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German Pages 106 [116] Year 1910
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR
SPRACH-
UND C U L T U R G E S C H I C H T E DER GERMANISCHEN. VÖLKER. HERAUSGEGEBEN VON
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A. BRANDL, Ε SCHMIDT, F. SCHULTZ. 111. H E F T .
METRISCHE UNTERSUCHUNGEN ZU PAUL FLEMINGS DEUTSCHEN GEDICHTEN
FRIEDEICH WILHELM SCHMITZ.
STRASSBURG., K A R L J. T R Ü B Ν ER. 1910.
V E R L A G VON K A R L
J. T R Ü B N E R
IN
STRASSBURG.
QUELLEN UND FORSCHUNGEN SPRACH-
UND DER
CULΤURGΕSCΗICΗΤΕ
GERMANISCHEN
VÖLKER.
HERAUSGEGEBEN VON
A. BRANDL, E. SCHMIDT, F. SCHt'LTZ. V
1.—111. Heft.
1874—1910.
Λ 465.10.
"·
Ausführliche Verzeichnisse der bisher erschienenen Hefte slehen zu Diensten
Seit 1007 sind folgende Hefte ausgegeben worden: CI. Die deutsche anakreontische Dichtung des 18. Jahrhunderts. Ihre Beziehungen zur französischen und zur antiken Lyrik. Materialien und Studien. Von F r . A u s f e l d 8". VIII, 185 S. 1907. M. 4.— CII. Studien über die Namengebung im Deutschen seit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts. Von K a r l H e i n r i c h s . 8». XV, BIO S. 1U0& M. IL— CHI. Thomas Percy und William Shenstone. Ein Briefwechsel aus der Entstehungszeit der Reliques of Ancient English Poetry. Herausgegeben mit Einleitung und Anmerkungen von Dr. H a n s H e c h t . 8". XXXVI, U 5 S. 1909. M. 5.— CIV. Simon Lemnius. Ein Humanistenleben. Von P a u l M e r k e r . 8". VIII, 109 S. 1908. ; i • - • . O. ; . > ; V M. 8 — CV. Albrecht von Hallers Dichtersprache. Von Dr. K a r l Z a g a j e w s k i . 8". X, , .' to9 S. 1909. ' M. 7.50 CVI. Das Rittertum in der Darstellung des Johannes Rothe. Von Dr. J u l i u s ; , P e t e r s e n . 8". VII, 18i S. 1909. ν M. 5.— GVIl. Wielands Shakespeare. Von Dr. E r n s t S t a d l e r , fl». VIII, 133 S. 1910. M. L-SCVIU. Sprachliche Musik in Goethes Lyrik. Von W o l d o m a r Μ a s i n g . 8». IV,79 S. 1910. . , ·'.'"' •"• ·' .' ' . M,!,CIX. Einige Mischhandschriften von Wolframs Parzival. Von Dr. F e ο (1 or Κ i t t el in a η η. . 8°. VIII, 87 S. 1910. Μ. 8.50 C X . D a s Verhältnis dfer zweiten zur ersten Ausgabe von W e r t h e r s Leiden», Von D r . M a r t i n L a u t e r b a c h . 8". X, 128 S. 1910. M. 3.50 CXI. Metrische Untersuchungen zu P a u l Flemings deutschen Gedichten. Von Dr. F r i e d r i c h W i l h e l m S c h m i t z . 8". VI, 10ß S. 1910. M. 3.
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR
SPRACH- UND CULTURGESCHICHTE DER
GERMANISCHEN VÖLKER.
HERAUSGEGEBEN VON
ALOIS BRANDL, ERICH SCHMIDT, FRANZ SCHULTZ.
CXL METRISCHE UNTERSUCHUNGEN ZU PAUL FLEMINGS DEUTSCHEN GEDICHTEN.
STRASSBURG. K A R L
J.
TRÜBNER.
1910.
METRISCHE UNTERSUCHUNGEN ZU PAUL FLEMINGS DEUTSCHEN GEDICHTEN.
VON
FEIEDEICH WILHELM SCHMITZ.
STRASSBURG. K A R L J. T R Ü B N E R . 1910.
Μ. DuJIont Schauberg, Straßburg.
INHALTSVERZEICHNIS. Seite
Einleitung I. S c h w e r e 1. Das einfache Wort 2. Das Kompositum
1—3 ·
4—43 5 6
3. Eigennamen und Fremdwörter 16 4. Die Einsilber 17 5. Beurteilung der charakterisierten Akzentverhältnisse . 25 6. Schwache Hebungen, insbesondere Hebung des schwachen e 30 II. Q u a n t i t ä t 44—66 1. Wortverkürzungen 45 2. Hiat 60 3. Worlverlängerungen 63 III. G l i e d e r u n g (Gruppierung) 67—103 1. Kettenbrechung an Zäsurstelle 68 2. Kettenbrechung verbunden mit Reihenbrechimg . . . 73 3. Reihenbrechung (Zäsurenjambement) 83 4. Brechungen höherer Ordnung 95 Schluß 104—106
Wie der einzelne Mensch einer langen Zeit der Vorbereitung bedarf, in der er sich fremde Erfahrung, fremdes Wissen und Können aneignet, eh er zu selbständigem Schaffen heranreift, so pflegt auch im Geistesleben der Völker einer jeden Periode der Produktivität, der Entfaltung eigener Kraft, eine Zeit der Rezeptivität, des fremden Einflusses und der Nachahmung, — der Epoche des Genies eine Epoche des Gelehrtentums und des Akademismus voranzugehen. In der neuhochdeutschen Literaturentwicklung trat diese Epoche der Rezeptivität mit Opitz, seiner Poeterey und metrischen Reform klar in die Erscheinung. Nicht als ob Opitz sie erst eingeleitet hätte! Schon seit langem hatte sie sich im Verborgenen, dem oberflächlichen Beschauer leicht entgehend, angebahnt, wie ja auch der einzelne nicht von vornherein sich seines Erkenntniszieles bewußt ist. In Opitz aber wurde der Zeit bewußt, was so viele bis dahin nur instinktiv übten und erstrebten, und was selbst das vorangegangene Jahrhundert schon tastend suchte und in einzelnen Persönlichkeiten bereits weniger klar erfaßte. Mit ihm und seit ihm gingen die Deutschen mit Bewußtsein darauf aus, den Fremden das kunstgerechte Dichten abzulernen. Aber kein Lernen ist rein rezeptiv, rein passives Empfangen: Von Anfang an rührt sich die Individualität, um das Gebotene in ihrer Weise umzuformen; und indem jede einzelne der so gewonnenen, der Eigenart angepaßten Erkenntnisse eine neue Stütze bietet, an die sie sich anklammern kann, wächst die Kraft der eigenen Anschauung und Auffassung aus sich selbst heraus mehr und mehr, bis sie schließlich den fremden Einfluß völlig überwuchert und das Individuum in seinem charakteristischen Gepräge gefestigt dasteht. Ähnlich nahm auch die deutsche Literatur ihre Entwicklung. Zwar stand die fremde Kunst auf lange Zeit QF. CXI.
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Einleitung.
hinaus als Gegenstand der Verehrung und Nacheiferung im Vordergrund. Aber in der Stille regte sich auch hier die nationale Individualität, um das Fremde mit eigenem Geiste zu durchsetzen. In ständiger "Wechselwirkung zwischen dichterischer Praxis und theoretischer Erkenntnis wurde sie sich ihrer Eigenart immer mehr bewußt, vermochte sie sie immer besser auszuprägen und zur Geltung zu bringen, bis endlich das Genie aus eigenem Fühlen und Empfinden in seinen dichterischen Taten neue Gesetze schaffte, „Gesetze für alle Zeiten und für alle Geschlechter der Menschen". Einen ersten Schritt auf dem Wege dieser Entwicklung aufzudecken, das Verhältnis eines Zeitgenossen und begeisterten Verehrers des schlesischen Meisters, das Verhältnis Flemings zu Opitz und seiner metrischen Reform darzulegen, sollen die folgenden Ausführungen dienen. Zugleich mögen sie den Charakter des bedeutendsten Lyrikers des siebzehnten Jahrhunderts und seine Stellung im Kreise der mitstrebenden Dichter auch von der metrischen Seite ins rechte Licht setzen. Vielleicht auch, daß die folgenden Erörterungen nicht nur geschichtliches Interesse bieten, sondern auch für die allgemeine Erkenntnis einzelner metrischen Erscheinungen und ihrer psychologischen oder grammatisch-stilistischen Grundlagen nicht ohne Wert sind. Eine eingehendere Untersuchung der metrischen Eigentümlichkeiten Flemingscher Dichtung, die schon Tittmann vermißte (Auswahl aus Flemings Gedichten Leipzig 1830. S. XXXVII.), gibt es bis heute nicht. A. Bornemann, der nach eigener Angabe eine solche ausarbeitete und in Aussicht stellte (D. Überlieferung d. deutsch. Gedichte P. Fl's. 1882. Greifswald Diss. S. 43 Anmerkg.), blieb die Veröffentlichung schuldig. Im übrigen wird in den Abhandlungen, die sich mit den Flemingschen Gedichten befassen, die metrische Form, wenn überhaupt berührt, nur kurz gestreift und — nicht immer zutreffend — beurteilt. So bereits von K. W. Schmitt (Fl. nach seiner literargesch. Bedeutung, Marburg 1850. S. 17.). Dann von G. Naumann (P. Fl., eine Charakteristik;, Rostock 1874. S. 16 f. Anmkg.) und L. Wysocki (De Pauli Fleming! germanice scriptis et ingenio, Paris 1893
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Einleitung.
S. 67 ff.)· Stepli. Tropsch behandelt in dem der Metrik gewidmeten Abschnitt seiner Arbeit, dem Ziel entsprechend, das er sich gesetzt, nur die metrische Form der lateinischen Gedichte (Fl.'s Verhältnis zur römischen Dichtung, Graz 1895. S. 131 f.). Gelegentliche Bemerkungen finden sich auch in den landläufigen Literaturgeschichten, so bei Gervinus, Lemcke und namentlich bei Koberstein, sowie in den Ausgaben1) Flemingscher Gedichte und in den Metriken. Die Gesichtspunkte, unter denen im folgenden die metrischen Erscheinungen zusammengefaßt werden, ergeben sich aus der Natur des Akzents von selbst. Nach den drei Bestandteilen des Akzentes (Saran, Deutsche Verslehre, München 1907.) ordnen sie sich unter die Gesichtspunkte der Schwere, der Quantität und der Gruppierung. Im ersten Abschnitt werden demnach hauptsächlich die Stellung Flemings zu den Opitzischen Betonungsgesetzen, im zweiten sein Verhältnis zu der von Opitz geregelten Wortverkürzung und -Verlängerung, im dritten endlich die verschiedenen Gliederungs- und Brechungserscheinungen zur Sprache kommen. l ) Zitiert wird im im folgenden nach der Ausgabe von Lappenberg, Biblioth. d. Stuttg. Lit. Vereins, Bd. 82 u. 83.
1*
I. SCHWERE. "Wenn wir von Opitzens metrischer Eeforra reden, dürfen wir nicht ohne weiteres unsere heutige, durch sie begründete Versauffassung, nach der wir im allgemeinen eine Übereinstimmung von Vers- und S a t z a k z e n t als Norm hinstellen, auch schon auf Opitz übertragen. Trotz der allgemein gehaltenen Akzentregel (Braune, Neudr. 40 f.) sah Opitz dieses Ideal offenbar nur verschwommen und von ferne, wenn auch sein feineres metrisches Gefühl ihn in seinen Yersen den richtigen Weg wies und dem geahnten Ziel nahe brachte (vgl. S. 17 ff. dieser Arbeit). Was dagegen Opitz klar erfaßte, war die Forderung, daß dem W o r t a k z e n t im Verse sein Eecht werden müsse. In diesem Sinne erörtert er im Anschluß an seine Regel die metrische Brauchbarkeit von „Daktylen", von „jambischen" und „trochäischen" Wörtern. Entsprechend bleibt auch die folgende von Opitz unmittelbar abhängige Theorie ganz in der Betrachtung der einzelnen Wortformen befangen. So setzt Zesen auseinander, wie die einzelnen Verse aus ein-, zvvoi-, dreisilbigen Wörtern zusammeugestückert werden können (Hoch-Deutscher Helikon, Jena 1656. I. S. 81.). Der Anapäst gehört nach ihm „eigendlich nicht in unsere dicht- und reim-kunst", er ist „ein bloß gekünstelter schritt, da er seine füße und tritte nicht aus einem einzelnen worte, weil keines in unserer gantzen spräche sich so anfanget, sondern aus zweien zusammen-gefüget und gleichsam zusammen-gekünstelt hat". (Hei. I. 47.) Nur bei der Frage nach dem metrischen Wert der Binsilber dringen Vorstellung und Bedeutung des Satzakzents mehr und mehr ins Bewußtsein, ohne aber zunächst für die Metrik voll ausgenutzt zu werden. Es ist nicht zu verwundern, daß das fortwährende Vergleichen der Wörter
1. Das einfache Wort.
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mit dem Versschema schließlich dazu führte, in der ständigen Übereinstimmung von Versfuß und Wort eine besondere Schönheit zu sehen. So meint Schottel: „Doch ist zu merken, daß es nicht übel klinge, sondern vielmehr vermöge der Haupt Reguln Teutscher Sprachkunst vergünstiget sey und lieblich laute, wenn gantze Langkurtze und Langgekürtzte Reime (Trogeisch und Daktylisch) nur nach jeden eintzelen "Worteren die Reimmaas haben oder dadurch abgemessen werden . . . Wol und gut klingen derowegen: Stetes Stetes Stetes Unser
wollen, stetes denken steigen, stetes lenken wünschen, stetes hoffen Hertze hat getroffen 1 '.
(Teutsche Vers- oder Reimkunst = Von der Teutschen HaubtSprache L. IV. Braunschweig 1663, S. 834). Die Spielereien der Nürnberger mit ihren ganz aus vertauschbaren "Wörtern zusammengeflickten Versen setzten dieser Betrachtungsweise die Krone auf. 1. Das einfache Wort. Dieser Entwicklungsgang, vom Wortakzent fortschreitend zum Verständnis des Satzakzentes, war der natürliche und mußte am ehesten zu einer Überwindung der herrschenden Stillosigkeit führen. Denn der Wortakzent ließ sich am leichtesten fassen und gegen seine Verletzung war das Gefühl besonders empfindlich. Nachdem einmal der Blick darauf gelenkt war, mußten vor allem jene Fälle der Akzentversetzung verpönt werden, in denen nach Opitz' Ausdruck ein „trochäisch Wort jambisch, ein jambisches aber trochäisch" gebraucht wurde. Namentlich, wenn dadurch die Hebung auf eine unstreitig leichte Silbe fiel! Opitz hat sich bekanntlich in seinen Jugendgedichten auch diese Art der schwersten Drückung gestattet (vgl. Rubensohn „Der junge Op." Euph. VI, 39 ff.), aber schon seit 1619, seitdem ihm durch die Lektüre der niederdeutschen Gedichte des Daniel Heinsius das neue Versideal aufging, meidet er sie. In diesem Punkte, dem Kern- und Ausgangspunkte der ganzen Opitzischen Akzentregelung, errang sich denn auch Opitz am ersten und entschiedensten Anerkennung. Fleming folgt ihm hierin durchaus. Vielfach greift er deutlich zu einer gewalt-
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I. Schwere.
samen Änderung der prosaischen Wortfolge, um Akzentversetzung dieser Art zu vermeiden, wie etwa W. IV. 46, 125 Diß hat mein teurer Freund mit alles ausgestanden (vgl. ferner W. II. 3, 8; S. IV. 39, 14; 67, 9; 74, 4 u.a.), oder er nimmt lieber eine stilistische Umständlichkeit in den Kauf wie die Umschreibung des einfachen Relativums „-welcher" durch „als d6r": W. I. 14, 5 Wer ist der neue Nam', als den der Herr selbst nennt? Ein vereinzeltes „selbest" dazu im Reihenanfang (anno 1639): W. Y. 18, 10 so bin ich nimmermehr selbest in und bei mir, ein zweifelhaftes 1 ) „Bul6r": W. Y. 8 , 2 0 wie die ihr ihr Buler pflegt, als die ihr es wisset, oder gar ein paar Fälle wie „Miet]haus6, Grab]schrift6n" können demgegenüber nur als zufällige Nachlässigkeit, nicht aber als Versuch einer bewußten Durchbrechung des Opitzischen Gesetzes betrachtet werden, wie ihn etwa Gryphius unternahm, um der Stimmung besseren Ausdruck zu geben (zu zahlen was; Jesus 6rseufzt vgl. V. Manheimer, D. Lyrik des A. Gryphius, Berlin 1904. S. 9) oder in ähnlicher Absicht Rist in seinem Gedicht auf den Tod Gustav Adolfs. 2. Das Kompositum. Anders dagegen muß Akzentversetzung bei den zweisilbigen Komposita der Form χ * beurteilt werden, die Opitz augenscheinlich auch unter die „trocheischen" Wörter rechnete. Unter Wahrung des natürlichen Schwereverhältnisses im Verse verwandt, genügten sie vollständig den Anforderungen des Opitzischen Versgesetzes; mochten auch manche mit Überspannung des neuen Versprinzips an der schweren Senkung, oder vielmehr, durch pro4 ) Zweifelhaft, weil möglicherweise auf einem Versehen des Dichters beruhend. Das fragliche Gedicht besteht aus längeren und kürzeren, jambischen und trochäischen, regellos gemischten Versen. Vielleicht war in dem angeführten Vers trochäischer Rhythmus und Synkopierung des „ihr es" zu „ihr's" oder auch ursprünglich eine Zerlegung in zwei Zeilen durch Einschnitt nach „pflegt" vorgesehen. Aus dem kürzeren Gegenvers läßt sich nichts erschließen. Auch die Lesarten (Lapp. II) bringen nichts darüber.
2. Das Kompositom.
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sodische Erwägungen irregeführt, an ihrer Länge Anstoß nehmen und, wie etwa Harsdörffer, sie lieber durch Auflösungen ζ. B. „der Reim δη Art" für „die Relmärt", „der Künstö Wort" für „das Künstwört" ersetzt sehen (vgl. Poet. Trichter, Nürnberg 1648 S. 29). Der schwere Nebenakzent gestattet jedoch auch leicht eine Versetzung des "Worttones, ohne unser sprachliches und rhythmisches Gefühl allzusehr zu verletzen. Daher haben sich die Dichter mit Recht von jeher, auch in der älteren Blüteperiode, die Freiheit erlaubt, „wegen der Nohtdurfft des Verses in solchen zweysilbigen gedoppelten wider die Natur des Wortes die erste kurtz und die andere Silbe lang zu gebrauchen" (Schottel 811), auch ohne daß dies immer, wie Zesen verlangt, mit einem besonderen „nachtrukke" oder „mit einem schrei und eifer oder Verwunderung"
verbunden wäre (Hei. I. 32, Scala Hei. 58). Gryphius macht sich sogar, streng konsequent wie er ist, diese „poetische Nohtfreyheit oder vielmehr vergünstigten Misbrauch", wie Schottel es nennt, zur Regel, greift bei späterer Durchsicht seiner Gedichte vielfach selbst zu Reimänderungen, um das Schema durchzuführen (Manh. 7). Selbst Opitz meidet Akzentversetzungen dieser Art keineswegs vollkommen. Nicht einmal in der gewissermaßen als Illustration zur Poeterey geltenden Gedichtsammlung von 1625 hat er sie gänzlich ausgemerzt, ja in dem Verse (Hallenser Neudr. S. 109, V. 14): „Wann mir das Thun einkompt, . ." hat er sogar, um Apokope zu umgehen, eine hineingebracht (vgl. die Lesarten a. a. 0.). In Zäsur und Reim ließen sich solche Versetzungen ja überhaupt nicht vermeiden, wenn der Dichter nicht die große Unbequemlichkeit auf sich nehmen wollte, auch an diesen allerdings empfindlichsten Versstellen auf die ganze Wortgruppe zu verzichten. Weit entfernt von des Gryphius gewaltsamer Konsequenz, vielmehr bestrebt, das Opitzische Akzentgesetz auch hier möglichst zu wahren, nähert Fleming sich in seinem Verhältnis zu den zweisilbigen Komposita der Technik Opitzens. Am häufigsten sind bei Fleming die versetzt betonten Verbalkomposita, und zwar begegnen sie mit Vorliebe im
8
I. Schwere.
Reim, sowohl wegen der leichten Reimmöglichkeit, den Verbalformen bieten, als auch durch den Einfluß der gewöhnlichen Wortfolge, die gerne das Verb an das Ende der syntaktischen und damit auch der rhythmischen Reihe setzt: W. IV. 8, 16 hinfährt; 23, 34 dastöhn; 39,2 aufschwöllt; 50, 40 anfängt; Ο. IV. 15, 10 e i n s c h r i e ; Ο. V. 38,12 nachspricht (ferner: W. I. 9, 332; W. II. 2, 4; W. IV. 1, 276; W. V. 5, 7; Ο. Π. 16, 88; Ο. ΙΠ. 4 , 1 7 ; 9 , 3 6 ; Ο. IV. 10,16; 10, 107; 20, 18. Mit einer Ausnahme alle im Reim!) In der Zäsur finden sie sich nicht so oft. Es ist möglich, daß ein Umstand auf den Baesecke aufmerksam macht 1 ): die im siebzehnten Jahrhundert noch nicht soweit vorangeschrittene Unterordnung des Nebenakzentes unter den Hauptakzent, derartige Versetzungen selbst im Reim damals weniger empfinden ließ als heute. Fleming gestattet sich sogar — was bis zu einem gewissen Grade (vgl. den Abschn. ii. Einsilber!) für jene Annahme spräche — auch bei Trennung der Bestandteile, wo eine Beeinträchtigung des Hauptakzentes noch weniger berechtigt ist, das Stammwort in die Vershebung, die den Wortakzent tragende Vorsilbe in die Senkung zu setzen2). Oft unmittelbar hintereinander, wobei ein Lesen nach der Satzbetonung es fast unmöglich macht, dem Versrhythmus gerecht zu werden: Ο. ΙΠ.
9. 71. Eurer Küsse feuchter Schwamm ströicht hin diese Flut u. Flamm. Ο. V. 19. 21. Unser Leib und was dran ist schleißt hin, wie du täglich siehst. Oder ein Vers, in dem die Präposition fast wieder ihre ursprüngliche Funktion übernimmt: W. I. 8, 44 Ich bitte, st6h bei mir! Während Opitz aber wenigstens bei den Nominalkompositionen nach Baeseckes Angabe (96) bis auf ein paar be') G. Baesecke, Die Sprache der Opitzischen Gedichtsammlungen von 1624 u. 1625. Göttinger Diss. 1899, S. 95. *) Übrigens in völliger Übereinstimmung mit der Lehre des Nürnberger Trichters (20): „Wann die Vorwörtlein dem Stammvvort folgen, können sie kurtz stehen also: er nimmt ab; man geht an und geht auf".
2. Das Kompositum.
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stimmte Fälle sämtliche verzerrte Formen ersetzte, wohl weniger, weil er an dem schwächeren Nebenton größeren Anstoß nahm, als weil Sprachmaterial und Reimrücksichten ihm keine so engen Fesseln auferlegten, läßt sich in der Stellung Flemings zu den Verbal- und Nominalkompositionen kein Unterschied erkennen. Eine Versetzung des Akzentes auf eine Ableitungssilbe kommt aber bei Fleming kaum vor, mit Ausnahme der Ableitungen auf -in (ζ. B. Göttin), die sich auch bei Opitz der gedachten Regelung entzogen (Baesecke a. a. 0.). Es mag das Zufall sein, da ja die zweisilbigen Komposita sich auch ohne Akzentverzerrung dem Metrum anpassen lassen, vielleicht hat aber auch der in diesen Dingen sonst nicht empfindliche Dichter sich vor Regelwidrigkeiten gescheut, die namentlich bei schwacher Ableitungssilbe jenen schwersten, streng verpönten und, wie wir sahen, auch von Fleming vermiedenen Drückungen nahe kamen. Anzuschließen sind hier jene zusammengesetzten Partikeln, die für gewöhnlich den Akzent auf der zweiten Silbe tragen, sich aber leicht einer Akzentverschiebung fügen, weshalb sie auch von Zesen als „Zwitterworte" bezeichnet werden (Hei. I. 26 f.). Fleming schaltet mit ihnen frei nach Belieben und Bedürfnis: hörfür; seither; indeß; gleichwol; obgleich, obschon; mitsampt; gäraus u. s. f. Entsprechend auch bei umgekehrtem Atzentverhältnis: also, nunmöhr u. ä.*) Auf derselben Stufe wie die versetzt betonten zweisilbigen Komposita stehen für unser rhythmisches Gefühl die entsprechend betonten dreisilbigen. Doch läßt sich zu ihren Gunsten noch anführen, daß sie im allgemeinen überhaupt erst durch Akzentversetzung in den alternierenden Vers eingefügt werden können, was für jene nur in bestimmten Fällen, in Zäsur und Reim zutrifft. Opitz will sie bekanntlich in der Theorie aus diesem ') Fl. betont auch gegen unsere heutige Gewohnheit mißbraucht (0. IV. 49, 79) und mißgönnt (Ο. V. 20, 4). Wie aus einer Partizipialform: mißgelungen (W. III. 5, 61) hervorgeht, scheint er aber die Zusammensetzungen_ mit miß- noch als trennbar aufgefaßt zu haben. Übrigens heißt es auch in S c h o t t e l s Prosa „mißgebraucht" (vgl. S. 19 dieser Arbeit!).
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I. Schwere.
Grunde ganz vom Verse ausschließen; „obsiegen, weil die erste silbe hoch, die andern zwo niedrig sein, hat eben den thon, welchen bei den lateinern der dactylus hat, der sich zuweilen (denn er gleichwol auch kan geduldet werden, wenn er mit unterscheide gesatzt wird) in unsere spräche, wann man dem gesetz der reimen keine gewalt thun wil, nicht zwingen leßt" (Br. 41). Die Dichter waren aber nicht gewillt, auf eine so wichtige Wortklasse der Theorie halber zu verzichten, zumal die Neigung der Zeit zu kraftvollem, vielsagendem, prägnantem Ausdruck sie gerade darauf hinweisen und zu entsprechenden Neubildungen reizen mußte. Und in der Tat, wo eine solche Neigung zutage tritt, stellen sich auch sofort die versetzten Betonungen dieser Art ein. So bei Opitz (Br. 29): N a c h t l ä u f e r , Hüfftesohn, H o c h s c h r e i e r , Lüfftenspringer G u e t g e b e r , Liebesfreundt, H a u p t b r e c h e r , Löwenzwinger, oder bei Eist (Auswahl s. Gedichte von K. Goedeke und E. Goetze, Leipzig 1885 S. 151): G o t t s f ü r c h t i g , treu, gerecht, berühmt in aller Welt. V o r s i c h t i g , unverzagt, g r o ß m ä c h t i g hochgezieret, schließlich auch bei Fleming: W. IV. 32, 17 Das kan Lyäus tun, der Starke, der Bezwinger, Der Lustfreund, Herzenstrost, G e i s t r e g e r , Sinnendringer. S. IV. 54, 9 Komm Phöbe, Tag der Nacht, Diane, Borgelicht, W a h r s ä g r i n , Liederfreund; kom Lüne säume nicht, S t r o m f ü r s t i n , Jägerfrau, N a c h t a u g e , Horngesicht... Die späteren Poetiker, die in löblicher Weise ihre Kunstlehre auf den Gebrauch der Dichter zu stützen suchten, gingen daher darauf aus, die Komposita auch theoretisch zu retten und die versetzte Betonung zu sanktionieren. So stellt Schottel in einer Reihe von „Lehrsätzen" (S. 812/13) Betonungen wie Geldmittel Buchführer, Anw6senheit als die Regel hin und glaubt unterscheiden zu müssen zwischen Sanftmut und sänftmütig, Männsücht und mannsüchtig, zwischen "Zlnsgüt, Künstwört und Zinsgüter, Kuustwörter usw. Auch die Ableitungen
2. Das Kompositum.
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schließt er von dieser Regel nicht aus und betont lebhäft, aber lebhafte, Krönung, aber Krönüngen u. dgl. m. (S. 816 u. 820). Zesen geht zwar nicht so weit, gibt aber auch zu, daß man derartige Komposita „in gemeiner aus-sprache in der mitten fast lieber und eher lang ( als kurz (— - - ) aussprechen höre" (Hei. I. 31). Auch Flemings Technik ist natürlich nicht frei von dieser Art der metrischen Drückungen. Sie begegnen sowohl bei Nominal- wie bei Yerbalzusammensetzungen; im Versanfang und Versinnern wie im Reim. Im Reim sind wieder, wie oben, die Verba am zahlreichsten vertreten (vgl. z. B. W. II. 1, b,41; d, 7; W. ΠΙ. 7, 6; 3, 2; W. V. 8, 31; Ο. II. 5 , 2 ; 6, 147; 0. III. 2, 83; Ο. IV. 2, 34; 41, 12 u. v. a.). Auch eine Zusammenziehung wie „hingäbstu" (W. Π. 1 b, 39) trägt den Versiktus auf dem Stammwort. Bei den Nominalkompositionen tritt nicht nur dann Akzentverrückung ein, wo es unumgänglich ist, wenn nämlich die dritte Silbe ein schwaches θ enthält: Jungfraüen, Herzqu'alen, Inwohner, Geisträger, vorgestern, Anw6sen[heit, Vollk0mmen[heit, sondern auch, wo die dritte eine Ableitungssilbe ist und eine Betonung auf der ersten und dritten Silbe, wozu schon in Prosa das Streben nach Silbenalternation leicht führt, näher lag. So finden sich neben Betonungen wie: Schnöegrafschäft, Landsmännin, Stromfürstin u. a. auch versetzte, mitunter dicht bei einander: Wahrsagrin, Grlückwunschun[gen, blutrünstig, einmütig, Halsstärri[gen, Unwürdigen (neben würdiges), unähnlich u. s. f. Man sieht, wie Fleming sich nach dem konkreten Bedürfnis des Verses richtet. Immerhin ist doch die Versetzung das Häufigere, und Fleming nähert sich also praktisch dem oben gekennzeichneten Standpunkte Schottels. Er empfand offenbar wenig Unterschied zwischen einer schwachen Ableitungs- und einer Flexionssilbe und behandelte die entsprechenden Komposita demnach gleich 1 ). Es ist darum nicht auffällig, daß Fleming bei den Zusammensetzungen mit Ableitungssilbe an z w e i t e r Stelle nicht ') Daß Fl. sich auch bei den erstgenannten komponierten Stammwörtern ein paarmal Betonung auf der ersten und dritten Silbe gestattete — Mi6thaus6, Gräbschriftin — wurde schon oben erwähnt.
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I. Schwere.
etwa, wie Schottel empfahl, zur Akzentversetzung greift, sondern fast ausnahmslos wie bei den ähnlichen einfachen Nomina (Zieratön, Thüring6n), die erste und dritte Silbe hervorhebt: Reichtüm6rn, Hoffnungen, einsamen, grausamen u. a.: auch Göttinnen neben dem gewöhnlichen Göttinneu. Bei den entsprechenden zweisilbigen Formen vermied Fleming ja auch das Rücken des Akzentes (vgl. S. 9). In diesem Zusammenhang muß auch einiger stilistischer Eigentümlichkeiten Flemings gedacht werden, die seine Stellung gegenüber den bisher betrachteten Komposita und der Opitzischen Reform überhaupt ins rechte Licht zu rücken geeignet sind. Schon Köster hat richtig beobachtet (Der Dichter der Geharnschten Venus, Marburg 1897, S. 71 f.), daß Fleming bei Verbalkompositionen manchmal Partikel und Verb durch Zwischenstellung anderer Satzglieder (oder auch durch bloße Umstellung) von einander trennt, eine Freiheit, die dann auch Simon Dach und Heinrich Albert sich gestatteten und die der Verfasser der „Geharnschten Venus", Caspar Stieler, voll ausnutzte. Köster meint, Fleming habe sich dadurch einen rhythmischen Vorteil verschaffen, die Beeinträchtigung des Wortakzentes dieser K o m p o s i t a vermeiden wollen. Eine genauere Untersuchung läßt es aber zweifelhaft erscheinen, ob wir diese Eigentümlichkeiten in diesem Sinne auslegen dürfen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Fleming keineswegs, wie Köster glaubt, bloß durch die Einschiebung e i n e r Silbe, eines Hilfszeitwortes oder eines Pronomens, die Bestandteile des Kompositums zu trennen wagt, was jene Annahme eher rechtfertigen könnte — da dann Haupt- und Nebenakzente ohne wesentliche Beeinträchtigung anderer Forderungen zu ihrem Rechte kämen (ob mögt siegen; an muß fangen;) — sondern auch, soweit es sich nicht um bloße Umstellung handelt, durch zwei und mehr Silben. Ja er nähert sich, wie die folgenden Beispiele zeigen, mitunter der laxen Praxis Caspar Stielers: S. I. 13. 6 "Wie? soll ich mich denn auf vor deiner Hoheit blöhn?
