Metonymie und Diskurskontinuität im Französischen 9783110234299, 9783110234305

Metonymy, apart from metaphor, represents an additional important cognitive mechanism used in our everyday language. One

230 81 2MB

German Pages 275 [330] Year 2010

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil I Grundlagen
1 Diskursfunktionale Annäherung an die Metonymie
2 Metonymie
3 Kontinuität
Teil II Korpusgestützte Untersuchung
4 Empirisches Vorgehen
5 Metonymie und Kontinuität
6 Metonymie und Kohärenz
Schlussbetrachtung
Backmatter
Recommend Papers

Metonymie und Diskurskontinuität im Französischen
 9783110234299, 9783110234305

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Linguistische Arbeiten

531

Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Müller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese

Beate Kern

Metonymie und Diskurskontinuität im Französischen

De Gruyter

D 188

ISBN 978-3-11-023429-9 e-ISBN 978-3-11-023430-5 ISSN 0344-6727 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand am Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin und behandelt den Zusammenhang zwischen Metonymie und Diskurskontinuität. Dieser wurde anhand französischer Textausschnitte analysiert. Um die Ergebnisse der Arbeit auch Nicht-Romanisten zugänglich zu machen – denn der behandelte Zusammenhang ist sicherlich auch in anderen Sprachen relevant –, wurden die Textausschnitte ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzungen der Textausschnitte sind auf den Internetseiten des Verlags unter http://www.degruyter.de abrufbar. An dieser Stelle möchte ich außerdem zuallererst Prof. Dr. Thomas Kotschi danken, der es mir ermöglicht hat, diese Arbeit zu schreiben. Sein Rat und seine Hilfe haben mir viel bedeutet. Ich konnte mir jederzeit seiner Unterstützung sicher sein, und seine treffsicheren Anmerkungen und Anregungen haben mich immer ein großes Stück weitergebracht. Auch möchte ich Prof. Dr. Uli Reich für seine Unterstützung und seine Ratschläge danken. Ebenso gilt mein Dank Prof. Dr. Elisabeth Stark, deren zahlreiche wertvolle Hinweise in die Arbeit eingegangen sind. Dem wachen Auge von Christiane Focking, Dr. Annika Lamer, Kathrin Rathsam und Prof. Dr. Ralf Kern habe ich zu verdanken, dass sich einiges an Ungereimtheiten und Fehlern weniger in die Arbeit einschleichen konnte. Und nicht zuletzt haben mich meine Familie und meine Freunde immer unterstützt und bestärkt. Vielen Dank an alle, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Teil I Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

1 Diskursfunktionale Annäherung an die Metonymie . . . . 1.1 Bemerkungen zur Herangehensweise in bisherigen Untersuchungen zur Metonymie . . . . . . . . . . . . 1.2 Hinweise auf die diskursive Relevanz der Metonymie 1.3 Diskursfunktionale Herangehensweise . . . . . . . .

. . . . . . .

5

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 7 12

2 Metonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Überlegungen zur konzeptuellen Fundierung der Metonymie . . . 2.1.1 Kontiguität als Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Konzept und Modelle konzeptueller Repräsentationen . . . 2.1.1.2 Kontiguität im Modell des Frames . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Konzeptuelle Kontiguität als Voraussetzung für sprachlich realisierte Metonymien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Wort, Bedeutung, Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Verortung der Kontiguität auf konzeptueller Ebene . . . . . 2.2 Eigenschaften der Metonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Verschiedene Sichtweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Rhetorische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2 Referentielle Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Kognitive Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.4 Pragmatische Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Differenzierung unterschiedlicher Typen von Metonymien und Abgrenzung gegenüber ähnlichen Strukturen . . . . . . 2.2.2.1 Differenzierung unterschiedlicher Typen von Metonymien . 2.2.2.2 Unterscheidung zwischen spontan gebildeten Metonymien und metonymisch begründeter Polysemie . . . . . . . . . 2.2.2.3 Parametonymische Figuren . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.4 Abgrenzung der Metonymie gegenüber Synekdoche und Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 15 15 17 20 20 23 24 24 25 27 32 38 42 43 46 49 52 57

VIII 3 Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Kontinuität und ihr Verhältnis zu Kohärenz und Kohäsion . . . . . 3.1.1 Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.1 Kohärente Verknüpfung der dem Diskurs zugrunde liegenden Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.2 Kohärente Rekonstruktion bei der Rezeption eines Diskurses 3.1.2 Kohäsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1 Formale Manifestation von Relationen zwischen Bestandteilen eines Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Vermittlung zwischen den beiden Seiten der Kohärenz . . . 3.1.3 Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.1 Kontinuität als Fortführung und entsprechende sprachliche Realisierung von gegebener Information . . . . . . . . . . 3.1.3.2 Kontinuität im Verhältnis zu Kohäsion und Kohärenz . . . 3.2 Herstellung von Kontinuität im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Informationsstrukturelle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Begriff der Informationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2 Informationsstatus: Verarbeitung gegebener, ableitbarer und neuer Informationselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.3 Topik und Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.4 Informationelle Progression und informationelle Kontinuität 3.2.2 Anaphern und ihre Wiederaufnahmefunktion . . . . . . . . 3.2.2.1 Begriff der Anapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Indirekte pronominale Anapher . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 Assoziative Anapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.4 Anapher und Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 61 61 62 64 64 64 66 66 68 69 69 70 71 73 74 77 77 80 82 85 87

Teil II Korpusgestützte Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

4 Empirisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Zusammenstellung des Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Probleme bei der Extraktion metonymischer Ausdrücke aus dem Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Vorgehen bei der Analyse des Korpus und der Systematisierung der Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. .

93 93

.

99

. 101

5 Metonymie und Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Metonymie und Anaphorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Typen des Zusammenwirkens von Metonymie und Anaphorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1.1 Auftreten des metonymischen Ausdrucks als Antezedens . 5.1.1.2 Auftreten des metonymischen Ausdrucks als anaphorischer Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 105 105 118

IX 5.1.2

Ansätze zur Erklärung der Formen des Zusammenwirkens von Metonymie und Anaphorisierung . . . . . . . . . . . 5.1.2.1 Einfluss von referentiellem und prädikativem Transfer . . . 5.1.2.2 Einfluss von kognitiven Faktoren . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2.3 Einfluss von pragmatischen Faktoren . . . . . . . . . . . . 5.1.2.4 Vorschlag einer alternativen Erklärung: Einfluss informationsstruktureller Faktoren . . . . . . . . . . . . . 5.2 Kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie und metonymieverwandter Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie . . . . . . . 5.2.1.1 Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks bzw. durch den metonymisch verwendeten Ausdruck: Progression mit konstantem Topik und lineare Progression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.2 Überleitung zum Zielkonzept der Metonymie: Progression mit abgeleitetem Topik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.3 Bildung anaphorischer und referentieller Ketten mit Hilfe von Metonymien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Kontinuitätsstiftende Funktion metonymieverwandter Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.1 Syllepse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.2 Indirekte pronominale Anapher . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.3 Assoziative Anapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.4 Indirekte Anschlüsse in Relativsätzen . . . . . . . . . . . 5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Metonymie und Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Kohärenzstiftende Funktion der Metonymie . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Einsatz der Metonymie zum Zwecke der Darstellung einer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1.1 Einbringung eines spezifischen argumentativen Potentials . 6.1.1.2 Zuspitzung von Gegenüberstellungen . . . . . . . . . . . . 6.1.1.3 Metonymische Darstellung von Kausalität . . . . . . . . . 6.1.2 Einsatz der Metonymie für die Formulierung von Zusammenfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.1 Metonymie als vorausschauende und resümierende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.2 Hypallage als Möglichkeit zur Raffung . . . . . . . . . . . 6.2 Gegenüberstellung der Metonymie und der Metapher in Bezug auf Kontinuität und Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Metapher, Kontinuität und Kohärenz . . . . . . . . . . . . 6.2.1.1 Konzeptuelle Metapher und ihre kohärenzstiftende Funktion im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 126 130 137 140 151 151

151 165 170 175 175 185 190 193 198 203 203 203 204 208 213 221 221 224 228 228 228

X 6.2.1.2 Metapher und Anapher . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Metonymie und Metapher im Diskurs . . . . . . . . 6.2.2.1 Metonymie und Metapher und ihre unterschiedlichen Funktionen im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.2 Kohärenz durch die Interaktion von Metonymien und Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 235 . . . 237 . . . 237 . . . 239 . . . 248

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Repräsentationsmodell in Form eines rekursiven Frames . . . . Abb. 2: Semiotisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3: Auszug aus der Tabelle zur Sammlung der Beispiele . . . . . . Abb. 4: Gegenüberstellung der Anaphorisierung von metonymischen Ausdrücken und der indirekten Anapher . . . . . . . . . . . . . . Abb. 5: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 6: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 7: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 8: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 9: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 10: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks . . . Abb. 11: Überblick zu den Typen von Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke und den damit verbundenen Progressionsmustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 12: Schematische Darstellung einer Metonymie als Basis für eine Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 13: Schematische Darstellung einer Metonymie basierend auf der Quelle einer Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 14: Schematische Darstellung einer Metonymie basierend auf dem Ziel einer Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 18 . 21 . 104 . 106 . 110 . 113 . 115 . 117 . 120 . 122 . 175 . 241 . 242 . 244

Einleitung

Zwar ist die Metonymie in den letzten Jahren zunehmend aus dem Schatten der weitaus häufiger und ausführlicher diskutierten Metapher herausgetreten, auch konnten viele Aspekte der Metonymie näher beleuchtet werden, aber dennoch wurde ein wichtiger Punkt bisher kaum beachtet: die Rolle und die Einbindung der Metonymie im diskursiven Zusammenhang. Längst wird die Metonymie nicht mehr nur als Stilmittel betrachtet, sondern als ein grundlegender Konzeptualisierungsmechanismus gesehen, der sich in sprachlichen Äußerungen niederschlagen kann. Bemerkenswert ist die sich immer mehr verfestigende Einsicht, dass die Metonymie in der Sprache und im menschlichen Denken allgegenwärtig1 ist und dort eine zentrale Rolle einnimmt: „The impulse to speak and think with metonymy is a significant part of our everyday experience. [...] metonymy shapes the way we think and speak of ordinary events“ (Gibbs 1999: 61). Dementsprechend handelt es sich bei der sprachlichen Manifestation von Metonymien auch um ein sehr häufiges Phänomen – Markert und Hahn (2002: 2) werten z. B. aus, dass in einem von ihnen untersuchten deutschsprachigen Korpus 15 % aller Sätze Metonymien enthalten. Außerdem erweist sich die Metonymie im Zusammenhang mit Sprache als ein vielseitiges Phänomen, das z. B. auf lexikalischer, morphologischer, syntaktischer oder diskursiver Ebene (vgl. Radden/Kövecses 1999: 21) wirksam werden kann. Trotz der entsprechenden Vielseitigkeit der Untersuchungen zur Metonymie2 wurde die in der vorliegenden Arbeit aufgeworfene Frage, wie Metonymien in den übrigen Diskurs eingebunden ist und welche Rolle sie auf diskursiver Ebene spielt, kaum gestellt, geschweige denn versucht, eine systematische, über einzelne Bemerkungen oder Denkansätze hinausgehende Antwort zu geben. Die diskursive Perspektive kam durch die Fokussierung auf den einzelnen metonymisch verwendeten Ausdruck bisher zu kurz. Dass die Metonymie Teil unserer „everyday experience“ ist und dazu dient, gerade auch über „ordinary events“ (Gibbs 1999: 61) zu sprechen, zeigt sich darin, dass wir in unseren alltäglichen Äußerungen eine große Anzahl von Metonymien verwenden, ohne uns dessen bewusst zu sein. Dieses Verfahren scheint so in unser Denken eingeschrieben, dass wir es normalerweise – bewusste rhetori1 2

Vgl. z. B. Raddens (2005) Artikel mit dem bezeichnenden Titel „The ubiquity of metonymy“. Z. B. zur Charakterisierung der Metonymie und zur Abgrenzung gegenüber der Metapher (vgl. u. a. Barcelona 2003, Gibbs 1999, Radden/Kövecses 1999), in Zusammenhang mit grammatischen Konstruktionen oder pragmatischen Mustern (vgl. u. a. Ruiz de Mendoza/Pérez 2001, Waltereit 1998, Thornburg/Panther 1997, Bonhomme 2006), zur Typologisierung verschiedener Ausformungen der Metonymie (vgl. u. a. Blank 1999, Bonhomme 2006), zur computergestützten Verarbeitung von Metonymien (vgl. u. a. Markert/Nissim 2003).

2 sche Verwendung ausgenommen – weder als Sprecher noch als Zuhörer bzw. Leser deutlich registrieren. So auch bei einer oberflächlichen Betrachtung der folgenden drei Beispiele, die kurz exemplarisch erläutert werden sollen, um einen ersten einführenden Eindruck vom Charakter der Metonymie als Grundlage für die weiteren Überlegungen zu geben. (1)

Plus pointu, dans l’automobile on recherche désespérément des BTS « maintenance et après-vente » et des BTS « moteur à combustion interne » (sic!). « Or il n’existe qu’une demi-douzaine de ces formations en France, d’où sortent chaque année 200 personnes quand le marché a besoin du double ! » assure Michel Nosrée. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 8.)

(2)

En plein week-end de la Pentecôte, l’officier chargé de la communication, qui rédige les communiqués, est allé se reposer au bord de la mer à une heure de la capitale. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Armée. Enquête sur un assassinat silencieux“, S. 40.)

(3)

« En voyant fin 2004 qu’on entrait dans les turbulences, j’ai souhaité prendre moi-même les rênes de Casino, explique la 46e fortune de France, avec un patrimoine de 750 millions d’euros. Je savais que ça allait être dur. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Le financier qui voulait être épicier“, S. 42.)3

Als allgemeiner Konzeptualisierungsmechanismus ließe sich die Metonymie folgendermaßen definieren: „Metonymy is a cognitive process in which one conceptual entity, the vehicle, provides mental access to another conceptual entity, the target, within the same idealized cognitive model“ (Radden/Kövecses 1999: 21). Dies soll mit Hilfe der Beispiele kurz erläutert werden: Allen drei Beispielen ist gemein, dass sie einen Ausdruck beinhalten, der metonymisch verwendet wird (jeweils durch Fettdruck markiert). Im ersten Beispiel wird der Begriff „BTS“ (brevet de technicien supérieur) verwendet, um auszudrücken, dass Personen gesucht werden, die über diese Art des Abschlusses verfügen. Im zweiten Beispiel wird eine Entfernung mittels der Zeit beschrieben, die für das Zurücklegen der Strecke aufgewendet werden muss, und im dritten Beispiel erklärt natürlich nicht etwa das in Frankreich an 46. Stelle stehende Vermögen die Lage der Firma, sondern Jean-Charles Naouri, der Geschäftsführer und Mehrheitsaktionär der Supermarktkette Casino, der selbiges Vermögen besitzt. 3

Diese und die im Folgenden angeführten Beispiele sind bis auf wenige Ausnahmen aus dem französischen Nachrichtenmagazin Le Nouvel Observateur entnommen. Die in den einzelnen Beispielen entscheidenden Stellen – zumeist der metonymische Ausdruck und eventuelle Anaphern – wurden jeweils von mir in Fettdruck hervorgehoben. Alle anderen Hervorhebungen in den Beispielen stammen aus dem Original. Zunächst dienen die Ausschnitte lediglich der Illustration der allgemeinen theoretischen Überlegungen; im Zuge der eigentlichen Beispielanalysen finden sich in Kapitel 4 genauere Angaben zur Extraktion der Beispiele und zum verwendeten Korpus. Auf den Internetseiten des Verlags (http://www.degruyter.de) kann außerdem ein Anhang mit den deutschen Übersetzungen der Beispiele heruntergeladen werden.

3 So unterschiedlich die beschriebenen Sachverhalte auch sind, so ähneln sich doch die Ausdrücke „des BTS ‹ maintenance et après-vente › et des BTS ‹ moteur à combustion interne ›“, „une heure“ und „la 46e fortune de France“ in ihrer Verwendungsweise. All diese Ausdrücke dienen dem Zweck, auf etwas anderes zu referieren als auf das, was normalerweise durch sie bezeichnet würde. Derartig durch die Metonymie beeinflusste sprachliche Ausdrücke werden im Folgenden als metonymische oder metonymisch verwendete Ausdrücke bezeichnet werden. Sie rufen neben dem Konzept, das normalerweise mit ihrer Bedeutung verbunden ist (Quellkonzept), ein weiteres Konzept (Zielkonzept) auf. Dennoch steht das mit der Bedeutung eigentlich verbundene Konzept nicht willkürlich dem im konkreten Fall aufgerufenen gegenüber: Zwischen Quell- und Zielkonzept besteht eine Kontiguitätsrelation, eine „Nachbarschaftsbeziehung“ innerhalb einer konzeptuellen Repräsentation. Auf diese intuitiv einsichtige Relation wurde ja bereits in der obigen kurzen Charakterisierung der Beispiele hingewiesen (Abschluss–Inhaber des Abschlusses, Reisedauer–Entfernung, Vermögen– Besitzer des Vermögens). Der Begriff des Konzepts ist dabei als mentale Einheit zur Beschreibung und Kategorisierung von Wissen in unserem Langzeitgedächtnis zu verstehen (s. dazu Kapitel 2.1.1.1). Wenn nun die Metonymie ein ebenso grundlegender wie vielfältiger und alltäglich auftretender Mechanismus in unserem Denken und unserer Sprache ist und Sachverhalte auf eine bestimmte Art konzeptualisiert, so ist es nur wahrscheinlich, dass diese spezifische Sichtweise nicht ohne Auswirkungen auf damit zusammenhängende Strukturen im Diskurs bleibt. Zumal nicht selten auch für die Metapher in ihrer der Metonymie vergleichbaren Konzeptualisierungsfunktion eine ebensolche diskursive Stellung angenommen wird. Lakoff und Johnson (1980) betrachten die Metapher als einen grundlegenden Konzeptualisierungsmechanismus, der auf einer allgemeinen metaphorischen Strukturierung des menschlichen Denkens beruht. Diese Strukturierung kann sich sprachlich in Form einzelner Metaphern manifestieren, welche wiederum auf diskursiver Ebene die in dem zugrunde liegenden konzeptuellen Schema gespeicherten Zusammenhänge aktivieren können. Zumeist wird deshalb die Metapher, wenn es um ihre diskursive Dimension geht, als ein Mittel zur Schaffung von Kohärenz angesehen (vgl. u. a. Lakoff/Johnson 1980, Pielenz 1993, Feng 2003). Auf die Metonymie wurde allerdings bislang kaum ein vergleichbarer Blick gerichtet. Ein solcher kann jedoch dazu beitragen, neue Erkenntnisse zur Metonymie selbst zu erlangen und zugleich Aspekte der informationellen Organisation des Diskurses von einer neuen Warte aus zu betrachten: Die Metonymie könnte als spezifischer Konzeptualisierungsmechanismus helfen, die zu transportierende Information optimal mit den zur Verfügung stehenden sprachlichen Ausdrucksmitteln in den Diskurs einzufügen und damit eine bestimmte Rolle für die Organisation des Diskurses – wie sich zeigen wird v. a. für dessen Kontinuität, für anaphorische Wiederaufnahmen und informationsstrukturelle Gliede-

4 rung – übernehmen. Dies ist Anlass, in der vorliegenden Arbeit folgenden Fragen nachzugehen: Wie fügen sich metonymische Ausdrücke in ihre diskursive Umgebung ein? Wie wirken sich Metonymien auf die Kohärenz und Kontinuität eines Diskurses aus? Können Metonymien spezifische Funktionen für die Strukturierung von Information im Diskurs übernehmen?

Teil I Grundlagen

1

Diskursfunktionale Annäherung an die Metonymie

Die Fragen, die sich am Ende der Einleitung aufgetan haben, sollen im Folgenden konkretisiert werden. Zunächst wird in Kapitel 1.1 dargelegt, dass sich eine Untersuchung zu Metonymie und Diskurs auf nur wenige bisherige Ergebnisse stützen kann. Dass eine diskursfunktionale Sichtweise auf die Metonymie dennoch sinnvoll und notwendig ist, belegen einige Hinweise auf die diskursive Dimension der Metonymie, die vereinzelt in manchen Arbeiten anklingen (Kapitel 1.2). Diese dienen als Ausgangspunkt für die genauere Formulierung der Fragestellung in Kapitel 1.3. Außerdem werden dort die weitere Vorgehensweise und der Aufbau der Arbeit näher erläutert.

1.1

Bemerkungen zur Herangehensweise in bisherigen Untersuchungen zur Metonymie

Der Konzeptualisierungsmechanismus der Metonymie erfuhr bis vor einiger Zeit weniger Interesse als die oft in einem Zug damit genannte Metapher, rückt aber mehr und mehr ins Zentrum vieler Betrachtungen. Für diese Entwicklung ist z. B. folgende Bemerkung Bonhommes symptomatisch:1 „[L]es études sur la métaphore dominent d’une façon écrasante celles consacrées [...] à la métonymie [...]. Néanmoins, si l’on se livre à un examen méthodique de la notion de métonymie, de l’Antiquité à nos jours, on se rend vite compte de l’énorme complexité de celle-ci“ (Bonhomme 1987: 1). Abgesehen von rhetorischen Analysen beschäftigt sich deshalb die Mehrzahl der bisherigen Arbeiten zur Metonymie damit, zunächst deren Mechanismus und deren Funktionsweise an sich zu verstehen und zu erklären. Daneben erwachsen Bestrebungen, unterschiedliche Metonymien – meist nach den verschiedenen zugrunde liegenden Beziehungen zwischen Quell- und Zielkonzept – zu klassifizieren. Außerdem spielt die Abgrenzung und Gegenüberstellung zu verwandten Phänomenen wie der Metapher eine große Rolle (vgl. Kapitel 2.2). Zwar ist 1

Ähnliche Bemerkungen finden sich u. a. auch bei Ruiz de Mendoza/Pérez (2001: 321), Burkhardt (1996: 175) und Barcelona (2003: 4).

6 die Metonymie als konzeptueller und sprachlicher Mechanismus somit im Allgemeinen inzwischen relativ gut beschrieben, auf diskursive Zusammenhänge ausgerichtete sowie einzelsprachliche Untersuchungen fehlen aber weitgehend. So stellen – auch in Verbindung mit den am Ende der Einleitung formulierten Fragen – insbesondere drei Lücken in der bisherigen Metonymieforschung den Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit dar: Erstens orientieren sich die meisten Untersuchungen stark am Englischen und gehen kaum auf andere Sprachen ein, obgleich unterschiedliche Strukturen im Lexikon unterschiedlicher Sprachen interessante und aufschlussreiche Unterschiede in der Verwendung von metonymischen Ausdrücken mit sich bringen könnten. Auch Lönneker (2003: 4) betont, dass einzelsprachliche, über das meistens herangezogene Englische hinausgehende Untersuchungen auch im Zusammenhang mit der Forschung zur Wissensrepräsentation, die einige Berührungspunkte mit den Erklärungen zum Mechanismus der Metonymie bietet (vgl. Kapitel 2.1), von Gewinn wären. Zweitens stützt sich die Mehrzahl der Arbeiten auf konstruierte oder zumindest aus dem Kontext herausgelöste Einzelsätze oder gar einzelne Ausdrücke. Eine ergänzende Überprüfung der daraus gewonnenen Ergebnisse an Textbeispielen fehlt im Allgemeinen. Eine Ausnahme bilden in diesem Punkt Lecolles (2003) sowie Bonhommes (1987, 2006) Arbeiten zum Französischen. Beide verwenden zahlreiche Beispiele – Lecolles Beispiele stammen aus einer systematischen Untersuchung eines Korpus mit Artikeln aus der Tagespresse, Bonhommes Beispiele stammen aus dem literarischen Bereich. V. a. Lecolle jedoch berücksichtigt bei der Besprechung der Beispiele nur selten deren Kontext. Eng verbunden mit der geringen Anzahl von Untersuchungen an authentischen Textbeispielen ist das dritte Defizit, nämlich das Fehlen von Untersuchungen zur Rolle, die Metonymie über den einzelnen Ausdruck hinaus im größeren Zusammenhang einnehmen kann. Für das Englische existieren lediglich einige Arbeiten, die insofern die Metonymie auch über die Satzgrenzen hinaus beleuchten, als sie sich mit der anaphorischen Wiederaufnahme von metonymischen Ausdrücken beschäftigen – allerdings wieder nur anhand konstruierter Einzelsätze (vgl. v. a. Nunberg 1995, Ruiz de Mendoza/Díez 2004, Ruiz de Mendoza/Pérez 2001, Stirling 1996, Warren 2004, 2006). Auch Al Sharafi (2004) kann mit seinem auf den ersten Blick auf die angesprochene Problematik passenden Titel Textual metonymy keine Antwort auf die Frage nach der diskursiven und textuellen Dimension der Metonymie in sprachwissenschaftlicher Betrachtung bieten. Er fasst den Begriff der Metonymie in semiotischer Ausrichtung viel weiter und verwendet ihn nicht nur in Bezug auf einzelne metonymische Ausdrücke, sondern für metonymische Beziehungen zwischen ganzen Äußerungen und Textteilen. Für das Französische sind in der Hinsicht einer diskursiven Ausrichtung und einer Orientierung an authentischen Beispielen lediglich die bereits genannten Arbeiten von Bonhomme (1987, 2006) und Lecolle (2003) zu erwähnen. Letzte-

7 re stellt für die Analyse von Metonymien immerhin Folgendes fest: „[L]e texte s’est également avéré être une unité de contexte plus pertinente que la phrase“ (Lecolle 2003: 5). Allerdings widmen sich beide eher den generellen pragmatischen Funktionen der Metonymie und weniger ihrer Einbindung in den strukturellen Aufbau des Diskurses. Lecolle beschränkt sich darüber hinaus im Wesentlichen auf stark stereotypisierte Metonymien, die sich auf Institutionen beziehen, meistens auf Eigennamen basieren und dem journalistischen Jargon angehören. In ihrer Schlussfolgerung nennt sie selbst als weitere mögliche Forschungsziele die Diversifizierung der untersuchten Typen von Metonymien und die Untersuchung der „plurivocité“ (Lecolle 2003: 321) der Metonymie – also der Oszillation zwischen der wörtlichen Bedeutung eines metonymisch verwendeten Ausdrucks und dem Bezug auf das Zielkonzept –, wie sie nur im diskursiven Zusammenhang erkennbar wird.

1.2

Hinweise auf die diskursive Relevanz der Metonymie

Bevor im Weiteren erste Hinweise auf den diskursiven Charakter der Metonymie erörtert werden können, muss zunächst der Begriff des Diskurses genauer umrissen und dem Begriff des Texts gegenübergestellt werden. Die Unterschiede lassen sich nach Drescher (2002: 313–315) erkennen, wenn man sie im Licht der jeweiligen Traditionen sieht, denen sie entstammen. Textlinguistik wird eher mit Textgrammatiken bzw. situationsunabhängiger Analyse in Verbidung gebracht, wohingegen die Diskursanalyse für kontextorientierte, situationsabhängige Ansätze steht.2 Hier zeichnet sich bereits ab, warum die Diskursanalyse für die vorliegende Fragestellung als die geeignetere Herangehensweise erscheint: Die kontextorientierte, situationsabhängige Sichtweise auf Äußerungen ist für die Behandlung der Metonymie entscheidend, da sie außersprachliche Konzepte verbindet und diese Verbindungen in die Sprache einbringt. Entsprechend sollen die Begriffe von Text und Diskurs differenziert werden. Während der Begriff des Texts also häufig in Verbindung mit Ansätzen auftritt, die zwar über den Satzrahmen hinaus an der Bildung größerer sprachlicher Einheiten interessiert sind, diese aber immer noch grammatikalisch und systemlinguistisch beschreiben, taucht der Begriff des Diskurses eher in Zusammenhängen auf, in denen selbiger als kommunikative Einheit gesehen wird. Dazu lässt sich ergänzend eine Trennlinie ziehen, nach der sich das Konzept des Texts eher in einer produktbezogenen, auf das sprachliche Material ausgerichteten Sicht2

Ein allgemeiner Überblick zur Geschichte der Diskurs- und Textlinguistik sowie zu den Einflüssen verschiedener Nachbardisziplinen auf die Diskursanalyse findet sich z. B. im ersten Kapitel von Ernst (2003: 13–44).

8 weise darstellt, das Konzept des Diskurses dagegen in einer prozessbezogenen, dem Kontext und kommunikativen Aspekten eine große Rolle einräumenden und an mentaler Strukturierung interessierten Perspektive erscheint. Teilweise wird Text eher mit schriftlichen, Diskurs dagegen mit mündlichen Spracherzeugnissen assoziiert. Letztere Unterscheidung ist aber nicht relevant, folgt man Roulets umfassendem Verständnis von Diskurs, wie es hier übernommen werden soll: Diskurs ist demnach „tout produit d’une interaction à dominante langagière, qu’il soit dialogique ou monologique, oral ou écrit, spontané ou fabriqué, dans ses dimensions linguistique, textuelle et situationnelle“ (Roulet 1999: 188, Hervorhebung im Original) bzw. eine „interaction verbale située, dans ses dimensions linguistiques et situationnelles“ (Roulet et al. 2001: 25). Es handelt sich also um jedes Resultat sprachlicher Äußerung in einer authentischen Kommunikationssituation. Diese weite Auffassung von Diskurs unter Einbeziehung des sprachlichen und situationellen Kontexts kommt der hier anstehenden Fragestellung entgegen. Gerade die Erweiterung der Perspektive um diese Gesichtspunkte soll helfen, bislang vernachlässigte Aspekte der Metonymie offenzulegen. Auch wenn, wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde, bisher kaum eine Arbeit ausdrücklich den Zusammenhang von Metonymie und Diskurs zu ihrem Thema gemacht hat, finden sich doch immer wieder vereinzelte Bemerkungen, die andeuten, dass die Metonymie in ihrer Wirkung nicht nur punktuell auf einen Ausdruck begrenzt ist, sondern auch auf diskursiver Ebene zum Tragen kommt. Derartige Bemerkungen können erste Anhaltspunkte für die weitere Ausrichtung der Arbeit liefern. Es ist zu vermuten, dass die Metonymie – zumindest in bestimmten Verwendungsweisen – Kohäsion, Kohärenz und v. a. Kontinuität des Diskurses beeinflussen kann. Kohäsion wird im Folgenden als durch formale Mittel hergestellte Zusammenhang im Diskurs, Kohärenz dagegen als semantischer und konzeptueller Sinnzusammenhang betrachtet. Kontinuität wiederum umfasst den Schnittbereich bzw. die Interaktion von Kohäsion und Kohärenz im Diskurs, also die formale und konzeptuelle sukzessive Weiterführung einer Entität. Hierbei spielen die informationelle Gegebenheit, Topiks im Sinne von Aussagegegenständen sowie Anaphern eine wichtige Rolle. Diese knappen Begriffsbestimmungen werden in Kapitel 3 genauer erörtert. Auf den ersten Blick finden sich zunächst einige Einschätzungen, die Metonymie als Ursache für eine Störung der Kohäsion bewerten. Diese Sicht auf die Metonymie ergibt sich meist dann, wenn es um die sprachlichen Anzeichen für das Vorliegen einer Metonymie geht. Inkongruenzen typographischer, syntaktischer oder semantischer Art können auf eine Metonymie hinweisen, führen aber zugleich zu einem Bruch in der Kohäsion eines Diskurses: Le Guern (1973: 25, 28) spricht von „écart linguistique“, von „anomalie“ und „incompatibilité“; Bonhomme (1987: 84–108) gibt dem betreffenden Kapitel seiner Monographie zur Metonymie den Titel „Un énoncé rompu“ (Bonhomme 1987: 84). Im folgenden

9 Beispiel sind typographische Hervorhebungen und streng genommen ungrammatische Konstruktionen als augenfällige Anzeichen von Metonymie zu beobachten: (4)

On ne dira jamais assez l’importance de ces Nuremberg après Nuremberg, ces procès oubliés que l’on appelle « les séries vertes », parce que leurs minutes sont reliées dans cette couleur. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „L’œuvre de justice continue“, S. 11.)

Der Artikel, dem die Textstelle entnommen ist, analysiert die Bedeutung der Nachfolgeprozesse, die sich an die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptverantwortlichen des Naziregimes anschlossen. Sie fanden ebenfalls in Nürnberg statt und wandten sich gegen Mitarbeiter des Hitler-Regimes auf niedrigerer Ebene. Dabei wird „‹ les séries vertes ›“ durch die Anführungszeichen im Diskurs markiert. Der Ausdruck transportiert eine Metonymie, die auf der Relation zwischen dem Konzept der Prozessakten und demjenigen der Prozesse selbst beruht. Wichtig ist die explizite typographische Markierung. Durch sie wird der Ausdruck auffällig aus dem kontinuierlichen Ablauf des Diskurses hervorgehoben, zumal dieser im folgenden Kausalsatz explizit thematisiert und hinsichtlich seines Ursprungs erläutert wird. Außerdem enthält der Auszug ein Beispiel für die Markierung der Metonymie durch einen syntaktischen Bruch, nämlich durch die Inkongruenz zwischen Artikel und Nomen: „La métonymie suscite dans le couple Détermination–Nom des bouleversements syntaxiques qui en perturbent la grammaticalité“ (Bonhomme 2006: 69). In der Nominalphrase „ces Nuremberg“ als Verweis auf die dortigen Prozesse kongruiert der Numerus des demonstrativen Artikels nicht mit dem des Nomens. Diese Unstimmigkeit tritt umso deutlicher hervor, als es sich dabei um einen Eigennamen handelt, der normalerweise nicht von einem Artikel begleitet wird. Durch die Verletzung der Numeruskongruenz kommt es zu der ungrammatisch erscheinenden Struktur, die als ein Bruch wahrgenommen wird. Ein Bruch kann sich außerdem nicht nur innerhalb der metonymischen Nominalphrase selbst, sondern auch auf diskursiver Ebene manifestieren. Eine solche „rupture discursive“ (Bonhomme 1987: 99) ist z. B. bei anaphorischen Wiederaufnahmen eines metonymischen Ausdrucks gegeben, bei der das anaphorische Pronomen nicht mit der Form des metonymischen Antezedens kongruiert, sondern sich nach Merkmalen des intendierten Referenten richtet: Que la rupture discursive produite par la métonymie se réalise sur le terme tropique lui-même ou, le cas plus fréquent, sur les mots qui lui sont associés dans le texte, elle provient toujours du fait que le créateur du trope, sensible à celui-ci, accorde entourage syntaxique et métonymie non pas d’après le terme tropique [...] manifesté dans le discours, mais d’après le pôle logique [...] commuté. (Bonhomme 1987: 99)

Die bis jetzt geschilderten Brüche, die formal deutlich hervortreten, sind allerdings nur selten anzutreffen. Das verwendete Korpus enthält nur wenige Vor-

10 kommen dieser Art. Bei den meisten Metonymien liegt indessen zumindest ein semantischer Bruch vor, der sehr häufig in der Verletzung von Selektionsrestriktionen eines Verbs begründet liegt. Bonhomme (1987: 86, 88) geht sogar so weit, von einem „choc sémantique“ zu sprechen und die Metonymie als „perturbant la cohérence classémique de l’énoncé“ zu beschreiben. Eine solche Konstellation zeigt sich im folgenden Beispiel: (5)

Ce sont ces deux professeurs qui ont traduit les auteurs envisagés, à l’exception de la première « Bucolique » de Virgile, dont ils ont conservé la superbe traduction de Paul Valéry. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Pour tout savoir“, S. 55.)

Normalerweise verlangt das Verb traduire als direktes Objekt einen unbelebten Gegenstand, genauer gesagt einen Text o. Ä. Hier ist die Stelle des direkten Objekts jedoch mit „les auteurs“ besetzt. Die Selektionsrestriktionen des Verbs werden also – betrachtet man die Nominalphrase „les auteurs“ rein wörtlich – verletzt. Diese Verletzung wird erst aufgehoben, wenn der metonymische Verweis auf die Texte der Autoren erkannt wird. Dieser metonymische Bezug wird übrigens auch nochmals im Folgenden deutlich, wenn dort weiterführend gerade von einem Text („‹ Bucolique ›“) die Rede ist. Natürlich können derartige semantische Brüche nicht nur zwischen dem Verb und seinen Argumenten auftreten, sondern z. B. auch zwischen einer Präposition und einem metonymisch verwendeten Nomen. Diese Bemerkungen lassen die Metonymie also vordergründig als einen Störfaktor für die Kohäsion des Diskurses erscheinen. Doch auf den zweiten Blick beschränken sich die vereinzelten Andeutungen zur diskursiven Bedeutung der Metonymie nicht auf diesen Aspekt. Immer wieder ergeben sich Hinweise darauf, dass die Metonymie umgekehrt auch zur Kontinuität und Kohärenz eines Diskurses beitragen kann. Diese Bemerkungen bleiben aber meist recht vage Andeutungen, die nicht näher ausgeführt werden. Interessant ist zunächst, dass Bonhomme (2006: 64–75) in seiner zweiten Monographie nicht mehr so deutlich von „énoncé rompu“ (Bonhomme 1987: 84) spricht und stattdessen die gleichen Sachverhalte unter der Kapitelüberschrift „La métonymie comme énoncé saillant“ (Bonhomme 2006: 64) abhandelt. Die vorhergehende Kategorisierung als Bruch wird abgemildert und nur noch die Auffälligkeit der Äußerung als Folge des metonymischen Prozesses festgestellt. Außerdem merkt Bonhomme (2006: 157) an, dass die Metonymie „la primauté de l’efficacité du discours sur la logique de la langue“ offenlegt, also auf diskursivem Niveau agiert. Schon die Tatsache, dass die Metonymie eine Verbindung zwischen zwei Konzepten herausstellt, deutet auf ihre Funktion für Kohärenz hin. So klassifiziert Fass (1988: 157) die Metonymie neben semantischen Relationen als Mittel zur Herstellung von Kohärenz: In our view, metonymy is a different type of conceptual relatedness from semantic relations generally, not just metaphorical ones. [...] what metonymy shares with se-

11 mantic relations and other tropes is that all of them are manifestations of general conceptual relatedness or coherence. The reason is that tropes and semantic relations are the synergism of knowledge. [...] Synergism is the interaction of two or more discrete agencies to achieve an effect of which none is individually capable. [...] coherence is the synergism of knowledge.

Viele Ansätze zur Metonymie erwähnen diesen Syntheseeffekt. Er tritt umso deutlicher zutage, als die Metonymie nicht nur konzeptuelle Verbindungen nachzeichnen kann, die dem Leser oder Hörer im Vorhinein bewusst sind. Sie kann diese auch erst herausarbeiten, wie Lecolle (2003: 91, Hervorhebung im Original) bemerkt: L’idée de relation préexistante doit cependant être modulée. [...] la métonymie propose parfois, plutôt que reflète, des relations. Concrètement, nous avons pu observer dans certains cas que la relation de contiguïté instanciée dans des métonymies peut émerger du texte ou de l’intertexte, et créer, parfois presque de toutes pièces, des relations inédites, même si ses ingrédients (déclencheur, cible) et leurs relations ne sont pas préalablement connus.

Die Weise, in der die Verbindung der Konzepte sprachlich realisiert wird, spiegelt demnach die Zusammenhänge wider, wie sie sich dem Produzenten der Äußerung darstellen, und lässt diese auch für den Rezipienten erkennbar werden. Damit kann ein Beitrag zur Kohärenz des Diskurses geleistet werden. Eine weitere, wahrscheinlich noch grundlegendere Ausrichtung der diskursiven Funktion der Metonymie scheint darin zu bestehen, dass sie durch ihre spezielle Konzeptualisierung eine bestimmte Sichtweise auf einen Sachverhalt entwickelt und dadurch besondere Anknüpfungsmöglichkeiten bietet, um diesen Gedanken kontinuierlich weiterzuführen: „[L]a métonymie joue sur les potentialités combinatoires entre les éléments d’un ensemble mondain, géographique, objectal ou humain, pour en proposer une restructuration plus révélatrice“ (Bonhomme 2006: 158). Noch deutlicher wird der Überleitungs- und Weiterführungsgedanke in Jakobsons Konzeption von Progression im Diskurs: Er nimmt an, dass die Entwicklung eines Diskurses auf Ähnlichkeitsbeziehungen (Similarität) oder auf Nachbarschaftsbeziehungen (Kontiguität) wie bei der Metonymie beruht. Somit ist die Verknüpfung von Konzepten wie in der Metonymie ein wichtiges Element der Konstruktion des Diskurses und der Überleitung von einer Information zur nächsten: „[U]n thème (topic) en amène un autre soit par similarité soit par contiguïté“ (Jakobson 1963: 61). Da die Metonymie gerade auf einer solchen Nachbarschaftsbeziehung beruht, könnte sie also die Verknüpfung und Fortführung von Informationen betreffen und die kontinuierliche Entwicklung eines Diskurses beeinflussen. Damit scheint der zunächst diagnostizierte Bruch zumindest in bestimmten Fällen durch weitaus wichtigere kontinuitäts- und kohärenzstiftende Effekte auf

12 konzeptueller Ebene kompensiert zu werden. Weiterhin ist festzustellen, dass dies, wie dargelegt, in einigen Arbeiten zur Metonymie durchaus erkannt und angesprochen wird, aber stets auf eine sehr vage Art und Weise. Über knappe und allgemeine Andeutungen, wie sie oben zitiert wurden, geht die Behandlung dieser Wirkung der Metonymie kaum hinaus.

1.3

Diskursfunktionale Herangehensweise

Diese – wenn auch vereinzelten und noch kaum ausgearbeiteten – Hinweise sind Anlass, im Folgenden dem Charakter der Metonymie aus diskursfunktionaler Perspektive nachzugehen und einen Versuch zu unternehmen, die in bisherigen Arbeiten nur vage angedeuteten Ideen zu konkretisieren. Untersucht werden soll, inwiefern die Metonymie im Französischen in bestimmten Fällen eine Rolle für die Herstellung von Diskurskontinuität (als kontinuierliche konzeptuelle und formale Weiterführung von Information im Diskursverlauf) und Kohärenz (als generelle Verknüpfung der einzelnen im Diskurs evozierten Elemente) übernehmen kann. Die Metonymie wird dabei als ein Konzeptualisierungsmechanismus gesehen, der mit Hilfe eines Wortes zwei miteinander verknüpfte Konzepte zugleich aktivieren kann. Die sich daraus ergebenden flexibleren Anknüpfungsmöglichkeiten könnten Auswirkungen auf die informationelle Struktur von Diskursen und damit auf deren Kontinuität entfalten und sich über Anaphorisierungen auf die informationelle Progression des Diskurses auswirken. Es wird zu zeigen sein, dass bestimmte Aspekte anhand einer Metonymie kontinuierlich weitergeführt werden können und dass in anderen Fällen die Metonymie nahtlose Überleitungen zu neuen Aspekten ermöglicht. Außerdem ist denkbar, dass die spezifische Konzeptualisierung eines Sachverhalts durch die Metonymie in bestimmten Fällen dessen kohärente Einpassung in den Gesamtzusammenhang eines Diskurses ermöglicht. Mit dieser diskursfunktionalen Annäherung an die Metonymie soll sich die Arbeit auch in die in Kapitel 1.1 geschilderten Lücken der Forschung zur Metonymie einfügen und versuchen, diese in einigen Punkten zu füllen. So wird in dieser Arbeit die Metonymie im Französischen betrachtet, was eine Ergänzung zu den dominierenden, am Englischen orientierten Untersuchungen darstellen kann. Außerdem sollen die im Einzelnen aufzustellenden Hypothesen mit authentischen Beispielen belegt werden, deren Kontext genügend berücksichtigt wird – ein Erfordernis, das allein schon durch die Fragestellung bedingt ist, und gleichzeitig eine Erweiterung zu den bisher häufig nur konstruierten oder punktuell betrachteten Metonymiebeispielen. Die in der Arbeit analysierten Beispiele werden aus Diskursausschnitten bestehen, die dem Nouvel Observateur,

13 einem wöchentlich erscheinenden französischen Nachrichtenmagazin, entnommen sind. Bevor mit der Analyse der Beispiele begonnen werden kann, ist jedoch der Entwurf eines genaueren Bildes von Metonymie und Diskurskontinuität nötig. Deshalb gliedert sich die Arbeit grob in zwei Hauptteile (Teil I und II), wobei der erste der Klärung der Grundlagen dient und der zweite sich der eigentlichen Analyse der Beispiele widmet. Im theoretischen Teil I wird im folgenden Kapitel 2 der Begriff der Metonymie ausführlicher diskutiert, um ein tieferes Verständnis dieses Mechanismus und seiner konzeptuellen Grundlagen zu erreichen. Dabei werden sich unterschiedliche theoretische Sichtweisen ergänzen, um ein umfassendes Bild vom Phänomen der Metonymie und den Problemen, die es aufwirft, zu zeichnen. In Kapitel 3 müssen die Konzepte der Kohärenz, Kohäsion und Kontinuität gegeneinander abgegrenzt werden. Daran anknüpfend werden die für Kontinuität maßgeblichen Phänomene der informationellen Gegebenheit und des Topiks sowie das diskursive Instrument der Anapher als Ausdruck und Markierung von Kontinuität näher beleuchtet. Die generellen theoretischen Überlegungen in Kapitel 2 und 3 sollen sich im Sinne des weiten Diskursbegriffs von Roulet, der sowohl geschriebene als auch gesprochene Sprache umfasst, zunächst auf beides beziehen. Nur an einzelnen Stellen, an denen sich für die folgende Untersuchung wichtige Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ergeben, wird ausdrücklich auf diese hingewiesen. Die in Kapitel 2 und 3 einzeln vorgestellten Problemkomplexe werden in Teil II anhand von Beispielanalysen zueinander in Bezug gesetzt, um ihre Überschneidungsbereiche zu untersuchen. Dafür wird zunächst eine kurze Übersicht über die Zusammensetzung des Korpus und die Extraktion der Beispiele gegeben. Im Zuge dessen soll auch begründet werden, warum die analysierten Beispiele aus der geschriebenen Sprache stammen (Kapitel 4). Auch wenn für die gesprochene Sprache ähnliche Effekte nicht ausgeschlossen werden sollen, beziehen sich somit die in Teil II erarbeiteten Aussagen zu Metonymie und Kontinuität auf die geschriebene Sprache. Kapitel 5 stellt als Kernteil der Arbeit die Frage nach den möglichen Zusammenhängen zwischen Metonymie und Kontinuität. Eine offensichtliche Einbindung in die diskursive Umgebung ergibt sich für den metonymischen Ausdruck dort, wo er anaphorisiert wird bzw. selbst als anaphorischer Ausdruck dient. Deshalb werden zunächst unterschiedliche Typen der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke vorgestellt. Bei der Suche nach einer Erklärung für die Einflussfaktoren auf die verschiedenen Spielarten der Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke werden sich informationelle Gegebenheit und Topikalität als wichtige Größen erweisen. So offenbart sich die Funktion der Metonymie, durch ihre spezielle Konzeptualisierung kontnuierliche informationelle Progressionen und Überleitungen unter Wahrung größtmöglicher Kontinuität zu begünstigen. Schließlich wählt Kapitel 6 eine etwas erweiterte und ergänzende Sichtweise und beschäftigt sich mit der Rolle

14 der Metonymie für Kohärenz im generellen konzeptuellen Aufbau von Diskursen – v. a. als Instrument zur Perspektivierung und Resümierung. Abschließend erfolgt ein Vergleich zwischen den diskursiven Funktionen der Metonymie und der Metapher. Während die Metapher hauptsächlich im Sinne von Kohärenz zum Einsatz kommt, setzt sich die Metonymie gerade durch ihr Potential zur Herstellung von Kontinuität von der Metapher ab.

2

Metonymie

Wie bereits in der kurzen Charakterisierung der Metonymie in der Einleitung angesprochen wurde, ist die Metonymie ein sich sprachlich manifestierendes Phänomen, dem jedoch eine bestimmte Konzeptualisierung bzw. eine gewisse Verbindung zwischen Konzepten zugrunde liegt. So müssen der eigentlichen ausführlicheren Beschreibung der Metonymie und der Theorien zur Metonymie (Kapitel 2.2) noch einige allgemeine Überlegungen zu den konzeptuellen Grundlagen der Metonymie und speziell zur Erklärung der entscheidenden konzeptuellen Verbindung, der Kontiguität, vorangestellt werden (Kapitel 2.1).

2.1

Überlegungen zur konzeptuellen Fundierung der Metonymie

2.1.1

Kontiguität als Relation

Um Kontiguität als der Metonymie zugrunde liegende konzeptuelle Relation näher beschreiben zu können, müssen zunächst ganz knapp die Begriffe des Konzepts und der konzeptuellen Repräsentation umrissen werden (Kapitel 2.1.1.1). Insbesondere soll das Modell des Frames der Veranschaulichung von Kontiguität dienen (Kapitel 2.1.1.2). Daran anschließend wird der Zusammenhang von konzeptuellem und sprachlichem Wissen thematisiert und eine Begründung für die Ansiedlung der Kontiguität auf der konzeptuellen Ebene geliefert. 2.1.1.1 Konzept und Modelle konzeptueller Repräsentationen Kontiguität wurde in der Einleitung bildlich gesprochen als Nachbarschaftsbeziehung oder als Verbindung zwischen Konzepten eingeführt, denn der Ausdruck leitet sich aus dem Lateinischen von contingere (= ‚berühren‘) her. Sie bildet damit das Gegenstück zur Similarität, der Ähnlichkeitsrelation. Ursprünglich war der Ausgangsbedeutung entsprechend mit Kontiguität eine rein räumliche Nähebeziehung gemeint. Der Begriff weitete sich aber durch übertragene, metaphorische Verwendungen aus. Nicht mehr nur räumliche Nähe, sondern auch Nachbarschaft in einem Sinnzusammenhang wurde darunter gefasst. Möchte man dies konkretisieren, so kann man mit Koch (1999: 154) Kontiguität wie folgt definieren: „[C]ontiguity is a salient relation that exists between the elements (or sub-frames) of a conceptual frame or between the frame as a

16 whole and its elements“ (Koch 1999: 154). Kontiguität besteht also zwischen den Elementen einer konzeptuellen Repräsentation, die z. B. als Frame modelliert werden kann. Um die Bedeutung dieser Definition zu erhellen, muss als Erstes der Begriff des Konzepts erläutert werden. Ein Konzept ist eine Konstellation, eine kognitive Einheit von Wissen oder eine mentale Beschreibung, die wir aus unseren wahrgenommenen Eindrücken destillieren (vgl. Evans/Green 2006: 6–9, Konerding 1993: 88–92). Diese „mentale Informationseinheit im Langzeitgedächtnis, in der bzw. über die Menschen ihr Wissen über die Welt abspeichern, organisieren und kategorisieren“ (Schmöe 2005: 352) abstrahiert von wahrgenommenen individuellen Objektmerkmalen und filtert nur gemeinsame Merkmale einer Kategorie heraus, um diese als mentales Konstrukt abzuspeichern. Als Zweites ist zu klären, inwiefern Konzepte zueinander in Verbindung treten können. Hierzu werden Modelle konzeptueller Repräsentationen1, wie z. B. Frames, entwickelt, um mögliche Strukturierungen von Wissen zu veranschaulichen. Grundsätzlich lassen sich mehrere Arten von Repräsentationsmodellen unterscheiden. Zunächst sind die Ansätze im klassisch-kognitivistischen Sinn zu nennen, die Repräsentationen von Konzepten als gedankliche Objekte auffassen. Demgegenüber positionieren sich die konnektivistischen Ansätze, die Wissen und Konzepte durch charakteristische Zustände des kognitiven Systems repräsentiert sehen (vgl. Nuyts/Pederson 1997: 1f.). Des Weiteren können deklarative und prozedurale Ansätze unterschieden werden, also einerseits Ansätze, die Wissensinhalte darstellen, und andererseits Ansätze, die den Gebrauch von Wissen sowie Verfahren zu seiner Anwendung beschreiben. Frames, die für die Veranschaulichung von Kontiguität und in Hinblick auf die Metonymie und ihre möglichen Definitionen relevant sein werden, gehören zur klassischkognitivistischen und deklarativen Gruppe. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass innerhalb der Kategorien der klassisch-kognitivistischen und deklarativen Ansätze sehr unterschiedliche Ansichten dazu existieren, wie Modelle konzeptueller Repräsentationen aufzubauen sind. Die Ideen reichen von Repräsentationsmodellen in Form von Bildschemata bzw. image schemas (vgl. u. a. Johnson 1987: 18–40), semantischen Netzwerken (vgl. u. a. Quillian 1967), mentalen Modellen (vgl. u. a. Johnson-Laird 1

Der Begriff der konzeptuellen Repräsentation wird häufig nicht eindeutig verwendet. Einerseits kann damit die Speicherung und Organisation unserer Erfahrung von Wirklichkeit in Form von Konzepten in unserem Gedächtnis selbst gemeint sein. Andererseits bezieht sich der Begriff der konzeptuellen Repräsentation und v. a. der Wissensrepräsentation teilweise auch auf die Modelle, mit denen man versucht, Annahmen über die konzeptuellen Strukturen in unserem Gedächtnis darzustellen. Diese Ungenauigkeit ergibt sich daraus, dass die konzeptuellen Strukturen im menschlichen Gedächtnis nur über Modelle greifbar sind. Dies lässt beides scheinbar verschmelzen. Um in diesem Punkt eine eindeutige Darstellung zu erreichen, soll im Folgenden der Begriff der konzeptuellen oder mentalen Repräsentation immer als die konzeptuelle Struktur im Gedächtnis selbst aufgefasst werden. Wenn Modelle dieser Strukturen gemeint sind, so wird dies auch explizit so formuliert (Modell der Repräsentation, Repräsentationsmodell etc.).

17 1983), bloßen Listen von Eigenschaften (vgl. u. a. Barsalou/Hale 1993: 97–124) bis zu den Frames. Im Folgenden soll das Modell des Frames als Grundlage zur Veranschaulichung von Kontiguität näher erläutert werden. 2.1.1.2 Kontiguität im Modell des Frames Dass das Modell des Frames besonders zur Charakterisierung von Kontiguität geeignet scheint, hat folgende Gründe: Zum einen ist es eines der am weitesten verbreiteten Modelle, es ist relativ umfassend bearbeitet, hat eine weniger starke Ausrichtung auf relativ eng gefasste Erklärungsziele als z. B. die mentalen Modelle und ist nicht von vornherein nur auf bestimmte Konzepte anwendbar, wie die image schemas, die primär für die Modellierung der Repräsentationen grundlegender körperlich-physischer Erfahrungen vorgesehen sind. Zum anderen versucht das Modell des Frames Konzepte durch die Verbindung und spezifische Ausfüllung ihrer Attribute, ihrerseits in Gestalt von Konzepten, zu fassen. Außerdem liegt mit Konerding (1993) ein frametheoretischer Ansatz aus linguistischer Perspektive vor, der gerade für die Erklärung metonymischer Relationen viel versprechend zu sein scheint (s. 2.1.2.1, S. 21). Allgemeine Charakterisierungen des Frame-Begriffs heben immer wieder auf dessen Eigenschaft ab, Wissen zu strukturieren, Erfahrungen und Verbindungen zwischen Erfahrungen zu speichern und damit Erwartungen widerzuspiegeln. So spricht Tannen (1979: 138) von „structures of expectations“ und bewertet die Idee der Erwartung als Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit Frames. Minsky (1981: 96) spricht ebenfalls von Frames als „data-structure for representing a stereotyped situation“, die verschiedene Informationen beinhaltet, u. a. Informationen „about what one can expect to happen next“. Auch Fillmore (1982: 111) hebt die Verknüpftheit von Wissen in Frames hervor, indem er diese als „any system of concepts related in such a way to understand any one of them you have to understand in the whole structure in which it fits“ bestimmt. Bei Konerding (1993: 6f.) findet sich die Beschreibung von Frames als Modelle für „höherstrukturierte Wissenseinheiten“, die mit „erfahrungsnahe[m] Wissen über Gegenstände und typische Umstände“ gefüllt werden, welche „bei allen Mitgliedern einer Sprach- bzw. Kulturgemeinschaft weitgehend gleichartig“ sind. Gerade auf diese Verbindung von Konzepten innerhalb strukturierter Gruppierungen zielt der Begriff der Kontiguität ab. Veranschaulicht werden können diese Relationen und Beziehungen im Grundmodell des Frames, wie es von Minsky entwickelt wurde. Hier sind Frames stereotype Beschreibungen von Objekten, Sachverhalten usw., deren wesentliche Eigenschaften als Systeme von Attribut-Wert-Paaren dargestellt werden. Die Attribute können, wenn es sich um ein allgemeines Frame handelt, einfach mit Standardwerten belegt sein, welche aber bei konkreter Aktualisierung im

18 Einzelfall durch individuelle Werte ersetzt werden. So werden Stereotype und Erwartungen gespeichert, die aber an die jeweilige Situation angepasst werden können (vgl. Minsky 1981: 95–98). Eine weitere Charakteristik der Frames ist, dass sie sich von der bloßen Aufzählung von Eigenschaften unterscheiden: Innerhalb des Frames sind zusätzlich die Relationen zwischen den Attributen als strukturelle Invarianten festgelegt. Rekursive Frames, die Framestrukturen zur Füllung der Attributwerte zulassen, sind eine noch komplexere und flexiblere Variante. Hier können Konzepte durch Frames modelliert werden, die als Attribute und Werte wiederum durch Frames dargestellte Konzepte enthalten (vgl. Barsalou 1993: 124–135).2 Nun wird auch klar, was in der eingangs zitierten Kontiguitäts-Definition von Koch (1999:154) mit der Verbindung zwischen den Elementen eines Frames gemeint ist. Die einzelnen Attribute sind mit den Instanzen verbunden, die sie charakterisieren, und sind auch untereinander benachbart. Im Folgenden wurde zur Veranschaulichung versucht, exemplarisch das Konzept Bibliothek ansatzweise darzustellen: Bibliothek Attribut Nutzung

Ort

Objekte

Attribut Institution

Standort

Bedingungen

Ziel

Perzeption

Medium

Funktion

Wert institutionell eigenintegriert ständig

fest flexibel

Infor- Unterhal- Auslei- vor Ort visuell akustisch audio- xxxBuch Tonträ- Film Informa- Unterhalger tung tung mation tion he visuell

Bücherbus

Lesen als Zeitvertreib

Kinderbuch

Institution

Standort

Ziel

Bedingungen

Perzeption

Medium

Funktion

integriert

flexibel

Unterhaltung

Ausleihe

visuell

Buch

Unterhaltung

Abbildung 1: Repräsentationsmodell in Form eines rekursiven Frames3

Natürlich sind in dieser Skizze nur einige mögliche Aspekte und Verbindungen erfasst. Mit einer Bibliothek sind verschiedene Attribute verbunden, z. B. Ort, Nutzung und Objekte. An diese wiederum können weitere Aspekte geknüpft 2

3

Rückschlüsse darüber, welche Elemente in Frames enthalten sind, kann man z. B. anhand sprachlicher Strukturen ziehen, da der Mensch sein Wissen letztlich über Sprache ausdrückt. Konerding (1993: 139–217) z. B. schlägt vor, die Argumentstruktur von Verben zu analysieren. Tannen (1979) macht sich sprachliche Indizien wie Modalausdrücke (to be supposed to), Adjektive (inconsistent) und Heckenausdrücke (just, even, anyway) zu Nutze, um herauszufiltern, welche Erwartungen und Stereotype Sprecher gegenüber einem bestimmten Sachverhalt haben. Dieses Schema wurde in Anlehnung an Barsalou/Hale (1993: 132) erstellt.

19 sein, z. B. die Aspekte Medium und Funktion für das letzte aufgezählte Attribut der Objekte. Diese allgemeinen Attribute werden dann mit Werten belegt. Im vorliegenden Beispiel werden für die Art des Mediums der zu entleihenden Objekte die Werte Buch, Tonträger oder Film vorgeschlagen. Diese Attribute und Werte wiederum können durch eigene Frames dargestellt werden, was dann die Rekursivität ausmacht. Zudem erkennt man, dass das allgemeine Frame aktualisiert und auf eine bestimmte Bibliothek X im Jahr Y am Ort Z angewendet werden kann, indem spezielle Werte eingesetzt werden, z. B. um einen Bücherbus darzustellen (dieser könnte darüber hinaus als der Bücherbus, der an eine bestimmte Stadtbibliothek institutionell angebunden ist, konkretisiert werden). Zuletzt seien nochmals die Beziehungen zwischen den Attributen erwähnt. In der Graphik werden sie durch die gestrichelten Querverbindungen dargestellt, z. B. um die Abhängigkeit der Nutzungsbedingungen von der Art des Standorts der Bibliothek anzuzeigen. So kann normalerweise in einem Bücherbus ein Buch nur ausgeliehen, nicht aber vor Ort gelesen werden. Außerdem korreliert z. B. die Art des konsultierten Mediums mit der damit verbundenen Nutzung und Perzeptionsweise. Im Zuge der Charakterisierung der Frames und in Hinblick auf die Verwendung von Begrifflichkeiten in der weiteren Arbeit muss auch ein Hinweis auf die Vielzahl von Bezeichnungen gegeben werden, die je nach Ausrichtung des jeweiligen Ansatzes teils synonym, teils kohyponym zum Begriff des Frames auftreten. Dies betrifft v. a. Schema, Szene, Szenario und Skript. Die Vermengung und der unterschiedliche Gebrauch dieser Termini wird immer wieder angemerkt und problematisiert (vgl. Konerding 1993: 20–23, Ensink/Sauer 2003: 3). Eventuell könnte man den Begriff des Schemas als Oberbegriff ansehen, während Skripte – Szene und Szenario werden meist synonym dazu verwendet – und Frames als Unterbegriffe jeweils eher als Modelle für die Repräsentation von Ereignissen und Handlungsabläufen bzw. einzelner Objekte und Individuen dienen (vgl. auch Hoyle/Ribeira 2003). Eines der bekanntesten Beispiele für den Typ des Skripts ist das Repräsentationsmodell eines Restaurantbesuchs von Schank und Abelson (1977: 43f.), in dem die verschiedenen Schritte, vom Betreten des Restaurants, über die Platzwahl, das Bestellen, Essen und Bezahlen, abgespeichert sind. Diese Aufteilung der Begriffe kann nur ein Vorschlag sein, dem hier gefolgt werden soll, der aber nicht unbedingt ihrer Verwendung in allen möglichen Ansätzen entsprechen muss. Schließlich taucht in Verbindung mit dem Begriff des Frames insbesondere in der Literatur zur Metapher und Metonymie sehr häufig der Begriff des idealized cognitive model (kurz ICM) auf. Da die betreffenden Theorien zur Metonymie später auch diskutiert werden, soll dieser Begriff hier kurz ergänzend erläutert werden. Es handelt sich um eine Mischform aus verschiedenen Repräsentationsmodellen, die von Lakoff (vgl. z. B. Lakoff 1990) im Rahmen der kognitiven Semantik konzipiert wurde und sich teilweise mit den Frames überschneidet.

20 ICMs stellen Theorien über die Welt dar und machen kognitive Prozesse wie Kategorisierung und Schlussfolgerung nachvollziehbar. Sie sind so angelegt, dass sie die Prototypentheorie in ein konzeptuelles Repräsentationsmodell übertragen können. Die Typikalitätseffekte der Prototypentheorie werden darin als Phänomen erklärt, das sich auf die kognitive Struktur der ICMs stützt, indem gewisse Konzepte nur in Bezug auf bestimmte ICMs oder Teile von ICMs als typisch oder untypisch erscheinen oder bestimmte Exemplare einer Kategorie als typische Elemente die ganze Kategorie repräsentieren. Lakoff zufolge beinhalten ICMs fünf verschiedene Strukturierungsprinzipien: image schemas als auf die wesentlichen Merkmale eines Konzepts reduzierte Bildschemata, propositionale Darstellungen, die sich an die Frames annähern und die Entitäten, Eigenschaften und deren Relationen enthalten, metaphorische Projektionen, die einen Bereich durch die Übertragung oder Projektion der Struktur eines anderen Bereichs anschaulich machen, metonymische Repräsentationsmodelle, bei der ein Exemplar oder Teil eine ganze Kategorie verkörpert, und schließlich symbolische Repräsentationsmodelle, die Lexeme untereinander verbinden (vgl. Lakoff 1990: 68– 76, 284f.). 2.1.2

Konzeptuelle Kontiguität als Voraussetzung für sprachlich realisierte Metonymien

In den beiden vorangegangenen Kapiteln konnte der Begriff der Kontiguität an sich umrissen werden. Nun bleibt noch deutlich zu machen, warum Kontiguität konsequent auf der konzeptuellen Ebene anzusiedeln ist, obwohl sich die Arbeit mit sprachlich realisierten Metonymien beschäftigen. Dazu soll kurz die Problematik des Verhältnisses von Wort, Bedeutung und Konzept angesprochen werden (Kapitel 2.1.2.1). Darauf aufbauend kann begründet werden, warum Kontiguität als eine konzeptuelle Relation angenommen wird und nicht mit Verbindungen zwischen Wörtern bzw. Bedeutungen oder Objekten gleichzusetzen ist (Kapitel 2.1.2.2). 2.1.2.1 Wort, Bedeutung, Konzept Die verschiedenen vorhandenen theoretischen Annäherungen an das Problem des Zusammenhangs zwischen Wörtern, Bedeutungen und Konzepten unterscheiden sich in einigen grundlegenden Punkten, u. a. in der Frage, ob der Zeichenbegriff monolateral oder bilateral zu konzipieren ist, d. h. ob man annimmt, dass das Wort als Zeichen direkt mit einem Konzept verbunden ist, das dann gleichzeitig die Bedeutung des Wortes darstellt, oder ob das Wort als Zeichen einen eigenen Zeicheninhalt (die Bedeutung) transportiert, aber zusätzlich mit

21 konzeptuellem Wissen zusammenhängt. In letzterem Fall würde eine Unterscheidung zwischen lexikalischem und Weltwissen getroffen, in ersterem würde keine solche Trennung angenommen werden (vgl. Strauß 1996, Harras/Hermann/ Grabowski 1996: 14–18). Gerade die Annahmen zu diesem Verhältnis von Bedeutung und eventuell außersprachlichen Konzepten sind für die Verortung der Kontiguität und für den Mechanismus der Metonymie entscheidend. Im Folgenden wird – wie im strukturalistischen Paradigma, aber auch in manchen kognitivistischen Ansätzen – die Trennung von lexikalischem und Weltwissen angenommen. Diese ist anschaulich in Blanks (2001: 9) semiotischem Modell dargestellt. Die Trennung der Ebenen ist damit zu rechtfertigen, dass trotz u. U. gleichen enzyklopädischen Wissens unterschiedliche Sprachgemeinschaften unterschiedliche sprachliche Strukturierungen desselben vornehmen, das enzyklopädische Wissen jedoch z. B. über Konnotationen für die jeweilige Sprache relevant bleibt. Außerdem ist, wie das folgende Kapitel zeigen wird, die Nachbarschaftsbeziehung, die der Metonymie zugrunde liegt, auf konzeptueller Ebene getrennt von der Ebene der Bedeutungen anzusiedeln. Damit kommt die Annahme der Trennung zwischen enzyklopädisch-konzeptuellem und lexikalischem Wissen der Beschreibung der Metonymie entgegen: einzelsprachlich

außersprachlich

Zeichen

(lexikalisches Wissen)

Zeichenausdruck (phonologisches Wissen)

Zeicheninhalt

(einzelsprachlichsememisches Wissen)

konkrete Lautung

Konzept

abstrakt

Referent

konkret

(enzyklopädisches Wissen)

Abbildung 2: Semiotisches Modell (Blank 2001: 9)

Auch wenn man lexikalisches und enzyklopädisches Wissen unterscheidet, so macht das Modell doch klar, dass Wörter und konzeptuelle Repräsentationen, die z. B. in der Form von Frames modellierbar sind, in gewisser Weise verknüpft sind, indem das konzeptuelle Wissen gleichzeitig als Hintergrund von einem Wort aktiviert werden kann. Dies macht auch verständlich, dass bei der Metonymie eine konzeptuelle Relation die Vorausssetzung für ein sich sprachlich manifestierendes Phänomen sein kann. Eine interessante psychologische Herleitung für diesen Zusammenhang von Wort, Bedeutung und Konzept findet sich bei Konerding (1993: 92–129). Er liefert eine psycholinguistisch motivierte Reinterpretation dieser Begriffe, die im weiteren Verlauf der Arbeit für das Verständnis der Entstehung von Metonymien

22 erhellend sein kann. Deshalb soll an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung von Konerdings Gedankengang gegeben werden. Nach Erkenntnissen der kognitiven und der Gestaltpsychologie lenkt sich bei der Wahrnehmung unserer Umwelt unsere Aufmerksamkeit auf kontrastiv zur Umgebung abgegrenzte Einheiten und isoliert diese voneinander. Auf diese Weise bilden sich Segmente im Wahrnehmungsstrom. Diese Segmente können in unterschiedlicher Beziehung zueinander stehen: Sie können sich in unserer Wahrnehmung ähneln, woraufhin wir sie zu Typen zusammenfassen. Token, also einzelne Vorkommensfälle von Segmenten eines Typs, können als ikonisches Zeichen für diesen Typ fungieren. Segmente können außerdem in weitere Konstituentensegmente zerlegt werden. Z. B. kann ein Gewitter als ganzheitlich erfahrbahres Segment wahrgenommen werden, das aber auch in weitere konstituierende Segmente zerlegt werden kann (Blitz, Donner, Wolken, Regen, Sturm etc.). Solche weiter zerlegbaren Segmente bezeichnet Konerding als Textur. In diesem Fall können auch die Teilsegmente als Zeichen füreinander stehen – wie z. B. bei der Metonymie –, dann allerdings als indexikalische Zeichen. Konzepte sind innerhalb dieses Ansatzes so genannte intraindividuelle Texturtypen, d. h. Typen von Segmenten, für die wiederum einzelne Segmente als Konstituentensegmente isoliert werden können, oder anders ausgedrückt, alle assoziativ als ähnlich vergegenwärtigten Erfahrungen eines Individuums. Merkmale eines Konzepts könnten dann als Segmente eines Typs beschrieben werden, die in nahezu allen Token isoliert werden können. Wie passt nun das sprachliche Zeichen, also das Wort, in diese Theorie? Sprachliche Zeichen werden lediglich als eine besondere Form der Segmentierung des Wahrnehmungsstroms gesehen. Das lautliche Verhalten eines Wortes ist selbst ein Segment und fungiert zunächst als Index für ein Segment innerhalb einer Textur: Die Wahrnehmung einer Katze fällt im Lernprozess in ein Wahrnehmungssegment mit der lautlichen Erfahrung des Wortes „Katze“. Das Wort als reproduzierbares Segmenttoken verweist im Folgenden auf Texturtypen und erlangt somit symbolische Funktion. Mit diesen speziell sprachlichen Token ist ein sozial relevantes Inventar von Begriffen belegt. Die Verständigung durch sie kann funktionieren, da das intraindividuelle Wissen in einer Interaktionsgemeinschaft mit denselben Erwerbs- und Gebrauchsbedingungen für dieses Wissen zwischen den einzelnen Personen nicht allzu sehr abweicht. Auch hier ist eine Abgrenzung der lexikalischen Bedeutung bzw. lexikalischer Merkmale möglich: Die lexikalische Bedeutung ist Konerding zufolge die idealisierte Abstraktion von der Menge individueller Wortformverwendungen, lexikalische Merkmale sind diejenigen, die gebraucht werden, um Texturen zu vergleichen und voneinander abzugrenzen. Zugleich ist aber ebenso das Konzept als Texturtyp, auf den die Wortform verweist, mit dem Zeichen und dessen lexikalischer Bedeutung verbunden. Diese Sichtweise liefert also eine psycholinguistische Erklärung, wie die Verknüpfung von Sprache bzw. sprachlichen

23 Zeichen mit konzeptuellem Wissen zustande kommt und warum es zugleich dennoch sinnvoll ist, wie in Blanks Modell eine Unterscheidung lexikalischen Wissens anzunehmen (s. Abbildung 2). 2.1.2.2 Verortung der Kontiguität auf konzeptueller Ebene Vor dem Hintergrund dieser Zeichenkonzeption mit einer Trennung von lexikalischem und konzeptuellem Wissen soll abschließend begründet werden, dass die Relation der Kontiguität – wie im Vorangegangenen geschehen – nur auf der Ebene der Konzepte und nicht auf der Ebene der realen Objekte oder der Ebene der Wortbedeutungen angesiedelt sein kann. Warum wären im Beispiel aus Abbildung 1 (S. 18) das Konzept der Bibliothek, das Konzept des Orts und das Konzept des zu entleihenden Mediums etc. kontig, aber nicht die reale Bibliothek und der reale entliehene Roman oder gar die Bedeutungen bzw. die Wörter Bibliothek und Roman? Tatsächlich tut sich hier eine Trennlinie zwischen unterschiedlichen Ansätzen auf: „Traditional approaches locate contiguity relationships in the world of reality, whereas cognitive approaches locate them at the conceptual level“ (Radden/Kövecses 1999: 19). Roman Jakobson wiederum, der den Begriff der Kontiguität in der Sprachwissenschaft geläufig gemacht hat, bewegt sich mit den zwei Achsen der Similarität (assoziiert mit paradigmatischer Achse/Selektion/Metapher) und der Kontiguität (assoziiert mit syntagmatischer Achse/Kombination/Metonymie) hauptsächlich auf der Ebene der sprachlichen Zeichen (vgl. Koch 1999: 141–144). Es gibt gute Gründe, die gegen die Sichtweise sprechen, Kontiguität zwischen Bestandteilen der realen Welt anzunehmen. Denn offensichtlich sind Beziehungen in der Welt nichts Objektives, sondern immer durch den Menschen auf diese Weise wahrgenommen, auf diese Weise gedacht. So stellt Truszczy´nska (2003: 23) fest: „[M]eaning is created, not found, by human beings.“ Die Realität, wie wir sie wahrnehmen, existiert nicht unabhängig vom menschlichen Verständnis. So mag eine Kontiguitätsrelation, die wirklich auf räumlicher Nähe beruht, noch auf der Ebene der realen Objekte vorstellbar sein (z. B. zwischen dem Bibliotheksgebäude und dem Roman, der sich darin befindet). Aber sobald man sich auf einem abstrakteren Niveau bewegt und z. B. Ursache-WirkungRelationen herstellt, befindet man sich auf der Ebene der im menschlichen Denken verbundenen Konzepte. Auch bei Konerdings Ausführungen zur Verbindung von sprachlichen Zeichen, Bedeutung und Konzepten (s. Kapitel 2.1.2.1, S. 21), wo durch die Zusammenfügung einzelner Elemente in einem Wahrnehmungssegment zwischen diesen so etwas wie eine Nachbarschaftsbeziehung, eine Kontiguitätsrelation, entsteht, ist klar, dass diese Relation erst durch die spezielle Art unserer Segmentierung des Wahrnehmungsstroms hervorgerufen wird. Ebenso muss die Sichtweise abgelehnt werden, dass Kontiguität zwischen

24 sprachlichen Bedeutungen bzw. Wörtern bestehen kann. Es existiert, wie ebenfalls bei Konerding gezeigt, eine Verknüpfung zwischen Konzepten, sprachlichen Zeichen und der realen Welt. Das, was wir aber intuitiv als Nachbarschaftsbeziehung oder Kontiguität wahrnehmen, spielt sich nicht auf der Ebene der Bedeutungen ab, sondern zwischen den zugrunde liegenden Konzepten. Die Beziehungen zwischen den Bedeutungen sind höchstens indirekt motiviert (vgl. Waltereit 1998: 5–13). Ein Argument, das dies verdeutlicht, wird von Koch (1999: 145) geliefert: Betrachtet man den Fall einer Bedeutungsübertragung, die auf Kontiguität bzw. einer metonymischen Relation beruht, dann kann es passieren, dass die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes verloren geht. Wenn sich, wie beim Beispiel des Wortes bureau, die Bedeutung diachron mittels Kontiguitätsbeziehungen von einer Art des Stoffs über das damit bespannte Möbelstück hin zu dem Raum, in dem sich der Tisch befindet, und sogar zu den dort arbeitenden Personen verschiebt, dann kann man die Verbindung, die die Verschiebungen ermöglicht, kaum zwischen den Bedeutungen ansiedeln. Denn würde dies nicht heißen, dass auch die eigentlich heute verlorene Bedeutung des Möbelstoffs noch zu der Bedeutung des heutigen Wortes bureau gehören müsste? Und wie Koch erklärt, würde diese Sicht der Dinge zu noch abwegigeren Annahmen führen: Following this line of inquiry, we would be compelled to integrate into our linguistic description of a given lexical item all the information necessary to explain whatever metonymy may occur in this lexical item in the course of – even future – language history. In most cases of metonymy, I think, this method would yield a far too powerful and at the same time an “overbred” linguistic description. (Koch 1999: 145)

Kontiguität als Beziehung zwischen sprachlichen Bedeutungen ist demnach ebenso wenig plausibel wie Kontiguität als Beziehung zwischen realen Objekten; sie spielt sich somit eindeutig auf konzeptueller Ebene ab.

2.2

Eigenschaften der Metonymie

2.2.1

Verschiedene Sichtweisen

Nachdem wichtige Grundprobleme, die mit der Metonymie verbunden sind, erläutert wurden, kann nun die genauere Charakterisierung der Metonymie an sich erfolgen. Aus dem wachsenden Interesse an der Metonymie (s. auch Einleitung) entsteht eine große Anzahl unterschiedlicher Erklärungsmuster. Da bei der Vielzahl von Einzelarbeiten nicht alle erwähnt werden können, wird versucht, zur Zusammenfassung vier Gruppen zu bilden, deren theoretische Annahmen

25 konvergieren und die zugleich jeweils einzelne Eigenschaften der Metonymie mboxbesonders gut beleuchten. An den Anfang gestellt wird die Tradition der Rhetorik (Kapitel 2.2.1.1), in der die Metonymie hauptsächlich als Stilmittel betrachtet wurde. Anschließend geht es um Ansätze der Metonymieforschung, die ihr Hauptaugenmerk auf die referentiellen Mechanismen, die die Metonymie in Bewegung zu setzen scheint, ausrichten (Kapitel 2.2.1.2). In Kapitel 2.2.1.3 und Kapitel 2.2.1.4 werden diesen Erklärungen neuere Ansätze mit kognitiver und pragmatischer Herangehensweise gegenübergestellt. Anknüpfend an diese Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven soll dann im folgenden Kapitel 2.2.2 durch die Gegenüberstellung mit metonymieähnlichen Strukturen das Profil der Metonymie geschärft werden. 2.2.1.1 Rhetorische Tradition Bevor die Metonymie ins allgemeine Interesse der Sprachwissenschaft rückte, beschäftigte sich v. a. die Rhetorik mit der Metonymie als Figur bzw. Trope4, d. h. als einem in übertragenem, bildlichem Sinn gebrauchten Wort. Die meisten Ausführungen dieser Richtung lassen durchblicken, dass die die Metonymie begründende Kontiguitätsrelation auf der Ebene der realen Welt vermutet wurde. Außerdem wurde die Metonymie als eine reine Namensvertauschung definiert. Bereits der aus dem Griechischen stammende Name der Metonymie (metonomazein = ‚umbenennen‘) zeugt von der Sichtweise, dass es sich bei der Metonymie um eine Umbenennung oder Namensvertauschung handelt.5 Dies setzt sich in der französischen Tradition der Rhetorik fort, wenn z. B. Fontanier (1821, 1827/1968:79) die Metonymie einfach als „la désignation d’un objet par le nom d’un autre objet“ beschreibt. Die rhetorischen Ansätze tragen zwar als erster Schritt zur Bildung des Begriffs der Metonymie bei, scheinen das Phänomen aber noch nicht befriedigend zu erklären. Dass es fragwürdig ist, die Nachbarschaftsbeziehung in der Welt der realen Objekte anzusiedeln, konnte man bereits aus den Ausführungen zur Kontiguität ersehen (s. Kapitel 2.1.2.2). Auch die Beschreibung als reine Umbenennung und Substitution ist eher unzulänglich, stellt sie doch nur das Beobachtete fest, anstatt den Mechanismus zu erklären. Außerdem führt die explizite Einordnung der Metonymie als Trope zu der 4

5

Lecolle (2003: 17–31) weist auf den Unterschied zwischen den Begriffen des Stilmittels bzw. der Figur und der Trope hin. Ihr zufolge ist der Terminus der Figur der Oberbegriff, der sich generell auf die Wahl einer speziellen Form und auf eine Abweichung von den Regeln des normalen Sprachgebrauchs zur Erzielung eines bestimmten argumentativen und stilistischen Effekts bezieht. Die Trope dagegen erfasst spezieller nur die Fälle, in denen die Bedeutung eines Wortes von dieser Abweichung betroffen ist. Eine ausführlichere Darlegung der Unterscheidung bzw. der Charakterisierung von Figur und Trope findet sich bei Lecolle (2003: 17–35). Für Details zur Metonymie in der antiken Rhetorik sei auf den Überblick bei Al Sharafi (2006: 11–20) verwiesen.

26 Frage, inwiefern überhaupt figurativ und wörtlich verwendete Sprache voneinander abgegrenzt werden kann. Die traditionelle Position lautet, dass beides klar zu trennen sei. Allerdings erhebt Gibbs (1994: 24–79) Zweifel an dieser Sichtweise, die bereits fraglich wird, wenn man den Begriff der Wörtlichkeit zu definieren versucht. Es stellt sich nämlich heraus, dass Wörtlichkeit ein komplexes Konzept ist, das durch verschiedene Kriterien bestimmt werden kann. Abgesehen davon, dass kein einheitliches Kriterium existiert, ist auch keines der einzelnen Unterscheidungsmerkmale wirklich für eine scharfe Abgrenzung geeignet. So scheitert z. B. die Differenzierung zwischen Wörtlichkeit und Figuralität anhand der Gegenüberstellung von konventionellem vs. poetischem Sprachgebrauch daran, dass auch Alltagssprache, die nicht poetisch oder literarisch ist, figurative Ausdrücke enthält. Ebenso fragwürdig ist eine Gleichsetzung mit Nicht-Metaphorizität vs. Metaphorizität: Bestimmte Konzepte, wie das Konzept der Zeit, können eigentlich nicht anders als auf metaphorische Weise ausgedrückt werden. In solchen Fällen erscheint die Metapher völlig alltäglich und kann kaum als figurativer Sprachgebrauch gelten. Für die weitere Arbeit ist anzumerken, dass dort, wo der Begriff der Wörtlichkeit in Bezug auf die Bedeutung eines Wortes verwendet wird, dieser im Sinne von „nicht-metonymisch“, also in Gegenüberstellung zur metonymischen Verwendung, gebraucht wird. Die Grenze zwischen bildlichem und wörtlichem Sprachgebrauch ist folglich nicht eindeutig zu ziehen. Damit ist fraglich, ob eine Einordnung der Metonymie in den Bereich des figurativen Sprachgebrauchs überhaupt sinnvoll sein kann. Außerdem ist die Metonymie zumindest nach dem Kriterium des konventionellen gegenüber dem poetischen Sprachgebrauch in vielen, wenn nicht sogar in der Mehrzahl der Fälle, nicht als figurativer Gebrauch zu verstehen: Obgleich die Metonymie sicherlich ausschmückend und rhetorisch als Trope verwendet werden kann, wie in Beispiel (6), sind dagegen viele Fälle ihres Auftretens nicht stilistisch und poetisch begründet, kaum als Metonymie wahrnehmbar und damit zumindest in diesem Sinne nicht figurativ, wie in dem hier folgenden Beispiel (7) oder auch in den eingangs erwähnten Beispielen (s. v. a. Beispiel (1) und (2), S. 2). (6) Des spécialistes de l’euthanasie élaborent les méthodes les plus efficaces pour liquider les handicapés, les malades mentaux, les Tsiganes, les juifs... Aribert Heim, lui, se livre avec le pharmacien de Mauthausen à des études comparatives sur des « cocktails de la mort ». Il fait ses injections létales chronomètre en main. [...] Dans les années qui suivent la guerre, le « boucher de Mauthausen » est en effet rapidement redevenu « der gute Doktor Heim ». Le 15 mars 1945, il est pourtant arrêté par les Américains. [...] Curieusement, il est relâché en 1947, tandis que les autres médecins de Mauthausen, ainsi que le pharmacien – son adjoint au chronomètre –, sont jugés et pour la plupart exécutés. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 16.)

(7)

Sur l’Irak, l’administration continue de naviguer à vue. Alors que trois Américains sur quatre estiment qu’une guerre civile est probable, Washington semble plus incertain que jamais

27 sur la stratégie à adopter pour prévenir une telle éventualité. Le directeur du Renseignement national, John Negroponte, en est réduit à annoncer qu’une telle guerre civile constituerait « un sérieux revers » dans la guerre globale contre le terrorisme et « une catastrophe » pour le peuple irakien. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Bush : un monde lourd, lourd, lourd...“, S. 35.)

In Beispiel (6) gibt die metonymische Verwendung des Wortes „chronomètre“ den Hinweis auf das eigentlich Gemeinte, nämlich die präzise mit der Stoppuhr dokumentierte Tätigkeit des Tötens. Diese kann durchaus als figurativer Gebrauch mit beabsichtigtem rhetorischem Effekt gewertet werten, soll doch die ins Ironische gehende Wortwahl durch den nochmaligen Hinweis auf die Präzision der Methode genau zuspitzen, mit welcher Kaltblütigkeit Arzt und Apotheker ihre Morde begangen haben. Beispiel (7) illustriert jedoch, dass ein solcher rhetorischer Hintersinn in vielen Fällen von Metonymien keine Rolle spielt. Die Bezeichnung der Regierung und der Exekutive mittels des Orts des Regierungssitzes ist in der Presse sogar sehr geläufig. Ein stilistischer Effekt ist wohl kaum beabsichtigt, wie er für die Metonymie als rhetorische Figur zu erwarten wäre. In diesem Fall wird die Metonymie herangezogen, um zunächst nicht exakt präzisieren zu müssen, welcher Instanz genau es an möglichen Strategien im Irak mangelt. Abgesehen davon, dass der rhetorische Ansatz keine ausreichende Erklärung der Metonymie bietet und diese lediglich als Substitution von Bezeichnungen betrachtet, zielt diese Beschreibung noch dazu an dem Beobachtbaren vorbei. Es kann sich nicht um eine reine Substitution handeln, da neben dem intendierten Zielkonzept genauso der sprachlich realisierte Ausdruck und das Quellkonzept eine Rolle in der jeweiligen Äußerung spielen: In Beispiel (6) entsteht der ironische Effekt ja gerade erst dadurch, dass das Quellkonzept besondere Pünktlichkeit und Korrektheit impliziert und damit eine leicht makabre Note ins Spiel bringt. Und in (7) wird der metonymische Ausdruck bewusst eingesetzt, um eine konzeptuelle Unbestimmtheit aufrechtzuerhalten; es wäre deshalb eventuell nicht einmal eindeutig zu bestimmen, was genau substituiert werden sollte. Es zeigt sich also, dass die Metonymie zwar durchaus rhetorisch Verwendung findet, dass es aber zu kurz gegriffen wäre, sie nur in ihrer Eigenschaft als Trope und als reinen Substitutionsmechanismus zu untersuchen. 2.2.1.2 Referentielle Herangehensweise In neueren Erklärungsversuchen wird die Notwendigkeit erkannt, die Metonymie nicht mehr nur als Trope und Stilmittel abzuhandeln, sondern als allgemeinen sprachlichen Mechanismus zu sehen. Die frühen Ansätze mit dieser Einsicht versuchen, die Metonymie v. a. als einen Wechsel der Referenz zu fassen. Ferner wird hier das am Zustandekommen der Metonymie beteiligte Kontiguitätsver-

28 hältnis zwar noch nicht einheitlich, aber doch zunehmend auf die konzeptuelle Ebene verlagert. Jakobsons Aufsatz „Deux aspects de langage et deux types d’aphasies“ von 1963 setzt den Ausgangspunkt für ein neu aufkommendes Interesse an der Metonymie und der Metapher jenseits des rhetorischen Blickwinkels. Jakobsons Artikel beschreibt zwei Achsen für die Konstruktion und Interpretation eines Diskurses. Dieser entwickelt sich nämlich nach den Prinzipien der Similarität und der Kontiguität: „Le développement d’un discours peut se faire le long de deux lignes sémantiques différentes : un thème (topic) en amène un autre soit par similarité soit par contiguïté“ (Jakobson 1963: 61). Similarität beinhaltet die Tatsache, dass zwei Wörter gegeneinander ausgetauscht werden können. Sie spielt sich also auf der paradigmatischen Achse ab. Was Jakobson (1963: 62) mit „contiguïté sémantique“ bezeichnet – gemeint ist wohl Kontiguität innerhalb des enzyklopädischen Wissensschatzes –, zieht dagegen die Kombinierbarkeit von Elementen und damit deren Nebeneinanderstehen im Diskurs nach sich. Man befindet sich dann auf der syntagmatischen Achse. Die erste Achse verbindet Jakobson mit der Metapher, die zweite mit der Metonymie. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass Jakobson den Begriff der Metonymie sehr weit fasst, so weit, dass er ihn schon fast auflöst. Alles, was sprachlich auf der syntagmatischen Achse kombinierbar ist, erscheint bei ihm metonymisch verbunden. Gleichzeitig dehnt er den Begriff auf generelle Denkweisen aus und identifiziert ganze Kunstrichtungen wie den Surrealismus oder den Kubismus als eher metaphorisch bzw. metonymisch (vgl. Jakobson 1963: 62–65). Diese sehr weite Fassung wurde häufig kritisiert. Bonhomme bemerkt hierzu: „Toutefois, même séduisante, l’extension de la métonymie linguistique à la sémiologie ne va pas sans difficultés. D’abord, cette extension entraîne des confusions“ (Bonhomme 1987: 18), und er schlussfolgert: „Finalement, la conception de Jakobson est trop puissante pour être vraiment pertinente linguistiquement“ (Bonhomme 1987: 21). Nichtsdestoweniger war mit Jakobsons Ideen das Interesse der Sprachwissenschaft an der Metonymie geweckt. So bezieht sich Le Guern (1973) in seiner Monographie zur Metapher und Metonymie auf Jakobson, wenn er die Metonymie als einen Prozess der Referenzverschiebung beschreibt: Le sens d’un substantif, considéré non comme lexème mais comme sémème, pourra s’analyser suivant les deux types de relations établis par JAKOBSON. Le sémème présente une relation externe avec l’objet qu’il sert à désigner [...]; il est toutefois préférable de ne faire intervenir dans l’analyse de ce processus que la représentation mentale de l’objet matériel. [...] donnons à cette relation externe le nom de relation référentielle [...]. La métonymie [...] opère sur le glissement de référence. (Le Guern 1973: 14, Hervorhebung im Original)

Bemerkenswert sind daran in erster Linie zwei Dinge: Le Guern bezieht sich an dieser Stelle ausdrücklich auf die „représentation mentale“, scheint also nicht

29 mehr der Sichtweise verhaftet, dass sich alles auf der materiellen Ebene der Realität abspielt. Allerdings stellt er später fest: „La relation métonymique est donc une relation entre objets, c’est-à-dire entre réalités extralinguistiques ; elle est fondée sur un rapport qui existe dans la référence, dans le monde extérieur“ (Le Guern 1973: 25), womit er zumindest zum Teil seine obige Position wieder revidiert. Ferner funktioniert die Metonymie nicht mehr als Namensvertauschung, sondern als Verschiebung der Referenz, wie aus beiden Zitaten hervorgeht. In der zweiten französischen Monographie zur Metapher und Metonymie aus derselben Zeit sind ungefähr die gleichen Tendenzen abzulesen: Einerseits denkt Henry (1971: 25–36) über die Art des Kontiguitätszusammenhangs nach, der die Metonymie begründet, und andererseits versucht er, deren Mechanismus zu erfassen. Auch bei ihm wird nicht völlig klar, auf welcher Ebene er letztlich die Kontiguitätsbeziehung ansiedelt. Er betrachtet die Metonymie als Fokussierung innerhalb eines mit der zu treffenden Aussage in Beziehung stehenden „champs sémique“ (Henry 1971: 24), bei der ein Sem isoliert und dann durch das damit korrespondierende Wort wiedergegeben wird. Es scheint, als ob Henry Kontiguität auf die Ebene der Wörter und Bedeutungen verlagert. Allerdings ist bei ihm diese Position ebenfalls nicht eindeutig, denn es erschließt sich nicht vollständig, was Henry unter „champs sémique“ versteht, zumal er ebenso den Ausdruck „champs associatif“ (Henry 1971: 25) verwendet, der vielleicht eher auf eine konzeptuelle Repräsentation hindeutet (vgl. Henry 1971: 25). Bezüglich der Funktionsweise der Metonymie spricht er von „figures de focalisation“ (Henry 1971: 39) und hebt ihren „caractère synthétique“ (Henry 1971: 30) hervor. Für ihn ist also wichtig, dass die Distanz zwischen zwei Ideen – und hier bewegt er sich wieder auf der konzeptuellen Ebene, was die Kontiguität angeht – verringert wird. Dies geschieht folgendermaßen: „La métonymie opérerait un changement dans la compréhension logique d’un mot ; elle substitue à un mot un terme de compréhension différente“ (Henry 1971: 19). Henry hat sich also noch nicht vollständig von der Vorstellung einer Namensvertauschung bzw. einer Substitution, wie sie in der rhetorischen Tradition vorherrschte, gelöst („substitue à un mot un terme de compréhesion différente“). Allerdings spricht er gleichzeitig von einem „changement dans la compréhension logique d’un mot“, was sich auf die Menge der möglichen Referenten bezieht und damit wieder auf einen wie bei Le Guern vorgeschlagenen Referenztransfer verweist. Ähnliches ist bei Bonhomme mit seinen beiden ausführlichen Monographien zur Metonymie von 1987 und 2006, die zahlreiche französische Beispiele enthalten, auszumachen. Er verwendet mit dem Begriff der cotopie eine spezielle Terminologie, um die Kontiguitätsrelationen zu fassen: „[L]a cotopie délimite des ensembles sémantico-référentiels constitués d’un TOPOS (ou d’un thème) de base autour duquel s’agglutinent des polarités lexicales qui sont compatibles à la fois avec ce topos et entre elles“ (Bonhomme 1987: 43f., Hervorhebung im Original). Alle Elemente, die in semantischer Hinsicht (paradigmatische Austausch-

30 barkeit) oder referentieller Hinsicht (Zusammenhänge in der Realität) zu dem jeweiligen Topos passen, gehören zu dessen cotopie, innerhalb derer die für die Metonymie grundlegenden Relationen bestehen. Davon ausgehend definiert er die Metonymie folgendermaßen: „La métonymie forme un TROPE, à savoir une dénotation synthétique, due à des transferts entre deux ou plusieurs polarités coréférentielles dans une même cotopie sémiotique“ (Bonhomme 1987: 49, Hervorhebung im Original). Diese Ausführungen lassen erkennen, dass Bonhomme ebenfalls eine auf die Referenz ausgerichtete Perspektive einnimmt. Außerdem weist er, wie schon Henry, auf den synthetisierenden Charakter der Metonymie hin und bezieht mit seiner Vorstellung der cotopie genauso wenig eindeutig Stellung, was die Verortung der Kontiguitätsrelation angeht. Ein Referenztransfer als Funktionsweise der Metonymie erscheint umso plausibler, wenn man sich, wie Waltereit (1998: 10–13), die grundsätzliche Unbestimmtheit der Referenz vor Augen hält. Selbst beim bloßen Zeigen (eventuell unterstützt durch ein Demonstrativpronomen), der einfachsten Form des Referierens, kann man eine gewisse Unbestimmtheit nicht umgehen: Das Gemeinte kann das Objekt, auf das der Zeigefinger gerichtet ist, selbst sein, ein Teil dieses Objekts oder ein mit dem Objekt assoziierter Umstand. So betrachtet ergibt sich die Metonymie natürlicherweise aus dem durch den „Referenzvorgang erschl[ossenen] [...] Hof von Kontiguitätsbeziehungen um den Zeigegegenstand bzw. den semantischen Gehalt der definiten Beschreibung“ (Waltereit 1998: 11). Eine Variante der Hypothese einer referentiellen Verschiebung, die für die spätere Diskusssion zur diskursiven Einbindung und insbesondere zur Anaphorisierung von Metonymien interessant ist (s. Kapitel 5.1.2.1), bietet Nunberg (1995). Er unterscheidet hierbei nämlich zwei Fälle. Der erste entspricht ungefähr den vorhergehenden Ansätzen. Nunberg charakterisiert ihn als „deferred ostension or deferred indexical reference, a process that allows a demonstrative or indexical to refer to an object that correspond in a certain way to the contextual element picked out by a demonstration or by the semantic character of the expression“ (Nunberg 1995: 111). In bestimmten Fällen, so Nunberg, läuft aber ein anderer Prozess ab, ein metonymischer Transfer im Prädikat des Satzes: „The principle here is that the name of a property that applies to something in one domain can sometimes be used as the name of a property that applies to things in another domain, provided the two properties correspond in a certain way“ (Nunberg 1995: 111). Dieser Prädikatstransfer ist daran gebunden, dass die beiden Eigenschaften, die durch das metonymisch verbundene Quellbzw. Zielprädikat ausgedrückt sind, miteinander korrespondieren und dass sie „noteworthy“ (Nunberg 1995: 114) sind, also eine relevante Charakterisierung des Trägers der Eigenschaft vermitteln. Nunbergs Beispiele werden helfen, seine Unterscheidung nachzuvollziehen: (8)

This is parked out back and may not start.

(9)

??This fits only the left front door and may not start.

31 (10) I am parked out back and have been waiting for 15 minutes. (11) *I am parked out back and may not start. (Beispiele entnommen aus Nunberg (1995: 110f.))

Die Beispiele sind allesamt in einem Kontext zu verstehen, in dem gerade jemand sein Auto geparkt hat und noch die Schlüssel in der Hand hält, während er mit seinem Gegenüber spricht. In Beispiel (8) nimmt Nunberg einen Transfer der Referenz von dem Demonstrativpronomen „this“ über den Schlüssel auf das dazugehörige Auto an. Dies belegt er dadurch, dass es in Satz (8) möglich ist, eine weitere Aussage anzuschließen, die sich auf das Auto bezieht („and may not start“). Außerdem kann dagegen in Variante (9) demselben Teilsatz keine Aussage vorausgeschickt werden, die sich zunächst auf den Gegenstand bezieht, auf den „this“ in der Situation normalerweise verweisen würde, nämlich auf den Autoschlüssel in der Hand. Auch dies wertet Nunberg als Beleg für einen Referenztransfer, der das Demonstrativpronomen „this“ betrifft, sodass dieses nur noch auf das Auto verweist. Dagegen scheint in (10) kein vergleichbarer Referenztransfer für „I“ vorzuliegen, da hier sehr wohl eine Aussage angeschlossen werden kann, die sich auf den Sprecher, also auf den wörtlichen Referenten von „I“ bezieht. Außerdem bewertet Nunberg in der Variante in (11) eine sich auf das Auto beziehende Fortsetzung als inakzeptabel, was einen weiteren Hinweis auf das Ausbleiben eines Transfers der Referenz vom Sprecher auf das Auto darstellt. Der Unterschied zwischen den Beispielpaaren würde durch die Annahme erklärbar, dass die Verschiebung beim zweiten Paar (Beispiele (10) und (11)) in einem anderen Teil des Satzes, nämlich im Prädikat „am parked out back“ versteckt ist. Dies könnte man sich so vorstellen, dass das Prädikat nach der Verschiebung soviel aussagt wie ‚die Eigenschaft haben, ein Auto zu besitzen, das dort draußen geparkt ist‘. Dabei handelt es sich in dem Moment der Aussage um eine Eigenschaft, die in gewisser Weise für den Sprecher „noteworthy“ (Nunberg 1995: 114), d. h. relevant, ist. Die Idee des Prädikatstransfers erscheint, wie die Beispiele schon ahnen lassen, speziell für die Erklärung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke zunächst reizvoll, musste sich aber dennoch einige Kritik gefallen lassen, da sie bei den Kriterien, wann welche Art des Transfers vorliegt, sehr vage bleibt und darüber hinaus der Intuition zuwiderläuft (vgl. u. a. Kleiber 1995: 120, Warren 2004: 109f.). Generell kann man den Erklärungsansatz, dass die Metonymie auf einer Verschiebung der Referenz beruhe, kritisch sehen. Zwar wird im Vergleich zur rhetorischen Tradition ein Schritt voran getan, indem erstens Kontiguität als Basis der Metonymie allmählich von der realen Welt bzw. der sprachlichen Ebene auf die konzeptuelle Ebene überführt wird, zweitens die Verschiebung der Referenz die Metonymie treffender erfasst als die Vertauschung des Namens und drittens die Metonymie nicht mehr einzig als Trope verstanden wird. Und sicherlich ist auch richtig beobachtet, dass die Metonymie Auswirkungen auf die Referenz

32 eines Wortes hat. Letztlich ist aber die referentielle Sichtweise der rein substitutiven noch sehr ähnlich und nicht ausschlaggebend überlegen. Die zur substitutiven Herangehensweise angemerkten Unstimmigkeiten (s. Kapitel 2.2.1.1, S. 27) lassen sich in etwa auch hier feststellen: Denn die bloße Verschiebung der Referenz berücksichtigt nicht, dass die ursprüngliche Bedeutung des metonymisch verwendeten Ausdrucks nicht völlig getilgt ist, sondern zumindest immer mitschwingt. Umgekehrt zeigt sich in den Beispielen, die im Zusammenhang mit Nunbergs Prädikatstransfer diskutiert wurden (v. a. (11)), dass nicht in allen Fällen das Zielkonzept der Metonymie im Folgenden weitergeführt werden kann, was einem simplen Referenzwechsel widerspricht, bei dem ja der „neue“ Referent stets zur Weiterführung verfügbar sein sollte (vgl. Kleiber 1995: 106–112). Darüber hinaus ist fraglich, ob sich die auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung der Verschiebung aufgrund genereller referentieller Unbestimmtheit in allen Fällen ihre ganze Plausibilität bewahren kann. Sie scheint ihre Überzeugungskraft hauptsächlich bei solchen Fällen von Metonymien zu entfalten, die sich dem Phänomen der Facetten als Teil eines Globalkonzepts bzw. einer globalen Bedeutung (s. Kapitel 2.2.2.2, S. 46) annähern. Es sind jedoch Metonymien denkbar, in denen die konzeptuellen Verknüpfungen abstrakter, indirekter und nicht einer globalen Bedeutung entsprechend angelegt sind, wie etwa in Beispiel (3) (S. 2). Ob diese dann noch in dem bei jedem Referenzvorgang unvermeidbaren „Hof von Kontiguitätsbeziehungen um den Zeigegegenstand“ (Waltereit 1998: 11) liegen, erscheint fraglich. 2.2.1.3 Kognitive Herangehensweise Auf den unzulänglichen Versuch, die Metonymie allein anhand eines Referenzwechsels zu erklären, musste konsequenterweise eine Umorientierung folgen. Gerade die Tatsache, dass die ursprüngliche Bedeutung eines dann metonymisch gebrauchten Ausdrucks nicht einfach durch eine neue Referenz ausgelöscht wird, verlangt nach einer anderen Annäherung. Zahlreiche Arbeiten verlagerten deshalb ihren Schwerpunkt weg von Referenz und Substitution hin zu einer kognitiven Herangehensweise. Ihnen gemeinsam ist die Auffassung von Metonymie als allgemeinem kognitiven Verfahren, das nicht nur auf lexikalischer Ebene, sondern auch auf anderen Sprachebenen und im Denken generell zum Tragen kommt. Zudem stützen sie sich in ihrer Argumentation explizit auf konzeptuelle Repräsentationen, innerhalb derer sie die die Metonymie konstituierende Kontiguitätsrelation begründen. Das mit dem metonymisch verwendeten Ausdruck verbundene Quellkonzept kann danach das Zielkonzept insofern aktivieren, als es mit ihm in der konzeptuellen Repräsentation verbunden ist. Eine Umbenennung wird damit hinfällig und die Indirektheit der Referenz erklärbar. An dieser Art der Ansätze ist gerade die Betonung der Kontiguität als konzep-

33 tuelle Verknüpfung zwischen Bestandteilen von Frames interessant, da es später darum gehen wird, wie sich die Metonymie in die konzeptuelle Verflechtung eines Diskurses einfügen kann. Ganz allgemein kann man versuchen, die Metonymie als einen Spezialfall eines noch grundlegenderen kognitiven Mechanismus zu verstehen: Innerhalb der kognitiven Grammatik Langackers wird die Metonymie unter das generellere Verfahren der Referenzpunktkonstruktion eingeordnet. Bei den Referenzpunktkonstruktionen handelt es sich um eine allgemeine konzeptuelle Fähigkeit des Menschen: „[The reference point phenomenon] is best described as the ability to invoke the conception of one entity for purposes of establishing mental contact with another, i. e. to single it out for individual conscious awareness“ (Langacker 1993: 5). So kann z. B. beim Versuch, den Polarstern zu finden, dazu im Sternbild des Großen Wagens dessen Achse verlängert und diese so als Referenzpunkt herangezogen werden. Was hier bewusst geschieht, entzieht sich jedoch in den allermeisten Fällen unserer Aufmerksamkeit. Auch in sprachlichen Konstruktionen finden Referenzpunkte häufig Anwendung. So fungiert der Besitzer in Possessivkonstruktionen oder bei possessiven Determinierern als Referenzpunkt zur Identifizierung des Besitzgegenstandes. Eben wie die Metonymie, die laut Langacker eine spezielle Art von Referenzpunktkonstruktion verkörpert: „[T]he entity that is normally designated by a metonymic expression serves as a reference point affording mental access to the desired target (i. e. the entity actually being referred to)“ (Langacker 1993: 30). Dies ist dadurch möglich, dass der metonymisch verwendete Ausdruck bzw. das damit verbundene Quellkonzept im Bewusstsein von Sprecher und Hörer präsenter und salienter ist als das kontige Zielkonzept. Faktoren für besonders hohe Zugänglichkeit und Salienz sind nach Langacker die Merkmale Menschlichkeit (vs. Nichtmenschlichkeit), Ganzes (vs. Teil), Konkretheit (vs. Abstraktheit), Sichtbarkeit (vs. Nichtsichtbarkeit) etc. Damit kommt die Metonymie zugleich kommunikativen und kognitiven Bedürfnissen entgegen. Indem wir über die kognitiv salientesten Entitäten reden, erfüllen wir zugleich die kommunikative Anforderung, uns klar auszudrücken, da wir durch die Verwendung eines Referenzpunkts sicherstellen, dass unser Gegenüber den beabsichtigten Referenten identifizieren kann. Die Metonymie stellt sich somit als ein Mittel für die Zugänglichmachung eines Konzepts dar (vgl. Langacker 1993: 29f.). Hierbei ergeben sich Überschneidungen mit einem weiteren grundlegenden Phänomen unseres kognitiven Apparates, nämlich mit dem Auftreten von so genannten active zones. Diesen liegt die Beobachtung zugrunde, dass in vielen sprachlich in Sätze gefassten Situationen nur ein Teil der bezeichneten Entitäten von der beschriebenen Handlung oder dem Zustand direkt betroffen ist, da eine Abweichung besteht zwischen „on the one hand, the entities put in profile as the explicitly coded relational participants and, on the other hand, the active zones of those entities with respect to the profiled relationship“ (Langacker 1993: 31).

