mobilen Wundererkennung zu trainieren.

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6.4 mHealth-KI-Plattformen und Trainingsstrategien Im KI-Forschungsgebiet existieren eine Vielzahl an Frameworks für die Anwendung bzw. das Training von Deep-Learning-Modellen. Im Zuge der Verwendung innerhalb gewisser Frameworks, beispielsweise TF Lite (Tensorflow 2019b), können trainierte Modelle lediglich in bestehende Applikationen integriert werden, ein weiteres Training innerhalb des Frameworks ist jedoch nicht möglich. Die Abb. 6.2 zeigt die Anzahl der Mitwirkenden und deren Bewertungen bekannter Deep-Learning-Frameworks auf GitHub (Stand Juni 2018). Zudem muss bei der Wahl des geeigneten Frameworks berücksichtigt werden, auf welchem Betriebssystem die künstliche Intelligenz eingesetzt werden soll. Tab. 6.3 gibt einen Überblick über die aktuell meist verbreiteten Frameworks, die ein eigenes Training zur Wunderkennung erlauben und zusätzlich eine Integration in eine mobile Applikation ermöglichen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, bestimmte trainierte Modelle über Konvertierungstools in eine mobile Applikation zu integrieren. Stellvertretend können hier der ONNX-Konverter (onnx-coreml 2019) sowie das coremltools (Apple Inc. 2018) genannt werden. Das ONNX (Open Neural Network Exchange) -Projekt wurde von Facebook und Microsoft initiiert, um einen besseren Austausch von Modellen über Framework-Grenzen hinweg zu ermöglichen (Facebook Inc. 2017b). MatLab (seit der

Abb. 6.2   Auswertung von bekannten Deep-Learning-Frameworks hinsichtlich ihrer Anzahl an Mitwirkenden und Bewertungen auf der Entwicklerplattform GitHub. (Quelle: Eigene Darstellung bezugnehmend auf die Auswertung von Erickson et al. 2017)

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Tab. 6.3  Framework-Übersicht mit mobilem Support. (Quelle: adaptiert übernommen aus Xu et al. 2019) Framework

Unterstützte mobile Plattform

Framework-Entwickler/Anbieter

TensorFlow

Android, iOS

Google Brain-Team

Keras

Android, iOS

François Chollet

Caffe

Android, iOS

Berkeley AI Research

Caffe2

Android, iOS

Facebook

MXNet

Android, iOS

Apache Software Foundation

DeepLearning4J

Android

Adam Gibson

PaddlePaddle

Android, iOS

Baidu

CoreML

iOS

Apple

Version R2018a) bzw. CNTK (Microsoft Cognitive Toolkit) ermöglichen es zudem, trainierte Modelle über das ONNX-Format zur weiteren Verwendung zu exportieren. Coremltools (Apple Inc. 2018) ist ein Python-Package (Python Software Foundation 2019), das es ermöglicht Modelle der Frameworks Keras (Chollet 2015), Caffe (Jia et al. 2014), scikit-learn (Pedregosa et al. 2011), libsvm (Chang und Lin 2011), und XGBoost (Chen und Guestrin 2016) in das CoreML-Format zu konvertieren. Dieser mögliche Modell-Austausch über Framework-Grenzen hinweg, sowie eine vereinfachte Konvertierung durch Open-Source-Tools und eine optimierte Integration eröffnen neues Potenzial in der KI-Entwicklung für mobile Anwendungen.

6.4.1 Deep Learning mHealth- Anwendung in der Praxis – Wundererkennung mittels künstlicher Intelligenz mit einem iOS-Smartphone Folgender Abschnitt beschreibt eine praktische mobile Anwendung eines ­Deep-Learning-Modells und dessen Integration in eine iOS Applikation. Seit der Version iOS 11.0 ermöglicht es Apple, Machine-Learning-Modelle in iOS Apps zu integrieren. In der Wahl der Trainingsmethode wurde die bereits zuvor beschriebene ­Transfer-Learning-Strategie angewandt, da frei verfügbare, bereits aufbereitete Bilddaten, nur in sehr eingeschränktem Ausmaß zur Verfügung stehen. Für die mobile Anwendung wurde ein Datensatz von 251 Bildern aus verschiedenen Quellen kumuliert und in Trainingsdaten (64 %), Validierungsdaten (16 %) sowie Testdaten (20 %) unterteilt. Bei der Aufteilung handelt es sich um die Empfehlung nach (Wartala 2013). Nach der Datenaufbereitung (Größenanpassung, Versehen mit Labeln der einzelnen Bereiche) wurden unterschiedliche Modelle einerseits mittels MatLab, andererseits mittels Keras trainiert. MatLab bietet eine gute Möglichkeit zur Visualisierung der Modelle und einen einfachen

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Import verschiedenster Formate, beispielsweise auch vortrainierte Modelle von Caffe oder Keras (MathWorks Inc. 2019a). Komplexere Deep-Learning-Architekturen erreichen aber bereits mit wenigen Bildern und nur ca. 500 Trainingsepochen eine Größe von über 100 MB, was für eine Nutzung am Smartphone eine Problematik darstellen kann. Als zweiter Ansatz wurde ein bereits bestehendes Keras-Modell, entwickelt von Akira Sosa (GitHub 2019a), verwendet, dessen Architektur sich aus dem bekannten U-Net sowie dem MobileNetsV2 zusammensetzt. Keras verarbeitet die gelabelten Bilddaten mit sogenannten Farbmasken. Für die Erkennung zur semantischen Segmentierung wurden die Klassen Wunde, Haut und Hintergrund definiert. Die Abb. 6.3 zeigt das notwendige technische Setup, um ein vortrainiertes oder ein neues Deep-Learning-Modell zu trainieren bzw. in eine iOS Applikation zu integrieren. Für das eigentliche Training des vortrainierten Modells sind das Keras Framework (Chollet 2015) und Python notwendig (Python 2019). Keras fungiert als ­Top-Level-API. Als Backend kann Tensorflow (Tensorflow 2019a), CNTK (Github 2019c) oder Theano (Theano Development Team 2016) verwendet werden. Nach dem Training (mittels Python-Scripts) ist es möglich das Modell mittels coremltools in das gewünschte mlmodel-Format für iOS zu transferieren. Bei XCode handelt es sich um die Entwicklungsumgebung von Apple, die es ermöglicht über das Core ML Framework ­Deep-Learning-Modelle in iOS Applikationen zu integrieren.

Abb. 6.3   Technisches Setup zur Erstellung der iOS Applikation mit künstlicher Intelligenz. (Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Schnalzer 2018)

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Abb. 6.4   Ergebnis der Real-Time-Anwendung mittels iOS-Applikation. (Quelle: Adaptierte Darstellung der Ergebnisse aus Schnalzer 2018)

Um eine Echtzeit-Anzeige der Ergebnisse zu ermöglichen sowie die Performanz zu testen, wurde ein bestehendes Projekt (GitHub 2019b) verwendet und für die Anforderungen zur Wunderkennung adaptiert. Die Abb. 6.4 zeigt das visuelle Ergebnis der Echtzeit-Analyse auf einem iPod-Touch.

6.5 Schlussbetrachtung In der vorgestellten iOS-Applikation wurde ein re-trainiertes Modell eines bereits bestehenden Modells (Akira Sosa (Github 2019a)) mittels Konvertierung über coremltools und Integration über Core ML verwendet. Für das Training stehen aufgrund fehlender aufbereiteter Daten, derzeit nur eine geringe Menge an Bilddaten frei zur Verfügung. Zudem benötigt ein Training eines Deep-Learning-Modells Ressourcen und Zeit. Mit der Transfer-Learning-Strategie kann die Anzahl der Wund-Bilddaten sowie die Trainingsdauer zwar reduziert werden, dennoch sollten diese Aspekte in der Entwicklung einer KI-Anwendung bedacht werden. Die automatisierte Wunderkennung ist allerdings erst der Anfang. Es stellt sich heraus, dass die konkrete Umsetzung eines KI-gestützten Wundmanagements erhebliches Wissen und große Erfahrung über die unterschiedlichsten technischen, organisatorisch-informationstheoretischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen erfordert. Dies gilt umso mehr, wenn die Anforderungen auf die semantische Interoperabilität bzw. die Workflows des Wundmanagements ausgedehnt werden sollen. Es lohnt sich trotzdem für dieses Ziel weiter zu forschen, denn die noch zu entwickelnden Konzepte und Strategien können selbstverständlich auch – in adaptierter Form – für andere Krankheits- bzw. Patientengruppen zur Anwendung gelangen.

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Robert Mischak ist Instituts- und Studiengangsleiter für eHealth an der FH JOANNEUM Steiermark. Neben seiner Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur, mit Dissertation an der TUWien, und dem Master of Public Health (Universitäten Basel, Bern Zürich), besitzt er auch ein Diplom zum NPO-Controlling (ÖCI/WU-Wien). Er war wissenschaftlicher Assistent am Ludwig-Boltzmann-Institut für Epidemiologie und Gesundheitsforschung an der KFU-Graz, ­

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Stabstellen-Leiter für Controlling bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH, Leiter Controlling und Betriebliche Organisation Merkur Versicherungs AG. Seine Fachgebiete sind Wearables und Smart Health Care, Pflegeinformatik. DRG-Systeme, Controlling und Business Intelligence sowie Epidemiologie und Gesundheitsökonomik. Vize-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pflegeinformatik (OeGPI). Bianca Schnalzer  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut eHealth an der FH JOANNEUM in Graz. Neben dem Master-Abschluss eHealth an der Fachhochschule JOANNEUM, hat sie auch die Ausbildung zur diplomierten medizinisch-technischen Fachkraft sowie Rettungssanitäterin abgeschlossen und war/ist seit über 13 Jahren mit den Abläufen im präklinischen sowie klinischem Bereich vertraut. Neben der freiwilligen Tätigkeit als Rettungssanitäterin war sie mehrere Jahre als dipl. med. technische Fachkraft in der Privatklinik Graz Ragnitz tätig. Ihre Fachgebiete sind Prozesse im Gesundheitswesen, medizinische Dokumentation bzw. Softwareentwicklung und künstliche Intelligenz. Baptiste Alcalde  ist Senior Lecturer am Institut eHealth an der FH JOANNEUM in Graz. Neben seinem Master-Abschluss in Computer Networks an der Universität Pierre et Marie Curie (Paris 6, France), hat er auch einen Master-Abschluss in Software Engineering an der Universität Denis Diderot (Paris 7, France). Mit dieser doppelten Kompetenz schrieb er seine Doktorarbeit am Institut National des Telecommunications (Evry, France). Dazu hat er mehrjährige internationale Erfahrung gesammelt, u. a. bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Berlin (FOKUS), und bei der Universität Luxemburgs als wissenschaftliche Mitarbeiter, sowie in die Industrie bei SSI Schäfer Österreich und Schweiz als Technical Trainer und Senior Developer. Seine Fachgebiete sind u. a. Softwareentwicklung, Softwarearchitektur, Datenbanken, Testing, und Sicherheit. Jeroen de Bruin ist Senior Lecturer am Institut eHealth an der FH JOANNEUM. Er hat Informatik studiert an der Universität Leiden in den Niederlanden. Nach seinem Studienabschluss promovierte er in Bioinformatik/Ontologie-Mining an der Universität Leiden in Zusammenarbeit mit dem Leiden University Medical Center (LUMC). Anschließend arbeitete er als PostDoc am LUMC, wo er sich mit Workflow-Mining und Workflow-Optimierung in der klinischen Proteomik befasste. 2011 wurde ihm eine Forschungsstelle an der Medizinischen Universität Wien angeboten, wo er sich weiter auf maschinelles Lernen und klinische Entscheidungsunterstützungssysteme spezialisierte, und eine Vielzahl klinischer Entscheidungsunterstützungssysteme konzipiert, implementiert, bewertet und veröffentlicht (über 15 von Experten begutachtete Publikationen in PubMed) hat. Seine Fachgebiete sind u. a. Interoperabilitätsstandards in der medizinischen Informatik, klinische Entscheidungsunterstützungssystemen und der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medizin.

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Die bwHealthApp: Eine Plattform und Infrastruktur zum dauerhaften dezentralen individuellen Patientenmonitoring für die personalisierte Medizin Denise Junger, Yvonne Möller, Nisar P. Malek und Christian Thies

7.1 Einleitung Auf die Frage was Personalisierte Medizin (PM) ist, wird jeder Arzt mit Recht antworten, dass er genau dies betreibt. Aus der Erfassung der individuellen Situation eines Patienten wird eine Diagnose abgeleitet und eine, auf die Person abgestimmte, Therapie entschieden. Dabei greift ein Arzt allerdings auf das Erfahrungswissen über vergangene Krankheitsverläufe zurück, das in der Regel in Form standardisierter klinischer Studien gesichert wurde (Kaefer et al. 2019). Diese evidenzbasierte Medizin erfordert ausreichend große Fallzahlen, die nicht auf individuelle Aspekte, sondern auf Gemeinsamkeiten hin untersucht werden (Evidence-Based Medicine Working Group 1992). Das Sammeln der benötigten Daten in normierter Form hat in den 1990er Jahren die Medizin verändert und wurde durch digitale Unterstützung erst effizient möglich. Dabei ist das Modell einer Beobachtung auf eine a-priori definierte Menge an Merkmalen festgelegt, um eine einheitlich systematische Auswertung zu ermöglichen, bzw. die Merkmalsausprägungen und deren Varianten überhaupt erfassen zu können (Meinecke et al. 2017). Bei der Modellierung von Krankheiten, Symptomen und D. Junger (*) · C. Thies  Hochschule Reutlingen, Reutlingen, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Thies E-Mail: [email protected] Y. Möller · N. P. Malek  Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland E-Mail: [email protected] N. P. Malek E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_7

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D. Junger et al.

Diagnosen sind die relevanten Merkmale jedoch nicht immer a-priori zu bestimmen und können oft erst a-posteriori korreliert werden. Diese Umkehrung der Betrachtung wird durch die Ansätze der explorativen Datenanalyse und des maschinellen Lernens auf großen Datenmengen möglich (Malek 2017). Grundlage ist das Erheben und Bereitstellen der entsprechenden Daten aus Umwelt und Physiologie eines Menschen bevor sich eine Krankheit bzw. gesundheitliche Änderung manifestiert. Die Methoden der Genomanalyse erlauben dies zwar auf molekularer Ebene eindeutig, Krankheiten manifestieren sich jedoch auch aufgrund von Umgebungseinflüssen. Aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge zwischen genetischen Voraussetzungen und makroskopischen Effekten reicht die alleinige Analyse des Genoms für Vorhersagen über Krankheitsprozesse bisher nicht aus (López de Maturana et al. 2019). Ein Beispiel ist die Erkennung einer Infektion anhand der Veränderung von Vitalparametern (Puls, Temperatur etc.) aus einem bekannten individuellen Normalzustand heraus, in Korrelation mit Wissen um Exposition in einem Risikogebiet. Hier lassen sich bei rechtzeitigem Eingreifen sogar vor Ausbruch der Krankheit erfolgreich therapeutische Gegenmaßnahmen ergreifen (Dusheck 2017). Allerdings steht in diesem Fall nicht a-priori gesichert fest welche Werte genau den Effekt vorhersagbar machen. Die Daten mussten „auf Verdacht“ erhoben und kontinuierlich überwacht werden. Zur Datenerhebung stehen heute Wearables zur Messung von Vitalparametern als Endverbraucherprodukte zur Verfügung. Da es sich dabei nicht um Medizinprodukte handelt, stellt sich die Frage nach Validität und Qualität der Messwerte, wobei auch hier mittlerweile entsprechendes Potential gesehen wird (Tison et al. 2018). Die breite Akzeptanz bei den Anwendern sowie die in der Fläche verfügbare internet- bzw. cloudbasierte Datenintegration ermöglicht heute konzeptionell und technisch die unspezifische Datensammlung und Auswertung für klinische individuelle Überwachung (Jeong et al. 2019). Bei der konkreten Umsetzung einer digitalen technischen Lösung ergeben sich jedoch praktische Fragen an die Architektur des Systems und die effiziente und sinnvolle Integration in klinische Prozesse. Insbesondere Datenschutz und -sicherheit erfordern bei der körpernahen drahtlosen Übertragung und der cloudbasierten Speicherung im Detail Lösungen, die Bedienbarkeit und Schutzbedarf gleichermaßen berücksichtigen (Cilliers 2019). Auch das Thema der Qualitätssicherung und damit Zulassung mobiler Gesundheitslösungen steht gegenwärtig noch am Anfang. Der Ist-Stand von Gesundheits-Apps in Deutschland wurde erstmals systematisch in der CHARISMHA Studie untersucht (Charismha 2016). Diese gibt einen detaillierten Überblick über Forschungsprojekte und Studien im Bereich der Medizin-Apps, sowie die aktuellen Herausforderungen an Entwickler, Anwender, Betreiber und Zertifizierung mobiler Gesundheitsanwendungen. Auch hier steht Deutschland noch am Anfang der nachhaltigen Nutzung digitaler Konzepte (#SmartHealthSystems 2018). Im Rahmen des bwHealthApp Projekts (Baden-Württemberg Health Application) wird dazu erstmals eine Plattform zur Dauerüberwachung von Patienten entwickelt und deren Integration in klinische Prozesse untersucht. Dabei steht die Realisierbarkeit der Infrastruktur im Hinblick auf flexible und kontinuierliche Datenerfassung im Vordergrund.

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Anhand dieser Plattform lassen sich offene Fragen im Hinblick auf medizinischen Nutzen, datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen und Anwendungstauglichkeit unmittelbar überprüfen.

7.2 Datengetriebene Medizin Die PM ist ein stark datengetriebenes Innovationsfeld der medizinischen Forschung und Versorgung und hängt damit besonders von der Weiterentwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen ab. Eine zentrale Rolle spielen die molekularen Eigenschaften des einzelnen Patienten sowie dessen individueller Krankheitsverlauf, beides ist Grundlage für die Therapieplanung. Insbesondere im Bereich molekularer Tumordiagnostik und Medikamentenentwicklung für die Krebstherapie zeichnet sich ein rasanter Fortschritt ab. Durch die Weiterentwicklung von Hochdurchsatzverfahren und funktioneller Bildgebung in Kombination mit der Einführung zielgerichteter Medikamente, die spezifisch in Kernprozesse der Krankheitsentstehung eingreifen, besteht ein großes Potential zur Verbesserung der Behandlung schwerwiegender und komplexer Erkrankungen wie Krebs (McKinsey & Company 2013). In der Versorgung werden große Datenmengen für jeden einzelnen Patienten erhoben, ausgewertet und für die Therapieplanung verwendet. Die Analyse der genetischen Veränderungen, Stoffwechselveränderungen und bildgebende Verfahren werden bereits heute in der Versorgungsroutine verwendet. Die Nutzung von weniger klar mit der Krankheit in Zusammenhang stehenden Informationen, wie etwa der Lebensstil, körperliche Aktivität, allgemeine Vitalparameter oder sozioökonomische Einflussfaktoren, nehmen jedoch an Bedeutung zu (Minich und Bland 2013). Da man in der PM immer stärker dazu übergeht Patienten im Sinne eines interagierenden Systems zu betrachten, dessen Zustand (gesund versus krank) von verschiedenen Faktoren abhängt, die alle auch den Verlauf, die Schwere der Krankheit sowie das Therapieansprechen beeinflussen, sind auch nicht direkt mit der Krankheit assoziierte Daten für ein besseres Verständnis wichtig. Insbesondere in der präventiven Medizin, die Teil der PM ist, sind solche holistischen Datenansätze in Zukunft zwingend notwendig, um die Transition von dem gesunden in den kranken Zustand des „System Mensch“ frühzeitig erkennen oder vorhersagen zu können (Bland et al. 2017). Um dies verwirklichen zu können ist der erste Schritt die Sammlung dieser Parameter und die Bewertung bezüglich ihrer medizinischen Relevanz für verschiedene Krankheitsentitäten. Der Ausbau der Datengrundlage, z. B. durch die Sammlung von Gesundheitsdaten aus Wearables und mobilen Applikationen, zeigt dabei neue Möglichkeiten für eine stratifizierte Medizin auf. Um all diese Daten jedoch sinnvoll nutzen zu können, sind sie im Hinblick auf Interoperabilität zwischen den Datenquellen innerhalb einer Versorgungseinrichtung (z. B. zwischen den verschiedenen Klinik-IT-Systemen) und zwischen den einzelnen Datensammlern (Kliniken, Zentren, Praxen und Patienten) zu harmonisieren und Standards festzulegen. Die Vernetzung von Versorgungs- und

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Forschungsdaten ist dabei eine weitere Herausforderung. Landesweite und weltweite Netzwerke haben dazu erste Initiativen eingeleitet (ZPM-Initiative BW, nNGM, Medizininformatik-Initiative, Global Alliance for Genomics and Health (GA4GH)). Trotz der Investitionen der Europäischen Kommission in dedizierte Projekte und Studien zum Thema fehlen bis heute Standards für mobile Gesundheitsdaten (European Commission 2012).

7.3 Medizinische Anwendungen Viele Patienten fordern selbst immer häufiger den Einsatz neuer Technologien zur Verbesserung der Versorgung und sehen insbesondere im Bereich der chronischen Erkrankungen die Chance auf eine verbesserte Lebensqualität (KBV 2019). Mit der steigenden Akzeptanz der Patienten gegenüber digitalen Lösungen und der stärkeren Präsenz im Alltag (Dolle 2015) ist die Durchführung regulierter klinischer Studien mit mobilen Applikationen in den letzten Jahren erleichtert worden. Im Vergleich zu einer Auswertung aus dem Jahr 2015, die in der öffentlichen und unabhängigen Datenbank „clinicaltrials.gov“ nur 50 Studien zu dem Schlagwort „mobile application“ fand (LoPresti et al. 2015), sind Stand Mai 2019 863 Studien zu finden, davon 269 aktiv rekrutierende. Erweitert man die Auswahl auf Studien mit den Inhalten „Tracker“, „Smart-Watches“, „Biosensors“ und „Wearables“ erhält man 2400 angemeldete klinische Studien weltweit (siehe Abb. 7.1).