2. Das Kompositum.
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S. I. 14, 10
Die kan es, daß ich auf aus dieser Hölle komme. Ο. V. 1, 14 Denn auf diß seh' ich sich s c h w i n g e n Dicke schwarze Wolken auf. S. IV. 74, 4 daß ich doch sollte nicht so s c h e i d e n von dir a be. Er führt infolgedessen die metrische Drückung, die er beim zusammengesetzten Wort vermeidet, an anderer Versstelle vielfach wieder ein: W. III. 6, 297 uns dafür ein müssen laden. W. IV. 29, 14 darmit an heute binden. W. IV. 44, 84 der Angst zu kontest sehen. W. I. 9, 10 was er an künftig finge. Es ist aber auffällig, daß Fleming selbst dann zur Trennung der Kompositionsbestandteile greift, wo die Verbalform an und für sich auch ohne den geringsten Anstoß sich dem alternierend-akzentuierenden Metrum fügen könnte, etwa das Partizipium „hingegeben" in dem Verse S. II. 8, 3 hast du dich willig hin in deinen Tod gegeben, oder der Infinitiv „abzuzeichnen" in S. IV. 2, 3 in ein zu enges Tun zu z e i c h n e n ab vermeint, und ähnliche Fälle. Umgekehrt unterbleibt die Trennung öfters, obwohl sie sich in der einfachsten "Weise, mitunter bloß durch die Zwischenstellung einer einzigen Silbe durchsetzen ließe: W. I. lb, 48 und einst abtauschen dir dein großes Leid und Freud (nicht: und ab einst tauschen dir . . .) W. ΠΙ. 7, 96 daß er hinsinken soll (nicht: daß hin er sinken soll.) W. II. 2 b, 41 die Tränen dir auszwunge (nicht: die Tränen aus dir zwunge.) W. IV. 41, 23 euch itzt anlegen kan (nicht: euch an itzt legen kan.) u. s. f. Aus all dem ergibt sich, daß die häufige Trennung der Wortbestandteile im allgemeinen nicht der Abneigung
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I. Schwere.
gegen Akzentverletzung der Komposita entspringen kann. Bs zeigt sich vielmehr, daß sie zunächst ihren Grund hat in dem Bestreben, durch die Wortstellung das wichtigste Gesetz der Opitzischen Akzentregelung, das einzige fast, das Fleming mit vollkommener Strenge beobachtet, auf möglichst bequeme Weise zu wahren, das Gesetz nämlich, die Vershebung nicht unmittelbar neben dem Hauptakzent auf eine schwache Flexions-, Yor- oder Nachsilbe zu legen 1 ). In manchen Fällen hat die Trennung — vielfach noch neben der Erreichung dieses Zieles — den Zweck, dem Dichter die Herstellung des Reimes oder der Zäsur zu erleichtern. Der Versuch, in den obigen Beispielen Partikel und Verb zu vereinigen, wird diese Annahmen bestätigen8). Es bleiben nur wenige Verse übrig, für die weder das eine noch das andere zutrifft Es sind jene Fälle, in denen sich bloß e i n e Silbe zwischen Präposition und Verb einschiebt, soviel ich sehe, bei Fleming nur eine einsilbige Form des Hilfsverbs. Aber auch sie werden wir wohl weniger der Rücksichtnahme auf den Akzent der Komposita als dem Einfluß der dialektisch gefärbten Umgangssprache, der ja bis heute noch namentlich diese Zwischenstellung des Hilfsverbs geläufig ist, zuschreiben müssen. Die relative Häufigkeit der Gesamterscheinung aber und das darin sich offenbarende geringe Empfinden für regelmäßige Wortfolge, das schon Tscherning an Fleming rügt, während, wie er hinzufügt, „in des H. Opitzen Schriften dergleichen Zerrüttungen und Zerspaltungen fast gar nicht oder ja wenig zu finden seien, da er sich möglichen Fleißes dafür gehütet" (Unvorgreifliches Bedenken . . . Lübeck 1654 S. 155), wird man vielleicht größtenteils, soweit sie nicht ' ) Man vergleiche hierzu auch die Anmerkung auf S. 20, wo auch das einfache Stammwort — w6rden — als Richtschnur für die Betonung des ganzen Verses hingestellt wird. *) Ebenso bei den von Köster a. a. 0. mitgeteilten Versen Caspar Stielers: Geh. Venus I. 3, 10 als ab von ihrem Ruhme l a s s e n . I. 7, 7 ich würd' ab ihrer Seite gehn. I. 8, 6 ich wil es aus ganz willig h a l t e n . II. 5, 4 wirstu a u f f aus der Asche l e s e n usw.
2. Das {Compositum.
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schon in jenen dialektischen Einflüssen begründet sind, auf die Einwirkung des Lateinischen1) mit seiner freien Wortstellung und seiner Neigung zu ähnlicher Sperrung zusammengehöriger Worte zurückführen können. War doch, wie Oesterley sagt, „die lateinische Dichtung Fleming so vollständig in Fleisch und Blut übergegangen, daß man dieselbe ihm fast als angeboren bezeichnen kann, während die deutsche Dichtung von ihm erst erlernt werden mußte". (Auswahl aus Fl.'s deutschen Gedichten, K. National-Liter, Bd. 28, S. 8.) Ebensowenig läßt sich für die Stellung Flemings zur Akzentversetzung der Komposita eine andere Eigenart seines Stiles geltend machen (vgl. Manheimer, S. 6). Bei seiner Neigung zum Gebrauch längerer und älterer Wortformen (siehe folgendes Kap.) wendet Fleming auch in den Zusammensetzungen mit „ab" gern die ihm auch sonst geläufige, selbst im Reim nicht fremde Form abe- an: abewaschen, abeziehen, abesönnen, abekränkst u. a. Daneben findet sich aber ebenso häufig auch die kürzere Form: abnützen, abspinnen, abtauschen usw. Wie überhaupt, so wendet Fleming auch hier die längere Form an, wo sie ihm zur Füllung des Verses gelegen kommt Eine Folgerung im angegebenen Sinne läßt sich nicht daraus ziehen. Dies wird bestätigt durch Wortbildungen, in denen Fleming gewissermaßen ein trennbares und ein untrennbares Kompositum in eins bildet, um sich eine doppelte Vershebung zu verschaffen: ausverharrt; hingereichen; [mißgelungen]; ausvertrucknen. Entsprechend sind auch Verlängerungen von Nominalzusammen*) Als Zeichen für solche Einwirkung in Wortstellung und Stil können vielleicht auch folgende Verse gelten: W. IV. 51, 25 So große Lust ich vor ( = vorher) m i c h hatte w e g z u machen. S. III. 22, 2 Da hub die trübe Luft s i c h an bald a b z u h e i l e n . Ο. V. 39, 9 hub sie i h n an jemehr und mehr zu h a s s e n . W. II. 6, 7 wie viel ein höhrer Man und Name wird Schein werden. 0. III. 17, 64 er hat viel ein höher Ziel. S. III. 50, 13 ein weit viel bessere Lied. W. III. 6, 385 war dich zu lieben übrig satt. W. IV. 46, 36 Hilf Jesu! wo ich bin?
16 Setzungen wie: teilen.
I. Schwere.
himmelische, Ungelücke u. dgl. zu
beur-
Müssen wir demnach auch leugnen, daß die gekennzeichneten Freiheiten im allgemeinen darauf berechnet waren, Akzentbeeinträchtigungen der Komposita hintanzuhalten, so hindert das nicht, daß sie indirekt oder auch mitunter, wie ζ. B. die Zwischenstellung des einsilbigen Hilfszeitwortes zeigt, direkt zu einer tatsächlichen Verminderung der metrischen Drückungen führten, mochten sie auch in anderen Rücksichten ihren Grund haben. Im übrigen ging Fleming, der Mahnung Opitz folgend, den Kompositis im Verse möglichst aus dem "Wege. Die Akzentversetzungen sind in seinen Gedichten durchschnittlich weit seltener als selbst bei Opitz oder gar bei Rist. Und wenn andere Zeugnisse fehlten: der große Reichtum an versetzt betonten Kompositis in den unter dem Titel „der Müllerin Stimme" zusammengefaßten, früher unserem Dichter zugeschriebenen Gedichten (vgl. Lappenberg, Bd. II), berechtigte schon zum Zweifel an Flemings Autorschaft. 3. Eigennamen und Fremdwörter. Um so mehr mag es auffallen, daß Fleming die Eigennamen und die mit ihnen auf wesentlich gleicher Stufe stehenden Fremdwörter völlig willkürlich behandelt. Allerdings hatte Opitz, weil die Franzosen es so lehrten und übten, sie zunächst selbst der Willkür preisgegeben (Br. 41), aber der eigenen besseren Einsicht folgend, fügte er als empfehlenswerter hinzu, den Akzenten „soviel möglich nachzukommen". Fleming scheint aber diese Mahnung und den Tadel, den Opitz kurz vorher über die Betonung Venus, Juno aussprach, mit Absicht vollkommen übersehen zu haben. Wie es gerade paßt, betont er: Bagdad, August und Bizanz; Kompäß und Demant; Euphrosyne, Helenö, Chariten, Näjad6n (neben Najäden); Amäzoninnen und Näjadinnen, Zirkassinnen; Hamädryäs und Hamadryadön, hesperischen etc. Selbst mit der fremdsprachlichen Betonung begnügte er sich, wie die Beispiele zeigen, hierbei nicht. Aber stellte Opitz nicht in gewissem Sinne auch bei den Kompositis das Rücken des Akzentes frei? Sagt er nicht ausdrücklich, daß der „dactylus" d. h. das
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3. Eigennamen und Fremdwörter.
Kompositum, wenn auch im allgemeinen zu beanstanden, „mitunter gleichwol (im alternierenden Metrum) könne geduldet werden"? (a. a. 0.) Warum trotzdem bei Fleming dort die große Sorgfalt, Akzentversetzung durch Umgehung der Komposita zu vermeiden, während er hier nur das seiner Freiheit Günstige aus der ßegel herauslas? Diese unterschiedliche Stellungsnahme scheint in der Natur der Eigennamen und Fremdwörter nicht genügend begründet, vielmehr wird sich die Antwort auf diesen scheinbaren Widerspruch in anderem Zusammenhang ergeben. Es wird sich zeigen (vgl. S. 31 dieser Arbeit!), daß jene Einschränkung des „Daktylus'-verbotes, wie schon der Zusatz: „wenn er mit unterscheide gesatzt wird" andeutet und wie Fleming, wenn nicht schon durch eigene Einsicht, so sicherlich durch den Verkehr mit in der Metrik bewanderten Freunden namentlich dem Leipziger Universitätskorrektor Gloger wissen mußte, einen besonderen Sinn hatte; daß damit keine Begünstigung der versetzten Betonung beabsichtigt war. Es blieb daher von jener ßegel nur die unbedingte Verurteilung der versetzt betonten Komposita als Richtschnur für den Flemingschen Yersgebrauch bestehen, während die Eegel über die Betonung der Eigennamen für denjenigen der darauf ausging, immerhin eine freiere Auffassung gestattete. Und so zeigt sich schon hier, was sich noch öfter bestätigen wird, wie wenig eigentlich Fleming in den Geist der Opitzischen Metrik eindrang, wie sehr er die einzelnen Lehren gläubigen Herzens hinahm und befolgte, weil der Meister es so sagte und soweit er es sagte; wie er Fehler, ganz ähnlich denen, die er anderwärts streng vermied, sich unbedenklich erlaubte, wo des Meisters Wort zweifelhaft oder in Anbetracht der geringen Übung noch nachsichtig war. 4. Die Ein Silber. Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß Opitz und seine Zeit, fast ganz an der Betrachtung des Wortakzentes haftend, über den Satzakzent mehr oder weniger im Unklaren blieben oder ihn wenigstens vernachlässigten. Schaden konnte dabei nicht leicht entstehen. Denn die im mehrsilbigen Wort bestehende Über- und Unterordnung bleibt auch auf den verschiedenen Schwerestufen, QF. CXI.
2
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I. Schwere.
die das Wort im Satzgefüge einnehmen kann, im wesentlichen erhalten und legt seine Verwendbarkeit im Yerse von vornherein in bestimmter Weise fest. Anders bei den Einsilbern! Über den metrischen Wert entscheidet bei ihnen erst der Zusammenhang der Rede. Der Vergleich mit der Schwere der umliegenden Worte oder Silben ergibt erst, ob sie den Versiktus tragen können oder nicht. Daher mußten auch alle Versuche, die Hebungsfähigkeit der isolierten Einsilber genauer zu bestimmen, willkürlich und wertlos bleiben. Während Filip Zesen „alle eingliedrigen Wörter wie in der gemeinen aus-sprache, so auch in den reim-bänden" für „allezeit lang" erklärte (Hei. 24), behauptet Schottel, alle einsilbigen Wörter seien „mittelzeitig d. h. können beydes kurtz und lang (sc. betont und unbetont) gebraucht werden" (825). Die wenigen Ausnahmen, die sämtliche Metriker übereinstimmend machten, indem sie, wohl unter dem Einfluß der antiken Grammatik, die Enklitika und Proklitika für „in der Regel kurz" erklärten, erwiesen sich nicht als allgemein zutreffend, da sie diese Bezeichnungen nicht so sehr auf bestimmte akzentuelle Verhältnisse als vielmehr auf die grammatischen Wortkategorien bezogen. Wenn Schottel andererseits auch alle „Langlaute als Beer, Meer, Schaaf" usw., da sie „allemahl billig lang sein müssen", von der „Mittelzeitigkeit" ausschließt (S. 822), so zeigt sich darin schon eine Folge der schädlichen Verquickung des akzentuierenden und quantitiorondon Prinzips, die auch den Prosodikern des sechzehnten Jahrhunderts die Klarheit der Auffassung verdunkelt hatte. Und doch hatten diese 1 ), wie auch Schottel und andere schon ganz richtige Vorstellungen vom Satzakzent und seinem Einfluß auf die Betonung der Einsilber. Schottel bemerkt ') Vgl. ζ. B. Clajus: Cum multa monosyllaba ex ordine ponuntur, tunc id, quod E m p h a s i n habet, accentum recipit et elevatur. (S. 18 des Neudr. v. Friedr. Weidling, Straßbg. 1894). Ähnlich Albertus: Observa tarnen, si plura connectantur monosyllaba, quod accutus praecipue in illud rejiciatur, in quo e m p h a s i s m a i o r continetur (S. 43 des Neudr. v. C. Miiller-Fraurenth, Straßburg 1895).
4. Die Einsilber.
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hierüber: „in einer ungebundenen, tapferen, dringenden Rede wird man die starkklingenden Stammwörter, so auf etwas sonderliches deuten, mit sonderbarem Trukke und haltendem Laute aussprechen müssen" (S. 825). Aber dies galt eben nur für die ungebundene Rede: „In einem Teutschen Yerse aber kan man das Stammwort, es habe einen so starken Tohn und so viele Lettern als es wolle, dennoch wohl zu einem kurtzen Laute machen. "Welches überall von guten Teutschen Poeten ist geschehen". Und so bezieht er denn auch die obige Regel über die „Mittelzeitigkeit" der Einsilber ausdrücklich auf die gebundene Rede. Allerdings, wie die Theoretiker meist mit der einen Hand die Zügel locker lassen, mit der anderen sie wieder straffer ziehen, so fügt auch Schottel dieser Preisgabe der Einsilber warnend hinzu, „die Freyheit der Mittleren Wortzeit in obgedachten einsilbigen Wörtern dürfe nicht also mißgebraucht werden, daß man zu oft, ohn Unterscheid, und ohn alles aufmerken des beywohnenden Klanges solche einsilbige Wörter mit menge bey einander bringe, und die Wortzeit darin, nach zwang eigenes abmessens deutele und dringe: denn solches ist unangenehm und erwehnter Freyheit ungemeß". Jener Satz war geflossen aus der Beobachtung des Gebrauchs bei „guten Teutschen Poeten"; dieser Zusatz aus der wachsenden Erkenntnis der Bedeutung des Satzakzents: Ein Zeichen für den ständigen Kampf zwischen der nur langsam aus den tief eingefahrenen Geleisen sich herausarbeitenden Praxis und der nach erfaßtem Prinzip schneller vorandrängenden Theorie1). ') Bekanntlich hat erst Ph. Moriz die Relativität des Akzentes einsilbiger Wörter klar erkannt und ihre Berücksichtigung auch für den Vers verlangt. (Versuch einer deutschen Prosodie, S. 122 u . a . 0.) Doch war es verfehlt, wenn er, wie es grundsätzlich schon Harsdörffer versuchte (48), auf den grammatischen Verhältnissen eine Schwereskala der Einsilber aufbauen wollte. Die Klassiker, insbesondere Goethe, die sich in ihren metrischen Anschauungen vielfach von Moriz beeinflussen ließen, haben nach Minor daher oft gegen die Betonung der Einsilber gefehlt. Doch ist das Beispiel aus Goethes „Alexis und Dora": einer nur steht rückwärts . . . . an das Minor seine Erörterungen anknüpft (S. 107), unrichtig gewählt und ausgelegt. Es handelt sich nicht um ein „rückwärts stehen", wie Minor meint; „rückwärts" 2*
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I. Schwere.
Opitz weiß über die Häufung der Einsilber nichts weiter zu sagen, als daß es „nicht wol aussehe" (Br. 32), eine Bemerkung, die in ihrer Äußerlichkeit nur verständlich wird im Hinblick auf die fortschreitende Entwicklung der Dichtkunst zu der auch für das Auge berechneten Lesepoesie; und wenn auch das am "Wortakzent geschulte Gefühl Opitz auch hier meist instinktiv auf richtige Abstufung des Schweren und Leichten achten ließ, so blieben doch manche Härten aus mangelnder Vertrautheit mit dem Betonungsprinzip der Einsilber unbeanstandet (vgl. Baesecke 95). Vor allem ist charakteristisch, daß Opitz mitunter seiner Aufgabe der Versregulierung zu genügen glaubte, wenn er versetzt betonte Komposita in Wortgruppen mit einem oder mehreren Einsilbern zerlegte, was natürlich an den Betonungsverhältnissen nichts änderte ζ. B.: hinreichet > hin weichet; garnicht > gar nicht u. a. (Baes. 97). Wenn so die Theoretiker bei Beurteilung des metrischen Wertes der Einsilber unsicher hin und her schwanken1), gehört vielmehr zu dem folgenden „gewendet". Es dürfte sich empfehlen, die Worte „rückwärts — gewendet" in Kommata einzuschließen: Einer nur steht, rückwärts traurig gewendet, am Mast. ') Es sei gestattet, als ein recht offenkundiges Zeichen für die Unsicherheit und Willkür der Theoretiker noch einen Satz aus Harsdörffers Poetischem Trichter anzuführen: . . . .„Hieraus ist zu schliessen, daß die Reimzeil, welche lauter einsylbige Wörter hat, nicht wohl zu erkennen, ob sie langkurtz — — oder kurtzlang - — seye: sobald aber eine Vor- oder Nachsyllbe darzwischen kommt, so kan man es besagter massen wol wissen. Zum Exempel sey dieses: Wann der Mensch Ist kränk ünd alt: also könnte es stehen, wiewol das d e r und Wörtlein u n d besser kurtz gesetzet wird; also: Wann der Mensch ist kränk und alt kän er werden töd und kält aus dem Wort w e r d e n kan ich sicher abnehmen, daß das Reimmaß muß langkurtz und nicht kurtzlang seyn, weil die Nachsyllben e n niemals lang gesetzet zu finden, es sey denn wider die Eigenschaft unserer Sprache in den Pritschmeister reimen oder in etlichen alten Liedern, die zu der Zeit gemachet worden, als man diese edle Kunst noch nicht untersucht hatte" (S. 30). Ähnlich S. 49: „aus der Ausrede ( = Reim) kan ich wol abmerken, welche die langkurtze oder kurtzlange Reimart ist".
4. Die Einsilber.
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wenn selbst Opitz das Prinzip ihrer Behandlung nur unklar erfaßte und inkonsequent durchführte, ist es nicht zu verwundern, daß Fleming, der sich, wie wir sahen, selbst um den Wortakzent nur soweit kümmerte, als die Opitzischen Regeln ihn streng dazu verpflichteten, gerade den Einsilbern und dem Satzakzent hilflos gegenüber steht. Eine Übersicht über einige bemerkenswertere Abweichungen vom reinen Akzent, die Fleming sich gestattete, mag dies bestätigen. Diejenigen Fälle, in denen ein Abweichen von der regelrechten Betonung durch den Zusammenhang (Beziehungston, Gegensatz usw.) ohne weiteres gerechtfertigt erscheint, brauchen nicht berücksichtigt zu werden. Zunächst ist hier hinzuweisen auf einige kleinere, relativ selbständige Wortgruppen, in denen der Gruppengipfel zugunsten des akzentuell untertänigen, oft direkt enklitischen Wortes in die Senkung gedrückt ist, Gruppen, deren logischer Aufbau und leichte Übersichtlichkeit die Akzentverletzung am ehesten fühlbar machen mußten und, wie die Erörterungen der Metriker zeigten, tatsächlich am ersten empfinden ließen. Es gehört hierzu die Verbindung von Substantiv und Artikel, die vielfach statt in der Form χ χ als * χ erscheint. W. III. 6, 338 D6r Trunk dieses weiten Römers. 0. Y. 13, 13 Diß vermischte Milch und Blut, d6r Hals, diese weichen Hände. Überschr. 2, 2 Doch hat der wahre Tag aus d6r Nacht kommen müssen. Opitz empfand diese Härte offenbar, da er mehrfach an solchen Stellen änderte1). Man darf aber nicht übersehen, daß der Artikel bei Fleming oft als Demonstrativum gefaßt werden muß, wo wir kaum ein Bedürfnis darnach verspüren: W. III. 38, 32 Laßt dön Tag euer sein. ') z . B . Neudr. S. 117 V. 137 u. Zlatna 346: Α Daß d6r Gott Israel Β Daß Israels sein Gott. Α Wann d6r Fürst mucken hat, so geht . . . Β Wann niemand drauf gedenkt, so geht . . .
22 Ο. IV.
I. Schwere.
9,
1 Der Tag, schöne Menschgöttiniae, Der Tag, scheinet euch zu Sinne. Ο. IV. 12, 1 Wie uns d6r Tag euch heißt binden, so heißt er euch lösen auch. D6r Tag, den wir heute feiern; oder gar, wo es uns ganz „barock" erscheint: S. I. 14, 8 ihr Loch, ihr Kot, ihr Tod ist d6r Leib, dieser hier, wo der Dichter gewissermaßen mit dem Finger auf sich Innweist. Vielleicht ist sogar in dem ersten der genannten Beispiele das „d6r" als ein überkräftiger Hinweis auf den im Glase emporgehobenen Trunk aufzufassen, und wir hätten darin ein Zeichen für den übertriebenen und gekünstelten Stimmungsausdruck des Barock zu erblicken. Umgekehrt macht es nur einen äußerlichen Unterschied, wenn statt des Artikels der Form nach das Demonstrativ eintritt: Ο. IV. 47, 35 Und diß Wort laß den Bürgen sein, bis ich mich einsten selbst stell' ein. Ο. I. 2, 11 Diß Kind ist der Tau der Regen. Ο. I V . 8, 17 Diß Band setz' ich bei euch ein. Ο. V. 11, 19 Sie, diß Mensch, diese Halbgöttinne. Auf gleicher Stufe stehen Akzentversetzungen zugunsten des Pronomens oder Adjektivs vor zugehörigem Substantiv: W . I. 3, 42 Du, mein Gott, wirst ja nicht . . . S. I. 1, 13 Du mein Hort, du mein Fels W . I. 9, 442 obgleich um dein Grab tobet . . . S. ΠΙ. 62, 8 und mein Herz, Amnien, die seh' ich nicht um mich Ο. V. 4, 33 Und die Worte, die für Pein mein Herz heißen sicher sein Ο. V. 9, 2 mein Licht, mein Mon" meine Sonne. Ο. I. 7, 35 Sie und ihr Volk muß erblinden. Ο. IV. 15, 15 Ihr Geist war ihr wiedergeben. Ο. V. 82 bald zeigt er sein Gold wieder frei. W . Π. 14, 46 ihr keüsch Lob, so viel Zeit W . III. 6, 438 was für ein güt Ding u. v. a. Bei den entsprechenden Verbalgruppen findet die gleiche Art der Versetzung von χ χ > χ χ statt:
4. Die EinsiLber.
23
0 . IY. 10, 297 er soll bäld stehn auf dem Tische. Ο. IV. 11, 52 Ich weiß, was ich wissen soll. Ο. IV. 21, 57 fis gilt hier nicht. Ο. IV. 25, 23 wir wolln uns. Ο. IV. 28, 11 und sang: 0 der schönen Zeit. S. IV. 26, 10 King, sieh zu (vgl. ferner oben unter Komposita: schl&ßt hin, str6icht hin) u. a. m. Auch die umgekehrte Versetzung von χ χ > χ χ kommt vor. Sie fällt meist weniger auf, da unser rhythmisches Gefühl durch die in der Regel damit verbundene Inversion etwas über die Akzentverletzung hinweggetäuscht wird: TV. IV. 2, 20 nahm sich des Wortes an. W. IV. 51, 82 sahn wir vor dir sich bücken. O.IV. 36, 18 Hör' ich den Mund nicht klagen? Seh' ich die Augen weinen nicht? Fleming trägt aber nicht nur kein Bedenken, diese relativen Akzentgipfel in die Senkung zu drücken, selbst die absoluten Gipfel der reinen Aussage werden oft genug nicht mit den Vershebungen in Einklang gebracht, sei es daß sie durch das einfache, die ganze Aussage in sich schließende Verb oder durch ein Adjektivum, ein Substantivum oder sonstwie gebildet werden. Einzelne der genannten Beispiele können zugleich auch hierfür herangezogen werden. Als weitere Belege mögen gelten: W . I I I . 6 , 2 7 1 w6nn man ihn s c h i l t ohne Scheu. W. I. 3, 24 Was mich drückt für ein Joch. W. I. 5, 68 den nur das werthe Volk, das du liebst, leisten kan. W. I. 12, 13 Wer dich ißt, der wird leben. W. I. 9 , 2 7 6 als 6s noch hoch Tag war. W. I. 8, 41 daß ich Gnad' haben soll. W. I. 9 , 1 8 3 das ihr f r e i lassen müßt. W. IV. 18, 14 Daß sein Heil von euch sei. W. III. 2 , 1 4 9 und hängt sich fest a n ihn. O.IV. 21, 44 schlingt in sich. S. IV. 41, u. v. a.
12 Ich s6h' in lind um mich, nichts ist um ünd in mir
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I. Schwere.
Auch bei zweigipfligen Gruppen erscheint der Gipfel unbedenklich in der Senkung: W . I V . 9, 76 es sei H i e b oder Stich. W. IV. 31, 106 des Reichs A u g ' und Pitschier. 0. III. 4, 65 wünschen euch H e i l und Gewinnst.
eine
Selbst bei scharf ausgeprägtem Gegensatz bemüht sich Fleming nicht, Metrum und Satzakzent in Einklang zu bringen: W. I. 9 , 1 8 5 der zwingt e u c h , d6n i h r zwingt. W . I V . 32, 19 Heut' ist s e i n ünd d e i n Fest. S.III. 6, 13 so wündscht, wie wir e u c h , uns . . . W. II. 14, 47 Polyxene lebt tot. Überhaupt nimmt Fleming durchaus keinen Anstoß daran, ein einzelnes, durch besondere Mittel (Apposition, anschließenden Relativsatz, Stellung, Beziehungston,) hervorgehobenes "Wort in die Senkung zu setzen, wie er auch bei den zur Emphase neigenden und meist so angewandten Wörtern keinen Unterschied zwischen Stellung in Hebung oder Senkung macht: Ο. II. W. I. 0 . IV. W. III. W. II. W. I. W. III. W.IV. W.IV. W. I.
3, 31 Daß man in Blumen setze s i e , aller Blumen Zier. 11, 14 und bringt d i c h , ihren Freund, 21, 63 soll d e m , der sich kaum drauf schicket. 2. 95 L i e b ist ein großes Ding. 2, 13 E i n s kann nicht allzeit sein. 5, 22 A s c h eß' ich jetzt für Brot. 2, 301 Hört auf ihr Kar e i n Sinn. 4, 29 der zwar n i e kleine war 3 1 , 1 4 0 ο du m e h r als mein Freund. 9 , 3 3 4 wie hat doch deine Kraft so gar b a l d abgenommen.
S. IV. 77, 10 weiß gar w o l , was ihn lenket. W. V. 16, 19 Wer, ο w e r \vird mich denn entnehmen dieser Last? Daß Fleming auch bei den in der Barockliteratur so häufigen Aufzählungen oder gar bei Häufung untergeordneter Einsilber nicht rigoros war, bedarf kaum des besonderen Hinweises.
5. Beurteilung.
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W. I\ r . 17, 43 Tuch, Holz, Erz, Blei und Stein. S. IV. 70, 8 See, Feld, Wald, Berg und Tal. W. III. 6, 464 was, wie, wo oder wenn. W. II. 3, 22 wie, wo, was er vollbracht. W. III. 6, 254 wie bald ist ein Wort verhaucht. Die Zahl der Rubriken ließe sich natürlich noch vermehren, die Art, wie Fleming die Einsilber behandelt, sich noch genauer differenzieren, doch dürften die gebotenen Proben ein genügend klares Bild ergeben.
5. Beurteilung der charakterisierten Akzentverhältnisse. Die in diesem und den vorhergehenden Abschnitten charakterisierten Widersprüche zwischen Sprachakzent und Metrum sind im ganzen und im Vergleich zur Technik Opitzens oder gar der der klassischen Zeit ziemlich zahlreich. So wird mau von den Alexandrinern, die allerdings wegen ihres gemesseneren Schrittes von Natur aus der metrischen Drückung mehr ausgesetzt sind als die leichtfüßigen Liederverse, etwa jeden vierten bis fünften Vers beanstanden können, wenn es sich auch meist um leichte und leichteste Beeinträchtigungen des reinen Akzentes handelt. Bei weitem der größte Teil davon fällt den Einsilbern zur Last. Als der nächste Grund dieser häufigen Dissonanz zwischen reinem Sprachakzent und Vers ergab sich schon die Unkenntnis des Satzakzentes und seiner Bedeutung für die Betonung der Einsilber. Aber es fragt sich weiter, woher es denn kam, daß unserem Dichter und mit ihm den meisten seiner Zeit trotz des so klar ausgesprochenen Prinzips das eigentliche Wesen der neuen Opitzischen Regel so sehr verborgen blieb; warum sie es fast ganz mit der Beobachtung des Wortakzents genug sein ließen und sich nicht tatkräftiger bemüht zeigten, auch ohne den Satzakzent theoretisch fassen zu können, sich dem Urteil ihres Ohres anzuvertrauen und nicht nur gelegentlich und zufällig, sondern durchweg die Widersprüche abzugleichen. Als Grund für die zahlreichen metrischen Unebenheiten ergibt sich zunächst das Nachwirken des t r a d i t i o n e l l e n Stils, dem Opitz' Kampf galt, und dessen Einfluß sich Fleming ebensowenig wie seine Zeitgenossen entziehen konnte. Das
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I. Schwere.