34 Dass dies eigentlich der Normalfall ist, da aufgrund übertriebener Präzisierungen sprachliche Äußerungen viel zu lang und schwerfällig würden, erkennt man in folgenden von Langacker zur Illustration aufgeführten Sätzen. Keine der drei genannten Personen bzw. keiner der Gegenstände (Abernathy, die Zigarette und die Axt) befindet sich vollständig in dem jeweiligen „Behälter“ (Badewanne, Susans Mund, Hand), obwohl die rein wörtliche Interpretation ohne Einbeziehung unseres enzyklopädischen Wissens dies vermuten lassen könnte: (12) Abernathy is in the bathtub. (13) Susan has a cigarette in her mouth. (14) He has an axe in his hand. (Beispiele entnommen aus Langacker (1984: 179))

Auch hier spielt der Aspekt der Salienz wieder eine Rolle: Nicht nur vom sprachlichen Formulierungsaufwand, sondern auch vom kognitiven Aufwand her, ist es einfacher, die salientere Entität anzusprechen, also eher das Ganze als einen Teil, eher exakt abgrenzbare Objekte als ungenau umrissene Bereiche (vgl. Langacker 1984: 176–180). Wie sieht nun der Brückenschlag zu den Referenzpunkten und zur Metonymie aus? Wenn man annimmt, dass der Zusammenhang zwischen der active zone und der wörtlich bezeichneten Entität nicht auf Teil-GanzesBeziehungen beschränkt ist, sondern auch eine Assoziationsbeziehung im weiteren Sinne sein kann, dann nähert man sich auch hier wieder der Metonymie an. Das Zielkonzept der Metonymie wird dann als active zone verstanden. In dieser Sichtweise erscheint die Metonymie eher als Fokussierungsprozess (vgl. Langacker 1993: 31–33). Zur Illustration kann man versuchen, Langackers Prinzipien an einem Beispiel nachzuvollziehen: (15) Récemment, Manfred Haag, responsable du Centre de Recherche des Criminels nazis, l’or-

ganisme officiel allemand créé en 1958, a fait une découverte surprenante : « Heim n’a jamais été rayé de la liste des membres du club de tennis de Baden-Baden. Le club a même rédigé une lettre de félicitation pour ses quarante ans d’adhésion ! » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2006, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 16.)

Genau genommen kann hier mit „Heim“ nicht die Person des Nazi-Arztes aus dem Konzentrationslager Mauthausen bezeichnet sein, sondern nur dessen gedruckter Name auf der Liste. Das Konzept der Person ist eng verbunden mit ihrem Namen. Außerdem erscheint es salienter, da es den Merkmalen belebt, konkret und ganzheitlich entspricht. Deshalb kann man sagen, dass das Konzept der Person als Referenzpunkt dient und dem Leser und Nachvollzieher der Konzeptualisierung hilft, das Zielkonzept des aufgeschriebenen, aufgelisteten Namens mitzuverstehen. Andererseits kann man den Namen auch als active zone auffassen, als Bereich des Konzepts der Person, der eigentlich von der im Satz

35 dargestellten Handlung betroffen ist und der über das Ganze automatisch aktiviert und fokussiert wird. Die Arten des Herangehens an die Metonymie, die sich aus den allgemeineren Prinzipien der Referenzpunkte und active zones herleiten lassen, nämlich die Metonymie als konzeptuelle Zugriffsmöglichkeit auf ein kontiges Konzept bzw. die Metonymie als konzeptuelle Fokussierung des relevanten Konzeptbereichs, ziehen sich durch die Mehrzahl der Metonymie-Definitionen mit kognitiver Ausrichtung. Einige Vertreter dieser beiden Arten von Begriffsbestimmungen sollen nun nacheinander vorgestellt werden. Zur Gruppe der Theorien zur Metonymie, die die Zugänglichmachung eines Konzepts hervorheben, können u. a. die Ausführungen von Radden und Kövecses (1999) gerechnet werden, deren Definition für die Metonymie in der Einleitung bereits zitiert wurde: „Metonymy is a cognitive process in which one conceptual entity, the vehicle, provides mental access to another conceptual entity, the target, within the same idealized cognitive model“ (Radden/Kövecses 1999: 21). Zum einen taucht in dieser Definition explizit der Begriff des „access“ auf, der betont, dass in der Metonymie ein Konzept den gedanklichen Zugang zu einem anderen Konzept ermöglicht. Dies kennzeichnet die Metonymie deutlich als Referenzpunktkonstruktion. Zum anderen wird wieder darauf hingewiesen, dass zwischen den beiden Konzepten eine Kontiguitätsbeziehung innerhalb derselben Repräsentationseinheit (hier verkörpert durch das Modell des ICM) bestehen muss. Radden und Kövecses entwickeln darüber hinaus eine Aufstellung möglicher Beziehungen von Konzepten innerhalb eines ICM, die zu Metonymien führen können, sowie eine Auswahl möglicher Prinzipien – ähnlich Langackers Salienzkriterien (s. S. 33) –, die die Wahl des metonymischen Ausdrucks beeinflussen können (vgl. Radden/Kövecses 1999: 23–44). Auch Lakoffs und Johnsons (1980) Definition der Metonymie kann als eine Ausformung des Referenzpunktgedankens angesehen werden. Allerdings wird hier noch der Begriff einer „‘stands for’ relation“ zwischen Konzepten verwendet, was relativ stark an Ansätze erinnert, die mit reiner Substitution argumentieren. Ebenso gehört Fauconniers (1984) Theorie der espaces mentaux zur Gruppe der Auffassungen von der Metonymie, die auf das Referenzpunktmodell zurückführbar sind. Der Gedanke der active zone bzw. des Fokussierungsprozesses wird u. a. bei Koch (1999) stärker betont. Koch stützt sich bei seiner Erklärung der Metonymie auf die innerhalb von Frames darzustellende Kontiguität, die er durch ihren Gestaltcharakter geprägt sieht. Dies bedeutet, dass jedes Konzept, auf das sich eine lexikalische Einheit beziehen kann, als hervortretende Figur in Relation zu mindestens einem kontigen Konzept, das den Hintergrund bildet, erscheint. Unter diesen Voraussetzungen ist folgender Kippeffekt denkbar: „[W]hile we are using the same lexical item, certain pragmatic, conceptual or emotional factors may highlight the ground concept so that figure and ground become inverted. That’s what we call metonymy“ (Koch 1999: 152).

36 Eine weitere Möglichkeit, die Metonymie in das kognitive Paradigma einzufügen, nämlich die Annahme eines Projektionsprozesses, kann zumindest als verwandt mit Langackers Vorstellung der active zone gesehen werden: Zwei Bestandteile eines Frames korrespondieren miteinander und werden aufeinander abgebildet. Das eine Konzept wird aus dem Blickwinkel des anderen entworfen. Generell ist diese Variante der Erklärung der Metonymie unter den Prozess der konzeptuellen Integration oder auch des blending, also der Entstehung eines neuen Konzepts aus der Überlagerung unterschiedlicher Konzepte bzw. Frames, einzuordnen (s. auch Kapitel 6.2.2.2, S. 244). Diesen Vorschlag verfolgen u. a. Ruiz de Mendoza oder Barcelona. So definiert Barcelona die Metonymie folgendermaßen: „Metonymy is a mapping of a conceptual domain, the source, onto another domain, the target. Source and target are in the same functional domain and are linked by a pragmatic function, so that the target is mentally activated“ (Barcelona 2005a: 30). „[F]unctional domain“ muss dabei im Sinne von Frame oder ICM verstanden werden, die „pragmatic function“ entspricht den strukturellen Invarianten, also den in einem Frame modellierten Relationen, und die Qualifizierung als „mentally activated“ meint die mentale Zugänglichmachung eines Konzepts. Diesen Ansatz vertritt ebenso Ruiz de Mendoza in verschiedenen Arbeiten. In Ruiz de Mendoza/Pérez (2001: 327) wird die Metonymie definiert als: a domain-internal one-correspondence conceptual mapping where the matrix domain can be either the source or the target of the mapping and where the target domain is a non-central characterization of the source. This latter requirement is immaterial in the case of source-in-target metonymies, since in them the target will always be the matrix domain.

Wieder tritt die Metonymie als mapping zutage, allerdings sind die Ausführungen etwas detaillierter als bei Barcelona, da Ruiz de Mendoza und Pérez gleichzeitig versuchen, die Metonymie und die Metapher voneinander abzugrenzen bzw. den Pol der typischen Metonymie auf dem von ihnen angenommenen Kontinuum zwischen Metonymie und Metapher zu charakterisieren (s. dazu Kapitel 2.2.2.4, S. 57). Der Begriff domain-internal bezieht sich wieder auf die Tatsache, dass sich die Projektion innerhalb eines Frames oder eines ICM, also innerhalb einer Einheit eines Repräsentationsmodells darstellen lässt. Da die Metonymie, im Gegensatz zu den Abläufen bei der metaphorischen Übertragung, immer nur auf eine Kontiguitätsrelation gestützt ist, also nur eine Verbindung zum Tragen kommt, handelt es sich um ein one-correspondence mapping. Außerdem unterscheiden Ruiz de Mendoza und Pérez (2001: 325) zwischen matrix domain im Gegensatz zu subdomain, um anzugeben, welcher konzeptuelle Bereich im jeweils anderen enthalten ist (die subdomain ist in matrix domain enthalten) und welcher dem anderen untergeordnet, von ihm abhängig ist (die subdomain ist der matrix domain untergeordnet). Diese Unterscheidung wird u. a.

37 in Hinblick auf das Problem der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke vorgenommen (s. dazu Kapitel 5.1.2.2, S. 131). Angemerkt sei noch, dass die Konzeption der Metonymie als Zugänglichmachung von Konzepten über Referenzpunkte bzw. die Fokussierung von Teilen eines Frames gut zusammenpasst mit der Theorie, die Konerding (1993) über die Konstitution von Bedeutung und Konzepten (s. Kapitel 2.1.2.1, S. 21) aufgestellt hat. Auch er stützt sich in seinen Annahmen auf die Gestaltpsychologie und entwickelt Konzepte – und in ähnlicher Weise Bedeutungen – als Typen von Wahrnehmungssegmenten, die sich wiederum aus kleineren Segmenten zusammensetzen. Diese Segmente können, da sie normalerweise in einem Zusammenhang wahrgenommen und erfahren werden, als indexikalische Zeichen füreinander stehen. Sprachliche Zeichen sind lediglich eine besondere Art von Segmenten und mit der Bedeutung und den damit bezeichneten Konzepten in einem Segment verbunden. Es ist also nicht erstaunlich, dass durch sprachliche Zeichen bestimmte Konzepte aktiviert werden können, welche dann wiederum auf andere Konzepte verweisen, so wie es in den hier beschriebenen Ansätzen zur Metonymie angenommen wird. Kritik an der kognitivistischen Herangehensweise ergibt sich in zwei Punkten. Erstens kann man den Vorwurf geltend machen, dass die Metonymie in diesen Ansätzen als zu umfassend gesehen wird und sich deshalb als Kategorie aufzulösen beginnt (vgl. Bonhomme 2006: 21). Diese Kritik wird verständlich, wenn man sich z. B. Raddens (2005) Aufsatz zur „Ubiquity of metonymy“ ansieht, in der Metonymien als Prozesse gesehen werden, die in der Phonologie, Grammatik, Morphologie, lexikalischen Semantik und Pragmatik greifen. In der Tat sollte man sich eventuell in einigen der dort angesprochenen Fälle darauf beschränken, eine Kontiguitätsrelation festzustellen, die sicherlich in einer Vielzahl von Mechanismen in den genannten Gebieten eine Rolle spielt, anstatt all diese Phänomene mit dem Begriff der Metonymie zu belegen. Deshalb soll bei dieser Gelegenheit ausdrücklich klargestellt werden, dass die Metonymie in dieser Arbeit im Vergleich zu dem sehr weiten kognitiven Begriff enger gefasst wird und nur auf sich lexikalisch-semantisch manifestierende Erscheinungen bezogen wird. Zweitens bleiben viele der kognitiven Ansätze in ihren Begriffen und Formulierungen sehr vage. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den nur verschwommenen Vorstellungen, die man sich von konzeptuellen Repräsentationen in Form von Frames und ähnlichen Gebilden bis jetzt machen kann. Dennoch haben die hier besprochenen Ansätze im Vergleich zu früheren nicht unwesentlich zum Verständnis der prinzipiellen Mechanismen der Metonymie beigetragen. Eine Lösung, um gegen diese generelle Vagheit anzugehen, könnte z. B. der Vorschlag Konerdings sein, der sich einerseits um eine psychologische Rückbindung seiner Theorie an Konzepte, Frames und Bedeutung bemüht und andererseits ein empirisches Verfahren zur Nachvollziehung von Framestrukturen entwirft.

38 Zudem wird häufig bemängelt, dass sich die kognitiven Vorschläge zu wenig um die kommunikative Dimension der Metonymie kümmern. So diagnostiziert Papafragou (1996: 175): What previous accounts of metonymy essentially lack is a robust pragmatic criterion that could operate on a variety of encyclopedic assumptions (including social beliefs) and would guide the comprehension of metonymy in a way consistent with a general account of utterance interpretation.

Allein das Verständnis der kognitiven Prozesse genügt also nicht, um die Metonymie vollständig zu erfassen. Die Aufmerksamkeit muss auch darauf gelenkt werden, wie die Metonymie vom Gegenüber, vom Leser oder Hörer, verarbeitet und verstanden wird und welche pragmatischen, situationsbezogenen und kommunikativen Faktoren für die Metonymie wichtig sind. 2.2.1.4 Pragmatische Herangehensweise Der abschließende Kritikpunkt an den kognitiven Theorien zur Metonymie leitet über zur letzten hier vorzustellenden Sichtweise auf die Metonymie. Diese ergibt sich nämlich aus einer pragmatischen, auf die Kommunikation hin orientierten Herangehensweise. Hier werden auch verstärkt Kontext und situationelle Einbindung berücksichtigt, was der angestrebten diskursanalytischen Herangehensweise an die Metonymie entgegenkommt. Dabei muss nicht unbedingt ein Widerspruch zwischen der pragmatischen und der kognitiven Perspektive gesehen werden. Es werden lediglich unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, die sich ergänzen können. So werden nun nicht mehr vorzugsweise die kognitiven Zusammenhänge beleuchtet, die die Funktionsweise von Metonymien veranschaulichen können, sondern jene, die die Grundlagen der Abläufe beim Dekodieren und Verstehen von Metonymien bilden. Außerdem wird in diesem Rahmen die Frage aufgeworfen, welchen pragmatischen Zweck die Verwendung von Metonymien hat und welche Effekte den gegebenenfalls höheren Verarbeitungsaufwand rechtfertigen. Papafragou (1996: 175f.) plädiert für eine ausdrücklich pragmatische Untersuchung von Metonymien. Diese hat den Vorteil, dass auch Metonymien, bei deren Interpretation der Kontext stärker einbezogen werden muss, erklärt werden können. Ein solcher Fall soll an folgendem Beispiel erläutert werden: (16) Journée historique pour les cocaleros du tropique de Cochabamba : leur congrès accueille

leur dirigeant, l’« excellentissime président de la République », venu en compagnie de son vice-président, le sociologue Alvaro García Linera – l’alliance de la cravate et du poncho, ironisent certains. Les deux hommes font une entrée triomphale dans la grande salle du Congrès, sous un déluge de feuilles de coca. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 10.)

39 In einem Beispiel wie diesem ist nicht sicher, inwiefern von einer beim Leser bereits vorhandenen konzeptuellen Repräsentation des Sachverhalts ausgegangen werden kann. Das Beispiel bezieht sich auf die politischen Verhältnisse in Bolivien unter Präsident Evo Morales. Dabei ist anzumerken, dass dieser bei Erscheinen des Artikels erst ca. zwei Monate im Amt war, der europäische Leser also eventuell noch nicht näher über dessen Person und die näheren Umstände informiert war, z. B., dass es sich um den ersten indigenen Präsidenten Boliviens handelt. Insbesondere die Person des Soziologen und Vizepräsidenten Alvaro García Linera wird nur den wenigsten Lesern geläufig gewesen sein. Daher ist anzunehmen, dass die Metonymie in dem Ausdruck „l’alliance de la cravate et du poncho“ erst im Zusammenhang des Diskurses interpretiert werden kann: Der Leser muss eine Verbindung zwischen Morales bzw. García Linera und dem Kleidungsstück des Poncho bzw. der Krawatte hergestellen, um zu begreifen, zu welchen Konzepten „poncho“ und „cravate“ in einem Kontiguitätsverhältnis stehen und um damit die metonymische Verwendung der beiden Ausdrücke zu erfassen. Dass sich „poncho“ auf Morales bezieht, ist für den Leser aus der offensichtlichen Beliebtheit von Morales bei den Coca-Bauern zu erschließen, während der Beruf Lineras für ihn die Krawatte angemessener erscheinen lässt. Erst dann können weitere Verbindungen zu Eigenschaften zum Tragen kommen, die über die Krawatte und den Poncho angesprochen werden, z. B. Bürgerlichkeit, westlicher Kleidungsstil und weiße Hautfarbe im Gegensatz zu ländlichem, bäuerlichem Hintergrund und indigener Abstammung. Diese vermitteln dann den ironischen Charakter der Bemerkung. Eine stärker auf den Kontext und die pragmatischen Faktoren ausgerichtete Erklärung wäre hier also sicherlich hilfreich. Deshalb schlägt Papafragou vor, die Metonymie im Rahmen der Relevanztheorie zu betrachten. Nach Sperber und Wilson (1986: 118–132, 155–171), den Begründern der Relevanztheorie, muss jede Äußerung möglichst relevant sein. Damit fassen sie sozusagen die Vielzahl der Griceschen Bedingungen zusammen. Die Relevanz einer Äußerung ergibt sich dabei aus zwei Faktoren: aus einem möglichst niedrigen Verarbeitungsaufwand und aus einem möglichst großen kognitiven Effekt bei demjenigen, der die Äußerung interpretiert. Der Interpretierende wiederum setzt voraus, dass eine Äußerung, die ihm gegenüber gemacht wird, immer mindestens so relevant ist, dass sie seiner Aufmerksamkeit wert ist. Dementsprechend laufen die Inferenzen für eine Interpretation ab. Die möglichen Interpretationen werden nach dem Verarbeitungsaufwand geordnet geprüft, solange bis eine Interpretation der erwarteten Relevanz entspricht. Darauf basierend kann auch die Interpretation von Metonymien erklärt werden. Die Metonymie funktioniert als „a sort of ‘cue’ present in the speaker’s conceptual representation, which provides a cost-efficient mechanism for accessing a referent“ (Papafragou 1996: 181). Diese Art der Bezugnahme auf einen Referenten ist deshalb so „cost-efficient“, weil eine generelle Tendenz des menschlichen Denkens besteht, eine Entität immer über einen

40 besonders salienten Teil zu identifizieren und dementsprechend zu repräsentieren – ein Gedanke, der bereits im Zusammenhang mit der Idee der Referenzpunkte angesprochen wurde (s. Kapitel 2.2.1.3, S. 33). Bei der Metonymie wird gerade diese besonders saliente Eigenschaft verwendet: „The metonymic expression thus functions as a newly coined name for the intended referent; its choice is governed by the fact that it represents the most relevant means of identifying this referent, a fact that squares well with the general cost-efficient orientation of our cognition“ (Papafragou 1996: 182). Die Interpretation von Metonymien wird hier also als ein Verfahren der Inferenzziehung beschrieben. Im oben angeführten Beispiel (16) (S. 38) lassen sich die angenommenen Inferenzen gut nachvollziehen. Aufgrund der semantischen Inkongruenzen einer wörtlichen Interpretation setzen Inferenzen zur Auffindung einer plausibleren Lesart ein: Der Bekleidungsstil ist im bestehenden Kontext eine besonders hervortretende Eigenschaft für die beiden betreffenden Personen, die sie zugleich unterscheidet. Wenn der Leser also annimmt, dass es sich um eine relevante Aussage handelt, dann muss er die Attribute der Krawatte und des Poncho als eine Metonymie für die beiden Politiker auffassen und gleichzeitig die weiteren Eigenschaften erkennen, die durch die Kleidungsstücke symbolisiert werden. Dadurch ergeben sich genügend kognitive Effekte und neu erlangte Informationen, um den Verarbeitungsaufwand zu rechtfertigen. Zu ihnen zählt nicht zuletzt die ironische Wirkung – die spezielle Bezeichnung von Morales und seinem Vizepräsidenten wird im Ausschnitt sogar ausdrücklich als Ironisierung („ironisent certains“) beschrieben. Eine andere pragmatische Annäherung an das Problem der Metonymie ergibt sich mit Kleibers Ansatz der métonymie intégrée. Er unterscheidet zwischen einer kleinen Anzahl wirklicher Metonymien, bei denen tatsächlich eine indirekte Referenz vorliegt, und der métonymie intégrée, die allein auf pragmatischen Prinzipien beruht. Bei normalen Metonymien wird ein Teil benannt, um auf das Ganze zu verweisen, wie in Beispiel (16) (S. 38). Bei der métonymie intégrée verweist dagegen das Ganze auf einen Teil. Sie lässt sich mit Hilfe von zwei „moteurs d’inférence pragmatique“ (Kleiber 1995: 129) verstehen, nämlich mit dem principe de métonymie intégrée und dem principe de méronomisation. Ersteres sagt aus, dass bestimmte Eigenschaften eines Teils das Ganze als solches charakterisieren können (vgl. Kleiber 1995: 123). Insofern kann eine Aussage durchaus sinnvoll bleiben, auch wenn der speziell von dieser Aussage betroffene Teil nicht direkt benannt wird und die Aussage stattdessen auf das Ganze bezogen wird. In diesen Fällen ist es also überflüssig, eine indirekte Referenz, eine referentielle Verschiebung o. Ä. anzunehmen, da die Aussage auch wörtlich genommen angemessen bleibt. Ein solcher Fall liegt u. a. in Beispiel (15) (S. 34) vor: Die wörtlich bezeichnete Person als Ganzes wird durch eine Aussage charakterisiert, die sich genau genommen nur auf einen Teil, nämlich speziell auf ihren in einer Liste genannten Namen bezieht. Das zweite Prinzip dient da-

41 zu, weitere Kontiguitätsbeziehungen wie z. B. Produzent–Produkt generell auf Teil-Ganzes-Relationen zurückzuführen und dadurch das Prinzip der métonymie intégrée auf eine größere Anzahl von Fällen anwendbar zu machen (vgl. Kleiber 1995: 128). Die so herbeigeführte Unterscheidung zwischen métonymie intégrée und normalen Metonymien wird nochmals im Zusammenhang mit der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke wichtig sein (s. Kapitel 5.1.2.3). In der Diskussion zur Relevanztheorie und bei den Ausführungen zu Beispiel (16) (S. 38) wurde ersichtlich, dass der Verarbeitungsaufwand, den die Metonymie verursacht, gering gehalten werden bzw. durch entsprechende kognitive Effekte gerechtfertigt sein muss. Im Beispiel war dies durch die hohe Salienz der Quellkonzepte im spezifischen Kontext und den leicht ironischen Effekt gegeben. Deshalb ist klar, dass sich die pragmatische Sichtweise auf die Metonymie nicht nur mit deren Auflösung mittels Inferenzziehung, sondern auch mit der Motivation für ihre Verwendung auseinandersetzen muss. Die diesbezüglichen Möglichkeiten sind mannigfaltig. Natürlich kann die Metonymie stilistische Effekte hervorrufen. Aus sprachökonomischer Sicht, speziell wenn die Metonymie als Ellipse begriffen wird, hilft sie, Verkürzungen herzustellen und unnötig lange und schwerfällige Ausdrücke zu vermeiden (vgl. Burkhardt 1996: 183–187). Gleichermaßen kann sie dazu dienen, Lücken im Wortschatz zu füllen. Überdies ermöglicht sie es in Fällen, in denen ein umfassenderes Konzept auf einen Teil verweist, eine gewisse Ambivalenz und Unsicherheit über die Natur des Referenten aufrechtzuerhalten. Dies ist dann beabsichtigt, wenn der Sprecher sich selbst nicht ganz sicher ist und offen lassen möchte, z. B. welcher Instanz genau die Verantwortung für eine Handlung zufällt (s. Beispiel (7), S. 26, vgl. Lecolle 2003: 267–272). Bonhomme (1987: 123–198, 213–227, 2006: 113–141, 159–174) führt gleich eine ganze Reihe von weiteren möglichen Gründen für die Verwendung von Metonymien an, die speziell für eine diskursanalytische Herangehensweise an die Metonymie relevant sind: Fokussierung auf einzelne Aspekte und damit Perspektivierung, Konkretisierung eines Aktanten, Zuspitzung der Darstellung einer Handlung, Herstellung der globalen Ansicht eines Zusammenhangs, Herausfilterung und Hervorhebung des Themas eines Abschnitts, Hervorrufen von Ambiguitäten und Euphemismen, Wiedergabe von Einstellungen des Sprechers (wie z. B. die Ironie in Beispiel (16) auf S. 38). Insgesamt diagnostiziert Bonhomme (2006: 157) für die Metonymie die bereits erwähnte „primauté de l’efficacité du discours sur la logique de la langue“, was nochmals die Rolle der Metonymie im Diskurs unterstreicht. So gelingt es der pragmatischen Position einerseits, Metonymien weniger isoliert zu betrachten, den Kontext stärker einzubeziehen und auf Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, die in der kognitiven Perspektive zu wenig Beachtung finden. Andererseits wird häufig die Kritik laut, dass sich die pragmatischen Ansätze, speziell im Rahmen der Relevanztheorie, zu sehr auf Ad-hoc-Analysen einzelner Beispiele beschränken. Da eben sowohl die pragmatische als auch die

42 kognitive Sichtweise ihre Schwächen und Lücken, aber auch ihre Stärken haben, könnten sie sich in vielerlei Hinsicht gut ergänzen. Das vorangegangene Kapitel 2.2.1 hat versucht, die theoretischen Herangehensweisen an die Metonymie schematisch einzuteilen, die Besonderheiten der Entwicklungsstufen der Betrachtung der Metonymie zu beschreiben und gleichzeitig durch die unterschiedlichen Blickwinkel verschiedene Aspekte der Metonymie zu beleuchten. Die metonymische Verwendung von Ausdrücken wirkt sich auf deren Referenz aus, indem das besonders saliente Quellkonzept, das ursprünglich mit der Wortbedeutung verbunden ist, auf ein weiteres Konzept, das Zielkonzept, verweist und es zugänglich macht. Diese Verbindung wird dadurch möglich, dass innerhalb unserer konzeptuellen Repräsentationen Quellund Zielkonzept verbunden, also kontig sind. Gleichzeitig sind Metonymien aber aus Hörersicht durch Inferenzen im kontextuellen Zusammenhang zu lösen und bedürfen einer pragmatischen Motivation, die ihre Verwendung rechtfertigt. Vor allem das in der kognitiven Herangehensweise geprägte Verständnis der Metonymie wird im Folgenden übernommen, da zu vermuten ist, dass gerade die Verknüpfung von Quell- und Zielkonzept Auswirkungen auf die Einbindung der Metonymie in den umgebenden Diskurs hat. Die pragmatische Herangehensweise kann ergänzend hinzutreten, da sie die Metonymie im weiteren Kontext betrachtet und deshalb generell der diskursanalytischen Herangehensweise entgegenkommt. 2.2.2

Differenzierung unterschiedlicher Typen von Metonymien und Abgrenzung gegenüber ähnlichen Strukturen

Nach der bisher eher intensionalen Bestimmung des Begriffs der Metonymie soll es in den folgenden Kapiteln darum gehen, die Extension, also die äußeren Grenzen, abzustecken, v. a. in Hinblick auf die weitere Verwendung des Begriffs in dieser Arbeit. Zu diesem Zweck wird Kapitel 2.2.2.1 auf einzelne unterschiedliche Ausprägungen der Metonymie eingehen, um einen Eindruck davon zu vermitteln, dass es sich bei der Metonymie nicht um eine absolut homogene Kategorie handelt, und um bestimmte Erscheinungen aus dem Untersuchungsspektrum dieser Arbeit auszuschließen. Außerdem sollen einige Typologien von Metonymien, die auf den ihnen zugrunde liegenden Kontiguitätsrelationen aufbauen, angesprochen werden. Sodann müssen die Überschneidungen zwischen spontan gebildeten Metonymien und metonymisch begründeter Polysemie näher behandelt werden (Kapitel 2.2.2.2) und im Randbereich der Metonymie einige Grenzfälle, nämlich die Hypallage und die Syllepse (Kapitel 2.2.2.3) charakterisiert werden. Zuletzt wird die Metonymie in Kapitel 2.2.2.4 durch die Abgrenzung von Metapher und Synekdoche, den zwei verwandten Tropen, noch genauer umrissen.

43 2.2.2.1 Differenzierung unterschiedlicher Typen von Metonymien Vorab soll nochmals daran erinnert werden, dass diese Arbeit von vornherein keiner ganz weiten Fassung des Begriffs der Metonymie folgt, also generell außersprachliche Anwendungen sowie metonymische Verschiebungen aus dem Bereich der Phonologie, Grammatik etc. aus den Betrachtungen ausschließt. Einbezogen werden nur solche Metonymien, die auf lexikalisch-semantischer Ebene Bedeutung und Referenz betreffen. Eine erste wichtige Differenzierung unterschiedlicher Arten von Metonymien liegt in dem Gegensatz zwischen referentieller und propositionaler Metonymie. Dies betrifft die Art der Quelle für die metonymische Übertragung: Bei der referentiellen Metonymie besteht die Quelle nur aus einem einzelnen Ausdruck. Bei der propositionalen Metonymie stellt eine Proposition den Ausgangspunkt für die Übertragung und die inferentielle Ergänzung nicht explizit erwähnter, vollständiger Handlungsschritte dar. Gibbs (1999: 69, Hervorhebungen im Original) formuliert diesen Unterschied folgendermaßen: [W]e must acknowledge a distinction between processing metonymic language (e. g., understanding utterances like Paris has dropped hemlines this year) and metonymic processing of language (e. g., understanding the gaps in narrative by inferring some rich source of information, like a script, from the simple mention of some salient part of that knowledge).

Die bis jetzt aufgeführten Beispiele waren sämtlich Fälle von referentieller Metonymie. Deshalb soll hier zur Veranschaulichung auch ein Fall von propositionaler Metonymie bzw. von – wie Gibbs es ausdrückt – „metonymic processing of language“ vorgestellt werden: (17) « La DST marocaine [Défense et surveillance du territoire, marrokanischer Geheimdienst] a dû reconnaître que nous avions raison, explique Abdesalam Abdelillah, qui gère le dossier des islamistes à la Ligue des Droits de l’Homme. 1 500 suspects ont été libérés et d’autres libérations devraient suivre car les dossiers sont vides. Ce qui n’a pas empêché les forces de sécurité de torturer les suspects au siège de la DST, à Temara, près de Rabat. » (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „L’islam des taudis“, S. 15.)

Hier verweist die Begründung für die geforderten Freilassungen natürlich nicht nur auf die leeren Akten, sondern auf die damit implizierte Unschuld und das Fehlen anklagerelevanter Taten. Im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen ist aber nicht ein einzelner Ausdruck, sondern eine ganze Proposition von der metonymischen Übertragung betroffen. Man könnte sagen, dass ein Teilereignis bzw. -zustand auf das gesamte Ereignis bzw. den gesamten Zustand, den gesamten Ablauf verweist, dass also im Repräsentationsmodell ein Teil eines Skripts für das gesamte Skript steht (zum Begriff des Skripts s. Kapitel 2.1.1.2, S. 19). Bei referentiellen Metonymien ist das Ganze dagegen innerhalb eines Frames zu modellieren. Für diese Arbeit sind jedoch nur solche Metonymien von Belang, die bei dieser Unterscheidung in die Gruppe der referentiellen Metonymien fallen.

44 Beachtenswert ist darüber hinaus die Unterscheidung zwischen situationsbezogenen und framebezogenen Metonymien. Framebezogene Metonymien basieren auf einer Kontiguitätsrelation zwischen den Konzepten einer als Frame modellierbaren generellen Repräsentation. Diese Relationen sind prinzipiell auch außerhalb des speziellen Verwendungskontexts gültig und nicht von ihm abhängig. Situationsbezogene Metonymien dagegen stützen sich auf eine Relation, die nur in einer Situation mehr oder weniger zufällig vorhanden und außerhalb dieses Kontexts nicht nachvollziehbar ist. Alle bisher aufgeführten Beispiele gehören dem ersten Typ an. Auch wenn der zweite nicht generell von den Betrachtungen in dieser Arbeit ausgeschlossen werden soll, so ist er im untersuchten Korpus so gut wie nicht vorhanden. Dies mag daran liegen, dass es sich dabei um konzeptionell schriftlichen Diskurs handelt, in dem es natürlich schwierig ist, stark situationsbezogene Äußerungen zu machen. Dennoch soll hier zum besseren Verständnis der Unterscheidung ein Beispiel angeführt werden: (18) L’omelette au jambon est parti sans payer. (Beispiel entnommen aus Kleiber (1995: 114), eigene Hervorhebung)

Dieser Satz, der immer wieder als Beispiel für den Typ der situationsbezogenen Metonymie herangezogen wird, könnte in einem Restaurant zwischen zwei Kellnern fallen, die feststellen, dass einer ihrer Kunden die Zeche geprellt hat. Hier wird klar, dass die Verbindung zwischen dem Konzept des Omeletts und des Essers nur in dieser Situation besteht und nicht als Teil eines allgemeinen Frames modelliert werden kann. Außerhalb des Restaurants und außerhalb dieser Situation wird man dieselbe Person schwerlich über ein Schinkenomelett identifizieren können. Man kann aber festhalten, dass eine Relation innerhalb einer Repräsentation gegeben ist, die als Skript darzustellen ist, das das Ereignis des Restaurantbesuchs beschreibt. Hier besteht ja auf abstrakter Ebene immer eine Verbindung zwischen dem Konzept des Kunden und dem Konzept des von ihm bestellten Gerichts. Die Verbindung wird auf individueller Ebene eines bestimmten Kunden aber nur solange gültig sein, wie er sich „im Restaurant-Skript befindet“. Dies macht klar, dass die Verbindung nicht an die Repräsentation des Kunden oder des Omelettes gebunden ist, sondern nur an die Repräsentation der Situation, in der die beiden aufeinander treffen. Demgegenüber lässt die prinzipielle Gültigkeit der Kontiguitätsrelationen zwischen Konzepten im Fall der framebezogenen Metonymien nachvollziehbar werden, weshalb zahlreiche Versuche existieren, Metonymien anhand dieser sich mehr oder weniger häufig wiederholenden Muster in Typologien zu fassen. Dieses Unterfangen ist jedoch alles andere als trivial. Es müssen anstatt einer bloßen Aufzählung in Listen – wie es in den traditionellen Rhetoriken üblich war – Kriterien gefunden werden, nach denen man die unterschiedlichen Kontiguitätsrelationen, die für Metonymien genutzt werden, typologisieren kann. Nur so kann man sich einer vollständigen Erfassung annähern und gleichzeitig Dopplungen vermeiden.

45 So nimmt Blank (1999) Kopräsenz und Sukzession als „two fundamental models of human conceptualization“ (Blank 1999: 179) an. Aus dieser Einteilung können dann einzelne Kontiguitätstypen abgeleitet werden, auf denen schließlich die konkreten Metonymien basieren. Diese Kontiguitätstypen bestehen zwischen den kopräsenten Bestandteilen einer Handlung oder eines Zustands (Objekt, Teil/Aspekt, Instrument, Produkt, Zeitspanne, Ort, Gruppe, Funktion, Handelnder/Produzent/Autor) oder zwischen den sukzessiven Elementen von Zuständen, Handlungen oder Prozessen (vorheriger/nachfolgender Zustand, Vorbedingung/folgende Handlung, Material/Produkt, Ursache, Resultat, Ziel, Instrument). Daraus ergeben sich Kontiguitätsrelationen wie z. B. Erfinder– Produkt, Objekt–typischer Aspekt, Ursache–Folge. Eine weitere kognitiv orientierte Typologie stellt Warren (2006: 33–52) vor. Sie legt ihrer Typologie generelle, einzelsprachunabhängige Muster wie Kausalität, Lokalisierung in Zeit und Raum, Besitzverhältnisse, Komposition und Repräsentation zugrunde, aber merkt gleichzeitig an, dass sich innerhalb dieser Kategorien speziellere einzelsprachspezifische Typen herausbilden können. Enger gefasste Einzeltypen sind z. B. Verursacher–Folge (Kausalität), Ort–Objekt (Lokalisierung), Teil–Ganzes (Besitz), Gruppe–Mitglieder der Gruppe (Komposition), Darzustellendes–Darsteller/Darstellung (Repräsentation). Letzteres ist nur schwer in die beiden von Blank vorgeschlagenen Kategorien einzuordnen und müsste eventuell als dritte Kategorie neben Kopräsenz und Sukzession gestellt werden. Weitere Vorschläge zu Typologien finden sich außerdem z. B. bei Radden und Kövecses (1999: 23-43) oder Lecolle (2003: 227–237). Diese dargestellten Vorschläge weisen zwar in großen Teilen Überschneidungen auf, weichen an anderen Stellen aber voneinander ab und zeigen damit bereits die Schwierigkeiten auf, mit denen derartige Typologien konfrontiert sind: Es ist äußerst problematisch, objektive Kriterien und Begründungen für die Klassifizierung und Zusammenfassung der einzelnen Typen zu finden. Außerdem muss die Klassifizierung so angelegt sein, dass auch wirklich alle möglichen Metonymietypen erfasst werden können. Dazu kommt, dass die Zuordnung der einzelnen Typen zu den vorher festgelegten Klassen nicht immer unproblematisch ist. So könnte man sich fragen, warum Warren die Relation Teil–Ganzes in die Kategorie Besitz und nicht in die Kategorie Komposition einordnet. Und schließlich ist zu entscheiden, auf welchem Abstraktionsniveau die Kontiguitätsrelationen erfasst werden sollen: Sollte man sich wie Blank auf sehr allgemeine Kategorien stützen oder wie Warren eine detailliertere Einteilung wählen? Diese Frage stellt sich nicht nur auf der Ebene dieser Kategorisierung, sondern auch für die einzelnen darauf basierenden Relationen. Sollte eine Relation wie im bereits besprochenen Beispiel (7) (S. 26) als direkt zwischen den Konzepten des Regierungssitzes und den an der Regierung Beteiligten oder allgemein zwischen Ort und Person bestehend in eine Typologie aufgenommen werden? Die Folge dieser Schwierigkeiten ist, dass es wohl so viele unterschiedliche Typologien

46 wie Autoren gibt. Dennoch scheinen sie nicht völlig willkürlich zu sein, da bestimmte Kontiguitätsrelationen doch immer wieder genannt werden. So können die Typologisierungsversuche zumindest eine grobe Orientierung innerhalb der Vielzahl der möglichen Kontiguitätsrelationen bieten. 2.2.2.2 Unterscheidung zwischen spontan gebildeten Metonymien und metonymisch begründeter Polysemie Nach der Unterscheidung verschiedener Erscheinungsformen innerhalb der Kategorie der Metonymie müssen nun deren Randgebiete abgesteckt werden. Wie sich in dem Beispiel zum Bedeutungswandel des französischen Wortes bureau im Kapitel zur Kontiguität gezeigt hat (s. Kapitel 2.1.2.2, S. 24), kann konzeptuelle Kontiguität eine Bedeutungsverschiebung motivieren und dadurch zu metonymisch begründeter Polysemie führen. Diese muss von spontan gebildeten Metonymien unterschieden werden. Polysemie besteht in der Mehrdeutigkeit von Wörtern, also darin – wie der griechische Ursprung aus polys (= ‚viel‘) und sema (= ‚Zeichen‘) schon andeutet –, dass ein Signifikant mehrere untereinander verbundene Signifikate besitzt.6 Dabei ist dies durchaus nicht ein Sonder-, sondern eher der Normalfall in einer Sprache: „Die Bedeutung von Lexemen besteht im Regelfall aus einem Gefüge ›zusammenhängender‹ Teilbedeutungen [...], die sich in einem oder mehreren Bedeutungsmerkmalen überschneiden bzw. mehrere ähnl. oder partiell ident. Referenzbereiche spezifizieren“ (Rehbock 2005: 500). Das Zustandekommen der Polysemie erklärt sich dadurch, dass bestimmte Gebrauchsvarianten eines Wortes immer üblicher werden – bis hin zur Lexikalisierung. Blank (2003: 268–273) liefert einen Überblick über die möglichen Übertragungen und Bedeutungsverschiebungen, die zu Polysemie führen können. Er nennt mehrere Prinzipien des semantischen Wandels bzw. verschiedene sich daraus ergebende Typen von Polysemie, u. a. lexikalisierte Metonymien. Soweit bereitet die Differenzierung von spontan gebildeter Metonymie und metonymisch begründeter Polysemie zunächst noch keine Schwierigkeiten: Der Unterschied besteht darin, dass im Fall der metonymisch begründeten Polysemie ein Lexem mehrere lexikalisierte Bedeutungen hat, während im Fall der spontan gebildeten Metonymie die mit der lexikalischen Bedeutung des metonymischen Ausdrucks verknüpfte konzeptuelle Repräsentation auf ein weiteres Konzept verweist, d. h., dass dieser Verweis nur ad hoc aktiviert wird und eben nicht lexikalisiert ist. Bereits lexikalisierte Bedeutungen, die aus Metonymien erwachsen sind, werden im Analyseteil der Arbeit nicht berücksichtigt. 6

Der Begriff der Polysemie wurde von Michel Bréal Ende des 19. Jahrhunderts geprägt. Für einen summarischen Überblick zu den historischen Wurzeln und zur Entwicklung der PolysemieForschung sowie für einen kurzen Überblick über aktuelle Ansätze s. auch Nerlich/Clarke (2003).

47 Schwieriger wird es jedoch an den Randbereichen der Polysemie, wenn man das Phänomen der Generalität bzw. der Facetten betrachtet. Der Begriff der Generalität beschreibt die Tatsache, dass sich eine lexikalische Einheit auf ein Wirklichkeitssegment bezieht, welches konzeptuell weiter unterteilbar ist. Die Bedeutung eines Ausdrucks lässt meist viele Details unspezifiziert. Diese unterteilbaren Aspekte werden als die Facetten bezeichnet. Auch dies ist ein erwartbares Phänomen natürlicher Sprache, da es sich bei Wörtern bzw. deren Bedeutungen immer nur um Abstraktionen handeln kann (vgl. Devos 2003: 130, Zhang 1996: 16). Folgendes Beispiel soll dieses Phänomen veranschaulichen. In Satz (19) wird auf ein Buch als physisches Objekt mit Einband und Seiten referiert, während in Satz (20) eher der Inhalt des Buchs gemeint ist. Satz (21) dagegen ruft ohne eine weitere Präzisierung das Globalkonzept auf: (19) Tu peux me passer ce livre ? (20) Ce livre n’est pas très intéressant. (21) Je vais acheter un livre. Pustejovsky nimmt zur Erklärung ähnlicher Beispiele in seinen Arbeiten zum generativen Lexikon an, dass die Bedeutung von Wörtern konzeptuelle Strukturen widerspiegelt. Dementsprechend betreibt er die Dekomposition lexikalischer Information in generative Bausteine: Die Argumentstruktur beschreibt die Realisierung der Argumente eines Prädikats in bestimmten syntaktischen Positionen, die Ereignisstruktur gibt die Aktionsart an (Zustand, Prozess, Aktion etc.), die Vererbungsstruktur stellt die Beziehung zu anderen Elementen des Lexikons dar, und die Qualiastruktur repräsentiert die wichtigsten Attribute einer Entität, die durch ein Lexem definiert wird. Diese Qualiastruktur, die stark an den Aufbau von Frames erinnert, enthält Informationen über die Entität und ihre Beziehung zu ihren Konstituenten (constitutive role), über die räumliche Beschaffenheit und die Einfügung in ihre Umgebung (formal role), über Funktion und Ziel (telic role) sowie über die Entstehung der Entität (agentive role) (vgl. Pustejovsky 1991: 419). Innerhalb dieser Strukturen lassen sich Generalität bzw. Facetten als „foregrounding or backgrounding of a nominal’s qualia“ (Pustejovsky 1991: 432) annehmen. So wird in Satz (19) die formal role betont, wohingegen in (20) die constitutive role und die telic role im Vordergrund stehen. Pustejovsky spricht bei derartigen Prozessen von logischer Polysemie. Sie beruhen ihm zufolge auf „lexical conceptual paradigms“ (Pustejovsky 1991: 432) als Organisationsprinzipien des gesamten Lexikons, wie in diesem Fall die Relation Behälter–Inhalt. Diese Paradigmen ähneln stark den in den verschiedenen Typologien vorgeschlagenen Kontiguitätstypen zur Begründung von Metonymien. Auch Blank stellt den lexikalisierten, idiosynkratischen Polysemien die so genannte „rule-based polysemy“ (Blank 1993: 281) gegenüber, die eben auf

48 regelhaften Kontiguitätsrelationen beruht. Ganz ähnlich wird bei Nunberg und Zaenen (1992) der Begriff der systematischen Polysemie geprägt. Die schwierige Aufgabe besteht nun darin, zu unterscheiden, wo es sich noch um den Randbereich der Polysemie und wo es sich um spontan gebildete Metonymien handelt, ob die Teilbedeutungen schon lexikalisiert sind bzw. die Regeln für deren Ableitung zu einem Lexem gehören oder ob außersprachliche Kontiguitätsrelationen zur Bildung spontaner Metonymien aktiviert werden. Paradis (2004) stellt in ihrem Aufsatz „Where does metonymy stop? Senses, facets, and active zones“ genau diese Frage und gibt unter Verwendung des theoretischen Rahmens von Pustejovskys generativem Lexikon folgende Antwort: Während bei der Metonymie die verbundenen Konzepte außerhalb des jeweiligen Kontexts als zwei unterschiedliche Entitäten erscheinen, auf die normalerweise mit zwei unterschiedlichen Lexemen referiert würde, sind Facetten nur unterschiedliche Lesarten einer und derselben Bedeutung, die konventionellerweise durch ein und dasselbe Lexem mittels unterschiedlicher Schwerpunktlegung innerhalb der Qualiastruktur aufgerufen werden und sich gegenseitig nicht ausschließen (vgl. Paradis 2004: 255–262). Facetten sind demnach „not a matter of conceptual mapping but a matter of intraconceptual highlighting only“, wobei gilt: „Only concepts that hold both a concrete and abstract interpretation with different qualia structures have facets“ (Paradis 2004: 261). So lägen in Beispiel (19) und (20) (S. 47), mit dem Buch als materiellem Objekt und dem Buch, das abstrakt einen Inhalt transportiert, eventuell nur Facetten vor, da eben angenommen werden kann, dass beide Aspekte in der Bedeutung des Wortes Buch direkt enthalten sind. In Beispiel (16) (S. 38), in dem der bolivianische Präsident und sein Vize über ihre Kleidungsstücke, den Poncho und die Krawatte, bezeichnet wurden, läge eine Metonymie vor, da es wenig plausibel wäre, anzunehmen, dass Morales Teil der Bedeutung von Poncho ist. Diese Trennung bleibt letztlich uneindeutig, fehlen doch objektive Unterscheidungskritierien, sodass die Einordnung in vielen Fällen mehr oder weniger Ansichtssache bleibt. Als Konsequenz könnte man mit Barcelona (2005b: 315) ein Kontinuum der Metonymizität annehmen: „Purely schematic, typical and prototypical metonymies constitute a continuum of metonymicity“, wobei mit „schematic [...] metonymies“ dasselbe gemeint ist wie mit Facetten, „typical [...] metonymies“ unter anderem propositionale Metonymien umfassen und „prototypical metonymies“ referentielle Metonymien im engeren Sinne meinen. Man könnte dies sogar erweitern und verfeinern und das Kontinuum von Polysemie über Facetten, propositionale Metonymien, framebasierte Metonymien bis hin zu situationsbasierten Metonymien im oben besprochenen Sinne (s. Kapitel 2.2.2.1, S. 44) aufspannen. Dies entspräche einem Kontinuum von engerer Verbindung zwischen den involvierten Konzepten ausgehend von gänzlicher Lexikalisierung der Bedeutungen eines Lexems über die Ableitung verschiedener Aspekte innerhalb des Modells der Qualiastruktur bis hin zur reinen Kontigui-

49 tätsrelation, die in einem Frame modelliert wird, oder nur noch akzidentellen Verbindungen innerhalb als Skripten darstellbarer konzeptueller Repräsentationen. Aus rein praktischen Gründen sollen später bei der Auswertung des Korpus auch solche Beispiele berücksichtigt werden, die je nach Sichtweise eventuell als ein Fall von Generalität oder Facettenhighlighting angesehen werden könnten und damit in die Nähe von Polysemie rücken. Diese Beispiele sind für die Fragestellung der Arbeit ebenfalls interessant und letztlich nicht exakt von der Metonymie im engeren Sinne zu trennen. Darüber hinaus ist es gerade in kognitiven Ansätzen wie bei Barcelona (2005b) durchaus üblich, auch noch die Randbereiche wie Facetten zur Metonymie zu rechnen. 2.2.2.3 Parametonymische Figuren Im Folgenden sollen zwei der Metonymie verwandte Figuren, die Hypallage und die Syllepse, definiert und der Metonymie zur Seite gestellt werden, da sie in den späteren Analysen eine gewisse Rolle spielen und häufig im untersuchten Korpus auftauchen. Bonhomme beschreibt das Zustandekommen parametonymischer Figuren auf folgende Weise: „Or, il arrive que le processus métonymique ne parvienne pas au bout de sa chronogenèse, mais qu’il en reste à ces états intermédiaires, donnant naissance à des figures para-métonymiques nontropiques, mais qui perturbent néanmoins la cotopie et sa logique référentielle“ (Bonhomme 1987: 75). Zu diesen „halbfertigen“ Metonymien zählt er u. a. die Hypallage, eventuell kann man auch die Syllepse in diese Kategorie einordnen. Die Hypallage kann definiert werden als „phrases in which the (apparent) syntactic scope of a qualifying term does not coincide with its (real) semantic scope“ (Paillard 2002: 176). Man kann sich das Zustandekommen der Hypallage so vorstellen, dass von zwei in einem Satz auftretenden Nominalphrasen die eine ein Adjektiv, eine Präpositionalphrase o. Ä. enthält, das bzw. die aber in die andere Nominalphrase „verschoben“ wird (N1 + N2 Adj2 > N1 Adj2 + N2 ). Meistens ist aber die Nominalphrase, auf die sich das Adjektiv ursprünglich bezog, implizit (N1 Adj2 (N2 )). In sehr seltenen Fällen können ganze Verbalphrasen betroffen sein (vgl. Bonhomme 1987: 76–78). Beispiel (22) illustriert die Struktur der Hypallage, in der beide Nominalphrasen ausformuliert sind, Beispiel (23) diejenige mit impliziter zweiter Nominalphrase: (22) Voici un beau livre qui, par sa prose ouvragée, sa rigueur révolue et son décor de haute solitude, semble jaillir d’un temps très ancien, celui de la IIIe République en blouse grise et de ses héroïques maîtres d’école. Et pourtant il évoque une période toute récente, les années 1980, dans une France rurale qui, en mourant lentement, croit résister au monde moderne. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „L’instit“, S. 59.)

(23) La chaîne ouvre une vingtaine de magasins par an. « Mais on pourrait en ouvrir dix fois

plus, vu la demande ! explique Anders Dahlvig, le PDG, rencontré au siège du groupe. Le

50 marché est très loin d’être saturé. La seule limite, c’est nous-mêmes. Car derrière il faut assurer question logistique... » Cette popularité assure à l’enseigne des résultats florissants : en 2005, le chiffre d’affaires a progressé de 15% à 14,8 milliards d’euros – c’est plus que Nike. En revanche, la société n’étant pas cotée en Bourse, le montant des profits est un secret aussi bien gardé que celui du « Da Vinci Code ». (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le monde selon IKEA“, S. 39.)

Im ersten Fall darf man sich mit der attributiv gebrauchten Präpositionalphrase „en blouse grise“ natürlich nicht die dritte Republik im grauen Kittel vorstellen, sondern die damaligen Lehrer. Beide Nominalphrasen, zwischen denen die Präpositionalphrase verschoben wird, sind ausdrücklich im Satz genannt. Nicht so im zweiten Fall, wo sich das Adjektiv „florissant“ streng genommen auf die Geschäfte (un commerce florissant) bezieht, nicht aber so sehr auf die „résultats“, die eventuell mit einem Adjektiv wie excellent besser charakterisiert würden. Die Nähe der Hypallage zur Metonymie zeigt sich daran, dass natürlich zwischen dem Konzept der dritten Republik und den Lehrern in grauen Kitteln ebenso Kontiguität besteht wie zwischen den blühenden Geschäften und den daraus folgenden ausgezeichneten Geschäftsergebnissen. Der metonymische Transfer kann jedoch nicht vollends vollzogen werden: Dies wird daran deutlich, dass sich jeweils der Rest der Aussagen sehr wohl noch vollständig auf die ursprüngliche Bedeutung bzw. die ursprünglichen Referenten von „IIIe République“ und „résultats“ bezieht. In dieser Hinsicht steht die Syllepse der Metonymie ein Stückchen näher, da bei ihr noch deutlicher die gleichzeitige und gleichwertige Aktivierung zweier Konzepte vollzogen wird. Der Begriff der Syllepse ist hier weniger in seiner morphosyntaktischen als in seiner semantischen Ausrichtung von Interesse.7 Diese Auffassung von der Syllepse „consists in understanding the same word in two different ways at the same time, one meaning being literal or primary, the other figurative“ (Riffaterre 1980: 629). Le Guern beschreibt die Syllepse so: „La syllepse met en relation deux signifiés distincts de ce même lexème, à l’intérieur même de la logique intensionnelle de la langue, avant de leur assigner leur valeur référentielle“ (Le Guern 2006: 99). Dabei kann, so sei nebenbei bemerkt, die abgeleitete Bedeutung bzw. das abgeleitete Konzept nicht nur auf metonymischen, sondern auch z. B. auf metaphorischen Zusammenhängen beruhen. Syllepsen werden außerdem bevorzugt von syntaktischen Konstruktionen wie Relativsätzen, appositiven Nominalphrasen u. Ä. hervorgerufen. Indem ein Wort einen Knotenpunkt für die inhaltliche Anknüpfung an zwei verschiedene Bedeutungen bzw. Konzepte bietet, kommt ihm eine diskursive Scharnierfunktion zu. Es wird möglich, zusätzliche Informationen in den linearen Ablauf des 7

In der eher morphosyntaktischen Ausrichtung werden unter dem Begriff der Syllepse lediglich bestimmte Verletzungen der Kongruenz geführt, bei denen ein Wort nicht nach den morphosyntaktischen Regeln mit seinem Bezugswort kongruiert (vgl. Le Guern 2006: 97f.), sondern sich wie bei dem im Petit Robert (1999: 2187) angeführten Beispiel „Minuit sonnèrent“ nach dessen Bedeutung richtet.

51 Diskurses zu integrieren. Diese Verknüpfung ist im folgenden Beispielausschnitt zu erkennen: (24) A force de tout mélanger, le pudding idéologique ne passe plus. Toutes les luttes s’addition-

neraient ? Celles des Nestlé, cette usine de l’Est marseillais que la multinationale veut assassiner, mais aussi la grève des bus, et la SNCM, et les grandes colères, et les petits arrangements du port autonome... Et les quasi 70% de non au référendum européen, bien sûr. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 26.)

In dem Artikel, dem der Ausschnitt entstammt, geht es um Streiks und den Ausdruck sozialen Unmuts in Marseille. Auf den ersten Blick scheint sich „des Nestlé“ metonymisch auf die streikenden Angestellten der Nestléwerke zu beziehen. Die Metonymie ist sogar durch die Inkongruenz des Artikels im Plural mit dem nachfolgenden Eigennamen ohne Plural-Markierung gekennzeichnet. Das gleiche Übertragungsmuster tritt danach auch in „la grève des bus“ auf. Liest man jedoch nach „des Nestlé“ weiter, so wird dieser Ausdruck im gleichen Satz durch die folgende appositive Nominalphrase auch als „cette usine“ spezifiziert. Die über die Kontiguitätsrelation verbundenen Konzepte der Angestellten Nestlés und des Nestléwerks, in dem sie arbeiten, werden in diesem Satz beide zugleich über den Ausdruck „des Nestlé“ angesprochen. So ähnelt die Syllepse der Metonymie stark, grenzt sich indessen von ihr ab, da beide Konzepte gleichwertig aktiviert sind und das Quellkonzept nicht nur die Funktion hat, auf das Zielkonzept hinzuleiten. Die Syllepse hat also die metonymische Operation nicht vollständig vollzogen: Was ausbleibt, ist die eindeutige Fokussierung auf das Zielkonzept. Auch der Hypallage ähnelt die Syllepse, die Grenzen sind fließend. Sie unterscheiden sich aber insofern, als bei der Hypallage noch der Eindruck einer Vertauschung syntaktischer Einheiten mitschwingt, besonders dann, wenn beide Nominalphrasen explizit sind, während die Syllepse klar auf die Bedeutung des Wortes und die damit verbundenen Konzepte ausgerichtet ist. Außerdem spricht bei der Syllepse nicht nur ein einzelnes Adjektiv oder eine Präpositionalphrase ein metonymisch mit dem Bezugswort verbundenes Konzept an, sondern ganze Partizipialkonstruktionen, appositive Nominalphrasen oder Koordinationen nutzen die Verbindungen von Quell- und Zielkonzept als Anknüpfungspunkt. Dadurch erlangt das neu hinzutretende Konzept mehr Gewicht, und es wird schwierig, zu entscheiden, ob die Quell- oder die Zielbedeutung im Satz ausschlaggebend ist. Festzuhalten bleibt, dass die Hypallage und die Syllepse eng mit der Metonymie verwandt sind, sich aber doch von dieser unterscheiden, da sie den metonymischen Prozess nicht vollständig vollziehen. Dennoch werden sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit zur Metonymie auch Eingang in die Beispielanalysen des Teils II finden.

52 2.2.2.4 Abgrenzung der Metonymie gegenüber Synekdoche und Metapher Zum Schluss ist die Metonymie noch gegenüber Synekdoche und Metapher, den anderen beiden Tropen bzw. konzeptuellen Mechanismen, die meist in einem Zug mit der Metonymie genannt werden, abzugrenzen. So problemlos, wie die Unterscheidung auf den ersten Blick erscheinen mag, so schwierig wird sie beim zweiten Hinsehen. Nicht umsonst kann man z. B. Bonhommes Zusammenfassung (1987: 2–7, 2006: 5–9) zur Entwicklung des Begriffs der Metonymie entnehmen, wie sehr deren Einordnung gegenüber der Synekdoche und insbesondere der Metapher in verschiedenen Ansätzen von einem Extrem zum anderen ging: Teils wurde die Metonymie als eine Art der Metapher eingeordnet, teils umgekehrt, teils wurden beide als getrennte Formen betrachtet. Fast genauso undurchsichtig ist die Lage in Bezug auf die Synekdoche, mit der nun begonnen werden soll. Der Begriff der Synekdoche bedeutet im Griechischen ungefähr ‚zusammen empfangen‘ im Sinne von ‚mitverstehen‘ und wurde bereits in der traditionellen Rhetorik geprägt. Damals schon umfassten verschiedene Definitionen des Begriffs ein relativ heterogenes Feld von Erscheinungen. Als spezifische Eigenschaft der Synekdoche filtert Meyer (1993, I: 86–96) die Ausweitung oder Verengung der Extension eines Begriffs heraus. In der Diskussion zur Synekdoche ist man sich jedoch uneinig, ob darunter auf einer Gattung-Art-Relation basierende Übertragungen oder auf einer Teil-Ganzes-Relation basierende Übertragungen oder eine Kombination beider Typen zu fassen sind. Betrachtet seien zunächst zwei Beispiele, die diese potentiellen Hauptkategorien der Synekdoche veranschaulichen: (25) Succès surprise pour le James Bond du Bosphore ! Distribué à Paris par une salle spécialisée dans le cinéma turc, « la Vallée des loups – Irak » a attiré 3 616 spectateurs en dix jours. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Fort comme un film turc“, S. 47.)

(26) Mais la rationalité économique a une réponse à tout. On ne saurait toucher aux profits, imposer davantage le capital, limiter les salaires extravagants sans décourager les initiatives et paralyser les énergies créatrices, sans provoquer des désinvestissements et des délocalisations d’entreprises ou encore sans entraîner des fuites de cerveaux ou de talents. Des tentations aussi fâcheuses seraient antiéconomiques et nuiraient finalement à tous. Elles ne sauraient donc être envisagées. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 8.)

Der erste der beiden Ausschnitte bezeichnet den Film Das Tal der Wölfe als „James Bond du Bosphore“. Streng genommen greift hier zunächst eine Metonymie, die die Hauptfigur James Bond mit den Filmen, in denen er vorkommt, in Verbindung bringt. Darauf aufbauend verweist dann eine spezielle Art, nämlich die der James-Bond-Filme, auf das ganze Genre, die ganze Gattung, nämlich Agentenfilme im Allgemeinen. Der zweite Ausschnitt, eine vorab veröffentlichte Leseprobe aus Jospins 2005 erschienenem Buch Le monde comme je le vois,

53 repräsentiert den anderen Typ, der häufig der Synekdoche zugeschlagen wird: die Teil-Ganzes-Relation. Im vorliegenden Fall verweist „cerveaux“ als Teil auf die Personen als Ganzes, die leistungsfähige Gehirne oder kluge Köpfe haben. Das zweite Beispiel macht den potentiellen Überschneidungsbereich zwischen der Metonymie und der Synekdoche ersichtlich, könnte man „cerveaux“ doch genauso als metonymischen Ausdruck ansehen. Nun gibt es mehrere mögliche Positionen zur Abgrenzung von Metonymie und Synekdoche: Man kann annehmen, dass die Synekdoche eine Unterart der Metonymie ist, oder man trennt beide voneinander oder man lässt Überschneidungsbereiche zwischen ihnen zu. Gegen die erste Möglichkeit spricht, dass man damit Gefahr läuft, eine inhomogene Kategorie zu erhalten, da in der Synekdoche auch Übertragungen zwischen Gattung und Art enthalten sind, die nicht unbedingt dem Grundmuster der auf Kontiguität basierenden Metonymie entsprechen. Bei einer Trennung zwischen der Metonymie und der Synekdoche stellt sich die Frage, welcher von beiden die Teil-Ganzes-Relationen zufallen sollen. Hier wäre mit Seto (1999) folgendes Kriterium anzuwenden: die Unterscheidung zwischen „E-related transfer, a referential transfer based on the contiguity between one entity and another in the (real) world“ (Seto 1999: 113)8 und „Crelated transfer, i. e. the categorial transfer based on the semantic inclusion between a more comprehensive and a less comprehensive category“ (Seto 1999: 114). Die E-Relation, zu der auch die Teil-Ganzes-Relation gehört, charakterisiert die Metonymie, während die C-Relation der Synekdoche vorbehalten bleibt. Dieser Richtung folgen viele andere, wie z. B. Warren (2006: 11f.). Die dritte Möglichkeit entspricht Meyers (1993, II: 163–176) Vorschlag, eine Überschneidung von Synekdoche und Metonymie zuzulassen. Als definitorisches Kriterium für die Synekdoche sieht er die Inklusionsbeziehung zwischen mentalen Repräsentationen, wodurch sowohl die Teil-Ganzes-Relation als auch die Gattung-Art-Relation erfasst wären. Dennoch schließt er nicht aus, die TeilGanzes-Relation gleichzeitig als metonymisch anzusehen. Welcher Ansatz von den beiden letztgenannten auch der geeignetere sein mag, hier kommt es v. a. darauf an, festzuhalten, dass in beiden Fällen die auf Teil-Ganzes-Relationen, nicht aber die auf Gattung-Art-Relationen beruhenden Phänomene als Metonymien gewertet werden, und so soll es auch für die weitere Arbeit, insbesondere bezüglich der Belege aus dem Korpus, gehandhabt werden. Neben der Synekdoche muss die Metonymie schließlich von der Metapher abgegrenzt werden. Im Griechischen bedeutet der Begriff der Metapher soviel wie ‚das Weg- und Anderswohintragen‘. Dies weist darauf hin, dass die Me8

Von Interesse sollen hier nur die Kriterien zur Unterscheidung zwischen der Metonymie und der Synekdoche sein. Die problematische Charakterisierung der Metonymie als „referential transfer“ und die zweifelhafte Verankerung der Kontiguität auf der Ebene der realen Welt – wobei Seto selbst das Adjektiv einklammert – sollen hier nicht nochmals diskutiert werden (vgl. dazu Kapitel 2.2.1.2 und 2.1.2.2).

54 tapher, wie auch die Metonymie, ursprünglich als eine Trope betrachtet wurde und eine übertragene Verwendung eines Wortes beinhaltet. In den traditionellen Substitutions- oder Vergleichstheorien wird die Metapher als ein impliziter, verkürzter Vergleich charakterisiert; ein Vergleichsglied substituiert das andere. Erst neuere Theorien weichen von dieser Position ab und sehen die Metapher eher als Interaktion von zwei Vorstellungen: Aus der Perspektive des Primärgegenstands, der Quelle (bei sprachlich realisierten Metaphern durch den metaphorisch verwendeten Ausdruck und das zugehörige Konzept verkörpert), wird eine Eigenschaft des Sekundärgegenstands, des Ziels (bei sprachlich realisierten Metaphern dem Zielkonzept und dem intendierten Referenten entsprechend), ausgewählt und hervorgehoben, während andere, aus der Perspektive des Primärgegenstands weniger wichtige Eigenschaften in den Hintergrund treten. Aus dieser Interaktionstheorie gehen moderne kognitive Ansätze wie bei Lakoff und Johnson (1980) hervor, in denen angenommen wird, dass bei der Metapher eine Beziehung zwischen zwei Konzepten besteht, durch die die Struktur des einen Konzepts als Folie auf das zweite übertragen wird. Sie gehen sogar so weit, zu postulieren, das gesamte konzeptuelle System, auf dem das menschliche Denken basiert, sei metaphorisch strukturiert (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 3–14, 56– 60, Pielenz 1993: 64–71). Barcelonas Definition fasst diese kognitive Sichtweise zusammen: „Metaphor is the cognitive mechanism whereby one experiential domain is partially ‘mapped’, i. e. projected, onto a different experiential domain, so that the second domain is partially understood in terms of the first one“ (Barcelona 2003: 3). Wo liegen nun die Gemeinsamkeiten und v. a. die Unterschiede zwischen der Metapher und der Metonymie? Bei beiden handelt es sich um einen mentalen Mechanismus, der meist unbewusst abzulaufen und unser Denken weitgreifend zu beeinflussen scheint, beide verbinden ein Quell- und ein Zielkonzept, beide stützen sich auf mentale Repräsentationen, übernehmen pragmatische Funktionen und können als eine Projektion und als Unterart des allgemeineren Verfahrens der konzeptuellen Integration gelten. Diese weit reichenden Ähnlichkeiten machen es nötig, die Unterschiede zwischen der Metonymie und der Metapher deutlich herauszuarbeiten. Eine solche Unterscheidung muss an verschiedenen Kriterien festgemacht werden: Erstens kann man in Anschluss an Jakobson (1963) die Metonymie der syntagmatischen Achse zuordnen, die Metapher der paradigmatischen. Dies weist darauf hin, dass die Relation zwischen Quell- und Zielkonzept bei der Metonymie eine Kontiguitätsrelation, bei der Metapher eine Similaritätsrelation ist. Deutlich wird dies, wenn man folgendes Beispiel für eine Metapher den bisherigen Metonymiebeispielen gegenüberstellt: (27) Près de sept ans après l’introduction de l’euro, l’intégration monétaire fait apparaître des

« forts en thème et des cancres ». Basé à Bruxelles, le centre de recherche Bruegel a tenté de tirer un premier bilan. Conclusion de ce laboratoire économique dirigé par Jean PisaniFerry : les bénéfices tirés de la monnaie unique ont un prix ; les bons élèves, comme

55 l’Irlande, sont recompensés de leurs efforts en matière de croissance, de lutte contre l’inflation et de productivité par des taux de change « réels » positifs. En revanche les mauvais élèves, comme le Portugal, sont penalisés : privé de l’instrument de la dévaluation, ce pays, dans la « ligne de feu de la concurrence chinoise », ne pourra réaliser son ajustement que par une désinflation et peut-être une déflation. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Cancres et forts en thème“, S. 31.)

Hier wird das Konzept einer Schulklasse auf das Konzept der europäischen Währungsunion abgebildet und letzterem dadurch die Struktur des ersteren vermittelt. So treten die Ähnlichkeiten und die Parallelen zwischen beiden Bereichen zu Tage. Allerdings reicht dieses auf den ersten Blick relativ eindeutige Kriterium nicht aus, wie folgendes Beispiel demonstriert: (28) Ahmed al-Tawfik, lui-même soufi, romancier à ses heures, professeur d’histoire, a été nommé par le roi, en 2002, pour remettre de l’ordre dans le « clergé » musulman. Sur la pointe des pieds. Officiellement le commandeur des croyants, roi de droit divin, n’a pas de problème avec les imams, puisqu’il est le descendant du Prophète. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le nouveau Maroc“, S. 9.)

Mit dem Ausdruck „Sur la pointe des pieds“ soll offensichtlich vermittelt werden, dass Ahmed al-Tawfik seine Aufgabe, die islamischen Religionsführer in Marokko im Auge zu behalten, mehr oder weniger heimlich und ohne großes Aufhebens vom König zugeteilt bekommen hat. Doch ist nicht auf den ersten Blick klar, ob die Verbindung zwischen der Quelle („Sur la pointe des pieds“) und dem Zielkonzept der Heimlichkeit oder des Unbemerktbleibens metonymisch oder metaphorisch begründet ist. Einerseits könnte man im Sinne der Metonymie argumentieren, dass eine Kontiguitätsrelation besteht zwischen dem Konzept, dass jemand auf den Zehenspitzen geht, dem Konzept, dass er dabei wenig Lärm macht, und dem Konzept des Unbemerktbleibens als Folge. Andererseits könnte man als Argument für das Vorliegen einer Metapher den Ähnlichkeitscharakter zwischen dem Gang auf Zehenspitzen und der Amtseinführung hervorheben: In beiden Fällen ist der Wille vorhanden, keine Aufmerksamkeit zu erregen, es wird ein vorsichtiges Vorgehen impliziert, und der vermiedene Lärm entspricht der fehlenden Information an die Öffentlichkeit. Dies zeigt, wie schwierig es sein kann, allein anhand der Merkmale der Kontiguität und Similarität Metonymie und Metapher auseinander zu halten. Deshalb findet sich als zweiter Unterscheidungspunkt in Definitionen kognitiver Ausrichtung zur Metonymie und Metapher häufig die Präzisierung, dass sich bei der Metonymie Quell- und Zielkonzept innerhalb derselben „domain“, also derselben als Frames oder ICM vorstellbaren Repräsentationseinheit, befinden (vgl. Barcelona 2005a: 30, Ruiz de Mendoza/Pérez 2001: 327, zitiert in Kapitel 2.2.1.3, S. 36). Bei der Definition der Metapher betont Barcelona dagegen ausdrücklich, dass „one experiential domain is partially ‘mapped’, i. e. projected, onto a different experiential domain“ (Barcelona 2003: 3, eigene Hervorhebung, vollständige Definition s. S. 54). So ist es plausibel anzunehmen,

56 dass die Konzepte der EU-Mitgliedsländer und der Schüler aus Beispiel (27) generell unterschiedlichen Konzeptbereichen zuzuordnen sind. Diesen Gedanken entwickeln Haser (2005: 41–51) und ähnlich Prandi (2001: 79f.) sowie Warren (2006: 14) weiter und benennen ein drittes Kriterium. Die Metonymie, so Prandi (2001: 79), „repose [...] sur des structures cognitives indépendantes de leur mise en place“, wohingegen im Fall der Metapher gilt: „[L]es analogies les plus intéressantes ne sont pas assumées mais créées par la métaphore“ (Prandi 2001: 80). Dies bedeutet, dass sich die Metonymie auf bereits vorgegebene Strukturen verbundener Konzepte stützt, während für die Metapher u. U. erst eine Verbindung zwischen bestimmten Konzepten hergestellt werden muss. Haser (2005: 46, Hervorhebung im Original) führt die Idee weiter: „[W]ith metaphors, source and target can be dissociated in the following way: Knowledge of the target concept does not imply knowledge of the source concept“, während bei der Metonymie das Wissen über Quelle und Ziel immer wechselseitig zusammenhängt. Viertens ist das Auftreten von Metaphern im Prädikativ sehr viel häufiger als bei der Metonymie. Prädikative Verwendungen sind zugegebenermaßen bei metonymischen Ausdrücken denkbar, aber in der Tat die Ausnahme, während für metaphorische Ausdrücke dieser Gebrauch typisch ist (s. folgendes Beispiel). Dieses Kriterium spricht auch dafür, den unklaren Fall in Beispiel (28) eher der Metapher zuzuschlagen, da der fragliche Ausdruck eine Aussage über die zuvor erwähnte Ernennung darstellt. (29) Nicolas Sarkozy et les députés UMP ne veulent pas couler avec le Premier ministre. Mais pas

question non plus de le torpiller, ce serait suicidaire. Ils le soutiennent donc sans excès de zèle. En espérant que Jacques Chirac interviendra pour débloquer la situation. [...] Manière de faire manger son chapeau à Villepin avant, dit un autre, qu’ « il nous entraîne tous par le fond ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 24, 27.)

Fünftens stellt die Metonymie immer ein „one-correspondence mapping“ dar, was mit ihrer prinzipiell referentiellen Ausrichtung zusammenhängt. Metaphern hingegen treten sowohl als „many-correspondence metaphors“ als auch als „onecorrespondence metaphors“ auf (Ruiz de Mendoza/Pérez 2001: 234). So sind in der Metonymie über die Kontiguität nur jeweils zwei Konzepte verbunden, während bei Metaphern eine Vielzahl von Bestandteilen der Strukturfolie, die die konzeptuelle Repräsentation des Quellkonzepts bietet, auf den Zielbereich übertragen werden können. In Beispiel (27) (S. 54) können mehrere Parallelen gezogen werden: Den guten und schlechten Schülern stehen die Mitgliedsländer der EU gegenüber, gute (schlechte) Leistungen entsprechen der Einhaltung (Nichteinhaltung) der Währungskriterien, die Gemeinschaftsorganisation der EU findet sich auf der Analogieebene als Klassenverband wieder, und die Organe der EU erhalten ihr Spiegelbild in den beaufsichtigenden Lehrern. Auch das fragliche Beispiel (28) scheint unter Einbeziehung dieser weiteren Kriterien eher metaphorischer Art zu sein: So können mit „Sur la pointe des pieds“ mehrere

57 Parallelen zwischen Quell- und Zielbereich gezogen werden (vermiedener Lärm – fehlende Information an die Öffentlichkeit, unbemerkte Fortbewegung – unbemerkte Amtseinführung, ...). Letztendlich ist die Unterscheidung zwischen der Metapher und der Metonymie in vielen Fällen relativ unstrittig, in vielen aber auch nicht ganz so offensichtlich. Die Verwandtschaft der beiden zeigt sich an der Schwierigkeit, eindeutige Kriterien zur Unterscheidung zu finden, zumal manche der oben genannten Merkmale Ausnahmen zulassen. Dies veranlasst Ruiz de Mendoza und Pérez (2001: 326) sogar zu der Annahme eines Kontinuums, das auf der einen Seite typische Metaphern (prädikativer Gebrauch, many-correspondence mapping, Ad-hoc-Relationen zwischen konzeptuellen Repräsentationen) und auf der anderen Seite typische Metonymien (referentieller Gebrauch, one-correspondance mapping, vorgegebene Relationen innerhalb einer konzeptuellen Repräsentationseinheit) umfasst. Ein weiterer Faktor, der die Unterscheidung erschweren kann, ist, dass sich die Metonymie und die Metapher kombinieren lassen (s. hierzu auch Kapitel 6.2.2.2). So wenig wie die Metonymie bei genauerer Betrachtung ein homogenes Phänomen ist – u. a. steht die propositionale der referentiellen Metonymie oder die situationsbasierte der framebasierten Metonymie gegenüber –, so wenig ist sie also auch nach außen hin eindeutig abgrenzbar. Während einige Randbereiche wie gewisse Überschneidungen mit den Facetten, der Syllepse und der Hypallage näher mit der Metonymie verwandt sind und deshalb auch in den weiteren Untersuchungen berücksichtigt werden, ist es nötig, andere, weiter entfernte Gebiete wie Metapher und Synekdoche abzugrenzen.

2.3

Zusammenfassung

Am Ende dieses Kapitels sollen abschließend die wichtigsten Ergebnisse, die die Grundlage für die weitere Arbeit und die empirischen Untersuchungen bilden, zusammengefasst werden. Ziel des Kapitels war es, das Phänomen der Metonymie und deren konzeptuellen Hintergrund zu erläutern. Dazu wurde die konzeptuelle Fundierung der Metonymie erschlossen. In diesem Kontext wurden Konzepte als kognitive Informationseinheiten definiert, in denen wir unser Wissen über die Welt speichern. Frames wurden als Beispiel für ein konzeptuelles Repräsentationsmodell herangezogen, da sich in diesem Modell die der Metonymie zugrunde liegende Relation der Kontiguität gut veranschaulichen lässt. Frames speichern unsere Erfahrungen und stereotypen Erwartungen und zeichnen sich durch eine Struktur von untereinander verknüpften Attribut-Wert-Paaren aus, wobei der Wert eines Attributs wieder durch ein

58 Frame gebildet werden kann, also Rekursivität gegeben ist. Kontiguität ist somit eine konzeptuelle Nachbarschaftsbeziehung, genauer eine Relation zwischen einzelnen Elementen eines Frames oder zwischen diesen Elementen und dem gesamten Frame. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass lexikalisches und konzeptuelles Wissen voneinander zu trennen sind, ist hervorzuheben, dass Kontiguität auf konzeptueller Ebene zu verorten ist – und nicht etwa auf der Ebene der Sprache oder der realen Welt. Im zweiten Schritt ging es um die Charakterisierung der Metonymie an sich. Die Vorstellung unterschiedlicher theoretischer Herangehensweisen an die Metonymie sollte einerseits die Entwicklung der Metonymieforschung zeigen und andererseits ein umfassendes Bild der Metonymie zeichnen. Anfänglich wird die Metonymie in der Rhetorik als Stilmittel und reine Umbenennung behandelt. Seit einiger Zeit aber erfährt die Metonymie ein größeres genuin linguistisches Interesse. Die frühen Ansätze stellen insbesondere heraus, dass die Metonymie sich primär auf die Referenz eines Ausdrucks auswirkt, und beschreiben die Metonymie als Referenzwechsel, der sich auf Kontiguität zwischen den betreffenden Konzepten stützt. Diese Sichtweise ist auch durch die bis zu einem gewissen Grade grundsätzlich unterbestimmte Referenz eines Ausdrucks motiviert. Innerhalb der kognitiven Linguistik wird versucht, die Funktionsweise der Metonymie näher zu erklären, wobei man sich häufig auf generellere kognitive Verfahren stützt. Zum einen kann die Metonymie als eine spezielle Art der Referenzpunktkonstruktion aufgefasst werden, bei der über den metonymischen Ausdruck ein besonders salientes Konzept (Quellkonzept) auf ein zweites Konzept (Zielkonzept), zu dem es in Kontiguitätsrelation steht, verweist und es mental zugänglich macht. Zum anderen bietet es sich an, die Metonymie als eine Art active zone-Phänomen zu betrachten, bei dem ausgehend von einem Quellkonzept das kontige Zielkonzept fokussiert wird. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Metonymie auf einen konzeptuellen Integrationsprozess zurückzuführen, bei dem Quell- und Zielkonzept aufeinander projiziert werden und das Zielkonzept sozusagen aus der Sicht des kontigen Quellkonzepts wahrgenommen wird. Diese Erklärungen der Metonymie wurden schließlich durch einige pragmatische Überlegungen ergänzt. Sie befassen sich mit der Interpretation von Metonymien, die durch Inferenzprozesse unter Einbeziehung des Kontexts innerhalb der Relevanztheorie erklärt werden kann. Da sich bei diesem Interpretationsprozess Aufwand und Nutzen die Waage halten müssen, versucht die pragmatische Herangehensweise auch, die Motivation für Metonymien zu ergründen. Die Metonymie kann demzufolge u. a. zur Herbeiführung von Ökonomieeffekten oder von Ambivalenz, zur Herstellung einer bestimmten Perspektive oder zur Zuspitzung von Sachverhalten verwendet werden. Derartige Aspekte weisen bereits auf eventuelle Funktionen der Metonymie im Diskurs hin.

59 Nach dieser allgemeinen Charakterisierung wurden einige Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Typen von Metonymien vorgenommen. So wurde die propositionale Metonymie, die sich auf ganze Sätze bezieht, von Metonymien unterschieden, die lediglich auf einem Ausdruck basieren. Nur Letztere werden im Weiteren Beachtung finden. Außerdem lassen sich Metonymien, in denen die Kontiguität auf Repräsentationen beruht, die sich als Frames darstellen lassen, solchen gegenüberstellen, in denen die konzeptuellen Verbindungen nur momentan auf einer speziellen Situation aufbauen. Solche Metonymien kommen im Korpus aufgrund seiner schriftsprachlichen Ausrichtung nicht vor. Außerdem lassen sich Metonymien in verschiedenen Typologien nach der Art der zugrunde liegenden Kontiguitätsbeziehung klassifizieren. Da auch Polysemie auf konzeptueller Kontiguität basieren kann, ist hier eine Grenze zur spontan gebildeten Metonymie zu ziehen: Wesentliche Trennlinie ist die Lexikalisierung, die bei der Polysemie, nicht aber bei der spontan gebildeten Metonymie gegeben ist. Problematisch bleiben jedoch Fälle, die unter Begriffen wie Generalität oder Facetten kategorisiert werden. Da hier eine genaue Trennung nicht immer möglich ist und diese Fälle sie genauso interessant für die Analyse sein können wie eindeutige Metonymien, sollen diese im Zweifelsfall in die Untersuchung miteinbezogen werden. Schließlich wurden mit der Metonymie verwandte Phänomene beschrieben. Die Hypallage, bei der der syntaktische Skopus eines Attributs nicht mit dessen semantischem Skopus zusammenpasst, erscheint als eine nicht vollständig realisierte Metonymie. Die dem sehr ähnliche Syllepse zeichnet sich dadurch aus, dass ein Wort mit zwei Bedeutungen zugleich – einer wörtlichen und einer übertragenen – verwendet wird. Die übertragene Verwendung kann wie bei normalen Metonymien durch Kontiguität motiviert sein. Im Gegensatz zur Metonymie wird aber die ursprüngliche Referenz nicht in den Hintergrund gedrängt, sondern gleichwertig neben dem neuen Bezug weitergeführt. Sowohl die Hypallage als auch die Syllepse werden in den folgenden Analysen als metonymieverwandte Strukturen berücksichtigt. Zuletzt wurde versucht, die Eigenart der Metonymie durch die Gegenüberstellung zur Synekdoche und zur Metapher herauszuarbeiten. Gegenüber der Synekdoche – für die traditionell die Zugehörigkeit von Figuren, die auf TeilGanzes- und Gattung-Art-Relationen basieren, diskutiert wird – handelt es sich hauptsächlich um ein Aufteilungsproblem: In der vorliegenden Arbeit wird dafür plädiert, die Teil-Ganzes-Relationen bei der Metonymie zu belassen, liegt doch der gleiche Mechanismus zugrunde wie bei allen anderen metonymischen Übertragungsmustern, und den Begriff der Synekdoche für die Gattung-Art-Relation zu reservieren. Die Abgrenzung zur Metapher erweist sich als schwieriger, da sie als allgemeines kognitives Verfahren, das als eine Art Projektion zwischen Zielund Quellkonzept angesehen werden kann, der Metonymie stark ähnelt. Unterscheidungskriterien zwischen der Metonymie und der Metapher – allerdings

60 mit Vorbehalt möglicher Ausnahmen – können sein: Kontiguität vs. Similarität als Relation zwischen den betreffenden Konzepten, referentieller Gebrauch vs. Verwendung im Prädikativ, Projektion innerhalb eines Konzeptbereichs vs. Projektion über verschiedene Konzeptbereiche hinweg, von vornherein existente Kontiguitätsrelation vs. fehlende Notwendigkeit einer Implikation zwischen Ziel- und Quellkonzept, one-correspondence mapping vs. many-correspondence mapping.

3

Kontinuität

Nachdem das Konzept der Metonymie und seine Grundlagen geklärt sind, soll in diesem Kapitel der Begriff der Kontinuität näher erläutert werden. Dazu werden zunächst die auf den Zusammenhalt eines Texts bzw. Diskurses bezogenen Begriffe der Kohärenz (als die sinnvolle Verknüpfung zwischen den im Diskurs evozierten Konzepten), der Kohäsion (als der durch formale sprachliche Mittel hergestellte Zusammenhang) und der Kontinuität (als die formale und konzeptuelle lineare Weiterführung einer Entität im Diskurs) behandelt und voneinander unterschieden (Kapitel 3.1). Im darauf folgenden Kapitel 3.2 soll auf informationelle Gegebenheit, Topiks und Anaphern als Faktoren für Kontinuität näher eingegangen werden, da diese sich dafür eignen, in Bezug zur Metonymie und ihrer diskursiven Funktion gesetzt zu werden.

3.1

Kontinuität und ihr Verhältnis zu Kohärenz und Kohäsion

3.1.1

Kohärenz

Als Erstes wird der Begriff der Kohärenz dargestellt. Dies soll aus zwei sich gegenseitig ergänzenden Blickwinkeln auf das Phänomen der Kohärenz geschehen, nämlich hinsichtlich der Verknüpfung von dem Text zugrunde liegenden Konzepten (Kapitel 3.1.1.1) und hinsichtlich der Rekonstruktion dieser Zusammenhänge bei der Rezeption eines Diskurses (Kapitel 3.1.1.2). 3.1.1.1 Kohärente Verknüpfung der dem Diskurs zugrunde liegenden Konzepte Im Lateinischen bedeutet coherentia so viel wie ‚Zusammenhang‘. Diesen Zusammenhang kann man mit De Beaugrande und Dressler (1981: 5, Hervorhebungen im Original) aus einer eher textzentrierten Perspektive wie folgt charakterisieren: „Kohärenz betrifft die Funktionen, durch die die Komponenten der T EXTWELT, d. h. die Konstellation von KONZEPTEN (Begriffen) und R ELATIO NEN (Beziehungen), welche dem Oberflächentext zugrunde liegen, für einander gegenseitig zugänglich und relevant sind“. Diese gegenseitige relevante Verbindung der dargestellten Sachverhalte kann dadurch erreicht werden, dass die Konzepte, die in einem Diskurs über die Wörter und deren Bedeutung aktiviert werden, miteinander verknüpfbar sind, al-

62 so einen „referential overlap“ (Samet/Schank 1984: 63) bieten, und damit in gemeinsame, eventuell schon bestehende Repräsentationen zu integrieren sind. Dass diese Annahme plausibel ist, zeigt sich u. a. daran, dass die begrenzte Speicherkapazität der menschlichen Informationsverarbeitung besonders dann optimal ausgenutzt werden kann, wenn es sich nicht um völlig isolierte Elemente, sondern um integrierte Bestandteile von globaleren Mustern handelt (vgl. De Beaugrande/Dressler 1981: 92f., Chafe 1987: 22). Eventuell können innerhalb der Kohärenz als Zusammenhang des im Diskurs wiedergegebenen konzeptuellen Wissens mehrere Aspekte differenziert werden: Diesen Gedanken verfolgt Charolles (1978: 12), wenn er zwischen einer Mikround einer Makroebene der Kohärenz unterscheidet. Auf der Mikroebene muss die Kohärenz als die konzeptuelle Stimmigkeit zwischen den einzelnen Konzepten und Sätzen einer Sequenz gegeben sein. Auf der Makroebene muss desgleichen der Zusammenhang zwischen diesen Sequenzen, die die groben Einzelteile der globalen Handlung oder des globalen Gedankengangs repräsentieren, nachvollziehbar bleiben. Deshalb ist es wichtig, Kohärenz nicht allein als lineares Phänomen anzusehen, das sich von einem Satz zum anderen, von einem Gedanken zum anderen vollzieht. Auf globaler Ebene muss ein gemeinsames Oberthema erkennbar sein, auf das die einzelnen Aussagen und Abschnitte bezogen werden können, da sonst nur in sich kohärente, aber untereinander unverbundene Einzelteile nebeneinander stehen (vgl. Giora 1984: 16–23). Auf sprachlicher Ebene können sich die angesprochenen Verknüpfungen u. a, durch die Rekurrenz semantischer Merkmale, semantische Relationen, intrapropositionale Relationen wie Argument-Prädikat-Strukturen, interpropositionale Relationen wie Erläuterung oder Beispiel, Satzverknüpfungsrelationen (Koordination, Subordination, Verwendung von Konnektoren) und informationelle Progression niederschlagen (vgl. Stark 2001: 637–645). 3.1.1.2 Kohärente Rekonstruktion bei der Rezeption eines Diskurses Die komplementäre Betrachtung der Kohärenz aus verwenderzentrierter Perspektive deckt auf, wie sich die Kohärenz eines Diskurses bei dessen Interpretation beweisen muss. Der Rezipient eines Diskurses muss dessen Kohärenz rekonstruieren. In dieser Sichtweise erscheint sie nicht allein als objektiver Zustand oder inhärente Eigenschaft eines Diskurses, sondern muss, auf der Grundlage der im vorhergehenden Kapitel geschilderten konzeptuellen Verknüpfungen, erst entdeckt werden und ist abhängig von den Erwartungen des jeweiligen Interpreten: „La cohérence loin d’être un trait du discours apparaît plutôt comme une sorte de forme a priori de sa réception, comme un principe général gouvernant son interprétation“ (Charolles 1994a: 133). Dennoch bleibt Kohärenz vorhersagbar, da die Erwartungen und Vorstellungen, mit denen die Rezipienten an

63 einen Diskurs herantreten, innerhalb einer soziokulturellen Gemeinschaft konvergieren (vgl. Hatakeyama/Petöfi/Sözer 1984: 26). Kohärenz besteht also in der Lösung des „problem of relating what is being heard or read now to the linguistic and non-linguistic context, and thus creating coherence (meaning) out of what is provided by the speaker or writer“ (Fries 2004: 10). Man könnte also sagen, dass Kohärenz gegeben ist, wenn der Verstehensprozess ohne Probleme abläuft, wenn es dem Rezipienten auf der Grundlage der im Diskurs aktivierten und verbundenen Konzepte gelingt, alle Bestandteile und Elemente in eine einheitliche mentale Repräsentation zu integrieren (vgl. u. a. Hatakeyama/Petöfi/Sözer 1989: 26–29, De Beaugrande/Dressler 1981: 90–100, Garnham/Oakhill/Johnson-Laird 1982: 32). Ein Diskurs kann allerdings niemals alle Informationen transportieren, die in der konzeptuellen Repräsentation des Rezipienten enthalten sein müssen, damit diese sinnvoll ist. Deshalb kann man einen Diskurs nur als die Anleitung zur Nachbildung einer vollständigen Repräsentation und die darin vorkommenden Konzepte als Auslöser für die Aktivierung weiterer Konzepte sehen. Der Rezipient muss folglich sprachliches, außersprachliches und situationelles Wissen integrieren, um die Kohärenz des Diskurses zu rekonstruieren. Dabei kann ihm als Frames, Skripte u. Ä. modellierbares Wissen behilflich sein. Dies zeigt, welch große Rolle die Inferenzen spielen, mit denen der Rezipient Informationen ergänzt, um eine vollständige Repräsentation zu erzielen. So gelangt man zur notwendigen Annahme eines metakommunikativen Prinzips, nach dem die Rezipienten zunächst immer die Kohärenz eines Diskurses voraussetzen und versuchen, diese durch entsprechende Inferenzen nachzubilden (vgl. Charolles 1994a: 133–143). Damit ist man nicht mehr weit entfernt von der Relevanztheorie, wie sie schon im Zuge der pragmatischen Interpretation von Metonymien (s. Kapitel 2.2.1.4, S. 39) verwendet wurde. Allerdings ist das Konzept der Kohärenz aufgrund seiner Vagheit und fehlender eindeutiger Definitionskriterien mit Vorsicht zu behandeln. Es soll hier dennoch nicht völlig verworfen werden, da es versucht, die konstituierende Eigenschaft von Texten herauszufiltern, Erklärungen für die konzeptuelle Organisation von Diskursen zu bieten und textlinguistische und pragmatische Sichtweisen zu vereinen, indem textzentrierte wie auch verwenderzentrierte Aspekte berücksichtigt werden. Kohärenz kann so zugleich als sinnvolle Verknüpfung von Konzepten gemäß konzeptueller Repräsentationen innerhalb des Diskurses und als Rekonstruktion dieser dem Diskurs zugrunde liegenden Repräsentation durch den Rezipienten verstanden werden.

64 3.1.2

Kohäsion

Meist wird der Begriff der Kohärenz nicht alleine behandelt, sondern in Verbindung mit dem Konzept der Kohäsion, das weitere konstituierende Eigenschaften von Texten zu beschreiben sucht. Deshalb soll auch der Begriff der Kohäsion eingeführt und umrissen werden (Kapitel 3.1.2.1). Darauf aufbauend kann das Verhältnis von Kohäsion zu Kohärenz geklärt werden (Kapitel 3.1.2.2). 3.1.2.1 Formale Manifestation von Relationen zwischen Bestandteilen eines Diskurses Der Begriff der Kohäsion stammt von derselben lateinischen Wurzel wie der Begriff der Kohärenz, beschäftigt sich also ebenfalls mit der Herstellung von Zusammenhängen zwischen den Bestandteilen eines Diskurses. Allerdings ist er in den meisten Fällen – die Definitionen sind hier nicht immer einheitlich – auf die Beschreibung formaler, sprachlicher Zusammenhänge ausgerichtet. Der Begriff wurde zunächst v. a. in der englischsprachigen Literatur verwendet und insbesondere von Halliday und Hasan (1976: 1–30) geprägt. Sie beziehen ihn auf Fälle, in denen die Interpretation eines Elements innerhalb des Diskurses von der Interpretation eines anderen Elements abhängt. Daraus entwickelt sich u. a. in Anschluss an De Beaugrande und Dressler (1981) eine Unterscheidung von Kohärenz und Kohäsion, in der „Kohäsion als durch formale, oberflächenstrukturell manifeste Mittel der Grammatik hergestellter Zusammenhang [...] und Kohärenz als semantisch-pragmatischer Sinnzusammenhang von Texten“ (Stark 2001: 635, Hervorhebung im Original) gesehen wird. So differenzieren auch Hatakeyama, Petöfi und Sözer (1989: 17, Hervorhebungen im Original) zwischen dem „sprachlichen (syntaktischen und sinn-semantischen) Aufbau eines Ausdruckes“ und der „Repräsentation der Relation zwischen im Text zum Ausdruck gebrachten Sachverhalten“. Charolles (1994a: 126) spricht bei der Beschreibung der Mittel, die Kohäsion konstituieren, anschaulich von verschiedenen „systèmes de solidarité“ zur Anzeige formaler Entsprechungen. Diese können u. a. in formalen Rekurrenzen, Parallelismen, Paraphrasen, Proformen, Ellipsen, Tempus, Aspekt und Junktion bestehen (vgl. Stark 2001: 637, Ernst 2002: 88-93). 3.1.2.2 Vermittlung zwischen den beiden Seiten der Kohärenz Nach der einzelnen Betrachtung der Begriffe von Kohärenz und Kohäsion stellt sich die Frage, inwiefern sie beide zusammenhängen, sind doch beide grundlegend an der Herstellung des Zusammenhangs im Diskurs beteiligt. Generell sind

65 sich die Arbeiten zu Kohäsion und Kohärenz einig, dass Kohäsion weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Kohärenz ist. Die konzeptuelle Strukturierung eines Diskurses kann durchaus sinnvoll aufgebaut sein, ohne dass unbedingt formale Mittel eingesetzt werden müssen. Und umgekehrt kann ein völlig zusammenhangloser Diskurs auch durch noch so geschickte formale Markierungen nicht zu einer sinnvollen konzeptuellen Struktur gelangen (vgl. u. a. Hatakeyama/Petöfi/Sözer 1989: 26, Charolles 1994a: 130, Charolles 1985: 7, Fries 2004: 23f., 40f.). Dennoch interagieren die konzeptuelle und die formale Dimension des Diskurszusammenhalts miteinander. Kohärenz scheint – zwar nicht notwendigerweise, aber im Normalfall – das Auftreten von Kohäsionsmarkern zu fördern und zu motivieren. Aus textzentrierter Perspektive ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass eine zusammenhängende mentale Repräsentation, die einem Diskurs zugrunde liegt und die geordnet ist, die Konzepte zueinander in Bezug setzt und zeitliche Abfolgen enthält, diese Eigenschaften auf die formale Realisierung des Diskurses (in Form von Rekurrenz, Anaphorisierung, Tempusabfolge etc.) überträgt (vgl. Fries 2004: 23f.). Damit hängt zusammen, dass Kohäsion u. U. nicht als solche wahrgenommen wird, wenn der Rezipient die Kohärenz des Diskurses nicht erkennt und nicht voraussetzt (vgl. Fries 2004: 16–23). Daraus schlussfolgert Fries: „[C]ohesion (as well as other aspects of language ‘form’) is not simply a matter of language form. For cohesion to be relevant to a text, it must be interpreted“ (Fries 2004: 22, Hervorhebungen im Original). Umgekehrt kann auch die Kohäsion dazu beitragen, dass die Rekonstruktion der Kohärenz aus verwenderzentrierter Perspektive reibungslos abläuft. Geht ein Rezipient von der Kohärenz eines Diskurses aus, dann werden ihm die eventuell vorhandenen Kohäsionsmerkmale helfen, die ursprüngliche Konzeption des Inhalts durch den Produzenten nachzuvollziehen. Stark hebt in dieser Hinsicht auf die kommunikative Dimension von Text ab: „Wird Text als Kommunikationsprozeß aufgefaßt, ist Kohärenz das „Verhandlungsergebnis“ kommunikativer und mentaler Vorgänge auf der Basis von grammatikalischen und lexikalischen Indikatoren und Wissens- bzw. Gedächtnisstrukturen“ (Stark 2001: 649, Hervorhebung im Original). So führt Kohärenz aus textzentrierter Sichtweise zu einer höheren Wahrscheinlichkeit dessen, dass der Produzent formale Kohäsionssignale in einen Diskurs einbaut. Aus verwenderzentrierter Sicht sind diese Signale wiederum eine Erleichterung für den Rezipienten, um die Kohärenz und die dem Diskurs zugrunde liegende mentale Repräsentation zu rekonstruieren. Damit kann Kohäsion als ein Bindeglied zwischen der textzentrierten und der verwenderzentrierten Sicht auf Kohärenz gesehen werden: Kohäsion ist Teil des Schlüssels zu der zu transportierenden mentalen Repräsentation, der im Diskurs hinterlegt und bei der Rezeption zur Dechiffrierung verwendet wird.

66 3.1.3

Kontinuität

Wie das letzte Kapitel gezeigt hat, können sich Kohärenz und Kohäsion gegenseitig beeinflussen. Gerade dieses Zusammenspiel zwischen der formalen und der konzeptuellen Dimension des Diskurszusammenhalts ist mit den getrennten Begriffen der Kohärenz und Kohäsion allerdings nur schwer fassbar. Für die Herausstellung ihrer Interaktion ist es angebracht, diese als ganzheitliches Phänomen unter den Begriff der Kontinuität zu fassen. Allerdings wird dieser Begriff meist nur erwähnt, nicht näher erläutert oder gar explizit definiert, weshalb an dieser Stelle eine tiefer gehende Auseinandersetzung damit erfolgen soll. Dazu wird als Erstes (Kapitel 3.1.3.1) die Verwendung des Begriffs bei verschiedenen Autoren verglichen, um den Kern des damit bezeichneten Sachverhalts zu erfassen. Als Zweites (Kapitel 3.1.3.2) steht das Verhältnis von Kontinuität zu Kohärenz und Kohäsion im Mittelpunkt der Betrachtung, und es stellt sich die Frage, inwiefern der Begriff der Kontinuität neue Perspektiven eröffnen kann. 3.1.3.1 Kontinuität als Fortführung und entsprechende sprachliche Realisierung von gegebener Information Zwar taucht der Begriff der Kontinuität im Zusammenhang der Verknüpftheit von Diskurselementen immer wieder auf, meist aber nur als beiläufige Bemerkung und nicht als expliziter Diskussionsgegenstand. Besonders häufig ist er in den Arbeiten Grobets (u. a. 1996, 2001, 2002, Roulet et al. 2001) und Givóns (u. a. 1983a, 1983b, 1992) zu finden. Auffällig ist dabei, dass der Terminus der Kontinuität sehr oft nicht alleine auftritt, sondern in Kombination mit einem Adjektiv oder in einem Kompositum (continuité topicale, continuité informationelle bei Grobet, thematic continuity, action continuity, topic/participant continuity bei Givón). Grobet verwendet den Begriff der Kontinuität v. a. in Gegenüberstellung zum Begriff der informationellen Progression und spricht von „faits de continuité et de progression du discours“ (Roulet et al. 2001: 248). Ihr Verständnis von Kontinuität ist durch eine memorielle Konzeption von Diskurs geprägt: Als minimale diskursive Einheit wird der so genannte acte discursif angesehen. Dieser acte wird durch den Übergang der enthaltenen Information in die mémoire discursive, das diskursive Gedächtnis, begrenzt. Das diskursive Gedächtnis ist nach Berrendonner (1983: 230f.) zu verstehen als „ensemble des savoirs consciemment partagés par les interlocuteurs“ und setzt sich zusammen aus „les divers prérequis culturels (normes communicatives, lieux argumentatifs, savoirs encyclopédiques communs, etc.) qui servent d’axiomes aux interlocuteurs pour mener une activité déductive“, den außersprachlichen Ereignissen und den „énonciations successives qui constituent le discours“. Die „mémoire discursive“ besteht also

67 kurz aus allgemeinem Weltwissen, Wissen über die Diskurssituation und Informationen über den Inhalt des abgelaufenen Diskurses. Der acte discursif charakterisiert sich damit wie folgt: „[P]our constituer une étape du processus de négociation sous-jacent à toute interaction, chaque acte doit faire l’objet d’un enregistrement en mémoire discursive“ (Roulet et al. 2001: 64). Dementsprechend konzipiert Grobet (1996: 70) Kontinuität als einen Verankerungsprozess, bei dem für jeden acte discursif jeweils eine in der mémoire discursive bereits enthaltene Information als Verankerungspunkt für die neu hinzutretende Information dient: A l’instar de Chafe (1994), on admet que chaque acte textuel [=acte discursif] active une information éventuellement complexe [...]. Cette progression se double d’une continuité informationnelle qui s’établit par l’intermédiaire de la mémoire discursive [...]. La continuité informationelle peut être décrite comme un processus d’ancrage: chaque information activée s’ancre sur au moins une information située en mémoire discursive, qui peut être verbalisée par exemple par une trace anaphorique (elle, Teresa, etc.), mais qui peut également rester implicite. (Grobet 2001: 76, Hervorhebungen im Original)

Diese Ausführungen zu Kontinuität mit Hinweis auf die im diskursiven Gedächtnis gespeicherten Informationen einerseits und deren sprachliche Ausformulierung in Form von Anaphern andererseits macht deutlich, dass sich Kontinuität in den Arbeiten Grobets als ein Mehrebenenphänomen darstellt. Die Verknüpfung und Weiterführung konzeptueller Inhalte wird verbunden mit einer Markierung der Wiederaufnahme von Information auf der formalen Ebene der sprachlichen Realisierung. Auch bei Givón dient unter dem Begriff der topic/participant continuity ein an der Handlung maßgeblich beteiligtes Element als fortlaufender Kontinuitätsmarker. Daneben nimmt Givón außerdem die Existenz einer thematic continuity, die die thematische Einheit eines Abschnitts fordert, und einer action continuity, die die Einhaltung der temporalen Abfolge verlangt (vgl. Givón 1983a: 7–9) an: The functional domain of topic/participant continuity [...] is linked to the thematic paragraph in a statistically significant but not absolute fashion: Within the thematic paragraph it is most common for one topic to be the continuity marker, the leitmotif, so that it is the participant most crucially involved in the action sequence running through the paragraph; it is the participant most closely associated with the higher-level „theme“ of the paragraph; and finally, it is the participant most likely to be coded as the primary topic – or grammatical subject – of the vast majority of sequentially-ordered clauses/sentences comprising the thematic paragraph. (Givón 1983a: 8, Hervorhebungen im Original)

Auch hier tritt neben die konzeptuelle Ebene die formale, sprachliche Realisierung des Kontinuitätsmarkers. Diese sprachliche Kodierung variiert mit dem

68 Grad der Kontinuität, der von bestimmten Parametern abhängt (vgl. Givón 1983a: 12–27). Je höher die Kontinuität, desto einfacher zugänglich sind die aufzurufenden Konzepte und desto weniger Kodierungsaufwand ist nötig (z. B. geringe Betonung, kurze Formen, definite Nominalphrasen etc.): „By definition, more coherent discourse, with continuous or recurrent subelements, is organized in a way that makes the information mentally more accessible“ (Givón 1992: 7, s. dazu auch Kapitel 3.2.1.4, S. 76). Ganz ähnliche Vorstellungen von Kontinuität wie bei Grobet und Givón findet man bei weiteren Autoren, dort allerdings meist noch beiläufiger erwähnt. Garnham, Oakhill und Johnson-Laird (1982: 32) sprechen ihrerseits von „referential continuity“: Discourse is sometimes about a single major topic to which the majority of sentences make reference, but perhaps more often a series of referents is introduced from one sentence to the next. The ease of establishing what these referents are depends on the referential continuity of the text.