Abb. 7.1   Auf der Seite „clinicaltrials.gov“ weltweit registrierte klinische Studien mit dem Schwerpunkt mHealth. Dargestellt sind die sechs häufigsten Krankheitsentitäten (Stand 20.05.2019). (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

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Mobile Health-Lösungen (mHealth) kommen überwiegend bei chronischen Erkrankungen zum Einsatz (WHO 2011). In Europa zählen zu den häufigsten die kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Krebs und psychologische Erkrankungen (Busse et al. 2010). In etwa ¼ der Studien werden Fitness-Tracker, Sensoren und andere Geräte zur Aufzeichnung von Biosignalen und Umgebungsinformationen verwendet. Weitaus häufiger sind mobile Anwendungen, zum Beispiel zur Eingabe von Nebenwirkungen und der Bewertung des Gesundheitszustandes (Patient Reported Outcomes (PRO)) oder zur Unterstützung der Therapieadhärenz (Erinnerungsfunktionen, positive Verstärkung der Therapie). Daneben gibt es Anwendungen, die selbst Teil der Therapie sind. Dies ist vor allem im Bereich der psychologischen Erkrankungen und in der Augenheilkunde möglich. Aufgrund neuer Entwicklungen im Bereich der Glukosemessung sind mHealth Studien beim Diabetes ebenfalls auf dem Vormarsch, neben Aktivitätsmessungen bei der Kontrolle des Körpergewichts werden detaillierte Diagnostikdaten erfasst. Hierbei können Sensoren verwendet werden, die eine Zertifizierung als Medizinprodukt besitzen und somit verlässliche Daten liefern (Aberer et al. 2017). Dies ist bei der Verwendung von Fitness-Trackern nicht der Fall, da die Daten häufig in grober Granularität und zumeist interpoliert erfasst werden. Studien im Bereich komplexer, multifaktorieller Erkrankungen wie Krebs sind im Gegensatz dazu noch weitgehend am Anfang, dennoch sind aktuell eine Vielzahl an klinischen Studien gestartet worden (ca. 178 Studien, davon 112 zurzeit offen), was auch die Hoffnungen und die Erwartungen gegenüber den verfügbaren ICT-Lösungen aufzeigt. Einzelne Vitalparameter, wie die Herzraten-Variabilität oder die körperliche Aktivität, wurden als prognostische Marker in verschiedenen Studien identifiziert (Kloter et al. 2018; Friedenreich et al. 2016). Bei anderen messbaren Vitalparametern ist die Relevanz unklar, oder es besteht nicht zwingend eine singuläre Kausalität zwischen dem Biosignal und dem Krankheitsverlauf, sondern vielmehr müssen Gesundheitsprofile der Patienten aus einer Vielzahl von Parametern mit dem Zustand des Patienten korreliert werden. Dazu sind mehrere zum Teil kostenintensive Sensoren und für die Auswertung bioinformatische Algorithmen anzuwenden. Eine Übersicht über Studien mit einem vornehmlichen Forschungsaspekt und medizinnahen mHealth-Lösungen sind in der CHARISMHA Studie dargestellt (Charismha 2016).

7.4 Wearables für die Medizin Körpernahe Sensoren zur Erfassung individueller Vitaldaten sind in der Medizin seit langem etabliert. Das Konzept Biosignale eines Patienten während natürlicher Aktivitäten zu erfassen wurde bereits im Jahr 1947 mit dem Radioelektrokardiogramm mobil ermöglicht, wobei die Technologie mit 85 Pfund Gewicht in keiner Weise alltagstauglich war (NMAH 2011). Das vermutlich bekannteste Beispiel klinisch etablierter Technologie ist der kabelbasierte Holter Monitor zur mobilen Aufzeichnung von Langzeit Elektrokardiogrammen

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(EKG) zwischen 12 und 72 h. Er wurde 1965 zum Patent angemeldet (NMAH 2011). Mobile Sensoren wie Pulsoxymeter sind etwa seit Mitte der 1980er Jahre etabliert. Beispiel ist eine klinische Studie aus den Jahren 1989–1992, in der Eltern von Frühgeborenen mit mobilen Sensoren zur Heimüberwachung ihrer Kinder ausgestattet wurden, um Verbesserungsmöglichkeiten der Versorgung zu untersuchen (Poets et al. 1993). Zum damaligen Zeitpunkt war die Bedienung der Geräte mit erheblichem Schulungsaufwand verbunden und die Sensorverbindung kabelbasiert. Klinische Nutzung mobiler körpernaher Sensoren im Gesundheitswesen Die Entwicklung hochintegrierter mobiler Geräte im Zuge der digitalen Vernetzung zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat zu einer Vielzahl erster praktischer Konzepte der Vernetzung von Sensoren für die körpernahe Datenerhebung in der Medizin geführt (Schmidt et al. 2002; Konstantas et al. 2004; Jovanov et al. 2004). Dabei wurde das Grundkonzept der Body Area Networks (BAN) beschrieben und prototypisch umgesetzt. Ein Satz von Sensoren (Body Sensor Unit (BSU)) kommuniziert drahtlos über kurze Entfernung mit einer zentralen Einheit (Body Central Unit (BCU)), die die Daten über einen Netzwerkzugang an einen Server überträgt und bereitstellt (Schmidt et al. 2002). Die Entwicklung der Lösungen blieb zunächst auf Forschungseinrichtungen und prototypische Umsetzungen beschränkt. Dabei wurden Aspekte wie die Nutzung von Übertragungsraten, Akkulebensdauer, jeweils aktueller Mobilfunkstandards, Softwareentwicklung und die medizinischen Einsatzmöglichkeiten untersucht (Wac et al. 2009). Mittlerweile bieten Medizingerätehersteller hochintegrierte Anwendungen für die spezifische medizinische Datenerfassung an und Leistungserbringer, wie beispielsweise Pflegedienste, betreiben digitale Lösungen zur Teleüberwachung. Aktuell sind Einwegsysteme, z. B. selbstklebende EKG Sensoren, die ohne weitere Verkabelung Langzeitaufnahmen von ca. 14 Tagen gestatten, Gegenstand der Untersuchung (Dincer et al. 2019). Messungen werden von Ärzten im Rahmen eines Behandlungsfalls befristet veranlasst und die anfallenden Daten mithilfe bereitgestellter Softwarewerkzeuge zu festen Zeitpunkten ausgewertet, um eine Diagnose stellen bzw. eine Therapieentscheidung treffen zu können. Die Lösungen sind herstellerspezifisch und nur in entsprechende Umsysteme integrierbar (Philips 2019). Gründe hierfür reichen von regulatorischen Vorgaben wie der Herstellerverantwortung für Datenschutz und Sicherheit bei Medizinprodukten (Europäische Union 2017), Risikoabschätzungen (DIN 80001 2011) bis hin zur Abgrenzung gegen Wettbewerber. Diese Rahmenbedingungen führen zu proprietären Lösungen (closed platform, closed loop). Trotz zahlreicher Projekte, Initiativen und innovativer Start-Ups existiert in Deutschland darüber hinaus bis heute kein einheitlicher Standard zur Kommunikation, Integration und Nutzung mobil gesammelter Gesundheitsinformationen. Nutzung mobiler körpernaher Sensoren durch Endverbraucher Parallel zu dieser Entwicklung in der stark regulierten Medizindomäne ist die Sensortechnologie zur Messung von Vitalparametern zu einem Produkt des Massen- und Endverbrauchermarktes geworden. Anwendungsgebiete sind die Überwachung der körperlichen Fitness,

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aber auch die persönliche Optimierung des Gesundheitsverhaltens im Alltag. Der Markt für biomedizinische Sensoren zur individuellen Überwachung von Gesundheitsdaten im Endverbrauchermarkt ist von 28.8 Mio. verkauften Geräten im Jahr 2014 auf 172.2 Mio. Geräte im Jahr 2018 gewachsen (Statista 2019b). Hersteller wie Apple, Xiaomi, Fitbit, Huawei oder Samsung setzen auf Geräte, die am Handgelenk getragen werden, aber auch Sensoren in Kleidungsstücken oder im Ohr sind gefragt (Richter 2018). Mit dem Aufkommen von Smartphones steht heute auch eine flexibel nutzbare Plattform als BCU zur Verfügung, die gegenwärtig 3 Mrd. Menschen im Alltag nutzen (Statista 2019a). Heutige Smartphones verfügen über Methoden zur Messung von Vitalparametern wie Inertialsensoren zur Bewegungsmessung, z. B. für Schrittzähler, oder Pulsoxymeter zur Messung von Puls oder Sauerstoffsättigung. Hinzu kommen Schnittstellen zur drahtlosen Kurzreichweitenkommunikation mit externen Sensoren. Gegenwärtig stellt fast jeder Anbieter von Wearables eine Smartphone App und Cloudspeicher zur Anzeige und Verwaltung der Daten bereit. Im Gegensatz zu medizinischen Geräten findet die Messung kontinuierlich bzw. anlasslos und willkürlich durch den Anwender statt. Ferner ist in der Regel nicht bekannt in welcher Form Hersteller die rohen Sensordaten vorverarbeiten, z. B. interpolieren. Eine Ableitung gesundheitlicher Maßnahmen aus Messwerten ist dabei an individuelle Wahrnehmung gekoppelt, z. B. als Änderung des Trainingsverhaltens im Fitnessbereich. Wird ein Arzt aufgrund derart erhobener Messwerte konsultiert, ist Nachvollziehbarkeit oftmals nicht gegeben. Technische Grundlagen für die Nutzung von Wearables Die Standards zur Kurzreichweitenkommunikation, die für das Internet of Things genutzt werden, sind per se offene Standards, um Herstellern unterschiedlicher Sensoren und Systeme die effiziente Entwicklung und Integration neuer Systeme zu ermöglichen. Für die Smartphone-Wearable-Integration hat sich aktuell der Bluetooth bzw. Bluetooth Low ­ Energy (BLE) Standard etabliert (Bluetooth 2019c). Damit lassen sich über die Generic Attribute Profile (GATT) flexibel Datenbeschreibungen definieren. Diese ermöglichen es prinzipiell jedem Sensor mit BLE Einheit, Informationen an das Smartphone zu übermitteln (Bluetooth 2019b). Im Standard sind dazu bereits GATT Charakteristiken für Gesundheitsanwendungen, wie z. B. Blutdruck, definiert. Hersteller von ­ Smartphone-Betriebssystemen stellen zur Verbindung mit BLE-fähigen Sensoren Entwicklerwerkzeuge auf Basis von Open-Source Lizenzen zur Verfügung, die aufgrund verbreiteter Nutzung durch zahlreiche Anwender sowie Herstellerpflege kontinuierlich getestet und verbessert werden (Bluetooth 2019a). Dies gestattet effiziente Produktentwicklungszyklen mit aktuellen Implementierungen. Aufgrund der domänenübergreifenden Nutzung der Technologie etabliert sich darüber hinaus eine breite und nachhaltige Entwicklergemeinschaft, in der übergreifende Themen wie Datensicherheit bearbeitet werden. Zusammenführung von medizinischen Anforderungen und Endanwendernutzen  Die Abgrenzung der Endanwendertechnologie von der medizinischen Domäne manifestiert sich im Hinblick auf den Einsatz von Wearables in zwei Punkten.

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1. Die regulatorischen Voraussetzungen und der damit verbundene Aufwand für medizinische Geräte sind für die Hersteller von Wearables im Massenmarkt eine große Herausforderung. Aufwendige Zulassungsprozesse und klinische Leistungserbringer als vergleichsweise kleine Anwendergruppe stehen Endanwendern als unregulierter und viel größerer Abnehmerkreis gegenüber, was zur Fokussierung auf den lukrativen Massenmarkt führt (Statista 2019c). 2. Im Hinblick auf Zuverlässigkeit und klinischen Nutzen bieten regulierte Medizinprodukte zur gezielten Messung von Vitalparametern eine größere Sicherheit als beliebige unregulierte Endanwendergeräte. Allerdings liefern auch mit letzteren anlasslos gemessene Vitalparameter de facto Informationen über den Gesundheitszustand, da sie größere Zeiträume abdecken und dabei seltene Ereignisse beobachten können. Hinzu kommt die Akzeptanz durch Anwender im Alltag. Aktuell liefern immer mehr Untersuchungen und Beobachtungen starke Indizien für die Eignung von Endanwendergeräten zur individuellen Gesundheitsüberwachung und dem Erkennen von Krankheiten (Dusheck 2017; Tison et al. 2018; Dias und Paulo Silva Cunha 2018). Endanwender-Wearables sind in klinischen Anwendungsszenarien sinnvoll, in denen anlassbezogene Messungen von Vitalparametern mit regulierten Medizinprodukten nicht ohne weiteres möglich sind. Dazu ist zunächst eine technische Plattform erforderlich, mit der generische Zusammenstellungen von Vitalparametern dezentral und patientennah erhoben werden können. Diese Plattform muss in bestehende klinische Prozesse integriert werden, um ihren Nutzen im Rahmen von Studien evaluieren zu können. Ferner sind auf den Verbindungen zwischen Wearable und Smartphone sowie dem Smartphone selber geeignete Verschlüsselungstechniken zu etablieren, die auch bei Geräteverlust größtmöglichen Schutz bieten. Aus technischer Sicht kann dabei auf die dargestellte breite Basis an Konzepten, Vorarbeiten, Werkzeugen und Geräten zugegriffen werden, wobei aktuell kein generisches, integriertes und freies Entwicklungsframework zur direkten Umsetzung zur Verfügung steht und deshalb entwickelt werden muss (Hasan et al. 2018).

7.5 Konzept der bwHealthApp Mit der bwHealthApp wird eine herstellerunabhängige, offene und integrative IT-Plattform, bestehend aus einem zentralen Server und dezentralen Gateway­ Anwendungen für BANs, angestrebt. Das System soll eine individuelle Konfiguration der BAN für geeignete medizinische Anwendungsfälle ermöglichen. Werkzeuge zur kontinuierlichen Datenerfassung mit kommerziell verfügbaren Wearables sowie zur Untersuchung und Validierung der Messwerte sollen dabei verfügbar gemacht werden.

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Des Weiteren sollen Schnittstellen zu Systemen für die automatisierte Datenanalyse, das Konfigurieren von Alarmen und das Lernen von Prädiktoren entwickelt werden. Die Anforderungsanalyse basiert initial auf Interviews mit den Stakeholdern des Zentrums für Personalisierte Medizin (ZPM) des Universitätsklinikums Tübingen. Innerhalb der konkreten Anwendungsfälle wurden dabei die allgemeinen Funktionalitäten bezüglich der Änderbarkeit, Erweiterbarkeit, Konfigurierbarkeit und Flexibilität berücksichtigt.

7.5.1 Anwendungsfall Onkologie Die PM ist in der Onkologie am weitesten fortgeschritten. Die Datengrundlage hierbei sind in erster Linie genetische Analysen und der individuelle Krankheitsverlauf. Sukzessiv werden diese um weitere molekulare Marker (Transkriptom, Metabolom etc.) und Daten aus der funktionalen Bildgebung ergänzt (Malek 2017). Die Integration von Biosignalen, also physiologischen Informationen, steht noch am Anfang. Zum einen sind kardiovaskuläre Komplikationen eine häufige Nebenwirkung der Krebstherapie selbst (Marangou et al. 2018) und zum anderen konnten verschiedene Publikationen einen klaren Zusammenhang zwischen der Herzratenvariabilität und der Krankheitsprognose bzw. dem Eintreten von schweren Komplikationen bis hin zum Tod zeigen (Boehm et al. 2018; Guo et al. 2015). Deshalb ist eine Risikostratifizierung auf Basis von Biosignalen und eine mögliche Prädiktion für das Eintreten von Nebenwirkungen ein wichtiger Teil der Tumortherapie. Daneben könnten die gewonnenen Daten auch für weitere Prädiktionsmodelle, zum Beispiel zur Vorhersage des Therapieansprechens oder des Therapieversagens, nutzbar sein und somit noch vor Eintreten einer Progression eine Therapieanpassung ermöglichen. Dieser Anwendungsfall wurde aufgrund der hohen gesellschaftlichen Relevanz von Krebs und der bereits vorhandenen Evidenz für die Nutzbarkeit von Biosignalen zur Risikostratifizierung und dem Potential der Daten für Prädiktionsmodelle für die Entwicklungsphase der bwHealthApp ausgewählt. Das Monitoring von Patienten, die sich einer Chemotherapiebehandlung in der medizinisch-onkologischen Versorgung der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikum Tübingen unterziehen, bietet eine abgeschlossene Umgebung für die systematische Evaluation. In diesem Fall kann die kontinuierliche Beobachtung der Vitalparameter des Patienten die Erkennung kritischer Situationen oder allgemeiner Veränderungen des Patientenzustands unterstützen (Ohri et al. 2017). Da eines der Hauptziele der medizinischen Betreuung darin besteht, einen Patienten in seiner gewohnten Umgebung zu halten, muss die Datenerfassung so flexibel wie möglich sein und darf den Alltag so gering wie möglich beeinträchtigen. Die kontinuierliche Verwendung von verfügbaren und benutzerfreundlichen Wearables kann medizinische Daten mit allen Einschränkungen der unbeaufsichtigten Anwendung aus einer bisher unzugänglichen Situation liefern.

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7.5.2 Use Case Szenarien Die identifizierten Use Case Szenarien bilden die Grundlage für das Konzept der bwHealthApp. Patientenregistrierung  Der erste Schritt in der Behandlung ist die Patientenregistrierung und -konfiguration. Ein zu beobachtender Patient wird vom behandelnden Arzt im Laufe der medizinischen Versorgung in der bwHealthApp registriert. Hierzu wird die Anwendung auf dem Smartphone des Patienten installiert. Nach der Installation erfolgt die Erstregistrierung des Patienten, beispielsweise mittels eines QR-Code-Scans. Die persönlichen Daten des Patienten werden über die International Mobile Subscriber Identity (IMSI) mit dem Smartphone verknüpft, welches als BAN-Gateway verwendet werden soll. Dies ermöglicht, die Patienten- und Sensordaten pragmatisch miteinander zu assoziieren. Die IMSI wird zudem zur Identifikation während des Betriebs verwendet. Für die Festlegung des Anwendungsfalles des Monitoring-Szenarios konfiguriert der behandelnde Arzt im Anschluss der Registrierung die Funktionalitäten und Sensoren, die der Patient benötigt. Sensorkonfiguration  Für die Sensorkonfiguration wählt der Arzt einen Satz von Vitalparametern aus, die für den aktuellen Patienten im konkreten Anwendungsfall gemessen werden sollen. Ein Katalog stellt hierfür verfügbare Parameter, wie beispielsweise die Herzfrequenz oder die Temperatur, zur Verfügung. Diese basieren auf Standards für Gesundheitsparameter, wie den GATT Charakteristiken, die von BLE verwendet werden. Basierend auf diesem etablierten Protokoll wurde das System konzipiert, wobei das Datenmodell auch für die Verwendung anderer Protokolle, wie z. B. ZigBee, ausgelegt ist. Für jeden Parameter wird die erforderliche Abtastrate, die Datenaggregation und das Synchronisationsschema definiert. Ärzte können ebenfalls Formulare (Case Report Forms (CRF)) definieren, um PROs in strukturierten und reproduzierbaren Fragebögen über das Smartphone zu erfassen. Die Konfiguration wird auf dem bwHealthApp-Server hinterlegt und auf das Smartphone des Patienten übertragen. Geräteinitialisierung und -messung Für die erste Nutzung der Smartphone App müssen die Geräte und Messungen konfiguriert werden. Benötigt der medizinische Anwendungsfall keine spezifischen Geräte, kann der Patient die von ihm bevorzugten Wearables verwenden, vorausgesetzt sie stellen die notwendigen Schnittstellen und Parameter bereit. Die Smartphone App scannt nach verfügbaren Geräten in der Umgebung und verbindet sich mit geeigneten Wearables. Auf diesen wird geprüft, welche Vitalparameter von welchem Gerät abgedeckt werden. Die konkrete Zuordnung kann bei Bedarf während des Betriebs angepasst werden. Auf Basis der vom Arzt erstellten Konfiguration werden für jeden Vitalparameter (z. B. Charakteristik) Hintergrunddienste für jeden spezifischen Sensor separat initialisiert, um die Messdaten kontinuierlich zu erfassen.

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Datenerhebung  Nach dem Start der Datenübertragung werden die Sensordaten der angebundenen Wearables im definierten Intervall im Hintergrund erfasst. Für jeden Gesundheitsparameter werden die empfangenen Rohdaten interpretiert, gespeichert und auf dem Smartphone des Patienten visualisiert. Die gespeicherten Daten enthalten eine eindeutige ID des Parameters (z. B. Charakteristik UUID), die Sample ID, den Rohwert, den interpretierten Wert, einen Zeitstempel, die persönliche ID und die I­MSI-Nummer. Für Fragebögen in Form von Formularen oder einzelnen Werten erhält der Patient ein Pop-Up oder eine Nachricht in dem definierten Intervall. Nach Eingabe der Informationen in die CRF werden die Daten auf den Server übertragen und gespeichert. Konnektivität, Flexibilität und Betrieb Bei der Datenerfassung werden weitere Funktionalitäten benötigt, um mit fehlerhaften Verbindungen, Rückmeldungen bei Fehlern und dem Wiederherstellen von Verbindungen umgehen zu können. Diese werden durch das BAN realisiert. Im Gegensatz zu derzeit genutzten klinischen Monitoring Ansätzen zur Beobachtung von Patienten (z. B. Langzeit EKG), muss diese Unvorhersehbarkeit im Hinblick auf die klinische Nutzbarkeit evaluiert werden. Auch die Datensynchronisation mit dem zentralen Server erfordert eine Validierung im Hinblick auf kontinuierliche oder paketweise Übermittlung. Eine grundlegende Herausforderung ist zudem die allgemeine Benutzerfreundlichkeit für Patienten mit eingeschränkten Möglichkeiten, die Smartphone App zu nutzen. Um den Nutzer bei Bedarf über relevante Ereignisse oder Nachrichten der behandelnden Ärzte zu informieren, muss die Smartphone App Nachrichten und Alarme ermöglichen. Die von der Smartphone App zu erfassenden Parameter, deren Konfiguration, Aggregation und Interpretation sowie unterstützte Wearables können während der Nutzung geändert, aktualisiert oder gelöscht werden. Dies erfordert eine flexible ­Software-Infrastruktur für effiziente Auslieferung und Betrieb der Smartphone App durch den Patienten. Hierfür bieten App Stores etablierte Konzepte für das Versionsmanagement und stabile Bereitstellungsmechanismen. Datenschutz und -sicherheit  Die sichere Verbindung zwischen Smartphone und Server wird über Client- und Serverauthentifizierung mittels Zertifikaten realisiert. Letztere werden bei der Registrierung erzeugt, ausgetauscht und im Identitätsmanagement verwaltet. Die Verschlüsselung der Kommunikation zwischen Sensoren und Smartphones stellt besondere Anforderungen an Schlüsselaustausch und Akkuleistung und damit die Nutzungsdauer des Systems. Hier bieten Protokolle, wie BLE oder ZigBee, Ansätze, die allerdings im Betrieb im Hinblick auf Risiken evaluiert werden müssen.

7.5.3 Systemeigenschaften und Anforderungen Aus den Use Case Szenarien ergeben sich folgende Systemeigenschaften und Anforderungen.

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Funktions- und Qualitätsanforderungen Kernaufgabe des bwHealthApp-Systems ist die zentrale Erfassung einzelner Gesundheitsdaten aus dezentralen Datenquellen (BANs). Die erfassten Daten werden für diagnostische Zwecke und zur Anreicherung bestehender Patientendaten verwendet, die bereits in anderen Informationssystemen verfügbar sind. Zudem sollen den behandelnden Ärzten alle Daten zur Patientenbetreuung zur Verfügung gestellt werden. Das Monitoring von Daten ist im Gegensatz zu klassischen begrenzten Ansätzen (z. B. Langzeit EKG) kontinuierlich und unbegrenzt möglich. Einflussfaktoren und Randbedingungen Einflussfaktoren für das System sind die Hard- und Softwareinfrastruktur des Betreibers und die kontinuierliche Weiterentwicklung von Smartphones und Wearables. Einflüsse von technischen Gegebenheiten, wie der Leistung von Smartphone- und Serverprozessoren, der Akkulaufzeit, des verfügbaren Speichers und der Netzwerkanbindung, müssen im Betrieb untersucht werden. Auch andere Faktoren, wie der Betrieb der App im Offline- und Online-Modus und die Verfügbarkeit des zentralen Systems, sind relevant. Die Software basiert im Hinblick auf Evolutionsfähigkeit auf existierenden und bei Bedarf effizient austauschbaren Komponenten. Die Kommunikation basiert auf standardisierten Protokollen und ist damit in verfügbare Infrastruktur integrierbar.