Ohr, an diesen Stil gewöhnt, war abgestumpft gegen metrische Driickungen. Man faßte die Opitzische Akzentregel, "wie der Widerspruch Weckherlins zeigt, vielfach als etwas rein Äußerliches auf; das Gefühl für ihre innere Notwendigkeit mußte sich erst allmählich ausbilden. Fleming selbst wagte sogar, trotz der begeisterten und aufrichtigen Verehrung, die er für Opitz hegte, zu erklären „Wenn nur der Sinn recht sei, dann komme es auf die Form nicht so genau an" 1 ), und wenn es denkbar wäre, daß Opitz unter Zustimmung der Gebildeten irgend ein anderes Versgesetz aufgestellt hätte, so würde Fleming ihm zweifellos ebenso begeistert und aufrichtig beigepflichtet haben. Auch der damals so blühende Kult der niedrigsten G e l e g e n h e i t s p o e s i e , dem ja auch Fleming in ausgedehntem Maße huldigte, war dazu geeignet, den Siegeszug der neuen Verskunst zu verzögern, da der ephemere Zweck dieser Gedichte und die kurze Frist, die sie dem Dichter vielfach zur Ausarbeitung ließen, zu bequemer Nachlässigkeit gegenüber der Opitzischen Lehre und zur Begünstigung metrischer Drückungen führen mußten. Ein weiteres Moment kam hinzu. Saran weist in seiner deutschen Verslehre (München 1 9 0 7 ) auf den Einfluß hin, den das E t h o s auf die akzentuelle Verselbständigung der einzelnen Silben und Worte, die Vorbedingung jeder metrischen Drückung, und damit auf das Eintreten dieser selbst ausüben kann. E r führt sogar die ganze metrische Stilart, deren Verdrängung wir Opitz verdanken, auf die Einwirkung des (didaktisch-satirischen) Ethos zurück. Aber auch im siebzehnten Jahrhundert war ein allerdings aus anderen Quellen stammendes Ethos tätig, um im Verein mit anderen Ursachen die Durchführung des Opitzischen Prinzips zu erschweren. Das siebzehnte Jahrhundert, das Zeitalter des Barock, suchte ja das vom Humanismus verkündigte Recht der individuellen Erscheinung auch in der Kunst möglichst zu betonen; es neigte zu ungebührlicher Hervorkehrung des einzelnen, zu ') Ich kenne dieses Wort nur aus Losch, Rhenanus S. 74. Vielleicht Verwechselung mit einem Epigramm L o g a u s ?
6. Beurteilung.
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maßlos gedrungener und übertriebener Darstellung. Man braucht sich ja nur die Menschendarstellungen in Malerei und Plastik vor Augen zu halten mit den üppigen Formen, den flatternden Gewändern, der theatralischen Haltung und der Outrierung des Gefühlsausdrucks. Auf stilistischem Gebiete, in der Sucht nach „Centnerworten", in der Jagd nach gekünstelten Bildern und Vergleichen, kurz in der Freude am Schwulst einen Einfluß des Zeitgeistes auch auf die Poesie zu sehen, ist uns geläufig, auch soweit Fleming in Betracht kommt. Aber man darf nicht außer acht lassen, daß dieser Einfluß, sofern es sich um gesteigerte oder gar übertriebene Empfindung handelte, zuerst im Sprachakzent selbst zutage treten mußte und zwar, der Zeitneigung entsprechend, häufiger und in höherem Grade, als wir es in unserer heutigen Dichtung gewohnt sind. Gespickte Fülle des Ausdrucks auf der einen, akzentueli stark ausgeprägte Empfindung auf der anderen Seite sind zwei Ausflüsse ein und derselben Zeitströmung. Erst wenn man beides vor Augen hält, läßt es sich ganz verstehen, daß etwa der immer pathetische Gryphius gegen gehäufte metrische Drückungen, zu denen sein Streben nach inhaltreicher Kürze leicht führen konnte, sich so wenig empfindlich zeigt 1 ). Und es ist charakteristisch, daß selbst der ziemlich strenge Opitzianer Rist gerade in einem Trauergedicht auf Gustav Adolfs Tod, offenkundig unter dem Einfluß der Stimmung, sich mehrfach die stärksten metrischen Drückungen — Versetzungen des Akzents auf die Flexionssilbe des einfachen Stammwortes — erlaubt (vgl. Saran 320). Die damals so moderne Gelegenheitsdichtung muß auch von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet werden, da sie oft genug den Dichter nicht tiefer erfassend, ein künstlich gesteigertes Ethos begünstigen und damit indirekt zu häufigeren metrischen Härten beitragen mußte. Daß wir auch bei Fleming dem Ethos eine größere Be') Dieser Erklärungsversuch scheint mir mehr für sich zu haben, als der Sarans, der die schweren metrischen Drückungen bei Gryphius als eine „zweifellos bewußte Rückkehr zur vor-opitzischen Kunst", als „archaisierende Versuche" auffassen will (S. 320).
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I. Schwere.
deutung zuschreiben müssen, ergab bereits die Betrachtung des vor dem Substantiv betonten Artikels. Auch die zahlreichen Betonungen des Pronominaladjektivs in gleicher Stellung, bei denen Emphase besonders nahe liegt (Du mein Gott), können als Fingerzeige gelten. Es ist bezeichnend, daß sie sich besonders gern in den religiös-inbrünstigen Gedichten einstellen. Ebenso weisen Verse wie: W. V. 16, 19 AVer ό wer wird mich denn entnehmen dieser Last? darauf hin. Das Ethos ist aber nicht nur, wie die übrigen angeführten Momente, geeignet, manche Abweichung vom reinen Akzent zu erklären, sondern bis zu einem gewissen Grade auch zu rechtfertigen. Und so werden auch manche der vorhin gebuchten Akzentverletzungen durch Annahme eines entsprechenden Ethos behoben werden müssen. Und weiter wird die Flemingsche Verstechnik auch dadurch in ein günstigeres licht gerückt, daß bei weitem die meisten metrischen Drückungen, etwa 70—80°/o, sich im Anfang der Reihe finden, wo von Natur aus die einzelnen Silben etwas beschwert, Hebung und Senkung in ihrer Schwere einander angeglichen und dadurch ähnliche, der metrischen Drückung förderliche Verhältnisse geschaffen werden, wie das Ethos sie oft bewirkt oder wie sie im isolierten Wort bereits beim Kompositum bestehen. Der Rest der metrischen Drückungen fällt größtenteils auf die zweite Senkung; nur wenige kommen auf die dritte oder — was bei dem Mangel an längeren Reihen kaum vorkommt — auf eine spätere. Diese Verteilung der Akzente könnte beim Alexandriner und vers commun zu der Vermutung Anlaß geben, Fleming habe oft bewußt oder unbewußt „zur Freiheit des romanischen Verses hinübergestrebt"1). In der Tat unterscheiden sich manche Flemingsclien Verse, nach dem reinen Akzent gelesen, in nichts von den freien Alexandrinern etwa eines Goethe, von dem Minor wohl mit Recht diese Neigung behauptet (272). l
) Wie dies ζ. B. Spina in seinem Programm: „Der Vers in den Dramen des Andreas Gryphius" (Braunau 1895) unter dem Einfluß von Minors Theorien von Gryphius behauptet (vgl. Anz. 23, 181).
5. Beurteilung.
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Man vergleiche nur die von Minor zitierten Goetheschen Verse: wirft er mir 6t\vas vor, fängt er än, mich zu plagen" oder „es ist nichts, was ihm föhlte" mit den Flemingschen: S. 1 . 1 6 , 1 1 wirst deiner Diener Knöcht, wirst deiner Tochter Kind. W. IV. 15,35 w6nn dein bejahrter Wein, springt in der Schälen äuf S. IV. 84, 5 f. Ach aber weißtdu nicht, in Avas Not ich auch st6h', in was Quäl ich auch bin? S. IV. 85, 5 f. Wach äuf, gib deinen Wähn den Winden zu versenken tief in die wilde S6e. W. V. 18, 6 Tötst du d6n, d6r dich li6bt? W. III. δ, 98 weiß gar wol, wäs ihn lönket. S. ΠΙ. 3, 13 führt ihn hin, wie ihr wißt. S. ΙΠ. 47, 2 legt nicht äb 6ure Schleier. S. IV. 20, 4 der viel r6dt, doch m0hr d6nkt. u. s. f. Trotzdem wird jene Annahme für Fleming kaum in Betracht kommen können. Opitz selbst kannte ja nur ein streng alternierend-akzentuierendes Metrum und ignorierte sogar, um die Durchführung dieses Ideals nicht zu gefährden, die Daktylen 1 ) vollständig: „jeder verß ist entweder ein iambicus oder trochaicus" (Br. 40), und es scheint zweifellos, daß Fleming, der kaum irgendwo sich in metrischen Dingen ein eigenes Urteil erlaubte, wie überhaupt die „opitzierenden" Dichter auch hierin dem Meister folgen wollten und, soweit nicht jene vorhin gekennzeichneten Einflüsse mitspielten, nur aus Ungeschicklichkeit oder Nachlässigkeit gegen das Alternationsprinzip verstießen. Zudem müßte man konsequenterweise auch für so manche Odenverse eine freie Betonung annehmen, etwa für die folgenden „Trochäen": Ο. I. 7, 43 Mein Gott, wäs verträgt man nicht! l ) Übrigens schrieb Fleming, wie es scheint schon vor Buchner, ein flüssiges daktylisches Gedicht. Hier wird wohl nicht Plauen, der bereits vor 1630 ein Gedicht in „Buchners Art" verfaßte und Fleming sonst beeinflußte (vgl. Manh. 130), die Anregung gegeben haben, sondern das lateinische daktylisch-akzentuierende Gedicht 0 Fronte serena selbst, als dessen Übersetzung es bezeichnet wird.
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I. Schwere.
0. III. 6, 56 und tut, wie ihr vor getan. Ο. IV. 21, 18 zu d6m, was soll bäld geschehn. 0. III. 19, 49 Schwester Braut, tüt wie ihr wißt. Ο. V. 36, δ Zynthie sei, wer sie sei. 0. III. 19, 36 und kän noch nicht zu Rüh kommen. Es ist nicht abzusehen, wie aus den Versen selbst bloß für den Alexandriner eine Freiheit der Akzente begründet werden könnte.
6. Schwache Hebungen, insbesondere Hebung des schwachen e Einer nicht allzu häufigen Mißachtung des der Senkung zukommenden Gewichtes steht bei Fleming eine gewisse Vorliebe für leichte Hebungen gegenüber. Beides vereint ergibt erst ein richtiges Bild von Flemings Auffassung der Schwereverhältnisse. Soweit eine leichte Hebung in Verbindung mit einer zu schweren Senkung und durch sie bedingt erscheint, bedarf sie nach dem Vorhergehenden keiner weiteren Erörterung mehr: Hier handelt es sich vornehmlich um die Hebung einer leichten Silbe in der Umgebung von anderen leichten Silben, in erster Linie um die Hebung eines schwachen e in dritter Silbe. Wenn auch schon im Fluß der prosaischen Rede sich die mittlere von drei Tonlosen infolge des natürlichen Strebens nach Silbenalternation etwas über ihre Umgebung erhebt (Vogt S. 177, Brieger S. 271), so wird sie doch den durchschnittlichen Schweregrad der Hebungen in der Regel nicht erreichen. Derartige Hebungen sind daher im Verse nur bei Annäherung an die gewöhnliche Sprechweise und an den geeigneten Stellen der dipodischen Gliederung erträglich; bei rhythmischer Deklamation und mehr gleichmäßiger Ausprägung der Hebungen wirken sie dagegen leicht störend. Ersteres trifft besonders im volkstümlichen, liedmäßigen Verse zu, wenn auch zugegeben werden kann, daß das siebzehnte Jahr') Vgl. zu diesem Abschnitt die Aufsätze von Friedrich Vogt ,,Über Hebung des schwachen e" (in der Festgabe für R. Hildebrand, 1894) und von Ad. Brieger „Vom Rhythmischen Zwischenakzent und Schlußakzent im deutschen Verse" (Beiträge zur Gesch. der deutschen Sprache u. Liter. Bd. 26, 267 ff.).
6. Schwache Hebungen.
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hundert selbst hier zu einer deklamatorischen Nivellierung der Hebungen neigte; letzteres zeigt sich mehr im Alexandriner Doch gerade der gleichmäßige Wechsel von Hebung und Senkung, wie er seit Opitz Regel wurde, machte die leichten Hebungen und namentlich den Gebrauch eines schwachen e in dritter Silbe fast um-ermeidlich2). Auch Opitz streift bereits in seiner Poeterei die Frage der Hebungsfähigkeit einer schwachen Silbe. So werden wir zunächst mit Vogt (165) hierfür die Bemerkung geltend machen dürfen, daß die Zäsursilbe des Alexandriners „masculinae terminationis, das ist, entweder ein einsilbig wort sein oder den accent in der letzten sylben haben müsse" (Br. 42). Als Exempel wählt er „Jüpiter" und ,,H61enä". Doch wird man daraus keinen Ausschluß der deutschen Nebensilben folgern dürfen. Im Gegenteil, man wird nicht fehlen in Annahme, daß der Opitzische Zusatz zu dem Verbot des Wortdaktylus: „Denn er gleichwol kan geduldet werden, wenn er mit unterscheide gesatzt wird" (Br. 41), gerade auf eine entsprechende Betonung der deutschen drei- [und mehr-] silbigen Wörter hinziele. An diese Äußerung, welche Vogt in seinem Aufsatze entgangen zu sein scheint, knüpft denn auch die ganze folgende Entwicklung dieser Frage an. Wir wissen, daß in der Fruchtbringenden Gesellschaft eifrig hierüber gestritten wurde und daß Opitz, Seite an Seite mit Buchner, eine Betonung wie „heilig6" gegen den ausdrücklichen Vorwurf Ludwigs von Anhalt und anderer Puristen verteidigte, daß „Daktylen" nicht in den jambischen oder trochäischen Vers hineingehörten (vgl. K. Borinski, Poetik d. Renaiss. Berlin 1886, S. 161). Auch Zesen und Tscherning berufen sich auf jene Stelle der Poeterei, um ihrem Eintreten für die Zulassung „der rollenden Wörter in den steigenden l
) Seltsamerweise will Zesen den „zweifach-kurtzen" gerade im Alexandriner, „der heldenart" zulassen. Vgl. Scala Heliconis, Jena 1656, S. 57 f. *) Man vergleiche die vielen e-Hebungen bei Gottfried v. Straßburg. die sich auch nur aus dem Streben nach regelmäßiger Alternation erklären. S. Vogt 160!
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I. Schwere.
bänden" (Hei. I. 233) einen weiteren Rückhalt zu geben. „Dannenher" so schließt Zesen seine Meinung über die Zulässigkeit der e-Hebungen — „Dannenher verstehen wir in diesem Opitzischen lehrsatze (welchen wier auch noch mit dem durchleuchten Buchner behaupten), daß der rollende schrit auch in den steigenden und fallenden arten bisweilen stat finden könne" (Scala Hei. 62). Ähnlich äußert sich Tscherning 1 ). Über die Bedingungen, unter denen eine schwache Nebensilbe in die Hebung gesetzt werden könne, ließ sich Opitz aber nicht aus. Hier konnte die weitere Entwicklung eingreifen. Nahrung und Anregung fand die Theorie dabei vielfach in der antiken Verslehre, wie ja auch jene Streitigkeiten in der Fruchtbringenden Gesellschaft außer in der "Wortbetrachtung — L. von Anhalt wollte es gar nicht in den Sinn, daß ein zweifellos daktylisches Wort unter Umständen auch in dritter Silbe einmal „lang" sein könne — auch in der Vermengung von Akzent und Quantität ihre Wurzel hatten. Für die theoretische Betrachtung und demnach auch für die Beurteilung der Flemingschen Yerstechnik ergeben sich zunächst drei Gesichtspunkte: Erstens, ist die Art, das besondere Gewicht der gehobenen Nebensilbe ins Auge zu fassen, dann ihre Umgebung, schließlich ihre Stellung im Vers. Von den Ausführungen der Theoretiker über die erste Frage interessieren hier vor allem die über die s c h w a c h e n e - H e b u n g e n . Am entschiedensten wendet sich Schotteigegen die Hebung aller „zufälligen Letteren, welche ohn zweiffei allzeit nach rechtem Gebrauche müssen kurtz gesetzet seyn" Wenn sich aber schwache e-Hebungen „so wol beym Opitio als anderen guten Authoren" (Rist) finden, „welches dann nicht kan vermitten werden, wenn man daktylische Wörter zu Jambischen Reimarten gebrauchen will, so soll das nicht als ein Lehrsatz oder Nachfolge sondern als eine Vergönstigung oder Übersehung gehalten werden" (S.814 Anmerkg.). l ) „Opitz lehret recht in seiner Prosodie, daß man daktylische Wörter in jambischen Reimarten zuweilen wol dulden könne und müsse" S. 93.
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6. Schwache Hebungen.
Zesen räumt wenigstens der Endung -er « a e r e ?) einen Vorrang ein, wie Vogt bemerkt, in Übereinstimmung mit dem Reimgebrauch des 14. bis 16. Jahrhunderts (Vogt 166): „Alle drei-gliedrigen, so auf er sich endigen, haben das letzte wortglied gemein (anceps), doch gleichwohl mehrmahls und natürlicher kurtz" (Helikon I. 29) 1 ). Daher führt er sie auch in seinem Reimwörterbuch unter den er-Reimen auf. Allerdings erwähnt er an anderer Stelle unter den en-Reimen auch Reimwörter wie „heiligen, lilien, kastanjen". Doch schließt er gleich die Warnung an; „Märk diese gehören eigendlich in den dritten teil" d. h. zu den gleitenden Reimen, eine Bemerkung die dort fehlt. Trotzdem will Zesen auch die übrigen e-Hebungen im Verse dulden (Helikon I. 48, 233, Scala Heliconis 5 7 — 6 0 ) „der vielen rollenden, auf zwei kurtze wortglieder ausgehenden Wörter und eignen nahmen wegen" 2 ). Tscherning schließlich geht in seiner Theorie noch einen Schritt weiter als Zesen. "Wohl nicht unbeeinflußt von der antiken ') Vgl. aber Scala Heliconis 59 f.: „Etliche nennwörter, welche ein gewisses manns-bild oder einen künstler und handwerker oder dergl. bedeuten u. sich auf 1er oder ger endigen: drechseler, unterhandelet nahteler, kantzeler, prediger u. s. f. . . ., deren letztes wort-glied doch lang oder kurtz, ja wohl ö f t e r e r l a n g gebraucht wird". s ) I. 233: „Zudem geben sie auch der sache, davon man redet, ihrer letzten zwei kurtzen wort-glieder wegen, daraus im ab-mässen nicht ein rollender, sondern ein zwei-fach kurtzer wird, bisweilen einen sonderlichen Nach-truk, wie in diesen des Opitzens, damit er sein klagelied bei dem kreutze seines Heilandes anfähet, zu sehen, wan er spricht: Ihr armen sterb/liehen/ da gleichsam der erste Teil des durch-schnittes oder reim-bandes gantz darnieder fället u. gantz kraft und leb-los wird, wie das menschliche leben. Virgiel hat solches im lateinischen auch etliche mahl getahn, dem es unser Opitz alhier hat nachthun wollen. Auf diesen schlag hat es auch Herr Hamman nachgetahn, doch etwas fröhliches anzudeuten, als: Aus Heros einem aug' entsprossen, wie mich deucht, wohl hundert Gratien mit flinkerndem Gelächter." Ähnlich sagt auch Brieger (a. a. 0. S. 277): „Wie andere Unregelmäßigkeiten, so können auch rhythmische Schluß- (bzw. Zwischen-) akzente von schöner poetischer Wirkung sein: das schlotternde Gebein; mit schaudernd6m Gefühl." Besser wird man umgekehrt sagen, daß das Ethos mitunter die akzentuelle Auszeichnung des schwachen e gestatte. QF. CXI.
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I. Schwere.
Positionslehre trennt er nicht nur eine einzelne, sondern alle Endungen mit gedecktem e von der mit ungedecktem ab: Nur in letzterem Falle ist eine Hebung unzulässig, dort soll sie gelten: „In denen Wörtern, wo die sylbe oder endung en (em), er, es angehenkt wird, ist es ja vergünstiget, weil die sylbe durch das η (m), r, s noch etwas gesteiffet wird u . Aber nicht bei bloßem e; „dann da geschiehet der sylben zu große gewalt" (S. 93 f.). So geht die Entwicklung der Theorie darauf aus, Lehre, Sprachgefühl und Dichterbrauch mehr und mehr in Einklang zu bringen. Aber selbst die geringe Einschränkung der Hebungsfähigkeit eines schwachen e, die Tscherning glaubt aufrecht erhalten, zu müssen, hat in der damaligen Verskunst keine Grundlage. Mußte er doch selbst eine Reihe Opitzischer Verse als Ausnahme von seiner Regel anführen. Bei Fleming erscheint vollends diese Regel gänzlich umgestoßen. Gerade die Hebungen mit ungedecktem e stehen an Zahl weit voran (ca. 45°/o). Freilich gehört ein großer Teil derselben, namentlich in den Liebessonetten des vierten Buches (hier beinahe bis zur Hälfte!), weiblichen Eigennamen wie Desiderie, Amandule, Theophile, Suavie, Amnie, und wie sie alle heißen mögen, an. Ohne Zweifel wird man diesen „nach dem griechischen tohn und wortfall" (Hei. I. 129) einen im Vergleich mit dem gewöhnlichen Flexions-e volleren Klang zuerkennen müssen. Daher ja auch die Ausnahmestellung der Eigennamen beim Gebot der Elision und der Hiatusvermeidung! (vgl. S. 56 u. 62 dieser Arbeit!) Vielleicht hängt es auch damit zusammen, daß Gryphius, wie Manheimer feststellt (S. 8), sich vor der Zäsur nur gerne Frauennamen auf e gestattet (vgl. S. 39 dieser Arbeit!). Ziehen wir d i e s e e-Hebungen von jener Zahl ab, so bleiben sie aber doch noch etwa so häufig wie die auf en (und em), was wohl ganz dem Vorkommen in der gewöhnlichen Sprache analog ist (ca. 30—35 °/o). Selbst die er-Hebungen, denen doch Zesen, wie wir sahen, in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgefühl vor allen anderen ein größeres Gewicht beilegte, und die sogar Lessing und Heine noch als schwerer empfanden (vgl. Minor: Göttinger Gel. Anz. 660), richten sich bei Fleming bloß nach den Bedürf-
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nissen des Ausdrucks. Sie zählen daher nur etwa halb so viel wie jene. Ganz zurück treten, ebenfalls auf Grund der Sprach Verhältnisse, die Hebungen auf es 1 ) (ca. 5—7°/o). Aber auch die Betrachtung der die schwache e-Hebung einschließenden Silben läßt bei Fleming kein feineres Verständnis für die Schwereabstufungen verspüren. Die schwache Hebung wird zunächst um so zwangloser hervortreten, je leichter die v o r h e r g e h e n d e Silbe ist. Zesen läßt sich über den Schweregrad der Mittelsilbe nicht weiter aus. Doch gestatten seine Beispiele (a. a. 0.) den Schluß, „daß er ein geringes Gewicht derselben als notwendige Voraussetzung für das Hervortreten des Endungs-e empfunden habe" (Vogt 166). Erst Tscherning geht auch hier wieder mehr ins einzelne. Betonungen wie H6ldinn6n, Fürstinnen, Göttinnen, mit verhältnismäßig leichter Mittelsübe will er noch gelten lassen (S. 74). Dagegen tadelt er die entsprechende Betonung, bei „reichtüm6rn [gräbschriften], weil es zimlich hart und rauch lautet" (ebenda). „Gantz und gar nicht zu entschuldigen" ist diese Betonung bei den Komposita wie: „miethausö" (S. 94). Alle Beispiele sind Fleming entnommen, und der Tadel ist gegen ihn gerichtet. Doch wie schon in anderem Zusammenhang erwähnt, sind die beiden letztgenannten die einzigen Ausnahmen ihrer Gruppe 2 ): Dem allgemeinen Brauche oder auch eigenem Akzentempfimden folgend, verwendet er diese Zusammensetzungen sonst ja stets mit versetzter Betonung. Im übrigen entsprechen jene Beispiele durchaus der Flemingschen Technik: Ohne Schwanken und Bedenken und ohne Rücksicht auf den besonderen Schweregrad der Mittelsilbe ist die Hebung des schwachen e vollkommen durchgeführt. — Die seltenen Aus') Allerdings fallen noch manche, wenn der Vers es erheischt, durch die Fleming geläufige Synkopierung der Silbe -es aus: sterblichs, furchtsams u. ä. (vgl. unten S. 48). *) Morhof erwähnt allerdings (U. v. d. d. Spr. u. P. S. 493) noch die beiden ,,Größvat6r" und ,,Gr6ßmutt6r/ — ~ — /". Sie sind aber in den Flemingschen Gedichten nicht aufzutreiben und beruhen wohl, wie die ganze Behauptung dieser Stelle, ,.daß Fleming lieber die letzte Sylbe in diesen Wörtern lang setzen wolle, als das Mittel" auf einem Irrtum. 3*
Bö
I. Schwere.
nahmen wurden bereits in einem vorhergehenden Paragraphen berührt und erläutert. — So treten denn bei Fleming den allgemein üblichen e-Hebungen nach schwacher Ableitungsoder Flexionssilbe, wie sie uns namentlich in den Adjektiven auf -ig, -lieh, -isch, in den schwachen Präterita und Partizipien des Perfekts, im Partizipium des Präsens und in den Superlativen begegnen, diejenigen nach schwerer Ableitungssilbe und vollem Yokal gleichberechtigt zur Seite: Zieraten (Reim), Thüringen, Hoffnungön, Regungen, einsamer, mühsamör, grausam6r, lastbar6nx), Reichtümern u. s. f. Dort wird die schwache Hebung durch Einfügung oder "Wiederherstellung eines mittleren e, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, vielfach erst ermöglicht (ζ. B. st6llet6); hier wird ihr Hervortreten durch emphatische Beschwerung der mittleren Silbe mitunter noch mehr beeinträchtigt: Ο Grausamer! (S. IV. 79, 6.) Nirgendwo ein Anhaltspunkt dafür, daß Fleming an irgend einer Form Anstoß genommen habe. Immerhin ist die Zahl der Hebungen nach schwerer Mittelsilbe sehr beschränkt und fällt gegenüber der Menge derer nach leichter Silbe wenig ins Gewicht, eine Erscheinung, die, wie die vorhin besprochenen, in der Sprache selbst ihren Grund hat. Ebensowenig läßt die Betrachtung der der e-Hebung f o l g e n d e n S e n k u n g bei Fleming ein bewußtes oder unbewußtes Regeln der Akzentverhältnisse zugunsten jener Hebung erkennen. Ist doch auch den damaligen Theoretikern die Frage nach dem zulässigen Gewicht dieser Senkung völlig fremd 2 ). ') Nach der Ableitungssilbe -bar synkopiert Fleming aber mindestens ebenso häufig: nutzbarn, sichtbarn u. ä. Doch wohl kaum aus Abneigung gegen die schwache Hebung und Rücksicht auf die schwere Senkung! Wie es bei „hörn, führn, ehrn" und ähnlichen Fällen zweifellos ist, wird er sich auch hier die gleiche, dazu wohl in der Aussprache noch begründete Möglichkeit der Synkopierung im gegebenen Augenblick zu nutze gemacht haben (vgl. weiter unten). 2 ) Höchstens könnte man eine etwas unklare, auf Buchner sich stützende Bemerkung Tschernings hier geltend machen: „Omnino fit vis (schreibt H. Buchner an mich) si dicam der Himmlische Gesandt, diß Himmliche Geschenk. Sed n o η in caeteris: Der flüchtige Merkur Die Christliche Sibylle Der treffliche Poet
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Tom rein akzentuellen Standpunkt aus wird sich eine möglichst geringe Schwere hier empfehlen. Dieser Forderung scheint zwar Flemings metrischer Brauch entgegenzukommen. Wenn die Endsilben auch nicht gerade, wie in "Weckherlins Gedichtausgabe von 1648, bloß vor den Präfixen ver-, ge-, ent-, be- erhöht werden (vgl. Böhm, Englands Einfluß auf G. R. Weckherlin, Göttingen 1895), so sind doch diese Fälle weitaus in der Mehrzahl. Und auch dann, wenn die folgende Silbe nicht gerade ein e enthält, handelt es sich doch meist um eine tonlose Partikel oder geringwertige Silbe, jedenfalls um die Senkung eines entschieden jambisch einsetzenden Yersgliedes: er meldete sich selbst; dann züchtige mich nicht; Helen6 bei Nachte; bebetis gleich ob; Polymnie singt vor; die Gratiön stehn tief; besonders auch vor Fremdwörtern: lautere Fontein, gläsernes Pistol, lustiger Ballon u. v. a. Dagegen sind die schwachen e-Hebungen vor einer entschieden schweren Silbe oder gar vor metrischer Drückung selten: Ο. V. 5, 43 Ihr, ihr übrigen drei Lieben. 0. IT. 3, 55 0 ihr wertesten zwei Flammen. W. Π. l c , 7 Veiligen, Schein, Blätter.. . W. I. 9, 180 Der Tisiphone giftaufgelaufne Schlangen. Ο. Π. 3, 57 u. 5, 79: Im Übrigen wül ich. oder weniger scharf: W. I. 4, 63 daß Zion predige wie man . . . . Fleming nähert sich demnach in seiner Technik bereits den Anschauungen, die Heine vertritt, wenn er die Hebung eines e vor schwerer Silbe und vor Zusammensetzungen verwirft (Gött. Gel. Anz. 158, S. 660). Diese Regelung bei Fleming wird aber als zufällig erscheinen, wenn man bedenkt, daß bei der geringen Zahl der e-Hebungen einerseits und der im Verhältnis zu den Versfüßen auch nicht bedeutenden Zahl der metrischen Drückungen andererseits die Möglichkeit des Zusammentreffens beider Erscheinungen von Haec enim peregrina sunt, itaque refingere licet. Ista nostra atque domestica: quare ponere oportet, ut facta fictaque semel sunt" (94). *) Auch bei Opitz sind sie hier nur vereinzelt, wie in den schon zitierten Beispielen: Der silbern^ Tau fiel; JüpitGrs Schoß.