Sie vertreten ebenso die Ansicht, dass die kontinuierliche Fortführung eines Konzepts die Konstruktion einer einheitlichen mentalen Repräsentation erleichtert. In einem Experiment stellen sie fest, dass selbst umgestellte, aber kontinuierliche Diskurse, also Diskurse, die immer wieder auf die gleichen Referenten bzw. Konzepte zurückgreifen und dies sprachlich markieren, leichter zu verstehen sind als Diskurse, die die richtige Reihenfolge der Bestandteile einhalten, aber weniger Kontinuität aufweisen. Aus der Verwendung des Begriffs der Kontinuität in den verschiedenen Ansätzen lassen sich gemeinsame Charakteristika herausfiltern, die die Begrifflichkeit füllen können. Bei Kontinuität handelt es sich um ein Phänomen auf diskursiver Ebene. Sie wird als Gegenpol zur informationellen Progression gesehen und besteht aus der linearen Verknüpfung und Entwicklung von einzelnen Elementen im Verlauf des Diskurses. Diese Elemente sind zugleich in ihrer konzeptuellen Dimension als auch in ihrer sprachlichen Ausformulierung zu betrachten. Daraus wird die Mehrdimensionalität des Begriffs deutlich. Der Begriff der Kontinuität umfasst also die Fortführung einer Entität im linearen Verlauf des Diskurses sowohl unter Berücksichtigung der konzeptuellen Dimension als auch der sprachlichen Realisierung dieser Fortführung. Kapitel 3.2 wird sich näher mit der informationsstrukturellen Gegebenheit, mit Topiks und mit Anaphern auseinandersetzen und somit diese Aspekte der Kontinuität vertieft darstellen. 3.1.3.2 Kontinuität im Verhältnis zu Kohäsion und Kohärenz Vor dem Hintergrund dieses Kontinuitätsbegriffs tritt die Frage auf, in welchem Verhältnis Kohäsion und Kohärenz dazu stehen. Der oben dargestellten Viel-

69 schichtigkeit der Kontinuität entspricht es, Kontinuität als eine Art Überschneidungspunkt von Kohärenz und Kohäsion zu betrachten. Dabei soll Kontinuität nicht als Oberbegriff verstanden werden, sondern tatsächlich als Fokus auf die Verbindungen zwischen Kohäsion und Kohärenz, die zwar nicht notwendig, aber doch im Normalfall vorhanden und plausibel sind. Kontinuität erfasst sozusagen die Scharnierfunktion, die die Kohäsion zwischen der text- und verwenderzentrierten Perspektive auf Kohärenz einnimmt. Man könnte also sagen, dass Kontinuität die Überschneidung von Kohärenz und Kohäsion umfasst und zwar, indem die Verbindungen zwischen beiden an einzelnen linear fortgeführten Elementen des Diskurses betrachtet werden. Wie ein vertikaler Querschnitt durch die horizontal aufeinander aufbauenden Ebenen der Kohärenz auf konzeptuellem Niveau und der Kohäsion auf formal-sprachlichem Niveau beinhaltet Kontinuität diese beiden Aspekte gleichzeitig: Die kontinuierliche Fortführung einer Entität wird sich in ihrer konzeptuellen Fortsetzung und in ihrer speziellen sprachlichen Ausformulierung wiederfinden. Gerade diese gleichzeitige Betrachtung mehrerer Aspekte an einzelnen diskursiven Entitäten innerhalb der Kontinuität macht letztere neben der Kohärenz für die hier vorliegende Fragestellung zur Rolle der Metonymie im Diskurs interessant. Die Metonymie ist auf konzeptueller Ebene durch Kontiguität motiviert und auf formaler Ebene durch die spezielle Weise der indirekten Bezeichnung mittels des metonymischen Ausdrucks charakterisiert. Kontinuität, die die Wechselwirkungen zwischen diesen Ebenen erfasst, erscheint somit als geeignete Prüfgröße für die diskursive Rolle der Metonymie. Im Folgenden müssen deshalb die für die Herstellung von Kontinuität wichtigen Elemente, die mit Metonymien interagieren können, nämlich informationelle Gegebenheit, Topik und Anapher, genauer beleuchtet werden.

3.2

Herstellung von Kontinuität im Diskurs

3.2.1

Informationsstrukturelle Aspekte

Wie in den vorangegangenen Kapiteln festgestellt wurde, hat Kontinuität eine konzeptuelle und eine formale, sprachliche Dimension. Erstere betrifft v. a. informationsstrukturelle Aspekte, Letztere die Anapher. Zunächst soll die konzeptuelle Dimension der Kontinuität beleuchtet werden. Insbesondere werden nach einem einleitenden Überblick (Kapitel 3.2.1.1) die Gegebenheit von Information (Kapitel 3.2.1.2), die Unterscheidung von Topik und Kommentar (Kapitel 3.2.1.3) und die informationelle Progression (Kapitel 3.2.1.4) in Hinblick auf Kontinuität diskutiert werden.

70 3.2.1.1 Begriff der Informationsstruktur Informationen sind in diskursiven Einheiten bzw. im Diskurs strukturiert und aufeinander aufbauend angeordnet. Informationsstruktur ist, so Lambrecht (1994: 5), der formale Ausdruck der pragmatischen Strukturierung einer Proposition im Diskurs, nämlich „that component of sentence grammar in which propositions as conceptual representations of states of affairs are paired with lexico-grammatical structures in accordance with the mental states of interlocutors who use and interpret these structures as units of information in given discourse context“. Ähnlich ist auch die Auffassung Krifkas (2007: 14), der Informationsstruktur in Anlehnung an Chafe als „packaging of the information conveyed by an utterance“ betrachtet. Zur Beschreibung einzelner Aspekte der Informationsstruktur hat sich eine schwer zu überblickende Vielfalt an Termini bzw. an abweichenden Definitionen ergeben, deren häufig stark intuitiver Charakter nicht selten Gegenstand von Kritik ist. Deshalb soll an dieser Stelle ganz knapp umrissen werden, welche Begriffe in dieser Arbeit verwendet werden, bevor die für Kontinuität wichtigen Gesichtspunkte eingehender erläutert werden. In der Theorie der funktionalen Satzperspektive der Prager Schule stellt Daneš (1974: 106–114) den Mitteilungswert einer Äußerung, also die daraus neu zu gewinnende Information, in den Mittelpunkt. Das Thema ist der Teil, der bekannt ist und damit einen relativ geringen Mitteilungswert hat, also relativ wenig zur Weiterentwicklung der Darstellung beiträgt. Das Rhema dagegen transportiert einen relativ hohen Mitteilungswert. Die Begriffe Thema und Rhema sind also eng an kontextgebundene Kriterien wie die Unterscheidung von gegebener und neuer Information gebunden. Um begriffliche Klarheit zu erlangen, verzichtet beispielsweise Krifka (2007) ganz auf die Begriffe Thema und Rhema und stützt sich nur noch auf die Unterscheidung zwischen given und new. Dem soll in dieser Arbeit gefolgt werden. Diese Herangehensweise an die Informationsstruktur ist nämlich zu unterscheiden von Ansätzen, die den Schwerpunkt auf den relationalen Charakter zwischen dem Topik als informationellem Ausgangspunkt und dem darüber Ausgesagten legen (vgl. Molnár 1993: 157–160, Krifka 2007: 41). Eine dritte Ebene wird schließlich häufig mit der Unterscheidung zwischen Fokus und Hintergrund eröffnet. Der Fokusausdruck hebt die Wahl genau einer Alternative aus einer bestimmten Menge hervor und setzt diese damit vom Hintergrund bzw. der Präsupposition ab (vgl. Molnár 1993: 164, Stark 2002: 302f., Krifka 2007: 18). Insbesondere die Gegebenheit von Information und Topikalität spielen für Kontinuität eine Rolle, weswegen diese Konzepte Gegenstand der nächsten beiden Kapitel sind.

71 3.2.1.2 Informationsstatus: Verarbeitung gegebener, ableitbarer und neuer Informationselemente Information kann im Diskurs neu eingeführt oder sich auf Vorhandenes stützend kontinuierlich weitergeführt werden. Der Informationsstatus einer Informationseinheit beschreibt deren Aktivierungsstatus im mentalen Zustand von Sprecher und Hörer. Diese diskursive Größe wird durch Kotext und Situation beeinflusst und durch morphosyntaktische bzw. phonologische Eigenschaften gekennzeichnet. Die Informationseinheiten können sich aus einem oder mehreren Informationselementen, also Vorstellungen oder Konzepten von Sachverhalten, Individuen oder Objekten, zusammensetzen (vgl. Kotschi 1996: 243–259). Die Informationselemente können in unterschiedlichen Zuständen (gegeben und neu) auftreten, zu welchen sich in Definitionskriterien und Abstufungen leicht voneinander abweichende Sichtweisen finden. Eine vorwiegend an diskursiven Kriterien und an der Rezeption des Diskurses orientierte Herangehensweise und Nomenklatur findet sich bei Prince (1981: 232–252). Der Diskurs wird als Instruktion aufgefasst, ein mentales Modell aufzubauen. Die im Diskurs vorkommenden Informationselemente entsprechen in unterschiedlichem Grade einer „Assumed Familiarity“ (Prince 1981: 233): Ein völlig neu eingeführtes Informationselement ist „new“. Ist ein Informationselement bereits im Diskurs vorerwähnt oder situationell gegeben, so ist es „evoked“. Und ist es für den Hörer aus erwähnten oder anderen inferierbaren Bestandteilen ableitbar, dann ist das betreffende Informationselement „inferable“ (Prince 1981: 235f.). Aus eher psychologisch orientierter Sicht unterliegt Information bestimmten Aktivierungszuständen, die von den Annahmen des Sprechers über die mentalen Zustände im Bewusstsein des Hörers abhängen. So kann ein Informationselement nach Chafe (1987: 25) „active“ (gerade vorgekommenen, im Fokus der Aufmerksamkeit stehend), „semi-active“ (sich noch oder schon im Randbereich der Aufmerksamkeit befindend) oder „inactive“ (sich nur im Langzeitgedächtnis, aber nicht im aktuellen Aufmerksamkeitsbereich befindend) sein (vgl. Chafe 1987: 25–36). Lambrecht (1994: 74–116) wiederum kombiniert das Kriterium der Aktivierung, wie es bei Chafe zur Beschreibung der mentalen Zustände im Bewusstsein des Hörers auftritt, mit dem der Identifizierbarkeit, das die Zugänglichkeit der Information für den Hörer beschreibt. Ein Informationselement ist auf der einen Seite entweder „identifiable“ (aus dem Kontext, der Erinnerung oder Situation bekannt und salient) oder „non-identifiable“ (unbekannt, es muss sozusagen ein neuer „Eintrag“ im Gedächtnis geschaffen werden, um es abrufbar zu machen) (Lambrecht 1994: 77). Auf der anderen Seite ist es im Bewusstsein von Sprecher und Hörer entweder „active“, „inactive“ oder „accessible“ (Lambrecht 1994: 93f.). Aktivierung und Identifizierbarkeit sind natürlich nicht unabhängig

72 voneinander. Was unidentifizierbar ist, ist zwingend gleichzeitig inaktiv. Ein aktives oder ableitbares Informationselement ist immer auch identifizierbar (vgl. Lambrecht 1994: 109). Auch wenn die Einteilungen teilweise noch detaillierter sind, genügt für die vorliegende Arbeit die einfache Dreiteilung in gegebene, ableitbare und neue Informationselemente. Nicht vergessen werden sollte, dass die Gegebenheit prinzipiell als eine graduierbare Größe anzunehmen ist (vgl. Krifka 2007: 37f.); die vorgeschlagene Dreiteilung greift schlicht drei grobe Orientierungspunkte auf der Skala heraus. Dabei soll sich der Begriff der Gegebenheit sowohl auf Vorerwähntheit im Diskurs als auch auf Vorhandensein in der aus allgemeinem Weltwissen, Wissen über die Diskurssituation und Information über den Inhalt des abgelaufenen Diskurses bestehenden mémoire discursive (s. auch Kapitel 3.1.3.1, S. 66) beziehen. Diese memorielle Auffassung von Gegebenheit ist insofern wichtig, als so dem Weltwissen, das u. a. über die Ausnutzung bestehender Frames in der Metonymie einbezogen wird, Rechnung getragen werden kann. Natürlich sind derartige Annahmen unterschiedlicher Zustände des Informationsstatus mit Vorsicht zu behandeln, da mögliche Aktivierungszustände und deren Dauer relativ schwer empirisch belegbar sind, ebenso wie der letztendliche inhaltliche Umfang eines Informationselements. Es ist anzunehmen, dass informationsstrukturelle Restriktionen bestehen, die sich daraus ergeben, wie Informationselemente je nach Informationsstatus im Bewusstsein von Sprecher und Hörer verarbeitet werden können. Die Anzahl der Informationselemente, die wir in aktivem Zustand erhalten können, ist begrenzt, da auch unser Kurzzeitgedächtnis begrenzt ist. Es können nur etwa sieben Informationselemente gleichzeitig im Kurzzeitgedächtnis abgelegt werden (vgl. Chafe 1987: 22, De Beaugrande/Dressler 1981: 92f.). Deshalb müssen während des Sprechens oder Zuhörens ständig neue oder ableitbare Informationen ins Kurzzeitgedächtnis aufgenommen, andere dafür in den inaktiven Zustand verdrängt werden. Allerdings kann pro diskursiver Basiseinheit, pro acte discursif (s. Kapitel 3.1.3.1, S. 66), pro im Gedächtnis zu speichernder Einheit, nur maximal ein neues Informationselement eingeführt werden. Mehr würde den kognitiven Aufwand für die Verarbeitung zu groß werden lassen („one concept at a time constraint“ (Chafe 1987: 32)). Daneben können weitere, zumindest ableitbare oder gegebene Elemente innerhalb dieses acte discursif realisiert werden (vgl. Chafe 1987: 31–36, Kotschi 1996: 265–268). Generell, so Prince (1981: 245–252), kann man feststellen, dass Sprecher dazu tendieren, bereits evozierte Informationselemente beizubehalten, anstatt neue einzuführen, um den kognitiven Aufwand zu minimieren. Eine Abstufung ergibt sich in dieser Hinsicht zwischen – im Sinne von Koch/Oesterreicher (1990) – konzeptionell mündlichen und schriftlichen Diskursen. In konzeptionell schriftlichen Diskursen sind weniger gegebene Informationselemente enthalten, dafür aber mehr ableitbare. Dennoch bleibt auch in der Schriftsprache die Tendenz

73 zu einer hohen Anzahl gegebener Elemente und zur Minimierung völlig neuer Elemente bestehen. Zusätzlich zu der Restriktion, nur ein neues Konzept auf einmal einzuführen, kann man beobachten, dass die Ausgangspunkte einer Äußerung meist gegeben sind, seltener ableitbar, und noch seltener ganz neu. In der zu diesem Ausgangspunkt hinzugefügten Information ist dann meistens ein neues Element enthalten (vgl. Chafe 1987: 36–38). In ähnlicher Weise stellt Prince (1981: 242) fest, dass Subjekte, die ja häufig den Ausgangspunkt einer Aussage darstellen, dazu neigen, evoziert zu sein, aber fast nie neu sind. Dies wiederum deckt sich mit Grobets Auffassung von Kontinuität als Verankerungsprozess, bei dem gegebene Information als point d’ancrage für neu hinzutretende Information dienen kann (s. Kapitel 3.1.2.2). 3.2.1.3 Topik und Kommentar Die komplementäre Schwerpunktlegung in den Betrachtungen zur Informationsstruktur – nämlich zugunsten der Topik/Kommentar-Unterscheidung über die Annahme einer Adskriptionsrelation – findet sich u. a. bei Lambrecht (1994). Für Lambrecht ist das Topik primär über das zugegebenermaßen relativ vage und intuitive Kriterium der aboutness, also der Aussage über das Topik, der Adskription einer Aussage zum Topik (vgl. Tschida 1995: 146), definiert. Ein Referent fungiert dann als Topik, wenn „in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i. e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent“ (Lambrecht 1994: 131). Ähnlich kann auch Krifkas (2007: 41) Definition des Topiks aufgefasst werden. Er legt dabei allerdings mehr Gewicht auf die zugrunde liegenden mentalen Verarbeitungsprozesse: „The topic constituent identifies the entity or set of entities under which the information expressed in the comment constituent should be stored in the CG [common ground] content“. Der common ground bildet hierbei – ähnlich der mémoire discursive – das von Sprecher und Hörer geteilte Wissen, das im Kommunikationsverlauf immer wieder modifiziert wird. Entsprechend dieser vorhandenen Informationen müssen auch die hinzutretenden Äußerungen konzipiert werden (vgl. Krifka 2007: 15f.). Information wird zum common ground nicht unstrukturiert hinzugefügt, sondern mit bestimmten Entitäten, auf die sie sich bezieht, assoziiert. Dies sind die Topiks. Man kann sie sich als eine Art Speicherort vorstellen, an dem bestimmte darüber ausgesagte Informationen abgelegt werden (vgl. Krifka 2007: 40f.). Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen dem Topik und dem Topikausdruck. Während das Topik dem Referenten bzw. dem Konzept entspricht, über das etwas ausgesagt wird, bringt erst der Topikausdruck die sprachliche Dimension ins Spiel. Eine Konstituente fungiert nämlich dann als Topikausdruck,

74 wenn „the proposition expressed by the clause with which it is associated is pragmatically construed as being about the referent of this constituent“ (Lambrecht 1994: 131, vgl. auch Krifka 2007: 17f.). Eine parallele Unterscheidung müsste auch bezüglich Thema und Themaausdruck getroffen werden. Der Begriff der Gegebenheit kann sich dagegen nur auf den Status des Referenten bzw. des Konzepts beziehen. Zwar gibt es auch neue Topiks, doch neigen Topiks generell eher dazu, in Form ableitbarer oder gegebener Information aufzutreten. Je höher der Grad der Gegebenheit eines Konzepts, desto besser eignet dieses sich auch nach Lambrechts (1994: 165) „topic acceptability scale“ dafür, als Topik verwendet zu werden. Um als Topik fungieren zu können, muss das betreffende Element zumeist ableitbar, normalerweise sogar gegeben sein. Pronomen, die sich normalerweise auf bereits Gegebenes beziehen, sind demnach die „preferred topic expressions“ (Lambrecht 1994: 172). Diese Überlegungen münden in Lambrechts „Principle of Separation of Reference and Role“ (Lambrecht 1994: 184), das besagt, dass ein Referent nach Möglichkeit nicht in einem Zug eingeführt und gleichzeitig Gegenstand der Aussage sein sollte, um die kognitiven Kapazitäten bei der Verarbeitung nicht zu überschreiten. 3.2.1.4 Informationelle Progression und informationelle Kontinuität Wie sich bereits andeutet, ist nicht nur das Vorhandensein gegebener Information für Kontinuität von Belang, sondern auch, wie darauf aufgebaut bzw. wie diese Information weiterentwickelt wird. Deshalb soll hier auf die Formen der informationellen Progression eingegangen werden, die gleichzeitig immer von einem gewissen Maß an Kontinuität ausgeglichen werden muss. Einerseits muss ein Übermaß an neuer Information vermieden werden, das für den Hörer oder Leser nicht mehr zu verarbeiten wäre. Andererseits ist auch ein Stillstand, der nur vorerwähnte Information wiederholt, kontraproduktiv. Die drei Grundtypen der Progression werden bei Grobet (2002: 106–111) anschließend an Daneš (1974: 118–123) als progression à topique constant, progression linéaire und progression à topiques dérivés aufgegriffen. Bei der Progression mit konstantem Topik bleibt das Topik von Satz zu Satz gleich, d. h. der wiederholte Rückgriff auf die gleiche Information sorgt für Kontinuität. Im Fall der linearen Progression wird das Topik durch einen Referenten aus der vorhergehenden, im Kommentar aktivierten Information gestellt, d. h. eine Information tritt neu hinzu, wird dann aber als gegeben weitergeführt. Die Progression mit abgeleitetem Topik stützt sich nicht direkt auf das vorhergehende Topik oder einen Bestandteil des Kommentars, sondern ein jeweils daraus abgeleitetes Topik. Hier beruht die Kontinuität also zumindest noch auf einer abgeleiteten Information. Diese drei Arten der Progression, die die kontinuierliche Weiterfüh-

75 rung und Einbindung von Information gewährleisten, sind der Reihe nach in den folgenden Beispielen zu finden: (30) Progression mit konstantem Topik:

Michel P. a été musicien dans sa jeunesse. Il a longtemps eu ses entrées dans le show-biz. Il a même fait un tube, au milieu des années 1970, qu’on entend encore dans les soirées potaches. Mais aujourd’hui, c’est dans une prison de la région parisienne qu’il exerce ses talents. En juin 2005, l’année de son soixantième anniversaire, les gendarmes de la brigade de Paris-Exelmans sont venus l’interpeller. Il a aussitôt été mis en examen et écroué. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Arnaques en série à l’Unedic“, S. 38.)

(31) Lineare Progression:

En effet, c’est une première : avant même la publication en bonne et due forme des résultats scientifiques justifiant une telle mesure, un « protocole temporaire de traitement » (PTT) vient d’autoriser la prescription de l’Herceptin dès le stade initial de certaines formes de la maladie. Mis au point par les laboratoires Roche, l’Herceptin est un anticorps monoclonal d’une efficacité assez spectaculaire sur les cancers dits « HER 2 positifs ». Particulièrement agressifs, avec une tendance a métastaser de manière fulgurante, ceux-ci présentent entre 20% et 30% de l’ensemble des cancers du sein. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Cancer du sein : spectaculaire progrès“, S. 51.)

(32) Progression mit abgeleitetem Topik:

C’est que la flotte de la SNCM est à la fois surdimensionnée, onéreuse et lente. Le « DanielleCasanova », inauguré il y a trois ans, a coûté 130 millions d’euros (contre 70 pour son concurrent de la Corsica, le « Mega-Express ») et s’est révélé trop lent pour effectuer plusieurs rotations par jour. Le « Liamone » (acheté plus de 60 millions d’euros auprès d’une filiale des Chantiers de l’Atlantique à Lorient) est lui aussi moins rapide que les navires du même type. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Les cinq dossiers noirs de la SNCM“, S. 41.)

Hierbei stellt Grobet die Hypothese auf, dass sich der letzte Typ der Progression mit abgeleitetem Topik jeweils auf einen der ersten beiden Typen zurückführen lässt. Im Fall der Progression mit abgeleitetem Topik wird die Koreferenzrelation zwischen dem vorhergehenden Topik bzw. Kommentar und dem nachfolgenden Topik, die bei der Progression mit konstantem Topik bzw. bei der linearen Progression besteht, lediglich durch eine indirekte Relation ersetzt. Abstrahiert man von dieser Abweichung, dann ist auch Beispiel (32) als ein Fall von Progression mit konstantem Topik aufzufassen. Als Topik fungiert die Flotte der SNCM, die sich durch die zugehörigen Schiffe charakterisiert. So resümiert Grobet, dass die Eigenart der Progression mit abgeleitetem Topik „ne doit pas être située au niveau de la structure informationnelle, mais plutôt à celui de la structure conceptuelle [...] où il est possible de rendre compte de l’arborescence caractérisant cette progression“ (Grobet 2002: 110f.). Besonders interessant sind einige Variationen dieser einfachen Progressionsschemata, die Daneš (1974: 114–118) entwickelt: Sie entstehen durch die Zusammensetzung der jeweiligen Topiks oder Kommentare – bei Daneš Themata

76 und Rhemata – aus mehreren Elementen: „If two subsequent simple U1 [utterance] and U2 share a common FSP-element [functional sentence perspective], they may be fused into a single condensed U“ (Daneš 1974: 116). So können zwei Äußerungen zu einer verschmolzen werden, indem jeweils das Topik und der Kommentar der ersten Äußerung zu einem komplexen Topik zusammengefasst werden, auf das sich dann der zweite Kommentar bezieht. Eine solche Verschmelzung kann auch geschehen, indem zwei Kommentare zusammengefasst werden. Ausschnitt (33) bietet ein Beispiel für den ersten Fall: (33) Dans ce département, traversé par de nombreuses espèces d’oiseaux migrateurs, l’élevage

présente-t-il pour autant un risque supérieur de contamination ? « Non, affirme Jean-Luc Guerin. Les enquêtes mises en œuvre par la DGAL ou l’Afssa n’ont pas établi de différences de risques entre les régions. Même lorsqu’il se trouve qu’y coïncident le canal de migration ouest et le mode d’élevage aquitain. » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Grippe aviaire. L’alerte“, S. 46.)

Im hier aufgeführten Diskursausschnitt tritt in der Antwort Guerins ein komplexes Topik auf. Nimmt man statt der kondensierten Äußerung zwei getrennte Aussagen an, dann würde sich die erste darauf beziehen, dass die staatlichen Stellen der DGAL (Direction générale de l’alimentation) und der Afssa (Agence française de sécurité sanitaire des aliments) Studien oder Untersuchungen erstellt haben. Die zweite Äußerung würde beinhalten, dass diese Studien keine Unterschiede zwischen den Regionen feststellen konnten. Diese normalerweise durch lineare Progression zu verbindenden Äußerungen werden aber kondensiert, indem die erste durch die Partizipialkonstruktion verkürzt und insgesamt als Topik verwendet wird. Durch derartige Konstruktionen können Referenten durch anaphorisch wirkende Ausdrücke scheinbar als gegeben behandelt werden, obwohl sie tatsächlich weder vorerwähnt noch situationell gegeben sind. Dies funktioniert dadurch, dass sie ihren eigenen Kontext in sich tragen, in diesem Fall mit der in der Partizipialkonstruktion enthaltenen Information. So werden „Les enquêtes“ zugleich neu eingeführt und über den Bezug zu staatlichen Stellen identifiziert, deren Kenntnis als allgemeines Weltwissen vorausgesetzt wird bzw. die über ihre Eigennamen eindeutig bezeichnet sind. Eine eigentlich neue Information kann so trotzdem mit dem definiten Artikel eingeführt werden und Kontinuität vorspiegeln (vgl. auch Tschida 1995: 247–251, 269–280). Dies ist deshalb so interessant, weil sich zeigt, wie versteckt neue Information eingeführt und an Gegebenes rückgebunden werden kann. In Teil II wird es darum gehen, das Quellkonzept der Metonymie als eine solche gegebene Information zu identifizieren, die in einem Teil der Fälle auf ähnliche Weise dazu dient, das noch neue Zielkonzept der Metonymie geschickt unter dem Mantel des metonymisch verwendeten Ausdrucks einzuführen (s. Kapitel 5.2.1.1, S. 163). Hier erkennt man bereits, dass sich die Kontinuität, die durch das Wiederaufgreifen gegebener Information hergestellt wird, gleichzeitig in der sprachlichen Kodierung dieser Information niederschlägt. Dies ist schon in Kapitel 3.1.3.1

77 zur Kontinuität (s. S. 67) angeklungen: Gegebene Information benötigt weniger, neue Information mehr Kodierungsaufwand. Das Spektrum der Kodierung für die am besten zugänglichen gegebenen Referenten bis hin zu neuen, wenig kontinuierlichen Referenten reicht von Ellipsen über unbetonte zu betonten Pronomen, rechtsdislozierten definiten Nominalphrasen, normalen Nominalphrasen, linksdislozierten Nominalphrasen, bestimmten Cleft-Konstruktionen und schließlich indefiniten Nominalphrasen (vgl. Givón 1983a: 17, Roth-Johnson 1993: 100–134, Roulet et al. 2001: 260–264, Grobet 2002: 123–174, Krifka 2007: 37f.). Dies leitet über zum nächsten Kapitel, das die Funktionsweise und unterschiedliche Typen der anaphorischen Wiederaufnahme erörtert. 3.2.2

Anaphern und ihre Wiederaufnahmefunktion

Wie in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet wurde, ist die Fortführung und Weiterentwicklung bestimmter Informationen wichtig für die Herstellung von Kontinuität im Diskurs. Mit der Wiederaufnahme eng verbunden ist deren formale Realisierung. Hier soll deshalb das sprachliche Konstrukt der Anapher zur Beschreibung der Wiederaufnahme und Weiterführung von Entitäten im Diskurs betrachtet werden. Dazu gilt es zunächst, generell den Begriff der Anapher zu klären (3.2.2.1). Daran anknüpfend werden die spezielleren Formen der indirekten und assoziativen Anapher (3.2.2.2 und 3.2.2.3) aufgrund ihrer Ausnutzung von Kontiguitätsrelationen ins Blickfeld genommen. Schließlich soll die Verbindung von Anaphern und Kontinuität nochmals verdeutlicht werden (3.2.2.4). 3.2.2.1 Begriff der Anapher Das Wort Anapher setzt sich aus dem griechischen ana (= ‚zurück, noch einmal‘) und phorein (= ‚tragen‘) zusammen und bezieht sich auf rückwärts verweisende sprachliche Ausdrücke: „Le terme désigne une relation référentielle qui s’exerce à l’intérieur du discours entre deux expressions linguistiques, dont l’une, dite anaphorique (ou forme de rappel), reçoit son interprétation du sens référentiel de l’autre, dite source de l’anaphore (ou antécédent) qui lui est antéposée“ (Neveu 2004: 33, Hervorhebungen im Original). Die Wiederaufnahme eines vorhergehenden Bezugsausdrucks grenzt die Anapher von der Katapher ab, die einen Vorverweis beinhaltet. Dabei darf die der Anapher zugrunde liegende „relation référentielle“ nicht so verstanden werden, dass der anaphorische Ausdruck auf das Antezedens referiert. Er stellt lediglich seine eigene Referenz über den Bezug zum Antezedens her. In diesem Sinne kann die Anapher, wie die Metonymie, als eine Art Referenzpunktkonstruktion (s. Kapitel 2.2.1.3, S. 33)

78 aufgefasst werden. Außerdem handelt es sich bei der anaphorischen Beziehung um ein asymmetrisches Verhältnis zwischen der Anapher und dem Antezedens, da die Anapher vom Antezedens abhängig ist und dieses wieder aufnimmt. Syntaktische Gebundenheit, wie sie der Definition von Anaphern in der generativen Grammatik zugrunde liegt, wird in dieser Konzeption nicht als notwendig erachtet. Auch wenn sich in den meisten Fällen aufgrund der Interpretation des anaphorischen Ausdrucks mit Hilfe des Antezedens faktisch Koreferenz zwischen beiden ergibt, so ist davon doch die symmetrische Beziehung reiner Koreferenz, bei der zwei Ausdrücke auch unabhängig voneinander denselben Referenten bezeichnen, zu unterscheiden. Im folgenden Beispiel wäre also „un cadavre d’oiseau suspect“ das Antezedens und „il“ der anaphorische Ausdruck, der von seinem Antezedens referentiell abhängig ist: Nur durch diesen Rückbezug wird erkennbar, worauf sich das Pronomen bezieht. (34) Aujourd’hui, trois étapes sont nécessaires pour confirmer une suspicion de grippe aviaire. Lorsque l’on trouve un cadavre d’oiseau suspect, il doit d’abord être transporté au laboratoire vétérinaire départemental. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Le malaise des vétos“, S. 48.)

Die sprachliche Realisierung von Anaphern kann verschiedene Formen annehmen: Bei nominaler Wiederaufnahme werden wörtliche Wiederaufnahme und sinngemäße Wiederaufnahme unter einer anderen Benennung gegenübergestellt, je nachdem, ob der Kopf der Nominalphrase des Antezedens wörtlich wieder aufgegriffen wird oder durch ein anderes z. B. synonymisches, hypo- oder hyperonymisches Nomen ersetzt wird. Der prototypische Fall der Anapher ist die pronominale Anapher, bei der, wie im obigen Beispiel, ein Pronomen als anaphorischer Ausdruck dient. Gerade hier wird die referentielle Abhängigkeit deutlich, da das Pronomen nicht über eine eigene virtuelle Referenz verfügt. Die Referenz kann erst aus dem Bezug zum Antezedens abgeleitet werden. Meist wird dabei dessen aktuelle Referenz übernommen. Des Weiteren muss eine Abgrenzung zwischen der Anapher und der Deixis getroffen werden. Cornish (2001: 203) plädiert dafür, nicht den Ort der vorausgehenden Bezugspunkte, kein „‘geographical’ criterion“, sondern die unterschiedlichen Verfahren bei der Findung des Bezugspunkts als Unterscheidungskriterium heranzuziehen: L’anaphore est essentiellement un dispositif intégrateur, dans lequel l’ensemble de la prédication anaphorique fonctionne pour sélectionner une partie de la représentation discursive dans le champ du focus du discours, en fonction d’une relation de cohérence qui augmente la pertinence de l’interprétation ainsi intégrée. La deixis, en revanche, est une procédure énonciative qui apporte nécessairement « du nouveau » dans le champ d’attention des interlocuteurs, mais tout en supposant un certain degré de « familiarité » chez ceux-ci avec le référent ainsi focalisé. (Cornish 2001: 2)

Die angesprochene „familiarité“ wird im Fall der Deixis und im Gegensatz zur Anapher durch bisher nicht angesprochene Teile der Äußerungssituation oder

79 des allgemeinen Weltwissens hergestellt. Im Fall der Anapher muss, auch wenn bei Cornish nicht mehr nur der Kotext als Quelle für das Antezedens angenommen wird, der vorausgehende Bezugspunkt zumindest bereits Teil der diskursiven Repräsentation sein, die Sprecher und Hörer von den im Diskurs dargestellten Sachverhalten entwickeln. Im Gegensatz zu einer solchen mentalistischen oder kognitiven Vorgehensweise sehen substitutive und antezedentistische Vorgehensweisen den anaphorischen Ausdruck nur als Platzhalter für das Antezedens. Probleme ergeben sich hieraus, sobald es um Fälle geht, in denen zwar eine anaphorische Wiederaufnahme und referentielle Abhängigkeit von einem Antezedens gegeben sind, aber morphosyntaktische Kongruenz oder gar Koreferenz fehlt. So kann es vorkommen, dass sich ein anaphorisierendes Pronomen auf die mentale Repräsentation des Antezedens, z. B. auf dessen Sexus, bezieht und das davon abweichende Genus außer Acht lässt. Mit der Annahme, der anaphorische Ausdruck würde lediglich als Platzhalter für den eigentlichen Ausdruck stehen, scheint ein solcher Genuswechsel nicht erklärbar. Deshalb wird im Folgenden die kognitive Herangehensweise, wie Cornish sie vertritt, übernommen. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens zeigt sich auch deutlich in Fällen so genannter evolutiver Referenz. Hier besteht ebenfalls immer noch eine Wiederaufnahme- und Abhängigkeitsbeziehung, allerdings kann für das Antezedens und den anaphorischen Ausdruck kaum noch von Koreferenz die Rede sein. Diese wäre in der substitutiven und antezedentistischen Sichtweise notwendig, nicht aber in der kognitiven, die auch diskursive Repräsentation als potentiellen Bezugspunkt zulässt. Das folgende Beispiel illustriert diesen Sachverhalt: (35) En 1871, le pouvoir versaillais a utilisé des régiments de fusiliers marins bretons pour écraser la Commune de Paris. Les Bretons votaient alors pour leurs châtelains. Ils votent aujourd’hui pour le PS, pour l’Europe, pour l’ouverture, même quand le reste de la France s’abandonne au repli. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le génie breton“, S. 59.)

„Ils“ greift das Antezedens „Les Bretons“ auf und ist nur über dieses interpretierbar. Allerdings kann nicht angenommen werden, dass es sich jeweils um die gleichen Referenten handelt. Die Bretonen von 1871 im ersten Satz sind sicher nicht dieselben wie die Bretonen, die im Jahr 2006 ihre Wählerstimme abgeben. Koreferenz liegt also nicht vor. Trotzdem liegt es nahe, auch diesen Fall als Anapher zu behandeln, sind doch die Kriterien der Wiederaufnahme und der referentiellen Abhängigkeit erfüllt. Die Referenten müssen über Inferenzen erschlossen werden, indem auf mentale Repräsentationen zurückgegriffen wird, in denen z. B. die Bretonen früherer und heutiger Zeiten in enger Verbindung stehen. In dieser kognitivistischen Auffassung kann also das Antezedens in einem weiteren Sinne als Auslöser für eine Inferenz gesehen werden, ähnlich wie ein metonymischer Ausdruck einen Hinweis auf das Ziel der Metonymie gibt.1 Mit 1

Cornish (1997: 11f.) diskutiert weitere ähnliche Fälle.

80 diesen Überlegungen ergibt sich bereits der Übergang zur indirekten Anapher, die Gegenstand des nächsten Kapitels sein wird. Davor sollen an dieser Stelle nochmals die wichtigsten Eigenschaften der Anapher kurz zusammengefasst werden: Es handelt sich um einen Ausdruck, der in einer asymmetrischen Beziehung referentiell abhängig ist von seinem Antezedens, sei es in Form eines vorausgehenden sprachlichen Ausdrucks oder als Teil der mentalen Repräsentation des vorausgehenden Diskurses. Entscheidend ist, dass dieses Antezedens bereits für Sprecher und Hörer präsent ist, im Bereich ihrer Aufmerksamkeit liegt und dass in der Anapher diese Ausrichtung der Aufmerksamkeit beibehalten wird. So ergibt sich die Wiederaufnahme des Antezedens. 3.2.2.2 Indirekte pronominale Anapher Die oben geschilderten Annahmen über den möglichen Charakter des Antezedens (s. v. a. Beispiel (35), S.79) führen bei Cornish zu der Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Anapher. Für die direkte Anapher gilt: „[T]he intended referent is – in principle – immediately retrievable via its co-textual mention or via its physical presence in the utterance situation“ (Cornish 2005: 203). Demgegenüber kommt die indirekte Anapher unter folgenden Umständen zustande: [T]he anaphor does not retrieve the „basic“ referent directly evoked via a co-textual mention or via the interlocutors’ prior focussing their attention on an object or a scene in the situation surrounding them, but a different one which may be associated with it in virtue of a relation of the type part-whole, token-type, instance-class, or in terms of metonymic relation of some kind. (Cornish 2005: 203)

Dieser indirekte Anschluss kann sowohl durch unbetonte Pronomen als auch durch definite Nominalphrasen etabliert werden. Im ersten Fall spricht man von indirekter pronominaler Anapher (Gegenstand dieses Kapitels), für die nominale Variante wird meist der Begriff der assoziativen Anapher (s. das folgende Kapitel 3.2.2.3) verwendet. Normalerweise dienen Pronomen dazu, Gegebenes, im Zentrum der Aufmerksamkeit Stehendes, Vorerwähntes aufzugreifen. Wenn sie nun dafür verwendet werden, einen indirekten anaphorischen Bezug herzustellen, so bedeutet dies, dass der Referent zumindest in hohem Maße für Sprecher und Hörer präsent sein muss. Dadurch kann hier weiterhin von Anapher gesprochen werden, im Gegensatz zur Deixis, bei der ein Referent aufgerufen wird, der bis dahin noch außerhalb der Aufmerksamkeit der Gesprächspartner lag. Der geforderte hohe Grad der Aktiviertheit kann, so Cornish (2005: 208–214), dadurch erreicht werden, dass das vorausgehende Prädikat den Referenten als Argument fordert

81 und damit gewissermaßen impliziert. Eine zweite Möglichkeit für hohe Aktiviertheit liegt in der Zugehörigkeit des mit dem Referenten verbundenen Konzepts zu einer bereits aufgerufenen Repräsentation. Hier besteht die Verbindung zu den im Diskurs erwähnten Entitäten also in einer konzeptuellen Kontiguitätsrelation. Diese zweite Variante der Aktiviertheit ist somit besonders interessant, da sie den Verfahren der Metonymie nahe kommt. Dazu zwei Beispiele: (36) Futurs parents, je vous en conjure, ayez un peu de décence ! Je sais que votre problème,

il grossit autant que s’arrondit le joli ventre maternel : comment va-t-on l’appeler ? Je ne minimise pas cette question. Donner un prénom à un gamin, de nos jours, est un cauchemar. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Tu l’as velu, tu l’as eu“, S. 11.)

(37) Le Premier ministre a voulu imposer à la hussarde la « rupture » que son rival Nicolas Sarkozy promet pour 2007. Il a décidé sans concertation aucune une mesure que les jeunes, les syndicats et la gauche ne sont pas seuls à contester. Résultat : alors qu’il plonge dans les sondages, il se retrouve seul, ou presque.

(Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „CPE : La vraie faute de Villepin“, S. 26.)

Im ersten der beiden Beispiele ergibt sich die indirekte Wiederaufnahme durch das Pronomen aus der beschriebenen Situation insgesamt: „Futurs parents“ und „ventre maternel“ eröffnen die konzeptuelle Repräsentation einer Schwangerschaft, welche natürlich am Ende die Geburt des Kindes erwarten lässt. Das Konzept des Neugeborenen ist so eng an das der Schwangerschaft gebunden, dass auf das Baby mit einem bloßen Pronomen ohne vorhergehende explizite Nennung referiert werden kann. Im zweiten Beispiel über Frankreichs ehemaligen Premierminister de Villepin und dessen umstrittenes Gesetzesvorhaben zum Contrat premier embauche liegt zunächst eine normale Anapher vor („Il“). Das zweite Vorkommen von „il“ muss jedoch als eine indirekte Anapher gesehen werden. Die Referenz des Pronomens ergibt sich nicht mehr direkt aus der Identität mit dem Referenten des Antezedens. Es bezieht sich nämlich nicht auf den Premierminister selbst, sondern auf die Umfrageergebnisse zu seiner Person. Da der Leser des Artikels in seinem anzunehmenden Frame zu Politikern diese mit dem Konzept ihrer Popularität und ihrer Umfragewerte eng verknüpft, kann er dies leicht erschließen. Es liegt also keine direkte Wiederaufnahme vor, sondern ein indirekter Bezug auf ein zu dem Konzept des Antezedens kontiges Konzept. Neben der Frage nach den Bedingungen für eine erfolgreiche Interpretation des indirekten anaphorischen Ausdrucks stellt sich die Frage nach dem Zustandekommen der Kongruenz, die später auch für die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke interessant ist. Hier findet man wieder die Spaltung zwischen einer eher substitutiven und einer eher kognitiven Sichtweise: Kongruiert das Pronomen mit dem formalen Bezugsnomen oder richtet sich die Ausprägung der morphosyntaktischen Merkmale nach bestimmten in der konzeptuellen Repräsentation des Referenten enthaltenen Merkmalen? Cornish stellt generell eine umso größere Wahrscheinlichkeit dafür fest, dass sich ein Wort in seinen morphosyntaktischen Merkmalen nach Merkmalen der

82 mit seinem Bezugswort verbundenen konzeptuellen Repräsentation richtet, je höher seine syntaktische und referentielle Unabhängigkeit ist (vgl. Cornish 1994: 194–198). Er ergänzt jedoch diese Sichtweise, indem er anmerkt, dass die Prinzipien für die formale Ausprägung des Pronomens zusätzlich von der Intention und Perspektive des Sprechers sowie von diskursiven Faktoren gesteuert ist: Wenn der Rückbezug auf ein sprachliches Antezedens deutlich vorhanden ist und dieses Antezedens vorausgesetzt wird, „then the category in terms of which that referent has been entered into the discourse model is inevitably part of that presupposition: in such cases, there will tend to be syntactic agreement“ (Cornish 1986: 243). Umgekehrt führt ein geringerer Grad an Gegebenheit des Referenten und eine weniger ausgeprägte Absicht, den anaphorischen Bezug hervorzuheben, dazu, dass das Pronomen seine morphosyntaktischen Merkmale direkt aus dem Bezug auf die konzeptuelle Repräsentation des jeweiligen Referenten bezieht und keine syntaktische Kongruenz mit einem möglichen formalen Antezedens notwendig ist (vgl. Cornish 1986: 243f., s. auch Tasmowski/Verluyten 1982, 1985 und Bosch 1986). Die Frage der Kongruenz wird später bei der Behandlung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke durch Pronomen (Kapitel 5.1) Anlass zur Diskussion darüber geben, ob und wann sich das Pronomen formal nach dem metonymischen Ausdruck oder nach Merkmalen der Repräsentation des Zielkonzepts der Metonymie richtet. Festzuhalten ist, dass diskursive Faktoren einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Einsatz von Pronomen und speziell auf deren Kongruenzeigenschaften haben. Dies ist ein Hinweis darauf, dass in die Erklärung der pronominalen Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke, die in Teil II diskutiert wird, derartige diskursive Einflussfaktoren einbezogen werden müssen (s. Kapitel 5.1.2.4). 3.2.2.3 Assoziative Anapher Die assoziative Anapher, also die Variante der indirekten Anapher mit einer definiten Nominalphrase als anaphorischem Ausdruck, nähert sich in ihrer Funktionsweise durch den Rückgriff auf Kontiguitätsrelationen ebenfalls der Metonymie an. Kleiber (1997: 26, Hervorhebung im Original) fasst die vier wichtigen definitorischen Kriterien wie folgt zusammen: (i) l’AA [anaphore associative] consiste en l’introduction d’un référent nouveau [...], (ii) au moyen d’une expression définie [...], (iii) par l’intermédiaire d’une autre entité mentionnée auparavant dans le texte [...], (iv) la relation entre l’entité “antécédent” et l’entité nouvelle n’est pas une association uniquement discursive ou contextuelle, mais relève d’un savoir a priori ou conventionnel associé aux lexèmes en question.

Der letzte Punkt von Kleibers Definition ist, wie noch genauer ausgeführt wird, nicht unumstritten. So trifft Charolles (1990: 120) in seiner Definition keine

83 Aussage über die Art der Relation zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Element. Dafür erklärt er das Zustandekommen des anaphorischen Charakters in seiner Definition genauer: [U]n SN2 [syntagme nominal] anaphorise un SN1 indéfini sans qu’il y ait coréférence entre les deux expressions [...]. La relation anaphorique est induite par le défini : le SN défini est en effet non saturé ou non autonome référentiellement (Milner 1983, Corblin 1987), sa définitude ne s’expliquant que par le rapport qu’il entretient avec le SN indéfini le précédant, rapport à partir duquel il est précisément possible de fixer sa référence. Les SN anaphoriques associatifs sont donc dépendants cotextuellement.

Es bleiben also zunächst folgende Charakteristika der assoziativen Anapher festzuhalten: Mit Hilfe der assoziativen Anapher gelingt es, einen eigentlich noch neuen, nicht vorerwähnten Referenten im Modus des Gegebenen, also mit einem definiten Artikel einzuführen und damit Brüche zu vermeiden. Dabei ist das sprachlich realisierte Antezedens, durch das indirekt die Interpretation der definiten Nominalphrase gesichert ist und auf das sie zurückverweist, obligatorisch, der anaphorische Charakter damit offensichtlich. Diese Merkmale sind in folgendem Auszug zu beobachten: (38) Le 5 mars, la perspective de voir jouer l’équipe de réserve de Marseille n’a pas entamé l’audience du match PSG-OM sur Canal+. Mais les abonnés, invités à donner une note de satisfaction, ont saqué cette piètre partie avec un 8,76 sur 20. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Un sport très in...“, S. 41.)

Durch die Einführung der Nominalphrase „les abonnés“ mit dem definiten Artikel entsteht der Eindruck, dass sich diese auf etwas bereits Vorerwähntes oder Gegebenes innerhalb des Diskurses bezieht. Um die Referenz der Nominalphrase klären zu können, muss also dieser gegebene Bezugspunkt lokalisiert werden. Er findet sich in dem Ausdruck „Canal+“. Nur durch die Annahme dieses Rückverweises wird klar, dass „les abonnés“ auf die Abonnenten von Canal+ referiert. Zugleich liegt aber keine Koreferenzbeziehung zwischen diesen beiden Nominalphrasen vor, beide haben einen eigenen Referenten. Verschiedene Vorschläge zur theoretischen Modellierung der Funktionsweise derartiger Fälle, insbesondere zur Beschreibung der Beziehung zwischen den beiden Nominalphrasen, lassen sich im Großen und Ganzen auf zwei Herangehensweisen zurückführen: eine lexikalisch-stereotype, u. a. vertreten von Kleiber, und eine diskursive, u. a. vertreten von Charolles. In der lexikalischstereotypen Herangehensweise wird die assoziative Anapher als ein rein auf lexikalisch-stereotypem Wissen beruhendes Phänomen begriffen. Die Verbindung zum Antezedens, die die assoziative Anapher ausnutzt, besteht bereits im Voraus in Form konzeptueller Repräsentationen, die mit den Lexemen verbunden sind. Wie bei der Metonymie werden also konventionalisierte Kontiguitätsrelationen ausgenutzt. Für das tatsächliche Bestehen solcher stereotyper Assoziationen spricht, dass die assoziative Anapher auch in nichtspezifischen, generischen Sätzen funktioniert und dass sie umgekehrt in Fällen von ungewöhnlichen

84 Relationen zwischen dem anaphorischen Element und dem Antezedens meist scheitert. Außerdem führt Kleiber verschiedene Tests auf, die die konventionalisierten Beziehungen zwischen den Teilen einer assoziativen Anapher belegen können: Bestehende Zusammenhänge können aufgedeckt werden durch generische Sätze des Typs un X a généralement un Y oder dans un X, il y a généralement un Y, durch Deduktionen ausgehend von einem Element (s’il y a X, alors il y a Y) oder durch das Testen von Erwartungen mit Hilfe bestimmter Konnektoren, wie z. B. mais (C’est un X, mais il n’y a pas de Y) (vgl. Kleiber 1993: 39–41, 2001a: 284, 297–304, 315, 322, 347f.). Kleiber entwickelt eine ganze Klassifikation derartiger Relationen. Durch die Beschreibung der assoziativen Anapher anhand einzelner durch die verschiedenen Relationen spezifizierter Unterklassen soll der Gefahr begegnet werden, dass die relativ allgemeine Definition der assoziativen Anapher zu einer übermäßigen Ausweitung dieser Kategorie führt. So unterscheidet Kleiber (1997, 2001a: 263–367, 2001b) zwischen anaphore associative méronymique, anaphore associative locative, anaphore associative actantielle und anaphore associative fonctionnelle. Diese Varianten basieren jeweils auf einer Teil-Ganzes-Relation, auf einer prototypischen Lokalisierung des Referenten des anaphorischen Ausdrucks in Bezug auf den Referenten des Antezedens, auf einer Argumentbeziehung des anaphorischen Ausdrucks zum Prädikat des vorhergehenden Satzes oder auf einer Funktion des Referenten des anaphorischen Ausdrucks in Hinblick auf das Antezedens. Sie unterscheiden sich untereinander in bestimmten Eigenschaften, die sich in der jeweiligen Akzeptabilität oder Inakzeptabilität einzelner assoziativer Anaphern niederschlagen können. Außerdem zeichnen die vorgegebenen Relationen die möglichen inferentiellen Verbindungen und Erwartungen aus Sicht des Rezipienten vor, mit denen sich der Referent des anaphorischen Ausdrucks herleiten lässt. Die Nennung des Antezedens aktiviert gleichzeitig das damit verbundene stereotype Wissen, die konzeptuellen Repräsentationen. Der Referent des anaphorischen Ausdrucks ist in diesen aktivierten Repräsentationen bereits enthalten und damit leicht inferierbar (vgl. Kleiber 1993: 41–43, 2001a: 39–55, 91–100). Es handelt sich bei der Lösung der assoziativen Anapher also um eine so genannte „inférence en avant“ (Kleiber 1993: 41). Dagegen wählt die diskursive Herangehensweise eine ganz andere Erklärung. Hier wird in viel stärkerem Maße die Rolle des Kontexts hervorgehoben. Ob eine assoziative Anapher akzeptabel ist oder nicht, hängt nicht in jedem Fall von einer vorausgesetzten Relation zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Ausdruck ab, sondern auch davon, ob der Kontext eine Verbindung plausibel erscheinen lässt: „[L]es associations en cause [peuvent] fort bien n’avoir qu’un caractère purement occasionnel, c’est-à-dire ne valoir que pour le seul contexte évoqué“ (Charolles 1994b: 70). Die assoziative Anapher erscheint damit primär als diskursives und nicht als ein an lexikalisch-stereotypes Wissen gebundenes Phänomen. Dementsprechend muss der Inferenzprozess, der über die anapho-

85 rische Relation den Referenten des anaphorischen Ausdrucks feststellt, anders ablaufen. Die „inférence remontante“ (Charolles 1994b: 70) kann sich nicht auf eine gewisse Anzahl vorgezeichneter Wege stützen. Sie muss rückwärts blickend eine Erklärung für die Verwendung des definiten Artikels in der anaphorisch verwendeten Nominalphrase finden und deshalb ein mögliches Antezedens und eine Verbindung hierzu unter Zuhilfenahme des Kontexts rekonstruieren (vgl. Charolles 1994b: 70). Damit nähert sich das Verfahren zur Auffindung des Referenten den allgemeinen Prinzipien der Relevanztheorie an. Aus Sicht der lexikalisch-stereotypen Herangehensweise lässt sich der diskursiven Herangehensweise vorwerfen, dass diese die assoziative Anapher nicht genau genug abzugrenzen vermag, zu weit fasst und deshalb auch nichtwohlgeformte Strukturen einschließt bzw. deren Inakzeptabilität nicht erklärt. Außerdem scheint der Charakter einiger auf diskursiven Zusammenhängen beruhender Beispiele zwar sehr wohl assoziativer, weniger aber anaphorischer Art zu sein (vgl. Kleiber 1993: 47–51). Auch wenn sich die diskursive Ausrichtung zu Recht den Vorwurf gefallen lassen muss, die Kategorie der assoziativen Anapher diffus werden zu lassen, so erfasst sie besser die Bedingungen, unter denen sich die assoziative Anapher in ihre diskursive Umgebung einfügt. Z. B. sind einige Fälle, in denen die gleiche Anaphorisierung in unterschiedlichen diskursiven Kontexten einmal akzeptabel erscheint, einmal inakzeptabel, eher in Hinblick auf diese Einbindung in den Diskurs zu erklären. Ebenso verhält es sich mit den assoziativen Anaphern, bei denen der Bezug für die meisten Leser bzw. Hörer klar erscheint, obwohl nicht nur ein einziges Antezedens sinnvoll in Frage kommen würde (vgl. Charolles 1994b: 78–83, Takahashi 1997). In Teil II wird dies in Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang zwischen assoziativen Anaphern und Topikalität noch eine Rolle spielen und näher erläutert werden (s. Kapitel 5.2.2.3, S. 192). Damit deutet sich an, dass einerseits die lexikalisch-semantische Herangehensweise mit dem engeren Zuschnitt der assoziativen Anapher und mit der Betonung der Kontiguitätsrelationen besser geeignet ist, Parallelen zur Metonymie zu ziehen. Dennoch muss sie andererseits zumindest um gewisse diskursive Gesichtspunkte ergänzt werden, damit alle Aspekte der assoziativen Anapher vollständig erklärt werden können. 3.2.2.4 Anapher und Kontinuität Dass Anaphorisierung einen Aspekt der Kontinuität darstellt, ist sowohl bei der Begriffsklärung zur Kontinuität als auch in den Kapiteln zur Anapher selbst angeklungen. Wichtige Gesichtspunkte dieses Zusammenhangs sollen abschließend hervorgehoben werden: So stellt sich die Anapher als ein Instrument dar, das es den Sprechern erlaubt, „de coordonner leur foyer d’attention“ (Cornish 2001: 2) und diesen Bündelungspunkt der Aufmerksamkeit konstant zu halten.

86 Dadurch wird auf formaler Ebene die Verknüpfung von Diskurselementen und deren Weiterführung signalisiert. Unterschiedliche Theorien versuchen, zu erklären, wovon es abhängt, in welcher Form eine Anapher realisiert wird – als Ellipse, als Pronomen, als definite Nominalphrase etc. So werden Anaphern sparsamer kodiert, wenn sie in hohem Maße gegebene Information aufgreifen, die möglichst kontinuierlich weitergeführt wird (geringe Distanz, keine anderen Bezugs-Kandidaten, Aufrechterhaltung über längere Diskursabschnitte; s. auch Kapitel 3.2.1.4, S. 76). Teilweise kommen daneben Faktoren zum Tragen, die die hierarchische Struktur des Diskurses betreffen: Jeweils am Anfang, u. U. auch am Ende eines Abschnitts, tritt eine eher ausführliche Kodierung auf, während innerhalb eines Abschnitts reduzierte Formen wie Pronomen bevorzugt werden. Diese beiden Prinzipien können auf kognitive und pragmatische Gegebenheiten zurückgeführt werden: Befindet sich ein Referent bereits im Zentrum der Aufmerksamkeit und ist er für Sprecher und Hörer präsent, dann genügt eine reduzierte Kodierung; soll er erst etabliert werden, dann muss er ausführlicher kodiert werden. Auf diese Weise kann ein Gleichgewicht zwischen der Griceschen Maxime der Qualität und Modalität auf der einen und der Quantität auf der anderen Seite hergestellt werden (vgl. Huang 2000). Auch hierin zeigt sich die mit dem Begriff der Kontinuität zu erfassende Verschränkung von konzeptueller Ebene und formaler sprachlicher Realisierung. Betont werden muss darüber hinaus, dass Anaphern natürlich nicht nur punktuell an einer Stelle agieren. Es können sich mehrere Anaphern aneinander reihen und auf diese Weise ganze Anaphorisierungsketten bilden, die einen Referenten über längere Diskursstrecken beibehalten. Daneben kann die Weiterführung eines Referenten auch allein auf koreferentiell aufgebauten Ketten beruhen. Während die anaphorische Kette die eventuelle Koreferenz der einzelnen referierenden Ausdrücke nur über die referentielle Abhängigkeit vom jeweiligen Antezedens hervorbringen kann, besteht in der Koreferenzkette die Koreferenz der einzelnen Ausdrücke trotz deren Unabhängigkeit voneinander. Eigennamen, indefinite Nominalphrasen und Pronomen der ersten und zweiten Person sind ein Zeichen dafür, dass die Referenz nicht in Abhängigkeit von einem Antezedens hergestellt wird. Anaphorische Ketten können dagegen unter Verwendung von Pronomen, definiten oder demonstrativen Nominalphrasen zustande kommen (vgl. Corblin 1995: 151–170). Hier ist ganz deutlich, dass anaphorische Ketten Kontinuität auf konzeptueller Ebene voraussetzen, wenn immer wieder auf denselben Referenten zurückgegriffen wird und die einzelnen anaphorischen Elemente des Diskurses untereinander verbunden sind. Konzeptuelle Kontinuität wird auch im Fall indirekter Anaphern, seien sie pronominal oder assoziativ, auf der formalen Ebene widergespiegelt und betont, obwohl der intendierte Referent der Anapher von dem des Antezedens leicht abweicht. Indem jedoch der anaphorische Ausdruck die referentielle Abhängigkeit

87 und die Aufrechterhaltung des Fokus deutlich macht, rückt die konzeptuelle Verbindung zwischen den Repräsentationen der Referenten in den Vordergrund. Es wird also möglich, Neues, dem Fortschreiten des Diskurses Dienliches, im Gewand des Gegebenen einzubringen und so letztendlich die Kontinuität zu wahren. Damit wurde insgesamt der allgemeine Charakter der Anapher – referentielle Abhängigkeit, Wiederaufnahme und Aufrechterhaltung des Aufmerksamkeitsfokus – dargestellt und eine kognitive Sichtweise angenommen, die die konzeptuelle Repräsentation des Diskursinhalts als Bereich zur Auffindung des Antezedens miteinbezieht. Sowohl die direkte als auch die indirekte Anapher wurden in ihrer Rolle für Kontinuität beschrieben. Inwiefern im Fall der Metonymie die Verbindung von Quell- und Zielkonzept dazu verwendet werden kann, anaphorisch eines von beiden weiterzuführen, welchem der beiden jeweils der anaphorische Ausdruck entspricht und inwiefern dies zu Kontinuität beiträgt, wird im folgenden Teil II zu klären sein.

3.3

Zusammenfassung

Ziel des Kapitels war es, die Begriffe der Kontinuität und Kohärenz zu klären und mit informationeller Gegebenheit, Topiks und Anaphern wichtige Faktoren für Kontinuität näher zu beleuchten. Zunächst wurden die Begriffe der Kohärenz und Kohäsion betrachtet, die beide den Zusammenhang zwischen sprachlichen Einheiten erfassen und als Textualitätskriterien dienen können. Kohärenz beschreibt die sinnvolle Verknüpfung zwischen den einzelnen im Diskurs aufgerufenen Konzepten und erfasst die Tatsache, dass es dem Rezipienten anhand des betreffenden Diskurses möglich ist, eine zusammenhängende, in sich stimmige Repräsentation des Dargestellten zu rekonstruieren. Kohäsion dagegen bezieht sich auf die formalen Mittel zur Herstellung eines sprachlichen Zusammenhangs, wie Anaphorisierung und Rekurrenzen, Tempus, Konnektoren etc. Kohäsion ist damit weder notwendig noch hinreichend zur Herstellung von Kohärenz. Dennoch besteht normalerweise eine gegenseitige Beeinflussung zwischen beiden Größen. Wenn Kohärenz als zusammenhängender konzeptueller Aufbau gegeben ist, dann ist es nur wahrscheinlich, dass sich dies auf formaler Ebene als Kohäsion widerspiegelt. Umgekehrt ist es bei bestehender Kohäsion durch die formalen Hinweise auf die Zusammenhänge für den Rezipienten einfacher, die Kohärenz des Diskurses in seiner mentalen Repräsentation der Inhalte zu rekonstruieren. Diesen Berührungspunkt erfasst der Begriff der Kontinuität. Kontinuität soll verstanden werden als die Fortführung einer Entität im linearen Verlauf des Dis-

88 kurses sowohl unter Berücksichtigung der konzeptuellen Dimension als auch der sprachlichen Realisierung. Ersteres äußert sich insbesondere auf informationsstruktureller Ebene: Bereits gegebene Information kann kontinuierlich beibehalten werden, und es können Verankerungspunkte für neu hinzutretende Information geschaffen werden. Diese kontinuierliche Fortführung von Information schlägt sich auf sprachlicher Ebene in der Verwendung von anaphorischen Wiederaufnahmen nieder. Somit ist auf der Ebene der Informationsstruktur zunächst die Unterscheidung von gegebener und neuer Information für eine genauere Vorstellung von Kontinuität relevant. Sie beruht darauf, dass verschiedene Aktivierungszustände von Informationen bzw. Konzepten im Diskurs angenommen werden. Diese können – den verschiedenen Terminologien und leicht abweichenden Konzeptionen von z. B. Chafe (1987) und Prince (1981) folgend – im Bewusstsein der Gesprächspartner aktiviert, semi-aktiv oder inaktiv bzw. situationell oder textuell evoziert, von anderen Elementen ableitbar oder ganz neu sein. Im folgenden soll uns die grobe Unterscheidung in neue, gegebene und ableitbare Informationen genügen, wobei sich diese Zustände auf das in der mémoire discursive enthaltene Wissen (Wissen über die Diskurssituation, den vorangegangenen Diskurs, Weltwissen) stützen. Daraus ergibt sich eine jeweils unterschiedliche sprachliche Kodierung: Je neuer ein Element ist, desto ausführlicher muss die Kodierung ausfallen, um die Referenz eindeutig herstellen zu können. Außerdem darf nur eine begrenzte Menge an neuer Information in einer diskursiven Einheit eingebracht werden, um die Verarbeitbarkeit zu gewährleisten. So besteht die generelle Tendenz, bereits Gegebenes wieder aufzugreifen. Außerdem muss das Begriffspaar aus Topik und Kommentar berücksichtigt werden. Es spiegelt eine Adskriptionsrelation wider, bei der das Topik den Ausgangspunkt für die Hinzufügung einer Information (Kommentar) im Sinne einer aboutness-Relation stellt. Auch wenn es ganz neue Topiks gibt, tendieren Topiks generell dazu, als gegebene oder zumindest ableitbare Information realisiert zu werden. Das Vorhandensein gegebener Information ermöglicht die Herstellung von Kontinuität als Ausgleich zur Progression durch die neu hinzutretende Information. Progression kann in verschiedenen Mustern auftreten: linear, mit konstantem oder mit abgeleitetem Topik. Die Anapher als formale Manifestation der Kontinuität, der Weiterführung eines Referenten, besteht in der Relation zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken, von denen der nachfolgende, der anaphorische Ausdruck, vom vorhergehenden, dem Antezedens, referentiell abhängig ist. Die Bestimmung der Referenz kann nur über den Bezug zum Antezedens erfolgen. Gleichzeitig muss durch diesen Rückwärtsblick eine Wiederaufnahme getätigt werden. Realisiert wird die Anapher über verschiedene sprachliche Formen, wie z. B. Pronomen oder definite Nominalphrasen. Kognitive Ansätze konzipieren den Bereich für die Auffindung

89 des Antezedens relativ weit als die mentale Repräsentation des im Diskurs Besprochenen. Die Anapher erhält den Fokus der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil dieser Repräsentation weiter aufrecht. Zu unterscheiden sind die direkte und die indirekte Anapher. Bei Ersterer ist der Referent direkt über ein Antezedens im Kotext bzw. über die damit verbundene mentale Repräsentation auffindbar, bei Letzterer muss der Referent indirekt über Kontiguität in Bezug auf die konzeptuelle Repräsentation des formalen Antezedens inferiert werden. Die indirekte Anapher kann durch Pronomen realisiert werden, wenn es sich um einen Referenten mit einem hohen Grad an Gegebenheit handelt. Der anaphorische Ausdruck kann je nach bestimmten Faktoren, wie z. B. dem Grad der Gegebenheit der betreffenden Informationselemente, mit dem sprachlichen oder dem konzeptuellen Antezedens kongruieren. Bei der indirekten Wiederaufnahme durch eine definite Nominalphrase – der anaphorische Charakter wird durch den definiten Artikel deutlich, auch wenn keine Koreferenz zum Antezedens besteht – spricht man von assoziativer Anapher. Diese basiert v. a. auf stereotypisch-lexikalischer Kontiguität, ist aber nicht frei von diskursiven Einflussfaktoren. Mit der Wiederaufnahme und der Aufrechterhaltung des Aufmerksamkeitsfokus von Sprecher und Hörer erfüllt die Anapher eine kontinuitätsstiftende Funktion. Dies ist umso deutlicher der Fall, wenn es nicht nur zu einer einmaligen Wiederaufnahme, sondern zur Realisierung ganzer anaphorischer Ketten kommt. Auch die indirekte Anapher betont durch ihre rückverweisende Form die Kontinuität des Dargestellten und entfaltet ihre integrative Wirkung. In den folgenden Kapiteln wird es deshalb um die Möglichkeiten der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke und deren spezielle Eigenschaften gehen. Zuvor seien aber in einer thematisch geordneten Übersicht nochmals die wichtigsten Begriffe und deren Verwendungsweise zusammengefasst, wie sie in diesem gesamten ersten Teil eingeführt wurden und wie sie im Laufe der weiteren Ausführungen immer wieder auftauchen werden:

90 M ETONYMIE Relation zwischen den Elementen einer konzeptuellen Repräsentationseinheit (z. B. als Frame modelliert) oder zwischen Kontiguität der ganzen Einheit und ihren Elementen; „Nachbarschaftsbeziehung“ zwischen Konzepten. Konzeptualisierungsmechanismus, bei dem ein salientes Konzept auf ein anderes Konzept verweist/mentalen Zugang zu diesem verschafft, wobei beide Konzepte durch eine Kontiguitätsrelation verbunden sind; dieser Mechanismus manifesMetonymie tiert sich sprachlich, indem ein Ausdruck über seine Bedeutung und das normalerweise damit verbundene konzeptuelle Wissen auf ein dazu kontiges Konzept verweist und so eine indirekte Referenz herstellt. „Ausgangskonzept“, von dem aus bei einer Metonymie durch eine Kontiguitätsrelation auf ein weiteres Konzept verwiesen Quellkonzept wird (dieser Ausdruck wird analog auch im Zusammenhang mit der Charakterisierung der Metapher verwendet). Konzept, auf das bei einer Metonymie über ein anderes dazu kontiges Konzept verwiesen wird (dieser Ausdruck wird Zielkonzept analog auch im Zusammenhang mit der Charakterisierung der Metapher verwendet). Sprachlicher Ausdruck (Zeicheninhalt und Zeichenausdruck), von dem aus über das mit der sprachlichen Bedeutung normaMetonymischer lerweise verbundene konzeptuelle Wissen (Quellkonzept) auf Ausdruck ein Zielkonzept verwiesen und ein Referent auf metonymische Weise indirekt bezeichnet wird. Metonymie, die auf einer Kontiguitätsrelation innerhalb einer Framebasierte als Frame modellierbaren Repräsentation basiert, die zeitlich nicht begrenzt und an keine bestimmte Situation gebunden ist Metonymie (z. B. Produkt-Produzent-Relation). Metonymie, die auf einer Kontiguitätsrelation zwischen Rollen innerhalb einer als Skript modellierbaren Repräsentation Situationsbasiert, die nur zeitlich begrenzt in einer speziellen Situatibasierte on vergeben werden (z. B. Gast-Essen-Relation innerhalb des Metonymie Restaurant-Skripts). Referentielle Metonymie

Metonymie, deren Ausgangspunkt ein einzelner (eventuell komplexer) Ausdruck ist.

Propositionale Metonymie

Metonymie, deren Ausgangspunkt eine ganze Proposition ist.

91

Generalität/ Facetten

Hypallage

Syllepse

Metapher

Diskurs

Kohärenz

Kohäsion Kontinuität

M ETONYMIEÄHNLICHE S TRUKTUREN Bezug einer lexikalischen Einheit auf ein Wirklichkeitssegment, das konzeptuell weiter unterteilbar wäre (Generalität); die konzeptuellen Untereinheiten entsprechen den Facetten. Syntagmen, in denen der syntaktische Skopus eines Attributs nicht mit dessen semantischem Skopus zusammenpasst; z. B. bezieht sich ein Adjektiv semantisch nicht auf das syntaktische Bezugswort, sondern auf ein Konzept in Kontiguität zum mit dem syntaktischen Bezugswort verbundenen Konzept (dieses kann durch eine weitere Nominalphrase ausgedrückt werden oder implizit bleiben). Gebündelte Bezugnahme auf zwei unterschiedliche Sachverhalte durch die Verwendung eines einzigen Wortes zugleich in wörtlichem und übertragenem (z. B. metonymischem) Sinn. Konzeptualisierungsmechanismus, bei dem die Struktur eines Konzepts als Folie auf ein zweites Konzept übertragen wird, sodass aufgrund der so hervortretenden Ähnlichkeitsrelation letzteres im Lichte des Ausgangskonzepts verstanden wird; dieser Mechanismus kann sich sprachlich manifestieren, indem ein Ausdruck über seine Bedeutung und das normalerweise damit verbundene konzeptuelle Wissen auf ein in bestimmten zu betonenden Punkten ähnlich strukturiertes Konzept verweist und so eine indirekte Referenz herstellt. KONTINUITÄT UND KOHÄRENZ Jegliche verbale Äußerung in ihrer sprachlichen und situationellen Dimension unter Betrachtung aus einer prozessbezogenen, an Kontext, kommunikativen Aspekten sowie mentaler Strukturierung interessierten Perspektive. Sinnvolle Verknüpfung zwischen den einzelnen im Diskurs evozierten Konzepten (textzentrierte Perspektive); Möglichkeit zur Rekonstruktion einer in sich stimmigen Repräsentation des Dargestellten anhand des Diskurses (verwenderzentrierte Perspektive). Formale Mittel zur Herstellung eines sprachlichen Zusammenhalts. Schnittmenge von Kohärenz und Kohäsion; formale und konzeptuelle sukzessive Weiterführung einer Entität im Diskurs.

92

gegeben/ ableitbar/ neu

I NFORMATIONSSTRUKTUR UND A NAPHER Beschreibt den Informationsstatus einer Informationseinheit, der sich auf das in der mémoire discursive enthaltene Wissen (Wissen über die Diskurssituation, Wissen über den Verlauf des Diskurses, Weltwissen) gründet.

Topik/ Kommentar

Topik: Aussagegegenstand, Kommentar: über das Topik Ausgesagtes.

Eingliederung von neuer Information in den Diskurs unter Wahrung der Kontinuität; Differenzierung von 3 Haupttypen: Progression mit konstantem Topik (vorhergehendes ToInformationelle pik wird beibehalten), lineare Progression (vorhergehender Progression Kommentar bzw. ein Teil davon wird zum neuen Topik), Progression mit abgeleitetem Topik (eine aus dem vorhergehenden Topik oder Kommentar abgeleitete Information wird zum neuen Topik). Relation zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken, wobei der nachfolgende, der anaphorische Ausdruck, vom vorhergehenAnapher den, dem Antezedens, für die Herstellung seiner Referenz abhängig ist, wodurch eine Wiederaufnahme stattfindet. Anapher, bei der der Referent des anaphorischen Ausdrucks nicht direkt über die Identität mit dem Referenten des formaIndirekte len Antezedens erschlossen werden kann, sondern über ein Anapher kontiges Konzept zu dem Konzept, das mit dem Antezedens verbunden ist, inferiert werden muss. Indirekte prono- Indirekte Anapher, in der der anaphorische Ausdruck ein Prominale Anapher nomen ist. Assoziative Anapher Anaphorische Kette Referentielle Kette

Indirekte Anapher, in der der anaphorische Ausdruck eine definite Nominalphrase ist. Bezugnahme auf eine konzeptuelle Entität bzw. auf denselben Referenten über mehrere aufeinander folgende anaphorische Wiederaufnahmen hinweg. Bezugnahme auf eine konzeptuelle Entität bzw. auf denselben Referenten durch mehrere aufeinander folgende koreferente Ausdrücke (ohne die referentielle Abhängigkeit der Anapher).

Teil II Korpusgestützte Untersuchung

4

Empirisches Vorgehen

An den Beginn des Teils II sei das kurze Kapitel 4 gestellt, das einleitend die Vorgehensweise bei der empirischen Arbeit erörtern soll. Darauf aufbauend widmen sich dann Kapitel 5 und 6 der Analyse der aus der Korpusuntersuchung gewonnenen Beispielausschnitte, die die Interaktion von Metonymien und Diskurskontinuität bzw. Kohärenz belegen und charakterisieren. Dabei werden die in den Kapiteln 2 und 3 erlangten Erkenntnisse zusammengeführt. In Hinblick auf die Auswertung des Korpus ist zunächst zu begründen, nach welchen Gesichtspunkten selbiges zusammengestellt wurde (Kapitel 4.1). Anschließend werden in Kapitel 4.2 die speziellen Probleme, die sich bei der Extraktion metonymischer Ausdrücke aus einem Korpus ergeben, thematisiert. Diese bestimmen zum Teil auch die konkrete Vorgehensweise bei der Gewinnung der Beispiele aus dem vorliegenden Korpus und bei ihrer Systematisierung (Kapitel 4.3).

4.1

Zusammenstellung des Korpus

Wie schon in der Einleitung begründet, soll sich die vorliegende Untersuchung auf authentische Beispiele stützen. Dies erscheint eine sinnvolle Ergänzung, da viele der bisherigen Arbeiten zur Metonymie fast ausschließlich mit konstruierten Sätzen argumentieren. Stefanowitsch (1996: 8f.) zeigt folgende Vorteile auf, die das Verfahren der Korpusanalyse speziell für die Erforschung der Metonymie und der Metapher hat: Ganz allgemein kann der Gewinn durch die vielfältigere Datengrundlage für Untersuchungen hervorgehoben werden. Eine solche kann dazu führen, dass neue, bisher noch nicht diskutierte Übertragungen aufgefunden werden: A corpus-based analysis of conceptual mappings is faced with and must account for a much broader range of data than introspective/opportunistic approaches. In many cases, this richness of the data inevitably leads to new insights. It may, for example, necessitate a reanalysis of the way that a mapping is best defined. (Stefanowitsch 2006: 6)

94 Quantitative, auf Korpora gestützte Untersuchungen helfen darüber hinaus, die Systematik im Auftreten von Übertragungen zu erkennen und die ungerechtfertigte Hervorhebung einzelner metaphorischer und metonymischer Übertragungen zurechtzurücken, die durch die Wiederholung der immer gleichen, häufig konstruierten Beispiele in bisherigen Ansätzen u. U. zustande gekommen sein könnte. Ferner können formale Unterschiede zwischen der wörtlichen und der metaphorischen oder metonymischen Verwendung einer lexikalischen Einheit festgestellt oder Rückschlüsse auf den Grad der Konventionalisierung von Strukturen gezogen werden. Auch in Hinsicht auf sprachvergleichende Studien zu Metonymien und Metaphern, die die Forschung bisher aufgrund einer Übergewichtung englischer Beispiele vernachlässigt hat, sowie für diachronische Gesichtspunkte ist die Korpusanalyse unerlässlich (Stefanowitsch 2006: 6–8). Für die vorliegende Arbeit besonders wichtig ist die Perspektive, Metonymien in Bezug zu ihrer diskursiven Umgebung zu setzen, die sich erst durch die Analyse von authentischen Diskursen erschließt: „Corpus-based approaches to conceptual mappings also allow the researcher to investigate a range of textual and contextual properties of metaphor and metonymy that cannot be captured by introspective/opportunistic methods at all“ (Stefanowitsch 1996: 8). Dies kann vom Auftreten bestimmter Metonymien oder Metaphern in bestimmten Arten von Diskursen über deren kommunikative Funktion und potentielle gegenseitige Beeinflussung einzelner Metonymien und Metaphern im Diskurs bis eben hin zur Interaktion von Metonymien und Diskursstruktur reichen. Somit ergibt sich die Notwendigkeit, die Belege für die These einer Interaktion von Metonymien und Diskurskontinuität aus einem Korpus zu extrahieren. Versteht man den Begriff Korpus mit Habert, Nazarenko und Salem (1997: 44) als „collection de données langagières qui sont sélectionnées et organisées selon des critères linguistiques explicites pour servir d’échantillon du langage“, so muss man begründen, welche „critères linguistiques explicites“ zur Aufnahme einzelner Texte in das Korpus geführt haben. Das verwendete Korpus umfasst fünf Ausgaben des wöchentlich erscheinenden, jeweils ca. 60-seitigen französischen Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur aus dem Zeitraum von Oktober 2005 bis März 2006. Berücksichtigt wurde nur der redaktionelle Inhalt, nicht aber Werbung. Damit handelt es sich um ein Korpus der geschriebenen Sprache, das sich auf Pressetexte eines Nachrichtenmagazins stützt. Die vorkommenden Texte erreichen dabei eine relative Vielfalt von Berichten über Analysen und Reportagen hin zu Kommentaren, Glossen und Leserbriefen. Die Länge der einzelnen Artikel variiert stark zwischen Kurzmeldungen im Umfang einer Viertelseite und weniger bis hin zu längeren Texten von bis zu fünf Seiten. Der Umfang des Korpus bewegt sich in einer Größenordnung von ca. 200.000 Wörtern. Das ausschließlich aus Pressetexten bestehende Korpus stellt damit kein Referenzkorpus dar, das einen Querschnitt der französischen Gegenwartssprache repräsentieren würde, sondern ein Spezialkorpus, dessen Zusam-

95 menstellung bewusst beschränkt wurde. Die Gründe für die Auswahl der Texte des Korpus sollen im Folgenden dargelegt werden. Als Erstes ist die Auswahl des schriftlichen im Gegensatz zum mündlichen Diskurs zu begründen. Um herauszufinden, inwiefern die Metonymie für Diskurskontinuität eine Rolle spielt, muss – entsprechend der in Kapitel 1 zusammengetragenen Hinweise und der daraus entwickelten Hypothesen zur Kontinuitätsfunktion der Metonymie – nachgeprüft werden, ob die Metonymie u. a. daran beteiligt ist, bestimmte Informationen, die dann auch meist das Topik bilden, über längere Abschnitte anaphorisch fortzuführen und nahtlos auf neue Referenten überzuleiten. Die Einführungs- und Überleitungsfunktion wird in solchen Diskursen Verwendung finden, in denen eine hohe Zahl neu einzuführender Referenten dazu zwingt, besondere Strategien zu deren Bewältigung einzusetzen. Für die Untersuchung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke kommt es vor allem darauf an, Diskurse zu wählen, die relativ viele nominale Anaphern enthalten, die wiederum von metonymischen Prozessen betroffen sein können. Hierzu erweisen sich die Korpusuntersuchungen von Biber, Conrad und Reppen (1998: 108–122) zur Beschreibung von Referenztypen in gesprochener und geschriebener Sprache als aufschlussreich.1 Diese Untersuchungen brachten zutage, dass konzeptionell mündlicher Diskurs weitaus mehr gegebene Referenten (über 70 %) beinhaltet als konzeptionell schriftlicher Diskurs. Im schriftlichen Diskurs war der Anteil neuer Referenten (teilweise über 65 %) deutlich höher. Ähnliches hatte sich schon bei Prince (s. Kapitel 3.2.1.2, S. 72) angedeutet. Zudem enthält gesprochene Sprache meist einen viel höheren Anteil an exophorischen bzw. deiktischen Pronomen als geschriebene Sprache. In geschriebenen Diskursen ist dafür der Anteil anaphorischer Pronomen und v. a. nominaler Anaphern sehr viel höher. Dies rührt daher, dass geschriebener Diskurs generell meist komplexer und dichter angelegt ist, während in mündlicher Konversation häufig auf Elemente der von Sprecher und Hörer geteilten Kommunikationssituation Bezug genommen wird und Sprecher und Hörer sich selbst relativ häufig über die Pronomen der ersten und zweiten Person in das Gespräch einbeziehen. Auch Koch und Oesterreicher (1990: 9) stellen dies fest, indem sie einen starken „Referenzbezug auf die Sprecher-origo“ als ein Anzeichen für konzeptionelle Mündlichkeit aufführen. Die beiden genannten Faktoren – eine relativ hohe Anzahl neuer Referenten und eine relativ hohe Anzahl pronominaler und insbesondere nominaler Anaphern – sprechen also für die Verwendung von konzeptionell schriftlichen Diskursen bei der zu behandelnden Fragestellung. Damit soll jedoch nicht behauptet werden, dass die Metonymie in konzeptionell mündlichen Diskursen keine Rolle spielen würde. Lediglich ist von den hier fokussierten Funktionen der Metonymie für Diskurskontinuität zu erwarten, 1

Zwar beziehen sich Biber, Conrad und Reppen (1998: 108–122) aufs Englische, aber es ist wahrscheinlich, dass es sich hierbei um generelle Gegensätze von konzeptionell mündlichen und schriftlichen Diskursen handelt, die ähnlich auch für das Französische angenommen werden können.

96 dass sie vermehrt in konzeptionell schriftlichen Diskursen zu finden sein werden. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Metonymie in konzeptionell mündlichen Diskursen ähnliche Aufgaben übernimmt, aber es ist anzunehmen, dass das Auftreten der Metonymie hier leicht abweichende Schwerpunkte zeigt, z. B. eine vermehrte Verwendung dessen, was als situationsbezogene von der framebezogenen Metonymie unterschieden wurde (s. Kapitel 2.2.2.1, S. 44). Letztlich kann das Zutreffen dieser Annahmen nur durch weitere Untersuchungen an der gesprochenen Sprache geklärt werden. Als Zweites muss die Auswahl der Art der Texte gerechtfertigt werden. Dabei ist zunächst auf die generellen Vorteile hinzuweisen, die Pressetexte aus einem nicht weiter spezialisierten Nachrichtenmagazin wie dem Nouvel Observateur im vorliegenden Zusammenhang haben: Sie bewegen sich auf einem relativ allgemeinsprachlichen Niveau, sind an ein breites Publikum gerichtet und decken ein breites Themenspektrum (Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft) ab. Diese breite Ausrichtung soll verhindern, dass nur fachsprachliche oder themenspezifische Metonymien erfasst werden. Außerdem bilden sie – im Gegensatz zu manchen poetischen und fiktiven Texten, die deshalb von vornherein ausgeschlossen werden sollen – mehr oder weniger die Realität und damit die für die Metonymie wichtigen Kontiguitäten innerhalb unserer Repräsentationen der Welt ab und organisieren Kohärenz, Kohäsion und Kontinuität nach konventionellen Prinzipien (vgl. Lecolle 2003: 153–156, De Beaugrande/Dressler 1981: 191f.). Wie schon bei der Begründung für die Verwendung von schriftlichen Diskursen hervorgehoben wurde, ist es für die vorliegenden Analyseziele wichtig, Diskurse mit relativ vielen unterschiedlichen und relativ vielen neu einzuführenden Referenten sowie der Tendenz zu anaphorischer Wiederaufnahme derselben zur Verfügung zu haben. In diesem Punkt erscheint auch die Wahl der Art der Texte nicht unwesentlich. Übereinstimmend mit der Unterscheidung von Text aus produktbezogener Sichtweise und Diskurs aus prozessbezogener, auf mentale Strukturierung ausgerichteter Sichtweise ist es sinnvoll, grundsätzlich zwei Aspekte zu unterscheiden: Der produktbezogenen Sichtweise entsprechen Typologien, die sich auf die Verwendung des Texts als Gesamtprodukt nach externen Kriterien und sozialen Konventionen beziehen. In diesem Zusammenhang wird im Folgenden von Textsorten die Rede sein. Der prozessbezogenen Sichtweise entsprechen Typologien, die sich auf die interne sprachliche Strukturierung des Diskurses beziehen. Diesbezüglich soll von Diskurstyp die Rede sein (vgl. Roulet et al. 2001: 307–312, Adam 1992: 11–17). In Bezug auf Diskurstypen kann anhand von referentiellen und diskursiven Eigenschaften zwischen narrativen, deskriptiven und deliberativen Sequenzen unterschieden werden (vgl. Roulet et al. 2001: 307–350). Narrative Sequenzen zeichnen sich durch eine jeweils relativ gleichförmige Superstruktur der praxeologischen Repräsentation einer Geschichte (Ausgangszustand, Komplikati-

97 on, Handlung, Lösung und Endzustand) aus, d. h. durch die Anordnung von Handlungen und Ereignissen in einer mehr oder weniger chronologischen Reihenfolge. Außerdem ist für narrative Sequenzen die Schaffung einer von der realen Welt räumlich und zeitlich getrennten Diskurswelt charakteristisch. Häufig treten temporale Abfolgen und Markierungen der Ereigniskette hinzu. Eine deskriptive Sequenz trägt ebenso eine eigene Strukturierung in sich: Sie formiert sich um die zu beschreibende Entität, die dafür den Anknüpfungspunkt bildet, und beschäftigt sich – gestützt auf die konzeptuelle Repräsentation der Entität – mit Teilen und Eigenschaften derselben sowie mit ihren Relationen zu weiteren Entitäten. Die deliberative Sequenz enthält alle anderen Arten, die sich nicht unter den narrativen und deskriptiven Diskurstyp einordnen lassen. Adam (1992: 17, 105–142) differenziert hierfür noch genauer zwischen argumentativem und explikativem Typ. Argumentative Sequenzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Verbindung zwischen bestimmten Tatsachen und einer daraus zu ziehenden Schlussfolgerung aufbauen. Der explikative Typ ergänzt einen problematischen, unklaren oder unvollständigen Sachverhalt mit einer vollständigen und erklärenden Darstellung. Festzustellen ist nun, ob ein Zusammenhang zwischen Diskurstyp einerseits und Art und Häufigkeit der referierenden Ausdrücke sowie Anaphorisierung andererseits auszumachen ist. Zu erwarten ist, dass in narrativen Diskurssequenzen normalerweise immer wieder auf dieselben Hauptpersonen Bezug genommen wird. Außerdem wird ein großer Teil ihrer Strukturierung durch die sequentielle Abfolge der zu schildernden Ereignisse, also durch temporale Relationen, und weniger über die konzeptuellen Relationen zwischen einzelnen Referenten gewährleistet (vgl. De Beaugrande/Dressler 1981: 190, Werlich 1979: 35). Beides macht narrative Diskurse für diese Arbeit weniger interessant. Dagegen erscheinen Sequenzen des deskriptiven, explikativen und argumentativen Diskurstyps besser geeignet, da sie auf verschiedene Entitäten, die damit verbundenen konzeptuellen Repräsentationen und Beziehungen und die Wiederaufnahme und Entwicklung von Teilaspekten ausgerichtet sind. Deskriptive Sequenzen sind eher um einzelne Entitäten gruppiert, deren konzeptuelle Repräsentationen als Ausgangs- und Ableitungspunkt für die weiteren Ausführungen dienen, während im argumentativen und explikativen Diskurstyp von Satz zu Satz neue Relationen zwischen unterschiedlichen Entitäten hergestellt werden. Für die Einbeziehung des argumentativen Diskurstyps spricht außerdem, dass dort in höherem Maß das Auftreten von Subjektivität, kreativen Ausdrucksmitteln und das Spiel mit Konnotationen zu erwarten ist. Dies wiederum sind Faktoren, die zum Auftreten von Metonymien beitragen können (vgl. Kirstein 1997: 45–50, 369). Allerdings betreffen die Diskurstypen jeweils nur einzelne Sequenzen eines Texts. Sie zu isolieren, ist also schwierig. Es ist aber plausibel anzunehmen, dass bestimmte Textsorten dazu tendieren, vorrangig bestimmte Diskurstypen zu verwenden (vgl. Grosse 200: 15). Dieser Zusammenhang sollte bei der Aus-

98 wahl der Texte für das Korpus berücksichtigt werden. Interessant könnten eben Pressetexte, wie die des Nouvel Observateur, sein. In einem Überblick ordnet Grosse (2000: 32f.) Zeitungs- und Pressetexte in die Kategorien von informationsbetonten im Gegensatz zu meinungsbetonten Texten ein. Zur Kategorie der informationsbetonten Texte gehören u. a. Berichte, Kurzmeldungen, Reportagen und Portraits. Zur Kategorie der meinungsbetonten Texte zählt Grosse Kommentar, Kritik und Leserbrief. Eine Mischkategorie bilden Analysen und Interviews. Aufgrund der unterschiedlichen Intentionen der Textsorten, wie sie sich in der Kategorisierung von Grosse widerspiegeln, kann angenommen werden, dass in informationsbetonten Textsorten deskriptive Passagen, eventuell verbunden mit narrativen Sequenzen, überwiegen, während in meinungsbetonten Textsorten eher der explikative und argumentative Diskurstyp und dessen jeweilige strukturelle und sprachliche Eigenschaften zu finden sind. Diese Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Diskurstyp bzw. Textsorten und bestimmten referentiellen Eigenschaften werden durch einzelne Korpusanalysen gestützt, so bei Swanson (2003). Sie kommt anhand von Korpusanalysen bezüglich Koreferenzbeziehungen zu folgenden Ergebnissen:2 Bei der Untersuchung von drei Gruppen – narrativ angelegte fiktionale Texte, argumentativ ausgerichtete Texte aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften und informationsbetonte Artikel aus einem politischen Wochenmagazin – fällt auf, dass in den fiktionalen Texten mit vielen narrativen Sequenzen der höchste Anteil an koreferentiellen Beziehungen auftritt, aber diese bis auf sehr wenige Ausnahmen immer mit Rückbezug auf genau den gleichen Referenten realisiert sind. Im Fall der beiden anderen Gruppen ergibt sich ein ausgewogeneres Bild zwischen bloßer Reiteration derselben Entität und Wiederaufnahme von Teilaspekten oder übergeordneten Aspekten. Was die Art der durch Koreferenz verbundenen Referenten angeht, so bilden in den fiktionalen Texten mit narrativem Schwerpunkt Personen die weitaus größte Gruppe, in den Nachrichtentexten wird vorzugsweise auf Personen, Ereignisse und Konzepte Bezug genommen, während in akademischen Texten insbesondere auf Orte und Konzepte referiert wird (Swanson 2003: 175–189). Außerdem stellen Biber, Conrad und Reppen (1998: 108– 122) Untersuchungen zur Dichte von referierenden Ausdrücken in unterschiedlichen Textsorten an. Für deskriptiv ausgerichtete Nachrichtentexte kann eine im Vergleich zu anderen Texten hohe Anzahl von referierenden Ausdrücken im Allgemeinen festgestellt werden. Daneben zeichnen sich Nachrichtentexte und argumentativ geprägte wissenschaftliche Texte durch einen sehr hohen Anteil neu eingeführter Referenten aus. Somit zeigt sich, dass der deskriptive, der explikative und der argumentative Diskurstyp bzw. Textsorten, deren Verwendung auf Informations- und Mei2

Wiederum beziehen sich die Untersuchungen von Swanson (2003: 175–189) auf das Englische, aber in den Grundzügen sind die Erkenntnisse wahrscheinlich auf das Französische übertragbar. Dies gilt ebenso für die Ergebnisse von Biber/Conrad/Reppen (1998: 108–122), auf die zusätzlich anschließend Bezug genommen wird.

99 nungsübermittlung ausgerichtet ist, am besten als Analysegrundlage geeignet sind. Der Vorteil des Nouvel Observateur ist, dass er eine Vielzahl unterschiedlicher informationsbezogener und meinungsbezogener Textsorten mehr oder weniger ausgewogen kombiniert. Es ist also wahrscheinlich, dass eine solche Mischung, wie sie im Nouvel Observateur vorliegt, die für das Korpus geforderten Eigenschaften mitbringt, nämlich eine hohe Anzahl an unterschiedlichen und neu einzuführenden Referenten, (partielle) Koreferenz, anaphorische Wiederaufnahmen und die Darstellung argumentativer Zusammenhänge.

4.2

Probleme bei der Extraktion metonymischer Ausdrücke aus dem Korpus

Ist das Korpus einmal zusammengestellt, so bleibt festzulegen, wie bei der Extraktion der Beispiele und ihrer Analyse vorgegangen werden soll. Dies erweist sich gerade für Phänomene wie die Metapher und die Metonymie als sehr schwierig. Generell konstatiert Stefanowitsch (2006: 1) ein Defizit der Metaphernund Metonymieforschung in Bezug auf korpusgestützte Untersuchungen im Vergleich zu anderen Gebieten der Linguistik. Dieser Mangel begründet sich in erster Linie aus der Schwierigkeit, die entsprechenden Daten zu identifizieren und zu extrahieren, da die Metapher und die Metonymie nicht an eine festgelegte sprachliche Form gebunden sind. Wie in Kapitel 1.2 (s. S. 8) ausgeführt wurde, manifestiert sich die Metonymie nur sehr selten durch typographische Merkmale oder morphosyntaktische Abweichungen. Sie ist nicht an spezielle Lexeme gebunden und erschließt sich meistens nur auf der Ebene der Bedeutung durch semantische Inkongruenzen. So macht Paillard speziell zur Hypallage eine Aussage, die ohne weiteres auch auf die Metonymie zutrifft: „Using corpus data to investigate these syntactico-semantic patterns is far from straightforward as they cannot be searched for on the basis of form“ (Paillard 2002: 175). Im Folgenden werden verschiedene Lösungsstrategien für korpusbasierte Analysen zur Metonymie und ihre Probleme vorgestellt. Verschiedene denkbare Suchstrategien zu Metonymien und Metaphern bieten jeweils verschiedene Vor- und Nachteile: Die erste Möglichkeit ist die manuelle Vorgehensweise, bei der man das Korpus „von Hand“ durchsucht und durch sorgfältige Lektüre möglichst alle Metaphern- bzw. Metonymievorkommen festzustellen versucht. Natürlich birgt diese Methode einige Probleme, nämlich dass nur relativ begrenzte Korpora bearbeitet werden können, dass Vorkommen übersehen werden können und damit eine subjektive Färbung der Ergebnisse eintritt. Eine Alternative besteht in der Beschränkung der Untersuchung auf einzelne Fälle, die dann eine automatische Extraktion realisierbar macht. Man kann ein

100 lexikalisches Feld eingrenzen, von dem man weiß, dass es in bestimmten Metonymien bzw. Metaphern als Quellbereich eine Rolle spielt. So wäre es denkbar, sich z. B. auf Metonymien zu spezialisieren, in denen der metonymisch verwendete Ausdruck eine Ortsangabe ist und Übertragungen auf Bewohner, Institutionen etc. zulässt. Das Vokabular des Wortfelds in diesem Quellbereich (also alle möglichen Ortsbezeichnungen) muss sodann zusammengestellt und extrahiert werden, woraufhin die einzelnen Ergebnisse auf das Vorliegen einer Metonymie untersucht werden können. Bei dieser Strategie ergibt sich allerdings der Nachteil, dass eben nur beschränkte Felder untersucht werden können und dass die Zusammenstellung des Ausgangsvokabulars nicht einfach ist. Umgekehrt kann die Suche auf Lexeme aus dem Zielbereich einzelner Metaphern und Metonymien ausgerichtet werden, wenn es darum geht, herauszufinden, wie die entsprechenden Konzepte versprachlicht werden. Neben dieser thematischen Einschränkung besteht hier die große Schwäche darin, dass Schlüsselwörter des Zielbereichs festgelegt werden müssen und damit nicht alle, sondern nur diejenigen Vorkommen von Metaphern oder Metonymien entdeckt werden können, die in Verbindung mit diesen Schlüsselwörtern stehen. Eventuell wäre auch eine Kombination aus beiden Suchrichtungen (nach Quell- und Zielbereich) vorstellbar. Dies wäre aber wohl nicht mit weniger Schwierigkeiten behaftet (vgl. Stefanowitsch 2006: 2–6). Die geschilderten Probleme verschärfen sich zudem dadurch, dass einheitliche Kriterien zur Identifizierung und Annotierung metonymischer Ausdrücke größtenteils noch fehlen. Markert und Nissim (2006: 154) kritisieren in Bezug auf Untersuchungen zur Metonymie und zur Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke „the lack of an objective comprehensive characterisation of the phenomenon in real occuring texts“, die uneinheitliche Behandlung selbst stark konventionalisierter Metonymien in Wörterbüchern und das Fehlen von Untersuchungen zur Übereinstimmung der Fallbeurteilungen bei der Annotierung metonymischer Ausdrücke. Deshalb schlagen sie erste Richtlinien für die Annotierung und Extraktion metonymischer Ausdrücke anhand des Quellvokabulars vor. Allerdings arbeiten sie dies nur am Fall der Metonymien aus, die für die Übertragung von einer Ortsbezeichnung oder dem Namen einer Organisation ausgehen.3 Ein völlig umfassendes Schema, das alle möglichen lexikalischen Felder und deren potentielle metonymische Muster enthielte, ist noch längst nicht vorhanden. Eine weitere mögliche Herangehensweise an die automatische Extraktion metonymischer Ausdrücke entwerfen Markert und Hahn (1997, 2002). Sie zielen weniger darauf ab, das Problem auf die Extraktion einzelner Lexeme zurückzuführen. Stattdessen versuchen sie, den Mechanismus der Metonymie aufzu3

Ein Beispiel, wie die Festlegung der Annotierungsprinzipien sowie der möglichen metonymischen Ausdrücke und ein annotiertes Korpus für metonymische Ausdrücke aus dem lexikalischen Feld der Ortsbezeichnungen aussehen können, findet man im Internet unter http://homepages.inf.ed.ac.uk/mnissim/mascara/ (letzter Zugriff: 14.5.10).

101 spüren, indem die Verletzung von Selektionsrestriktionen durch den Einsatz von formalisierten Wissensrepräsentationsmodellen der jeweils zu untersuchenden Gebiete erkannt und weitere Kriterien, wie die Interaktion von Anaphern und Metonymien, einbezogen werden. Darüber hinaus könnten lernfähige Programme die Extraktion metonymischer Ausdrücke optimieren. So werden gespeicherte metonymische Ausdrücke mit weiteren potentiell metonymischen Vorkommen abgeglichen. Diese können dann aufgrund von Ähnlichkeiten (z. B. Einordnung unter denselben Oberbegriff bzw. Auftreten in ähnlichen Kontexten) analog zu den bestehenden metonymischen Ausdrücken unter vorhandene metonymische Muster eingeordnet und als Metonymien erkannt werden (Markert/Nissim 2003). Allerdings sind die nötigen Modelle der konzeptuellen Repräsentationen nur in sehr engen thematischen Bereichen zu Testzwecken ausgearbeitet. Diese Ansätze zeigen, was vielleicht einmal machbar sein wird, im Moment aber noch nicht weit genug entwickelt ist.