7.5.4 Systemarchitektur Die Architektur der bwHealthApp basiert auf einem Schichtenmodell, in dem Daten von Wearables in persistierenden Datenbanken abgebildet werden (siehe Abb. 7.2). Client  Die Smartphone App und die Wearables (BAN) bilden aus Systemsicht einen Client, in dem die App als Datenintegrationssystem mit Modulen zur Wearableanbindung, dem Datenmanagement, der Benutzerinteraktion und -verwaltung sowie der Verbindung zum Server fungiert (siehe Abb. 7.3). Die App verfügt über Schnittstellen, über die das System Wearables scannen, sich mit einem Wearable verbinden und Daten lesen, streamen oder schreiben kann. Diese Funktionalitäten werden vom Connection Controller bereitgestellt, der als Background Service auf dem Smartphone läuft. Diese Steuereinheit kommuniziert mit dem Data Manager der Anwendung, der alle Prozesse der Smartphone App steuert. Die aufgezeichneten Daten werden zunächst an den Data Processor und den Interpreter weitergeleitet, wo sie, abhängig von der Konfiguration durch den Arzt, konvertiert oder aggregiert werden. Die aufbereiteten Daten werden daraufhin im App Storage gemäß dem konfigurierten Synchronisationsschema persistiert. Über den Sync Adapter wird der App Storage mit der zentralen Serverdatenbank synchronisiert. Der Data Manager initiiert hierfür den Datentransfer zum Gateway des klinischen Servers, um Authentifizierung und Datensicherheit zu gewährleisten. Alle Daten inklusive Systemstatus und Konfiguration

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Wearable 2

Wearable 1

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Wearable […]

Request/ Response

Smartphone App Req/Res Client Server

Gateway Req/Res Controller

Subsystems …

Databases …

External Systems

Internal Systems

Req/Res Subsystem 1

Subsystem […] Req/Res

Database 1

Database […]

Abb. 7.2   Übersicht der Systemarchitektur der bwHealthApp. (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

Wearable 2

Wearable 1 App

App

Wearable […]

Connecon Controller (Background Services)

Interpreter

Data Processor

App Storage

Sync Adapter

Data Manager

GUI

User

Server

[…]

Abb. 7.3   Übersicht des Aufbaus der Smartphone App. (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

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der App können in grafischen Benutzeroberflächen (GUI) eingesehen werden. Über die Module der GUI können, neben Wearable Daten, manuelle und aus Ereignissen entstandene Daten erfasst und im App Storage gespeichert werden. Das Ändern der Konfigurationen ist ein weiterer Anwendungsfall, der über die GUI möglich ist. Server  Das Gateway bildet die Schnittstelle zwischen Client und Server und verwaltet die Authentifizierung und den Zugriff auf die klinische Infrastruktur. Dabei wird sowohl eine synchrone als auch asynchrone Kommunikation durch standardisierte Protokolle, z. B. zum Austausch von Konfigurationen, unterstützt. Der Fast Healthcare Interoperability Resources (FHIR) Standard (HL7 2018), der die JavaScript Object Notation (JSON) nutzt, wird als Hauptschnittstellentechnologie in Bezug auf die Systemerweiterbarkeit, Nachhaltigkeit und Interoperabilität eingesetzt. Der Controller des Servers sendet die Daten an die gekapselte Anwendungslogik der internen und externen Subsysteme. Die internen spezifischen Subsysteme der bwHealthApp verarbeiten Verwaltungsdaten bezüglich der Benutzeridentifikation, registrierter Geräte und individueller Parameterkonfigurationen sowie Laufzeitdaten, wie zugeordnete Sensoren und Messwerte. Ergänzt werden diese durch Systeme zur Datenvisualisierung, Diagnoseunterstützung und Benachrichtigung. Das Identitätsmanagementsystem stellt die Authentifizierungsdaten für das Gateway zur Verfügung. Die bwHealthApp ist auf die Interoperabilität mit externen Anwendungen für die klinische Informationsverarbeitung, wie Krankenhausinformationssysteme (KIS) oder Tumorboards, ausgelegt. Die App dient zudem als Datenquelle für Forschungsanwendungen, wie beispielsweise zum maschinellen Lernen, für die Entwicklung von Prädiktoren oder für die evidenzbasierte Medizin. Hierfür stellt die Gesundheits-App die erforderlichen Data Warehousing-Tools zur Verfügung.

7.5.5 Funktionalitäten des Systems Jede der Hauptkomponenten implementiert spezifische Funktionalitäten entsprechend dem Kommunikationsmodell, das anhand der Anwendungsfälle und Anforderungen erstellt wurde. Kopplung von Wearables und Smartphone-Anwendung Um eine Verbindung zu einem Gerät herzustellen, antwortet die Smartphone App auf Advertising Nachrichten der verfügbaren Wearables. Nach dem Verbindungsaufbau werden Advertising Daten der unterstützten Gesundheitsparameter abhängig vom verfügbaren Protokoll übertragen. Durch die konfigurierten Wearables, Messkonfigurationen und GUI-Module werden definierte Vitalparameter automatisch über die Background Services angefordert, erfasst und verarbeitet. Die Rohdaten eines Sensors werden über die entsprechende eindeutige ID des zugeordneten Gesundheitsparameters interpretiert. Hierfür kann eine eigene Interpretationslogik für jeden Parameter bereitgestellt werden.

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Für die Erfassung von PROs werden manuelle Eingaben von Gesundheits- und Ereignisdaten unterstützt. Die Erhebung von Daten aus unterschiedlichen Quellen ist unabhängig von Art und Anzahl der verwendeten Wearables und Formulare. Die Erstregistrierung über IMSI macht die Daten assoziierbar. Gateway und Controller  Für das zentrale Management innerhalb der klinischen Infrastruktur werden alle Daten vom Client über spezifische FHIR-Service Contracts an das Gateway übertragen. Eingehende Nachrichten werden dort hinsichtlich ihrer Gültigkeit, Konformität etc. bewertet. Die Datensicherheit wird durch etablierte Protokolle (TLS 2.0) und Authentifizierungsmechanismen (X.509 Zertifikate) gewährleistet. Nach Überprüfung werden die Nachrichten dem Controller zur Verteilung auf die einrichtungsspezifischen Subsysteme übergeben. Hierfür kommuniziert der Controller sowohl mit den internen Subsystemen der bwHealthApp, z. B. dem Identitätsmanagement, als auch mit externen Subsystemen, z. B. einem KIS zur Übertragung von Patientendaten, via medizinischer Standardschnittstellen (HL7, DICOM). Subsysteme und Datenbanken Interne administrative Subsysteme übernehmen die Kontrolle über die Datenverwaltung für Benutzeridentitäten, Geräte- und Messkonfigurationen usw. Dadurch können individuelle Monitoring Fälle verwaltet werden. Das System ermöglicht die Visualisierung der individuell erfassten Daten und wird im ersten Schritt von Ärzten zur manuellen Auswertung in der individuellen Versorgung genutzt. Da es noch keine medizinischen Richtlinien für den Einsatz des individuellen Monitorings in der PM gibt, kennzeichnet dies die aktuelle Systemgrenze. Die Anreicherung der elektronischen Akte eines Patienten in einem externen medizinischen Informationssystem erfordert die Übermittlung der Daten aus der bwHealthApp via Controller. Die Schnittstellen zur Übertragung von Daten, wie z. B. medizinische Ergebnisse an externe Subsysteme zum Erlernen von Prädiktoren und dem damit möglichen automatisierten Auslösen von Alarmen, werden bereitgestellt.

7.5.6 Flexibilität des Konzepts Zum Verbindungsaufbau mit einem Wearable werden je nach Hersteller der Geräte etablierte Protokolle, wie BLE, ZigBee oder MQTT, genutzt. Durch den Komponentenaufbau der Smartphone App findet eine Kapselung der spezifischen Protokolltreiber im Connection Controller statt. Die gelieferten Daten eines Sensors können abhängig von einer medizinischen oder technischen Vorgabe durch eine spezifische und frei konfigurierbare Logik im Data Processor interpretiert und transformiert werden. Dazu wird beispielsweise bei BLE die entsprechende eindeutige UUID der GATT-Charakteristik zur Zuordnung eines Wertes genutzt. Innerhalb eines vom Sensor gelieferten Samples einer einzelnen Charakteristik können zudem mehrere und auch unterschiedliche Sensorwerte in verschiedenen

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Kombinationen übertragen werden, was zu einer uneinheitlichen Repräsentation von sequenziell aufgezeichneten Daten führt. Als generisches Modell ordnet der Interpreter deshalb die unterschiedlichen Sensordaten aus einem Sample seinen spezifischen konfigurierten Datentypbeschreibungen zu, um diese individuell zu interpretieren. Ein Beispiel für eine herstellerseitig intransparent zusammengesetzte Charakteristik stellt das Heart Rate Measurement (UUID 0 × 2A37) des cosinuss° One Sensors (Cosinuss 2019) dar, das die Herzfrequenz, unregelmäßig gefolgt von keinem, einem oder mehreren RR-Intervall(en), enthält. Durch die für diesen Parameter implementierte Interpretationslogik werden die übertragenen Werte entsprechend ihrer Datentypbeschreibung (z. B. Herzfrequenz) aufgetrennt und weiterverarbeitet. Die Rohwerte und interpretierten Werte sowie die UUID, Datentypbeschreibungs ID, Wearable ID, persönliche ID und Zeitstempel werden zur Protokollierung der Messung gespeichert. Diese Flexibilität lässt sich im selben Maße auch auf andere Protokolle und Standards für Sensorwerte übertragen. Das flexible Abbilden der Messdaten ist ein wesentlicher Bestandteil des Datenmodells der bwHealthApp. Hierfür wird die Zuordnung von Wearable, Sensordaten und Interpretationslogik zur Darstellung der Wearable Konfiguration realisiert. Unterschiedliche Datentypbeschreibungen innerhalb von Gesundheitsparameter-Repräsentationen (z. B. Herzfrequenz und RR-Intervall in der Charakteristik Heart Rate Measurement) werden durch eindeutige Datentypbeschreibungsmodelle dargestellt, und den entsprechenden Gesundheitsparametern zugeordnet. Die Kombination aus Wearable, Gesundheitsparameter und Datentypbeschreibung wird dann mit den medizinisch relevanten Daten assoziiert. Dies gewährleistet die frei konfigurierbare Zuordnung von herstellerspezifischen Sensorwerten zu einer semantischen medizinischen Repräsentation.

7.6 Integration von medizinischen Abläufen und IT Die Integration der bwHealthApp in den klinischen Betrieb ermöglicht und erfordert neue Konzepte zur Nutzung der im Alltag erhobenen Daten in der Versorgung. Im Hinblick auf die technische Umsetzung sind neue Nutzungskonzepte für Sicherheit und Betrieb erforderlich.

7.6.1 Erarbeitung klinischer Nutzungskonzepte Chronische Erkrankungen, wie Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs, stellen eine starke Belastung für die Betroffenen, das Gesundheitswesen und die Ökonomie des Landes dar. Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit an einer dieser Krankheiten oder einer Kombination aus diesen zu erkranken, besonders diese multimorbiden Patienten sind schwer zu behandeln (Robert Koch-Institut 2016). Um diese Volkskrankheiten besser verstehen zu können sind große Populationsstudien und Datensammlungen notwendig,

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z. B. in klinischen Krebsregistern (BGBL 2013). Im Bereich der Bioprobensammlungen gibt es bereits nationale und europäische Verbünde (GBN, BBMRI-ERIC). Die Sammlung von molekularen Daten und deren Standardisierung wurde in den letzten Jahren durch nationale Verbundprojekte (nNGM, ZPM-BW, Medizininformatik-Initiative) stärker in den Mittelpunkt gerückt. Die Integration von mHealth-Daten spielt dabei aber bislang noch keine Rolle. Bereits 2010 wurde in dem von der WHO beauftragten Report „mHealth – New horizons for health through mobile technologies“ (WHO 2011) gefordert ­ICT-Technologien zu nutzen, um die Datenlage für chronische Erkrankungen sowie die Versorgungsqualität zu verbessern. Dennoch ist die Anwendung in Europa weiter verhalten. Im Vergleich zu den USA sind die europäischen Länder in der Studienaktivität weit abgeschlagen (siehe Abb. 7.4). Neben der initialen Sammlung der Daten ist vor allem die Integration der mHealth-Daten mit den bereits existierenden klinischen Daten notwendig, um ein ­ gesamtheitliches Bild des Patienten zu erhalten. Dabei sind im stark regulierten Umfeld der klinischen Versorgung verschieden Hürden zu nehmen. Die Umsetzung und Nutzung von mHealth-Ansätzen ist organisatorisch in die klinische Routine zu integrieren, sodass die Akzeptanz sowohl durch das medizinische Personal als auch durch den Patienten gegeben ist. Das bedeutet, die Anwendungen müssen einfach und zuverlässig funktionieren und nach Möglichkeit ein breites Spektrum von Anwendungsfällen bzw. Krankheiten umfassen ohne aufwendige Supportleistung zu erfordern. Im Rahmen der Krankenhausaufgaben ist dies weder leist- noch finanzierbar. Deshalb sind auch die Leistungserbringer gefordert die neuen Technologien besser zu fördern und ausreichend zu finanzieren, sofern ihr medizinischer Nutzen gezeigt werden konnte.

Abb. 7.4   Anzahl der klinischen Studien, an denen das dargestellte Land beteiligt ist (Stand 20.05.2019). Details zu den Suchkriterien in Abschn. 7.3. (Quelle: Eigene Darstellung (2019))

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Die zweite große Herausforderung sind die hohen datenschutzrechtlichen Hürden, die die sensiblen Patientendaten schützen. In Deutschland ist das Datenschutzniveau dieser Daten im weltweiten Vergleich sehr hoch (Bauer et al. 2018), die Novellierung der europäischen DSGVO hat zudem zusätzliche Regulierungszwänge mit sich gebracht (EU-DSGVO 2016). Für die Einhaltung der Gesetze müssen sowohl organisatorische Prozesse an den Krankenhäusern etabliert (Aufklärung und Einwilligung zur Datennutzung, Information der Patienten, Schulung der Mitarbeiter) sowie technische Voraussetzungen geschaffen werden (Verschlüsselung des Datentransfers, Authentifizierung der Nutzer, Pseudonymisierung der Daten, Schnittstellen zu den bestehenden Krankenhaus-IT-Systemen). Insbesondere Letzteres ist aufgrund der fragmentierten ­Krankenhaus-IT-Landschaft in Deutschland eine der größten Hürden bei der Einführung flächendeckender und interoperabler mHealth-Anwendungen (Haas und Kuhn 2016).

7.6.2 Technische Nutzungskonzepte Die bwHealthApp stellt eine Herausforderung an die etablierten IT-Strukturen einer medizinischen Einrichtung dar, da sie eine Kommunikation sensibler Patientendaten von außen in ein gesichertes Netz erfordert, in dem die Daten der medizinischen Leistungserbringung zur Verfügung stehen müssen. Für die folgenden drei Teilaspekte sind jeweils technische und personelle Ressourcen erforderlich, was die oben erwähnten Rahmenbedingungen zu Herausforderungen macht. Datensicherheit  Die bwHealthApp ist von Ihren Anforderungen ähnlich gelagert wie die elektronische Patientenakte bzw. Telemedizinanwendungen. Personen müssen für die Datenzuordnung und -auswertung eindeutig identifizierbar sein. Die Integrität der Daten muss jederzeit gewährleistet sein und die Daten müssen und dürfen nur den berechtigten Personen zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die Bereitstellung der gesicherten Schnittstellen für den Austausch zwischen den Smartphones und dem zentralen Server, bei der die sendenden Geräte eindeutig identifizierbar sein müssen, der Zugriff auf das interne Einrichtungsnetz geschützt ist sowie bei Datenverlust bzw. Sicherheitszwischenfällen der Betrieb gewährleistet bleibt. Technisch entspricht das dem Betrieb einer Public Key Infrastruktur (PKI) und eines Identitätsmanagements. Hierfür stehen technisch etablierte und in der Praxis vielfach erprobte Lösungen zur Verfügung. Leider konnte die eigentlich im Gesundheitswesen für derartige Anwendungen geplante Telematik Infrastruktur bis heute nicht realisiert werden. Leistungserbringer sind daher bei der Umsetzung stark von ihren jeweiligen Ressourcen abhängig. Anwender und Geräteverwaltung  Die Zuordnung der Überwachungsdaten zu einem Behandlungsfall erfordert eine entsprechende Patientenaufnahme und Registrierung durch das behandelnde medizinische Personal und damit erhöhten Administrationsaufwand während der Konsultation. Dabei muss ein Patient mit seinem Smartphone

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registriert werden. Dies ist zwar durch Abfotografieren von QR-Codes und dem automatischen Austausch der Gerätekennung praktisch handhabbar, erfordert aber Betreuung. Darüber hinaus müssen die jeweiligen Wearables, die Sensoren, sowie die zu messenden Vitalparameter und Interpretationslogiken im System angelegt und verwaltet werden. Bei Änderung eines Gerätes aufgrund von beispielsweise technischen Problemen oder Anwenderwünschen, muss jederzeit ein technischer Support zur Verfügung stehen. Betrieb und Systemevolution Die bwHealthApp muss in einer geschützten Systemumgebung betrieben werden, in der der Zugriff auf die Daten überwacht werden kann, wie dies in den geschützten Netzen der Leistungserbringer der Fall sein muss. Um Änderungen an der Software umsetzten zu können, ist eine enge Abstimmung zwischen Anwendern, Betreibern und Entwicklern erforderlich. Da darüber hinaus konzeptionell kein Ende des Produktlebenszyklus vorgesehen ist, ist ein Vorgehen nach der Philosophie von DevOps (Development and Operations) sinnvoll, bei dem auch der Betreiber über eigene Softwareentwicklungskompetenz verfügt, um Änderungen gezielt zu konzeptionieren. Für die Auslieferung der Smartphone App an die Patienten existieren die Mechanismen der Webstores.

7.7 Offene Fragen und Ausblick Ziel des bwHealthApp Projekts ist zunächst der praktische Proof-of-Concept für das dezentrale Patientenmonitoring auf Basis der präklinischen Evaluation im Rahmen des onkologischen Anwendungsfalls.

7.7.1 Governance, Zulassung und ELSI Um die bwHealthApp in das Gesundheitssystem zu integrieren, sind Maßnahmen für die rechtliche Einordnung und Zulassung zu erarbeiten. Aktuell stellt die uneingeschränkte anlasslose Sammlung schützenswerter Daten auf einer mobilen Plattform eine, im Sinne der Datenschutzgrundverordnung, kritisch zu sehende Anwendung dar ­ (EU-DSGVO 2016). Hier besteht allerdings seitens der Bundesregierung Unklarheit über die praktische Umsetzung von Hoheit und Handhabung von, in einer Cloud gespeicherten, Gesundheitsdaten (Ludwig 2019). Dementsprechend können auch die Strukturen, in denen die bwHealthApp eingesetzt wird, aktuell nur skizziert werden. Von der Unterstützung expliziter Studien über den Betrieb durch behördlich betriebene Einrichtungen analog zu den klinischen Landesregistern (BGBL 2013) bis hin zu lokalen Servicezentren von Leistungserbringern oder Versicherungen sind verschiedene Möglichkeiten denkbar. Im Hinblick auf eine Zulassung stellen sich ähnliche Fragen, da die MDR (Europäische Union 2017) für Medizinprodukte zwar konkrete Vorgaben macht, diese jedoch nicht uneingeschränkt auf vernetzte Geräte, d. h. Systeme, übertragbar sind.

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Da es sich im Wesentlichen um eine vernetzte IT-Lösung handelt lässt sich die DIN 80001 im Rahmen eines DevOps Konzeptes umsetzen (DIN 80001 2011). Am ehesten ist die bwHealthApp mit Gesundheits-Apps zu vergleichen und auch hier werden erst seit kurzem Maßnahmen zur nachhaltigen Zertifizierung erarbeitet (Charismha 2016; APPKRI 2018). Neben den technischen und administrativen Fragestellungen ist die ELSI-Thematik (Ethical Legal Societal Implications) zu berücksichtigen. Durch die formal anlasslose Speicherung individueller Daten in zentralen Speichern mit dem Ziel der integrierten Auswertung wird eine Person unter Umständen implizit identifizierbar für Personen, die nicht mit der Datenverarbeitung betraut sind. Ferner ist die Löschung von Daten, die zum Lernen neuer Vorhersagemethoden genutzt werden noch ungeklärt. Hier sind entsprechende Datenschutz- sowie Authentifizierungsbzw. Pseudonymisierungsmaßnahmen erforderlich. Für diese generellen rechtlichen Fragen an Datenkommunikation und -speicherung gibt es aktuell in Deutschland keine konkreten Regularien. Im Gesundheitswesen gibt es vielmehr eine große Diskrepanz zwischen Erwartungen und Alltag. So tauschen Ärzte auf der einen Seite über Whatsapp (Gießelmann 2018) – und damit nicht europäischen Serverstandorten – schützenswerte Patientendaten aus, auf der anderen Seite werden derart hohe Anforderungen an Datenschutz und Systembetrieb gestellt, die dazu führen, dass neue und notwendige Projekte nicht umgesetzt werden (#SmartHealthSystems 2018). Die bwHealthApp hat neben den technischen Aspekten zum Ziel hier einen Beitrag zu einer pragmatischen Herangehensweise zu liefern.

7.7.2 Evaluation der dezentralen Dauerüberwachung Um den Nutzwert der bwHealthApp nachzuweisen, ist die systematische Evaluation sämtlicher Anwendungsaspekte erforderlich. Als herstellerunabhängige Plattform müssen zunächst die technischen Aspekte im Hinblick auf Übertragbarkeit in verschiedene Einsatzszenarien und Systemumgebungen überprüft werden. Dies erfolgt in der gastroenterologischen onkologischen Tagesklinik der medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Tübingen. Hier wird mit behandelnden Ärzten und ausgewählten Patienten mit hoher, mittlerer und niedriger Technikaffinität untersucht, ob Bedienbarkeit der bwHealthApp sowie die medizinische Verwertbarkeit der Daten gegeben ist. Um klinische Nutzbarkeit der bwHealthApp zu untersuchen ist eine Beobachtungsstudie vorgesehen, in der eine Gruppe von Patienten, mit ausreichend hoher Technikaffinität gemäß der vorigen Evaluation, für die Dauer einer Chemotherapie mit Wearables ausgestattet wird, die Bewegungsverhalten sowie Vitalparameter aus dem onkologischen Anwendungsfall erfassen. Zusätzlich werden PROs erhoben. Bei den regelmäßigen ein- bis dreiwöchigen Besuchen der Patienten in der Tagesklinik findet eine Statuserhebung mit dem behandelnden Arzt statt. Am Ende der Chemotherapie

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werden die verfügbaren gesicherten Befunde aus der Zeit der Überwachung mit den verfügbaren Monitoringdaten zeitlich korreliert und im Zuge einer explorativen Datenanalyse nach möglichen Auffälligkeiten gesucht. Da bisher kaum Erfahrungen mit relevanten Vitalparametern und dem Zusammenhang mit Auffälligkeiten vorliegen, kann eine Wiederholung erforderlich sein.