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vornherein eng begrenzt ist, daß aber diese Möglichkeit noch weiter dadurch eingeschränkt wird, daß die e-Hebungen vermöge ihrer Stellung im "Worte zum größten Teil im Inneren des Verses vorkommen, wo die metrische Drückung mehr und mehr, wie oben gezeigt wurde, schwindet Doch damit berühren wir schon die weitere Frage nach dem V e r h ä l t n i s der e - H e b u n g e n zu den e i n z e l n e n V e r s s t e l l e n . Da es sich um ein e in dritter Silbe handelt, kommen nur die zweiten und folgenden, im Alexandriner die zweiten und dritten, fünften und sechsten Hebungen in Betracht. Besondere Bedeutung haben nur die Hebungen am Reihen ende, d. i. in Zäsur und Reim. Die einseitige Abgrenzung bewirkt hier, in höherem Grade als im Versinnern, ein stärkeres Hervortreten des Akzentes, verbunden mit der Neigung, die Silbe sich dehnen und ausklingen zu lassen (Minor 79, 251). Aber der Charakter der Silbe, der niedrige Schweregrad, die große Kürze und der geringe Lautgehalt machen es unmöglich, einer solchen rhythmischen Auszeichnung voll nachzugeben: Entweder wird man einen rhythmischen Verstoß in Kauf nehmen müssen, indem man unter Wahrung des natürlichen Lautwertes und der natürlichen Quantität nur die Schwere zu erhöhen sucht, dann findet der Akzent am Lautmaterial keinen genügenden Widerstand zur Entfaltung seiner Kraft und ruft einen Eindruk hervor, der an das kurze Pusten beim Versagen einer Orgelstimme erinnert. Oder aber man wird in Anlehnung an dialektische Aussprache versucht sein, der Hebung den volleren Klang eines langen, reinen e zu geben, und damit dem Sprachgefühl Zwang antun. Die neueren Theoretiker verurteilen daher bekanntlich durchweg die Hebung des e am Versende und in der Zäsur. Den Theoretikern des 17. Jahrhunderts liegt eine Unterscheidung der Versstellen noch fern. In Flemings Versen erscheint die entwickelte Theorie aber fast völlig umgekehrt. Schon bei Opitz waren e-Hebungen in Zäsur nicht selten, bei Fleming sind sie hier zahlreicher als an jeder anderen Stelle des Verses (ca. 40%), und daß die e-Hebungen im Inneren der beiden Alexandrinerhalbzeilen zusammengenommen gegen-
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über der Summe der Bndhebungen in der Überzahl bleiben, verdanken sie nur der Beschränkung, die hier der Reim auferlegt Aber selbst im Reime ist das schwache e bei Fleming noch relativ häufig, während Opitz nur einen einzigen Fall, dazu in einer jugendlichen Übertragung aufweist (Yogt 165); und zwar reimt Fleming keineswegs bloß Endsilben untereinander: Lilien-Zieraten; Najaden-Tulipen; Hamadryaden-Gratien; was wenigstens als reiner, wenn auch wegen des schwachen Akzentes und geringen Klangwertes als schlechter Reim gelten müßte, sondern auch Endsilben mit vollen Stammsilben: Könige-Weh; Lilie-seh. Reime der letzteren Art legen den Schluß nahe, daß Fleming zu einer in obigem Sinne volleren Lautgebung des e neigte und darum jene rhythmische Auszeichnung, wie überhaupt jede Hebung des schwachen e, weniger als Verstoß gegen die gewöhnliche Sprachform empfand. Umsomehr erscheint darnach die Verteilung der e-Hebungen auf Reihenende und Reiheninneres als der zufällige oder vielmehr notwendige Ausdruck der grammatisch-stilistischen Verhältnisse und der durch das äußere Versschema darauf ausgeübten Einwirkung. Dazu stimmt die weiter unten angeführte Beobachtung, daß der Flemingsche Alexandriner durch leichte Fuge nach der dritten oder zweiten Silbe allgemein die beiden letzten Hebungen vor Zäsur und Reim zu den Formen * χ * oder χ * χ χ zusammenzurücken liebt Unter diesen Umständen erübrigt es sich, nach dem oben Gegebenen hier noch besonders auf die Art der gehobenen Endung und auf die Schwere der vorangehenden Silbe, die vor der Zäsur und dem Reim, wie vor jeder Pause, mehr als sonst die schwache Hebung beeinträchtigt und sogar mitunter den Akzent auf sich selbst zieht (Minor 79/80), näher einzugehen. Nur mag darauf hingewiesen werden, daß auch bei Fleming wie bei Gryphius, gerade vor Zäsur die Eigennamen ziemlich stark vertreten sind, ohne daß sich aber daran, wie es bei Gryphius berechtigt sein mag (Manh. 8 u. 19, vgl. S. 34 dsr. Arbeit), weitere Folgerungen anknüpfen ließen. Ebensowenig lohnt es sich, das Augenmerk auf die
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anderen, nicht e-haltigen schwachen Nebensilben hinzulenken und sie auf ihre Hebungsfähigkeit zu prüfen. Die genaueren Unterscheidungen, die Zesen (Helikon I. 27—29) hierfür macht, wie auch die entschiedene Verurteilung, die später Sigismund Birken der „Meistersinger"-technik der schwachen Hebungen selbst in Fällen wie himmelische, wandelbaren zuteil werden läßt (Vogt 168), haben kaum jemals praktischen Erfolg gehabt. Bei Fleming wird man nach der bisherigen Schilderung seines Verhältnisses zu den e-Hebungen hier gewiß keine Sonderstellung, oder auch nur den Versuch eines bewußten oder unbewußten ordnenden Eingreifens erwarten. Wichtiger ist es, die von leichten, zur Enklise neigenden Partikeln, besonders vom Artikel gebildeten Hebungen kurz ins Auge zu fassen. Bereits Zesen ging in seinen Erörterungen über den Pyrrichius nicht achtlos an ihnen vorüber: „vor die steigenden und fallenden, in ihren eigenen reimbänden müssen bisweilen auch der kurtzen geschlechts-wörter der, die, das (wan sie for einem zwei-gliedrigen steigenden worte als | der ver | stand, die geliebte, das gerichte | - - | stehen und nicht können aus-gelaßen werden) [wie auch der andren ein-gliedrigen kurtzen Wörter (Scala Heliconis 59/60)] wegen . . . der zwei-fach-kurtze geduldet und gebraucht werden" (Helicon I. 48). Die Beispiele zeigen, daß Zesen auch hier wieder nur an die Hebung der schwachen Silbe in der Umgebung leichter Senkungen denkt. Wie wenig aber Fleming gerade bei diesen Einsilbern darauf achtete, zeigte die Darstellung dor metrischon Drückungen. Aber auch ohne diese befriedigen sie unser rhythmisches Gefühl vielfach ebensowenig wie die Hebungen des schwachen e: 0. HI. 11 der zu d6r vergnügten Tat. W. Π. 9, 125 die Vorsicht, der Verstand. W. IV. 17, 1 im Schöße des Gelücks. W. IV. 8, 74 der Fortschreit der Planeten. 0. HL 7, 1 treiben ein sehr laut Gelächter. W. IV. 54, 271 der ist nicht wert, daß 6r von ihm gescholten wird, oder mit geringer Drückung: W. II. 9, 43 in der Unsterblichkeit . . .
6. Schwache Hebangen.
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W. II. 9, 99 die der gelobte Fürst . . . 9, 136 aus der verneuten Welt. 9, 153 daß es nun häuptlos ist. W. IV. 46,122 da es euch sähe kommen. Ο. Π. 2, 37 Nur uns deucht es zu schnelle. 3, 20 umb die verhüllte Zier. 0. IT. 25, 39 Nein Freund, es steht ganz bei dir. und mit stärkerer metrischen Drückung: W. III. 6, 404 d6r Jungfrauen. W. IV. 17, 82 pflegt die Anwesenheit. 33, 10 und mit Glückwünschungen u. s. f. Von besonderer Bedeutung wird dabei der Umstand, daß diese Hebungen im Gegensatz zu den vorhergehenden auch im ersten Fuße (bzw. vierten des Alexandriners) statthaben können. Da sich im Anfang einer Reihe ähnlich wie am Schluß gerne eine kleine Verzögerung, Beschwerung und Dehnung geltend raachen, so ergibt sich hier ein ähnliches Dilemma und eine ähnliche Wirkung wie dort. Es gilt dies namentlich von den mit der Hebung einsetzenden trochäischen Versen. Die physiologischen Grundlagen (Minor 159 f.) und der damit zusammenhängende ruhigere, mehr gemessene Schritt des Trochäus, verbunden mit der Neigung, die Silben länger auszuhalten, verstärken diese Wirkung noch, wie denn überhaupt die leichten Hebungen bei trochäischem Tonfall eher den Eindruck eines rhythmischen Mangels hervorrufen als bei jambischem. Dipodische Gliederung bietet nicht immer eine genügende Stütze: Ο. I. 1, 37 Di6 erblasseten Illyrer. Ο. ΙΠ. 19, 4 ünd die mittelste der Zahl Ο. IV. 4, 48 ein treu Herze. Ο. V. 8, 24 d6r verliebten Lippen Schmätze. Ο. V. 8, 43 in die küssendön Rubinen. O.III. 17,31/2 die erfreuten Heerden springen. däs verlebte Jahr wird jung. Ο. IV. 15, 33 die aus d6r beleibten Hole. Ο. Π. 7, 20 6s sei ihm denn das genommen. Ο. ΙΠ. 8, 34 und was noch nicht ist genannt. Hält man dazu die im Anfang der trochäischen Verse
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I. Schwere.
nicht seltenen starken metrischen Drückungen, von denen am gehörigen Orte (S. 8, 21 ff., 29 f.) bereits genügend Beispiele geboten wurden, so erscheint gerade der Flemingsche Trochäus von dieser Seite in wenig günstigem Licht. Die größeren Schwierigkeiten, die das trochäische Metrum der Rhythmisierung entgegenstellt1), namentlich bei der damals noch jungen literarischen Überlieferung dieses Versmaßes (vgl. Höpfner, Reformbestrebungen auf d. Gebiete d. deutschen Dichtg. d. 16. u. 17. Jahrhunderts. Göttingen 1866), machen sich hier bemerkbar. Daneben ist aber auch der liedmäßige Charakter der Odenverse und das Nachwirken der musikmetrischen Rhythmen in ihnen nicht außer acht zu lassen. Ein paar kleine Änderungen der Wortfolge könnten zu der Vermutung Anlaß geben, daß Fleming doch bereits in einzelnen Fällen an der schwachen Hebung Anstoß nahm. Man vergleiche etwa die Verse: W. V. 1, 2. u. 4 in dir, in dir es i s t , nach dem ich wündsche sehr. S. IV. 83, 5 Nun glaub' ich d i r es leicht. Doch sind ähnliche geringe Umstellungen nicht selten, ohne daß ein besonderer Grund sich dafür geltend machen ließe. Der Prozentsatz der in diesem Abschnitt behandelten schwachen Hebungen, im ganzen etwa ebenso groß wie bei Opitz, ist in den einzelnen Gedichten sehr verschieden. So enthalten ζ. B. die einen Sonette 3, 4 bis 5 schwache Hebungen, andere kaum eine. Und ebenso schwanken die übrigen Gedichte: W. IV. 53 haben etwa 10—15°/o, W. IV. 17 etwa 15—20°/o, in anderen kaum 5°/o der Verse eine solche. Im allgemeinen entfallen auf die Oden mehr als auf die Alexandrinergedichte, insbesondere, wenn nicht die Zahl der Verse, sondern der Füße in Rechnung gestellt wird. Wenn auch im einzelnen als rhythmisch mangelhaft empfunden, geben die schwachen Hebungen doch in ihrer Ge') Einen charakteristischen Beleg hierfür bietet die Umwandlung einiger Alexandrinersonette des A. Gryphius in 14- oder 15-hebige Trochäen: Sie machte eine Reihe Flickwörter, Verbreiterungen, Umständlichkeiten, schmückender und füllender Worte nötig. Vgl. Manh. 21.
6. Schwache Hebungen.
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samtheit den Versen einen leichten Charakter und stellen ein Gegengewicht her gegen die Beschwerung der Verse durch metrische Drückung. Das die akzentuelle Haltung und damit die Schwere der Flemingschen Verse Bestimmende ist aber ihre durchweg leichte, ungesuchte Sprache selbst, die sich, wie Oesterley bewundert, „in den schwierigsten Rhythmen und Reimverschlingungen mit spielender Leichtigkeit bewegt, so daß Sprache und Rhythmus sich nach denselben Gesetzen zu regeln scheinen" (S. 9). Und namentlich die Oden offenbaren Fleming als eine von jenen Dichternaturen, die Glück und Unglück nur in seiner Einfachheit und Größe vor sich sehend, ihren Freudenruf und Schmerzensschrei immer wieder in den einfachsten, natürlichsten, fast alltäglichen Worten wiederholen, die wie festgebannt gar nicht auf den Gedanken kommen, ihr Gefühl zu zergliedern und zu zergrübeln, nicht auf den Gedanken kommen, in künstlich geschliffenen Worten seine Strahlen zu zerlegen und zu brechen, die fast mehr in den den Naturlauten näherstehenden Tönen als in Worten zu denken scheinen. Daher auch die vielen, schon von Morhof (S. 654 f.) gepriesenen Wied erhol ungsfiguren1), die, den Vers nicht durch neue Gedanken und Begriffe beschwerend und nur seine rhythmische Form füllend, ihm noch größere Leichtigkeit und eine musikalische Färbung verleihen. Schließlich tragen auch manche der im folgenden unter dem Gesichtspunkt der Quantität zusammengefaßten Erscheinungen zur Erhöhung der Leichtigkeit der Flemingschen Verse bei. ') Vgl. auch Bornemann S. 487 u. Gervinus, Gesch. der deutschen Dichtung, 5. Aufl. Bd. III, S. 310.
Π. QUANTITÄT. Opitz setzte der Quantität gewisse Grenzen durch die Forderung der einsilbigen Senkung. Es fragt sich zunächst, durch welche Mittel der "Wortverkürzung uud der Wortverlängerung Fleming diese Grenzen inne zu halten suchte. Die Richtschnur gab auch hier wieder Opitz durch seine Regeln über die korrekte Wortform. Diese Regelung der Wortform bildet neben dem Akzentgesetz die zweite Seite der Opitzschen Reform und zwar, wie Scherer (Kl. Schriften Π. 376.) bemerkt, diejenige, durch die Opitz in noch stärkeren Gegensatz zur Metrik des vorangegangenen Jahrhunderts trat, als durch seine Regelung der Betonungsverhältnisse. Hatten doch auch schon vor Opitz feinfühligere Dichter akzentuell wenig anstößige Terse geschrieben oder gar die Forderung der Akzentbeobachtung mehr oder weniger scharf formuliert, aber ohne auch der zweiten Forderung gerecht zu werden. Bei Opitz dagegen stehen beide in innigster Beziehung zu einander: beide flössen sie aus derselben Quelle, der Betrachtung des isolierten Wortes und dem grammatisch-ästhetischen Bestreben, es in völliger Unversehrtheit, in vollkommener „Reinheit" auch im Verse zur Geltung zu bringen. Zesen setzt daher beide Forderungen auch auf eine Linie. „Nach Beobachtung des richtigen w o r t f a l l e s muß auch der gemeine gebrauch an und in der zahl der g l i e d e r iedweders wortes genau beobachtet werden." (Hei. I. 116). Aber gerade durch die Vereinigung beider Prinzipien wurde die Durchführung bedeutend erschwert, und oft genug lag die Versuchung nahe, nur die eine Seite zu beobachten und der das Sprachgefühl schwerer treffenden und darum vielfach schon früher vermiedenen Verletzung des Worttones durch Nachlässigkeiten in der Wortform zu entgehen, an die man in der Umgangssprache
1. Wortverkürzungen.
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ja doch meistenteils gewöhnt war. Um so schärfer zieht daher hier Opitz gegen die Reimstümper zu Felde: „Welchem die reime nicht besser als so von statten gehen, mag es künlich bleiben lassen: denn er nur die unschuldigen Wörter, den Leser und sich selbst darzue martert und quelet" (Br. 38). Und mit noch größerem Eifer und Geschrei stürmt die ganze Schar der Theoretiker hinter ihrem Führer drein.1) Welch ungeahnten Erfolg Opitz und seine Getreuen in ihrem Kampfe erreicht, wie sehr sie dadurch nicht nur auf die poetische, sondern die gesamte Schriftsprache der Folgezeit gewirkt haben, hat Burdach gezeigt. („Zur Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache" in den Forschungen zur deutschen Philologie, Festgabe für R. Hildebrand, Leipz. 1894). 1. Wortrerkürztrageii. Unter den Wortverkürzungen steht für Opitz die S y n k o p e an Wichtigkeit voran. Gegen sie ist jener Ausfall daher auch zunächst gerichtet. Aber nicht alle und jede wollte Opitz treffen: wo sie durch den Sprachgebrauch schon anerkannt war, wo „es in Cancelejen und sonsten üblich, auch im außreden nicht verhinderlich" (Br. 38) war, wollte er sie zurecht bestehen lassen. Es fragte sich nur, wann dies zutraf. Die von ihm angeführten Beispiele „trinkt, pflegt, wollt" sollten nur einen Anhalt für die Beurteilung geben, und Opitzens Yersgebrauch zeigt, das er die Grenzen nicht, wie man nach seiner Regel annehmen könnte, zu enge zog. Die folgenden Theoretiker, insbesondere Zesen (Hei. I. 119 ff.) suchen daher, die Möglichkeit einer leichten Aussprache als Richtschnur im Auge haltend, das Maß des Zulässigen genauer festzustellen. Aus ihren Erörterungen ist ersichtlich, daß die Synkope im allgemeinen nur innerhalb derselben Grenzen wie heute als statthaft galt. Daher finden wir auch bei Fleming zunächst häufig den Ausfall des e in mittlerer Silbe der Adjektiva ') ζ. B. Zesen: Man achte darauf, daß man ein wort in den reimen nicht nach seinem belieben um ein oder zwei wort-glieder ein-zihe und verstümmele, oder aber verlängere und aus-döne; welches von den unnützen reim-verstümpelern nicht auf dichterische ahrt gebunden, sondern hänker-mäßig gefässelt, in den stok geschraubt, gepeiniget und auf der folter aus-ein-ander gezogen heisset. (Hei. 1.116.)
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II. Quantität.
und Verbalformen, insbesondere der Partizipien: erlängre, verwundre (auch apokopiert —wunder'), erinnre; erfrorner, beladner, bezwungne, verborgnen, lautrer, offnen, ebner u. v. a. Daneben aber auch, wo es schon den Ohren der damaligen Zeit „härter klingt" (Zesen Hei. I. 121), bei den movierten Feminina. Wahrsägrin, Richtrin, Schäfrin, Beherrschen. Fleming geht aber über das Maß des den Theoretikern als erlaubt Geltenden hinaus durch seine zahlreichen Synkopierungen des e zwischen Dentalen. „Es mache den Vers" — so tadelt Tscherning an Beispielen aus Flemings Gedichten — „widerwertig, rauh, klötzig und unangenehm", vor allem zwischen zwei t-Lauten, „wo es gantz und gar nicht zu billigen, obschon Opitz selber uns hierinnen fürgegangen". (S. 119/20.) Sie scheinen aber der damaligen Sprache sehr nahe gelegen zu haben. Bei der letzten Art handelt es sich nur um Verbalformen, hauptsächlich um Formen des Präsens (3. Sgl. u. 2. pl.) und das schwache Partizip des Perfekts, seltener um das schwache Präteritum: veracht' sein (W. IV. 1, 189), verschmachter (W. I. 5, 8), gestalter (W. Π. 14, 63, I. 18, 30, auch in Prosa!), gefürcht't (W. III. 52, 74), getroste (S. IV. 53, 10, 0. ΠΙ. 19, 52), aufgericht' (W. II. 10, 7), angedicht't (W. ΠΙ. 2, 88); er redt (S. IV. 20, 4; 36, 9; W. IV. 46. 43; Ο. V. 24, 24; 29, 11), bedeut' (W. II. 7, 1), verschuldt (W. II. 9, 80), läut't (W. IV. 22, 20); er beredt' (Ο. V. 12, 32), furchte (W. I. 9, 81) u. a. (S. IV. 9, 7; 48, 3; 53, 9; 77, 3; 83, 12; W. ΙΠ. 6, 433; Ο. IV. 18, 5; S. III. 49, 7; 47, 12; W. I. 8, 4; W. IV. 1, 278; 38, 35). Daneben kommt hier auch die Bildungssilbe des Superlativs in Betracht: wertster, ältster, zärtster, berühmtstes, Betrübtster etc. Ferner die zweite Singularis des Präteritums: kuntst, wolltst, berichtetet, siegeltet u. ä. Auch nach s, wo Opitz die Superlativbildungssilbe nicht synkopiert (Baes. 80), findet sich bei Fleming einmal Synkopierung: Ο. IV. 10, 304 süß'ste. Hierin gehört auch vereinzeltes „den" für „denen", während an anderer Stelle (O.IV. 13,6) umgekehrt denen statt des sonst gebrauchten den steht; ferner ein Dativ pl. des Adjektivs in dem Verse W. I. 8, 33: in eisern Banden. Bei Diedr. v. d. Werder sind ähnliche Fälle (denn=denen; ihn=ihnen) nicht selten (s. "Witkowski D. v. d. W. 74.), und
1. Wortverkürzungen.
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selbst Opitz liebte die Synkope der Flexionssilbe vor und nach η nicht nur in poetischen Jugendsünden (Manh. 16; sogar: den Göttinn = —nen Baes. 80). Doch geht auch Fleming in der Synkope der Endung -en über den heutigen Brauch hinaus. Denn er synkopiert nicht nur nach kurzer oder unbetonter Silbe, wo es auch in der neueren Dichtung noch öfter begegnet: wolln, solin, geschmücktem, eiteln etc; sondern auch, wo es uns fremdartig anmutet, nach langer: hör'n, ernährn, ehrn, kehrn, führn; verlorn, geborn, erkorn, verschworn, warn. Ferner bei den Adjektiva auf „bar 1 : sichtbarn, manbarn, nutzbarn; und vereinzelt auch bei weiln (auch in Prosa). Die Beispiele zeigen aber, daß auch bei langer Silbe'die Synkope nur nach Liquida erfolgt, und es scheint, daß diese wenig anstößige Art damals allgemein als zulässig angesehen wurde. Wenigstens findet sie sich auch bei Opitz häufiger (Baes. 80 f.), und nach Zesen können „verlohrn und gebohrn" mindestens „zu ende der reime noch geduldet werden" (Hei. I. 132). Die Theoretiker aber bringen, soweit sie ausdrücklich von dem Verbot dieser Synkopen sprechen, nur Beispiele mit anderer Konsonanz wie fragn, folgn, liebn u. ä. vor. (Harsdörffer 104, Rinckarts Summarischer Diskurs... 1645, S. 69.) Jene Kürzungen stehen auch bei Fleming, wie Zesen es wollte, meist in Reim und Zäsur; doch wird man dahinter keine besondere Absicht und Überlegung suchen dürfen. 8 ) Unangenehmer berührt bei Fleming der ausgedehnte Gebrauch der es-Synkopen. Die Synkopierung des genetivischen es wurde schon damals bei harter Konsonantenverbindung vielfach beanstandet; so von Schottel in dem Opitzischen Vers: ') In diesen Ableitungen synkopiert Fleming dagegen niemals, wie noch D. v. d. Werder (Kochs Zeitschr. Neue Folge VII. 190) und selbst Gryphius (Manh. 15) sich gestatten, das a (sichtb're, dankbre usw). vgl. auch oben Anmkg. S. 36. ') Allerdings tritt gerade am Reihenende das e leicht unbemerkt und ohne große Störung wieder in seine Rechte ein, und die Synkope ist nur für das Auge vorhanden. Daher erhielt sich denn auch ein Vers mit weiblicher Zäsur: W. IV. 2, 33 recht leben, wol regieren, die machen, daß der Preis . . . unbeanstandet in der Ausgabe der Gedichte Flemings. Augenscheinlich ist auch hier die Synkope regiern (wie führn) beabsichtigt.
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II. Quantität.
Gott's Wahrheit, Gott's verstand etc. (S. 856), oder von Zesen in fleisch's, rausch's (S. 123). Es ist nicht besonders zu betonen, daß auch bei Fleming ähnliche Fälle wiederkehren, wenn auch nicht allzu häufig. — Opitz suchte ihnen gar auszuweichen. (Baes. 80). — Bemerkenswerter ist vielmehr, daß Fleming diese Synkope in ausgedehntem Maße auch auf das Neutrum des Adjektivs überträgt: düchtigs, geizigs, einigs; leiblichs, sehnlichs; ζwiefachs; furchtsams; fleischerns, gläserns; natürlich auch bessere, liebers u. v. a. Allerdings begegnet auch an den schon öfter zitierten Prosastellen einmal ein Lustigs und Nützliche (unliebere, billichers) neben der gewöhnlichen volleren Form. Das hindert natürlich nicht, den größten Teil der Synkopierungen dieser Art im Yerse der Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Metrums zuzuschieben. Namentlich bei der meist attributiven Stellung des Adjektivs vor Substantiv mit trochäischem Tonfall, während vor jambisch betontem Substantiv die dreisilbige Form gegeben war (s. oben S. 35), Doch ist nicht zu übersehen, daß die Scheu vor der von Opitz verpönten unflektierten Form („rot rößlein" Br. 37.) die Synkope vielfach erst nachträglich künstlich erzeugte: Weichs sterbliche Aug' (W. I. 18, 10). Keine bedeutende Rolle spielen bei Fleming die bereits von Zesen (Hei. I. 133) getadelten Synkopierungen des e zwischen Diphthong und r bzw. 1. Die eur, Feur, Schorsteinfeur, Greul begegnen nur selten. Häufiger schon die Synkopen zwischen bloßem Yokal und Konsonanz: blühnde, unversehne, verzihne; Dio Rein, Napän; ohr ( = eher). Doch zeigt das Zusammentreffen der Kurz- und Langformen mitunter auch hier deutlich in der Verwendung beider die Rücksichtnahme auf das Metrum ζ. B. Ο. Y. 13, 19 Laß uns blühen, wie wir blühn. Die im 16. Jahrhundert so häufigen Synkopierungen der Yorsilbe ge, zu denen auch nach Opitz die Dichter in der Yersnot gerne ihre Zuflucht nahmen 1 ), meidet Fleming außer ') Vgl. ζ. B. bei D. v. d. Werder: Gfangner, Glübde (Witkowski 74); bei Gryphius Gfahr, gringster (Manh. 1 5 ) ; und auch bei Rist: Gleit, Glegenheit u. a.
1. Wort Verkürzungen.
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in den durch die Entwicklung der neuhochdeutschen Sprache bestätigten Fällen. Nur in gnug, gnung, gnugsam, Gnüge, gnau weicht er vom heutigen Gebrauch ab. Doch war ihm hier neben der vollen auch in Prosa die kürzere Form nicht fremd, und Zesen findet nichts dagegen einzuwenden (Hei. I. 119). Willkommnen Spielraum bot Fleming die Möglichkeit einer Synkope des i in Ableitungen: Wo der Vers nur eine Hebung verlangt, tritt statt der dreisilbigen die zweisilbige Form ein. Doch geht Fleming in der Ausstoßung des i über die Grenzen der geläufigen Kürzungen wie heil'ge, wenger, einzger, einge, Kön'ge u. ä., die Zesen zwar auch nicht ganz billigen mochte (Hei. I. 122), kaum hinaus. Zusammenziehungen wie Bräutgam, Veilgen ( = Veiligen), oder Harnsche, Span sehe, Rigschen (von Riga) sind nicht häufig. Einmal wird sogar das i der Erudeng -in getilgt: W. V. 3, 7 Bühler'n. Sonst werden, wie gezeigt, diese Ableitungen stets durch Ausstoßung des mittleren Vokals gekürzt. Vor Vokal braucht Fleming das i zur Erreichung einer Kurzform mitunter konsonantisch: Lilgen, Spanien, Persien u. einige a. Daß Fleming auch das a ganz nach Bedarf synkopiert in draus, drauf, drinne, dran, drein, bedarf keiner weiteren Ausführung Als Synkope der Wortgruppe können Aphärese und Synärese betrachtet werden. Erstere findet sich bei Fleming nur da, wo selbst die Theorie sie gestattet, nämlich bei dem neutralen Pronomen es (vgl. Zesen Hei. I. 137, Tscherning 114) und hier fast ausschließlich in engster Wortgruppe, in der Stellung nach Verb, Pronomen oder Konjunktion: was hilfts, sie bergens, dir's, wenn's. Nur in seltenen Fällen tritt die Aphärese von es auch in anderer als der genannten Verbindung ein, so W. IV. 44, 89: wie gering's auch ist. Dagegen nimmt Fleming auf bequeme Aussprache auch hier kaum Rücksicht: weists, bists, geneußts u. ä. ') Einigemal begegnet auch, wie Zesen es nennt (Hei. I. 132), das ,lumpenwort" han statt haben. 4 QF. CXI.
50
II. Quantität.
Opitz gestattete die S y n ä r e s e im Anschluß an den Sprachgebrauch in Fällen wie „vom für von dem; zum für zu dem und dergleichen" (Br. 38). Fleming hält sich eng au die Opitzischen Beispiele und geht daher in der Zusammenziehung von Artikel und Präposition selbst über das Maß des heute Üblichen nicht hinaus. Die aufs, durchs, fürs (s — das), unterm sind die schlimmsten. Fleming ist hier sogar strenger als manche andere Dichter der Zeit, ja selbst strenger als Opitz: Eine Synärese des genetivischen des, die sich Gryphius („in's, von's, mit's" vgl. Manh. 16) und Opitz (Baes. 77) noch gestatten, kennt der Flemingsche Vers nicht. Ebensowenig, wie bei Opitz (ebenda), die des pluralischen den (zun ersten) oder die Verschmelzung des Artikels mit einem anderen nicht zu demselben Wortfuß gehörigen Wort, die Tscherning an Beispielen aus Opitz und Plavius (der's morgendts, einem's Herz, -s Leben) als besonders „hart und nach des gemeinen Pöfels ausspruch" lautend tadelt (S. 115). Um zu starke Verstümmelungen des Artikels zu vermeiden, kennt Fleming allerdings noch ein anderes Mittel: die A u s l a s s u n g des A r t i k e l s , von der er hin und wieder Gebrauch macht. In derselben Absicht ließ auch Gryphius „noch immer lieber den Artikel fort, als daß er ihn mit der Präposition verschmolz" (Manh. 16). Das Nachwirken des älteren Sprachgebrauchs leistete hier unverkennbar Vorschub. So heißt es bei Fleming: zu Stocke führen, zu Platze, zu Tempel gehen (W. III. 2, 386; O.IV. 10, 262; W. I. 9, 89), obwohl sich der Artikel hier zwanglos mit der Präposition verschmelzen ließe. Aber in anderen Fällen würde im 16. Jahrhundert gewiß die Verkürzung des Artikels eingetreten sein: Ο. IV. 10, 146 bis an Bauch; W. Π. 1, d. 12 in Augen, in dem Häupt, in Seiten und im Herzen (an, in = an'n? in'n? vgl. den = den'n) S. IV. 93, 4 ich, Tode naher Schwan. S. IV. 4, 7 in [der] Räuber Hände. W. IV. 8 , 4 9 GleichwieweitüberFelderdiekühneBienefleucht. W. IV. 31, 2 werd' unter Leute bracht. W. IV. 54, 38 der lebt und stirbt um Wette, (vgl. dazu 3, 74 wir leben um die Wette.)
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1. Wortverkürzungen.
Hier mag nicht unerwähnt bleiben, daß Fleming sich auch sonst mitunter dem Yers zuliebe, meist allerdings wieder im Hinblick auf den älteren Sprachgebrauch, ein Wort zu schenken scheint: W. IV. 54, 147 wie wol ein Kopf voll Witz und [ein] Leib mit Rüstung steht. W. II. 8, 8 - der dich zu einer Leich', uns [zu] Weisen hat gemacht. W. IV. 54, 247 Was [für] Strafe, der es bricht? W. IV. 84, 5/6 Ach aber weißt du nicht, in was [für] Nofr ich auch steh', in was [für] Qual ich auch bin? S. IV. 65, 5 Das kömt [davon] her, daß . . . W. I. 9, 241 als [ob] für uns stünde sein Schatten und nicht er. W. I. 9, 41 er bote sich [an], für uns das Lösegeld zu werden. W. III. 3, 11 Das sonst den Einsamen zu Händen [zu] stoßen pflegt. Von sonstigen, der Synärese nahestehenden Kürzungen begegnen bei Heining häufiger die von Tscherning (S. 117) bereits gerügten „naus, dortnaus, wonauß, nein, rein, rauß, rauf" für die entsprechenden hinaus, hinein etc. Auch bei dem Ausfall der Vorsilben ge- und be- werden zum Teil metrische Rücksichten maßgebend gewesen sein, nicht bloß stilistische. Wenigstens machte sich Fleming die durch den Sprachgebrauch in weiterem Umfang1) gebotenen Doppelformen zu nutze. So finden, sich bei Fleming gelegentlich die Partizipien: kommen, funden, gangen, troffen, blieben, gessen, geben, vorsehen, bracht, vorbracht; ihr liebtes Paar (W. HL 2, 389), ihr Liebten zwei (ebenda V. 269); auch der Ruch = Geruch (W. H. 2, 60). Ferner mit Ausfall der Vorsilbe be-: er trübt (W. I. 8, 21); freien = befreien (W. I. 9, 204); ein sonders Glück (W. IV. 53, 71); was liebt dir? und unmittelbar darauf: beliebt dir (Ο. IV. 10, 287, 298, 312). Vielleicht auch: dürfen = bedürfen (W. ΙΠ. 6, 133) und klagen c. acc. (W. I. 9, 23). ') Zesen meint allerdings, es sei „in gemeinem gebrauche nur anzutreffen: gierig, brauch, kommen, bräuchlich, der ruch" (Hei. I. 140). i*
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II. Quantität.
Wie weit auch sonstige Kurzformen wie in den Versen: W. I. 8, 13 Unträglich ist dein Zorn, 8, 47 Herr mildre deine Straf' und laß sie träglich sein, mit Ausfall der Vorsilbe er-, oder ΛΥ. I. 9, 39 Er war der Söhnungsrat, mit Ausfall der Vorsilbe ver-; oder das mehrmalige blicklich, Blick statt und neben augenblicklich, Augenblick u. ä. für die Beurteilung der Flemingschen V e r s t e c h n i k in Betracht gezogen werden können, mag dahingestellt bleiben. Wie für Synizese und Aphärese ist auch für den Abfall eines Schluß-e Stellung und Bedeutungswert des "Wortes innerhalb der engeren oder weiteren Wortgruppe nicht gleichgültig. Opitz schied bekanntlich nur zwischen der Stellung vor Konsonanz und der vor Vokal, zwischen A p o k o p e und E l i s i o n . Er zog zwischen beiden eine scharfe Grenze: Dort verwarf er den Ausfall des e kurzerhand und ausnahmslos, ebenso unbeschränkt forderte er ihn hier (Br. 36/7). Die Grundlage beider Regeln bildete auch hier wieder die gute Prosa, die Kanzleisprache. Die Apokope war ja, wie die behandelten Kürzungen, in ihrer starken Ausprägung eine Unart vorwiegend der oberdeutschen Mundarten und nur aus Bequemlichkeit weit über ihre Heimat hinaus in der poetischen Schriftsprache zur Geltung gekommen.1) Die Elision dagegen erstreckte sich in weitem Umfang auf das gesamte deutsche Sprachgebiet Daher bei den Theoretikern gerade hier vielfach die Berufung auf die „ungebundene Rede" (Poet. Trichter 103; Rinckarts 68; Zesen Hei. I. 124), und Diederich von dem Werder erklärt sogar, daß „an den fürstlichen Höfen, wo man sich vor allem befleißige, herrlich und gut deutsch zu reden, diejenigen, so das e hinden im Wort mit aussprächen, darüber ausgelacht würden" (vgl. Witkowski, D. v. d. W. 71). Dort ') Als charakteristisches Beispiel aus der Zeit unmittelbar vor Opitz kann Johann Rhenanus gelten, dessen Prosa fast frei ist von den in seiner Poesie unzähligen Apokopen und sonstigen Wortkürzungen, sodaß Losch sich sogar zu der Behauptung versteigt, Rhenanus habe „das Fehlen des Endungs-e als ein Merkmal poetischer Sprache angesehen". Vgl. Ph. Losch, Joh. Rhenanus, ein Kasseler Poet des 17. Jahrh. Diss. Marburg 1895. S. 85 f.
