Mexiko: Materialien zur Landeskunde 9783964567444


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German Pages 138 [140] Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Basisdaten
Landkarte
Kritische Einführung in den Themenkreis
I. Vorkoloniale Epoche und Kolonialzeit
II. Die Mexikanische Revolution
III. Die gegenwärtige Situation der Indianer
IV. Alltagsberichte
V. Chicanos
VI. Wirtschaft und Abhängigkeit
VII. Fallbeispiel: Fußballweltmeisterschaft 1986
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Mexiko: Materialien zur Landeskunde
 9783964567444

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Spanien und Lateinamerika Materialien zur Landeskunde, 3 Herausgegeben von Martin Franzbach

MEXIKO Materialien zur Landeskunde

Zusammengestellt und kommentiert von Christel Harjes-Römermann und Martin Franzbach

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

VERVUERT

CIF-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Mexiko: Materialien zur Landeskunde / zsgst. u. kommentiert von Christel Harjes-Römermann u. Martin Franzbach. — 2., aktualisierte u. erw. Aufl. Frankfurt/Main: Vervuert, 1987. (Spanien und Lateinamerika; 3) ISBN 3-921600-51-0 NE: Harjes-Römermann, Christel (Hrsg.); GT © 1987, 2., aktualisierte u. veränderte Aufl. Verlag Klaus Dieter Vervuert, Frankfurt/Main Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany

Inhalt

Basisdaten Landkarte Kritische Einführung in den Themenkreis 1. Mexiko-Bild 2. Informationsquellen und Institutionen 3. Gesellschaft und Geschichte 4. Einführende Literatur und Landeskundematerial... Verzeichnis der erwähnten Titel

9 10 12 13 14 19 21

I. Vorkoloniale Epoche und Kolonialzeit Indianermärchen: Wer ist der Weiseste? Götter-Comic Cortes: Das Blutbad von Cholula Prescott: Die Eroberung von Mexiko Heine: Romanzero (1851) Paz: Der Verrat der Götter Rückkehr der Götter Lied: Der Fluch des Malinche

26 28 33 34 35 40 41 46

II. Die Mexikanische Revolution Datentafel Corridos (Lieder) La Cucaracha Adelita

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Das Lied des Hans ohne Land Kaliber dreißig López y Fuentes: Auf der Suche nach Zapata López y Fuentes: Die Ermordung Zapatas (1919) Posada: Porträt Zapatas Lithographie: Pancho Villa Reed: Pancho Villas Traum Buñuel: Mein letzter Seufzer. Erinnerungen Es war einmal eine Revolution

58 60 62 64 66 67 67 69 70

III. Die gegenwärtige Situation der Indianer Einleitung: Die Indianer Mexikos Zapata: Manifest an die Nation (1913) Landarbeiter der Nahua-Indianer ehren Emiliano Zapata Indiomarkt Pérez Jolote: „Tzotzil". Lebensbericht eines mexikanischen Indios Lithographien: Juan Pérez Jolote Traven: Die Sprache der Indianer Reyes: Tarahumaras Wir erreichten die Selbstversorgung in Bohnen, Mais und Reis

74 76 77 78 80 83 84 86 87

IV. Alltagsberichte Mexiko-Stadt: Tag für Tag 4 000 Zuwanderer Lewis: Die Kinder von Sánchez Poniatowska: Das Leben der Jesusa Lithographie: „Land und Freiheit!" Bennholdt-Thomsen: Die stumme Auflehnung der Bauersfrauen Rulfo: Der Llano in Flammen Silier: Das „Jungfrauchen" — Mutter aller Mexikaner 6

91 92 94 95 96 97 99

V. Chícanos Chicanos: Ein „Tortilla-Vorhang" gegen die armen Nachbarn? Elizondo: Chicanos (Gedicht) Broyles: Kultur und Widerstand der Chicanos

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VI. Wirtschaft und Abhängigkeit Mexiko senkt Ölpreis und ruft um Hilfe Landenteignungen im Zeichen des Ölbooms Karikatur: Eroberungen Wirtschaftschronik Mexikos 1986 Comics: Die von hier Immer größere Armut trotz Anhebung der Mindestlöhne Karikatur: Beim Verhandeln Mexiko: Der Preis der wirtschaftlichen Stabilisierung Nach dem Beben Hoffnungsträger: Tourismus Karikatur: Erneuerung

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VII. Fallbeispiel: Fußballweltmeisterschaft 1986 Riesen-TV im Erholungspark? Oppositionsparteien in Mexiko warnen vor „Fußballhysterie" Karikatur: Park Naucalli Düstere Bilder aus Mexico City Katzenjammer nach der WM? Karikatur: WM 1986

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Bibliographie bekannter mexikanischer Schriftsteller in deutschen Übersetzungen (mit chronologisch jüngsten Angaben)

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Basisdaten

Gebiet und Bevölkerung: Nach Brasilien und Argentinien mit einer Gesamtfläche von 1972 547 km 2 (fast achtmal so groß wie die Bundesrepublik) der drittgrößte Staat Lateinamerikas, dessen Gebirge teilweise über 5 0 0 0 m erreichen. Klimagegensätze mit R e g e n - (zwischen Mai und Oktober) und Trockenzeiten zwischen zentralem Hochland, Hängen der Randgebirge und Küstenebenen. Nach Brasilien der bevölkerungsreichste Staat Lateinamerikas mit einer jährlichen Zuwachsrate von 3,4% bei ungleicher regionaler Verteilung. Von den gegenwärtig r u n d 80 Millionen Einwohnern leben allein 16,5 Millionen in Mexiko-Stadt und seinen Vororten. Ein hoher Prozentsatz sind Mestizen, Mischlinge unterschiedlichen Grads zwischen Weißen und Indios. Die Landessprache ist Spanisch. Von ursprünglich r u n d 200 Indianersprachen gibt es heute noch etwa 30 lebende indianische Sprachen, die von rund 2 °/o der Gesamtbevölkerung gesprochen werden.

Staatsform und Verwaltungsaufbau: Präsidiale Republik seit 1821, ständig modifizierte Verfassung seit der Revolution von 1917. Staatspräsident mit 6 J a h r e n Amtszeit. Kongreß mit 400 auf 3 J a h r e gewählten Abgeordneten und Senat mit 64 auf 6 Jahre gewählten Mitgliedern. Regierungspartei: Partido Revolucionario Institucional (PRI) mit absoluter Mehrheit in beiden Häusern, 32 Bundesstaaten einschließlich dem Bundesdistrikt Mexiko-Stadt.

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Landwirtschaft, Handel und Industrie: Überwiegend Agrarland. Die Landwirtschaft erbringt zwar nur 7,9 % des Bruttoinlandprodukts, ist jedoch Lebensgrundlage für knapp die Hälfte der Bevölkerung und trägt die Hälfte des Exporterlöses, ausgeführt werden, vor allem Kaffee, Baumwolle, Tomaten, Obst, Gemüse, Tabak. Landflucht in die städtischen Ballungszentren und in die Industriegebiete. Mexiko ist reich an Bodenschätzen, u.a. werden 45 verschiedene Metallerze und Mineralien gefördert, viertgrößter Silberproduzent der Welt. Seit 1938 verstaatlichte Erdölindustrie, deren Schwergewicht sich in den nächsten Jahren von der Erdölförderung auf die Weiterverarbeitung verlagern soll.

Verkehrswesen: Gut ausgebautes Verkehrsnetz, das auch im Dienst des internationalen Tourismus steht, zu dessen beliebten Reisezielen Mexiko zählt. 8 5 % der rund 1 Million Touristen jährlich kommen aus den USA.

Kritische Einführung in den Themenkreis

1. Mexiko-Bild Breite aus den bunten Fittich, Flügelroß! und trage mich Nach der Neuwelt schönem Lande, Welches Mexiko geheißen. Heinrich Heine, Romanzerò, 1851. Das deutsche Bild vom drittgrößten lateinamerikanischen Land Mexiko ist seit den Tagen Humboldts von starken Gegensätzen geprägt. Während vor allem durch die umfangreiche Reiseliteratur das Eldorado eines abenteuerlichen, exotischen Tropenlandes vorgespiegelt wurde, sind erst in neuester Zeit durch den Massentourismus hinter der bunten Fassade die sozialen Gegensätze und Widersprüche deutlich geworden, die das Land auch mit den Begriffen „Dritte Welt" und "Unterentwicklung" in Verbindung bringen. Mancher Bewunderer der alten Hochkulturen der Azteken und Mayas („die Griechen Amerikas", wie es in eurozentristischer Selbstgefälligkeit heißt) mag sich fragen, wie es kommt, daß in der vorkapitalistischen Zeit offensichtlich niemand Hungers starb o d e r in Elendshütten hausen mußte, während heute von über 80 Millionen Mexikanern weit über die Hälfte mit Wohnraum, Ernährung, Gesundheitsfürsorge und Bild u n g unterversorgt ist und mehrere Millionen im Ausland auf Arbeitssuche gehen müssen. Am Beispiel des Erdöls lassen sich die Zusammenhänge zwischen dem wachsenden Reichtum der Industrienationen und der zunehmenden Armut der Drittweltländer verdeutlichen. Unerläßlich für diese Analysen ist eine Aufarbeitung der historischen Entwicklung des Landes. S o folgt auch dieses Bändchen einer chronologischen

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Einteilung, die von der vorkolonialen Zeit bis in die unmittelbare Gegenwart reicht. In erster Linie sollen Informationen vermittelt werden, die zum Nachdenken anregen. Nach diesem Grundprinzip erheben die folgenden Ausführungen und die anschließende Textauswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Kriterien für die Aufnahme der erwähnten Titel waren u.a. ihre Aktualität, ihre Erreichbarkeit, ihre Diskussionsbreite, ihr Wert für die Konfrontation gegensätzlicher Positionen und ihre Verwertbarkeit im Unterricht. Angesichts der Fülle des Materials können nur verkürzte Hinweise gegeben werden. Die deutschen Ubersetzungen und Texte sind, wenn nicht anders vermerkt, von den Herausgebern.

2. Informationsquellen und Institutionen Nur wenige Buchhandlungen in Europa führen einen größeren Bestand mexikanischer Bücher und Neuerscheinungen ständig auf Lager; dazu gehört die Versandbuchhandlung Klaus Dieter Vervuert in Frankfurt a.M., Wielandstr. 40,. Am leichtesten erreichbar sind mexikanische Bücher und Zeitschriften über die Fernleihe aus dem Ibero-Amerikanischen Institut in Westberlin, Potsdamer Str. 37. Das Institut gibt auf Anfrage auch bibliographische Sachauskünfte. Die Dokumentationsleitstelle am Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg (Neuer Jungfernstieg 21) gibt eine vierteljährlich erscheinende Bibliographie mit Neutiteln in ihrem aktuellen Informationsdienst heraus. Der Hamburger Kaufmann Carlos R. Linga vermachte nach dem Kriege seine über 5 0 0 0 Bände umfassende wertvolle Sammlung mexikanischer Bücher (vor allem aus der Kolonialzeit) dem Staat; die Werke können über die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek auch über Fernleihe entliehen werden und sind auch am Ort — Alsterglacis 8— allgemein zugänglich. In „Hispanorama", dem Rundbrief des Deutschen Spanischlehrerverbands (1. Vorsitzender Anton Bemmerlein, Braillestr. 17, 8500 Nürnberg), werden regelmäßig Neuerscheinungen zu landeskundlichen und literarischen Fragen Mexikos vorgestellt. Im März 1984 13

erschien ein Heft mit dem Themenschwerpunkt Mexiko (Nr. 36, S. 6 4 - 1 2 8 ) . Die mexikanischen Konsulate und die Botschaft in Bonn, Oxfordstr. 12—16, versorgen in Einzelfällen mit Zeitungen, Zeitschriften und anderem Pressematerial.

3. Gesellschaft und Geschichte „ J e d e Kritik Mexikos muß mit einer Kritik der Pyramiden beginnen", sagt der mexikanische Essayist Octavio Paz in seinem Labyrinth der Einsamkeit {1950). Damit will er auf eine Kontinuität der Geschichte, Religion, Kunst und Kultur hinweisen, die weit vor der Eroberung des Aztekenreiches durch Hernán Cortés (1519 — 1521) beginnt und noch heute jedem Mexikoreisenden sichtbar vor Augen steht. Aus einer Fülle von Veröffentlichungen ( L 2, L12, L 28, L 36, L 39, L 40, L 53, L 5 5 , L 6 4 ) kann man sich einen Eindruck verschaffen, welche Blüte die Azteken und Mayas als die mächtigsten indianischen Völker damals erreicht hatten. Die großen Tempel legen ein Zeugnis für die vielfältigen Formen der Götterverehrung ab. Wer über die Menschenopfer der Azteken ( T i e r - und Menschenblut sollten der Sonne immer neue Kraft zuführen) die Nase rümpft, sollte bedenken, wieviele Menschen in den Glaubenskriegen des europäischen Mittelalters, des 16. J a h r h u n d e r t s und auf den Scheiterhaufen der Inquisition den T o d fanden. Der Glaube an ihre Religionsmythen wurde den Azteken zum Untergang. Denn ihr Herrscher Moctezuma II. sah durch die Ankunft bärtiger Männer in „Wasserhäusern" alte Prophezeiungen bestätigt, nach denen der Gott Quetzalcoatl aus dem Osten wiederkehren würde. Auf wirtschaftlichem Gebiet sicherten die Azteken durch Terrassenanbau, künstliche Bewässerung, „schwimmende G ä r t e n " und R o d u n g s b a u — wie es die Araber gleichzeitig auf der Pyrenäenhalbinsel nicht besser beherrschten — ihren Lebensunterhalt. Von ihrem ausgedehnten Handel zeugten die Marktplätze, die größer als in Europa waren. Kunsthandwerk, Bilderschrift, Astronomie und Mathematik waren bei den Mayas, deren Gebiet bis Mittelamerika

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reichte, noch entwickelter. Ihre rund 650 Hieroglyphen ließen sich aus Handschriften und Steindenkmälern erschließen. Ihre Zählreihen wurden von Priestern für Kalenderrechnungen verwendet und dienten der Vorhersage von Naturveränderungen und Katastrophen. Diese geordneten „Urgesellschaften" wurden von den spanischen „Conquistadores" innerhalb weniger Generationen dezimiert, ihre Kultur bis auf Reste vernichtet, und der Gewinn aus den Bodenschätzen ( 2 / 3 der Weltsilberproduktion) wurde in jahrzehntelange Kriege um die politische Vorherrschaft in Europa investiert. Uber die Brutalität der Eroberungen kann man sich aus einer Reihe von Darstellungen aus unterschiedlicher Perspektive informieren (z.B. L 3 0 , L 4 8 ) . Obwohl die Berichte der spanischen Eroberer und Hofchronisten der staatlichen und kirchlichen Zensur unterlagen ( L l l , L16, L 5 6 ) , lassen sie viel zwischen den Zeilen erkennen. Der „Kurzgefaßte Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder" (geschrieben 1542, erschienen 1552) des Fray Bartolomé de las Casas ( L 3 4 ) , Dominikanerbischof in der südmexikanischen Provinz Chiapas, löste damals in Europa heftige Diskussionen aus und führte über einen Untersuchungsausschuß am spanischen Hofe zu Indianerschutzgesetzen, die allerdings nur auf dem Papier das Schicksal der Ureinwohner etwas erleichterten („Vater der Indios"). Das Buch blieb in ganz Europa bis ins 19. Jahrhundert eine Propagandaquelle für die Gegner der grausamen Kolonialwirtschaft der Spanier und diente der Verschleierung eigener Machtpraktiken. Als „Neu-Spanien" bildete Mexiko seit 1535 den Mittelpunkt eines der vier Vizekönigreiche in Lateinamerika. Die Einführung des frühkapitalistischen Wirtschaftssystems hatte eine entscheidende Veränderung der Produktionsverhältnisse zur Folge. Das „encomienda"System (Zwangszuteilung der Indianer zur Arbeitsleistung) bestand noch bis ins 18. Jahrhundert fort, und selbst als die Indianer auf den Latifundien und Haciendas zu Lohnarbeitern geworden waren, änderte sich nichts an ihrem Los; denn die neuentstandene Kreolenbourgeoisie war zusammen mit Adel und Klerus der größte Großgrundbesitzer. Der im 20. Jahrhundert verstärkt einsetzende Industrialisierungsprozeß ließ nicht einmal die indianischen Reste 15

kollektiver Besitz- und Nutzungsformen (ejido = gemeinsamer kommunaler Landbesitz) mehr wirtschaftlich und produktiv erschienen. Den noch rund 5 Millionen Indianern blieb größtenteils nur der Weg in die Elendsviertel der städtischen Ballungszonen oder der Anschluß an das ländliche Subproletariat, der lebenslange Verschuldung bedeutete ( L 3 7 , L 3 8 ) . Unter diesem Blickwinkel brachte der nationale Unabhängigkeitskampf gegen die Spanier (1810—1821) nur der von den liberalen Ideen der Französischen Revolution geprägten Bourgeoisie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und eine Erweiterung ihrer Privilegien. Der auch in Europa deutliche Gegensatz zwischen konservativen, klerikalen und liberalen, laizistischen Kräften äußerte sich in Mexiko in teilweise blutigen innenpolitischen Auseinandersetzungen, die wiederum von den alten europäischen Kolonialmächten und dem „Koloß im Norden" (L 43), der aufstrebenden Weltmacht USA (MonroeDoktrin von 1823: „Amerika den Amerikanern!"), zu kriegerischen Interventionen genutzt wurden. Im Krieg von 1846—1848 verlor Mexiko die Hälfte seines Territoriums an die USA (Kalifornien, New Mexiko, Arizona, Colorado, Nevada; Annexion von Texas bereits 1845). Der Rio Grande bildet seitdem die Nordgrenze. Die steigende Auslandsverschuldung, die auch nicht durch die Säkularisierung des Kirchenbesitzes gemildert wurde (der den Großgrundbesitzern anheimfiel), gab Großbritannien, Spanien und Frankreich wiederholten Anlaß zu militärischem Eingreifen. Das Schicksal des österreichischen Erzherzogs Maximilian (Drama von F. Werfel: Juárez und Maximilian 1925), der von Napoleon III. als Marionettenkaiser von Mexiko eingesetzt worden war und 1867 standrechtlich erschossen wurde, rührte damals die Gemüter; aber auch die folgenden Präsidenten brachten dem Land keine wirtschaftliche und politische Stabilität, so daß sich die sozialen Spannungen zuspitzten und den Nährboden für die Revolution von 1910—1917 abgaben. Die mexikanische Gesellschaft des „Fin de Siècle" und ihren Tanz auf dem Vulkan schildern unübertrefflich die Gravuren und Karikaturen des Illustrators J o s é Guadalupe Posada (1851 —1913) (L24). Sie 16

legen beredtes Zeugnis gegen die Unterdrückung und für den Widerstandswillen des Volkes ab und waren zugleich das wichtigste visuelle Aufklärungsmittel für eine Bevölkerung, die zu 8 0 % nicht lesen und schreiben konnte, weil Bildung jahrhundertelang ein Privileg der Kirche war. Die Mexikanische Revolution ( L 4, L 27, L 49, L 50, L 6 3 ) - noch sieben J a h r e vor der Russischen Oktoberrevolution — ist von der bisherigen Forschung allzu einseitig als reine Agrarrevolution und Bauernerhebung verstanden worden. Zwar rekrutierte sich das Revolutionspotential in starkem Maße aus diesen Kreisen, aber mit zunehmendem Verlauf trumpften auch das städtische Bürgertum und die sich herausbildende Industriebourgeoisie auf. Die berühmten Revolutionsführer spiegeln die verschiedenen Interessenlobbys getreulich wider: Emiliano Zapata den bäuerlichen Indio-Anarchismus des Südens, Pancho Villa eine populistische Massenbewegung des Nordens und Venustiano Carranza die nationale Bourgeoisie. Der unvorstellbar blutige und wechselvolle Verlauf der Revolution zu einer Zeit, als in Europa der I. Weltkrieg tobte, mündete in die Verfassung vom 1. Mai 1917, welche die erste Landreform Lateinamerikas und die zu ihrer Zeit progressivsten arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen der Welt gesetzlich verankerte. Kunst und Literatur dokumentierten den stürmischen Entwicklungsprozeß dieser Jahre. Sie bedeuteten Abkehr von der Vergangenheit und formale und inhaltliche Erneuerung im nationalen Geiste. Die mexikanische Wandmalerei der 20er J a h r e ( L 3 3 , L 4 4 ) — mit Rivera, Siqueiros und Orozco an der Spitze — hat eine neue Sicht der künstlerischen Wirklichkeit gebracht, die sich fruchtbar auf die engagierte Malerei ( L 5 9 ) bis zu den chilenischen Muralisten aus der Zeit der „Unidad Populär" ausgewirkt hat. Siqueiros hat in einer Reihe von Aufsätzen ( L 6 0 ) das politische Engagement der Kunst auch theoretisch begründet und durch seine Taten vorgelebt. Frida Kahlo ( 1 9 0 7 - 1 9 5 4 ) , die Frau Diego Riveras (von 1 9 2 9 - 1 9 3 9 ) , hat trotz ihres schweren Schicksals bewundernswerte Bilder — auch im Sinne eigener Uberlebenstherapie — geschaffen, die in ihrem absichtlich naiven (von Breton „surrealistisch" genannten) Stil ihre eigenen 17

Sehnsüchte und das Selbstbewußtsein ihres Heimatlandes zum Ausdruck bringen. ( L 2 3 , L 2 9 , L31, L 6 2 ) . Dazu parallel lebte das politische Lied im Gewand der „ C o r r i d o s " auf ( L 5 4 ) . In der mexikanischen Literatur war die Wirkung der Revolution vor allem auf dem Gebiet des Romans ( L 1 4 ) sichtbar, der in Azuela, López y Fuentes, M.L. Guzinán, Revueltas und Yáñez seine Hauptvertreter bis in unsere T a g e hat. Unter den ausländischen Schriftstellern wirkte das Revolutionserlebnis am stärksten im Werk des skandinavischen Emigranten Bruno Traven (1890—1969) nach, der wegen seiner sozialistisch — anarchistischen Tendenzen 1919 aus der Münchener Räterepublik nach Mexiko flüchtete, wo er bis zu seinem T o d e in völliger Anonymität lebte. ( L 5 , L 6 5 ) . Die blutig erkämpften Errungenschaften der Mexikanischen Revolution sind seitdem längst institutionalisiert ( L 6 , L 8 , L15, L 3 5 , L 4 2 , L 6 6 ) : politisch durch das Machtmonopol der Einheitspartei (Partido Revolucionario Institucional), wirtschaftlich und sozial sind alle Entscheidungen durch den schmalen Spielraum zwischen Durchsetzung der eigenen nationalen Interessen und der Abhängigkeit von den reichen Industrienationen bestimmt. An keinem Produkt läßt sich diese Problematik besser studieren als am Erdöl, das auch gegenwärtig viele Hoffnungen trägt. Wie kann ein Land der „Dritten Welt" aus diesem Teufelskreis der Abhängigkeit ausbrechen? (L18). Das Mexiko unserer T a g e geht mit starken wirtschaftlichen und sozialen Problemen in die Zukunft, von denen hier nur einige vorgestellt werden können. Der Gruppe der in den USA lebenden „Chícan o s " ist es erst in den letzten J a h r e n gelungen, ihre Situation einer breiteren Öffentlichkeit zu verdeutlichen. Hierzu haben nicht zuletzt ihre kulturellen Aktivitäten ( L 2 0 , L 2 1 ) beigetragen. Zwar ist die Revolution mit ihren Forderungen und erreichten Zielen heute weitgehend nur noch ein Mythos, aber Mexiko gilt noch immer als klassisches Emigrantenland, das vielen politischen Flüchtlingen aus Lateinamerika und Europa vom Spanischen Bürgerkrieg ( L 3 2 , L 4 6 , L 5 2 ) bis zum Putsch in Chile (1973) eine neue Heimat gegeben hat. Sein traditionell antiimperialistischer Kurs, der aus den düsteren Erfahrungen mit dem starken Nachbarn im Norden herrührt, hat das 18

Land immer ideell die Befreiungsbewegungen der Völker der „Dritten Welt" unterstützen lassen. Die kubanische Revolution ist von mexikanischem Boden aus vorbereitet worden. Fidel Castro und Che Guevara sind von der Küste Mexikos aus mit der Yacht „Granma" 1956 zu ihrem waghalsigen Unternehmen gestartet. Dieser positiven Rolle steht bei wachsenden innenpolitischen Schwierigkeiten (zu Indianerfragen vgl. L 7, L13, L 45, L 47) eine steigende Repression im Innern gegenüber. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, darunter „amnesty international", haben wiederholt gegen die Verletzung der in der Verfassung garantierten Grundrechte protestiert. Die Brutalität der Unterdrückung wurde der Weltöffentlichkeit am deutlichsten während der Olympischen Spiele 1968 sichtbar, als am 2. Oktober bei einer Demonstration von Studenten auf dem „Platz der drei Kulturen" in Mexiko-Stadt die Polizei wahllos Hunderte von jungen Mexikanern zusammenschoß. Auch heute noch sitzen in Mexikos Gefängnissen Hunderte von politischen Gefangenen, die sich wie die meisten der spurlos Verschwundenen für die Einhaltung der Bürgerrechte eingesetzt hatten ( L10). Sie sind Mitglieder von Gewerkschaften, Arbeiter-, Bauern- und Studentenorganisationen oder kritische Journalisten. So scheint die Saat der Mexikanischen Revolution vorerst noch auf ihre Ernte zu warten, die dem ganzen Volk zugute kommen müßte.