7.7.3 Integrierte Datennutzung und Entscheidungsunterstützung Während die Erhebung und Integration molekularer Daten in der PM bereits weit fortgeschritten sind, liegt die Herausforderung der nächsten Jahre insbesondere in der Korrelation verschiedener Datensätze, z. B. Hochdurchsatz-/Omics-Daten mit klinischen Verlaufsdaten und neuen Datenquellen wie den mHealth-Daten. Dies macht den Einsatz von AI-Algorithmen zur Auswertung von personalisierten Datendepots und zur populationsweiten Zusammenführung von Datennetzwerken erforderlich. Diese Herangehensweise wird unter dem Begriff „Personalisierte Medizin 4.0“ zusammengefasst und in den Konsortien der Medizininformatik erstmals erprobt (Thuemmler und Bai 2017). Machine Learning basierte Ansätze sollen Anwendung finden, um Multi-Omics-Daten mit klinischen Daten in Verbindung zu setzen und als Entscheidungshilfe (Decision Support) bei der Bewertung molekularer Befunde und der Empfehlung maßgeschneiderter Therapien für jeden individuellen Patienten zu dienen (Wagner und Serve 2019). Kommerzielle Anbieter wie Junipermed (Junipermed 2019), Molecular Health (Molecular Health 2018) oder Google Watson (IBM 2019) bieten dies bereits als Dienstleitung an. Hier stellt sich jedoch das Problem, dass man hierfür die Daten zur Verfügung stellen muss, die ein sehr genaues und individuelles Profil des Patienten (genetische, klinische und Umweltinformationen) ergeben, die schwer zu pseudonymisieren sind. Zudem sind die verwendeten Algorithmen unbekannt und der Arzt muss seine Therapieentscheidung somit auf den Ergebnissen einer, für ihn nicht nachvollziehbaren, Berechnung treffen. Deshalb werden die Datensammlung, -integration und -analyse zunehmend an den klinischen und wissenschaftlichen Instituten selbst durchgeführt. Dabei ist die Verknüpfung der einzelnen Datenbanken über die Standorte hinweg, zum Beispiel in dezentralen interoperablen Cloud-Strukturen, ein wichtiger Faktor (Telemedizin BW 2019), um eine solide Datenbasis für die Entscheidungsfindung und zur Beantwortung von Forschungsfragen zu generieren (Medizininformatik-Initiative 2019).

7.8 Schlussbetrachtung Das bwHealthApp Projekt adressiert drei wichtige Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

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D. Junger et al.

1. Für die datengetriebene PM wird erstmals eine Plattform realisiert, mit der individuell und unspezifisch gesammelte Vitalparameter aus dem Patientenalltag in klinischen Prozessen systematisch mit diagnostischen Ergebnissen und therapeutischen Maßnahmen korreliert werden. Mit dieser Plattform ist die systematische Überprüfung der bisher anekdotischen Einzelbeobachtungen und Annahmen zum klinischen Nutzen von Dauer-Monitoring möglich. Ferner wird eine Datengrundlage für das maschinelle Lernen automatisierter Vorhersagen gelegt. 2. Entwicklung und Betrieb der bwHealthApp finden initial frei von kommerziellen oder sonstigen Partikularinteressen ausschließlich im Hinblick auf die Evaluation des medizinischen Nutzens von Dauerüberwachung statt. Die offene Plattform ist herstellerunabhängig und wird frei zur Verfügung gestellt. Durch die Verwendung offener Standards wie BLE wird eine größtmögliche Flexibilität bei Auswahl und Integration von Wearables sichergestellt. Das Betriebskonzept gestattet die Integration in verschiedene serviceorientierte medizinische Infrastrukturen. 3. Im Hinblick auf die nachhaltige Nutzung digitaler individueller Gesundheitsinformation sind im rechtlichen, ethischen und regulatorischen Bereich aktuell noch viele Fragen offen. Deren Beantwortung erfordert, aufgrund der Komplexität der betroffenen Interessen, neben den konzeptionellen und theoretischen Überlegungen, praktische Anschauungen und Umsetzungsalternativen. Hier bietet die bwHealthApp einen, an Machbarkeit orientierten, Diskussionsbeitrag. Das Projekt bwHealthApp wird gefördert durch das Ministerium für Soziales und Integration, Baden-Württemberg, im Rahmen der Digitalisierungsstrategie der Landesregierung Baden-Württemberg.

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7  Die bwHealthApp: Eine Plattform und Infrastruktur …

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Prof. Nisar P. Malek studierte und promovierte an der Medizinischen Hochschule Hannover. Nach seiner Ausbildung zum Internisten und Gastroenterologen absolvierte er zwischen 1998 und 2001 einen DFG-geförderten Forschungsaufenthalt am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle, USA, wo er seine Forschungsarbeiten zur molekularen Kontrolle der Zellteilung begann, die er nach seiner Rückkehr an der Medizinischen Hochschule in Hannover am Institut für Molekularbiologie durch das Max-Eder-Programm der Krebshilfe gefördert weiterverfolgte. 2008 wurde er im Rahmen des Exzellenzclusters REBIRTH der DFG auf eine W2 Professur berufen. Prof. Malek ist seit 2011 Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Tübingen (UKT). Prof. Malek wurde 2008 mit dem Wissenschaftspreis der AIO und 2009 mit dem ­Johann-Georg-Zimmermann Preis für Krebsforschung ausgezeichnet. Mit der Gründung des Zentrums für Personalisierte Medizin (ZPM) 2014 setzte er neue Schwerpunkte in der Versorgung am UKT und trägt diese Idee aktiv weiter, durch die Initiierung der ZPM-Initiative BW. Prof. Christian Thies  studierte Informatik an der RWTH Aachen und wurde in der medizinischen Fakultät der RWTH Aachen mit einer Arbeit zur Objekterkennung in biomedizinischen Bildern promoviert. Im Institut für medizinische Informatik der RWTH Aachen beschäftigte er sich mit der inhaltsbasierten Suche in medizinischen Bilddatenbanken. Im Anschluss daran hat er im Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich als wissenschaftlicher Mitarbeiter Methoden zur physikalischen Simulation und quantitativen Streustrahlkorrektur von PET Messungen für die Volumenrekonstruktion entwickelt. Nach dem Wechsel in die Industrie war er als Bereichsleiter für Entwicklung und Produktmanagement für die Weiterentwicklung einer klinischen Middleware und eines Konnektors für die sichere vernetzte medizinische Kommunikation sowie darauf basierender neuer Anwendungen in Krankenhäusern, Laboren und Ärztenetzen verantwortlich. Seit 2012 ist er Professor für medizinische Informationssysteme an der Fakultät für Informatik der Hochschule Reutlingen. Sein fachliches Interesse liegt in der Bereitstellung nachhaltiger Lösungen für die Interoperabilität medizinischer Softwaresysteme sowie der Integration und Auswertung klinischer Daten zur Unterstützung von Diagnose und Therapie.

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Digitale Lösungen für die Versorgung von Herzinsuffizienzpatienten Bettina Zippel-Schultz, Alexander Palant und Thomas M. Helms

8.1 Einführung Die qualitativ hochwertige und flächendeckende Versorgung von Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz (HI) stellt das deutsche Gesundheitssystem vor wachsende Herausforderungen. Neben der Therapie und Begleitung der steigenden Anzahl Betroffener, sind Gründe für diese Herausforderungen auch in der Struktur in Organisation des Gesundheitssystems verankert. Nach der Einführung in ausgesuchte Herausforderungen, die sich durch die Versorgung von Patienten mit HI ergeben, werden im folgenden Abschnitt zwei Praxisbeispiele vorgestellt. Ziel beider Projekte „EHeR∙versorgt“ und „PASSION-HF“ ist es, die Potenziale digitaler Lösungen zu nutzen, um die Versorgung von Patienten mit HI nachhaltig zu optimieren. Letztlich werden Potenziale von, aber auch Anforderungen an digitale Lösungen im Kontext der Versorgung von Herzinsuffizienzpatienten beleuchtet und diskutiert.

B. Zippel-Schultz (*) · A. Palant · T. M. Helms  Deutsche Stiftung für chronisch Kranke, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Palant E-Mail: [email protected] T. M. Helms E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_8

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8.1.1 Herausforderungen der Herzinsuffizienz Eine chronische Herzinsuffizienz liegt vor, wenn das Herz dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, den Körper mit genügend sauerstoffangereichertem Blut zu versorgen, um den Stoffwechsel unter Normalbedingungen und bei Anstrengungen zu gewährleisten (Hoppe und Erdmann 2001; Muth et al. 2006). Sie setzt die körperliche Belastbarkeit der Erkrankten herab und beeinflusst die Lebensqualität erheblich (Huch und Jürgens 2007). Aufgrund des chronischen Verlaufs der Erkrankung sind Betroffene ihr ganzes Leben lang auf eine begleitende medizinische Versorgung angewiesen. Die chronische HI gehört – mit einer geschätzten Prävalenz von ca. 37 Mio. Individuen weltweit – zu den am meisten verbreiteten chronischen Erkrankungen (Ziaeian und Fonarow 2016). Studien deuten darauf hin, dass HI die am schnellsten wachsende kardiovaskuläre Erkrankung weltweit ist (Ziaeian und Fonarow 2016; Lund und Savarese 2017). Die Prävalenzraten der HI speziell in Europa sind alarmierend. In Deutschland liegt sie nach den letzten Erkenntnissen bei etwa 1,6 % bei Frauen und etwas höher (etwa 1,8 %) bei Männern – Tendenz steigend (Lund und Savarese 2017; Ohlmeier et al. 2015). Die HI-Belastung ist überproportional auf ältere Menschen verteilt. Über die Hälfte der Patienten, die mit einer HI ins Krankenhaus eingeliefert werden, sind älter als 75 Jahre. Die Prävalenz von HI verdoppelt sich im Allgemeinen für jedes Lebensjahrzehnt. Sie liegt bei weniger als 1 % für Menschen im Alter von unter 40 Jahren und bei über 10 % für Menschen im Alter von über 80 Jahren. Das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung von HI liegt bei ca. 20 % im Alter zwischen 40 und 80 Jahren für Männer und Frauen (Lund und Savarese 2017). Aufgrund der Fortschritte in der medizinischen Behandlung, Pharmakologie und anderer Therapiearten verbessert sich die Überlebensrate der Patienten stetig von Jahr zu Jahr (Lund und Savarese 2017). Die älter werdende Gesellschaft und die verbesserten Therapiemöglichkeiten münden in einer steigenden Prävalenzrate von HI, obwohl die Häufigkeit der Neuerkrankungen in den letzten Jahren nicht gestiegen ist (Buja et al. 2016; Gomez-Soto et al. 2011). Betroffene leiden neben der HI häufig unter verschiedenen Komorbiditäten, wie koronarer Herzkrankheit, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, chronischer Niereninsuffizienz, Depression, Atemwegserkrankungen und Anämie (Hoppe und Erdmann 2001). Die Zahl der Komorbiditäten im Zusammenhang mit einer HI war schon immer hoch und stieg zwischen 2002 und 2014 parallel zu dem steigenden Alter der Gesamtbevölkerung weiter an (Von Lueder und Agewall 2018). Die meisten Komorbiditäten führen zu einer höheren Morbidität und Mortalität bei Patienten mit einer HI (Van Der Wal et al. 2017). Eine Herausforderung besteht demzufolge darin, eine wachsende Zahl von Herzinsuffizienzpatienten mit zunehmend komplexen Krankheitsbildern zu versorgen. Eine auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmte Therapie kann die HI über lange Zeiträume hinweg gut stabilisieren oder sogar verbessern. Dies beinhaltet allerdings eine enge Abstimmung zwischen den beteiligten medizinischen Leistungserbringern – Hausarzt, Kardiologe, Krankenhaus, etc. – und dem Patienten selbst sowie eine engmaschige Betreuung des Patienten. Regelmäßige Kontrollen des Krankheitszustandes

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und Konsultationen mit dem Arzt sind unabdingbar, um die Medikamente optimal auf den Patienten abzustimmen und rasch auf mögliche Verschlechterungen reagieren zu können (Ponikowski et al. 2016). Neben der Pharmakotherapie stehen medizintechnische Lösungen zur Behandlung zur Verfügung. Darüber hinaus werden die Patienten angeregt, weitere Maßnahmen im Rahmen einer nicht-medikamentösen Therapie, wie Gewichtabnahme und eine Verhaltensänderung mit Blick auf die Ernährung und Bewegung, umzusetzen. Die Nicht-Adhärenz kann zu wiederkehrenden Krankenhausaufenthalten, gesundheitlichen Problemen und sogar dem Tod führen. Allerdings gehen die schweren Symptome, wie Dyspnoe oder Leistungsabfall häufig mit Depressionen und Überlebensängsten einher. Sogar geringe Ausprägungen von Depressionen beeinflussen bereits die Adhärenz der Patienten und damit dessen Prognose (Holzapfel et al. 2009). Die Aufrechterhaltung bzw. die Verbesserung der Lebensqualität und die Verhinderung depressiver Verstimmungen sind demnach entscheidende Faktoren aus der Sicht der Ärzte und der Betroffenen (Nieminen et al. 2015). Aus diesem Grund sollte auch die psychische Komponente bei einer erfolgreichen Versorgung eine Beachtung finden (Scherer et al. 2006). Dazu zählen eine zufriedenstellende soziale Situation der Betroffenen sowie die Aufrechterhaltung von beruflichen und familiären Verpflichtungen. Trotz vieler positiver Entwicklungen in Bezug auf die Therapie einer HI, ist die Behandlung im klinischen Alltag oft nicht optimal. Die Abstimmung der behandelnden Ärzte wird im Versorgungsalltag häufig nicht realisiert (Schoen et al. 2009). Nach wie vor sorgen Faktoren, wie ein geringes Wissen der Patienten über ihre Erkrankung, eine unvollständige Erfassung gesundheitsrelevanter Messparameter und eine schlechte Adhärenz der Patienten sowohl in Bezug auf Medikamente und Therapien als auch mit Blick auf Verhaltensänderungen der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, für eine hohe Rehospitalisierungsrate dieser Patienten (Gabet et al. 2015). Eine weitere Herausforderung besteht demnach darin, das Wissen der Patienten über ihre Erkrankung zu erweitern und die Patienten aktiv in den Versorgungsprozess einzubeziehen, um dadurch die Akzeptanz der therapeutischen Maßnahmen und die Adhärenz der Patienten zu erhöhen.

8.1.2 Herzinsuffizienz im deutschen Gesundheitssystem Die Versorgungskosten im Zusammenhang mit einer HI belasten die stationären und ambulanten Strukturen des Gesundheitssystems erheblich, vor allem durch die Besuche in Notaufnahmen und wiederholte Krankenhausaufenthalte aufgrund von Dekompensationen, d. h. akuten Verschlechterungen der HI. Die Hospitationsrate in Deutschland hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2013 um 65.4 % erhöht (Christ et al. 2016). Da der Beratungs- und Betreuungsbedarf sehr hoch ist, wenden niedergelassenen Ärzte ca. 80 % ihrer Beratungszeit für chronische Erkrankungen auf (Wilson et al. 2005). Das Ungleichgewicht zwischen dem Behandlungsbedarf und dem Versorgungsangebot wächst weiter an, sodass die Gesundheitsversorgung in ihrer

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jetzigen Form als nicht nachhaltig erscheint (Brunner-La Rocca et al. 2016). Das zeigt sich auch in einer Verschärfung der Versorgungssituation durch eine zunehmende Allokationsproblematik (Lee et al. 2017). Die voranschreitende Urbanisierung führt in den Ballungsräumen zu einem hohen Angebot medizinischer Leistungen, sodass es teilweise zu einem Überangebot kommt. Gleichzeitig verringert sich das Angebot sozialer und medizinischer Infrastrukturleistungen im ländlichen Raum. Durch das entstehende Unterangebot müssen Hausärzte in schwächer besiedelten Regionen häufig mehr Patienten versorgen und erhalten weniger Unterstützung von Fachärzten (Svedahl et al. 2019). Es gilt daher Lösungen zu entwickeln, die den Betroffenen einen besseren Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen gewährleisten. Neben direkten Kosten ergeben sich weitere strukturbedingte Effizienzverluste. Die beschriebene, kontinuierlich notwendige Anpassung der Therapie und die engmaschige Begleitung von HI-Patienten umfassen einen sektorenübergreifenden und extrem arbeitsteiligen Prozess. Für eine optimale Betreuung sollten die Leistungen der beteiligten Akteure aufeinander aufbauen und auf einer gemeinsamen Informationsbasis beruhen. Allerdings zeigt sich, dass sich die in die Versorgung chronisch Kranker eingebundenen Akteure untereinander kaum abstimmen. Informationen bezüglich der Patientenhistorie oder der Untersuchungsergebnisse werden kaum weitergeleitet. Kenntnisse zur Patientenhistorie erhalten Ärzte vor allem durch die Schilderungen des Patienten, nicht aber durch Weitergabe von Informationen durch Kollegen. Eine Überprüfung der umfangreichen Medikation chronisch Kranker wird nur bei ca. der Hälfte der Patienten regelmäßig durchgeführt (Schoen et al. 2009). Auch werden die aktuellen Leitlinien bezüglich der Medikation in der Behandlung von HI-Patienten nur ungenügend eingehalten (Karbach et al. 2011), obwohl deren Befolgung nachweislich zu einer Verbesserung der klinischen Versorgung führt (Cleland et al. 2002; Flesch et al. 2005). Diese Informationsbrüche und die mangelnde Abstimmung der Leistungserbringer münden in diskontinuierlichen Prozessen und redundanten Leistungen. Für die Patienten sind sie mit zusätzlichem Aufwand und möglicherweise Behandlungsfehlern (Moore et al. 2003), sowie für das Gesundheitssystem mit zusätzlichen Kosten verbunden. Zu den bereits genannten Herausforderungen kommt demnach hinzu, dass Wege gefunden werden müssen, um die Kommunikation zwischen allen am Behandlungsprozess beteiligten Akteuren zu erleichtern und Informationsbrüche zu verhindern. Die digitale Unterstützung von Behandlungs- und Versorgungsprozessen bietet das Potenzial, die Versorgungsqualität durch eine bessere Abstimmung der Akteure und eine gemeinsame Informationsbasis zu verbessern, vorhandene Ressourcen wertvoller zu nutzen und den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für die Patienten zu erleichtern (Brunner-La Rocca et al. 2016). Darüber hinaus ermöglichen Anwendungen der Digitalen Medizin es dem Patienten, einen zunehmend zentralen Platz in seiner Gesundheitsversorgung einzunehmen. Die höhere Eigenverantwortung (Empowerment) und ein effektives Selbstmanagement wirken sich positiv auf die Adhärenz aus. So könnten die gesundheitliche Situation der Patienten verbessert und gleichzeitig die hohen Kosten für das Gesundheitssystem gesenkt werden (Cajita et al. 2017). Als digitale Unterstützungsansätze gelten

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unter anderem Telemedizin- oder mHealth-Lösungen, die zunehmend durch Maschinelles Lernen sowie Anwendungen von künstlicher Intelligenz ergänzt werden und bereits jetzt dafür sorgen, dass stationäre Behandlungen kürzer und die Kenntnisse über die Erkrankung sowie die Adhärenz der betroffenen Patienten besser werden (Foster 2018; Ogbemudia und Asekhame 2016).

8.1.3 Begriffsbestimmung – eHealth, Telemedizin, mHealth Das Bundesministerium für Gesundheit definiert eHealth als Oberbegriff für Anwendungen, welche die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) für die Behandlung und Betreuung von Patienten nutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2018). Dagegen beschreibt Telemedizin im Sinne der Bundesärztekammer eine Teilmenge von eHealth. Zentrales Merkmal ist, dass Telemedizin ärztliche Versorgungskonzepte beinhaltet, die IKT nutzen, um Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie ärztliche Entscheidungsberatung über eine räumliche Distanz (oder einen zeitlichen Versatz) hinweg zu erbringen (Gandarillas und Goswami 2018). Telemedizin unterstützt dabei sowohl die Interaktion zwischen den verschiedenen Ärzten – doc to doc – als auch zwischen Patienten und Ärzten – doc to patient (Budych 2013). Die Art der Technologie wird in den Definitionen zur Telemedizin nicht weiter beleuchtet. Dagegen steht die mobile Komponente bei der Betrachtung von m ­ Health-Lösungen im Vordergrund. Die WHO definiert mHealth als „medical and public health practice supported by mobile devices, such as mobile phones, patientmonitoring devices, personal digital assistants (PDAs), and other wireless devices (WHO 2011).“ Diese Definition beschreibt ein Kontinuum von Einsatzmöglichkeiten. Private gesundheitsfördernde Maßnahmen, die auf Selbstoptimierung, die Stärkung des Wohlbefindens bzw. der Lebensqualität oder die Verbesserung der Gesundheit im Sinne eines „quantified self“ abzielen, sind genauso ein Teil von mHealth wie Lösungen, die im medizinischen Kontext Anwendungen finden und beispielweise Teil eines TelemedizinKonzeptes sind. Insbesondere das Telemonitoring und das Management von chronischen Erkrankungen können hier profitieren. Das Empowerment der Patienten und das Ausmaß des Selbstmanagements kann in Telemonitoring-Konzepten gut über den Einsatz von ­mHealth-Lösungen gesteuert werden.

8.2 Digitale Lösungen in der Versorgung von HI Patienten – 2 Beispiele Beispielhaft werden im folgenden Abschnitt zwei eHealth-Lösungen vorgestellt, die Patienten mit chronischer HI adressieren. Zum einen handelt es sich um die Einführung, Erprobung und Evaluation eines Telemonitoring-Konzeptes in Rheinland-Pfalz. Das Projekt „EHeR∙versorgt“ wurde im Eifelkreis Bitburg-Prüm durchgeführt und durch

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das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz im Rahmen von „Gesundheit und Pflege – 2020“ gefördert. Zum anderen wird die Vision und das Konzept des durch Interreg NWE geförderten Projektes „PASSION-HF“ vorgestellt, das im Jahr 2018 begann.