4.3

Vorgehen bei der Analyse des Korpus und der Systematisierung der Beispiele

Noch sind die Verfahren zur automatischen Korpusextraktion metonymischer Ausdrücke auf enge thematische Bereiche und einzelne lexikalische Felder beschränkt, was bei der Bearbeitung der vorliegenden Fragestellung nicht wünschenswert ist. Außerdem können teilweise nur die metonymischen Verbindungen bzw. Kontiguitätsrelationen herausgefiltert werden, die von vornherein bekannt sind. Gerade im diskursiven Zusammenhang könnten aber Metonymien, die von den standardisierten Übertragungsmustern abweichen und ganz auf den speziellen Diskurs und die darin auftretenden konzeptuellen Verbindungen zugeschnitten sind, eine Rolle spielen. Für die vorliegende Arbeit erweist es sich deshalb als angemessen, bei der manuellen Extraktion der Beispiele zu bleiben, zumal eine manuelle Sammlung der Beispiele für die Zwecke dieser Arbeit vollkommen genügt, da die Analyse des empirisch gewonnenen Materials vorwiegend qualitativ erfolgen wird. Es müssen überhaupt erst die Strukturen, in denen es zu einer Interaktion von Metonymien und Diskurskontinuität kommen kann, erkannt, beschrieben und erklärt werden, bevor quantitative Vergleiche z. B. für die Häufigkeit der unterschiedlichen Funktionen, für formale Aspekte oder für die zugrunde liegenden Kontiguitätsverhältnisse der betreffenden Metonymien sinnvoll werden. Bei der eigentlichen Suche und Analyse der Beispiele für Metonymien lassen sich drei teilweise gleichzeitig ablaufende Schritte unterscheiden: Die Identifizierung eines Vorkommens erfolgt durch formale und morphosyntaktische An-

102 zeichen oder meist durch die Feststellung eines semantischen Bruchs bzw. einer Verletzung von Selektionsrestriktionen. Die Einordnung unter einen Typ der metonymischen Mechanismen stützt sich auf die in Teil I eingeführten Kriterien und Definitionen. Bei der Feststellung der Referenz und des Zielkonzepts sind v. a. die Einbeziehung des Kontexts sowie enzyklopädisches Wissen von Nutzen (vgl. Lecolle 2003: 193–200). Diesen Überlegungen folgend wurden die Vorkommen der Metonymie, der Hypallage und der Syllepse im Korpus gesucht. Dann wurden sie tabellarisch in einem Analyseraster erfasst und durch Informationen, die in Bezug auf die diskursive Rolle der Metonymie wichtig sind, ergänzt. Dieses Raster diente v. a. dazu, einen Überblick über die verschiedenen Strukturen zu erlangen und eine erste Sortierung der Beispiele vorzunehmen. Für jede Fundstelle wurde eine Tabellenzeile angelegt. Ein Ausschnitt aus dem Analyseraster zur Erfassung der Metonymien ist in Abbildung 3 (S. 104) zu sehen (das aufgeführte Beispiel wird unter der Nummer (43) auf S. 109 näher besprochen). Darin sind der Reihe nach folgende Informationen enthalten: Informationen zur Textstelle 1. Fortlaufende Nummerierung 2. Textstelle (die Metonymie mit dem relevanten Textausschnitt) 3. Genauer Fundort (Nummer der jeweiligen Ausgabe des Nouvel Observateur, Titel des jeweiligen Artikels und Seitenzahl) 4. Angaben zum Artikel (kurze Einschätzung zur Textsorte des Artikels, Kurzcharakteristik der Thematik, Länge des Artikels) Informationen zur Metonymie bzw. zu den ihr verwandten Strukturen 5. Art der Übertragung (Metonymie, Hypallage oder Syllepse, eventuell eine Einschätzung, ob sich der Fall u. U. als Generalität bzw. als Facette einer Bedeutung interpretieren ließe, s. Kapitel 2.2.2.2 und Kapitel 2.2.2.3) 6. Art der Kontiguitätsrelation (Einteilung in drei allgemeine Kategorien: Kopräsenz, Sukzession und Repräsentation, s. Kapitel 2.2.2.1) 7. Sprachliche Eigenschaften (syntaktische Funktion des metonymischen Ausdrucks und eventuelle Markierung durch morphosyntaktische Inkongruenzen etc.) Diskursrelevante Eigenschaften des metonymischen Vorkommens 8. Art des Determinierers der betreffenden Nominalphrase (definiter/indefiniter/demonstrativer Artikel/Numerale/...) 9. Einschätzung zur Gegebenheit des metonymischen Ausdrucks sowie zu dessen Topik- oder Kommentarfunktion (s. Kapitel 3.2.1.2 und 3.2.1.3) 10. Beziehung zum generellen Thema des Artikels oder Unterabschnitts 11. Einschätzung der diskursiven Wirkung/Verwendung der Metonymie im Zusammenhang mit Anaphorisierung 12. Im linksseitigen Kotext vorhandene Antezedenzien, die durch einen metonymischen Ausdruck aufgenommen werden

103 13. Im rechtsseitigen Kotext vorhandene, auf den metonymischen Ausdruck bezogene, anaphorisch verwendete Ausdrücke 14. Sonstige Bemerkungen (z. B. eventuelle Interaktion der jeweiligen Metonymien mit Metaphern, Hinweise auf ähnliche Metonymien innerhalb desselben Artikels, Bemerkungen zum Grad der Lexikalisierung) Es wurden ca. 700 Beispiele für Metonymien in das Raster eingetragen. Zu Vergleichszwecken wurden außerdem in getrennten Tabellen, die bis auf kleinere Modifizierungen demselben Raster folgen, einige Beispiele zu Metapher, indirekter Anapher und assoziativer Anapher aufgenommen. Von dieser Gesamtzahl der extrahierten Metonymien erwies sich ungefähr die Hälfte als durch eine Einbindung in die Informationsstruktur des Diskurses motiviert. Der Rest bestand zum einen aus rein rhetorischen Verwendungsweisen der Metonymie, bei denen hauptsächlich die Expressivität, nicht aber die kontinuierliche Eingliederung in den Diskurs im Vordergrund steht, und zum anderen aus nicht spontan gebildeten, stark konventionalisierten bis hin zu lexikalisierten Vorkommen, bei welchen der metonymische Charakter aus synchroner Sicht schon deutlich zurückgetreten ist. Nur die diskursiv ausgerichteten Vorkommen wurden für die folgenden Analysen zurückbehalten und dann in Gruppen sortiert. Die Sortierung erfolgte teilweise manuell, teilweise durch die Sortierfunktion des Tabellenprogramms. Da in den einzelnen Feldern hauptsächlich standardisierte Bezeichnungen verwendet wurden, konnte direkt nach diesen Begriffen sortiert werden. Fälle der Hypallage, der Syllepse und der Metonymie wurden getrennt. Die Gruppe der Metonymien wiederum wurde in weitere, sich teilweise überschneidende Unterklassen eingeteilt, je nach der Art der diskursiven Funktion: Auftreten des metonymischen Ausdrucks als Antezedens oder Anapher, Herstellung eines bestimmten Progressionstyps, Unterstützung der argumentativen Ausrichtung des Diskurses und Zusammenfassung. Diese Fallgruppen bilden den Ausgangspunkt für die folgenden Analysen. Aus dieser Einteilung in Fallgruppen erklärt sich das weitere Vorgehen im vorliegenden Teil II, der die diskursiven Funktionen der Metonymie analysiert. Entsprechend den oben angeführten Gruppen werden zuerst die Möglichkeiten der Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke vorgestellt und theoretische Erklärungsansätze für die zugrunde liegenden Mechanismen diskutiert (Kapitel 5.1). Dann wird die Rolle von Anaphorisierung und Metonymie bzw. metonymieverwandten Strukturen (Syllepse und indirekte Anapher) in Hinblick auf die Herstellung von Kontinuität innerhalb bestimmter Progressionstypen dargestellt (Kapitel 5.2). Aus einer etwas anderen Perspektive betrachtet Kapitel 6.1 dann diskursive Funktionen der Metonymie wie Perspektivierung und Zusammenfassung, die allgemein zur kohärenten Einfügung von Information in den Gesamtzusammenhang dienen. Als Ausblick werden die diskursiven Funktionen der Metonymie in 6.2 mit denen der Metapher verglichen.

possessiver Determinierer

136

direkter Bezug

Anaphorisierung einer Meto (Quelle) durch Pronomen (Quelle)

Meto / Generalität

Art der Übertragung (5)

« Le monde comme je le vois »

vorhergehender Bezugspunkt (12)

argumentativ, Buchauszug, 5 S., Programmatik Jospins

Angaben zum Artikel (4)

Kopräsenz: Objekt – Ereignis [livre – Erscheinen]

Kontiguitätsrelation (6)

il, Extraits

nachfolgender Bezugspunkt (13)

Abbildung 3: Auszug aus der Tabelle zur Sammlung der Beispiele

gegeben, topikal

NO 2137, 20.–26. Okt. 2005, Ce que je crois, 6

Fundstelle (3)

diskursive Funktion (11)

Determinierer (8)

Nr.

generelles Thema (10)

Son nouveau livre est l’événement de la rentrée politique. « Il est né d’une interrogation sur le monde et d’une inquiétude pour la France », écrit l’ancien Premier ministre. De la place des religions à la crise de l’idée de progrès, de la nature de l’empire américain aux nouveaux défis du socialisme, Lionel Jospin dit sa part de vérité. Extraits

136

gegeben/neu, Topik/Kommentar (9)

Beispiel (2)

Nr. (1)

X

Sonstiges (14)

Subj.

sprachl. Eigenschaften (7)

104

5

Metonymie und Kontinuität

Kapitel 5 thematisiert den speziellen Zusammenhang zwischen Metonymie und Kontinuität. Dazu werden in Kapitel 5.1 als Erstes die Möglichkeiten zur Anaphorisierung von bzw. durch metonymische Ausdrücke besprochen, die, wie in Kapitel 5.2 beschrieben wird, zum Ausgleich von Progression und Kontinuität führen und der Verknüpfung und Überleitung zwischen Informationen dienen.

5.1

Metonymie und Anaphorisierung

5.1.1

Typen des Zusammenwirkens von Metonymie und Anaphorisierung

In Hinblick auf das Zusammentreffen von Metonymien und Anaphern werden als Erstes (Kapitel 5.1.1.1) mit Hilfe von Beispielen die verschiedenen Spielarten von metonymischen Ausdrücken als Antezedenzien einer Anapher vorgestellt und als Zweites (Kapitel 5.1.1.2) die unterschiedlichen Anaphorisierungen eines normalen Antezedens durch metonymische anaphorische Ausdrücke erläutert. Daran anschließend werden im folgenden Kapitel 5.1.2 theoretische Erklärungsansätze für die Bedingungen zur Verwendung der verschiedenen Wiederaufnahmetypen diskutiert. 5.1.1.1 Auftreten des metonymischen Ausdrucks als Antezedens Metonymische Ausdrücke können grundsätzlich zwei Positionen in einer Anapher besetzen: Entweder ist der metonymische Ausdruck das Antezedens, das anaphorisiert wird, oder der metonymische Ausdruck selbst bildet den anaphorischen Ausdruck, der sich auf ein Antezedens rückbezieht. Diese grobe Zweiteilung lässt sich noch weiter danach untergliedern, ob das Quell- oder das Zielkonzept weitergeführt wird bzw. die Anknüpfung an das Antezedens sichert und ob die Anaphorisierung durch einen Nominalausdruck oder ein Pronomen erfolgt. Da diese Unterscheidungen relativ abstrakt sind, sollen die einzelnen Typen der Reihe nach vorgestellt und an Beispielen erläutert werden. Die Anapher war in Kapitel 3.2.2.1 als Rückverweis und Wiederaufnahme beschrieben worden, bei der eine referentielle Abhängigkeit zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken besteht. Gerade für die Problematik der Wiederaufnahme im Zusammenhang mit Metonymien erscheint es angebracht, eine kognitive Sicht-

106 weise auf die Anaphorisierung zu bevorzugen. Substitutive Ansätze werden z. B. kaum die Erklärung von Fällen erlauben, in denen das Zielkonzept der Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks im folgenden Diskurs wieder aufgegriffen wird, da sie zu sehr auf den formalen, sprachlichen Ausdruck ausgerichtet sind. Die kognitive Herangehensweise dagegen nimmt an, dass sich Anaphern auf die mit den sprachlichen Ausdrücken verbundenen mentalen Repräsentationen beziehen können, dass das Antezedens eher eine Auslösefunktion für die Ableitung der Referenz des anaphorischen Ausdrucks wahrnimmt und dass es das betreffende Konzept über die mentale Repräsentation aktiviert. Dies kommt natürlich der indirekten Referenz des metonymischen Ausdrucks, der eine ebensolche Auslösefunktion hat, entgegen. Vorab ist außerdem darauf hinzuweisen, dass sich die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke und die indirekte Anapher stark ähneln, aber keineswegs identisch sind. Dies lässt sich graphisch verdeutlichen (s. die folgende Abbildung 4, vgl. auch Stirling 1996: 78). Bei der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke gilt generell, dass die Kontiguitätsverbindung im Antezedens selbst zum Tragen kommt. Sei es, dass der anaphorische Ausdruck auf das Quellkonzept Bezug nimmt, sei es, dass er sich auf das Zielkonzept bezieht: Beide sind bereits durch die Metonymie gegeben. Damit ist zwar die Referenz des metonymisch verwendeten Antezedens indirekt, nicht jedoch die anaphorische Beziehung. Bei der indirekten Anapher besteht das Kontiguitätsverhältnis hingegen zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Ausdruck bzw. den Konzepten, die durch diese transportiert werden. Somit ist der anaphorische Prozess an sich indirekt. Antezedens

referentielle

Anapher

Abhängigkeit Quelle

konzeptuelle Kontiguität

Ziel

Quelle

Metonymie

Antezedens

A Antezedens

referentielle

referentielle

Anapher

Abhängigkeit

Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks (Quelle)

konzeptuelle Kontiguität

B

Anapher

Abhängigkeit Quelle

konzeptuelle Kontiguität

indirekte Anapher Ziel

Ziel

Metonymie

Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks (Ziel)

Abbildung 4: Gegenüberstellung der Anaphorisierung von metonymischen Ausdrücken (links) und der indirekten Anapher (rechts)

107 Die drei aufgeführten Fälle finden sich in folgenden Beispielen wieder – Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf Quellkonzept bzw. Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks in Beispiel (39) und (40), indirekte Anapher in Beispiel (41): (39) N.O. – Avec votre chapeau, vos lunettes noires et votre berger tervueren, vous avez un look de gangster. Quand une banque vous a commandé un fresque, vous avez peint le hold-up de cette banque !

(Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Jacques Monory. L’homme qui tire sur la peinture“, S. 5.)

(40) Abel Mamani, le guérillero de l’eau

C’est donc lui l’enragé qui a mis Suez à genoux ? L’ancien dirigeant de la Fejuves (association des comités de quartier) d’El Alto, immense cité pauvre perchée au-dessus de La Paz, a violemment combattu Aguas del Illimani, filiale de Suez, qu’il accusait de négliger les quartiers pauvres et de vendre l’eau trop cher. Devenu ministre de l’Eau, ce radical a un peu... dilué son discours : « J’ai toujours proposé que l’eau appartienne à l’Etat, je ne vais pas changer. Mais je suis tout à fait d’accord pour qu’on tire parti de l’expérience étrangère. Il ne s’agit pas de subventionner une entreprise étatique comme un puits sans fond. » Au gouvernement, Mamani joue la loyauté : « On a un programme, chaque ministre va essayer de le suivre ». Il n’oublie pas qu’El Alto a voté à une majorité écrasante pour Evo. Mais il sait aussi qu’il suffit de bloquer quelques routes à la sortie d’El Alto pour asphyxier totalement La Paz. « La population ne bloquera rien si elle voit que le gouvernement a la volonté de l’aider », dit-il. Sinon...

(Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 9.)

(41) Officiellement, Sarkozy soutient le CPE et le gouvernement, mais sans excès de zèle. Depuis

le début, Nicolas Sarkozy ne « sent » pas ce projet. « Moi, j’étais pour un contrat unique, rappelle-t-il souvent en privé. Je suis contre les contrats spécifiques par catégories qui risquent de les dresser les unes contre les autres. » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 24.)

Im ersten der drei Beispiele handelt es sich um eine Frage in einem Interview, die der Journalist des Nouvel Observateur dem Maler Jacques Monory zu einem seiner Auftragswerke stellt. Hier wird der Ausdruck „une banque“ metonymisch im Sinn der in der Institution arbeitenden Verantwortlichen verwendet. Er wird im Matrixsatz durch „cette banque“ anaphorisiert, wobei diesmal die wörtlichen Bedeutung eines Bankinstituts und dessen Räumlichkeiten gemeint ist. Die Anapher bezieht sich also auf den zuvor metonymisch verwendeten Ausdruck, der das Antezedens bildet, und das darüber transportierte Quellkonzept. Dies zeigt sich besonders deutlich durch die Formulierung anhand desselben Nomens und der Verwendung des Demonstrativartikels. Letzterer funktioniert nämlich derart, dass er direkt auf eine im linken Kotext vorhergehende Bezeichnung zurückverweist und damit eher für die Wiederaufnahme des Quellkonzepts geeignet ist, dessen sprachliches Äquivalent sich durch den metonymisch verwendeten Ausdruck direkt manifestiert, als für die Wiederaufnahme des indirekt vorhandenen Zielkonzepts.

108 In Beispiel (40) findet gerade Letzteres statt. Die metonymische Verwendung des Namens eines Armenviertels in La Paz, „El Alto“, verbindet das Konzept dieses Ortes mit dem Konzept der dort lebenden Bevölkerung, die in den Wahlen dazu beigetragen hat, dass Evo Morales zum Präsidenten gewählt wurde. Diese Metonymie, genauer gesagt einer ihrer Bestandteile, nämlich das Zielkonzept, wird in „La population“ wieder aufgenommen und somit der intendierte Referent des metonymischen Ausdrucks beibehalten. Der definite Artikel lässt erkennen, dass der Referent des betreffenden Ausdrucks im gegebenen Kontext eindeutig identifizierbar sein, bereits im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und gegeben sein muss. Allein von den vorausgehenden wörtlichen Nennungen her ist aber keine Bezeichnung eines Referenten zu erkennen, auf den sich „La population“ beziehen könnte. Die Verwendung des definiten Artikels ist jedoch gerechtfertigt, wenn man in die Überlegung einbezieht, dass durch die Metonymie ja indirekt mit „El Alto“ auf die Bewohner dieses Viertels Bezug genommen wird. „La population“ nimmt in der Anapher daher das Zielkonzept der Metonymie wieder auf und verwendet eine entsprechende direkte Bezeichnung. Zwar befindet sich dieser als anaphorisch angesehene Ausdruck in einem in den Diskurs eingefügten Zitat. Da jedoch der Autor die jeweiligen Zitate direkt in den Diskurs eingebaut hat und dabei eine korrekte Herstellung der Bezüge intendiert, ist es legitim, die betroffene Stelle trotz des Zitats als fortlaufenden Diskurs zu betrachten und Bezüge zum vorhergehenden Kontext und Kotext anzunehmen. Im dritten Ausschnitt, Beispiel (41), schließlich liegt in der Äußerung Sarkozys zu dem umstrittenen Contrat Premier Embauche (CPE), der die unbegründete Kündigung von jüngeren, neu eingestellten Mitarbeitern erlauben sollte, eine indirekte Anapher vor. Das Nomen „catégories“ wird durch das Pronomen „les“ (bzw. „les unes“, „les autres“) anaphorisiert. Das Pronomen kann jedoch nicht direkt auf die unterschiedlichen Kategorien der Anstellungsverhältnisse an sich bezogen sein. Eine Kategorie kann nicht gegen die andere aufgebracht werden. Nur die in diese Kategorien eingeteilten Personen, in diesem Fall die Arbeitnehmer, die je nach Alter bzw. Neueinstellungs- oder Betriebszugehörigkeitsstatus unterschiedliche Verträge erhalten, können durch die ungleiche Behandlung, die sie erfahren, gegeneinander ausgespielt werden. Die Wiederaufnahme erfolgt demnach indirekt, da ein mit dem Konzept der Kategorien kontiges Konzept, nämlich das Konzept der Mitglieder der Kategorien, aufgegriffen wird. Da das Nomen „catégories“ zunächst wirklich nur auf das Konzept der Vertragskategorien verweist, entsteht der indirekte Bezug erst innerhalb des anaphorischen Prozesses. Dadurch unterscheidet sich Beispiel (41) von den beiden vorhergehenden Beispielen (39) und (40), wo der indirekte Bezug jeweils schon durch die Metonymie im Antezedens enthalten war und der anaphorische Anschluss direkt auf die zuvor aktivierten Konzepte zurückgreifen konnte. Im Folgenden sollen nun die unterschiedlichen, im Korpus vorgefundenen Anaphorisierungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Metonymien jeweils an-

109 hand von Beispielen vorgestellt werden. Als Erstes werden die Fälle behandelt, bei denen sich die Metonymie im Antezedens befindet: a) Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept b) Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte (Ableitung weiterer Metonymien) c) Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) d) Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks a) Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks a))unter Rückbezug auf das Quellkonzept Im Fall des Rückbezugs auf das Quellkonzept einer Metonymie wiederholt der anaphorische Ausdruck entweder wörtlich den zuvor metonymisch gebrauchten Ausdruck, oder er verwendet eine sinngemäße Wiederaufnahme durch einen äquivalenten Nominalausdruck oder durch ein Pronomen. Das oben angeführte Beispiel (39) (S. 107) veranschaulicht die wörtliche Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Bezugnahme auf das Quellkonzept. Die Beispiele (42) und (43) zeigen die sinngemäße Wiederaufnahme durch einen entsprechenden Nominalausdruck bzw. durch ein Pronomen: (42) Aribert Heim, 91 ans, figure en tête de la liste des criminels nazis que continuent à traquer,

soixante ans après, les héritiers de Simon Wiesenthal. Marie France Etchegoin raconte la sinistre odyssée de ce bourreau en blouse blanche, que la police allemande pense avoir réussi à localiser récemment en Espagne. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 15.)

(43) Son nouveau livre est l’événement de la rentrée politique. « Il est né d’une interrogation sur le monde et d’une inquiétude pour la France », écrit l’ancien Premier ministre. De la place des religions à la crise de l’idée de progrès, de la nature de l’empire américain aux nouveaux défis du socialisme, Lionel Jospin dit sa part de vérité. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 6.)

In Beispiel (42) geht es um den Kriegsverbrecher Heim, der als KZ-Arzt in Mauthausen tätig war, und um die Anstrengungen, ihn heute aufzufinden und zur Rechenschaft zu ziehen. „Aribert Heim“ bezieht sich in obigem Diskursausschnitt jedoch nicht auf die Person, sondern metonymisch auf deren in einer Liste erscheinenden Namen. Daran anschließend wird mit „ce bourreau“ auf die Person selbst referiert. Die genaue Referenz wird dabei durch den mit Hilfe des Demonstrativartikels angezeigten Rückgriff auf den vorhergehenden Diskurs, speziell auf den metonymisch verwendeten Ausdruck und das damit verbundene

110 Quellkonzept, herleitbar. Übrigens erfolgt durch diese Anapher gleichzeitig eine metaphorische Klassifizierung des Referenten. Heim wird als „bourreau“, als Henker, bezeichnet und so als kaltblütig tötender Mensch entlarvt. Im zweiten Beispiel, den einleitenden Worten zu einem Auszug aus dem Buch Le monde comme je le vois von Lionel Jospin, muss „Son nouveau livre“, das an sich kein Ereignis ist, als das Erscheinen des Buches und der Verkaufsbeginn in den Buchläden aufgefasst werden. Im nächsten Satz ist das Pronomen „Il“ nur verständlich, wenn man es wieder auf „Son nouveau livre“ bezieht, aber diesmal nicht im Sinne des Erscheinens, sondern wörtlich im Sinne des Buchs. Auch hier wird also das Quellkonzept über die Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks erneut aufgegriffen und weiterverwendet. Bei dieser Form der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks ist zwar Wiederaufnahme gegeben, doch strenge Koreferenz ist nicht vorhanden: „Aribert Heim“ referiert zunächst auf den Namen, „ce bourreau“ dann auf die Person. Ebenso referiert „Son nouveau livre“ auf das Erscheinen des Buchs, „il“ dann auf das Buch selbst. Auch wenn das Quellkonzept in einer Metonymie immer eine Rolle spielt und nicht gänzlich ausgeblendet ist, wie sich an anderen Beispielen bereits noch deutlicher gezeigt hat (s. Beispiel (6), S. 26), bezieht sich aber die eigentliche Referenz des metonymischen Ausdrucks auf den mit dem Zielkonzept verbundenen Referenten. Von einer Anapher kann dennoch gesprochen werden: Wie erwähnt, ist vollständige Koreferenz dafür keine notwendige Voraussetzung. Dagegen sind die entscheidenden Kriterien der Wiederaufnahme und der referentiellen Abhängigkeit erfüllt. Man kann sich den Mechanismus dieser Anaphorisierung folgendermaßen vorstellen (s. Abbildung 5): Der metonymische Ausdruck verweist über seine eigentliche Bedeutung auf das Quellkonzept. Dieses ist über das Kontiguitätsverhältnis mit dem Zielkonzept verbunden, wodurch die Referenz des metonymischen Ausdrucks festgelegt wird. Der anaphorische Ausdruck ist von dem metonymischen Antezedens referentiell abhängig und verwendet dessen Bedeutung und das damit verbundene Quellkonzept, um seine eigene Referenz klarzustellen. Antezedens

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Anapher

Ziel konzeptuelle Kontiguität

referentielle Abhängigkeit

Konzeptb Referentb

Worta Bedeutunga Konzepta Referenta

Metonymie

Wiederaufnahme

Abbildung 5: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept

111 b) Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks b) zur Ableitung weiterer Zielkonzepte (Ableitung weiterer Metonymien) Ein im Vergleich zum vorhergehenden Typ leicht abweichender Sachverhalt liegt vor, wenn zwar anaphorisch auf den metonymischen Ausdruck als Antezedens und auf dessen Quellkonzept zurückgegriffen wird, beide im Folgenden jedoch als Ausgangspunkt für den metonymischen Verweis auf weitere Zielkonzepte verwendet werden: (44) Le dimanche 25 septembre, Nicolas Sarkozy sort du domicile de la dame, fait ses courses en

sa compagnie. Clic-clac. Les photographes exultent. Ils ont leur scoop. Quel journal résisterait à pareille « bombe » ? Dès le lendemain, donc, ils foncent à « Paris-Match » persuadés que le directeur du magazine, Alain Genestar, va sauter sur l’aubaine. Prix du cliché : 90 000 euros. Genestar n’a-t-il pas, fin août, publié à la une la photo de Cécilia Sarkozy avec son compagnon Richard Attias, opération qui a fait frôler le million d’exemplaires à l’hebdomadaire, meilleure vente de l’année avec le numéro sur la mort de Jean-Paul II ? Ce cliché de la « nouvelle vie de Nicolas » vaut donc de l’or. Mais « Paris-Match » décline l’offre. « VSD », le concurrent dirigé par Philippe Labi, consulté lui aussi, refuse à son tour. Les photographes sont abasourdis, hurlent à la censure. A « Paris-Match », dans la rédaction, certains accusent le ministre d’avoir fait pression sur la direction du groupe Lagardère, propriétaire du titre. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Le boomerang de la ‹ politique people ›“, S. 24.)

Im vorliegenden Beispiel wird an mehreren Stellen auf unterschiedliche Zielkonzepte, die von dem Quellkonzept einer Zeitung bzw. eines Nachrichtenmagazins abgeleitet sind, Bezug genommen. In vielen Analysen wurden in ähnlichen Beispielen die Zielkonzepte als Facetten des Begriffs bewertet: Redaktionsräume, Unternehmen, Mitarbeiter, Verantwortliche. Wie bereits erläutert, werden auch solche Fälle, die eventuell als Facetten zu sehen sind, mit in die vorliegenden Betrachtungen aufgenommen, da sie der Metonymie stark ähneln und oft keine genaue Trennung möglich ist (s. Kapitel 2.2.2.2). So zeigt sich, dass als Erstes „journal“ metonymisch von der wörtlichen Bedeutung der regelmäßig erscheinenden Druckschrift abweicht, um auf die Mitarbeiter zu referieren, die für die Auswahl der Themen zuständig sind. Als Nächstes wird „Paris-Match“, ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenmagazin, erwähnt und der Name der Zeitung herangezogen, um auf die Redaktionsräume, in denen diese produziert wird, zu referieren. Die folgende Nominalphrase „le directeur du magazine“ ist besonders interessant: Der Referent derselben ist hauptsächlich durch den Zusatz „du magazine“ eindeutig identifizierbar, da dieser auf „Paris-Match“ anaphorisch rückverweist und damit die Referenz des gesamten Nominalausdrucks ersichtlich und interpretierbar macht. Die referentielle Interpretation wird auf folgende Weise abgeleitet: Das Antezedens „Paris-Match“ ist metonymisch gebraucht, wobei das Quellkonzept der Metonymie durch die anaphorische Verbindung für die Interpretation von „du magazine“ nutzbar gemacht werden kann. Allerdings nicht direkt, sondern erneut nur als Vermittler für eine weitere metonymische Verbindung, nämlich zwischen dem Konzept der Zeitschrift „Paris-

112 Match“ und der Institution bzw. dem hinter der Publikation stehenden Unternehmen. Während im Fall des bloßen Rückbezugs auf das Quellkonzept der anaphorische Ausdruck seine Referenz wirklich über die Quellbedeutung und das Quellkonzept des metonymischen Antezedens herstellt, dient hier das Quellkonzept nur für die weitere Ableitung eines zweiten Zielkonzepts (s. Abbildung 6). Dennoch kann wieder von einer Anaphorisierung gesprochen werden, da nur das Wissen um die Referenz des Antezedens „Paris-Match“, bzw. um dessen Quellkonzept und seine konzeptuellen Verbindungen, die Herstellung der Referenz des darauf folgenden „du magazine“ möglich macht. Nach diesem Prinzip setzt sich das Beispiel fort: Auf das Presseunternehmen bezieht sich auch „l’hebdomadaire“ einige Zeilen weiter, bevor mit der nächsten Nennung von „Paris-Match“ eher der Redaktionsverantwortliche, in der übernächsten wieder der Redaktionssitz gemeint sein dürfte. Schließlich referiert „du titre“ nochmals auf das Unternehmen hinter den Presseerzeugnissen. Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass echte Anaphern nur in den Gattungsnamen „du magazine“, „l’hebdomadaire“ und „du titre“ gegeben sind, wohingegen die jeweiligen Verwendungen des Eigennamens „Paris-Match“ lediglich einen gewissen Grad an Koreferenz enthalten. Da Eigennamen für die Interpretation ihrer Referenz nicht von einem Antezedens abhängen, kann hier nicht von einer Anapher gesprochen werden. Dennoch ist natürlich das wiederholte Auftreten desselben Namens nicht unerheblich, wenn es um die Herstellung von Kontinuität geht. Allein durch die wiederholte Verwendung desselben Ausdrucks wird der Eindruck geschaffen, dass es sich um eine kontinuierlich weitergeführte Entität handelt (s. auch ausführlicher in Kapitel 5.1.1.2, S. 123). Das Beispiel zeigt insgesamt, wie durch die Metonymie die Grenzen zwischen einzelnen Konzepten verschwimmen können und die Verbindung der Einzelteile betont wird. Wie Bonhomme (1987: 113, 115f.) beschreibt, können derartige Rückbezüge auf denselben metonymischen Ausdruck zur Ableitung unterschiedlicher Zielkonzepte und Referenten in literarischen Texten ganze Passagen durchziehen und als rhetorisches Element fungieren. Als Beispiel nennt er L’étranger von Camus, in dessen sechstem Kapitel das Wort soleil den Ausgangspunkt für immer neue metonymische Übertragungen bildet und z. B. die Hitze, das Licht oder den sonnenbeschienenen Strand meint. Eine schematische Darstellung des beschriebenen Anaphorisierungstyps zeigt die folgende Abbildung:

113 Antezedens

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Anapher

referentielle

Ziel konzeptuelle Kontiguität

Abhängigkeit

Konzeptb Referentb

Metonymie

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Ziel konzeptuelle Kontiguität

Konzeptc Referentc

Metonymie

Wiederaufnahme

Abbildung 6: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte (Ableitung weiterer Metonymien)

c) Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks unter c) Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) Die Aufrechterhaltung derselben Metonymie funktioniert derart, dass in der Anapher der zuvor metonymisch verwendete Ausdruck wieder aufgenommen bzw. ein damit kongruentes Pronomen verwendet wird und zugleich weiter über das Zielkonzept auf den intendierten Referenten des vorangegangenen metonymischen Ausdrucks Bezug genommen wird. Von einer Aufrechterhaltung derselben Metonymie kann man dabei deshalb sprechen, weil der anaphorische Ausdruck genauso metonymisch bleibt und die gleiche Kontiguitätsrelation nutzt wie das Antezedens. Somit liegt auch die für die Anapher typische, aber nicht unbedingt notwendige Koreferenzrelation zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Ausdruck vor: (45) A In-Ekker, c’était la vie secret-défense : Lulu, Jean, Dédé et Noël en étaient si fiers. Quelques

heures avant l’explosion, ils posaient en combinaison avec leur masque à gaz. On les voit sur une photo en noir et blanc, des mômes, tout excités par leur nouveau déguisement. Les « beaux uniformes » étaient là, le ministre de la Recherche, Gaston Palewski, celui de la Défense, Pierre Messmer. Le tir Béryl est parti à 11 heures. Une grosse explosion, puis d’autres en cascade, probablement les portes blindées qui lâchaient. [...] Les beaux uniformes ont regagné Paris, eux ont atterri au camp de repli, dans un hangar immense. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Irradié pour la France“, S. 48f.)

(46) C’est à Londres encore que les Alliés mettent au point la liste des hommes qui compa-

raîtront à Nuremberg. Nous sommes aujourd’hui si habitués à la litanie des accusés, à leur photo en deux rangées dans le box, que nous la tenons pour évidente. Elle ne l’était pas et fut établie sans véritable réflexion sur la nature de l’Etat nazi. Dix d’entre eux, prisonniers des Britanniques ou des Américains, figuraient sur une première liste. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Des crimes et des hommes“, S. 8.)

114 (47) Les télés et les radios ne s’y sont pas trompées. Jusqu’à présent, quand elles voulaient interviewer un boss de la distribution un peu olé-olé, elles n’avaient guère à installer derrière leurs micros que Michel-Edouard Leclerc, patron des centres du même nom et infatigable défenseur du pouvoir d’achat des consommateurs. Aujourd’hui, elles ont Serge Papin. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’épicier branché“, S. 39.)

Beispiel (45) illustriert, wie eine gesamte Metonymie einfach im anaphorischen Ausdruck wiederholt werden kann. „Les ‹ beaux uniformes ›“ referiert mittels des Konzepts der hervorstechenden Kleidung auf die hohen Gäste, die zur Zündung der Atombombe zu Testzwecken Anfang der sechziger Jahre in der algerischen Wüste geladen wurden. Hierbei ist zu bemerken, dass „Les ‹ beaux uniformes ›“ in der ersten Verwendung kataphorisch auf die Erwähnung der einzelnen Personennamen vorauszuweisen scheint. Erst die genaue Spezifizierung, um welche hochgestellten Persönlichkeiten es sich handelt, macht den Einsatz des definiten Artikels gleich bei der ersten Nennung verständlich. Die zweite Verwendung greift mit „Les beaux uniformes“ genau denselben metonymischen Ausdruck wörtlich wieder auf. Nur der Weg über das Antezedens, also den ersten metonymischen Ausdruck, kann eindeutig die Referenz auf dieselben Personen herstellen. Bemerkenswert ist, dass beim ersten metonymischen Ausdruck noch mit Anführungszeichen formal ganz deutlich auf den übertragenen Sprachgebrauch hingewiesen wird, während beim zweiten dies schon nicht mehr für nötig befunden wird. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass sich der zweite Ausdruck auf den ersten rückbezieht: Er muss deshalb nicht mehr selbständig als metonymisch gekennzeichnet werden, ist doch die Metonymie bereits evoziert und kann der Leser deren Wesen doch aus der ersten Nennung über die anaphorische Verbindung ableiten. Beispiel (46) funktioniert wie das vorhergehende, mit dem einzigen Unterschied, dass der metonymische Ausdruck nicht wörtlich wiederholt wird. Stattdessen wird in der Wiederaufnahme ein sinngemäß äquivalenter metonymischer Ausdruck verwendet. Sowohl „des hommes qui comparaîtront à Nuremberg“ als auch „des accusés“ beinhalten Metonymien, die auf dem Kontiguitätsverhältnis zwischen den Konzepten von Personen und ihren Namen basieren. Die Konstruktion aus Nominalphrase und Relativsatz „des hommes qui comparaîtront à Nuremberg“ tritt als komplexer metonymischer Ausdruck auf. Die Interaktion von Relativsatz und Metonymie ist speziell in dieser Konstellation relativ unproblematisch und für dieses Beispiel im Moment nicht relevant. Kapitel 5.2.2.4 beschäftigt sich jedoch ausführlich mit dieser Frage. Jedenfalls erhält „accusés“ in „la litanie des accusés“ insgesamt die Metonymie in „des hommes qui comparaîtront à Nuremberg“ aufrecht, da nur durch den anaphorischen Bezug klar werden kann, welche Angeklagten bzw. wessen Namen genau gemeint sind. Auch der dritte Ausschnitt, Beispiel (47), zeigt den Rückbezug auf das Zielkonzept bzw. den intendierten Referenten unter Aufrechterhaltung einer dem metonymischen Ausdruck entsprechenden Form, also die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Metonymie. Im Unterschied zu den beiden anderen Beispielen

115 ist der anaphorisierende Ausdruck ein Pronomen. Mit „Les télés et les radios“ wird über das Empfangsgerät auf das Medium und darüber wiederum auf die dort arbeitenden Journalisten und Programmverantwortlichen verwiesen. Es handelt sich somit um Personen, auf die, da sich darunter sicherlich nicht ausschließlich Frauen befinden, normalerweise mit dem Pronomen „ils“ referiert würde. Dies geschieht hier aber nicht. Über mehrere Anaphorisierungen hinweg wird immer das Pronomen „elles“ verwendet, das offensichtlich mit dem metonymischen Ausdruck „Les téles et les radios“ kongruiert. Die ganze Zeit wird das Spannungsverhältnis zwischen dem Quell- und dem Zielkonzept aufrechterhalten. Man kann deshalb auch hier sagen, dass die Metonymie als Ganzes aufrechterhalten wird (s. Abbildung 7). Das Pronomen kongruiert mit dem metonymischen Ausdruck und stellt dann mit dessen Hilfe über das Quellkonzept den Bezug zum Zielkonzept und damit zum intendierten Referenten her. Antezedens

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Anapher

Ziel konzeptuelle Kontiguität

referentielle Abhängigkeit

Konzeptb Referentb

Metonymie

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Ziel konzeptuelle Kontiguität

Konzeptb Referentb

Metonymie

Wiederaufnahme

Abbildung 7: SchematischeDarstellungderWiederaufnahmeeinesmetonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung der Metonymie)

d) Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines d) diesem entsprechenden Ausdrucks Der nächste Typ der Anaphorisierung im Zusammenhang mit Metonymien besteht darin, dass das Zielkonzept unter Einführung eines entsprechenden Ausdrucks wieder aufgenommen und der intendierte Referent des metonymischen Ausdrucks weitergeführt wird. Der anaphorisierende Ausdruck bezieht sich ausdrücklich und direkt auf den über das Zielkonzept der Metonymie identifizierten Referenten. Hier ist, wie in der vorhergehenden Gruppe, ein Fall von Anaphorisierung gegeben, bei dem neben dem rückverweisenden Charakter und der referentiellen Abhängigkeit des anaphorischen Ausdrucks außerdem Koreferenz vorliegt. Ein Beispiel für diese Art der Anaphorisierung wurde schon in (40) (S. 107) mit der nominalen Anaphorisierung des Zielkonzepts der Metonymie in „El Alto“, die sich auf die Verbindung der Konzepte von Stadtviertel und Bevöl-

116 kerung stützt, angeführt. Der anaphorische Ausdruck „La population“ entspricht dem Zielkonzept und verweist auf den durch den metonymischen Ausdruck intendierten Referenten. Ein weiteres Beispiel hierfür ist in folgendem Diskursausschnitt enthalten, der zugleich das Verhältnis von der Metonymie und active zone-Phänomenen (s. Kapitel 2.2.1.3, S. 33) beleuchtet: (48) Jeudi 16 septembre 1982, à Beyrouth, des groupes de miliciens chrétiens attaquent la popu-

lation des camps palestiniens. C’est le plus grand massacre de civils de la guerre du Liban. Pour la première fois, un film livre le récit des assassins. Un document exceptionnel. « Voilà... c’est le cercle. » Sur un tableau en papier, dans une lumière rouge crépusculaire, une main dessine au feutre un cercle fermé. Tout autour, avec l’application d’un cadre qui expliquerait une méthode de gestion, l’homme place une série de petits points : « Nous étions là. » Le cercle, c’est le camp palestinien de Sabra ; les points, les miliciens qui ont encerclé et investi Sabra et Chatila, où ils ont massacré des civils, hommes, femmes et enfants, pendant deux jours et trois nuits d’affilée. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Sabra et Chatila : les tueurs parlent“, S. 36.)

Die Nominalphrase „une main“ lässt den Leser offensichtlich einen dazugehörenden ganzen Menschen mitverstehen, denn, um zeichnen zu können, bedarf es mehr als einer Hand und nicht zuletzt der willentlichen Steuerung derselben. Ein Teil verweist auf das Ganze; zugleich ist dieser Teil derjenige, der am unmittelbarsten von der Handlung betroffen ist, der sie motorisch ausführt. Es wird gerade die active zone des Referenten, der diese Handlung ausführt, betont. Damit liegt ein relativ seltener Fall vor, sind doch Metonymien, in denen das Ganze im Quell- und der Teil im Zielkonzept realisiert werden, also die active zone implizit als Zielkonzept auftritt, sehr viel häufiger.1 Dass hier das umgekehrte Verhältnis besteht – die active zone verweist metonymisch auf das Ganze –, lässt sich dadurch erklären, dass der Diskursausschnitt eine Szene des Dokumentarfilms über das Massaker nachzeichnet. Im Film sieht man wahrscheinlich zuerst die zeichnende Hand, dann den ganzen Mann. Dadurch wird die Hand zum salienteren Punkt in unserer Wahrnehmung und kann im Sinne eines Referenzpunkts als Teil auf das Ganze verweisen. Wichtig ist nun, dass die Verwendung des definiten Artikels in „l’homme“ nur sinnvoll erscheint, wenn auf eine identifizierbare Person referiert wird. Dazu muss diese Nominalphrase als anaphorischer Verweis auf „une main“ bzw. auf das Zielkonzept der Metonymie und den intendierten Referenten verstanden werden. Man kann folglich sagen, dass das Zielkonzept der Metonymie unter Einführung einer entsprechenden direkten Bezeichnung wieder aufgenommen wird, wie es folgende Abbildung veranschaulicht:

1

Die meisten der bisher behandelten Beispiele beinhalten einen Verweis, der vom Ganzen als Quellkonzept ausgehend ein Teilkonzept fokussiert, sofern sich das jeweilige Kontiguitätsverhältnis unter eine Teil-Ganzes-Relation fassen lässt, z. B. gut erkennbar in den Beispielen (40) auf S. 107, (41) auf S. 107, (42) auf S. 109 und (46) auf S. 113. Zur Teil-Ganzes-Relation s. auch Kapitel 2.2.2.4 bzw. Beispiel (26) auf S. 52.

117 Antezedens

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Anapher

Ziel konzeptuelle Kontiguität

referentielle Abhängigkeit

Konzeptb Referentb

Wortb Bedeutungb Konzeptb Referentb

Metonymie

Wiederaufnahme

Abbildung 8: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks

Der Fall, dass diese Art der Wiederaufnahme nicht durch einen nominalen Ausdruck, sondern durch ein Pronomen erfolgt, ist im Korpus nicht eindeutig belegbar: Ein in Numerus- und Genusmerkmalen eindeutig mit dem Zielkonzept bzw. dem intendierten Referenten übereinstimmendes Pronomen trat für diesen Fall nur drei Mal im Korpus auf. Allerdings ist bei allen drei Beispielen fraglich, ob es sich hierbei überhaupt um eine echte Anaphorisierung handelt. Nur eines davon sei stellvertretend hier angeführt, da sich die anderen beiden in den entscheidenden Punkten analog verhalten: (49) Pour Manzour, le chef du groupe, le séisme aura une conséquence positive : « L’armée fait démonstration de son inefficacité. Ils ne sont nulle part et nous sommes partout. Les villageois vont rejoindre en masse notre combat pour l’indépendance du Cachemire ! »

(Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Quand les djihadistes se font sauveteurs“, S. 35.)

Das Pronomen „Ils“ scheint sich auf den Ausdruck „L’armée“ zu beziehen, der wiederum metonymischen ist und über die Armee auf deren einzelne Mitglieder verweist. Dabei kongruiert aber das maskuline „Ils“ nicht mit dem femininen Nomen, sondern referiert entsprechend seiner morphosyntaktischen Merkmale eindeutig auf die metonymisch gemeinten Personen. Dabei ist, wie gesagt, zu bezweifeln, dass wirklich eine echte Anaphorisierung gegeben ist. Nach Kleiber (1994: 163–175) handelt es sich um ein so genanntes ils collectif. Dabei geht es um einen Gebrauch des Pronomens ils, der nur unter sehr speziellen Bedingungen auftritt, nämlich nur im Maskulinum Plural, in Bezug auf einen menschlichen Referenten, zum Ausdruck einer Ganzheit, eines eingegrenzten Kollektivs, ohne die Identifizierung von Individuen etc. Diese spezielle Verwendungsweise des Pronomens anaphorisiert kein konkretes Antezedens, eher drückt sie den Gedanken eines abstrakten Kollektivs aus. Bezeichnenderweise enthalten alle drei Beispiele, die für die Wiederaufnahme des Zielkonzepts durch ein dem intendierten Referenten entsprechendes Pronomen in Frage kommen, das Pronomen ils, das in seinem Gebrauch dem beschriebenen ils collectif entspricht. Damit

118 ist es wenig plausibel, eine Anaphorisierung anzunehmen. Dieser Auffassung sind ebenfalls Ruiz de Mendoza und Díez (2004: 314–316). Sie stufen zu den angeführten Beispielen analoge Fälle als implicative reference ein, bei der das Pronomen weniger auf einen vorangehenden metonymischen Ausdruck als auf ein im Kontext impliziertes Kollektivum bezogen wird. Es ist bezeichnend, dass gerade für den hier vorgestellten Anaphorisierungstyp eine pronominale Wiederaufnahme nicht möglich zu sein scheint, da dies in Hinblick auf Kontinuität relativ problematisch wäre: Ein eindeutig mit dem intendierten Referenten übereinstimmendes Pronomen verursacht einen Bruch, da es nicht mit dem Antezedens kongruiert. Eine ausführliche Kodierung mittels Nominalphrase ist also angemessener. 5.1.1.2 Auftreten des metonymischen Ausdrucks als anaphorischer Ausdruck In den bisher angeführten Fällen diente immer ein metonymischer Ausdruck als Antezedens. Im Gegensatz dazu werden im Folgenden die beiden weiteren Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Metonymien und Anaphern vorgestellt, in denen eine normale Nominalphrase als Antezedens vorausgeht und ein metonymischer Ausdruck die anaphorische Funktion erfüllt: e) Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept f) Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks

e) Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen e) Ausdruck und dessen Quellkonzept Die erste Variante setzt sich aus einer Nominalphrase als Antezedens und einem nachfolgenden metonymischen Ausdruck zusammen, der das Antezedens wörtlich oder durch ein (partielles) Synonym, einen Ober- oder Unterbegriff wieder aufnimmt. Das Quellkonzept der Metonymie entspricht dabei der Bedeutung der anaphorisierten Nominalphrase, verweist aber auf das eigentliche Zielkonzept. Koreferenz tritt nicht auf. Dennoch ist ein anaphorisches Verhältnis durch die Wiederaufnahme und referentielle Abhängigkeit gegeben: (50) Il y a aussi des soucis internes au camp français, comme l’affaire des « lettres anonymes »

envoyées par les « épouses du 43e Bima » au ministère de la Défense et à Jacques Chirac, lettres que la presse ivoirienne s’empresse de publier. La décision de faire rentrer en France les familles des soldats du 43e Bima a provoqué un vent de colère parmi les épouses des soldats, qui ne comprennent pas ce retour programmé, dans une période de calme, six mois après avoir vécu les événements violents de novembre 2004, quand le pays était en proie aux

119 émeutes antifrançaises. Les lettres accusent « l’officier supérieur commandant de la force Licorne », en clair le général Poncet, de vouloir libérer les villas de fonction pour pouvoir loger ses officiers en mission pour quatre mois. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Armée. Enquête sur un assassinat silencieux“, S. 40.)

(51) L’idée même de celui-là est amusante en soi. Elle est venue à l’auteur quand, en décembre

dernier, la France et son gouvernement ont commis un acte abominable à ses yeux, ne pas fêter le bicentenaire de la bataille d’Austerlitz. Comme moi, peut-être, vous trouvez qu’en termes d’abomination, ces derniers temps, le monde a fait mieux que d’oublier d’envoyer trois gugusses déguisés en grognards chanter le « Salve Regina » devant les Invalides. Sans compter le service que cette discrète omission a dû rendre à notre diplomatie européenne. Célébrer la bataille par laquelle l’Empereur entendait mettre la main sur tout le continent, vous imaginez le truc simple à expliquer à un Conseil de l’Union, surtout en pleine présidence autrichienne. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „‹ La Maxeillaise ›“, S. 19.)

Im ersten Ausschnitt aus einem Artikel über die Ermordung eines Afrikaners durch die französischen Truppen in der Elfenbeinküste und die weiteren Probleme des französischen Militärs verknüpft die Metonymie das Instrument einer Protesthandlung („Les lettres“) und die Handelnden selbst, die Ehefrauen der Soldaten, die die Briefe verfasst haben. Der metonymische Ausdruck „Les lettres“ verweist dabei zurück auf die vorherigen Erwähnungen „‹ lettres anonymes ›“ und „lettres“ und nimmt diese wieder auf, wie durch die Verwendung des definiten Artikels angezeigt wird. Dabei besteht also eine Übereinstimmung zwischen den verwendeten Ausdrücken, deren letzte Okkurrenz als metonymischer Ausdruck fungiert. Wie bei der Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept führt dieses Verfahren nicht zu Koreferenz: Während sich die ersten beiden Vorkommen wirklich auf die Briefe der Ehefrauen beziehen, referiert der metonymische Ausdruck indirekt auf die Ehefrauen selbst. Dennoch ist es eine anaphorische Wiederaufnahme, denn ohne die Verbindung zum Antezedens könnte die Referenz des metonymischen Ausdrucks nicht so einfach nachvollzogen werden, muss dafür doch erst einmal klar sein, welche Briefe gemeint sind. Erst von der so gewonnenen konzeptuellen Repräsentation aus können die geeigneten Kontiguitätsverbindungen erschlossen werden. Hier hilft folglich das Antezedens, den Referenzpunkt zu orten, von dem aus dann das Zielkonzept und die eigentliche Referenz des Ausdrucks abgeleitet werden können.

120 Antezedens

Anapher

referentielle

Worta Bedeutunga Konzepta Referenta

Abhängigkeit

Quelle Worta Bedeutunga Konzepta

Ziel konzeptuelle Kontiguität

Konzeptb Referentb

Metonymie

Wiederaufnahme

Abbildung 9: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept

Das zweite Beispiel (51) zeigt außerdem, dass es generell denkbar, wenn auch selten ist, dass metonymische Ausdrücke nicht nur auf Nominalphrasen rückverweisen. Sie können auch auf Verbalphrasen bzw. ganze Sätze oder auch umfangreichere Diskurskonstituenten zurückgreifen. Dies kann mittels einer Nominalisierung, die den metonymischen Ausdruck bildet, erfolgen. Nicht die Unterlassung einer Feier, „cette discrète omission“, erbringt der Europäischen Gemeinschaft den Dienst, sie ist nur das Mittel. Vielmehr sind es die Entscheidungsträger in der Regierung, die dem Jubiläum keine weitere Beachtung geschenkt haben und damit absichtlich oder unabsichtlich Verstimmungen aus dem Weg gegangen sind. Dieser metonymische Ausdruck, das deverbale Nomen „omission“, verweist wiederum im Quellkonzept auf die im Vorangegangenen geschilderte Handlung „ne pas fêter le bicentenaire de la bataille d’Austerlitz“ zurück. Allerdings liegt hier keine typische Anapher mehr vor. Mit Maaß (2008: 116–123, 227–253) könnte man von Komplexbildung bzw. Inkapsulation sprechen, da ein ganzer Diskursteil im Folgenden zu einem Referenten zusammengefasst wird. Damit befindet man sich an der Grenze zwischen der Anapher und der Deixis: Einerseits erfährt der Aufmerksamkeitsfokus in gewissem Maße eine neue Ausrichtung bzw. Abgrenzung, was den deiktischen Charakter hervorhebt (s. Kapitel 3.2.2.1, S. 78f.). Andererseits handelt es sich bei „omission“ um ein weniger prototypisches Komplexnomen, da es semantisch relativ spezifisch ist (im Vergleich z. B. zu ce fait, ce problème) (Maaß 2008: 120f., 232–239), was einen gewissen Überschneidungsbereich mit der Anapher eröffnet. Insgesamt ändert dies jedoch nichts daran, dass eine derartige Inkapsulation der vorhergehenden Diskursteile und die gleichzeitige Anbindung des weiteren Diskurses nur durch die metonymische Verwendung des Komplexnomens möglich wird.

121 f) Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie f) unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks Schließlich steht noch die Vorstellung des letzten Typs der Anaphorisierung in Verbindung mit Metonymien aus: die Anaphorisierung eines Antezedens durch das Zielkonzept der Metonymie eines nachfolgenden metonymischen Ausdrucks. Von vornherein macht dies eine wörtliche Wiederaufnahme unmöglich, setzt demgegenüber Koreferenz voraus. An folgendem Beispiel soll dies erläutert werden: (52) Le 5 mars, la perspective de voir jouer l’équipe de réserve de Marseille n’a pas entamé

l’audience du match PSG–OM sur Canal+. Mais les abonnés, invités à donner une note de satisfaction, ont saqué cette piètre partie avec un 8,76 sur 20. Et les courriers de mécontentement pleuvent. A l’inverse, le même week-end, le match de rugby Stade français–Biarritz a remporté la note record de 14,5, très exceptionnellement accordée au foot. Il est vrai que la créativité du Stade français a donné de la modernité et un côté festif à ce sport. A Canal+, où le plaisir des abonnés prime sur l’audience, la comparaison de ces résultats ne laisse pas indifférent. Le rugby est en train de se faire une place de choix. L’émission « Jour de rugby » est, certes, moins suivie que « Jour de foot », mais pas tant que cela. Et pour la première fois depuis la rentrée, six matchs ont été diffusés en prime time. Surtout le ballon ovale a l’avantage sur le rond auprès de la gent féminine. Et mieux vaut lui plaire car, si la décision de s’abonner est prise en famille, la résiliation est le plus souvent décidée... par les femmes. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Un sport très in...“, S. 41.)

Der Ausdruck „le ballon ovale“ verkörpert eine Metonymie, in der das speziell geformte Sportgerät die Sportart, nämlich Rugby, repräsentiert. Ebenso verhält es sich bei „le rond“ und dem Fußballspiel. Doch erst im Kontext, wenn man „le ballon ovale“ und „le rond“ als eine Anaphorisierung von „Le rugby“ bzw. „au foot“ auffasst, wird dieser Zusammenhang unmissverständlich erkennbar. So trägt in diesem Fall der Rückblick auf das Antezedens der Anapher nicht nur zur Identifizierung des richtigen Referenten bei, sondern als Erstes zur Interpretation der Metonymie. Diese Hilfestellung durch das Antezedens für das Verständnis der Metonymie ergibt sich daraus, dass bei der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie in der Tat Koreferenz zwischen den beiden Ausdrücken besteht. Aus der Notwendigkeit dieser Hilfestellung jedoch wird ersichtlich, dass die Funktion dieses Typs der Anaphorisierung nicht primär die Herstellung von Kontinuität sein kann, wird doch das Erkennen der Koreferenz dadurch erschwert, dass der anaphorische metonymisch verwendete Ausdruck weder bereits zuvor eingesetzt wurde oder im Folgenden weitergeführt wird, noch den erwartbaren Bezeichnungen für den jeweiligen Referenten entspricht (s. Abbildung 10). Hier liegt die Funktion der Metonymie allein in der Erzielung eines rhetorischen Effekts. In diesem speziellen Beispiel hilft sie, die Gegenüberstellung der zwei Sportarten auf ein besonders charakteristisches Unterscheidungsmerkmal, die Form der Bälle, herunterzubrechen.

122 Antezedens

Anapher

referentielle

Worta Bedeutunga Konzepta Referenta

Abhängigkeit

Quelle Wortb Bedeutungb Konzeptb

Ziel konzeptuelle Kontiguität

Konzepta Referenta

Metonymie

Wiederaufnahme

Abbildung 10: Schematische Darstellung der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks

Da sich dieser Typ der Anaphorisierung durch seine Funktion im Diskurs von den anderen abgrenzt – er trägt nicht zur Kontinuität bei, die Metonymie erfüllt lediglich eine stilistische Funktion – wird er im Gegensatz zu den anderen Typen in den folgenden Kapiteln zur kontinuitätsstiftenden Wirkung der Metonymie nicht mehr weiter auf seine Funktion hin betrachtet werden. Letztere soll deshalb anhand von zwei weiteren Beispielen als Exkurs an dieser Stelle beschrieben werden. (53) Le 20 juillet 1943, Jacques Lusseyran est cueilli, chez ses parents, par la Gestapo. On l’a

dénoncé. Pendant six mois, il est incarcéré, molesté et interrogé à Fresnes. En février 1944, il est déporté à Buchenwald. Malgré sa précaution d’usage – « Je ne vais pas vous montrer Buchenwald, personne n’a jamais pu le faire » –, on n’a jamais mieux vu l’enfer concentrationnaire qu’à travers les yeux morts de cet aveugle, l’héroïsme de cet enfant de 20 ans. Nuit et brouillard. Maintes fois, le matricule 41978 faillit mourir, de pleurésie, de dysenterie, de septicémie. De famine aussi, car on lui volait son pain sec, jusqu’à ce que des Russes le prennent sous leur protection. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un aveugle à Buchenwald“, S. 57.)

(54) « Jésus est mon pote ». Pas le vôtre ? Désolé, il va falloir vous habituer à croiser jeunes et

moins jeunes affublés d’un T-shirt avec la tête du Christ ou de sa maman, avec le message « Jesus is my homeboy » ou « Mary is my homegirl ». Teenage Millionaire, l’entreprise de Los Angeles qui a lancé le T-shirt, en a déjà vendu plus d’un million, et l’acteur Ben Affleck ou Madonna se sont fait photographier en compagnie de leur « pote ». Sans oublier Pamela Anderson, dont l’anatomie pulpeuse fait littéralement exploser le mot « Jésus »... (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „God is good“, S. 46.)

Beispiel (53) enthält den metonymischen Ausdruck „le matricule 41978“, der, wie im Kontext deutlich wird, auf den Träger dieser Nummer referiert: Dafür kommt nur Jacques Lusseyran in Frage, von dem der ganze Artikel, eine Besprechung seiner Memoiren, handelt. Nur wenn der metonymische Ausdruck als eine auf Lusseyran bezogene, koreferente Anapher aufgefasst wird, wird seine Referenz eindeutig erschließbar. Denn wer genau Träger dieser Nummer und

123 damit der Referent des Ausdrucks ist, kann nur durch die Rückschau auf das Antezedens festgestellt werden, indem dessen Referent mit dem Zielkonzept der Metonymie zur Deckung gebracht wird. Wie im vorangegangenen Beispiel (52) (S. 121) wird damit absichtlich eine ungewöhnliche Benennung des Referenten gewählt und ein expressiver Effekt intendiert. Dieser Effekt ist auch notwendig, um die Entscheidung für eine schwerer zu interpretierende Bezeichnung zu rechtfertigen. So kommt in diesem Beispiel durch die Herausstellung der Identifizierung des einzelnen Menschen mit einer Nummer die Menschenverachtung und Grausamkeit, die die KZ-Insassen erleiden mussten, zum Ausdruck. Wie im vorigen Beispiel ist damit einhergehend wieder zu beobachten, dass das Quellkonzept – zumindest im weitesten Sinne – ein Teilkonzept des Ziels repräsentiert. Dies ist insofern konsequent, als dadurch ein besonders charakteristischer Punkt hervorgehoben werden kann. Ähnlich wie die Beispiele (52) und (53) verhält sich Beispiel (54). Wenn sich Ben Affleck oder Madonna „en compagnie de leur ‹ pote ›“ photographieren lassen, so ist dies metonymisch zu verstehen: Der Ausdruck „‹ pote ›“ als Teil der Aufschrift des T-Shirts – aufgedruckt ist der Slogan „‹ Jesus is my homeboy ›“, zu übersetzen mit „‹ Jésus est mon pote ›“ – repräsentiert das gesamte Kleidungsstück und anaphorisiert damit die Erwähnung von „un T-shirt avec la tête du Christ ou de sa maman“. Wie schon in den Beispielen (52) und (53) wird damit ein besonderes und zugleich das eigentlich wichtige Charakteristikum, der entscheidende Teil, hervorgehoben. Das T-Shirt ist in dem Artikel des Nouvel Observateur, in dem es um die Vermarktung von Glauben über Konsumartikel geht, nur dadurch relevant, dass es genau diese christlich inspirierte Botschaft trägt. Die Metonymie vermittelt auf besonders eindringliche Weise die Zurschaustellung dieser Botschaft. Zusätzlich wird die Ausdruckskraft dadurch erhöht, dass der Bezeichnung „leur ‹ pote ›“ gleichzeitig eine metaphorische Komponente zugeschrieben werden kann: Das neue T-Shirt wird sozusagen zum Begleiter und Freund der Stars, die sich damit gerne als Anhänger des neuen Trends präsentieren. Außerdem ist die Metonymie noch stärker als im vorangegangenen Beispiel vom Kontext abhängig, da dieser erst die Verbindung zwischen den neu auf den Markt gekommenen T-Shirts und den darauf abgedruckten Slogans erklärt. Dies kommt offensichtlich der Expressivität dieser Metonymie entgegen, die sich gerade nicht einfach aus bestehenden Kontiguitätsverhältnissen ableitet, sondern erst im konkreten Kontext und bei der Konstruktion einer passenden Repräsentation für den Inhalt verstehen lässt. Damit sind alle Arten der Verbindung zwischen Metonymien und Anaphorisierungen, die in dem Korpus zu beobachten waren, vorgestellt worden: Hierbei waren streng genommen aus den bisherigen Betrachtungen alle Fälle ausgeklammert, die zwar analog aufgebaut sind, aber an Stelle des anaphorisierenden Elements Eigennamen enthalten. Hier kann nämlich nicht im engeren Sinne von Anaphern gesprochen werden, da Eigennamen ihre Referenz unabhängig von ei-

124 nem Antezedens herstellen und somit nicht das Kriterium der referentiellen Abhängigkeit der Anapher erfüllen.2 Dennoch sind auch diese chaînes de référence (s. Kapitel 3.2.2.4, S. 86) für die Kontinuität des Diskurses wichtig, da auch sie ein Element durch Koreferenz und eventuell durch die Verwendung desselben Ausdrucks kontinuierlich weiterführen. Deshalb sollen sie, obwohl nicht allzu viele Beispiele aus dem Korpus darunter fallen, Erwähnung finden. Betroffen sind im Korpus hauptsächlich Strukturen, in denen der metonymische Ausdruck und das Quellkonzept das Antezedens oder die Anapher bilden. Folgende Beispiele verhalten sich analog zu den soeben vorgestellten Anaphorisierungstypen und werden in der dort angewandten Reihenfolge dargestellt: (55) Les Berbères n’ont pas forcément vocation à être, à eux seuls, les enfants de l’Algérie. Le fait d’être là depuis le néolithique n’est pas une fin en soi. Bientôt les Chinois, de plus en plus nombreux chez nous, pourront clamer que l’Algérie est chinoise et il sera difficile de les contredire. Disons que pour le moment, l’Algérie est peuplée d’Algériens, descendants de Numides, et on en reste là. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mes chers compatriotes“, S. 52.)

(56) Où va l’Amérique ?

A l’extérieur, les Etats-Unis ont opéré un double changement. Ils sont passés d’un leadership multilatéraliste à une hégémonie d’inspiration nationaliste. Ils sont sortis d’un conservatisme mondial fondé sur l’endiguement du communisme et la défense du statu quo pour entrer dans un activisme international où la défense de la démocratie se mue en croisade, en lutte du Bien contre le Mal, et divise le monde, trop simplement, entre amis et ennemis. Mais il est parfois plus facile de faire la guerre que d’assurer la paix. Si les Etats-Unis sont entrés aisément en Irak, il leur sera difficile d’en sortir en y ayant atteint les objectifs qu’ils affichent : la démocratie dans la paix civile. Sur le long terme, les Etats-Unis auront sans doute à choisir entre l’hégémonie et le leadership. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 9.)

(57) « Des images terribles d’hommes marchant dans le désert, refoulés, abandonnés, nous écrit

Jacques Vuillemin. Entre la misère du Sud et la richesse du Nord, des barbelés. Derrière ces barbelés, le mirage d’un monde meilleur, plus humain, plus juste. L’espoir d’une vie nouvelle, des promesses d’avenir. Comment ne pas être partagé, déchiré entre compassion et impuissance ? » Pour ce lecteur, « la solidarité ne consiste pas seulement à accueillir des immigrés, mais aussi et surtout à s’intéresser à leur sort après. On ne peut favoriser l’immigration des élites et abandonner les autres. On ne réduira pas la misère du Sud en l’ignorant, en la repoussant, en élevant des barrières de barbelés. (...) La richesse du Nord ne pourra durablement coexister avec la misère du Sud ».

(Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Melilla, polygamie et regroupement familial“, S. 13.)

(58) Un Flaubert inédit

C’est l’exclusivité de l’année, encore qu’elle ait dormi dans un classeur perdu et oublié depuis... 1860 ! « Le Magazine littéraire » publie dans son numéro d’octobre (5,50 euros) un inédit de Flaubert dont les connaisseurs soupçonnaient l’existence, notamment par des lettres où l’auteur de « Mme Bovary » évoquait ce texte, mais sur lequel ils désespéraient de jamais mettre la main : « la Vie et les travaux du révérend Cruchard », portrait d’un prédicateur aux champs, une sorte d’autobiographie farceuse retrouvée par un chineur dans une liasse de papiers ayant appartenu à Caroline Commanville, la nièce de Gustave. Ecrit

2

Ein erster Hinweis auf das Problem erfolgte in Beispiel (44) (S. 111).

125 à l’intention de sa grande amie George Sand, c’est du Flaubert pur beurre, et la dame de Nohant a dû bien s’amuser aux aventures de ce Bourdaloue rural, « né à Maniquerville-lèsQuiquerville, diocèse de Lisieux »... (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un Flaubert inédit“, S. 58.)

In Beispiel (55) kann man das gleiche Muster erkennen, das beim Rückbezug auf das Quellkonzept einer Metonymie zu beobachten ist. Wenn es heißt, „l’Algérie est chinoise“, dann sind mit „l’Algérie“ das algerische Volk bzw. die Bewohner Algeriens gemeint. Die gleiche Bezeichnung – “l’Algérie“ – wird im Folgenden gebraucht, um wörtlich auf das Land zu referieren. Der zuvor metonymisch verwendete Ausdruck und das daran gebundene Quellkonzept tauchen wieder auf. Dennoch kann man hier nicht von einer Anaphorisierung sprechen, da „l’Algérie“ als Eigenname nicht auf eine vorhergehende Erwähnung zurückgreifen muss, um referentielle Interpretierbarkeit zu erlangen. Ebenso verhält es sich mit Beispiel (56), entsprechend dem Modell der Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks und des entsprechenden Quellkonzepts zur Ableitung weiterer Zielkonzepte. Die Nominalphrase „les Etats-Unis“ referiert zunächst auf die außenpolitische Abteilung der Regierung, dann auf die Soldaten, dann wieder auf die Verantwortlichen für die Außenpolitik. Wiederum sind diese Metonymien aufgrund der Verwendung des Eigennamens voneinander unabhängig auflösbar, und wiederum ist die Referenz des metonymischen Ausdrucks unabhängig bestimmbar, d. h. nicht anaphorisch. Sie zeigen dennoch durch die gleiche Benennung die Zusammenhänge zwischen den Referenten auf. Dies gilt auch bei der Aufrechterhaltung der gesamten Metonymie in Beispiel (57), das auf der konzeptuellen Verbindung zwischen der Himmelsrichtung, den dadurch gekennzeichneten Gebieten und den dort lebenden Menschen beruht. Auch die Bezeichnungen der Himmelsrichtungen können als Eigennamen angesehen werden und bilden deshalb keine Anaphern im eigentlichen Sinn. Schließlich kann in (58) auch der metonymisch verwendete Ausdruck („du Flaubert“) eine vorangehende, wörtlich zu verstehende Nominalphrase („Flaubert“, „l’auteur de ‹Mme Bovary›“, „Gustave“) als Eigennamen wiederholen, ohne dass er zur Herstellung seiner Referenz auf das Antezedens angewiesen wäre. Wie dargelegt wurde, sind diese Fälle, in denen die Referenz direkt und ohne notwendigen Rückgriff auf das Antezedens hergestellt werden kann, nicht als eine Anapher zu sehen. Nichtsdestoweniger sind solche (sinngemäßen) Wiederholungen des zunächst metonymisch verwendeten Ausdrucks und des Quellkonzepts auch ohne die referentielle Abhängigkeit der Anaphorisierung für die Herstellung von Kontinuität nicht unwichtig. Allein durch das mehrmalige Auftauchen desselben Ausdrucks wird klargestellt, dass eine Entität beständig im Zentrum der Aufmerksamkeit bleibt. Deshalb werden diese Fälle im nächsten Kapitel 5.2, das die Interaktion von Metonymien und Informationsstruktur analysiert, genauso Aufnahme finden wie die streng anaphorisch aufgebauten Verknüpfungen.

126 5.1.2

Ansätze zur Erklärung der Formen des Zusammenwirkens von Metonymie und Anaphorisierung

Wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln dargelegt, existieren viele Varianten, wie die Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks aussehen kann. Davon ausgehend wäre es interessant, zu wissen, welche Variante in welchem Kontext angemessen bzw. überhaupt möglich ist, wann das Quellkonzept und wann das Zielkonzept für die Wiederaufnahme zur Verfügung steht. Insbesondere die Frage, ob und in Abhängigkeit von welchen Faktoren Quell- oder Zielkonzept pronominal weitergeführt werden können und wie die Form des Pronomens bestimmt ist, wird in mehreren Ansätzen thematisiert. Es können drei Richtungen unterschieden werden: In Nunbergs Theorie, die bereits bei der generellen Vorstellung der Metonymie kurz angesprochen wurde, hängen die Anaphorisierungsmöglichkeiten metonymischer Ausdrücke davon ab, ob die Metonymie durch einen Prädikats- oder einen Referenztransfer zustande kommt (Kapitel 5.1.2.1). Andere Sichtweisen legen den Schwerpunkt dagegen auf kognitive Faktoren (Kapitel 5.1.2.2). Wieder andere betonen pragmatische Gesichtspunkte (Kapitel 5.2.1.3). Da aber, wie sich zeigen wird, alle diese Theorien nicht vollständig befriedigend sind und zum Teil den im Korpus vorgefundenen Belegen nicht gerecht werden, wird zuletzt in Kapitel 5.1.2.4 eine bisher weniger beachtete Erklärungsmöglichkeit aufgeführt und anhand der Ergebnisse der Korpusanalyse weiterentwickelt. Es wird die Hypothese aufgestellt werden, dass die Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke zu einem nicht geringen Anteil durch informationsstrukturelle Gegebenheiten beeinflusst wird und dass diese geradezu den Einsatz der Metonymie an sich rechtfertigen und hervorrufen. 5.1.2.1 Einfluss von referentiellem und prädikativem Transfer Die in den vorangegangenen Kapiteln angeführten sowie die in den einschlägigen Artikeln zu diesem Problem konstruierten Beispiele3 belegen, dass grundsätzlich sowohl das Quell- als auch das Zielkonzept einer Metonymie aufgegriffen werden können. Wie die folgende immer wieder so oder in ähnlicher Form diskutierte Beispielgruppe demonstriert, sind jedoch nicht in allen Fällen beide Varianten zulässig: 3

In diesem Teil der Arbeit wird darauf verzichtet, Beispiele aus dem Korpus anzuführen, da die vorzustellenden Ansätze nachvollzogen werden sollen und dies am einfachsten an den genau auf die Argumentation hin konstruierten Beispielen möglich ist. Die Akzeptabilitätsurteile sind ebenfalls von den jeweiligen Autoren übernommen. Da die meisten Aufsätze die Problematik am Fall des Englischen besprechen, stammen die Beispiele häufig aus dem Englischen und werden hier auch so aufgeführt.

127 (59) a) Plato is on the top shelf. It is bound in leather. b) ?Plato is on the top shelf. He is bound in leather.

(60) a) Plato is on the top shelf. You’ll find that he is a very interesting author. b) *Plato is on the top shelf. It is a very interesting author.

(61) a) The mushroom omelet left without paying his bill. He jumped into a taxi. b) ?The mushroom omelet left without paying its bill. It jumped into a taxi.

(62) a) ?The mushroom omelet left without paying. It was inedible. b) *The mushroom omelet left without paying. He was inedible. (Beispiele entnommen aus Stirling (1996: 82), eigene Hervorhebungen)

So kann z. B. in (60a) ohne Probleme auf das Quellkonzept der Metonymie rückverwiesen werden, in (62a) und (62b) erweist sich dies aber als mehr oder weniger inakzeptabel. Dafür wird in (61) das Zielkonzept aufgegriffen. Ebenso scheinen Restriktionen für die Form der pronominalen Wiederaufnahme zu existieren, wie sich in der Gegenüberstellung der Akzeptabilität der Sätze innerhalb der einzelnen Beispielpaare zeigt. Angesichts dieser und ähnlicher Daten wurden unterschiedliche Lösungsmodelle zur Erklärung der pronominalen Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke entwickelt. Diese Lösungsmodelle sind von dem jeweils zugrunde liegenden theoretischen Verständnis der Metonymie geprägt. Nunberg (1995) erweitert die referentielle Herangehensweise, indem er zwischen zwei Arten von metonymischen Prozessen, nämlich zwischen Referenztransfer und Prädikatstransfer differenziert. Diese theoretische Unterscheidung wurde in Kapitel 2.2.1.2 (s. S. 30) erläutert. Sie soll hier nur wiederholend umrissen werden, damit dann ihre Vor- und Nachteile für die Erklärung der pronominalen Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke diskutiert werden können. Nunbergs Grundidee ist folgende: Liegt ein Referenztransfer vor, so wird ganz einfach das jeweilige Nomen als von der Metonymie betroffen angesehen (Nunberg 1995: 109–115). Dessen Referenz verschiebt sich, sodass auf den neuen Referenten Bezug genommen wird. Interessant wird es aber z. B. bei folgendem Satz: (63) The man with the cigar (Mr. McDowell, etc.) is parked out back. (Beispiel entnommen aus Nunberg (1995: 112))

Nunberg nimmt nämlich an, dass die Verschiebung hier nicht „The man with the cigar“ betrifft, sondern das Prädikat. Dieses, so Nunberg, bezeichnet normalerweise eine Eigenschaft einer Entität. So gesehen würde sich „is parked out back“ normalerweise auf ein Auto beziehen. Diese Bezeichnung der Eigenschaft kann unter bestimmten Voraussetzungen als Bezeichnung für eine verwandte Eigenschaft verwendet werden. Die einzigen Bedingungen sind, dass „the two properties correspond in a certain way“ und dass die wörtlich bezeichnete Eigenschaft

128 in der jeweiligen Situation salient, „noteworthy“ (Nunberg 1995: 114), für den Träger der Eigenschaft ist, d. h. ihn in relevanter Weise charakterisiert. Im vorliegenden Beispiel könnte „is parked out back“ eine Eigenschaft beschreiben, die an Stelle des Autos „the man with the cigar“ betrifft und ungefähr bedeutet ‚ein Auto besitzen, das draußen geparkt ist‘. Der Transfer findet unter diesen Annahmen folglich allein im Prädikat statt.4 Welchen Fortschritt erbringt Nunbergs Theorie für die Erklärung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke? Schließt man sich seinen Annahmen an, so wäre zumindest die Frage beantwortet, in welchen Fällen das Quellkonzept und in welchen Fällen das Zielkonzept die Grundlage für die Anaphorisierung liefert. Handelt es sich um einen Referenztransfer, der das Nomen betrifft, so ist klar, dass nur noch auf den neuen Referenten, entsprechend dem Zielkonzept der Metonymie, zugegriffen werden kann. Die ursprüngliche, normale Referenz des Ausdrucks wurde durch die Metonymie überschrieben und ist für die anaphorische Wiederaufnahme nicht mehr verfügbar. Handelt es sich jedoch um einen Prädikatstransfer, so kann nur das Quellkonzept für die Anaphorisierung maßgeblich sein, denn die nominale Referenz ändert sich nicht. Nur im Prädikat findet eine für die Anaphorisierung des Nomens unerhebliche Verschiebung statt. So ließen sich die unterschiedlichen Anknüpfungsmöglichkeiten in den Beispielen (60a) und (61a) (S. 127), einmal an das Quell- und einmal an das Zielkonzept, ganz leicht darauf zurückführen, dass es sich im erstgenannten Beispiel um einen Prädikatstransfer, im zweitgenannten um einen Referenztransfer handelt. Zwar scheint die Idee des Prädikatstransfers auf den ersten Blick eine Erklärung für die je nach Metonymie variierenden Anaphorisierungsmöglichkeiten zu bieten. Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch, dass diese Idee an sich große Schwächen aufweist und folglich nicht als abschließende Antwort auf die Anaphorisierungsfrage dienen kann. Zunächst ist anzumerken, dass, wie in Kapitel 2.2.1.2 (s. S. 30) ausgeführt, die Annahme eines referentiellen Transfers, bezogen auf ein Nomen oder auf ein Prädikat, an sich problematisch ist: So verkennt dieser Ansatz u. a. die Tatsache, dass die ursprüngliche Bedeutung des metonymisch verwendeten Ausdrucks sehr häufig auch weiterhin mitschwingt und nicht einfach nur durch eine neue Referenz abgelöst wird. Außerdem läuft die Vorstellung eines Prädikatstransfers der Intuition völlig zuwider. So z. B. in (60a) (S. 127), wo ein solcher angenommen werden müsste und die mit dem Prädikat „is on the top shelf“ verknüpfte Eigenschaft etwa ‚ist Autor eines Buchs, das auf dem obersten Regal steht‘ lauten müsste. Viel einsichtiger wäre es, einfach auf den konzeptuellen Zusammenhang zwischen Autor, Werk und Buch 4

Eine ganz ähnliche Unterscheidung zwischen referentieller und prädikativer Metonymie bzw. zwischen NP- und VP-Metonymie treffen Stallard (1993) bzw. Egg (2004). Auch ihre Argumentation bezüglich der Anaphorisierung enthält gegenüber den Überlegungen Nunbergs nichts wesentlich Neues, weshalb auf eine ausführliche Darstellung verzichtet werden soll.

129 zurückzugreifen. Dieser Eindruck wird durch Warrens (2004: 110) Anmerkung bestätigt, wonach sehr viele auf Metonymien beruhende, inzwischen lexikalisierte Bedeutungen von Nomen zu finden sind, es demgegenüber aber kaum Verben gibt, die Bedeutungen haben, welche aus der angenommenen Beziehung zwischen den Prädikaten hervorgegangen sein könnten. Darüber hinaus erscheinen Nunbergs Kriterien der „noteworthiness“ (Nunberg 1995: 114) und des Zusammenhangs zwischen den Eigenschaften relativ vage und nicht überall gleich gut anwendbar. Während man in Beispiel (63) (S. 127) eventuell noch einen Kontext generieren kann, in dem die Tatsache, dass das Auto draußen geparkt ist, eine relevante Information über den Besitzer liefert, wird dies in (60a) schon schwerer fallen: Ist es bezüglich Platos Person wirklich bemerkenswert, dass sein Buch auf dem obersten Regal steht? Inwiefern wird er dadurch in bedeutsamer Weise charakterisiert? Die Kritik an den Kriterien für die Annahme eines Prädikatstransfers wiegt umso schwerer, als die Verbindung zwischen den Prädikaten eigentlich wieder auf die Verbindung zwischen den Eigenschaftsträgern zurückgeführt werden muss, also auf die normale Kontiguitätsrelation. Dies zentriert den metonymischen Mechanismus letztendlich doch wieder auf das Nomen: Wenn, wie gerade dargelegt, die übertragene Eigenschaft in Beispiel (60a) etwa mit ‚ist Autor eines Buchs, das auf dem obersten Regal steht‘ umschrieben wird, so erkennt man, dass die Verbindung zwischen den beiden Prädikaten nur aufgrund einer Kontiguitätsbeziehung zwischen dem mit dem Subjekt verbundenen Konzept und einem weiteren Konzept zustande kommt. Außerdem können in diesem Ansatz nur Metonymien erfasst werden, die das Subjekt eines Satzes beeinflussen. Dass andere Satzteile, z. B. das Objekt, ebenso gut einem metonymischen Prozess unterzogen sein können, kommt zu kurz. Doch selbst wenn man von den bisher angeführten Kritikpunkten absieht und zunächst noch der Trennung von prädikativem und referentiellem Transfer folgt, um diese für die Erklärung der Anaphorisierungstypen nutzbar zu machen, stößt man schnell an Grenzen. Erstens erweist sich die Unterscheidung zwischen den zwei Metonymietypen, um die Restriktionen bei der Anaphorisierung zu begründen, als Zirkelschluss. Nunberg (1995) verwendet nämlich wegen der Vagheit der sonstigen Kriterien die unterschiedliche Anaphorisierbarkeit von metonymischen Ausdrücken als Anhaltspunkt für die Unterscheidung, ob eine prädikative oder eine referentielle Metonymie vorliegt: Alle Fälle, in denen auf das Quellkonzept rückverwiesen wird, basieren auf Prädikatstransfer; alle Fälle, in denen das Zielkonzept für die Anaphorisierung zur Verfügung steht, stützen sich auf Referenztransfer. Umgekehrt wird behauptet, dass bei Prädikatstransfer eine Anaphorisierung nur für das Quellkonzept, bei Referenztransfer eine Anaphorisierung nur für das Zielkonzept möglich ist. Damit wird die These der Unterscheidung zwischen Prädikats- und Referenztransfer aus dem Argument der unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten abgeleitet. Gleichzeitig soll

130 aber aus derselben These – der Unterscheidung von Metonymietypen – die Existenz der unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten geschlussfolgert und vorhersagbar gemacht werden. Der zirkuläre Charakter dieses Gedankengangs verhindert einen wirklichen Erkenntnisgewinn. Zweitens lässt ein weiterer Punkt den Zusammenhang zwischen der Art der Metonymie und den Anaphorisierungstypen fragwürdig erscheinen. Dazu betrachte man nochmals die Beispiele (59a) und (60a) (S. 126). Nach der Theorie des Prädikatstransfers müsste in (59a) ein Referenztransfer angenommen werden, da „It“ im zweiten Satz mit dem Zielkonzept der vorangegangenen Metonymie übereinstimmt. In (60a) müsste, da mit „he“ im zweiten Satz auf das Quellkonzept der vorangegangenen Metonymie rückverwiesen wird, ein Prädikatstransfer diagnostiziert werden. Erstaunlich ist nun, dass die beiden ersten die Metonymie enthaltenden Sätze in (59a) und (60a) völlig gleich lauten. Warum sollten dann jedoch unterschiedliche Übertragungsmechanismen angenommen werden? Und welcher sollte angenommen werden, wenn der jeweils erste Satz der beiden Beispiele allein stünde und keine Fortsetzung vorhanden wäre? Dieser Widerspruch zeigt, dass die Anaphorisierungsmöglichkeiten bei Metonymien mit der Theorie des Prädikatstransfers nicht befriedigend erklärt werden können. 5.1.2.2 Einfluss von kognitiven Faktoren Aufgrund ihrer offensichtlichen Mängel ist die Annahme eines Prädikatstransfers nicht der einzige Versuch geblieben, die Restriktionen für die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke zu identifizieren. Auch kognitive Faktoren wurden als mögliche Erklärungsgrößen erkannt und herangezogen. Hier wäre der Ansatz Stirlings (1996) zu nennen. Dieser setzt sich insbesondere mit der Form auseinander, die ein Pronomen bei der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks annimmt. Entspricht dieses eher formal dem metonymischen Ausdruck oder konzeptuell dem intendierten Referenten? Stirling schließt aus der Gegenüberstellung der Satzpaare in (59) bis (62) (S. 126) auf eine generelle Präferenz dafür, dass Pronomen die Eigenschaften des intendierten Referenten widerspiegeln und nicht unbedingt mit dem formalen Antezedens kongruieren. Dies kann man an der Gegenüberstellung der a- und b-Varianten der Beispiele sehen. In jedem Fall wird das Beispiel, in dem das Pronomen mit dem intendierten Referenten übereinstimmt, besser bewertet. Die umgekehrte Variante wird zumindest immer als schlechter, wenn nicht gar als vollständig inakzeptabel angesehen. Daraus eröffnet sich freilich ein Einblick in formale Aspekte; das Problem, wann das Zielkonzept und wann das Quellkonzept maßgeblich für die Anaphorisierung ist, ist damit aber noch nicht gelöst. Ein anderer Hinweis bei Stirling könnte hierfür interessanter sein: Laut Stirling lässt sich nämlich

131 aus den Beispielen außerdem die Tendenz ablesen, dass die pronominale Weiterführung eines Referenten mit dem Merkmal [+menschlich] leichter akzeptiert wird als die Weiterführung eines unbelebten Referenten (vgl. Stirling 1996: 81– 84). Wenn also das Quellkonzept das Merkmal [+menschlich] trägt, wäre dessen Weiterführung gegenüber einem Zielkonzept mit dem Merkmal [-menschlich] vorzuziehen und umgekehrt. Dies könnte erklären, warum die Fortsetzungen in (62) (S. 127) seltsam klingen, denn hier wird gerade versucht, den „unbelebten Teil“ der Metonymie wieder aufzunehmen. Wenn man die Beispielpaare unter diesen Gesichtspunkten weiter vergleicht, fällt allerdings auf, dass die gerade genannten Kriterien zwar an einigen Stellen Erklärungsansätze liefern, aber nicht durchgehend auf alle Beispiele zutreffen. So ist (59a) (S. 126) doch akzeptabel, obwohl in diesem Fall der unbelebte Referent weitergeführt wird. Festhalten lässt sich nur, dass die Eigenschaft der Belebtheit des jeweiligen Referenten u. U. ein Einflussfaktor auf die Akzeptabilität der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks sein kann, der allerdings nicht immer zur Erklärung ausreicht. Ein weitaus detaillierterer Ansatz wird von Ruiz de Mendoza in verschiedenen Publikationen entwickelt und vertreten. Die folgende Darstellung bietet eine Zusammenfassung von Ruiz de Mendoza/Pérez (2001), Ruiz de Mendoza/Otal (2002: 123–134) und Ruiz de Mendoza/Díez (2004). Um die Überlegungen zur Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke verständlich zu machen, sind einige Grundannahmen Ruiz de Mendozas zur Metonymie in Erinnerung zu rufen bzw. näher zu erläutern. In Kapitel 2.2.1.3 (s. S. 36) wurden bereits die Grundzüge dieser Annahmen erklärt. Zusammenfassend sei nochmals die Definition für die Metonymie aus Ruiz de Mendoza/Pérez (2001: 327) aufgeführt. Die Metonymie wird definiert als a domain-internal one-correspondence conceptual mapping where the matrix domain can be either the source or the target of the mapping and where the target domain is a non-central characterization of the source. This latter requirement is immaterial in the case of source-in-target metonymies, since in them the target will always be the matrix domain.

Für die Erklärung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke sind zunächst die Begriffe der matrix domain bzw. der subdomain zu erläutern. Innerhalb der Repräsentationseinheit, in der die für die Metonymie bestimmenden Kontiguitätsrelationen liegen, können die beiden verbundenen Konzepte, die matrix domain und die subdomain, unterschieden werden. Der Begriff der matrix domain einer Metonymie ist wie folgt zu verstehen: By definition, the matrix domain of a metonymy is the most encompassing of the two domains involved in a mapping. As a result, it usually acts as a domain of reference. For this reason, it must be a very well-defined domain whose exact nature can be easily identified and accessed; that is to say, it must be a very clearly delineated concept. (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 299f.)

132 Komplementär dazu ist die subdomain das weniger umfassende Konzept, das in der jeweiligen Metonymie involviert ist. Außerdem gilt für die subdomain, dass sie sich im Gegensatz zur matrix domain durch das Merkmal „not always easy to access and/or determine with precision“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 300) auszeichnet. Diese Eigenschaft der subdomain ist keineswegs störend, da sie immer in Beziehung zur klar abgrenzbaren matrix domain gesehen wird: (64) The sax has the flu. (65) Chrysler has laid off a hundred workers. (Beispiele entnommen aus Ruiz de Mendoza/Díez (2004: 289), eigene Hervorhebungen)

In (64) stellt „The sax“ den metonymisch verwendeten Ausdruck dar, dessen konzeptuelles Pendant mit dem Zielkonzept des Saxophonspielers verbunden ist. In diesem Fall ist der Saxophonspieler als umfassenderes Konzept anzusehen, das sozusagen das Saxophon mit einschließt. Das Konzept des Saxophonspielers ist die matrix domain, das Konzept des Saxophons die subdomain. Im zweiten Beispiel (65) erkennt man besonders gut, was damit gemeint ist, dass die subdomain häufig nicht genau abgrenzbar ist. Das Quellkonzept der Metonymie ist durch die Firma Chrysler gegeben, das Zielkonzept durch die Verantwortlichen, die die Entlassung von Arbeitern anordnen können. Offensichtlich sind diese Verantwortlichen der enger eingegrenzte konzeptuelle Bereich, in Mendozas Worten die subdomain, innerhalb des weiter gefassten Bereichs des gesamten Unternehmens, der matrix domain. Dabei ist die subdomain relativ undeutlich konturiert: Wer genau damit gemeint ist – das Management, das den Beschluss fasst, oder die Personalabteilung, die die Kündigung schreibt, bzw. welche Personen im Einzelnen innerhalb dieser Instanzen die Handlungen ausführen – bleibt offen. Implizit ist in dieser Annahme von matrix domain und subdomain für jede Metonymie eine weitere Hypothese über deren Wesen enthalten: Letztlich wird postuliert, dass es nur Metonymien gibt, die sich auf eine Teil-Ganzes-Kontiguitätsrelation zurückführen lassen. Die Möglichkeit, dass eine Teil-Teil-Relation eine Metonymie bestimmt, wird ausgeschlossen: „In this connection, it may be observed, that examples of what have been traditionally regarded as part-for-part metonymies can be alternatively explained as instances of target-in-source metonymy“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 298). Aus der Gegenüberstellung von subdomain und matrix domain geht die zentrale Unterscheidung zwischen target-in-source- und source-in-target-Metonymien hervor. Unter source-in-target-Metonymien versteht Ruiz de Mendoza solche Metonymien, deren Zielkonzept der matrix domain und deren Quellkonzept der subdomain entspricht. Das Ziel (target) umfasst also die Quelle (source). Dieser Sachverhalt liegt in Beispiel (64) vor: Das Quellkonzept des Saxophons ist die subdomain in Verhältnis zum Zielkonzept des Saxophonspielers, das damit die matrix domain bildet. Unter target-in-source-Metonymien fasst Ruiz de

133 Mendoza umgekehrt solche Metonymien, deren Quellkonzept der matrix domain und deren Zielkonzept der subdomain entspricht. Damit enthält die Quelle (source) das Ziel (target). Beispiel (65) verkörpert diesen Typ, da hier die zuständigen Mitarbeiter als Zielkonzept im Quellkonzept des gesamten Konzerns enthalten sind. Genau diese Unterscheidung zieht Ruiz de Mendoza heran, um eine zu Nunberg und den verwandten Ansätzen alternative Erklärung für die unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Metonymien zu entwerfen: „It may be interesting to note that there seems to be a correlation between our two basic metonymic types and the phenomena of deferred indexical reference and predicate transfer“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 301). Wo Nunberg von Referenztransfer sprechen würde, zieht Ruiz de Mendoza die Klassifizierung als source-in-target-Metonymie vor. Fälle, die Nunberg als Prädikatstransfer ansieht, erscheinen bei Ruiz de Mendoza als target-in-sourceMetonymien. Und genau wie Nunberg stellt Ruiz de Mendoza für seine Unterscheidung die Behauptung auf, dass sie die unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten erklären kann. Der Vorteil zu Nunberg ist dabei, dass mit der Unterscheidung von matrix domain und subdomain bzw. daraus folgend von source-in-target- und target-in-source-Metonymien ein Kriterium gefunden zu sein scheint, das zunächst unabhängig von der Anaphorisierung an sich aufgestellt werden kann und damit nicht wie bei Nunberg die Gefahr eines Zirkelschlusses birgt. Außerdem muss nicht mehr mit der unbefriedigenden Vorstellung eines reinen Transfers gearbeitet werden, die Metonymie kann stattdessen als Zuordnung von Konzepten zueinander konzipiert werden. Die entscheidende These ist im so genannten domain availability principle zusammengefasst. Demzufolge gilt: „[O]nly the matrix domain of a metonymic mapping is available for anaphoric reference“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 304). D. h. unabhängig davon, ob es sich um das Quell- oder das Zielkonzept der Metonymie handelt, kann immer nur die matrix domain, d. h. das umfassendere, übergeordnete Konzept von beiden, pronominal weitergeführt werden (vgl. Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 304, Ruiz de Mendoza/Otal 2002: 126, Ruiz de Mendoza/Hernández 2001: 351). Vor diesem Hintergrund sollen wieder die am Anfang des Kapitels 5.1.2.1 eingeführten Beispiele, die als Prüfstein für die anderen Ansätze gedient haben, betrachtet werden. Zur Erinnerung sind diese Beispiele im Folgenden nochmals aufgeführt: (59)

a) Plato is on the top shelf. It is bound in leather. b) ?Plato is on the top shelf. He is bound in leather.

(60)

a) Plato is on the top shelf. You’ll find that he is a very interesting author. b) *Plato is on the top shelf. It is a very interesting author.

(61)

a) The mushroom omelet left without paying his bill. He jumped into a taxi. b) ?The mushroom omelet left without paying its bill. It jumped into a taxi.

134 (62)

a) ?The mushroom omelet left without paying. It was inedible. b) *The mushroom omelet left without paying. He was inedible. (Beispiele entnommen aus Stirling (1996: 82), eigene Hervorhebungen)

Mit Hilfe des domain availability principle können die Beispiele (60a), (61a), in denen die matrix domain aufgegriffen wird, und die Unzulässigkeit von (62), wo versucht wird, die subdomain wieder aufzunehmen, gerechtfertigt werden. Warum (59a) neben (60a) ebenfalls Bestand hat, ist allein durch das domain availability principle nicht zu klären, ebenso wie die Frage, welches Pronomen (in Kongruenz mit dem metonymischen Ausdruck oder dem Zielkonzept der Metonymie) verwendet wird. Deshalb bestehen neben dem domain availability principle drei weitere Prinzipien. Das zweite Prinzip, die constraint on metonymic anaphora, widmet sich dem Problem, welches Pronomen zur Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks gewählt wird: „Whenever anaphoric reference is made to a metonymic noun phrase, the anaphoric pronoun cannot have an independent metonymic interpretation, different from the one assigned to its antecedent“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 308). Dies bedeutet, dass das anaphorische Pronomen meistens selbst nicht metonymisch verwendet werden kann und demzufolge den Selektionsrestriktionen des Prädikats des jeweiligen Satzes entsprechen muss. Hier kommt Stirlings Idee zum Einsatz, dass die Tendenz besteht, das Pronomen gemäß dem intendierten Referenten des jeweiligen Satzes zu wählen. Dadurch kann erklärt werden, warum jeweils die Beispielsätze in (60b) und (62b) als völlig inakzeptabel bewertet werden. Sie widersprechen diesem Prinzip. Es ist jedoch als Grenzfall annehmbar, das Pronomen derart metonymisch zu verwenden, dass es einfach die bereits im Antezedens vorhandene Metonymie als Ganzes aufrechterhält, was die bedingte Akzeptabilität von (59b) und (61b) einleuchtend macht. Mit Hilfe des domain combinability principle und des domain precedence principle wird schließlich versucht, zu ergründen, warum die unterschiedlichen Wiederaufnahmen in (59a) und in (60a) möglich sind: Ruiz de Mendoza nimmt an, dass es sich bei der Metonymie, die das Konzept der Person Platos mit dem Konzept eines seiner Bücher verbindet, um eine Metonymie handelt, die in mehreren Schritten vollzogen wird und die Quell- und Zielkonzept der Metonymie durch weitere „Zwischenkonzepte“ verknüpft. In diesem Fall wäre die konzeptuelle Verbindung zwischen Plato und seinem Buch nur über das Zwischenglied von Platos Werk zu erlangen. Zuerst verbindet sich das Konzept Platos als matrix domain mit seinem Werk, welches wiederum in dem Medium des Buchs als zweiter matrix domain enthalten ist. Damit stehen zwei matrix domains zur Verfügung, welche weitergeführt werden können. Das domain combinability principle besagt, dass bei einem solchen „double mapping“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 311) dasjenige Konzept bei der Fortsetzung gewählt wird, welches semantisch besser zum Prädikat, das sich auf die Anapher bezieht, passt: „[W]henever

135 two domains are available for anaphoric reference to a metonymic noun, we tend to select the domain that is semantically more compatible with the predicate of the sentence containing the pronoun“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 311). In (59a) werden demzufolge das Zielkonzept und das entsprechende Pronomen, in (60a) das Quellkonzept und das entsprechende Pronomen zur Weiterführung ausgewählt (vgl. Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 310–312). Schließlich tritt das domain preference principle hinzu, nach dem gilt: „[I]n cases of double metonymic mapping, unless the predicate combines better with the final matrix domain, reference is preferably made to the initial matrix domain“ (Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 312). Hierdurch kommt der unterschiedliche Grad der Akzeptabilität in (59b) und (60b) zustande. Während in Beispiel (59b) das domain combinability principle verletzt wird, wird zumindest nach dem domain preference principle die erste matrix domain verwendet. Damit ist dieses Beispiel, wenn auch nicht vollkommen, dann immerhin einigermaßen akzeptabel. In Beispiel (60b) jedoch werden beide Prinzipien verletzt. Es ist dadurch vollkommen inakzeptabel (vgl. Ruiz de Mendoza/Díez 2004: 312, Ruiz de Mendoza/Otal 2002: 131, Ruiz de Mendoza/Hernández 2001: 352f.). Die geschilderte Theorie weist dennoch einige Schwachstellen auf. Hierzu wäre zunächst die Unterscheidung zwischen matrix domain und subdomain zu nennen. Diese ist zugegebenermaßen intuitiv einfacher zu erfassen als z. B. Nunbergs Gegensatzpaar von referentiellem und prädikativem Transfer. Allerdings finden sich Beispiele, in denen strittig ist, was als matrix domain und was als subdomain anzusehen ist. Dies betrifft v. a. solche Metonymien, die nur schwer auf eine Teil-Ganzes-Relation zurückzuführen sind: (66) Nixon bombed Hanoi; later he bombed Cambodia. (Beispiel entnommen aus Ruiz de Mendoza/Díez (2004: 208), eigene Hervorhebungen)

Ruiz de Mendoza und Díez (2004: 308f.) sehen in der Metonymie in „Nixon“ eine target-in-source-Metonymie, bei der das Konzept Nixons die matrix domain, das Konzept der Streitkräfte die subdomain ist. Das Wissen über die Streitkräfte Nixons muss als Teil unseres Wissens über Nixon angesehen werden. Gerade in diesem Fall wäre aber vielleicht auch die andere Richtung, die Annahme einer source-in-target-Metonymie vertretbar. Warum sollte nicht das Wissen über die Armee Nixon als obersten Befehlshaber enthalten? Nixon könnte in diesem Sinne als ein Teil der Armee angesehen werden, wenn überhaupt von einer Teil-Ganzes-Relation die Rede sein kann. Außerdem erscheint das Unterscheidungskriterium der klaren Umrissenheit für die matrix domains im Gegensatz zu den subdomains fraglich. Speziell in Beispiel (65) (S. 132), in der der metonymische Ausdruck „Chrysler“ das Unternehmen insgesamt als matrix domain aufruft, die dann auf das vage Zielkonzept der Verantwortlichen für die Entlassungen hinweist, kann man sich fragen, ob diese matrix domain wirklich so klar umrissen ist. Immerhin sind in der Bezeichnung des Unternehmens verschiedenen Facetten enthalten, die die Produktion genauso wie die Gebäude oder die

136 unternehmerische Organisation umfassen können. Kritik an der Unterscheidung von matrix domain und subdomain äußert auch Warren (2004: 108): This suggestion rests on the possibility of determining what domain includes what other domain. There seem to be no other criteria but intuition to do so. Intuition is an important tool in linguistics but only provided it has intersubjective support. It is debatable whether there is such support in the case of domain boundaries.

Außerdem führt Warren ein Beispielpaar an, das mit Ruiz de Mendozas Prinzipien nur schwer nachvollziehbar ist: (67) Ringo was hit in the fender when he was distracted. (68) Ringo was hit in the fender when he was parked at the university. (Beispiele entnommen aus Warren (2004: 108f.), eigene Hervorhebungen)

An dem Satzpaar zeigt sich folgendes Problem: Der Matrixsatz mit der Metonymie, in der über das Konzept Ringos auf das seines Autos verwiesen wird, ist in beiden Varianten derselbe, nur der subordinierte Satz ist abgewandelt. Es wird jedoch einmal das Quellkonzept wieder aufgenommen (Satz (67)), das andere Mal das Zielkonzept (Satz (68)). Da es sich beide Male um die gleiche Metonymie handelt, kann aber nicht einmal das eine und das andere Mal das andere Konzept als matrix domain und damit als potentielles Antezedens fungieren. Anders als in den ähnlich gelagerten Beispielen (59a) und (60a), in denen sich ebenfalls unterschiedliche Anaphorisierungen für denselben metonymischen Ausdruck in derselben Satzstruktur gegenüberstanden, ist hier kaum zu erkennen, wie ein mehrfaches mapping aussehen könnte, das mehrere matrix domains für die Anaphorisierung zugänglich machen und damit unterschiedliche Weiterführungen rechtfertigen würde. Das Beispielpaar erscheint daher mit Ruiz de Mendozas Prinzipien nicht lösbar. Dieser konkrete Fall mündet in die allgemeinere Frage: Wie genau kann bestimmt werden, ob ein mehrfaches mapping vorliegt oder nicht? Dies hängt wiederum mit der Tatsache zusammen, dass es, wie sich z. B. bei der Problematik der Facetten und der Generalität (s. Kapitel 2.2.2.2) gezeigt hat, oft unterschiedlich grobe oder feine Konzeptualisierungen eines Bereichs geben kann und je nachdem die Kontiguitätsrelation zwischen zwei Konzepten als mehr oder weniger direkt angesehen werden muss. Infolgedessen ist die Entscheidung, ob eine Metonymie als einfaches oder doppeltes mapping betrachtet wird, sehr subjektiv. So könnte man in Beispiel (65) (S. 132) und (66) (S. 135) genauso gut eine doppelte Metonymie mit den konzeptuellen Ketten Chrysler–Entscheidungsträger– Ausführende der Personalabteilung und Nixon–befehligende Generäle–ausführende Soldaten annehmen. Selbst wenn man Ruiz de Mendozas Herangehensweise übernehmen wollte, so stellt sich letztendlich immer noch die Frage, woraus diese vielen einzelnen Prinzipien hervorgehen und ob sie nicht auf eine grundlegendere Motivation hin zu bündeln wären.

137 5.1.2.3 Einfluss von pragmatischen Faktoren Zuletzt soll die Reihe der Vorschläge zum Problem der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke durch einen dem von Ruiz de Mendoza nicht unähnlichen Ansatz ergänzt werden. Hier wird jedoch der Schwerpunkt auf eine pragmatische, nicht auf eine kognitive Sichtweise gelegt. Insbesondere in Kleiber (1995) wird das Konzept der métonymie intégrée als Alternative zu Nunbergs Prädikatstransfer und generell als Alternative zu einer referentiellen Sichtweise vorgestellt. In Kapitel 2.2.1.4 (s. S. 40) wurden die Grundzüge der métonymie intégrée bereits erläutert. Die Grundhypothese lautet, dass in vielen Fällen, die normalerweise als metonymisch angesehen werden, keine indirekte Referenz des sprachlichen Ausdrucks vorliegt. Sie lassen sich durch ein pragmatisches Inferenzprinzip lösen. Dieses Inferenzprinzip formuliert Kleiber folgendermaßen: „[Le principe de métonymie intégrée] vise à rendre compte d’un phénomène cognitif majeur, à savoir qu’un référent, dans un sens très large du terme, peut se voir appliquer les propriétés, événements, etc., qui concernent en fait uniquement certaines de ses ‘parties’“ (Kleiber 1995: 124). Zieht man dieses Prinzip heran, so ist in den betreffenden Fällen weder ein referentieller noch ein prädikativer Transfer noch ein konzeptuelles mapping zu unterstellen. Der pragmatische Inferenzprozess genügt, um die Bedeutung der Äußerung abzuleiten. Eine Voraussetzung muss allerdings erfüllt werden, um so verfahren zu können: „[O]n voit déjà à quelles conditions s’opère un tel passage : il faut que les caractéristiques concernées soient d’une manière ou d’une autre également saillantes pour le tout“ (Kleiber 1995: 124). So in den folgenden Beispielen: (69) Les américains ont débarqué sur la lune en 1969. (70) Le pantalon est sale. (entnommen aus Kleiber (1995: 123, 124), eigene Hervorhebungen)

Dem Referenten von „Les américains“, also der Gesamtheit der Amerikaner, wird eine Eigenschaft zugeschrieben, die eigentlich nur auf einen Teil zutrifft, nämlich auf genau drei Amerikaner: Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin, ihres Zeichens die Besatzung der Apollo 11. Im weiteren Sinne trifft das Prädikat aber auch auf den gesamten Referenten zu, da damit das amerikanische Volk das erste war, das Angehörige auf den Mond gesendet hat. So liegt in Beispiel (69) der Schwerpunkt gerade nicht auf der Betonung der einzelnen Personen, sondern auf der Betonung der Bedeutung, die dieser Erfolg für die Gesamtheit der Amerikaner z. B. im Wettlauf gegen die Sowjets hatte. Die Nützlichkeit dieses sprachlichen Verfahrens ist insbesondere dann ersichtlich, wenn der Teil des Gesamtreferenten, der von dem Prädikat betroffen ist, nicht genau spezifiziert werden kann, wie in Beispiel (70). Sehr wahrscheinlich ist nicht die ganze Hose schmutzig, sondern nur ein Teil, z. B. befindet sich ein Fleck auf

138 dem linken Hosenbein. Diesen Bereich sprachlich exakt zu bestimmen, ist kaum möglich – und zumeist gar nicht nötig. Der einzige Nachteil des Prinzips der integrierten Metonymie wäre, dass es nur auf einen kleinen Anteil der Metonymien anzuwenden wäre, nämlich auf die, die auf einer Teil-Ganzes-Kontiguitätsrelation beruhen. Dem begegnet Kleiber durch die ergänzende Postulierung des principe de méronomisation: „Le rapport de contiguïté entre deux entités X et Y peut être dans certaines situations transformé en rapport de partie (X)–tout (Y)“ (Kleiber 1995: 128). So kann das Prinzip der métonymie intégrée auch auf alle Metonymien angewendet werden, in denen das principe de méronomisation greift. Damit verfolgt Kleiber in dieser Hinsicht eine ähnliche Strategie wie Ruiz de Mendoza bei der Festlegung der matrix domain. Und wie alle anderen genannten Autoren teilt Kleiber damit die Fälle, die normalerweise als metonymisch gelten, in zwei Gruppen ein. Auf der einen Seite befinden sich die aus seiner Sicht echten Metonymien, die auf einem Verweis vom Teil auf das Ganze beruhen und bei denen Kleiber wirklich eine indirekte Referenz gegeben sieht; auf der anderen Seite stehen die integrierten Metonymien, bei denen das Ganze benannt wird, aber genau genommen nur ein Teil von der beschriebenen Handlung betroffen ist, und die sich über Inferenz lösen lassen (vgl. Kleiber 1992: 109, 114–119). An Stelle von Nunbergs Prädikatstransfer dient nun Kleibers métonymie intégrée dazu, in diesen Fällen die Beschränkung der Anaphorisierungsmöglichkeiten auf die Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept zu erklären. Da bei der métonymie intégrée die Referenz des Ausdrucks in keiner Weise betroffen ist oder verändert wird, kann nur der ursprüngliche Referent für die Weiterführung zur Verfügung stehen. Liegt dagegen wirklich eine Metonymie und indirekte Referenz vor, so ist die Weiterführung des Zielkonzepts gangbar. Macht man sich die beiden Prinzipien Kleibers, also das Prinzip der integrierten Metonymie und das Prinzip der Meronymisierung, zu Eigen, so lässt sich nachvollziehen, warum nur das erste, nicht aber das zweite der folgenden Beispiele gänzlich akzeptabel erscheint und warum bei dem dritten Beispiel, im Gegensatz zum zweiten, sehr wohl das Zielkonzept wieder aufgenommen werden kann: (71) Paul n’est pas dans l’annuaire de téléphone. Il n’a pas voulu donner son nom. (72) ?Paul n’est pas dans l’annuaire de téléphone, parce qu’il a trop de lettres. (73) L’omelette est parti(e) sans payer. Il n’avait pas de fric. (Beispiele entnommen aus Kleiber (1995: 110, 108, 1992: 109), eigene Hervorhebungen)

Nach Kleibers Auffassung handelt es sich in den ersten beiden Sätzen bei der Benennung von Paul nicht um eine normale Metonymie, die eine konzeptuelle

139 Projektion o. Ä. enthält, sondern um eine métonymie intégrée. Die Voraussetzungen, dass erstens Pauls Name in gewissem Sinn als ein Teil der Person angesehen werden kann und dass zweitens die Aussage über das Vorhandensein des Namens für Paul insgesamt relevant ist, scheinen erfüllt zu sein. Im Folgenden ist nur das Konzept der Person Pauls, nicht aber das seines Namens, weiterzuführen, da das Antezedens damit ohne referentielle Übertragung oder konzeptuelle Projektion gerade die Person Pauls bleibt. Im Gegensatz dazu nimmt Kleiber für die tatsächliche Metonymie in (73) eine indirekte Referenz an, welche es rechtfertigt, dass im zweiten Satz dieser indirekt bezeichnete Referent wieder aufgenommen wird. Vergleicht man Kleibers Ansatz näher mit den anderen, so stellt sich heraus, dass die pragmatische Herangehensweise nicht der einzige Unterschied ist. Bereits die Bewertung der Beispiele weicht von der in anderen Aufsätzen ab. Um diese Abweichung zu erkennen, muss man nur eine Beispielreihe Kleibers ansehen, die den Plato-Sätzen aus den Beispielen (59a), (59b) und (60a) (S. 126 bzw. S. 133) ähnelt. Interessant ist, dass bei Kleiber die Akzeptabilität anders beurteilt wird als in den übrigen Untersuchungen: (74) *George Sand est sur l’étagère de gauche. Il est relié en cuir. (75) ?George Sand est sur l’étagère de gauche. Elle est reliée en cuir. (76) George Sand est sur l’étagère de gauche entre Hugo et Musset. Si elle revenait sur terre, cela lui ne plairait peut-être pas.