Einführende Literatur und Landeskundematerial Seit dem Massentourismus, auch aus Europa, ist eine Reihe von Reiseführern auf dem Markt, unter denen sich besonders Baedekers Allianz Reiseführer ( L 3 ) und das politische Reisebuch Mexiko (LI) bewährt haben. Ersten Appetit stillt das großzügig bebilderte GEOSpecial Mexiko (L25). Eine etwas blasse, aber umfassende deutschsprachige Länderkunde (dazu ergänzend das Material von L 41, L 61) hat Gierloff-Emden (L26) verfaßt. Am verbreitetsten ist jedoch das Gemeinschaftswerk von Buche, Metzger, Schell u.a. (L 9), das anhand von Alltagsberichten, Konflikt- und Fallbeispielen einen faktenreichen 19

und anschaulichen Einstieg in Gegenwartsprobleme der mexikanischen Gesellschaft bietet. Das Verfasserteam kennt sich im Lande aus und schildert die Krisensymptome vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung. Eine zuverlässige Einführung in die mexikanische Literatur, soweit sie in deutschen Ubersetzungen vorliegt, bietet das Autorenlexikon von Dieter Reichardt (L 51), das auch Ansätze zu Einzelinterpretationen liefert. Da Literatur künstlerische Widerspiegelung der Wirklichkeit ist, sei auch dieser Weg empfohlen, sich den Problemen des Landes über die Ubersetzungen mexikanischer Belletristik zu nähern. Am Ende dieses Heftes findet sich eine Bibliographie bekannter mexikanischer Schriftsteller in deutschen Ubersetzungen. Die aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge im Rahmen Lateinamerikas sind kritisch mit weiterführender Literatur in dem Standardwerk von Sandner/Steger (L57) dargestellt. Uber die in der Bundesrepublik entleihbaren Mexiko-Filme informiert Peter B. Schumann (L58). Es braucht kaum darauf hingewiesen werden, daß alle diese Filme eine sachkundige Einleitung und eine kritische Diskussionsführung als Nachbereitung erfordern. Auditives Curriculum-Material zu Mexiko vermittelt das Heft von K.E. Eicke (L19). Kürzere, allerdings kaum kommentierte Texte bringen zwei französische Unterrichtsbücher (L17, L22). Ein nützliches Dossier México (97 S.) mit spanischsprachigen Texten aus Lehr- und Fachbüchern sowie aus Pressematerial von der Eroberung durch die Spanier bis zum Erdbeben 1985 hat Bernhard Ulrich vom Oberstufenkolleg in Bielefeld zusammengestellt (nicht im Handel). Verdienstvoll ist auch der deutsch-mexikanische Pressespiegel (Coyolxauhqui) der Mexiko-Gruppe am Lehrstuhl für romanische Sprachen und Auslandskunde der Universität, Findelgasse 9, 8500 Nürnberg. Er kann monatlich (Jahresabo 20,— DM) bezogen werden und bringt politische, kulturelle und gesellschaftliche Themen aus der Tagespresse für deutschsprachige Leser in Mexiko und für spanischsprachige in der Bundesrepublik. Regelmäßige Länderchroniken, für die umfangreiches Pressematerial ausgewertet wird, bringt dreimal jährlich die Zeitschrift 20

Iberoamericana (Verlag Klaus Dieter Vervuert, Frankfurt a.M.). Über aktuelle Probleme informieren engagiert und kritisch die Lateinamerika Nachrichten^estberlin) und das Lateinamerika-Jahrbuch (Analysen und Berichte), das im Junius-Verlagin Hamburg erscheint und sein Schwergewicht auf Politik, Soziologie und Wirtschaft legt.

Verzeichnis der erwähnten Titel 1. Aehnelt, Reinhard (Hrsg.): Mexiko. Ein politisches Reisebuch. Hamburg: VSA-Verlag 1986. 2. Die Azteken und ihre Vorläufer. Clanz und Untergang des Alten Mexikos. 2 Bde. Mainz: Philipp von Zabern 1986. 3. Baedekers Allianz Reiseführer Mexiko. Stuttgart, Freiburg: Baedeker 1986. 4. Beck, Barbara/Kumitzky, Horst: Zapata. Bilder aus der Mexikanischen Revolution. Berlin: Wagenbach 1975 (Wagenbachs Taschenbücherei. 14). 5. Beck, Johannes (u.a.): Das B. Traven-Buch. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1981 (rororo. 6986) (letzte Auflage). 6. Bennholdt-Thomsen, Veronika: Die stumme Auflehnung der Bauersfrauen. Bericht aus einem Dorf im Süden Mexikos. In: Claudia v. Werlhof (u.a.), Frauen, die letzte Kolonie, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1983, S. 4 6 - 6 1 (rororo aktuell. 5347) (Technologie und Politik. 20). 7. Bennholdt-Thomsen, Veronika: Zur Bestimmung des Indio. Die soziale, ökonomische und kulturelle Stellung der Indios in Mexiko. Berlin: Mann 1976 (Indiana, Beiheft. 6). 8. Bennholdt-Thomsen, Veronika: Bauern in Mexiko. Zwischen Subsis t e n z - und Warenproduktion. Frankfurt a.M.: Campus 1982. 9. Buche, Irina/Metzger, Jan/Schell, Rainer (Hrsg.): Mexiko. Die versteinerte Revolution. Bornheim-Merten: Lamuv 1985 (Lamuv-Taschenbuch. 41). 10. Castro, Simón Hipólito: Mexiko anders. Vom Maurer zum politischen Gefangenen. Hrsgg. vom Autorenkollektiv 79. Ubers. Brigitte Baratucci und Ulrike Fehrmann unter Mitarbeit von Urs M. Fiechtner und Sergio Vesely. Tübingen: AS-Verlag 1981. 11. Cortés, Hernán: Die Eroberung Mexikos. Drei Berichte von Hernán Cortés an Kaiser Karl V. Mit 112 Federlithographien von Max Slevogt. Übersetzungen von Mario Spiro und C.W. Koppe. Hrsgg. von Claus Litterscheid. Frankfurt a.M.: Insel 1980 (Insel Taschenbuch. 393). 12. Davies, Nigel: Die versunkenen Königreiche Mexikos. Aus dem Amerikanischen von Stasi Kuli. Berlin: Ullstein 1985 (Ullstein Bücher. 34258).

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13. Deimel, Claus: Tarahumara. Indianer im Norden Mexikos. Frankfurt a.M.: Syndikat 1980. 14. Dessau, Adalbert: Der mexikanische Revolutionsroman. Berlin: Rütten & Loening 1967 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft. 26). Span. Übers. Mexiko 1972. 15. Deutscher, Eckhard: Erziehung, Erziehungssystem und ländliche Entwicklung in Mexiko. Probleme in Geschichte und Gegenwart. Bonn: Liberal-Verlag 1984. 16. Díaz del Castillo, Bernal: Wahrhafte Geschichte der Entdeckung und Eroberung von Mexiko. Hrsgg. und bearb. von Georg A. Narziß. Nachwort von Tzvetan Todorov. Frankfurt a.M.: Insel 1982. 17. Duviols, Pierre und Jean-Paul: Sol y sombra. Terminales. Nouveau Programme. Paris: Bordas 1983. 18. Ehrke, Michael: Mexiko: Der Preis der wirtschaftlichen Stabilisierung. In: Lateinamerika, Analysen und Berichte. Bd. 9. Hamburg: Junius 1985. S. 267-279. 19. Eicke, Kurt Erich: Musik in Mexiko. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1979 (Mediothek Musik: Curriculum Mexiko. Materialien zur Didaktik und Methodik des Musikunterrichts. 8). 20. Elizondo, Sergio D.: Die Chícanos und ihre Literatur. In: Iberoamericana 2 (1977) 3 1 - 3 8 . 21. Elizondo, Sergio D.: Perros y antiperros. Una épica chicana. Berkeley, Calif.: Quinto Sol Publications Inc. 1972. 22. Fell, Eve Marie und Claude: Explicación de México. Paris: Armand Colin 1969 (Dossier „Sciences Humaines". 18). 23. Francis, Mark (Hrsg.): Frida Kahlo und Tina Modotti. Frankfurt a.M.: Verlag Neue Kritik 1982. 24. Friedrich, Anton (Hrsg.): José Guadalupe Posada. Mit einem Vorwort von Hugo Loetscher. Zürich: Diogenes Verlag 1979. 25.GEO-Spezial. Mexiko. Hamburg: Gruner & Jahr. April 1986. 26. Gierloff-Emden, Hans Günter: Mexiko. Eine Landeskunde. Berlin: de Gruyter 1970. 27. Harrer, Hans-Jürgen: Die Revolution in Mexiko, 1910 bis 1917. Köln: Pahl-Rugenstein 1973 (Junge Wissenschaft). 28. Helfritz, Hans: Mexiko. Ein Reisebegleiter zu den Götterburgen und Kolonialbauten Mexikos. Köln: DuMont 1981. 29. Herrera, Hayden: Frida Kahlo: Malerin der Schmerzen: Rebellin gegen das Unabänderliche. Bern, München: Scherz 2 I984. 30. Johnson, William Weber: Cortez. Die Eroberung und Zerstörung des Aztekenreichs. Wiesbaden: Brockhaus 1979. 31. Frida Kahlo. Uber ihr Leben und ihr Werk, nebst Aufzeichnungen und Briefen. Frankfurt a.M.: Verlag Neue Kritik 1980. 32. Kisch, Egon Erwin: Marktplatz der Sensationen. Entdeckungen in Mexiko (1945). Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag 2 1979.

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33. Kunst der mexikanischen Revolution. Legende und Wirklichkeit. Berlin: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst 1974 (Ausstellungskatalog). 34. Las Casas, Fray Bartolomé de: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder. Hrsg. Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt a.M.: Insel 1981 (Insel Taschenbuch. 553). 35. Lehr, Volker, C.: Der mexikanische Autoritarismus. Parteien, Wahlen, Herrschaftssicherung und Krisenpotential. München: Fink 1981. 36. León-Portilla, Miguel/Heuer, Renate (Hrsg.): Rückkehr der Götter. Die Aufzeichnungen der Azteken über den Untergang ihres Reiches. Frankfurt a.M.: Vervuert 1986. 37. Lewis, Oscar: Die Kinder von Sánchez. Selbstporträt einer mexikanischen Familie. Frankfurt a.M., Hamburg: Fischer 1967 (Fischer-Bücherei. 804). Dasselbe. Bornheim-Merten: Lamuv 2 1982. 38. Lewis, Oscar: Ein Tod in der Familie Sánchez. Aus dem Englischen von Annemarie Boll. Bornheim-Merten: Lamuv 1986 (Lamuv Taschenbuch. 45). 39. Lindig, Wolfgang/ Münzel, Mark: Die Indianer. Kulturen und Geschichte. Bd. 2: Mittel- und Südamerika. Von Yucatán bis Feuerland. München: Deutscher Taschenbuch Verlag *1985 (dtv. Wissenschaft. 4435). 40. López Portillo y Pacheco, José: Quetzalcóatl. Aus dem Spanischen von Wolfgang Promies. Frankfurt a.M.: Insel 1978. 41. Mols, Manfred: Mexiko im 20. Jahrhundert. Paderborn: Schöningh-Verlag 1981. 42. Mols, Manfred/Tobler, Hans Werner: Mexiko. Die institutionalisierte Revolution. Köln, Wien: Böhlau 1976 (Böhlau politica. 1). 43. Niess, Frank: Der Koloß im Norden. Geschichte der Lateinamerikapolitik der USA. Köln: Pahl-Rugenstein 1984 (Kleine Bibliothek. 282). 44. Orozco, José Clemente (1883 — 1940). Hrsgg. von Egbert Baqué und Heinz Spreitz unter der Mitarbeit von Plav Münzberg und Michael Nungesser. Ausstellungskatalog der Leibniz-Gesellschaft für kulturellen Austausch. Berlin 1981. 45. Pérez Jolote, Juan: „Tzotzil." Lebensbericht eines mexikanischen Indios. Aufgezeichnet von Ricardo Pozas. Ubers. Silvia und Leopold Davi. Zürich, Cochabamba: Regenbogen-Verlag 1979. 46. Pohle, Fritz: Das mexikanische Exil. Die Geschichte der politisch-kulturellen Emigranten aus Deutschland (1937—1946), Stuttgart: J.B. Metzler 1986. 47. Pozas, Ricardo/Pozas, Isabel H. de: Los indios en las clases sociales de México. México (usw.): Siglo XXI 3 1973. 48. Prescott, William Hickling: Die Eroberung Mexikos. Unter Benutzung der Übertragungen von J.M. Eberty. Nachwort von Ursula Schienther. München: C.H. Beck 1984. 49. Rama, Angel (Hrsg.): Der lange Kampf Lateinamerikas. Texte und Dokumente von José Martí bis Salvador Allende. Frankfurt a.M. : Suhrkamp 1982 (Suhrkamp Taschenbuch. 812).

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50. Reed, J o h n : Mexiko in Aufruhr. Mit einem Vorwort von C h a r l o t t e Baumgarten. München: ß a m n i t z Verlag G m b H 15)78 (Kleine Arbeiterbibliothek Kiirbiskern. 38). 51. Reicliardt, Dieter: Lateinamerikanische Autoren. Literaturlexikon und Bibliographie d e r d e u t s c h e n Ü b e r s e t z u n g e n . T ü b i n g e n , Basel: E r d m a n n 1972. Darin Mexico, S. 5 0 1 - 5 5 4 . 52. Renn, Ludwig: In Mexiko. Berlin. Weimar: A u f b a u - V e r l a g 1979. 53. Riese, Berthold: Geschichte d e r Maya. Stuttgart (usw.): K o h l h a m m e r 1972 ( U r b a n - T a s c h e n b ü c h e r . 148). 54. Rincön, C a r l o s / S c h a t t e n b e r g - R i n c o n , G e r d a (Hrsg.): Cantare. Songs aus Lateinamerika. D o r t m u n d : W e l t k r e i s - V e r l a g 1978. Darin Mexiko, S. 409-445. 55. Rockstroh, W e r n e r : U n b e k a n n t e s Mexico. V e r b o r g e n e T e m p e l s t ä t t e n u n d K u n s t s c h ä t z e aus p r ä k o l u m b i s c h e r Zeit. Köln: DuMont 1984. 56. Sahagün, Fray B e r n a r d i n o de: Sie h u n g e r n nach C o l d wie Schweine. Die E r o b e r u n g Mexikos aus indianischer Sicht. Zusammengestellt u n d bearbeitet von Karl Braun nach Bildern u n d T e x t e n von B e r n a r d i n o d e Sahagun. T ü b i n g e n : A S - V e r l a g 1983. 57. S a n d n e r , G e r h a r d / S t e g e r , H a n n s - A l b e r t : Lateinamerika. Frankfurt a.M.: Fischer ""1978 (u.ö.) (Fischer L ä n d e r k u n d e . 7) (Fischer T a s c h e n b u c h . 6126). Darin Mexiko, bes. S. 1 3 6 - 1 6 4 . 58. S c h u m a n n , Peter B.: H a n d b u c h des lateinamerikanischen Films, Frankf u r t a.M.: Klaus Dieter Vervuert 1982. Darin Mexiko, S. 81—91. 59. Schwarz, Michael: Krieg d e r W ä n d e . W a n d m a l e r e i als öffentlichkeitswirksames Mittel d e r politischen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n in Mexiko. Bonn: L i b e r a l - V e r l a g 1980 ( S c h r i f t e n d e r F r i e d r i c h - N a u m a n n - S t i f t u n g . Entwicklungspolitische T e x t e ) . 60.Siqueiros, David Alfaro: Der n e u e mexikanische Realismus. Reden und Schriften zur Kunst. Hrsgg. u n d eingeleitet von Raquel Tibol. Dresden: VEB Verlag d e r Kunst 1975 ( F u n d u s - B ü c h e r . 40/41). 61. Statistik des Auslandes. L ä n d e r b e r i c h t Mexiko. Hrsg. Statistisches Bundesamt Wiesbaden. Stuttgart, Mainz: K o h l h a m m e r 1985 (letzte Auflage). 62. Tibol, Raquel: Frida Kahlo. U b e r ihr Leben u n d ihr Werk nebst Aufzeichn u n g e n u n d Briefen. F r a n k f u r t a.M.: Verlag Neue Kritik 1980. 6 3 . T o b l e r , H a n s W e r n e r : Die mexikanische Revolution. Gesellschaftlicher Wandel u n d politischer U m b r u c h . 1876— 1940. Frankfurt a.M.: S u h r k a m p 1984. 6 4 . L e b e n d e Tote. T o t e n k u l t in Mexiko. Ausstellungskatalog Übersee Museum Bremen. 2 Bde., F r a n k f u r t / M a i n : Eichborn 1986. 6 5 . T r a v e n , Bruno: G e s a m t w e r k . 18 Bde. Hrsgg. von Edgar Pässler. F r a n k f u r t a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1977. Darin bes. Die Baumwollpflücker (1926) u n d d e r C a o b a - Z y k l u s : Die Carreta. Regierung. Der Marsch ins Reich d e r Caoba. Trozas. Die Rebellion d e r G e h e n k t e n . Ein General kommt aus dem Dschungel.

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6(3. W e i ß , E d u a r d : S c h u l e z w i s c h e n Staat u n d G e s e l l s c h a f t ( M e x i k o ( 1 9 2 0 1976). M ü n c h e n : Fink 1983 ( B e i t r ä g e z u r S o z i o l o g i e u n d S o z i a l k u n d e Lat e i n a m e r i k a s . 2(3).

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I. Vorkoloniale Epoche und Kolonialzeit

Indianermärchen: Wer ist der Weiseste? Das f o l g e n d e I n d i a n e r n l ä r c h e n stammt aus d e r S a m m l u n g unveröff e n t l i c h t e r V o l k s e r z ä h l u n g e n aus L a t e i n a m e r i k a von L a f o n e Q u e v e do. Die L e h r f a b e l g e h ö r t zum reichen E r z ä h l s c h a t z d e r Waicuri, die im südlichen T e i l d e r kalifornischen H a l b i n s e l ( T e r r i t o r i o de Baja California) leben. I n n e r h a l b des r e i c h e n l a t e i n a m e r i k a n i s c h e n M ä r c h e n - und L e g e n d e n s c h a t z e s , d e r teilweise in die v o r k o l o n i a l e Zeit z u r ü c k r e i c h t o d e r sich wie die Religion mit d e r K u l t u r d e r E r o b e r e r mischte, spiegeln auch die m e x i k a n i s c h e n I n d i a n e r m ä r c h e n die e t h n i s c h e Vielfalt und die sozialen V e r h ä l t n i s s e wider. S i e sind d a h e r trotz aller V o r b e h a l t e e i n e wichtige Q u e l l e zur E r s c h l i e ß u n g d e r indianischen L e b e n s w e i se. W ä h r e n d sich in E u r o p a das V o l k s m ä r c h e n als k u l t u r e l l e s Importgut aus dem O r i e n t ( T a u s e n d u n d e i n e N a c h t ! ) e n t w i c k e l t hat, in d e r Antike n o c h k e i n e s e l b s t ä n d i g e C a t t u n g d a r s t e l l t e und erst in d e r ital i e n i s c h e n R e n a i s s a n c e im 16. J a h r h u n d e r t systematisch g e s a m m e l t wurde, sind die i n d i a n i s c h e n V o l k s m ä r c h e n bei allen G a t t u n g s u n t e r s c h i e d e n in ihrem U r s p r u n g o r a l e s a u t o c h t h o n e s Erzählgut. Währ e n d in D e u t s c h l a n d zur Zeit d e r R o m a n t i k die V o l k s s a g e n zu K u n s t m ä r c h e n umstilisiert w u r d e n und später auch philosophische, d ä m o n i s c h e und s y m b o l i s c h e E l e m e n t e in sich a u f n a h m e n , e n t b e h r e n die I n d i a n e r m ä r c h e n d i e s e r T e i l u n g in V o l k s - und K u n s t m ä r c h e n und g e b e n e i n e u r s p r ü n g l i c h e Weltsicht w i e d e r . Es l e b t e einmal ein s t a r k e r und m ä c h t i g e r und d e s Z a u b e r s k u n d i g e r Häuptling, d e r h a t t e zwei S ö h n e . U n d d e n älteren von d e n b e i d e n l e h r t e er, sich in e i n e n Adler zu v e r w a n d e l n , den j ü n g e r e n a b e r l e h r t e er, sich in e i n e n K o y o t e n zu v e r w a n d e l n . Und d u r c h seinen Z a u b e r und d u r c h die K u n s t s e i n e r S ö h n e w u r d e sein Stamm reich und mächtig. Als d e r Häuptling a b e r alt war, e r h o b sich die Frage, wer von seinen S ö h n e n einmal sein N a c h f o l g e r w e r d e n und seinen Platz im Rat d e r Alten e i n n e h m e n sollte.

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Und nachdem sich die Krieger versammelt hatten, die den Rat des Stammes ausmachten, ließ man auch die beiden Brüder rufen, um zu prüfen, wer von ihnen beiden weiser sei. Und einer der Alten fragte: „Seid ihr bereit, eine Probe eures Scharfsinns und eurer Weisheit abzulegen?" — „Wir sind es."—„Nun, ihr seid beide weise und in zauberischen Künsten gut ausgebildet. Wem von euch es gelingt, vor dem andern die Welt zu umrunden, der soll als Nachfolger eures Vaters angesehen werden. Verwandelt euch in eure Gestalten, und dann — auf mein Zeichen — macht euch auf den Weg!" „Nun, bei dieser Aufgabe wird mein Bruder im Nachteil sein, denn ich kann mich in die Luft erheben und schneller sein", sagte der Altere. — „Es wird sich zeigen." Die beiden Brüder verwandelten sich also in die Tiere ihres Zeichens, in einen Adler und in einen Koyoten. Und auf ein Zeichen des Alten erhob sich der Adler in die Luft und flog in Richtung Westen davon. „Nun, was ist mit dir?" fragte der Ratälteste den Koyoten. „Willst du dich nicht auch auf den Weg machen?" Aber der Koyote blinzelte nur den Sprecher an, wedelte mit dem Schwanz und legte sich bequem nieder. Niemand sprach mehr. Nach einer Weile erhob sich der Koyote und ging gemächlich um den Kreis der Alten herum, dann legte er sich wieder nieder. Am nächsten Morgen erschien mit dem Aufgang der Sonne ganz ermattet der Altere, den kaum mehr seine Flügel trugen, und ließ sich im Kreis der Alten nieder. „Nun?" rief er triumphierend aus, „bin ich der Erste oder nicht?" „Wir wollen erst deinen Bruder hören", sagte der Älteste und wandte sich an den Koyoten, „sag mir, warum hast du dich gar nicht auf den Weg gemacht? Wolltest du damit deine Unterlegenheit gegenüber dem Bruder zugeben?" Da verwandelte der Koyote sich wieder in einen Menschen und sagte: „Bin ich nicht einmal um euch herumgegangen?" — „Ja, und ...?" — „Für einen Krieger ist der Rat der Alten seine Welt." Da erhoben sich die Alten und sagten: „Er ist der Weiseste." 27

lind so wurde der Jüngere der IMaelifolper des Vaters und nicht der Allere. Märchen aus Mexiko. Herausgegeben und übersetzt von Felix Karlinger und Maria Antonia Espadinha. Düsseldorf, Köln: Eugen Diederichs 1978. S. 50' f. (Die Märchen der Weltliteratur).