8.2.1 EHeR∙versorgt in Rheinland-Pfalz Der Eifelkreis Bitburg-Prüm ist eine ländlich geprägte Region im Norden von Rheinland-Pfalz mit einer überdurchschnittlich hohen Sterblichkeit an HI. Gleichzeitig sind dort nur wenige Kardiologen tätig. Mithilfe einer zusätzlichen telemedizinischen Betreuung im Rahmen von EHeR∙versorgt sollte die medizinische Versorgung von Patienten mit einer akuten oder chronischen HI unterstützt und weiter optimiert werden. Die Organisation, Durchführung und Evaluation von EHeR∙versorgt erfolgten durch das gemeinsame Engagement der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke, der ­ Westpfalz-Klinikum GmbH, des Marienhaus Klinikums Eifel Bitburg, des ­Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) sowie der vitaphone GmbH. EHeR∙versorgt wurde durch die Ethikkommission der Landesärztekammer ­ Rheinland-Pfalz und den Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz geprüft. Die Aufnahme der Patienten in das Betreuungsprogramm erfolgte über das Marienhaus Klinikum Eifel Bitburg nach folgenden Einschlusskriterien: systolische HI mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion ≤45  %, Schweregrad nach New York Heart Assoziation (NYHA) II-III, Kommunikationsfähigkeit, kognitive Aufnahmebereitschaft (Mini-Mental-Status-Test >22), Alter >18 Jahre sowie Vorliegen einer unterschriebenen Einverständniserklärung. Die niedergelassenen Ärzte der Region wurden in der Planungsphase informiert und konnten Patienten für das Programm vorschlagen. Die Patienten erhielten eine Bluetooth-fähige Personenwaage und ein Bluetooth-fähiges Blutdruckmessgerät. Beide Geräte übermittelten Daten via Bluetooth an ein spezielles Smartphone, das die Daten über eine gesicherte Internetverbindung verschlüsselt in die elektronische Fallakte des Telemedizin-Zentrums übertrug. Die telemedizinische Betreuung wurde geteilt. Das regionale Zentrum im Westpfalz-Klinikum (wochentags zwischen 8:30–16:00 Uhr) wurde durch die überregional agierende vitaphone GmbH (alle anderen Zeiten) ergänzt, sodass eine 24/7 Betreuung gewährleistet werden konnte. Die Patienten wurden über 6 Monate betreut. Dafür sendeten sie jeden Morgen ihre Werte (Blutdruck, Puls und Gewicht) an das Telemedizin-Zentrum, wo diese durch qualifizierte HI-Schwestern geprüft wurden. Die Betreuung in EHeR∙versorgt beinhaltete klar definierte regelmäßige telefonische Patientenkontakte durch das ­Telemedizin-Zentrum. In den Telefonaten wurden standardisierte Fragebögen als Leitfaden genutzt. Diese erfassten beispielsweise Symptome, Arztbesuche oder Aspekte der Lebensqualität. Darüber hinaus wurden die Patienten in den Telefonaten zum Umgang mit ihrer

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Erkrankung geschult. Zudem wurde der Umgang mit überschrittenen individuellen Grenzwerten (Alarmen) festgelegt, die einen Anstoß zu notwendigen medizinischen Maßnahmen gaben. Die behandelnden niedergelassenen Ärzte erhielten monatlich einen Report über den Krankheitsverlauf des Patienten. Waren Veränderungen der Therapie notwendig, wurden sie in die Entscheidungen mit einbezogen. Abb. 8.1 stellt grob das Konzept von EHeR∙versorgt dar.

Abb. 8.1   Das Telemonitoring-Konzept von EHeR∙versorgt. (Quelle: Eigene Darstellung (2015))

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Die in EHeR∙versorgt betreuten Patienten (n = 43) waren im Durchschnitt 72 Jahre alt und litten neben der HI durchschnittlich unter sieben weiteren Begleiterkrankungen. Die Patienten nahmen täglich zwischen 4 und 16 Medikamente ein (im Durchschnitt 8,5). Die recht alte Patientenklientel gab in der Befragung an, neuer Technik eher skeptisch gegenüber zu stehen. 44 % der Befragten verlassen sich nur ungern auf Informationstechnologien. Nichtsdestotrotz vertrauten nach den 6 Monaten in Betreuung 95 % der Patienten der Technik und Datensicherheit von EHeR∙versorgt. Für die Evaluation von EHeR∙versorgt wurden klinische Parameter, wie der 6-Minuten-Gehtest und Akzeptanzaspekte untersucht. Insgesamt hat die Evaluation von EHeR∙versorgt gezeigt, dass auch betagte Patienten bereit sind, Telemedizin-Konzepte als Teil ihrer Gesundheitsversorgung zu akzeptieren. Telemedizin wurde als gutes Mittel gesehen, den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu vereinfachen und beispielsweise die Fahrt zum Arzt oder sogar zum Krankenhaus zu vermeiden. Darüber hinaus steigerten die edukativen Elemente von EHeR∙versorgt das Wissen der Patienten über ihre Erkrankung. Die täglichen Messungen und regelmäßigen Telefonate lenkten die Aufmerksamkeit der Patienten auf dieses wichtige Monitoring des Gesundheitszustandes. Nach den 6 Monaten wussten die Patienten deutlich besser über den Umgang mit ihrer HI Bescheid, konnten eigene Symptome besser einordnen und steigerten die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen. Insgesamt gaben die Patienten an, durch Telemedizin wieder eine höhere Sicherheit im Alltag, im Beruf und bei Freizeitaktivitäten zu haben. Die überwiegend älteren Patienten konnten die mobilen Geräte problemlos selbstständig bedienen. Die hohe Adhärenz der Patienten und der positive Einfluss des Telemonitorings spiegelten sich in der Verbesserung des klinischen Endpunkts wider. Der 6-Minuten-Gehtest, der die funktionelle Belastbarkeit beschreibt und einen Hinweis auf das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko gibt, zeigte einen signifikant positiven Unterschied zwischen dem Beginn der Betreuung und dem Zustand nach 6 Monaten im Betreuungsprogramm. Mit anderen Worten, die Patienten waren deutlich belastbarer als zuvor. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine telemedizinische Begleitung von HI-Patienten einen positiven Einfluss auf deren Gesundheitszustand, Selbstmanagementkompetenz und Sicherheitsgefühl haben kann. Zudem wird deutlich, dass die Akzeptanz und Anwenderfreundlichkeit der mobilen Geräte von hoher Bedeutung sind. Die genutzten Personenwaagen und Blutdruckmessgeräte waren den Patienten aus ihrem Alltag zum größten Teil bekannt. Auch das Smartphone ist bereits ein üblicher Begleiter im Alltag. Durch die hohe Automatisierung der Abläufe mussten die Patienten selbst am Smartphone oder an den Geräten keine eigenen Einstellungen vornehmen. Dies hat einerseits den Vorteil, dass die Komplexität der Nutzung für die Patienten sehr geringgehalten wird. Andererseits werden die Potenziale, insbesondere des Smartphones, die Patienten stärker zu integrieren und mit ihnen zu interagieren nicht genutzt. Auf diese Potenziale und die Ergänzung des klassischen Parameter-Monitorings durch künstliche Intelligenz und eine Anwendung von Serious Gaming setzt das nächste Beispiel „PASSION-HF“.

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8.2.2 PASSION-HF „PASSION-HF (Patient Self-care uSing eHealth In chrONic Heart Failure)“ ist ein innovatives, visionäres Konzept, dass den Ansatz einer präventiven, prädiktiven und personalisierten Medizin mithilfe einer virtuellen Ärztin „Abby“ umsetzt. Ziel ist es, die Selbstständigkeit von stabilen Patienten zu stärken und ihnen ein Tool an die Hand zu geben mit dessen Hilfe Routineaufgaben in der Therapiegestaltung patientenindividuell und weitgehend eigenständig gestaltet werden können. Sobald komplexere Entscheidungen getroffen werden müssen, werden die behandelnden Ärzte konsultiert. Langfristig ist es Ziel, Standardbehandlungen schrittweise auf Abby zu übertragen, damit sich die Ärzte auf komplexe Patienten konzentrieren können. PASSON-HF wird durch Interreg NWE Vb (NWE 702; 2018-2021) gefördert. In dem Projektteam ist die Expertise von Wissenschaftlern, Ärzten und Praktikern aus gesundheitsrelevanten Bereichen, wie Medizin, Versorgungsforschung, IKT/eHealth und Patientenorganisationen aus Deutschland, den Niederlanden, Irland, dem Vereinigten Königreich, Belgien und der Schweiz vereint. Geleitet wird das Projekt von der Universitätsklinik Maastricht. Aus Deutschland sind beispielsweise die Deutsche Stiftung für chronisch Kranke, das Universitätsklinikum Aachen und die Deutsche Herzstiftung im Projekt involviert. Abby wird eine webbasierte Lösung, die den Patienten mit einer HI beispielsweise als mHealth-Anwendung für das Smartphone dienen kann. Sie bereitet Informationen individuell auf, unterbreitet auf Basis eines Expertensystems Vorschläge für medizinische und nicht-medizinische Entscheidungen und hilft den Patienten bei der Umsetzung gesundheitsbezogener Maßnahmen. Das Expertensystem basiert auf den aktuellen 2016-Leitlinien von der European Society for Cardiology (ESC) für die Diagnose und Behandlung von HI (Ponikowski et al. 2016). Daten aus verschiedenen Quellen werden für die Beurteilung des Gesundheitszustandes herangezogen, kombiniert und analysiert. Diese können u. a. mithilfe externer Sensoren, wie Körperwaage oder Blutdruckmessgerät und evtl. durch bereits implantierte Devices, wie Herzschrittmacher, erhoben werden. Ergänzend werden Informationen (Symptome oder Lebensqualitätsaspekte) mithilfe von Fragen des Systems an den Patienten erhoben oder Informationen der behandelnden Ärzte integriert. Unterstützt wird das Abby-Expertensystem durch ein lernendes Feedbacksystem, das auf den Prinzipien künstlicher Intelligenz beruht. So wird sich Abby zu jeder Zeit und an jedem Ort an den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Patienten orientieren können und individuelle Entscheidungsunterstützung anbieten. Um die Patienten in der Veränderung ihrer Gewohnheiten zu begleiten und dies zu erleichtern werden Gamification und Serious Gaming wichtige Bestandteile der Anwendung. Neben den Verhaltensänderungen sollen dadurch auch die Therapieadhärenz und die nachhaltige Nutzung von Abby erhöht werden. Die Kommunikation mit den Patienten wird über ein interaktives Avatar-Interface – die virtuelle Ärztin Abby erfolgen. Mithilfe von Abby werden HI-Patienten auch zwischen den Besuchen beim Arzt gut und sicher versorgt sein.

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Um die Akzeptanz der Patienten, Angehörigen und der medizinischen Leistungserbringer zu sichern, werden diese bereits seit Beginn des Projektes in die Entwicklung einbezogen – entsprechend der Methodik von experienced-based co-design (Brady et al. 2019). So erfolgte bereits eine qualitative Befragung von Patienten und Angehörigen in Deutschland, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und Irland. Erste Ergebnisse legen nahe, dass die Patienten und Angehörigen generell offen für die Idee einer virtuellen Ärztin sind. Sie wünschen sich ein Monitoring ihres Gesundheitszustandes und bei Bedarf ein individuelles Feedback, das jederzeit abgerufen werden kann (Palant et al. 2019). Abby stellt die betroffenen Patienten in den Fokus, indem sie sich zu einem großen Teil an deren individuellen Bedürfnissen orientiert. Diese personalisierte Medizin und die Beachtung ihrer Bedürfnisse sind für die Patienten und Angehörigen sehr wichtig. Aktuell haben die Patienten und Angehörigen zudem die Anforderung an ein solches System, dass eine Supervision der Entscheidungen durch Ärzte erfolgen muss. Dies ist in PASSION-HF auch so vorgesehen. Nach der Entwicklungsphase erfolgt eine Testphase von Abby. Hier werden alle Entscheidungen von Abby durch ein klinisches Gremium geprüft und bewertet. Die zugrundeliegenden Entscheidungsalgorithmen werden im Laufe des Projekts stetig verbessert. Letztlich ist es den Patienten und Angehörigen wichtig, dass Abby leicht und intuitiv zu nutzen ist. Mit Blick auf das teilweise fortgeschrittene Alter von Patienten mit HI ist die hohe Usability eine Basiseigenschaft der Anwendung. Um diese sicherzustellen, werden Patienten weiter in die Entwicklungsprozesse eingebunden. Im nächsten Schritt werden die Bedürfnisse und Anforderungen der medizinischen Leistungserbringer erhoben. Begleitend werden die Anforderungen der verschiedenen Gesundheitssysteme und mögliche Geschäftsmodelle für Abby betrachtet. Bei der Entwicklung von Abby ist zu beachten, dass es sich bei den Daten der Patienten um hochgradig sensible Daten handelt. Daher stellt das Konsortium an die Anwendung hohe Datenschutzansprüche. Im Gegensatz zu dem Ansatz in EheR∙versorgt werden in PASSION-HF die Patienten deutlich stärker in die Gestaltung ihrer eigenen Versorgungsprozesse einbezogen. Das gesteigerte Wissen, die Übernahme der Verantwortung für die eigene Gesundheit und die direkte Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit soll langfristig den Gesundheitszustand der Patienten stabilisieren oder verbessern und vermeidbare Arztbesuche verringern.

8.3 Potenziale digitaler Lösungen für die Versorgung von Menschen mit HI Die Digitalisierung im Gesundheitswesen eröffnet Chancen, die es sinnvoll zu nutzen gilt, um Qualität und Finanzierbarkeit der Versorgung nachhaltig zu gestalten. Neben dem einfacheren Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen (unabhängig von Ort und Zeit), ermöglichen und vereinfachen digitale Lösungen die Kommunikation zwischen den Akteuren und erleichtern die Auswertung großer Datenmengen. Zudem kann mithilfe digitaler

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Lösungen, insbesondere durch die mit mHealth-Lösungen einhergehende Mobilität von eHealth, die Rolle der Patienten gestärkt werden. Patienten können zunehmend aktiv in ihre Versorgungsprozesse einbezogen werden. Die stärkere Eigenverantwortung der Patienten birgt nicht nur für den Patienten selbst, sondern auch für das Gesundheitssystem viele Vorteile.

8.3.1 Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen – Unabhängigkeit von Ort und Zeit Es wird immer einfacher, schnell und umfassend medizinische Daten zwischen unterschiedlichen Akteuren, wie Ärzten, Patienten und Krankenhäusern, unabhängig von Ort und Zeit auszutauschen. Die zunehmende Vielfalt von Geräten zur Messung und Überwachung von Körperfunktionen, wie Puls, Blutdruck, Blutzucker oder Schrittzahl, aber auch die Verbesserung und Neuentwicklung von implantierbaren Messgeräten bergen Potenziale, mit denen den Herausforderungen der HI-Therapie und der flächendeckenden Versorgung von HI-Patienten begegnet werden kann. So übertragen beispielsweise implantierte Herzrhythmusimplantate (Herzschrittmacher, Ereignisrekorder, implantierbare Defibrillatoren: ICD, Resynchronisationssysteme: CRT-P/CRT-D) Daten zur Nachsorge in eine elektronische Fallakte, die durch den behandelnden Arzt eingesehen werden kann. Der Arzt entscheidet anhand der vorhandenen Daten, bei welchen Patienten weitere Untersuchungen in der Praxis notwendig sind. Bei Verschlechterungen der Messwerte können so rechtzeitig Therapiemaßnahmen eingeleitet werden. Sind diese Telenachsorgen unauffällig, können dem Patienten weite Wege zum Arzt erspart bleiben. Der Arzt gewinnt Zeit, da er sich auf die therapieintensiven Fälle konzentriert. Ein weiterer implantierter Sensor ist beispielsweise CardioMems®. Dieser misst und analysiert den Pulmonalarteriendruck. Die Klinik kann aus diesen Informationen erfolgreich die HI-Therapie steuern (Abraham et al. 2011). Die Patienten in EheR∙versorgt bestätigten und lobten die Verfügbarkeit und den leichten Zugang zu Gesundheitsdienstleitungen durch das Telemonitoring. Neben den Vorteilen der Zeitersparnis gab dieser leichte und zuverlässige Zugang den Patienten ein hohes Sicherheitsgefühl. Während bei EheR∙versorgt die hauptsächlichen Komponenten des Telemonitorings im Hause des Patienten verblieben, wird PASSION-HF einen größeren Mobilitätsgrad ermöglichen. Die Patienten können Abby jederzeit und überall nutzen. Mhealth-Lösungen geben damit den Patienten zusätzlich eine größere Unabhängigkeit.

8.3.2 Unterstützung der Kommunikation und der Datenanalyse Das Sammeln von Daten reicht jedoch nicht aus. Erhobene Daten müssen ausgewertet und interpretiert werden. Sie müssen durch die beteiligten Akteure sinnvoll genutzt

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werden und adäquate Maßnahmen anstoßen, um einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu haben. Digitale Lösungen erleichtern die Kommunikation und die Koordination des medizinischen Versorgungsprozesses. Beispielsweise bieten strukturierte Fall- oder Patientenakten allen relevanten Akteuren die Möglichkeit, auf eine gemeinsame Datenbasis zuzugreifen, durch die gewonnenen Informationen die Therapie individueller zu gestalten, Doppel- und Mehrfachuntersuchungen zu reduzieren und Behandlungsfehler zu vermeiden. Die Therapie der verschiedenen Ärzte, z. B. Hausärzte, Kardiologen und weiterer Fachärzte, kann aufeinander abgestimmt werden. Die oben beschriebenen Kommunikationsbrüche können minimiert werden. Die Bundesregierung hat mit dem sogenannten eHealth-Gesetz (Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen) eine gesetzliche Grundlage für den Datenaustausch, die Einführung von Patientenakten und weiteren Möglichkeiten der Digitalisierung (z. B. Telekonsil) geschaffen. Der aktive Austausch der Akteure – unter anderem im Entlassmanagement zwischen den Krankenhäusern und den ambulanten Leistungserbringern – und damit die Überwindung der sektoralen Kommunikationsbrüche, waren zentrale Anliegen. Die Bedeutung der sektorenübergreifenden Vernetzung und die Notwendigkeit, Steuerungsprozesse mithilfe digitaler Lösungen zu unterstützen, wird auch durch den „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“ konstatiert. Er stellt in seinem Gutachten aus dem Jahre 2018 fest, dass das gleichzeitige Bestehen einer Unter-, Über- und Fehlversorgung bei vielen Krankheitsbildern durch einen Einsatz digitaler Lösungen abgemildert werden könnte (Svr 2018). Darüber hinaus können digitale Lösungsansätze die zunehmend komplexe Aufgabe der Therapiegestaltung von HI-Patienten und der mit der HI einhergehenden Komorbiditäten unterstützen. Der Einsatz von Softwarelösungen zur Datenanalyse oder die Anwendung von Algorithmen der sogenannten künstlichen Intelligenz ermöglichen eine sehr personalisierte Betrachtung der Patienten. Individuelle Prädispositionen, unterschiedliche Ausprägungen der Symptome und Reaktionen auf die Medikamente, Wechselwirkungen von Medikamenten und weitere patientenindividuelle Aspekte können in die Analyse einbezogen werden. Im Gegensatz zum menschlichen Gehirn können Algorithmen unzählige Daten verarbeiten und alle möglichen Kombinationen analysieren, sodass z. B. zusätzliche, bisher unbekannte Informationen offengelegt und genutzt sowie Risiken identifiziert und Präventionsstrategien entwickelt werden können. Anwendung finden solche Algorithmen bereits in verschiedenen EKG-Geräten zur vorläufigen Diagnose von Infarkten und Herzrhythmusstörungen (Benali et al. 2012). Bei der Patientenbefragung im Zuge von PASSION-HF wurde deutlich, dass die Individualisierung der Medizin aus der Sicht der Patienten und Angehören ein wichtiger Baustein in der Weiterentwicklung zukünftiger Versorgungskonzepte ist.

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8.3.3 Stärkung der Rolle des Patienten Der Einsatz von mHealth-Lösungen, also Technologien, die mobile Komponenten nutzen, um den Krankheitsverlauf und das Krankheitsverhalten der Patienten zu erheben, zu analysieren und zu beeinflussen, hat das Potenzial, Versorgungsprozesse zu revolutionieren und die Verfügbarkeit von medizinischen Leistungen für alle Patienten nachhaltig sicherzustellen. Die große Verbreitung von mobilen Technologien, wie beispielweise Mobiltelefonen und Tablets, bietet ideale Vorrausetzungen für die Patienten, um Daten zu sammeln und gesundheitsbezogene Interventionen durchführen zu können (Cajita et al. 2017). Die Ergebnisse von EheR∙versorgt zeigten, dass eine telemedizinische Begleitung von HI-Patienten einen positiven Einfluss auf deren Gesundheitszustand, Selbstmanagementkompetenz und Sicherheitsgefühl haben kann. Zudem wurde deutlich, dass die Akzeptanz und Anwenderfreundlichkeit der mobilen Geräte von hoher Bedeutung sind. Auch in anderen Studien zeigt sich, dass Mobiltelefone ein optimales Hilfsmittel sind, da sie – wie in EheR∙versorgt – eine Übertragungsfunktion erfüllen oder durch Gesundheits-Apps zur Symptomüberwachung genutzt werden können. Sie sind kontinuierlich zugänglich, tragbar sowie bequem und bereits in der Bevölkerung weit verbreitet (Masterson Creber et al. 2016). Hier erhält das Selbstmanagement der Patienten einen hohen Stellenwert. Patienten, die aktiv Selbstmanagement betreiben, profitieren von selteneren Krankenhausaufenthalten – die als größte Kostenverursacher gesehen werden – und berichten über eine höhere Lebensqualität (Toback und Clark 2017). Zum Selbstmanagement im Zusammenhang mit einer HI gehören beispielsweise eine regelmäßige Überwachung der Vitalparameter, wie Blutdruck und Puls sowie das Monitoring des Gewichtes und der Symptome, um negative Veränderungen rechtzeitig erkennen und entsprechende Maßnahmen frühzeitig ergreifen zu können. Durch den aktiven Einbezug der Patienten in ihren Versorgungprozess erhöht sich nicht nur das Wissen über die Erkrankung, sondern auch die Adhärenz der Patienten. Beide Faktoren haben, wie oben beschrieben, einen entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit der Therapie und damit auf die Prognose. Die Förderung des kontinuierlichen Selbstmanagements wird daher eindringlich empfohlen (Riegel et al. 2012), beispielsweise mit der Hilfe von mHealth-Anwendungen (Foster 2018). mHealth-Anwendungen werden bereits seit vielen Jahren zu Behandlung diverser ­ chronischen Erkrankungen wie Diabetes (Franklin et al. 2006), Bluthochdruck (Kiselev et al. 2012) und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen mit großem Erfolg eingesetzt (Liu et al. 2008). In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass der erfolgreiche Einsatz von mHealth-Anwendungen speziell für Menschen mit einer HI die Anzahl der Krankenhausaufenthalte und damit der HI-bezogenen Kosten reduziert sowie die Gesamt- und die HI-bezogene Mortalität senkt (Carbo et al. 2018). Daneben sorgen diese Interventionen ebenfalls für eine höhere Lebensqualität (Hagglund et al.

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2015). Andere Studien zu den Auswirkungen von mHealth-Interventionen kommen zu eher gemischten Ergebnissen (Cajita et al. 2016). So konnte noch nicht eindeutig gezeigt werden, welchen konkreten Nutzen für den Selbstmanagementprozess diese technologischen Hilfsmittel den Patienten mit HI bringen und auch in welcher Form sie geliefert werden sollten (Buck et al. 2018). Positiv kann man allerdings festhalten, dass die Adhärenz in Bezug auf die Benutzung solcher Anwendungen sehr hoch zu sein scheint (Nguyen et al. 2017) und in der Regel bei mindestens 80 % beispielweise in Bezug auf die tägliche Messung der Vitalzeichen liegt (Seto et al. 2012).