1. Wortverkürzungen.
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wurde Opitz aber durch sein Streben nach „ s p r a c h l i c h e r W i e d e r h e r s t e l l u n g der korrekten Lautform" über den guten Prosagebrauch hinaus zur Verallgemeinerung getrieben; h i e r trotz der inneren Abneigung gegen die Wortverstümmelung durch den ü b e r m ä c h t i g e n E i n f l u ß eines romanisch-antiken Versprinzips. Dort führte dies zu ungebührlicher Strenge und Beengung, hier zu einer der Sprache fremden Freiheit und Härte. Fleming nimmt auch diese Opitzischen Regeln unbesehen hin, ohne Nachprüfung und ohne ihre Wirkungen im einzelnen Falle abzuwägen. Daher das Bestreben, die Apokope auch in leichtester Form, wie bei der ersten Person Präsentis, zu meiden. Wo sie sich aber einstellt, sei es aus Versnot oder Bequemlichkeit, erscheint sie, mit demselben Mangel an Rücksichtnahme und Unterscheidung, selbst in härtester Form. Auf der anderen Seite eine noch treuere Durchführung des Elisionsgebotes in dem gleichen Geiste und von entsprechender Wirkung. So ist namentlich hinzuweisen auf die Tilgung des e selbst in der dritten Person des schwachen Präteritums, wo das e zur Wahrung des Tempuscharakters notwendig erscheint : er macht', herzt', hofft', sucht', lobt'; erzittert', wittert', täufet', eilet' u. v. a. Sogar Apokope ist hier verhältnismäßig häufig (vgl. z.B. W.IV. 17, 8 3 ; 41, 8 ; 46, 16; 52, 92; 53, 249; Ο. IV. 49, 12; S. I. 19, 2 ; 19, 6 u.a.), während Opitz sich ihrer gerade in dieser Form schon früh, vielleicht mit Willen, enthielt (vgl. Baes. 91). Bei den dreisilbigen Formen war aber, wie oben gezeigt, die Kürzung durch Synkope Fleming geläufiger als die durch Apokope, und Apokopen wie sendet', stellet' sind selten. Das β der Endung wird ferner abgeworfen, zuweilen auch wohl apokopiert (ζ. B. W. Π. 10, 31; 10, 38; W. IV. 14, 12; 23, 10; 46, 27), in den Formen des Konjunktivs, sowohl des Präsens als auch des Präteritums, „wo es billig hätte stehen sollen", bemerkt Tscherning unter Hinweis auf Flemingsche Beispiele hierzu (S. 111). Denn auch hier beruht zwar weniger der Tempusunterschied als der des Modus vielfach auf dem ausgeschlossenen Vokal, und überhaupt scheint das e, namentlich dort, wo der Konjunktiv nicht be-
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II. Qaantität.
reits durch den Umlaut gekennzeichnet ist, wesentlicher als in anderen Formen: er soll', er gieng', stieß', schlief', führet', stellt', treff', taug' u. s. f. Apokopen und Elisionen der übrigen Verbalformen können nicht besonders auffallen, auch nicht die häufige Apokope des Imperativs, meinte doch Schottel sogar, „die Gebietungs weisen" seien ganz allgemein „nach rechter natürlicher Form einsilbig und es bedürfe nicht eines Hinterstrichleins anzuhengen und das ausgelassene e, so eigentlich nicht dahin gehöre, anzuzeigen" (S. 856). Um so leichter konnte hier das Versbedürfnis neben dem Opitzischen Regelkodex für die Erhaltung oder Tilgung des e als Richtschnur dienen. Auch die Elision des stammhaften oder flexivischen e der Substantiva wird ganz mechanisch auf Grund des Opitzischen Gebotes durchgeführt. Sie erscheint daher in jedem Kasus, Genus und Numerus, bei Wörtern der starken und der schwachen Deklinationen, sogar im Genetiv Pluralis des Maskulinums: der Zweig', der Spieß' (W. III. 2,378 ; O.I. 3, 82). Und ebensowenig läßt sich bei der Apokope ein Unterscheiden beobachten. Allerdings ist sie hier keine häufige Erscheinung, zumal wenn man keinen allzu strengen Maßstab anlegt und von jenen zweifelhaften Fällen, in denen das e schon damals schwankte und in der heutigen Sprache ganz geschwunden ist, wie Gedicht', Stirn', Getränk' absieht. Feminina wie Sonn', mit Freud', in der Eil', Krön' Frankreichs, Liebst' Du, und Plurale wie: die Wind', -Strick', -Vorteil', -Feind', -Haar', -Wort' (auch in Flemings Prosa) stellen hier die anstößigsten Fälle dar, und wie die Beispiele zeigen, stehen ihnen ζ. T. noch ältere Kurzformen abschwächend zur Seite. Selbst im Dativ des Singulars, wo Tscherning sie noch rügt (S. 119), sind die Apokopen nicht zahlreich. Besonders hart berührt die Durchführung der Elision beim attributiven Adjektiv, dessen Flexion Kasus, Genus oder Numerus zu bestimmen hätte, oder, wie Harsdörffer sich ausdrückt, „wann das Geschlechtswort oder die mehrere Zahl es erfordert" (104). Der recht' Erretter, der verhasset' Ort, der sinkend' Abend, der streng' Hyrkan, die doppelt' Angst, die ausgesogen' Erde; das groß' Athen; die tapfer' Ahnen;
1. Wortverkürzungen.
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edel' Eltern u. s. f. (W. II. 9,130; W. IV. 53, 357; S. IV. 22, 9; W. IV. 52,83; W. I. 9,298; W. IV. 36, 2; 1, 165; 2 , 3 ; Ο. I. 13, 13; W. IV, 52, 15 ; 53, 196; Ο. I. 6,41; Ο. IV, 21, 85 u. a.). Schon J. P. Titz rüttelte an der Fessel, die das Opitzische Elisionsgebot hier auferlegte, und wollte lieber den Fluch des Hiats auf sich nehmen, als solche Härte ertragen. Eine Verbindung wie „der späte Abend" könne nicht sonderlich getadelt werden, meint er (vgl. Scherer, Kl. Sehr. II, 377). Allerdings kommt die entsprechende Apokope auch bei Fleming kaum vor. Apokopen wie „der lucker' Schnee, die tapfer' Seele, das überwunden' Geld" (0. IV. 9, 11; W. IV. 54, 50; "W. IV. 3, 16) sind Flüchtigkeiten, die sich, unterstützt durch die Eigenart der endenden Konsonanten, neben den hier sonst üblichen Synkopen einnisteten,1) vielleicht auch nur durch die Unachtsamkeit des Druckers oder Herausgebers sich einschlichen und beibehalten wurden. Es ist daher möglich, daß wir hier eine der wenigen Spuren einer selbständigen Beurteilung metrischer Forderungen und Wirkungen vor uns haben, zumal Fleming auch beim Hiat dem attributiven Adjektiv eine kleine Sonderstellung einzuräumen scheint (s. d.). Ein ähnliches Schwanken zwischen Synkope und Apokope zeigt sich vor Konsonanz auch bei den auf r endigenden Pronominaladjektiven. Doch ist Apokope das Gewöhnliche: unser' Sorge, unser' Gräber, die ander', ander' Länder, euer' Jungfrauen u. a. Auch bei den übrigen Pronominaladjektiven: mein, dein, sein, ihr, ein, kein, manch, etlich, begegnet neben der ständigen Elision zuweilen auch Apokope, „wiewol sonst nur der Pövel so zu reden pfleget" (Harsd. 104): dein' Gedanken, ein' Mandelnuß (acc.), sein' höchste Lust, ihr' helle "Wangen; und keineswegs, wie man etwa vermuten könnte, bloß in den Schranken des älteren Gebrauchs unflektierter Formen. Die sonst außer in den dargestellten Fällen vorkommenden Elisionen und Apokopen haben wenig Auffälliges. Nur sei ') Vgl. oben Synkope. Ebenso steht Apokope und Synkope mitunter beim Verb nebeneinander: „ich hunger* dich, ich wunder' mich" neben „wundre mich" u. s. f. (vgl. W. I. 12, 12; S. ΙΠ. 43, 11 u. W. IV. 23, 39).
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II. Quantität.
darauf noch hingewiesen, daß Fleming einigemal auch bei Eigennamen elidiert, obwohl Opitz diese von seinem Gebot ausschloß: Siren', Selen', Griech', Myrrh'; Paar', Saal', Ton', Muld' (Flüsse), auch mit Apokope eines ο in: Tass' Torquat' (Ο. IY. 33, 8) — wiederum ein Zeichen dafür, daß Fleming bei allem engen Anschluß an die Opitzischen Vorschriften sich in der Versnot doch leicht einmal davon befreite, weil ihm jene Regeln mehr als eine äußere Notwendigkeit und weniger als innere Nötigung, als eine aus der Einsicht in das Wesen der Kunstformen geflossene ästhetische Forderung erschienen. Daß Fleming auch das Schluß-e der Adverbien und Präpositionen vor Vokal stets, vor Konsonant ganz nach Bedürfnis des Verses tilgt, wird niemand besonders anstößig finden, wenn auch zugegeben werden muß, daß dieses e damals in weiterem Umfange für notwendig galt, als heute, und obwohl dementsprechend Opitz in steigendem Rigorismus viele Mühe darauf verwandte, die apokopierten oft', eh', ohn' zu entfernen (vgl. Euphorion VI. 40 Anm. 1). Die blinde, kritiklose Hinnahme der Opitzischen Regeln, als deren Folge sich die geschilderten Härten ergaben, verführte Fleming auch zur Elision vor h. Sie ließ ihn übersehen, daß die bevorzugte Stellung, die Opitz dem h vor allen anderen Konsonanten einräumte, indem er die Elision vor h uneingeschränkt freistellte (Br. 38), unberechtigt und nicht im Wesen der deutschen Sprache begründet, sondern fremden Ursprungs war. Und doch hatte schon Melissus den konsonantischen Charakter des doutschon h klar erfaßt. Zwar macht Fleming in den meisten Fällen keinen Gebrauch von der Erlaubnis der „Elision". Aber wohl weniger, weil er den wahren Wert des Hauchlautes doch ahnte und ihn nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen suchte — aus der Gewissenhaftigkeit, mit der vor h auch bei schwankendem Gebrauch des e der Apostroph gesetzt wird, und aus der Unterlassung geläufiger Synkopen zugunsten der Elision wie etwa in: führet' hin, edel' Hand etc. möchte man eher auf das Gegenteil schließen — vielmehr wird die sparsame Verwendung jener Elisionen auf ein Zusammenwirken von Eigentümlichkeiten der Sprache und des Flemingschen Charakters zurück-
1. Wortverkürzangen.
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zuführen sein, da einerseits der Eeichtum der Sprache an trochäischen Wörtern im alternierenden Yers von selbst einen bequemen Verzicht auf Elision mit sich brachte, und andererseits Flemings Natur nicht, wie etwa des Gryphius Art, dazu drängte, durch Kürzungen möglichst viel in den Yers hineinzuzwängen. Ohne festes Prinzip griff Fleming überall zur Elision, wo sie ihm den Versbau erleichterte. Der Bequemlichkeit diente auch die Freistellung der Elision im Reim. An sich vom Standpunkt des Hiats aus eher berechtigt als jene, stellte sie nur der willkürlichen Abwerfung des e, wie sie sich in der Reimnot schon immer gern einschleicht, einen Freibrief aus. War nur für vokalischen Anlaut des folgenden Verses gesorgt, so war die metrische Kunst auf der Höhe und tadellös. Bei Fleming, der ebenso lässig wie leicht reimte, kommt zwar Apokope im Reim ziemlich häufig, wohl häufiger als an anderer Versstelle vor. Doch ist auch er sichtlich darauf bedacht, selbst am Schloß der Strophe, durch vokalisch anlautenden Vers den Schein der Korrektheit und Regeltreue zu wahren. Daß in den weitaus meisten Fällen, in denen sich Versende und folgender Anfang nicht aufs engste aneinander schlossen, die Wirkung hier wie dort dieselbe war, beachtete er ebensowenig wie einer der vielen Reimschmiede, die mit dem Schwur auf die Opitzische Form glaubten genug getan zu haben. Die objektiven (Reimmaterial) und subjektiven Bedingungen des Reimes hielten aber die Elision doch in beschränkten Grenzen. Im Alexandriner fallen von hundert Elisionen nur etwa sechs bis sieben auf den (meist männlichen) Reim. Das Ende des ersten Halbverses dagegen, die Zäsur, nimmt gegen 30°/o für sich in Anspruch, d.i. etwa doppelt soviel, als im Durchschnitt jeder anderen Hebung zukommt. Bei dem stets männlichen Ausgang der vorderen Reihe kann dieser große Anteil der Zäsur nicht weiter wundernehmen. Sonst übt die Versstelle keinen wahrnehmbaren Einfluß auf die Häufigkeit der Elision aus. Nur daß natürlich die Elisionen von Senkung zur Hebung eine viel unbedeutendere Rolle spielen, als die von Hebung zur Senkung (10—15% : 90—85o/o). Von trochäischen Wörtern sind ja
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II. Quantität.
fast nur solche untergeordneten "Wertes wie ohn', eh' u. s. f., außerdem aber nur die wenig zahlreichen Kürzungen dreisilbiger Formen wie: führet' er, bezähmet' u. ä. an jenen beteiligt. Aber auch die Gesamtzahl der Elisionen ist bei Fleming nicht übermäßig groß. Auf hundert Alexandriner ζ. B. kommen etwa zehn. Bei Gryphius steigt ihre Zahl bis zwanzig, bei Opitz fällt sie — nach Manheimer — auf drei (Manh. 12). So verleugnet sich sogar in dieser untergeordneten Äußerung nicht die Eigenart Flemings. Gryphius suchte mit Absicht die Hilfe der Elision, um in dem klippenreichen Strom des Verses die schwere Last seiner Gedanken und Empfindungen glücklich von der Stelle zu bringen. Opitz ging ihnen offenbar aus dem Wege, weil er die „Reinheit und Unversehrtheit" des Wortes doch nur mit innerem Widerstreben der allgemeinen Elision überantwortet hatte. Fleming teilt weder die auf eigenem Urteil gegründete Abneigung des einen, noch die in der Grübelsucht wurzelnde Hinneigung des anderen: Frei und leicht läßt er sich vom Strom der Sprache dahintragen, nimmt die Elision auf, wo sie ihm begegnet, und hat nur selten nötig, ihren Beistand anzurufen, wo es gilt, eine Hippe zu umschiffen. Dem widerspricht nicht, daß in manchen Teilen seiner Dichtungen, in denen Fülle des Inhalts oder wie in vielen Jugendgedichten mangelnde Gelenkigkeit ihm mehr Hindernisse in den Weg legen, oder in denen auch die Art der Darstellung selbst (ζ. B. die Ich-Form) ihm unmittelbar eine größere Zahl der Elisionen zuführt, das angegebene Verhältnis auf das Doppelte und Dreifache steigt (ζ. B. W. V. 1—6: 25—28°/o). Und auch im einzelnen Vers, für den Ze'sen, ganz im Geist Opitzens, bereits eine „zweimalige auslaßung der selblauter" als höchst zulässiges Maß der Elision festsetzte, stehen mitunter gleich mehrere Elisionen hintereinander, ζ. T. im Zusammenhang mit besonderen stilistischen Erscheinungen: W. IV. 20, 19 so such' ein' ander' Statt. Ο. V. 38, 21 ich lauf', ich ruf', ich bitt', ich weine. Ο. V. 9, 21 ich ruf', ich seufz', ich fleh', ich bitt'. Während die Reihe der Apokopen fast ausnahmslos dem Einfluß des Metrums zur Last fällt, ist es bei den Elisionen
1. Wortverkürzangen.
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fraglich, wie weit wir sie als rein metrische Erscheinung, wie weit bloß als Folge der Sprachgewohnheit und der Autorität Opitzischer Regeln zu bewerten haben. Doch dürfte nach den bisherigen Ausführungen für den größten Teil nur letzteres zutreffen. Der Elision und Apokope steht äußerlich nahe der Geb r a u c h der u n f l e k t i e r t e n Form des A d j e k t i v s . Wiederholt schon blieb es zweifelhaft, ob die eine oder die andere Erscheinung vorlag, und die Beurteilung von Wendungen wie des Melissus „rot rößlein" zeigt, daß sie von Opitz und anderen viefach geradezu verwechselt wurden (Br. 37). Zuverlässig ist die Kenntnis und Anwendung jener Form bei Fleming nur im Neutrum Singularis des Adjektivs sowie bei manch, welch, solch (viel) u. ä. nachzuweisen. Aber auch hier Iäßt sich die Grenze zwischen ihrer metrischen und stilistischen Bedeutung nicht genauer festlegen. Zwar ist diese Form auch in Flemings Prosa und in der mancher Zeitgenossen noch lebendig. Doch sahen Buchner und Tscherning sie in Verkennung ihres Wesens gänzlich als dichterische Freiheit an (Tsch. S. 25), und auch Gryphius war sie vielfach anstößig (Manh. 14). Fleming selbst glaubt hin und wieder durch Apostroph den Ausfall einer Endung andeuten zu müssen: durch wild' Gestrüppe, dein recht' Vaterland, ander' wildes Vieh (W. IV. 1, 187; 1, 183; W. Π. 4, 5) usw. Er zieht es ja auch vor, durch Synkope der Endung -es eine Kurzform herzustellen (s. oben). Ein paar andere zweifelhafte Fälle des scheinbaren oder wirklichen Flexionsabfalles (-en, -et) wurden schon bei der Darstellung der Synkopen berührt. Auch die Frage nach der F l e x i o n s - oder G l i e d g e m e i n s c h a f t mag zunächst nur für die Stilistik Wert haben. Zesen und andere empfehlen sogar ihre Anwendung „des besseren Klanges wegen", selbst in so seltsamen Verbindungen wie „des schreib- und schickens, brüd- und schwester, handund wandel" (Hei. I. 136 f.). Es ist aber zweifellos, daß das Opitzische Alternationsprinzip dieses bequeme Hilfsmittel der Rhythmisierung besonders beliebt und häufig machte, wodurch die Theoretiker gerade darauf gebracht wurden, sie in ihren Poetiken zu erwähnen. Direkt falsche Bindungen
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II. Quantität.
wie in „Türk- und Tartern, Mitter- Tag und Nacht" (W. IV. 51, 159; W. I. 9, 268), in denen der gemeinsame Bestandteil nur dem einen Glied entspricht, sind bei Fleming selten. Sonst macht auch er sich jene Hilfsquelle ausgiebig zunutze1). 2. Hiat. Mit der Elision steht die Lehre vom Hiat in engstem Zusammenhang. Die Gebiete beider Erscheinungen decken sich; dieser kann als die Aufhebung der geforderten Elision und damit als Wortverlängerung zugunsten einer leichteren Rhythmisierung betrachtet werden. Denn die Hauptquelle des ästhetischen Mangels beim Hiat, in zwei Armen sich trennend und wieder vereinigend, entspringt zwar auf physiologischem Grunde, da die Unterbrechung des Sprachflusses infolge des zu jedem anlautenden Vokal notwendigen Kehlkopfverschlusses in der Aussprache unbequem, in der Auffassung störend, im Kunstwerk unästhetisch wirkt. Die menschliche Sprache sucht aber durch Elision oder andere Zusammenziehungen diesem Mangel zu begegnen; und so erscheint als zweite Quelle des ästhetischen Unbehagens beim Hiat der Verstoß gegen die Sprachgewohnheit. Im Deutschen, wo die Elision nur bei auslautendem schwachen e üblich ist, gilt dementsprechend selbst bei formstrengen Dichtern auch nur hier der Hiat als verpönt2). Allerdings wurde von ihnen, zweifellos unter dem Einfluß der antik-romanischen Lehre, auch schon die Feindschaft gegen den Hiat bei schwachem e über den Kreis der sprachlebendigen Elision hinaus verallgemeinert (vgl. den ') Beispiele: in Lüft- u. Klüften; in mein- u. deinem Herzen; dieser dein- u. unsrer Not; wir solt- u. musten; still- u. milder; glücku. fröhlich; gött- u. menschlich; die Schwind- u. Gelbesucht; u. s. f. *) Heutzutage ist, vornehmlich unter dem tiefgehenden Einfluß der Lektüre und der Schule, die uns anhält, scharf zu artikulieren und die Wörter und Wortbestandteile möglichst voneinander abzuheben, „er/innern" statt „e/rinnern", „be/ob/achten" statt „beo/bacliten", „ein/und/zwanzig" statt „ei/nun/zwanzig" u. s. f. zu sprechen, das Gefühl für Sprachkorrektheit stark ausgeprägt und ein Sichgehenlassen gilt als ungebildet. Daher sind wir einerseits der Elision abgeneigter und entsprechend gegen den Hiat nachsichtiger geworden. Andererseits nimmt die Selbstzucht des Gebildeten die kleine Unbequemlichkeit der doppelten Artikulation williger auf sich und läßt daher den Hiat auch von dieser Seite weniger empfinden.
2. Hiat.
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Aufsatz von J. Franck: Aus der Geschichte des Hiatus im Verse, ZfDA. 48, 147—161), Die Beziehung zwischen Elision und Hiat haben Opitz und die Seinen bei ihren Erörterungen über letzteren fast ausschließlich vor Augen und leiten die Notwendigkeit, ihn zu vermeiden, ganz daraus her. Opitzens Stellung zum Hiat läßt sich ja nur indirekt aus seinen Elisionsregeln erkennen. (Über die Stellung Zesens, Rinckarts, Weises vgl. Franck S. 150.) Für jenes tiefere "Wesen fehlt ihm und den übrigen die Empfindung. Und so ist auch Flemings Verhältnis zum Hiat durch die Darlegung seiner Elisionen bereits in den Hauptzügen gekennzeichnet. Die weitgehende, oft harte Elision zeigte, daß Fleming dem Hiat durchaus abhold war, — soweit Opitz es verlangte d. h. soweit er die Elision für notwendig hielt. In den 15—16000 Versen der Flemingschen Gedichte ist nur ein paarmal auslautendes schwaches e vor folgendem Vokal erhalten. Bei der in jeder Form zulässigen Elision und dem weiten Spielraum, den die Auflösung mancher geläufigen Synkope bot, war die Vermeidung des Hiats ja nicht schwer, und auch Opitz vermag ja hier seine eigene Forderung viel treuer zu erfüllen als irgendwo1). Auf einen Fall der Flemingschen Hiate in der Verbindung „leise Ohren" (S. IV. 20, 1) weist bereits Tscherning hin (S. 109) 2 ). Zwischen attributivem Adjektiv und Substantiv stellt sich der Hiat zwar leicht ein und wird hier am ehesten ertragen. Er würde auch in unserem Falle nicht sonderlich bemerkenswert sein. Doch ist es eigentümlich, daß derselbe Hiat in derselben "Wendung, was Tscherning entging, gleich dreimal wiederkehrt, außer an der genannten Stelle noch S. IV. 47, 5 und Ο. V. 25, 64. Bei ') Nach Buchner und Tscherning (S. 108) hat Opitz sich überhaupt nur zweimal einen Hiat der gedachten Art erlaubt, und dazu, wie Tsch. zu des Meisters Entschuldigung zu betonen nicht versäumt, „nur in Dolmetschungen", der Antigone und dem Lobgesang Christi. Nach Baesecke (83) fehlen 1625 die Hiate in gebundener Rede bei Opitz ganz. *) Ein zweiter Hiat, den Tscherning anführt' und der sich in den zweiten Wäldern finden soll (zum kriege auserkohren), ist in den Flemingschen Gedichten nicht aufzutreiben.
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II. Quantität.
der Sorgsamkeit, mit der Fleming in entsprechenden Verbindungen dem Hiat aus dem Wege gegangen ist — vor h, λνο Opitz es gestattete, stellt sich der vermeintliche Hiat sofort zahlreicher ein — ist dies immerhin auffallend. Das Epitheton mag Fleming selbst imponiert haben, sodaß er lieber das Odium des Hiats auf sich nahm als ihm entsagte: es findet sich auch noch W. I. 53 in anderem Kasus und Numerus, in denen kein Hiat vorliegt. Vielleicht schrieb aber auch Fleming ähnlich wie Zesen (Hei. I, 131 f.) dem Hiat eine onomatopoetische Wirkung zu und wollte hier das gespannte Aufhorchen des dem leisesten Hauche geöffneten Ohres charakterisieren! Außer in den genannten Fällen ließ Fleming sich nur noch einmal einen Verstoß gegen Opitzens Hiat- bzw. Elisionsregel zuschulden kommen: Ο. ΙΠ. 13, 30 der vierde in der Zahl. Doch ist eine größere Anzahl von Hiaten hier anzuschließen, die jenen im Wesen völlig gleich kamen, von Opitz aber gebilligt wurden, weil es sich um Eigennamen handelte: ζ. B. Lüne ists, Hippokrene ist versogen; Guin6e und Peru u. a. Fleming zeigt sich auch hier wieder als der getreue Schüler, der auf des Meisters Worte schwört und sich über das Wesen der Sache keine eigenen Gedanken macht. Die vereinzelte Elision des e der Eigennamen, die vorhin gestreift wurde, erscheint demgegenüber nicht als ein schüchterner Versuch, einer besseren Erkenntnis Geltung zu verschaffen, sondern als eine durch das Metrum bedingte Freiheit. Noch weniger Zurückhaltung legt sich Fleming natürlich auf, wenn es sich bei diesen Eigennamen um ein in dritter Silbe gehobenes e handelt. Entsprechend der Häufigkeit dieser Hebungen (s. oben) sind die Hiate hier verhältnismäßig zahlreich. Anders dagegen bei einem solchen e in einem anderen Worte! Zesen wollte hier den Hiat wenigstens in der Zäsur gestatten (Hei. I. 130), und es ist bekannt, daß selbst in der Vermeidung des Hiats strenge Dichter wie Goethe ihm in der Hebung nicht ausweichen. Bei Fleming aber .trotz der zahlreichen e-Hebungen, soweit ich sehe, kein Fall! Er führt auch hier die Elision streng durch; — denn Opitz kannte jene Ausnahme noch nicht.
3. Wortverlängerungen.
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Wie sich Fleming zum Hiat am Versende und dem vermeintlichen vor h stellt, ergibt sich aus den betreffenden Ausführungen über Elision. Schließlich bedarf es nach dem Bisherigen kaum des besonderen Hinweises, daß Fleming sich entsprechend dem geringen Verständnis, das er für den Hiat bei stummem e bewies, für den Zusammenstoß anderer Vokale ganz unempfindlich zeigt. 3. Wortyerlängerongen. Während Fleming sich beim Hiat genau an die deutlich gezogenen, nicht immer engen Grenzen der Opitzischen Regeln hielt, gab er seiner natürlichen Neigung, Satz und Wort auf die Länge des Verses zu dehnen, gleich weiteren Spielraum, wo Opitz seine Vorschriften nicht so scharf umrissen hatte. Zwar bestimmte Opitz, in seinem Streben nach Wiederherstellung der korrekten Lautform ganz konsequent nicht nur die willkürlichen Verkürzungen, sondern auch Verlängerungen des Wortes bekämpfend: „Ferner soll auch das e denen Wörtern zue welchen es nicht gehöret unangehencket bleiben" (Br. 39). Aber festzustellen, wann das e ungehörig war, blieb der Entscheidung des Einzelnen überlassen. Opitz unterzog sich dieser Mühe. Daher ist das gerügte e bei ihm selten (Baes. 78). Flemings Sache war es nicht Und so klagt schon Tscherning über seine Leichtfertigkeit in diesem Punkte (Tsch. 110 f.). Besonders liebt Fleming ein paragogisches e im Präteritum des starken Verbums, sowohl in der ersten wie dritten Person: pflage, gäbe, läge, sänge, aße, käme; zwunge, drunge; verbliche; flösse, gösse, flöhe, zöge, söffe; hielte, ließe, schriebe, bliebe, rieffe; ginge, umpfinge usw. (Ο. V. 26, 26; W . I. 9, 59; W . III. 4, 14; 2, 40; S. I V . 17, 7; W . II. 14, 45; W . I V . 1, 45; 21, 10; W . Π. 1. e. 8; W . I. 12, 7; W . IV. 1, 61; W . II. 1, 89; W . I. 9, 41, 50; W . I. 9, 74; W . II. 10, 3; W. I. 9, 287; W . I V . 46, 36; W . I. 9, 82, 89; S. IV. 60, 9; W. Π. 6, 3; 12, 28; W . I V . 1.64; 1,282; 35, 12; Ο. I. 3, 31 u. a.). Bei Gryphius erscheint das paragogische e nur in der Form sähe (Manh. 17), wo Opitz es übrigens auch für richtig hielt (Br. 27)*). Beim einfachen Substantiv scheint ') Auch Fleming erschien das e hier als wesentlich, wie aus der Gewissenhaftigkeit, mit der er auch vor Konsonanz den Ausfall
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II. Quantität.
Fleming dagegen vorsichtiger zu sein. Sieht man von den zwischen längerer und kürzerer Form schwankenden Neutra ab, so bleiben nur ein paar vereinzelte, dazu noch zweifelhafte Fälle wie „der Soldate", „die Bahne" übrig. Daß Opitz bei jener Regel insbesondere vor der unorganischen Verlängerung der Substantiva warnt, mag Fleming hier mehr abgeschreckt haben. Bemerkenswert ist nur, daß Fleming gerne nach Präposition, wohl nicht immer ohne Rücksicht auf den Vers, statt der gebräuchlichen kürzeren Form die längere setzt, selbst einigemal beim Femininum: aus Furchte, auf wilder Bahne, in Peine, bei Nachte (ältere Formen), ohne Mute, vor Zorne, für Sturme, mit Blute, nach Lobe u. s. f. Besonders reizten Nominal- und Verbalkompositionen und -ableitungen zur Einfügung eines unorganischen oder doch wenig gebräuchlichen e, vielfach auch zur Wiederaufnahme oder Neubildung sonstiger zweihebiger Formen: Schreibezeug, Schiedemann, Grabelied, Gelbesucht, Stillestand, herzelieb, Nordenwind, "Westenwind, Kriegessturm; abewaschen, abeziehen und die häufigeren Diminutiva: Bienelein, Mündelein, Lüftelein usw. Zesen wollte ein überschüssiges e überall dort gestatten, „wo es sein erbrecht hat, ob es schohn die zunge in gemeiner aussprache (auch wohl bisweilen die feder im schreiben) des wohlklanges bisweilen auch der kürtze wegen überhüpfet" (Hei. I, 117 f.). "Wie weitherzig er aber war, davon zeugt, daß er selbst einer dem Vers zuliebe neugeschaffenen Bildung wie „Nüßewald" statt Nußwald das Erbrecht zuerkennen will. Fleming ist aber doch sparsamer mit jenen Bildungen als etwa Rist, bei dem sie fast auf Schritt und Tritt begegnen1). Dazu kommen noch die häufigeren Auflösungen gewohnter Synkopen, auf die schon wiederholt hingewiesen wurde (teufelisches, höheste, beherzeter, Gelück, Genade, auch Friederich neben gewöhnlichem Friedrich). Auch einige Langformen bzw. Dehnungen wie Zoren, nichtes dieses
e anzuzeigen pflegt, hervorgeht:
vgl. W . IV. 53, 403;
0 . III.
16, 1; W . II. 12, 18; ebenso im Imperativ: siehe. ( W . I. 2, 19; W . V. 9, 41; S. III. 21, 8.)
Vgl. auch
den Imperativ
„verbirge"
W . I. 5, 2.
') Formen wie die bei Rist häufig wiederkehrenden; vollenbringen, vollenkommen, Seelichen u. a. sucht man bei Fleming vergebens.