Götter—Comic Die vorliegende Comic-Serie steht im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des nationalen Ceschichtsbewußtseins in den breiten Massen der mexikanischen Bevölkerung. Bei der volkstümlichen Darstellung der vorkolumbischen Mythen werden besonders die handlungsbetonten Aspekte unterstrichen, um eine spannende Schilderung der Ereignisse zu gewährleisten. Parallelen zur christlichen Schöpfungsgeschichte deuten auf gemeinsame I rmytlien der Menschheit hin. In der Form der Darstellung sind Ähnlichkeiten mit den nordamerikanischen Comics (Supermann u.a.) feststellbar. Die Texte bedeuten übersetzt: 1 Coatlicue, die Cöttermutter, fegte die Sierra von Coatepec, nahe Tula, als . . . (Sprechblase:) Was bedeutet dieses Federbällchen? 2 Ich werde mir das Federbällchen auf die Brust legen. 3 Als Coatlicue zu Ende gefegt hatte, geschah etwas sehr Merkwürdiges . . . (Sprechblase:) Das Federbällchen ist verschwunden, und ich fühle, daß ich schwanger bin? 4 Ihre Söhne, die Centzonhuitznahua (die Sterne), und ihre Tochter Coyolxauhqui (der Mond) fühlten sich entehrt und beschlossen, sie zu töten. (Sprechblase:) Du hast Schande über uns gebracht, schlechte Mutter! 5 Als sie sie einholten, gebar Coatlicue den lluitzilopochtli. (Sprechblase:) Hab keine Angst, M u t t e r . . . Ich werde dich verteidigen?

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6 Jener Sohn war die Sonne, die bei ihrem Aufgang den Mond und die Sterne tötete. (Sprechblase:) Ich werde alle fertigmachen! 7 Und er haute den Mond (Coyolxauhqui) in Stücke. 8 Dann verfolgte er die Sterne (Centzonhuitznahua) . . . und tötete sie alle. 9 Huitzilopochtli erklärte man zum Kriegsgott, und er wurde von den Mexikanern sehr gefürchtet und verehrt. 10 Ach, Huitzilopochtli, du bist unser Führer und Beschützer! 11 Die Azteken erbauten einen prächtigen Tempel zu Ehren von Huitzilopochtli. 12 Gelobt sei der Kriegsgott! 13 Das bedeutendste Fest war das von Panquetzaliztli. (Sprechblase:) Er ist für seinen Gott gestorben! 14 Für Dich, Huitzilopochtli, damit Du uns Leben und Sieg schenkst! El Mundo Magico de los Aztecas. Mexico (usw.): Novaro 1974, S. 15— 17.

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Ct/ÍPBA

ANDABA CCATUCUE, IA DIOSA MADRE. B A R R I E N D O LA S I E R R A DE C O A T E P E C . C E R C A DE T U L A .

CUANDO...

CUANDO COATIICUE TERMINÓ DE B A R R E R . S U C E D I Ó A L C O MUY RARO... ¡HA D E S A P A R E C I D O I A P I O T I L L A Y S I E N T O QUE ESTOY

SINTIÉNDOSE DESHONRADOS. HIJOS LOS

(LAS E S T R E L L A S ) Y S U H I J A C O Y O L X A U H Q U I (LA L U N A ) . DECIDIERON MATARLA. ¡NOS H A S

INFAMADO

MALA MADRE:

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SUS

CENTZONHUITZNAHUA

EMBARAZADA:

A H U I T 2 I L 0 P 0 C H T L I SE LE DECLARÓ OIOS DE LA GUERRA, Y FUE M U Y TEMIDO Y VENERADO POR I O S M E X I C A N O S .

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Cortés: Das Blutbad von Cholula Der spanische C o n q u i s t a d o r Hernán C o r t é s ( 1 4 8 5 — 1 5 4 7 ) s c h i l d e r t e in seinen „Cartas de Relación de la C o n q u i s t a de M é x i c o " ( B r i e f b e richte von d e r E r o b e r u n g M e x i k o s ) an Kaiser Karl V. die E r o b e r u n g des A z t e k e n r e i c h s (1519 — 21) und a n s c h l i e ß e n d e Ereignisse. 1519 b e fand sich C o r t é s als Ehrengast in d e r Stadt C h o l u l a (im heutigen Staat P u e b l a ) , nahm j e d o c h zweifelhafte C e r i i c h t e zum Anlaß, die hauptsächlich wegen ihrer T ö p f e r w a r e n b l ü h e n d e Stadt zu z e r s t ö ren. U n t e r den n i e d e r g e r i s s e n e n C e b ä u d e n war auch die g r o ß e S t u f e n p y r a m i d e von C h o l u l a ( 6 2 m hoch, 1 6 0 0 0 0 m 2 C r u n d f l ä c h e ) , die im V e r l a u f von 1 4 0 0 J a h r e n m e h r f a c h ü b e r b a u t w o r d e n war. W ä h r e n d d e r e r s t e n drei T a g e versahen die E i n w o h n e r mich mit imm e r w e n i g e r L e b e n s m i t t e l n , und m e i n e Z u s a m m e n k ü n f t e mit den B e h ö r d e n d e r Stadt wurden i m m e r seltener. Das b e u n r u h i g t e mich natürlich aufs ä u ß e r s t e . Da h i n t e r b r a c h t e m e i n e m D o l m e t s c h e r e i n e Frau aus Cholula, e i n e Indianerin, die man mir am P o t u n c h a n , j e n e m g r o ß e n F l u ß , von dem ich Euch in m e i n e m e r s t e n B e r i c h t e r z ä h l t e , ü b e r l a s s e n hatte, d a ß die L e u t e Moctezumas 1 sich in g r o ß e r Anzahl und in n ä c h s t e r Nähe versammelt, d a ß die B e w o h n e r d e r S t a d t ihre W e i b e r und K i n d e r f o r t g e s c h i c k t , d a ß sie ihre W e r t g e g e n s t ä n d e in S i c h e r h e i t g e b r a c h t hätten, und d a ß sie ü b e r uns h e r f a l l e n wollten, um uns n i e d e r z u m e t z e l n . Sie d r a n g in ihn, mit ihr zu e n t f l i e h e n , sie ü b e r n ä h m e es, ihn zu b e s c h ü t z e n . Durch j e n e n J e r ó n i m o d e Aguilar, den ich aus Y u c a t á n m i t g e b r a c h t hatte, erhielt ich K e n n t n i s von d e r V e r s c h w ö r u n g . Ich l i e ß n u n e i n e n E i n g e b o r e n e n , d e r sich b e i uns h e r u m t r i e b , f e s t n e h m e n und i n s g e h e i m in mein G e m a c h f ü h r e n ; ich v e r h ö r t e ihn, u n d er b e s t ä t i g t e sämtliche Aussagen d e r I n d i a n e r i n u n d d e r T l a x c a l a - L e u t e . Damit man uns nicht z u v o r k o m m e , m u ß t e sofort g e h a n d e l t w e r d e n . S o b e r i e f ich d e n n einige d e r S t a d t ä l t e s t e n zu mir und l i e ß ihnen sagen, d a ß ich mit ihnen s p r e c h e n wollte; sie kam e n , und ich s p e r r t e sie in e i n e m Saal ein. M e i n e n L e u t e n g a b ich

1 Moctezuma (II.) oder Montezuma = Aztekenherrscher, unterdessen Regime (1502 — 2 0 ) das Reich die größte Ausdehnung gewann. Kam in spanischer Gefangenschaft ums Leben.

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W e i s i m g , a u f alles bereit zu sein und a n i d a s Signal e i n e s B ü c h s e n s c h u s s e s ü b e r die ganze M e n g e d e r Indianer, die sieh im Hofe und in d e r U m g e b u n g a u f h i e l t e n , h e r z u f a l l e n . Sie g e h o r c h t e n ; ich l i e ß die G e i s e l n im Saal f e s t b i n d e n , g a b das Zeichen, wir stiegen zu P f e r d e und fielen ü b e r die Masse d e r I n d i a n e r her, von d e n e n wir in zwei S t u n d e n m e h r als d r e i t a u s e n d u m b r a c h t e n . Eure Majestät m ö g e wissen, d a ß alles, noch b e v o r wir u n s e r Haus verlassen hatten, wohl vorb e r e i t e t w o r d e n war, d e n n die S t r a ß e n waren b e r e i t s versperrt und die I n d i a n e r a u f ihren Posten. W e n n wir sie ü b e r r u m p e l t und so völlig g e s c h l a g e n h a b e n , so kommt das daher, d a ß sie k e i n e F ü h r e r hatten, da d i e s e nämlich von mir vergiftet w o r d e n waren. Ich l i e ß an die T ü r m e und an die b e f e s t i g t e n Häuser, von d e n e n aus man uns hätte S c h a d e n zufügen k ö n n e n , F e u e r a n l e g e n . Den K a m p f setzte ich in d e r Stadt fort, nicht o h n e e i n e t ü c h t i g e B e s a t z u n g in u n s e r m Haus zurückgelassen zu h a b e n , und schließlich gelang es mir mit Hilfe von f ü n f t a u s e n d T I a x c a l a - und v i e r h u n d e r t C e m p o a l - L e u t e n , die Einw o h n e r aus d e r Stadt zu j a g e n . H e r n á n C o r t é s : Die E r o b e r u n g Mexikos. Drei B e r i c h t e von Hernán C o r t é s an K a i s e r Karl V. Mit 122 F e d e r l i t h o g r a p h i e n von Max Slevogt. ( E t w a s freie, vom Hrsg. leicht k o r r i g i e r t e ) Ü b e r s e t z u n g von Mario Spiro und C.W. K o p p e . Hrsgg. von Claus L i t t e r s c h e i d . Frankfurt a.M.: Insel 1980. S. 4 1 - 4 3 ( I n s e l T a s c h e n b u c h . 3 9 3 ) . Span. Original: Hernán C o r t é s : Cartas d e relación d e la c o n q u i s t a de México. Bd. 1. B i l b a o ( u s w . ) : Espasa Calpe ^1932, S. 6 2 — 6 3 .

Prescott: Die Eroberung von Mexiko D e r h a l b b l i n d e n o r d a m e r i k a n i s c h e P r i v a t g e l e h r t e William Hickling P r e s c o t t ( 1 7 9 6 — 1 8 5 9 ) hat in j a h r e l a n g e r m ü h s a m e r Detailarbeit ged r u c k t e s und u n g e d r u c k t e s Q u e l l e n m a t e r i a l zur spanischen K o l o n i a l g e s c h i c h t e gesichtet. S e i n e bis h e u t e u n ü b e r t r o f f e n e D a r s t e l l u n g aus d e m J a h r e 1 8 4 3 , die schon Marx b e g e i s t e r t e , verdankt ihren Erfolg a b e r auch d e m T a l e n t des V e r f a s s e r s , die h i s t o r i s c h e n Zusamm e n h ä n g e l e b e n d i g und s p a n n e n d zu schildern, o h n e ihren wissenschaftlichen G e h a l t zu s c h m ä l e r n . D e r f o l g e n d e B e r i c h t schildert die E r e i g n i s s e d e r s o g e n a n n t e n „ N o c h e t r i s t e " ( T r a u r i g e N a c h t ) vom

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1.7.1520, als die Spanier nach ihrem Rückzug aus der Stadt Mexiko eine verlustreiche Niederlage erlitten. Der Kampf tobte lange und mörderisch. Die Mexikaner waren an ihren weißen Baumwollgewändern erkennbar, die sich in der Dunkelheit schwach abzeichneten. U b e r den Kämpfern erhob sich ein wildes, schrecklich klingendes Geschrei. Fürchterliche Rufe nach Rache mischten sich mit d e m Stöhnen der Sterbenden, die Anrufung der Heiligen und der gebenedeiten J u n g f r a u mit dem Kreischen der Frauen, denn einige Frauen — sowohl Eingeborene wie Spanierinnen — hatten die Christen ins Feld begleitet. Unter ihnen wird eine Frau namens Maria d e Estrada ihres Mutes wegen ganz b e s o n d e r s erwähnt: sie focht mit Schwert und Schild wie der tapferste Soldat. Inzwischen hatte sich die Ö f f n u n g des Dammweges mit den Trümmern der verschiedensten Gegenstände gefüllt, die in die Lücke hineingepreßt worden waren: Munitionswagen, schwere Geschütze, Ballen kostbarer Stoffe, die in Wasser umherlagen, Kisten mit Barren gediegenen G o l d e s und die Leichname der Menschen und Pferde. Schließlich hatte sich aus diesen traurigen Uberresten eine Art Ubergang gebildet, über den die Leute aus der Nachhut nach der anderen Seite des Dammes hinüberklettern konnten. Cortés soll eine Stelle g e f u n d e n haben, an der man hindurchwaten konnte. Hier, wo ihm das Wasser nur bis zum Sattelgurt reichte, hielt er, um der Verwirrung Einhalt zu gebieten und seine Leute auf einem sicheren Wege nach d e r anderen Seite zu bringen. Seine Stimme ging jedoch in dem wilden Tumult unter. Schließlich folgte auch er dem Strome und versuchte nun mit den wenigen treuen Rittern, die in seiner Nähe blieben, zur Vorhut vorzudringen. William H. Prescott: Die E r o b e r u n g von Mexiko. Berlin-Grunewald: H e r b i g 1956. S. 364.

Heine: Romanzero (1851) Heinrich Heine (1797—1856) hat in der Abteilung „Historien" seines Romanzero, von dem der H a m b u r g e r Verleger C a m p e 1851 innerhalb

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von vier Monaten 3 0 0 0 0 Exemplare verkaufte, der Eroberung Mexikos durch die Spanier die Langromanze „Vitzliputzli" (eigentlich Huitzilopochtli, Sonnengott, dem die Azteken Menschenopfer darbrachten) gewidmet. Darin schilderte er, wie der Räuberhauptmann Cortés die Gastfreundschaft Moctezumas mißbrauchte und stellte den brutalen Methoden der „Christen" die Cutgläubigkeit der „Barbaren" gegenüber. In dem folgenden Auszug ist das Ritual des „Menschenopfers" im Christentum und bei den Azteken problematisiert. Die Ironie und der Spott Heines richten sich dabei auch gegen die damalige Kirche und ihre Autoritäten als Institution, wobei Heine keinen Unterschied zwischen Christen und Heiden macht.

Vitzliputzli

(...) Auf des Altars Marmorstufen Hockt ein hundertjährig Männlein. Ohne Haar an Kinn und Schädel; Trägt ein Scharlach Kamisölchen. Dieses ist der Opferpriester, Und er wetzet seine Messer, Wetzt sie lächelnd, und er schielet Manchmal nach dem Gott hinauf. Vitzliputzli scheint den Blick Seines Dieners zu verstehen, Zwinkert mit den Augenwimpern Und bewegt sogar die Lippen. Auf des Altars Stufen kauern Auch die Tempelmusici, Paukenschläger, K u h h o r n b l ä s e r — Ein Gerassel und Getute —

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Ein Gerassel und Getute, Und es stimmet ein des Chores Mexikanisches Tedeum — Ein Miaulen wie von Katzen — Ein Miaulen wie von Katzen, Doch von jener großen Sorte, Welche Tigerkatzen heißen Und statt Mäuse Menschen fressen! Wenn der Nachtwind diese Töne Hinwirft nach dem Seegestade, Wird den Spaniern, die dort lagern, Katzenjämmerlich zu Mute. Traurig unter Trauerweiden Stehen diese dort noch immer, Und sie starren nach der Stadt, Die im dunklen Seegewässer Widerspiegelt, schier verhöhnend, Alle Flammen ihrer Freude — Stehen dort wie im Parterre Eines großen Schauspielhauses, Und des Vitzliputzli-Tempels Helle Plattform ist die Bühne, Wo zur Siegesfeier jetzt Ein Mysterium tragiert wird. „Menschenopfer" heißt das Stück. Uralt ist der Stoff, die Fabel; In der christlichen Behandlung Ist das Schauspiel nicht so gräßlich.

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Denn dem Blute wurde Rotwein, Und dem Leichnam, welcher vorkam, Wurde eine harmlos dünne Mehlbreispeis transsubstituieret — Diesmal aber, bei den Wilden, War der Spaß sehr roh und ernsthaft Aufgefaßt: man speiste Fleisch Und das Blut war Menschenblut. Diesmal war es gar das Vollblut Von Altchristen, das sich nie, Nie vermischt hat mit dem Blute Der Moresken und der Juden. Freu dich, Vitzliputzli, freu dich, Heute gibt es Spanierblut, Und am warmen Dufte wirst du Gierig laben deine Nase. Heute werden dir geschlachtet Achtzig Spanier, stolze Braten Für die Tafel deiner Priester, Die sich an dem Fleisch erquicken. Denn der Priester ist ein Mensch, Und der Mensch, der arme Fresser, Kann nicht bloß vom Riechen leben Und vom Dufte, wie die Götter. Horch! Die Todespauke dröhnt schon, Und es kreischt das böse Kuhhorn! Sie verkünden, daß heraufsteigt Jetzt der Zug der Sterbemänner.

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Achtzig Spanier, schmählich nackend, Ihre Hände auf dem Rücken Festgebunden, schleppt und schleift man Hoch hinauf die Tempeltreppe. Vor dem Vitzliputzli-Bilde Zwingt man sie das Knie zu beugen Und zu tanzen Possentänze, Und man zwingt sie durch Torturen, Die so grausam und entsetzlich, Daß der Angstschrei der Gequälten Uberheulet das gesamte Kannibalen-Charivari. Armes Publikum am See! Cortez und die Kriegsgefährten Sie vernahmen und erkannten Ihrer Freunde Angstrufstimmen — Auf der Bühne, grellbeleuchtet, Sahen sie auch ganz genau Die Gestalten und die Mienen — Sahn das Messer, sahn das Blut — Und sie nahmen ab die Helme Von den Häuptern, knieten nieder, Stimmten an den Psalm der Toten Und sie sangen: „De profundis!" Unter jenen, welche starben, War auch Raimond de Mendoza, Sohn der schönen Abbatissin, Cortez' erster Jugendliebe.

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Als er auf der Brust des Jünglings Jenes Medaillon gewahrte, Das der Mutter Bildnis einschloß, Weinte Cortez helle Tränen — Doch er wischt' sie ab vom Auge Mit dem harten Büffelhandschuh, Seufzte tief und sang im Chore Mit den andern: „Miserere!" (...) Heinrich Heine: Werke in einem Band. Stuttgart: Hausbücherei o.J. S. 388-391.

Paz: Der Verrat der Götter Der bekannte mexikanische Schriftsteller und Diplomat Octavio Paz (geb. 1914), der 1984 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, nahm schon am Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite teil. Aus dem diplomatischen Dienst schied er 1968 aus Protest gegen das Studentenmassaker von Tlatelolco in Mexiko-Stadt aus. Von seinem bedeutenden lyrischen und thematisch überaus vielseitigen essayistischen Werk ist der Essay „EI laberinto de la soledad" (Das Labyrinth der Einsamkeit, 1950) besonders bekannt. In diesem Buch versucht er, eine Reihe von Problemen der mexikanischen Gesellschaft aus ihren historischen Entstehungszusammenhängen zu erklären. Das Phänomen der Einsamkeit des modernen Menschen ist in seiner spezifisch mexikanischen Variante sensibel beschrieben. Der Mexikaner scheint „in allen Fällen ein Mensch zu sein, der sich gegenüber der Außenwelt verschließt, um sich selbst zu schützen: Sein Gesicht ist eine Maske". Obwohl Paz' völker- und sozialpsychologische Aussagen zur Bestimmung der „mexicanidad" gelegentlich anfechtbar erscheinen, liegt seine Stärke doch in der überraschenden Assoziation großer geschichtlicher Verbindungslinien und im geschliffenen essayistischen Stil. Die Ankunft der Spanier kam den von Azteken unterworfenen Völkern wie eine Befreiung vor. Daher verbanden sich die verschiedenen

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Stadtstaaten mit den Eroberern oder betrachteten mit Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar mit Schadenfreude den Fall jedes Rivalen, besonders des mächtigsten: Tenochtitlán ( . . . ) Als Moctezuma den Spaniern die Tore Tenochtitláns öffnete und Cortés mit Geschenken empfing, hatten die Azteken die Partie schon verloren. Ihr letzter Kampf war reiner Selbstmord, wie alle Texte zu verstehen geben, die wir über dieses grandiose, düstere Ereignis haben. Warum gab Moctezuma auf? Warum war er von den Spaniern so unerklärlich fasziniert, daß er einen Schwindel verspürte, den man, ohne Übertreibung, einen heiligen — den luziden Schwindel des Selbstmörders vor dem Abgrund — nennen kann? Die Götter hatten ihn verlassen! Der Hochverrat, mit dem die neuere Geschichte Mexikos beginnt, ist nicht der der Tlaxcaltecas 1 noch der Moctezumas und seiner Anhänger, sondern der der Götter. Kein anderes Volk wohl hat vor der Nachricht, vor den Prophezeiungen und Zeichen, die seinen Sturz ankündigten, sich je so verlassen gefühlt wie das aztekische (...) So betrachtete Moctezuma die Ankunft der Spanier — mindestens anfangs — nicht als eine äußere Gefahr, sondern als eine innere Vollendung einer kosmischen Ära und den Beginn einer neuen. Die Götter gingen, weil ihre Zeit vollendet war, und eine andere Zeit, eine andere Ära und mit ihr auch andere Götter wiederkehrten. Octavio Paz: Das Labyrinth der Einsamkeit. Essay. Übersetzung und Einführung von Carl Heupel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974. S. 95 f. (Bibliothek Suhrkamp. 404). Span. Original: Octavio Paz: El laberinto de la soledad. México: Fondo de Cultura Económica 61978. S. 84 — 85. (Colección Popular. 107).

Rückkehr der Götter Erst nach dem Ende des II. Weltkrieges widmete die Fachwissenschaft den Berichten der unterworfenen altamerikanischen Völker größere Aufmerksamkeit. Als Gegengewicht zur offiziellen, von der 1 Tlaxaltecas: Indianerstamm im Hochland von Mexiko, der sich als erbitterte Rivalen der Azteken mit den Spaniern gegen diese verbündete. 41

staatlichen und kirchlichen Zensur abgesegneten Literatur der Kolonialchronisten kam diesen Texten eine erstrangige Bedeutung zu. Wenn auch die Dokumentation erst nach der Eroberung — teilweise von spanischen Priestern — nach mündlichen Quellen aufgezeichnet ist, gibt sie doch ein erschütterndes Bild vom Schmerz und der Empörung der Ureinwohner. In unserer Zeit werden die Texte in einer Traditionslinie mit den zahlreichen Alltagsberichten und Testimonios von der Unterdrückung marginalisierter Bevölkerungsschichten in Lateinamerika gesehen. Die folgenden mexikanischen Gesänge sind von Renate Heuer aus dem Náhuatl nach unbekanntem Verfasser übersetzt. Sie sind wahrscheinlich kurz nach der Niederlage der Azteken um 1523 entstanden.

I Der Krieg würgt die Tenochca Der Krieg würgt die Tlatelolca. Die Mauern sind schwarz Rauch schwärzt die Luft Nur das tödliche Feuer blitzt im Dunkel. Sie haben Cuauhtemoc gefangen Die Fürsten von Mexiko sind Gefangene. Der Krieg würgt die Tenochca Der Krieg würgt die Tlatelolca. Man bringt sie nach Coyoacan, neun Tage später Cuauhtemoc, Coanacoch, Tetlepanquetzaltzin Die einst Könige waren, sind nun Gefangene. Tlacotzin möchte sie trösten Meine Neffen, faßt Mut Geschlagene Könige legt man in goldene Ketten.

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Der König Cuauhtemoc spricht Mein Neffe, Du bist ein Gefangener Mit Eisen binden sie Dich! Und wer ist das dort, neben dem Kapitän? Ah, es ist Dona Isabel, meine kleine Nichte. Ach, es ist wahr Die einst Könige waren, sind nun Gefangene. Ein Sklave bist Du, gehörst einem andern Einen Halsschmuck gab man Dir in Coyoacan Der ist nicht aus Quetzalfedern gewoben. Und wer ist das dort, neben dem Kapitän? Ah, es ist Dona Isabel, meine kleine Nichte. Ach, es ist wahr Die einst Könige waren, sind nun Gefangene. II Unsere Klageschreie gellen auf Unsere Tränen fallen herab Tlatelolco ist verloren Die Azteken fliehen über den See Sie laufen davon wie Weiber. Was bleibt noch zu tun, meine Freunde? Die Azteken verlassen die Stadt Rauch deckt das Grauen Unsere Stadt steht in Flammen. Motelhuihtzin, der sie verteidigt, Qquihtzin, der große Häuptling

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TIacotzin, des Königs Kanzler Sie werden mit Tränen begrüßt. Weint, meine Freunde, seht ein Das mexikanische Reich ist verloren Das Wasser ist bitter geworden Die Nahrung ist bitter geworden Das sind die Taten Ipalnemohuanis Er gibt das Leben Und nimmt es. III Nur Blumen und Trauergesänge blieben noch In Mexiko und Tlatelolco Wo wir einst Krieger und Weise sahen. Wir müssen zugrunde gehen Wir wissen es Denn wir sind sterbliche Menschen Du, der Du das Leben gibst Hast es verfügt. Wir wandern hierhin und dorthin In unserer elenden Armut Wir sind sterbliche Menschen Wir haben Blutvergießen und Schmerz gesehen Wo es einst Schönheit und Mut gab. Wir sind zu Boden geschlagen Wir liegen in Trümmern Nur Kummer und Leiden blieben noch In Mexiko und Tlatelolco Wo es einst Schönheit und Mut gab.