(Beispiele entnommen aus Kleiber (1995: 109, 108, 110), eigene Hervorhebungen)

Die hier eingefügten Markierungen für die Akzeptabilität entsprechen dabei Kleibers Auffassung. Die Abweichung betrifft Beispiel (74), das von Kleiber als nicht akzeptabel bewertet wird. Der analoge Fall unter den englischen PlatoBeispielen, nämlich (59a), wurde bei allen anderen Autoren immer als normal akzeptiert. Dieser Unterschied scheint nicht darauf zurückzuführen zu sein, dass es sich einmal um einen Satz in französischer, einmal um einen Satz in englischer Sprache handelt. Denn bei Fauconnier wird ebenfalls jenes Beispiel (74), das er in Bezug auf seine Theorie der espaces mentaux diskutiert, im Gegensatz zu Kleibers Auffassung problemlos akzeptiert (vgl. Fauconnier 1984: 18). Hier herrscht also bereits Unklarheit in der Bewertung der Beispiele. Wie schon bei Ruiz de Mendoza kann bei Kleiber außerdem genauso eingewendet werden, dass die Rückführung auf eine Teil-Ganzes-Beziehung zwar in den besprochenen Beispielen relativ einleuchtend erscheint, dass es aber sicherlich Kontiguitätsrelationen gibt, in denen nicht einfach zu entscheiden ist, welches der beiden involvierten Konzepte das Ganze, welches der Teil ist (s. Kapitel 5.1.2.2, S. 135). Obgleich Kleiber dem Problem, dass manchmal die gleiche Metonymie und der gleiche metonymische Ausdruck einmal den Rückbezug auf das Quellkonzept und einmal auf das Zielkonzept zuzulassen scheinen, insofern aus dem Weg geht, als er der einen Variante die Akzeptabilität abspricht, bleibt

140 trotzdem die Frage bestehen, wie Kleiber mit seinen Annahmen z. B. einer Syllepse wie in Beispiel (24) (S. 51) begegnen will. In derartigen Fällen werden offensichtlich beide in der Metonymie verbundenen Konzepte angesprochen, was die Trennung zwischen integrierter Metonymie und „normaler“ Metonymie erschwert. Beim Vergleich der drei hier vorgestellten Richtungen – referentielle, kognitive oder pragmatische Erklärung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke – lassen sich, wie sich gezeigt hat, einige Konstanten aufdecken: Alle drei versuchen, die Vorkommen der Metonymie in zwei Gruppen einzuteilen, deren Eigenschaften dann begründen sollen, warum jeweils nur das Quellkonzept bzw. das Zielkonzept in der Anapher weitertransportiert werden kann. Dabei ergeben sich bei allen drei Ansätzen die gleichen Probleme: Die Kriterien für die Unterteilung sind nicht eindeutig genug; manche Fälle scheinen der strikten Zweiteilung zu widersprechen, indem sich ihre Anaphorisierungsmöglichkeiten als nicht so eingeschränkt erweisen wie in den einzelnen Theorien angenommen. An verschiedenen Stellen treten innere Widersprüche in den einzelnen Theorien auf, bzw. es ergeben sich Zirkelschlüsse, die den Erklärungsgehalt in Frage stellen. Darüber hinaus ist der Blickwinkel der vorgestellten Ansätze stark eingeschränkt, da er nur auf die pronominale, nicht aber auf die nominale Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke eingeht und die Anaphorisierung durch metonymische Ausdrücke unberücksichtigt lässt. Deshalb soll im nächsten Kapitel versucht werden, eine Erklärungsalternative zu finden. 5.1.2.4 Vorschlag einer alternativen Erklärung: Einfluss informationsstruktureller Faktoren Der Blick auf die vorgestellten theoretischen Erklärungsansätze ergibt, dass diese einige Probleme, die sich speziell bei der pronominalen Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke stellen, nicht vollständig zu lösen vermögen. Außerdem ist ihre Beschränkung auf die pronominale Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke nicht befriedigend, hat doch die Vorstellung der verschiedenen Anaphorisierungstypen in Kapitel 5.1.1.1 und 5.1.1.2 erwiesen, dass auch nominale Wiederaufnahmen auftreten. Diese Probleme liegen eventuell u. a. darin begründet, dass die diskutierten Ansätze ausschließlich konstruierte Beispiele verwenden und somit von der subjektiven Auswahl der jeweils besprochenen Beispiele abhängig sind. Zudem fehlt jegliche Einbettung der einzelnen isolierten Sätze in einen umfassenderen sprachlichen Kontext. Dadurch laufen sie Gefahr, aus den Augen zu verlieren, welche Typen der Anaphorisierung in realen Diskursen überhaupt vorkommen und welche vorwiegend verwendet werden. Dies wird ganz deutlich, wenn, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, sogar die Akzeptabilitätsurteile zu gleichen oder zumindest gleichartigen Satzfolgen

141 zwischen den verschiedenen Ansätzen nicht übereinstimmen. Aus diesen Gründen wendet sich das vorliegende Kapitel den Ergebnissen der Korpusanalyse und den dort gesammelten authentischen Diskursausschnitten zu, um die eventuell durch die ausschließliche Heranziehung konstruierter Beispiele leicht verschobenen Vorstellungen zu korrigieren und auf dieser empirischen Basis eine alternative Erklärungsstrategie für die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke zu entwickeln. Der erste Schritt besteht in einer groben Einschätzung, welche der Anaphorisierungstypen besonders häufig auftreten. Hier ist es natürlich aufgrund des qualitativen anstatt quantitativen Vorgehens bei der Korpusanalyse (s. Kapitel 4.2 und 4.3) nicht angebracht und sinnvoll, genaue Zahlen zu nennen. Es sollen lediglich deutliche Tendenzen, die sich bei der Untersuchung des Korpus abgezeichnet haben, wiedergegeben werden. Dabei wird auch die Wahl der unterschiedlichen formalen Mittel bei der Anaphorisierung (Nominalphrasen oder Pronomen) thematisiert. In einem zweiten Schritt soll versucht werden, einen neuen Erklärungsansatz zu entwickeln, der den Beobachtungen zu den unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten metonymischer Ausdrücke im Korpus Rechnung trägt. In Bezug auf die Häufigkeit der Anaphorisierungstypen können einige relativ deutliche Tendenzen festgestellt werden. Für die Anaphorisierung eines metonymischen Antezedens zeigt sich im Korpus Folgendes: Diejenigen Vorkommen, bei denen in der Anapher der zunächst metonymisch verwendete Ausdruck (sinngemäß oder wörtlich) übernommen wird (also bei Rückbezug auf das Quellkonzept, Ableitung weiterer Metonymien, Aufrechterhaltung derselben Metonymie) sind weitaus häufiger als diejenigen, bei denen ein dem Zielkonzept entsprechender Ausdruck weitergeführt wird. In ähnlicher Weise ist für die Anaphorisierung von Nominalphrasen durch metonymische Ausdrücke festzustellen, dass die Fälle überwiegen, in denen der metonymische Ausdruck und das Quellkonzept wörtlich oder sinngemäß das Antezedens wieder aufgreifen. Die Art der Anaphorisierung, bei der das Antezedens durch das Zielkonzept der folgenden Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks wieder aufgenommen wird, ist etwas seltener. Differenziert man außerdem zwischen der pronominalen und der nominalen Anaphorisierung, dann ergeben sich weitere interessante Details: Generell ist kein deutlicher Unterschied zwischen der Gesamtzahl der pronominalen und der nominalen Anaphorisierungen zu erkennen. Wenn man allerdings pronominale und nominale Anaphern getrennt in Hinblick auf die einzelnen Anaphorisierungstypen vergleicht, fallen zwei Punkte auf: Erstens ist die Zahl der Beispiele, in denen das Zielkonzept einer Metonymie durch ein Pronomen wieder aufgenommen wird, das eindeutig mit einem dem Zielkonzept entsprechenden Ausdruck kongruiert, verschwindend gering. Bei den drei derartigen Beispielen im

142 Korpus besteht außerdem die Vermutung, dass es sich nicht um echte Anaphern handelt.5 Dieses Muster der Weiterführung eines dem Zielkonzept entsprechenden Ausdrucks ist für die nominale Anapher aber durchaus zu finden. Zweitens sind im Bereich der pronominalen Wiederaufnahme die Beispiele am häufigsten, in denen das Pronomen mit dem metonymischen Antezedensausdruck kongruiert, sich aber auf das Zielkonzept der Metonymie rückbezieht und sozusagen die Metonymie insgesamt in der Anapher aufrechterhält. Ihr Anteil unter den pronominalen Aufnahmen scheint vergleichsweise höher zu sein als der der Aufrechterhaltung der Metonymie in der Gruppe der nominalen Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke. Vergleicht man diese Ergebnisse, insbesondere zur pronominalen Weiterführung, mit den konstruierten Beispielen der besprochenen Ansätze, so ergibt sich folgendes Bild: Die erste Auffälligkeit zur pronominalen Anapher spiegelt sich in der Diskussion der theoretischen Ansätze nicht wider. Konstruierte Beispiele mit der Wiederaufnahme durch ein sinngemäß an den Merkmalen des Zielkonzepts orientiertes („zielkongruentes“) Pronomen werden gleichwertig neben die übrigen gestellt. Nur Kleiber entspricht mit seinem Inakzeptabilitätsurteil für derartige Fälle den im Korpus vorgefundenen Verhältnissen, wie Beispiel (74) (S. 139) zeigt. Auch der zweiten Auffälligkeit wird in der Diskussion der konstruierten Beispiele nicht Rechnung getragen: Alle Ansätze stufen diejenigen Fälle in ihrer Akzeptabilität als fragwürdig ein, bei denen das Pronomen mit dem metonymischen Ausdruck kongruiert und gleichzeitig auf das Zielkonzept der Metonymie bzw. den intendierten Referenten des metonymischen Ausdrucks rückverweist, also die Metonymie als Ganzes aufrechterhält. Erstaunlicherweise ist dies ein im Korpus verhältnismäßig häufig zu beobachtendes Phänomen. So sind z. B. Stirlings Hypothese, die Pronomen richteten sich meist nach dem intendierten Referenten, und die ähnlich gelagerte constraint on metonymic anaphora nach Ruiz de Mendoza in Frage zu stellen. Aus all diesem folgt, dass entweder die theoretischen Ansätze an der Realität vorbeizielen oder dass die Sachlage für das Französische sich stark von der des Englischen, aus dem die meisten konstruierten Beispiele stammen, unterscheidet. Beides führt dazu, dass – zumindest im Fall des Französischen – eine neue Erklärung für die unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten gefunden werden muss. Bei der Betrachtung der konstruierten Beispiele in den diskutierten Ansätzen fällt auf, dass der gleiche metonymische Ausdruck mit derselben Metonymie (gleiche Quelle und gleiches Ziel) in verschiedenen Satzkombinationen teilweise unterschiedliche Anaphorisierungen zulässt. Dennoch wird in allen Erklärungsversuchen darauf abgezielt, ein Kriterium zu finden, das den jeweiligen Metonymietyp betrifft, also in der Metonymie selbst verankert ist, um damit die Anaphorisierungsmöglichkeiten des zugehörigen metonymischen Ausdrucks zu 5

Dieser Sachverhalt wurde anhand des Beispiels (49) auf S. 117 ausführlicher diskutiert.

143 erfassen. Die Beobachtung von unterschiedlichen Anschlüssen in unterschiedlicher diskursiver Umgebung liefert jedoch einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Erklärung für die verschiedenen Anaphorisierungsmöglichkeiten bei metonymischen Ausdrücken sehr wahrscheinlich nicht in der Metonymie selbst liegt, sondern in den diskursiven Konstellationen, in die sie eingebunden ist. Von dieser Beobachtung aus ist die Annahme nahe liegend, dass informationsstrukturelle Faktoren eine Rolle spielen könnten. Wie in Kapitel 3 zur Kontinuität dargestellt, hängen die informationsstrukturelle Gliederung des Diskurses und die formale anaphorische Wiederaufnahme eng zusammen. Demnach ist anzunehmen, dass die Art der Anaphorisierung des metonymischen Ausdrucks durch die Einbindung der jeweiligen Metonymie in die Informationsstruktur des Diskurses begründet ist: Mit der Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks oder der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck wird dieser genutzt, um auf etwas Gegebenes zurückzugreifen und eine kontinuierliche Weiterführung derselben Entität zu signalisieren. Im Fall der Wiederaufnahme des Zielkonzepts unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks scheint eine elegante Möglichkeit gefunden, wie Überleitungen bewerkstelligt werden können, ohne den konzeptuellen Faden zu verlieren. Durch die Metonymie kann also Gegebenheit ausgenutzt bzw. Ableitbarkeit hergestellt werden, um größtmögliche Kontinuität zu erzielen. Dieses Prinzip, das den Leitfaden für die restliche Arbeit darstellen wird, kann in den meisten Fällen zusätzlich darauf zugespitzt werden, dass der entscheidende Faktor für die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke darin liegt, welcher Bestandteil der Metonymie an der jeweiligen Stelle gerade als Topik in Frage kommt, die Quelle oder das Ziel.6 Diese Hypothese soll nun als Erstes in Bezug auf die Weiterführung des Quellkonzepts und des metonymischen Ausdrucks als gegebenes bzw. in vielen Fällen auch topikales Element ausgeführt und untermauert werden. Als Zweites wird die Überleitung zum Zielkonzept als abzuleitende Information und insbesondere als abzuleitendes Topik erörtert werden. Der eingangs festgestellte hohe Anteil der Metonymien, bei denen der metonymisch verwendete Ausdruck wörtlich oder sinngemäß wieder aufgenommen wird bzw. bei denen eine Nominalphrase durch den metonymischen Ausdruck anaphorisiert wird, belegt, dass eine wichtige Aufgabe der Metonymie im Diskurs darin besteht, die verwendeten Ausdrücke konstant und den Diskursverlauf damit kontinuierlich erscheinen zu lassen. Diese Konstellationen signalisieren nach außen Kontinuität, indem sie denselben oder zumindest einen bedeutungsähnlichen Ausdruck weiterführen, damit scheinbar auf dieselbe Entität zurückkommen und zugleich die konzeptuelle und referentielle Abweichung, also die Einbringung des Zielkonzepts und 6

Eine ähnliche gelagerte, allerdings wiederum nur an wenigen konstruierten Beispielen belegte Idee entwickelt auch Warren (2004, 2006) im Rahmen einer konstruktionsgrammatischen Herangehensweise.

144 des indirekten Referenten, überspielen. Besagte kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie betrifft im Einzelnen die Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept, die Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte, die Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept und die Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept. In der Mehrheit der für diese Gruppe angeführten Diskursausschnitte7 ist diese Funktion relativ einfach zu erkennen. So auch im folgenden Beispiel: (77) La fonction actuelle de l’histoire, c’est de clarifier les procédures de l’évolution de l’humanité,

et par là aussi peut-être la nature des problèmes auxquels se confronte l’humanité. L’évolution historique est devenue une composante centrale des sciences naturelles dans des domaines aussi éloignés que la cosmogonie et le néodarwinisme. De fait, la biologie moléculaire et évolutionniste, la paléontologie, l’archéologie transforment l’histoire elle-même. Jusqu’à un certain point l’évolution, y compris de l’espèce humaine, peut se comprendre à travers les procédures de l’évolution darwinienne. Mais à partir de l’humanisation de cette histoire, ça ne suffit plus. Vu que l’histoire humaine est d’une brièveté extrême. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Ma vie en rouge“, S. 17.)

Beispiel (77) illustriert die nominale Variante der Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept. Die Metonymie befindet sich gleich am Anfang im ersten Vorkommen von „l’histoire“, wo der Beschreibungsgegenstand der Geschichte auf die beschreibende Wissenschaft hindeutet. Dann wird im Folgenden mit „l’évolution historique“ und „l’histoire“ der zuvor metonymisch verwendete Ausdruck und damit nur das Quellkonzept wieder aufgegriffen. Hier zeigt sich, wie der Einsatz der Metonymie dazu verhelfen kann, eine Abfolge einheitlich erscheinen zu lassen: Dass im ersten Satz metonymisch von „l’histoire“, nicht aber direkt von Geschichtsschreibung, von historiographie, die Rede ist, erbringt für die Kontinuität des Diskurses den Vorteil, dass formal der gleiche bzw. ein äquivalenter Ausdruck wie in den weiteren Erwähnungen steht. Diese erscheinen deshalb untereinander verbunden, und die Anzahl der unterschiedlichen vom Hörer oder Sprecher direkt zu aktivierenden Informationselemente wird dadurch minimiert. Die Geschichte an sich als Topik und die Geschichtsschreibung werden als ein konzeptuelles Konglomerat präsentiert. Und dass diese beiden wirklich nur schwer zu trennen sind, zeigt sich auch im Verlauf des Zitats, wo gerade betont wird, wie sehr unser Verständnis von geschichtlichen Ereignissen davon abhängt, welchen Blick wir untersuchend darauf werfen. Durch die Metonymie wird erreicht, dass dieses gegebene Konzept als Topik kontinuierlich immer wieder auftreten kann. Eine solche auf den Diskurs ausgerichtete Erklärung macht auch nachvollziehbar, dass der gleiche metonymische Ausdruck in verschiedenen anschließenden Sätzen auf verschiedene Arten anaphorisiert werden kann; ein Fall, der 7

Hierzu gehören Beispiel (39) auf S. 107, die Beispiele (42) bis (47) ab S. 109 und (50) sowie (51) auf S. 118.

145 in den übrigen Ansätzen Probleme bereitet hat. Beispiel (67) und (68) (S. 136) boten eine solche Konstellation und sollen deshalb kurz wiederholt und um ein weiteres Beispiel ergänzt werden: (67) Ringo was hit in the fender when he was distracted. (68) Ringo was hit in the fender when he was parked at the university. (78) Ringo was hit in the fender when *it was parked at the university. (Beispiele entnommen aus Warren (2004: 108f., 112), eigene Hervorhebungen)

Die Akzeptabilitätsurteile zu diesen Sätzen bestätigen die vorhergehenden Hypothesen wie folgt: Im ersten Satz wird Ringo formal als gegebenes Element im subordinierten Satz weitergeführt und als Topikausdruck verwendet, wodurch der unterschiedliche Referent von „Ringo“ (indirekter Bezug auf das Auto) und „he“ (Bezug auf die Person Ringos) nicht ins Gewicht fällt. Ebenso wenig ist das zweite Beispiel problematisch, in dem sowohl der Topikausdruck aufgegriffen als auch der gleiche Referent (das Auto) beibehalten wird. Nur (78) ist nicht zulässig, da zwar der Referent (das Auto) gleich bleibt, aber die Gegebenheit formal nicht mehr erkennbar ist und der Topikausdruck gewechselt wird („Ringo“–“it“). Damit wird übrigens auch Kleibers Akzeptabilitätsurteil in diesem strittigen Fall unterstützt (s. S.139). Warrens Hypothese lautet deshalb: „[M]y account stipulates that change of reference is permissible but change of topic is not“ (Warren 2004: 111). Diese Auffassung bestätigt die Beobachtungen und die bisherigen Schlüsse aus dem Korpus. Dennoch genügt es nicht, sich auf die Fälle zu beschränken, in denen ein Rückbezug auf das in der Metonymie gegebene Quellkonzept stattfindet, der metonymische Ausdruck und damit auch meist der Topikausdruck konstant gehalten wird. Metonymische Ausdrücke, die eine Wiederaufnahme des Zielkonzepts durch einen diesem entsprechenden nominalen Ausdruck erfahren, treten ebenso auf. Sie machen die Kontiguitätsrelation der Metonymie auf eine andere Weise zur Steigerung von Kontinuität nutzbar und können damit genauso unter informationsstrukturellen Gesichtspunkten erklärt werden. Hier wird nicht konstant ein Ausdruck weitergeführt, sondern auf einen bestimmten Aspekt übergeleitet. Ein neueres Informationselement wird als Zielkonzept einer Metonymie mittels des gegebenen oder allgemein leichter zugänglichen Quellkonzepts ableitbar gemacht. In der Anapher kann dieses Zielkonzept bzw. der intendierte Referent dann explizit aufgegriffen und gegebenenfalls als Topik verwendet werden. Damit bewirkt die Metonymie, dass trotz der Bezugnahme auf einen neuen Referenten der Bruch zumindest abgemildert und Kontinuität in gewissem Maße gewahrt bleibt. Auch diese Form der Anaphorisierung lässt sich somit durch ihre Funktion im Diskurs verstehen. Den beschriebenen Vorgang kann man am folgenden Beispiel nachvollziehen:8 8

Ähnliches ist auch an den bereits besprochenen Beispielen (40) auf S. 107 und (48) auf S. 116 zu erkennen.

146 (79) Rapidement naît l’idée d’amorcer un dialogue juifs-Noirs dans un cadre au départ strictement

philosophique. Ils prennent contact avec la communauté juive locale, d’abord surprise de leur démarche. « Pour le rabbin de la ville, se souvient Abdoulaye Barro, aujourd’hui docteur en philosophie, les rapports des juifs et des Noirs ne posaient alors aucun problème particulier. Il nous a demandé notre diagnostic. J’ai parlé d’indifférence sympathique, mais je lui ai dit qu’il nous semblait indispensable d’anticiper l’action d’éventuels pyromanes dans le futur. [...] » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Juifs–Noirs, un dialogue“, S. 59.)

Im zweiten Satz des Beispiels wird mit „la communauté juive locale“ wörtlich eine ganze Gruppe bezeichnet, metonymisch aber auf einen Stellvertreter der Gruppe verwiesen. Dass diese Aktivierung des Zielkonzepts tatsächlich stattfinden muss und nicht die Gemeinde als Ganzes gemeint sein kann, macht v. a. die Präpositionalphrase „surprise de leur démarche“ erkennbar. Eine solche Charakterisierung ist eher auf eine einzelne Person gemünzt. Diese Kontaktperson ist offensichtlich der Rabbiner der Stadt, der im darauf folgenden dritten Satz eingeführt wird. Auf diese Weise entsteht auch ein Rückbezug auf „la communauté juive locale“, der zusätzlich zu der Spezifizierung „de la ville“ die Verwendung des definiten Artikels rechtfertigt. So wird das allgemeinere und globalere Konzept der lokalen jüdischen Gemeinde, da es zunächst leichter zugänglich ist, als Quellkonzept verwendet. Als Zielkonzept werden die zugehörigen Personen impliziert, insbesondere das Oberhaupt der Gemeinschaft, der Rabbiner der Stadt. Wenn sodann im nächsten Satz direkt auf „le rabbin de la ville“ Bezug genommen wird, so geschieht dies nicht völlig unvorbereitet. Indirekt wurde dieser ja schon durch das Zielkonzept und den intendierten Referenten des metonymischen Ausdrucks eingeführt und kann so leicht konkretisiert und mit dem definiten Artikel als Zeichen für Gegebenheit weitergeführt werden. Als einen Sonderfall dieser Überleitungsfunktion von Metonymien könnten u. U. die situationsbasierten Metonymien des „Omelett-Typs“, also die Beispiele (61) und (62) (S. 127), eingeordnet werden. Sie kommen zwar im Korpus nicht vor – eventuell wegen dessen schriftsprachlicher Ausrichtung –, aber da die konstruierten Beispiele in diesen Fällen übereinstimmend die Weiterführung des Ziels mittels eines „zielkongruenten“ Pronomens aufweisen, sollen sie kurz angesprochen werden. Dass diese pronominale Weiterführung eventuell möglich ist, könnte der Tatsache zugeschrieben werden, dass das Quellkonzept (z. B. das Konzept des Omeletts) aufgrund der deutlichen Präsenz in der jeweiligen Situation gegeben und in hohem Maße im Bewusstsein der Beteiligten aktiviert ist. Darüber sind das Zielkonzept und der intendierte Referent innerhalb dieser konkreten Situation eindeutig und einfach zu identifizieren. Gerade darum geht es ja bei der Verwendung der Metonymie in derartigen Fällen. Damit erfolgt, wie bei der im Vorangegangenen dargestellten Überleitungsfunktion, die Identifizierung und Etablierung eines Referenten mit Hilfe der Metonymie. Der einzige Anaphorisierungstyp, der aus der Reihe fällt und der nicht direkt eine kontinuitätsstiftende Funktion aufweist, ist die Anaphorisierung einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines

147 entsprechenden metonymischen Ausdrucks. Bei diesem Typ steht, wie in Kapitel 5.1.1.2 (s. S. 122) beschrieben, eher die Erzielung von Expressivität im Vordergrund. Dieser Effekt wiegt zugleich die Tatsache auf, dass in diesem speziellen Fall die Metonymie für die Herstellung von Kontinuität nicht besonders förderlich ist. Im Lichte der Hypothese, dass die Art der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke durch die kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie im Diskurs begründet ist, lässt sich nun auch die eingangs beobachtete, auffällige Abweichung in der Verteilung der Anaphorisierungsarten metonymischer Ausdrücke zwischen der pronominalen und der nominalen Anaphorisierung verstehen. Diese Abweichung führte zu folgenden Fragen: Warum treten bei der nominalen Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks in manchen Fällen der metonymische Ausdruck, in anderen ein dem Zielkonzept entsprechender Ausdruck als Anapher auf, während bei Pronomen nur die erste, formal mit dem metonymischen Ausdruck übereinstimmende Variante erlaubt zu sein scheint? Und warum ist bei der pronominalen Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks die Aufrechterhaltung der gesamten Metonymie (Bezug auf das Zielkonzept bzw. den intendierten Referenten durch ein mit dem metonymischen Ausdruck kongruentes Pronomen) besonders häufig? Unter Berufung auf Givón, Grobet und andere (s. Kapitel 3.2.1.4, S. 76) kann man die Unterschiede aus der Tatsache ableiten, dass zwar bereits definite Nominalphrasen einen relativ hohen Kontinuitätsgrad signalisieren, dieser bei der Wiederaufnahme durch ein Pronomen aber sogar noch höher ausfallen muss. In Anbetracht dessen ist es verständlich, dass Pronomen vorzugsweise bei der Aufrechterhaltung der Metonymie insgesamt, also im Falle des Rückbezugs auf das Zielkonzept bei formaler Kongruenz mit dem metonymischen Ausdruck, eingesetzt werden. Denn hier ist der höchste Grad an Gegebenheit zu beobachten, und es besteht sowohl auf formaler als auch auf konzeptueller und referentieller Ebene eine Übereinstimmung mit dem metonymischen Ausdruck: Die morphosyntaktische Form des Pronomens orientiert sich am formalen Antezedens, und die Referenz kommt durch die Übernahme des Zielkonzepts bzw. in Koreferenz mit dem metonymischen Ausdruck zustande. Auch die pronominale Anaphorisierung, die sich am Quellkonzept orientiert und mit dem metonymischen Ausdruck kongruiert, scheint einen hinreichenden Grad an Kontinuität aufzuweisen, obgleich – eventuell wegen der fehlenden strengen Koreferenz – dieser Typ seltener zu beobachten ist und hier häufiger die nominale Wiederaufnahme auftritt. Diese beiden Fälle finden sich in den folgenden Beispielen: (80) « Le problème, c’est que la mairie fait des plans sur une ville qui n’existe pas, affirme Nourre-

dine Abouakil, responsable de l’association Un centre-ville pour tous. Elle n’agit pas avec les Marseillais tels qu’ils sont, divers et populaires, mais en rêvant d’une ville idéale pour riches bourgeois. »

(Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 27.)

148 (81) Stéphane Paoli, qui anime ce rendez-vous, a l’habitude de ces détournements d’antenne.

Sporadiquement depuis deux ans, et plus fréquemment depuis la rentrée, des « snipers » parviennent à passer les filtres du standard pour « exercer leur droit de critique des médias sur cette antenne publique qui est aussi la nôtre », nous ont-ils expliqué par mail. Ils fustigent Inter, qui aurait trahi sa mission de service public en étant – selon eux – trop proche du grand capital, et Stéphane Paoli, pour ses « ménages » (prestations extérieures rémunérées). (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Guérilla des ondes sur France-Inter“, S. 43.)

Beispiel (80) illustriert die größtmögliche Kontinuität bei der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks:9 In „la mairie“ besteht die Differenz zwischen der gesamten Institution und den einzelnen Verantwortlichen und Handelnden. Diese Metonymie wird insgesamt mit dem Pronomen „Elle“ aufrechterhalten. Einerseits ist Letzteres mit dem metonymischen Ausdruck kongruent („la mairie“–“Elle“) und andererseits wird weiterhin über das Zielkonzept ein metonymischer Bezug auf die im Rathaus arbeitenden Verantwortlichen hergestellt. Das betreffende Informationselement ist gegeben und es besteht formale Übereinstimmung und Koreferenz zwischen dem metonymischen Antezedens und dem anaphorischen Ausdruck. Dieses hohe Maß an Kontinuität rechtfertigt die Weiterführung durch ein Pronomen. Im nächsten Fall, Beispiel (81), basiert die Metonymie in „des ‹ snipers ›“ auf einer Kontiguitätsrelation zwischen dem Quellkonzept der Rundfunkpiraten und dem Zielkonzept der von ihnen getätigten, in die Sendung durchgestellten Anrufe, die sie nutzen, um den Sender zu kritisieren.10 Wieder aufgenommen wird in „ils“, „Ils“ und „eux“ hingegen nur das Quellkonzept der Anrufer mittels eines mit dem metonymischen Ausdruck kongruenten Pronomens. Auch hier bleibt die Verwendung des Pronomens möglich, da zwar nicht mehr wie im ersten Beispiel die Metonymie ganz übernommen wird und Koreferenz besteht, aber das Quellkonzept durch die Metonymie gegeben, die formale Übereinstimmung hergestellt und daher ein relativ hoher Kontinuitätsgrad vorhanden ist. Allerdings ist bei diesem Anaphorisierungstyp auch die nominale Wiederaufnahme nicht selten. Der kleine Bruch, der aber entsteht, wenn der metonymische Ausdruck nicht formal gleichbleibend, sondern durch einen dem Zielkonzept entsprechenden Ausdruck anaphorisiert wird, ist offensichtlich schon nicht mehr dafür geeignet, mittels eines Pronomens ausgedrückt zu werden. Das nur indirekt über die Metonymie ableitbare Zielkonzept wird wie in Beispiel (79) (S. 146) besser durch eine Nominalphrase ausführlich kodiert und erst damit letztgültig und eindeutig im Diskurs zugänglich gemacht. Obwohl in besagtem Beispiel die Metonymie darauf hinweist, dass es sich um eine bestimmte, für die jüdische Gemeinde verantwortliche Person handelt, bleibt der Bezug noch zu indirekt. Deshalb ist es 9 10

Ein ganz ähnlicher Fall ist Beispiel (47) auf S. 114. S. auch das ähnliche Beispiel (43) auf S. 109.

149 nicht möglich, anstatt „le rabbin de la ville“ das Pronomen il zu verwenden, das sich nach dem intendierten Referenten anstatt nach dem formalen Antezedens richten würde. Durch einen nominalen Ausdruck wird bei der Wiederaufnahme dieser relative Mangel an Gegebenheit durch einen höheren Kodierungsaufwand und damit eine präzisere Bezeichnung ausgeglichen. Auf diese Weise lässt sich die Beobachtung erklären, dass – anders als die besonders häufige und kontinuierliche pronominale Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf Quell- oder Zielkonzept – die Wiederaufnahme des Zielkonzepts der Metonymie durch ein „zielkongruentes“ Pronomen so gut wie nicht vorkommt. Die Wiederaufnahme des Zielkonzepts durch einen diesem entsprechenden nominalen Ausdruck ist demgegenüber weniger problematisch. So stimmt die diskurs- und informationsstrukturbezogene Erklärung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke mit den Beobachtungen anhand des Korpus überein und begründet sowohl die jeweilige Möglichkeit zur Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks oder zur Wiederaufnahme des Zielkonzepts als auch gleichzeitig die auftretenden formalen Realisierungen der Anapher (Nominalphrase oder Pronomen, Kongruenzeigenschaften). Bei genauerem Hinsehen kann man außerdem entdecken, dass die zuvor besprochenen und kritisierten Ansätze zur Erklärung der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke in ihrer Gedankenführung an nicht wenigen Stellen auf den diskursorientierten Charakter der Anaphorisierung im Zusammenhang mit Metonymie indirekt hinweisen und so diese Hypothese damit nochmals bestätigen. In Nunbergs Ansatz versteckt sich der Gedanke, dass sich das Prädikat bei manchen metonymischen Ausdrücken eher auf das Zielkonzept, bei manchen auf das Quellkonzept der Metonymie bezieht. Dies kommt der Vorstellung entgegen, gemäß diesem aboutness-Charakter jeweils das Ziel- oder das Quellkonzept als Topik anzunehmen. Panther (2005: 371–374), der in bestimmten Fällen der Unterscheidung von prädikativem und referentiellem Transfer folgt, stellt ebenfalls fest, dass Quell- und Zielkonzept unterschiedlich „conceptually prominent“ (Panther 2005: 373) sein können und der Satz sich jeweils auf den prominenteren und damit deutlicher gegebenen Part bezieht und über diesen etwas aussagt. Für die Anaphorisierung kommt dann eben nur dieser Teil in Frage. Auch bei Ruiz de Mendoza und seiner kognitiven Herangehensweise ist die Entfernung zu einer Erklärung, die auf der informationsstrukturellen Einbindung der metonymischen Ausdrücke bzw. Konzepte basiert, nicht allzu groß. Die Hypothese, dass immer nur das umfassendere Konzept – unabhängig davon, ob es das Quell- oder Zielkonzept ist – weitergeführt werden kann, berücksichtigt den Zusammenhang, dass meist das umfassendere und allgemeinere Konzept ein höheres Maß an Gegebenheit aufweist und auch das Topik darstellt, da eine Aussage über einen Teil meistens auch das Ganze charakterisiert. Dies führt direkt zu Kleiber, der mit seiner Auffassung der métonymie intégrée der Orientierung am informationsstrukturellen Charakter der Bestandteile

150 einer Metonymie am nähesten kommt. Er stellt explizit fest, was bei Ruiz de Mendoza nur implizit einfließt, nämlich, dass das Ganze in der métonymie intégrée auch durch die Eigenschaften der Teile betroffen ist und diese Eigenschaften deshalb sinnvoll in Bezug auf das Ganze, quasi als Topik, ausgesagt werden können. Doch auch bei Kleiber setzt sich der entscheidende Irrtum fort, der alle genannten Ansätze daran hindert, die diskursiven Eigenschaften und die informationsstrukturelle Einbindung der Metonymie als wichtigen Einflussfaktor auf die Ausformung der Anaphorisierung zu erkennen: Es wird immer nach Faktoren und Eigenschaften gesucht, die in der Struktur der jeweiligen Metonymie selbst liegen, anstatt auf die Eigenschaften zu achten, die erst durch die Einfügung der Metonymie in den Diskurs entstehen. Diese Einschränkung des Blickwinkels erwächst wohl nicht zuletzt aus der Betrachtung konstruierter Beispiele ohne Einbindung in einen weiteren Kontext. Abschließend kann nochmals zusammengefasst werden, dass die Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke durch die Einpassung der Metonymie in den Diskurs und in die Informationsstruktur bestimmt wird: Das Quellkonzept verweist über eine Kontiguitätsrelation auf das Zielkonzept der Metonymie. Deshalb sind beide Konzepte generell an der Metonymie beteiligt und lassen sich somit wieder aufgreifen. Soll eine kontinuierliche Fortführung erreicht werden, so wird das gegebene Quellkonzept wieder aufgenommen und dafür der zuvor metonymisch verwendete Ausdruck gebraucht. Meist ist dabei das Quellkonzept auch als Topik anzusehen, welches mitsamt dem Topikausdruck aufrecht erhalten wird. Wird dagegen eine Überleitung zu einem weiteren Aspekt, nämlich dem Zielkonzept der Metonymie, beabsichtigt, so kann es mittels des gegebenen oder einfacher zugänglichen Quellkonzepts der Metonymie zunächst indirekt eingeführt und dann mit nur geringer Abschwächung der Kontinuität in der Anaphorisierung direkt bezeichnet und aufgenommen werden. Meist tritt das abgeleitete Element im Weiteren als Topik auf. Eine Ausnahme bildet der Fall der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer nachfolgenden Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks. Der hier entstehende Bruch kann nur durch den rhetorischen Effekt, den dieser Typ hervorruft, kompensiert werden. Entsprechend richtet sich auch die formale Gestaltung der Anaphorisierung (nominal oder pronominal) nach informationsstrukturellen Gesichtspunkten: Bei maximaler Kontinuität (Aufrechterhaltung der gesamten Metonymie, d. h. Wiederaufnahme des Zielkonzepts, anhand eines mit dem metonymischen Ausdruck kongruenten Ausdrucks) ist die Verwendung eines Pronomens häufiger als bei weniger kontinuierlicher Weiterführung (Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept oder Wiederaufnahme des Zielkonzepts durch einen dem Ziel entsprechenden Ausdruck). Insgesamt ist die Anaphorisierung im Zusammenhang mit Metonymien da-

151 durch bestimmt, dass der Anschluss in der jeweiligen Diskurssituation Kontinuität herzustellen in der Lage sein muss. Gegebene Information muss möglichst wieder aufgenommen oder als Basis für Überleitungen genutzt werden. Dienen die jeweiligen metonymischen Ausdrücke darüber hinaus als Topikausdrücke, so wird der Bestandteil, der das Topik stellt bzw. im folgenden Satz stellen soll, möglichst kontinuierlich weitergeführt. Man könnte von diesem Erklärungsansatz aus noch einen Schritt weiter gehen und annehmen, dass Metonymien und ihre Weiterführung vor dem Hintergrund der Informationsstruktur nicht nur erklärt werden können, sondern dass die Metonymien v. a. beim Rückbezug auf das Quellkonzept überhaupt erst aufgrund der jeweiligen Erfordernisse der Informationsstruktur auftreten und eingesetzt werden.

5.2

Kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie und metonymieverwandter Strukturen

5.2.1

Kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie

Im Folgenden wird der Gedanke genauer ausgeführt, dass ein Zusammenhang zwischen der Art der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke und der diskursbezogenen Funktion der Metonymie besteht. Mittels Beispielanalysen soll diese Hypothese weiter untermauert werden und eine Verbindung zwischen den Spielarten der Anaphorisierung und den verschiedenen Typen informationeller Progression hergestellt werden. Als Erstes wird dabei analysiert, wie die Progression mit konstantem Topik und die lineare Progression durch Metonymien begünstigt werden (Kapitel 5.2.1.1). Daraufhin widmet sich Kapitel 5.2.1.2 einer Beschreibung der Überleitungsfunktion der Metonymie, mit der Progression mit abgeleitetem Topik hergestellt werden kann. Noch deutlicher wird die kontinuitätsstiftende Funktion von Metonymien, wenn diese in ganze Anaphorisierungsketten eingebunden sind (Kapitel 5.2.1.3). Anschließend wird die Perspektive auf metonymieverwandte Strukturen und indirekte Anaphern erweitert. 5.2.1.1 Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks bzw. durch den metonymisch verwendeten Ausdruck: Progression mit konstantem Topik und lineare Progression Aufbauend auf den bisherigen Überlegungen, dass die Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke durch die Gegebenheit bzw. Ableitbarkeit der an der Metonymie beteiligten Konzepte und gegebenenfalls durch deren so be-

152 günstigte Topikalität bestimmt wird, soll dieser Zusammenhang zwischen der Metonymie und Informationsstruktur nun genauer untersucht werden. Es soll an einzelnen Beispielen geklärt werden, wie Metonymien im Zusammenhang mit Anaphorisierungen dazu beitragen kann, informationelle Progression unter gleichzeitiger Wahrung der nötigen Kontinuität herzustellen. Durch die variableren Anknüpfungsmöglichkeiten, die die Metonymie mit Quell- und Zielkonzept bietet, ergeben sich vielfältigere Wege, Information allgemein und Topiks im Besonderen kontinuierlich weiterzuführen und zu entwickeln und gleichzeitig kleinere referentielle Abweichungen auszugleichen. Dieses Kapitel erfasst die Fälle der Anaphorisierung, die zu linearer Progression und Progression mit konstantem Topik führen. Die dafür in Frage kommenden Anaphorisierungstypen sind all diejenigen, die die Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks bzw. durch den metonymisch verwendeten Ausdruck einschließen. Sie machen es möglich, einen Topikausdruck formal aufrechtzuerhalten. Der Rückbezug auf das Quellkonzept der Metonymie anhand des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks – wörtlich oder sinngemäß – erreicht allein schon durch formale Rekurrenz und Rückgriff auf Gegebenes die Erhöhung der Kontinuität. Wenn es sich bei dem metonymischen Ausdruck außerdem um einen Topikausdruck handelt, kann die Metonymie zur Herstellung einer Progression mit konstantem Topik beitragen:11 (82) « Avec l’industrie, mon aventure commence ! » C’est l’affriolant slogan choisi par le minis-

tère de l’Industrie pour sa dernière campagne de séduction en direction des jeunes. Voilà des années, en effet, que le secteur dépense sans compter pour séduire lycéens et étudiants, qui font la fine bouche. « Faute de candidats, nous fermons une section de BTS industriel par an ! » déplore un prof de lycée. Le secteur souffre d’un déficit d’image : la caricature du travail à l’usine dans un environnement bruyant, salissant et offrant des rémunérations médiocres a la vie dure. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.)

(83) Flonflons, trompettes et une grosse campagne de pub en prime. Pour lancer sa nouvelle

maquette, « le Monde » n’a pas lésiné sur la dépense : 5 millions d’euros et des spots à la télévision pour nous expliquer : « Remettons les choses à leur place ». Le journal, lui, a fait plus que remettre les choses en place, il a été revu de fond en comble. Le nouveau « Monde », qui s’inspire du quotidien britannique « The Independant », a dû faire tomber ses vieux lecteurs de leur chaise. Couleurs, photos et graphisme sont au rendez-vous sur 32 pages.

(Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „‹ Le Monde › refait ‹ Le Monde ›“, S. 47.)

Bei diesen beiden Beispielen lässt sich eine Progression mit konstantem Topik, die erst aufgrund der Metonymie deutlich wird, feststellen: In Beispiel (82) wird die Metonymie in „le secteur“ – intendierter Referent sind die von den Industrieunternehmen eingesetzten Interessensvertreter – durch die Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks und den Rückbezug auf das Quellkonzept ausgenutzt. Bereits der metonymische Ausdruck fungiert als Topikausdruck und kann 11

Als weitere Illustration zu diesem Fall s. auch das bereits angesprochene Beispiel (43) (S. 109).

153 sich auf die schon vorhergehende Nennung von „l’industrie“ stützen. Zwei Sätze weiter stellt auch die zweite, diesmal wörtliche Erwähnung („Le secteur“) das Topik. Diese Weiterführung wird dadurch erleichtert, dass beide Male der gleiche Topikausdruck verwendet wird. Würde der Verantwortliche für die Ausgaben, z. B. der PR-Beauftragte des Industrieverbands, genau benannt, anstatt die handelnde Instanz mit der Metonymie etwas im Dunkeln zu lassen, würde die Verbindung zur zweiten Erwähnung von „Le secteur“ nicht so deutlich erkennbar ausfallen. Ein solcher Wechsel des Topiks und des Topikausdrucks würde nicht im gleichen Maße wie die vorliegende Metonymie zur Diskurskontinuität beitragen. Sehr gut ist dies auch am zweiten Beispiel, Auszug (83), zu erkennen: Mit „Le journal“ und dem sich darauf beziehenden Pronomen „il“ werden völlig unterschiedliche Referenten bezeichnet. Einmal ist metonymisch der Mitarbeiterstab des Zeitungsverlags gemeint, einmal das Produkt der Zeitung selbst oder die Gestaltung der täglich erscheinenden Zeitung. Dennoch betont diese sprachliche Realisierung des Sachverhalts den Zusammenhang zwischen beidem und schafft es somit, das Topik in diesen beiden Sätzen konstant erscheinen zu lassen. So kann für dieses Beispiel behauptet werden, dass die Progression mit konstantem Topik nur dank der metonymischen Verwendung von „Le journal“ realisierbar wird. Doch nicht nur in der Progression mit konstantem Topik, auch bei der linearen Progression kann die Metonymie zu Kontinuität beitragen. Wird nicht das metonymische Antezedens, sondern erst der anaphorisierende Ausdruck als Topikausdruck verwendet, so handelt es sich um eine lineare Progression. Da die bisherigen Beispiele, die im Teil zur Anaphorisierung verwendet wurden, meist eine Progression mit konstantem Topik enthielten, sollen gleich drei Beispiele, (23) (s. auch S. 49), (84) und (85), den Fall der linearen Progression veranschaulichen. (23) La chaîne ouvre une vingtaine de magasins par an. « Mais on pourrait en ouvrir dix fois

(84)

plus, vu la demande ! explique Anders Dahlvig, le PDG, rencontré au siège du groupe. Le marché est très loin d’être saturé. La seule limite, c’est nous-mêmes. Car derrière il faut assurer question logistique... » Cette popularité assure à l’enseigne des résultats florissants : en 2005, le chiffre d’affaires a progressé de 15% à 14,8 milliards d’euros – c’est plus que Nike. En revanche, la société n’étant pas cotée en Bourse, le montant des profits est un secret aussi bien gardé que celui du « Da Vinci Code ». (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le monde selon IKEA“, S. 39.) 1956 divise l’histoire de la Grande-Bretagne au XXe siècle en deux moitiés très différentes : avant et après le rock and roll et le choc de Suez. Avec le rock, c’est l’entrée brusque d’une culture autonome de la jeunesse. Suez, c’est la conscience pour les Britanniques de la fin de l’empire. A partir de cette époque, des membres de l’ex-empire viennent émigrer en GrandeBretagne. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Ma vie en rouge“, S. 15.)

(85) Je sais. Depuis le début de la diffusion, lundi sur France 2, de cette fameuse nouvelle version des « Rois maudits », je me doute bien de ce que nombre de citoyens de ce pays doivent penser : le seul point positif de l’affaire, c’est que cette pauvre dynastie capétienne se soit éteinte

154 avant d’avoir vu ça. Après ce qu’ils ont souffert en mille ans d’histoire, leur faire subir en plus la série de Josée Dayan tournée dans les impayables décors de Philippe Druillet, ça friserait l’acharnement. Pourtant, je vous l’avoue, cet étonnant remake, personnellement, je l’ai trouvé très bienvenu. D’accord, la version historique de Claude Barma était plus pédagogique. Grâce à la fameuse touche « Buttes-Chaumont » du tournage, grâce au casting entièrement raflé à la ComédieFrançaise, les enfants de France de 1972 eurent une idée claire de ce qu’était le Moyen Age : une époque où on articulait des textes pleins d’imparfait du subjonctif dans des décors à petits budgets. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le bon temps des années fioles“, S. 13.)

Beispiel (23) zeigt deutlich die lineare Progressionsform. „Cette popularité“ greift den Gegenstand der vorhergehenden im Kommentar neu hinzutretenden Information über die Beliebtheit und den Erfolg des Ikea-Konzerns bzw. seiner Produkte zusammenfassend auf. An diesen Ausgangspunkt wird mit der neuen Erwähnung der „résultats florissants“ im folgenden Kommentar angeknüpft . Dieses so eingeführte Konzept wird im nächsten Satz mit „le chiffre d’affaires“ als gegeben aufgenommen und damit linear weitergeführt. Das Pronomen „c’“ der nächsten Aussage fasst schließlich die vorangehende gegebene Information im Topik mit der neu hinzutretenden Spezifizierung der Geschäftszahlen im Kommentar zusammen und führt so den vorhergegangenen Sachverhalt insgesamt als gegebene Information, die zugleich als Topik dient, weiter. Die Satzfolge zeigt folglich zunächst eine lineare Progression, die aber nur dadurch gewährleistet bleibt, dass eine Hypallage, die ja sozusagen eine unfertige Metonymie ist, geschickt eingesetzt wird: Normalerweise florieren nicht die Ergebnisse, eher die Geschäfte, welche erst die Voraussetzung für gute Unternehmensergebnisse sind. Der Ausdruck „résultats florissants“ verweist also metonymisch auf die gut laufenden Geschäfte. Dennoch, da hierfür in der Hypallage der Ausdruck „résultats“ verwendet wird, ist es im Folgenden sehr einfach, diesen Ausdruck mit dem darin implizierten Begriff „le chiffre d’affaires“ wieder aufzugreifen und damit durch eine lineare Progression als Topikausdruck zu etablieren. Die indirektere Beziehung zwischen den guten Geschäften und Umsatzzahlen hätte eine weniger kontinuierliche Wiederaufnahme hervorgebracht. In Beispiel (84) wird ganz deutlich, wie durch die lineare Progression das Quellkonzept der Metonymie im Folgesatz als Topik etabliert wird und der zuvor metonymisch verwendete Ausdruck zum Topikausdruck wird. Schon die Verbindung mit den Präpositionen „avant et après“ macht ersichtlich, dass mit „le rock and roll et le choc de Suez“ nicht direkt eine Musikrichtung oder der Streit um die Kontrolle des Suezkanals gemeint ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem die Musikrichtung populär wurde und sich die Suezkrise abspielte. In den folgenden Sätzen werden „le rock“ und „Suez“ in einer Variation der linearen Progression nacheinander aufgenommen und jeweils als Topik behandelt. Besonders interessant ist, dass mit den Formulierungen „Avec le rock, c’est...“ und „Suez, c’est...“ Konstruktionen auftreten, die durch die Voranstellung der Ausdrücke

155 als Freie Themen (vgl. Stark 1997) deren Topikfunktion zusätzlich betonen. Außerdem ist beachtenswert, dass später, in „A partir de cette époque“ wieder auf die zeitliche Verankerung der Ereignisse, auf das Zielkonzept der Metonymie, zurückgegriffen wird. Im letzten Ausschnitt, einer Kritik zur Neufassung der Fernsehserie Rois maudits, wird eben diese Serie mehrmals erwähnt, wobei es anfänglich aber eher u. a. um die in der Serie auftretenden historischen Personen geht. Schließlich wird „la série“ bzw. der komplexe Ausdruck „la série de José Dayan tournée dans les impayables décors de Philippe Druillet“ im Kommentar metonymisch für die Aktivität des Anschauens der Serie eingesetzt. Das Quellkonzept ist bereits gegeben und kann so problemlos auf das eigentlich neue Zielkonzept Bezug nehmen. Im darauf folgenden Satz wird auf das gegebene Quellkonzept rückverwiesen. Allerdings handelt es sich hier nicht mehr um eine Anapher, sondern eher um Inkapsulation als Grenzfall zwischen der Anapher und der Deixis (s. hierzu auch Beispiel Beispiel (51) auf S. 119). Insgesamt wird aber auch hier der Anschluss durch die Metonymie begünstigt und damit zumindest zum Teil Kontinuität erzeugt. Der Ausdruck „cet étonnant remake“ tritt zudem durch die Segmentierungsstruktur ganz klar als Topikausdruck auf und bildet in Verbindung mit der vorhergehenden Nennung eine lineare Progression. Unter Verwendung des Demonstrativartikels kann dabei auch die in dem komplexen Ausdruck enthaltene Information zusammengefasst werden, was sich in der Qualifizierung „étonnant“, die dem Remake beigemessen wird, niederschlägt. Anschließend wird auf die ältere Fassung der Serie im darauf folgenden Satz als abgeleitetes Topik („la version historique“) Bezug genommen. So wird hier, wie in den beiden vorhergehenden Beispielen, durch die Metonymie die Verwendung von „la série“ als erstes Glied der Progressionskette eingesetzt. Als Nächstes ist die Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte zu untersuchen. Sie kann ebenfalls eine Progression mit konstantem Topik begünstigen:12 (86) Que sait-on du programme nucléaire iranien ?

On sait que ce programme existe depuis près de vingt ans, qu’il est resté totalement clandestin jusqu’en 2002 et qu’une partie, dont personne ne connaît l’ampleur, est toujours secrète. Grâce à l’Agence internationale de l’Energie atomique (AIEA), on sait aussi : 1) que l’Iran a produit de petites quantités de plutonium dans un laboratoire de recherches ; 2) qu’il est (à peu près) capable de convertir du minerai d’uranium en gaz et qu’il dispose, à Isphahan, de la capacité de faire cela à grande échelle ; 3) que Téhéran a acquis ou fabriqué plusieurs centaines de machines destinées à enrichir ce gaz : les fameuses centrifugeuses qui produisent, selon leur configuration, soit du combustible pour une centrale électrique, soit de la matière fissile pour une bombe atomique ; 4) que la République islamique a l’intention d’en installer bientôt des dizaines de milliers à Natanz, mais que les ingénieurs iraniens ne maîtrisent pas encore le savoir-faire nécessaire à la bonne marche de ces centrifugueuses ; 5) que l’armée iranienne teste des missiles de moyenne portée, potentiellement capables de propulser une charge nucléaire à plus de 1 000 kilomètres. Tout le reste, ou presque n’est qu’hypothèses.

12

S. hierzu auch Beispiel (44) auf S. 111.

156 Ce programme est-il forcément militaire ? Téhéran répète que son objectif est civil : il s’agit de produire de l’électricité. « Pourquoi rejeter totalement cette explication ? demande Bruno Tertrais, de la Fondation pour la Recherche stratégique. Le pays regorge de pétrole et de gaz, mais ces ressources vont s’épuiser. Il n’est donc pas absurde qu’une grande nation comme l’Iran prévoie l’après-hydrocarbures. C’était déjà l’idée du shah... » Mais à l’évidence, il y a autre chose. « Même s’il n’existe pas de preuve formelle, les indices sur le caractère principalement militaire de ce programme sont nombreux et concordants », dit Pascal Boniface, le directeur de l’Institut de Relations internationales et stratégiques (Iris). Il y a, en vrac, le secret qui entoure cette affaire depuis si longtemps, le refus de la part de Téhéran de coopérer pleinement avec l’AIEA. [...] « Selon toute vraisemblance, l’Iran cherche donc à se doter des moyens de construire une arme atomique, dit Bruno Tertrais, mais rien ne prouve que la décision politique de construire effectivement cette bombe ait été prise. Téhéran veut peut-être imiter le Japon et ne pas dépasser le „seuil“ nucléaire, c’est-à-dire le niveau technique et industriel qui permet de produire une arme en quelques mois, si nécessaire. » Nombre d’experts pensent cependant que la République islamique veut aller au-delà de ce « seuil » et que la décision américaine d’envahir l’Irak n’a fait que renforcer sa détermination. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Iran. Les clés de la crise nucléaire“, S. 32f.)

Dieser etwas umfangreichere Diskursausschnitt zeigt, wie ausgehend von dem metonymisch verwendeten Ausdruck „l’Iran“, dem darauf rückverweisenden Pronomen „il“ und dem als Synonym zu „l’Iran“ verwendeten Ausdruck „la République islamique“ über das immer gleiche Quellkonzept verschiedene Zielkonzepte aufgerufen werden können. Es entsteht eine formale Kontinuität, die sich auf die konzeptuelle Ebene insofern überträgt, als alle einzelnen Zielkonzepte zugehörig zu einer übergeordneten Einheit konzipiert werden. So wird über diese metonymischen Ausdrücke ein Bezug auf z. B. immer wieder unterschiedliche Wissenschaftler und Beschäftigte im Dienste der iranischen Regierung sowie Mitglieder der iranischen Führung hergestellt. Dabei nehmen diese metonymischen Ausdrücke zumindest im ersten der beiden wiedergegebenen Abschnitte des Artikels über den Iran und sein Atomprogramm die Funktion des Topikausdrucks ein. Die Metonymie stellt damit zumindest im ersten Teil eine Progression mit konstantem Topik her. Im zweiten Teil ist diese nicht mehr ganz so durchgängig, dennoch finden sich auch dort immer wieder dieselben metonymisch verwendeten Ausdrücke. Eventuell bilden sie eine gegebene Information als Kontinuitätsträger, ohne unbedingt den primären Aussagegegenstand stellen zu müssen. Diese gegebene Information kann dann zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder in den Vordergrund treten und gegebenenfalls erneut als Topik herangezogen werden. Verwunderlich ist diese Häufung des metonymischen Ausdrucks nicht, handelt es sich beim Iran bzw. seiner Regierung doch um den allgemeinen Diskussionsgegenstand, der den gesamten Artikel durchzieht und sich damit natürlich auf die Wahl der einzelnen Topiks auswirkt. Außerdem ist bei der Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks zur Ableitung weiterer unterschiedlicher Zielkonzepte festzustellen, dass hierfür kein wirklich eindeutiger Fall der linearen Progression gefunden wurde. Anscheinend dient dieses Verfahren hauptsächlich dazu, einen Ausdruck über lange Strecken

157 konstant zu halten, um den Eindruck zu erwecken, ein ganzer Abschnitt handle von einer einheitlichen Entität. Die Progression mit konstantem Topik kann außerdem auf der Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) basieren. Für diesen Anaphorisierungstyp ist die Wiederaufnahme durch Pronomen besonders häufig, die wörtliche Wiederholung des metonymischen Ausdrucks etwas seltener. So enthalten auch die beiden folgenden Beispiele pronominale Wiederaufnahmen:13 (87) L’étudiant au chapeau rond syndiqué à SUD-Etudiant, qui faisait le comité d’accueil ce matin, descend les marches quatre à quatre. Il a du métier, il sait haranguer la foule. « Il y a 59 facs mobilisées en France, et on appelle ça une minorité ! » lance-t-il avec ferveur, tandis qu’un mouvement se dessine dans le fond de l’amphi, autour d’un étudiant longiligne qui s’avance en criant, d’abord sans micro : « La fac de sciences a voté le blocus ! ». Une victoire décisive ! Jusqu’à présent, elle résistait. La nouvelle tombe pic au moment où l’amphi bondé s’apprête à voter. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „L’histoire secrète d’une folle semaine“, S. 26.)

(88) Du coup, les comptes du groupe, qui possède aussi « Télérama », « Courrier international »,

« le Midi libre », ou 6% du « Nouvel Observateur » (actionnaire lui de 4% du « Monde »), ont viré au rouge vif. La perte a atteint 60 millions d’euros l’an dernier et devrait dépasser encore 20 millions cette année. Le journal a supprimé 20% des effectifs, tout en lançant une augmentation de capital de 65 millions d’euros. Il se retrouve aujourd’hui avec deux gros actionnaires en embuscade, qui rêvent d’aller encore plus haut au moindre faux pas de l’équipe : le groupe Lagardère et l’espagnol Prisa, éditeur d’« El Pais ».

(Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „‹ Le Monde › refait ‹ Le Monde ›“, S. 47.)

Das erste angeführte Beispiel ist typisch für die Fallgruppe der Aufrechterhaltung derselben Metonymie mittels eines Pronomens, also eines Pronomens, das sich einerseits auf das Zielkonzept der Metonymie bezieht, andererseits mit deren formalem metonymischen Ausdruck kongruiert. In dieser Gruppe findet sich nämlich eine große Anzahl von Beispielen, in denen die Konzepte der einzelnen Mitglieder einer Personengruppe über das Konzept einer Institution, der sie angehören, zugänglich gemacht werden. Im vorliegenden Abschnitt wird über das Konzept der universitären Fakultät als Institution auf das Konzept der zu ihr gehörenden einzelnen Studenten bzw. auf eine unbestimmte Untergruppe dieser Studenten verwiesen. Der betreffende Topikausdruck „la fac de sciences“ wird über das Pronomen „elle“ weitergeführt, das – eindeutig an der femininen Form zu erkennen – mit dem metonymischen Ausdruck kongruiert und zugleich den intendierten Referenten des metonymischen Ausdrucks übernimmt. Die Metonymie bleibt also auch in der pronominalen Wiederaufnahme bestehen. Außerdem ist bemerkenswert, dass das gleiche metonymische Muster bereits einige 13

Ein weiterer Fall für diese Struktur mit pronominaler Wiederaufnahme findet sich auch in Beispiel (47) (S. 114). Im ebenfalls bereits angesprochenen Beispiel (45) (S. 113) kommt zwar eine nominale Wiederholung des metonymischen Ausdrucks vor. Ob man dort von einer Progression mit konstantem Topik sprechen kann, ist allerdings zweifelhaft, da zwischen den beiden Vorkommen ein zu großer Abstand besteht.

158 Zeilen zuvor in „59 facs“ angewendet wird. Insgesamt könnte für die vorliegenden Metonymien vermutet werden, dass ihr Zweck in erster Linie darin besteht, für eine schwer zu fassende Gesamtheit, deren Umfang nicht genau abgegrenzt werden kann, eine geeignete Bezeichnung zu finden. Das zweite Beispiel beinhaltet eine ganz ähnliche Struktur. „Le journal“ bezeichnet metonymisch das Unternehmen, das die Zeitung verlegt. Wieder aufgegriffen wird dieses Topik durch „Il“. Es ist allerdings schwierig, zu unterscheiden, ob es sich direkt nach dem metonymischen Ausdruck richtet oder sinngemäß nach dem Zielkonzept, dem eigentlichen Referenten, der etwa durch le groupe, und damit ebenfalls als Maskulinum Singular, sprachlich realisiert sein könnte. Aber auch hier ist zu vermuten, dass die Metonymie insgesamt beibehalten wird, da wie beim vorhergehenden Beispiel der eigentliche Referent nur vage und damit schwierig zu benennen ist. Auf alle Fälle liegt dank der Metonymie wieder eine Progression mit konstantem Topik vor. Im folgenden Beispiel soll demonstriert werden, wie die Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) zunächst durch eine lineare Progression den metonymischen Ausdruck als gegeben etablieren und ihn dann in der folgenden Nennung als eine Progression mit konstantem Topik weiterführen kann:14 (89) Il y a seulement quarante ans, le pauvre ancien de 14 n’intéressait personne, c’était le raseur

seulement capable de faire ronfler des tablées entières avec son 122e récit de Verdun. Cela a bien changé. D’abord les tablées qu’il assomait n’ont plus à l’être, elles sont mortes depuis longtemps. Et l’auguste vieillard jouit désormais d’une rente d’Etat immédiate, il est tellement vieux qu’on l’adore spontanément, vous imaginez, un type qui était déjà soldat alors que Drucker n’était même pas encore à la télé. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Attention les vieux !“, S. 19.)

Auch in diesem Beispiel liegt ein Ausdruck vor, der als Kollektivum eine Tischrunde (tablée) in ihrer Gesamtheit beschreibt und nur metonymisch und unbestimmt den konzeptuellen Zugang zu den einzelnen dazugehörenden Personen erlaubt. Nach der Einführung von „des tablées“ als neue Information im Kommentar tritt „les tablées“ im nächsten Satz als gegebenes Topik auf, konstituiert demzufolge zunächst eine lineare Progression und wird dann durch „elles“ konstant als Topik fortgeführt. Gerade diese Wiederaufnahme und die Zuschreibung des attributiven Adjektivs „mortes“ veranschaulichen den metonymischen Charakter. Bezüglich dieser letzten Erwähnung ist es nicht leicht, zu entscheiden, ob die Metonymie wirklich gänzlich aufrechterhalten wird oder ob sich das Zielkonzept nicht allein dadurch bereits leicht verschiebt, dass die Personen, auf die Bezug genommen wird, jeweils zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt betrachtet werden. Durch die pronominale Wiederaufnahme zeigt sich aber die Absicht, gerade den Effekt einer kontinuierlichen Darstellung als einheitliches Konzept zu erzielen. 14

Als weiteres Beispiel für diesen Sachverhalt s. auch Ausschnitt (46) auf S. 113.

159 Schließlich ist für die Progression mit konstantem Topik und die lineare Progression ein letzter Anaphorisierungstyp, die Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept, relevant. Wie bei der Verwendung eines metonymischen Ausdrucks als Antezedens besteht auch hier die Kontinuitätsfunktion, einen Ausdruck auf formaler Ebene als Topikausdruck kontinuierlich weiterzuführen. Der metonymische Ausdruck schafft es auch in diesem Fall, mittels desselben oder eines zumindest nahezu synonymen Ausdrucks das Topik beizubehalten, gleichzeitig jedoch auf untereinander leicht abweichende Referenten Bezug zu nehmen. Dadurch wird formal Kontinuität signalisiert, die sich auf konzeptueller Ebene aus der dort ausgenutzten kontigen Verbindung zwischen den beteiligten Konzepten rechtfertigen lässt. So eignet sich auch dieser Typ der Anaphorisierung zur Herstellung einer Progression mit konstantem Topik: (90) Pas question donc d’être maintenant associé à un projet « perso » de Villepin. « C’est son

truc. Il l’a fait contre Sarko pour montrer que la rupture, c’était lui », enrage un proche du ministre de l’Intérieur. Sans doute. Mais Sarkozy est numéro deux du gouvernement. Qu’il le veuille ou non, il est un membre éminent de l’équipe, donc associé à son bilan, comme le montre le dernier sondage TNS-Sofres du « Figaro Magazine ». Sa cote de popularité chute de 8 points quand Villepin en perd 7. En outre, la mobilisation étudiante contre le CPE tombe au plus mauvais moment pour le ministre de l’Intérieur, déjà en délicatesse avec la jeunesse depuis la crise des banlieues. « On a un problème avec les jeunes », reconnaît pudiquement un dirigeant de l’UMP. Sans compter la bataille du téléchargement sur internet dans laquelle il a pris parti contre la licence globale. Et voilà que se profilent des manifestations que le ministre de l’Intérieur devra encadrer voire réprimer en priant que tout se passe sans bavures... Ce n’est pas la casquette idéale pour se réconcilier avec la jeunesse. Sarkozy se serait bien passé de devoir jouer à nouveau le rôle de premier flic de France. Certes, le président de l’UMP demeure le meilleur à droite pour représenter son camp en 2007, mais le baromètre du « Fig-Mag » a resonné comme un signal d’alerte. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 25.)

(91) « Il se passe de drôles de choses dans certains riads » assure Latifa Liq, de l’Association

marocaine des Droits de l’Homme. Marrakech devient la ville de toutes les rumeurs, de tous les contrastes... Alors quid des risques d’explosion, de flambée sociale, d’attentats islamistes ? « La menace n’est pas plus importante qu’ailleurs. Ce qui est plus risqué pour nous, c’est d’être dépendants des Français », rétorque un responsable régional. Crânement, Marrakech fait donc de l’œil aux Anglais, qui commencent à acheter leurs petits coins de paradis avec patio et piscine. Et rêve d’attirer demain des Américains ou des Chinois en goguette. Sur les contreforts de l’Atlas, business is business... (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „A qui appartient Marrakech ?“, S. 16.)

Im ersten Beispiel dreht sich bereits in den Absätzen vor der Verwendung der Metonymie alles um Sarkozy, den damaligen Innenminister, und de Villepin, den damaligen Premierminister. Die eigentliche Metonymie, die die vorherigen zum Teil als Topik auftretenden Nennungen Sarkozys im metonymischen Ausdruck wieder aufgreift, befindet sich zweiten Drittel („...le ministre de l’Intérieur devra encadrer voire réprimer...“). Nicht der Innenminister Sarkozy selbst muss die Krawalle niederschlagen und zurückhalten. Dies wird von den durch ihn

160 zu befehligenden Polizeibeamten ausgeführt. Doch es scheint an dieser Stelle von Vorteil, den Ausdruck zu verwenden, der normalerweise direkt auf den Innenminister referieren würde, um damit den Anschluss an das zuvor Gesagte zu wahren. Zugleich wird durch die Metonymie die nötige Flexibilität erzeugt, um indirekt über die Verbindung zum Quellkonzept auf das eigentlich Gemeinte, die Polizei, verweisen zu können. Hierbei ist es sicherlich kein Zufall, dass an dieser Stelle „le ministre de l’Intérieur“ als Ausdruck verwendet wird und nicht Sarkozy. Das Kontiguitätsverhältnis besteht zwischen Polizei und oberstem Dienstherren, ergibt sich mit der Person Sarkozys demnach nur dadurch, dass dieser zum betreffenden Zeitpunkt das Amt des Innenministers ausfüllte. Dabei stellt der metonymische Ausdruck „le ministre de l’Intérieur“ zumindest den Topikausdruck des Relativsatzes, und auch nach dieser Metonymie wird weiter auf Sarkozy als Topik Bezug genommen („Sarkozy“, „le président de l’UMP“). Somit fügt sich der metonymische Ausdruck besser und kontinuierlicher in den Diskursverlauf ein als die genaue Bezeichnung der Handelnden und stellt eine Progression mit konstantem Topik her. Überdies kann so die Verantwortlichkeit des Innenministers, der in dieser Darstellungsweise als Urheber der Repressionshandlungen auftritt, deutlich gemacht werden. Nicht umsonst wird er im übernächsten Satz als „premier flic“ charakterisiert. Vervollständigt wird das Gesamtbild durch die weitere Metonymie in „la casquette“: Die Mütze repräsentiert das Amt, dessen Träger sie kleidet. Wenn nun festgestellt wird, dass die Tätigkeit als Innenminister und speziell die Verantwortung für die polizeiliche Eindämmung der Demonstrationen gegen den Contrat Premier Embauche nicht „la casquette idéale pour se réconcilier avec la jeunesse“ sind, dann fügt sich gerade diese Metonymie gut in das aufzubauende Bild: Neben dem Zielkonzept der Amtsfunktion bleibt das Quellkonzept der Polizeimütze präsent. Diese wird dem Innenminister damit bildlich aufgesetzt und verstärkt so nochmals seine Verantwortung und die Identifizierung der polizeilichen Handlungen mit seiner Person. Die Verwendung der Metonymie in „le ministre de l’Intérieur“ trägt also dazu bei, dass der Bezugspunkt der Person Sarkozys kontinuierlich in der Progression mit konstantem Topik weitergeführt werden kann, gleichzeitig aber die Ebene des polizeilichen Handelns eingeführt und mit dem Innenminister bis zu einem gewissen Grad identifiziert wird. In diesem Fall geht somit die Funktion der Anaphorisierung über die Wiederaufnahme eines Ausdrucks und über die Etablierung einer Progression mit konstantem Topik hinaus und schafft zusätzlich weitere konzeptuelle Verbindungen, die den Argumentationsverlauf des Diskurses stützen. Diese argumentative Funktion der Metonymie wird in Kapitel 6.1.1 näher behandelt. Das zweite Beispiel zeigt eine etwas andere Situation: Die Metonymie dient dazu, über den Absatzwechsel hinweg eine Verbindung zu schaffen. Es ist eher von Koreferenz als von Anaphorisierung zu sprechen; die Rolle der Metonymie für die Kontinuität lässt sich dennoch daran erläutern. Während das erste

161 Auftreten von „Marrakech“ sicherlich wörtlich aufzufassen ist, handelt es sich beim zweiten um eine metonymische Verwendung, in der „Marrakech“ auf die Stadtplaner und verantwortlichen Politiker referiert, die den Zuzug von kaufkräftigen nichtfranzösischen Ausländern wohlwollend sehen und begünstigen. Dies suggeriert auch die vorherige Erwähnung des „responsable général“. Dass der Name der Stadt erneut verwendet wird, ist nicht unbedingt als eine echte Progression mit konstantem Topik aufzufassen, da der Abstand zwischen beiden Erwähnungen zu groß ist. Stattdessen wird durch die metonymische Wiederholung des Ausdrucks eine Verbindung zwischen den Absätzen hergestellt, da hierdurch ausdrücklich der Bezug beider Absätze zum generellen Gegenstand des Artikels, nämlich zu Marrakesch und dessen Entwicklung, verdeutlicht wird. Schließlich ist zu erläutern, wie die Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept auch zur Herstellung einer linearen Progression herangezogen werden kann. Dies geschieht im Korpus allerdings etwas seltener als die Konstruktion einer Progression mit konstantem Topik. Die Herstellung der linearen Progression erschließt sich in folgendem anschaulichen Beispiel:15 (92) « Voilà, c’est ici ! » s’exclame notre guide, Thierry Saint-Joanis, 45 ans. Cet ancien jour-

naliste aujourd’hui dirigeant d’une société de presse ne vit plus que dans ce repaire. Il est le président de la Société Sherlock Holmes de France. Ce titre lui donne certains privilèges : lors de réunions d’adhérents ou dans certaines apparitions publiques, il est le seul à pouvoir porter le costume du personnage créé par Conan Doyle en 1887. Soit la deerstalker ou casquette à double visière, le macfarlane, la pipe et divers autres accessoires vestimentaires empruntés à la garde-robe victorienne. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „La secte des holmésiens“, S. 60.)

Der Ausschnitt ist einem Artikel über die französische Sherlock Holmes-Gesellschaft entnommen. Am Gebrauch und der Positionierung von „Ce titre“ zeigt sich ein bestimmtes Phänomen besonders deutlich: Durch die Ausnutzung der konzeptuellen Verbindung, die zwischen den im Subjekt und anderen Satzgliedpositionen realisierten semantischen Rollen besteht, können über Metonymisierung einzelne Satzglieder in die Subjektposition, die präferierte Position des Topiks, treten. Als Erstes ist festzustellen, dass es sich bei „ce titre“ um eine metonymische Verwendungsweise des Ausdrucks handelt. Nicht der Titel selbst verleiht dem Vorsitzenden Privilegien, sondern die Mitglieder des Vereins, die ihn zum Vorsitzenden machen. Der Titel ist also nur das Zeichen oder das Instrument für die Verleihung der besonderen Befugnisse. Die Verbindung zwischen dem Konzept der handelnden Mitglieder und dem Instrument der Handlung ist die Grundlage für diese Metonymie. So kann erreicht werden, dass hier das Instrument des Sachverhalts, ein Nominalausdruck mit unbelebtem Referenten, im Subjekt realisiert wird, wohingegen der unmarkierte Fall transitiver Konstruktionen das belebte Agens im Subjekt darstellt. Da der unbelebte Subjektausdruck metonymisch mit einer Gruppe belebter Referenten in Verbindung 15

Ein ähnlicher Sachverhalt findet sich auch in Beispiel (50) auf S. 118.

162 steht und gleichzeitig semantisch auf eine vorhergehende Nominalphrase verweist, entsteht so eine lineare Progression. Der vorhergehende Satz enthält nämlich mit „le président de la Société Sherlock Holmes de France“ im Kommentar die genaue Nennung des Titels. Dadurch, dass dieser im nächsten Satz durch „Ce titre“ aufgegriffen werden kann, erfolgt der Anschluss kontinuierlich, ohne Bruch und unter Rückgriff auf eine gegebene Information, die ihrerseits wieder den Anknüpfungspunkt für die Erwähnung der Privilegien und deren Konkretisierung im Folgenden bietet. Anders verhielte sich die Situation, würde man an Stelle des metonymischen Ausdrucks direkt die Mitglieder, das Berufungskomitee oder die Satzung als Subjekt an den Anfang des betreffenden Satzes stellen. Diese Konzepte sind noch nicht gegeben, ihre direkte Aktivierung durch den Leser würde einen weitaus höheren Aufwand bedeuten und nicht in gleichem Maße kontinuierlich erscheinen. Durch den kontinuierlichen Anschluss kann der Kommentar des vorhergehenden Satzes („le président de la Société Sherlock Holmes de France“) im Folgenden als Topik („Ce titre“) wieder aufgegriffen und eine lineare Progression hergestellt werden. Diese wird daraufhin über mehrere Sätze beibehalten: „certains privilèges“, als Teil des an „Ce titre“ anknüpfenden Kommentars, wird nach dem Doppelpunkt als implizites Topik verwendet. Darauf stützt sich wiederum die Nennung des wichtigsten Privilegs, das Tragen des Sherlock-Holmes-Kostüms, als neue Information. Und schließlich wird auch dieses wieder zum impliziten Topik, um die genaue Zusammensetzung des Kostüms erklären zu können. Die lineare Progression setzt sich so über mehrere Sätze hinweg fort; die Metonymie hilft, den durch sie ausgedrückten Sachverhalt nahtlos in diese Struktur einzufügen. Ein Vergleich mit zwei anderen für die Informationsstruktur interessanten Phänomenen soll an dieser Stelle abschließend helfen, die Mechanismen zu verdeutlichen, die bei den geschilderten Verwendungen der Metonymie ablaufen (Quellkonzept der Metonymie bzw. metonymischer Ausdruck als Topik bzw. Topikausdruck). Erstens kann eine Parallele zu Voran- und Herausstellungsstrukturen ausgemacht werden. Diese verwirklichen häufig, was bei Lambrecht als Principle of Separation of Reference and Role bezeichnet und bei Cadiot (1988: 10) als „décumul fonctionnel“ gefasst wird: Eine Informationseinheit wird zuerst in der voran- bzw. herausgestellten Position eingeführt, um als Gegenstand der Aussage, als Topik, fungieren zu können. Teilweise stehen das so etablierte Topik und das Prädikationstopik nicht in einer Identitätsrelation, sondern eher in einer Kontiguitätsrelation. Solche Voran- und Herausstellungen scheinen zu dekumulieren, was die Metonymie in ihrer diskursiven Ausrichtung in höchstem Maße kondensiert: Die beiden Funktionen der Einführung und der Verwendung als Topik führt die Metonymie dadurch zusammen, dass der metonymische Ausdruck und das Quellkonzept das Topik etablieren und das Zielkonzept den Prädikationsgegenstand darstellt.

163 Nach Starks (1997: 80–115) Einteilung für Voran- und Herausstellungsstrukturen in Linksversetzung, verschiedene Varianten des Freien Themas und absolute Rahmensetzung unterscheiden sich diese durch einen jeweils abnehmenden Grad an syntaktischer Reintegrierbarkeit der voran- bzw. herausgestellten Elemente sowie Koreferenz zwischen herausgestelltem und wieder aufgreifendem Element innerhalb des Satzes. Während bei Linksversetzung und einigen Vorkommen des Freien Themas Koreferenz und Reintegrierbarkeit gegeben sind und diese damit normale Herausstellungsstrukturen bilden, ist bei Voranstellungsstrukturen, zu denen weitere Varianten des Freien Themas und absolute Rahmensetzung zählen, keine direkte Reintegrierbarkeit oder strenge Koreferenz mehr vorhanden. Als eine Art Freies Thema lässt sich deshalb auch Beispiel (93) verstehen, das Cadiot zur Illustrierung des erwähnten „décumul fonctionnel“ anführt, da keine direkte Koreferenz zwischen „Mes vacances“ und dem anaphorischen Element „ce“ mehr zu erkennen ist. Vielmehr stehen beide in einem Kontiguitätsverhältnis: (93) Mes vacances, ce sera le Portugal. (Beispiele entnommen aus Cadiot 1988: 10, 17)

Während „Mes vacances“ auf den Urlaub an sich referiert, bezieht sich „ce“ sinngemäß im Zusammenhang des Satzes eher auf den Urlaubsort. Cadiot (1988: 17, eigene Hervorhebung) selbst spricht bei diesem Beispiel bezeichnenderweise von „référence syncatégorématique (ou encore, synecdochique)“. Das etablierte Topik und das Prädikationstopik stehen hier wie das Quell- und Zielkonzept einer Metonymie in einem Kontiguitätsverhältnis. Das etablierte Topik fungiert dann als „rubrique pour le jugement catégorique“ (Cadiot 1988: 17), vor deren Hintergrund das Prädikationstopik zu verstehen ist. Dies lässt die Analogie zwischen den Heraus- bzw. Voranstellungsstrukturen und der Metonymie sichtbar werden. Wird der metonymische Ausdruck in der Funktion eines Topikausdrucks eingeführt und hinterher wieder aufgegriffen, so erfüllen Quellkonzept und metonymischer Ausdruck die Funktion, das etablierte Topik zu transportieren und den Hintergrund auszudrücken, vor dem der über das Zielkonzept abgeleitete Referent verstanden werden muss. Dies ist insbesondere an den für die Progression mit konstantem Topik angeführten Beispielen dieses Kapitels zu erkennen.16 Zweitens ähneln beachtenswerterweise besonders die Verfahren der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept in gewisser Weise dem Prinzip der im Zusammenhang mit den Progressiontypen angesprochenen komplex zusammengesetzten Topiks (s. Kapitel 3.2.1.4, S. 76). In Kapitel 3.2.1.4 wurde gezeigt, wie ein eigentlich noch 16

S. die Beispiele (82) auf S. 152, (83) auf S. 152, (86) auf S. 155, (87) auf S. 157, (88) auf S. 157, (90) auf S. 159 und (91) auf S. 159.

164 neues Element dennoch als gegeben markiert verwendet wird, wenn es in sich selbst einen bereits gegebenen Referenzpunkt enthält. Nichts anderes geschieht im Fall der metonymischen Ausdrücke und der zugehörigen Quellkonzepte, mit deren Hilfe eine Nominalphrase anaphorisiert wird. Der metonymische Ausdruck bezieht sich jeweils über das Zielkonzept auf einen anderen u. U. noch nicht gegebenen Referenten. Gleichzeitig enthält die Metonymie mit dem Quellkonzept, das schon im Diskurs vorerwähnt oder zumindest durch seine Salienz sehr leicht ableitbar ist, einen als gegeben vorauszusetzenden oder leicht ableitbaren Referenzpunkt. Dies rechtfertigt in vielen Fällen die Markierung des metonymischen Ausdrucks als gegebenes Element durch den definiten oder demonstrativen Artikel, ohne dass das Zielkonzept selbst bereits gegeben sein muss.17 Eine derartige Einführung eines neuen Referenten kann dadurch vervollständigt werden, dass dieser im folgenden Diskurs nicht nur metonymisch, sondern wörtlich benannt wird. Mit solchen Überleitungen beschäftigt sich das folgende Kapitel. Zu beobachten war in diesem ersten Teil des Überblicks zum Zusammenhang zwischen der Anaphorisierung von bzw. durch metonymische Ausdrücke und der Informationsstruktur, dass sich die Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks durch die Wiederaufnahme desselben, die Aufrechterhaltung der gesamten Metonymie und die Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck dafür eignen, sowohl Progression mit konstantem Topik als auch lineare Progression herzustellen. Allein bei der Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte konnte nur die Progression mit konstantem Topik, aber kein Fall von linearer Progression festgestellt werden. Insgesamt überwiegen die Fälle, in denen Anaphorisierung von oder durch metonymische Ausdrücke zur Progression mit konstantem Topik führt. Manchmal kommt es auch vor, dass zwar zunächst durch den Einsatz der Metonymie eine lineare Progression hergestellt, diese dann aber durch eine Progression mit konstantem Topik abgelöst wird. Die kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie besteht also überwiegend darin, durch Ausnutzung der indirekten Bezeichnungsmöglichkeiten einen bestimmten Ausdruck konstant beizubehalten. So kann ein konstanter Topikausdruck aufrecht erhalten werden, auch wenn mit dem ursprünglichen Referenten verbundene, aber nicht identische Referenten angesprochen werden sollen. Diese formale Realisierung baut auf einer Konzeptualisierung des jeweiligen Sachverhalts auf, die die Einheit und Zusammengehörigkeit der verschiedenen Konzepte herausstellt und sie in eine gemeinsame Repräsentation integriert. Auch auf konzeptueller Ebene herrscht damit Kontinuität.

17

S. Beispiel (51) auf S. 119 und Beispiel (92) auf S. 161.

165 5.2.1.2 Überleitung zum Zielkonzept der Metonymie: Progression mit abgeleitetem Topik Das vorangegangene Kapitel hat die Aufmerksamkeit auf Anaphorisierungen gelenkt, deren Verdienst es ist, das Quellkonzept einer Metonymie bzw. den metonymischen Ausdruck kontinuierlich als Topik bzw. Topikausdruck weiterzuführen. Eine grundsätzlich andere Funktionsweise ergibt sich bei der Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks: Wird das Zielkonzept einer Metonymie mittels eines entsprechenden, dieses Zielkonzept bzw. den intendierten Referenten bezeichnenden Ausdrucks aufgegriffen, kann damit keine kontinuierliche Weiterführung des Ausdrucks erreicht werden. Denn es ändert sich ja gerade die Benennung des Referenten, die erst indirekt über den metonymischen Ausdruck, dann direkt über einen dem Ziel entsprechenden Begriff erfolgt. Die Metonymie bildet so den Ausgangspunkt und die Vorbereitung für die Überleitung hin zum Zielkonzept, das dann häufig als neues Topik in Erscheinung tritt. Mit dieser überleitenden Funktion kommt diese Art der Anaphorisierung einer Progression mit abgeleitetem Topik nahe. Im ersten Teil der Arbeit (s. Kapitel 3.2.1.4, S. 75) wurde festgestellt, dass Grobet die Progression mit abgeleitetem Topik nur als analoge Variante zu den anderen beiden anderen Arten der Progression ansieht. Dass die Progression mit abgeleitetem Topik in der vorliegenden Arbeit getrennt behandelt wird, ist dennoch sinnvoll: Die Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie zu diesem Zweck folgt einem prinzipiell anderen Anaphorisierungsmuster und einem anderen Mechanismus als bei den Beispielen für die Progression mit konstantem Topik oder für die lineare Progression. Um diese Überlegungen anschaulicher zu machen, sollen gleich mehrere Beispiele herangezogen werden, die das abgeleitete Topik als Variante der Progression mit konstantem Topik vorstellen:18 (40) Abel Mamani, le guérillero de l’eau C’est donc lui l’enragé qui a mis Suez à genoux ? L’ancien dirigeant de la Fejuves (association des comités de quartier) d’El Alto, immense cité pauvre perchée au-dessus de La Paz, a violemment combattu Aguas del Illimani, filiale de Suez, qu’il accusait de négliger les quartiers pauvres et de vendre l’eau trop cher. Devenu ministre de l’Eau, ce radical a un peu... dilué son discours : « J’ai toujours proposé que l’eau appartienne à l’Etat, je ne vais pas changer. Mais je suis tout à fait d’accord pour qu’on tire parti de l’expérience étrangère. Il ne s’agit pas de subventionner une entreprise étatique comme un puits sans fond. » Au gouvernement, Mamani joue la loyauté : « On a un programme, chaque ministre va essayer de le suivre ». Il n’oublie pas qu’El Alto a voté à une majorité écrasante pour Evo. Mais il sait aussi qu’il suffit de bloquer quelques routes à la sortie d’El Alto pour asphyxier 18

Diese Struktur kann man auch in dem im Zusammenhang mit der allgemeinen Vorstellung der Anaphorisierungstypen besprochenen Beispiel (48) auf S. 116 und in Beispiel (79) auf S. 146 erkennen.

166 totalement La Paz. « La population ne bloquera rien si elle voit que le gouvernement a la volonté de l’aider », dit-il. Sinon... (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 9.)

(94) La Ddass... On en parle ici avec autant de colère que de la justice et du petit lieutenant

Burgaud. On dit encore « la Ddass », avec tout ce que le sigle charrie d’arbitraire et de casse, alors qu’elle s’appelle Aide sociale à l’Enfance (ASE), depuis plus de vingt ans (cf. encadré). L’ASE est au cœur du ravage d’Outreau. Mais à l’heure où on tente de disséquer l’engrenage infernal, elle reste étrangement silencieuse. Les auditions de ses agents devant la commission parlementaire ont lieu à huis clos. La presse est tenue à l’écart. Secret professionnel, dit-on, volonté de préserver le personnel traumatisé. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’autre fiasco d’Outreau“, S. 42.)

(95) Perche tendue à la délégation d’EDF qui répond par un plaidoyer pro domo. Puis Jean-Paul

Mauduit, membre du Medef et président de la chambre de commerce de Lyon, lance : « Je suis pro-nucléaire et pour l’EPR [European Pressurized Reactor] ! Les moulins à café, nous ne pouvons plus les prendre aux Chinois. Les centrales, si ! La France dispose d’un savoir que le monde entier nous envie. Sans le nucléaire, ce serait la débandade ! » Rires et aplaudissements. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „EPR : premier débat, cahin-caha“, S. 52.)

(96) Après l’excitation de Berlin, la découverte de l’Angleterre en 1933 en tant qu’émigrant

d’Europe centrale fut un choc et une grande déception. A cette époque, la Grande-Bretagne demeurait une île autosuffisante. Elle était insulaire à tous les sens du terme. Surtout sur le plan intellectuel. Les Britanniques avaient quelques décennies de retard par rapport à ce qu’on avait vécu en Allemagne. C’est donc à l’école que j’ai découvert cette culture qui s’est ajoutée à la culture allemande, puis française. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Ma vie en rouge“, S. 14.)

Zu Beispiel (40) (S. 107) wurde schon in Kapitel 5.1.1.1 bei der Vorstellung der Anaphorisierungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Metonymien erläutert, inwiefern eine Wiederaufnahmebeziehung zwischen dem metonymischen Ausdruck „El Alto“ und „La population“ besteht. Da es gleichzeitig den hier diskutierten Sachverhalt veranschaulicht, soll es ein weiteres Mal herangezogen werden. In Hinblick auf die Progressionstypen ist von Belang, dass es mit dieser Wiederaufnahme gelingt, über das Quellkonzept der Metonymie auf ein neues Zielkonzept bzw. einen neuen intendierten Referenten zu verweisen. El Alto wird am Anfang in seinem normalen Gebrauch als Bezeichnung für einen Stadtteil eingeführt. Das Konzept der dort lebenden Bevölkerung schwingt bereits dann mit, wenn El Alto als „pauvre“ qualifiziert wird. Ganz eindeutig tritt diese Metonymie erst auf, wenn es um das Wahlverhalten El Altos, das das Topik des Komplementsatzes bildet, geht. Durch die metonymische Verwendung kann über das Konzept des Stadtviertels auf die Bevölkerung referiert werden. Diese Metonymie hat den Vorteil, dass sie die Bevölkerung des Armenviertels als Zielkonzept und indirekten Referenten ins Spiel bringt und damit trotz der konstanten Weiterführung des Ausdrucks „El Alto“ die Progression des Diskurses fördert. Diese indirekte Einführung des neuen Referenten ist relativ einfach,

167 da sie sich ja auf das Kontiguitätsverhältnis von Quell- und Zielkonzept der Metonymie stützen kann. Damit ist dann das Zielkonzept der in El Alto lebenden Bevölkerung bereits gegeben, wenn es durch „La population“ aufgegriffen und direkt als Topik verwendet wird. In diesem Moment tritt die Überleitung deutlich erkennbar zutage. Man kann also von einer Progression mit abgeleitetem Topik sprechen. Auf ausgeklügelte Weise gelingt so der Ausgleich von Kontinuität und Progression: Während im ersten Schritt durch die Metonymie mit dem Quellkonzept und dem metonymischen Ausdruck („El Alto“) ein gegebenes Element formal konstant weitergeführt wird, wird auf konzeptueller Ebene über die metonymische Verbindung das neue Zielkonzept „eingeschleust“. Im zweiten Schritt entsteht in der Wiederaufnahme umgekehrt auf formaler Ebene ein Bruch – statt des metonymischen Ausdrucks wird nun eine direkte Bezeichnung für den intendierten Referenten gewählt („La population“). Auf konzeptueller Ebene aber ist Kontinuität gewährleistet – das Zielkonzept ist zu diesem Zeitpunkt durch die vorhergehende Metonymie zumindest schon impliziert und der intendierte Referent des vorhergehenden metonymischen Ausdrucks kann einfach weitergeführt werden. Zugleich verdeutlicht das Beispiel, worauf Grobet mit ihrer Hypothese abzielt, dass die Progression mit abgeleitetem Topik auf eine der beiden anderen Progressionstypen – linear oder mit konstantem Topik – zurückzuführen sei: Gerade wenn der Ausgangspunkt für die Ableitung metonymisch realisiert ist, erkennt man, dass dieser ja zumindest zum Teil, nämlich in seinem Zielkonzept, wieder aufgenommen wird. Die Parallele zur direkten Weiterführung als konstantes Topik oder in einer linearen Progression ist aus dieser Perspektive gut erkennbar. Das vorliegende Beispiel könnte man deshalb in die Nähe der Progression mit konstantem Topik rücken, da das Topik in „La population“ das als Topik dienende Zielkonzept des metonymischen Ausdrucks „El Alto“ weiterführt. Im Prinzip verhält es sich mit Beispiel (94) nicht viel anders. Bemerkenswert ist aber, dass das über die Metonymie abgeleitete Ziel nicht das gesamte folgende Topik, sondern nur einen Teil desselben bildet und sozusagen als Referenzpunkt für dessen Identifizierung dient. Hauptgegenstand des Abschnitts ist die Ddass (Direction Départementale des Affaires Sanitaires et Sociales) bzw. ASE (Aide Sociale à l’Enfance), eine Fürsorgestelle, die in Verruf geraten ist, da sie Eltern zu Unrecht die Kinder entzogen hat. Während zuerst die Betonung auf der Institution liegt, tritt in „L’ASE est au cœur du ravage d’Outreau“ metonymisch der Aspekt der lokalen Beschränkung auf eine Dienststelle und deren Mitarbeiter hinzu. Dies bestätigt sich eindeutig in der Weiterführung mittels des Pronomens „elle“, das, wie aus dem Kontext ersichtlich, die Referenz auf die Mitarbeiter der ASE übernimmt. Dennoch kongruiert das Pronomen noch mit der Bezeichnung der ASE und hält somit eine kontinuierliche Fortsetzung auf-

168 recht. Erst im nächsten Satz wird direkt mit „ses agents“ auf die Mitarbeiter der ASE Bezug genommen. Die Überleitung erfolgt damit genauso behutsam wie im vorangegangenen Beispiel. Allerdings ist „ses agents“ nicht das Topik, sondern nur ein Teil des Topiks – aber ein entscheidender Teil. Denn nur dadurch, dass „ses agents“ bereits gegeben ist, ist „Les auditions de ses agents“ insgesamt ableitbar und kann mit einem definiten Artikel als Topik auftreten. Im nächsten Beispiel, Nummer (95), geht es um die Debatte, ob ein neuartiger Druckwasserreaktor in Flamanville erbaut werden soll oder nicht und welchen wirtschaftlichen und technologischen Wettbewerbsvorteil ein solcher Reaktor haben könnte. Das Beispiel verdeutlicht, dass die Überleitungsfunktion eng verbunden ist mit der Eigenschaft der Metonymie, über ein leicht zu identifizierendes, salientes Quellkonzept das Zielkonzept zugänglich zu machen. In (95) sind nämlich die Quellkonzepte der betreffenden Metonymien „Les moulins à café“ und „Les centrales“ nicht als unmittelbar gegeben zu betrachten. Dennoch leistet hier die Metonymie einen Beitrag zur einfacheren Einführung eines Konzepts in den Diskurs und zur Überleitung auf dieses. Die Metonymie in „Les moulins à café“ vermag durch den konkreten und damit salienteren Referenzpunkt der Kaffeemühle relativ problemlos auf das abstrakte Konzept der simplen Bauweise der Maschine zu verweisen. In Bezug auf „Les centrales“ ist festzustellen, dass zwar keine direkte Nennung im unmittelbar vorhergehenden Kotext erfolgt, das Konzept aber zumindest als ableitbar in der mémoire discursive angenommen werden kann, da sich der ganze Artikel mit dem Bau eines neuen Atomkraftwerktyps beschäftigt. Infolgedessen kann durch diesen metonymischen Ausdruck analog zu „Les moulins à café“ einfacher als mit der direkten Bezeichnung auf die dazugehörige sehr komplizierte Technologie und auf die nötige Forschung, die Erfahrung und das Wissen darüber verwiesen werden. Sowohl „Les moulins à café“ als auch „Les centrales“ treten als Topik auf, deutlich angezeigt durch die Segmentierungsstruktur. Im darauf folgenden Satz wird das Zielkonzept des Know-hows aufgegriffen als „savoir“. Es wird, der indirekten Ableitung Rechnung tragend, zuerst noch mit dem indefiniten Artikel verwendet, um dann aber sofort als Topik des Relativsatzes, in dem die entscheidende Aussage enthalten ist, aufzutreten. Das Beispiel zeigt also, dass neben Gegebenheit durch Vorerwähnung auch die generelle Steigerung der kognitiven Zugänglichkeit, hier durch die Vermittlung einer abstrakten Information über einen konkreten Referenzpunkt, einen Vorteil für die Einführung eines Konzepts in den Diskurs darstellen kann. Zuletzt vergegenwärtigt (96) auf besonders eindrückliche Weise, wie über eine Metonymie von einem Konzept unauffällig zu einem anderen übergeleitet werden kann. Während bei der ersten Nennung „l’Angleterre“ in der Gegenüberstellung zur Stadt Berlin und als Zielland der Auswanderung überwiegend als geographische Einheit und Kulturraum aufzufassen ist, ändert sich dies im Folgenden. Zwar wird der mit „la Grande-Bretagne“ bezeichnete Referent durch

169 das Prädikatsnomen „une île“ weiterhin als ein geographisches Konzept gekennzeichnet. Doch ist diese Einordnung nicht mehr so eindeutig, wenn man sich das zugehörige attributive Adjektiv ansieht. Mit „autosuffisante“ wird eher die sich selbst genügende Bevölkerung ohne Anspruch, über die Grenzen ihrer Insel hinauszublicken, charakterisiert. Die Wiederaufnahme durch das Pronomen „Elle“ hält diese Zweideutigkeit aufrecht und baut sie bewusst aus: Würde die Insel Großbritannien nur als „insulaire“, als inselartig, beschrieben, so handelte es sich um eine wenig aussagekräftige Feststellung. Doch der Zusatz „à tous les sens du terme“ weist darauf hin, dass „insulaire“ in metaphorischem Sinne verstanden sein will und sicherlich nicht nur auf die geographische Lage und Form des Landes abhebt. Die Verwendung dieses Adjektivs gibt damit ein willkommenes Wortspiel ab. Der folgende elliptische Satz deckt diese Strategie vollständig auf und macht ersichtlich, dass wirklich die Bewohner der Insel und ihr eingeschränkter Horizont gemeint sein müssen. Als letzte Konsequenz wird das so als Zielkonzept der Metonymie schleichend und unterschwellig eingeführte Konzept der Bewohner Großbritanniens selbst direkt benannt: „Les Britanniques“ dient im anschließenden Satz als Topik. Auch hier liegt folglich ein Beispiel für die Progression mit abgeleitetem Topik vor, die sich eventuell als Spezialfall unter die Progression mit konstantem Topik subsumieren ließe. Im Gegensatz dazu erscheint das anschließende Beispiel (97) als Illustration für das abgeleitete Topik – mit Parallelen zum Muster der linearen Progression: (97) L’enquête d’Ariane Chemin et de Géraldine Catalano « Une famille au secret » (Stock)

montre à quel point la double vie de François Mitterand a eu des conséquences politiques. A quel point, justement, les « idées » et « l’attitude », en d’autres termes le style de vie, sont intimement liées. Jusqu’à présent, en France, journalistes ou biographes ne se sont aventurés sur ce terrain qu’une fois leur « sujet » mort. Nicolas Sarkozy, lui bien vivant, essuie les plâtres d’une nouvelle ère, celle de la transparence. La décision de la vénérable Agence France Presse, organisme d’Etat, qui a repris l’article de « France-Soir » et « outé » la nouvelle amie du ministre, est révélatrice du trouble de la presse française, attaquée par le virus de la « peopolisation ». (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Le boomerang de la ‹ politique people ›“, S. 25.)

Bezeichnend ist, dass die Metonymie in „leur ‹ sujet ›“, diesmal als Teil des Kommentars, ausdrücklich durch die Anführungszeichen hervorgehoben wird. Vermutlich nimmt der Autor diese Kennzeichnung vor, weil der metonymische Ausdruck absichtlich doppeldeutig bleibt: Einerseits ist nicht das Thema tot, sondern die Person, mit der sich Journalisten und Biographen nach deren Tode beschäftigen und deren Leben und Tun das Thema für die Berichterstattung liefert. Andererseits wird ausdrücklich die Behandlung bestimmter Personen als „‹ sujet ›“ betont, das Quellkonzept damit nicht vollständig ausgeblendet. Als Hintergrund ist zu erwähnen, dass der Artikel anlässlich der Berichte über Sarkozys Privatleben den Umgang der Presse mit der Grenze zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeitsinteresse kommentiert. Insofern wird die Person Sarkozys in dem Artikel generell unter dem Aspekt behandelt, wie über ihn in der Presse

170 berichtet wird und wie er sich demgegenüber verhält. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich in Anschluss an die Metonymie sofort Sarkozy als Beispiel einer Person, die ein geeignetes Thema für die Presse liefert, aufdrängt. Die Erwähnung Sarkozys am Anfang des neuen Absatzes anaphorisiert zwar nicht im engeren Sinne „leur ‹ sujet ›“, steht aber zumindest in teilkoreferentem Zusammenhang mit diesem: Sarkozy kann zum Kreis der Personen gerechnet werden, aus deren Handeln und Leben potentielle Themen für die Berichterstattung destilliert werden. Er stellt damit einen der Fälle dar, die unter das Zielkonzept bzw. zum indirekt bezeichneten Referenten des metonymischen Ausdrucks zu rechnen sind. Nach dem Exkurs zum allgemeinen Interesse an der Öffentlichmachung von Details aus dem Privatleben von Politikern bereitet so die metonymische Anspielung in „leur ‹ sujet ›“ – dieses Konzept selbst kann aufgrund des possessiven Determinierers und des Bezugs zum Themenfeld des Journalismus als ableitbar angesehen werden – die kontinuierliche Überleitung zurück zum Fall Sarkozys vor. Dieser kontinuierlichen Lesart leistet außerdem die Gegenüberstellung von „mort“ und „bien vivant“ Vorschub, die nochmals die Verbindung zwischen „‹ sujet ›“ und „Sarkozy“ hervorhebt. Da „Sarkozy“ dank dieser Überleitung sofort wieder als Topik auftreten kann, bereitet das Zielkonzept der Metonymie im Kommentar auf das Topik des folgenden Satzes vor. Diese Progression mit einem aus dem Zielkonzept der Metonymie abgeleiteten Topik lässt sich dementsprechend analog zur Grundform der linearen Progression auffassen. Im Gegensatz zur Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks, die die formale Kontinuität eines Topikausdrucks hervorhebt, sorgt die Wiederaufnahme des Zielkonzepts für eine möglichst kontinuierliche Überleitung auf dieses. Insgesamt bestätigt sich die Hypothese, dass die Metonymie in zahlreichen Fällen stark von ihrer Rolle im Diskurs abhängig ist bzw. ihre Verwendung gerade zwecks Herstellung von Kontinuität im Diskurs überhaupt erst sinnvoll erscheint. Es zeigt sich, dass die Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke tatsächlich durch die beabsichtigte Fortführung des Diskursverlaufs determiniert wird. 5.2.1.3 Bildung anaphorischer und referentieller Ketten mit Hilfe von Metonymien In manchen der bis jetzt besprochenen Beispiele – u. a. in Beispiel (77) auf S. 144, (81) auf S. 148 oder (90) auf S. 159 – wurde erkennbar, dass die Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke nicht auf eine einzelne Wiederaufnahme beschränkt sein muss. Es können sich ganze Ketten anaphorischer bzw. koreferentieller Verbindungen entwickeln (s. Kapitel 3.2.2.4, S. 86, und Kapitel 5.1.1.2, S. 123). Da diese Vorkommen besonders gut die These untermauern, dass die Metonymie in bestimmten Fällen durch ihre diskursive Um-

171 gebung zustande kommt und verlangt wird, soll nicht darauf verzichtet werden, diese Ketten nochmals gesondert herauszustellen. Die beiden folgenden Beispiele stehen stellvertretend für diejenigen Anaphorisierungs- und Referenzketten, die sich dadurch auszeichnen, dass sie immer wieder auf dasselbe Konzept und denselben Referenten Bezug nehmen. Lediglich an einer bestimmten Stelle wird es nötig, ein abweichendes, aber kontiges Konzept anzusprechen. Um eine auffällige Unterbrechung der Kette zu vermeiden, wird auf eine Metonymie zurückgegriffen. Sie erlaubt es, kurzfristige referentielle Abweichungen zugunsten von Kontinuität zu überspielen: (98) Sur les pavés disjoints, les Jeep américaines se livrent à un furieux gymkhana au milieu des décombres. Nuremberg, la cité d’Albrecht Dürer, la ville qui donna son nom aux lois racistes de 1935 et célébra les grands-messes hitlériennes, dans une débauche d’oriflammes et de croix gammées, Nuremberg, en ce mois de novembre 1945, n’est plus que ruines. Les vainqueurs klaxonnent à tout va pour disperser les piétons. Ils sont chez eux, désormais, dans cette ville rasée par les bombardements britanniques en janvier et mars. Pour le procès, le plus grand procès de tous les temps jamais organisé contre les dignitaires d’un pays vaincu, l’eau et l’électricité ont été rétablies. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Nuremberg. Les nazis face à leurs crimes“, S. 5.)