8.3.4 Akzeptanz Trotz der aufgezeigten Potenziale haben sich eHealth, Telemedizin oder mHealth-Lösungen auf dem deutschen Gesundheitsmarkt bisher nicht etablieren ­ können. Das deutsche Gesundheitssystem ist aufgrund der vorhandenen Grenzen sowohl zwischen den Sektoren als auch zwischen den Disziplinen stark segmentiert. Der Versorgungsprozess, welcher – insbesondere in der Behandlung chronisch kranker Menschen – als Ganzes gesehen werden sollte, ist dadurch zersplittert. Digitale Lösungen, m ­ Health-Produkte oder Telemedizin-Konzepte werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie die vorhandenen Strukturen überwinden und Brücken zwischen den Sektoren und Disziplinen schaffen. Dazu bedarf es organisatorischer und finanzieller Veränderungen, die bisher nur unzureichend implementiert wurden. Zudem müssen digitale Lösungen mit anderen Anwendungen kombiniert werden können. Die fehlende semantische und technische Interoperabilität zwischen aktuellen Systemen und Anwendungen behindert deren Nutzung. Die angestrebten Potenziale der Vernetzung und des Informationsaustausches können nicht realisiert werden. Dies betrifft zum einen die Ärzte, die aufgrund der getrennten Primärsysteme im ambulanten und stationären Bereich nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit haben, Informationen auszutauschen. Zum anderen mindert die geringe Kompatibilität die Technologieakzeptanz bei dem in der Regel älteren Patientenstamm, die eine generelle Skepsis gegenüber neuer Technologien haben (Boyne und Vrijhoef 2013; Nguyen et al. 2017). Darüber hinaus besteht ein hoher Bedarf an einfach zu bedienender Technologie in Verbindung mit Schulungen aufgrund mangelnder Technikaffinität und geringer Selbstwirksamkeit der häufig älteren Patienten mit einer HI. Weitere Einschränkungen sind Konzentrationsprobleme sowie visuelle und/oder kognitive Einschränkungen der Patienten (Boyne und Vrijhoef 2013; Ciere et al. 2012). Ein weiterer entscheidender Aspekt der Technologieakzeptanz ist der erwartete Nutzen (Venkatesh et al. 2012). Internationale Studien zur Nutzenbewertung von Telemonitoring-Konzepten kommen jedoch zu sich wiedersprechenden Ergebnissen. ­ Während Hindricks et al. (2014) eine signifikante Verbesserung der klinischen Ergebnisse, z. B. der Gesamtmortalität, innerhalb der Telemedizin-Gruppe (ICD und CRT-D) zeigten, berichteten Boriani et al. (2017) über keine Auswirkungen auf die klinischen

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Ergebnisse, identifizierten aber einen positiven Zusammenhang zwischen der Fernüberwachung von CRT-D-Systemen und einem geringeren Einsatz von Gesundheitsressourcen. Ein aktuelles Cochrane Review von Inglis et al. (2017) analysierte die Auswirkungen von strukturiertem Telefonsupport oder nicht-invasivem Telemonitoring. Es zeigte einen positiven Effekt der beiden Telemedizin-Konzepte auf das Risiko der Gesamtmortalität und auf das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes bei HI. Aktuelle deutsche Studienergebnisse zeigen eine Verringerung der Länge der Krankenhausaufenthalte und eine Senkung der Gesamtmortalität durch ein strukturiertes Telemonitoring mit externen Geräten (Koehler et al. 2018). Diverse systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen untersuchten die Auswirkungen von Telemonitoring und bestätigten die Schwierigkeit, den Nutzen zu bewerten (Inglis et al. 2011; Clark et al. 2007; Sousa et al. 2014; Augustin und Henschke 2012). Die Vergleichbarkeit und Validität der untersuchten Studien ist durch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Konzepte, die Einbeziehung verschiedener Patientenklientele und die Heterogenität von Studienendpunkten sehr eingeschränkt. Es existiert aktuell kein allgemein anerkannter Katalog von Qualitätsanforderungen an digitale Lösungen. Die Heterogenität der eHealth-Lösungen und die fehlenden Qualitätsanforderungen erschweren die Bewertung der Angebote, behindern deren Adoption und beeinträchtigen eHealth-Lösungen den Eingang in den deutschen Gesundheitsmarkt. Letztlich sind relevante Fragestellungen bisher noch nicht zur Genüge beantwortet oder untersucht. Durch die Einführung digitaler Lösungen verändert sich auch die Arzt-Patienten-Beziehung. Wie kann diese gestaltet werden, damit die persönliche, emotionale Beziehung und das gegenseitige Vertrauen erhalten bleiben? Benötigt der Arzt zusätzliche Qualifikationen, um die modernen Technologien sinnvoll zu interpretieren und einsetzen zu können? Wird die aktivere Rolle im Versorgungsprozess die Patienten überfordern und wie kann dies verhindert werden? Welche rechtlichen Implikationen ergeben sich aus einem zunehmenden Einsatz digitaler Systeme? Algorithmen und künstliche Intelligenz sind nur so gut wie die vorhandenen Daten. Wie kann sichergestellt werden, dass die Systeme nicht aufgrund der Daten bestimmte Patienten diskriminieren? Welche ethischen Standards sind notwendig, um den Einsatz digitaler Technologien gerecht und nutzbringend einzusetzen?

8.4 Schlussbetrachtung und Ausblick Die innovativen Anwendungen im Bereich Digitaler Medizin ermöglichen einen schnellen Austausch von Informationen und Daten zwischen den Patienten und unterschiedlichen Akteuren im Gesundheitswesen. Telemedizin und mHealth sind Beispiele für diesen digitalen Wandel. Der Gebrauch solcher Systeme bietet Lösungsmöglichkeiten für die Herausforderungen der Versorgung von HI-Patienten. Die enge Betreuung und das notwendige Monitoring des Krankheitsverlaufs sowie die individuell auf die Lebensumstände und Komorbiditäten der Patienten angepasste Therapie kann durch

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Telemedizin und eHealth-Lösungen gewährleistet werden. Zudem können Patienten eine aktivere Rolle in ihrem Versorgungsprozess einnehmen und in ihrem Selbstmanagement unterstützt werden. Dies wiederum führt zu einem besseren Wissen über die Erkrankung, einer höheren Adhärenz und einer hohen Lebensqualität. Darüber hinaus sollen digitale Lösungen die Kommunikations- und Koordinationsbrüche zwischen den beteiligten Akteuren überwinden, sodass eine hohe Qualität der Versorgung gewährleistet und Effizienzverluste vermieden werden können. Letztlich haben digitale Lösungen die Eigenschaft, dass sie orts- und zeitunabhängig genutzt werden können. Damit wird der Zugang zu Versorgungsleistungen deutlich vereinfacht. Die neuen Technologien in Form von Smartphones, Wearables, externen oder implantierten medizinischen Geräten sind bereits sehr verbreitet. Dazu kommen zukünftig Anwendungen der künstlichen Intelligenz und Datenanalysemöglichkeiten, die die aktuellen Vorstellungen der meisten Menschen noch nicht fassen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Möglich werden eine noch nie dagewesene Vernetzung, ein zeit- und ortsunabhängiger Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Akteuren sowie die Analyse von großen Datenmengen, um die Medizin zu personalisieren und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Trotz der Potenziale haben sich eHealth-Lösungen in Deutschland nur vereinzelt etablieren können, was unter anderem in der nicht eindeutigen Evidenz, den Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems und der fehlenden Interoperabilität begründet ist. Es bedarf demnach zum einen organisatorischer Veränderungen und finanzieller Anreize, z. B. über Vergütungen der Leistungen im Zuge der Regelversorgung, wie es bereits für Telekonsile in der Radiologie seit 2017 gegeben ist. Zum anderen werden digitale Lösungsansätze, Telemedizin und mHealth nur dann von den relevanten Akteuren, wie den Patienten, Ärzten, Krankenkassen und anderen, als notwendige und hilfreiche Ergänzung bzw. Alternative zur aktuellen Versorgung angenommen, wenn die Vorteile transparent und wissenschaftlich fundiert dargelegt werden. Es existieren zwar bereits zahlreiche Forschungsergebnisse, die die verbesserte Lebensqualität, Gesundheitssituation und geringere Mortalität der Patienten mit HI belegen, von einer breiten Akzeptanz der neuen Ansätze kann dennoch noch nicht gesprochen werden (Helms et al. 2019). Schließlich sollten Qualitätsanforderungen an digitale Lösungen definiert werden, die ethische, medizinische, haftungsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte beinhalten. Hier ist ein enger Schulterschluss zwischen der Wissenschaft und der Praxis gefragt, um die Digitalisierung in den nächsten Jahren zu begleiten und die Rahmenbedingungen der Anwendungen mitzugestalten.

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Dr. Bettina Zippel-Schultz  promovierte an der Technischen Universität Berlin zu dem Thema Innovationsmanagement in deutschen Krankenhäusern und ist seit September 2011 zuständige Leiterin des Bereichs Innovationsmanagement in der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke. In ihrem Verantwortungsbereich liegt die Planung, Durchführung und Koordination sowie die wissenschaftliche Evaluation von Projekten zu innovativen Versorgungskonzepten. Zudem plant und koordiniert sie klinische Studien, insbesondere in den Bereichen Kardiologie, Adipositas und Suchtmedizin. Dr. Alexander Palant  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektmanager bei der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke mit dem Hauptsitz in Fürth. Er hat im Jahr 2011 erfolgreich einen Diplom-Studiengang der Sozialwissenschaften in Göttingen abgeschlossen. Danach erarbeitete er im Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt „krankheitserfahrungen.de“. Dort schloss er auch im Jahr 2017 seine Dissertation ab. Seit 2018 lebt und arbeitet er in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören unter anderem: Projektmanagement, qualitative Sozialforschung, Arzt-Patienten-Kommunikation, Patientenempowerment und interkulturelle Medizin. Dr. Thomas M. Helms  ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke und Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie mit langjähriger klinischer Erfahrung. Seit 1998 befasst er sich in verschiedenen Vorhaben mit klinisch invasiver Elektrophysiologie und invasiver Kardiologie. Er engagiert sich für innovative Versorgungskonzepte im Gesundheitswesen, agiert beratend für die EU, Bundes- und Landesregierungen und ist Mitglied nationaler und internationaler Gesellschaften sowie Gutachter verschiedener Fachzeitschriften. In der Arbeitsgruppe 33 „Telemonitoring“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz und Kreislaufforschung e. V. (DGK) und der Task Force „Digitale Medizin“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) widmet er sich aktiv dem Thema e-Health.

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Die Rolle personalisierter mHealthAnwendungen zur Risikoreduktion der Alzheimererkrankung Hatem Al Khayyal und Hartmut Remmers

9.1 Einleitung Eine der häufigsten Krankheiten, die mit dem Altern zunehmen, ist die ­Alzheimer-Krankheit (AK) (Wimo et al. 2013). AK ist eine degenerative Krankheit, die das Gehirn angreift, schleichend beginnt und mit variabler Geschwindigkeit fortschreitet. In der letzten Phase der AK sind Patienten nicht mehr in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Die Krankheit führt zu einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses, des Denkens, des Urteilens und des Verhaltens. Es können 3 bis 20 Jahre vergehen, bis alle Phasen, beginnend mit dem Auftreten erster Symptome, durchlaufen sind (Isaacson 2017). Warnzeichen von AK sind Gedächtnisverlust, der sich z. B. auf die Arbeitsfähigkeit und selbständige Lebensführung auswirkt, Schwierigkeiten bei der Ausführung vertrauter Aufgaben, Probleme bei der Wortfindung, Desorientierung über Zeit und Ort, schlechtes oder vermindertes Urteilsvermögen, Schwierigkeiten beim Lernen und abstrakten Denken, Wahl eines Aufenthalts an ungeeigneten Orten, Stimmungs- und Persönlichkeitsveränderungen und deutlicher Verlust der Initiative (Jack et al. 2018). Symptome einer AK wurden erstmals 1906 beschrieben, aber es dauerte etwa 70 Jahre, bis ein einheitliches Krankheitsbild mit hirnorganischen Ursachen formuliert wurde. Mit zunehmender Häufigkeit wurde AK zu einem wichtigen Thema der öffentlichen Gesundheit in einer alternden Gesellschaft und zu einem bedeutenden Forschungsschwerpunkt (Katzman 1976).

H. Al Khayyal (*) · H. Remmers  Universität Osnabrück, Osnabrück, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Remmers E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_9

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In unserem Beitrag lassen wir uns von folgenden Fragestellungen leiten: Welche Möglichkeiten gibt es, das Risiko einer AK zu reduzieren? Wie können Ansatz der personalisierten Medizin und mHealth-Anwendungen zur Risikoreduktion von AK beitragen? Welche Anforderungen bestehen an mHealth-Anwendungen zur Risikoreduktion von AK. Der Beitrag thematisiert diese Fragestellungen und beleuchtet die aktuellen Änderungen im Konzept von AD und wie personalisierte mHealth-Anwendungen dazu beitragen können, die Risikoreduktion von AD besser umsetzen zu können. Der Beitrag zeigt Benutzungsmöglichkeiten von mHealth-Anwendungen zur Risikoreduktion von AK auf und gibt Anregungen, wie ethische und datenschutzrechtliche Aspekte bei der Anwendung personalisierter Konzepte von mHealth besser entsprochen werden kann.

9.2 Prävalenz der AK Etwa 50 Mio. Menschen leiden momentan weltweit an Demenz (Prince et al. 2015). Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gibt es rund 1,7 Mio. Deutsche, die an einer Demenz leiden. Schätzungen zufolge ist von einer jährlichen Steigerung der Krankenzahl um 40.000 auszugehen, falls kein Durchbruch in Therapie und Prävention gelingt. Die Zahl der Demenzkranken wird sich dann bis zum Jahr 2050 auf mehr als drei Millionen erhöhen. Zu den häufigsten Formen gehört die Demenz vom ­Alzheimer-Typ (Informationsblatt 1 Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen Deutsche Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz 2018).

9.3 Das Konzept des Alzheimer-Krankheitskontinuums Rodríguez-Gómez et al. (2014) stellen fest, dass sich unser Verständnis von der AlzheimerKrankheit in den letzten Jahren grundlegend verändert hat. 2011 schlug die AlzheimerGesellschaft überarbeitete Leitlinien für die Diagnose der ­Alzheimer-Krankheit vor. Die überarbeiteten Leitlinien beruhen auf Fortschritten in der Forschung, die inzwischen Biomarker, hirnorganische Bildgebungsverfahren, genetische Risikoprofile und Liquorproteine diagnostisch einschließt (Alzheimer’s Association 2015). Aufgrund dieser diagnostischen Weiterentwicklung wurde das Konzept des ­ Alzheimer-Krankheitskontinuums (engl. „Alzheimer’s disease Continuum“) vorgeschlagen (siehe Abb. 9.1). Kontinuum ist im Allgemeinen definiert als eine nahtlose Sequenz, in der sich benachbarte Elemente (Schweregrade) nicht spürbar voneinander unterscheiden, obwohl die Extreme unterschiedlich sind. Bei der AK gibt es ein Kontinuum, das sich sowohl auf biologischer als auch auf klinischer Ebene darstellen lässt. Das AK-Kontinuum umfasst sowohl die präklinische (klinisch asymptomatische Personen mit Nachweis einer AK-Pathologie) als auch die klinische (symptomatische) Phase. In diesem Kontinuum gibt es sequentielle, aber drei überlappende Phasenquadrate zum Krankheitsverlauf. Für die diagnostische Abklärung kann es hilfreich

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Präklinisch

•Messbare Veränderungen im Gehirn, in der Rückenmarksflüssigkeit und/oder im Blut (Biomarker), die auf die frühesten Anzeichen einer Erkrankung hinweisen, •Keine Symptome eines kogniven Verfalls

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Prodromal/ Leichte kognive Beeinträchgung

•Nachweis einer Alzheimerbedingten BiomarkerVeränderung •kogniver Rückgang stärker als erwartet für ihr Alter und Bildungsniveau, •Dieser Rückgang beeinträchgt die täglichen Akvitäten nicht wesentlich.

AlzheimerDemenz

•Alzheimer-bezogene Biomarker-Änderung, •wahrnehmbare Anzeichen und Symptome einer Demenz, die die Fähigkeit einer Person beeinträchgen, ihre Unabhängigkeit im Alltag zu wahren.

Abb. 9.1   Das Alzheimer-Kontinuum. (Quelle: Eigene Darstellung 2019)

sein, von der letzten, aber klarsten Phase dieses Kontinuums, der manifesten AlzheimerDemenz, auszugehen. Eine Alzheimer-Demenz kann durch eine Alzheimer-bedingte ­Biomarker-Veränderung nachgewiesen werden, zusammen mit erkennbaren Anzeichen und Symptomen von Demenz wie Gedächtnis-, Denk- und Verhaltensänderungen, die die Fähigkeit einer Person beeinträchtigen, ihre Unabhängigkeit bei täglichen Aktivitäten aufrechtzuerhalten (Anderson und Egge 2014). Die Progredienz der AlzheimerDemenz erfolgt in einer weiteren harten, klinisch unterscheidbaren Phase namens Prodromal AK. Bei Menschen in dieser Phase lässt sich eine Alzheimer-bedingte Biomarker-Veränderung nachweisen. Sie zeigen einen kognitiven Rückgang, der für ihr Alter und Bildungsniveau größer ist als erwartet. Dieser Rückgang stört aber die alltäglichen Aktivitäten nicht signifikant. Die früheste, aber kaum unterscheidbare Phase ist die präklinische ­Alzheimer-Krankheit. In dieser Phase haben Individuen messbare Veränderungen im Gehirn, in der Rückenmarksflüssigkeit und/oder im Blut (Biomarker), die auf früheste Anzeichen einer Erkrankung hinweisen, aber noch keine Symptome wie Gedächtnisverlust entwickelt haben (Alzheimer-Krankheit Fakten und Zahlen 2018). Neuere Studien deuten darauf hin, dass Alzheimer-bedingte Hirnveränderungen 15 Jahre oder mehr vor Auftreten erster Symptome beginnen können (Villemagne et al. 2013; Reiman et al. 2012; Jack et al. 2009; Bateman et al. 2012). Es gibt auch individuelle Unterschiede beim graduellen kognitiven und funktionellen Abbau, und nicht alle Individuen werden während ihres Lebens eine AK-Demenz entwickeln oder verschiedene Schweregrade einer AK-Demenz durchschreiten. Individuelle Unterschiede können sich aus den verschiedenen Risikofaktoren ergeben, die sowohl genetisch bedingt als auch modifizierbar sind und bekanntermaßen mit der Entstehung der Krankheit in Verbindung gebracht werden (Aisen et al. 2017). Hinsichtlich der Risikobewertung von AK werden derzeit besonders große Anstrengungen unternommen, um das genetische Risiko zu entwirren. Da AK jedoch zusätzlich beträchtliche nicht-genetische Komponenten aufweist, wird es unerlässlich sein, die zugrunde liegenden Umweltfaktoren zu identifizieren und Einblicke in

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die bestehenden Wechselwirkungen zwischen genetischer Disposition und Umwelt zu gewinnen. Etablierte Beispiele für bekannte Umweltfaktoren, die das Risiko für AK erhöhen, sind zerebrovaskuläre Erkrankungen wie Bluthochdruck, traumatische Hirnverletzungen (TBI) oder geistige oder körperliche Inaktivität. Zerebrovaskuläre Veränderungen wie hämorrhagische Infarkte, kleine und große ischämische kortikale Infarkte, Vaskulopathien und Veränderungen der weißen Substanz erhöhen das Risiko einer Demenz. Tatsächlich weisen die Ergebnisse aus populationsbezogenen Risikomodellen darauf hin, dass jeder dritte Fall von AK mit modifizierbaren Risikofaktoren in Verbindung gebracht werden kann. Die Ausrichtung auf modifizierbare AK-Risikofaktoren durch einen patientenzentrierten Ansatz wie beispielsweise in der personalisierten Medizin stellt eine praktische Methode zur potenziellen Reduzierung des AK-Risikos dar (Aisen PS et al. 2017; Isaacson et al. 2018).

9.4 Patientenzentrierte Vorgehensweise Die personalisierte Medizin (engl.: personalised medicine or precision medicine) ist ein Ansatz für das Krankheitsmanagement, bei dem die individuelle Variabilität bezüglich Umwelt, Lebensstil und genetischer Disposition eines jeden Menschen berücksichtigt wird. Allerdings ist festzustellen, dass es keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs „personalisierte Medizin“ gibt. Gemäß einem Beschluss des Europäischen Rates zur personalisierten Medizin handelt es sich jedoch um ein medizinisches Modell, das die Charakterisierung der Phänotypen und Genotypen des Einzelnen (z. B. molekulares Profiling, medizinische Bildgebung, Lifestyle-Daten) nutzt, um die richtige Therapiestrategie für die richtige Person zur richtigen Zeit zu finden und/oder die Prädisposition für Krankheiten zu bestimmen und/oder eine rechtzeitige und gezielte Prävention zu empfehlen. Personalisierte Medizin ist Teil eines umfassenderen Konzepts der patientenzentrierten Versorgung, dessen Ziel darin besteht, dass die Gesundheitssysteme im Allgemeinen besser auf die Bedürfnisse der Patienten auszurichten sind (Council of the European Union 2015), wobei zu unterstellen ist, dass diese Bedürfnisse nicht immer Interessen an Prädiktion identisch sind. Hypothesen zu Krankheitsmechanismen der AK haben zur Entwicklung von Medikamenten geführt, die in großen klinischen Studien getestet wurden. Allerdings waren die Ergebnisse der bisher abgeschlossenen Studien enttäuschend, da die derzeitigen Behandlungsstrategien für die AK nur minimale Wirkung gezeigt haben. Diese Misserfolge haben Forscher dazu veranlasst, klinische Studien in einem früheren Stadium der Krankheit durchzuführen, davon ausgehend, dass eine frühere Intervention effektiver sein könnte. Ein weiterer wichtiger Grund für das Scheitern bisheriger Behandlungsstrategien dürfte wahrscheinlich darauf zurückzuführen sein, dass AK als homo-

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gene Krankheit betrachtet wird. Die Risiko- und Molekularprofile von Personen mit AK weisen allerdings große Unterschiede auf. Deswegen ist anzunehmen, dass durch Gruppierungen von Patienten mit unterschiedlichen Risiko- oder Molekularprofilen als jeweils eine einzige Einheit kleine Untergruppen verdeckt werden, die möglicherweise auf ein bestimmtes Behandlungssystem reagieren (Reitz 2016).