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Bist Du Deiner Diener überdrüssig Bist Du zornig auf deine Diener Du, der Du das Leben gibst? Miguel Leon-Portilla/Renate Heuer (Hrsg.): Rückkehr der Götter. Die Aufzeichnungen der Azteken über den Untergang ihres Reiches. Frankfurt a.M.: Vervuert 1986. S. 108-111.

RÜCKKEHR DER GÖTTER Die Aufzeichnungen der Azteken

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Lied: Der Fluch der Malinche Die Indianerin Malinche war aus einem Dorf in der Nähe von Coazacualco, dem zweisprachigen Grenzgebiet zwischen Mayas und Azteken gebürtig. Der Häuptling von Tabasco vermittelte sie als Gastgeschenk unter dem Namen Doña Marina an Cortés. Als Nahuaprinzessin war sie mit den Problemen ihres Volkes gut vertraut. Sie diente Cortés als Geliebte und Dolmetscherin und ist deshalb bis zum heutigen Tage ein Symbol für Untreue und Verrat am eigenen Volk. Vom Meer her kamen die Fremden. Aus der Prophezeiung sind sie gestiegen, die großen Männer mit Barten. Meine Brüder standen und schwiegen. Da hob der Monarch seine Stimme, sagte, Gott ist zu uns gekommen. Meine Brüder, sie waren ratlos, meine Brüder, vor Furcht benommen. Und die Fremden kamen auf Bestien. Feuer schlug aus eisernem Rohr und Eisen schützte ihre Leiber. Aber offen blieb das Tor. Viel zuwenig meiner tapfren Brüder wollten ihre Waffen heben gegen diese weißen Götter. Darf man gegen die Götter leben? Aber kein Gott ist wie diese. Sie schlugen tot, wen sie trafen, und wußten von Mitleid und Scham nichts. So wurden wir alle zu Sklaven. Als wir den Irrtum erkannten, warn die Dinge schon beschlossen, hatten wir nichts als uns selber. Dreihundert Jahre verflossen.

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Die Größe unserer Geschichte wollten sie wie alles rauben. Wie das Geld, wie das Getreide, die Kultur, unseren Glauben. So verloren wir bis heute alles für Scherben und Splitter. Wir tauschten unseren Reichtum gegen vergoldeten Flitter. Heut noch kommen diese Blonden und sind, wie sie damals waren. Kommen durch die offenen Tore. Freunde sind sie, wie sie sagen. Aber kommt weit aus den Bergen ein Indio mit wunden Sohlen, ist er uns ein Fremdling, doch man hat ihm dieses Land gestohlen. Du bist Ausländern gegenüber oft demutsvoll und ergeben und zu den Brüdern voll Hochmut. So aber kann man nicht leben. Oh, dieser Fluch von Malinche! Wann werden alle ihn hassen, wann die Menschen sich befreien? Wann wird er unser Land verlassen? Carlos Rincón, Gerda Schattenberg-Rincón (Hrsg.): Cantaré. Songs aus Lateinamerika. Dortmund: Weltkreis-Verlag 1978. S. 419 f. Deutsche Nachdichtung von Regina Scheer. Span. Original daselbst, S. 418. Mit den Noten von Gabino Palomares, S. 416 f.

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Corrido: La maldición de Malinche Del mar, los vieron llegar mis hermanos emplumados eran los hombres barbados, de la profecía esperada. Se oyó la voz del monarca de que el Dios había llegado, y les abrimos la puerta por temor a lo ignorado. Iban montados en bestias, como demonios del mal iban con fuego en las manos y cubiertos de metal. Sóio el valor de unos cuántos los opuso resistencia, y al mirar correr la sangre ¡se llenaron de vergüenza!... Porque, los Dioses ni comen . . . ni gozan con lo robado y cuando nos dimos cuenta . . . ya todo estaba acabado. Y en ese error entregamos la grandeza del pasado, y en ese error nos quedamos . . . ¡trescientos años esclavos . . . ! Se nos quedó el maleficio de brindar al extranjero nuestra fe, nuestra cultura, nuestro pan, nuestro dinero. 48

Y Ies seguimos cambiando oro, por cuentas de vidrio y damos nuestras riquezas por sus espejos con brillo. Hoy, ¡en pleno siglo veinte! nos siguen llegando rubios y les abrimos la casa, y los llamamos amigos. Pero, si llega cansado un indio de andar la sierra lo humillamos y lo vemos como extraño por su tierra. Tú, hipócrita que te muestras humilde ante el extranjero, pero te vuelves soberbio, con tus hermanos del pueblo. Oh, ¡maldición de Malinche! enfermedad del presente, ¿cuándo dejarás mi tierra? ¡cuándo harás libre a mi gente! Carlos Rincón, Gerda Schattenberg-Rincón (Hrsg.): Cantaré. Songs aus Lateinamerika. Dortmund: Weltkreis-Verlagl978. S. 418. Mit den Noten von Gabino Palomares, S. 416 f.

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II. Die Mexikanische Revolution

Datentafel Historisches Hintergrundmaterial zur Mexikanischen Revolution enthalten z.B. das „B- Traven-Buch" (Hrsg. Beck u.a.), die Monographie über Zapata von Beck/Kurnitzky und die geschichtliche Gesamtdarstellung von Jesús Silva Herzog in spanischer Sprache. 1909 Francisco I. Madero, Sohn eines wohlhabenden Grundbesitzers, veröffentlicht seine oppositionelle Schrift „Die Präsidentschafts-Nachfolge 1910". 1910 05.06. 05.10.

20.11. 1911 Februar 25.05. 02.11. 28.11.

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Bestätigung der Wiederwahl des Diktatorgenerals Porfirio Díaz. Wahlspruch: „Brot oder Stock" (Pan o Palo). Madero proklamiert nach seiner Flucht in die USA den Plan von San Luis Potosí: „Echte Wahlen und keine Wiederwahl." Er fordert zum Sturz der Regierung durch einen bewaffneten Aufstand auf. Ausbruch des Aufstands in Puebla und Chihuahua.

Rückkehr Maderos, der aufständische Truppen in Chihuahua anführt. Rücktritt von Porfirio Díaz. Madero wird Präsident. Emiliano Zapata, der Führer der Agrarbewegung im Süden, gibt den „Plan von Ayala" bekannt, in dem u.a. die Verteilung eines Drittels des Großgrundbesitzes gefordert wird: „Land und Freiheit" (Tierra y Libertad). Madero wird zum Verräter des Vaterlandes erklärt.

1912

Verlustreiche Aufstände und C e g e n a u f s t ä n d e wechseln das ganze J a h r einander ab.

1913 18.02.

Der von Madero zum Oberkommandierenden ernannte General Victoriano Huerta putscht mit Unterstützung der USA gegen seinen Präsidenten, zwingt ihn zum Rücktritt und übernimmt die militärische und zivile Macht.

21.02. 26.03.

Ermordung von Madero. Der Provinzgouverneur Venustiano Carranza verkündet mit nordamerikanischer Rückendeckung seinen oppositionellen „Plan von Guadelupe", in dem er das Volk zu den Waffen gegen Huerta aufruft.

10.10.

Auflösung des K o n g r e s s e s durch Huerta und Verhaftung von 84 Abgeordneten. Nach manipulierten Präsidentschaftswahlen wird Huerta als kommissarischer Exekutivverwalter eingesetzt.

26.10.

1914 03.02. 09.04.

Der US-Präsident Wilson hebt das Waffenembargo gegen Mexiko auf. Die USA nehmen den Zwischenfall von Tampico (Verhaftung nordamerikanischer Marines) zum Anlaß, Veracruz zu besetzen.

21.04.

Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Mexiko. Mai bis J u l i Besetzung der wichtigsten Städte durch die revolutionären Truppen von Carranza, Pancho Villa und Zapata. 15.07. Der Diktator Huerta flieht ins Ausland. 15.08. Carranza beginnt sein Reformwerk mit der Rückerstattung und Neuerrichtung von „ e j i d o s " (Gemeindeland).

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S e p t e m b e r bis D e z e m b e r tionären

Rivalitäten zwischen den drei revolu-

F ü h r e r n f ü h r e n zur F r o n t s t e l l u n g

zwischen

C a r r a n z a und P a n c h o Villa/Zapata. 06.12.

E i n m a r s c h d e r T r u p p e n von P a n c h o Villa und Zapata in M é x i c o - S t a d t . C a r r a n z a erklärt

V e r a c r u z zur

Haupt-

stadt.

1915 Januar

E r l a ß r a d i k a l e r A g r a r g e s e t z e d u r c h C a r r a n z a , um die Massen d e r L a n d a r b e i t e r zu g e w i n n e n , die a u f seiten P a n c h o Villas und Zapatas s t e h e n . Mit d e r V e r k ü n d u n g von A r b e i t s - und S o z i a l g e s e t z e n zielt C a r r a n z a a u f die gewerkschaftlich

organisierten

städtischen

Arbeiter-

massen. 02.08.

E i n m a r s c h C a r r a n z a s in M e x i c o - S t a d t . Die T r u p p e n Panc h o Villas u n d Zapatas w e r d e n im ganzen Land z u r ü c k g e d r ä n g t und gespalten.

1916 15.03.

N o r d a m e r i k a n i s c h e S t r a f e x p e d i t i o n , weil P a n c h o Villa die K l e i n s t a d t C o l u m b u s in N e u - M e x i c o ( U S A ) a n g e g r i f f e n hatte.

01.12.

Eröffnungdes Verfassunggebenden Konvents,nachdem die K ä m p f e n a c h g e l a s s e n h a b e n .

1917 31.01.

U n t e r z e i c h n u n g d e r n e u e n V e r f a s s u n g mit den für ihre Zeit f o r t s c h r i t t l i c h e n V e r o r d n u n g e n zur A g r a r r e f o r m , zum V e r h ä l t n i s von Staat und K i r c h e , zur A r b e i t s g e s e t z g e b u n g , zur V e r s t a a t l i c h u n g von B o d e n s c h ä t z e n u n d z u r Volksbildung.

01.05.

C a r r a n z a zieht als P r ä s i d e n t d e r R e p u b l i k in M e x i c o S t a d t ein.

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Weitere Ereignisse: Ermordung Zapatas (1919), Carranzas (1920) und Pancho Villas (1923). „Die Revolution frißt ihre Kinder."

Corridos (Lieder) Bei den folgenden Liedern handelt es sich um vier der bekanntesten mexikanischen „corridos", die in der Zeit der Revolution entstanden sind und die bis heute in vielen verschiedenen Textfassungen als Volkslieder gesungen werden. Der „corrido" (vom spanischen Verb „ c o r r e r " = l a u f e n , sich verbreiten) ist ursprünglich eine Variante der gesungenen spanischen Romanze. Seine größte Popularität erlebte er während der Mexikanischen Revolution. Diese balladenartigen Gedichte, die meistens zur Gitarre gesungen wurden, berichteten von den revolutionären Ereignissen und vom L e b e n und Sterben der großen Revolutionsführer. Die Liedtexte finden sich auf zahlreichen Schallplatten.

La Cucaracha Dieses Lied richtete sich ursprünglich gegen Victoriano Huerta, der wegen seiner Schwäche für Alkohol und Marihuana bekannt war. Später bezog man das Lied mit immer neuen Strophen auf Carranza. Chor: Die Schabe, die Schabe kann nicht mehr gehen, weil sie nicht hat, weil sie nicht hat Marihuana zum Rauchen. Die Schabe, die Schabe kann nicht mehr gehen, weil ihr fehlt, weil ihr fehlt Marihuana zum Rauchen.

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Die Schabe, die Schabe will nicht mehr gehen, weil sie nicht hat, weil ihr fehlt Geld zum Ausgeben. 1. Strophe: Eine bunte Schabe sagte zu einer roten: „Gehen wir auf mein Land, um die Saison zu verbringen." 2. Strophe: Alle Mädchen haben in den Augen zwei Sterne; aber die kleinen Mexikanerinnen sind ganz gewiß die hübschesten. 3. Strophe: Etwas bringt mich zum Lachen: Pancho Villa ohne Hemd, schon gehen die Anhänger Carranzas, weil die Anhänger Pancho Villas kommen. La Cucaracha Coro: La cucaracha, la cucaracha, ya no puede caminar, porque no tiene, porque no tiene, marihuana que fumar. La cucaracha, la cucaracha, ya no puede caminar, 54

porque lo falta, porque le falta marihuana que fumar. La cucaracha, la cucaracha, ya 110 quiere caminar, porque no tiene, porque le falta dinero para gastar. Copla 1: Una cucaracha pinta le dijo a una colorada: „Vamos para mi tierra a pasar la temporada." Copla 2: Todas las muchachas tienen en los ojos dos estrellas; pero las mejicanitas de seguro son más bellas. Copla 3: Una cosa me da risa: Pancho Villa sin camisa, ya se van los carrancistas, porque vienen los villistas.

Adelita Hoch auf einem steilen Gebirgsrücken lagerte ein Regiment und ein Mädchen, das ihm mutig folgte, wahnsinnig verliebt in einen Feldwebel. Bei der Truppe war Adelita beliebt,

die Frau, die der Feldwebel vergötterte, und obwohl sie mutig war, war sie schön, und sogar der Oberst selbst achtete sie. Und man hörte, d a ß jener, der sie so liebte, sagte: Wenn Adelita mit einem andern davonginge, würde ich ihr folgen über Land und Meer, war es über das Meer, mit einem Kriegsschiff, wär's über Land, in einem Militärzug. Wenn Adelita meine Braut sein möchte, wenn Adelita meine Frau wäre, würde ich ihr ein Kleid aus Seide kaufen, um sie zum Tanzen in die Kaserne zu nehmen. Eines Nachts, als die Begleitmannschaft zurückkehrte, die in ihren Reihen den Feldwebel führte, hörte man im Lager die Stimme einer Frau, die schluchzend ein Gebet sprach. Als der Feldwebel in Furcht, seine Liebste für immer zu verlieren, sie hörte, verbarg er seine Bewegung unter dem Mantelkragen ( u n d ) besang seine Geliebte auf diese Weise: Und man hörte, d a ß jener, der sie so liebte, sagte: Und sollte ich im Felde sterben und mein Leichnam begraben werden, so bitte ich dich, bei Gott, Adelita, laß deine Augen mich beweinen. Wenn Adelita meine Braut sein möchte, wenn Adelita meine Frau wäre, würde ich ihr ein Kleid aus Seide kaufen, um sie zum Tanzen in die Kaserne zu nehmen.

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Adelita

En lo alto do una abrupta serranía acampado se encontraba 1111 regimiento, y una moza que valiente lo seguía locamente enamorada de un sargento. Popular entre la tropa era Adelita, la mujer que el sargento idolatraba, y a pesar de ser valiente era bonita v hasta el mismo coronel la respetaba. Y se oía que decía, aquel que tanto la quería: Que si Adelita se fuera con otro, la seguiría por tierra y por mar, si por mar en un buque de guerra, si por tierra en un tren militar. Que si Adelita quisiera ser mi novia, que si Adelita fuera mi mujer, le compraría un vestido de seda para llevarla a bailar al cuartel. Una noche en que la escolta regresaba conduciendo entre sus filas al sargento, por la voz de una mujer que sollozaba la plegaria se escuchó en el campamento. Al oírla el sargento temeroso de perder para siempre a su adorada, ocultando su emoción bajo el embozo, a su amada le cantó de esta manera: Y se oía que decía, aquel que tanto la quería: Y si acaso me muero en campaña, y mi cadáver lo van a sepultar,

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Adelita por Dios te lo ruego que con tus ojos me vengas a llorar. Que si Adelita quisiera ser mi novia que si Adelita fuera mi mujer, le compraría un vestido de seda para llevarla a bailar al cuartel.

Das Lied des Hans ohne Land Ich will ein Lied singen von einem Mann, der in den Krieg zog, der im Gebirge verwundet wurde, um das Land zu erobern. Ich erfuhr in der Schlacht und zwischen soviel Schießerei, daß der Revolutionär sterben kann, wo er will. Gott m u ß mir verzeihen, weil ich im Schützengraben tötete und immer auf dem Rücken den T o d als Gefährten hatte. Der General sagte uns: Kämpft sehr tapfer. Wir geben Euch Landparzellen, wenn die Verteilung kommt. Emiliano Zapata sagte: Ich will Land und Freiheit; und die Regierung lachte, als sie ihn zu Grabe trugen.

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Wenn man mich für eint* andere Revolution holt, sage ich ihnen, d a ß ich damit beschäftigt bin, für den Landbesitzer zu säen. Fliege, fliege, kleine Taube, bleib auf jenem Feigenbaum sitzen, hier ist das Lied zu Ende des b e r ü h m t e n H a n s - o h n e - L a n d .

Corrido de Juan sin Tierra Voy a cantar el corrido de un h o m b r e que fue a la guerra, que anduvo en la sierra herido para conquistar la tierra. Yo conocí en la batalla, y entre tanta balacera, que el que es revolucionario puede morir d o n d e quiera. Dios tiene que perdonarme porque maté en la trinchera, llevando siempre a la espalda la muerte por compañera. El general nos decía: Peleen con mucho valor, Les vamos a dar parcelas cuando haya repartición. Dijo Emiliano Zapata: Quiere tierra y libertad; y el gobierno se reía cuando lo iban a enterrar.

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Si me vienen a buscar para otra Revolución: Les digo estoy ocupado sembrando para el patrón. Vuela, vuela Palomita, párate en aquella higuera, aquí se acaba el corrido del mentado J u a n - s i n - T i e r r a .

Kaliber dreißig Wie arm wir sind und wir schwitzen, so arm wie 'ne Kirchenmaus. Und die Herren, die oben sitzen, die leben in Saus und Braus. Die haben die feinsten Kleider und Paläste und massig Geld. Und wir armen Hungerleider hausen in Katen, gleich am Feld. Wir säen und ackern uns krumm und bringen dann die Ernte ein. Die denken wohl, wir wären dumm und sehn nicht: Die verprassen's allein. Die wünschen, daß es so bliebe, daß wir in ihre Kriege ziehn solln; und nennen uns ungestraft Diebe, wenn wir das Feld für uns jetzt wolln. Die Pfaffen geben kein' Peso, sie dröhn uns mit Exkommunion;

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die denken wohl, unser Jesus wäre auch so ein Herrensohn. Hört mal, ihr Armen, kommt alle her. Eins sag ich euch, denn das weiß ich: Für uns gibt's kein andres Mittel mehr als endlich Kaliber dreißig! Carlos Rincón, Gerda Schattenberg-Rincón (Hrsg): Cantaré. Songs aus Lateinamerika. Dortmund: Weltkreis-Verlag 1978. S. 413. Deutsche Nachdichtung von Bettina Wegner. Span. Original daselbst, S. 412 f. (mit Noten).

Treinta-Treinta ¡Qué pobres estamos todos sin un pan para comer, porque nuestro pan lo gasta el patrón en su placer! Mientras él tiene vestidos y palacios y dinero, nosotros vivimos desnudos y vivimos en chiquero. Nosotros sembramos todo y todo lo cosechamos, pero toda la cosecha es para el bien de los amos. Nosotros sufrimos todo, la explotación y la guerra, iy así nos llaman ladrones porque pedimos la tierra!

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Y luego los padrecitos líos echan excomuniones; ¡a poco piensan que Cristo era como los patrones! Compañeros del arado y los de toda herramienta nomás nos queda un camino ¡agarrar un treinta-treinta! Carlos Rincón, Gerda S c h a t t e n b e r g - R i n c ó n (Hrsg.): Cantaré. Songs aus Lateinamerika. Dortmund: Weltkreis-Verlag 1978. S. 412 f. (mit Noten)

Lopez y Fuentes: Auf der Suche nach Zapata Der Schriftsteller und Journalist C r e g o r i o Lopez y Fuentes (1897 — 1966) stand in den kriegerischen Auseinandersetzungen auf seiten der Revolutionäre. In seinen Romanen und Personenporträts hat er ein lebendiges Bild der Zeit vermittelt. Die folgende Kurzszene gibt einen anschaulichen Eindruck von der Hetzjagd auf den Revolutionsgcneral Emiliano Zapata (1879/81 —1919 e r m o r d e t ) und die politisierende Wirkung, welche die Repression der Soldaten auf die Bauern hatte.

In einer kleinen Schlucht, nahe einem Reiterweg, arbeiteten, über eine Furche gebeugt, fünf Männer. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, daß sie nicht einmal die Ankunft von zwanzig Federales 1 bemerkten. „Eh, was wißt ihr über Zapata, wo steckt der Bandit?" „Das weiß C o t t ! " ..Also los, was wißt ihr von ihm?"4 „Er soll ,EI J i l g u e r o ' noch nicht verlassen haben." ..Und wieviel Männer hat er bei sich?" I Kederales = föderierte Truppen

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„Man sagt, sehr viele, mein Herr." „Und was macht ihr hier?" „Wir sind einfache Campesinos, mein Herr." „Ich wette, ihr seid auch Zapatistas." „Mein Gott, nein, wir tragen keine Waffen, wir wollen keine Menschen töten. Wir säen nur unseren Mais!" Der Offizier wußte sehr wohl, daß die Zapatistas in den Jahren des Kampfes einen Weg gefunden hatten zu kämpfen, ohne ihre Felder im Stich lassen zu müssen. Das machte gerade die Stärke der Bewegung aus. An einigen Tagen trugen sie Waffen, an anderen bestellten sie ihre Felder. Der Offizier durchsuchte die Bauern von Kopf bis Fuß und kämmte die nähere Umgebung nach irgendwelchen in den Sträuchern versteckten Karabinern durch. Die Campesinos sahen genau wie Zapatistas aus: sie trugen riesige Sombreros, weiße Hemden und weite Hosen. Aber in den Reden der Bauern gab es nicht das geringste Anzeichen für eine Bestätigung dieses Verdachtes. Soller er sie in Ruhe lassen? Umbringen? Wer konnte das wissen! „Chef, ich versichere ihnen, daß das Zapatistas sind!" Der Offizier ließ die Bauern noch einmal von oben bis unten durchsuchen, aber er konnte einfach keinen verräterischen Funken in diesen gleichgültigen Augen erkennen. Die fünf machten auf ihn den Eindruck eines Vulkans. Nach Art des Militärs hätte er sie bei einem Zusammenstoß alle erschießen lassen können, aber er hatte sie nur bei der Arbeit überrascht. Wenn er wenigstens irgendeinen Karabiner gefunden hätte, der sie denunzieren könnte . . . ! Die kleine Kolonne mußte ihren Weg unverrichteter Dinge fortsetzen. Die fünf Bauern arbeiteten weiter. Als die Federales hinter der ersten Biegung verschwunden waren, machten sie sich davon, um ihre Karabiner aus den nächsten Büschen und Sträuchern hervorzuholen. Auf dem Hügel ertönte ein Horn. Es vergingen einige Momente, und dann hörten sie hundert Meter weiter am Fuß des Berges die ersten Schüsse. 63

Sie riefen: „Viva Zapata" und „Tierra, Tierra" 2 und beeilten sich, die Kämpfenden zu unterstützen. Gregorio Lopez y Fuentes: Tierra. Mexico 1932. S. 284 — 285. Übersetzung nach Barbara Beck/Horst Kurnitzky: Zapata. Bilder aus der Mexikanischen Revolution. Berlin 1975. S. 88—90 (Wagenbachs Taschenbücherei. 14).