(99) Mais le Moloch médiatique n’est pas un toutou obéissant. Terrible dérive de la téléréalité,

qui dévaste tout sur son passage. Logique cynique et mercantile : les déboires sentimentaux et romanesques de Nicolas passionnent. Les lecteurs se plaignent de l’abaissement du débat démocratique, et en même temps ils en redemandent. « Désormais Sarko vend plus que n’importe quelle actrice », dit la rédactrice en chef d’un magazine people. Alors les paparazzi ne le lâchent plus. Ils le suivent partout. Ils mitraillent le couple, parti le week-end dernier à Venise. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Le boomerang de la ‹ politique people ›“, S. 25.)

Das erste Beispiel, der einleitende Abschnitt zu einem Artikel über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, wählt die damalige Stadt als Topik. Im Wechsel tauchen mehrere Male „Nuremberg“, „la cité“ und „la ville“ auf und bilden eine Kette von Anaphern und koreferentiellen Ausdrücken, die genutzt werden, um ein Bild von der Stadt – von ihrer Rolle während des Kriegs und ihrer Zerstörung danach – zu zeichnen und somit die Geschichte des Ortes, an dem die Prozesse stattfinden, zu illustrieren. Diese Abfolge, in der Nürnberg immer wieder als Topik vorkommt, kann an einer Stelle nur durch eine Metonymie aufrechterhalten werden: Der ersten Nennung von „la ville“ liegt eine indirekte metonymische Referenz zugrunde. Sie verweist auf die Besucher Nürnbergs, auf Hitler, seine Beamten und Anhänger, die die Nürnberger Gesetze nach der Stadt benannten, in der sie diese beschlossen, und die in Nürnberg die Reichsparteitage zelebrierten. So bleibt „la ville“ formal als Topikausdruck erhalten, und es kann trotzdem die gewünschte Aussage, deren intendierter Agensreferent einen „Konkurrenten“ für den Topikreferenten darstellen würde, getroffen werden. Die kurze referentielle Abweichung, die die Kette stören würde, wird mit Hilfe der Metonymie unkenntlich gemacht.

172 Ebenso erhält die Metonymie in (99) Sarkozy als Topik aufrecht. Sie verweist über „Sarko“ auf die Berichterstattung zu seiner Person und darüber auf die Zeitungsunternehmen, die mit Hilfe dieser reißerischen Artikel viele Zeitungsexemplare verkaufen können. Der Artikel über Sarkozys Verhältnis zur Presse bezieht sich die meiste Zeit auf dessen Person. Es erscheint deshalb natürlich, den dargestellten Sachverhalt der hohen Auflagen ausgehend von diesem zentralen Punkt des Artikels aus zu konzeptualisieren. Dies trifft sich außerdem sehr gut mit der Tatsache, dass Sarkozy im vorliegenden Abschnitt auch lokal als Topik, zumindest als gegebenes Konzept, auftritt. Wichtig ist, dass die Kette aus „Nicolas“ als Teil eines Topikausdrucks, aus „Sarko“ als Topikausdruck und aus der zweimaligen Wiederaufnahme durch das Pronomen „le“ nicht unterbrochen wird, wie es geschehen würde, wenn anstatt „Sarko“ ein nichtmetonymischer, direkt referierender Ausdruck stünde. Auch hier wird eine referentielle Variation zugunsten der Topikstruktur durch die Metonymie überspielt. Eine weitere Konstellation, in der Metonymie zur Herstellung referentieller bzw. anaphorischer Ketten beiträgt, ist die, in der ein bestimmter Ausdruck laufend weitergeführt wird, aber metonymisch auf verschiedene Zielkonzepte bzw. Referenten verweist. Die Anaphorisierung und die Kontinuität bleiben dennoch durch das jeweils gemeinsame Quellkonzept und den gemeinsamen metonymischen Ausdruck erhalten. Einige Beispiele hierfür sind bereits diskutiert worden, wenn auch nicht mit besonderem Augenmerk auf die anaphorische Kette, die sie enthalten. So z. B. Ausschnitt (56) (S. 124), in dem das Quellkonzept der Vereinigten Staaten wahlweise auf verschiedene Instanzen der Regierung und die amerikanischen Soldaten im Irak verweist. Oder Beispiel (83) (S. 152) über das neue Gesicht der Zeitung Le Monde, in dem das Quellkonzept der Zeitung auf die Unternehmensgruppe, auf die Mitarbeiter, auf das Format und die Gestaltung der Zeitung hindeutet; ahnlich wie in Beispiel (44) (S. 111), in dem die Zeitschrift Paris-Match als Hinweis auf die Mitarbeiter, das Unternehmen, die Räumlichkeiten etc. dient; und schließlich in Beispiel (86) (S. 155), in dem das Konzept des Irans zur Ableitung des Konzepts diverser Instanzen von Wissenschaftlern und Technikern bis hin zur Regierung des Landes dient. Ganz ähnlich funktioniert folgendes Beispiel: (100) L’université bouge.

Il y a quelque chose de désespérant dans ce cliché tenace qui voudrait que l’université ne prépare pas à l’emploi. Trop longtemps, il est vrai, les facs n’ont formé que des juristes, des médecins, des chercheurs ou des profs. Les autres métiers, on les apprenait ailleurs, comme on pouvait. Dans les grandes écoles, si on faisait partie des 2% ou 3% de cracks pouvant y accéder. Dans les petites écoles professionnelles et les BTS, apparus en 1959, pour les autres. Puis, à la fin des années 1960, l’université a vu naître – avec mauvaise grâce – les instituts universitaires de technologie. Aujourd’hui, cette filière est devenue une des coqueluches des employeurs, redorant le blason de l’université. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’université bouge“, S. 6.)

Über den gesamten Abschnitt, den Anfang eines relativ kurzen Artikels, zieht sich „l’université“ bzw. „les facs“ als Topik hin, nur unterbrochen von einem

173 kleinen Exkurs über die anderweitigen Ausbildungsstätten, welche man als abgeleitete Topiks betrachten kann. Dabei referiert „l’université“ nicht immer genau auf dasselbe. Vielmehr ergeben sich metonymische Verschiebungen. Der Bogen der intendierten Referenzen zieht sich vom Globalkonzept der Institution im Titel des Artikels über die Unterrichtsinhalte bzw. die Lehrenden, die Leitung und die Beschäftigten der Universitäten als gesamten Mitarbeiterstab bis wieder hin zur Universität als globale Institution. Interessant ist, dass sowohl dieses als auch die meisten anderen Beispiele dieser Art Metonymien enthalten, die sich mit dem Phänomen der Facetten und der Generalität (s. Kapitel 2.2.2.2) überschneiden und mittels des metonymischen Ausdrucks jeweils unterschiedliche, aber nur schwer abzugrenzende handelnde Instanzen bezeichnen. Dies ist sicherlich ein Grund dafür, dass die Weiterführung unter einem gemeinsamen Ausdruck in diesen Vorkommen so einfach ist. In anderen Fällen scheint keine so klar erkennbare Linie die anaphorische bzw. referentielle Kette zu lenken wie in den vorherigen Beispielen. Eine Oszillation zwischen metonymischer Verwendung und wörtlicher Bezugnahme entsteht: (101) Le Nouvel Observateur. – Dans vos tableaux, vous aimez vous représenter avec un revol-

ver, mais jamais avec le pinceau des peintres... Jacques Monory. – Dans la série des « Meurtres », pourtant, c’est moi qui meurs : je tombe, je meurs 2, 3, 4 fois... Le 10e tableau est un miroir pour faire entrer les gens dans le tableau et ce sont eux qui sont tués finalement – on voit quelqu’un qui se sauve, c’est moi ! En fait, plutôt que sur les gens, je préfère tirer sur la peinture, comme dans « Monet est mort », où je tire sur une valise métallique qui s’enfonce dans l’étang des « Nymphéas ».

(Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Jacques Monory. L’homme qui tire sur la peinture“, S. 5.)

(102) Des morts de Clichy-sous-Bois et d’Epinay-sur-Seine au recours à l’état d’urgence et à l’instauration du couvre-feu annoncé par Dominique de Villepin, Claude Askolovitch raconte ces dix jours qui ont ébranlé la France.

(Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Banlieues. Pourquoi l’incendie“, S. 22.)

In Beispiel (101) verbirgt sich hinter dem Pronomen „je“ bzw. hinter dem unverbundenen Pronomen „moi“ der Künstler selbst oder metonymisch sein Selbstbildnis, eine Darstellung seiner Person in einem seiner Bilder. Der Bezug scheint ständig zu wechseln. Dennoch resultiert ein kontinuierlicher Eindruck, da immer wieder dieselben Pronomen verwendet werden. Die Person des Künstlers als immer gleiches Topik zieht sich durch die ganze Antwort auf die Interviewfrage. Der relativ kurze Diskursausschnitt in (102) bildet den einleitenden Absatz einer Reportage über die Ereignisse während der schweren Krawalle in den Pariser Vorstädten im November 2005. Hier ergibt sich eine sehr interessante metonymische Verknüpfung. „Des morts“ und „au recours à l’état d’urgence...“ bezeichnen im vorliegenden Kontext nicht die Ereignisse selbst, sondern, wie an den Präpositionen zu erkennen ist, die Zeitpunkte bzw. den Zeitraum zwischen

174 diesen Ereignissen. Eben diese zehn Tage, „ces dix jours“, von denen im folgenden Satz die Rede ist. Erstaunlicherweise ist aber hier ebenso eine Metonymie gegeben. Ein Zeitraum lässt sich schwer erzählen, nur die in ihm abgelaufenen Ereignisse können gemeint sein. Daraus folgt eine bemerkenswerte Struktur: Die beiden Metonymien scheinen das Spiegelbild der jeweils anderen zu sein. Dem Verweis vom Ereignis auf den Zeitraum folgt der Verweis vom Zeitraum auf das Ereignis. Das Quellkonzept der ersten Metonymie wird zum Zielkonzept der zweiten, das Quellkonzept der zweiten zum Zielkonzept der ersten Metonymie. Diese kreuzweise Verknüpfung betont den untrennbaren Zusammenhang zwischen dem Zeitraum und den Ereignissen. Besagte zehn Tage werden für immer mit den Krawallen verbunden werden. Die Verwendung der Ausdrücke oszilliert zwischen dem Bezug auf die Pole des Quell- und des Zielkonzepts. Schließlich gibt es anaphorische oder referentielle Ketten, in denen die Metonymie nur den Startpunkt, die Überleitung (s. auch Kapitel 5.2.1.2), bietet und in denen dann der dem Zielkonzept entsprechende Referent mehrmals angesprochen und weitergeführt wird. Zu Anschauungszwecken sei folgendes Beispiel gegeben: (103) Il n’empêche qu’elle ne renoncerait pour rien au monde à ces cours du soir dans ce bidonville sur les hauteurs de Caracas, près du quartier de Petare : « Le quartier est toujours aussi dangereux, mais les comportements commencent à changer. On voit moins de gens qui traînent devant leur porte, qui picolent et créent une mauvaise ambiance dans le quartier. L’exemple des autres est contagieux, ils se mettent à étudier. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 7.)

Über das Aufgreifen von „ce bidonville“ in „Le quartier“ ist die Anbindung an den linksseitigen Kotext und damit Kontinuität erreicht. „Le quartier“ als metonymische Bezeichnung für die im Viertel wohnenden, eine Stimmung der Unsicherheit und Bedrohung verbreitenden Leute leitet über zu dem Konzept, zu dem Referenten, auf den sich die folgenden Sätze beziehen werden. Schon im daran anschließenden subordinierten Satz muss „les comportements“ als das Verhalten der Bewohner, die als implizit gegebenes Konzept und Kontinuitätsträger fungieren, verstanden werden. Darauf folgend wird das Zielkonzept in der Tat direkt sprachlich realisiert, als „moins de gens“, „L’exemple des autres“ sowie „ils“. Einmal über die Metonymie eingeführt, taucht der dem Zielkonzept der Metonymie entsprechende Referent immer wieder auf. All diese Beispiele veranschaulichen, dass die Metonymie zwar oft nur punktuell einen Ausdruck betrifft, aber die dadurch entstehende kontinuitätsstiftende Wirkung über diesen hinausgehen kann. Aus der Metonymie erwächst die Einfügung eines Konzepts bzw. eines Referenten in eine ganze Sequenz von Anaphern bzw. konstanten Topiks oder die Überleitung zu einer solchen Sequenz. Die anschließende Tabelle fasst rückblickend die Typen der Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke und deren Funktion im Diskurs zusammen:

175 Anaphorisierungstyp Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte (Ableitung weiterer Metonymien) Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept

——————————-

Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks

Funktion ⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭ 



X X X X X x formale Konstanthaltung des Ausdrucks

————— ———— Überleitung Expressivität xxxxxxxx

(eher rhetorische als kontinuitätsstiftende Funktion)

⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭ 



bewirktes Progressionsmuster X X X X X X Progression mit konstantem Topik und lineare Progression

————– Progression mit abgeleitetem Topik keine systematische Verbindung mit Progressionsmustern

Abbildung 11: Überblick zu den Typen von Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke und den damit verbundenen Progressionsmustern

5.2.2

Kontinuitätsstiftende Funktion metonymieverwandter Strukturen

Bis jetzt stand immer die Metonymie im engeren Sinne im Vordergrund der Überlegungen. Wie aber bereits bei ihrer allgemeinen Charakterisierung erläutert, gibt es metonymieverwandte Strukturen, die ähnlich wie die Metonymie selbst funktionieren. Damit könnten auch diese Mechanismen einen Beitrag zur Diskurskontinuität erbringen. Deshalb soll in Kapitel 5.2.2.1 zunächst die Syllepse in Hinblick auf ihre Leistung für die Diskurskontinuität analysiert werden. Daran schließt sich ein Ausblick auf die indirekte pronominale Anapher und die assoziative Anapher an, die wie die Metonymie eine konzeptuelle Kontiguitätsrelation ausnutzen und ebenfalls für Kontinuität relevant sein können (Kapitel 5.2.2.2 und 5.2.2.3). Eine besondere Problematik ergibt sich für Relativsätze, die an ein metonymisch verwendetes Bezugswort anknüpfen bzw. eine indirekte Beziehung zum Bezugswort unterhalten, da die Einordnung dieser Strukturen in die Kategorien von Metonymie, Syllepse und indirekter Anapher schwierig ist. Die dafür relevanten Eigenschaften der entsprechenden Relativsätze sollen deshalb am Schluss (Kapitel 5.2.2.4) behandelt werden. 5.2.2.1 Syllepse Bevor mit der eigentlichen Analyse der Syllepse im Diskurszusammenhang begonnen wird, seien an dieser Stelle kurz die Definitionen aus Kapitel 2.2.2.3 (s. S. 50) wiederholt: Die Syllepse „consists in understanding the same word in two

176 different ways at the same time, one meaning being literal or primary, the other figurative“ (Riffaterre 1980: 629). Oder in anderen Worten: „La syllepse met en relation deux signifiés distincts de ce même lexème, à l’intérieur même de la logique intensionnelle de la langue, avant de leur assigner leur valeur référentielle“ (Le Guern 2006: 99). Hierbei kann die angesprochene figurative Bedeutung des Ausdrucks auf einer Metonymie beruhen bzw. die Ableitung der abweichenden Referenz auf einer an die Metonymie erinnernden Kontiguitätsrelation basieren. Dass der Übergang zwischen der Metonymie und der Syllepse fließend ist und dass damit die Erörterung der Syllepse und ihrer diskursiven Bedeutung als Ausblick zur diskursiven Funktion der Metonymie relevant und angebracht ist, belegen nochmals folgende Beispiele. Während Beispiel (104) recht eindeutig mit einem Ausdruck auf mehrere Referenten Bezug nimmt, ist es in (105) schwieriger festzustellen, ob eine Metonymie oder eine Syllepse vorliegt, was die Nähe der beiden zueinander demonstriert. (104) Cette irruption des gratuits a dans un premier temps réveillé les médias qu’elle ne réussissait

pas à tuer : grâce aux produits dérivés (CD, DVD et autres encyclopédies), « la Repubblica », désormais tout en couleurs, a publié les meilleurs résultats de son histoire. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Gratuits : le vent du Nord“, S. 31.)

(105) Il développe tous ses sens valides. Il donne du relief à ce qu’il ne voit pas et de la matière

aux odeurs. Il transforme les choses en couleur et parle d’une perception visuelle extrarétinienne. Il entend ce que Nathalie Sarraute allait bientôt appeler « la sous-conversation » : il sait quand une voix ment ou dit la vérité. Il demande à Mozart et Schubert de lui enseigner le courage et les lois d’amour. Il découvre le bonheur de la fraternité et ne compte plus les camarades qui, désormais, lui tendent une main, une épaule, pour le conduire dans les rues de Paris ou sur les rives de la Sarthe. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un aveugle à Buchenwald“, S. 57.)

Beispiel (104) behandelt das Erscheinen von immer mehr kostenlosen, durch Werbung finanzierten Zeitungen und die Reaktion der etablierten konventionellen Titel auf diese Entwicklung. Zunächst scheint „‹ la Repubblica ›“ im Matrixsatz auf den Zeitungsverlag, der die italienische Tageszeitung publiziert, zu referieren, ist es doch dieser bzw. seine Mitarbeiter, die die guten Unternehmensergebnisse veröffentlichen können. Die Präpositionalphrase „désormais tout en couleurs“, die gleichzeitig an „‹ la Repubblica ›“ anknüpft, bezieht sich jedoch auf das Erscheinungsbild des Druckerzeugnisses. Hier werden durch nur einen Ausdruck zwei verschiedene Konzepte gleichzeitig aktiviert und die ihnen entsprechenden Referenten bezeichnet. Es handelt sich also nicht um eine bloße Metonymie, sondern um eine Syllepse. Weniger einfach erweist sich der Sachverhalt in (105). Zum Charakter der Metonymie gehört, dass über das Zielkonzept auf nur einen Referenten Bezug genommen wird, dennoch aber das Quellkonzept mitschwingt und nicht völlig ausgeblendet wird. Dagegen erscheinen Quell- und Zielkonzept in der Syllepse gleichwertig. So verringert oder vergrößert sich der Abstand zwischen der Syllepse und der Metonymie je nach Grad der Präsenz des Quellkonzepts. In (105)

177 verweist das Konzept der Stimme metonymisch auf die sprechende Person, allerdings bleibt das Quellkonzept noch sehr deutlich gegenwärtig: Für einen Blinden ist in dem Moment, in dem eine Person spricht, nur deren Stimme wahrnehmbar. Die Person als Ganzes kann nur dazugedacht werden. Somit ist eine Lüge ausschließlich über die Stimme der Person erkennbar, z. B. über ein Zittern, die Tonhöhe etc. Der wörtliche Bezug auf die Stimme an sich ist also in diesem Beispiel von zentraler Bedeutung. Trotzdem ist es weniger die Stimme, die lügt, als die Person, die willentlich eine Unwahrheit verbreitet. Die Stimme ist nur Instrument. „il sait“ scheint sich eher auf die Wahrnehmung der Stimme, „ment ou dit la vérité“ auf die sprechende Person zu beziehen. Durch die fast gleichwertige Gewichtung von Quell- und Zielkonzept in diesem Beispiel nähert sich die Metonymie einer Syllepse an. Trotz dieser Ähnlichkeit und der fließenden Grenzen zur Metonymie bleibt der prinzipielle Unterschied zwischen der Syllepse und der Metonymie darin bestehen, dass bei der Syllepse beide Konzepte bzw. die entsprechenden Referenten durch zwei verschiedene Prädikationen angesprochen werden. In Beispiel (104) erfolgte dies durch die zusätzliche, in der Präpositionalphrase enthaltene Aussage, die sich neben dem Matrixsatz auf „‹ la Repubblica ›“ bezieht. Diese weitere Prädikation kann bei der Syllepse durch Präpositionalphrasen, appositive Nominalphrasen, Partizipialkonstruktionen oder durch eine Koordination angefügt werden. Besonders häufig tritt die durch eine Partizipialkonstruktion ausgelöste Syllepse auf. Fälle, in denen eine Koordination die Syllepse begründet, waren im Korpus seltener. Die Präpositionalphrase ist bereits in Beispiel (104) zu sehen gewesen. Für die appositive Nominalphrase kann das Beispiel (24) zur allgemeinen Erläuterung der Syllepse in Kapitel 2.2.2.3 (s. S. 51) als Illustration dienen. Die anderen zwei Möglichkeiten der Partizipialkonstruktion und der Koordination erscheinen in Beispiel (106) und (107): (24) A force de tout mélanger, le pudding idéologique ne passe plus. Toutes les luttes s’additionneraient ? Celles des Nestlé, cette usine de l’Est marseillais que la multinationale veut assassiner, mais aussi la grève des bus, et la SNCM, et les grandes colères, et les petits arrangements du port autonome... Et les quasi 70% de non au référendum européen, bien sûr.

(106)

(Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 26.) A la veille de la manifestation parisienne du 22 mars contre le projet gouvernemental de prévention de la délinquance, nous continuons de recevoir beaucoup de courriers protestant contre une étude de l’Inserm publiée en septembre qui préconise le repérage précoce des troubles de conduite chez les tout-petits et qui est reprise dans le projet de loi Sarkozy. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Science-fiction et enfants terribles“, S. 13.)

(107) « La France en tant que pays a toujours eu des difficultés à se projeter hors de l’Hexagone

(piètre empire colonial, abandon du Québec, ingérence en Afrique, perception d’arrogance...) et les rares endroits où elle a implanté sa langue ont été soit pauvres (Afrique) soit isolés (Québec), donc sans grand rayonnement international. »

(Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.)

178 Während in (106) bei Erwähnung des Eintreffens der Briefe „beaucoup de courriers“ zunächst sicherlich wörtlich verstanden werden muss, bringt die anschließende Partizipialkonstruktion eine metonymische Komponente mit ins Spiel: Nicht die Briefe, vielmehr ihre Schreiber protestieren durch sie. In (107) wird „les rares endroits“ durch die Koordination mittels soit...soit gleichzeitig wörtlich als geographische Größe („isolés“) und als die die Gebiete besiedelnde Bevölkerung („pauvres“) verstanden. Interessant ist außerdem, dass die wörtliche und die metonymisch erzeugte Referenz, soweit diese eindeutig zu unterscheiden sind, jeweils sowohl im Matrixsatz als auch in der Nebenstruktur angesprochen werden können: In Beispiel (24) (s. auch S. 51) tritt die metonymische Bezugnahme im Matrixsatz auf, die appositive Nominalphrase scheint sich eher an die wörtliche Bedeutung von „Nestlé“ zu halten. So verhält es sich auch in Satz (104). Nimmt man an, dass das Druckerzeugnis der wörtliche Referent von „‹ la Repubblica ›“ ist, dann wird im Matrixsatz auf den metonymisch zugänglichen Bestandteil referiert, in der Präpositionalphrase auf den wörtlichen. Die umgekehrte Variante findet sich in Satz (106). Hier enthält der Matrixsatz die normale wörtliche Verwendung von „courriers“. Erst durch die zusätzlich angefügte Partizipialkonstruktion tritt die metonymische Komponente auf. In den im Korpus festgestellten Vorkommen von Syllepsen scheint insgesamt die Verwendung der übertragenen Bedeutung im Matrixsatz und die Aufrufung der wörtlichen Bedeutung in der untergeordneten Komponente zu überwiegen. Die hier eigentlich wichtige Frage betrifft die Einbindung der Syllepse in den Diskurs und ihre Funktion für Kontinuität. Zu ihrer Beantwortung sollen wieder einzelne Beispiele diskutiert werden. Vorab ist festzustellen, dass sich die Syllepse durch ihr Vermögen, ausgehend von einem Ausdruck zwei Aussagen über verschiedene Aspekte bzw. Referenten in den Satz zu integrieren, prinzipiell für die Herstellung von Kontinuität im Diskurs eignen sollte. Denn die Syllepse kann eine Zusatzinformation an einen Ausdruck anbinden, ohne dass vom eigentlichen Betrachtungsgegenstand abgewichen werden muss. Dies kann im Wesentlichen auf zwei Effekte hinauslaufen: Entweder fügt die Syllepse parentheseartig einen kurzen Seitenblick ein, oder sie leitet gleich einem Scharnier zu einem anderen Gesichtspunkt über, der dann wie bei der linearen Progression, jedoch satzintern, weitergeführt werden kann. Nicht immer sind beide Vorkommen genau voneinander abzugrenzen. Die erste Möglichkeit illustrieren folgende Beispiele: (108) A l’heure de la mondialisation, « le patriotisme économique » défendu par Dominique de

Villepin est brocardé à Rome et à Bruxelles. La volonté du Premier ministre d’annoncer lui-même, la semaine dernière, la fusion entre Suez et Gaz de France, deux groupes cotés en Bourse, a suscité des demandes fermes d’explication de la Commission européenne. Ce retour du nationalisme économique « met en danger le marché unique européen », dénonce le libéral Mario Monti. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Europe : la grande peur des OPA“, S. 41.)

179 (109) Ici comme ailleurs, ce n’est pas dans la conception, c’est dans l’application que les Français

pèchent. Il est inadmissible qu’en matière d’immigration et de politique de la Ville, comme dans d’autres domaines, chaque majorité sortie des urnes s’applique à détruire l’œuvre de la précédente. Quel besoin avait Nicolas Sarkozy de s’attaquer à la police de proximité qui était une heureuse initiative de l’ère Jospin ? Ou encore de couper les vivres à des associations travaillant au plus proche des citoyens. Inversement, quand Laurent Fabius promet d’abroger la plupart des lois élaborées par la droite, il pratique une politique de la terre brûlée, indigne d’un Etat démocratique. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Les banlieues de nos âmes“, S. 19.)

(110) La grande inquiétude actuelle, notamment chez les experts de la FAO, est que l’agent de

la grippe aviaire poursuive sa route jusqu’en Afrique de l’Est. Il infecterait alors des pays bien moins armés pour éradiquer le virus que ceux d’Europe occidentale. On aurait toutes les raisons de craindre alors que les conditions se trouvent réunies pour faire émerger une souche adaptée à l’homme et capable d’amorcer la pandémie tant redoutée. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Grippe aviaire. L’alerte“, S. 46.)

In Beispiel (108) wird über eine appositive Nominalphrase eine Zusatzinformation eingefügt, die dem Leser klarmachen soll, warum die Fusion der beiden Unternehmen so wichtig und Aufsehen erregend ist. Streng genommen müsste sich „cotés en Bourse“ auf den Unternehmenswert, nicht auf die Unternehmen an sich beziehen. In diesem Sinne wird „Suez et Gaz de France“ durch die appositive Nominalphrase („deux groupes cotés en Bourse“) sylleptisch gleichzeitig als die beiden zusammenzuführenden Unternehmen und als deren an der Börse notierter Wert verstanden. Die Syllepse fügt also eine Information ein, die sich auf ein kontiges Konzept und nicht auf die Unternehmen selbst bezieht. Dabei wird diese Zusatzinformation dennoch direkt an die Benennung der Unternehmen geknüpft. So wird geschickt vermieden, das abweichende Konzept umständlich einführen zu müssen und damit das eigentliche Topik zurückzustellen bzw. die beabsichtigte Progression zu unterbrechen. Eventuell ist allerdings die Verwendung des Verbs coter in Verbindung mit dem Unternehmensnamen bereits stark konventionalisiert und daher die Syllepse nicht ganz so deutlich wahrnehmbar. Angemerkt sei noch, dass gerade die Syllepse, die durch eine appositive Nominalphrase hervorgerufen wird, aufgrund des zusätzlichen nominalen Bezugspunkts, der anaphorisch interpretiert werden könnte, der Anaphorisierung von oder durch metonymische Ausdrücke nahekommt. Doch unterscheidet sich die Apposition von der Anaphorisierung dadurch, dass es sich weniger um eine Wiederaufnahme des Bezugsbegriffs als um ein substantivisches Attribut handelt. Der attributive Charakter manifestiert sich u. a. darin, dass die appositive Nominalphrase das Bezugswort näher bestimmt. Diese genauere Charakterisierung tritt an die Stelle des für die Anapher grundlegenden Wiederaufnahmegedankens und induziert außerdem die Doppeldeutigkeit des Bezugsausdrucks. Also kann man in diesen Fällen trotz der Ähnlichkeit mit der Anapher doch zu Recht von Syllepse sprechen. In Beispiel (109) bezeichnet der Ausdruck „majorité“ sylleptisch zwei un-

180 terschiedliche Referenten. Im gegebenen Zusammenhang würde man „majorité“ spontan als „groupement de voix, qui l’emporte par le nombre dans un vote, dans une réunion de votants“ (Petit Robert 1999: 1332) auffassen. Folgt man dieser Sichtweise, so könnte man in dem Einschub „chaque majorité sortie des urnes“ die wörtliche Bedeutung angesprochen sehen. In der übergeordneten Struktur („chaque majorité [...] s’applique à détruire l’œuvre de la précédente“) wird jedoch auf metonymische Weise auf die mit der Stimmenmehrheit gewählten Volksvertreter Bezug genommen, die die Regelungen der vorherigen Regierung wieder rückgängig zu machen versuchen. An den allgemeinen Ausdruck „chaque majorité“ werden im nächsten Satz unter Bezugnahme auf das sylleptisch hervorgerufene Zielkonzept, also auf die Regierungsmitglieder, einzelne Vertreter der Regierungsmehrheit, nämlich Sarkozy und anschließend Fabius, als abgeleitetes Topik angeschlossen. Die Progression und generelle Gedankenführung wird gerade dadurch nicht gestört, dass die Partizipialkonstruktion „sortie des urnes“ nur kurz als Nebenbemerkung eingeschoben wird. Auch hier erlaubt folglich die Syllepse, eine erläuternde sekundäre Information ohne Störung der Kontinuität und möglichst kurz gefasst einzufügen. Dies wäre genauso der Fall, würde man die Syllepse auf die zweite denkbare Art deuten: Eventuell ist „majorité“ nicht als die Stimmenmehrheit aufzufassen, sondern generell als „le plus grand nombre“ (Petit Robert 1999: 1332), eine Bedeutungsvariante, die nach dem Petit Robert durch Generalisierung von der oben genannten abgeleitet ist. Aus dieser Sichtweise zeichnet sich ein etwas anderes Bild: Die Syllepse nähert sich einer Ellipse an, da „chaque majorité“ einmal gedanklich mit „des votes“, das andere Mal mit „des députés“ ergänzt werden müsste. Dann stünden diese beiden Konzepte zueinander in einer Kontiguitätsbeziehung und könnten die sylleptische Verwendungsweise begründen. Diese Deutungsvariante ist nicht unplausibel, wird doch immer wieder auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Metonymie und der Ellipse in bestimmten Fällen hingewiesen (vgl. z. B. Le Guern 1973: 25–28, Warren 2002: 4–6). Schließlich liefert in (110) die Syllepse sogar eine notwendige, spezifizierende Zusatzinformation, ohne die der betreffende Satz wenig informativ wäre. Mit dem Ausdruck „des pays“ wird das Kontiguitätsverhältnis zwischen einem Land und seinen Einwohnern ausgenutzt, denn nur die Bewohner, nicht das Land, können mit dem Vogelgrippevirus infiziert werden („infecterait alors des pays“). Diese Feststellung gewinnt aber erst an Aussagekraft, wenn genauer spezifiziert wird, um welche Bewohner bzw. Länder es sich handelt, zumal „des pays“ mit dem indefiniten Artikel eingeführt wird. Dies erfolgt über die zweite Bedeutung, die „des pays“ in der sylleptischen Struktur annimmt und die in diesem Fall wieder metonymisch ist. Der Ausdruck bezieht sich in der weiteren Fortsetzung auf das Gesundheitswesen, das Personal und die ihnen zur Verfügung stehenden Medikamente für die Bekämpfung des Virus („bien moins armés“). Das Konzept der Bewohner und das des Gesundheitswesens vereinen sich so im

181 Begriff „des pays“ als Syllepse. Wie schon im vorausgegangenen Beispiel kann „des pays“ als Angelpunkt aufgefasst werden, an den eine in diesem Beispiel notwendige Zusatzinformation angefügt wird. Zu den Beispielen, die eine derartige Einpassung einer Zusatzinformation veranschaulichen, gehören übrigens auch die bereits betrachteten Beispiele (24) auf S. 51, (104) auf S. 176 und (107) auf S. 177. Alle erinnern an die Funktionsweise der Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept. So wird jeweils vermieden, einen zusätzlichen Ausdruck einführen zu müssen, und trotzdem die Möglichkeit genutzt, eine Aussage über einen leicht abweichenden Referenten einfügen zu können (s. Kapitel 5.1.1.1 und Kapitel 5.2.1.1). Außerdem soll noch festgehalten werden, dass sich alle Beispiele dieser ersten Gruppe dadurch auszeichnen, dass der zusätzliche Einschub, die Partizipialgruppe oder die Präpositionalphrase, immer mitten im Satz eingebettet ist. Dies unterscheidet sie nämlich von den nun folgenden Beispielen, die eher einer satzinternen Progression nahe kommen. Hier sind die untergeordneten Strukturen am Ende des Satzes platziert. Sie sind an den Matrixsatz angefügt, scheinen an einen Ausdruck „anzudocken“ und induzieren damit letztendlich die Doppeldeutigkeit der Syllepse. Meistens handelt es sich dabei um Partizipialkonstruktionen, die oft einen etwas längeren Umfang annehmen. Eventuell kann man schon in Beispiel (110) (S. 179) den Übergang zu dieser zweiten Funktion der Syllepse, der Herstellung einer satzinternen Progression, vermuten. Der Ausdruck „des pays“ bietet einen Anknüpfungspunkt für die Weiterführung und den Anschluss des Vergleichs mit den europäischen Ländern. Immer noch ist jedoch die attributive und spezifizierende Funktion der Partizipialkonstruktion zu erkennen. An den folgenden vier Beispielen kann die Funktion der satzinternen Progression noch besser verdeutlicht werden: (111) En outre, le Premier ministre a décidé seul de ce projet sans même y associer ses ministres en charge des dossiers sociaux, Jean-Louis Borloo et Gérard Larcher, a fortiori sans consulter les autres. « Aucune consultation, ni avec les partenaires sociaux, ni avec le gouvernement, ni avec le Parlement. Ça ne fait pas les meilleurs textes », souligne, suave, Patrick Devedjian. Le renfort de l’UMP dans ce dossier a du reste été fort discret. Quelques ministres proches de Villepin se sont étonnés de ne voir dans leur département aucun tract du parti appelant à soutenir le CPE. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. November 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 24.)

(112) Mais cet inventaire du monde futur, dont l’Asie sera, de l’Iran à la Chine, l’épicentre, n’est pas seulement le constat d’une spécialiste exceptionnellement informée. C’est aussi un appel vibrant à la mémoire, seul antidote à l’oubli paresseux qui a déjà englouti tant de tragédies, du Rwanda au Darfour. C’est un recours constant, pour déchiffrer l’avenir, aux philosophes, aux romanciers et aux poètes, souvent mieux équipés pour l’exercice que les historiens. C’est enfin une ample réflexion philosophique, car le cœur du livre est l’effort pour trier dans l’histoire entre l’imprévisible et le prévisible.

(Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Mona Ozouf a lu le livre de Thérèse Delpech ‹ l’Ensauvagement ›“, S. 17.)

182 (113) Une position partagée par nombre de pétitionnaires, désormais vigilants sur tous les textes

qui filtrent depuis trois ans du ministère de l’Intérieur. Ils ont été sidérés de découvrir après coup le prérapport du député Jacques-Alain Bénisti, écrit il y a deux ans et qu’on aurait cru sorti d’un manuel de maison de redressement de l’entre-deux-guerres, édictant la nécessité de bannir de la maison le « patois » des immigrés et louant les vertus d’une prévention qui doit s’imposer « dès les prémices de la déviance, c’est-à-dire dès le plus jeune âge ». « Un torchon fasciste, résume le professeur Golse. Pire que tout ce que l’on pouvait redouter. » Depuis, les textes se sont pondérés, ont repris une tonalité floue, qui prête à de l’exégèse. Un article de la huitième version du projet de lutte contre la délinquance prône de façon très générale la « continuité du suivi psycho-médico-social des enfants et adolescents de la maternelle à 16 ans ». (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Délinquants à 3 ans !“, S. 49.)

(114) Allons-y pour les clichés : Buenos Aires, capitale mondiale du divan. Même si ce n’est

peut-être plus tout à fait vrai, la ville a de beaux restes freudiens. Laura Turner, analyste et psychiatre, voit défiler à l’hôpital toutes sortes de symptômes et de syndromes liés à la crise et aux difficultés de la vie quotidienne. « En 2001–2002, on a vu beaucoup de stress posttraumatique, de panique. La population qui venait des banlieues a diminué, non pas parce qu’elle était moins stressée mais parce qu’elle n’avait plus de quoi payer le voyage, ou bien qu’elle cherchait du boulot. » Parmi ceux qui consultent aujourd’hui, Laura observe « beaucoup de frustration, parfois de la résignation. Et beaucoup de couples où le mari a perdu son emploi, ce qui entraîne de grandes tensions et parfois des violences familiales ». L’euphorie économique depuis deux ou trois ans ? « Cela ne se voit pas encore dans les consultations. Les gens parlent de l’inflation, des salaires à la traîne. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 10.)

Beispiel (111) kann als ein Übergangsfall zwischen den beiden Funktionen eingestuft werden. Einmal ist „tract du parti“ wörtlich als Mitteilungsblatt zu verstehen, dann wieder verweist es als Instrument der Handlung auf den Zuständigen für derartige Programmkampagnen. Einerseits scheint der ausbleibende „tract du parti“ einfach nur durch die Angabe des Zwecks beiläufig genauer charakterisiert zu werden („appelant à soutenir le CPE“). Andererseits könnte man „tract du parti“ auch als einen Anknüpfungspunkt für die in der anschließenden Partizipialkonstruktion enthaltene Aussage betrachten. So gesehen kann man es als Topik in Bezug auf den Kommentar dieser untergeordneten Konstituente sehen. Damit wiegt in diesem Beispiel die attributive und charakterisierende Komponente relativ schwer, wodurch die satzinterne Progressionsfunktion noch nicht so deutlich hervortritt. Diese kommt in (112) voll zur Geltung. Hier werden die gereihten, sylleptisch eingesetzten Substantive „aux philosophes, aux romanciers et aux poètes“ vom generischen Artikel begleitet. Es sind einerseits die Philosophen, Romanciers und Dichter, andererseits metonymisch ihre Werke gemeint. Dass die Funktion der angefügten Partizipialkonstruktion nicht mehr hauptsächlich in einer Spezifizierung besteht, erkennt man allein formal an der Kommasetzung. Während in anderen Beispielen die Partizipialkonstruktion direkt an das Bezugswort angeschlossen wurde, ist sie hier durch das Komma abgetrennt, damit weniger eng an die Nominalphrase gebunden und nicht spezifizierend intendiert. Stattdessen greift sie einen Teil des Kommentars des Matrixsatzes auf, genauer die wörtliche

183 Komponente des sylleptischen Ausdrucks, und verwendet diese gegebene Information dann quasi als sekundäres Topik für eine weitere Aussage. Diese liefert gleichzeitig so etwas wie eine Begründung für den im Matrixsatz beschriebenen Sachverhalt. Satzintern kann man also von einer linearen Progression sprechen. Diese satzinterne Progression hat den Vorteil, dass die notwendige Information, in diesem Fall die Begründung für den Rückgriff auf bestimmte Werke, eingebracht werden kann und gleichzeitig so eng an das Bezugswort gebunden bleibt, dass es nicht notwendig wird, einen neuen Satz mit einem neuen Topik zu beginnen. Dadurch wird vermieden, dass eine Konkurrenz zum „Haupttopik“ des Absatzes, nämlich der Aussage des zu besprechenden Buchs („cet inventaire“, immer wieder aufgegriffen durch „c’“), entsteht. Auch das zur allgemeinen Erläuterung der Syllepse angeführte Beispiel (106) (S. 177) gehört zu diesem Typ. Noch weiter geht Beispiel (113). Hier erfüllt der sylleptisch verwendete Ausdruck eine Scharnierfunktion für die Verknüpfung mehrerer unterschiedlicher Aussagen zu verschiedenen Referenten. Zunächst wird „le prérapport“ als ableitbare Information mit Rückbezug auf den betreffenden Abgeordneten eingeführt. Für die folgenden Aussagen fungiert der Vorabbericht bereits implizit als gegebene Information, aus der zusätzlich sylleptisch weitere Zielkonzepte abgeleitet werden können. Zugleich dient er als Topik: Auf den zentralen Ausdruck „le prérapport“ beziehen sich gleich mehrere Partizipialkonstruktionen bzw. ein Relativsatz. Die Fortsetzung „écrit il y a deux ans“ entspricht noch der Verwendung des Begriffs im Matrixsatz, die auf die physische Seite des Berichts als Produkt eines Schreibprozesses ausgerichtet ist. Im Folgenden greift „qu’on aurait cru sorti d’un manuel de maison de redressement de l’entre-deux-guerres“ dagegen schon eher das kontige Konzept des Inhalts des besagten Berichts heraus. Schließlich wird mit „édictant la nécessité [...] et louant les vertus d’une prévention“ eindeutig ein metonymischer Sinn in den Ausdruck „le prérapport“ hineingebracht: Der Bericht als Instrument verweist auf den Verfasser, der die Intention hat, bestimmte Maßnahmen zu propagieren. Diese Kontiguitätsrelation zwischen Text und Verfasser tritt in sylleptischen Zusammenhängen nicht selten auf. Trennt man zwischen den Facetten des Berichts als Druckerzeugnis und dem inhaltlichen Aspekt des Berichts, so vereinen sich zusammen mit dem Verfasser sogar drei Konzepte sylleptisch in einem Begriff. Diese werden nacheinander durch die einzelnen Partizipialkonstruktionen angesprochen. Damit erlangt der Ausdruck „le prérapport du député Jacques-Alain Bénisti“, der zunächst als Kommentar im Matrixsatz eingeführt wird, Topikstatus. Der stete Rückbezug auf „le prérapport“ geht über die lineare Anknüpfung an den Kommentar in eine Progression mit konstantem Topik über. Dafür spricht überdies, dass im folgenden Satz der Bericht weiter als implizites Topik geführt und als „torchon fasciste“ qualifiziert wird. Dieser Übergang von einer satzinternen linearen Progression zu einer Progression mit konstantem Topik mit Hilfe einer Syllepse erinnert an das Verfahren, bei dem ein Ausdruck immer wieder meto-

184 nymisch mit variierendem Zielkonzept verwendet wird, um eine konstante Progression und eine konzeptuelle Verschmelzung mehrerer Entitäten zu erlangen (s. Kapitel 5.1.1.1, S. 111, und Kapitel 5.2.1.1, S. 155). Der sylleptische Eindruck kommt dadurch zustande, dass auf die Wiederholung des betreffenden Ausdrucks verzichtet wird und die einzelnen Partizipialkonstruktionen sämtlich von derselben Okkurrenz des Ausdrucks abhängen. Auch im letzten Beispiel tritt eine satzinterne lineare Progression in Verbindung mit einem an die Metonymie erinnernden Verfahren auf. Hier wird die satzinterne lineare Progression durch eine Syllepse mit der Überleitung zu einem neuen Topik verbunden, wie es schon für die Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks erkannt werden konnte (s. Kapitel 5.1.1.1, S. 115, und Kapitel 5.2.1.2). Der sylleptisch verwendete Ausdruck findet sich in „toutes sortes de symptômes et de syndromes“. Einerseits sind damit wirklich die psychischen Krankheitssymptome gemeint, die viele der Patienten neuerdings aufweisen, andererseits laufen die Kranken an sich, auf die metonymisch über das Konzept ihrer Symptome referiert wird, durch das Krankenhaus. Besonders aufschlussreich an vorliegendem Beispiel ist, dass ausgehend von der Syllepse wie bei der Metonymie eine Überleitung auf das Zielkonzept geschehen kann. Im Matrixsatz wird „toutes sortes de symptômes et de syndromes“ eindeutig metonymisch verwendet und im folgenden Satz spezifizierend mit „beaucoup de stress posttraumatique, de panique“ aufgegriffen, wobei eine wörtliche Interpretation möglich, die metonymische aber keineswegs ausgeschlossen zu sein scheint. Über diese Ambiguität wird das Zielkonzept der erkrankten Personen zumindest ansatzweise aufrechterhalten, um im darauf folgenden Satz mit „La population qui venait des banlieues“ direkt auf die zur Behandlung ins Krankenhaus kommenden Personen als Topik zu referieren. Dieses wird mit „Parmi ceux qui consultent“ konstant weitergeführt und schließlich in der abgeleiteten, die Gruppe möglicher Referenten stärker eingrenzenden Form „beaucoup de couples où le mari a perdu son emploi“ ein letztes Mal verwendet. An den letzten beiden Beispielen zeigt sich, dass sich neben den zwei vorgestellten grundsätzlichen Funktionen der Syllepse Kombinationen mit den kontinuitätsstiftenden Verfahren, die für die Metonymie vorgestellt worden waren, ergeben können. Was die Metonymie auf intersententieller Ebene bewirken kann, nämlich die Herstellung einer Progression mit konstantem oder linearem Topik und die Aufrechterhaltung eines Ausdrucks bei kleineren referentiellen Abweichungen, vollbringt die Syllepse auf intrasententiellem Niveau und auf komprimiertere Weise. Die beiden Funktionen der Syllepse, eine zusätzliche Information bequem einzufügen bzw. eine satzinterne lineare Progression zu erzeugen, sind dabei, wie die Beispiele gezeigt haben, eng miteinander verbunden. Die Problematik der satzinternen linearen Progression wird auch im Kapitel zum Relativsatz (5.2.2.4) nochmals eine Rolle spielen.

185 5.2.2.2 Indirekte pronominale Anapher Im Gegensatz zur normalen Anapher, deren Referent direkt aus dem Kotext oder über dessen Präsenz in der Äußerungssituation auffindbar ist, liegt eine indirekte Anapher (s. Kapitel 3.2.2.2) vor, when the anaphor does not retrieve the „basic“ referent directly evoked via a co-textual mention or via the interlocutors’ prior focussing their attention on an object or a scene in the situation surrounding them, but a different one which may be associated with it in virtue of a relation of the type part-whole, token-type, instance-class, or in terms of metonymic relation of some kind. (Cornish 2005: 203)

Die indirekte Anapher unterscheidet sich von der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke dadurch, dass die Kontiguitätsrelation zwischen dem Antezedens und dem anaphorisierenden Element besteht und nicht wie bei der Anaphorisierung von oder durch metonymische Ausdrücke innerhalb des Antezedens oder des anaphorisierenden Ausdrucks zum Tragen kommt (s. auch Abbildung 4, S. 106). Dennoch liegen die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke und die indirekte Anapher in einigen Punkten nah beieinander. Beide machen sich eine Kontiguitätsrelation zu Nutze, und auch die Metonymie beinhaltet einen gewissen Grad an Indirektheit, insofern als das Zielkonzept nur indirekt über den metonymischen Ausdruck und das Quellkonzept zugänglich ist. Und wie sich zeigen wird, sind auch die Funktionen im Diskurs und die Rolle für die Steigerung von Diskurskontinuität vergleichbar. Im vorliegenden Kapitel wird es zuerst um die indirekte pronominale Anapher gehen. Das anschließende Kapitel beschäftigt sich mit der durch einen Nominalausdruck realisierten assoziativen Anapher. Die Nähe der indirekten pronominalen Anapher und der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke zeigt sich daran, dass es in einzelnen konkreten Fällen schwierig sein kann, zu unterscheiden, welches der beiden Phänomene vorliegt, so wie im folgenden Beispiel: (115) Chimiste de profession, le romancier Emmanuel Dongala, qui enseigne les littératures

francophones près de Boston, a publié « Johnny, chien méchant » en France dans une relative discrétion, tandis que, traduit chez Farrar, Strauss et Giroux [sic], il a figuré sur la liste des vingt meilleurs livres de l’année 2005 du « Los Angeles Times », avec Ishiguro, Rushdie et Doctorow. Pour Dongala, « le vrai danger qui guette la francophonie, c’est l’esprit étriqué de la plupart des éditeurs de France ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.)

Die schwierige Entscheidung der Einordnung als indirekte Anapher oder als Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks stellt sich bezüglich der Verwendungsweise des Pronomens „il“, das „le romancier Emmanuel Dongala“ bzw. dessen Bücher betrifft. Es bieten sich zwei Interpretationsvarianten an: Bezieht man im vorliegenden Beispiel „traduit chez Farrar, Strauss et Giroux“ auf

186 die Nominalphrase „le romancier Emmanuel Dongala“, so ergibt sich, dass diese sylleptisch durch die metonymische Verbindung von Quell- und Zielkonzept gleichzeitig auf den Autor und dessen Bücher referiert. Wenn man somit die metonymische Komponente und das Kontiguitätsverhältnis zwischen den beiden Konzepten in „le romancier Emmanuel Dongala“ verankert sieht, dann ist „il“ als eine mit dem metonymischen Ausdruck kongruente Wiederaufnahme unter Rückbezug auf das Zielkonzept dieser Metonymie bzw. Syllepse anzusehen. Als Variante wäre es aber auch vertretbar, die Partizipialkonstruktion „traduit chez Farrar, Strauss et Giroux“ eher kataphorisch auf „il“ bezogen zu interpretieren; „le romancier Emmanuel Dongala“ erfährt keine metonymische Interpretation. So gesehen kann man eine indirekte Anapher annehmen: Das Antezedens für das Pronomen „il“ besteht zwar in der Nennung Dongalas, „il“ selbst referiert aber auf die Bücher oder das Werk des Schriftstellers. Die Kontiguitätsrelation besteht aus dieser Perspektive also nicht im Antezedens an sich, sondern zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Pronomen. Eine Entscheidung, welche der Interpretationen die zutreffendere ist und ob damit eine Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks oder eine indirekte pronominale Anapher vorliegt, ist in diesem Beispiel sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Dies zeigt, wie die Grenze zwischen beiden Phänomenen verschwimmen kann. Vor dem Hintergrund dieser Nähe und der potentiellen Schnittmenge zwischen der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks und der indirekten Anapher überrascht es kaum, dass deren Funktionen innerhalb des Diskurses sehr ähnlich sind. Betrachtet man das Beispiel (115), so erkennt man, dass hier, wie in vielen Fällen der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks, die Konstanthaltung einer gegebenen Information als Anknüpfungspunkt die Hauptmotivation für den Einsatz der Syllepse bzw. der indirekten Anapher darstellt. Auf diese Weise kann Dongala als konstantes Topik fortgeführt werden. Dies bestätigt sich auch darin, dass im letzten Satz des Ausschnitts der Name „Dongala“, diesmal wieder wörtlich verwendet, das Topik bildet. Dass auch eindeutige indirekte pronominale Anaphern derartige Funktionen übernehmen können, zeigt der folgende Ausschnitt: (116) Un dernier point inquiétait les Américains et les Irakiens : le comportement de Saddam

Hussein lui-même. Lors de sa première comparution devant le juge, six mois après sa capture, on a découvert un homme droit, regard noir et sourcils épais, sûr de lui et au charisme intact. Dès les premières questions de routine posées par le jeune magistrat, Saddam attaque : « – Profession : ex-président de la République ? – Je le suis toujours ! Par la volonté du peuple. – Lieu de résidence : Irak ? Chaque maison irakienne peut être la mienne. » Et quand le juge parle de loi, Saddam le coupe : « La loi ? Quelle loi ? Rappelle-toi que tu juges au nom du peuple. Ne te réfère pas à ces forces que ton peuple qualifie de forces d’occupation ! » Soudain, apparaît le spectre d’un dictateur capable – façon Milosevic – de prendre en main son procès, de renverser les rôles et de se faire accusateur devant les caméras du monde entier. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Saddam Hussein. Un procès sans conviction“, S. 32.)

187 Dieser Ausschnitt demonstriert, wie eine indirekte Anapher herangezogen werden kann, um den kontinuierlichen Rückbezug auf einen bestimmten Ausdruck zu sichern. Das Pronomen greift formal das Antezedens „le juge“ auf, aber referiert indirekt über die Kontiguitätsrelation auf dessen Worte. Obwohl hier der Topikstatus wohl eher eine untergeordnete Rolle spielt – Saddam Hussein und sein Verhalten bilden das Topik dieses Abschnitts, der Richter ist höchstens ein sekundäres Topik –, so wird durch den Einsatz der indirekten Anapher zur kontinuierlichen Wiederaufnahme von „le juge“ der Zusammenhang zwischen seiner Person und seinen Worten besonders deutlich. Es wird damit zumindest erreicht, dass die Gegenüberstellung der Personen des Richters und Saddam Husseins in „Saddam le coupe“ anschaulich hervortritt. Außerdem wird deutlich, wie Saddam Hussein mit der Unterbrechung nicht nur die Rede des Richters stört, sondern auch im selben Moment dessen Autorität untergräbt und dessen Person angreift. In den folgenden Beispielen wird durch die Verwendung einer indirekten Anapher die Kontinuität nicht nur generell durch die formale Wiederaufnahme gegebener Information gefördert, sondern jeweils eine Progression mit konstantem Topik hergestellt: (117) N. O. – Vous avez des regrets d’éditeur ?

C. Bourgois. – Modiano. Un jour, j’ai lu un texte de Patrick, qui était alors âgé de 17 ans, et à qui j’ai envoyé un mot. Pas de réponse. Je l’ai rencontré plus tard, et il m’a dit que j’avais été le premier à lui écrire mais qu’il avait été trop timide pour me répondre. C’est ainsi que je ne l’ai jamais publié. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le grand Bourgois“, S. 58.)

(118) Un clan renouvelé, dépolitisé mais soudé, au moins en apparence. Satanés Servan-Schreiber. Où puisent-ils cette énergie ? Par quel miracle résistent-ils toujours aux virus de la France grise ? Ecoutez, regardez, lisez-les : chez eux, le bien-être se partage, se vit et se vend. En famille exclusivement. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „La psy connection“, S. 44.)

Beiden Beispielen ist gemein, dass die indirekte Anapher es erlaubt, das Antezedens als Topik fortzuführen. Damit bleibt die Progression mit konstantem Topik gewahrt, wie dies bei der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und bei der Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept (s. Kapitel 5.2.1.1) der Fall war. Die Funktionsweise bei der indirekten Anapher ist sehr ähnlich: In Beispiel (117) lautet die Antwort des Verlegers Bourgois auf die Interviewfrage: „Modiano“. Damit setzt er diesen Autor als Topik für die weitere ausführlichere Erklärung, in der er seine Kontaktaufnahme zu Modiano schildert. Von diesem Topik, ausgedrückt durch „Modiano“, „Patrick“ sowie die Pronomen „qui“, „il“ und „l’“, soll bis zuletzt nicht abgewichen werden. Zumindest kann die indirekte Anapher diesen Eindruck vermitteln, indem sie das Topik der Person Modianos auch durch das letzte Pronomen „l’“ weiterzuführen scheint, indirekt aber auf dessen Werk verweist. Wie bei der Anaphorisierung

188 von und durch metonymische Ausdrücke ist die formale Weiterführung des Topiks ausschlaggebend; die referentielle Indirektheit scheint eher akzeptabel zu sein als ein formal manifester Topikwechsel es wäre. Gleichermaßen verhält es sich in Beispiel (118), wo ebenfalls das Kontiguitätsverhältnis zwischen Autoren und ihren Werken verwendet wird, um mittels Pronomen und indirekter Anaphern eine möglichst kontinuierliche Weiterführung des Topiks zu erlangen. Nicht nur die Progression mit konstantem Topik, auch die lineare Progression kann, obgleich mit etwas geringerer Häufigkeit, durch die indirekte pronominale Anapher hergestellt werden: (119) Les policiers de Stuttgart ont diffusé sur leur site internet un avis de recherche. Il pro-

met une récompense de 130 000 euros pour toute information. On y voit deux photos du médecin fantôme. L’une date de 1959. Un bel homme portant smoking et nœud papillon. La deuxième est une simulation, une photo « vieillie ». « Taille : 1,90 mètre, précise encore le “wanted” de la police. Pointure : 47. Yeux bleu-gris sombre. Cicatrice à la commissure droite des lèvres en forme de V [souvenir d’un duel à l’arme blanche]. Constitution robuste et sportive. » Avant-guerre, Heim était joueur de hockey sur glace dans l’équipe nationale autrichienne. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 16.)

(120) A l’accueil, une jeune femme noire téléphone. Avec un fort accent, elle répond aux trois

offres d’emploi non qualifié qu’elle vient de trouver sur le tableau d’affichage. Elle raccroche, dépitée. « Je ne comprends pas, explique-t-elle à une conseillère. Ils me disent qu’elles sont déjà pourvues ! » La conseillère vérifie. C’est faux. « Vous devriez demander à un ami d’appeler à votre place » glisse-t-elle à la jeune femme. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Chronique du chômage ordinaire“, S. 44.)

Im ersten der beiden Ausschnitte markiert das Pronomen „Il“ gleich zu Beginn des zweiten Satzes die Gegebenheit des Referenten und nimmt auf indirekte Weise den im vorhergehenden Satz neu eingeführten Referenten „un avis de recherche“ als Topik in einer linearen Progression wieder auf. Über die Verbindung zu dem Konzept des Steckbriefs kann der intendierte Referent von „Il“ erschlossen werden, nämlich der Verantwortliche innerhalb der Kriminalpolizei Stuttgart, der berechtigt ist, Belohnungen auszusetzen. In einer kurzen Sequenz wird nun das Suchplakat als gegebene Information und Topik durch „y“ weitergeführt und später sogar nochmals durch „le ‘wanted’“ aufgegriffen. Beispiel (120) funktioniert ähnlich. Zunächst tritt „aux trois offres d’emploi non qualifié“ als über den angeschlossenen Relativsatz ableitbarer Referent und Teil des Kommentars auf. Zwei Sätze weiter, also mit etwas größerem Abstand, erscheint die indirekte pronominale Wiederaufnahme als Topik des abhängigen Satzes in indirekter Rede und markiert somit die Gegebenheit der Information. Hier wird allerdings über die indirekte Anapher ein Bezug auf die Stellen selbst und nicht mehr indirekt auf die Stellenangebote hergestellt. Dennoch erlaubt die Verwendung des Pronomens, das mit dem Antezedens kongruiert, eine möglichst kontinuierliche Darstellung, da formal die Verbindung zwischen beiden Konzepten betont wird.

189 Den letzten vier Beispielen für indirekte Anaphern ist folglich gemein, dass sie durch das mit dem Antezedens kongruierende Pronomen Kontinuität herstellen und eine Progression mit konstantem Topik oder eine lineare Progression hervorrufen. Auch für die indirekte Anapher scheint also das gleiche Prinzip wie bei der Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke zu gelten, nämlich, dass ein Wechsel der Referenz einem Wechsel des formalen Topikausdrucks vorzuziehen ist. Von dem Prinzip der Kongruenz mit dem Antezedens weicht zumindest keine der im Korpus gefundenen indirekten Anaphern ab. Dies deckt sich mit den Ergebnissen zum vergleichbaren Fall der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks durch Pronomen, bei der sich der anaphorische Ausdruck auf das Zielkonzept bezieht. Dort wurden nur drei Okkurrenzen festgestellt, in denen das Pronomen mit dem intendierten Referenten übereinstimmt. Und selbst für diese war fraglich, ob es sich um echte Anaphern handelt (s. Kapitel 5.1.1.1, S. 117). Schließlich soll in einem letzten Beispiel zur indirekten pronominalen Anapher belegt werden, dass durch sie eine weitere, ebenfalls zur Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks analoge Kontinuitätsfunktion herbeigeführt werden kann – die Überleitung zur direkten Bezeichnung des mit der indirekten Anapher intendierten Referenten: (121) L’augmentation des droits d’inscription, l’insuffisance des bourses, des conditions de lo-

gement catastrophiques, la précarité vécue sont la matrice de la révolte. Elle n’est pas insouciante. Ses acteurs savent déjà l’âpreté de la vie. A Dijon, qui accueillera à son tour dimanche les délégués de la coordination étudiante, Pierre-Yves le gréviste affiche 26 ans bien sonnés. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La colère aux cent visages“, S. 29.)

Über das Pronomen „Elle“, das „la révolte“ indirekt wieder aufgreift, wird auf die hinter der Revolte stehenden, keineswegs unbekümmerten oder unbedarften Revoltierenden verwiesen. Diese wiederum werden im nächsten Satz direkt durch „Ses acteurs“ bezeichnet und erscheinen dort als Topik. Hier dient die indirekte Anapher, wie die Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks, der kontinuierlichen Überleitung zu einem neuen Konzept, einem neuen Referenten, in diesem Fall sogar zu einem neuen Topik. Die indirekte Anapher übernimmt dabei wie in vergleichbaren Fällen die Metonymie eine Art Pufferfunktion: Durch sie kann zumindest vorläufig die mit dem Antezedens kongruente Form des Pronomens weitergeführt werden und formal Kontinuität signalisieren, während auf konzeptueller bzw. referentieller Ebene ein auf Kontiguität beruhender Wechsel zwischen der Revolte und den Revoltierenden vollzogen wird. Dafür bleibt im nächsten Schritt, beim Übergang von „Elle“ zu „Ses acteurs“, bei dem ein Bruch entsteht, da keinerlei formale Übereinstimmung mehr zu erkennen ist, die Referenz im Großen und Ganzen konstant. Die Überleitung wird also so abgemildert wie möglich vollzogen, indem immer in einem Aspekt, entweder auf formaler oder auf konzeptueller bzw. referentieller Ebene, Kontinuität gewahrt bleibt.

190 Insgesamt sind sich die indirekte pronominale Anapher und die Metonymie insofern sehr ähnlich, dass sie sich beide auf Kontiguitätsrelationen stützen. Dies erklärt ihre vergleichbare diskursive Funktion zur Herstellung von Kontinuität. Auch die indirekte pronominale Anapher wird dazu eingesetzt, ein Topik formal aufrechtzuerhalten, wie es bei der Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept der Fall ist. Außerdem kann sie auf das indirekt eingeführte Konzept überleiten. Wie für die Metonymie spielt also auch hier die Topikstruktur eine Rolle für die Lenkung der Wiederaufnahme. 5.2.2.3 Assoziative Anapher Bisher war nur von der indirekten pronominalen Anapher die Rede. Ein kurzer Blick soll auch auf die indirekte nominale Anapher, die häufig als assoziative Anapher bezeichnet wird, geworfen werden. Hierzu wird die in Kapitel 3.2.2.3 (s. S. 82) eingeführte Definition der assoziativen Anapher nach Kleiber (1997: 26, Hervorhebung im Original) kurz wiederholt: (i) l’AA [anaphore associative] consiste en l’introduction d’un référent nouveau [...], (ii) au moyen d’une expression définie [...], (iii) par l’intermédiaire d’une autre entité mentionnée auparavant dans le texte [...], (iv) la relation entre l’entité “antécédent” et l’entité nouvelle n’est pas une association uniquement discursive ou contextuelle, mais relève d’un savoir a priori ou conventionnel associé aux lexèmes en question.

Die assoziative Anapher, wie die indirekte Anapher generell, grenzt sich dadurch von der Metonymie bzw. von der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke ab, dass das Kontiguitätsverhältnis zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Element besteht und nicht innerhalb eines der beiden als Verbindung zwischen Quelle und Ziel zum Tragen kommt. Außerdem entfernt sich die assoziative Anapher etwas weiter von der Metonymie als die indirekte pronominale Anapher. Durch die mögliche Differenz zwischen dem Pronomen, das formal mit dem Antezedens kongruiert, und dem intendierten Referenten erinnert die indirekte pronominale Anapher noch stärker an die Metonymie und deren Kombination von Quell- und Zielkonzept. Dieser Aspekt entfällt bei der assoziativen Anapher, wird das anaphorische Element doch eindeutig direkt durch das entsprechende Nomen bezeichnet. Nur der Bezug auf das Antezedens trägt noch den indirekten Charakter. Dennoch gibt es einige Parallelen zwischen der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke und der assoziativen Anapher. Prinzipiell beruhen diese Parallelen auf dem Kontiguitätsverhältnis, das sowohl bei der assoziativen Anapher als auch bei der Metonymie im Zusammenhang mit Anaphorisierungen eine wichtige Rolle spielt. Allerdings muss die Frage gestellt werden, ob bei der assoziative Anapher nicht z. T. zusätzliche oder

191 andere Restriktionen als bei der Metonymie dafür gelten, welche Kontiguitätsrelationen Verwendung finden. Darauf deuten die Untersuchungen Kleibers hin, in denen einerseits bestimmte Relationen als grundlegend für die assoziative Anapher angesehen, andererseits spezifische Restriktionen festgestellt werden. Kleiber stellt vier Klassen von Verbindungen zusammen, auf denen eine assoziative Anapher grundsätzlich beruhen kann: meronymische, lokative, funktionelle und aktantielle Relationen. Letztere liegen dann vor, wenn das Antezedens durch ein Prädikat gebildet wird und die assoziative Anapher über ein Argument dieses Prädikats hergestellt wird (vgl. Kleiber 1997, Kleiber 2001a: 263–267). Darüber hinaus deckt Kleiber weitere, speziellere Restriktionen für die Verwendung der Kontiguitäten in der assoziativen Anapher auf (vgl. Kleiber 2001a: 240–261). Ein detaillierterer Vergleich der Kontiguitätsrelationen bei Metonymien und bei assoziativen Anaphern könnte insofern aufschlussreich sein, als die Gegenüberstellung das Bild beider Phänomene schärfen oder Überschneidungsbereiche aufdecken könnte und vielleicht sogar für die Typologie von Metonymien hilfreich wäre. Allerdings würde dies den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überschreiten. Wichtig ist zunächst hauptsächlich, dass beiden die Ausnutzung einer Kontiguitätsrelation als Grundlage gemein ist. Die Nähe zwischen der Metonymie und der assoziativen Anapher zeigt sich neben der Ausnutzung von Kontiguitätsrelationen in der Funktion, die die beiden Konstellationen im Diskurs übernehmen. Hierin ähnelt die assoziative Anapher insbesondere der Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks (s. Kapitel 5.1.1.1 und Kapitel 5.2.1.2): Beide entfalten eine Überleitungsfunktion. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das anaphorische Element im Fall der Metonymie als Zielkonzept im Antezedens viel präsenter ist als im Fall der assoziativen Anapher. Je weniger ausgeprägt und deutlich die Metonymie und der Bezug auf das Zielkonzept jedoch sind, z. B. im Fall von Generalität bzw. Facetten (s. Kapitel 2.2.2.2, S. 46), desto näher rückt deren Anaphorisierung mit der assoziativen Anapher zusammen. Die folgenden Beispiele für assoziative Anaphern können verdeutlichen, inwiefern diese in ihrer Funktion der Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden Ausdrucks gleichen: (122) Faut-il pour autant s’orienter fissa vers ces métiers ? Prudence ! Car sous nos latitudes

l’industrie apparaît comme une activité fragile, à la merci des délocalisations. Plus inquiétant : selon l’Unedic, les effectifs salariés, après avoir stagné pendant dix ans, sont en chute libre depuis 2001... (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.)

(123) Révolution vestimentaire dans la police suédoise : les fonctionnaires sont désormais auto-

risés à porter turbans, kippas et autres foulards islamiques durant leur service. L’objectif est d’attirer d’avantage de représentants de minorités religieuses (sikhs, juifs, musulmans...) dans les rangs d’une police qui se singularisait jusqu’ici par son manque de diversité. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Turban et kippa dans la police“, S. 31.)

192 In Ausschnitt (122) kann „les effectifs“ durch die Stützung auf ein Teil-GanzesKontiguitätsverhältnis und den Rückbezug auf „l’industrie“ sofort mit dem definiten Artikel und in der Position des Topiks eingesetzt werden. Ebenso verhält es sich in Beispiel (123), wo „les fonctionnaires“ als definiter Ausdruck und als Topik nur verwendet werden kann, da die Beamten mit der Gesamtheit der „police suédoise“ assoziiert werden und diese als Antezedens herangezogen wird. In Hinblick auf die Diskurskontinuität signalisiert die assoziative Anapher durch den definiten Artikel die Verbundenheit der einzelnen Elemente untereinander und gestaltet damit die Überleitungen zu einem neuen Topik weniger abrupt. Dies entspricht der Überleitungsfunktion, die für die Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks festgestellt wurde, mit den Unterschied, dass dort echte und nicht nur eine assoziative Anapher vorlag und dass folglich die Verbindung zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Element dadurch noch enger war, dass das Zielkonzept tatsächlich bereits im Antezedens durch die Metonymie aktiviert wurde. Die Parallelen zwischen der assoziativen Anapher und der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke lassen sich an einem weiteren Punkt festmachen. Wie ausgeführt wurde, hängt die Akzeptabilität der unterschiedlichen Möglichkeiten für die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke zum Teil mit dem Status der Gegebenheit bzw. den Topikalitätseigenschaften des Antezedens und des anaphorischen Ausdrucks zusammen. Für die Akzeptabilität assoziativer Anaphern deuten sich vergleichbare Bedingungen an. In den allgemeinen Ausführungen zur assoziativen Anapher war zwischen einer lexikalisch-stereotypen und einer diskursiven Herangehensweise unterschieden worden (s. Kapitel 3.2.2.3). Letztere macht darauf aufmerksam, dass diskursive Faktoren die Akzeptabilität der assoziativen Anapher beeinflussen können: Wie Charolles (1994b: 85–89) feststellt, werden bestimmte, eindeutig auf stereotypen Relationen beruhende assoziative Anaphern, die zunächst völlig eingängig sind, inakzeptabel, wenn man die Konstruktionen, in denen sie auftreten, verändert. So erscheint das immer wieder zitierte Beispiel (124) problemlos annehmbar. Ändert man jedoch wie in (125) die Konstruktion, so wird die assoziative Anapher weniger akzeptabel, obgleich gerade mit der Präposition avec auf die Teil-Ganzes-Relation abgehoben wird. Mit einer weiteren kleinen Änderung in (126) lässt sich dieser Mangel wieder beheben: (124) Nous arrivâmes dans un village. L’église était située sur une hauteur. (Beispiel entnommen aus Kleiber (1993: 36), eigene Hervorhebungen)

(125) ?Je vois un village avec l’église. (Beispiel entnommen aus Charolles (1994b: 86), eigene Hervorhebungen)

(126) Je vois un village avec l’église en feu. (Beispiel entnommen aus Charolles (1994b: 88), eigene Hervorhebungen)

193 Nun stellt sich natürlich die Frage, woran dies liegen kann, wird doch immer dieselbe Kontiguitätsrelation verwendet. Charolles stellt – nach Ausschluss möglicher weiterer Erklärungen – dazu die Überlegung an, dass die assoziative Wiederaufnahme nur dann gelingen kann, wenn die definite Nominalphrase der Ausgangspunkt einer weiteren Prädikation ist. Dies erklärt, warum (126) nicht so seltsam erscheint wie das vorausgehende Beispiel. Durch die Präpositionalphrase „en feu“ wird „l’église“ zum Ausgangspunkt einer weiteren Prädikation. Dem anaphorischen Ausdruck muss also ein gewisses Maß an Topikalität zukommen. Diese Abhängigkeit der assoziativen Anapher von dem Topikstatus des anaphorischen Elements erweist sich als analog zu der Hypothese, dass die Möglichkeiten der Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks v. a. durch die Gegebenheit und den Topikstatus des wieder aufnehmenden Elements bestimmt werden, und steigert so ein weiteres Mal deren Plausibilität. Insgesamt konnte in diesem Kapitel zur assoziativen Anapher gezeigt werden, dass diese mit der Metonymie durch die vergleichbare Ausnutzung von Kontiguitätsrelationen verwandt ist und diskursive Funktionen zur Herstellung von Kontinuität aufweist, die der der Metonymie gleichen: Wie die Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks leitet auch die assoziative Anapher zu neuen Topiks über, während sie formal durch den definiten Artikel den Anschein von Kontinuität erweckt. 5.2.2.4 Indirekte Anschlüsse in Relativsätzen Ein besonderes Problem stellt sich beim Zusammenspiel zwischen Relativsätzen und metonymischen Strukturen. Dieses soll nun zum Schluss gesondert diskutiert werden, da es nämlich schwer fällt, solche Fälle eindeutig in eine der im Vorhergehenden besprochenen Gruppen – Anaphorisierung von metonymischen Ausdrücken, Syllepse oder indirekte pronominale Anapher – einzuordnen. So zeigt sich aufs Neue, wie eng die dargestellten Phänomene miteinander verwandt sind. Aufgrund des relativ häufigen Auftretens von Relativsätzen, deren Bezugsausdruck metonymisch ist oder die sich nur indirekt über eine Kontiguitätsrelation auf ihren Bezugsausdruck beziehen, erscheint eine getrennte Darstellung der Probleme, die sich bei ihrer Analyse ergeben, sinnvoll. Grundsätzlich muss bei definitem Antezedens zwischen restriktiven Relativsätzen, die mit ihrem Bezugswort zusammen einen komplexen Nominalausdruck bilden, notwendig für die referentielle Identifizierung des Antezedens und deshalb nicht ohne Weiteres weglassbar sind, und appositiven Relativsätzen, die ohne Beeinträchtigung der Identifizierbarkeit des Antezedens weggelassen werden können, unterschieden werden (vgl. Riegel/Pellat/Rioul 1999: 483f.). Tritt im Fall eines restriktiven Relativsatzes eine den Bezugsausdruck betreffende

194 Metonymie auf, so erfasst die Metonymie den gesamten komplexen Ausdruck (Beispiel (127)). Tritt im Fall der appositiven Relativsätze eine den Bezugsausdruck betreffende Metonymie auf, so ist das Relativpronomen als eine Anapher des metonymischen Bezugsausdrucks bzw. des Ziel- oder Quellkonzepts aufzufassen (Beispiel (128)). Für die appositiven Relativsätze ist auch ein Anschluss möglich, der als eine indirekte Anapher zu bewerten ist. Dieser Fall liegt vor, wenn im Matrixsatz keine Metonymie besteht, durch das Relativpronomen aber dennoch nicht direkt auf den Referenten des Bezugsnomens zurückgegriffen wird und dafür über konzeptuelle Kontiguität ein abweichender Referent abgeleitet wird (Beispiel (129)). Nur die Fälle der appositiven Relativsätze haben eine prinzipiell diskursive Ausrichtung und sind damit für die weitere Erörterung der diskursiven Funktion der Metonymie interessant. (127) N.O. – Vous étiez donc le matin l’un des piliers du Groupe de la Cité et, le soir, un éditeur

artisanal au sein d’une toute petite entreprise... C. Bourgois. – Exactement. J’ai exercé pendant plus de vingt ans des responsabilités éditoriales au sein de 10/18, Julliard, Plon, Perrin, où j’ai publié des auteurs dont le seul nom était insupportable aux financiers du groupe. En 1992, quand j’ai dû finalement partir, je me suis retrouvé, à 60 ans, seul avec ma femme Dominique dans les bureaux des Editions Christian Bourgois. C’est mon seul regret : d’avoir été à partir de ce moment-là un grand éditeur avec peu de moyens. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le grand Bourgois“, S. 58.)

(128) Lundi dernier, Valérie, 40 ans, a fait sa première rentrée des classes, comme institutrice

stagiaire, dans la région de Montpellier. Nouvelle vie, nouveau métier. Il y a quatre ans encore elle était esthéticienne, mais son salon « marchait mal » et les horaires à rallonge la fatiguaient. Elle a alors tout plaqué pour préparer le concours de professeur des écoles, qu’elle a décroché en juin dernier. Valérie n’est pas un cas isolé. Depuis quelques années, de plus en plus de salariés du secteur privé viennent chercher une deuxième carrière dans l’enseignement (voir encadré).

(Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „J’aurais voulu être un instit“, S. 48.)

(129) Le bilan est rude. Et tranche avec les discours lénifiants des organisateurs du festival, qui semblent s’être inspirés d’un film de Jean Yanne, « Tout le monde il est beau, tout le monde il est gentil ». Accusés, les éditeurs français, pas assez ouverts aux écrivains francophones, qui sont, paradoxalement, souvent mieux accueillis en traduction chez leurs confrères anglosaxons. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.)

In Beispiel (127) handelt es sich um einen restriktiven Relativsatz. Hinweis darauf geben das fehlende Komma und die Notwendigkeit des Relativsatzes, um die Aussage sinnvoll erscheinen zu lassen. Folglich bildet „des auteurs dont le seul nom était insupportable aux financiers du groupe“ einen komplexen Nominalausdruck. Nicht der Bezugsausdruck „des auteurs“ alleine trägt die Metonymie, die über die Autoren auf die zu publizierenden Werke verweist. Grundlage für die metonymische Übertragung ist der ganze komplexe Ausdruck und damit das spezifischere Quellkonzept. Dementsprechend ist auch das Zielkonzept genauer umrissen und der Kreis der Referenten, auf die sich der metonymische Ausdruck bezieht, genauer eingegrenzt.

195 Bei Beispiel (128) und (129) handelt es sich jeweils um appositive Relativsätze. In beiden Ausschnitten sind die Relativsätze weglassbar und die weniger enge syntaktische Verbindung wird durch die Abtrennung des Relativsatzes mittels Kommata angezeigt. Beispiel (128) kann als eine Anaphorisierung eines metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept aufgefasst werden: „le concours de professeur des écoles“ bezeichnet im Matrixsatz streng genommen metonymisch die Teilnahme an der Prüfung, im Relativsatz wird aber das Quellkonzept der Prüfung selbst aufgenommen. Beispiel (129) kann als eine indirekte Anapher angesehen werden. Im Matrixsatz referiert „écrivains francophones“ noch wörtlich auf die Autoren, der Relativsatz bezieht sich aber auf deren Werke und steht somit nur noch in indirekter Verbindung zum Bezugsausdruck. Wie erwähnt sind insbesondere die appositiven Relativsätze für die diskursiv ausgerichtete Fragestellung dieser Arbeit relevant, weshalb sich die folgenden Ausführungen ausschließlich mit diesem Typ beschäftigen werden. Appositive Relativsätze können entweder als parentheseartige Einschübe innerhalb des Matrixsatzes auftreten oder am Ende des Matrixsatzes. Im ersten Fall können ergänzende Informationen eingefügt werden. Im zweiten Fall wird eine Art Progression hergestellt: Der appositive Relativsatz „apparaît en position finale dans une séquence narrative“ (Gapany 2004: 84f.). Daraus ergibt sich „le rôle joué par ce type de relatives dans la progression textuelle“ (Gapany 2004: 85). Mirault führt folgende Definition an: „Le relatif de liaison: On appelle ainsi un relatif qui se rencontre, hors de l’emploi subordonné, pour rattacher une proposition principale ou indépendante à une autre du même type“ (Mirault 1997: 129). So etabliert sich eine sequentielle Relation, die den appositiven Relativsatz ohne wirkliche Abhängigkeitsbeziehung auf die gleiche Ebene wie den Matrixsatz stellt. Diese sequentielle Relation entspricht einer linearen Progression. Gerade die Metonymie und der indirekte Anschluss können die kontinuierliche Fortsetzung in einer solchen linearen Progression oder bei einem Einschub von zusätzlicher Information gewährleisten, indem sie mit ihrer flexiblen Konzeptualisierung das richtige Konzept bzw. den richtigen Referenten dafür verfügbar machen. Zunächst sei der parenthetisch gebrauchte Relativsatz betrachtet. Das erste Beispiel enthält ein metonymisches Bezugsnomen, dessen Quellkonzept durch das Relativpronomen anaphorisiert wird. Das zweite stellt die parenthetische Struktur mittels einer indirekten Anapher her: (130) Mais autour de lui, les amis de Chaïb, qui était très populaire car il s’occupait d’une équipe

de foot, n’ont pas tardé à faire référence à la mort récente du jeune Ilan Halimi et à dénoncer le « deux poids, deux mesures » qui s’appliquerait, selon eux, en fonction de l’origine de la victime. « A part le maire d’Oullins, le sénateur UMP François-Noël Buffet, qui est venu voir la famille dès qu’il a appris le drame et qui a financé le rapatriement du corps de Chaïb, on n’a pas eu de message de soutien ou d’émotion médiatique comme dans d’autres affaires récentes qui ne concernaient pas des Arabes », dit un parent de la victime. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Le cocktail mortel d’Oullins“, S. 46.)

196 (131) Après une brève enquête, l’affaire est classée sans suite. La famille Delay est désormais

suivie par deux services, l’Utass et le Centre d’action éducative (CAE) qui dépend du ministère de la Justice. Les travailleurs sociaux continuent d’observer. Au foyer Beaucerf, qui s’est occupé trente ans plus tôt de Myriam, on surprend Jimmy à « uriner sur les jeux et le lit de plusieurs enfants : un éventuel trouble ou traumatisme sexuel ? ». Comme d’habitude, les éducateurs et les assistantes sociales grimpent en haut de la tour des Merles. Comme d’habitude, Myriam fait son cirque, oui, les enfants sont durs, non, elle ne prend pas le centre médico-pédagogique pour une garderie. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2005, „L’autre fiasco d’Outreau“, S. 43.)

In Beispiel (130) bezieht sich der Relativanschluss durch „qui“ auf einen metonymischen Ausdruck: Als solcher verweist „le maire d’Oullins, le sénateur UMP François-Noël Buffet“ auf die Beileidsbekundung, die dieser der Familie des Opfers eines fremdenfeindlichen Akts überbringt. Der Relativsatz jedoch bezieht sich nicht auf diesen intendierten Referenten, auf die Beileidsbekundung, sondern auf das Quellkonzept der Metonymie, auf den Bürgermeister selbst. Damit wird erläutert, wie die Unterstützung für die Familie ausgesehen hat. Diese Zusatzinformation über den Bürgermeister kann nur deshalb so problemlos eingefügt werden, weil die Bezugnahme auf das Quellkonzept der Metonymie als Option eröffnet wird. Sie bietet eine Alternative zum streng koreferenten Anschluss in Übereinstimmung mit dem intendierten Referenten. Ebenso kann in (131) die Information, dass das Personal des Heims im Jugendalter bereits die Mutter betreut hat, nur deshalb eingebracht werden, weil der Einschub indirekt erfolgt. „Au foyer Beaucerf“ referiert im Matrixsatz auf die Örtlichkeit des Heims. Durch die indirekte Anapher über das Relativpronomen „qui“ kann die leicht abweichende Referenz auf die Angestellten erreicht und dennoch mit dem Bezugsnomen des Relativsatzes verknüpft werden. Damit erfüllen diese beiden als Relativsatz realisierten Spezialfälle der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke unter Rückbezug auf das Quellkonzept sowie der indirekten Anapher genau eine der Funktionen, die zuvor für diese Strukturen in den vorhergehenden Kapiteln festgestellt wurden: Eine ergänzende Information wird ohne Aufwand an einen bereits eingeführten Ausdruck angeknüpft. Des Weiteren ist bei appositiven Relativsätzen die Herstellung von Progressionsmustern zu beobachten. Die Relativisierung durch die indirekte Anaphorisierung des Bezugsnomens ist hier im Vergleich zur Metonymie im Bezugsnomen selbst besonders häufig. Dazu folgen einige Beispiele, darunter die am Anfang des Kapitels diskutierten, die zur Erinnerung nochmals aufgeführt seien: (128) Lundi dernier, Valérie, 40 ans, a fait sa première rentrée des classes, comme institutrice stagiaire, dans la région de Montpellier. Nouvelle vie, nouveau métier. Il y a quatre ans encore elle était esthéticienne, mais son salon « marchait mal » et les horaires à rallonge la fatiguaient. Elle a alors tout plaqué pour préparer le concours de professeur des écoles, qu’elle a décroché en juin dernier. xlValérie n’est pas un cas isolé. Depuis quelques années, de plus en plus de salariés du secteur privé viennent chercher une deuxième carrière dans l’enseignement (voir encadré). (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „J’aurais voulu être un instit“, S. 48.)

197 (129) Le bilan est rude. Et tranche avec les discours lénifiants des organisateurs du festival, qui semblent s’être inspirés d’un film de Jean Yanne, « Tout le monde il est beau, tout le monde il est gentil ». Accusés, les éditeurs français, pas assez ouverts aux écrivains francophones, qui sont, paradoxalement, souvent mieux accueillis en traduction chez leurs confrères anglosaxons. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.)

(132) Le juge à la Cour suprême Robert H. Jackson, nommé le 2 mai 1945 procureur général par

le nouveau président des Etats-Unis Harry Truman, réunit à Londres les juristes des quatre puissances accusatrices : la France, les Etats-Unis, le Royaume-Uni et l’Union soviétique. Quatre mois de débats à huis clos permettent d’élaborer l’accord de Londres qui fixe le statut du tribunal et la définition des crimes. Vingt et un autres pays (dont la Pologne, mais aussi l’Uruguay) le parapheront. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Des crimes et des hommes“, S. 8.)

In Beispiel (128) ermöglicht der metonymische Ausdruck als Bezugswort für den appositiven Relativsatz den Anschluss desselben an die Quelle und damit eine satzinterne lineare Progression: Der Ausdruck „le concours de professeur des écoles“, Teil des Kommentars des Matrixsatzes, wird zum Topik des Relativsatzes. Damit ist eine lineare Progression erreicht. Diese ist nur möglich, weil der Relativsatz sich direkt an den metonymischen Ausdruck bzw. das Quellkonzept anschließen kann. Ohne die Metonymie wäre die direkte Wiederaufnahme nicht realisierbar, da sonst der – wenn auch minimale – Referenzwechsel von der Teilnahme am Auswahlverfahren hin zur Prüfung an sich offensichtlich werden würde. Der Relativsatz führt aus, wie sich die Ereignisse nach den im Matrixsatz geschilderten Vorbereitungen für das Auswahlverfahren fortgesetzt haben. Valérie nimmt teil und besteht. Damit entsteht so etwas wie ein „micro-récit“ (Gapany 2004: 87). Ähnliches trifft auf Beispiel (129) zu. Es enthält, wie erläutert, im relativen Anschluss eine indirekte Anapher des Bezugswortes „écrivains“. Dieser Anschluss erlaubt es, in einer sequentiellen Abfolge an die Erwähnung der in Frankreich missachteten Schriftsteller direkt eine Aussage über den Umgang mit ihren Werken in anderen Ländern anzuschließen. Auch hier liegt also eine satzinterne lineare Progression vor. Ebenso verhält es sich in Beispiel (132), das sich auf die Verhandlungen über den Vertrag bezieht, in dem die Modalitäten der Nürnberger Prozesse geregelt wurden. Mittels der indirekten Anapher – unter Ausnutzung der Kontiguitätsrelation zwischen dem Konzept des Instruments und dem Konzept der Handelnden und an der Ausarbeitung Beteiligten – wird an „l’accord de Londres“ die Aussage über die darin nach viermonatigen Debatten festgelegten Bedingungen angefügt. Dass der Relativsatz indirekt auf die anklagenden Staaten bzw. deren Vertreter referiert, erleichtert im folgenden Satz den Anschluss mit dem Topik „Vingt et un autres pays“. So können also Relativsätze, die sich auf einen metonymischen Ausdruck beziehen und diesen anaphorisieren bzw. die einen indirekten Anschluss bilden,

198 Kontinuität und Progression dadurch im Gleichgewicht halten, dass sie die lineare Weiterführung eines Bestandteils des Kommentars als Topik des Relativsatzes in einem nahtlosen Übergang realisieren. Darin ähneln sie der Wiederaufnahme des metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept und der indirekten pronominalen Anapher. Insgesamt konnte damit in Kapitel 5.2 gezeigt werden, dass die verschiedenen Formen der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke die Kontinuität des Diskurses dadurch erhöhen, dass sie zum einen die Fortführung bereits gegebener Topiks, zum anderen die lineare Weiterführung eines Elements aus dem vorhergehenden Kommentar als Topik im Folgenden ermöglichen. Dies wird dadurch erreicht, dass trotz referentieller Abweichung der Topikausdruck konstant weitergeführt wird. Und schließlich besteht die auf Kontinuität ausgerichtete Überleitung zwischen zwei Einheiten: Das gegebene Quellkonzept kann als Hinweis auf das intendierte, noch neue Zielkonzept verwendet werden, welches dann im Folgenden wieder aufgegriffen wird. So ergibt sich zunächst durch die Metonymie auf formaler Ebene Kontinuität, auf konzeptueller ein Bruch, dann im Wiederaufgreifen des Zielkonzepts und des intendierten Referenten die umgekehrte Kombination, also Wechsel auf der formalen und Kontinuität auf der konzeptuellen Ebene. Doch nicht nur die Metonymie an sich bringt diese Typen kontinuitätsfördernder Konstellationen hervor. Auch bei verwandten Strukturen wie der Syllepse und der indirekten Anapher lassen sich diese in ähnlicher Form nachweisen. Schließlich konnte für den Spezialfall des appositiven Relativsatzes mit Metonymie bzw. indirektem Anschluss, der sich letztlich der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke und der indirekten pronominalen Anapher zuordnen lässt, v. a. die Herstellung von linearer Progression und die Einflechtung zusätzlicher Nebeninformationen beobachtet werden.

5.3

Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel 5 sollten die besonderen Möglichkeiten, die die Anaphorisierung im Zusammenhang mit Metonymien bietet, vorgestellt und der Gewinn für die Kontinuität sowie der Zusammenhang mit der Topikstruktur des Diskurses dargelegt werden. Dazu wurden als Erstes die einzelnen im Korpus zu beobachtenden Muster der Anaphorisierung von und durch metonymische Ausdrücke charakterisiert. Dabei kann die Anaphorisierung darin bestehen, auf formaler Ebene den zunächst metonymisch verwendeten Ausdruck oder auf konzeptueller Ebene das Quell- oder Zielkonzept bzw. den intendierten Referenten weiterzuführen. Die Wiederaufnahme kann durch Nominalausdrücke oder durch Pronomen erfolgen.

199 Für die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke ergaben sich vier Haupttypen: - Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept - Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte (Ableitung weiterer Metonymien) - Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) - Wiederaufnahme des Zielkonzepts einer Metonymie unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks Die Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck kann auf zwei Arten realisiert werden: - Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept - Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks Der letztgenannte Fall hat meist die Funktion, durch den Einsatz eines möglichst expressiven Ausdrucks für den jeweiligen Referenten einen besonderen rhetorischen Effekt zu erzielen. Diese Verwendungsweise setzt sich von den Funktionen der restlichen Wiederaufnahmetypen ab. Im nächsten Schritt wurden mehrere Vorschläge zur Erklärung der verschiedenen Anaphorisierungsmöglichkeiten metonymischer Ausdrücke diskutiert. Die Leitfrage lautete, ob und wann Ziel oder Quelle der Metonymie weitergeführt werden können und ob im Fall der Wiederaufnahme durch Pronomen sich diese in ihrer Form nach dem metonymischen Ausdruck oder dem intendierten Referenten richten. Mit Ansätzen wie dem Prädikatstransfer bei Nunberg, der Annahme kognitiver Prinzipien bei Ruiz de Mendoza oder der métonymie intégrée als pragmatische Herangehensweise bei Kleiber konnten die im Korpus vorgefundenen Fälle nicht vollständig erklärt werden. Das Problem der angesprochenen Ansätze liegt grundsätzlich darin, dass sie sich auf die pronominale Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke beschränken, die nominale vernachlässigen und dass sie v. a. nur einzelne, konstruierte Beispiele erörtern. Dies droht an der sprachlichen Realität vorbeizuführen. Außerdem versuchen sie, die unterschiedlichen Anaphorisierungsmöglichkeiten aus unterschiedlichen Metonymietypen abzuleiten, ohne die diskursive Umgebung miteinzubeziehen. Die Untersuchung der Beispiele aus dem Korpus legt aber gerade eine solche auf den Diskurs ausgerichtete Sichtweise nahe. Die Anaphorisierung einer Metonymie ist in den meisten Fällen durch informationsstrukturelle Gesichtspunkte beeinflusst: Eindeutig ist festzustellen, dass solche Anaphorisierungen

200 überwiegen, bei denen der anaphorische Ausdruck dem metonymischen Ausdruck und nicht dem intendierten Ziel entspricht. Häufig treten auch mit dem metonymischen Ausdruck kongruente Pronomen auf. Offensichtlich geht es mit der überwiegenden Beibehaltung des zunächst metonymisch verwendeten Ausdrucks bzw. eines Äquivalents oder eines damit kongruenten Pronomens darum, Gegebenes weiterzuführen und Kontinuität zu signalisieren. Bei der durch eine Metonymie kontinuierlich weitergeführten Entität handelt es sich meist um das Topik. Ein referentieller Wechsel scheint einfacher zu akzeptieren als ein Abweichen von bereits gegebener Information und insbesondere als der Wechsel des Topikausdrucks. Die Weiterführung von Gegebenem sowie Kotopikalität ist also ein höher zu bewertendes Ziel als Koreferenz bzw. direkte Referenz. Die Möglichkeit der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke bestimmt sich immer über die durch die Metonymie zu erzielende Kontinuität. Es zeichnet sich ab, dass überall dort, wo der metonymische Ausdruck den maßgeblichen Teil der Wiederaufnahme stellt (Wiederaufnahme des zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept, Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte oder Wiederaufnahme des metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept sowie Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept), eine gegebene Information als Topik konstant weitergeführt wird (Progression mit konstantem Topik) oder zumindest aus der kontinuierlichen Weiterführung eines Elements aus dem jeweils vorhergehenden Kommentar gewonnen wird (lineare Progression). Daneben kann die Metonymie zur Herstellung von Kontinuität unter bestmöglicher Wahrung derselben den Übergang zu ableitbaren Topiks bilden (Progression mit abgeleitetem Topik). Hierbei wird ein zuvor bereits verwendeter Ausdruck metonymisch aufgegriffen und von der Gegebenheit des zugehörigen Referenten profitiert, um auf den intendierten neuen Referenten hinzuweisen. Damit ist auf formaler Ebene zunächst Kontinuität garantiert, während zugleich die Voraussetzung für die Ableitbarkeit des intendierten Referenten geschaffen wird. Bei der Anaphorisierung wird dann direkt auf den Zielreferenten Bezug genommen. Damit ändert sich zwar der formale Ausdruck, dafür ist dann aber zumindest noch referentielle Kontinuität gewährleistet. Die kontinuitätsstiftende Funktion der Metonymie zeigt sich am deutlichsten an anaphorischen Ketten, die mit Hilfe von Metonymien ununterbrochen fortgesetzt werden. Dies passiert z. B. dann, wenn immer über den gleichen gegebenen Referenten gesprochen und dieser stets anaphorisiert wird. Soll an einer Stelle jedoch über eine leicht abweichende Entität eine Aussage getroffen werden, so ist die Metonymie ein willkommenes Mittel, den Ausdruck dennoch konstant weiterzuführen und über das Zielkonzept auf den immerhin ableitbaren intendierten Referenten zu verweisen. Ähnlich verhält es sich, wenn ein metonymi-

201 scher Ausdruck mehrere Male auftritt, aber immer wieder ein anderes Zielkonzept damit verbunden ist. Schließlich konnte für metonymieverwandte Strukturen wie die Syllepse und die indirekte Anapher eine der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke ähnliche Ausrichtung auf Kontinuität nachgewiesen werden. Die Syllepse erlaubt den Einschub einer kurzen Nebeninformation bei Konstanthaltung des eigentlichen Topiks oder die Entwicklung einer satzinternen linearen Progression. Was also die Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke auf intersententieller Ebene leistet, übernimmt die Syllepse auf intrasententieller Ebene. Für die indirekte Anapher gilt, dass sie – wie bei der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke – ein Topik linear bzw. konstant fortführt oder dass sie zu einem ableitbaren Topik überleiten kann. Ersteres trifft v. a. auf die indirekte pronominale Anapher zu. Letzteres findet sich insbesondere bei der indirekten nominalen Anapher, der assoziativen Anapher. Eine spezielle Situation ergibt sich, wenn Relativsätze im Spiel sind. Unterschieden wurde zwischen restriktiven und appositiven Relativsätzen. Insbesondere letztere sind im Zusammenhang mit der Metonymie für die Herstellung von Kontinuität auf diskursiver Ebene interessant. Hierbei kann der Bezugsausdruck selbst metonymisch sein oder der Relativanschluss steht in einem nur indirekten auf Kontiguität beruhenden Verhältnis zum Bezugsausdruck. Es ergeben sich also gewisse Parallelen zur Anaphorisierung von Metonymien bzw. zur indirekten Anapher. Begünstigt durch die aufgrund der Metonymie flexibleren Anschlussmöglichkeiten an den Matrixsatz können derartige Relativsätze entweder einen parentheseartigen Einschub realisieren oder eine lineare Progression mit dem Bezugsausdruck des Relativsatzes als Topikausdruck herstellen. Im vorliegenden Kapitel konnte somit gezeigt werden, dass die Metonymie oft gerade deshalb eingesetzt wird oder überhaupt zustande kommt, weil dadurch die zu transportierenden Inhalte unter der Maßgabe der Aufrechterhaltung von Kontinuität in die diskursive Umgebung eingepasst werden können.

6

Metonymie und Kohärenz

In Kapitel 5 wurde das Zusammenspiel von Metonymien und Diskurskontinuität analysiert. Im vorliegenden Kapitel 6 soll der Blickwinkel von der Diskurskontinuität als spezieller Schnittmenge zwischen Kohärenz und Kohäsion auf die Kohärenz im Allgemeinen erweitert werden, kann doch die Metonymie auch einen Beitrag zur Kohärenz leisten, indem sie konzeptuelle Zusammenhänge zwischen den Bestandteilen eines Diskurses hervorhebt. Dies soll an Beispielen demonstriert werden, die ebenfalls aus dem Korpus gewonnen wurden. Kapitel 6.1 wird sich damit auseinandersetzen, wie die Metonymie Sachverhalte derart konzeptualisiert, dass sie sich besonders kohärent in den konzeptuellen Aufbau eines Diskurses einfügen. Dabei werden – im Gegensatz zu den anaphorischen Wiederaufnahmen in Kapitel 5 – insbesondere auch satzinterne Phänomene beleuchtet, die aber Auswirkungen auf diskursiver Ebene nach sich ziehen. Kapitel 6.2 wird abschließend versuchen, die Charakteristika der Metonymie hinsichtlich Kontinuität und Kohärenz mit denen der Metapher zu vergleichen, um so die Eigenart der Metonymie im Diskurs nochmals herauszustellen.

6.1

Kohärenzstiftende Funktion der Metonymie

6.1.1

Einsatz der Metonymie zum Zwecke der Darstellung einer Perspektive

Ein wichtiger Aspekt der kohärenzstiftenden Leistung der Metonymie ist die Konzeptualisierung eines Sachverhalts aus einer spezifischen Perspektive. Dies kann durch den bewussten Einsatz eines metonymischen Ausdrucks geschehen, der eine bestimmte argumentative Ausrichtung unterstreicht. Es handelt sich also um die Auswirkungen satzinterner lexikalischer Gestaltungsmöglichkeiten auf den gesamten Diskurs oder Diskursabschnitt (Kapitel 6.1.1.1). In speziellen Vorkommen kann so eine Gegenüberstellung von zwei Sachverhalten verdeutlicht werden (Kapitel 6.1.1.2). Außerdem kann die Metonymie durch die spezifische Konzeptualisierung eines Sachverhalts in die Darstellung von Kausalitätsrelationen eingreifen und dadurch eine bestimmte, in den Argumentationsverlauf passende Sichtweise herausarbeiten (Kapitel 6.1.1.3). Neben der perspektivierenden Funktion der Metonymie wird anschließend in Kapitel 6.1.2 eine zusammenfassende Funktion der Metonymie mit Kohärenzwirkung festgestellt. Hierbei handelt es sich schließlich wieder um eine rein diskursfunktionale Kategorie, die sich jedoch die zuvor geschilderten satzinternen Mittel zu eigen macht.

204 6.1.1.1 Einbringung eines spezifischen argumentativen Potentials Die grundlegende Rolle der Metonymie für die Darstellung von argumentativer Ausrichtung, Gegenüberstellungen und Kausalität besteht darin, dass die Metonymie helfen kann, eine spezifische Perspektive auf einen Sachverhalt einzunehmen. Der Begriff der Perspektive lässt sich verstehen als „die Repräsentation von etwas für jemanden von einer gegebenen Position aus“ (Sandig 1996: 39) oder als „position from which a person or a group view something (things, persons or events) and communicate their views“ (Graumann/Kallmeyer 2002: 1). In einer sprachlichen Mitteilung ist die Perspektive u. a. durch den Einsatz sprachlicher Mittel zu markieren. Die Wahl eines bestimmten Wortes zur Wiedergabe eines Sachverhalts kann den Ausdruck einer bestimmten Perspektive beinhalten (vgl. Ensink/Sauer 2003: 9–11). Speziell Metaphern und Metonymien können durch die Hervorhebung und Ausblendung von Eigenschaften perspektivierend wirken (vgl. Sandig 1996: 39). Die sprachliche Herstellung einer Perspektive zielt darauf ab, die im jeweiligen Diskurs vertretene Argumentationslinie zu stützen. Der gezielte Einsatz eines einzelnen Ausdrucks und die Nutzung seines argumentativen Potentials werden manchmal erst durch eine Metonymie möglich: So kann die Metonymie in einem bestimmten Zusammenhang einerseits über das Zielkonzept den Referenten bezeichnen, um den es gerade geht, und andererseits aufgrund der Indirektheit der Benennung eine gewisse Freiheit in der Wahl des dafür verwendeten sprachlichen Ausdrucks ausnutzen. Es kann bewusst ein metonymischer Ausdruck eingesetzt werden, der mit seinem argumentativen Potential die argumentative Zielrichtung des Diskurses oder des Diskursabschnitts besser unterstützen kann als die direkte wörtliche Bezeichnung des Referenten. Traditionellerweise ist der Begriff der Argumentation in der Rhetorik und Logik verankert. Hier soll es jedoch weniger um die globale inhaltliche Gliederung eines Diskurses zur logischen Ableitung eines Schlusses gehen als vielmehr um die sprachlichen Mittel, über die der Sprecher verfügt, um die argumentative Ausrichtung des Diskurses zu unterstreichen. Deshalb ist es nötig, eine Theorie heranzuziehen, die sich mit der Argumentation aus vornehmlich linguistischer Perspektive beschäftigt. Als solche bietet sich die Théorie de l’argumentation dans la langue von Ducrot und Anscombre an, die für das vorliegende Kapitel 6.1.1.1 und für die folgende Diskussion den Rahmen bilden wird. Sie integriert pragmatische Aspekte in die Semantik und charakterisiert eine argumentative Relation wie folgt: „[U]n locuteur fait une argumentation lorsqu’il présente un énoncé E1 (ou un ensemble d’énoncés) comme destiné à en faire admettre un autre (ou un ensemble d’autres) E2 “ (Anscombre/Ducrot 1983: 8, Hervorhebung im Original). Ein wichtiger Gedanke der Théorie de l’argumentation besteht darin, dass es nicht genügt, wahrheitsfunktionale Kriterien zur semantischen Beschreibung

205 heranzuziehen, sondern dass auch das argumentative Potential der Sprache, das sprachliche Gewand einer Äußerung, durch das die weiteren möglichen Diskursanschlüsse determiniert werden, berücksichtigt werden muss (vgl. Anscombre/ Ducrot 1983: 15–30, 79f.). Diese Beschreibung versucht die Théorie de l’argumentation mit dem Begriff des Topos als gesellschaftlich akzeptierte Annahme, die den gedanklichen Weg zwischen einem Argument und der zugehörigen Schlussfolgerung nachzeichnet, zu erreichen (z. B. plus/moins il fait chaud, mieux/moins bien on est). Die Bedeutungen von Autosemantika werden als Bündel von Topoi, die sie bei ihrer Realisierung im Diskurs aufrufen, angesehen (vgl. Anscombre/Ducrot 1983: 13–17, Ducrot 1995: 85–98). In der neuesten Version der Theorie wurde die Zweiteilung des Topos in Argument und Schlussfolgerung überwunden und stattdessen die argumentative Struktur nur noch als nicht zerlegbarer bloc sémantique, als eine Sichtweise auf eine Situation, konzipiert (vgl. Ducrot 2001: 22).1 Dieser Ansatz kann für die Erklärung der argumentativen und perspektivierenden Funktionen der Metonymie auf folgende Weise nutzbar gemacht werden: Betrachtet man eine Äußerung oder ein Wort als ein Bündel von Topoi, von Argumenten und deren Schlussfolgerungen bzw. von einzelne Sichtweisen wiedergebenden blocs sémantiques, dann ist für die Verfolgung einer argumentativen Richtung im Diskurs von höchster Bedeutung, welche Wörter gewählt werden, um einen Sachverhalt auszudrücken. Die verwendeten Ausdrücke können sich nämlich in ihrem argumentativen Potential unterscheiden. Dubois und Resche-Rigon (1992: 143–149) gehen näher auf die Verbindung von Argumentationstheorie und Ansätzen der kognitiven Psychologie, Prototypikalität und konzeptuellen Repräsentationen ein, wie sie für die Metonymie wichtig sind. Sie weisen anhand von Testsätzen, die durch Probanden mit Konnektoren ergänzt werden sollten, nach, dass „l’orientation argumentative est dépendante des structures des représentations associées aux formes lexicales“ (Dubois/RescheRigon 1992: 148). So sind gerade die jeweils eingesetzten lexikalischen Formen ein entscheidender Faktor für die Ausrichtung der Argumentation. Folglich kann dann die Metonymie, die dieses formale, lexikalische Gewand einer Äußerung durch die indirekte Herstellung der Referenz beträchtlich verändert, eine wichtige Aufgabe für die Steuerung der Ausrichtung des argumentativen Ablaufs übernehmen. Zwar wird letztlich der Zielreferent bezeichnet, doch kann der metonymische Ausdruck darüber hinaus die mit dem Quellausdruck und Quellkonzept verbundene konzeptuelle Repräsentation aufrufen, die möglicherweise die argumentative Ausrichtung der Aussage beeinflusst und sich auf diese Weise nahtlos in die konzeptuelle Repräsentation des Diskurses einfügt. Damit trägt sie zur Kohärenz des Diskurses bei. Wie dies konkret aussieht, sollen die folgenden Beispiele zeigen: 1

Ein ausführlicherer Überblick über die Grundannahmen und die Entwicklung der Théorie de l’argumentation findet sich z. B. bei Becker (2006).