3. Verlängerungen.
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statt nichts oder er täte, er weiste, er besprachte sich statt des sonst gebrauchten er tat, wies, besprach sich, ihme neben ihm, denen gleich den (Dat. plur.), ihr selbsten neben ihr selbst u. ä. könnten hier in Betracht kommen (vgl. O.Y. 1 7 , 5 3 ; W. IV. 1, 136; Ο. ΙΠ. 13, 7; W. Π. l e , 4; W. I. 9, 107; W. IV. 46, 68; W. ΙΠ. 2, 172; W. V. 10, 7; Ο. IV. 13, 6; W. II. 11,13). Ferner jene z. Tl. schon erwähnten eigenartigen Bildungen herumher, bevorab, bevoraus, ausverharrt, ausvertrucknen (Ο. Π. 9, 10; 0. II. 10, 23; Ο. Π. 8. 20; 12, 47; Ο. IV. 14, 62; W. Π. 2, 22). Tscherning tadelt auch die nicht seltenen abe, herabe, mitte. Manche der angeführten Gruppen von Verlängerungen sind aber mit vereinzelten Beispielen selbst in den kurzen Prosastücken der Flemingschen Gedichtsammlung vertreten. Drum darf auch hier das Metrum nicht für jeden einzelnen Fall der Verlängerung verantwortlich gemacht werden, wenn ihm auch eine große Zahl zur Last fallen mag. Doch beeinflussen sie in ihrer Gesamtheit den Charakter des Verses. Deutlich ist auch der Zusammenhang der metrischen Form mit gewissen Häufungen und Umständlichkeiten des Ausdrucks, die wie „Flickwörter" (Zesen) anmuten. Nach Konr. Burdach ist die ganze unter dem Einfluß des Opitzischen Kunstverses stehende poetische Schriftsprache gegenüber der des vorangehenden Jahrhunderts durch diese Vorliebe für wertlose formale Elemente gekennzeichnet (296), und auch die Theoretiker eifern heftig dagegen. Fleming hat im allgemeinen nicht oft nötig, zu ihnen seine Zuflucht zu nehmen. Wenn er hin und wieder, im Gegensatz zu seiner sonstigen Gepflogenheit, zum Possessivum den Artikel setzt, so mochte er sich dabei beruhigen, daß auch diese Konstruktion der Sprache noch nicht ganz fremd geworden sei. Die Rücksichtnahme auf den Vers wurde dadurch aber nur notdürftig verdeckt: Der euer weise Fleiß; den meinen Ehrengruß, der dein Strom (S. IV. 18, 6; 67, 7; W. ΙΠ. 47, 65). Auch die Wiederholung des Artikels wie in den folgenden Beispielen entsprang gewiß nicht immer einer künstlerischen Absicht: Die Königliche die, die, wie man ..; — die Himmelsleiter die, der Trost der Köninge; — die schöne Basilen die QF. cxi. 5
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II. Quantität.
muß ich nun verlassen; — die Auserwählte die . . . (Reim); — die diese Wiederkunft, die glückliche die machet — (W. I. 9, 2 9 5 ; S. IV. 79, 2 ; S. ΙΠ. 21, 9 ; S. IV. 85, 6). Auch sonst wird schon einmal ein "Wort wiederholt ohne sichtbaren künstlerischen Zweck: Da steh' ich Armer, ich; — die Brüder wünschen Glück zu diesen hohen Sachen euch, ihr Verliebten, euch; — es, es muß geschieden sein (S. IV. 74, 7 ; W. ΠΙ. 2, 2 3 4 ; Ο. IV. 35, 2). Dann gehört hierhin die Erweiterung des Relativums durch den Zusatz von „als": ihr, als die ihr es wisset; vielleicht auch eine Verdoppelung wie „selbselbstu in dem Verse S. IV. 22, 1 4 : Die auch die Traurigkeit selbselbst kan fröhlich machen; schließlich auch die Umschreibung des einfachen Verbums durch „tun" (z. B. W. ΙΠ. 2, 112, 150, 376). Doch hält sich Fleming gerade hier in beschränkteren Grenzen als die meisten seiner dichtenden Zeitgenossen Vergleicht man die Gesamtheit der Verlängerungen mit der der Kürzungen, so ergibt sich zwar rein zahlenmäßig ein bedeutendes Überwiegen der letzteren. Doch entspringt bei jenen ein größerer Prozentsatz unmittelbar der Rücksicht auf den Vers als bei diesen (Elisionsgebot!), und auch für die Beurteilung der typischen Quantität,— bei dem engen Zusammenhang zwischen Quantität und Schwere, indirekt auch der Schwere — der Flemingschen Verse fallen jene mehr ins Gewicht. ') Rist ζ. B. brauchte es in seinem Kriegs- und Friedensspiegel mehr als zwanzigmal zur Yersfüllung, vgl. Tittm. XLVI.
in. GLIEDERUNG (GRUPPIERUNG). Der naiv schaffende Dichter, noch ganz befangen in den vom Metrum auf der einen, von der Sprache auf der anderen Seite ihm gebotenen Gliederungen, wird sein Bemühen unwillkürlich darauf beschränken, beide mit einander zur Dekkung zu bringen. Zudem bietet der Reim als der am schwierigsten zu behandelnde Teil dem Dichter einen natürlichen Ruhepunkt. Nach ihm wird der ganze Vers gerichtet, über ihn hinaus erstreckt sich die Aufmerksamkeit des Dichters zunächst in der Regel nicht. Daher die Seltenheit des Enjambements, der Reimbrechung, bei Anfängern im Yersifizieren und in Zeiten primitiver Dichtung. Bs gehört ein feiner gebildetes Ohr dazu, die rhythmische Gliederung auch unter dem Enjambement herauszuhören, eine größere Sicherheit in der Handhabung des Metrums, ein freierer Blick nach vorwärts und rückwärts, um die Brechung mit Bewußtsein anzuwenden. Aber einmal, vielleicht bei zufälligem Erscheinen erfaßt, wird die Freiheit des Enjambements nicht leicht wieder aus der Hand gegeben, nicht nur wegen des besondern Reizes, den es richtig und mit ästhetischem Gefühl angewandt, dem Yerse verleiht, sondern auch wegen der größeren Bewegungsfreiheit und der leichteren Reimmöglichkeit, die es dem Dichter gewährt. Opitz gestattete bekanntlich die Brechung und empfiehlt sie sogar (Br. 42 f.). Aber es ist mit Fug daran zu zweifeln, ob er trotz seiner Versicherung, „daß es zierlich stehe", ein besonderes ästhetisches Empfinden dabei gefühlt habe: Er Schloß sich einfach an seine Vorlagen und Autoritäten an. Daher kennt er jene auch nur beim Alexandriner und den „gemeinen Versen" und auch hier nur nach der Zäsur. 5»
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III. Gliederung.
1. Kettenbrechung an Zäsurstelle. Da der Alexandriner (wie auch der strenge vers commun) seinem Wesen und seiner Entstehung nach keine einfache Reihe, sondern eine Kette, ein zweireihiger Vers ist, so ist die von Opitz empfohlene Brechung im Grunde dieselbe, die auch in der mittelhochdeutschen Blütezeit als metrische Schönheit galt und allgemein gepflegt wurde. Doch wurden hier die beiden durch den Sinn getrennten Reihen durch den Reim wieder zusammengeschweißt und als zusammengehörige Kette herausgehoben; durch den Reim, der sich in den beiden Reimwörtern als Erregung und Befriedigung, als Erwartung und Erfüllung darstellt und in dem jedesmaligen Abschluß dieses Widerspiels auch mitten im Fluß der Sprache einen idealen Ruhepunkt bildet Beim Alexandriner dagegen werden die von einander gerissenen Reihen nur mehr indirekt wieder verbunden. Die historische Entwicklung des Verses und die einseitige Auszeichnung des Kettenendes durch den Reim läßt hier, ähnlich wie bei den unterbrochen gereimten Versen, nicht mehr die einzelne Reihe, sondern die Kette als das Normalmaß des Verses erscheinen, das auch über den syntaktischen Bruch hinaus auszufüllen, unser Empfinden drängt. Der Zusammenhalt der gebrochenen Kette ist demnach hier entsprechend schwächer und ästhetisch weniger befriedigend als dort. Nach der eindringlichen Empfehlung durch Opitz erschien die Brechung an Zäsurstelle als eine besondere Schönheit, durch die man mit Bewußtsoin den Vers zu schmücken suchte, und bei der geringen Schwierigkeit, die der Alexandriner bietet, — „geht hurtig von der Faust und leichte Reime giebet" heißt es von ihm schon in der gereimten Kösener Poetik (vgl. Bor. Ren. 133) — war es eine billige Zier. Gervinus (ΙΠ. 311) rühmt Fleming besonders wegen der Beweglichkeit, die er durch die genannten Brechungen seinen Alexandrinern zu verleihen weiß, und preist ihn deswegen vor anderen: „Wie schüttelt Fleming an der unleidlichen Fessel des Alexandriners! Durchgehend zwingt er ihn zum leichten Tanz dadurch, daß er den Sinn mit der Zäsur schließt, was den Charakter dieses Maßes ganz wesentlich ändert, das bei
1. Kettenbrechung an Zäsarstelle.
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Opitz immer im schwerfälligen Parademarsch auftritt"1). In der Tat ergibt eine Auszählung für Fleming eine höhere Durchschnittszahl der Brechungen als für Opitz und etwa für Rist. Bei Rist sind von hundert Alexandrinern gegen zehn an Zäsurstelle gebrochen, bei Fleming aber zwanzig bis fünfundzwanzig, Opitz hält zwischen beiden ungefähr die Mitte. Aber nach den bisherigen Beobachtungen können wir jenem Lobspruch, soweit er Fleming selbst und nicht bloß seinen Versen gilt, nicht ganz zustimmen. Die größere Beweglichkeit, die Flemings Alexandriner durch die häufigere Überführung des Sinnes erhalten, wurzelt weniger in eigenem künstlerischen Empfinden. Sie ist vielmehr in der Hauptsache nur ein neues Zeichen für die im Vergleich zu manchem anderen Dichter der Zeit größere Abhängigkeit Flemings von Opitz oder doch für sein rückhaltloseres Eingeben auf des Schlesiers metrische Ideen. Daher wird die Brechung auch öfters durch Anhängung eines inhaltleeren oder -armen Halb verses erst künstlich erzeugt, wie in den folgenden Beispielen: W. I. 2, 33 ff. — Seid nicht so unverständig wie Gäul' und Mäuler sein, die eh' nicht werden bändig, als wenn ihr wildes Maul ein scharfer Zügel zwingt, daß ihnen Blut und Schaum durch beide Lefzen dringt, da werden sie erst zahm. / W. Π. 12, 11 ff. — Du wirst, du schöner Knabe, im Lenzen deiner Zeitgeführtzu deinem Grabe, gerissen wirst du hin! / W. IV. 23, 3 ff. Zwar wäre Wündschen Können und wäre Wollen Tun, du solltest nicht von hinnen ') Auch Morhof hat schon die größere Beweglichkeit der Flemingschen Verse gegenüber denen Opitzens herausgefunden: „Man lese Herrn Opitzens und Herrn Flemings Carmina, und halte sie gegen einander, man wird eine grosse Ungleichheit der Rhythmi halber finden. Denn bey dem Fleming ein concitatior numerus sich findet als bey dem Opitz". .Unterr. von d. deutschen Sprache u. Poesie S. 505.
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III. Gliederung.
und so den Rückzug tun. / Ich läge dir stets an, damit mein langer Weg nicht würd' ohn dich getan, ο du mein Pylades! / \V. IV. 31, 67 ff. verstehst die dunkeln Sachen die manchen in der Schrift der "Weisen irre machen und lange halten auf. / u. s. f. Besonders reich an leeren Fortsetzungen zum Zwecke der B r e c h u n g s i n d die ältesten Gedichte Flemings, in denen auch ganz nach Art der zur Übertreibung neigenden Nachahmungssucht die Brechungen durchweg noch häufiger sind als später. Immerhin ist die Geschmeidigkeit anzuerkennen, mit der Fleming das Opitzische Prinzip zu verwirklichen vermochte. Jene Zahlenangabe gilt aber nur für die Alexandrinerreimpaare, nicht auch für die kreuzweise gereimten elegischen Alexandriner und nicht für die Sonette. Nach Borinski (Stud, ζ. Litteraturgesch., Μ. Bernays gewidmet, 1893 S. 53) müßte man beim Sonett, „derjenigen Strophenform, deren Beliebtheit und ausdrückliche Anpassung an künstlich verschränkte oder hingehaltene Sinnfügung die Neigung zum Enjambement am stärksten wachrief", eine größere Häufigkeit der Brechungen erwarten. Dies mag für einen bloß unter dem Einfluß des Metrums und der Strophenform das Enjambement ausübenden Dichter zutreffen, nicht aber für eine die Brechung suchende Zeit und nicht für Fleming. Wie die Sonette des Gryphius, so weisen auch die Flemings weit seltener die in Frage stehende Sinnesüberführung auf, bei Fleming etwa nur halb so oft als die gewöhnlichen Alexandrinergedichte. Bei Opitz tritt diese Sinnesüberführung hier ganz in den Hintergrund. Ob sich aber dafür mit Manheinier (S. 20) eine künstlerische Absicht geltend machen läßt, die die Brechung im Sonett für *) Mitunter mögen sie auch lediglich der Versfüllung dienen. Ein unvollendeter Vers in dem Sonett IV. 38 scheint darauf hinzudeuten: V. 1/4 Was Seele war es not so einer reichen Gaben, darzu so manche Welt ihr Bestes hat gesandt ? das braune Mohrenland sein rein gewaschnes Gold; usw.
1. Kettenbrechung an Zäsnrstelle.
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weniger notwendig hielt „als im viel eher monoton klingenden Alexandrinerkouplet", scheint mehr als zweifelhaft "Vielmehr liegt auch hier der Grund in der unmittelbaren, dem Dichter unbewußten Beeinflussung durch die Form selbst. Mögen auch Reimnot und die durch das Reimschema begünstigte Übersicht über das Ganze vereinzelt die Brechung nahe legen und fördern, so mußten doch gerade die größeren Schwierigkeiten des Sonetts und die Einstellung des Blicks auf den Reim die freie Beweglichkeit in der Handhabung von Sprache und Metrum hemmen und oft genug1 zu einem bewußten oder unbewußten Verzicht auf den von Opitz gepriesenen Schmuck führen. Dann darf aber auch nicht übersehen werden, daß auf hundert Sonettverse ca. 14, oder bei der fast durchgängigen Beobachtung des Sinnabschnittes zwischen Quartetten und Terzetten (s. unten!) gar 28 der Brechung natürlich weniger ausgesetzte Anfangs- bzw. Schlußverse kommen, bei den durchweg umfangreichen Reimpaargedichten aber kaum 2. Damit hängt es auch hauptsächlich zusammen, daß die Terzettverse an der Yerringerung der Brechungen mehr beteiligt sind als die Quartettverse, da bei jenen das Verhältnis der Anfangsund Schlußverse zur Gesamtzahl ja größer ist als bei diesen. Aber nicht nur in den Sonetten, in entsprechend milderer Weise läßt sich selbst in den elegischen Strophen der Einfluß der Form an der Verminderung der Brechungen spüren. Sie stehen fast in der Mitte zwischen den gewöhnlichen Alexandrinergedichten und den Sonetten. Opitz unterliegt auch hier wieder, wie in den Sonetten, weit mehr dem Zwange der Form als der leichtreimende Fleming und muß wie dort fast ganz der „zierlichen" Überführung des Sinnes bis zur Zäsur entsagen1). Etwa nur die Hälfte der in dieser Weise gebrochenen Verse stehen bei Fleming einzeln über die Dichtungen zer') Zum Teil mag allerdings diese Verminderung der Brechungen darauf zurückzuführen sein, daß Opitz tatsächlich, zwar nicht auf Grund der eigenen künstlerischen Einsicht, sondern im Anschluß an seine Vorbilder, die Brechungen hier für weniger nötig hielt als sonst, daß er also bei jener Empfehlung des Enjambements in erster Linie die Alexandriner kou ρ l e t s im Sinne hatte.
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ΠΙ. Gliederung.
streut. Die übrigen sind zu zwei und mehr miteinander verbunden. Es ist, als ob eine Brechung die andere nach sich ziehe: Das lebendige Gefühl für die Doppelreihe des Alexandriners beschneidet auch bei Brechung unwillkürlich Satz und Gedanken auf das Normalmaß, sodaß sich nach einer Brechung an Zäsurstelle das Ende des Satzes von selbst wieder bei der nächsten Zäsur einstellt. Aber auch die Neigung zu Parallelismus und Antithese, die in der zweischenklichen Natur des Alexandriners wurzelt und, wie die Yorliebe für diesen selbst, in der verstandesmäßigen Auffassung und rhetorischen Behandlung der Poesie ihre Hauptnahrung fand, spielt hier mit. Bei stumpfem Ausgang des Verses bilden sich so häufig rhythmisch vollkommen gleichwertige Alexandriner im Alexandriner, und nur am Reim läßt sich der Alexandriner des Versschemas erkennen. Auch der von zwei zu zwei Versen wiederkehrende klingende Ausgang, meist bloß auf schwachem e beruhend, fällt bei der Brechung nicht viel mehr ins Ohr und vermag die Beirrung des rhythmischen Gefühls nicht ganz hintanzuhalten. Die in dichter Folge sich drängenden Brechungen, wie sie sich bei Fleming manchenorts zusammenfinden, kehren daher die rhythmische Ordnung beinah völlig um und geben dadurch deu betreffenden Stellen ein eigenartiges, vielfach im Ethos begründetes Gepräge, ζ. B. in dem Gedichte „Lob eines Soldaten zu Rosse" (W. IV. 3, 51 ff.) oder W. IV. 20, 49 . . . „Ich muß die Leute preisen, die so wie diese sind. Besteht es auf Erweisen, so hab' ich überrecht. Wer lobet nicht deu Man, der sein' ist weil er ist? der alles missen kan und alles haben auch? Er ist dazu geboren, daß er vergnügt kann sein. Man klaget nichts verloren, wenn sich der Vater legt: seins gleichen, er, wächst auf, der wohlgezogne Sohn. Erfolgt kein Erbgut drauf, so ist er selbst sein Teil. Kein Geld gehört zum Leben. Aus Golde wird kein Blut. Er sieht ihm, was ihm eben, ein trächtigs Plätzlein aus, das er nicht kaufen muß, als wie man etwan tut." usw. oder W. I. 3, 5Off.: „Mein ') Um eine Beurteilung bloß durch das Ohr (und nicht auch durch das Auge) zu ermöglichen, wurde auf das Abheben der Verse im folgenden verzichtet.
2. Kettenbrechung verbunden mit Reihenbrechung.
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Schmerz ist immer neu. Herr nim doch Du zu Ohren mein heiser Notgeschrei! Dir beicht' ich meine Schuld, ich sorge stets für sie. Herr habe doch Geduld und töte mich nicht gar! Sie, meine Feinde, leben und trutzen auf die Macht. Sie seh' ich oben schweben und größer sein als ich", usw. (vgl. ferner: W. IY. 4 ; W. IY. 54, 33ff.; W. ΙΠ. 7, 45 ff.; "W. IV. 20, 13 ff.).
2. Kettenbrechung verbanden mit Reihenbrechung.
Opitz erwähnte und empfahl nur die bisher behandelte Art der Yersbrechung. Eine Überführung des Sinnes bis zu beliebiger Stelle des Yerses war ihm in der Theorie fremd. In der praktischen Ausführung kannte er sie aber gar wohl. Yersnot und Bequemlichkeit führten leicht dazu, weshalb sie auch besonders in seinen Sonetten auftaucht. Sie ist hier wie auch in den elegischen Strophen etwa ebenso häufig wie die andere Art. Aber bei der Überarbeitung seiner Gedichte suchte er sie überall, wo es sich eben machen ließ, auszumerzen1). Erst Zesen und später Tscherning erwähnen und verwerfen sie ausdrücklich. „Es verstellet den Keim", meint Tscherning, „wann der Periodus mit einem einzigen worte zu anfange des anderen Verses geschlossen wird" (141). ') Vgl. die Lesarten im Neudruck ζ. B. zu Sonett 50. Die Fassungen der ersten und zweiten Ausgabe seien hintereinander gestellt: V. 3 ff. Α Der dich mit trefflichkeit der edelen Gestalt Begabt / daß seine Macht werd' in dir recht gespüret. Inkünftig weiter nicht zu klagen dir gebüret In deinem hohen Sinn, der Haß und die Gewalt Ist auß / die zwar dein Feindt, doch Trost u. Aufenthalt. In Β heißt e s : Der dich verehret hat mit edeler Gestalt Daß seine hohe Macht recht werd' in dir gespüret. Inkünftig weiter nicht zu klagen dir gebühret. Es sind hinweg gethan der Haß und die Gewalt, Die zwar bisher dein Feind, doch Trost u. Aufenthalt. Noch mehr verhaßt ist aber Opitz ein Verstoß gegen die Sprachkorrektheit. Um einen solchen zu entfernen, bringt er in die ersten Verse desselben Sonetts gar ein engstes Enjambement hinein. A 1/2 Du hochgeborne Frau, die du so reich gezieret mit Gaben und Geschenk des Himmels mannigfalt Β 1/2 die du so reich gezieret Bist mit des Himmels Güt' und Gaben mannigfaU.
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III. Gliederung.
Ähnlich Zesen (Hei. I. 66). Aber wie roh muß trotzdem noch das ästhetisch-rhythmische Gefühl gewesen sein! Die ganze ästhetische Öde der Zeit und das Unvermögen selbst der Besten, die Kunstformen anders als verstandesmäßig klügelnd zu erfassen, werden grell ins Licht gesetzt durch eine beschönigende Bemerkung, wie sie Zesen an die Yerse: Wie hat so bald der tod des lebens faden abgeschnitten dier ο Freund . . . anschließt: „Alhier wird dieses wort wie seel und leib in unserem letzten abschiede gleichsam von einander gesondert und zerrissen"! (Η. I. 63). Zu derartigen, an den meistersingerischen Spottvers: J ) „Schuh- macher und Poet dazu" gemahnenden Brechungen greift Fleming allerdings nicht. Im übrigen hält auch er sich ebensowenig wie Opitz bei der Überführung des Sinnes stets an die Zäsur. Weitaus am häufigsten findet die Brechung des Verses bei Fleming nach der dritten Silbe des Verses statt. Auch Rist gibt der Stelle unwillkürlich den Vorzug. Der Reichtum der Sprache an amphibrachischen Wortfüßen oder akzentuellen Gliedern (vgl. Minor S. 153, 167) scheint hier seinen geheimen Einfluß auszuüben: 2 ) W. IV. 54, 224 f. Wem Einfalt nicht gefällt, dem mißfällt, was ich tu' und nicht tu'. / Man kennt stracks.. ') In der Tat wurde damals schon das Enjambement zu scherzhafter Wirkung ausgenutzt. Tscherning glaubt sogar die Dichter darauf aufmerksam machen zu müssen, durch ungeschicktes Enjambement keinen Anlaß zu mißbräuchlicher Entstellung des Sinnes zu geben: „Man sol sich hüten, daß nicht etwan eine zweifelhafte unverschämte Deutung daraus erzwungen werden könne, wie dann dergleichen weltlieder offtmal mit fleiße gemacht werden" (S. 142). Er würde gewiß auch an einem Flemingschen Verse: — „Ganz Riga das ist voll des Ruhmes, der ihn ehrt" (W. IV. 31, 86) Anstoß genommen haben. *) Entsprechend auch bei den Odenversen ζ. B.: Ο. II. 5, 22 Ist besser nicht gehabet haben als gar nicht? Was jung wird vergraben . . . Ο. IV. 27, 31 Aus diesem Becher schenk' ich dir mein Herze; trink es Schatz!
2. Kettenbrechuag verbanden mit Reihenbrechnng.
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W. III. 7, 87 f.
Und daß mans ja wol kan besehen, / stecken wir für eins zehn Lichter an. W. IV. 45, 6ff. daß wir] unsrer Freunde Schar, die durch die lange Nacht in süßer Fröhligkeit an unsrer Tafel wacht, erzählen, / was wir hier nach langer Länge sehen . . . W. I. 11, 8 ist sie schon auf den Flug die Seele, / so ists aus. W. III. 4, 13 — — Nun eben dieser Tage begabs sich, / daß Gott Mars auch in der Ruhe läge. (Weitere Beispiele W. Π. 8, 24; 9, 51; 9, 103; 9, 115; W. III. 2, 215; 4, 22; 6, 414; W. IV. 2, 33; 31, 86; 46, 7; 54, 265; 53, 397; S. IV. 19, 12 u. a.). Nicht ganz so häufig wie die amphibrachischen Wortfüße sind die jambischen. Dem entspricht auch die Zahl der Brechungen nach der zweiten Silbe, sie steht der vorigen ein gut Stück nach: 1 ) W. Π. lb, 28 Ο streckstu deine Hand zu Mars? Ja freilich wol . . . W. II. 1 c, 7 f. Doch Frühling, Veiligen, Schein Blätter finden sich mit Zeit / ο welche Zeit wird wiederbringen dich ? S. IV. 4, 10 — — Kupido lachte dessen und sprach: / Nun darf ich fort gar keiner Pfeile mehr. S. IV. 49, 10 kein Gott, kein Mensch, kein Wild und keine Kreatur ist hier, / auch keine Luft, ohn' d i e . . . W. I. 5, 49 Der Unterdrückten Wunsch, das auserpreßte Flehen hört er, / laßt keinen Man nicht hülflos von ihm gehen. ') Im ungebrochenen Vers fällt auch der bedeutendste rhythmische Einschnitt der Reihe, die Fuge, meist hinter die zweite, oder, wie im Französischen (vgl. Saran 187), hinter die dritte Silbe. Offenbar hängt das mit derselben Ursache zusammen wie die beiden Brechungserscheinungen.
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III. Gliederung.
(Weitere Beisp.: W. II. 10, 37; W. I. 9, 255; W. ΠΙ. 2,103; W. IV. 21, 7; 32, 13; S. IV. 4, 13.) 0 In ihrer Gesamtheit heben sich die beiden bisher genannten Brechungen scharf ab von der Summe der übrigen hier in Betracht kommenden Brechungen. Es schließt sich, wenn auch in weiterem Abstand, an zunächst die Sinnesüberfiihrung bis zur ersten Silbe. Durch die mit ihr gegebene G-liedbrechung macht sie sich besonders stark fühlbar, und zwar umsomehr, je leichter die abgetrennte Senkung ist: W. IV. 2, 187 f. Der strenge rote Strom schoß zwischen seinen Klüften hin, / schnellen Pfeilen gleich und Blitzen in den Lüften. W. ΙΠ. 2, 75 Der Anemonen Pracht macht, / daß die kluge Frau oft' in sich selbsten lacht. W. III. 2, 56 und dichtet allbereit das, / was man rühmen muß. (vgl. weiter W.II. 1,6; 9,56; S.IV. 66,3; W.I.7,3; 9,21 u. 155).«) ') Ganz ähnlich gestalten sich diese Brechungen in den jambischen Liederversen, ζ. B.: Ο. IV. 7, 45 daß, wenn sie sehn, daß sich die Oder hoch schwoll auf, / es müss' anoch durch euch geschehn! Ο. V. 17, 3 So laß die eiteln Sachen stehen mein Sinn, / und gieb dich nur darein! Noch leichter ergibt sich natürlich im trochäischen Odenvers eine Brechung nach dem ersten Fuß: 0. III. 3, 66 weil sie meint die muntre Welt wisse, / was sie heimlich hält. 0 . III. 20, 7 Zunder ist sie bei der Glut, bei der Flut Triebsand, / der die Feuchte trinket. ') Die entsprechende Art der Brechung findet sich auch in den Oden. Bei trochäischem Metrum ist keine Gliedbrechung damit verbunden und der Eindruck daher, wie mir scheint, etwas milder. Weiblicher oder männlicher Ausgang des vorangehenden Verses ist dabei gerade hier nicht ohne Bedeutung: Ο. I. 3, 72 Stelle deine Schlachten ein Mars! und lerne milder sein.
2. Kettenirechung verbanden mit Reihenbrechang.
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Immerhin selten, ist diese Brechung doch noch häufiger als die nach der vierten Silbe: S. IV. 64, 11 ff. — Dir aber schönster Brand der tausend Sachen Glut sei diß für andern allen geheim gesagt: / Du bist Klolate genant. W. Π. 1 d, 13 — Ich muß dich sehen an und denken dein, / solt ich gleich noch mehr Schmerzen han. Ganz vereinzelt kommen Brechungen nach der fünften Silbe vor.1) Möglich, daß Fleming hier wie bei der zuletzt besprochenen Art bewußt oder unbewußt darauf ausging, der nahen Zäsur keine Schwierigkeiten zu bereiten, wahrscheinlicher, daß er aus Gewohnheit den Sinn bis zur Zäsur fortzuführen suchte, wenn er sich genötigt sah, bis zur vorletzten oder gar letzten Silbe an sie heranzurücken: W. I. 9, 267 — Der doch in seiner Macht, was Auf- und Niedergang, was Mitter-Tag und Nacht in sich bearmet, / hält. W. Π. 9, 45 — der Sieg, der Lohn der Stärke sitzt mitten innen, I gleich zu oberst an dem Werke. Die bisher besprochenen Fälle der Brechungen betrafen nur den ersten Halbvers. Ihnen gegenüber treten die Brech0. V. 5, 43
Ihr ihr übrigen drei Lieben weint! Doch weinet, wie ihr solt! femer Ο. Π. 11, 79f.; 0. IV. 10, 235f.; W. V. 8, 47; Ο. V. 17, 8. *) Auch diese und die vorherige Brechung kommen in den Oden vor; die Brechung nach der vierten Silbe besonders bei trochäischem Maß, ζ. B.: Ο. V. 92, 66f. Hast du nicht Schuld, / daß ich so elend bin. 0. II. 10, 49 . . . . so war deines Lebens Zier junger Schürer! / Deine Blüte war ein kurzer Sonnenschein. 0. II. 14, 37 Assur wurde teil den Persen, diß den Griechen. / Dessen Fersen folgte nach die ewge Stadt, ferner Ο. V. 32, 20 ; 0. II. 10, 80; 14, 34; 0. III. 1, 59.
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III. Gliederung.
ungen der zweiten Reihe an Zahl bedeutend zurück (etwa 9 :1). Jene werden hervorgerufen durch ein überschüssiges Satzende, das in den folgenden Yers hinübergreift. Diese können zumeist als auf umgekehrte "Weise entstanden gedacht werden: Um den Eeim zu erleichtern, greift ein Satzanfang herüber in den vorangehenden Vers. Es handelt sich daher in der zweiten Reihe auch fast nur um Brechungen unmittelbar vor dem Reim, sei es nach der vierten, oder ein paarmal gar nach der fünften Silbe. W. IY. 15, 15 — — Drum weiß er nicht, / wohin die hohen Schriften sich in ihrer Deutung ziehn. W. IV. 32, 30 Vor allem so gedenke der kalten Schalen wol, daß sie also, / wie du sie selbsten gerne magst, uns wird gerichtet zu. W. IV. 2, 23 Ihr dieses Stammes Zweig, voll Saft der frischen Tugend und reinen Redligkeit, Herr Casimir, / den euch an Würden und Vernunft der Himmel machet reich. S. IV. 85, 6 // Die Auserwehlte, I die benimmt dich durch den Gruß und dieses deiner Müh. Zweifel könnten entstehen bei denjenigen Versen, die durch einen größeren Sinnesabschnitt bereits an der Zäsurstelle gebrochen sind, daneben aber auch noch innerhalb der ersten oder zweiten Halbzeile eine Brechung aufweisen wie in dem Verse W. H. 10, 37 f. wie selten er sonst lacht, wenn man ihm solchen Streit böt' an, / er näm' nichts zu. / / . . . oder wie in dem zuletzt zitierten Verse S. IV. 85, 6 und anderen der oben angeführten. Streng genommen dürfen diese ') Beide Entstehungsarten lassen sich auch in den Oden deutlich verfolgen, ζ. B.: W. V. 8, 47 von den Händeln, so nur ihnen kund, / uns andern heimlich sind. und W. V. 9, 41 Und doch komm' ich wieder. / Siehe, wie ich jage, schlage, fliehe!