Lopez y Fuentes: Die Ermordung Zapatas (1919) Die Hazienda in Chinameca ist wie viele Haziendas im Staate Morelos eine Falle oder, besser gesagt, eine wahre Festung. Ein riesiges Haus mit soliden Mauern. Ein immenses Portal. Wohnungen für den Herrn, für den Verwalter, für die Angestellten und für die Besucher. Ein großer Stall für Kutschen und Pferde. Vor dem Haus ein großer viereckiger Platz, eingefaßt von einer dicken Mauer, rechts und links: breite Tore. In Chinameca erwartete Guajardo den General Zapata. Im Innern der Hazienda die Truppe versteckt. Der Ankommende sah nur sechs bewaffnete Männer an jedem der seitlichen Tore; ein bescheidener Ersatz für Truppen. In der Nähe des Balkons war ein Hornbläser postiert ( . . . ) Der General kam mit der Nachhut. Die ersten stiegen vor dem Tor ab, an dem niemand anders als der Chef erwartet wurde, um ihm die Ehre zu erweisen. Es gab Männer der Eskorte, die leichtgläubig auf ihren überladenen Pferden sitzen blieben. Andere waren abgestiegen. Einige, die fauler waren oder sich sonnen wollten, legten sich unter den Bäumen ins Gras. Zum Schluß kam Er. Schon von weitem an einem stolzen Pferd zu erkennen, seinem großen Schnurrbart und seinen Begleitern, die bei einem Caudillo nie fehlen. Noch zwanzig Meter waren es bis zum Tor, als der Hornbläser den „Marcha de Honor" begann. Das wurde als Ehrung verstanden. Da befahl der Korporal plötzlich seinen Leuten,

2 „Es lebe Zapata" und „Land, Land". 64

die Waffon zu nehmen, und f u h r mit energischer Stimme fort: „Präsentiert . . . das Gewehr!" ( . . . ) Der General hatte sich schon fünf Meter durch das Tor in den Hof bewegt. Dann führten die sechs Männer der Reserve, die das Gewehr präsentierten, plötzlich eine kleine Bewegung aus und veränderten die Richtung der Gewehre. Man hörte eine Salve. Jetzt beabsichtigte der General, schnell eine halbe Wendung zu machen, um der Falle zu entkommen. Aber es blieb bei der Andeutung der beabsichtigten Bewegung. Er stürzte zur Seite und schlug auf d e n Boden auf. Das Tier lief davon. Der Korporal näherte sich dem General und gab ihm mit dem Karabiner den Gnadenschuß. Die Leiche w u r d e auf dem Rücken eines Maulesels festgebunden. Die Beine hingen zur einen Seite herunter, die Arme zur anderen. Mit einer starken Eskorte, die in der Lage war, diesen wertvollen Fang zu schützen, machte man sich auf den Weg in Richtung Guautla. Mit dem Trab des Maulesels machten die Beine des Toten die Bewegung des Laufens, so als wenn Zapata weiterhin für Morelos liefe. Die Arme schienen sich zu verlängern. Manchmal schien es, als wollten sie die Erde, um die so viel gekämpft wird, für seine Männer berühren. In Cuautla w u r d e die Leiche ausgestellt, und hier beginnt mit gesenkter Stimme die Legende: — Es ist nicht der General. — Das kann nicht sein. Er ist so verändert durch die Reise. Das ganze Blut ging in den Kopf. — Nicht derselbe; der General hatte ein besonderes Zeichen nahe bei einem Backenknochen . . . Und dieser hat keines. — Klar, an dieser Stelle traf der Gnadenschuß. — Wer weiß? Und dieses „Wer weiß?" nährt eher die H o f f n u n g e n als die Trauer. Während andere sich freuen: — Spott, bis der Bandit fiel. Carlos Rincón, Gerda Schattenberg-Rincón (Hrsg.): Cantaré. Songs aus Lateinamerika. Dortmund: Weltkreis-Verlag 1978. Von den Herausgebern nach Gregorio López y Fuentes, Tierra, in: La novela de la Revolución Mexicana, Bd. 2, México 1974, S. 298 f.

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Posada: Porträt Zapatas B e s o n d e r e B e k a n n t h e i t hat d e r m e x i k a n i s c h e C r a p h i k e r und Illustrat o r J o s e C u a d a l u p e Posada ( 1 8 5 2 — 1913) d u r c h s e i n e D a r s t e l l u n g e n von f ü h r e n d e n P e r s ö n l i c h k e i t e n d e r M e x i k a n i s c h e n R e v o l u t i o n erlangt. Das hier a b g e b i l d e t e Porträt von Emiliano Zapata ist in viele W e r k e d e r m e x i k a n i s c h e n Volkskunst a u f g e n o m m e n o d e r v e r a r b e i tet w o r d e n , so d a ß das Bild dieses R e v o l u t i o n s f ü h r e r s auch heute noch e i n e r b r e i t e n Ö f f e n t l i c h k e i t b e k a n n t ist.

Das W e r k von J o s é G u a d a l u p e Posada. H r s g g . und mit e i n e r E i n l e i t u n g von H a n n e s J a h n . F r a n k f u r t a.M.: V e r l a g Z w e i t a u s e n d e i n s 2 1 9 7 8 , S. 3 0 .

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Pancho Villa

Reed: Pancho Villas Traum Der nordamerikanische Schriftsteller und Reporter John Reed (1887 — 1920) hat außer Erzählungen, Gedichten und Theaterstücken auf dem Gebiet der Kriegsreportage eine Darstellung der russischen Oktoberrevolution („10 Tage, die die Welt erschütterten") und den folgenden Bericht „Mexiko in Aufruhr" (1914) verfaßt, die wegen ihrer Dramatik und Anschaulichkeit beide auch mit großem Erfolg verfilmt worden sind. Reed kam als Reporter des „Metropolitan Journal" Anfang 1914, in der zweiten Phase der Revolution, nach Mexiko. Er verbrachte einige Monate in Pancho Villas Armee, die jedoch genügten, um einen zeitlich und regional begrenzten Ausschnitt aus der Problematik der Revolution zu geben: den Kampf der Unterdrückten gegen jahrhundertelange Ausbeutung um soziale Gerechtigkeit und Frieden. Der folgende Auszug umfaßt im Stil des inneren Monologs das 8. Kurzkapitel: 67

Ks ist wohl nicht uninteressant zu erfahren, w o v o n dieser u n w i s s e n d e Kampier, der „nic ht g e n ü g e n d B i l d u n g besaß, um Präsident v o n Mexiko zu werden", träumte, was seine leidenschaftliche Sehnsucht war. Er erzählte mir einmal von dieser seiner Vision: „Sobald die neue Republik F u ß gefaßt hat, wird es in M e x i k o nie mehr eine Armee geben. Armeen sind die stärkste Stütze der Tyrannei. Es kann keinen Diktator geben ohne Armee. W i r werden die A r m e e arbeiten schicken. In allen Teilen der Republik werden wir militärische Gemeinschaften bilden, die aus d e n alten Kämpfern der Revolution bestehen. Der Staat wird ihnen Ackerland zuteilen u n d g r o ß e Industrien aufbauen, damit sie ihre Arbeit finden. Drei T a g e in der Woche werden sie arbeiten, schwer arbeiten, d e n n ehrliche Arbeit schafft gute Bürger. W ä h r e n d der übrigen drei Wochentage werden sie militärisch ausgebildet u n d alle anderen Bürger lehren, wie man kämpft. W e n n d a n n unsere Heimat angegriffen werden sollte, brauchen wir nur v o m Palast in M e x i k o City anzurufen, u n d innerhalb eines halben Tages werden alle Bürger M e x i k o s von ihren Feldern u n d Fabriken heraneilen, mit all ihren Waffen u n d ihrer A u s r ü s t u n g , u m gemeinsam H a u s u n d Familie zu verteidigen. M e i n Ziel im L e b e n ist es, in einer dieser militärischen G e m e i n schaften zu leben, inmitten meiner Compañeros, die mir so teuer sind u n d die so lange u n d so schwer mit mir gelitten haben. Ich denke, die R e g i e r u n g sollte eine Lederfabrik errichten, w o wir gute Sättel u n d gutes Z a u m z e u g herstellen könnten, d e n n darauf verstehe ich mich; die übrige Zeit w ü r d e ich mein eigenes kleines Stück L a n d bestellen, Vieh halten u n d Mais anbauen. Wäre es nicht wunderbar, dabei mitzuhelfen, aus M e x i k o ein glückliches L a n d zu machen?" J o h n Reed: M e x i k o in Aufruhr. Mit einem V o r w o r t von Charlotte Baumgarten. M ü n c h e n : Damnitz Verlag 1978. S. 191 - 1 9 2 (Kleine A r beiterbibliothek K ü r b i s k e r n . 38).

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Bunuel: Mein letzter Seufzer. Erinnerungen Aus dem reichen Anekdotenschatz der Mexikanischen Revolution berichtete der spanische Filmregisseur Luis Bunuel (1900—1982), der nach dem Spanischen Bürgerkrieg nach Mexiko emigrierte und 1949 mexikanischer Staatsangehöriger wurde, die folgende Geschichte nach dem mexikanischen Maler David Alfaro Siqueiros (1898-1974). Eine der schönsten Geschichten dieser Art, die eine ganz eigene Dimension besitzen, hat mir der Maler Siqueiros erzählt. Sie spielt gegen Ende der Revolution, ihre Akteure sind zwei Offiziere, alte Freunde, die zusammen auf der Militärschule waren, aber auf verschiedenen Seiten gekämpft haben — sagen wir: der eine unter Obregon und der andere unter Villa. Der eine hat den anderen gefangengenommen und muß ihn hinrichten — nur die Offiziere wurden hingerichtet, während man die gemeinen Soldaten begnadigte, sofern sie bereit waren, „Viva" und dazu den Namen des jeweils siegreichen Generals zu rufen. Am Abend läßt der siegreiche Offizier den Gefangenen aus seiner Zelle holen und lädt ihn ein, mit ihm zu trinken. Die beiden Männer umarmen sich und setzen sich einander gegenüber. Sie sind ganz niedergeschlagen. Mit Tränen in der Stimme sprechen sie von ihrer Jugend, von ihrer Freundschaft und von dem erbarmungslosen Geschick, das den einen zwingt, zum Henker des anderen zu werden. „Wer hätte gedacht, daß ich dich eines Tages würde hinrichten lassen müssen!" sagt der eine. „Tu deine Pflicht", antwortet der andere, „es bleibt dir nichts anderes übrig." Sie trinken weiter, bis dann im Rausch schließlich, überwältigt von der Ausweglosigkeit der Situation, der Gefangene zu seinem Freund sagt: „Hör zu, mein Freund, gew.ähre mir eine letzte Gunst. Mir wäre lieber, du selbst würdest mich töten." Da erhob sich, mit Tränen in den Augen, der siegreiche Offizier, nimmt seinen Revolver und erfüllt den Wunsch seines alten Kameraden. 69

Luis Bunuel: Mein letzter Seufzer. Erinnerungen. Aus dem Französischen von Frieda Gräfe und Enno Patalas. Königstein/Taunus: Athenäum 1983. S. 201 f.

Es war einmal eine Revolution

Der folgende Text versteht sich als eine Art Bilanz der Mexikanischen Revolution. Mit „Revolution" (Umdrehung) bezeichnete Kopernikus 1507 das Kreisen der Planeten um die Sonne. Diese natürliche Gesetzmäßigkeit hatte Karl Marx in seiner berühmten Definirion vor Augen: „Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte." Während die bürgerliche Geschichtswissenschaft von einem statischen Revolutionsbegriff auszugehen pflegt, postuliert der historische Materialismus die permanente Revolution, die täglich neu erkämpft werden muß. Wenn Revolutionen gewaltsame Veränderungen der Klassen- und Produktionsverhältnisse sind, dann m j ß auch ihre Wirkung und Bedeutung über einen längeren Zeitraum gemessen werden. Der Verfasser dieses Artikels vergleicht Ansprach und Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt der „verratenen Revolution". Es war einmal eine Revolution. Vor über 5 0 Jahren. Damals erhoben sich die Bauern und Landarbeiter gegen ein korruptes, kaaitalistisches und vom Ausland geleitetes Regime unter dem Präsidenten Porfirio Díaz. Sie kämpften nahezu zehn Jahre, und sie siebten. Heute gibt es eine Partei der institutionalisierten Revoluticn, Partido de la Revolución Institucionalizada, PR1. Sie feiert die Resolution und die revolutionären Errungenschaften. Und alle sechs Jahre gibt es einen neuen revolutionären Präsidenten, auserwälilt vonder..revolutionären" Familie, der Führungsgruppe der Partei. Jed^r Präsident darf nur sechs J a h r e lang revolutionär regieren. Dann muß eisernem Nachfolger die Revolution übergeben. Aber eines versteht sich von selbst: J e d e r Präsident, jeder Minister, jeder Staatssekretär ist Revolutionär, alle Beamten sind Revolutionäre, denn die Revolution hat sich in Mexiko institutionalisiert; nichts, was in Me\iko geschieht, kann konterrevolutionär sein, denn alles geschieht jaini Rahmen der institutionalisierten Revolution.

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Das Land als Nachbar der Vereinigten Staaten: Eine mehrere tausend Kilometer lange Grenze symbolisiert die Abhängigkeit. Fast die Hälfte des nationalen Territoriums wurde Mexiko im amerikanischmexikanischen Krieg im 19. Jahrhundert vom nördlichen Nachbarn abgenommen, so Texas, Neumexiko und Kalifornien. Mexiko mußte sich arrangieren, und als Präsident Franklin D. Roosevelt im Jahre 1932 die Politik der guten Nachbarschaft proklamierte, war vor allem auch der südliche Nachbar gemeint. Die Vergangenheit sollte vergessen werden und beide Staaten nebeneinander leben, als ob nichts geschehen wäre, als ob es nicht die Nordamerikaner in Mexiko gäbe, die mit der Absicherung durch ihre Regierung sich auf Kosten der Mexikaner bereichern wollten. Die Politik der guten Nachbarschaft scheiterte, weil es zwischen einem Schwächeren und einem Stärkeren keine gute Nachbarschaft geben kann. Die Interessen der Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg lagen mehr in Europa als im südlichen Nachbarkontinent. Während des Krieges allerdings profitierte Mexiko: Die hier erzeugten Rohstoffe wurden teuer und brachten mehr Geld für die einheimischen Unternehmer. Als der Krieg vorbei war, verschlechterten sich die Abnahmechancen — die schnellen Gewinne der Kriegszeit verringerten sich beträchtlich, das Kartenhaus der mexikanischen KriegsHausse drohte in sich zusammenzufallen. Da sprangen die hilfreichen Brüder aus dem. Norden ein, um mit ihren Devisen den in Not geratenen Mexikanern beizuspringen und die Wirtschaft des Landes wieder unter Kontrolle zu bringen. Als vor den Grenzen Mexikos ein kleiner Inselstaat, Kuba, sich von der Vormacht der USA freigeschwommen hatte, da erfanden die Brüder im Norden die Allianz für den Fortschritt. Alle lateinamerikanischen Staaten sollten im Namen des allein seligmachenden Kapitalismus vereinigt bleiben; und Mexiko als unmittelbarer Nachbar sollte natürlich ganz besonders vereinigt sein. Mexiko spielte mit und verlängte doch eine Sonderrolle: Als alle anderen lateinamerikanischen Staaten die diplomatischen Beziehungen zu Kuba abbrachen, erhielt sie Mexiko aufrecht: Es funktionierte als eine Art Druckventil und hielt die Tradition einer revolutionären Republik aufrecht, anschei71

nend. Kubanische Flugzeuge d u r f t e n auf dem Flughafen von Mexiko City landen, und mit dem Einverständnis der mexikanischen Regierung durften nordamerikanische Geheimagenten die Passagiere fotografieren. (...) Die Mexikanische Revolution stellt sich dar als eine Mischung zwischen einer Explosion der sozialen Unzufriedenheit u n d BanditenRomantik. Sie war die erste große soziale Revolution des 20. Jahrhunderts. In dieser Revolution trafen zwei Strömungen aufeinander: eine bürgerliche, verkörpert durch Francisco I. Madero. Madero ging es um die Aufrechterhaltung bzw. um die Neu-Etablierung eines liberal-kapitalistischen Zustandes mit besseren Chancen f ü r das mexikanische Bürgertum. Eine zweite, Sozialrevolutionäre Strömung, verkörpert durch Emiliano Zapata und Pancho Villa, strebte eine Umstrukturierung Mexikos in einen sozialistischen Agrarstaat an. Madero wurde, wie Millionen von Mexikanern, ermordet, doch letztlich setzte sich die Vorstellung Maderos durch. Eine Bourgeoisie mit revolutionärer Legitimation ergriff die Macht. Was ist von der mexikanischen Revolution geblieben? Grundanliegen der revolutionären Helden wie Zapata und Villa war die Landreform, das indianische Ejido, das zu neuem produktiven Leben erweckt werden sollte, auch im Regierungsprograniin von Echeverría führt es eine marginale Existenz. Die Landarbeiter und Bauern, die Besitz und Arbeit verlieren, fliehen in die Stadt und bevölkern die Slums, die wie eine unheilvolle Bedrohung im Leben aller Städte, von Acapulco bis Monterrey, von Vera Cruz bis Mexiko City, ständig präsent sind. Die Bourgeoisie, die durch die Revolution an die Macht gebracht wurde, hat sich nicht geändert. Sie hat sich nicht fähig gezeigt, aus eigener Kraft eine nationale Industrie aufzubauen; was sie unternimmt, ist weiterhin abhängig vom Ausland. Als Echeverría mit seinen Mexikaiiisierungs-Cesetzen den Einfluß der Vereinigten Staaten zurückdrängen wollte, wurden Wege gefunden, unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen an ausländisches Kapital zu gelangen. Als Ergebnis der Revolution hatte sich eine Führungsschicht herauskristallisiert, die aus ihrer Position Geld und Einfluß schöpft. 72

Es war einmal eine Revolution. In ihrem Namen wurden Millionen Menschen getötet. Für Landreform und bürgerliche Gerechtigkeit. Die Landreform hat bisher für die Bauern und Landarbeiter zu keinem Ergebnis geführt. Die bürgerliche Gerechtigkeit honoriert nur das Wohlverhalten. Falls man sich nicht in das System der institutionalisierten Revolution integriert, wird man zum Außenseiter, der in Mexiko keine Chance hat. Max Kleve in: Dritte Welt Magazin (11.12.1976), S. 7 7 - 8 0 .

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HI. Die gegenwärtige Situation der Indianer

Einleitung: Die Indianer Mexikos Die ethnische Zusammensetzung der mexikanischen Bevölkerung ist schwer feststellbar. Die Angaben beruhen zumeist auf Schätzungen, deren Werte erheblich schwanken. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gibt in seinem Länderbericht 1985 die folgenden Zahlen (teilweise nach Angaben von i 9 6 0 ! ) : 0 , 6 % Weiße, 1,8% Indianer, 9 7 , 6 % Mestizen. Zahlenmäßig gesehen nimmt infolge Akkulturation (Übernahme einer fremden Kultur) der Anteil der Indianer an der Gesamtbevölkerung ab. Die Mehrzahl der etwa 5 0 noch vorhandenen Stämme lebt heute im südlichen Mexiko. Es handelt sich vor allem um die Nachkommen der Mayas, die auf der Halbinsel Yucatán und im Bergland von Chiapas ansässig sind. Weitere Hauptsiedlungsgebiete

sind

Oaxaca, Zentralmexiko und der Nordwesten des Landes. Die Indianer Mexikos stellen weder eine einheitliche Rasse dar noch haben sie eine einheitliche Kultur und Sprache. Es existieren heute etwa 3 0 verschiedene indianische Sprachen. Im J a h r e 1970 beherrschten 2,2 % der mexikanischen Bevölkerung ausschließlich ihre indianische Sprache. Soziokulturelle Merkmale, Sprache und die Selbsteinschätzung der Bewohner sind Kriterien, die heute vorwiegend zur Definition dessen, was ein Indianer ist, benutzt werden und rassische Maßstäbe verdrängt haben. Verändert der Indianer Lebensweise, Sprache und gesellschaftliche Stellung, ist es möglich, daß er damit seine Rasse „wechselt" und zum Mestizen wird. Indianer zu sein, bedeutet in Mexiko auch heute noch, abseits zu leben von der durch Weiße und Mestizen beherrschten Gesellschaft, ohne Anteil zu haben am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes. Die Lebensumstände des größten Teils der in-

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dianischen Bevölkerung weisen die typischen Merkmale der Benachteiligung aller marginalen Gruppen auf, wie geringere Lebenserwartung, niedriger Lebensstandard, höhere Analphabetenquote. Besonders deutlich wird die Diskriminierung der Indianer, die überwiegend Campesinos sind, bei den Landbesitzverhältnissen. Fortgesetzter Landraub und das Ausnutzen der Rechtsunsicherheit vieler Indianer haben dazu geführt, daß Agrarreformen in indianischen Gebieten kaum wirksam wurden und heute die Zahl der landlosen Bauern (1970 waren es 4 Millionen) größer ist, als vor Beginn der Umverteilung im Jahre 1915. Die Wiederbesinnung auf die indianische Vergangenheit Mexikos hat zwar zu einer offiziellen Anerkennung der Indianer geführt. An der jahrhundertelang geübten Praxis, den Indianer als Angehörigen einer minderwertigen Rasse zu betrachten, hat sich kaum etwas geändert. Die in der breiten Masse gängigen Vorurteile, die dem Indianer Faulheit, Dummheit und mangelnden Anpassungswillen vorwerfen, bestehen fort. Für den Touristen ist der Indianer häufig nur ein beliebtes folkloristisches Objekt für die Fotolinse. Um eine Veränderung der Situation der Indianer zu erreichen, wurde 1948 das Instituto Nacional Indigenista (INI = Nationales Eingeborenen-Institut) gegründet, dessen Aufgabe die Koordinierung aller Maßnahmen ist, die eine Integration der Indianer in das nationale Gefüge vorsehen. Die mexikanische Eingeborenenpolitik geht davon aus, daß sich die Lage der als kulturell rückständig erachteten Indianer nur dann wirksam verbessern kann, wenn sie Teil der Nation werden. Wachsender Widerstand gegen die Integrationsbestrebungen kommt auch heute noch von seiten der Indianer, deren Selbstbewußtsein in den letzten Jahren erheblich gewachsen ist, was in der Bildung von indianischen Organisationen und der Durchführung von Indiokongressen zum Ausdruck kommt. Die Indianer lehnen die Integrationspolitik der mexikanischen Regierung ab, weil damit zwangsläufig eine allmähliche und systematische Zerstörung der eigenen kulturellen Identität und der Strukturen der indianischen Gemeinschaften verbunden ist.

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Zapata: Manifest an die Nation (1913) Der folgende Auszug aus dem Manifest von 1913 führt die Grundsätze zur Bodenreform aus dem Plan von Ayala weiter. Er ist ein anschauliches Dokument für die Agitation des Bauernführers Zapata (1879 — 1919) und dokumentiert gleichzeitig den primär sozialen Charakter der Mexikanischen Revolution. Die mexikanische Regierung ist zu reich. Landwirtschaft und Bergbau sind ihr Reichtum, obwohl er unberührt, d.h. noch nicht genutzt ist. Aber diese Reichtümer, diese unerschöpfliche Fülle von Gold, die mehr als 15 Millionen Einwohnern gehört, befinden sich in den Händen einiger weniger tausend Kapitalisten, die oft nicht einmal Mexikaner sind. Aufgrund eines raffinierten und unheilvollen Egoismus beuten Gutsbesitzer, Großgrundbesitzer und Mineneigentümer nur einen kleinen Teil des Ackers und Weidelandes sowie der Bodenschätze aus, ziehen allein den Profit aus ihren überreichen Erzeugnissen und lassen den größten Teil ihres Besitzes völlig unberührt, währenddessen die ganze Republik ein Bild unbeschreiblichen Elends bietet. Mehr noch: es genügt dem Bourgeois nicht, große Schätze, an denen er niemanden beteiligt, zu besitzen, sondern er bringt in seiner unersättlichen Habsucht Arbeiter und Knecht um den Lohn ihrer Arbeit und stiehlt dem Indio seinen kleinen Besitz. Noch immer unbefriedigt, beschimpft und schlägt er ihn überdies, da er mit dem Schutz, den die Gerichte ihm gewähren, prahlen kann: Denn des Schwachen einzige Hoffnung, der Richter, steht ebenfalls in Diensten dieses Lumpenpacks. Dieses wirtschaftliche Ungleichgewicht, diese gesellschaftliche Zerrüttung, diese augenfällige Verletzung des Naturrechts und der menschlichen Befugnisse, wird von einer Regierung gutgeheißen, die ihrerseits ihre eigene Würde außer acht läßt und eine abscheuliche Soldateska stützt ( . . . ) Helft also der Revolution! Tragt euren Teil dazu bei — egal, ob er groß ist oder klein, oder auf welche Weise ihr dies tut: aber tut das Eurige dazu! Erfüllt eure Pflicht, und ihr werdet würdig sein; verteidigt euer Recht, und ihr werdet stark sein; opfert euch, wenn es notwendig werden sollte: denn später wird sich das Vaterland befriedigt

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auf seinem unerschütterlichen Fundament erheben und auf euer Grab „eine Handvoll Rosen" legen. Reform, Freiheit, Gerechtigkeit und Gesetz.

Revolutionäres Lager in Morelos, 20. Oktober 1913. Angel Rama (Hrsg.): Der lange Kampf Lateinamerikas. Texte und Dokumente von J o s é Marti bis Salvador Allende. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1982. S. 135 f., S. 139 (Suhrkamp Taschenbuch. 812). Übers. Ottmar Ette.