206 (26) Mais la rationalité économique a une réponse à tout. On ne saurait toucher aux profits, imposer davantage le capital, limiter les salaires extravagants sans décourager les initiatives et paralyser les énergies créatrices, sans provoquer des désinvestissements et des délocalisations d’entreprises ou encore sans entraîner des fuites de cerveaux ou de talents. Des tentations aussi fâcheuses seraient antiéconomiques et nuiraient finalement à tous. Elles ne sauraient donc être envisagées. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 8.)

(133) Il lui avoue combien il aurait aimé être officier de marine « quand les bateaux ressemblaient

à des chapeaux de femme », raconte son trac devant les lorgnons helvètes au moment de prononcer une conférence à Zurich et l’envie qu’elle lui donna de se jeter dans les eaux vertes de la Limmat, évoque ses rencontres au ministère de l’Intérieur avec l’inquiétant Huysmans, [...]. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Valéry toujours recommencé“, S. 61.)

(134) Les tueurs ont grandi avec la guerre. Au début, en 1975, ce sont des gamins armés de fusils

de chasse qui jouent à se battre, vivent de la rue et des armes et se droguent en avalant des cachets de Mandrax et de LSD : « Sorti de mon trip, je ne croyais plus à ce que j’avais fait », dit l’un d’eux. A 15 ans, une balle lui a traversé la cuisse. Son père lui offre un revolver : « Porte-le toujours. N’aie pas peur. Retourne te battre. » Ils apprennent la guerre : « Je marchais pieds nus sur les gravats pour déposer ma charge de TNT sous la barricade ennemie. J’aimais ça. Vivre ou mourir... On se foutait de tout. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Sabra et Chatila : les tueurs parlent“, S. 36.)

(135) Le nez ressemble à « une avalanche de boue », les yeux pétillent, l’énergie est toujours là. A 80 ans (il est né le 28 juin 1926 à Brooklyn), Mel Brooks continue à faire rire : la nouvelle version des « Producteurs » est d’ores et déjà un succès. Il n’y a que Mel Brooks pour imaginer un producteur qui rêve de financer un flop... et qui échoue. Gagman à la télé, auteur de sketches, scénariste pour Jerry Lewis, réalisateur de deux comédies géniales (« Le sherif est en prison » et « Frankenstein Junior »), Brooks a inventé des Sioux qui parlent yiddish, des moines de l’Inquisition qui dansent le french cancan et des cow-boys avec des selles Hermès. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mel Brooks. ‹ Rire, c’est bon pour le cœur ›“, S. 64.)

Im ersten Beispiel, das bereits in Kapitel 2.2.2.4 zur Illustration des Unterschieds zwischen der Metonymie und der Synekdoche herangezogen worden war (s. S. 52), wird das entscheidende Charakteristikum der Personen, vor deren Abwanderung die Wirtschaft warnt, durch eine „Teil-Ganzes-Metonymie“ herausgestellt. Der Ausdruck „cerveaux“ steht für die fähigen und intelligenten Arbeitskräfte. Dieser Ausdruck, der nur durch den Einsatz einer Metonymie auftreten kann, ruft bestimmte Topoi oder blocs sémantiques auf und hilft die Argumentationslinie des Wirtschaftsliberalismus nachzuvollziehen: Wer ein möglichst gut funktionierendes und trainiertes Gehirn hat, der arbeitet gut, findet Problemlösungen und ist kreativ. Auf diese Weise werden die Qualitäten der betreffenden Personen betont, die die Unternehmen für reibungslose Abläufe und zur Erzielung hoher Gewinne benötigen. Mit diesen durch den metonymisch verwendeten Ausdruck aufgerufenen Topoi wird ganz klar hervorgehoben, dass die Abwanderung dieser Personen bzw. das Fehlen ihrer Fähigkeiten von Nachteil

207 für die wirtschaftliche Entwicklung wären. So wird die Sichtweise des Wirtschaftsliberalismus hervorgehoben, dass diese Abwanderung verhindert werden muss, was wiederum als nur dann möglich dargestellt wird, wenn man nicht zu sehr regulierend in die Marktabläufe eingreift. Nicht viel anders zeigt sich Beispiel (133). Wie in (26) dient die Metonymie der Hervorhebung eines Einzelaspekts, der sich in die argumentative Ausrichtung der Aussage besonders gut einfügt. Wenn von der Angst und Aufregung im Angesicht der „lorgnons helvètes“, die indirekt auf ihre Träger verweisen, die Rede ist, dann wird die Metonymie ganz bewusst eingesetzt, um einzelne in diesem Zusammenhang wichtige Eindrücke zu betonen. Diese sind toposartig mit dem metonymischen Ausdruck verknüpft: Der Träger eines Lorgnons ist meist alt, erscheint gebildet und v. a. streng; der prüfende Blick trifft das Gegenüber durch das Lorgnon umso durchdringender. Das alles sind Gründe, die die Befangenheit gegenüber den Trägern verständlich werden lassen und die mit einer neutraleren direkten Bezeichnung wie public oder auditeurs kaum hätten transportiert werden können. So fürchtet sich der Vortragende umso mehr vor dem forschenden Blick und etwaiger Kritik oder Missbilligung. Nur über den metonymisch verwendeten Ausdruck kann klargestellt werden, dass das Publikum für den Vortragenden besonders unangenehm erscheint, und nur damit kann ein Argument für seine Abneigung geliefert werden. Umgekehrt wird in Beispiel (134) aus einem Artikel über die Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila im Libanon nicht ein einzelner Aspekt fokussiert, sondern die globale Perspektive auf den Rahmen und die Folgen der angesprochenen Handlungen eingenommen. Mit der Aussage, dass die 15jährigen Jungen bereits „la guerre“ lernen, kann nur gemeint sein, dass sie sich auf der Straße Techniken für Kampf, Zerstörung und Tötung aneignen, die im Krieg zum Einsatz kommen. Wer einmal solche Techniken erlernt hat, der wird davon Gebrauch machen. So betont der Ausdruck „la guerre“ den damit verbundenen Topos der Grausamkeit eines Krieges und der kriegerischen Handlungen, an die sich die Jugendlichen gewöhnen, und bietet sich als ein Argument für ihre Verrohung an. Dieser Ausdruck kann auch hier wieder nur zum Einsatz kommen und seine argumentative Kraft entfalten, da auf eine Metonymie zurückgegriffen wird, um auf das eigentlich Gemeinte zu referieren. Gleichzeitig stellt diese Perspektive außerdem die jugendliche Entwicklung als Voraussetzung für die Instrumentalisierung dieser Menschen in Militärgruppen und für die späteren kriegsgleichen Massaker in den Palästinenserlagern dar. Der Einsatz des Erlernten in späteren Kriegshandlungen wird antizipiert, die Entwicklung der Jugendlichen zu Mittätern des Massakers vorweggenommen und damit der Ablauf der Ereignisse als logische Konsequenz und fast als unvermeidbar hingestellt. Damit fügt sich gerade der metonymische Ausdruck „la guerre“ kohärent in die Darstellung der Zuspitzung auf den Überfall der Lager ein. Schließlich gestaltet sich der argumentative Effekt im letzten Beispiel auf in-

208 direktere Weise: In (135) verweist „un flop“ metonymisch auf einen Film oder ein Filmprojekt, das bei den Zuschauern wenig Anklang findet, scheitert und damit dem Produzenten einen finanziellen Misserfolg beschert. Denn eigentlich ist es das Filmprojekt, das finanziert werden muss, und nicht wörtlich der Misserfolg desselben. Warum wird diese Metonymie verwendet? Zum einen fasst sie in einem Wort den komplexen Sachverhalt kurz zusammen. Zum anderen wird das Paradox, das den komischen Effekt der Handlungsidee des Films bewirkt, erst durch den metonymischen Ausdruck so deutlich erkennbar. Einen Flop zu landen, wird normalerweise im Gegensatz zu einem großen Erfolg erstens als etwas Unerwünschtes betrachtet, zweitens als etwas relativ Häufiges und Gewöhnliches und drittens als eine Sache, für die man kein großes Talent braucht, im Gegenteil. Erst in Verbindung mit diesen gängigen Annahmen zum Begriff des Flops (in der Théorie de l’argumentation etwa die Topoi oder blocs sémantiques), die erst durch die metonymische Benennung im hierfür verwendeten Ausdruck aufgerufen werden, kristallisiert sich der Widerspruch zwischen „flop“ und „échoue“ heraus: Wenn ein Flop leicht herbeizuführen ist, dürfte es nicht schwer fallen, in dem Vorhaben „de financer un flop“ erfolgreich zu sein. Aber dem wird gerade widersprochen und ein Flop als eine schwierige Herausforderung und dazu noch als ein erstrebenswertes Ziel präsentiert. So kann mit den herkömmlichen Annahmen gespielt werden und durch ihre Aushebelung der komische Effekt des Films und der Ideenreichtum von Mel Brooks unterstrichen werden. Damit fügt sich der metonymische Ausdruck sehr gut in das argumentative Ziel, das – darauf weist auch die Fortsetzung mit der Beschreibung weiterer origineller Filmcharaktere hin – in diesem Ausschnitt erreicht werden soll: die Darstellung Mel Brooks’ als großen Komiker. Demnach ist festzuhalten, dass die Wahl des Ausdrucks, die z. B. durch die Metonymie beeinflusst wird, entscheidend dafür sein kann, aus welchem Blickwinkel eine Entität konzipiert wird und welche Topoi oder blocs sémantiques über den Ausdruck ins Spiel gebracht werden. Damit fügt sich das betreffende, auf spezielle Weise indirekt versprachlichte Konzept dank des dafür verwendeten metonymischen Ausdrucks insgesamt in die dem Diskurs zugrunde liegende Repräsentation ein und steigert so die Kohärenz des Diskurses. 6.1.1.2 Zuspitzung von Gegenüberstellungen Die in den vorangegangenen Kapiteln besprochene Nutzbarmachung einzelner Ausdrücke und ihres argumentativen Gehalts zeigt sich häufig und anschaulich in Gegenüberstellungen. Die Metonymie fokussiert die Punkte, auf die es bei der Gegenüberstellung ankommt, und bringt so deren argumentative Implikationen zur Geltung:

209 (136) Le secteur souffre d’un déficit d’image : la caricature du travail à l’usine dans un environne-

ment bruyant, salissant et offrant des rémunérations médiocres a la vie dure. Pourtant, ceux qui sautent le pas y trouvent largement leur compte. Charles Gentil, étudiant en dernière année dans une école d’ingénieurs, a adoré ses stages en usines : « C’est un univers spécial. Les techniciens passent du temps dans la poussière et le bruit, mais pas uniquement : ils marchent aussi sur de la moquette ! Quant aux ingénieurs, ils dirigent les projets et les hommes. » Qu’on se le dise : dans l’industrie, de nos jours, on passe plus de temps les mains sur le clavier d’un ordinateur que dans le cambouis ! Le ministère déplore « plus de 20% d’offres d’emploi non satisfaites » : les techniciens et agents de maîtrise de l’industrie mécanique sont les plus recherchés. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.)

(137) « Les gens n’en peuvent plus », ajoute-t-il, s’identifiant à l’électeur moyen qui s’est sen-

ti étouffé par cinq ans de berlusconisme. « Il les fallait, ces primaires », commente Giulio Santagata, bras droit de Prodi. Ne fût-ce que pour répliquer au monopole télévisuel de Sua Emittenza. « Nous, nous n’avons pas de télés, mais la passion des gens, oui. » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce sera Prodi“, S. 36.)

In beiden Beispielen findet eine Kontrastierung statt, die so deutlich nur durch den Einsatz einer Metonymie hervortreten kann: In Beispiel (136) wird „passent du temps dans la poussière et le bruit“ und „marchent aussi sur de la moquette“ gegenübergestellt. Außerdem wird die Zeit, die man „les mains sur le clavier d’un ordinateur“ mit der Zeit, die man mit den Händen „dans le cambouis“ verbringt, verglichen. Erkennbar ist diese Gegenüberstellung des Weiteren an dem dafür verwendeten Konnektor „mais“ und der Vergleichskonstruktion mit „plus...que“. In dieser Kontrastierung bezieht sich die Metonymie jeweils auf eine gesamte Verbalphrase und gehört damit zum Typ der propositionalen Metonymie (s. Kapitel 2.2.2.1, S. 43). Toposartig impliziert werden das höhere bzw. niedrigere Ansehen, der unterschiedliche Qualifikationsgrad und die Verdienstmöglichkeiten, die mit den metonymisch bezeichneten Bürotätigkeiten und der körperlichen Arbeit verbunden sind. Überdies haften die negativen Vorstellungen insbesondere den technischen und industriellen Berufen an, wie aus dem Ausschnitt hervorgeht. Über die metonymische Zuspitzung auf die sichtbaren Anzeichen der Nachteile von beruflichen Tätigkeiten im industriellen Sektor („poussière“, „bruit“, „cambouis“) werden diese zugleich relativiert, indem sie mit einem vorteilhafteren Bild des Sektors („moquette“, „clavier d’un ordinateur“) konfrontiert werden. So kann die metonymisch bedingte anschauliche Gegenüberstellung das Ziel des Diskurses unterstützen, den schlechten Ruf der Industrie in Bezug auf deren berufliche Tätigkeitsfelder zu widerlegen. Beispiel (137) bezüglich der Wahl Romano Prodis zum Spitzenkandidaten der linken Mitte für die Legislativwahlen 2006 in Italien bringt die geringe Medienmacht Prodis im Vergleich zu der des damals amtierenden Ministerpräsidenten Berlusconi metonymisch auf den einfachen Nenner „Nous n’avons pas de télés“. Doch obwohl Prodi und seine Anhänger die Fernsehinhalte für die Bürger nicht kontrollieren können und keine Medienmacht besitzen, so haben sie laut der Aussage Santagatas doch die Emotionen und Sympathien der Menschen auf

210 ihrer Seite. Durch die Metonymie werden die komplizierten Machtverhältnisse im Fernseh- und Rundfunkgeschäft in einem einzigen Ausdruck formulierbar und damit „télés“ und „passion“ als einander direkt vergleichbar und aufwiegbar gegenübergestellt. Dies geht auf kohärente Weise mit der Gesamtaussage des Diskurses einher, der die positive Stimmung gegenüber der Mitte-LinksKoalition nach den Vorwahlen nachzeichnet. Vergleicht man die Beispiele (136) und (137), so fallen einige Unterschiede zwischen den durch die Metonymie beeinflussten Gegenüberstellungen ins Auge: Es können beide Glieder der Gegenüberstellung metonymisch sein, wie in Beispiel (136), oder nur einer der beiden Punkte, wie in Beispiel (137), und entsprechend ist die Funktion der Metonymie jeweils eine etwas andere. Sind beide zu kontrastierenden Sachverhalte oder Objekte sprachlich durch einen metonymischen Ausdruck formuliert, so dient dieser dazu, die für die Gegenüberstellung relevanten Eigenschaften, Teile oder Sichtweisen herauszugreifen und so den Vergleich zu erleichtern und zuzuspitzen (s. (136)). Deshalb sind hier meist Metonymien festzustellen, die auf einer Teil-Ganzes-Kontiguitätsrelation basieren. Wenn nur der eine Teil der Gegenüberstellung metonymisch geprägt ist, dann kommt dem jeweiligen metonymischen Ausdruck die Aufgabe zu, den Pol der Gegenüberstellung so zu konstruieren, dass er zu dem zweiten, wörtlichen Begriff einen entsprechenden, ebenso anschaulichen und knappen Gegenbegriff bildet (s. (137)). Manchmal schafft die Metonymie in diesem Sinne sogar eine syntaktische und strukturelle Parallelität, die es erleichtert, den mit der einen Einheit korrespondierenden Gegenpart zu identifizieren: (138) Du surréalisme, il fut aussi le continuateur, s’adonnant longtemps aux joies de l’écriture

automatique. Si les poèmes d’avant-guerre du « Rappel à l’ordure » montrent un Georges Henein farouchement antimilitariste, contempteur d’une modernité industrielle qu’il juge déshumanisante, les articles de presse sont le lieu de la réflexion théorique, parfois polémique. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Le prince de l’exil“, S. 58.)

Um die verschiedenen Seiten des Schriftstellers Henein zu belegen, werden die Textformen, derer er sich mit einer jeweils unterschiedlichen Ausdrucksabsicht bediente, kontrastiert. Um die Gegenüberstellung von „les poèmes“ und „les articles“ zu unterstreichen, lässt der Verfasser des Artikels diese jeweils in der gleichen syntaktischen Position, nämlich der des Subjekts auftreten. Aufgrund der unterschiedlichen Verbanschlüsse („montrent un Georges Henein farouchement antimilitariste“ und „sont le lieu de la réflexion théorique“) kann diese syntaktische Parallelität nur erreicht werden, indem „les poèmes“ metonymisch für das Agens eintritt. Streng genommen handeln nicht die Gedichte und zeigen die Einstellung des Autors. Eigentlich ist es der Autor selbst, der seine Haltung mittels der Gedichte den Lesern offenbart. Außerdem ist bei den Gegenüberstellungen zu erkennen, dass sie sich auf unterschiedliche Antonymietypen stützen können. Im Korpus ist besonders die

211 kontradiktorische Opposition relativ häufig. Während die Gegenüberstellungen in (136) und (137) (S. 209) im jeweiligen Zusammenhang am ehesten als kontradiktorische Opposition gelten können, ist Beispiel (138) mit den beiden Veröffentlichungsformen des Gedichts und des Artikels als Kohyponyme dem Typ der nichtbinären Opposition zuzurechnen. Schließlich nähern sich gerade die in der Gegenüberstellung paarweise auftretenden Metonymien dem Symbolhaften an (s. auch Beispiel (16), S. 38, und Beispiel (52), S. 121). Als Symbol bezeichnet man „reale Gegenstände und Handlungen, die in der Realität oder der erzählten Welt auf etwas anderes verweisen“ (Peil 1998: 519). Folgt man Peirces Auffassung, so zeichnen sich Symbole durch die rein konventionelle Beziehung zwischen dem Zeichen und der zu bezeichnenden Entität aus. Die eigentlich indexikalische Kontiguitätsbeziehung zwischen Quell- und Zielkonzept, die normalerweise eine Metonymie begründet, kann, gerade wenn nur ein kleiner Teilaspekt als Quelle fungiert, in den Hintergrund geraten und als eine rein konventionelle Beziehung erscheinen. Diese symbolische Ausrichtung erklärt sich manchmal auch durch die Topoi, die mit dem jeweiligen Ausdruck verknüpft sind. (139) La crise de la constitution civile du clergé a provoqué dans cette province de forte religiosité

une fracture encore plus vive qu’ailleurs. Elle aurait pu ruiner l’intégration réussie de la Bretagne à la communauté nationale par la précocité de sa culture citoyenne. Mais après avoir plongé le Bocage pendant plusieurs années dans la guerre civile, l’affrontement des blancs et des bleus va ordonner la vie politique bretonne pendant près de deux siècles et permettre à chaque commune de réguler ses propres conflits en les articulant au discours national. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le génie breton“, S. 59.)

(140) Dans les années 1950, quand l’Allemagne a retrouvé son statut d’Etat, elle a conduit d’autres

procès. On y a été plus sévère pour les tueurs, les criminels de bas étage, que pour les donneurs d’ordres, les criminels de bureau. Ensuite un Office central de Recherche sur les Crimes nazis a été créé. Les enquêtes se sont poursuivies. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „L’œuvre de justice continue“, S. 11.)

(141) Seulement, ce qui plus sûrement déprime, quand on lève la tête de ce petit livre, c’est de

réaliser que, à part lui, il n’est pas grand monde pour affronter ce monstre-là. Qui d’autre aujourd’hui cherche une transcendance, un projet commun, une idée qui nous fasse avancer, nous rehausse en faisant taire ce qui nous abaisse ? Qui ? Et voici donc où nous en sommes désormais, coincés entre des individus agrippés à leurs prétendues racines et d’autres pleurant devant le drapeau. Voilà la France de 2006, la cocarde ou le clocher. Cela vous donne envie de rire, vous ? Moi, non. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „‹ La Maxeillaise ›“, S. 19.)

In der Gegenüberstellung von „des blancs et des bleus“ in der Bretagne tritt der Symbolwert der Farben in den Vordergrund. Sie sind das Wahrzeichen und die Erkennungsmarke der politischen Gruppierungen, die sich in der Zeit der französischen Revolution herausgebildet haben. Blickt man genauer hin, so erweist sich der symbolische Charakter als ursprünglich auf einer Metonymie beruhend:

212 Die weiße Farbe war die Farbe des Banners der Royalisten; die blaue Farbe war die der Soldaten der Republik, die blaue Uniformen trugen. Ebenso kontrastiert in Beispiel (140) zu den Kriegsverbrecherprozessen im Nachkriegsdeutschland die Wertung „de bas étage“ mit „de bureau“. Beide Ausdrücke sind metonymisch zu verstehen. Sie zeigen den Arbeitsort der Personen an, dessen Konzept kontig zum Konzept des Ranges ist, den die jeweiligen Personen bekleiden. Zugleich verbinden sich mit dem Arbeitsort allgemeine toposartige Vorstellungen, dass z. B. die in den unteren Geschossen Arbeitenden weniger Verantwortung haben, nur ausführend sind, wohingegen diejenigen, die nur am Schreibtisch sitzen, über Weisungsgewalt verfügen und so für die Taten ihrer Untergebenen verantwortlich sind. Durch diese stark konventionalisierte Verbindung zwischen Arbeitsort und Verantwortlichkeit können „de bas étage“ und „de bureau“ fast als symbolhafte Bezeichnungen aufgefasst werden. Als solche entfalten sie argumentatives Potential für die implizite Kritik an den Prozessen. Denn die vergleichsweise hohe Verantwortlichkeit der befehlenden „criminels de bureau“ steht im Widerspruch zum milderen Umgang mit ihnen. Zuletzt geht die Buchkritik, aus der Beispiel (141) stammt, auf das in Max Gallos Buch Fier d’être français vorgeschlagene Gesellschaftsmodell ein. Gallo plädiert für die Rückbesinnung auf die republikanischen Werte, um die Franzosen zu einen und eine Zersplitterung der Gesellschaft in einzelne Interessengruppen zu verhindern. Dies tut er jedoch auf eine relativ nationalistische Art und Weise, die in der Kritik zum Buch angegriffen wird. Sie spitzt die Wahlmöglichkeiten für die Lösung der gesellschaftlichen Probleme auf die Formel „la cocarde ou le clocher“ zu und resümiert damit einerseits den bisherigen Gedankengang, dass nur die beiden angesprochenen Alternativen vorhanden zu sein scheinen (s. auch Kapitel 6.1.2 zur Zusammenfassung durch Metonymien), und lässt andererseits deutlich werden, dass beide unbefriedigend sind. Mit „la cocarde“ wird nämlich metonymisch-symbolhaft das Erbe der französischen Revolution und das daraus entstehende strikte nationalistische Insistieren auf der Republik bezeichnet. Demgegenüber verweist „le clocher“, der Kirchturm, auf die Kirche als Gebäude und darüber wiederum auf die religiöse Institution. Symbolhaft kann dieses Zeichen noch umfassender als Hinweis auf das drohende Auseinanderbrechen der französischen Gesellschaft in einzelne z. B. religiöse Gruppierungen gedeutet werden. Beide symbolisch-metonymischen Ausdrücke werden also negativ aufgeladen verwendet. Damit fügen sie sich kohärent in die Ausrichtung des Artikels ein, der einerseits den Rückfall in den Nationalismus nach dem Vorschlag Gallos zurückweist, andererseits die Zersplitterung der Gesellschaft als Bedrohung erkennt. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Metonymie – wird sie zur Zuspitzung einer Gegenüberstellung herangezogen – die semantische Oppositionsrelation herausarbeitet und dadurch Kohärenz herstellt. Durch die Annahme einer bestimmten Perspektive wird ein Vergleichspunkt geschaffen und die Inbezugsetzung der

213 Referenten verdeutlicht. Darüber hinaus greifen derartige metonymische Gegenüberstellungen teilweise das im vorangegangenen Kapitel geschilderte Verfahren zur Ausnutzung von Topoi, die mit dem metonymisch verwendeten Ausdruck verbunden sind, auf. Diese werden für den argumentativen Aufbau des Diskurses fruchtbar gemacht, indem sie die Opposition herausarbeiten und so die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen unterstützen. 6.1.1.3 Metonymische Darstellung von Kausalität Besonders bei der Darstellung von kausalen Zusammenhängen kann die Entwicklung einer spezifischen Sichtweise auf einen Sachverhalt ausschlaggebend sein. Es ist deshalb denkbar, dass die Metonymie hier wirkungsvoll eingreifen und helfen kann, einen Sachverhalt schlüssig in die argumentative Ausrichtung des gesamten Diskurses einzufügen. Allerdings wird sich dieser Eingriff nicht wie in den bis jetzt vorgestellten Fällen auf einen einzelnen Ausdruck und die Nutzung seines argumentativen Potentials begrenzen, sondern eher die Konzeption eines gesamten Sachverhalts innerhalb einer Proposition betreffen. Somit handelt es sich hier um ein satzinternes Phänomen, das dennoch aufgrund seiner diskursiven Funktion im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden soll. Prinzipiell wird dabei die Metonymie so eingesetzt, dass sie zu nicht prototypischen Besetzungen bestimmter Argumentpositionen eines Verbs führt, indem sie das eigentlich dort zu erwartende Argument nur indirekt bezeichnet und über den metonymischen Ausdruck einen weiteren, die Kausalrelation beeinflussenden Aspekt ins Spiel bringt. So ist es möglich, eine spezifische Sichtweise auf einen kausalen Sachverhaltszusammenhang zu erzeugen. Um dies näher erläutern zu können, muss der Begriff der Kausalitätsrelation zunächst kurz umrissen werden. Kausalität an sich lässt sich kaum definieren, da jeder Versuch am Problem der Zirkularität zu scheitern droht: Kausalität charakterisiert sich dadurch, dass sie Ursache und Wirkung zueinander in Beziehung setzt. Jedoch sind diese beiden Größen kaum unabhängig voneinander zu bestimmen. „La cause se définit par l’effet, et l’effet par la cause“ (Nazarenko 2000: 3). Dennoch ist der Zusammenhang von Ursache und Wirkung unbestreitbar ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Denkens. Wenn man auch zu keiner eindeutigen Definition gelangen kann, so steht doch zumindest der Weg offen, die Kausalität durch einige Charakteristika annähernd zu beschreiben. Nazarenko (2000: 4–6) tut dies anhand von fünf Punkten: Erstens besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, nämlich dass die Ursache der Wirkung vorausgehen muss. Zweitens bezieht sich eine spezifische Kausalitätsrelation auf ein verallgemeinerndes kausales Gesetz. Drittens muss die Abhängigkeit der Wirkung von der Ursache in einer Kausalitätsrelation hervorgehoben werden: Wenn P die Ursache der Wirkung Q ist, so ist es wahrscheinlich,

214 dass Q ohne das Eintreten von P nicht zustande gekommen wäre. Außerdem wird daraus klar, dass nur eine Tatsache P, bei der die Möglichkeit des Ausbleibens bestanden hätte, als eine Ursache angesehen werden kann. Viertens handelt es sich bei der Kausalität um eine approximative Relation, d. h. dass sie immer eine Vereinfachung beinhaltet: Meistens ist für das Eintreten einer Wirkung nicht nur die eine herausgegriffene Ursache verantwortlich. Es müssen weitere Nebenbedingungen erfüllt sein, die die Verursachung erst ermöglichen bzw. es müssen die Verursachung behindernde Zustände wegfallen. Diese Isolierung eines ursächlichen Faktors unter eventuell mehreren führt zur fünften Eigenschaft der Subjektivität. Kausalität kann weniger als eine reale Tatsache gewertet werden. Sie ist vielmehr als eine Betrachtungsweise, eine Lesart der Realität, zu sehen. V. a. die beiden letztgenannten Charakteristika der Kausalität verweisen auf das zuvor über Perspektive und Argumentation Gesagte, denn Kausalität ist immer abhängig von der Sichtweise, aus der man einen Sachverhalt beurteilt. Obwohl Kausalität an sich unabhängig von Sprache ist, kann Sprache den wichtigen Charakter von Kausalität in unserem Denken reflektieren. Nazarenko geht sogar so weit, Kausalität als eine sprachliche Größe einzustufen: „Il nous semble que la causalité peut aussi être considérée comme une notion linguistique. Paradoxalement, le fait qu’on n’arrive pas à cerner et à définir conceptuellement la notion de cause de manière satisfaisante fait qu’on en revient à la langue“ (Nazarenko 2000: 8). Da Kausalität nicht logisch zu definieren ist, muss man sich auf die Beobachtung ihres Ausdrucks in der Sprache beschränken. Dazu stehen u. a. Konnektoren, syntaktische Strukturen und bestimmte lexikalische Mittel zur Verfügung. Hauptsächlich drei Aspekte der Kausalitätsrelation können sprachlich charakterisiert werden: der Prozess der Verursachung insgesamt, die Wirkung und der Kausator (vgl. Nazarenko 2000: 8–10). Besonders der Kausator wird bei der Metonymie ins Zentrum der Betrachtungen rücken. Innerhalb des Satzes ist das Verb der erste Anknüpfungspunkt für den Ausdruck von Kausalität, da es als Prädikat mehrere Argumente bindet. So tritt der Kausator bei Verben, die einen Prozess mit einem Resultat ausdrücken, meist in der Subjektposition als Agens auf. U. a. hier kann die Metonymie eingreifen. Sie kann über die Ausnutzung der Kontiguitätsrelation den eigentlich anzunehmenden Kausator indirekt über den Bezug auf ein weiteres am Sachverhalt beteiligtes Element bezeichnen. Dieses tritt dann als metonymischer Ausdruck in der Kausator- bzw. Subjektposition des Verbs auf. So wird eine nicht prototypische Besetzung der Argumentposition hervorgerufen und damit eine spezielle Sichtweise erzeugt, ein spezifisches Element als Ursache hervorgehoben und ein bestimmtes argumentatives Ziel verfolgt. Anhand des Korpus konnte eine Reihe von Mustern festgestellt werden, nach denen die Metonymie in die Konzeptualisierung und die sprachliche Darstellung einer Kausalitätsrelation eingreifen kann. Es wurden folgende Möglichkeiten beobachtet: Das Instrument einer Handlung ersetzt den Verursacher, eine indirekte

215 Ursache oder eine Nebenbedingung tritt in die Rolle des eigentlichen Verursachers, oder ein Kollektivum schließt den einzelnen, unmittelbaren Verursacher mit ein. Für diese Typen sollen nun der Reihe nach einige Beispiele vorgestellt, daran die Problematik des Zusammenspiels von Metonymien und Kausalität im Allgemeinen sowie einzelne Eigenheiten der auftretenden Kontiguitätsrelationen im Speziellen erläutert werden. Begonnen wird mit der Relation zwischen Verursacher und Instrument. Einige derartige Fälle sind bereits in Kapitel 5 aufgetreten.2 Beispiel (142) beinhaltet eine Metonymie, die das Instrument einer Handlung wie das Agens, wie den Kausator, aussehen lässt: (142) Vu par les opposants, c’est une constante : la droite bafoue la jeunesse en prétendant l’aider.

En 1986, des gamins confrontés au chômage, persuadés que seul le diplôme universitaire préservera leurs chances, voient la réforme comme un obstacle à leur survie même : l’impossibilité matérielle de faire des études. En 1994, les prolétaires de l’enseignement supérieur, les BTS et les DUT, découvrent que leur parchemin ne les garantit pas contre le mépris social.

(Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „La jeunesse, maladie chronique de la droite“, S. 29.)

Durch die metonymische Verwendung in der Subjektposition wirkt „le diplôme universitaire“ wie die Ursache dafür, dass die Chancen auf dem Arbeitsmarkt gewahrt bleiben. Dabei weist der metonymische Ausdruck nur indirekt auf den eigentlichen Kausator hin, die Studenten, die sich mittels eines Universitätsabschlusses ihre Berufschancen sichern wollen. Es ist also zu erkennen, dass es stark von der Perspektive abhängt, wie die einzelnen Bestandteile in einem Kausalitätsverhältnis dargestellt werden. Insofern stellt die Metonymie eine besondere Sichtweise auf die Sachlage dar und hebt hervor, dass ohne den Abschluss die beabsichtigte Wirkung nicht zu erzielen ist. Dadurch kann der Sachverhalt in die Ausrichtung des Diskurses eingepasst werden: Die Bildungsreformen sollen aus der Sicht der Jugendlichen und Studenten dargestellt werden, um zu erklären, warum auf die Politik der konservativen Regierungen oft mit massivem Protest reagiert wurde. Für die Studenten sind die Abschlüsse und der Zugang zur entsprechenden Ausbildung von großer Wichtigkeit. Dem wird Rechnung getragen, wenn „le diplôme universitaire“ als Hauptursache für den beruflichen Erfolg hervorgehoben wird. Im Übrigen wird die enge Verbindung zwischen den Studenten und den Abschlüssen in der zweiten im Beispiel enthaltenen weiteren Metonymie unterstrichen: In „les BTS et les DUT“ verschmelzen die Arten der Abschlüsse und der jeweiligen Absolventen. Nicht vollständig von der Verknüpfung von Verursacher und Instrument zu trennen ist häufig die Ausnutzung der Verbindung von Verursacher und erzieltem Effekt. In Beispiel (143) liegt eher Letzteres vor. In (144) verschwimmen die Grenzen zwischen Instrument und Wirkung jedoch: 2

S. u. a. Beispiel (92) auf S. 161 und Beispiel (50) auf S. 118.

216 (143) Jeunes Pâques

Quand les anciens Polynésiens ont-ils construit les célèbres statues monolithiques de l’île de Pâques ? La chronologie admise date le premier peuplement entre 600 et 900 après JésusChrist. Redécouverte par les Hollandais en 1722, l’île de Pâques n’abritait plus que des autochtones survivant de maigres ressources. Elle a fourni le modèle d’une civilisation qui a connu un âge d’or de plusieurs siècles avant de provoquer son propre déclin en détruisant son habitat. Terry Hunt et Carl Lipo, anthropologues à Hawaï et à Long Beach, contestent cette version : d’après leurs nouvelles datations, l’île de Pâques n’aurait été peuplée que vers 1200, et son environnement aurait commencé à se dégrader à la même époque, sans connaître d’âge d’or (« Science », 17 mars 2006). (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Jeunes Pâques“, S. 51.)

(144) Samedi, 18 h 30, le chant du muezzin appelle à la prière du Maghreb, celle du soleil

couchant. Sur le trottoir du Guéliz, dans la ville nouvelle, le directeur commercial du Tanzania – vendu comme le premier club-restaurant en plein air du centre-ville – distribue luimême les prospectus publicitaires. Plus tard, dans le quartier de l’hivernage, les premiers clients s’installent dans les sièges moelleux du comptoir Darna, à l’atmosphère rouge et feutrée. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „A qui appartient Marrakech ?“, S. 18.)

Die Konstellation in Beispiel (143) ist verhältnismäßig selten zu finden. Mit „La chronologie admise“ nimmt das Produkt der Datierung, also die Wirkung der Handlung, mit der Subjektstellung die Position des Kausators ein. Diejenigen, die tatsächlich die Datierung vornehmen, sind die Wissenschaftler, die den Zivilisationsprozess auf den Osterinseln zeitlich nachzuvollziehen suchen. Sie werden durch „La chronologie admise“ nur indirekt über die Metonymie aufgerufen. Dies entspricht der Tatsache, dass sich die Darstellung zunächst an der bestehenden herrschenden Meinung orientiert. Wie diese hervorgebracht wurde, ist unwichtig. Dann aber schwenkt die Perspektive um, und es werden die beiden Anthropologen Hunt und Lipo selbst genannt, die die bisherige Version bestreiten. So werden eindeutig die beiden Wissenschaftler als Kausator gesehen, die Datierung und die Chronologie nur als ein durch sie hervorgebrachtes Produkt. Diese Darstellung und die Benennung der Verursacher mit Namen ist an dieser Stelle nur konsequent: Da es sich um eine neue Entdeckung oder Meinung handelt, ist es auch wichtig, zu wissen, von wem genau sie stammt. Im zweiten Ausschnitt, Beispiel (144), ist die Feststellung einer Kontiguitätsrelation zwischen dem Verursacher und der Wirkung nicht mehr eindeutig von einer Relation zwischen dem Verursacher und dem Instrument als Basis der Metonymie zu trennen. Mit (144) ist ein Beispiel für ein in dieser Hinsicht häufig auftretendes Muster gegeben: Ein Übertragungsmedium wird in Verbindung zu dem Initiator der Übertragung gesetzt und übernimmt durch die spezifische Konzeptualisierung des Sachverhalts mit Hilfe der Metonymie scheinbar die aktive Rolle und die Verantwortung für den Inhalt der zu übermittelnden Botschaft. Der Gesang, „le chant du muezzin“, ist entweder das Instrument für den Aufruf zum allgemeinen Gebet oder das Produkt, die Wirkung der Aktivität des Singens. Auf alle Fälle verweist das Medium des Gesangs metonymisch auf den Handelnden, den Sänger. Auch in diesem Beispiel erfolgt die Perspektivierung

217 des Prozesses in einer bestimmten Absicht: Mit der Hervorhebung des Gesangs wird die Stimmung, die Marrakesch in den Abendstunden des Samstags umgibt, noch besser vermittelt. Zu diesem Beispiel ist außerdem anzumerken, dass das beteiligte Verb vielmehr eine Aktivität als einen Prozess und sein Resultat beschreibt, was bei Verben mit kausaler Bedeutung typischerweise der Fall wäre. Insofern kann die Metonymie die Argumentstruktur eines Verbs auch in manchen Fällen, die nicht vollständig bzw. nur in weiterem Sinne einem Kausalitätsmuster entsprechen, beeinflussen. Dennoch erweckt auch dieses Beispiel durch die Subjektstellung von „le chant“ den Eindruck, dass der Gesang so etwas wie der Verursacher für die Handlung des Herbeirufens ist. Überaus deutlich wird die bewusste Wahl einer Sichtweise auf eine Situation und der argumentative Wert dieser Darstellung, wenn eine indirekte Ursache auf den unmittelbaren Auslöser hinweist, wie in den nächsten drei Beispielen: (145) N.O. – Le travail, c’est mauvais pour la santé.

M. Brooks. – C’est vrai. Il faut dire à vos lecteurs que « les Producteurs », le nouveau film, ajoutera cinq années à leur espérance de vie. Rire c’est bon pour le cœur. Prouvé ! Affirmatif ! Certifié ! (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mel Brooks. ‹ Rire, c’est bon pour le cœur ›“, S. 66.)

(146) Le SDF est une espèce à consommer pendant les mois en « r ». Comme les huîtres. En septembre, il en meurt déjà, mais il est trop tôt pour s’en indigner. Trop coton septembre, pas assez grosse laine et bise mordante. Trop tôt pour que l’hystérie caritative ne secoue la torpeur bureaucratique ou la panurgie médiatique de la rentrée sociale. « Le caractère saisonnier de l’aide tue tous les ans », écrit plaisamment Patrick Declerck dans « les Naufragés ». (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Une certaine idée de la rue“, S. 4.)

(147) Sans ces efforts, les émeutes auraient éclaté plus vite et plus fort. Mais tout cela s’épuise à la longue dans une France soumise depuis plus de vingt ans au chômage de masse. On a beau multiplier les activités, les formations, les rénovations, les « remédiations », les réhabilitations, rien ne remplace un emploi correct, qui procure stabilité pour aujourd’hui et espoir pour demain. Dans beaucoup d’endroits, le chômage des jeunes dépasse les 50% : cette oisiveté forcée et ce désespoir font brûler les voitures. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „La faute à qui ?“, S. 25.)

In (145) ist der Film nicht die direkte Ursache für ein längeres Leben. Nur das Ansehen des Films und das durch den Film ausgelöste Lachen können sich positiv auf die Lebenserwartung auswirken. Dass indirekt auf das Lachen Bezug genommen wird, macht der Folgesatz gut erkennbar, der gerade dieses Lachen („Rire“) anspricht. Natürlich muss Mel Brooks als Produzent des Films versuchen, diesen selbst in ein gutes Licht zu rücken. Dem kommt die Darstellung des Films als Hauptursache für eine positive Folge entgegen. Die kohärente Einfügung einer Information in die Aussageabsicht des Ausschnitts ist ebenso in (146) der Grund für die metonymische Verwendung von „le caractère saisonnier de l’aide“. Die unmittelbaren Todesursachen bei Obdachlosen sind die harten Lebensbedingungen auf der Straße, Hunger und Kälte. Doch

218 der Anthropologe Patrick Declerck versucht, zu zeigen, dass die Gesellschaft die Verantwortung für den Tod von Obdachlosen trägt. Somit ist es in diesem Zusammenhang argumentativ effizienter, das gesellschaftliche Handeln in Form der auf die Wintermonate beschränkten Hilfe als Ursache zu nennen. Die Perspektivierung und ihre argumentative Ausnutzung geht in diesem Fall so weit, dass zusätzlich eine polemisierende Wirkung erzielt wird. Schließlich setzt die Metonymie im letzten Satz des Beispiels (147) „cette oisiveté forcée et ce désespoir“ als metonymischen Ausdruck an die Stelle einer direkten Bezeichnung für den intendierten Referenten der jugendlichen Randalierer und nimmt damit ganz bewusst eine subjektive Perspektive auf die Geschehnisse ein:3 Die sozialen Missstände, die eigentlich die indirekte Ursache darstellen, nehmen die Rolle des Agens ein und lassen so die direkt ursächlich handelnden jugendlichen Krawallschläger zurücktreten. Die sozialen Verhältnisse als Hintergrund für die Unruhen in den Pariser Vorstädten werden als Handlungszwänge gesehen, die den Jugendlichen keinen Entscheidungsspielraum mehr lassen. Sie sind nur mehr Instrument und nicht mehr willentlich Handelnde. Diese Argumentationslinie wird noch deutlicher, wenn man sich die Verknüpfung der Metonymie mit dem vorhergehenden Kontext bewusst macht: Dass Arbeit und Hoffnung bzw. im Umkehrschluss Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit im Kontext dieses Artikels fast gleichzusetzen sind, erkennt man in den vorhergehenden Aussagen. Hier wird „emploi correct“ mit der Erzeugung von „stabilité pour aujourd’hui et espoir pour demain“ identifiziert. Damit impliziert „le chômage des jeunes“, das Topik des dem metonymischen Ausdruck vorangehenden Satzes, in gewissem Maße bereits die Hoffnungslosigkeit unter den Jugendlichen. Umso einfacher ist es also, „cette oisiveté forcée et ce désespoir“ im Folgenden als Topikausdruck einzusetzen und so gewissermaßen eine Progression mit abgeleitetem Topik aufzubauen. Diese Ableitung unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen des Texts schlägt sich auch in der Verwendung des Demonstrativartikels nieder, dessen Charakteristikum es ist, darauf hinzuweisen, dass mit dem betreffenden Ausdruck eine Reklassifizierung und Zusammenfassung des Vorausgehenden vorgenommen wird. Die auf diese Weise zumindest in gewissem Maße hergestellte Kontinuität unterstreicht zusätzlich die Argumentationslinie und die zu etablierende Perspektive: Alles zentriert sich um den Problemkomplex der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgen. 3

Dass die Kausativkonstruktion mit faire als Verkürzung etwa der Formulierung cette oisiveté fait brûler les voitures aux jeunes (quelqu’un brûle quelque chose = ‚jemand brennt etwas nieder‘) aufzufassen ist und die Untätigkeit und Hoffnungslosigkeit wörtlich als auslösende Ursache anzeigen soll, die auf die eigentlich Handelnden einwirkt, scheint gerade wegen des Implizitbleibens der Ausführenden unwahrscheinlich. In diesem Fall wäre der metonymische Charakter weniger deutlich. Vielmehr ist hier brûler als intransitives Verb (quelque chose brûle = ‚etwas brennt‘) zu verstehen. Durch die Kausativkonstruktion wird sodann die Untätigkeit und die Hoffnungslosigkeit als direkte Ursache präsentiert. Der so entstehende Widerspruch, dass Untätigkeit einen Brand entfacht, kann dann wiederum nur durch die metonymische Interpretation aufgelöst werden.

219 So treten die Jugendlichen, die streng genommen die direkten Verursacher der Brände sind, auch in der informationellen Progression vollständig in den Hintergrund, was die Nebensächlichkeit ihrer Rolle im kausalen Zusammenhang aus Sicht der verfolgten Argumentation unterstreicht. So wie eine indirekte Ursache oft wichtiger als die direkte Ursache erscheint, so lässt das verantwortliche Kollektivum als metonymischer Ausdruck nicht selten den individuellen Verursacher implizit bleiben und in den Hintergrund treten. Die Verantwortlichkeit der Institution ist ausschlaggebender als die der Ausführenden. Die Institution ist darüber hinaus einfacher zu identifizieren. Hier liegt die Motivation der Metonymie nicht zuletzt darin, eine gewisse Unbestimmtheit aufrechtzuerhalten und unbekannte oder unwichtige Details nicht präzisieren zu müssen: (148) C’est aussi dans ce lieu [Temara, in der Nähe von Rabat] que les Américains sous-traitent la torture à la police marocaine. Ce que la CIA appelle la « délocalisation des interrogatoires ». L’hebdomadaire « Newsweek » a révélé dans son édition du 28 février 2005 que des présumés terroristes marocains, incarcerés au bagne de Guantanamo, avaient été reconduits au Maroc, le 22 janvier à bord d’un Boeing 737 affrété par la CIA. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „L’islam des taudis“, S. 15.)

Auch wenn die Aufdeckung der Verschleppung angeblicher Terroristen einem bestimmten Journalisten zukommt, ist es in diesem Fall irrelevant, wer genau der Verursacher der Aufdeckung war. Es ist interessanter, die Zeitschrift als Informationsquelle zu nennen, in der man den Bericht im Einzelnen nachlesen könnte. Und in gewissem Maße ist es ja wirklich die Institution, die als beauftragende und veröffentlichende Instanz für die Enthüllung verantwortlich und verursachend ist. In dieser Hinsicht und mit dem Gedanken an die generelle Subjektivität der Kausalitätsrelation kann man sich bei diesem Beispiel sowie bei einigen anderen der Ausschnitte zur Kausalität die Frage stellen, ob dort überhaupt von einer Metonymie die Rede sein kann. In dem Maße, wie die Ursache einer Folge nur eine subjektive Konstruktion ist, kann sie folglich durch unterschiedliche an einem Ablauf beteiligte Entitäten verkörpert werden. Die Ursache oder den Verursacher objektiv festzustellen ist problematisch. Der Grad der Metonymizität hängt davon ab, wie offensichtlich das Quellkonzept der potentiellen Metonymie eben nicht der direkte Hauptverursacher, sondern nur ein weiterer Faktor zur Begünstigung des kausalen Zusammenhangs ist, wie allgemein der Konsens dieser Sichtweise ist und wie sehr die Selektionsrestriktionen des Verbs und die jeweiligen Eigenschaften des als Ursache dargestellten Subjekts kollidieren. Zum Abschluss der Überlegungen zur Kausalität und zu Kapitel 6.1.1 über die Perspektivierung durch Metonymien insgesamt soll ein Beispiel diskutiert werden, das alle drei durch Perspektivierung erzielten Effekte der Metonymie – argumentative Ausnutzung eines Ausdrucks, Gegenüberstellung und Interpretation einer Kausalitätsrelation – kombiniert und damit den gemeinsamen Kern

220 bzw. die fließenden Grenzen zwischen den einzelnen Fallgruppen nochmals erkennbar werden lässt: (149) Les dégâts sont au coin de la rue. Ainsi la rénovation urbaine. Entamée dans le quartier Bel-

sunce par l’expulsion de vieux travailleurs immigrés. Poursuivie rue de la République par la tentative de déplacements de locataires historiques. On a offert le terrain à la banque Lazard, à la Société générale ou au fonds de pension US Lone Star. Les veuves des pompiers de Dallas, pour toucher leurs dividendes, doivent expulser les vieilles dames de Marseille. Peur. Résistances. Des militants se révèlent. La mairie intervient pour limiter les dégâts.

(Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 27.)

Der Ausschnitt aus einem Artikel über die Stadt Marseille und die Mobilisierung von Gewerkschaften und Organisationen gegen Entlassungen und die generelle Marginalisierung ärmerer Bürger geht an dieser Stelle speziell auf die städtebauliche Politik in Marseille ein. Kritisiert wird, dass die Modernisierung nur auf begüterte, gutbürgerliche Schichten ausgerichtet ist und dafür alteingesessene Bewohner vertrieben werden bzw. ihnen das Bleiben durch hohe Mietkosten, Parkplatzabgaben etc. unmöglich gemacht wird. Diese Kritik wird durch die Metonymie in „Les veuves des pompiers de Dallas“ zugespitzt. Die amerikanischen Witwen werden in der Agens- und Subjektposition als Verursacher der Vertreibung von alten Marseiller Damen aus ihren Wohnungen hingestellt. Sie stehen indessen nur metonymisch für zwei weitere Instanzen, die als Verursacher in Frage kommen: einerseits die Verantwortlichen bei US Lone Star, die die Geschäfte betreiben und überhaupt erst diese Situation entstehen lassen, und andererseits deren ausführende Angestellten, die sich direkt um die praktische Ausquartierung der alten Damen in Marseille kümmern werden. Betrachtet man diese Kausalzusammenhänge näher, so erscheinen die Witwen eigentlich als am wenigsten ursächlich beteiligt. Sie sind nur ein relativ unbedeutendes Glied in der kausalen Kette. Warum dann also diese metonymische Perspektivierung der Kausalitätsrelation? Aus zwei Gründen: Erstens kann auf diese Weise eine Gegenüberstellung der „veuves de pompiers de Dallas“ und der „vieilles dames de Marseille“ in einer nichtbinären Opposition als Kohyponyme erfolgen. Der metonymische Ausdruck verkörpert den Gegenpol zu den „vieilles dames de Marseille“ und lässt so die Absurdität der Situation deutlich hervortreten. Die Witwen müssen den alten Damen, die sich in vergleichbaren Lebensumständen befinden und im gleichen Alter sind, Schaden zufügen, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Zweitens kommen die mit dem Ausdruck „veuves“ verbundenen Topoi ins Spiel: Normalerweise wird die gängige Vorstellung sein, dass Witwen alt, gebrechlich und harmlos sind. Andere alte Damen aus ihren Wohnungen zu werfen, passt nicht zu diesem Bild. Ein weiteres Mal wird die Absurdität der Situation und die Perfidie der wirtschaftlichen Interessen hervorgehoben. Die Stadt Marseille und die großen Konzerne bereichern sich auf Kosten der Schwächeren, spielen diese sogar gegeneinander aus und ziehen sich gleichzeitig aus der Verantwortung zurück. Somit dient die Metonymie an dieser Stelle der Her-

221 beiführung einer Sichtweise, die sich kohärent in die im Artikel ausgedrückte Kritik einfügt. So konnte dieses Beispiel abschließend nochmals zeigen, inwiefern Perspektivierung durch die Verwendung von Metonymien für die Kohärenz eines Diskurses nützlich sein kann. Außerdem konnten alle drei analysierten Möglichkeiten dieser Perspektivierung – die argumentative Ausnutzung eines Ausdrucks, die gezielte Gegenüberstellung und die Konzeptualisierung einer Kausalitätsrelation aus einem eigenen Blickwinkel – in Interaktion betrachtet und ihre Bedeutung für die Unterstützung von argumentativen Absichten aufgezeigt werden. 6.1.2

Einsatz der Metonymie für die Formulierung von Zusammenfassungen

Neben der Fähigkeit, eine Perspektive zu etablieren, macht eine weitere spezifische Eigenschaft der Metonymie diese generell dafür einsetzbar, Kohärenz zu schaffen: Wie u. a. in den Erklärungsansätzen für Metonymie als Ellipse (vgl. z. B. Le Guern 1973: 25–28, Warren 2002: 4–6) mitschwingt, kann die Metonymie durch die konzeptuelle Verknüpfung Sachverhalte stark komprimiert darstellen. So kann die Metonymie als Resümee oder als konzentrierte Vorausschau die wichtigen Aspekte eines Gedankengangs zusammenfassen (Kapitel 6.1.2.1), oder die parametonymische Struktur der Hypallage wird dazu eingesetzt, komplexere Sachverhalte zu raffen und sie dadurch besser in den Diskursverlauf einzufügen (Kapitel 6.1.2.2). 6.1.2.1 Metonymie als vorausschauende und resümierende Zusammenfassung Die Metonymie verbindet zwei Konzepte und ruft diese über einen einzigen Ausdruck auf. Dass so die doppelte Information geliefert und die zwischen den Informationseinheiten bestehende Verbindung aufgezeigt wird, prädestiniert die Metonymie dazu, als Instrument zur Zusammenfassung zu fungieren. Dies ist an mehreren Beispielen des Korpus zu beobachten. Folgendes Beispiel demonstriert, dass zwischen der Zusammenfassung und der in den vorhergehenden Kapiteln vorgestellten Perspektivierung kein Widerspruch bestehen muss. Im Gegenteil, beides kann sich ergänzen: (150) Les diplômes qui donnent du travail (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les diplômes qui donnent du travail“, S. 4.)

Als Überschrift zu einer ganzen Artikelreihe über die Berufswahl und die Entwicklungschancen in verschiedenen Branchen fasst dieser Titel den Inhalt der zugehörigen Einzelartikel in einem Stichpunkt zusammen: Metonymisch verbunden sind das Konzept des Abschlusses und das Konzept der Arbeitgeber aus

222 den einzelnen Branchen, die Absolventen mit dem jeweiligen Abschluss suchen und ihnen aufgrund des Abschlusses Arbeit anbieten. Der „Umweg“ über den Arbeitgeber wird ausgeblendet und der Sachverhalt reduziert. Gleichzeitig wird es so möglich, die enge Verbindung zwischen Abschluss und Chancen am Arbeitsmarkt zu veranschaulichen. Diese Perspektivierung ist zugleich eine Stellungnahme dafür, sich die Wahl der Ausbildung und des Abschlusses gut zu überlegen. Damit trägt hier die Zusammenfassung, wie in den meisten Fällen, nebenbei einen argumentativen Charakter. Nicht selten beinhaltet sie nämlich die Reduktion einer Kausalitätsrelation auf die wichtigsten Faktoren.4 Außerdem ist zu bemerken, dass die Metonymie als Zusammenfassung nicht nur in ganzen Sätzen, sondern, wie auch im vorliegenden Fall, häufig in einzelnen als Titel von Artikeln oder Abschnitten gebrauchten Syntagmen auftreten kann. Die typischen Stellen, an denen Metonymien als Zusammenfassung anzutreffen sind, sind entweder der Anfang bzw. der Titel – so auch im vorangegangenen Beispiel – oder das Ende eines Artikels oder Abschnitts. Hier übernimmt es die Metonymie, vorbereitend eine Vorausschau auf den Inhalt zu geben oder im Rückblick ein fazithaftes Resümee zu bieten. Auf diese Weise stärkt die Metonymie wiederum die Kohärenz, da sie im Voraus bzw. im Nachhinein absichert, dass der Leser des Artikels die einzelnen Fakten richtig einordnet, zumindest in groben Zügen zur beabsichtigten Interpretation gelangt und den generellen Gedankengang des Artikels nachvollziehen kann. Außerdem entsteht ein kohäsiver Effekt, da die Zusammenfassung mit sich bringt, dass einige wichtige Schlüsselbegriffe wiederholt werden und auf diese Weise lexikalische Rekurrenz entsteht. Im Folgenden werden einige Beispiele nochmals den vorausschauenden Charakter illustrieren: (151) Industrie. Les filières qui carburent (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.)

(152) La télé prend des couleurs (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La télé prend des couleurs“, S. 47.)

(153) La planète a soif (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La planète a soif“, S. 48.)

Ob nun mit der Metonymie in (151) das Konzept der Studiengänge auf die Industriezweige und deren Maschinen, in bzw. an denen die Absolventen tätig werden, in (152) das Konzept der Hautfarbe auf dunkelhäutige Moderatoren oder in (153) der Planet Erde auf die dort lebende Bevölkerung verweist – eins haben alle gemeinsam. Es handelt sich um die Titel der jeweiligen Artikel, die deren Problematik zusammenfassen: die Darstellung der Industrie als viel versprechenden Wirtschaftszweig mit guten Chancen für Absolventen, größere Vielfalt durch 4

Hierin gleicht das vorliegende Beispiel dem inhaltlich sehr ähnlichen Beispiel (142) (S. 215).

223 den vermehrten Einsatz dunkelhäutiger Moderatoren im Fernsehen und das Problem der Wasserverteilung auf der Erde am Beispiel eines Staudammbaus in Mexiko. Damit geben sie dem Leser von Anfang an eine grobe Orientierung an die Hand. Ein zusammenfassender Rückblick findet sich in folgendem Ausschnitt:5 (154) Nous sommes des Algériens, c’est tout, des êtres multicolores et polyglottes, et nos racines plongent partout dans le monde. Toute la Méditerranée coule dans nos veines.

(Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mes chers compatriotes“, S. 52.)

Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal beschäftigt sich in dem Artikel, aus dem die zitierten Sätze stammen, mit der algerischen Identität. In dem Abschnitt, dessen Schluss die zitierten Zeilen bilden, hinterfragt er die Abstammung der Algerier und die Behauptung, die Algerier seien Araber. Er kommt zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall ist. Zu vielfältig und gemischt ist die Herkunft der Algerier, angefangen von den in Algerien lebenden Türken, Juden, Tuareg, Kabylen bis hin zu den Franzosen oder chinesischen Einwanderern. Sein Fazit lautet deshalb: „Toute la Méditerranée coule dans nos veines“. „Toute la Méditerranée“ ist natürlich metonymisch zu verstehen und bezeichnet indirekt die im Mittelmeerraum lebenden Völker bzw. deren Blut. Dies wiederum weist auf die Vererbung wichtiger Merkmale und die Verwandtschaft hin. An dieser Stelle muss ein weiteres Spezifikum der Metonymie in zusammenfassender Funktion angesprochen werden. Sie ist oft sehr kreativ und wird häufig auch aus stilistischen Motiven eingesetzt. Dies rührt daher, dass sie die konzeptuellen Verbindungen dafür ausnutzt, die nur im jeweiligen Diskurs geltenden individuellen Bezüge klarzustellen. Auch wenn die einzelnen Kontiguitätsverhältnisse (z. B. zwischen Ausbildung und Arbeitsbereich, zwischen Hautfarbe und Person oder zwischen Ort und Bewohnern) bei der Modellierung als Frames relativ fest gefügt erscheinen, werden sie auf eine spezifische Weise aktualisiert und mit Fortsetzungen versehen, die absichtlich weitere Ambiguitäten hervorrufen. Nicht selten wird dieser Effekt erreicht, indem die Metonymie mit weiteren Konzeptualisierungsmechanismen – weiteren Metonymien oder Metaphern – kombiniert wird. In (151) wird die Metonymie in „Les filières“ mit einer weiteren verknüpft: Das Verb „carburent“ ist nämlich ein metonymischer Hinweis darauf, dass die Maschinen der betreffenden Sektoren auf Hochtouren laufen, also viel produzieren, und der Wirtschaftszweig prosperiert. Beispiel (152) transportiert neben der metonymischen noch eine metaphorische Bedeutung. Man könnte alternativ „couleurs“ metaphorisch so interpretieren, dass endlich mehr Abwechslung ins Fernsehen kommt, was gerade durch den Einsatz neuer Moderatoren mit unterschiedlicher Abstammung und Hautfarbe erreicht werden soll. In (154) bauen, wie erläutert, mehrere Metonymien aufeinander auf. Das Zusam5

Auch das bereits im Zusammenhang mit der Gegenüberstellung besprochene Beispiel (141) (S. 211) enthält ein solches abschließendes Resümee.

224 menspiel von Metapher und Metonymie wird später in Kapitel 6.2.2.4 nochmals ausführlicher behandelt. Festzuhalten ist, dass die Metonymie zur Verkürzung und Komprimierung komplizierterer Sachverhalte am Ende oder Anfang des Texts einen Überblick als Leitfaden oder Fazit anbieten kann und durch diese Rahmung einen Beitrag zur Kohärenz leistet. Die Komprimierung der wesentlichen Gedankenschritte eines längeren Texts kann insbesondere durch einen hohen Abstraktionsgrad und die Kreativität der metonymischen Verbindung erreicht werden. Dafür ist auch die Kombination mit dem Konzeptualisierungsinstrument der Metapher geeignet. 6.1.2.2 Hypallage als Möglichkeit zur Raffung Eine ebenfalls verkürzende und zusammenfassende Wirkung hat die Hypallage, die in Kapitel 2.2.2.3 als metonymieverwandte Figur vorgestellt wurde. Die Hypallage besteht darin, dass der syntaktische Bezug eines Attributs, meist eines Adjektivs, nicht mit dessen semantischem Bezug übereinstimmt. Der eigentliche semantische Bezugspunkt kann im Diskurs an anderer Stelle ausformuliert sein, bleibt aber meist implizit. Falls der eigentliche semantische Bezugspunkt des in der Hypallage verwendeten Adjektivs in der Tat implizit bleibt, so stellt sich eine der zusammenfassenden Funktion der Metonymie sehr ähnliche Wirkung ein. Da, ohne dass dieser Bezugspunkt verbalisiert wird, das betreffende Konzept dennoch mitverstanden wird, gelingt es der Hypallage, zusätzliche Informationen an einen Ausdruck zu binden. Damit wirkt auch sie ellipsenhaft. Allerdings wird diese Art der Komprimierung anders eingesetzt als im vorhergehenden Kapitel für die Metonymie beschrieben. Die Zusammenfassung und Verkürzung eines Sachverhaltes erscheint nicht als fazithaftes Resümee, eher als Raffung innerhalb des Diskursverlaufs, und nähert sich damit der Einfügung von Informationen im Sinne von Kontinuität wie z. B. bei der Syllepse an. Diese Raffung gewährleistet letztlich, dass der wiederzugebende Gedankengang nicht zerfällt und sich auf das Wesentliche konzentriert, was der Kohärenz zugute kommt. Dazu einige Beispiele: (155) Et pour la plupart des analystes, la violation du traité de non-prolifération (TNP) par Téhéran risquerait aussi d’entraîner une dynamique de prolifération très inquiétante au Moyen-Orient. Une nucléarisation de l’Iran pourrait ainsi raviver les ambitions atomiques de l’Arabie Saoudite, de l’Egypte, voire de la Turquie, et consacrer l’échec définitif des accords internationaux de non-prolifération.

(Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Iran. Les clés de la crise nucléaire“, S. 33.)

(156) Il y aura un avant et un après-novembre 2005 et pas seulement dans les cités semées de carcasses calcinées. Une fois le calme revenu, la France va-t-elle s’installer dans la division, admettre sur son sol des zones entières vivant dans la dissidence, tracer autour d’elles une

225 frontière de protection casquée, les soumettre par impuissance sociale au quadrillage des camions à gyrophare et à un couvre-feu issu de la guerre d’Algérie ? Ou bien, par un effort nouveau et des mesures réalistes, qui marqueraient une rupture, s’engager franchement sur la voie de la réunification républicaine ? (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „La faute à qui ?“, S. 25.)

(157) Objectif des pouvoirs publics : faire de cette région de l’Atlas un nouveau Megève. Uto-

pique ? Dans le cadre du plan Azur, programme ambitieux orchestré par le roi, qui vise à attirer 10 millions de touristes au Maroc en 2010, la wilaya de Marrakech est en première ligne. Ambition des décideurs marocains : faire de cette région la Floride de l’Afrique. Avec des touristes plutôt haut de gamme. Leurs activités sur place ? La plage à Essaouira, le ski à Oukaimeden, la culture et le golf à Marrakech. Palm Springs aux portes du désert. Gstaad, Saint-Tropez et Miami dans le même packaging. Projet babylonien. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le nouveau Maroc“, S. 8.)

(158) Les cinq autres salles françaises où il est projeté affichent, chacune, entre 500 et 1 000 en-

trées. Rien à voir, bien sûr, avec les 4 millions de spectateurs recensés en Turquie, où le film enregistre depuis cinq semaines le plus gros score de l’histoire du cinéma local. En France, ce sont les spectateurs turcs eux-mêmes qui l’ont demandé. Tous les jours, le répondeur du distributeur Too Cool était saturé de messages. Les exploitants français des salles frontalières avec l’Allemagne et la Belgique, où le film était sorti, se désespéraient de voir des clients leur échapper par cars entiers affrétés pour l’occasion. « Nous avons alors demandé au CNC l’autorisation d’avancer la sortie du film prévue pour fin avril au 1er mars », explique la responsable de programmation de Too Cool. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Fort comme un film turc“, S. 47.)

In Beispiel (155) lässt das Adjektiv „atomiques“ durchscheinen, dass sich die Ambitionen und das Streben der arabischen Staaten auf die Anschaffung und Konstruktion von atomaren Waffen ausrichten. In Beispiel (156) vermittelt das Adjektiv „casquée“ eine genauere Vorstellung, wie die Grenze zum Schutz der Bürger vor den ärmeren Schichten aus den Vororten aussehen könnte: Uniformierte und behelmte Polizisten oder Soldaten würden die Aufgabe übernehmen. In Beispiel (157) wird durch das Attribut „plutôt haut de gamme“ auf die qualitativ hochwertigen Leistungen verwiesen, die die künftigen Touristen in Anspruch nehmen sollen. Diese Charakterisierung der Touristen ist wohl zugleich mit einem ironischen Unterton auf sie selbst bezogen zu verstehen, weist sie doch gleichzeitig auf die gute Finanzkraft der Zielgruppe hin, die diese Touristen für die marokkanische Wirtschaft besonders lukrativ macht. Zuletzt wird in (158) die präzisere, dafür umständlichere Erklärung vermieden, dass es sich um die Kinos handelt, die in Städten oder Regionen nahe der Grenze zu Deutschland oder Belgien liegen. Sie ist auch nicht nötig, denn sie wird in der Hypallage durch die semantisch nicht ganz auf „salles“ zutreffende Qualifizierung durch das Adjektiv „frontalières“ mitverstanden. Gut zu erkennen ist in allen Beispielen die Ähnlichkeit zur Ellipse und die Komprimierung ohne einen Informationsverlust. So bewirkt die Hypallage durch die Raffung, dass zusätzliche Präzisierungen eingefügt werden können, ohne den Gedankengang in seinem Fluss zu stören. In Vorkommen der Hypallage, in denen das passende Bezugswort für das

226 „verschobene“ Adjektiv im linken oder rechten Kotext doch noch auftritt, erhält die diskursive Funktion der Hypallage einen etwas anderen Schwerpunkt. Sie bewirkt einerseits an der Stelle, an der sie auftritt, die soeben beschriebene Raffung. Andererseits realisiert sie eine Art Vorankündigung oder Rückverweis auf ihren eigentlichen semantischen Bezugspunkt und verkörpert so die Verbindung zwischen den beiden betroffenen Nominalphrasen bzw. den damit verbundenen Konzepten: (159) Une Amérique latine de gauche ? Evidemment non. Entre le Venezuela flamboyant de

Hugo Chávez et le Chili sage de Michelle Bachelet, entre le Brésil orthodoxe de Lula et la Bolivie fragile d’Evo Morales, quel rapport ? L’hostilité aux Etats-Unis ? Même pas. Le Brésil, l’Argentine et le Chili soignent scrupuleusement leurs relations avec le grand voisin, tandis que le Venezuela cache derrière sa rhétorique guerrière de bonnes relations commerciales avec Oncle Sam. Un rejet du néolibéralisme ? Sans doute, mais pas seulement celui des Américains.

(Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 7.)

(160) Mais ces filières restent méconnues des familles et des employeurs. A preuve, ce ter-

rible sondage, réalisé récemment auprès de jeunes, de parents d’élèves et de dirigeants d’entreprise. A la question « Quelle formation supérieure prépare le mieux un jeune à affronter le monde du travail ? » 62% des dirigeants d’entreprise répondent « les grandes écoles », 30% « les IUT » et 5% « une autre formation universitaire ».

(Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’université bouge“, S. 6.)

(161) Ce philosophe d’un bon quintal, membre de la Société psychanalytique de Paris, est consi-

déré comme l’un des meilleurs experts européens de la désocialisation. En 2001, il a publié « les Naufragés », un essai consacré aux sans-logis, aux clochards, vendu à 50 000 exemplaires. En 2005, il récidive avec « Le sang nouveau est arrivé ». Sous-titre : « L’horreur SDF ». Une visite grinçante dans les caves de nos démocraties consensuelles. Un voyage dans les recoins, les encoignures, les enfoncements, les abris de fortune, où chaque année, prévue, surveillée, suivie, mesurée, la vague de froid tue. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Une certaine idée de la rue“, S. 4.)

In (159) kommt die Fähigkeit der Hypallage zum Einsatz, Verbindungslinien zwischen zwei Nominalphrasen bzw. den ihnen zugrunde liegenden Konzepten zu ziehen und so die Kohärenz des Diskurses zu steigern. Insbesondere für „le Venezuela flamboyant de Hugo Chávez“ und „le Chili sage de Michelle Bachelet“ muss man sich fragen, ob die Eigenschaften, die formal den Ländern zugeschrieben werden, nicht eher auf die Staatsoberhäupter zutreffen. So wird die enge Verbindung zwischen dem Land und dem Regierenden, der durch seinen Stil die Politik und in gewissem Sinne das ganze Land formt, sichtbar gemacht. In den beiden anderen Beispielen findet sich jeweils ein Vorverweis auf den Folgediskurs. Das Adjektiv „terrible“ in „ce terrible sondage“ aus Beispiel (160) bezieht sich nicht auf das Konzept der Umfrage an sich, sondern auf das kontige Konzept des Umfrageergebnisses. Das Ergebnis wird im auf die Hypallage folgenden Diskurs zwar nicht direkt als solches benannt, aber durch die Aufzählung der Antworten auf die gestellten Fragen erläutert.

227 In Beispiel (161) ist „visite grinçante“ zunächst metaphorisch zu interpretieren. Der Besuch in den dunklen Ecken der Demokratie, die Reise in die abgelegene Welt der Obdachlosen ist ein bildhafter Bezug auf den Bericht des Anthropologen Patrick Declerck, der dem Leser anhand seiner Schilderungen wie auf einer Besichtigungstour die Situation der Obdachlosen und die fehlende Hilfestellung durch die Gesellschaft vorführt. In diesem Sinne könnte „grinçante“ den schneidenden, bitter-ironischen Ton des Berichts meinen. Zugleich kann das Adjektiv grinçant als ‚knirschend‘, bezogen auf Schnee und Kälte, verstanden werden. Diese Interpretation bietet sich ebenfalls an, bedeutet doch für die Obdachlosen im Winter der Kampf gegen die Kälte einen Kampf ums Überleben. Dies kommt mit den Worten „la vague de froid tue“ zum Ausdruck. „Grinçante“ könnte also als Hypallage auch auf die Kältewelle bezogen sein. Mit dieser doppelten Interpretationsmöglichkeit von „Une visite grinçante“ werden zusätzliche Bezüge zum restlichen Diskurs geschaffen. So gelingt es der Hypallage in Fällen, in denen sie auf das eigentliche, im Kotext vorhandene Bezugsnomen verweist, insofern zusammenfassend zu wirken, als sie durch zusätzliche Querverbindungen einzelne Teile zu einem Ganzen eint. Abschließend lässt sich für Kapitel 6.1 feststellen, dass die Metonymie neben ihrer Rolle für die Diskurskontinuität auch im Sinne der Kohärenz eines Diskurses eingesetzt werden kann. Durch die Unterstützung einer Perspektive, die im Quellkonzept und im metonymisch verwendeten Ausdruck verkörpert wird, trägt sie dazu bei, dass sich einzelne Ideen in die Ausrichtung des Diskurses einfügen und diesen zu einem stimmigen Ganzen werden lassen. Dabei kann der Ausdruck selbst auf eine argumentative Richtung hinweisen, es kann durch die Zuspitzung einer Gegenüberstellung mit Hilfe der Metonymie ein wichtiger Punkt herausgearbeitet werden oder eine Kausalitätsrelation von einem spezifischen Standpunkt aus konzeptualisiert werden. Außerdem eignet sich die Metonymie durch ihren elliptischen und verkürzenden Charakter für fazithafte Zusammenfassungen am Ende eines Texts oder für vorausblickende, einen Leitfaden für die Lektüre bildende Überschriften. Auch die Hypallage kann Zusammenhänge raffend verkürzen und durch die Herstellung von Querbezügen mehrere Ideen zu einem kohärenten Ganzen verbinden.

228

6.2

Gegenüberstellung der Metonymie und der Metapher in Bezug auf Kontinuität und Kohärenz

6.2.1

Metapher, Kontinuität und Kohärenz

Die Metapher als wichtiger Konzeptualisierungsmechanismus teilt, wie gezeigt wurde (s. Kapitel 2.2.2.4), einige generelle Eigenschaften mit der Metonymie. Ihr wird außerdem des Öfteren eine kohärenzstiftende Funktion zugeschrieben. Deshalb soll hier ein kurzer Ausblick auf die Metapher und ein Vergleich mit der Metonymie in Bezug auf deren Vermögen, bei der Herstellung von Kohärenz und Kontinuität mitzuwirken, angestellt werden. Um eine Basis für den Vergleich zu schaffen, geht es zuerst allein um die Metapher und ihre Rolle im Diskurs. Dabei wird sich v. a. die Ausnutzung konzeptueller Metaphern als Mittel für Kohärenz herausstellen (Kapitel 6.2.1.1). Ob und inwiefern Metaphern mit Anaphorisierungen interagieren, soll in Kapitel 6.2.1.2 geklärt werden. An die Ergebnisse kann dann das nächste Kapitel 6.2.2 mit dem eigentlichen Vergleich von Metapher und Metonymie anknüpfen. 6.2.1.1 Konzeptuelle Metapher und ihre kohärenzstiftende Funktion im Diskurs Eine kurze Einführung zum Begriff der Metapher wurde in Kapitel 2.2.2.4 gegeben. Dort sind auch die Unterscheidungskriterien zwischen der Metapher und der Metonymie aufgelistet. U. a. wurde zur ersten Orientierung folgende Definition der Metapher (s. Kapitel 2.2.2.4, S. 54) angeführt: „Metaphor is the cognitive mechanism whereby one experiential domain is partially ‘mapped’, i. e. projected, onto a different experiential domain, so that the second domain is partially understood in terms of the first one“ (Barcelona 2003: 3). Ebenfalls angesprochen wurde, dass die traditionellen Vergleichs- und Substitutionstheorien die Metapher als einen impliziten, verkürzten Vergleich bzw. als eine Ersetzung des eigentlichen Begriffs konzipierten. In der Metapher wurde demnach lange Zeit nichts weiter als eine semantische Anomalie mit dem Ziel der rhetorischen Ausschmückung erkannt (vgl. Pielenz 1993: 61–64, Feng 2003: 17–26). Unter dieser Annahme ist es schwierig, die kohärenzstiftenden Momente der Metapher zu erkennen, da gerade der semantische Bruch und die Figuralität im Vordergrund stehen. Für auf die Kohärenzeigenschaften der Metapher ausgerichtete Analysen sind die kognitiven Theorien fruchtbarer. Was die kognitive Theorie der konzeptuellen Metapher betrifft, so sei für die Zwecke dieser Arbeit in aller Kürze lediglich auf die folgenden Aspekte verwiesen: In der kognitiven Herangehensweise werden als Motivation der Metapher nicht mehr Substitution und Vergleich angenommen. Die Betrachtungen sind

229 nicht mehr auf die rein sprachliche Ebene beschränkt, sondern umfassen die gesamten kognitiven Fähigkeiten des Menschen. Die Metapher ist nicht mehr nur ein rhetorisches Stilmittel, sondern ein genereller Konzeptualisierungsmechanismus, der sich auch in den vielen nicht rhetorischen und völlig alltäglichen Vorkommen in unserem Sprachgebrauch bemerkbar macht. Die Grundidee besteht darin, dass eine Entität aus der Perspektive einer anderen Entität konzipiert wird. Man kann sich dies so vorstellen, dass die konzeptuelle Struktur der einen Entität (Quellkonzept) als Folie auf das Konzept der zweiten Entität (Zielkonzept) angewendet wird und diesem seine Strukturierung überträgt. Dadurch werden bestimmte Eigenschaften des Zielkonzepts betont, andere treten zurück. Diese Herangehensweise wurde in den 80er und 90er Jahren in der konzeptuellen Metapherntheorie insbesondere von Lakoff und Johnson ausgebaut. Es wird angenommen, dass die metaphorische Verwendung von Sprache auf eine entsprechende Strukturierung unseres gesamten Denkens zurückzuführen ist (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 3–6, 19–21, 56–68). Unter der Annahme, dass die Konzeptualisierung der Welt unsere Sprache beeinflusst, kann Sprache umgekehrt ein Hinweis auf die Ordnung der Konzepte in unserem Denken z. B. durch metaphorische Strukturen sein. Aus der Beobachtung, dass die Kombination einiger Konzepte sehr viel produktiver in der Hervorbringung von sprachlich manifesten Metaphern ist als die Kombination anderer Bereiche, folgern Lakoff und Johnson (1980: 6–9, 56–60), dass zwischen bestimmten Konzepten konventionalisierte Verbindungen bestehen, die Metaphernbildung begünstigen. Diese Verknüpfungen nennen sie konzeptuelle Metaphern. Wichtig ist, an diesem Punkt deutlich zwischen den konzeptuellen Metaphern und einzelnen sprachlich realisierten Metaphern zu unterscheiden: Konzeptuelle Metaphern sind generelle konzeptuelle Schemata. Immer wieder dafür angeführte Beispiele sind die Konzeptualisierung von Theorien als Gebäude oder die Konzeptualisierung einer Diskussion als Krieg oder Kampf. Diese Quell- und Zielkonzepte verfügen über mehrere Rollen (für das letztere Beispiel einerseits die Teilnehmer der Diskussion, die Argumente etc. und andererseits die Soldaten, die Waffen und Verteidigungsmittel etc.). Dadurch lassen sich von den konzeptuellen Metaphern unterschiedliche Instantiierungen ableiten, die auf unterschiedlichen Aspekten der generellen Relation beruhen (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 6, Pielenz 1993: 71–73, Feng 2003: 130–137, Evans/Green 2006: 294f.) und die zu einzelnen sprachlich realisierte Metaphern führen. So ist die konzeptuelle Metapher Theorien als Gebäude der Ausgangspunkt für die Ableitung von Formulierungen wie das Fundament einer Theorie, eine Theorie einstürzen lassen; die konzeptuelle Metapher Diskussion als Krieg schlägt sich z. B. nieder in ein Argument angreifen oder mit einer Kritik ins Schwarze treffen.6 Um 6

Zahlreiche weitere Beispiele werden auch in Lakoff/Johnson (1980), in Pielenz (1993), Evans/Green (2006) und vielen anderen angeführt. Zu einer ausführlichen Analyse z. B. der konzeptuellen Metapher Politik als Krieg s. Klein (2002).

230 Verwechslungen auszuschließen, werden im Folgenden die allgemeinen grundlegenden Schemata immer ausdrücklich als konzeptuelle Metaphern bezeichnet. Die Theorie der konzeptuellen Metaphern nimmt als weitere wichtige Voraussetzung an, dass die konzeptuellen Metaphern auf unserer Interaktion mit unserer Umgebung und auf unseren Erfahrungen mit der Welt basieren (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 56–60). Ein Beispiel hierfür wäre die konzeptuelle Metapher, nach der Quantität als vertikale Größe verbildlicht wird. So in den sprachlichen Ausdrücken der steigende Absatz eines Produkts oder ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung. Diese konzeptuelle Metapher könnte durch die Wahrnehmung von Quantität in unserem täglichen Leben motiviert sein. Oft ist ein Mengenzuwachs mit einem vertikalen Höhenzuwachs verbunden: Legt man mehr Bücher aufeinander, so wird die Menge größer, der Stapel höher. Konzeptuelle Metaphern liegen damit zumindest zum Teil in unserer Wahrnehmung der Welt begründet. Eine weitere Annahme der Theorie der konzeptuellen Metaphern ist die Unidirektionalität. Dies bedeutet, dass die Übertragung immer nur vom Quellkonzept auf das Zielkonzept erfolgen kann, also z. B. nur vom Konzept des Kriegs auf das Konzept der Diskussion, aber nicht umgekehrt. Quellkonzepte stammen meistens aus Bereichen wie z. B. menschlicher Körper, Tiere, Pflanzen, Ernährung etc. Demgegenüber sind die Zielkonzepte der Metaphern eher in Bereichen wie z. B. menschliche Beziehungen, Moral oder Zeit zu finden. Quellkonzepte erfüllen folglich ihre Funktion, weil sie konkreter sind und helfen können, die abstrakteren, schwerer zu strukturierenden Zielkonzepte fassbar zu machen (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 46–51, 56–60, Evans/Green 2006: 296f.). Außerdem lösen Metaphern über im Quellkonzept enthaltene Implikationen zusätzliche Inferenzen aus, die ebenfalls auf das Zielkonzept projiziert werden können. Z. B. korrespondieren in dem Ausdruck das Fundament einer Theorie die Voraussetzungen der Theorie mit dem Fundament eines Gebäudes. Der Gedanke an ein Baufundament wiederum impliziert, dass dieses Fundament wichtig ist für den Bestand des restlichen Gebäudes, für seine Stabilität etc. Die durch die Metapher geschaffene Verbindung zwischen Quelle und Ziel führt dann dazu, dass diese Eigenschaften der Quelle durch Inferenzen auf das Ziel übertragen werden (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 10–13, Evans/Green 2006: 303f.). Aus den hier zusammengefassten Annahmen zu Metaphern aus kognitiver Sichtweise ergeben sich zwei Punkte, die eine kohärenzrelevante Funktion der Metapher begründen könnten. Als Erstes ist die Strukturierung des Zielkonzepts durch das Quellkonzept einer konzeptuellen Metapher wichtig. Wie erläutert, werden Implikationen des Quellkonzepts auf das Zielkonzept übertragen. Da das Quellkonzept und seine Implikationen normalerweise in sich kohärent sind, wird diese Kohärenz dabei mittransportiert. Dies ist deshalb von Vorteil, da die Struktur des Zielkonzepts aufgrund höherer Abstraktheit schwerer zu erkennen und nachzuvollziehen ist. Man könnte die konzeptuelle Metapher als ein Modell

231 verstehen, das Weltwissen zur Verfügung stellt, um durch Inferenz Lücken in der Kohärenz des Diskurses zu schließen oder Informationen besser einzusortieren (vgl. Pielenz 1993: 100–104, Feng 2003: 167–179). Als Zweites könnten metaphorische Ausdrücke dann die Kohärenz steigern, wenn sie vermehrt auftreten und untereinander zusammenpassen, da sie sich in diesem Fall unter das gleiche Schema, die gleiche konzeptuelle Metapher, einordnen lassen und so noch enger zusammenrücken. Damit wird die Verbindung zwischen den einzelnen metaphorischen Ausdrücken besonders deutlich. Natürlich hängen die beiden Faktoren für Kohärenz zusammen: Wird in einem konkreten Fall ein Zielkonzept durch das Quellkonzept kohärent strukturiert, so ist es nur wahrscheinlich, dass die dahinter stehende konzeptuelle Metapher und ihre Implikationen weitere dazu passende metaphorische Ausdrücke hervorbringen.7 Aus Platzgründen und da das Hauptinteresse in dieser Arbeit auf der Metonymie liegt, werden hier nur einige wenige Beispiele zur kohärenzstiftenden Funktion der Metapher angeführt und auch nur relativ kurz beschrieben. Viele interessante und ausführlich analysierte Beispiele zum Thema der Metapher und der Kohärenz finden sich in Feng (2003). Die zur Illustration der Metapher und ihrer Funktion im Diskurs angeführten Beispiele stammen aus demselben Korpus, das auch für die Untersuchung der Metonymie verwendet wurde. Allerdings wurden die Belege zur Metapher weniger systematisch und nur ergänzend gesammelt. Die folgenden Beispiele demonstrieren die Strukturierung eines Zielkonzepts durch ein Quellkonzept und die Kombination mehrerer metaphorischer Ausdrücke, die aus einer konzeptuellen Metapher hervorgehen. (162) Le succès des gratuits scandinaves ? Il se lit partout. Certains pays comme l’Allemagne ré-

sistent. Aucun n’échappe à l’invasion : en Espagne, avec 2,3 millions d’exemplaires, « 20 Minutos » a ravi à « El País » son leadership de la presse quotidienne. En France, les frères ennemis écoulent chaque matin près de 1,5 million d’exemplaires. L’effet d’imitation ? Spectaculaire. Petit pays de 11 millions d’habitants, la Grèce compte 15 tirages gratuits. Préservée jusqu’ici de l’invasion, la Grande-Bretagne a vu surgir un gratuit financier, « City AM », venu défier le « Financial Times » dans le temple de ses exploits. Cette irruption des gratuits a dans un premier temps réveillé les médias qu’elle ne réussissait pas à tuer : grâce aux produits dérivés (CD, DVD et autres encyclopédies), « la Repubblica », désormais tout en couleurs, a publié les meilleurs résultats de son histoire. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Gratuits : le vent du Nord“, S. 31.)

(163) Il [der Schriftsteller Eugène Ebodé] juge l’anglais « assourdissant de prétention. La langue la

plus parlée au monde étant le mandarin, la plupart des écrivains préoccupés par l’inscription comptable devraient donc se dépêcher de s’inscrire aux LanguesO. Je vous assure que je ne suis pas prêt à abandonner le français pour le mandarin ou toute autre juteuse mandarine

7

Für eine kohärenzstiftende Funktion der Metapher sprechen auch die Ergebnisse von Experimenten zum Textverständnis, das durch das Auftreten von konzeptuellen Metaphern erleichtert wird (vgl. Allbritton/McKoon/Gerrig 1995). Shen und Balaban (1999: 145–152) sehen die volle Entfaltung des kohärenzstiftenden Potentials der Metapher v. a. in geplantem Diskurs mit bewusstem Einsatz von Metaphern mit hohem Kreativitätsgrad gegeben. Dass auch der Kontext für die Entstehung von Metaphern eine große Rolle spielt, versuchen Camac und Glucksberg (1984) nachzuweisen.

232 opportunément commerciale. Non, bien que je sois originaire d’un pays bilingue (le Cameroun), l’expérience de l’utilisation de l’anglais ne me séduit guère. Je kiffe encore trop pour le français, ses subtilités, ses nuances, ses ponctuations, ses conventions et sa faculté d’évolution pour lui être infidèle. Je n’ai vraiment pas encore envie de lui faire des enfants dans le dos ! Des enfants illégitimes, ça oui. Ce sont mes livres écrits en français ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 58.)

(164) Plus sûr que le Loto, plus rentable que la Bourse, aussi durable que la pierre : un di-

plôme ! C’est ce que confirme une récente et très sérieuse étude de l’OCDE. Selon l’organisation internationale, qui a mené une monumentale enquête internationale sur les systèmes d’éducation, la vérité tient dans un « taux de rendement » : en France, investir dans une formation rapporterait 12% par an. Un ratio quelque peu théorique – on investit en temps et en argent dans ses études ! – mais qui donne à réfléchir. Car, au-delà des chiffres, qui peut raisonnablement douter que l’éducation soit le placement de toute une vie ? Le meilleur atout, le plus enrichissant dans toutes les acceptions du terme ? Voilà pourquoi il est si important de miser juste. Jamais, en effet, les disparités n’ont été aussi importantes d’une filière à l’autre. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les diplômes qui donnent du travail“, S. 4.)

Die konzeptuellen Metaphern, die hinter jedem der Beispiele stehen, ziehen sich jeweils durch den gesamten Abschnitt, indem sie mehrere einzelne metaphorische Ausdrücke motivieren. In Beispiel (162) wird die Einführung von kostenlosen Tageszeitungen als eine Invasion auf dem Zeitungsmarkt konzipiert. Daraus leiten sich diverse Implikationen ab, z. B. dass es überfallene Länder, ihre Verteidiger und die einfallenden Feinde, die die Eingesessenen vernichten wollen, gibt. Diese Bestandteile finden ihre Entsprechung in den Zeitungsmärkten, den dort etablierten konventionellen Zeitungen und den Gratiszeitungen, die die anderen verdrängen wollen. So ergeben sich die einzelnen im Beispiel markierten metaphorischen Ausdrücke. Das Konzept der Invasion überträgt damit seine Struktur auf die Ereignisse am Zeitungsmarkt und bildet den Knotenpunkt, in dem alle beschriebenen Teile zusammenpassen: Alle Handlungen und Elemente sind auf die Grundidee der Invasion zurückzuführen. Da das Konzept einer Invasion – u. a. der Ablauf und die Beteiligten – als allgemein bekannt gelten kann, ist damit ein Hilfsmittel gegeben, um das neu auftretende Phänomen der Gratiszeitungen als ein kohärentes Ganzes zu präsentieren und eventuelle Lücken in der Schilderung durch Annahmen über Invasionen im Allgemeinen zu ergänzen. Außerdem kann auch die Metapher durch die Hervorhebung bestimmter Eigenschaften des Zielkonzepts wie die argumentativ verwendete Metonymie in gewisser Weise eine Perspektive schaffen und Stellung zu der geschilderten Situation beziehen. In Beispiel (162) wird mittels mit dem Quellkonzept verbundener Implikationen die Rollenverteilung zwischen den traditionellen Zeitungen und den Gratiskonkurrenten klargestellt. Normalerweise ist der Feind und Eroberer die zu Unrecht eindringende Kraft: Dem Überfallenen muss bei der rechtmäßigen Verteidigung seines Territoriums geholfen werden. So tritt der Artikel unterschwellig für die traditionellen Zeitungen ein und missbilligt die Gratiszeitungen. Pielenz (1993: 105–109, 141–160) versucht, diese argumentative

233 Wirkung dadurch zu fassen, dass er die Implikationen, die das Quellkonzept der Metapher auf das Zielkonzept überträgt, als ein Bündel von Schlussregeln aus den beiden fusionierten Konzepten auffasst. Diese Schlussfolgerungen – häufig bleiben sie implizit – können eine bestimmte Position begründen. Im vorliegenden Beispiel würde eine dieser Schlussregeln, die den Topoi nicht unähnlich sind, etwa lauten: Wenn die Einführung der Gratiszeitungen eine Invasion ist, dann sind die Gratiszeitungen Feinde und damit eine abzuwehrende Bedrohung. Dies rechtfertigt die Ablehnung der Gratiskonkurrenten. Ebenso wird in Beispiel (163) durch eine konzeptuelle Metapher das abstraktere Verhältnis eines Autors zu seiner Muttersprache über die konkretere Struktur des alltäglichen Konzepts einer Ehe- oder Liebesbeziehung beleuchtet. Im Einzelnen helfen die Konzepte des Verführens, Verlassens, der Untreue und der Kinder dem Schriftsteller Eugène Ebodé seine Beziehung zu seiner Muttersprache auszudrücken. Dies lässt ihn argumentieren, dass der Wechsel zur englischen Sprache wie ein Ehebruch unmoralisch wäre. Genauso in (164), wo die Ausbildung durch die Strukturfolie des Konzepts einer Investition auf dem Finanzmarkt bzw. eines Spieleinsatzes betrachtet und so die Sichtweise unterstützt wird, dass die Wahl der Ausbildung äußerst wichtig ist und mit Bedacht und unter Einbeziehung möglichst fundierter Informationen getroffen werden muss. Es kann auch passieren, dass mehr als eine konzeptuelle Metapher herangezogen wird, um einen Zielbereich zu strukturieren. So im Folgenden: (165) Voilà pourquoi il est si important de miser juste. Jamais, en effet, les disparités n’ont été

aussi importantes d’une filière à l’autre. D’un côté les voies rapides souvent spécialisées et reconnues par les professionnels. De l’autre, des itinéraires plus académiques, encombrés et souvent sans issue. A la fin, quoi de plus déprimant pour un doctorant à la tête bien pleine que de se retrouver au chômage ? Pourtant, pour qui sait se doter d’une bonne boussole, notre enseignement supérieur – un tantinet labyrinthique – recèle des raccourcis étonnants. Des formations aux noms barbares, mais qui valent de l’or sur le marché du travail. Il faut absolument connaître les Miage (méthodes informatiques appliquées à la gestion des entreprises) ou les MAE (masters d’administration des entreprises) dont les diplômés se placent au même niveau que ceux des grandes écoles. Et qui sait qu’un jeune ingénieur sur deux n’a jamais mis les pieds dans une classe préparatoire, qu’on peut, à l’issue d’un BTS, entrer dans une école de commerce ou à Science-Po Lille ? [...] Un exemple : les diplômes de physique délivrés par l’université peuvent mener à l’enseignement et à la recherche. Mais à y regarder de plus près, on s’aperçoit qu’ils débouchent souvent sur des jobs d’informaticien ! [...] Mais avant de prendre son billet, il faudra plus que jamais avoir misé juste... (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les diplômes qui donnent du travail“, S. 4, 6.)

(166) Cet ancien directeur de cabinet du président Senghor, qui règne aujourd’hui sur l’équipe du Conseil, aura cependant du mal à convaincre de la bonne gestion des affaires francophones, quand l’un de ses membres, Dominique Wolton, dénonce justement, dans un livre qui vient de paraître, « Demain la francophonie » (Flammarion), le grand bazar institutionnel. « La francophonie est un objet non identifié dans l’Etat français. [...] Pourquoi simplifier les institutions de la francophonie et maintenir en parallèle ce maquis institutionnel en France ? Mystère. Le labyrinthe ministériel est accablant. » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Kafkaïenne francophonie...“, S. 56.)

234 In (165) wird in Fortsetzung zu (164) der Verlauf einer Ausbildung durch die Struktur des Konzepts eines zu durchlaufenden Wegs beschrieben. Im Gegensatz zu den bisher angeführten Beispielen können aber nicht alle vorkommenden metaphorischen Ausdrücke einem einheitlichen Konzept zugeordnet werden, da sie nicht aus dem Konzept eines einzigen, von Anfang bis Ende beschrittenen Weges abgeleitet werden. Vielmehr stellen sie verschiedene speziellere Formen eines solchen Wegs dar. Die eingeschlagenen Wege können sich als „voies rapides“, als „itinéraires [...] encombrés et souvent sans issue“, als „labyrinthique“ oder als „raccourcis“ herausstellen. Die einzelnen Ausprägungen sind also nicht Teil desselben Weges, sondern als speziellere Konzepte unter den allgemeineren Gedanken des Wegs zu fassen, zu subkategorisieren. Insofern sind auch diese Metaphern untereinander kohärent. In Beispiel (166) hingegen verkörpern mehrere unterschiedliche Quellkonzepte ein Zielkonzept. Die undurchsichtige Verwaltungsstruktur der Institutionen der Francophonie wird wechselweise als „grand bazar“ (bereits lexikalisierte Metapher), als „objet non identifié“, als „maquis“ und als „labyrinthe“ bezeichnet und darüber konzeptualisiert. Hier ist es schwierig, eine gemeinsame zugrunde liegende konzeptuelle Metapher herauszufiltern. Dafür zeichnen sich die einzelnen metaphorischen Ausdrücke dadurch aus, dass sie alle die gleiche Implikation der Unwegsamkeit, des Durcheinanders, der Undurchschaubarkeit und Unbekanntheit beinhalten. So passen zumindest die einzelnen Konzeptstrukturen zueinander. In den folgenden zwei Beispielen wird die Metapher dadurch auf diskursiver Ebene relevant, dass das Quellkonzept der Projektion in Zusammenhang mit dem im jeweiligen Satz oder Abschnitt behandelten Thema steht. Mit dem Einsatz von lexikalischen Einheiten aus dem passenden Wortfeld wird mindestens ein kohäsiver Effekt bezweckt: (167) Dieu est à la mode. Et les croisés du business chrétien ou les vendeurs de T-shirts en profitent.

(Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „God is good“, S. 46.)

(168) Autre indice de l’évolution des esprits culinaires, un premier congrès français de gastro-

nomie a réuni au Havre, le mois dernier, la fine fleur de la jeune cuisine hexagonale : les « petits », comme Benjamin Toursel qui sert 8 couverts dans une auberge près d’Agen, aussi bien que les étoilés comme Thierry Marx. Délaissant les batailles d’ego qui alimentent et empoisonnent régulièrement la chronique gastronomique, tous ont échangé recettes, tours de main, sans souci de propriété ni de « marques déposées ». (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „L’internationale des chefs“, S. 47.)

Wenn in Beispiel (167) die Vermarkter mit christlichen Slogans und Motiven bedruckter Kleidungsstücke metaphorisch gerade als „croisés“, als Kreuzritter, bezeichnet werden, so ist dies sicherlich kein Zufall. Der metaphorische Ausdruck und das Quellkonzept der Metapher werden bewusst aus dem Bereich der Geschichte der christlichen Kirche gewählt, um zusätzlich zum veranschauli-

235 chenden Effekt eine Verbindung zum Thema der Vermarktung christlicher Motive herzustellen. Hierbei handelt es sich um eine besonders kreativ eingesetzte Metapher. Ebenso in Beispiel (168), wo in einem Bericht über die französischen Spitzenköche das metaphorisch verwendete Verb alimenter einen Bezug zu dem kulinarischen Kontext knüpft. Die angeführten Beispiele sollten die vorangestellten theoretischen Ausführungen anschaulich machen und die Annahmen über die Möglichkeiten der Metapher, Kohärenz herzustellen, belegen. Offensichtlich ergibt sich Kohärenz mit Hilfe von Metaphern v. a. darüber, dass diese über ganze Absätze hinweg auf die Struktur einer konzeptuellen Metapher zurückgreifen können und damit immer wieder auf dasselbe Schema verweisen. 6.2.1.2 Metapher und Anapher Da hier die Metapher insbesondere in der Gegenüberstellung zur Metonymie relevant ist, soll überprüft werden, ob die Metapher neben der kohärenten Verknüpfung einzelner Aspekte des Zielkonzepts Funktionen hinsichtlich Anaphorisierung und Kontinuität aufweist, wie es bei der Metonymie beobachtet worden ist. Interessanterweise bestätigen Budiu und Anderson (2002) in einer Studie die Ergebnisse aus vorherigen Untersuchungen, dass metaphorisch verwendete Nomen, die koreferent zu einem wörtlich gemeinten Antezedens sind, schwieriger zu verstehen sind als metaphorisch verwendete Verben. In Experimenten, in denen die Geschwindigkeit beim Lesen der einzelnen Satzbestandteile gemessen wurde, ergab sich, dass anaphorisch verwendete metaphorische Nomen, die der Leser über ein Antezedens in den Kontext einbinden muss, längere Lesezeiten erfordern und folglich schwieriger zu verarbeiten sind als metaphorische Verben bzw. Prädikatsnomen. Dies hängt höchstwahrscheinlich damit zusammen, dass die Metapher gerade eine Bezeichnung für einen Referenten findet, die stark von den vorangegangenen Bezeichnungen desselben Referenten abweicht. So kann die Anaphorisierung eines wörtlich zu verstehenden Antezedens durch das Ziel eines metaphorisch zu verstehenden anaphorischen Ausdrucks auftreten, dann aber ohne eine auf den ersten Blick erkennbare kontinuitätsstiftende Verbindung zwischen dem anaphorisierenden metaphorischen Ausdruck und dem Antezedensausdruck. Dies ist in den folgenden Beispielen der Fall: (169) Il émane de ces ruelles visqueuses une odeur nauséabonde d’égout à ciel ouvert. La plupart

des « maisons » sont faites de bric et de broc, avec des plaques de zinc en guise de toit. Sur les « portes » sont inscrits, à peine lisibles, les numéros et les noms des « rues ». Ce sont les seules indications. Impossible de se repérer dans ce magma sans plan, même pour les habitants... (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „L’islam des taudis“, S. 14.)

236 (170) C’est que, depuis une dizaine d’années, Michel P. avait trouvé un moyen bien plus lucratif

que la musique pour assurer ses fins de mois. Il créait des sociétés (plus d’une centaine répertoriées par la police). Des coquilles vides qui n’embauchaient personne, ne produisaient rien, n’avaient pas de bureaux. Leur utilité était tout autre : elles fabriquaient à la pelle des « kits Assedic », des dossiers complets avec (faux) contrat et certificat de travail, bulletins de salaire, solde de tout compte, attestation Assedic..., bref, le nécessaire pour s’inscrire au chômage. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Arnaques en série à l’Unedic“, S. 38.)

(171) Elle avait été embauchée début novembre en CNE (contrat nouvelles embauches), cet ovni

du Code du Travail réservé aux entreprises de moins de 20 salariés, qui peut être rompu sans motif pendant la période d’essai, longue de deux ans. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le bras de fer devant les tribunaux“, S. 28.)

Wenn Anaphorisierung im Zusammenhang mit Metaphern auftritt, dann meist in der Form der vorliegenden drei Beispiele. Ihnen ist gemeinsam, dass eine wörtlich zu interpretierende Nominalphrase durch einen metaphorischen Ausdruck, speziell durch dessen Zielkonzept, anaphorisiert wird. Dies geschieht aber keineswegs mit der Intention, eine möglichst kontinuierliche Fortsetzung zu schaffen, sondern in der Absicht, eine möglichst treffende, anschauliche oder originelle Bezeichnung für den jeweiligen Referenten zu finden. Hier besteht eine funktionale Ähnlichkeit mit der Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks (s. Kapitel 5.1.1.2, S. 122). Dafür wird die schwierigere Verarbeitbarkeit in Kauf genommen: Der Leser muss erst über Inferenzen erschließen, dass in Beispiel (169) „ce magma“ wahrscheinlich wieder auf die „ruelles visqueuses“ und die beschriebene Stadtstruktur zurückverweist. Auch in (170) muss der Bezug zwischen dem metaphorischen „Des coquilles“ und „des sociétés“ erschlossen werden, genau wie in (171) für „cet ovni du Code du travail“ und „CNE“. In den letzten beiden Fällen ist sogar fraglich, ob es sich um wirkliche Anaphern handelt, da beide als Appositionen aufzufassen sind. Ähnliches zeigt sich übrigens in Beispiel (166) (S. 233), das im vorangegangenen Kapitel zur Illustration für ein durch mehrere unterschiedliche Metaphern charakterisiertes Ziel herangezogen wurde. Damit wird deutlich, dass es sich bei der Anaphorisierung durch einen metaphorischen Ausdruck eher um eine Klassifizierung und Kategorisierung handelt. Prandi (2001: 72) beschreibt Metaphern deshalb treffend als „actes de catégorisation conflictuels“, da sie gerade nicht die herkömmliche Bezeichnung für einen Referenten wählen: „[U]n nom [...] est utilisé pour référer à une entité sortant de son domaine de désignation cohérent“ (Prandi 2001: 72). Auf diese Rekategorisierung weist in den Beispielen (169) und (171) auch der Gebrauch des demonstrativen Artikels hin.