9.5 Personalisierte Medizin und Alzheimer-Krankheit Gemäß dem Konzept der personalisierten Medizin basiert die Behandlung der Alzheimer-Krankheit auf einer „erweiterten Krankengeschichte“ (d. h. unter Einbeziehung der Neuroentwicklung, akademische Trajektorie (was bedeutet das?), vergangener und aktueller Lebensstilmuster, Umwelteinflüsse und Lebenslaufereignisse). Diagnostisch erfolgt dabei z. B. eine Kombination von Daten der persönlichen Vorgeschichte mit Ergebnissen der körperlich-neurologischen Untersuchung, die wiederum in Verbindung mit Daten der „Anthropometrie“ wie Größe und Gewicht oder Body-Mass-Index (BMI), Blutbiomarkern (einschließlich genetischer Diagnostik) und kognitiver Leistung interpretiert werden (Schelke et al. 2016). Ein multimodaler Managementplan wird sodann erstellt, indem jeder Punkt der Daten im Kontext anderer Datenpunkte ausgewertet wird, um auf dieser Grundlage in einer längsschnittlichen Abbildung die Wirksamkeit dieser klinischen personalisierte- medizinischen Intervention zu bewerten und weiter zu verfeinern. Unter gleichzeitiger Berücksichtigung mehrerer Datenpunkte ist es möglich, die potenzielle Zuverlässigkeit des medizinischen Interventionsprozesses zu maximieren (Seifan und Isaacson 2015). MHealth wird derzeit verwendet, um den Behandlungsentscheidungsprozess durch die Erhebung personalisierter Daten sowie von Patientenpräferenzen zu unterstützen. Durch mHealth kann die aktive Teilnahme von Patienten (und Familien) ebenso wie von Ärzten am Behandlungsprozess verbessert werden. Eine qualitativ hochwertige und effiziente personalisierte Versorgung ist möglich durch eine Personalisierung von „generischen“ Therapieplänen, um Patienten über ihr Versorgungsumfeld hinaus mit Informationen zu unterstützen (Boyd et al. 2017; Elfaki et al. 2018). ­MHealth-Anwendungstechnologie erweist sich als hilfreich, um personalisierte, Evidenz basierte Interventionen durchführen und dadurch eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung aufrechterhalten und gesündere Gemeinschaften schaffen zu können. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Professionelle im Gesundheitswesen beim Einsatz von ­mHealth-Technologie in Betracht ziehen sollten, wenn es beispielsweise darum geht, den Gesundheitsstatus zu verbessern: 1. die Verwendung eines digitalen Biomarkers; 2. die Verwendung eines Smartphones als „Datenträger“ für personenbezogene Daten

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9.5.1 Ad 1): digitaler Biomarker Biomarker sind Instrumente zur Messung biologischer Merkmale, die sich auf die Häufigkeit oder Entwicklung von Krankheiten beziehen. Diese Messungen müssen objektiv, reproduzierbar und quantifizierbar sein. Kriterium für die Sensitivität dieser Messungen ist, dass sie den natürlichen Krankheitsverlauf und die Auswirkungen von Maßnahmen genau erfassen. „Digitale Biomarker“ wiederum zielen auf „verbrauchergenerierte physiologische und verhaltensbezogene Messungen, die über vernetzte digitale Werkzeuge erhoben werden“. (Wright et al. 2017). Der „digitale Biomarker“ kann physiologisch, kognitiv, psychologisch oder verhaltensorientiert ausgerichtet sein. Beispiele für digitale Biomarker im Kontext von AK sind Messungen der Schlafmenge und -muster, der Art und Dauer der körperlichen Aktivität, der Gangarten, der emotionalen Stimmungen und der Fähigkeiten, Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Wahrscheinlichkeit, anatomische und physiologische Veränderungen (z. B. mit dem Endpunkt: neuronaler Tod) rückgängig zu machen, mit fortschreitender Alzheimer-Krankheit dramatisch abnimmt. Inzwischen ist zunehmend wissenschaftlich bestätigt worden, dass kognitive, sensorische und motorische Veränderungen den klinischen Manifestationen der AK um mehrere Jahre vorausgehen können (Sperling et al. 2014). Der digitale Biomarker wird den patientenzentrierten mHealth-Anwendungen mehr Chancen eröffnen, die Krankheit in präklinischen und prodromalen Phasen zu erkennen, und dadurch den Menschen helfen, ihren Gesundheitszustand und ihre Risikofaktoren zu überwachen. Das Interesse an der Identifizierung von leicht zugänglichen digitalen Biomarkern bei denen, die weit verbreiteten mobilen und tragbaren Technologien wie Smartphones, Tablets und Smarte Armbanduhren nutzen, wächst (Dorsey et al. 2017). Aus verschiedenen Gründen ist der digitale Biomarker die praktische Lösung für die Früherkennung kognitiver Einbußen. Erstens sind die bestehenden validierten neuropsychologischen/kognitiven Tests zur Diagnose neurodegenerativer Erkrankungen oft wenig effektiv, um Abweichungen vom normalen Verlauf kognitiver Leistungsminderung im Frühstadium einer Demenz zu erkennen. Darüber hinaus können kognitive Tests unter intrinsischen kulturellen Verzerrungen leiden, relativ lange Zeit in Anspruch nehmen, nur episodische Informationen liefern, „Praxiseffekt“ oder „Deckeneffekt“ zeigen und Bewerter-abhängig sein (Dorsey et al. 2017). Dagegen versprechen andere anspruchsvolle Tests wie die strukturelle MRT-Bildgebung und die molekulare ­PET-Bildgebung von Beta-Amyloid und Tau-Protein eine frühere Erkennung von demenziellen Erkrankungen, obwohl diese Tests derzeit aufgrund ihrer Kosten und invasiven Natur auf Forschungsanwendungen beschränkt sind. Digital-Biomarker haben das Potenzial, diese Einschränkungen zu überwinden. Ihre Anwendung wird deshalb in der AK-Detektion zunehmendes Interesse entgegengebracht (Dagum 2018). Bei alledem ist daran zu erinnern, dass sehr sorgfältig auf Einwilligen der Betroffenen bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter zu achten ist. Ablehnungen von verfügbaren Angeboten können zu Konflikten führen, für die professionell moderierende Gespräche vorzusehen sind.

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Kliniker und Forscher können die mHealth-Technologie nutzen, um quantifizierbare digitale Biomarker zu entwickeln, die es ermöglichen, Wirksamkeitssignale besser zu erkennen als einige der vom Patienten oder von Gesundheitsprofessionellen eingesetzten Ergebnisfragebögen (NHS 2019). Eine Möglichkeit, die Endpunktsensitivität von Testinstrumenten zu erhöhen und damit die Studiengröße zu reduzieren, besteht darin, objektive Leistungsmessergebnisse zu sammeln, z. B. Aktivitätswerte, Bewegungsumfang und Schlaf-Wach-Zyklen. Viele Fragebögen zur Lebensqualität enthalten oft Fragen wie: Können sie 50 Schritte gehen? Oder: Können sie Treppen steigen? Anstatt die Patienten zu bitten, sich daran zu erinnern, was sie geleistet haben, können Beschleunigungssensoren die zurückgelegte Wegstrecke oder die Anzahl erklommener Stufen genau messen werden unabhängig von einer subjektiven Dateneingabe. Durch eindeutige Quantifizierbarkeit von Daten können Kohortenunterschiede genauer erfasst und bestimmt werden, was eine Reduzierung der Studiengröße ermöglichen würde. Allerdings erfordert die Einführung neuer digitaler Biomarker mehrere Studien, bei denen Technologie-, Pharma-, Forschungs- und Zulassungsexperten eng zusammenarbeiten müssen (Kish und Topol 2015; Elenko et al. 2015). Werden mHealth-Anwendungen mit Big-Data Trends verknüpft, so bestehen Möglichkeiten nicht nur einer multimodalen (d. h. auf unterschiedlichen Arten der Erfassung heterogener Daten beruhenden) und einer multiskalaren (d. h. von einer molekularen bis zur Verhaltens- und Bevölkerungsskala reichenden) Darstellung der Alzheimer-Krankheit, sondern auch einer statistischen Assoziation verschiedener Datentypen und -skalen. Dies könnte den Mangel an Daten-Integration beheben, der derzeit bei der Behandlung der Alzheimer-Krankheit und versuchen ihrer wirksamen Vorbeugung und Reduzierung beobachtet wird (Méndez et al. 2016). Inzwischen gibt es neue Anwendungsmöglichkeiten von mHealth, die durch den Einsatz von Mobiltelefonen sowie durch die Entwicklung von Bildgebungs-, Sensorik-, Diagnose- und Messwerkzeugen der nächsten Generation entstehen. Zu nennen wäre die digitale Plattform Neurotrack. Sie besitzt die Fähigkeit, AK in ihren frühesten Stadien zu erkennen, indem sie das Erkennungsgedächtnis bewertet. Dabei handelt es sich um eine Funktion, die spezifisch ausgeprägt ist in der Hippocampus-Region des Gehirns, welche ihrerseits im Frühstadium einer AK pathologisch betroffen ist. Bei einigen Anwendungen von mHealth werden traditionelle Diagnosewerkzeuge verwendet und sie in eine digitale Plattform integriert. Dies ist bei CogniSense von Quest Diagnostics der Fall. Ein stärker transformativer Ansatz wird mit dem Einsatz des Anoto-Stiftes verfolgt, der die Position des Schreibgeräts bis zu 80 Mal pro Sekunde messen kann. Der Einsatz solcher digitalen Beurteilungsinstrumente kann nicht nur den Gesundheitsprofessionellen Zeit im Diagnoseprozess ersparen, sondern ermöglicht auch eine objektivere Patientenbewertung.

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9.5.2 Ad 2): Smartphone als Datenträger für personenbezogene Daten Die multifaktorielle Genese und Ausprägung von AK zwingt uns, mehrere verschiedenartige Daten zu sammeln, zu analysieren und zu integrieren. Derzeit werden Gesundheitsdaten nicht an einem zentralen Ort, sondern an vielen Orten gesammelt, wie beispielsweise in elektronischen Gesundheitsakten (soweit vorhanden), in persönlichen Behandlungsdokumenten und gegebenenfalls auch in Forschungsdatenbanken. Mobile Apps scheinen möglicherweise eine einfache und effektive Lösung zu sein, um Probleme der Diversifizierung von Daten zu überwinden. Personen neigen in letzter Zeit dazu, beispielsweise das Smartphone als Datenträger für persönliche, elektronisch gespeicherte Gesundheitsdaten zu nutzen (Ventola 2014). Aktuelle Verbrauchertrends deuten darauf hin, dass viele Menschen Smartphones und am Körper getragene Sensoren zur automatischen Messung und Kontrolle ihrer Gesundheit nutzen, beispielsweise ihre Schlafrhythmen und Dauer, verschiedene Vitaldaten und Ausmaß körperlicher Bewegung. Es wird immer leichter, auf eine persönliche elektronische Krankenakte über mobile Anwendungen zuzugreifen, wie bspw. Anwendungen wie Track My Medical Records und iBlueButton (Megalingam et al. 2014). Dabei sollten jedoch kritische Einwände gegenüber diesen Formen zunehmender Selbstvermessung in unserer Gesellschaft nicht übersehen werden (vgl. insbesondere: Selke 2014). Persönliche Genomsequenzdaten stehen potenziell auch zum Herunterladen und Überprüfen auf einem iPad zur Verfügung, und bald werden die meisten routinemäßigen Labortests wahrscheinlich von Verbrauchern mit Smartphone-Kits erhältlich sein. Wenn sich solche Trends fortsetzen, ist es denkbar, dass mobile Geräte die Funktion persönlicher Gesundheitsdaten-Repositorien übernehmen. Möglicherweise könnte damit der Datenbesitz von Gesundheitsdienstleistern auf Patienten verlagert werden. Eine neue Art der Durchführung klinischer Studien könnte darin bestehen, Studienteilnehmer zu bitten, ihre Daten direkt über ihr Smartphone zu übermitteln. Im März 2015 startete Apple das ResearchKit, eine iPhone-basierte Open-Source-Plattform, die es Forschern ermöglicht, App-basierte Forschung zu verwalten. Seit seinem Debüt hat das ResearchKit die direkte Datenerfassung von Patienten als einen Erfolg deklariert und damit ein Zukunftspotenzial der Standardisierung und Wiederverwendbarkeit von Forschungsapplikationen. Durch weitere Verbesserung der Plattform kann der Datenerhebungsprozess weiter rationalisiert und eine Standardisierung der Forschung ermöglicht werden. Die Fernüberwachungstechnologie bietet ähnliche Vorteile bei der Beschleunigung der Datenerfassung, der Verbesserung der Datenqualität und der Senkung der Studienkosten, insbesondere in pharmazeutischen Studien, GlaxoSmith- Kline arbeitet in Zusammenarbeit mit der McLaren Group und Medidata an der Entwicklung der Echtzeit-Datenerfassung und der mHealth-Studienfähigkeit, mit ermutigenden vor­ läufigen Ergebnissen (Hofmann 2015).

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Smartphones bieten ein großes personalisiertes, direktes und hochfrequentes Erfassungspotenzial und stellen eine einzigartige Möglichkeit dar, den Nutzen digitaler Biomarker bei der Erkennung der Alzheimer-Krankheit rechtzeitig und wirtschaftlich zu erhöhen, und zwar: a) durch eine Ausweitung der Nutzung b) durch unmittelbaren Zugang zu Informationen aufgrund der inhärenten Konnektivität c) die zunehmende Genauigkeit vermehrt eingesetzter Sensoren d) durch finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems, da diese Geräte zunehmend von weiten Teilen der Bevölkerung genutzt werden. Es wird erwartet, dass das Smartphone die Funktion eines „Gateway“ übernimmt, indem es eine Vielzahl von persönlichen Informationen zu und von einer Cloud-Infrastruktur wie Servern leitet. Plausibel erscheint damit die Aussage: „große Daten beginnen mit kleinen Daten“. Denn erst wenn kleinere, aus verstreuten Quellen gewonnene Datensätze über eine große Anzahl von Nutzern aggregiert werden, besteht eine große Chance für Kliniker und Forscher, qualitativ hochwertige Daten zu nutzen. Sie erleichtern nicht allein die Erforschung spezifischer Krankheitsursachen, sondern auch die Entscheidung für bestimmte, auf einzelne Patienten zugeschnittene Behandlungen.

9.6 Benutzung von Smartphones in Deutschland Eine Untersuchung des GFK-Vereins, jetzt Nürnberger Institut für Marktentscheidungen, aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Handy- und ­Smartphone-Besitzer in der älteren Generation stetig wachse (siehe Abb. 9.2). „Heute besitzen bereits 60 Prozent der 50- bis 60-Jährigen, 37 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und 14 Prozent der über 70-Jährigen ein Smartphone“, lautet ein Ergebnis der Studie mit dem Titel: „Nicht ohne mein Handy“ – auch jenseits der 50 (Nürnberger Institut für Marktentscheidungen 2016).

9.7 Interventionsstudien zur mHealth-unterstützten Reduzierung des Risikos von AK: Aktivitäten und einige physiologische Veränderungen können mithilfe von digitalen Fern-Sensoren (tragbares, feste Sensoren, Smartphones) gemessen werden, die kontinuierliche Daten liefern, um über eine solche Biosignatur zu informieren. Es ist zu erwarten, dass im Rahmen der personalisierten Medizin eine frühzeitige Erkennung und Intervention möglich ist. Dies möchten wir an zwei Beispielen illustrieren:

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Abb. 9.2   Nutzung von Smartphones in der Altersgruppe 50 plus. (Quelle: NHS 2019)

Zur Machbarkeit sensorischer Früherkennung einer AK Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf eine multizentrische Machbarkeitsstudie in Großbritannien, die gezeigt hat, dass kostengünstige, am Körper getragene Sensoren zur Beurteilung des Ganges eine Alzheimer-Krankheit potenziell frühzeitig erkennen und ihr Fortschreiten überwachen können. Die Studie zielte darauf ab, Aussagen über die Akzeptanz und Machbarkeit einer umfangreichen und wiederholten Phänotypisierung durch die Teilnehmer treffen zu können. Dabei ging es um eine optimale Kombination von Biomarkern zur Erkennung des Krankheitsverlaufs und zur Identifizierung des frühen Risikos einer Alzheimer-Krankheit (AK). Sechs Zentren der „National Institute for Health Research Translational Research Collaboration in Dementia Initiative“ rekrutierten 20 Personen mit AK im Frühstadium. Die Teilnehmer trugen einen einzigen tragbaren (dreiachsigen Beschleunigungssensor) und führten sowohl klinikbasierte als auch eine häusliche Aufgabe mit dazugehöriger Ganganalyse durch. Es konnte festgestellt werden, dass die Messung und Beurteilung der Gehfähigkeit mithilfe der am Körper getragenen Sensoren in beiden Settings möglich ist. Hinsichtlich des Einsatzes der am Körper getragenen Beschleunigungssensoren zeigten die Teilnehmer eine gute Akzeptanz. Nach Ansicht von Experten kann dieser Ansatz eine finanziell erschwingliche, multizentrische und häusliche Überwachungsalternative mit Vorteilen für Patienten

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und Klinikmanagement bieten. Klinische Biomarker wie Gang- und Verhaltensänderungen gelten als Schlüsselfaktoren zur Früherkennung einer sich anbahnenden Demenz. Die Forscher beobachteten auch, dass am Körper getragene Sensoren im häuslichen sowie klinischen Kontext die Effizienz klinischer Studie verbessern können. Die Fähigkeit, Veränderungen in allen Verhaltensaspekten des Lebens detektieren und beurteilen zu können, wird als ein großer Schritt nach vorne in der Datenerhebung und Datenverarbeitung betrachtet (Mc Ardle et al. 2018). Zur sensorischen Überwachung und Erkennung von Verhaltensänderungen bei einer AK Verhaltensänderungen lassen sich längsschnittlich durch sogenannte Aktivitätskarten dokumentieren, wie in nachstehender Abbildung gezeigt wird (siehe Abb. 9.3). Bei der linken Abbildung handelt es sich um die Aktivitätskarten einer gesunden Person (Alter = 87 Jahre, Frau, MMSE = 28), erstreckt über 20 Tage, bei der rechten Abbildung um die Aktivitätskarte eines Alzheimer-Patienten (Alter = 82 Jahre, Frau, MMSE = 13). Visualisiert wurden Bewegungsdaten während eines normal strukturierten Tages. Das Konzept des AK-Kontinuums dient als Grundlage für den Einsatz von Sensoren zur Erkennung von Verhaltensänderungen bei demenzgefährdeten Personen. Die kontinuierlich erhobenen Daten erlauben es, Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) frühzeitig und relativ sicher zu identifizieren. Damit wird es möglich, ihnen möglicherweise bereits verspürte Veränderungen etwa ihrer psychischen Gesundheit verständlich zu machen. Urwyler et al. (2017) benutzten ein drahtloses, unauffälliges (ambientes, nicht tragbares, nicht kamerabasiertes) Sensornetzwerk, das keine Interaktion mit dem Benutzer erfordert, um Umgebungsdaten im Haus von zehn Demenzkranken und zehn altersgerechten Gesunden für zwanzig aufeinander folgende Tage zu erfassen.

Abb. 9.3   Vergleich der Aktivitätskarte eines gesunden Probanden (links) und eines AlzheimerPatienten (rechts) für die Messdauer von 20 Tagen. (Quelle: Urwyler et al. 2017)

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Die Struktur des täglichen Lebens wurde in Kategorien eingeteilt, die auf Aktivitätsphasen des täglichen Lebens, Routinen ebenso wie Entspannung basieren. Die Visualisierung der Tagesstruktur eines Patienten mit mittlerer bis schwerer ­Alzheimer-Demenz zeigt eindrucksvoll die Auswirkungen der Erkrankung auf das Verhalten und verdeutlicht das Potenzial der Verhaltensüberwachung zur Früherkennung von AK in der präklinischen und prodromalen Phase (Urwyler 2017).

9.8 Zukünftige Entwicklungen Gesundheitsunternehmen sind bestrebt, klinische Ergebnisse in Diagnostik und Therapie zu verbessern, den Zugang zur Versorgung zu erweitern sowie Kosten und Effizienz zu optimieren. In Zukunft wird die Verantwortung von Gesundheitsdienstleistern für klinische Erfolge wachsen und die Bezahlung wird leistungsgerechter zu erfolgen haben. Die Herausforderung besteht darin, neue Dienstleistungsmodelle zu entwickeln und marktgerecht umzusetzen. Viele Experten glauben, dass die Explosion der Fülle klinischer Daten und die neuen Technologien, die diese Daten bereitstellen, verarbeiten und übersetzen, entscheidend für den Erfolg sein werden (Beam 2018). Es ist anzunehmen, dass in Zukunft durch den digitalen Biomarker der ­Alzheimer-Krankheit präzise Aussagen darüber getroffen werden können, warum die Krankheit und ihre Symptome bei einigen Personen schneller voranschreiten als bei anderen, und wie die Krankheit verhindert, verlangsamt oder bestenfalls gestoppt werden kann. ­Biomarker-Tests sind unerlässlich, um festzustellen, welche Personen sich in frühen Erkrankungsstadien befinden und welche Behandlungen sie erhalten sollten, um die Krankheit zu verlangsamen oder vielleicht sogar zu stoppen, wenn entsprechende Behandlungen verfügbar sind. Biomarker-Tests werden auch für die Überwachung der Behandlungseffekte entscheidend sein. Zukünftige Behandlungen, die dem Fortschreiten der ­Alzheimer-Krankheit entgegenwirken, werden dann am effektivsten sein, wenn sie frühzeitig durchgeführt werden, entweder im Stadium von MCI aufgrund von Alzheimer oder im präklinischen Stadium. Auch werden momentan neue Ansätze für das AK Behandlung verfolgt, die häufigere Interaktionen mit Patienten durch zusätzliche häusliche Sensorsysteme und Fernüberwachungsprotokolle beinhalten (Feero 2018; Preusse 2017). Die klinische Forschung kann von dem sich entwickelnden Bereich von mHealth, insbesondere von Biomarkern bei der Entwicklung von Therapien, profitieren. Sie ermöglichen es, frühzeitig Personen zu identifizieren, die potenziell aufgrund bestimmter Merkmale oder Anzeichen für klinische Studien geeignet sind. Denn wir wissen heute, dass die Alzheimer-Krankheit bereits viele Jahre vor dem Auftreten von Symptomen beginnt.

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9.9 Herausforderungen 9.9.1 Ansatz der personalisierten Medizin Der personalisierte medizinische Ansatz ermöglicht es, das potenzielle Risiko für die Entwicklung einer AK zu identifizieren. Obwohl diagnostische Verfahren wesentliche Informationen für die klinische Entscheidungsfindung zur Vorbeugung dieser Krankheiten liefern, gibt es viele Herausforderungen zu meistern, bevor dieser Ansatz in der Praxis angewandt werden kann. Die erste Herausforderung liegt in einer falschen Interpretation des Begriffs „Risiko“ bezüglich der Entstehung einer AK. Der Begriff „Risiko“ als ein Terminus der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, eine Krankheit zu entwickeln, birgt die Gefahr in sich, Stress und Angst bei den betroffenen Personen zu erzeugen und unüberlegte Handlungen zu evozieren. „Risiko“ meint hier, dass eine Erkrankung eintreten kann, aber nicht muss (Reitz 2016). Eine Alzheimererkrankung kann sich viele Jahre später erst entwickeln oder auch gar nicht. Der Begriff des Risikos erzeugt hier eine Unsicherheit, die sich negativ auf das Empfinden des Betroffenen und seines Umfeldes auswirken kann. „Risiko“ meint jedoch, dass eine Krankheit sich in der Zukunft entwickeln wird, wobei das Risiko als Maß für laufende pathophysiologische Prozesse angeben wird. Dies setzt jedoch handfeste klinische Studien voraus, die Beweise für diese Interpretation liefern. Mit dem Wissen um konkrete pathologische Prozesse lässt sich das Risiko anders ausdrücken, nämlich konkreter, was dazu führt, dass unnötige Stress- und Angstgefühle vermieden werden und der psychische Zustand der Personen nicht negativ beeinflusst wird beziehungsweise ihnen psychologische Unterstützung zukommt. Gerade der Umstand, dass es zurzeit keine Heilungsmöglichkeiten für eine Alzheimererkrankung gibt und die meisten Menschen eine Vorstellung über den Verlauf der Erkrankung haben und die negativen Auswirkungen auf ihre Lebensqualität fürchten, lässt den Begriff „Risiko“ im Deutungshorizont des Zufälligen als fehlerhaft erscheinen (Isaacson et al. 2018). Die zweite Herausforderung besteht darin, dass die Biomarker- basierten Prognose nicht immer garantiert genau sein können und dass sie das Risiko bergen, falsche oder unzuverlässige Testergebnisse zu erzeugen (Wright et al. 2017). Ein falsch positives oder ein falsch negatives Testergebnis kann unabsehbare Folgen für die Betroffenen und ihr Umfeld haben. Es kann zu Sorgen und Bedenken führen oder eine Person dazu veranlassen, unnötige medizinische oder finanzielle oder gar existenzielle Entscheidungen zu treffen. Das Gegenteil könnte auch der Fall sein; eine Person erhält ein falsch-negatives Testergebnis. Diese Person erhält fälschlicherweise die Information, ­ gesund zu sein lässt sich daher nicht behandeln. Aufgrund dieser Argumente wird vorgeschlagen, dass die Forschungsergebnisse den Studienteilnehmern nur dann zur Verfügung gestellt werden sollten, wenn sie durch validierte Tests gewonnen wurden und klinisch signifikant sind.