Landarbeiter der Nahua-Indianer ehren Emiliano Zapata Herr Direktor, die unabhängige politische Organisation TINAM (Timocepanotoke Noche Altepeme Macehualme, Verband aller armen Völker) aus der Sierra von Zongolica, Veracruz, die dafür kämpft, zu einer gerechten Gesellschaft beizutragen, in der es Wohlstand gibt, auf den wir alle ein Anrecht haben, ist vier Jahre alt, seitdem sie entstand angesichts des großen Elends, in dem wir armen Mexikaner leben und das jeden Tag größer ist. Wir sind Nahua-Indianer, die einen elenden Tagelohn erhalten, während die Forst- und Kaffeeproduktion die Bonzen der Zwischenhändler bereichert. Wir leben unter äußerst schwierigen Bedingungen. 9 0 % der Bevölkerung sind Analphabeten. Über 8 0 % wandert aus, um Arbeit zu suchen. Wir sind fast alle unterernährt und krank, haben keine politische Freiheit, kein Trinkwasser, kein elektrisches Licht, keine Kliniken, keine Schulen oder gerechte Bezahlung für unsere Produkte, keine würdige Behausung usw., alles Dinge, für die wir gegenwärtig kämpfen. Der Staat und die Reichen haben versucht, uns durch Bestechung, starke Beeinflussung, Entführungen, Inhaftierungen, Foltern usw. zu vernichten. Wir fordern das Ende der Unterdrückung gegen jede Volksbewegung, Freiheit für die Gefangenen und Wiederauftauchen der politischen Verschwundenen. 77

An unserem vierten Jahrestag ehren wir den General Emiliano Zapata, der angesichts der großen Unterdrückung 1910 und wegen seiner großen Liebe zum Volk fest und entschieden der Ungerechtigkeit und den Reichen seiner Zeit gegenübertrat. Deshalb nehmen wir in Erinnerung an den 67. Jahrestag seines Todes durch verwirrten, schändlichen, feigen und verbrecherischen Verrat seinen Namen in Anspruch. Da wir Armen jetzt immer mehr in Elend versinken, ermutigen und motivieren uns auf ihrem kämpferischen Weg das unsterbliche Beispiel unserer Helden und der historische Kampfgeist unseres Volkes. Rosario Alvarez für TINAM Aus: unomdsuno, 8.4.86, S. 2.

Indiomarkt Auf dem Markt von San Cristöbal de las Casas (Chiapas) Auf ihrer Reise durch Mexiko besuchen viele Touristen, vor allem „gringos" 1 , den berühmten Indiomarkt von San Cristóbal de las Casas, der alten Hauptstadt des Bundesstaates Chiapas. Diese Stadt mit ihren engen Gassen, Kirchen und typischen Häusern aus der Kolonialzeit trägt den Namen des Mönchs Bartolomé de las Casas2 (1474—1567). Dieser Spanier, wel1 g r i n g o = i n Lateinamerika ursprünglich gebraucht als Schimpfwort für den US-Amerikaner, heute oft — ohne eindeutig negative Wertung — auf alle Ausländer angewendet. 2 Fray Bartolome de las Casas = Bischof von San Cristöbal (Chiapas), berichtete dem spanischen König von den an der indianischen Bevölkerung begangenen Grausamkeiten. Die Lebensdaten sind unsicher. Vgl. auch die „Kritische Einführung in den Themenkreis" (S. 15).

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eher der „Vater der Indios" genannt wurde, kämpfte für die Rechte der Indios, die unter den Eroberern litten. Bis zum heutigen Tag hat sich die Situation für die eingeborene (indianische) Bevölkerung nur wenig verändert. Allein in Chiapas gibt es mehr als 3 5 0 0 0 0 Indios. Die Mehrzahl sind Analphabeten; es gibt viele, die kein Spanisch sprechen, sondern nur ihre Eingeborenensprache. Ihre Lebensbedingungen sind schlecht; wirtschaftlich sind sie abhängig und werden weiter ausgebeutet, sowohl von den Weißen als auch von den „ladinos" 3 . Sie leben abgeschieden in den Bergen und bewahren dort ihre alten Lebensformen, ihre Sitten und Riten, Feste und Trachten. Es sind scheue, in sich gekehrte Menschen, die allem Fremden mißtrauen. Jeden Morgen kommen die Indios von den Bergen herunter. Sie gehen Stunde um Stunde, um nach San Cristobal zu kommen oder reisen auf Lastwagen mit. Auf dem Markt bieten sie ihre Produkte an: Früchte, Gemüse, Kräuter, Stoffe, Keramik usw. Die Indios tragen ihre Lasten auf dem Kopf oder auf dem Rücken. Am Mittag, wenn der Markt endet, kehren sie in ihr Dorf zurück. Ergänzend zu diesem Bericht schreibt der Redakteur und Schriftsteller Gerhard F.O. Straube: Doch pulsierender Mittelpunkt der Stadt ist der (außer Sonntag) tägliche Markt an der zum Stadtrand im Norden führenden avenida General Utrilla. Von weit her kommen morgens die kleinen Lastwagen mit offener Ladefläche aus den Bergen herunter, vollgepfropft mit Indianern in ihren verschiedenartigen Dorf- und Stammestrachten, Säcken, Körben, Hühnern und Truthähnen. In einer dunklen, stinkenden Halle und im Freien unter Plastikplanen und in Bretterverschlägen werden kleine scharfe Chilischoten, frisches Zuckerrohr, gebratene Fischchen, getrocknete Kräuter und bunte Bohnen angeboten. Von ihren Kleinen umlagert, hocken die Indianerinnen stundenlang vor Kartoffel- und Tomatenpyramiden, mittags kramen sie 3 ladino = meist synonym für Mestize gebraucht. Abwertende Bezeichnung für Ausbeuter der Indios.

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Tortillas aus ihren Taschen. In den Gassen schleppen kleinwüchsige Indios tief nach vorn gebeugt mit Stirnbändern befestigte schwere Lasten auf ihren Rücken, die sie vielleicht in der von der Plaza Mayor abbiegenden calle Real de Guadalupe absetzen. Dort nämlich reiht sich auf beiden Straßenseiten Geschäft an Geschäft, hier werden buntbestickte Blusen (= Huipiles), Schals, Stolas, wollene Ponchos und Kunsthandwerk verkauft, alles in den Hochlanddörfern hergestellt. Wer hier feilschen will, bekommt zunehmend öfter zu hören „fixed prices". Gerhard Straube, Die lasterhafte Stadt. San Cristöbal de las Casas und Umgebung. In: Reinhard Aehnelt (Hrsg.): Mexiko. Ein politisches Reisebuch. Hamburg: VSA-Verlag 1986. S. 167 f.

Pérez Jolote: „Tzotzil." Lebensbericht eines mexikanischen Indios Der mexikanische Anthropologe und Ethnologe Ricardo Pozas (geb. 1910) hat 1952 den Lebensbericht des Juan Pérez Jolote (gest. 1961) im Sinne einer kleinen Monographie der Chamula-Kultur aufgezeichnet. Die Chamulas umfassen noch etwa 16000 Indios, welche die Tzotzil-Sprache reden und in den Bergen der Hochebene von San Cristóbal in der Nähe von Ciudad Las Casas leben. Der Indio schildert in dem Buch seine Flucht von Zuhause vor dem jähzornigen Vater, die ausbeuterische Feldarbeit in Soconusco, seine zufällige Verstrickung in die Revolutionsereignisse und seine Heimkehr nach San Juan de Chamula. Den kubanischen Schriftsteller Miguel Barnet (geb. 1940) hat unter anderem dieser mexikanische Text zur Abfassung seiner weltberühmten novela-testimonio Biografía de un cimarrón (Biographie eines entlaufenen Negersklaven, 1966) angeregt. Im Nachwort zur Canción de Rachel (Das Lied der Rachel, 1969) schrieb Barnet über diese literarische Begegnung: „Eines Tages fiel mir Juan Pérez Jolote\on dem mexikanischen Anthropologen Ricardo Pozas in die Hand. Darin wird anhand von Cesprächen mit einem Chamula-Indianer eine ganze Indianergemeinde untersucht. Der kraftvolle Erzählstil, Jolotes einleuchtende Redeweise beeindruckten mich tief. Das Buch weckte aufgrund seiner soziologischen Effektivität und seiner künstlerischen Qualität 80

tiefes Interesse in mir. Ich arbeitete damals gerade mit Esteban Montejo an einer geplanten Monographie über die Totenkulte der Yoruba-Riten und über das Gemeinschaftsleben in den Sklavenbaracken" (M. Barnet, Nachwort zu Das Lied der Rachel, Übers. Monika Lopez, Frankfurt a.M. 1983, S. 132, Suhrkamp Taschenbuch. 966). Das Land meiner Vorfahren liegt im Bezirk von Cuchulumtic in der Nähe des GranPuebloDas Haus, in dem ich geboren wurde, hat sich nicht verändert. Nach dem Tode meines Vaters, bei der Teilung, rissen wir das Haus nieder, um meinen Brüdern die Balken der Decke und der Wände zu geben, die ihnen zukamen. Ich aber baute es wieder auf am selben Ort mit frischem Stroh auf dem Dach und mit Schlamm, der die Wände abdichtete. Den Schafstall verlegte ich in den ganzen Garten, um den Boden zu düngen. Das Dampfbad meiner Mutter, welches sie benützte, als ich auf die Welt kam, ist noch das gleiche; aber ich habe es ausgebessert. Nichts hat sich verändert, alles ist gleich geblieben, wie ich es als Knabe sah. Wenn ich einmal sterbe und meine Seele zurückkommt, wird sie die gleichen Wege vorfinden, durch die ich zu Lebzeiten gegangen bin, und sie wird mein Haus wiedererkennen. Ich weiß nicht, wann ich geboren wurde. Meine Eltern wußten es nicht und konnten es mir nicht sagen. Mein Name — Juan PerezJolot?\ Juan, weil mich meine Mutter am Tage des Schutzpatrons unseres Dorfes — am Johannis-Festtag — zur Welt brachte; Perez Jolote, weil man meinen Vater so nannte. Ich weiß nicht, wie unsere Vorfahren, die tatas, es fertigbrachten, den Leuten Tiemameii3 zu geben. Als ich noch klein war, nahm mich mein Vater mit aufs Feld, um die Erde für die Saat vorzubereiten; und wenn Vater und Mutter zusammen auf dem Maisfeld arbeiteten, stellten sie mich in die Mitte. Ich

1 Chamula 2 Jolote ist die Verkleinerungsform von Guajolote, Truthahn. 3 Bei manchen Tzotzil-Cruppen entspricht der Geschlechtsname oder Indioname dem eines Tieres, einer Pflanze oder einer Sache. — Dieser Name ist ein Restbestand ihrer früheren sozialen Organisation. Noch heute besteht ein Heiratsverbot zwischen Leuten mit dem gleichen Indionamen.

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war noch so schwach, daß ich kaum die Hacke heben konnte; die Erde war so hart und trocken, daß ich die Ackerschollen nicht zu spalten vermochte und sich meine Schienbeine krümmten. Das machte meinen Vater zornig, und er schlug mich mit dem Stiel der Hacke und sagte: „Ziegenbock, wann wirst du lernen zu arbeiten!" Dann und wann verteidigte mich meine Mutter, aber auch sie schlug er. Immer fand er eine Gelegenheit, mich zu schlagen. Wenn er einen Palmhut machte und ich den Pitahanf für den Saum drehte, und der Hanf dabei riß, zerrte er mich an den Ohren und sagte: „Ziegenbock, womit wirst du einmal deine Suppe bezahlen, wenn du nicht zu arbeiten lernst wie ich!" Meistens nahm er mich mit ins Gebirge, um Brennholz zu holen, und jedesmal, wenn ich mitging, schlug er mich, kann sein, weil ich es nicht fertigbrachte, die Zweige mit dem Buschmesser zu schneiden. Immer und immer wieder schlug er mich, bis ich daran dachte, wegzugehen*. Juan Pérez Jolote: „Tzotzil." Lebensbericht eines mexikanischen Indios. Aufgezeichnet von Ricardo Pozas. Ubers. Silvia und Hans Leopold Davi. Zürich, Cochabamba: Regenbogen-Verlag 1979, S. 5— 6. Span. Original: Ricardo Pozas A.: Juan Pérez Jolote, Biografía de un tzotzil. México: Fondo de Cultura Económica !,1980. S. 15 — 16 (Colección Popular. 4).

4 In Chamula werden in der Regel die Kinder gut behandelt. Sie genießen viel Freiheit, und man schlägt sie selten. In der Erziehung wird ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Rücksicht und Geduld ausgeübt. Der Fall Juan Perez Jolote dürfte eine Ausnahme sein, denn es geschieht selten, daß Kinder von zu Hause weglaufen.

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Lithographien: Juan Pérez Jolote

Regenbogen-Verlag Zürich

Juan Perez Jolote

"fìCOfzi!' Lebensbericht eines mexikanischen Indios Aufgezeichnet von Ricardo Pozas

Aus: Ricardo Pozas A.: Juan Pérez Jolote. Biografía de un tzotzil. México: Fondo de Cultura Económica u1980. S. 16, S. 88 (Colección Popular. 4).

Traven: Die Sprache der Indianer

Der Schriftsteller B. Traven (gest. 1969), Pseudonym für Ret Marut (Richard Maurhut), hat nach seiner Flucht aus dem Deutschland der Weimarer Republik lange Zeit auf den Erdölfeldern und unter den Indianern Mexikos gearbeitet. In seinen vielgelesenen spannenden Abenteuerromanen {Das Totenschiff, 1926, Die Baum wollpflücker, 1926, Der Schatz der Sierra Madre, 1927, Die Brücke im Dschungel, 1929, Der Karren, 1930 u.a.), größtenteils in Mexiko spielend, schildert er das Leben der Unterdrückten und Unterprivilegierten. Durch die Büchergilde Gutenberg wurden seine Werke auch im deutschsprachigen Kulturkreis in hohen Auflagen verbreitet. Sie vermittelten einer kulturell häufig benachteiligten Schicht ein realitätsnahes Bild von Mexiko und seinen Gesellschaftsproblemen. Innerhalb der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts gilt es, die Rolle Travens als Vertreter der proletarischen Literatur noch genauer zu bestimmen. Der folgende Auszug entstammt dem Roman Land des Frühlings (1928), in dem Traven über eine Reise durch Chiapas berichtet. Die Sprache aller ( . . . ) indianischen Nationen in Chiapas kann zur Mayasprache zurückverfolgt werden; aber alle Nationen haben heute ebenso streng unterschiedene Sprachen wie die Nationen in Europa, die den Grundstock ihrer Sprache von den Urgermanen mitbrachten ( . . . ) Indianer, die einmal die spanische Sprache gelernt haben, ganz gleich, auf welche Weise, sei es dadurch, daß sie bei Mexikanern lange arbeiten, oder dadurch, daß sie in mexikanischen Städten leben, oder daß sie in die Schule gegangen sind, diese Indianer geben die Sprache nicht mehr auf, wenn sie in Berührung mit Spanisch sprechenden Leuten bleiben können. Der Hauptgrund ist ein rein wirtschaftlicher. Der Indianer, der Spanisch sprechen kann, ist allen übrigen Indianern, die nur Indianisch sprechen können, wirtschaftlich weit überlegen. Kann er sogar noch Englisch sprechen (es gibt genug solche Indianer in Mexiko, die Indianisch, Spanisch und Englisch spreciien können), so ist er wirtschaftlich sogar dem Mexikaner überlegen, wenigstens soweit die Kenntnis dieser Sprachen wichtig ist, um irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen (. ..) 84

Weite Kreise Mexikos suchen mit allen Mitteln die Sprache der Indianer zu erhalten und zu pflegen, während man sich beeilen sollte, sie in den öffentlichen und Universitätsbibliotheken einzusalzen. Der indianische Arbeiter, der nur Indianisch spricht, wird mehr und häufiger ausgebeutet als der, der Spanisch sprechen kann. Der Spanisch Sprechende kann dem Sekretär eines Syndikats genau erzählen, wo ihm der Buckel wehtut, und was man tun müsse, um die Last zu erleichtern. Das kann der Arbeiter, der nur Indianisch spricht, nicht so gut. Der unwissende, indianisch sprechende Arbeiter wird patriarchalisch behandelt. Es wird ihm sogar Mitleid entgegengebracht; aus Mitleid wird ihm zuweilen ein Centavo mehr bezahlt, als er eigentlich beanspruchen könnte. Aber der Arbeiter, ob er Indianer oder Europäer ist, braucht kein Mitleid. Was er braucht, das ist ganz gewöhnliches Recht, das unverbrämt ist mit irgendwelchen Phrasen von Sentimentalitäten oder väterlichem Wohlwollen ( . . . ) In den Schulen, wo nur indianische Kinder, die noch ihre eigene Sprache sprechen, unterrichtet werden, wird der Unterricht in der ersten Zeit in der Muttersprache der Kinder erteilt. Der Lehrer weiß in den meisten Fällen nur gerade die allernotwendigsten Worte der indianischen Sprache. Er ist genötigt, unausgesetzt spanische Worte zu gebrauchen, wenn er etwas erklären will. Hierbei lernen die Kinder schon eine Unzahl spanischer Wörter und Redewendungen. Dann kommt das Schreiben und Lesen. Die Indianer haben keine Schriftzeichen, also müssen die spanischen Zeichen hergenommen werden, und die Kinder lernen Spanisch schreiben und lesen. Das geht so einfach, so ohne jede Reibung mit den Eltern. Die Kinder tragen die Worte und Sätze mit sich heim, und ohne daß sie sich dessen richtig bewußt sind, werden sie gebraucht, und die Eltern übernehmen die Worte von den Kindern. Wenn die Jungen zum erstenmal ein Bild in der Schule von einer Eisenbahn sehen, und der Lehrer beschreibt ihnen die Bahn, so müßten es ja nicht Kinder sein, die flammend vor Eifer heimrasen und ihren Eltern von diesem eisernen Wunder erzählen. Da der Indianer auch nicht ein Wort in seiner Sprache hat, das auch nur einen Teil einer Lokomotive benennen könnte, so wird die ganze Eisenbahn in Spanisch beschrieben. So kommt ein 85

Wort nach dem anderen und ein Satz nach dem anderen, bis die Sprache sich in einem solchen Zustand der Vermischung und Gärung befindet, daß die Sprechenden anfangen, eine ganze Anzahl von Wörtern als altmodisch und ungenau zu empfinden. Diese Wörter werden abgestoßen. Und die abgestoßenen Wörter sind natürlich die indianischen, die nicht ausreichen, um das auszudrücken, was man sagen will. So geht es bei lebenden Generationen. Die nächste tritt ja schon auf den Plan mit einer Schulbildung, die, auch wenn sie noch sehr primitiv ist, doch für die aufgeweckteren Jungen die Grundlage ist, von wo aus sie die höchste Bildungsstufe erreichen können. Johannes Beck (u.a.): Das B. Traven-Buch. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1981. S. 2 5 8 - 2 5 9 , S. 261, S. 267 (rororo. 6986) (letzte Auflage).

Reyes: Tarahumaras

Der mexikanische Celehrte und Diplomat Alfonso Reyes (1889 — 1959) hat sich vor allem als Essayist, Übersetzer und Lyriker einen Namen gemacht und gilt als einer der größten Philologen Lateinamerikas. Das Gedicht „Tarahumaras" entstammt dem 1934 veröffentlichten Cedichtband Yerbas de Tarahumaras es schildert die Lebensverhältnisse der Tarahumara-lndios, die in physischer und sozialer Abgeschiedenheit in den Schluchten und auf den kargen Bergliängen der Sierra Madre Occidental im Nordwesten des Bundesstaates ChilniaInia leben. Ihre Zahl wird auf etwa 70000 geschätzt. Das Leben dieser ethnischen Gruppe wird durch die Abhängigkeit von den ungünstigen geographischen und klimatischen Bedingungen ihres Lebensraumes geprägt. Vgl. Claus Deimel: Tarahumara. Indianer im Norden Mexikos. Frankfurt a.M.: Syndikat 1980. Tarahumaras Die Tarahumaras sind herabgestiegen. Das ist ein Zeichen für ein schlechtes Jahr und für eine schlechte Ernte in den Bergen. 86

Nackt und vom Wetter gegerbt, hart in ihrer glänzenden, gefleckten Haut, braungebrannt von Wind und Sonne beleben sie die Straßen von Chihuahua, langsam und mißtrauisch, mit allen Triebfedern der Angst zusammengezogen, wie zahme Panther . . . Tarahumaras Han bajado los indios tarahumaras, que es señal de mal año y de cosecha pobre en la montaña. Desnudos y curtidos, duros en la lustrosa piel manchada, denegridos de viento y sol, animan las calles de Chihuahua, lentos y recelosos, con todos los resortes del miedo contraídos, como panteras mansas . . .

Wir erreichten die Selbstversorgung in Bohnen, Mais und Reis Mais wird seit über 4000 Jahren in Mexiko angebaut und bildet bis heute die Grundlage der Ernährung für die Mexikaner. Die Maistortillas, bei Feinschmeckern wegen ihrer vielfältigen und reichhaltigen Füllungen beliebt, sind für einen großen Teil der Bevölkerung in ihrer reinen Form das Hauptnahrungsmittel. Eine Anreicherung mit Gemüse oder gar Fleisch sind die Ausnahme, allenfalls werden frijoles (schwarze Bohnen) dazu gegessen. Diese einseitige und proteinarme Ernährung führt zu Mangelerscheinungen und verschiedenen Graden von Unterernährung. Zur Problematik der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln schrieb die mexikanische Ökonomin und Politologin 87

María de Jesús Santiago C., Professorin an der staatlichen Landwirtschaftsschule in Chapingo, folgendes: „Die vom Agrobusiness geförderte Ausrichtung am Export führt phasenweise zu krassen Krisenerscheinungen, mitunter sogar zur Einschränkung der Anbaufläche und zur Vernichtung von Teilen der Ernte. Die Agrarexporte Mexikos sind vor allem abhängig von der landwirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklung in den USA, dem Hauptabnehmer seiner Erzeugnisse (. ..) Die Verarmung der kleinen Erzeuger schreitet mit den wechselnden Konjunkturen voran ( . . . ) die einschneidenden Umwälzungen in der mexikanischen Landwirtschaft (. ..) zogen unter anderem den Verlust der Fähigkeit zur Selbstversorgung mit Basisnahrungsmitteln nach sich ( . . . ) Diese Entwicklung ist auf das engste mit dem Aufstieg der USA zum dominierenden Produzenten und Exporteur von Getreide und der gezielten Ausrichtung unentwickelter Länder auf den Bedarf f ü h r e n d e r Industriestaaten verknüpft ( . . . ) 1984 wurden allein 7,4 Millionen Tonnen Grundnahrungsmittel importiert, was einem Viertel der Binnennachfrage entspricht und etwa ein Viertel der Auslandsverschuldung in diesem Zeitraum verursachte." (Maria Santiago, Vom Maisgott zum Burgerking. In: Reinhard Aehnelt, Hrsg.: Mexiko. Ein politisches Reisebuch. Hamburg: VSA-Verlag 1986. S. 154 f., S. 158). Bohnen: 1976-1981: 9 8 % Steigerung: 1 4 6 9 0 0 0 t Mais: 1976-1981: 8 4 % Steigerung: 14766000 t Reis: 1976-1981: 3 9 % Steigerung: 644000 t Wir werden kein Gramm mehr von diesen Nahrungsmitteln importieren müssen. In diesem J a h r e produzierten wir mehr denn je: 28 622 0001 ölhaltiger Grundgetreide, 10 Mio. t mehr als 1976. Die Strategie zur Erreichung dieser historischen Zahl bestand darin, den Bauern Unterstützung im Austausch für Verantwortung zukommen zu lassen; Kredit zur Nutzung der Produktionsmittel und gerechtere Preise für ihre Produkte. Aber vor allem werden wir wieder Selbstversorger durch die entschiedene Antwort der Leute auf dem Lande auf den fairen und direkten Umgang, den ihnen der mexikanische Staat mit dem SAM (Mexikanisches Nahrungsmittelsystem) vorgeschlagen hat.

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Mexiko liefert auf dem Feld der Ernährung die Schlacht, die wir nur dann gewonnen haben werden, wenn jeder von uns auf geeignete Weise die guten Lebensmittel für unsere bessere Ernährung kombinieren kann und zu kombinieren l e r n t . . . Und wir werden es schaffen! Mexikanisches Nahrungsmittelsystem (SAM) Der Samen für ein kräftigeres Mexiko Zur Kritik an diesem System vgl. Francesco Blumenstein: Eine lebensnotwendige Strategie für Mexiko: Nahrungsmittelselbstversorgung. Zur Kritik der nationalen Nahrungsmittelselbstversorgungsstrategie „Sistema Alimentario Mexicano" (SAM). In: Hispanorama, Nr. 36 (März 1984), S. 110-116.