2. Kettenbrechung verbanden mit Reihenbrechung.
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Sinnesüberführungen nur mehr als Reihenbrechungen betrachtet werden. Da aber durch die zweimalige Yertauschung der Einschnitte, des Versschlusses (Kehre) mit der Zäsur, dieser wiederum mit der Naht, dem Gelenk oder der Fuge, am Versende nur eine geringe rhythmische Grenze übrig bleibt, so haben sie für die Wirkung und Beurteilung des V e r s e n d e s dieselbe Bedeutung wie jene. Diese Frage nach der Stärke des am Versende verbleibenden Einschnittes, nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, das Versende im Vortrag noch zur Geltung zu bringen, faßt Minor bei seinen Erörterungen über das Enjambement ausschließlich ins Auge. Er gibt daher dem Begriff des Enjambements eine enge Grenze: Nur dort könne davon die Rede sein, „wo zwei in der natürlichen Rede untrennbare Wörter durch eine rhythmische Pause getrennt würden" (S. 197,202). Durchweg kämen daher bei der Frage nach dem Alexandrinerenjambement nur die zuletzt behandelten, zugleich mit Reihenbrechung verbundenen Sinnesüberführungen in Betracht, da ja bei Brechung an Zäsurstelle am Schlüsse des Verses fast immer eine, wenn auch schwächere „rhythmische Pause", wie sie sonst dem Reihenende entspricht, erhalten bleibt. Ja diese gälten nicht einmal alle; denn bei den klingenden Ausgängen ist das Versende „schon durch den Rhythmus genügend markiert" (Minor 196, 272, 203). Es ist aber klar, das Eigentümliche der Sinnesüberführung, der Widerspruch zwischen metrischer und sprachlicher Gliederung liegt in jedem Falle vor, wo ein Teil eines Verses, einer Periode, einer Strophe enger mit dem vorangehenden oder folgenden Verse, der vorangehenden oder folgenden Periode oder Strophe zusammenhängt als mit dem anderen Teil derselben Ordnung. Und aus den obigen Ausführungen über Brechungen an Zäsursteile und den mitgeteilten Proben (sowie aus der mittelhochdeutschen Technik der Reimbrechung) ist es ersichtlich, wie sehr jede Form der Brechung, auch da, wo fast niemals „zwei in der natürlichen Rede untrennbare Wörter getrennt werden", den Rhythmus einer Dichtung zu charakterisieren vermag. Jener Begriff unterscheidet dagegen nicht zwischen der Brechung an sich und der· besonderen Form, die sie an-
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III. Gliederung.
nehmen kann, und trifft nur einen Ausschnitt aus der Gesamterscheinung der Brechungen. Die Frage nach der Größe des Einschnittes aber, den ein Dichter auch bei Sinuesüberführung noch innehält und worauf jene Definition eigentlich zielt, findet im allgemeinen, soweit nicht noch, wie in den zuletzt angeführten Versen eine weitere Vertauschung der Einschnitte erfolgt, durch die Beobachtung der Brechungsstellen, mit denen das Versende rhythmischen Rang und rhythmische Kraft auswechselt, eine genügende Beantwortung. Wie die Frage in der Regel praktisch lautet, welche Wortgruppen nämlich der Dichter durch das Versende trenne, berührt sie mehr den stilistischen Ausdruck der metrischen Erscheinung als diese selbst. Von dieser Seite der Flemingschen Brechungen geben die mitgeteilten Proben bereits ein im großen und ganzen zureichendes Bild. Es zeigt sich, daß meist nur Subjekt und Prädikat oder Prädikat und Objekt getrennt werden. Auch wohl gerne genetivisches Attribut von seinem Nomen. Trennungen mancher anderen als besonders eng empfundenen Zusammenhänge kommen dagegen überhaupt nicht vor, wie ζ. B. des adjektivischen Attributes vom Substantiv oder des enklitisch gestellten Pronomens^ vom Verbum oder aber nur vereinzelt, wie ζ. B. des Hilfszeitwortes und der trennbaren Partikel vom Verb, der Präposition von ihrem Kasus, ζ. B.: W. ΠΙ. 2, 215 — — der wisse, daß anstat der Leber er faul Holz und einen Bofist hat. Es scheint demnach, als habe der Dichter auch bei diesen Sinnesübergängen die Rücksicht auf den Rhythmus oder auch auf sein grammatisches Bewußtsein nicht ganz aus dem Auge verloren. Vielleicht ist es aber auch möglich, daß der engere, zum größten Teil unbewußte psychologische Zusammenhang der einzelnen Wort- und Sachvorstellungen, als deren Äußerung sich erst Sprachakzent und Sprachrhythmus ergeben, unmittelbar und unwillkürlich den Gedanken der Trennung bei ') Wohl wenn es durch andere Worte vom Verb geschieden, also nicht mehr enklitisch ist: u. a. Ο. V. 32, 66 Hast du nicht Schuld, daß ich so elend bin . . . .
2. Kettenbrechung verbanden mit Reihenbrechang.
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den einen Gruppen weit weniger aufkommen läßt, als bei den anderen. Artikel und Substantivum auseinander zu reißen, ist schon mit Rücksicht auf den Beim unangebracht. Das mehrmalige „die" in dieser Stellung hat als Wiederaufnahme des Artikels demonstrativen Charakter. Im übrigen ließe sich sogar feststellen, welche Formen des Ausdrucks für jede einzelne Brechungsstelle hauptsächlich in Betracht kommen. Der feinfühligere Tscherning glaubt beim Enjambement einen Unterschied zwischen vollkommenem und relativem Sinnesschluß machen zu müssen: „Yiel anders ist es bewandt, wann der vollkommene verstand sich nicht gantz mit dem einzelnen worte endiget als bei Opitz das allgemeine Recht und Regimentes-sachen verendern, ist ein Ding von hefftiger Gefahr" (S. 142). In der Tat scheint diese Unterscheidung nicht ganz ohne Bedeutung. "Während sonst das überschüssige Satzende steil abfällt und nur im engsten Anschluß an den vorangehenden Vers einen Halt hat, wird es hier durch die gleichzeitige schwache Verknüpfung mit dem Folgenden in der Schwebe gehalten, und durch Umschlagen der Melodie, verbunden mit stärkerem Hervortreten der Akzente, wird eine kleine Verzögerung hervorgerufen, die der Markierung des Versendes zugute kommt. Vollkommenen Satzschluß hat denn auch Fleming bei engem Enjambement nur selten. Daß im übrigen auch andere Umstände, Wortfolge und -umkehr, Tempo und alle mit den verschiedenen Formen des Ethos verknüpften Modifizierungen mitunter den Eindruck der Sinnesüberführung abschwächen, braucht nicht betont und im einzelnen ausgeführt zu werden. Wenn man den Begriff des Enjambements auf den Umfang der Minorschen Definition einschränkt, wird man der Behauptung, daß „der Prozentsatz des Enjambements im Alexandriner ein sehr geringer sei" (272), zustimmen können. Denn auch bei Fleming zählen die Überführungen des Sinnes bis zu beliebiger Stelle, die ja, wie wir sahen, fast allein unter jenen Begriff fallen, kaum mehr als 2 bis 3%, eine Zahl, die von den so häufigen Brechungen in der Zäsur seltsam absticht. Auch bei Opitz, Rist und anderen HauptQF. cxi. 6
82
III. Gliederung.
Vertretern der Poesie Opitzischer Richtung sind sie, soweit ich sehe, nicht zahlreicher1). Ein Einfluß der Strophenform läßt sich bei Fleming nicht nachweisen. In den Sonetten sind sie eher noch seltener als in den Alexandrinerreimpaaren. Beruht, wie vorhin gezeigt wurde, beim Alexandriner der Zusammenhalt der durch den Sinn getrennten Vershälften ganz auf dem Gefühl für die Kette, für das Versganze, so wird er um so deutlicher sein, je mehr der Yers als geschlossene Einheit in die Sinne fällt Von diesem Gesichtspunkte aus ist es nicht ohne Bedeutung, ob bloß der Anfang des Verses, bei Brechung nach rückwärts, ob bloß sein Ende, bei Brechung nach vorwärts, oder beide durch den Sinn überdeckt sind; nach Sarans Terminologie: ob wir es mit ganzer oder halber Brechung zu tun haben. Ein Blick in die Flemingschen Gedichte zeigt, daß unabhängig von der Bruchstelle, namentlich aber beim Übergreifen des Sinnes bis zur Zäsur, die ganzen Brechungen weit überwiegen. Der bei einseitiger Brechung übrigbleibende Halbvers bzw. Versrest genügt in der Regel nicht, einen neuen Gedanken ganz zu fassen, und läßt ihn von selbst über die Versgrenzen hinübergreifen. Daher stehen auch bei Opitz, Gryphius und Rist die ganzen Brechungen weit voran. Eine genauere Untersuchung rückt auch hier wieder, wie bei der Brechung an Zäsurstelle, die Sonette etwas von den übrigen Alexandrinergedichten ab. Während in diesen *) Die Gesamtzahl der Brechungen bei Gryphius gibt Minor, im Anschluß an Spina (Der Vers in den Dramen des A. Gryphius, Braunau 1895) auf 6°/o an (S. 272). Da Spina, der Rezension im Anzeiger f. D. A. 23 nach zu urteilen, ganz auf Minors Gedanken eingeht, so wird er wahrscheinlich hier den engeren Begriff des Enjambements seiner Untersuchung zugrunde gelegt haben, sodaß sich unter Zurechnung der bloß im Opitzischen Sinne gebrochenen Verse auch für Gryphius ein höherer Prozentsatz der Sinnesüberführungen ergeben dürfte. Umgekehrt sind in der dort angeschlossenen auf Rentsch's Untersuchungen sich stützenden Prozentangabe des Alexandrinerenjambements bei Joh. Elias Schlegel a l l e Arten der Brechuug einbegriffen. Vgl. Joh. Rentsch, J. E. Schlegel als Trauerspieldichter, mit besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Gottsched, Leipzig 1890, S. 116.
3. Reiheabrechung (Zäsurenjambement).
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ca. 80°lo der Brechungen ganze Brechungen bilden, beträgt deren Zahl in den Sonetten nur etwa 70%, ein Unterschied, der auch hier, wie dort, in der verhältnismäßig größeren Zahl der Anfangs- und Schlußverse, bei denen ja nur halbe Brechung eintreten kann, eine hinreichende Erklärung findet. Schaltet man die Anfangs- und Schlußzeilen der Quartettund Terzettpaare aus, so tritt in der Tat ein fast vollständiger Ausgleich ein. Dementsprechend wird man auch in der Beteiligung der Quartettverse und der Terzettverse an jenem Satze wieder eine Differenz vermuten können. Eine Auszählung bestätigt die Vermutung (75°/o: 65°/o). Die beiden Arten der halben Brechung halten sich ungefähr, trotz mancher Schwankungen in den einzelnen Teilen der Flemingschen Dichtungen, das Gleichgewicht. Doch scheint lieber eine Überdeckung des Versanfanges einzutreten. 3. Reihenbrechung (Zäsurenjambement). Zum Wesen des Alexandriners und des vers comraun — beide aus zwei Reihen gebildete Langverse — gehört die Zäsur. Opitz gibt auch über sie nur rein Äußerliches. Sie muß „masculinae terminationis, d. i. entweder ein einsylbig wort sein, oder den accent in der letzten sylben haben" (Br. 42). Die letzte Bemerkung ist, wie Opitz selbst angibt, „einem vornehmen Mann, der des Herrn von Bartas Wochen in unsere Sprache übersetzte", Tob. Hübner entlehnt. Aber bei diesem hatte jene Bestimmung eine ganz andere Bedeutung. Bekanntlich baute Hübner seine Alexandriner anfangs noch nach französischem Muster und forderte nur für Zäsur und Versende Übereinstimmung von Vers- und Wortakzent1). Durch die regelmäßige Wiederkehr des Wortendes verbunden mit dieser akzentuellen Auszeichnung wurde daher die Gliederung des Verses klar und zwanglos zum Bewußtsein gebracht. Nachdem aber durch Opitz' Forderung der prinzipiellen Akzentübereinstimmung die besondere Auszeichnung der dritten
') Später schränkte er diese Freiheit ein und verlangte außer im ersten und vierten Fuß reine Jamben. Vgl. Witkowski, D. v.D.W. S. 11/12. 6*
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ΠΙ. Gliederung.
Hebung in "Wegfall gekommen war, reichte das Wortende allein nicht mehr aus, den Einschnitt zu markieren. Und doch scheint man sich zunächst in Lehre und Tat ganz an die Regel vom Wortende zu halten. Die Theoretiker fahnden nur auf Verse, die hiergegen verstoßen, und fahren dabei mit Ingrimm los auf die „Reimverstürapler und Radebrecher, die da zumitten des Wortes abschneiden und innehalten wollen" und sich zu schreiben erlauben: die Tugend ist der be|ste Schatz, den ich hie habe Sie ist die allergrö|ßest und die Gottes Gabe. (Schottel 852 Anmkg.). Bei „hochvermögenden Poeten" hann allerdings eine solche Regelwidrigkeit einmal einer künstlerischen Absicht nutzbar gemacht werden, „indem sie den Abschnitt so formen, daß er sich gleichsam anhenge und anschliesse, damit das Ding desto lebhafter vorgestellet werde". So soll etwa die Nichtbeachtung der Zäsur in dem Ristschen vers commun: „Wenn Jesus mei|ner Seelen sich vertrauet, Ach Gott wie ist mir den so wol" die Innigkeit der Verbindung unserer Seele mit Jesus andeuten! Besonders die Komposita, „die man ohne dies, weil sie zusammengesetzte sind, wiederum teilen und durchschneiden kan" (Hei. I, 63 f.), könnten leicht solch höheren Zwecken sich fügen ζ. B. in dem Verse: Wie sehr ein jaspis prangt, wie sehr ein demant prahlet, wann er mit gold ist ein-gefasset und geziert. „Hierinnen ist durch das wort ein-gefasset, das reimband auch gleich-sam so zusammen-gefasset, daß es keinen durch-schnit zu haben scheinet und die ein-fassung der ädelen steine in das gold gleich-sam ab-bildet und ebenbildlich beschreibt". Während die Theoretiker sich so bemühen, die Nichtbeachtung des Wortendes in einzelnen Versen angesehener Poeten zu rechtfertigen, nehmen sie an der Trennung der engsten Wortgruppen kaum Anstoß, weil hier das Wortende gewahrt bleibt. Und doch konnten sie bei Opitz und erst recht bei Rist manche Fälle finden, die jenen in der Wirkung kaum nachstanden. Erst Tscherning, auch hier
3. Reihenbrechang (Zäsorenjambement).
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wieder feinfühliger und strenger, begnügt sich nicht mehr mit dem bloßen Wortende. Er schüttelt nicht nur die Versuche eines Caesius und Schottelius, die Wortbrechung in der Zäsur zu beschönigen, unmutig ab, sondern will auch eng zusammengehörige Worte wie Artikel und Substantiv, oder Präposition und Substantiv nicht getrennt sehen (p. 143 f.)1). Finden wir so Tscherning auch auf dem richtigen Wege, so vermissen wir doch noch ein klares Erfassen des Erkenntniszieles, daß die Gliederung des Yerses durch die Zäsur im Sinn des Satzes ihre Grundlage haben müsse. Die Flemingschen Verse zeigen, daß auch unser Dichter es häufig mit dem bloßen Wortende genug sein ließ und der relativ größte Sinneseinschnitt in vielen Fällen — Wysocki meint sogar mit Bezug auf die Jugendgedichte etwas übertrieben „fere nunquam" (S. 67) — nicht mit der regelrechten Reihengrenze zusammenfällt. In einem Falle ist auch die Integrität des Wortes nicht gewahrt: S. IV. 27, 3 Als du dich hattest um|verwandt nach Telesillen. Bezeichnenderweise wurde aber in den Ausgaben die Präposition vom Partizip getrennt geschrieben (vgl. d. Lesarten bei Lappenberg Π). Die Zahlen der Brechungen in erster und zweiter Reihe stehen sich ziemlich gleich. Nur der vers commun scheint die Brechung der ersten Reihe nach der zweiten oder dritten Silbe etwas zu bevorzugen, da eine jambische oder amphibrachisfche Wortgruppe leichter zu finden ist als ein Doppeljambus. In seltenen Fällen ist die Sinnesüberführung bei Fleming zugleich mit Gliedbrechung verbunden. So in den Versen: W. IV. 44, 102 Du sprichst der deutschen Welt ein / einen sichern Mut. W. IV. 46, 33 Ihr wußtet in der Angst nicht / wie euch war geschehen. ') Zwar hatte schon Zesen gelegentlich einmal beiläufig bemerkt, „es klinge nicht wol, wenn das beyständige wort von seinem selbständigen vermittelst des durch-schnittes getrennt werde" (Hei. I, 23). Doch kommt er an anderen Stellen, wo er ausführlich von der Zäsur handelt, nicht mehr darauf zurück.
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III. Gliederung.
W.IY.
8, 28
Ein Geist von oben her weiß, / daß ihm mehr gefällt, als was die Erde kennt. W. III. 2, 204 Wenn seine Briseis / ihm nahm / aller Kräfte Mark 1 ). Sonst erscheint die Zäsur fast immer mit der Bundgrenze, der Fuge, vertauscht. Da diese wiederum in ihrer Stellung zwischen der ersten und letzten Hebung eines jeden Halbverses schwankt, bieten sich eine Reihe von Möglichkeiten und Typen. · Die erste Halbzeile des Alexandriners zeigt vornehmlich nach der vierten und dritten Silbe Brechung. Beispiele der ersten Art: S. IV. 79, 6
Ο Grausamer! / Was Trost, was Herze soll ich fassen? W. IV. 48, 32 Ach aber ach! / wie weit bin ich von beiden hier! W. H. 9, 114 Westphalen scheint, / als könnt es nicht getröstet werden. W. V. 15, 2 Wars noch nicht gnung, / daß ich mich wachend nach ihr sehnen und so bekümmern muß? (ferner W. IV. 1, 2 8 1 ; 8 , 1 6 ; 3 9 , 2 6 ; 5 3 , 4 0 2 ; 5 4 , 9 6 ; 54, 2 7 2 ; S. IV. 65, 3 ; 100, 13; W. I. 9, 4 4 0 ; W. V. 4, 6 ; W. IV. 31, 28 u. ö.) Als Beispiele dor zweiton Art mögen dionen: W. I. 1, 13 Wer wird dir, I wenn du mich nun wirst getötet haben; W.
I. 9, 170
W. I. 10, 13 W. I. 16, 3
Auf Simon! / Denke doch an deines Meisters Lasten. Erlöser, I setze dich zu deines Vätern Rechten. Diß wißt ihr, / daß ihr seid in einer Zeit geboren,
*) Vielleicht müssen auch Verse wie die folgenden, in denen, wie mir scheint, der stärkste Einschnitt hinter die erste Silbe der Vorderreihe fällt, hierher gezählt werden; etwa W. I. 3, 58 Herr / wirstu länger auch dem Übel zusehn können? W. I. 4, 35 Gott I der du stets mein Gott und frischer Heiland bist.
3. Reihenbrechung (Zäsarenjambement).
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W.III. 6,455f. — Wer ist vergnügt mit ihr? Nicht Wasser; / sie erglüht die Herzen für und für. W. I. 17, 1 Setz einen, / der doch itzt nicht lebt auf dieser Erden. W. I. 18, 15 Ja wüst' ich / (welches doch noch Keinem ist gegeben) . . . (vgl. ferner W. I. 2, 1; 5, 52; 5, 55; 5, 72; 9, 32; W. Π. 6, 3; W. ΠΙ. 5, 88; W. IY. 80, 2 usw.) In der zweiten Reihe liegen dagegen die wichtigsten Bruchstellen nach der zweiten und dritten Silbe. Sie entsprechen also ganz denen beim Versenjambement. Wie in der Regel dieses, kommt ja auch die Brechung der zweiten Halbzeile dadurch zustande, daß das Ende einer Periode, über die metrische Grenze hinübergreifend, in den Vers einschneidet, während bei Brechung der vorderen Reihe meist ein relativ selbständiger Satz oder Satzteil, der statt des normalen Maßes nur einen Teil der Reihe ausfüllt, für die Bruchstelle bestimmend ist. Die Brechung nach zweiter Silbe nimmt etwa die Form an wie: Überschr. 1, 1 Und du bist Petrus Art, mein Sinn! / Wenn man dich dränget W. IY. 1, 195 Wer weinet aber doch um mich? / Ich sehe keinen. W. Υ. 1, 15 Nun du verwichen bist von mir, / so hast du funden . . . W. IY. 46, 73 Der hätt' euch auf der See gesehn, / der gar gesprochen. S. IY. 28, 13 Inmittelst nimmt dein Glanz nur ab, / dein Alter zu. die nach der dritten wie in Vers: W. I. 16, 8 W.IY. 8, 98
doch was dasselbe was und nichts sei, / zweifeln alle. die Reiser, die die Gelehrten nur bekommen, ! und die Kaiser.
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III. Gliederung.
W. IV. 44, 41 Mein Denkmal soll ein Brief ein Blatt sein, / voll mit Zeilen. W. IV. 44, 168 von mir ist niemand noch belogen, / noch betrogen. Überschr. 30,6 Trink mir es auf der Welt Gesundheit, / Jesu, zu! Die sonst noch vorkommenden Brechungen betreffen fast nur die erste Reihe. Mitunter ist diese gar nach der fünften Silbe, also unmittelbar vor der Zäsur gebrochen: Überschr. 30,4 Da hast du Bräutgam; / nimm den gallgemischten Saft! „ 32, 2 Doch eins ist besser. / Was? Verehre mich mit dir! W. ΙΠ. 6,421 Was aber, sprach er, / ist denn diß für ein Bescheid? S. IV. 76, 6 als ich zu dir sprach: / Schatz das ist der letzte Gruß! W. IV. 53,144 Die Seeen kamen, / ganz das schwache Schiff zu decken. W. I. 9.445 noch Wacht, noch Siegel / dich im Grabe halten kann. Einigemale ist Brechung nach der ersten Hebung anzunehmen ζ. B.: W. III. 2,105 Es sei! / Ich kann ihn doch nicht groß und sehend machen. W. IV. 1, 268 Sagt ihm, / er wolle doch nur diß bei ihm bedenken. (vgl. ferner W. I. 3,46; 9, 57; 10, 12). Hin und wieder erscheinen beide Reihen desselben Verses gebrochen. Es handelt sich durchweg, wie die folgenden Beispiele zeigen, um einen eingeschobenen kurzen Satz oder Satzteil. Rhythmisch betrachte^ ist es eine ähnliche Erscheinung, wie wir sie beim Versenjambement namentlich als Alexandriner im Alexandriner beobachteten. Auch hier kann sich eine regelrechte dreihebige Reihe innerhalb der beiden Vershälften ergeben (s. zweites Beispiel):
3. Reihenbrechnng (Zäsnrenjambement).
S. ΠΙ. 32, 7
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daß, / was sich hat verschworn zu schaden, / fallen muß. W. IY. 31, 17 der oft, / vom Schmacke nicht geredt, / so lieblich reucht. W. ΙΠ. 5, 58 sein Alles, / was er ist und hat, / das legt er hin. S. III. 14. 8 sodaß ich nichts, i was wert und lieb ist, / vor kan bringen. S. IV. 41. 10 Kein edler Stein, / wie wert er ist, / bezahlt dich recht. Auch wenn durch Versenjambement die eine Reihe gebrochen ist, tritt zugleich in der anderen gerne Brechung ein. Die "Wirkung ist dann ähnlich wie hier. W. HI. 7, 87 — Und daß mans ja wol kan besehen, / stecken wir für eins / zehn Lichter an. W. IV. 51, 9 f. — Wie fröhlich wirds sichs denken an das / warum wir uns anitzt / noch furchtsam kränken. W. Π. 10. 28 Hat er sie so? / weiß Gott nein nein! / Nicht die Gemüter die ohne Mute sind . . . Natürlich ist die Reihenbrechung nicht immer so scharf ausgeprägt wie in den angeführten Beispielen, in denen meist das Satzende, sei es eines einfachen oder eines Haupt- oder Nebensatzes in den Vers einschneidet Bei der überwiegenden Zahl der in Betracht kommenden Verse handelt es sich nur um mehr oder weniger eng zusammengehörige Wortgruppen innerhalb des Satzes, deren Anfang oder Ende daher mit entsprechend geringerer Kraft ins Ohr fallen, deren Trennung durch ein automatisches Innehalten der Zäsur allerdings oft ebenso peinlich berührt als dort, da sie doch durchweg dieselben Ausdrucksformen trifft Ein Vergleich dieser Wortzusammenhänge, die bei Zäsurenjambement durch das Ende der metrischen Reihe geteilt werden, mit den beim Versenjambement beobachteten ergibt in den Hauptzügen eine Übereinstimmung des Gebrauchs, wenn auch Fleming der Natur der Sache gemäß hier nicht ganz so sorgfältig ist wie dort.
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III. Gliederung.
Die Trennung einiger "Wortgruppen, derselben wie beim Versenjambement, wird ganz oder fast vollständig gemieden. So begegnet bei Fleming außerhalb des vers commun kaum irgendwo Artikel, Relativum, Konjunktion in der Zäsur, während etwa Rist sich nicht scheut zu schreiben: Wie oft gedenk' ich der dreifachen Angst und Not. Ja Frieden, mein' ich, der euch soll ein Henker sein. doch nie verdunkeln, was du Held hast vorgebracht u.ä. Obwohl Fleming es insbesondere liebt, zwei durch „undu verbundene, meist synonyme und daher unter einem Akzentgipfel liegende Begriffe auf die beiden Reihen des Alexandriners zu verteilen, läßt er doch im Gegensatz zu Rist niemals die metrische Zäsur hinter die Konjunktion fallen1). Der Vers wirkt dadurch von seiten der Schwere und des Rhythmus weit weniger anstößig als bei Rist. Man vergleiche nur etwa W. IH. 2, 8
— hat von der Erden Not / und Übel wol gewust. W. IV. 1, 157 Ich bin der Götter Spiel / und Kurzweil, ihr Behagen und lustiger Ballon — — mit einem Ristschen Yerse Bis daß die Gassen und / die Pforten sind besetzt. Auch Opitz empfand wohl den Unterschied, wenn er den Vers 96, 13: Ihr, denen Venus und / ihr Sohn nicht ist bewußt
also änderte: Ihr, denen Venus Sohn / und sie ist nicht bewußt. Und wie beim Versenjambement kennt Fleming auch hier kaum die bei Rist häufige, von Tscherning (S. 143) auch bei Opitz getadelte und von Gryphius nicht gemiedene (Manh. 20) ') Auch Flexionsgemeinschaft in der Zäsur, die beide Reihen des Alexandriners aufs engste mit einander verkettet, meidet Fleming vollkommen, während Gryphius sie hier besonders liebt (Manh. 19) und auch Zesen gegen sie gerade beim Zäsurenjambement nachsichtig sein wollte (Hei. I. 63).
3. Reihenbrechong (Zäsnrenjambement).
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Trennung der Präposition von ihrem Kasus. Ganz vereinzelt findet sie nur in den schwieriger zu behandelnden vers commun Eingang: 1 ) S. I. 3, 3 Das soviel an / gesunden Kranken tut. Dagegen kehrt die Trennung des attributiven Adjektivs vom Substantiv, von der sich Fleming beim Versenjambement vollständig freihielt, mehrmals wieder. Schon Zesen weist darauf hin (Hei. I. 23). Doch kommt sie nur in den ältesten Gedichten vor (W. I. 5, 53; 9, 3; 9, 204; W. ΠΙ. 2, 227), später fehlt sie völlig. Auch Gryphius mied sie streng (Manh. 20), während Opitz keinen sonderlichen Anstoß daran genommen zu haben scheint. "Wenigstens zieht sich ein Vers wie Zlatna 487: Und was der treffliche Plutarchus hat gewußt durch alle Bearbeitungen hindurch. Ebenso gestattet sich Fleming mitunter, das enklitische Pronomen oder die Negation vom Verb zu trennen. Im übrigen nehmen auch hier natürlich die aus Subjekt und Prädikat, Prädikat und Objekt oder substantivischem Attribut und Nomen gebildeten Gruppen wieder den weitesten Baum ein. Dazu kommt aber noch die große Zahl ausgedehnterer, vielfach durch Zwischenglieder aus jenen erweiterter, sich weniger scharf abhebender Gruppen. Die vielen Hilfsverba, Partikeln, vom Verbum getrennten Präpositionen und sonstigen, keinen Abschluß bildenden Wörtchen und "Wörter in der Zäsur deuten schon einigermaßen darauf hin, wie willkürlich oft das Ende der metrischen Reihe in den Satz einschneidet: "W. V. 2, 8 "W. V. 5, 5
Daß du mein Leben kanst mir Armen günstig sein. Denn meine Tage sind als wie ein Rauch vergangen. W. IV. 2, 18 und sagen, daß wir noch gut evangelisch sein. "W. IV. 44, 6 "Wo nur die Feder zu mit dem Gemüte trifft. t) In dem Alexandriner W. III. 2, 49: Pomona giebet umb den saftgefüllten Bäumen den grünen weißen Flor gehört die Präposition zum Verbum, das hier die Bedeutung von „umlegen" hat.
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III. Gliederung.