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Ein weiterer Punkt, der sich gegen die Offenlegung richtet, ist, dass sie zusätzliche Kosten für das Gesundheitssystem verursachen könnte. Diese Mehrausgaben sind in erster Linie auf Beratung und Behandlung zurückzuführen, die zusammen mit der Offenlegung der Testergebnisse erfolgen sollte, um den Teilnehmern das Verständnis für die klinischen Ergebnisse zu erleichtern (Horgan et al. 2014).

9.9.2 mHealth-Anwendungen Trotz der zunehmenden und vielversprechenden Nutzung von mHealth zur Verringerung des Risikos für eine AK bleiben Herausforderungen bestehen. Zum einen geht es um Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit Patienten aufgrund zunehmender Prävalenz von AK bei steigendem Alter ergeben. Menschen mit AK leiden häufig unter Multi-Morbidität, von der fast 40 % der Bevölkerung in Deutschland betroffen sind. Damit sind vermehrte Kontakte mit Gesundheitsprofessionellen und zusätzliche finanzielle Belastungen des Gesundheitssystems verbunden (Puth et al. 2017). Soziale und verhaltensbezogene Kontexte spielen eine entscheidende Rolle beim Management von AK und sind daher von zentraler Bedeutung bei der Entwicklung und Implementierung technologiebasierter Lösungen. Bezüglich der Technologieentwicklung sind vor allem zwei Fragen zu beantworten: 1) welche Akzeptanz finden Technologien bei der Diagnostik im klinischen Umfeld? 2) Welchen rechtlichen Anforderungen ist hinsichtlich des Datenschutzes und der Datensicherheit zu genügen und wie verhält es sich hinsichtlich der Interoperabilität der Nutzer? Nutzer sollten vollumfänglich sensible, körperbezogene Daten und Zugangsrechte kontrollieren können. Dabei sollte stets betont werden, dass die Anwendung aller Technologien der Datenerhebung von der persönlichen Zustimmung der betreffenden Person abhängig zu machen ist. Die letzte Frage lautet: 3) Welche Sicherheit kann gewährt werden hinsichtlich des unumgänglichen Datentransfers? Sicherheit ist eine nicht verhandelbare Funktionalität, die keine Kompromisse erlaubt. In diesem Zusammenhang muss auf nicht zu unterschätzende Risiken hingewiesen werden. Es besteht auch in Gesundheitsfragen ein zunehmendes Sicherheitsverlangen, das zu einem Wandel der Datenschutzkultur insgesamt führen könnte (Deutscher Ethikrat 2017). Studien belegen, dass v. a. bei älteren Menschen Fragen des Schutzes der Privatsphäre geringeren Stellenwert haben als Fragen ihrer physischen Sicherheit (Beach et al. 2009). Zu bedenken ist auch, dass die Vernetzung das Risiko einer zunehmenden Fernsteuerung von Personen birgt. Als Beispiel wäre das Unternehmen Facebook zu nennen, dessen Spitze unverhohlen eine „limited-privacy position“ vertritt (vgl. Margulis 2011, S. 15). Der staatliche Schutz der Privatsphäre wird mit der Begründung abgelehnt, dass durch staatliche Regulierung die ökonomische Effizienz von Geschäftstätigkeiten eingeschränkt werde, während durch Nichtregulierung ein größerer gesellschaftlicher Nutzen erzielt werden könne (vgl. Westin 2003). Begründungen dieser im Wesentlichen utilitaristischen Positionen bleiben vage und sind ethisch sehr umstritten (siehe auch: Remmers 2016).

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9.10 Schlussbetrachtung Während sich traditionell AK in Form klinisch sichtbarer Stadien beschreiben ließ, kann inzwischen der sehr frühe Krankheitsverlauf auf der Grundlage pathophysiologischer Daten, verschiedener Biomarker-Daten und einer klinischen Sicht erkannt und verstanden werden. Daher lässt sich AK als ein Kontinuum betrachten, das heißt als ein Prozess, in dem sich pathophysiologische Veränderungen ansammeln und schließlich zu einer klinisch erkennbaren Erkrankung führen, die mit einer allmählichen Verschlechterung der kognitiven und funktionellen Fähigkeiten einhergeht. Von klar definierbaren und feststellbaren Grenzen zwischen verschiedenen klinischen Phasen ist also nicht mehr auszugehen. Der Anspruch einer personalisierten Medizin besteht darin, auf Grundlage besserer, verfeinerter Daten beste Entscheidungen zur Vorbeugung oder Behandlung einer Krankheit treffen, Krankheitsverläufe vorhersagen und durch gezielte Interventionen Lebensqualität verbessern zu können. Etliche Probleme der personalisierten Medizin werden sich durch Weiterentwicklung von Informationstechnologie, insbesondere von mHealth lösen lassen. Auf diesem Wege werden sich die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen Patienten, ihren Familien und dem professionellen Gesundheitsteam verbessern lassen. mHealth hat das Potenzial, den Aufwand für die Risikominderung und Prävention von AK positiv zu beeinflussen, bessere Ergebnisse zu erzielen und dadurch letztlich zu einer kostengünstigeren Gesundheitsversorgung zu führen. mHealth kann den Wert der erfassten Daten erheblich steigern, indem es eine gleichzeitige, hochfrequente Datenerfassung unter realen Bedingungen ermöglicht. Dies hängt vor allem von der Entwicklung digitaler Biomarker und der Nutzung beispielsweise des Smartphones als Detektor und Transferstation personenbezogener Daten ab. Der im Rahmen von mHealth verwendete digitale Biomarker ist nicht-invasiv und leicht handhabbar, was für die Unterstützung von Patienten und gesunden Anwendern (von denen wahrscheinlich etliche präsymptomatische Patienten sind) von entscheidender Bedeutung ist. Smartphones können verwendet werden, um Daten von Patienten entlang des Kontinuums von AK zu sammeln und zu überwachen. mHealth kann helfen, die Ätiologie von AK zu entwirren, bevor sich klinische Symptome zeigen, die eine wirksame Intervention unwahrscheinlicher machen. Einige patienten- oder technologiebezogene Herausforderungen stehen momentan einer breiten Anwendung dieser Technologie entgegen, die für die klinische Forschung in den kommenden Jahren bedeutsam sein wird.

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Hatem Al Khayyal, DNSc, ist Gesundheits- und Krankenpfleger mit langjähriger Berufserfahrung und Pflegewissenschaftler mit dem Schwerpunkt in Gerontologischer Pflege. Seit 2018 ist er Postdoc – Stipendiat am Institut für Gesundheitsforschung und Bildung der Universität Osnabrück. Nach dem Studium der Pflegewissenschaft in Syrien erhielt Al Khayyal 2007 ein Stipendium an der Universität Alexandria (Ägypten), wo er 2010 seinen Masterabschluss in Pflegewissenschaft erwarb. Dort promovierte er zum Doktor der Pflegewissenschaft im Bereich der Geriatrischen Pflege. Al Khayyal absolvierte zudem 2010 ein Postgraduierten-Diplom „Gesamtqualitätsmanagement für Reformen im Gesundheitswissen“ der School of Business der amerikanischen Universität in Kairo. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören: Personalisierte Medizin, Aging in Place – Konzept, Alzheimer-Krankheit (AK), Assistive Technologien bei älteren Menschen. Remmers, Hartmut, Professor Dr. phil. habil., M.A., Studium der Soziologie, Philosophie, Sozialpsychologie, Geschichte und Germanistik an den Universitäten Göttingen und Hannover. Promotion im Fach Soziologie an der Leibniz Universität Hannover. Habilitation an der Universität Bremen für das Lehr- und Forschungsgebiet Pflegewissenschaft. Von 2001 bis 2018 Leiter der Abteilung Pflegewissenschaft an der Universität Osnabrück, Fachbereich Humanwissenschaften, Institut für Gesundheitsforschung und Bildung. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Onkologische Pflege, Palliative Care, Pflege und Technik, theoretische Grundlagen pflegerischen Handelns, Ethik im Gesundheitswesen. Seit 2019 Seniorprofessor am Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg.

Gesundheits-Apps in der hausarztbasierten Versorgung – Empirische Befunde zur Perspektive von Allgemeinmedizinern und Patienten

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Julian Wangler und Michael Jansky

10.1 Einleitung Inzwischen ist der Verbraucher mit einer kaum noch zu überblickenden Zahl von Gesundheits-Apps konfrontiert, die in den entsprechenden Stores (v. a. Google Play, iTunes, Windows Phone, Blackberry App World) zum Download zur Verfügung stehen. Schätzungen zufolge beläuft sich ihre Zahl inzwischen auf über mehr als 100.000 (vgl. Deutsches Ärzteblatt 2018). Diese Tools, die bei der Prävention, dem Monitoring oder der Therapie von Erkrankungen helfen sollen, fallen aufgrund einer in der Praxis oftmals uneindeutigen Zweckbestimmung nicht unter die europäische Medizinprodukterichtlinie und sind ergo nicht als Medizinprodukt eingestuft (vgl. Obermann et al. 2015). Aktuellen Erhebungen zufolge werden Gesundheits-Apps mittlerweile von jedem zweiten S ­martphone- und/oder Tablet-Nutzer verwendet (vgl. Albrecht 2016; Bitkom 2017). Beliebt ist der Einsatz solcher Programme zur Aufzeichnung von Körper- bzw. Fitnessdaten, zur regulativen Alltagsbegleitung oder um sich über Gesundheitsund Ernährungsthemen zu informieren (vgl. Rohlender und Reinhardt 2017; EPatient RSD 2016). Ebenfalls nachgefragt sind Gesundheits-Apps, die beim MedikamenteManagement helfen (Erinnerung an Einnahmezeiten, Ausweisen von möglichen Nebenund Wechselwirkungen). In jüngster Zeit wird verstärkt darüber diskutiert, inwiefern Gesundheits-Apps erfolgreich für das hausärztliche Setting zugänglich gemacht, in seine Strukturen

J. Wangler (*) · M. Jansky  Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Jansky E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), mHealth-Anwendungen für chronisch Kranke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29133-4_10

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J. Wangler und M. Jansky

implementiert werden und dort förderliche Potenziale entfalten können. Angesichts des sich verschärfenden Hausärztemangels insbesondere in ländlichen Gegenden wird auf Entlastungsmöglichkeiten für die von alltäglichem Zeit- und Kostendruck geprägte hausärztliche Versorgung hingewiesen, etwa wenn es um die Optimierung der Differenzialdiagnostik oder Compliance geht (vgl. Reid et al. 2013; Bauer 2017). Auch wird die intensivere und oftmals langjährige Bindung des Hausarztes zu seinen Patienten (Schers et al. 2005) als günstige Voraussetzung wahrgenommen, um mit der Unterstützung durch Apps zu einem Empowerment von Patienten beizutragen (u. a. Motivation zu gesundheitsbewusstem Verhalten) und einen längerfristigen Beitrag zur Gesundheitsförderung und Krankheitsbewältigung zu leisten (vgl. Kapitza 2015), ohne dabei die ärztlichen Begleitungs-, Unterstützungs- und Steuerungsmöglichkeiten aufzugeben. So ist im Idealfall denkbar, dass die Therapietreue durch den richtigen Einsatz von Gesundheits-Apps erhöht und Arztkontakte effektiver gestaltet werden (frühere Erkennung von Krankheiten bzw. Krankheitsrisiken [vgl. Baumann und Czerwinski 2015]), zugleich aber auch das Arzt-Patient-Verhältnis profitiert. Nicht zuletzt ist eine Besonderheit der Hausarztmedizin, dass sie durch eine große Bandbreite von Beschwerdebildern und Krankheiten gekennzeichnet ist, oftmals in einem frühen und nicht selten undifferenzierten Stadium (vgl. Donner-Banzhoff 2008; vgl. Heneghan et al. 2009). Hausärztliche Entscheidungsfindung läuft insofern unter den Bedingungen diagnostischer Unsicherheit ab. Richtig eingesetzt, können über Gesundheits-Apps erhobene Daten durchaus dazu beitragen, dem Hausarzt frühzeitig mehr Informationen an die Hand zu geben, um sich schneller zu einer klaren Diagnosestellung vorzuarbeiten, auf die dann eine rechtzeitige und wirksame Therapie aufbauen kann. Diesen für Effektivierung der hausarztbasierten Versorgung gewinnbringenden Nutzungspotenzialen von Gesundheits-Apps stehen bis heute Vorbehalte gegenüber. Kritik bezieht sich auf einen mangelhaften Datenschutz sowie fehlende oder intransparente Richtlinien, was mit via App erhobenen Daten geschieht (vgl. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit 2019; Albrecht 2018). Auch wird davor gewarnt, Gesundheits-Apps könnten falsche Diagnosen und Behandlungen nach sich ziehen, die sich nicht nur aus unpräzisen Messungen oder Fehlfunktionen, sondern auch fehlerhafter Anwendung ergeben könnten (vgl. Albrecht 2016). Wie auch bei anderen Gesundheitsangeboten im Bereich eHealth/mHealth wird zudem hin und wieder die Sorge artikuliert, Gesundheits-Apps könnten ein Verhalten bei Patienten begünstigen, bei dem diese ihre Diagnose und Therapie in die eigene Hand nehmen (vgl. Baumann und Czerwinski 2015).

10.2 Bisherige empirische Befunde Die empirische Evidenz hinsichtlich eines therapeutischen Nutzens von ­Gesundheits-Apps ist bislang dürftig. Vereinzelte und begrenzt aussagekräftige Wirksamkeitsstudien liegen etwa für die postoperative Patientenbegleitung (vgl. Siegel et al.

10  Gesundheits-Apps in der hausarztbasierten Versorgung …

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2016; Scott et al. 2017) vor. Angesichts bislang weitgehend fehlender empirische Nachweise zur tatsächlichen Wirksamkeit auf Diagnostik-, Therapie- und Rekonvaleszenzprozesse (vgl. Albrecht 2016; Beerheide 2011) kommt es entscheidend darauf an, welche Haltung Ärzte und Patienten gegenüber solchen Anwendungen einnehmen und welches Vertrauen sie in Gesundheits-Apps als denkbare Instrumente der Versorgung setzen. Ausgehend von ihren Einstellungen und Erfahrungen entscheiden Ärzte nicht nur darüber, inwiefern über Apps bezogene Vitaldaten in die Diagnostik und/oder Therapie mit einbezogen werden, sondern fungieren gegenüber Patienten auch als Experten mit hoher Glaubwürdigkeit, indem sie z. B. proaktiv vom Gebrauch solcher Programme zubzw. abraten. Patienten wiederum treten möglicherweise an Ärzte mit dem mehr oder weniger konkreten Wunsch heran, Gesundheits-Apps ausprobieren oder bei der eigenen Versorgung nutzen zu wollen. Hierbei spielt u. a. die Technikaffinität, der Wunsch nach Praktikabilität (z. B. dadurch, dass via App ermittelte Daten theoretisch bequem an die Praxis verschickt werden können), aber auch gesundheitsbewusstes Verhalten (insbesondere wenn es um Aspekte der Prävention geht) eine Rolle (vgl. Rohlender und Reinhardt 2017; EPatient RSD 2016). Patientenerwartungen an Ärzte, eHealth-Lösungen einzusetzen bzw. hierzu qualifizierte Ratschläge zu erbringen, können einen Druck auf Mediziner ausüben, sich mit Gesundheits-Apps zu befassen und diesbezüglich ein eigenes Kompetenzprofil oder zumindest einen grundsätzlichen Standpunkt zu entwickeln. Dies gilt auch und gerade für den hausärztlichen Bereich, wo das Spektrum an zu verwendenden Gesundheits-Apps denkbar groß ist. Verkomplizierend kommt hier die Rechtslage hinzu, derzufolge z. B. in Apps integrierte Symptom-Checker keine Diagnose aussprechen oder nahe legen dürfen (vgl. Müller 2018). Nicht zuletzt spielt die Frage der Honorierung von Beratungs- und Unterstützungsleistungen, die Ärzte im Zusammenhang mit Gesundheits-Apps erbringen, eine Rolle für die Akzeptanz und Adaption solcher Lösungen. Während verschiedenste Befragungen darauf hindeuten, dass die Bereitschaft, Gesundheits-Apps sowohl zur Alltagsbegleitung als auch zu Diagnose- und Behandlungszwecken einzusetzen, in der breiten Bevölkerung kontinuierlich ansteigt (vgl. Albrecht 2016; Bitkom 2017), wurden bis dato nur wenige Forschungsarbeiten vorgelegt, die die Position der Ärzte beleuchten. Die wenigen Befragungen von Medizinern mit Bezug zu Gesundheits-Apps haben zumeist eingeschränkte Aussagekraft, weil sie bei überschaubaren Fallzahlen ein sehr breites Spektrum an Facharztgruppen einbeziehen (vgl. Obermann et al. 2015; Bittner 2017). Je nach Erhebung sprechen zwischen 25 und 45 % der Ärzte mit ihren Patienten schon mal über G ­ esundheits-Apps (vgl. Rohlender und Reinhardt 2017; Coliquio 2017). Zudem sehen zwischen 36 und 42 % eine Stärkung der Eigenverantwortung von Patienten als Vorzug von ­Gesundheits-Apps, gefolgt von einer besseren Aufklärung über Gesundheits- und Krankheitsthemen. In den USA durchgeführte Erhebungen zeigen eine relative Zurückhaltung von Medizinern, wenn es darum geht, mit Patienten über digitale bzw. mobile Lösungen zum Gesundheitsmonitoring zu sprechen (vgl. Gruessner 2017). Zwar werden durchaus Chancen von Gesundheits-Apps wahrgenommen (Leventhal 2015), jedoch besteht Unsicherheit

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J. Wangler und M. Jansky

in Fragen der Zuverlässigkeit und Sicherheit sowie bei der systematischen Implementierung im Versorgungsalltag (vgl. Scher 2015). Befragungen zum Thema GesundheitsApps speziell unter Hausärzten, die sich auf eine aussagekräftige Fallzahl stützen, fehlen bislang.

10.3 Erkenntnisinteresse und Methodik Die vorliegende Befragungsstudie wurde zwischen dem 7. Mai und 9. Juli 2018 von der Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt. Sie verfolgte das Ziel, Ärzte- und Patienteneinstellungen im Hinblick auf den Einsatz von ­Gesundheits-Apps in der allgemeinmedizinischen Versorgung zu erfassen. Angesichts des stark lückenhaften Forschungsstandes im Bereich der Hausarztmedizin wurde die Befragung als explorative Studie angelegt. Entsprechend wurde der eingesetzte Fragebogen im Zuge eines intensiven Diskussionsprozesses im allgemeinmedizinischen Team von Grund auf neu entwickelt. Im Gegensatz zu anderen Befragungen, die selektiv entweder Ärzte oder Patienten befragen, ging es darum, die Perspektiven beider Gruppen in die Studie einzubeziehen. Hierzu wurde ein großer Teil der entwickelten Fragen für Ärzte und Patienten gespiegelt, um eine direkte Gegenüberstellung der Ergebnisse zu erreichen. Folgende übergeordnete Fragenstellungen standen im Mittelpunkt der Untersuchung: • Welche Akzeptanz finden Gesundheits-Apps bei Allgemeinmedizinern und Patienten? Wo werden sinnvolle Einsatzpotenziale, wo Risiken gesehen? • Welche Erfahrungen haben Allgemeinmediziner und Patienten im Kontext der hausärztlichen Versorgung mit Gesundheits-Apps gemacht? • Welche Potenziale sehen Allgemeinmediziner und Patienten speziell für die Implementierung von Gesundheits-Apps in die hausärztliche Versorgung? • Welche Hindernisse bestehen aktuell bei der Nutzbarmachung von Gesundheits-Apps in der hausärztlichen Versorgung? • Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Ergebnissen ziehen, um die Potenziale von Gesundheits-Apps stärker für die (haus)ärztliche Versorgung zugänglich zu machen? Fragebogen Der Fragebogen wurde auf Grundlage einer Literaturrecherche erstellt (hier fand vor allem die CHARISMHA-Metastudie (vgl. Albrecht 2016) besondere Beachtung), aber auch mithilfe von Vorgesprächen mit insgesamt sechs Hausärzten. Vor dem Feldeinsatz wurde ein Pretest durchgeführt. Der für Ärzte und Patienten gespiegelte kompakte Fragebogen setzt sich aus verschiedenen thematischen Blöcken zusammen: grundsätzliche Akzeptanz von GesundheitsApps, Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps in verschiedenen Anwendungsbereichen, eigene Erfahrungen mit Gesundheits-Apps im Kontext der (Patienten)Versorgung, Rolle des

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Hausarztes bei der Nutzbarmachung von G ­ esundheits-Apps im Versorgungskontext, Verbesserungspotenziale zur Steigerung der Attraktivität von Gesundheits-Apps für die hausärztliche Versorgung. Ärzte- und Patientenrekrutierung Auf schriftlichem Weg zur Teilnahme an der anonymisierten Befragung eingeladen wurden sämtliche als Behandler aktive Allgemeinmediziner in Rheinland-Pfalz. Insgesamt angeschrieben wurden 2753 Hausärzte. Der Fragebogen ließ sich wahlweise schriftlichpostalisch oder in Form einer Online-Befragung beantworten. Die in die Studie einbezogenen Patienten wurden über 23 Gesundheitsportale bzw. Portale mit einer großen Sektion zu Gesundheit- und Krankheitsthemen rekrutiert, u. a. in den Foren von NetDoktor Community, Onmeda, Frag-Dich-gesund, Esando, Sanego, Med.de, Med1.de, Gesundheit.de, Mein-Gesundheitsforum.de, Platinnetz, Silversurfer und Frag-Mutti.de. Die Befragung wurde mit dem Tool Lime Survey umgesetzt. Um Anonymität zu gewährleisten, wurde nicht erhoben, über welches Portal die Befragten rekrutiert wurden. Soziodemografie und Datenanalyse Als soziodemografische Merkmale für die zu befragenden Hausärzte wurden Alter, Geschlecht, Praxisumgebung und Niederlassungsform erhoben. Bei den Patienten handelte es sich um die Merkmale Geschlecht, Alter, höchster Bildungsabschluss und Wohnortumgebung. Nach Bereinigung des Daten-satzes wurden die Daten mittels SPSS 23.0 für Windows ausgewertet. Neben der deskriptiven Analyse kam zur Feststellung von signifikanten Unterschieden zwischen zwei Gruppen ein T-Test bei unabhängigen Stichproben zum Einsatz. Es wurden zwei Signifikanzniveaus überprüft ­(Mittelwert-Differenz auf dem Niveau p