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Alcanzamos la autosuficiencia en frijol, maíz y arroz Toneladas 1.469,000

1976

1981

19%

Y.i no («.'luiremos que importar ni un giano más de estos alimentos. I ste año produjimos más que nunca: 2X.622.000 toneladas de granos básicos y oleaginosas. 10 millones de toneladas in.is que en 1976. La estrategia para lograr esta cifra histórica consistió en facilitara los campesinos apoyo a cambio de responsabilidad; crédito con medios de producción para aprovecharlo y vprecios m á s j u s t o s Icfc] par>» sus.ptoductoh. «os», >> , .

t

644.000

14.766.000

1981

1976

1981

Pero sobre todo, volvemos a ser autosuficientes por la respuesta decidida de los hombres del c a m p o al trato limpio > directo que les ha propuesto el Estado mexicano con el SAM. M é x i c o está d a n d o la b a t a l l a en el c a m p o de la alimentación, que, solo habremos ganado cuando cada uno de n o s o t r o s pueda y sepa c o m b i n a r a d e c u a d a m e n t e los b u e n o s a l i m e n tos para nutrirnos ¡Y lo lograremos!

SISTEMA ALIMENTARIO MEXICANO La semilla de un Mfrko mis fuerte

IV. Alltagsberichte

Mexiko-Stadt: Tag für Tag 4 000 Zuwanderer Das rapide Bevölkerungswachstum in der Hauptstadt führt zu einer zunehmenden Verelendung und Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten. Da die Infrastruktur mit dieser Bevölkerungsexplosion nicht Schritt halten kann, entstehen nahe dem Zentrum immer neue Armenviertel (Vecindades) und an der Peripherie Spontansiedlungen (Colonias Populares). Der folgende Pressebericht dokumentiert diese Situation, die sich seitdem noch verschärft hat. Am Ende unseres Jahrhunderts, so prophezeit die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), wird Mexico City mit 32 Millionen Einwohnern die größte Stadt der Erde sein. Mexikos Hauptstadt hat heute 14 Millionen Einwohner; schon jetzt platzt sie aus allen Nähten. Zwei Drittel der mexikanischen Industriebetriebe haben sich im Großraum Mexiko angesiedelt. Im Tagesdurchschnitt strömen 4 0 0 0 Zuwanderer in die Metropole; sie errichten ärmliche Hütten aus Pappe, Steinen und Wellblech und hoffen auf S t r o m - und Wasseranschluß und auf einen Job. Von Zeit zu Zeit kommen Bulldozer, um die Hütten niederzuwalzen. Doch unaufhaltsam wachsen die Slums um Mexiko weiter. Die Landflucht in Mexiko hat bedenkliche Ausmaße angenommen; schon zählen 62 Prozent der Mexikaner zur städtischen Bevölkerung. Mexiko, das den „fortgeschrittenen Entwicklungsländern" zugerechnet wird, ist auf dem Weg zum Industriestaat. Dank der verbesserten hygienischen Bedingungen hat das Land den relativ stärksten Bevölkerungszuwachs in Lateinamerika. Die Metropole, 2 246 Meter über dem Meer, liegt unter einer graugelben Dunstglocke, die nur noch selten den Blick zu den Hausbergen Mexikos, den Zwillingsvulkanen Popocatepetl und Ixtaccihuatl, freigibt. Wie zum Hohn auf den Umweltschutz verpuffen Myriaden schlechtunterhaltener Wagen ihren Benzin- und Dieselqualm, 91

speien Tausende von Fabrikschornsteinen ihren Rauch aus. Viele Bewohner leiden unter Husten, Nasenbluten, Herzbeschwerden und starken Kopfschmerzen. Der infernalische Lärm dringt bis in die Hinterzimmer der Hotels, er verursacht Gehörschäden, Konzentrationsschwächen und Aggressivität. Das Telefonnetz, die öffentlichen Verkehrsmittel sind überlastet, hin und wieder setzt der elektrische Strom aus, kommt kein Wasser aus den Leitungen. Alle Zivilisationsplagen, einschließlich einer zunehmenden Kriminalität, kann man hier erfahren. Wird diese Riesenstadt in zwanzig Jahren überhaupt noch lebensfähig sein? (. ..) Dem 20. J a h r h u n d e r t begegnet man in Mexiko vor allem in den Vorstädten, in den Badeorten und in dem oft alpdruckhaften Straßenverkehr. Manche Städte sind ohne Struktur und Gesicht, ein Sammelsurium an Baustilen. Die Supermärkte und Cafeterias, Bungalows und Fabriken der neuen Stadtteile haben nordamerikanisches Cepräge. Auf den Straßen dominieren mexikanische Kleinwagen und protzige Sechssitzer. Zwischen mehrachsigen Lastwagen behaupten sich noch Eselkarren. Mexico City hat sich eine moderne U-Bahn und formschöne Autobusse zugelegt, auf dem Lande hingegen scheinen manche Vehikel von Kinderhand entworfen und zusaminengebastelt zu sein. In Badeorten wie Acapulco und Cancun stehen hochelegante Hotels, spielt sich ein mondänes S t r a n d - und Ferienleben ab. Nicht weit davon findet man die Schattenseiten: armselige Arbeiterquartiere, gottverlassene Dörfer, eine mangelhafte Infrastruktur. Hans Dieter Kley in: IVeser Kurier, 27.1.1979.

Lewis: Die Kinder von Sänchez Im Mittelpunkt dieser sozialanthropologischen Untersuchung(Ne\v York 1961) steht das Schicksal einer fiir.fköpfigen armen me\ikanischen Fainilie,die in den Slums von Mexiko-Stadt dahinvegetiert. Jedes Familienmitglied erzählt sein eigenes Leben, so daß verschiedene Autobiographien entstehen und die Anteilnahme des Lesers verstärkt wird. 92

Lewis' Begriff der „Kultur" oder „Subkultur der Armut" ist gelegentlich kritisiert worden, da er im rein Beschreibenden stehenbleibt, die Verantwortlichen nicht deutlich benennt und auch keine Bewußtseinsveränderung bei den Betroffenen hervorrufen möchte. Jedoch hat seine Methode das f r ü h e Verdienst, wirtschaftliche, soziale und psychologische Erscheinungen als Gesamtheit zu betrachten. In der lateinamerikanischen Literatur hat sie auf die Gattungen „testimonio" und „novela testimonio" fruchtbar gewirkt. Im folgenden Ausschnitt erzählt der 50jährige Vater Jesús Sánchez aus seiner frühen Kindheit: Ich war ungefähr sieben, als meine Eltern auseinandergingen. Damals hatten die Revolutionäre den Laden schon geplündert. Mit dem Geschäft war es aus, mit der Familie auch, unser Heim war zerstört. Ich ging natürlich mit meiner Mutter und mit meinem Bruder, der Landarbeiter auf einer Zuckerrohr-Plantage war. Ich arbeitete auch auf dem Feld. Nach zwei Jahren w u r d e meine Mutter krank, und mein Vater kam auf einem Esel, um uns zu besuchen. Wir wohnten in einem armseligen Haus. Es hatte nur auf der einen Seite ein Dach; die andere war offen. Wir mußten uns Mais borgen, weil wir wirklich nichts zu essen hatten. Wir waren furchtbar arm. Nicht einmal einen Arzt oder irgendwelche Arznei noch sonst etwas konnte meine Mutter sich leisten. Sie ging zu meinem Vater und starb bei ihm. So versöhnten sie sich ganz am Ende. Na, und dann, als meine Mutter starb, fing meine eigene Tragödie an. Ich war wohl zehn, als ich zu meinem Vater zog. Zwei J a h r e blieb ich bei ihm, dann ging ich weg, um mir Arbeit zu suchen. Eine Stiefmutter bekamen wir erst viel später, als ich schon von zu Hause fort war. Da heiratete mein Vater eine Frau, die ihn bestahl und ihm alles wegnahm und ihn schließlich, zusammen mit ihren Brüdern, aus dem Haus warf. Eines nachts wollten sie ihn umbringen, wegen seines Geldes, aber die Nachbarn kamen dazwischen, und da verließ ihn diese Frau. Sie waren richtig verheiratet gewesen. Die Frau und ihre Leute nahmen meinem Vater das Haus und alles weg ( . . . ) Damals war ich zwölf. Ich lief fort, ohne es jemandem zu sagen. Zuerst arbeitete ich in einer Getreidemühle, dann als Feldarbeiter auf einer Zuckerrohr-Plantage und danach als Zuckerrohrschneider. 93

Es war ein hartes Leben dort auf den Feldern. Ich arbeitete den ganzen Tag mit der Hacke in der heißen Sonne. Sie zahlten uns anderthalb Pesos für tausend Stück, aber ich schaffte kaum die Hälfte, bekam also nur fünfundsiebzig Centavos am Tag. Das reichte nicht einmal für das Essen. Ich hatte immer Hunger und lebte manchmal tagelang von einer einzigen Mahlzeit oder aß gar nichts. Darum sagte ich, daß ich keine Kindheit hatte. Vier Jahre lang ging das so. Oscar Lewis: Die Kinder von Sánchez. Selbstporträt einer mexikanischen Familie. Düsseldorf, Wien: Econ-Verlag GmbH 1963. S. 37 — 38. Poniatowska: Das Leben der Jesusa In diesem „testimonio" (erschienen 1969), das die engagierte mexikanische Schriftstellerin und Journalistin Elena Poniatowska (geb. 1933) aufzeichnete, schildert die 1900 geborene Wäscherin Jesusa Palancares ihr Leben. Poniatowska lernte von der empirischen Methode des nordamerikanischen Anthropologen Oscar Lewis, verfolgte jedoch keine wissenschaftlichen Ziele, sondern bewahrte ihren Aufzeichnungen die Spontaneität, den Zorn und die Trauer der Erzählerin. Der mexikanischen Politik gegenüber reagierte sie wütend und enttäuscht: „Derart viele Bankette! Warum lädt der Präsident nicht die Unmenge von Bettlern ein, die durch die Straßen ziehen? Eh. warum? Alles nur Scheißrevolutionäre! Jeden Tag stecken wir tiefer in der Patsche, und jeder, der herkommt, beißt uns etwas ab, reißt uns Zähne aus, läßt uus hinkend zurück, und aus unseren Stücken baut ersieh sein Haus." Ihre Mitmenschen sind auch kein Trost für sie: „Es ist wirklich ganz fürchterlich hart, nicht rechtzeitig zu sterben. Wenn ich krank bin, öffne ich meine Tür den ganzen Tag über nicht; mehrere Tage hintereinander lasse ich sie verschlossen, kaum einen Tee bereite ich mir oder einen Atole oder sonst etwas. Aber ich gehe nicht hinaus und belästige niemanden, und niemand stellt sich in meine Tür. An dein Tag, an dem ich schmcrzgckríimim hier liege, wird meine Tür verriegelt sein .. . Weil sonst die Nachbarn hereinkommen und schauen, ob man schon stirbt, schon in den letzten Zuckungen liegt. 94

denn die meisten Menschen kommen und lachen über den, der gerade stirbt. So ist das Leben. Einer stirbt, damit die anderen etwas zu lachen haben. Sie machen sich lustig über das Schauspiel, das man ihnen liefert; man streckt alle Viere von sich, dreht und wendet sich, mit aufgerissenem Mund und hervorquellenden Augen. Als ob das Leben nicht schon hart genug wäre, um dann noch so zu sterben. Deshalb verriegele ich meine Tür. Man wird mich hinausschleifen, wenn ich schon stinke, aber daß sie herkommen und mich anschauen und dies und das daherreden, nein, n i e m a n d . . . niemand... nur Gott und ich." Elena Poniatowska: Allem zum T r o t z . . . Das Leben der Jesusa. Ubers. Karin Schmidt. Bornheim-Merten: Lamuv 1982. S. 25.

Lithographie: „Land und Freiheit!"

Aus: Irina Buche/Jan Metzger/Rainer Schell (Hrsg.): Mexiko. Die versteinerte Revolution. Bornheim-Merten: Lamuv 1985. S. 100 (Lamuv Taschenbuch. 41). Nach unbekannter Vorlage. 95

Bennholdt-Thomsen: Die stumme Auflehnung der Bauersfrauen Der folgende Auszug gibt die E r g e b n i s s e eines Forschungsprojekts wieder, das mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Fried e n s - und Konfliktforschung 1976/77 in Südmexiko durchgeführt wurde. Rio C r a n d e ist ein Dorf im Bundesstaat Chiapas im Süden Mexikos mit 3 9 6 ( 2 0 6 weiblichen, 190 männlichen) Einwohnern, die in 83 Haushalten leben. Sie sprechen eine Mayasprache und Spanisch. Die ökonomische C r u n d l a g e aller Haushalte ist die landwirtschaftliche Produktion auf der Parzelle ( . . . ) Die Frauen arbeiten im Hause (bzw. in der Hütte), bereiten die Mahlzeiten, versorgen die Kinder, waschen die Wäsche. Die Männer arbeiten außerhalb d e s Hauses, sie verrichten die öffentlichen und bezahlten Arbeiten: Feldarbeit — für den Eigcnkonstim als Warenproduktion und in Lohnarbeit —, Hausbau. Marktbezichungen. Dies ist das C r u n d m u s t e r . Hinzu kommt bei den Frauen Feldarbeit in der Eigenkonsumparzelle, bezahlte und unbezahlte Warenproduktion in Heimarbeit: H ü h n e r - und Schweineaufzucht. Nähen von Kleidungsstücken und Lohnarbeit beim Kaffeepfliicken ( . . . ) Die Frauen sind besitz- und eigentumslos. Im Höchstfall gehören ihnen ein paar Hühner und die minimalen Kochutensilien. Das Haus, das Land, anderes Kleinvieh usw. gehören den Männern. Die Heirat erfolgt erst in neuester Zeit ( . . . ) a u f g r u n d gegenseitiger Zuneigung ( . . . ) Meist jedoch verläuft die Verheiratung der Tochter mit Cewalt. Die Mädchen versuchen sich zu weigern und werden dann von ihrem Vater so lauge geprügelt, bis sie „ n a c h g e b e n " ( . . . ) Fernando ist 3 3 J a h r e alt, verheiratet, sie hatte zehn Geburten, sechs der Kinder leben. Von Carmen, ihrer Schwägerin höre ich. daß ihr Mann sie bedroht hat. Er hat sie geschlagen, angeschrien und damit gedroht, sie zu verlassen oder umzubi ingen. Es gibt verschiedene Auslöser: Fernanda ist sehr krank, sie hatte zum Zeitpunkt der Gehurt ihres letzten Kindes eine schwere Lungenentzündung und hat sich noch nicht davon erholt. Sie arbeilet ilun nicht genug, hat zuviel 96

Geld durch ihre Krankheit verbraucht, außerdem will er eine jüngere Frau ( . . . ) Die Verweigerung der Frauen von Rio Grande, für eine bessere Ernährung durch zusätzliche unbezahlte Arbeit zu sorgen, zeigt deutlich, daß die Produktion und Reproduktion menschlichen Lebens ein soziales Phänomen und nicht eine Frage des natürlichen Instinktes ist. Die Frauen wehren sich durch ihre Verweigerung (unbewußt) gegen ihre fortschreitende Erniedrigung, die mit der zunehmenden Hausfrauisierung auftritt. Sie ziehen es vor, ihre Arbeitskraft für bezahlte Tätigkeiten einzusetzen — als Näherin oder Lohnarbeiterin im Cafetal. Das Problem ist, daß diese Form, sich zur Wehr zu setzen, keine wirkliche Perspektive hat und damit eher passiv und selbstzerstörerisch ist. Denn der Versuch, möglichst viel bezahlte Tätigkeiten zu verrichten, bedeutet dennoch, daß sie diese immer zusätzlich zur Hausfrauenarbeit leisten müssen. Die Schlußfolgerung aus dem Dargestellten ist allgemein und spezifisch zugleich: Die Abtrennung der Subsistenzproduktion von der sonstigen gesellschaftlichen Produktion muß als Grundpfeiler der Klassenwidersprüche im Kapitalismus verstanden werden. Die Subsistenzproduktion ist der Bereich, in dem das menschliche Leben produziert und das Arbeitsvermögen hergestellt und reproduziert wird. Veronika Bennholdt-Thomsen, Die stumme Auflehnung der Bauersfrauen. Bericht aus einem Dorf im Süden Mexikos. In: Claudia von Werlhof (u.a.), Frauen, die letzte Kolonie, Reinbek b. Hamburg 1983, S. 4 9 - 5 2 , S. 59 (rororo aktuell. 5347) (Technologie und Politik. 20). Rulfo: Der Llano in Flammen Der mexikanische Schriftsteller Juan Rulfo (1918—1986) schildert in seinen Werken die soziale Situation der mexikanischen Landbevölkerung. Die Verhaltensweisen dieser unter erbärmlichen Bedingungen und oft in ständigem Kampf gegen eine feindliche Umwelt lebenden Menschen sind durch Angst, Mißtrauen und Resignation geprägt. Der folgende Textausschnitt wurde der Erzählung „Nos han dado la tierra" (Man hat uns das Land gegeben) entnommen, die in dem 1953 97

erschienenen Erzählband El llano en llamas (Der Llano in Flammen) veröffentlicht ist. Sie führt in die grenzenlose Weite der mexikanischen Llanos, einer wüstenähnlichen, baumarmen und unfruchtbaren Ebene. Die hier lebenden Indios sollen von der Landverteilung profitieren; doch man gibt ihnen nur steiniges und unfruchtbares Ödland. An der hier geschilderten Situation kann exemplarisch aufgezeigt werden, wie der positive Ansatz einer gerechten Landverteilung, eines der Hauptziele der Mexikanischen Revolution, in der Realität häufig und in vielfältiger Weise unterlaufen wurde. Die Betrogenen waren zumeist der Indio und der Campesino. Der Großgrundbesitzer verfügt — trotz vieler und fortschrittlicher Agrarreformgesetze — weiterhin über das beste Land. Ich drehe mich nach allen Seiten und sehe mir den Llano an. Soviel Land, solch ein großes Stück Land, und taugt zu nichts und wieder nichts. Die Augen rutschen einem aus, wenn da nichts ist, woran sie Halt finden. Nur ein paar Eidechsen stecken den Kopf aus ihren Löchern, und sobald sie die Sonnenglut spüren, schlüpfen sie schnell fort und verstecken sich im Schatten eines Steines. Aber wir, wo werden wir Schutz vor der Sonne finden, wenn wir erst hier arbeiten müssen? Denn diesen steinharten Boden, auf dem nichts wächst, hat man uns gegeben, um ihn zu bebauen. Man hat uns gesagt: „Vom Dorf an bis hierher gehört alles euch." Wir haben gefragt: „Der Llano?" „Ja, der Llano. Der ganze Llano Grande." Wir haben den Mund verzogen und gesagt, daß wir den Llano nicht haben wollen. Daß wir das Land am Fluß wollen. Vom Fluß an bis dahinten, das fruchtbare Uferland, wo diese Casuarinabäume stehen und die gute Erde. Nicht diese harte Kuhhaut, den Llano. Aber man hat uns unsere Sachen nicht sagen lassen. Der Kommissar war ja nicht gekommen, um sich mit uns zu unterhalten. Er hat uns die Papiere in die Hand gedrückt und hat gesagt: „Und bekommt keinen Schreck, daß so viel Land euch ganz alleine gehört!" „Aber Herr Kommissar, der Llano .. ." „Es sind tausend und abertausend Tagwerk." „Aber es gibt dort kein Wasser. Nicht genug, um sich den Mund auszuspülen." 98

„Und die Regenzeit? Niemand hat euch gesagt, daß ihr berieseltes Land bekommen würdet. Sobald es dort regnet, wird der Mais in die Höhe schießen, als ob jemand daran gezogen hätte." „Aber Herr Kommissar, die Erde im Llano ist ausgewaschen, ist hart. Wir glauben nicht, daß der Pflug in diesen Boden eindringen kann, der wie Stein ist. Man müßte mit der Hacke Löcher schlagen, um zu säen, und nicht mal so ist es sicher, daß etwas wachsen würde. Da wird kein Mais wachsen noch sonst irgendetwas." „Das müßt ihr schriftlich niederlegen. Und jetzt geht! Greift den Großgrundbesitz an, nicht die Regierung, die euch das Land schenkt!" „Einen Augenblick, Herr Kommissar! Wir haben nichts gegen die Behörde gesagt. Nur gegen den L l a n o . . . Was nicht geht, das geht nicht. Das haben wir g e s a g t . . . Nur einen Augenblick, bitte, wir möchten Ihnen das erklären können. Sehen Sie mal, wir wollen mit dem anfangen, was wir eben gesagt haben . . . " Aber er wollte uns nicht anhören. So hat man uns also dieses Stück Land gegeben. Und auf diesem glühenden Backblech sollen wir Samen aussäen und zusehen, ob irgendwas keimt und wächst. Aber hier wird nichts wachsen. Nicht einmal Aasgeier gibt es hier. Juan Rulfo: Der Llano in Flammen. Erzählungen. Ubers. Mariana Frenk. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1976. S. 1 6 - 1 7 (Bibliothek Suhrkamp. 504). Span. Original: Juan Rulfo: El Llano en Hamas. Mexico: Fondo de Cultura Econömica 1953. S. 20— 21

Silier: Das ,Jungfrauchen" — Mutter aller Mexikaner Die komplizierte Frage, ob die Kirche ein Staat im Staate oder eine Staatskirche sei, scheint auf den ersten Blick paradox, weil die Trennung von Staat und Kirche ein juristisch lange abgesegnetes Faktum ist. Aber in der Alltagspraxis ist die Kirche als mächtige G r u n d - und Immobilienbesitzerin, als offene und verhüllte Trägerin von Bildungsinstitutionen sowie als politisch einflußreiche Rechtsopponentin überall präsent. Die folgende Erlebnisschilderung spiegelt den Einfluß der Kirche in ihrer kommerzialisierten und stark ritualisierten

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Form wider: anläßlich der Dezemberwallfahrt am Tag der Jungfrau von Guadalupe. Am Tag der Jungfrau von Guadalupe, dem 12. Dezember, pilgern jedes Jahr mehr als eine Million Menschen zur Villa de Guadalupe im Nordosten der Hauptstadt. Neben der alten Basilika aus der Kolonialzeit erhebt sich heute eine moderne Betonkirche. Sie beherbergt die Jungfrau und ist der Schauplatz der großen, jährlichen Messe für die virgencita. Der Tag der Jungfrau ist beides: Ein Erlebnis religiöser Inbrunst für die Pilger, die das letzte Stück des Weges zu ihrer Jungfrau oft auf den Knien rutschend zurücklegen — und ein Spitzentag für die Straßenhändler, die mit dem J u n g f r a u - R u m m e l Geschäfte machen wie sonst nie. Die Zeitung Uno mds urto berichtet: „Es ist gleich Mittag, uid Rosa Heredia ist fast zwei Kilometer auf ihren Knien gerutscht. Ihr Mann, Juan Martinez, macht ihr mit einem mitleidenden Lächeln Mut für den nächsten und letzten Kilometer, den sie noch zurückzulegen hat. um ihr Gelöbnis zu erfüllen. Immer wieder legt er ihr Pappkartons unter das geschundene Fleisch. Sie macht — wie viele der anderen, die gestern nach La Villa gepilgert sind — ein geduldiges Gesicht, keine Tränen, keine Worte1, an jenem Tag, an dem es genau 448 J a l m her ist, daß die Jungfrau von Guadalupe erschien: die Siegerin über die heidnischen Cottheiten, über das königliche Heer, die Begleiterin der Revolutionäre von 1910, die Schutzheilige von mehr als 60 Millionen Mexikanern. In der Zwischenzeit kommt und geht die Menge — die Pilperpruppen von Arbeiter- und Bauernvereiiiigiingen, von C e w e r k c h a f t s sektionen und staatlichen Institutionen, die dreifarbige Staidarten mit dem Bild der Maria Guadalupe mit sich führen, und Muskkapellen —, ein vielfarbiger Strom, der den Hügel von Tepeyacac l i n a u f und hinabfließt. Aus Chiapas, Oaxaca, Puebla, Jalisco, Midioacan. Estado de Mexico, Queretaro. aus allen Teilen eler Republik kommen Dutzende, Hunderte, Tausende von Gläubigen, um sich für lir dramatischste aller Feiern des Fanatismus unseres Volkes zu ersaniineln. Hier, in La Villa, leben alle in Harmonie, trotz des Gelrä'nges 100

und Gestoßes, das an diesem Tag niemanden beleidigt oder irritiert, keine Verwünschungen hervorruft, weil wir doch alle guadalupenos, Brüder und Gotteskinder und Kinder unserer Heiligen Mutter sind. Natürlich sind auch die Bettler da, und die Münzen scheppern eine nach der anderen in die Blechbüchsen oder fallen in den Stroh-Sombrero. Die fliegenden Händler verkaufen mehr tacos, Erdnüsse, Mandarinen, Eis am Stiel, Getränke, belegte Brötchen, und natürlich fehlen auch die Verkäufer von Schallplatten mit Liedern für die Jungfrau nicht. Und das alles begleitet von den Tönen traditioneller Musikinstrumente und regionaler Kapellen, die die schon klassische Blechmusik spielen. Wem es auch gut geht, das sind die 150 Fotografen mit den uralten Kameras auf dreibeinigen Ständern: Sie haben die Preise für Fotos um bis zu 100 Prozent erhöht .. . natürlich mit dieser Szenerie: das Bild der Schutzheiligen, den Hügel von Tepeyacac und ein Schriftzug ,Andenken an meinen Besuch in der Villa de Guadalupe'! Auch die Blumenverkäufer sind im Geschäft. Sie haben ihre Preise um bis zu 300 Prozent erhöht, natürlich nur um die Jungfrau zu feiern. Die Straße zur Villade Guadalupe, zwei Uhr morgens: Lange Reihen von Männern und Frauen auf den Knien. Um die vier Kilometer zwischen der AvenidaReformaund der Basilika zurückzulegen, brauchen die Gläubigen fünf oder sechs Stunden. Völlig erschöpft kommen sie an. ,Warum haben Sie dieses Gelübde abgelegt?' ,Ich\ sagt ein Mädchen und lacht, ,ich hab es der Jungfrau versprochen, wenn ich auf die Oberschule komme. Die Plätze werden verlost . . . und jetzt bin ich drauf.' ,Und Sie? ,Ich\ sagt ihr Freund,,weil ich beinahe meine Arbeit verloren hätte, da hab ich dieses Versprechen gegeben . .. Zum Glück hat mir mein Chef geholfen und, na gut, da hab ich eben beschlossen, mein Gelübde heute einzulösen.' ,Warum haben Sie das Celübde abgelegt, Senora?' ,Wegen mir', antwortet ein Kind,,damit ich nicht mehr diese Anfälle kriege.' 101

,Und Sie, Señora?' ,Ich habe eine eineinhalbjährige Tochter mit einem Gehirnschaden, die im Sterben liegt. Ich komme, um die Jungfrau zu bitten, sie mir abzunehmen.' ,Und Sie?' ,Nein, darüber kann ich nicht sprechen', sagt der Begleiter eines Jungen — und faßt sich dann doch ein Herz: ,Ich hab es versprochen, falls ich aus dem Gefängnis herauskomme."" David Silier: Ayer se cumplieron 448 años de veneración ala Virgen. In: Uno más uno, 13.12.79. Dt. Ubers, nach Irina Buche/Jan Metzger, Rainer Schell (Hrsg.): Mexiko. Die versteinerte Revolution. Bornheim-Merten: Lamuv 1985. S. 132 — 133 (Lamuv Taschenbuch. 41).