An die Willkür eines Rist reicht aber auch hier wieder die Flemingsche Technik nicht heran. Ein wahrnehmbarer, wenn auch nur geringer Abstand zwischen dem Ende des ersten und dem Anfang des zweiten Halbverses bleibt auch hier durchgängig gewahrt, und Verse, wie sie für Rist typisch sind: Daß ich in kurzem so / viel Schulden hie gemacht. War er bemühet, sehr / bald zu entrinnen noch. In diesen und noch viel / mehr andern schönen Sachen. Bei seinen Räten bis / schier an den lichten Morgen. wird man bei Fleming vergeblich suchen. Tom Standpunkt des reinen Sprachakzentes aus wird man bei Fleming die Zäsur eines jeden 12.—15. Verses beanstanden können. Im vers commun, für den Opitz die feste Zäsur prinzipiell ebenso streng forderte wie für den Alexandriner, verleitete die Kürze des ersten Versteiles noch häufiger zu einer Überschreitung der metrischen Grenze. Scheidet man aber, was für die richtige Beurteilung nicht unwesentlich ist, die zahlreichen Verse, die dem vorhin gekennzeichneten Streben nach Versbrechung einen scharfen Einschnitt an der Zäsurstelle verdanken, bei der Berechnung aus, so wird man die Zahl der anstößigen Verse auch beim Alexandriner noch etwas höher ansetzen müssen. Daß wir aber diese zahlreichen, unregelmäßig gegliederten Verse nicht alle auch im Sinne der Zeit als solche ansehen dürfen, erhellt aus den wiedergegebenen Erörterungen der Theoretiker. War nur das Wortende gewahrt, so lag ihnen ein Lesen über die Reihengrenze hinaus meist fern. Selbst da, wo sie das Enjambement erkannten und verurteilten, galt ihnen die Verbindung der beiden Halbverse nur als „scheinbar". In Wirklichkeit kennen sie nur ein automatisches Einhalten der Zäsur. Die bedeutende Zahl der regelwidrigen Verse spricht ja auch selbst dafür, daß sie nicht als eigentliche „Ausnahmen" betrachtet sein wollen. Die geringe Empfänglichkeit für die wahre Gliederung dieser Verse liegt vielfach daran, daß, wie in den zuletzt angeführten Beispielen, infolge freierer, meist durch Akzentund Reimrücksichten gebotener Wortstellung oder infolge
3. Reihenbrechang (Zäsurenjambement).
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Trennung eng zusammengehöriger Begriffe durch dazwischentretende "Wortgruppen das rhythmische Gefühl unsicher und automatischer Einwirkung zugänglicher wurde. Dann müssen wir aber auch hier, um dem rhythmischen Vermögen des Dichters gerecht zu werden, mit der Möglichkeit rechnen, durch Ethos scheinbare rhythmische Härten zu tilgen. Eine getragene, zögernde Vortragsweise reicht oft schon hin, die Zäsur zwanglos zur Geltung zu bringen, und wie wir etwa in jedem akzentuellen Gefüge durch eine Pause — einen Gedankenstrich — unser Staunen und Bewundern, unsere Teilnahme und Aufmerksamkeit auf das kommende Wort, den folgenden Gedanken hinlenken können, so in manchen Fällen auch hier. Oft genug auch da,· wo es nach unserer heutigen Auffassung gezwungen und übertrieben klingt. Denn wie schon oben dargelegt wurde, müssen wir für das siebzehnte Jahrhundert dem Ethos auf Grund des traditionellen metrischen Stils und der Zeitneigung einen größeren Spielraum zuerkennen, als ihm heutzutage zukommt. Eine solche, dem rhythmischen Ausgleich der sprachlichen und metrischen Gliederung günstige Verzögerung des Tempos ist mitunter bereits durch die Melodie und die Verteilung der Akzente bedingt (vgl. ζ. B. die Verse S. 85/6 dieser Arbeit). Die Zahl der Verse mit unregelmäßiger Zäsur schrumpft daher merklich zusammen, sobald man nur diejenigen in Rechnung stellt, die auch dem Dichter und seiner Zeit als solche erschienen, in denen er wirklich aus Versnot — künstlerische Absichten kommen natürlich kaum in--Betracht — „dem Sinne zum Trotz" die Zäsur innehielt. Wenn aber Fleming, wie wir sahen, im Gegensatz zu Gryphius, Rist und selbst Opitz gerade einige schwerere Formen des Zäsurenjambements stets oder wenigstens bald nach Beginn seiner dichterischen Tätigkeit vollkommen meidet, haben wir darin zunächst ein Zeichen dafür zu erblicken, wieviel Fleming von vornherein der scharfen Nachprüfung seiner Gedichte durch Gloger und Buchner verdankt (vgl. H. Palm, Beitr. z. Gesch. d. deutsch. Lit. des 16. u. 17. Jahrh., Breslau 1877, S. 105 u. 110). Daneben mag aber auch bei Fleming ein stärker ausgeprägtes Gefühl für die Einzelreihe
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III. Gliederung.
des Alexandriners mitgespielt haben: Die Brechungen nehmen im Laufe der Zeit wie bei Gryphius etwas zu. Gleichzeitig und in größerem Verhältnis wächst die Zahl der aus Teilen desselben Satzes bestehenden Verse. Einen zwar nicht völlig, aber doch verhältnismäßig zuverlässigen Maßstab für beide in enger Beziehung zu einander stehende Erscheinungen bietet die Summe der Interpunktionen an der Zäsurstelle. In den Jugendgedichten bis zu 75°/o betragend, sinkt sie in einzelnen späteren Partien bis zu 45°/o und weniger herab. Offenbar konnte Fleming, von Jugend auf an die volkstümlichen kurzen Reihen gewöhnt, sich erst durch Übung mit dem Langvers des Alexandriners vertraut machen und die Herrschaft über ihn erringen. In den Liedern liegt ja auch nach des Dichters eigenem Zugeständnis Flemings rhythmische Stärke. Dem Rang und rhythmischen "Werte nach gehören auch die Brechungen der Odenverse hierher. Da sie aber zugleich den Reim und die Integrität der Verszeile in Mitleidenschaft ziehen, treten sie für die äußerliche Auffassung dem Alexandrinerenjambement näher und wurden daher gelegentlich bereits vorhin gestreift. Für viele Flemingsche Odenverse charakteristisch ist die scharfe Ausprägung eines untergeordneten rhythmischen Einschnittes im Innern der Reihe. Zunächst auf dipodischer Verteilung der Schwereabstufungen beruhend, wird sie vielfach noch besonders eindringlich durch die Mittel des sprachlichen Ausdrucks, der Wiederholung, des Parallelismus, der Antithese u. dgl. zum Bewußtsein gebracht: Ο. IV. 4, 19
Weil ich athme, weil ich lebe, will ich schreiben, was ich kan. Ο. IV. 3, 79 Wo du sitzest, wo du gehest, Wo du liegest, wo du stehest. O.IV. 15, 17 Halb gebissen, halb gehaucht. O.IV. 19, 39 Laß uns nehmen, laß uns geben. 0 . III. 12, 33 nehmt und gebet, gebt und nehmt. Auch im Alexandriner und vers commun hebt sich bisweilen die Gliederung im Innern der Halbzeile scharf ab. Es erinnert
4. Brechungen höherer Ordnung.
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an die Freiheit, mit der beim Blankvers mitunter die einzelnen Jamben auf verschiedene Sprecher verteilt werden, Λνβηη es ζ. B. W. HL 453ff. heißt: Was aber? Alles? Nein! "Wer ist vergnügt mit ihr? Nicht Wasser! Sie erglüht die Herzen für und für. Auch Feuer nicht Warumb ? Was ist für Flammen blieben ? Was denn? Gut? aber sagt! woher körnpt ihr Betrüben? Denn Böse ? Mich dünkts nicht; nicht Solches macht Begier. Denn Leben ? Nein! wer liebt, der stirbt ab seiner Zier. — Was tot ist, das bleibt tot. Aus Lieben kommet Leben. Dem Charakter der Verse und dem Einfluß entsprechend, den sie auf den Stil ausüben, ist aber ein so starkes Hervortreten der inneren Gliederung selten.
4. Brechungen höherer Ordnung; Couplet- und Strophenbrechung. — Opitz empfahl auch die Strophenbrechung. Im Anschluß an das Versenjambement meint er: „So ist es auch nicht von iiöhten, das der periodus oder sententz allzeit mit der Strophe sich ende" (Br. 42 f.). Ausdrücklich allerdings nennt er nur die Überführung des Sinnes „biß zue des ersten verses in der folgenden Strophe caesur". Doch aus den angeschlossenen Beispielen, in denen er Anfang und Ende der einzelnen „Sentenzen" durch Zahlen abhebt, erhellt, daß er auch die Möglichkeit, die Strophe an anderer Stelle zu brechen, erkannte und anerkannte. In den gewöhnlichen Alexandrinergedichten kommt eine strophische Gliederung im allgemeinen wenig zum Bewußtsein. Als ihre Grundlage möchte man zunächst das einzelne Reimpaar ansehen, da es durch die Wiederkehr desselben Reimklanges unsere Erwartung erfüllt, unser rhythmisches Gefühl befriedigt. Und in der Tat treten die Reimpaare stellenweise als vollkommen selbständige rhythmische Einheiten auf. Man vergleiche etwa W. IV. 58,11 ff.: 11 Fort werd' ich alles mir aus meinen Sinnen schlagen. Ich falle, wo ich mag, es muß mir doch behagen. Komm ich denn da und da und dort nicht wieder hin, So weiß ich, daß ich da vorhin gewesen bin. 15 Ein Weiser fraget nicht, wo, wie und wenn er stirbet;
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ΙΠ. Gliederung.
Er weiß, daß dieser Leib gleich überall verdirbet. Ein Tod, der ist es nur, der tausentfältig kömrat und ihrer tausent wol auf tausent Arten nimt. So gilts ihm auch stets gleich, er hält sich allzeit fertig. Wird er gefordert auf, so steht er gegenwärtig, weiß, daß so bald er hat zu leben hier erkiest, er auch schon alt genug zum Tode worden ist. Kein graues Haar macht alt Yom Geiste muß es kommen, das von der Weisheit wird für Alter angenommen. So grob hat keiner noch der Rechenkunst gefehlt, als der sein Alter nur von seinen Jahren zält usw.
oder ebendort Y . 109 ff. 110
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Kusmodenisenof lief häufig um den Strand Das laute Sabaksar, das klatschet in die Hand. Kaksagoa erschrak für unser Stücke Sausen, Suiasko lief bestürzt, als wir sie ließen brausen. Das edele Kasan ließ Tor' und Mauern stehn, wolt' als wie auch Detusch, mit uns zu Segel gehn. Samara tanzt' uns nach mit ihrem reinen Flusse. Saratof, etwas ab, das stund auf einem Fuße, sah' uns von fernen zu. Sariza sung uns an, das neue Nowogrod war freundlich mit uns dran. etc.
Aber nicht oft stehen die einzelnen Reimpaare in größerer Anzahl derart gleichberechtigt nebeneinander. Bei der umständlichen, durch die strenge Symmetrie des Verses genährten Breite der Alexandrinergedichte strebt der Gedanke vielmehr meist über das erste Reimpaar hinaus und sucht erst im Ende des zweiten seinen natürlichen Ruhepunkt. Auch der regelmäßige Wechsel klingender und stumpfer Reime rückt je zwei und zwei Reimpaare enger zusammen und legt dem jedesmaligen Abschluß der gewohnten Folge mehr Wert und Gewicht bei. Dadurch wird den Gedichten unwillkürlich, wenn auch schwach, der Charakter einer strophischen Gliederung von vier zu vier Versen aufgedrückt Jedoch weiß trotzdem auch das Ende des Reimpaares im Innern einer solchen Strophe sich noch kräftig durchzusetzen. Zwar muß man etwa in 40°/o—50°/o der Fälle Sinnesüberführung an-
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i . Brechungen höherer Ordnung.
nehmen. Aber fast ebenso oft oder bis zu zwei Dritteln der übrigen Fälle macht der Abschluß des Reimpaares sogar starke Interpunktion, wie sie dem Strophenende zu entsprechen pflegt, notwendig. Die Zahl der Vierversbrechungen steht der der Reimpaarbrechungen nicht viel nach. Auch hier beträgt sie, mit der Zeit etwas abnehmend, 30—40°/o. Mitunter steigt sie gar auf 50°/o und mehr. Im übrigen erfordert das Strophenende im Gegensatz zum Schluß des Reimpaares fast ausnahmslos eine starke Interpunktion. Beim Vergleich mit Opitz und Rist fällt Fleming wieder durch die Häufigkeit seiner Strophenbrechungen auf. Bei diesem sind die Vierversstrophen etwa in 15°/o der Fälle durch den Sinn verbunden, in früheren Dichtungen Opitzens (etwa im Lobgeeang Christi) eher noch ein wenig seltener. In der Zlatna, die dem Erscheinen der Poeterey schon näher steht, schnellt die Zahl der Quatrainsbrechungen allerdings plötzlich bedeutend empor und erreicht fast die Höhe, auf die Fleming im Laufe der Zeit herabsteigt. So sehen wir bei Fleming auf der einen Seite die Neigung, das Ende der Periode, selbst beim bloßen Reimpaar, scharf auszuprägen; auf der anderen Seite die Tatsache auffällig vieler Brechungen — ein Widerspruch, der wiederum in der bewußten Anpassung der natürlichen Rhythmusverhältnisse an die Opitzischen Regeln seine Erklärung und Lösung findet Und wenn Fleming zu umgekehrter Entwicklung strebt wie Opitz, wenn er von zu weitgehendem Gebrauch der Brechungen zu maßvollerer Anwendung zurückkommt, während Opitz auf Grund eines neu erfaßten Kunstprinzips sich mehr und mehr von dem durch die Natur des Rhythmus gegebenen Standpunkt entfernt, so offenbart sich darin, wie bereits bei der gleichen Erscheinung des Versenjambements betont wurde, nur der Fortschritt von übertreibender Nachahmung zu größerer Selbständigkeit, ein Entwicklungsgang, wie ihn in entsprechender Weise Wysocki auch für Inhalt und sprachlichen Ausdruck bei Fleming aufgedeckt hat Bei dieser Abhängigkeit Flemings von Opitz ist es nur natürlich, daß die von Opitz empfohlene Überführung des QF. CXI.
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ΙΠ. Gliederung.
Sinnes bis zur ersten Zäsur der folgenden Strophe bei der Vierversbrechung, trotz der künstlichen Form, durchaus vorherrscht. Bei dem jüngeren Opitz und bei Rist richtete sich dagegen die Brechungsstelle ganz nach dem Bedürfnis, dem die Brechungen entsprangen. Und selbst in der Zlatna genießt die später privilegierte Stelle noch bei weitem nicht das Vorrecht wie bei unserem Dichter. Fleming liebt es, auch die Reimpaare in entsprechender Weise also bei der Zäsur des dritten Verses zu brechen. Die Summe der Versbrechungen in den ersten und dritten Versen übertrifft sogar die der zweiten und vierten um ein Bedeutendes, — ein klarer Beleg für die Absichtlichkeit, mit der Fleming die natürlichen und bedeutendsten rhythmischen Ruhepunkte zugunsten der Opitzischen Regel vernachlässigte. Eine Schwierigkeit ergibt sich bei denjenigen Gedichten, die mit dem männlichen Reimpaar beginnen. Äußerlich betrachtet, erscheint es für die Bindung zweier Reimpaare zur Strophe ohne Bedeutung, ob das weibliche vorangeht oder das männliche, und auch Opitz stellt beides auf gleiche Stufe, wenn er auch jenem, als dem „gemeiniglich" Üblichen den Vorzug gibt. Bei genauerer Prüfung ist es aber fraglich, ob wir auch hier nach dem vierten, achten, zwölften Vers usf. ein Strophenende annehmen und die Brechungen darnach berechnen dürfen, oder ob wir nicht vielmehr, trotz der Umkehr des Reimschemas im Anfang, doch vorwiegend die gewohnte Reimfolge bei der Beurteilung als Richtschnur setzen müssen. Bei einer Abgrenzung nach jenem Gesichtspunkt würden wir sogar gezwungen sein, mehr Strophen- als Reimpaarbrechungen anzunehmen. Denn nur für Augenblicke weiß sich in der Regel jene Gliederung zu behaupten. Dann schlägt sie wie ein Körper in künstlichem Gleichgewicht plötzlich wieder um, und die Reimpaare verbinden sich streckenweise oder für den Rest der Dichtung wieder in der gewohnten Reihenfolge. Damit hängt zusammen, daß sich in den größeren der hierhergehörigen Gedichte bei der Teilung durch vier fast ausnahmslos ein überschüssiges Reimpaar ergibt, was bei denen der gewöhnlichen Reimordnung nur selten eintrifft. Die Kraft, mit der sich die landläufige
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4. Brechungen höherer Ordnung.
Strophenform in diesen Gedichten immer wieder durchsetzt und sogar die Vorherrschaft gewinnt, ist aber nicht bloß eine Folge der Gewohnheit und Übung. Sie hat in den rhythmischen Verhältnissen selbst ihre Wurzel. Die männlichen Reimpaare erscheinen neben den weiblichen um eine Silbe gekürzt und schneiden daher deutlicher in den Rhythmus ein, als es durch die bloße Wiederkehr der gleichen Reimpaarfolge geschieht Sie drängen sich dadurch von selbst als Strophenschluß auf. Demnach erscheint auch die übliche Reihenfolge der Alexandrinercouplets nicht mehr bloß als zufällig durchgedrungene Angewöhnung, der zufolge „man dem weiblichen in diesem genere carminis gemeinliglich die oberstelle läßt" (Br. 42), sondern als der unmittelbare Ausfluß eines lebendigen Gefühls für naturgemäßen Rhythmus. Besondere Beachtung erheischen auch die elegischen Alexandrinerstrophen. Nicht nur die bei der kreuzweisen Stellung der Reime, der weiblichen und männlichen Versausgänge schärfer ausgeprägten Ruhepunkte, sondern auch die hierdurch im Vergleich zu den Alexandrinercouplets immerhin erhöhten Reimschwierigkeiten halten den Dichter an den Grenzen der metrischen Sätze fest, lassen ihn seltener darüber hinwegschreiten. Wir konnten diesen Einfluß schon anderenorts an dem Rückgang der Versbrechungen gewahren. Bei Betrachtung der Strophen- und Periodenbrechungen fällt er noch mehr ins Auge. Hier wie dort findet sich kaum mehr die Hälfte der Brechungen, die sich bei den sonstigen Alexandrinergedichten ergaben (etwa 1 9 ° / o bzw. 15°/o). In den älteren Opitzischen Gedichten der elegischen Strophenform sind sogar nur vereinzelte Spuren der Strophenbrechung vorhanden.' Selbst die Brechungsstelle steht unter der Einwirkung der Strophenform: Die Brechungen an der Zäsur der ersten bzw. dritten Verse heben sich kaum mehr von den übrigen ab. Es scheint, daß die Brechungen hier weniger der bewußten Absicht als der Versnot und dem Zufall entspringen. Einen besonderen Plata nimmt auch das Sonett in Anspruch. Durch die Gegenüberstellung der beiden Quartette und der beiden Terzette, wie sie im Reimschema gegeben ist, wird das Ungleichartige schärfer von einander getrennt, 7*
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ΠΙ. Gliederung.
das Gleichartige enger zusammengerückt. Dadurch wird von Natur aus der strophische Charakter des einzelnen Quartetts und des einzelnen Terzetts beeinträchtigt. Die Reimstellung, das Zusammentreffen des gleichen Reimes am Ende des ersten und am Anfang des zweiten Quartetts verleitete insbesondere dazu, beide Reime gleichzeitig ins Auge zu fassen und dadurch, wie durch eine über die rhythmische Grenze gelegte Klammer, beide Strophen zusammenzuhalten. Überhaupt scheint Fleming infolge des dreimaligen Zusammentreffens gleicher Reime — im zweiten und dritten, vierten und fünften, sechsten und siebten Vers — sich dem Einfluß der Alexandrinercouplets nichts ganz haben entziehen zu können.1) Man vergleiche etwa S. IV. 92: Ich feure ganz und brenne lichter Loh. / Die Tränen hier sind meiner Hammen Ammen, die mich nicht läßt diß stete Leid vertammen. / Ich kenn es wol, was mich kan machen froh, daß ich fortan nicht dürfte weinen so. / Wo aber ists? So müssen nun die Flammen hier über mir nun schlagen frei zusammen. / Mein Schirm ist weg, mein Schutz ist anderswo. Ist ganz Nichts da, daran ich mich mag kühlen in solcher Glut, die meine Geister fühlen? / Der Liebesdurst verzehrt mir Mark und Bein. Diß Wasser ists, die Kühlung meiner Hitze, das ich zum Trunk' aus beiden Augen schwitze. / Ich zapfe selbst und Amor schenkt mir ein. Weitere Beispiele namentlich für die Verbindung der Quartette durch die zusammenstoßenden gleichen Reime siehe: S. I. 1; 10; II. 2; 4; 6; 7; ΠΙ. 3; 9; 12; 15; 33; 57; 61; IV. 2; 12; 17; 23; 27; 52; 68; 92. Trotzdem ist etwas über die Hälfte der Quartette noch klar von einander geschieden. *) Vielleicht hängt es hiermit zusammen, daß die Summe der Brechungen in den geraden Versen die der in den ungeraden bedeutend übertrifft. Auch bei den gewöhnlichen Reimpaaren konnten wir ja feststellen, daß die ersten Verse weit häufiger gebrochen waren als die zweiten.
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Die Terzette jedoch, bei denen jene Versuchung infolge anderer Reimfolge meist fernlag, zeigen weniger Sinnesüberführung (bis ca 35 °/o.). Bei Fleming verhalten sich demnach die rhythmischen Einschnitte zwischen den beiden Quartetten und die zwischen den Terzetten umgekehrt zu einander, wie Minor es als die Regel hinstellt (S. 487). Ton größerer Bedeutung ist aber die Frage nach der Verknüpfung der Quartette mit den Terzetten. Opitz bringt darüber nichts. Bekanntlich verteidigt aber Zesen,die Opitzische Theorie der Strophenbrechung konsequent weiterentwickelnd, die Sinnesüberführung an dieser Stelle in einer besondern Abhandlung (Hei. ΙΠ. 175 ff.), und Opitz und die meisten seiner Zeitgenossen beachten diesen wichtigsten Einschnitt des Sonetts wenig (vgl. Welti, Gesch. des Sonetts, Leipz. 1884, S. 76). Fleming steht hier ziemlich allein: Bis auf eine Ausnahme von 6 °/o ist Sinnschluß nach dem achten Yers strenge Regel. Bei ihm bilden daher die Brechungen der Reimpaare, Vierverse, elegischen Strophen und Sonette eine gerade, dem rhythmischen Wert der betreffenden Einheiten parallele Linie. Bei Opitz fallen dagegen die Sonette aus der Reihe heraus. Allerdings handelt es sich bei Fleming zum großen Teil bloß um einen syntaktischen Einschnitt Welti sagt daher mit Recht, „der Mangel an bestimmter innerer Gliederung sei doch oft bemerklich, sodaß wir wohl berechtigt seien, daran zu zweifeln, daß unserem Dichter die Zweiteiligkeit des Sonetts als wesentliches Merkmal der Form erschienen sei." (S. 89.) Die Gründe für dieses wenigstens äußerliche Einhalten des wichtigsten Sonetteinschnitts genau festzustellen, ist ebenso schwierig, wie es leicht ist, es als ein „instinktives Erfassen des richtigen Gliederungsprinzips" zu bezeichnen. (Welti; Manh. 43.) Zunächst wird das rein Äußerliche des vorgeschriebenen Reimschemas der Quartette Fleming gefangen genommen und, ihm selbst unbewußt, sein poetisches Schaffen geregelt haben. Dabei wurde er nur gelegentlich, aber infolge größerer Gewandtheit seltener als andere, durch Reimnot oder Rücksichten auf Ausdruck und Inhalt gezwungen, über die Grenze dieses Schemas hinauszugehen. Hatte er diese eine
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III. Gliederung.
Klippe hinter sich, dann erst wandte er sich den Terzetten zu und suchte den Best des Gedankenstoffes in ihnen unterzubringen. Ob und inwieweit daneben bei Fleming unter dem starken Einfluß der Form ein Versagen der Gewohnheit der Strophen- bzw. Versbrechungen oder ein bewußter Verzicht auf sie als Kunstmittel, ob und inwieweit bei anderen Dichtern tatsächlich eine geringere Empfänglichkeit für Rhythmus und gliedernde Kraft der Reimfolge in Rechnung zu stellen ist, läßt sich schwer entscheiden. Übte demnach jedenfalls die eigenartige, äußere Form des Sonetts schon unmittelbar die Wirkung aus, daß sich die Rhythmisierung des Gedankens unbewußt und unwillkürlich in zwei Abschnitten vollzog — äußerlich gekennzeichnet durch einen syntaktischen Einschnitt nach dem achten Vers —, so mußte diese Gliederung zugleich eine innere werden, wenn sich dem Dichter ein Stoff darbot, der schon in sich eine Zweiteiligkeit besaß. Bei der Freude an epigrammatisch zugespitzter, pointierter Darstellung war daran im Barockzeitalter kein Mangel. Wir werden daher mit Welti den „deutlichen, oft zum Gegensatz zugespitzten, logischen Abschnitt zwischen den Quartetten und Terzetten der besten Flemingschen Sonette vorzüglich dem besonderen Charakter seiner Sonette" oder besser dem Zusammentreffen und Zusammenwirken von Form und Inhalt zugute schreiben. Durch diese mehr zufällig entstandene Übereinstimmung der äußeren und inneren Gliederung wurde in der Folge, vielleicht auch schon bei Fleming selbst, das rhythmische Gefühl mehr und mehr geschult und geschärft und dazu befähigt, bei Neuschöpfungen das rechte Gliederungsprinzip immer schärfer zum Ausdruck zu bringen, bis allmählich iinter ständig erneuertem gegenseitigen Ausgleich von theoretischer Erkenntnis und rhythmischem Erzeugnis das Bewußtsein aufdämmerte und zu klarer Einsicht sich durchrang, daß die Zweiteiligkeit des Sonetts zum Wesen dieser Form gehöre. Opitz dachte bei der Empfehlung der Strophenbrechung, wie die zitierte Stelle zeigt, nur an Alexandrinergedichte, insbesondere an den Alexandrinerviervers. Und in der Tat trug sie hier im Verein mit der Versbrechung viel dazu bei,
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die Eintönigkeit dieser Versform zu mildern. Ganz anders ist aber die Strophenbrechung zu beurteilen in den liedartigen „Oden". Mit der musikalischen, ganz auf die einstrophige Melodie zielenden Haltung dieser Gedichte ist die Strophenbrechung schlechthin unvereinbar. Bei Fleming trifft man sie aber mitunter auch hier. Am wenigsten anstößig ist es noch, wenn zwei Strophen bloß durch syntaktische Neben-oder Unterordnung näher zusammengerückt werden, ohne daß der innere Bau dieser Strophen dadurch berührt wird, wie Ο. IV. 5, wo die erste Strophe den Nebensatz, die zweite den Hauptsatz enthält, oder Ο. IV. 17, wo die neunte Strophe den Haupt-, die zehnte den Bedingungssatz darstellt. Wenn auch die Selbständigkeit der einzelnen Strophe dadurch verloren geht, handelt es sich doch hier nicht im eigentlichen Sinne um Strophenbrechung. Aber auch diese kennt Fleming, wie ζ. B. in Ο. Π. 10, Str. 9 oder IV. 2, Str. 8, wo der Gedanke der vorhergehenden Strophe nach dem zweiten Vers zur Buhe kommt, oder Ο. IV. 18, Str. 2, in der er nach dem dritten Vers abschließt Allerdings fällt auch bei dieser Art der Strophenbrechung der stärkste syntaktische Einschnitt innerhalb des Gedankenzusammenhangs stets mit dem Ende der vorangehenden Strophe zusammen. Im übrigen zeigt diese Vernachlässigung der strophischen Gliederung deutlich, wie sehr die äußere Trennung der Poesie von der Musik und ihre Bestimmung für die Lektüre auch die rhythmische Form zu lockern strebten. Dasselbe gilt von den Freiheiten im inneren Bau der Liederstrophen. Schon Morhof weist darauf hin: „Man nehme nur eine Ode aus dem Fleming und setze die erste Strophe in die Musik, selten wird man finden, daß die übrigen recht dazu bequem sein werden" (642). Doch handelt es sich hier wie dort nur um Ansätze zu einer freieren Formgebung. Namentlich, wenn man die große Strophenzahl der meisten Gedichte berücksichtigt und bedenkt, wie schwierig es war, die gleiche Gliederung so oft durchzuführen, wird das augenscheinlich. Im allgemeinen ist dagegen die innere Gliederung klar zum Ausdruck gebracht, insbesondere bei den einfachen Strophenformen. Die Art, wie ζ. B. die häufiger angewandte
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sechsreihige Strophe bald als zweiteilig, bald als dreiteilig aufgefaßt und durchgeführt ist, läßt doutlich erkennen, wie tief das rhythmische Gefühl trotz jener Freiheiten in Fleming wurzelte. Bei den schwierigeren, nicht so übersichtlichen Formen stellen sich etwas häufiger Unregelmäßigkeiten des inneren Baues ein. Es wächst damit vielfach aber auch die Schwierigkeit, das rechte Gliederungsprinzip herauszufinden und die Flemingsche Technik darnach zu beurteilen. Ja mitunter bedürfte es erst noch für jede einzelne Strophenform einer besonderen, ausführlichen Analyse, um festzustellen, wieweit überhaupt das Druck- und Reimschema der inneren Gliederung entspräche und wie weit Fleming diese empfand und zur Geltung zu bringen vermochte. * *
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Schloß. Aber gerade durch die Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit in Yers- und Strophenbau, die Fleming vielen seiner Oden zu verleihen sich bemüht, hebt er sich vorteilhaft von Opitz und der nüchternen Eintönigkeit seiner "Verse ab. Wichtiger vielleicht war sein Streben nach Abwechselung in der Versform beim Sonett. Es bedeutet hier schon einen versteckten Einspruch gegen die von Opitz ausgerufene Alleinherrschaft des Alexandriners. Auch wegen der durchgängigen Beobachtung eines syntaktischen Einschnittes zwischen den Quartetten und Terzetten des Sonetts mußten wir Fleming einen hervorragenden Platz, ja eine Ausnahmestellung unter den zeitgenössischen Dichtern einräumen. Nehmen wir dazu das durchweg geringe Gewicht der Verse, die glückliche Verteilung der metrischen Drückungen auf die einzelnen Versstellen, die meist schön ausgeprägte dipodische Gliederung der Oden, ferner die Vermeidung engsten Enjambements, die Geschicklichkeit bei den Alexandrinerbrechungen, die Sicherheit in der Handhabung der schwierigen Sonettform: so erscheint Fleming überhaupt vor dem Meister der schlesischen Schule und vielen seiner Anhänger ausgezeichnet durch größere metrische Gewandtheit und ein lebhaftes Gefühl für Rhythmus und Reim. Derselbe Geist der jugendfrischen
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Gelenkigkeit und selbstsicheren Heiterkeit, der uns aus dem Inhalt seiner Dichtungen überall entgegenleuchtet, ist es, der sichauch in alledem offenbart, namentlich aber ein empfänglicher Sinn für Musik und Gesang. „Die Liebe und die Plege der Tonkunst enthüllten Fleming das "Wesen und die Formen der Lyrik" (Oesterley S. 9, vgl. Tittmann S. XXXVII.). Und so können wir — alle jene Einzelbestimmungen zusammenfassend — auch, als den Vorzug und die Eigenart der Flemingschen V e r s e das Klangvolle, Harmonische, Melodiöse rühmen. „II y en a beaucoup" — so preist E. Schur6 in seiner „histoire du Lied" (Paris 1868) die Flemingschen Gedichte — „qui sont de vrais Lieds, coulant de source, faciles de forme et d'une harmonie si musicale, qu'ils semblent contenir d'avance la mölodie que fera eclore le musicien." (S. 328.) Noch mehr würde uns allerdings der musikalische Charakter der Flemingschen Dichtung zu Bewußtsein kommen, die Musik ihrer Verse uns noch vernehmlicher ins Ohr klingen, wenn wir auch dem Wohllaut der einzelnen Worte und der Schönheit ihrer Elangfiguren, ihrer Alliterationen, Assonanzen, Tonmalereien lauschen wollten. Im Rahmen dieser Arbeit müssen wir es uns versagen. Aber auch dann, wenn wir Flemings Verskunst nicht in ihrer Gesamterscheinung, sondern nur in ihrem Verhältnis zu den metrischen Eeformideen der Poeterei betrachten, werden wir ihr bis zu einem gewissen Grade einen Vorrang, zwar nicht so sehr vor der Opitzischen als vor der der anderen gleichstrebenden Dichter zuerkennen müssen. Denn Fleming war, wie unsere Untersuchungen zeigten, treulicher und mit besserem Erfolge bemüht, die Hauptgedanken der Opitzischen Metrik zu verwirklichen als so viele der übrigen, die sie als berechtigt anerkannten und ihnen zu genügen strebten. Freilich konnte deswegen Fleming persönlich nur insoweit ein Lob erteilt werden, als es wieder seiner Versgeschicklichkeit, seiner Anpassungsfähigkeit und Sprachgewandtheit galt. Auf ein tieferes Verständnis für Opitzens Bestrebungen durfte hieraus aber nicht geschlossen werden. Im Gegenteil! Die Tatsache, daß Opitz es so sagte und nicht anders, genügt Fleming schon, um seinen Forderungen rückhaltlos zuzustimmen.
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Das Warum kümmert ihn nicht; er hält sich einfach an den Wortlaut der Opitzischen Regeln. Wo Opitz verbietet oder fordert, sucht er seinem Willen möglichst nachzukommen, wo er aber seine Sätze weniger scharf formuliert, wird gleich auch Fleming lässig. Nirgendwo der Versuch, einzelne Bestimmungen im Geiste der Grundgesetze oder in der vielfach schon von Opitz selbst angedeuteten und gewollten Richtung hin zu erweitern! nirgendwo auch, zu allgemein gehaltene in die Grenzen ihrer Berechtigung einzuschränken! Von einer bewußten Fortbildung der Opitzischen Metrik kann daher bei Fleming nicht die Rede sein. Kritiklosigkeit und Äußerlichkeit kennzeichnen sein Verhältnis zur metrischen Reform. Aber auch so hatte der enge Anschluß an Opitz sein Gutes. Dadurch zeigte Fleming allen Neidern, Nörglern und Zweiflern, daß die neuen Gesetze sich verwirklichen ließen, auch ohne dem Gehalt der Dichtung Abbruch zu tun. Ja daß er sich gerade in seinen Werken als der hervorragendste Lyriker seiner Zeit auswies und es doch für nötig hielt, sich den Opitzischen Forderungen anzubequemen, mußte der neuen Lehre eine besondere Stütze bieten. Und da mag der Umstand nicht ohne Wert sein, daß die Gedichte Flemings erst einige Jahre nach seinem Tode weiteren Kreisen zugänglich wurden, zu einer Zeit, wo die erste Begeisterung für Opitz und sein Wollen schon verflogen und die reaktionäre Unterströmung wieder stärker hervortrat Allerdings nicht in den metrischen Dingen liegt Flemings eigentliche Bedeutung. Sein Formtalent ist nicht in erster Linie die Quelle seines Ruhmes. Eine tiefe Empfindungsgabe und eine rege Phantasie und Gestaltungskraft sind es vor allem, wodurch er seine Zeit überragt Daß er das wahrhaft Dichterische, dem durch Opitzens Kunstauffassung Gefahr drohte, wieder zu Ehren brachte; daß er seinen Zeitgenossen den Sinn für lebenswarme Poesie, der unter dem Hauch einer schulmeisterlichen Lehrhaftigkeit schien ersterben zu wollen, durch seine Dichtung wieder weckte, darin liegt Flemings Vorzug und Verdienst.
VERLAG
VON K A R L
J. T R Ü B N E R
IN
STRASSBURG.
Soeben erschien:
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