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V. Chícanos

Chicanos: Ein „Tortilla-Vorhang" gegen die armen Nachbarn? Die folgenden Texte behandeln die Probleme der „chicanos" (Kurzform von „mexicanos", Nordamerikaner mexikanischer Abstammung), von denen mehr als 13 Millionen und etwa 5 Millionen „illegale" Einwanderer sowie Saisonarbeitskräfte vornehmlich in den Südstaaten der USA leben. Sie wurden seit 1942 immer zu Zeiten eines Mangels an Arbeitskräften (z.B. in der Rüstungsindustrie) als „industrielle Reservearmee" ins Land geholt, in Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation wieder abgeschoben. Die in den USA lebenden Mexikaner sind nach den Schwarzen die größte ethnische Minderheit und erfahren dieselbe Diskriminierung dieser marginalisierten Bevölkerungsgruppe. USA wollen den Ansturm illegaler Einwanderer bremsen Ein „Tortilla-Vorhang" gegen die armen Nachbarn? Der Gegensatz zwischen den Ländern der sogenannten Dritten Welt und denen der industrialisierten Welt, zwischen den Habenichtsen und den Besitzenden der Erde, wird vermutlich an wenigen Stellen so sichtbar wie an der amerikanischen „Interstate 10" im westlichen Texas: Rechts der sechsspurigen Autobahn und des hier nur als Rinnsal fließenden Rio Grande ducken sich in den Karsthügeln die ärmlichen Hütten des mexikanischen El Paso mit den Stahl- und Glasfassaden von Hotels und Banken und den Reihen freundlicher Wohnhäuser. An dieser Nahtstelle zwischen Nord und Süd gehören Szenen wie die folgende zur nächtlichen Routine: Tom Blair von der US-Grenzpatrouille setzt das hochempfindliche Nachtsichtgerät ab und greift zum Mikrofon in seinem Streifenwagen. „Echo zero nine, hier ist Echo sixty one — drei bis vier Wets abgesetzt, ihr habt etwa 15 Minuten Zeit." Von seinem Beobachtungspunkt 103

hatte Blair fünf Minuten zuvor einen Wagen entdeckt, der auf d e r mexikanischen Seite im Radfahrtempo über einen holperigen Weg hinunter zum Rio Grande schaukelte. Der Wagen stoppt, die Lichter werden gelöscht, und auf dem grünen Schirm des „Night Scope" — einer Entwicklung aus dem Vietnamkrieg — sind klar die vier Gestalten zu erkennen, die hastig aussteigen und im Gesträuch am Flußufer verschwinden: „Wetbacks" (nasse Rücken), im texanischen Grenzjargon kurz „Wets", Mexikaner, die illegal in die USA einreisen wollen. Bis diese Nacht zu Ende sein wird, werden die Männer der „Border Patrol" in El Paso 300 bis 400 Männer und Frauen aufgegriffen haben, die durch den Rio Grande gewatet sind. Einer von ihnen ist der 56 Jahre alte Agostin Salsedu, dem in der Finsternis in der Flußniederung der junge Grenzbeamte Gary Runyon und die moderne Technologie zum Verhängnis werden. Salsedu aktiviert auf dem schmalen Trampelpfad zwei im Boden versteckte seismische Minidetektoren und läuft dem wartenden Grenzer direkt in die Arme. Mehr frustriert als erschreckt hockt Señor Salsedu zehn Minuten später hinten in Runyons Wagen und gibt Auskunft. Er kommt aus dem „Barrio Alto" von Juárez und hat dort Frau und neun Kinder. Warum er über den Fluß gekommen ist? „Por trabajar" — um zu arbeiten. Genauer: Er wollte zum 60 Kilometer entfernten Las Cruces und dort Chili pflücken. 30 Cents pro Kiste, „und ich schaffe 35 bis 40". Das sind zwölf Dollar pro Tag. Ein US-Autoinobilarbeiter „macht" dieses Celd in anderthalb Stunden. Aber Salsedu muß dafür in Juárez drei Tage arbeiten — wenn es dort Arbeit gäbe. „No hay trabajo" — es gibt keine Arbeit —, das ist die immer wiederkehrende Antwort der Illegalen. Sie kommt von Carlos Peregon (18), den Crenzer in dieser Nacht von einem Ciiterzug der „Santa Fe Railroad" holen, ebenso wie von seinem Compañero, der sich im Arrestzentrum die blutig gestoßene Hand hält. Roberto Artemio (20) ist mehr als 300 Kilometer aus Ojinaga nach Juárez gereist, um „drüben" nach einem J o b zu suchen. Agostin Salsedu, Carlos Peregon und Roberto Artemio, die drei Stunden später im Bus wieder über die Grenze abgeschoben werden, verhehlen kaum, daß sie wiederkommen werden — vermutlich schon morgen. Ihre Chance, es dann zu schaffen, ist nicht schlecht. „Für je104

den, den wir schnappen, kommen vier durch", sagt Richard Staley, Chef der US-Grenzpatrouille in El Paso. Demnächst soll der Schritt über die Grenze erheblich erschwert werden. Wo jetzt ein 20 Jahre alter durchlöcherter Zaun nicht einmal Kinder zurückzuhalten vermag, soll zwischen den Grenzstädten Juarez und El Paso ein zehn Kilometer langer und fast drei Meter hoher Stahlzaun errichtet werden. In dem gefühlsgeladenen Klima zwischen Mexiko und den USA hat das umgerechnet über zwei Millionen Mark teure Gebilde schon einen Namen: Die Amerikaner, so Kritiker auf beiden Seiten, wollten sich mit einem „Tortilla-Vorhang" gegen die armen Nachbarn abgrenzen. Auch von einer zweiten „Berliner Mauer" wird gesprochen. Die US-Grenzer verteidigen den Zaun damit, daß der Strom der illegalen Einwanderer immer mehr das Ausmaß einer Springflut annehme. Allein in El Paso werden pro Monat 10000 „Wetbacks" gefaßt — fast eine Million Mexikaner schafft es jährlich, ohne Paß und Visum in die USA zu kommen und unterzutauchen. Und nicht alle suchen nördlich des Rio Grande die Verwirklichung ihrer Träume. In El Paso gehen nach Polizeistatistiken zehn Prozent aller kriminellen Delikte auf das Konto von Ganoven, die regelmäßig über den Fluß pendeln. Auch sie sollen vom „Tortilla-Vorhang" zurückgehalten werden. Aus: Weser Kurier, 8.12.1978.

Elizondo: Chicanos (Gedicht) Der Schriftsteller Sergio Danilo Elizondo wurde 1930 in El Fuerte, Sinaloa, Mexico, geboren. Nach dem Studium der Romanistik in den USA und der Promotion in spanischer Philologie wurde er über verschiedene Zwischendozenturen 1972 zum ordentlichen Professor für Spanisch und Direktor des Fremdspracheninstituts an der Staatsuniversität von New Mexico in Las Cruces ernannt. Innerhalb der Chicano-Literatur ist Elizondo vor allem durch seine Lyriksammlung PerrosyAntiperros(Hunde und Gegenhunde, 1972) bekannt, welcher das folgende Gedicht entnommen ist. 105

Ich, mein Herr, ja, ich bin Chicano, weil ich mich so nenne. Niemand hat mir diesen Namen gegeben, ich hörte ihn, und ich trage ihn, ich bin kein Kind mehr, ich bin ein Mann. Mexikoamerikaner, weil ich mit dieser Sprache geboren bin, Sprache der Rasse. Amerikaner wegen der anderen Gewohnheiten dieser Leute. Ich habe zwei Zungen, Spanisch und Englisch, manchmal ein Vorteil, manchmal ein Nachteil, aber ich habe nun einmal zwei. Lateinamerikaner war ich vor 3 0 J a h r e n , als ich mich meines Gesichts schämte und nicht sein wollte, was ich war, aber du siehst, mein Freund, man ändert sich, die Zeit vergeht, man denkt nach. Amerikaner von spanischer Abstammung, was ist das eigentlich, mein Bruder? Wie lang und leer klingt es, aber es bedeckt mein Gesicht. Yo, señor, pues soy Chicano, porque así me puse yo. Nadie me ha dado ese nombre, yo lo oí y lo tengo, es que ya no soy niño: soy hombre. Méxicoamericano porque hablando nací, lengua de la Raza. Americano por estas otras costumbres de esta gente. T e n g o dos palabras, español e inglés, a veces bien, a veces mal, pero dos, ya se va, pues.

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Latinoamericano era hace treinta años, cuando me daba vergüenza mi cara negando ser lo que era, pero ya ve, viejo, uno cambia, pasa el tiempo, piensa. Americano de ascendencia española, iqué es eso, mano? Qué largo y vacío suena pero me cubre la cara. Sergio D. Elizondo: Perros y antiperros. Una épica chicana. Berkeley, Calif.: Quinto Sol Publications, Inc. 1972. S. 24 (zweisprachig span.engl.).

Broyles: Kultur und Widerstand der Chicanos In ihrem Nachwort zur deutschen Ausgabe von Rolando Hinojosa (geb. 1929) KlailCity undUmgebung(\976 Literaturpreis der „Casa de las Americas" in Havanna) ging Yolanda J. Broyles auch auf die Geschichte der Chicanos und die Rolle der eigenen kulturellen Identität f ü r den Uberlebenskampf ein. Die physische Gewalt als Mittel der ökonomischen und sozialen Unterdrückung blieb bis in unser J a h r h u n d e r t bestehen und f ü h r t e zur vollständigen Entrechtung der Chicanos. Selbst die kulturellen Institutionen gingen in die Hände der Anglo-Amerikaner über. So etwa war in den Schulen Spanisch als Unterrichtssprache und Umgangsidiom untersagt. Dennoch hielt ein Großteil der Chicanos an den Prägungen ihrer spezifischen Kultur fest. Beispielsweise blieben die Corridos — mündliche Volksballaden aus der ländlichen Sphäre — weiterhin eine bevorzugte literarische und musikalische Ausdrucksform. Geschriebene literarische Texte hingegen hatten kaum Aussicht, gedruckt zu werden und Verbreitung zu finden in Anbetracht der hohen Analphabetenrate unter den Chicanos. Einen Verleger f ü r Chicano-Literatur zu finden, war bis in die neuere Zeit hinein so gut 107

wie ausgeschlossen. Bestenfalls daß die auflagenschwachen spanischsprachigen Tageszeitungen vereinzelt Gedichte und kürzere Prosatexte druckten. Beachtliche soziale Veränderungen für die Chicanos brachte mit Beginn dieses Jahrhunderts die Intensivierung der US-Agrarwirtschaft und Ausdehnung der Anbauflächen als auch die zunehmende industriemäßige Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte. Der Bedarf an billigen Arbeitskräften stieg in solchem Maße, daß er auf dem Inlandsmarkt nicht mehr gedeckt werden konnte. Insbesondere auf Druck der Agrarproduzenten begannen die US-Einwanderungsbehörden mit der Anwerbung von Arbeitskräften aus Mexiko. So wanderten ab 1900 jährlich tausende Mexikaner in die USA ein und integrierten sich in die Gemeinschaft der Chicanos, was für sie in gleicher Weise bedeutete: Hungerlöhne, das Fehlen jeglicher Sozialleistungen, Rassismus und Entbehrung der elementarsten Menschenrechte; zudem ständige Angst, bei plötzlichen Konjunkturumschlägen wieder nach Mexiko abgeschoben zu werden. Wiederholte Proteste und Streiks im Verlaufe der Jahrzehnte verschärften die Verfolgung durch Polizeigewalt. Alle Versuche der Chicanos, sich politisch zusammenzuschließen, wurden mit Abschiebungen, die oft den Charakter von Massendeportationen hatten, geahndet, mochten auch viele von ihnen die US-Staatsbürgerschaft haben und schon seit Generationen in den USA leben. Allein im Jahre 1954 wurden eine Million Chicanos nach Mexiko abgeschoben. Hinter solchen Aktionen standen und stehen die großen Agrarkonzerne, die kraft ihrer ökonomischen Macht einen massiven Einfluß auf die Politiker und Justizbehörden ausüben und deren Potenzen hier nur eine einzige Zahl veranschaulichen soll: im Jahre 1974 beliefen sich ihre Gewinne auf insgesamt 27 Milliarden Dollar. Die als Erntearbeiter beschäftigten Chicanos jedoch leben durchweg in elenden Verhältnissen, kampieren in Barackenunterkünften, zumeist ohne ärztliche Betreuung und sozialen Versicherungsschutz. Die Lebenserwartung eines solchen „Bracero" beträgt etwa 49 Jahre, die eines US-Normalbürgers hingegen 72 Jahre. Nur geringfügig besser ist das Los der Chicanos in den Städten. 108

Inspiriert durch Erfolge von Befreiungsbewegungen der Dritten Welt als auch im Zuge der erstarkenden Bürgerrechtsbewegung in den USA, formierten sich während der sechziger Jahre erstmals auch die Chicanos zu einer politisch nicht mehr zu ignorierenden Kraft ( . . . ) Den sicherlich nachhaltigsten Erfolg erzielten die Landarbeiter in Kalifornien. Von César Chávez angeführt, forderten sie in dem überhaupt dramatischsten Arbeitskampf der US-Geschichte die Agrarkonzerne direkt heraus und erfochten gegen härtesten Widerstand das Recht, sich in der von ihnen eigens gegründeten Gewerkschaft der „United Farm Workers" zu organisieren. Auch in den Städten kam es wiederholt zu massiven Demonstrationen der Chicanos um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Das politische Engagement führte zu einer verstärkten Besinnung auf die eigene Vergangenheit und kulturelle Identität. Das daraus erwachsende, mit Stolz vertretene neue Bewußtsein brachte eine Renaissance der Chicano-Kultur. Spanisch setzte sich vielerorts als zweite Unterrichtssprache durch, die Geschichte der Chicanos wurde erstmals systematisch aufgearbeitet; an vielen Universitäten ging eine Behandlung der Chicano-Kultur in den Lehr- und Forschungsplan ein. In diesem generellen Aufbruch gewann nun auch die Literatur der Chicanos Stimme. Zahlreiche literarische Zeitschriften wurden gegründet und auch Verlage. Dutzende von Theatergruppen entstanden in den Chicano-Vierteln und in den Camps der Erntearbeiter. Die namhafteste und erfolgreichste Gruppe, El Teatro Campesino (Das Landarbeitertheater), unter der Leitung von Luis Valdez, ging aus den Kämpfen der Arbeiter gegen die Agrarkonzerne hervor. Landarbeiter verfaßten im Kollektiv ^rtoj-(Einakter) und führten sie zur Unterhaltung und politischen Mobilisierung ihrer Arbeitskollegen auf. Sie bedienten sich mannigfacher theatralischer Mittel, wobei sie insbesondere auf die verschüttete mexikanische Volkskultur zurückgriffen. Das Ergebnis war ein originelles schlagkräftiges Theater ( . . . ) Bei aller individuellen Verschiedenheit ist den Chicano-Autoren eines gemeinsam: die prägende Erfahrung, daß sie in den USA als Bürger zweiter Klasse gelten. Eine Erfahrung, die sich fast in der gesamten 109

Chicano-Literatur spiegelt, mehr noch: diese Literatur leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung und wirksamen Artikulierung der besagten Erfahrung. Sie beschreitet formal oftmals neue Wege, verleiht dem Erlebten, Gedachten, Empfundenen auf spezifische Weise Ausdruck. Sie lebt aus dem neuen Bewußtsein der Chicanos und hilft zugleich wesentlich, dieses Gruppenbewußtsein zu stärken. Yolanda Julia Broyles: Nachbemerkung. In: Rolando Hinojosa, Klail City und Umgebung. Berlin: Verlag Volk und Welt 1980, S. 154-158 (Volk und Welt Spektrum. 146).

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VI. Wirtschaft und Abhängigkeit

Mexiko senkt ölpreis und ruft um Hilfe Trotz der gewaltsamen Verluste der riesigen Ölfelder von Kalifornien und Texas Mitte des 19. Jahrhunderts an die USA war Mexiko in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts bereits der bedeutendste Rohölexporteur der Welt, verlor aber in den folgenden Jahrzehnten an Bedeutung und steht heute nach der Entdeckung neuer Erdölvorkommen schlagartig wieder im Zentrum des Interesses der Industrienationen. Um sich der Umklammerung durch ausländische, vorwiegend nordamerikanische Erdölgesellschaften und ihrer massiven Einflußnahme auf die Innenpolitik des Landes zu entziehen, hatte 1938 der damalige Präsident Cárdenas die ausländischen Erdölkonzerne enteignet und das staatliche Erdölmonopol „Petróleos Mexicanos" (PEMEX) geschaffen. Folgen waren ein Boykott der Ölmultis und umfangreiche Entschädigungen, die Mexiko an die Firmen zahlen mußte, obwohl diese für Landflucht und Elendsviertel mit verantwortlich waren. Bei der Entdeckung der neuen Ölquellen — Wissenschaftler sprechen von den reichsten Vorkommen in der westlichen Hemisphäre — hat das US-amerikanische „American Petroleum Institute" eine maßgebliche Rolle gespielt. Durch die starke Abhängigkeit des mexikanischen Exports vom US-Markt ( 6 0 % des mexikanischen Exports) sieht sich Mexiko angesichts des neuen Ölreichtums verstärktem politischen und wirtschaftlichen Druck von Seiten der USA ausgesetzt. Die Abhängigkeit vom Weltmarktpreis für Erdöl trug in den 80er Jahren wesentlich mit zur schwierigen wirtschaftlichen Lage Mexikos bei, vor allem seit dem Verfall des Erdölpreises seit 1981. MEXIKO-STADT (AFP). Angesichts seiner dramatisch zugespitzten Finanzlage hat Mexiko am Wochenende um internationale Hilfe und Zusammenarbeit ersucht. Präsident Miguel de la Madrid habe in einem Schreiben an zwölf Regierungen „zu einer gemeinsamen Aktion aller am Erdölmarkt beteiligten Seiten" aufgerufen, hieß es in einem Regierungskommuniqué. In der Nacht zum Samstag hatte die staatliche Olgesellschaft Petróleos Mexicanos ihre Exportpreise zum zweiten Mal gesenkt.

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Mit Rückwirkung auf die erste Februarhälfte wurde der Preis für das Barrel (159 Liter) auf 15,07 Dollar festgesetzt. Er liegt damit um 4,68 Dollar unter dem am 31. Januar fixierten Preis, der seinerseits schon eine Senkung von vier Dollar pro Barrel beinhaltet hatte. Mexiko stehe „am Rande des Bankrotts" und könne seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigerbanken nicht länger gerecht werden, hieß es von unterrichteter Seite in Mexiko-Stadt. Mexikos Schulden belaufen sich auf rund 100 Milliarden Dollar. Mexikos Außenverschuldung ist die zweithöchste der Welt (knapp hinter Brasilien). 75 Prozent der mexikanischen Exporteinnahmen stammen aus dem Ölgeschäft. Die erneute Senkung der Olpreise um 4,68 Dollar pro Barrel bedeutet für Mexiko einen Jahresverlust in Höhe von sechs Milliarden Dollar. Aus: Frankfurter Rundschau, 17.2.86

Landenteignungen im Zeichen des Ölbooms Die Landenteignungen zugunsten der Bohrindustrie, der Kahlschlag von Wäldern, die Vertreibung von Indianerstämmen, die Verseuchung von Wasser und andere Umweltsünden führten vor allem im Bundesstaat Tabasco an der Karibikküste (vor 3 000 Jahren die Heimat der Olmeken) zu einer zunehmenden Bodenerosion und Versteppung des Landes. Die petrochemische Industrie setzte mit staatlicher Unterstützung rücksichtslos ihre Interessen durch. Der folgende internationale Report zeigt diese Problematik und den vergeblichen Widerstand der betroffenen Bevölkerung. Mitte März besetzten Kleinbauern im Bundesstaat Tabasco (Südmexiko) sechs Ölquellen der staatlichen Erdölgesellschaft PEMEX. Sie protestierten mit dieser Aktion gegen die absolut unzureichenden Entschädigungen, die sie nach der Enteignung ihres Landes erhalten hatten. Die Mitglieder des sogenannten „Pacto Ribereño" — eine Vereinigung aus 25 „ejidos" (eine Art Genossenschaftsdörfer) und 32 weiteren Dörfern in Tabasco — verlangen von der PEMEX bereits seit langem 112

zusätzlich ca. DM 280000,— als gerechte Entschädigung für bereits enteignetes Land und die Zerstörung weiterer Felder im Zusammenhang mit der intensiven Olsuche und dem Bau der großen Gas-Pipeline (dem sogenannten „ g a s o d u c t o " ) von T a b a s c o nach Monterrey (Nordmexiko). Sie werfen der PEMEX Betrug und Täuschung vor und weisen daraufhin, daß die bisherigen „Entschädigungen" absolut lächerlich seien: S o werde ihnen teilweise z.B. pro Kokospalme lediglich ca. DM 10,— und pro Mango-Baum sogar nur ca. DM 2,— angerechnet. Die Bauern beklagen ebenfalls, daß bei dem Bau zahlreicher Pipelines die PEMEX durch langfristige Verträge das benötigte Land lediglich für einen Spottpreis „gepachtet" habe, der Schaden aber f ü r die umliegenden Felder durch zahlreiche Ollecks und Bauschäden so groß sei, daß auch dieses Land oft vollkommen unbrauchbar geworden sei. Für dieses Land jedoch gibt es keinen Pfennig, so daß viele Kleinbauern vor dem Ruin stehen. Erst im Dezember 1977 wurde die PEMEX durch eine Änderung des berühmten Artikels 2 7 der Verfassung — er regelt die aus der mexikanischen Revolution hervorgegangene Agrarreform — dazu ermächtigt, Land „im nationalen Interesse" gegen Entschädigung zu enteignen, wenn Ol oder E r d g a s darunter vermutet werden. Seitdem hat die PEMEX allein in Tabasco über 170 „ejidos" — die bisher praktisch vollkommen unantastbar waren — und T a u s e n d e von Hektar Land der privaten Kleinbauern enteignet. Nach: Latin American PoliticalReport,

London, 16.3.1979.

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Karikatur: Eroberungen

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