237 6.2.2

Metonymie und Metapher im Diskurs

Aufbauend auf den Ergebnissen des vorhergehenden Kapitels 6.2.1 können nun die Metonymie und die Metapher gemeinsam in Hinblick auf Kontinuität und Kohärenz betrachtet werden. Dies beinhaltet einerseits die Gegenüberstellung der beiden konzeptuellen Mechanismen, um ihre kohärenz- bzw. kontinuitätsstiftenden Eigenschaften zu vergleichen (Kapitel 6.2.2.1). Andererseits wird gezeigt, dass die Metonymie und die Metapher interagieren können und damit vor allem zu Kohärenz beitragen (Kapitel 6.2.2.2). 6.2.2.1 Metonymie und Metapher und ihre unterschiedlichen Funktionen im Diskurs Der Vergleich zwischen der Metonymie und der Metapher hinsichtlich ihrer kohärenz- bzw. kontinuitätsstiftenden Eigenschaften soll ausdrücklich benennen, was sich bereits in den letzten Kapiteln herauszukristallisieren begonnen hat: Metonymien und Metaphern übernehmen in diskursiver Hinsicht unterschiedliche Aufgaben. Durch die Gegenüberstellung kann nochmals der Blick auf die Eigenschaften der Metonymie geschärft werden. Wie in Kapitel 5 belegt wurde, ist die grundlegende Funktion der Metonymie im Diskurs die Förderung der Kontinuität des Diskurses. Die Metonymie kann über die Weiterführung des metonymisch verwendeten Ausdrucks und des Quellkonzepts bestimmte Bezugspunkte, zumeist das Topik, konstant halten, auch wenn sich über das Zielkonzept jeweils leicht abweichende Referenten ergeben. Die Aussagen scheinen sich um eine Entität zu zentrieren. Als Variante kann es über den gegebenen, metonymisch verwendeten Ausdruck zu Überleitungen zum Zielkonzept als neu einzuführendem Aspekt, meist in Topikfunktion, kommen, wobei hier Progression und Kontinuität außergewöhnlich gut ausgeglichen werden. Seltener wird die Metonymie in Zusammenhang mit Anapher nur zu Zwecken der Expressivität verwendet. Daneben kann die Metonymie, wie in Kapitel 6.1 beschrieben, einen Faktor für Kohärenz, also für die nahtlose Zusammenfügung der im Diskurs enthaltenen Konzepte, bilden. Allerdings gilt dies hauptsächlich in relativ spezifischen Situationen, nämlich wenn der metonymische Ausdruck dazu dient, eine im Diskurs vertretene Perspektive zu unterstützen oder eine rahmende Zusammenfassung zu geben. Als Hauptbeitrag der Metapher auf diskursiver Ebene kann nach den vorangegangenen schlaglichtartigen Analysen die Förderung von Kohärenz gesehen werden. Dies erfolgt durch die Übertragung der kohärenten Struktur der Quelle einer konzeptuellen Metapher auf das Ziel. Gleichzeitig wird so das Ziel aus einer bestimmten Perspektive konzeptualisiert und damit u. U. in die allgemeine argumentative Tendenz des Diskurses eingepasst. Demgegenüber scheint ei-

238 ne kontinuitätsstiftende Funktion wie bei der Metonymie zurückzutreten. Anaphorisierungen von metaphorischen Ausdrücken sind nicht im gleichen Ausmaß festzustellen, und wenn sie doch auftreten, dann wirkt die Metapher eher kontinuitätsstörend. Da sie primär darauf ausgerichtet ist, das Zielkonzept bzw. den intendierten Referenten auf expressive Art zu bezeichnen, muss der Rezipient höhere Anstrengungen aufbringen, um über den ungewöhnlichen, oft kreativ eingesetzten metaphorischen Ausdruck das Zielkonzept zu identifizieren und mit dem richtigen Antezedens in Verbindung zu bringen. Wenn also die Metapher als „l’emploi d’un désignateur incohérent“ (Prandi 2001: 72) gesehen werden muss, anaphorisierende metaphorische Ausdrücke folglich weniger auf eine kontinuierliche Weiterführung des metaphorischen Ausdrucks als auf eine Kategorisierung und die daraus entstehende Expressivität abzielen, so steht bei ihrer Verwendung wohl kaum Kontinuität im Vordergrund. Der Metonymie vergleichbare Strukturen, in denen mittels gezielten Einsatzes des metaphorischen Ausdrucks eine gegebene Information, die oft auch das Topik stellt, kontinuierlich konstant gehalten wird, konnten dementsprechend nicht festgestellt werden. Zugegebenermaßen war die Zahl der zur Metapher untersuchten Beispiele viel niedriger als die derjenigen zur Metonymie. Die Hypothese des anders gelagerten Schwerpunkts ihrer diskursiven Funktionen wird aber auch durch die im Folgenden ausgeführten, über die Beispielanalyse hinausgehenden theoretischen Gründe getragen. Obwohl die Metonymie und die Metapher prinzipiell beide einen Konzeptualisierungsmechanismus darstellen – die Differenzierung zwischen beiden ist oft schwierig genug (s. Kapitel 2.2.2.4) –, obwohl beide nur innerhalb des Kontexts entdeckt und interpretiert werden können und damit von vornherein als in den Diskurs eingebundene Elemente auftreten und obwohl beide eine spezielle Sichtweise auf einen Sachverhalt generieren und diesen so in die Ausrichtung eines Diskurses einpassen können, bestehen in der diskursiven Funktionsweise dennoch grundsätzliche Unterschiede. Eine typische Metonymie basiert auf Kontiguität, d. h. auf einer bereits bestehenden Relation, und verbindet damit zwei Einheiten, die in einer gemeinsamen Repräsentation auftreten. Die Relation beruht auf nur einer Korrespondenz zwischen Ziel- und Quellkonzept. Die Metonymie betrifft typischerweise die Referenz eines Nominalausdrucks. So ist es nicht verwunderlich, dass sie geeignet ist, die Verbindungen zwischen einzelnen Konzepten widerzuspiegeln und in einer Kette ausgehend vom metonymisch verwendeten Ausdruck die jeweiligen Entitäten, die in einer festen Relation zum Quellkonzept stehen, zu bezeichnen und aneinanderzureihen. Das Quellkonzept kann so als gegebene Information fungieren, häufig gleichzeitig das übergeordnete Topik des betreffenden Abschnittes verkörpern und so die verschiedenen u. U. detaillierteren Zielkonzepte dazu in Beziehung setzen und darunter einordnen. Dies führt zu Kontinuität im linearen Verlauf des Diskurses.

239 Metaphern dagegen stützen sich auf eine Similaritäts-, also eine Ähnlichkeitsrelation zwischen Quell- und Zielkonzept. Diese Relation muss eventuell nicht im Vorhinein bestehen, sie kann u. U. erst durch die Verwendung der Metapher geschaffen werden. Außerdem schlägt sie eine Brücke zwischen zwei ansonsten unabhängigen Repräsentationen. Die Ausnutzung des metaphorischen Ausdrucks zur kontinuierlichen Weiterführung von bestimmter Information und häufig speziell von Topiks kommt daher nicht in Frage. Dem metaphorischen Ausdruck fällt die Funktion zu, eine möglichst treffende Bezeichnung zu schöpfen und den intendierten Referenten zu kategorisieren. Hier ist eher das Zielkonzept das Topik. Schließlich verbirgt sich hinter dem Zielkonzept das „thing we are talking about“, hinter der Quelle „that to which we are comparing it“ (Haser 2005: 14). Dafür kann die Metapher zwischen den beiden in Beziehung gesetzten Konzepten mehrere Verknüpfungen herstellen, ja eine ganze Struktur übertragen. Meist wird der metaphorische Ausdruck eher prädikativ verwendet. Damit ist die Metapher weniger geeignet, die Verbindung zwischen jeweils zwei einzelnen Entitäten herauszuarbeiten. Vielmehr kann sie vielfältige Relationen zwischen mehreren Konzepten des Diskurses knüpfen und begünstigt so durch clusterartige Gruppierungen die Kohärenz. Der grundlegende Unterschied zwischen der Metonymie und der Metapher bei der Herstellung von Kontinuität und Kohärenz besteht in der Art, wie sie dafür Kontiguität nutzbar machen. Denn sowohl die Metonymie als auch die Metapher stützen sich zur Herstellung von Kohärenz und Kontinuität auf Kontiguität. Während die Metonymie die Kontiguität zwischen Quell- und Zielkonzept ausnutzt, überträgt die Metapher die Kontiguitätsrelationen, die innerhalb des Quellbereichs bestehen, auf das Zielkonzept. 6.2.2.2 Kohärenz durch die Interaktion von Metonymien und Metaphern Mit der Metonymie und der Metapher können, wie geschildert, unterschiedliche diskursive Strategien verfolgt werden. Nichtsdestoweniger können sich die Metonymie und die Metapher ergänzen und so ein enges Netz konzeptueller Verbindungen schaffen, um der Kohärenz einer Passage entgegenzukommen. Die Interaktion von Metonymien und Metaphern kann unterschiedliche Formen annehmen. Diese wurden in einem Aufsatz von Goossens (1995) analysiert und z. B. in Ruiz de Mendoza (1999: 19–23), Ruiz de Mendoza und Otal (2002: 63–80) und Evans und Green (2006: 318–312) aufgegriffen. Entweder stellt das Ziel der Metonymie die Basis für eine darauf aufbauende Metapher dar, oder die Metapher bildet den Ausgangspunkt für die Metonymie. In letzterem Fall sind zwei Untergruppen zu trennen: Die Metonymie kann sich auf die Quelle oder das Ziel der Metapher beziehen.

240 Am besten sind diese komplexen Verbindungen der Reihe nach an Beispielen darzulegen. So kann auch ihre Einbindung im Diskurs erkennbar gemacht werden. Das folgende Beispiel veranschaulicht den ersten Fall, in dem das Ziel der Metonymie die Basis für eine Metapher stellt: (172) Un film « sur » Mai-68, « les Amants réguliers » ? Non, trois fois non. À propos de Mai-68,

alors ? Moins encore. Un film « de » Mai-68, dans ce cas ? Peut-être, en ce sens que Mai-68 sert d’étincelle, à la lueur de laquelle tout ce qui suit devient visible. Une étincelle, une lueur, une odeur aussi. Celle de l’essence sur la main droite de François (Louis Garrel), qu’il donne à respirer au copain qui attend dans l’escalier. François, esoufflé non tant par sa course ou par les marches qu’il a escaladées que par l’aventure qu’il vient de vivre et, plus encore, par le récit qu’il en fait : un type lui a glissé un cocktail Molotov dans les mains, qu’il a songé à allumer et à lâcher sous un fourgon de CRS, finalement il l’a abandonné sans l’utiliser, décidant que, non, on ne peut quand même pas tuer des gens. L’essence de Mai-68 fait tourner le moteur des « Amants réguliers ». Les « événements », François les traverse comme on passe une nuit blanche. Blanche comme la voiture, que la caméra cadre en arrière-plan, entre les jeunes qui s’activent au plus près et les flics que l’on ne voit pas, mais que l’on a vus plus tôt, en ordre de bataille. Bataille rangée dont la durée des plans restitue le désordre. Au matin, le visage de François est noir de fumée et d’excitation ; le jeune homme peut gagner l’appartement où une femme lui fera couler un bain et lui proposera un pantalon et une chemise propres. Blanche, la chemise, « les Amants réguliers » est un film en noir et blanc, et parfois les cernes de François, aussi sûremenent que les cadrages qui l’isolent, le font ressembler à un personnage du cinéma des premiers temps. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Mai pour mémoire“, S. 65.)

In Beispiel (172) enthält der hervorgehobene Satz gleich zwei dieser Strukturen. Zum einen im Subjekt: „L’essence de Mai-68“ verweist metonymisch auf die mit Benzin hergestellten Molotowcocktails, von denen schon vorher die Rede ist, und in einem weiteren Schritt auf deren Explosionskraft. Diese könnte als Quellkonzept einer Metapher auf die explosive Stimmung und die Sprengkraft der diskutierten politischen Themen hindeuten. Man könnte aber alternativ argumentieren, dass dies nur eine weitere metonymische Etappe ist, da ein Kausalitätsverhältnis, bzw. Kontiguität, zwischen der aufgeheizten Stimmung und den Krawallen und Explosionen besteht. Eindeutiger ist die Kombination von Metonymie und Metapher in der Formulierung „fait tourner le moteur des ‹ Amants réguliers ›“: Die Verbalphrase „fait tourner le moteur“ ist als metonymischer Ausdruck dafür aufzufassen, dass ein Auto in Bewegung gesetzt wird. Die Ursache des laufenden Motors verweist auf die Folge der erzeugten Bewegung. Dieses Konzept der Fortbewegung steht nun für eine Metapher als Quellkonzept zur Verfügung (s. Abbildung 12). Durch selbiges wird das Zielkonzept der Handlungsentwicklung des Films Les Amants réguliers strukturiert. Die Funktion insbesondere der Kombination von Metonymie und Metapher im Subjekt ist es, durch die zahlreichen Implikationen kompliziertere Sachverhalte auf eine kurze Aussage zu reduzieren und die konzeptuellen Verbindungen zu verdeutlichen. Diese Verbindungen erstrecken sich auch auf die bereits thematisierten Sachverhalte. So kommt das Wort „essence“ wieder ins Spiel, das über Kontiguität die Konzepte des Molotowcocktails, der Explosion und der

241 Funken, die ebenfalls im vorhergehenden Diskurs Erwähnung gefunden haben, in Erinnerung ruft. So werden sowohl auf rein kohäsiver, formaler Ebene als auch auf konzeptueller, die Kohärenz betreffender Ebene Querverbindungen geknüpft. Eine semantisch passende Anbindung an das Subjekt „L’essence“ bietet der metonymisch-metaphorische Ausdruck in der Verbalphrase „fait tourner le moteur“. Dessen Aufgabe ist es aber hauptsächlich, über den Hinweis auf das Fortschreiten der Handlung zum nächsten Absatz, der gerade „Les ‹ événements ›“ aufgreift, überzuleiten. Dieser Gedanke wird nämlich im Anschließenden weiter ausgeführt. So schafft es der Satz dank der Kombinationen von Metonymie und Metapher, einerseits den aktuellen Absatz zu resümieren und andererseits diesen mit dem übergeordneten Gedanken des Folgeabsatzes zu verbinden. Q UELLE Quelle faire tourner le moteur

Ziel

Metonymie (Ursache–Folge)

Fortbewegung des Autos

Z IEL M ETAPHER

Fortschreiten der Handlung des Films

Abbildung 12: Schematische Darstellung der Metonymie als Basis für die Metapher in Beispiel (172)8

Das zweite Muster, in dem die Metonymie derart in die Metapher integriert ist, dass sie die Quelle der Metapher modifiziert, wird durch den markierten Satz in Beispiel (173) zur Rolle des Islams in Algerien illustriert: (173) Il faut bien vivre et penser à sa famille. On s’invente une filiation, on se fait une barbe, on se cogne le front contre le mur pour se faire la marque nécrosée du grand dévot, on se déguise en taliban fiévreux. Du mimétisme au fanatisme, il n’y a qu’un pas. La phase suivante de l’islamisme, et elle viendra, c’est un processus cumulatif à explosions périodiques, sera infiniment plus terrible. Affirmer que le peuple algérien est musulman revient à dire : qui n’est pas musulman n’est pas des nôtres. Or tout croyant trouvera sur sa route plus croyant que lui. Si de l’étincelle ne jaillit point la lumière, alors le feu ira à la poudre. Il n’y a qu’un système qui peut nous sauver de ce processus funeste : la laïcité. Est-ce si sûr, la France laïque est-elle à l’abri de ses intégristes ? La laïcité est une condition nécessaire mais non suffisante. Il y a encore tant à faire pour que la liberté, l’égalité et la fraternité soient le pain de chaque jour pour tous. En attendant, chez nous, entre nous, empressons-nous de mettre un peu de laïcité dans notre thé, ce sera ça de gagné. On pourra alors être musulmans

8

Dieses und die folgenden beiden Schemata zur Interaktion von Metonymie und Metapher sind in Anlehnung an die Schemata in Ruiz de Mendoza/Otal (2002: 66–80) erstellt.

242 sans avoir de comptes à rendre à personne, sauf à Allah, le jour du Jugement dernier. Et d’ores et déjà, nous le savons, sa clémence nous est acquise. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mes chers compatriotes“, S. 52f.)

An der markierten Stelle enthält die durch „alors“ eingeleitete Folgerung die relevanten Strukturen. Darin werden Metapher und Metonymie folgendermaßen verflochten (s. Abbildung 13): Die konzeptuelle Metapher religiöser Fanatismus als Feuer, die bereits im ersten Teil des Satzes Verwendung findet, wird aufgegriffen. Begriffe des Quellbereichs der Metapher sind „feu“ und „poudre“, die im Zielbereich dem Fanatismus und den günstigen Voraussetzungen für die Verbreitung und Verschärfung des Islamismus entsprechen. Metonymisch ist mit „le feu ira à la poudre“ zugleich die notwendige Konsequenz des Sachverhalts verbunden: die Explosion. Dieses Konzept wird Bestandteil des Quellbereichs der Metapher und findet im Zielbereich der Metapher sein Äquivalent im gesellschaftlichen Zerfall und dem Terror, der sich aus dem Fanatismus entwickeln könnte. Hier wird über „étincelles“ und „feu“ bzw. deren metaphorische und metonymische Implikationen ein Bezug zu den „explosions périodiques“ aus dem vorhergehenden Kotext hergestellt und mit dem Satz insgesamt die drohende Entwicklung auf den Punkt gebracht. Ergänzend werden im ersten Teil die konzeptuellen Metaphern religiöser Fanatismus als Feuer und Erkenntnis bzw. Einsicht als Licht kombiniert („l’étincelle“, „jaillit“ und „la lumière“). Metaphorisch weist „la lumière“ als Einsicht in den Unsinn des Handelns darauf hin, dass andere Wege gesucht werden müssen. Ein solcher bietet sich mit dem Laizismus, was im zweiten Absatz des Beispiels geschildert wird. Wie im ersten Beispiel hilft die Kombination von Metonymien und Metaphern, eine Zusammenfassung des Vorangegangenen mit einer Überleitung zum Folgenden zu verknüpfen. Q UELLE

Z IEL

Quelle feu

M ETAPHER

+

+ poudre

Ziel

Fanatismus

M ETAPHER

günstige Voraussetzungen

M ETAPHER

Katastrophe/Krieg

Metonymie (Ursache–Folge)

Explosion

Terror

Abbildung 13: Schematische Darstellung der Metonymie basierend auf der Quelle der Metapher in Beispiel (173)

243 Das folgende Beispiel (174) zeigt den letztgenannten Fall. Die Metonymie findet innerhalb der Metapher statt, und zwar diesmal im Zielbereich: (174) Alerte rose. A Lille où la rumeur est reine, on ne parle que de ça. Deux sondages, l’un

de la Sofres pour le compte de la mairie, l’autre de l’Ifop pour l’UMP et c’est la ville qui s’enflamme. Le détail de ces deux enquêtes est encore secret mais le message, relayé à l’envie, est le même. Rien ne va plus... si tout continue à l’identique, cette fois, le beffroi risque fort de tomber à droite, lors des municipales de mars 2008. Face à la bourrasque – celle là n’est pas la première – Martine fait du Aubry. Dénégation, appel à la résistance, invocation (tardive) des mânes des grands anciens, Pierre Mauroy en tête. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Aubry : le rêve brisé“, S. 30.)

Wieder soll zunächst nur der markierte Satz betrachtet werden. Die übrigen Metaphern, von denen der Ausschnitt noch einige enthält, sind erst einmal nachrangig. Im betreffenden Satz wird die Kommunalwahl in Lille metaphorisch als die Eroberung bzw. Verteidigung einer Burg oder Festung konzipiert. Die Eroberung und Erstürmung bzw. Verteidigung entspricht dem Wahlkampf und gipfelt im Gewinn der Wahlen durch eine der Parteien. Dabei droht die Festung an die Feinde zu fallen („tomber“), d. h. die UMP droht zu gewinnen. Dem Konzept der Festung ist im Zielbereich „le beffroi“ gegenübergestellt. Im Norden Frankreichs haben die Rathäuser meist einen so genannten „beffroi“, einen Glockenturm. Das Konzept des Belfrieds ist demzufolge kontig zu dem des Rathauses, welches wiederum dem der Machtverteilung im Stadtrat und dem des Bürgermeisteramts nahe steht. Metonymisch verweist also der in die Metapher eingebundene Belfried auf die Macht im Rathaus, die in den Wahlen an die Rechte verloren zu gehen droht. Blickt man außerdem voraus auf den nächsten Satz, so wird das Bild der Schlacht um das Rathaus von einem weiteren überlagert: Die ungünstige Stimmung, die als starker Windstoß zu spüren ist („la bourrasque“), droht den Belfried bzw. die damit metonymisch verbundene politische Mehrheit nach rechts kippen zu lassen. Wie in den anderen beiden Beispielen werden durch die zahlreichen Implikationen der Metaphern und der Metonymie (vom für die Stadt Lille typischen Gebäude des Rathauses über die Wahl hin zum möglichen Sieger und einer möglichen neuen Machtverteilung) Verknüpfungen geschaffen, die die Kohärenz steigern.

244 Z IEL

Q UELLE

Eroberung/Kampf

M ETAPHER

Wahl/Wahlkampf

tomber

M ETAPHER

Niederlage im Wahlkampf

Festung

M ETAPHER

Quelle

beffroi Ziel

Metonymie (Teil–Ganzes)

Rathaus Ziel

Metonymie (Ort–Zustand)

Mehrheit im Stadtrat

Abbildung 14: Schematische Darstellung der Metonymie basierend auf dem Ziel der Metapher in Beispiel (174)

Bei den drei vorausgegangenen Beispielen konnten Metonymien und Metaphern noch relativ deutlich voneinander getrennt werden. Wo dies nicht mehr so leicht fällt und eventuell noch weitere Elemente mit hineinspielen, bietet sich ein alternatives Analysemodell an, das so genannte Blending, das auch als konzeptuelle Integration bezeichnet wird. Es kann in gewissem Sinn als komplementär zur konzeptuellen Metapherntheorie aufgefasst werden, da hier andere Schwerpunkte gesetzt und weitere Gesichtspunkte erfasst werden, ist aber generell nicht auf die Analyse von Metaphern und Metonymien beschränkt. Blending bzw. konzeptuelle Integration wird bei Fauconnier und Turner wie folgt beschrieben: „‘Conceptual integration’ – often called ‘blending’ – is a basic and pervasive mental operation. It allows us to ‘blend’ two mental spaces to create a third that is not merely a composition of the first two but instead has emergent structure of its own“ (Fauconnier/Turner 1999: 77). Die in der Definition erwähnten mentalen Räume, deren Anzahl im Blending nicht unbedingt auf zwei beschränkt bleiben muss, sind als temporäre Einheiten zu verstehen. Außerdem ist die Verschmelzung der Ausgangsstrukturen und die daraus resultierende Entstehung neuer Strukturen hervorzuheben. Diese Merkmale unterscheiden das Blending von der Theorie der kognitiven Metaphern mit den domains als dauerhaft gespeicherten Strukturen und der unidirektionalen Projektion vom Quellauf den Zielbereich. Insbesondere die Hervorhebung der Verschmelzung mehrerer Räume unter Entstehung neuer Strukturen lässt das Verfahren des Blendings für komplexere Zusammenhänge, in denen Metonymien und Metaphern zusammen eine gewisse Rolle spielen, geeignet erscheinen. Die in der Definition angedeuteten Punkte sollen kurz erläutert werden, bevor einzelne, Metonymien und Metaphern enthaltende Beispiele besprochen werden. Die Theorie der konzeptuellen Integration basiert auf der Vorstellung der

245 espaces mentaux, Modellen von konzeptuellen Einheiten, die bei kognitiver Aktivität temporär gebildet werden. Zwei oder mehrere solcher Räume werden kombiniert (composition), wobei die jeweiligen strukturellen Anknüpfungspunkte herausgefiltert und Hintergrundframes zur Vervollständigung der benötigten Informationen herangezogen werden (completion). Daraus entsteht durch die konzeptuelle Integration eine neue Struktur. Diese kann im Vergleich zu den ursprünglichen Räumen neue Elemente enthalten (elaboration). Die neu entstandene Struktur beinhaltet Implikationen, die auf die ursprünglichen Konzepte zurückfallen können (backward projection). Konzeptuelle Integration kann nicht nur in Sprache stattfinden, sondern auch in kulturellen Einheiten, wie Ritualen, Bildern etc. (vgl. u. a. Fauconnier/Turner 1999, Evans/Green 2006: 400–440). Ziel der konzeptuellen Integration ist es, Komplexität zu reduzieren und Sachverhalte zu verkürzen, um sie unmittelbar verständlich zu machen. Die Relationen, die zwischen den einzelnen Input-Elementen der konzeptuellen Integration bestehen und diese motivieren, können komprimiert werden, um die „Distanz“ zwischen den Input-Elementen zu verringern. So können z. B. zwei durch eine zeitliche Relation verbundene ungleichzeitige Ereignisse als simultan konzipiert werden und einander scheinbar überlagern. Auch räumliche Beziehungen oder Ursache-Wirkung-Beziehungen können derart verdichtet werden. Dies erinnert an die Metonymie, bei der durch Kontiguitätsrelationen verbundene Konzepte aufeinander verweisen. Konzeptuelle Integration kann in verschiedenen Ausprägungen auftreten. So kann in einem durch konzeptuelle Integration entstandenen konzeptuellen Netzwerk der Aufbau einer der eingebrachten mentalen Räume das gesamte Ergebnis strukturieren; oder aber aus allen eingebrachten Konzepten wird ein Teil der Struktur beibehalten; oder alle haben eine sehr ähnliche Struktur, die durch die konzeptuelle Integration herausgehoben wird. Das erste der folgenden drei Beispiele soll hauptsächlich den Mechanismus des Blendings verdeutlichen, die beiden anderen gehen näher auf die Problematik der Vermischung von Metonymien und Metaphern ein. (175) Pour une fois, les siècles les plus nombreux avaient été requis : la Septimanie était le nom

d’un royaume wisigothique. Et ça, c’est fort. Qui, sinon M. Frêche, a jamais osé dans notre histoire réhabiliter les Wisigoths, ces envahisseurs de l’Empire romain des IVe et Ve siècles ? Quelles étaient ses arrière-pensées ? Trouve-t-il qu’avec Chiracus-Augustule, toujours au bord d’être trahi par le petit Hun de l’UMP ou par Villebrutus le fils félon, notre Gaule a un faux air de la Rome de la fin ? Entendait-il arriver au congrès du PS au Mans en char à bœufs, suivi de ses troupes pour châtier Hollande, cet Hannibal de sous-préfecture infoutu de dompter ses éléphants ? (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Tu l’as velu, tu l’as eu“, S. 11.)

(176) Le cocktail mortel d’Oullins

Chaïb Zehaf est mort à la sortie d’un bar la semaine dernière. Drame de l’alcoolisme ou crime raciste ? La justice a décidé de réentendre tous les témoins (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Le cocktail mortel d’Oullins“, S. 46.)

(177) C’est donc aux Etats-Unis que Jacques Lusseyran a enseigné les vertus et les richesses... de

la civilisation française. Et c’est aux Américains qu’il a dédié la morale de son livre : « La

246 lumière ne vient pas du dehors. Elle est en nous. » Il est mort, en 1971, dans un accident de voiture. Il avait 47 ans. Tellement plus, en vérité. Car il répétait sans cesse que la vie n’est pas faite pour être vécue à moitié. La sienne a été si pleine qu’elle donne l’impression d’avoir débordé. Ce livre, qui illustre au plus haut point le concept de résilience, peine d’ailleurs à la contenir. Et à endiguer l’émotion tremblante qu’on éprouve à toucher du doigt, comme du braille, cet admirable destin saillant. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un aveugle à Buchenwald“, S. 57.)

Bei Beispiel (175) handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Kommentar bzw. einer Glosse zu dem Vorschlag des Präsidenten des Conseil régional der Region Languedoc-Roussillon, Georges Frêche, die Region in „Septimanie“ umzubenennen. Dass dies der Name eines westgotischen Königreichs war, nimmt der Autor des Artikels zum Anlass, die politische Situation Frankreichs im Jahr 2005 anhand verschiedener geschichtlicher Ereignisse und Persönlichkeiten zu karikieren. Dabei werden unterschiedliche Zeitpunkte und geschichtliche Epochen in einem simultanen Bild ineinander überführt: Augustus, Caesar, die Hunnen, die Westgoten, Hannibal und Personen der Gegenwart wie der damalige Präsident Chirac, der damalige Premierminister de Villepin oder der Generalsekretär des Parti socialiste Hollande. Damit erfolgt eine zeitliche Kompression. Die Epochen scheinen zu verschmelzen. Teile dieser konzeptuellen Integration sind metaphorischer Art, wenn z. B. einzelnen aktuellen Personen die Charakteristika und der Hintergrund historischer Figuren zugeschrieben werden. Dennoch sind nicht alle Elemente so zu erklären, wie eventuell der „char à bœufs“, der Georges Frêche „angedichtet“ wird. Hinzu kommt die in den erfundenen zusammengesetzten Namen „Chiracus-Augustule“ und „Villebrutus“ deutlich erkennbare über eine unidirektionale Projektion hinausgehende Verschmelzung der verschiedenen enthaltenen mentalen Räume. Die konzeptuelle Integration in Ausschnitt (176) betrifft die Überschrift eines Artikels, in dem es um eine Schießerei in Lyon am Ende eines Kneipenabends geht, bei der ein Araber getötet wurde und bei der u. U. rassistische Motive eine Rolle spielten. Hier wird die Überlagerung von Metonymien und Metaphern wichtig, ohne dass sie wie in den oben angeführten Fällen der Interaktion von Metonymien und Metaphern klar voneinander zu trennen wären bzw. für eine Erklärung aller Effekte genügen würden. Außerdem kann die Übertragung konzeptueller Strukturen nicht mehr nur eindeutig von Quell- zu Zielkonzept festgestellt werden. Die Beeinflussung zwischen den involvierten Konzepten erfolgt eher wechselseitig. Durch die knappe Überschrift „Le cocktail mortel d’Oullins“ werden gleich mehrere Konzepte aktiviert und übereinander gelegt. Einbezogen werden über das ausdrücklich eingeführte Konzept des Cocktails zusätzlich das Konzept des Alkohols und des übermäßigen Alkoholkonsums sowie die Mischung der Anwohner im Stadtteil Oullins, der im weiteren Artikel als „vieille banlieue populaire de Lyon“ beschrieben wird. Während die Assoziation des Alkoholkonsums eher metonymisch begründet ist, wird der Gedanke an die Mischung der Anwohner verschiedener Herkunft und aus verschiedenen sozialen

247 Schichten eher durch eine metaphorische Übertragung gewisser Züge des Konzepts eines Cocktails hervorgerufen. Die anwesenden Kneipenbesucher, Bewohner des Viertels, stehen unter dem Einfluss des Alkohols. Beide aus dem Konzept des Cocktails abgeleiteten Aspekte, soziale Probleme und Alkoholkonsum, vermengen sich wiederum als Cocktail zu einer tödlichen Mischung, was auf die tödliche Konsequenz der abgefeuerten Schüsse hindeutet. So sind alle aufgerufenen Aspekte untereinander verbunden. Zudem beschwört das Wort „cocktail“ in Verbindung mit dem Adjektiv „mortel“ die Assoziation der explosiven Mischung eines Molotowcocktails oder der tödlichen Dosis eines giftigen Gebräus herauf. Diese deckt sich sehr gut mit der Struktur des in sich brodelnden sozialen Gefüges, angeheizt durch den Alkohol. Ein derartig enges Netz konzeptueller Integration, das durch zahlreiche Implikationen einen ausführlicheren Sachverhalt in nur wenige Worte zu komprimieren vermag, fördert durch die Herausstellung der Interdependenz der beteiligen Elemente die Kohärenz. Da es sich um die Überschrift handelt, werden im Voraus die wichtigen Relationen geklärt. Wie bei der Metonymie an sich wird die zusammenfassende Funktion des blendings auch am Ende eines Texts wichtig. Dies ist in Beispiel (177) beobachtbar. Am Ende eines Artikels zu den Memoiren des blinden ehemaligen Widerstandskämpfers und KZ-Häftlings Jacques Lusseyran wird die Plastizität und Anschaulichkeit, mit der er sein Schicksal niedergeschrieben hat, hervorgehoben. Auf bemerkenswerte Weise werden in dem letzten Halbsatz viele wichtige Elemente des Artikels nochmals zusammengeführt. An dem blending beteiligt sind die Konzepte der Blindheit Lusseyrans und der Lektüre der Memoiren (metonymisch evoziert über die Erwähnung der Blindenschrift „braille“), das Konzept der Anschaulichkeit der Schilderungen und der unmittelbaren Erfahrung (metaphorisch beschrieben mit dem Ausdruck „à toucher du doigt“) sowie die Außergewöhnlichkeit des Lebens und Schicksals von Lusseyran (ebenfalls metaphorisch charakterisiert durch das Adjektiv „saillant“). Zugleich beziehen sich die Ausdrücke „à toucher du doigt“ und „saillant“ wörtlich auf die Blindenschrift „braille“ und das Lesen eines Texts in dieser Blindenschrift und formen darüber ein weiteres einheitliches Bild, das zur Thematik des Diskurses Überschneidungspunkte bietet. Außerdem sind die aufgerufenen Konzepte untereinander verknüpft. Die Lektüre der Memoiren nämlich erlaubt die unmittelbare Teilnahme an dem außergewöhnlichen Lebensweg des blinden Lusseyran. Wiederum gelingt es durch die konzeptuelle Integration, teilweise unter Rückgriff auf Metonymien und Metaphern, ein ganzes konzeptuelles Netzwerk zu schaffen und mehrere Verstehensebenen übereinander zu schichten. Am Ende eines Textes kann die enge Integration der verschiedenen Konzepte in einer Zusammenfassung die Gesamtkohärenz steigern. Dieses letzte Kapitel hat in einem Ausblick dargelegt, dass die Metonymie und die Metapher zwar grundsätzlich unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Einsetzbarkeit für Kohärenz und Kontinuität des Diskurses legen, dass sie aber

248 dennoch interagieren können. Die Metonymie kann deshalb nicht nur allein, sondern auch in Kombination mit der Metapher auf die Kohärenz eines Diskurses einwirken.

6.3

Zusammenfassung

In Kapitel 6 wurde der Blickwinkel auf die Metonymie erweitert, indem nach ihrer Rolle für Kontinuität nun auch ihre Eignung zur Förderung von Kohärenz in einigen relativ gut abgrenzbaren Vorkommenssituationen beleuchtet wurde. Zu diesen gehört als Erstes die Schaffung einer bestimmten Perspektive durch den gezielten Einsatz eines metonymisch verwendeten Ausdrucks. Dadurch kann ein Sachverhalt in die konzeptuelle Ausrichtung einer Passage oder eines ganzen Texts kohärent eingefügt werden. Das Vermögen der Metonymie, eine spezifische Sichtweise zu etablieren, wird auf verschiedene Weise instrumentalisiert. Dies lässt sich gut mit den Annahmen der Théorie de l’Argumentation von Ducrot und Anscombre erklären: Ein Argument kann zur Stützung einer Schlussfolgerung konzipiert werden. Der Weg von einem Argument zu einem Schluss kann durch Topoi oder in späteren Formen der Theorie durch die blocs sémantiques repräsentiert werden. Die Bedeutung von Autosemantika besteht darin, Toposbündel oder semantische Blöcke aufzurufen. Somit kann die Metonymie bereits durch die Entscheidung, einen bestimmten metonymisch verwendeten Ausdruck dem wörtlichen Ausdruck vorzuziehen, Einfluss auf das argumentative Potential des verwendeten Ausdrucks, die mitgeteilte Perspektive und damit auf die argumentative Ausrichtung einer Aussage ausüben. Eine spezielle Anwendung kann diese Perspektivierung auch durch den gezielten Einsatz eines metonymisch verwendeten Ausdrucks in Gegenüberstellungen erfahren. Hier kann die Metonymie dazu beitragen, gerade die Punkte herauszustellen, die in der Gegenüberstellung von zwei Sachverhalten relevant sind. Sie ermöglicht ein leichteres Erkennen des Vergleichspunkts und damit der Opposition. In diesen Fällen sind symbolhafte Metonymien besonders häufig. Schließlich spielt die Perspektivierung durch Metonymien in die Darstellung von Kausalität hinein. Kausalität an sich ist eine schwer zu fassende Relation zwischen Ursache und Wirkung. Sie zeichnet sich aus durch die Vorzeitigkeit der Ursache vor der Wirkung, durch die Abhängigkeit der Wirkung von der Ursache, durch die Herausbildung von kausalen Gesetzmäßigkeiten und v. a. durch Vereinfachung und Subjektivität. Genau an diesem Punkt setzt die Metonymie an. Versprachlicht wird Kausalität in Satzform nämlich meist derart, dass die Ursache oder der Kausator in der Subjektposition auftritt und die Rolle eines Agens übernimmt. Durch die Metonymie können nun bestimmte Satzteile bzw.

249 Konzepte in diese Position befördert werden und damit subjektiv als Ursache erscheinen. So kann durch die Kontiguitätsbeziehung ein Instrument, eine indirekte Ursache oder eine als Gesamtheit betrachtete Gruppe metonymisch für den eigentlichen Verursacher eingesetzt werden. Teilweise verschwimmt aber die Grenze zwischen metonymischem und wörtlichem Gebrauch eines Ausdrucks, da die Kausalitätsrelation an sich subjektiv ist und Ursache, Instrument etc. häufig nicht objektiv voneinander abgrenzbar sind. Eine weitere kohärenzsteigernde Funktion der Metonymie liegt in ihrer Fähigkeit begründet, Sachverhalte zusammenzufassen. Unter Ausnutzung ihrer elliptischen Züge tritt die Metonymie insbesondere am Anfang oder Ende eines Texts oder einer Passage auf, um eine vorausschauende Leitlinie zur Lektüre oder ein rückblickendes Resümee zu liefern. Damit wird die Interpretation erleichtert und Zusammenhänge geklärt, was für die Kohärenz von Vorteil ist. Als parametonymische Figur verhilft auch die Hypallage durch ihren raffenden Charakter Diskursen stellenweise zu besonderer Dichte. Dadurch, dass ein Adjektiv nicht bei seinem eigentlichen Bezugswort steht, kann dieses implizit bleiben. In Fällen, in denen das Bezugswort zwar genannt ist, das Adjektiv aber dennoch verschoben wird, entsteht eine Art Klammerung, die die Verbindung zwischen den beiden von der Hypallage betroffenen Nominalphrasen bzw. den von ihnen benannten Konzepten hervorhebt. Insgesamt zeigt sich also, dass die Metonymie – allerdings nur in bestimmten Fällen – nicht nur zur Kontinuität, sondern auch zur Kohärenz eines Diskurses beitragen kann. Oft tritt dabei die stilistisch-rhetorische Funktion der Metonymie sehr stark hervor. Mit dem Ziel eines Vergleichs der Metonymie mit der Metapher, dem zweiten viel diskutierten Konzeptualisierungsmechanismus, wurde letzere näher auf ihre Eigenschaften bei der Einfügung in die Diskursstruktur hin betrachtet. Die Metapher funktioniert als kognitives Verfahren, bei dem das Zielkonzept durch die „Strukturfolie“ des Quellkonzepts gegliedert wird, meist in der Absicht, abstraktere oder weniger geläufige Konzepte fassbar zu machen. Nach der Theorie der konzeptuellen Metapher bestehen dabei allgemeinere, häufig konventionalisierte, auf unserer Wahrnehmung beruhende Schemata, die konzeptuellen Metaphern. Daraus lassen sich einzelne sprachlich realisierte metaphorische Ausdrücke ableiten, die auf den jeweiligen Korrespondenzen zwischen dem Quell- und Zielbereich der konzeptuellen Metapher beruhen. Diese Theorie der konzeptuellen Metaphern kann die Rolle der Metapher für Kohärenz erklären. Durch die Übertragung der kohärenten konzeptuellen Strukturierung einer Quelle auf ein Ziel wird nämlich diese Kohärenz mittransportiert und lässt die dem Ziel innewohnenden, eventuell zunächst nicht ganz so offensichtlichen Zusammenhänge besser hervortreten. Außerdem kann aus einer konzeptuellen Metapher eine Vielzahl von sprachlichen metaphorischen Realisierungen in einem Diskurs abgeleitet werden. Diese ergeben einen kohärenten Gesamteindruck des Diskurses, da sie alle auf eine gemeinsame Grundlage zurückzuführen sind.

250 Demgegenüber scheint die Verwendung der Metapher für die Herstellung von Kontinuität nicht von Bedeutung zu sein. Die Metapher wird, da sie einen unkonventionellen Ausdruck für den intendierten Referenten verwendet, in anaphorischen Verbindungen eher als kontinuitätsstörend wahrgenommen und vielmehr zur Erzielung von Expressivität eingesetzt. Damit zeichnen sich die Unterschiede der diskursiven Leistung der Metapher und der Metonymie ab: Während die Metonymie primär einen Beitrag zur Diskurskontinuität leistet, bietet sich die Metapher zur Steigerung von Kohärenz an. Diese Eigenschaften korrelieren mit den generellen Funktionsprinzipien. Die Metonymie ist mit der Ausnutzung vorgegebener Kontiguitätsrelationen und der Herstellung von nur einer Verbindung zwischen zwei Konzepten besser dafür ausgestattet, den linearen diskursiven Verlauf auf eine Entität zu zentrieren. Demgegenüber ist die Metapher als eventuell im Kontext neu hergestellte Relation, die immer gleich mehrere konzeptuelle Korrespondenzen wachruft, eher dafür geeignet, Kohärenz zu erzeugen. Ausblickend konnte festgestellt werden, dass die Metonymie und die Metapher trotz ihrer Unterschiede zusammenwirken können. So kann eine Metonymie den Ausgangspunkt für eine metaphorische Übertragung bilden. Ebenso kann eine Metapher eine Metonymie über ihr Quell- oder Zielkonzept beherbergen. Derartige Kombinationen gehen über in konzeptuelle Integration, auch blending genannt. Hierbei werden nicht nur zwei, sondern gleich mehrere Konzepte überlagert, die sich gegenseitig beeinflussen und neue Strukturen herausbilden. Metapher und Metonymie können Teil einer solchen konzeptuellen Integration sein. Auch in diesen Fällen liegt die Wirkung auf der diskursiven Ebene eher in der Herstellung von Kohärenz als von Kontinuität.

Schlussbetrachtung

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Feststellung, dass die Metonymie bisher meist nur an einzelnen Ausdrücken und ohne Berücksichtigung eines weiteren Zusammenhangs untersucht worden ist. Oft wurden ausschließlich konstruierte Beispiele herangezogen. Diese eingeschränkte Perspektive erschien ungenügend, zumal es plausibel ist, dass bei der Metonymie als grundlegendem kognitiven Mechanismus die resultierende Konzeptualisierung eines Sachverhalts mit dem restlichen Diskurs interagiert. Wenn durch die Verwendung einer Metonymie in einem bestimmten Diskurszusammenhang zwei Konzepte verknüpft und durch einen einzigen Ausdruck aktiviert werden können, so ist es wahrscheinlich, dass sich dies auf die diskursive Umgebung auswirkt, insbesondere auf die informationelle Struktur und die Diskurskontinuität. Um einen solchen Zusammenhang nachweisen zu können, müssen längere, authentische Diskursausschnitte als Grundlage für die Analyse herangezogen werden, weshalb für die hier angestellten Untersuchungen ein Korpus verwendet wurde. Der Weg zum Nachweis dieses Zusammenhangs soll im Folgenden überblicksartig nachgezeichnet werden. Zunächst wurden die Metonymie und Diskurskontinuität jeweils getrennt umrissen, um in einem weiteren Schritt auf die Interaktion der beiden Phänomene eingehen zu können. Als Erstes wurde versucht, ein möglichst umfassendes Bild der Metonymie zu entwickeln: Sprachliche Zeichen tragen einerseits einen einzelsprachlichen Inhalt, sind aber andererseits mit konzeptuellem Wissen verbunden. Auf der Ebene dieses konzeptuellen Wissens ist die Kontiguität, die die Grundlage der Metonymie bildet, anzusiedeln. Kontiguität besteht in der Nachbarschaft und in der Verbindung zwischen Konzepten innerhalb bestimmter konzeptueller Repräsentationseinheiten. Diese Verbindungen können durch die Modellierung konzeptueller Repräsentationen, z. B. in der Form von Frames, anschaulich gemacht werden. Der Mechanismus der Metonymie nutzt diese Kontiguitätsrelationen auf folgende Weise: Ein leichter zugängliches Konzept (Quellkonzept), das durch den metonymisch verwendeten Ausdruck aufgerufen wird, kann über die Kontiguitätsrelation mentalen Zugang zu einem kontigen Zielkonzept erlauben, über das sich der intendierte Referent identifizieren lässt. Ergänzend zu dieser kognitiven Betrachtung des Mechanismus an sich kann eine eher pragmatische Herangehensweise hinzutreten, die die Gründe für den Einsatz von Metonymien und die Abläufe bei der Interpretation durch den Hörer oder Leser berücksichtigt. Als Nächstes wurde der Begriff der Kontinuität herausgearbeitet und von Kohärenz und Kohäsion abgegrenzt. Während Kohärenz sich allgemein auf die Verknüpfung der im Diskurs evozierten Konzepte bezieht, beinhaltet Kohäsi-

252 on die formale Markierung eines Zusammenhangs zwischen einzelnen sprachlichen Elementen. Kontinuität dagegen berücksichtigt Aspekte aus beiden Bereichen zugleich und stellt den Gegenpol zur informationellen Progression dar. Sie erfasst als Schnittmenge von Kohärenz und Kohäsion auf konzeptueller und formaler Ebene verankerte, miteinander interagierende Phänomene. Kontinuität betrachtet die lineare Fortführung von gegebener Information, was sich auf formaler Ebene auf die sprachliche Gestaltung dieser Fortführung in Form von Anaphern auswirkt. Das Topik kann hierbei als Aussagegegenstand angesehen werden, der bevorzugt zu informationeller Gegebenheit tendiert und an den die neu hinzutretende Information anknüpft. Die Anapher als Wiederaufnahmerelation zwischen dem Antezedens und dem anaphorischen Ausdruck, der vom Antezedens referentiell abhängig ist, macht diese kontinuierliche Fortführung mit sprachlichen Mitteln (definite Nominalphrasen, Pronomen etc.) sichtbar. Vor diesem Hintergrund wurden die beiden Phänomene der Metonymie und der Kontinuität auf mögliche Interaktionen hin untersucht. Das hierfür herangezogene Korpus besteht aus Artikeln des französischen Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur. Der informative und meinungsbetonte Charakter der Artikel ließ eine hohe Informationsdichte, viele verschiedene (neu einzuführende) Referenten und Querverbindungen zwischen einzelnen Konzepten erhoffen, was der Bildung von Metonymien mit ihrer Verbindung kontiger Konzepte entgegenkommen dürfte. Die Auswertung erfolgte von Hand, da automatische Extraktionsverfahren für metonymische Ausdrücke bis jetzt nur begrenzte Wortfelder abdecken oder auf semantisch annotierte Korpora angewiesen sind. Bei der Untersuchung der im Korpus gefundenen Belege stellte sich heraus, dass metonymische Ausdrücke nicht selten entweder als Antezedens oder als wiederaufnehmender Ausdruck einer anaphorischen Relation fungieren. In diesen Fällen kann dann entweder auf das Quell- oder das Zielkonzept rückverwiesen werden bzw. kann entweder das Quell- oder das Zielkonzept auf das Antezedens rückverweisen. Sechs Hauptgruppen wurden ermittelt und beschrieben: - Wiederaufnahme eines zuvor metonymisch verwendeten Ausdrucks unter Rückbezug auf das Quellkonzept - Wiederaufnahme eines metonymisch verwendeten Ausdrucks zur Ableitung weiterer Zielkonzepte (Ableitung weiterer Metonymien) - Wiederaufnahme eines metonymischen Ausdrucks unter Rückbezug auf das Zielkonzept (Aufrechterhaltung derselben Metonymie) - Wiederaufnahme des Zielkonzepts durch einen diesem entsprechenden Ausdruck - Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch einen metonymischen Ausdruck und dessen Quellkonzept - Wiederaufnahme einer Nominalphrase durch das Zielkonzept einer Metonymie unter Einführung eines entsprechenden metonymischen Ausdrucks

253 Verschiedene theoretisch orientierte Ansätze versuchen die Bedingungen festzumachen, nach denen in einem bestimmten Fall entweder das Quell- oder das Zielkonzept weitergeführt und mit dem zuvor metonymisch verwendeten Ausdruck oder einem dem Zielkonzept entsprechenden Ausdruck bezeichnet werden kann. Allerdings erscheinen die besprochenen Ansätze in sich nicht völlig konsistent, beschäftigen sich ausschließlich mit pronominaler Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke, stützen sich auf konstruierte, allzu kurze Satzfolgen und begehen den Fehler, die Einflussfaktoren für die Wiederaufnahme nur in dem jeweils vorliegenden Metonymietyp selbst zu suchen. Deshalb wurde ein neuer Erklärungsansatz vorgeschlagen. Wie aus der Betrachtung der Korpusbeispiele ersichtlich wird, ist eine Wiederaufnahme des zunächst metonymisch verwendeten Ausdrucks (teils durch eine Nominalphrase, teils durch ein mit dem metonymischen Ausdruck kongruentes Pronomen) weitaus häufiger als die Wiederaufnahme des Zielkonzepts unter Einführung eines diesem entsprechenden Ausdrucks. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass es beim Einsatz von Metonymien in anaphorischen Zusammenhängen meist darum geht, durch die formale Fortführung eines Ausdrucks und den Rückgriff auf Gegebenes den Eindruck von Kontinuität herzustellen. Bestätigung fand diese Sichtweise in der weiteren Analyse der Beispielausschnitte. In anaphorischen Strukturen eingebundene Metonymien dienen in der deutlichen Mehrzahl der Herstellung von Progression mit konstantem Topik, zum Teil von linearer Progression: Soll an einer bestimmten Stelle einer Progressionskette mit konstantem Topik ein leicht abweichender Referent bezeichnet werden, so kann der Topikausdruck dennoch beibehalten und das Progressionsmuster fortgesetzt werden, indem der Topikausdruck metonymisch verwendet wird. Das Zielkonzept und der damit verbundene intendierte Referent werden dabei über die Metonymie indirekt zugänglich gemacht, während die referentielle Abweichung formal durch die Beibehaltung des Topikausdrucks kompensiert wird. Auf diese Weise wird mit Hilfe der Metonymie Kontinuität geschaffen. Dort, wo ausnahmsweise doch das Zielkonzept der Metonymie unter Einführung eines entsprechenden Ausdrucks weitergeführt wird, liegt eine Progression mit abgeleitetem Topik vor: Es wird eine möglichst kontinuierliche Überleitung auf das Zielkonzept als neues Topik bezweckt. Über ein bereits gegebenes oder salienteres Quellkonzept wird in diesem Fall im metonymischen Ausdruck das noch nicht gegebene Zielkonzept indirekt eingeführt. So steht das Zielkonzept des metonymisch verwendeten Ausdrucks anschließend für die anaphorische Wiederaufnahme bereit und kann unter direkter Bezeichnung weitergeführt werden. Die Möglichkeiten der Anaphorisierung metonymischer Ausdrücke hängen also von den Bedingungen ab, unter denen die Topikstruktur des Diskurses gestaltet werden soll: Anaphorisierung ist möglich, soweit die Kontinuität gewahrt bleibt oder gefördert wird. Ähnliche Beobachtungen wie für die Metonymie ergeben sich für die verwandten Formen der indirekten Anapher und der Syllepse.

254 Im letzten Kapitel wurde die Untersuchung der diskursiven Rolle der Metonymie um einen Aspekt erweitert: In einzelnen Situationen kann sie nicht nur der Kontinuität, sondern auch der Kohärenz dienlich sein, nämlich dann, wenn sie den Zweck erfüllt, eine bestimmte Perspektive gemäß der Argumentationslinie des Diskurses auszudrücken. So unterstreicht sie die konzeptuellen Zusammenhänge innerhalb des Diskurses. Dies kann durch die Ausnutzung des argumentativen Potentials eines Ausdrucks erreicht werden, der dank der indirekten Herstellung der Referenz durch eine Metonymie an einer bestimmten Stelle eingesetzt werden kann. Eine spezifische Perspektive kann außerdem durch Gegenüberstellungen hergestellt werden, die mit Hilfe einer Metonymie zugespitzt werden. Eine gezielte, sich auf eine Metonymie stützende Perspektivierung tritt häufig auch bei kausalen Sachverhalten auf. Daneben können die Metonymie und die metonymieverwandte Figur der Hypallage durch ihre synthetisierende Wirkung den betreffenden Text knapp zusammenfassen. Abschließend wurde die Metonymie in ihrer diskursiven Dimension mit einem weiteren sprachlich manifesten Konzeptualisierungsmechanismus, nämlich der Metapher, verglichen. Die konzeptuelle Metapher stellt Kohärenz her, indem sie die in sich stimmige Struktur des Quellkonzepts auf ein weniger deutlich strukturiertes Zielkonzept überträgt und eine Vielzahl von Parallelen zwischen Quell- und Zielkonzept ableitbar macht. Alle sprachlichen Ausdrücke, die sich auf diese verschiedenen Korrespondenzen stützen, beziehen sich letztlich auf dasselbe metaphorische Grundschema und sind bereits dadurch kohärent verbunden. Demgegenüber vermag die Metapher keinen nennenswerten Beitrag zur Herstellung von Diskurskontinuität zu leisten. Die Metapher und die Metonymie unterscheiden sich also in ihren möglichen diskursiven Funktionen: Während die Metapher nur für Kohärenz zuständig ist, ist die Hauptaufgabe der Metonymie in ihrer diskursiven Verwendungsweise die Herstellung von Kontinuität. Es zeigt sich, dass diese Funktion für die Metonymie spezifisch ist. Nichtsdestoweniger können Metonymien und Metaphern aufeinander aufbauen oder an allgemeiner konzeptueller Integration mitwirken. Ziel der Arbeit war es, den Zusammenhang zwischen Metonymien und Diskurskontinuität aufzudecken, zu belegen und zu erklären. Weiterführend wirft das Zusammenspiel von Diskurskontinuität und Metonymien aber Fragen auf, die im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden konnten. So wäre z. B. eine in stärkerem Maße quantitative Auswertung eines Korpus – die Auswertung in der vorliegenden Arbeit war qualitativ ausgerichtet – von Interesse, um die Häufigkeit für Diskurskontinuität oder Kohärenz relevanter Metonymien in verschiedenen Textsorten genauer beschreiben zu können. Es könnte außerdem das Verhältnis von nicht auf die Herstellung von Diskurskontinuität abzielenden Metonymien (z. B. rein stilistischer Gebrauch, Verwendung aus sprachökonomischen Gründen etc.) und kontinuitätsstiftenden Metonymien ermittelt werden, um so die Funktionsweise der Metonymie noch besser zu verstehen.

255 Außerdem wäre es interessant, die gesprochene Sprache einzubeziehen und dort die Nutzung der Metonymie auf diskursiver Ebene genauer zu untersuchen. Zu erwarten ist, dass dabei v. a. der situationelle Bezug eine bedeutende Rolle spielt und sich so eventuell spezifische Verwendungsmuster und diskursive Funktionen ausprägen. Ein weiteres Desiderat wäre der Vergleich des Französischen mit anderen Sprachen. Alle Beispiele, die für die vertretene Argumentation herangezogen wurden, waren französische Textausschnitte. Es müsste herausgefunden werden, ob die Metonymie sprachübergreifend zur Herstellung von Diskurskontinuität eingesetzt wird, und wenn ja, ob dies in allen Sprachen auf die gleiche Weise und mit der gleichen Häufigkeit erfolgt. Dies könnte z. B. durch den Vergleich von Originaltexten mit ihren Übersetzungen (vgl. Waltereit 1998: 46–48) oder durch Korpusuntersuchungen in weiteren Sprachen geschehen. Einen ersten Hinweis darauf, dass eine solche Untersuchung von Interesse sein könnte, liefert Paillard (2002) mit einer vergleichenden Korpusstudie zur Metonymie und zur Hypallage im Englischen und Französischen. In seiner Schlussfolgerung stellt er fest: „[I]n the type of metonymy just examined, French characteristically tolerates a greater degree of semantic heterogeneity between argument and predicate. Through hypallage, English characteristically allows greater syntactic flexibility in the form of movement and ellipsis“ (Paillard 2002: 183). Sollte diese, bei Paillard an einem relativ kleinen Korpus untersuchte Tendenz zutreffen, so könnte sie auch Einfluss auf den Einsatz von Metonymien zur Herstellung von Diskurskontinuität haben. Trotz dieser noch nicht beantworteten Fragen hat die Betrachtung der Metonymie auf diskursiver Ebene zu Ergebnissen geführt, die die Unentbehrlichkeit dieser Perspektive auch für Phänomene erkennen lassen, die auf den ersten Blick auf einzelne Ausdrücke begrenzt zu sein scheinen. Diese Herangehensweise lässt erneut deutlich werden, dass die Metonymie in vielen Fällen weit mehr ist als ein rhetorisches Stilmittel, und liefert mit der Beschreibung des spezifischen kontinuitätsstiftenden Verhaltens der Metonymie ein weiteres Abgrenzungskriterium gegenüber der Metapher. Anhand zahlreicher Beispiele konnte belegt werden, dass der Konzeptualisierungsmechanismus der Metonymie und die informationelle Struktur in bestimmten Fällen in einer Weise miteinander interagieren, die eine Steigerung der Diskurskontinuität nach sich zieht: Die Verwendung der Metonymie wird durch das informationsstrukturelle Erfordernis der Herstellung von Kontinuität motiviert.

Literatur Adam, Jean-Michel (1992): Les textes : types et prototypes ; récit, description, argumentation, explication et dialogue. – Paris: Nathan. Allbritton, David W./McKoon, Gail/Gerrig, Richard J. (1995): „Metaphor-basedschemas and text representation: making connections through conceptual metaphors.“ – In: Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition 21 (3), 612– 625. Al Sharafi, Abdul Gabbar Mohammed (2004): Textual metonymy. A semiotic approach. – New York: Palgrave MacMillan. Anscombre, Jean-Claude/Ducrot, Oswald (1983): L’argumentation dans la langue. – Brüssel: Mardaga. Barcelona Sánchez, Antonio (2003): „Introduction.The cognitive theory of metaphor and metonymy.“ – In: Antonio Barcelona Sánchez (Hg.): Metaphor and metonymy at the crossroads. A cognitive perspective, 1–28. Berlin: Mouton de Gruyter. – (2005a): „The role of metonymy in discourse pragmatic inferencing.“ – In: Luis Otal Campo, Ignasi Navarro i Ferrando, Begoña Bellés Fortuño (Hgg.): Cognitive and discourse approaches to metaphor and metonymy, 29–44. Castelló de la Plana: Publicacions de la Universitat Jaume I. – (2005b): „The multilevel operation of metonymy in grammar and discourse, with particular attention to metonymic chains.“ – In: Francisco José Ruiz de Mendoza Ibáñez, María Sandra Peña Cervel (Hgg.): Cognitive linguistics. Internal dynamics and interdisciplinary interaction, 313–352. Berlin: Mouton de Gruyter. Barsalou, Lawrence W./Hale, Christopher R. (1993): „Components of representation: from feature lists to recursive frames.“ – In: Iven Van Mechelen et al. (Hgg.): Categories and concepts. Theoretical views and inductive data analysis, 97–144. London: Academic Press. Becker, Juliane (2006): Argumentative Strukturen und lexikalische Semantik. Entwicklungen im Werk von Oswald Ducrot. – Berlin: Freie Universität Berlin. Berrendonner, Alain (1983): „‘Connecteurs pragmatiques’ et anaphore.“ – In: Cahiers de linguistique française 5, 215–246. Biber, Douglas/Conrad, Susan/Reppen, Randi (1998): Corpus linguistics: investigating language structure and use. – Cambridge: Cambridge University Press. Blank, Andreas (1999): „Co-presence and succession. A cognitive typology of metonymy.“ – In: Klaus-Uwe Panther, Günter Radden (Hgg.): Metonymy in language and thought, 169–191. Amsterdam: Benjamins. – (2001): Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten. – Tübingen: Niemeyer. – (2003): „Polysemy in the lexicon and in discourse.“ – In: Brigitte Nerlich et al. (Hgg.): Polysemy. Flexible patterns of meaning in mind and language, 267–293. Berlin: Mouton de Gruyter. Bonhomme, Marc (1987): Linguistique de la métonymie. – Bern: Lang. – (2006): Le discours métonymique. – Bern: Lang. Bosch, Peter (1986): „Pronouns under control?“ – In: Journal of Semantics 5 (1), 65–78. Budiu, Raluca/Anderson, John R. (2002): „Comprehending anaphoric metaphors.“ – In: Memory & Cognition 30 (1), 158–165. Burkhardt, Armin (1996): „Zwischen Poesie und Ökonomie. Die Metonymie als semantisches Prinzip.“ – In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 24, 175–194.

258 Cadiot, Pierre (1988): „Le thème comme synecdoque.“ – In: Langue Française 78, 9– 26. Camac, Mary K./Glucksberg, Sam (1984): „Metaphors do not use associations between concepts, they are used to create them.“ – In: Journal of Psycholinguistic Research 13 (6), 443–455. Chafe, Wallace (1987): „Cognitive constraints on information flow.“ – In: Russel S. Tomlin (Hg.): Coherence and grounding in discourse, 21–51. Amsterdam: Benjamins. Charolles, Michel (1978): „Introduction aux problèmes de la cohérence des textes.“ – In: Langue Française 38, 7–41. – (1985): „Text connexity, text coherence and text interpretation processing.“ – In: Emel Sözer (Hg.): Text connexity, text coherence. Aspects, methods, results, 1–15. Hamburg: Buske. – (1990): „L’anaphore associative. Problèmes de délimitation.“ – In: Verbum 13 (3), 119–148. – (1994a): „Cohésion, cohérence et pertinence du discours.“ – In: Travaux de linguistique 29, 125–151. – (1994b): „Anaphore associative, stéréotype et discours.“ – In: Catherine Schnedecker et al. (Hgg.): L’anaphore associative. Aspects linguistiques, psycholinguistiques et automatiques, 67–92. Paris: Klincksieck. Corblin, Francis (1995): Les formes de reprise dans le discours. Anaphores et chaînes de référence. – Rennes: Presses Universitaires de Rennes. Cornish, Francis (1986): „Anaphoric pronouns: under linguistic control or signalling particular discourse representations?“ – In: Journal of Semantics 5 (3), 233–260. – (1994): „Agreement and discourse: from cohesion to coherence.“ – In: Journal of French Language Studies 4 (2), 191–213. – (1997): „Non-standard anaphora, discourse integration, and coherence.“ – In: Verbum 19 (1–2), 5–23. – (2001): „L’anaphore pronominale indirecte : une question de focus.“ – In: Walter De Mulder, Co Vet, Carl Vetters (Hgg.): Anaphores pronominales et nominales. Etudes pragma-sémantiques, 1–25. Amsterdam: Rodopi. – (2005): „Degrees of indirectness: two types of implicit referents and their retrieval via unaccented pronouns.“ – In: António Branco, Tony McEnery, Ruslan Mitkov (Hgg.): Anaphora processing. Linguistic, cognitive and computational modelling, 199–220. Amsterdam: Benjamins. Daneš, František (1974): „Functional sentence perspective and the organization of the text.“ – In: František Daneš (Hg.): Papers on functional sentence perspective, 106– 128. Den Haag: Mouton. De Beaugrande, Robert A./Dressler, Wolfgang Ulrich (1981): Einführung in die Textlinguistik. – Tübingen: Niemeyer. Devos, Filip (2003): „Semantic vagueness and lexical polyvalence.“ – In: Studia Linguistica 57 (3), 121–141. Drescher, Martina (2002): „Diskursstrukturen im Französischen.“ – In: Ingo Kolboom, Thomas Kotschi, Edward Reichel (Hgg.): Handbuch Französisch, 313–323. Berlin: Schmidt. Dubois, Danièle/Resche-Rigon, Philippe (1992): „Représentation lexicale, typicalité, topos et argumentation.“ – In: Pierre-Yves Raccah (Hg.): L’argumentation dans le langage, 143–156. Gent: Communication & Cognition.

259 Ducrot, Oswald (1995): „Topoï et formes topiques.“ – In: Jean-Claude Anscombre (Hg.): Théorie des topoï, 85–99. Paris: Kimé. – (2001): „Critères argumentatifs et analyse lexicale.“ – In: Langages 142, 22–40. Egg, Markus (2004): „Metonymie als Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle.“ – In: Metaphorik.de 6, 36–53. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.metaphorik.de/06/egg.pdf (letzter Zugriff: 14.5.2010) Ensink, Titus/Sauer, Christoph (2003): „Social-functional and cognitive approaches to discourse interpretation. The role of frame and perspective.“ – In: Titus Ensink, Christoph Sauer (Hgg.): Framing and perspectivising in discourse, 1–21. Amsterdam: Benjamins. Ernst, Eva Johanna (2003): Kohärenz, Kohäsion, Organisation. Morphosyntax, Semantik und Pragmatik der Textverknüpfung in der französischen Sprache. – Frankfurt am Main: Lang. Evans, Vyvyan/Green, Melanie (2006): Cognitive linguistics. An introduction. – Edinburgh: Endinburgh University Press. Fass, Dan (1988): „An account of coherence, semantic relations, metonymy, and lexical ambiguity resolution.“ – In: Steven L. Small (Hg.): Lexical ambiguity resolution, 151– 177. San Mateo: Kaufmann. Fauconnier, Gilles (1984): Espaces Mentaux. Aspects de la construction du sens dans les langues naturelles. – Paris: Minuit. Fauconnier, Gilles/Turner, Mark (1999): „Metonymy and conceptual integration.“ – In: Klaus-Uwe Panther, Günter Radden (Hgg.): Metonymy in language and thought, 77– 90. Amsterdam: Benjamins. Feng, Xiaohu (2003): Konzeptuelle Metaphern und Textkohärenz. – Tübingen: Narr. Fillmore, Charles J. (1982): „Frame semantics.“ – In: Linguistics in the morning calm. Selected Papers from SICOL 1981, 111-137. Fontanier, Pierre (1968): Les figures du discours. Introduction par Gérard Genette. Original veröffentlicht 1821, 1827. – Paris: Flammarion. Fries, Peter H. (2004): „What makes a text coherent?“ – In: David Banks (Hg.): Text and texture: systemic functional viewpoints on the nature and structure of text, 9–50. Paris: L’Harmattan. Gapany, Joël (2004): Formes et fonctions des relatives en français. – Bern: Lang. Garnham, Alan/Oakhill, Jane/Johnson-Laird, Philip. N. (1982): „Referential continuity and the coherence of discourse.“ – In: Cognition 11, 29–46. Gibbs, Raymond W. (1994): The poetics of mind. – Cambridge: Cambridge University Press. – (1999): „Speaking and thinking with metonymy.“ – In: Klaus-Uwe Panther, Günter Radden (Hgg.): Metonymy in language and thought, 61–76. Amsterdam: Benjamins. Giora, Rachel (1985): „What’s in a coherent text.“ – In: Emel Sözer (Hg.): Text connexity, text coherence. Aspects, methods, results, 16–35. Hamburg: Buske. Givón, Talmy (1983a): „Topic continuity in discourse: an introduction.“ – In: Talmy Givón (Hg.): Topic continuity in discourse: a quantitative cross-language study, 1–41. Amsterdam: Benjamins. – (1983b): „Topic continuity in discourse: The functional domain of switch reference.“ – In: John Haiman, Pamela Munro (Hgg.): Switch-reference and universal grammar, 51–82. Amsterdam: Benjamins.

260 – (1992): „The grammar of referential coherence as mental processing instructions.“ – In: Linguistics 30, 5–55. Goossens, Louis (1995): „Metaphtonymy: the interaction of metaphor and metonymy in figurative expressions of linguistic action.“ – In: Louis Goossens et al.: By word of mouth: metaphor, metonymy and linguistic action in a cognitive perspective, 159–174. Amsterdam: Benjamins. Graumann, Carl F./Kallmeyer, Werner (2002): „Perspective and perspectivation in discourse. An introduction.“ – In: Carl F. Graumann (Hg.): Perspective and perspectivation in discourse, 1–11. Amsterdam: Benjamins. Grobet, Anne (1996): „Phénomènes de continuité : anaphoriques et traces de points d’ancrage.“ – In: Cahiers de linguistique française 18, 69–93. – (2001): „L’organisation informationnelle : aspects linguistiques et discursifs.“ – In: Journal of French Language Studies 11, 71–87. – (2002): L’identification des topiques dans les dialogues. – Brüssel: Duculot. Grosse, Ernst Ulrich (2000): „Evolution et typologie des genres journalistiques. Essai d’une vue d’ensemble.“ – In: Semen 13, 15–36. Habert, Benoît/Nazarenko, Adeline/Salem, André (1997): Les linguistiques de corpus. – Paris: Armand Colin. Halliday, Michael A. K./Hasan, Ruquaiya (1976): Cohesion in English. – London: Longman. Harras, Gisela/Herrmann, Theo/Grabowski, Joachim (1996): „Aliquid stat pro aliquo – aber wie?“ – In: Joachim Grabowski, Gisela Harras, Theo Herrmann (Hgg.): Bedeutung, Konzepte, Bedeutungskonzepte. Theorie und Anwendung in Linguistik und Psychologie, 9–19. Opladen: Westdeutscher Verlag. Haser, Verena (2005): Metaphor, metonymy, and experientialist philosophy. Challenging cognitive semantics. – Berlin: De Gruyter. Hatakeyama, Katsuhiko/Petöfi, János S./Sözer, Emel (1989): „Text, Konnexität, Kohäsion, Kohärenz.“ – In: Maria-Elisabeth Conte (Hg.): Kontinuität und Diskontinuität in Texten und Sachverhalts-Konfigurationen, 1–57. Hamburg: Buske. Henry, Albert (1971): Métonymie et métaphore. – Paris: Klincksieck. Hoyle, Susan/Telles Ribeira, Branca (2003): „Scripts, frames and schemas.“ – In: William J. Frawley (Hg.): International Encyclopedia of Linguistics. Band III, 516–517. Oxfort: Oxford University Press. Huang, Yan (2000): „Discourse anaphora: four theoretical models.“ – In: Journal of Pragmatics 32, 151–176. Jakobson, Roman (1963): „Deux aspects de langage et deux types d’aphasies.“ – In: Roman Jakobson: Essais de linguistique générale, 43–67. Paris: Minuit. Johnson, Mark (1987): The body in the mind: the bodily basis of meaning, imagination and reason. – Chicago: Chicago University Press. Johnson-Laird, Philip N. (1983): Mental models. Towards a cognitive science of language, inference, and consciousness. – Cambridge: Cambridge University Press. Kirstein, Corinna Manuela (1997): Textlinguistische Analyse informationsbezogener Textsorten der spanischen Zeitung El País. Textumfelder und Methoden der Bezugnahme auf das Leservorwissen im Rahmen der Linguistik des Sinns. – Frankfurt am Main: Lang. Kleiber, Georges (1992): „Mais qui est donc sur l’étagère de gauche ? ou Faut-il multiplier les référents ?“ – In: Travaux de linguistique et de philologie 30, 107–124.

261 – (1993): „Anaphore associative, pontage et stéréotypie.“ – In: Lingvisticæ Investigationes 17 (1), 35–82. – (1994): Anaphores et pronoms. – Louvain-la-Neuve: Duculot. – (1995): „Polysémie, transferts de sens et métonymie intégrée.“ – In: Folia Linguistica 29 (1–2), 105–132. – (1997): „Des anaphores associatives méronymiques aux anaphores associatives locatives.“ – In: Verbum 19 (1–2), 25–66. – (2001a): L’anaphore associative. – Paris: Presses Universitaires de France. – (2001b): „Anaphore associative, lexique et référence Ou Un automobiliste peut-il rouler en anaphore associative ?“ – In: Walter De Mulder, Co Vet, Carl Vetters (Hgg.): Anaphores pronominales et nominales. Etudes pragma-sémantiques, 27–42. Amsterdam: Rodopi. Klein, Josef (2002): „Metapherntheorie und Frametheorie.“ – In: Inge Pohl (Hg.): Prozesse der Bedeutungskonstruktion, 179–185. Frankfurt am Main: Lang. Koch, Peter (1999): „Frame and contiguity. On the cognitive bases of metonymy and certain types of word formation.“ – In: Klaus-Uwe Panther, Günter Radden (Hgg.): Metonymy in language and thought, 139–167. Amsterdam: Benjamins. Koch, Peter/Oesterreicher, Wulf (1990): Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch. – Tübingen: Niemeyer. Konerding, Klaus-Peter (1993): Frames und lexikalisches Bedeutungswissen. Untersuchungen zur linguistischen Grundlegung einer Frametheorie und zu ihrer Anwendung in der Lexikographie. – Tübingen: Niemeyer. Kotschi, Thomas (1996): „TextkonstitutionsstrukturundInformationsstruktur.“ – In:Wolfgang Motsch (Hg.): Ebenen der Textstruktur. Sprachliche und kommunikative Prinzipien, 241–271. Tübingen: Niemeyer. Krifka, Manfred (2007): „Basic notions of information structure.“ – In: Interdisciplinary Studies on Information Structure 6, 13–55. Lakoff, George (1990): Women, fire and dangerous things: What categories reveal about the mind. – Chicago: Chicago University Press. Lakoff, George/Johnson, Mark (1980): Metaphors we live by. – Chicago: Chicago University Press. Lambrecht, Knud (1994): Information structure and sentence form: topic, focus, and the mental representations of discourse referents. – Cambridge: Cambridge Studies in Linguistics. Langacker, Ronald W. (1984): „Active zones.“ – In: Claudia Brugnan, Monica Macaulay (Hgg.): Proceedings of the tenth annual meeting of the Berkeley Linguistics Society, 172–188. Berkeley: Berkeley Linguistics Society. – (1993): „Reference-point constructions.“ – In: Cognitive Linguistics 4 (1), 1–38. Lecolle, Michelle (2003): Métonymies et figures de référenciation dans la presse écrite généraliste. Analyse sémantique et rhétorique. Doktorarbeit. – Toulouse: Université de Toulouse-Le Mirail. Le Guern, Michel (1973): Sémantique de la métaphore et de la métonymie. – Paris: Larousse. – (2006): „Retour à la syllepse.“ – In: Yannick Chevalier, Philippe Wahl (Hgg.): La syllepse. Figure stylistique, 97–103. Lyon: Presses Universitaires de Lyon. Lönneker, Birte (2003): Konzeptframes und Relationen. Extraktion, Annotation und Analyse französischer Corpora aus dem World Wide Web. – Berlin: Akademische Verlagsgesellschaft Aka.

262 Maaß, Christiane (2008): Diskursdeixis im Französischen. Eine korpusbasierte Studie zu Semantik und Pragmatik diskursdeiktischer Verweise. Manuskript der Habilitationsschrift. – Hannover: Universität Hannover. Markert, Katja/Hahn, Udo (1997): „On the interaction of metonymies and anaphora.“ – In: Proceedings of the 15th International Joint Conference on Artificial Intelligence (IJCAI97), 1010–1015. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.comp.leeds.ac.uk/markert/Papers/ijcai97.pdf (letzter Zugriff: 14.5.2010) – (2002): „Understanding metonymies in discourse.“ – In: Artificial Intelligence 135 (1–2), 145–198. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.comp.leeds.ac.uk/markert/Papers/AI2002.pdf (letzter Zugriff: 14.5.2010) Markert, Katja/Nissim, Malvina (2003): „Syntactic features and word similarity for supervised metonymy resolution.“ – In: Proceedings of the 41st Annual Meeting of the Association for Computational Linguistics (ACL2003), 56–63. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.comp.leeds.ac.uk/markert/Papers/acl03.pdf (letzter Zugriff: 14.5.2010) – (2006): „Metonymic proper names: a corpus-based account.“ – In: Anatol Stefanowitsch, Stefan Th. Gries (Hgg.): Corpus-based approaches to metaphor and metonymy, 152–174. Berlin: Mouton de Gruyter. Meyer, Bernard (1993): Synecdoques. Etude d’une figure rhétorique. Band I und II. – Paris: L’Harmattan. Minsky, Marvin (1981): „A framework for representing knowledge.“ – In: John Haugeland (Hg.): Mind design. Philosophy, psychology, artificial intelligence, 95–128. Montgomery/Vermont: Bradford. Mirault, Hugues (1997): La syntaxe des propositions relatives: étude contrastive des différences structurelles d’ordre syntaxique entre le français et l’allemand. – Frankfurt am Main: Peter Lang. Molnár, Valéria (1993): „Zur Pragmatik und Grammatik des TOPIC-Begriffes.“ – In: Marga Reis (Hg.): Wortstellung und Informationsstruktur, 155–202. Tübingen: Niemeyer. Nazarenko, Adeline (2000): La cause et son expression en français. – Paris: Ophrys. Nerlich, Brigitte/Clarke, David D. (2003): „Polysemy and flexibility: introduction and overview.“ – In: Brigitte Nerlich et al. (Hgg.): Polysemy. Flexible patterns of meaning in mind and language, 3–30. Berlin: Mouton de Gruyter. Neveu, Franck (2004): Dictionnaire des sciences du langage. – Paris: Armand Colin. Nunberg, Geoffrey (1995): „Transfers of Meaning.“ – In: Journal of Semantics 12, 109– 132. Nunberg, Geoffrey/Zaenen, Annie (1992): „Systematic polysemy in lexicology and lexicography.“ – In: Hannu Tommola et al. (Hgg.): Proceedings of Euralex II, 387–395. Tampere: University of Tampere. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.ischool.berkeley.edu/~nunberg/Euralex.html (letzter Zugriff: 14.5.2010) Nuyts, Jan/Pederson, Eric (1997): „Overview: on the relationship between language and conceptualization.“ – In: Jan Nuyts, Eric Pederson (Hgg.): Language and conceptualization, 1–12. Cambridge: Cambridge University Press.

263 Paillard, Michel (2002): „From figures of speech to lexical units. An English-French contrastive approach to hypallage and metonymy.“ – In: Bengt Altenberg, Sylviane Granger (Hgg.): Lexis in contrast. Corpus-based approaches, 175–185. Amsterdam: Benjamins. Panther, Klaus-Uwe (2005): „The role of conceptual metonymy in meaning construction.“ – In: Francisco José Ruiz de Mendoza Ibáñez, María Sandra Peña Cervel (Hgg.): Cognitive linguistics. Internal dynamics and interdisciplinary interaction, 353–386. Berlin: Mouton de Gruyter. Papafragou, Anne (1996): „On metonymy.“ – In: Lingua 99, 169–195. Paradis, Carita (2004): „Where does metonymy stop? Senses, facets, and active zones.“ – In: Metaphor and Symbol 19 (4), 245–264. Peil, Dietmar (1998): „Symbol.“ – In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie, 518–519. Stuttgart: Metzler. Pielenz, Michael (1993): Argumentation und Metapher. – Tübingen: Narr. Prandi, Michele (2001): „Métonymie et métaphore : parcours partagés dans l’espace de la communication.“ – In: Semen 15, 71–82. Prince, Ellen F. (1981): „Toward a taxonomy of given-new information.“ – In: Peter Cole (Hg.): Radical pragmatics, 223–255. New York: Academic Press. Pustejovsky, James (1991): „The generative lexicon.“ – In: Computational Linguistics 17 (4), 409–441. Quillian, Ross M. (1967): „Word concepts. A theory and simulation of some basic semantic capabilities.“ – In: Behavioral Science 12, 410-430. Radden, Günter (2005): „The ubiquity of metonymy.“ – In: José Luis Otal Campo, Ignasi Navarro i Ferrando, Begoña Bellés Fortuño (Hgg.): Cognitive and discourse approaches to metaphor and metonymy, 11–28. Castellón de la Plana: Publicacions de la Universitat Jaume I. Radden, Günter/Kövecses, Zoltán (1999): „Towards a theory of metonymy.“ – In: KlausUwe Panther, Günter Radden (Hgg.): Metonymy in language and thought, 61–76. Amsterdam: Benjamins. Rehbock, Helmut (2005): „Polysemie.“ – In: Helmut Glück (Hg.): Metzler Lexikon Sprache, 500. Weimar: Metzler. Riegel, Martin/Pellat, Jean-Christophe/Rioul, René (1999): Grammaire méthodique du français. – Paris: Presses Universitaires de France. Riffaterre, Michael (1980): „Syllepsis.“ – In: Critical Inquiry 6 (4), 625–638. Roth-Johnson, Danielle (1993): Discourse structure and topic continuity in the oral and written narratives of native speakers of French. – Ann Arbor/Michigan: University of Michigan Dissertation Services. Roulet, Eddy (1999): „Une approche modulaire de la complexité de l’organisation du discours.“ – In: Henning Nølke, Jean-Michel Adam (Hgg.): Approches modulaires : de la langue au discours, 187–258. Lausanne: Delachaux et Niestlé. Roulet, Eddy et al. (2001): Un modèle et un instrument d’analyse de l’organisation du discours. – Bern: Lang. Ruiz de Mendoza Ibáñez, Francisco José (1999): „From semantic underdetermination via metaphor and metonymy to conceptual interaction.“ – In: LAUD, Linguistic Agency Universität Essen Series A: General & Theoretical Papers 492, 1–25. Ruiz de Mendoza Ibáñez, Francisco José/Díez Velasco, Olga Isabel (2004): „Metonymic motivation in anaphoric reference.“ – In: Günter Radden, Klaus-Uwe Panther (Hgg.): Studies in linguistic motivation, 293–320. Berlin: De Gruyter.

264 Ruiz de Mendoza Ibáñez, Francisco José/Otal Campo, José Luis (2002): Metonymy, grammar and communication. – Albolote: Comares. Ruiz de Mendoza Ibáñez, Francisco José/Pérez Hernández, Lorena (2001): „Metonymy and the grammar: motivation, constraints and interaction.“ – In: Language & Communication 21, 321–357. Samet, Jerry/Schank, Roger C. (1984): „Coherence and connectivity.“ – In: Linguistics and Philosophy 7, 57–82. Sandig, Barbara (1996): „Sprachliche Perspektivierung und perspektivierende Stile.“ – In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 102, 36–63. Schank, Roger C./Abelson, Robert P. (1977): Scripts, plans, goals and understanding: an inquiry into human knowledge structures. – Hillsdale/New Jersey: Erlbaum. Schmöe, Friederike (2005): „Konzept.“ – In: Helmut Glück (Hg.): Metzler Lexikon Sprache, 352. Weimar: Metzler. Seto, Ken-ichi (1999): „Distinguishing metonymy from synecdoche.“ – In: Klaus-Uwe Panther, Günter Radden (Hgg.): Metonymy in language and thought, 91–120. Amsterdam: Benjamins. Shen, Yeshayahu/Balaban, Noga (1999): „Metaphorical (in)coherence in discourse.“ – In: Discourse Processes 28 (2), 139–53. Sperber, Dan/Wilson, Deidre (1986): Relevance. Communication and cognition. – Oxford: Blackwell. Stallard, David (1993): „Two kinds of metonymy.“ – In: Proceedings of the 31st Annual Meeting of the Association for Computational Linguistics (ACL-93), 87–94. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.cs.mu.oz.au/acl/P/P93/P93-1012.pdf (letzter Zugriff: 14.5.2010) Stark, Elisabeth (1997): Voranstellungsstrukturen und „topic“-Markierung im Französischen. Mit einem Ausblick auf das Italienische. – Tübingen: Narr. – (2001): „Textkohäsion und Textkohärenz.“ – In: Martin Haspelmath, Ekkehard König (Hgg.): Sprachtypologie und sprachliche Universalien. Ein internationales Handbuch, 634–656. Berlin: De Gruyter. Stefanowitsch, Anatol (2006): „Corpus-based approaches to metaphor and metonymy.“ – In: Anatol Stefanowitsch, Stefan Th. Gries (Hgg.): Corpus-based approaches to metaphor and metonymy, 1–16. Berlin: Mouton de Gruyter. Stirling, Lesley (1996): „Metonymy and anaphora.“ – In: Belgian journal of linguistics 10, 69–88. Strauß, Gerhard (1996): „Wort – Bedeutung – Begriff: Relationen und ihre Geschichte.“ – In: Joachim Grabowski, Gisela Harras, Theo Herrmann (Hgg.): Bedeutung, Konzepte, Bedeutungskonzepte. Theorie und Anwendung in Linguistik und Psychologie, 22–46. Opladen: Westdeutscher Verlag. Swanson, Wendy (2003): Modes of co-reference as an indicator of genre. – Bern: Lang. Takahashi, Hindemitsu (1997): „Indirect anaphors: definiteness and inference.“ – In: Leuven Contributions in Linguistics and Philology 86 (1–2), 53–80. Tannen, Deborah (1979): „What’s a frame? Surface evidence for underlying expectations.“ – In: Roy O. Freedle (Hg.): New Directions in Discourse Processing, 137–181. Norwood/New Jersey: Ablex. Tasmowski, Liliane/Verluyten, Paul S. (1982): „Linguistic control of pronouns.“ – In: Journal of Semantics 1 (4), 323–346. – (1985): „Control mechanisms of anaphora.“ – In: Journal of Semantics 4 (4), 341– 370.

265 Thornburg, Linda/Panther, Klaus-Uwe (1997): „Speech act metonymies.“ – In: AndreasWolf Liebert, Gisela Redeker, Linda Waugh (Hgg.): Discourse and Perspective in Cognitive Linguistics, 205–219. Amsterdam: Benjamins. Truszczy´nska, Anna (2003): „Conceptual metonymy – the problem of boundaries in the light of ICMs.“ – In: Pozna´n Studies in Contemporary Linguistics 38, 221–237. Tschida, Alexander (1995): Kontinuität und Progression. Entwurf einer Typologie sprachlicher Information am Beispiel des Französischen. – Wilhelmsfeld: Egert. Waltereit, Richard (1998): Metonymie und Grammatik. Kontiguitätsphänomene der französischen Satzsemantik. – Tübingen: Niemeyer. Warren, Beatrice (2002): „An alternative account of the interpretation of referential metonymy and metaphor.“ – In: René Dirven, Ralf Pörings (Hgg.): Metaphor and metonymy in comparison and contrast, 113–130. Berlin: Mouton de Gruyter. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.sol.lu.se/engelska/dokument/wp/vol01/Bea2.pdf(letzterZugriff:14.5.2010) – (2004): „Anaphoric pronouns of metonymic expressions.“ – In: Metaphorik.de 7, 105–114. Hier verwendet nach der Internetversion: http://www.metaphorik.de/07/warren.pdf (letzter Zugriff: 14.5.2010) – (2006): Referential metonymy. – Stockholm: Almqvist & Wiksell International. Werlich, Egon (1979): Typologie der Texte: Entwurf eines textlinguistischen Modells zur Grundlegung einer Textgrammatik. – Heidelberg: Quelle & Meyer. Zhang, Qiao (1998): „Fuzziness – vagueness – generality – ambiguity.“ – In: Journal of Pragmatics 29, 13–31.

Verwendete Wörterbücher Le Petit Robert. Dictionnaire de la langue française (1999). – Paris: Dictionnaires Robert.

Quellen der Textbeispiele Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005. Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005. Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006. Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006. Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006.

Übersetzungen der französischen Textbeispiele zu Beate Kern, Metonymie und Diskurskontinuität im Französischen, 2010.

(1)

Plus pointu, dans l’automobile on recherche désespérément des BTS « maintenance et après-vente » et des BTS « moteur à combustion interne » (sic!). « Or il n’existe qu’une demi-douzaine de ces formations en France, d’où sortent chaque année 200 personnes quand le marché a besoin du double ! » assure Michel Nosrée. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Les filières qui carburent ›“, S. 8.) Noch anspruchsvoller sind die Anforderungen in der Automobilbranche. Hier wird verzweifelt nach BTS-Abschlüssen für „Wartung und Kundendienst“ und für „Verbrennungsmotoren“ (sic!) [brevet de technicien supérieur, Abschluss eines technischen Kurzstudiums] gesucht. „Es gibt jedoch nur ein halbes Dutzend dieser Ausbildungsgänge in Frankreich, die jedes Jahr 200 Absolventen hervorbringen, während der Markt die doppelte Anzahl nachfragen würde!“ versichert Michel Nosrée.

(2)

En plein week-end de la Pentecôte, l’officier chargé de la communication, qui rédige les communiqués, est allé se reposer au bord de la mer à une heure de la capitale. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Armée. Enquête sur un assassinat silencieux“, S. 40.) Mitten am Pfingstwochenende war der als Sprecher fungierende Offizier, der Pressemitteilungen verfasst, zum Ausspannen an das eine Stunde von der Hauptstadt entfernte Meer gefahren.

(3)

« En voyant fin 2004 qu’on entrait dans les turbulences, j’ai souhaité prendre moi-même les rênes de Casino, explique la 46e fortune de France, avec un patrimoine de 750 millions d’euros. Je savais que ça allait être dur. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Le financier qui voulait être épicier“, S. 42.) „Als ich Ende 2004 erkannte, dass wir schwierigen Zeiten entgegengingen, wollte ich selbst die Zügel von Casino in die Hand nehmen“, erklärt das 750 Millionen Euro schwere, in Frankreich an 46. Stelle stehende Vermögen. „Ich wusste, dass das hart werden würde.“

(4)

On ne dira jamais assez l’importance de ces Nuremberg après Nuremberg, ces procès oubliés que l’on appelle « les séries vertes », parce que leurs minutes sont reliées dans cette couleur. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „L’œuvre de justice continue“, S. 11.) Man kann den Stellenwert dieser Nürnbergs nach Nürnberg, dieser in Vergessenheit geratenen Prozesse, die als „die grünen Bände“ bezeichnet werden, weil die zugehörigen Originaldokumente in dieser Farbe gebunden sind, einfach nicht genug betonen.

2 (5)

Ce sont ces deux professeurs qui ont traduit les auteurs envisagés, à l’exception de la première « Bucolique » de Virgile, dont ils ont conservé la superbe traduction de Paul Valéry. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Pour tout savoir“, S. 55.) Diese beiden Professoren haben die einbezogenen Autoren übersetzt, mit Ausnahme der ersten „Bucolica“ von Vergil, bei der sie die vorzügliche Übersetzung von Paul Valéry beibehalten haben.

(6)

Des spécialistes de l’euthanasie élaborent les méthodes les plus efficaces pour liquider les handicapés, les malades mentaux, les Tsiganes, les juifs... Aribert Heim, lui, se livre avec le pharmacien de Mauthausen à des études comparatives sur des « cocktails de la mort ». Il fait ses injections létales chronomètre en main. [...] Dans les années qui suivent la guerre, le « boucher de Mauthausen » est en effet rapidement redevenu « der gute Doktor Heim ». Le 15 mars 1945, il est pourtant arrêté par les Américains. [...] Curieusement, il est relâché en 1947, tandis que les autres médecins de Mauthausen, ainsi que le pharmacien – son adjoint au chronomètre –, sont jugés et pour la plupart exécutés. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 16.) Von Euthanasiespezialisten werden die effizientesten Methoden zur Auslöschung von Behinderten, Geisteskranken, Zigeunern, Juden entwickelt ... Aribert Heim widmet sich zusammen mit dem Apotheker von Mauthausen vergleichenden Studien zu „Todescocktails“. Mit der Stoppuhr in der Hand verabreicht er seine tödlichen Injektionen. [...] In den Nachkriegsjahren wurde aus dem „Schlächter von Mauthausen“ in der Tat sehr schnell wieder „der gute Doktor Heim“. Am 15. März 1945 wird er dennoch von den Amerikanern verhaftet. [...] Seltsamerweise wird er 1947 wieder freigelassen, während die anderen Ärzte aus Mauthausen, wie auch der Apotheker – sein Gehilfe mit der Stoppuhr –, verurteilt und in den meisten Fällen hingerichtet werden.

(7)

Sur l’Irak, l’administration continue de naviguer à vue. Alors que trois Américains sur quatre estiment qu’une guerre civile est probable, Washington semble plus incertain que jamais sur la stratégie à adopter pour prévenir une telle éventualité. Le directeur du Renseignement national, John Negroponte, en est réduit à annoncer qu’une telle guerre civile constituerait « un sérieux revers » dans la guerre globale contre le terrorisme et « une catastrophe » pour le peuple irakien. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Bush : un monde lourd, lourd, lourd...“, S. 35.) In Punkto Irak fliegt die Regierung weiterhin auf Sicht. Während drei von vier Amerikanern einen Bürgerkrieg für wahrscheinlich halten, scheint Washington unentschlossener denn je zu sein, was die Strategie angeht, die es zur Vermeidung einer solchen Entwicklung zu verfolgen gilt. Der Direktor der nationalen Nachrichtendienste, John Negroponte, kann nur mitteilen, dass ein solcher Bürgerkrieg „einen ernsthaften Rückschlag“ im weltweiten Krieg gegen den Terrorismus und „eine Katastrophe“ für das irakische Volk darstellen würde.

(15) Récemment, Manfred Haag, responsable du Centre de Recherche des Criminels nazis, l’organisme officiel allemand créé en 1958, a fait une découverte surprenante : « Heim n’a

3 jamais été rayé de la liste des membres du club de tennis de Baden-Baden. Le club a même rédigé une lettre de félicitation pour ses quarante ans d’adhésion ! » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2006, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“ , S. 16.) Unlängst machte Manfred Haag, der Beauftragte in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, der offiziellen, 1958 gegründeten deutschen Behörde, eine überraschende Entdeckung: „Heim wurde nie von der Mitgliederliste des Tennisvereins von Baden-Baden gestrichen. Der Verein gratulierte ihm sogar per Brief zu seinem vierzigjährigen Mitgliedschaftsjubiläum!“

(16) Journée historique pour les cocaleros du tropique de Cochabamba : leur congrès acceuille leur dirigeant, l’« excellentissime président de la République », venu en compagnie de son vice-président, le sociologue Alvaro García Linera – l’alliance de la cravate et du poncho, ironisent certains. Les deux hommes font une entrée triomphale dans la grande salle du Congrès, sous un déluge de feuilles de coca. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 10.) Ein historischer Tag für die Kokabauern in den Tropen von Cochabamba: Ihre Versammlung empfängt ihren Anführer, „seine Exzellenz, den Präsidenten der Republik“, der in Begleitung seines Vizepräsidenten, dem Soziologen Alvaro García Linera, erschienen ist – das Bündnis von Krawatte und Poncho, wie einige ironisch anmerken. Die beiden Männer feiern unter einem Regen aus Kokablättern einen triumphalen Einzug in den großen Kongresssaal.

(17) « La DST marocaine [Défense et surveillance du territoire, marrokanischer Geheimdienst] a dû reconnaître que nous avions raison, explique Abdesalam Abdelillah, qui gère le dossier des islamistes à la Ligue des Droits de l’Homme. 1 500 suspects ont été libérés et d’autres libérations devraient suivre car les dossiers sont vides. Ce qui n’a pas empêché les forces de sécurité de torturer les suspects au siège de la DST, à Temara, près de Rabat. » (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „L’islam des taudis“, S. 15.) „Der marokkanische Inlandsgeheimdienst DST [Défense et surveillance du territoire] musste anerkennen, dass wir Recht hatten“, erklärt Abdesalam Abdelillah, der in der Menschenrechtsliga für die Akte der Islamisten zuständig ist. „1 500 Verdächtige wurden freigelassen und weitere Freilassungen sollen folgen, denn die Akten sind leer. Was die Sicherheitskräfte nicht davon abgehalten hat, die Verdächtigen am Sitz des DST-Geheimdienstes in Temara in der Nähe von Rabat zu foltern.“

(22) Voici un beau livre qui, par sa prose ouvragée, sa rigueur révolue et son décor de haute solitude, semble jaillir d’un temps très ancien, celui de la IIIe République en blouse grise et de ses héroïques maîtres d’école. Et pourtant il évoque une période toute récente, les années 1980, dans une France rurale qui, en mourant lentement, croit résister au monde moderne. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „L’instit“ , S. 59.) Ein schönes Buch, das mit seiner kunstvoll ausgearbeiteten Prosa, seiner unzeitgemäßen Genauigkeit und seiner von tiefer Einsamkeit geprägten Szenerie einer längst vergangenen

4 Zeit entsprungen zu sein scheint, nämlich jener der III. Republik im grauen Kittel und ihrer heldenmütigen Volksschullehrer. Und dennoch beschwört es eine nicht allzu weit zurückliegende Zeit herauf: die 1980er Jahre eines ländlichen Frankreichs, das im langsamen Untergang begriffen der modernen Welt zu trotzen glaubt.

(23) La chaîne ouvre une vingtaine de magasins par an. « Mais on pourrait en ouvrir dix fois plus, vu la demande ! explique Anders Dahlvig, le PDG, rencontré au siège du groupe. Le marché est très loin d’être saturé. La seule limite, c’est nous-mêmes. Car derrière il faut assurer question logistique... » Cette popularité assure à l’enseigne des résultats florissants : en 2005, le chiffre d’affaires a progressé de 15% à 14,8 milliards d’euros – c’est plus que Nike. En revanche, la société n’étant pas cotée en Bourse, le montant des profits est un secret aussi bien gardé que celui du « Da Vinci Code ». (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le monde selon IKEA“, S. 39.) Die Kette eröffnet ungefähr zwanzig Möbelhäuser pro Jahr. „Aber wir könnten zehn mal mehr aufmachen, wenn man sich die Nachfrage ansieht!“ erklärt Anders Dahlvig, der Konzernchef, bei einem Zusammentreffen am Unternehmenssitz. „Der Markt ist noch lange nicht gesättigt. Der einzige begrenzende Faktor sind wir selbst. Denn hinter allem steht immer die Frage nach der Logistik ...“ Diese Beliebtheit sichert der Marke florierende Ergebnisse: 2005 nahm der Umsatz um 15 % auf 14,8 Milliarden Euro zu – das ist mehr, als Nike aufweisen kann. Dagegen ist die Gesellschaft nicht an der Börse notiert, die Höhe der Gewinne ist ein Geheimnis, das genauso gut gehütet wird wie jenes des „Da Vinci Code“.

(24) A force de tout mélanger, le pudding idéologique ne passe plus. Toutes les luttes s’additionneraient ? Celles des Nestlé, cette usine de l’Est marseillais que la multinationale veut assassiner, mais aussi la grève des bus, et la SNCM, et les grandes colères, et les petits arrangements du port autonome... Et les quasi 70% de non au référendum européen, bien sûr. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 26.) Dadurch, dass ständig alles verquickt wird, ist der ideologische Brei ungenießbar geworden. Angeblich summieren sich all diese Kämpfe? Jene der Nestlé, dieser Fabrik im Osten Marseilles, die der Multi liquidieren will, aber auch der Streik der Busse, und die SNCM [Société nationale maritime Corse Méditerranée, Nationale Schifffahrtsgesellschaft für Korsika und den Mittelmeerraum], und die großen Aufreger, und die kleinen Arrangements für den Freihafen ... Und die fast 70 % Nein-Stimmen anlässlich des europäischen Referendums natürlich.

(25) Succès surprise pour le James Bond du Bosphore ! Distribué à Paris par une salle spécialisée dans le cinéma turc, « la Vallée des loups – Irak » a attiré 3 616 spectateurs en dix jours. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Fort comme un film turc“, S. 47.) Überraschungserfolg für den James Bond des Bosporus! In Paris läuft „Tal der Wölfe – Irak“ im Programm eines auf türkische Filme spezialisierten Kinos und hat innerhalb von zehn Tagen 3 616 Zuschauer angelockt.

5 (26) Mais la rationalité économique a une réponse à tout. On ne saurait toucher aux profits, imposer davantage le capital, limiter les salaires extravagants sans décourager les initiatives et paralyser les énergies créatrices, sans provoquer des désinvestissements et des délocalisations d’entreprises ou encore sans entraîner des fuites de cerveaux ou de talents. Des tentations aussi fâcheuses seraient antiéconomiques et nuiraient finalement à tous. Elles ne sauraient donc être envisagées. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 8.) Aber die Wirtschaftslogik hat auf alles eine Antwort parat. Ihr zufolge ist es nicht möglich, die Gewinne anzutasten, das Kapital stärker zu besteuern oder eine Grenze für übertriebene Gehälter einzuführen, ohne Eigeninitiativen abzuschrecken und kreative Energien zu lähmen, ohne den Abzug von Investitionen oder Standortverlagerungen von Unternehmen hervorzurufen und ohne darüber hinaus eine Abwanderung von Gehirnen oder Talenten zu bewirken. Derartig fatale Versuchungen wären demnach der Wirtschaft hinderlich und würden letztendlich allen schaden. Sie dürften also nicht in Betracht gezogen werden.

(27) Près de sept ans après l’introduction de l’euro, l’intégration monétaire fait apparaître des « forts en thème et des cancres ». Basé à Bruxelles, le centre de recherche Bruegel a tenté de tirer un premier bilan. Conclusion de ce laboratoire économique dirigé par Jean PisaniFerry : les bénéfices tirés de la monnaie unique ont un prix ; les bons élèves, comme l’Irlande, sont recompensés de leurs efforts en matière de croissance, de lutte contre l’inflation et de productivité par des taux de change « réels » positifs. En revanche les mauvais élèves, comme le Portugal, sont penalisés : privé de l’instrument de la dévaluation, ce pays, dans la « ligne de feu de la concurrence chinoise », ne pourra réaliser son ajustement que par une désinflation et peut-être une déflation. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Cancres et forts en thème“, S. 31.) Fast sieben Jahre nach der Einführung des Euro bringt die Währungsintegration „Musterschüler und Faulpelze“ zum Vorschein. Die Bruegel-Denkfabrik mit Sitz in Brüssel hat versucht, eine erste Bilanz zu ziehen. Fazit des Wirtschaftsforschungszentrums, das von Jean Pisani-Ferry geleitet wird: Der aus der gemeinsamen Währung gezogene Nutzen hat seinen Preis; die Musterschüler wie Irland werden für ihre Anstrengungen in den Bereichen Wirtschaftswachstum, Inflationsbekämpfung und Produktivität durch positive „reale“ Wechselkurse belohnt. Die schlechten Schüler hingegen, wie z. B. Portugal, werden bestraft: Ohne das Instrument der Währungsabwertung kann dieses Land, das sich in der „Schusslinie der chinesischen Konkurrenz“ befindet, eine Anpassung nur durch eine Desinflation und eventuell eine Deflation herbeiführen.

(28) Ahmed al-Tawfik, lui-même soufi, romancier à ses heures, professeur d’histoire a été nommé par le roi, en 2002, pour remettre de l’ordre dans le « clergé » musulman. Sur la pointe des pieds. Officiellement le commandeur des croyants, roi de droit divin, n’a pas de problème avec les imams, puisqu’il est le descendant du Prophète. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le nouveau Maroc“, S. 9.) Ahmed al-Tawfik, seines Zeichens Sufi, nebenbei Schriftsteller und Geschichtsprofessor, wurde vom König 2002 ausgewählt, um im islamischen „Klerus“ die Ordnung wiederherzustellen. Auf Zehenspitzen. Offiziell hat das Oberhaupt der Gläubigen, König von Gottes Gnaden, als Nachfahre des Propheten kein Problem mit den Imamen.

6 (29) Nicolas Sarkozy et les députés UMP ne veulent pas couler avec le Premier ministre. Mais pas question non plus de le torpiller, ce serait suicidaire. Ils le soutiennent donc sans excès de zèle. En espèrant que Jacques Chirac interviendra pour débloquer la situation. [...] Manière de faire manger son chapeau à Villepin avant, dit un autre, qu’ « il nous entraîne tous par le fond ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 24, 27.) Nicolas Sarkozy und die Abgeordneten der UMP [Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung] wollen nicht mit dem Premierminister untergehen. Genausowenig steht aber zur Debatte, ihn zu torpedieren, das wäre selbstmörderisch. Sie unterstützen ihn also ohne überschwänglichen Eifer. In der Hoffnung, dass Jacques Chirac eingreift, um die Situation zu entspannen. [...] Ein Vorgehen, um Villepin dazu zu bringen, klein beizugeben, bevor, wie ein anderes UMP-Mitglied verlauten lässt, „er uns alle mit in die Tiefe reißt“.

(30) Michel P. a été musicien dans sa jeunesse. Il a longtemps eu ses entrées dans le show-biz. Il a même fait un tube, au milieu des années 1970, qu’on entend encore dans les soirées potaches. Mais aujourd’hui, c’est dans une prison de la région parisienne qu’il exerce ses talents. En juin 2005, l’année de son soixantième anniversaire, les gendarmes de la brigade de Paris-Exelmans sont venus l’interpeller. Il a aussitôt été mis en examen et écroué. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Arnaques en série à l’Unedic“, S. 38.) Michel P. war in seiner Jugend Musiker. Er pflegte lange enge Kontakte zum Showbusiness. Er hatte Mitte der 1970er Jahre sogar einen Hit, den man noch auf Jungsabenden hören kann. Aber derzeit bringt er sein Talent in einem Gefängnis im Großraum Paris zum Einsatz. Im Juni 2005, dem Jahr seines 60. Geburtstags, haben ihn Polizisten der Gendarmeriebrigade Paris-Exelmans überprüft. Er wurde sofort einem Ermittlungsverfahren unterzogen und inhaftiert.

(31) En effet, c’est une première : avant même la publication en bonne et due forme des résultats scientifiques justifiant une telle mesure, un « protocole temporaire de traitement » (PTT) vient d’autoriser la prescription de l’Herceptin dès le stade initial de certaines formes de la maladie. Mis au point par les laboratoires Roche, l’Herceptin est un anticorps monoclonal d’une efficacité assez spectaculaire sur les cancers dits « HER 2 positifs ». Particulièrement agressifs, avec une tendance a métastaser de manière fulgurante, ceux-ci présentent entre 20% et 30% de l’ensemble des cancers du sein. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Cancer du sein : spectaculaire progrès“, S. 51.) Es handelt sich in der Tat um eine Premiere: Noch vor der ordnungsgemäßen Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse, die diesen Schritt gerechtfertigt hätte, hat vor kurzem ein „vorläufiges Behandlungsprotokoll“ die Verschreibung von Herceptin ab dem Anfangsstadium bestimmter Krankheitsbilder genehmigt. Herceptin wurde von Roche entwickelt und stellt einen monoklonalen Antikörper von ziemlich spektakulärer Wirkung auf die als „HER 2 positiv“ bezeichneten Krebsarten dar. Diese sind mit einer Tendenz zu rasend schneller Metastasenbildung besonders aggressiv und machen zwischen 20 % und 30 % aller Brustkrebsfälle aus.

7 (32) C’est que la flotte de la SNCM est à la fois surdimensionnée, onéreuse et lente. Le « DanielleCasanova », inauguré il y a trois ans, a coûté 130 millions d’euros (contre 70 pour son concurrent de la Corsica, le « Mega-Express ») et s’est révélé trop lent pour effectuer plusieurs rotations par jour. Le « Liamone » (acheté plus de 60 millions d’euros auprès d’une filiale des Chantiers de l’Atlantique à Lorient) est lui aussi moins rapide que les navires du même type. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Les cinq dossiers noirs de la SNCM“, S. 41.) Der Grund ist, dass die Flotte der SNCM [Société nationale maritime Corse Méditerranée, Nationale Schifffahrtsgesellschaft für Korsika und den Mittelmeerraum] sowohl überdimensioniert als auch konstenintensiv und langsam ist. Die „Danielle-Casanova“, die vor drei Jahren in Betrieb genommen wurde, hat 130 Millionen Euro gekostet (gegenüber 70 für ihre Konkurrentin von Corsica, der „Mega-Express“) und stellte sich als zu langsam heraus, um mehrere Hin- und Rückfahrten pro Tag leisten zu können. Die „Liamone“ (für 60 Millionen Euro bei einer Tochtergesellschaft der Chantiers de l’Atlantique in Lorient erworben) ist ebenfalls langsamer als die Schiffe gleicher Bauart.

(33) Dans ce département, traversé par de nombreuses espèces d’oiseaux migrateurs, l’élevage présente-t-il pour autant un risque supérieur de contamination ? « Non, affirme Jean-Luc Guerin. Les enquêtes mises en œuvre par la DGAL ou l’Afssa n’ont pas établi de différences de risques entre les régions. Même lorsqu’il se trouve qu’y coïncident le canal de migration ouest et le mode d’élevage aquitain. » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Grippe aviaire. L’alerte“, S. 46.) Stellt in diesem Département, das von zahlreichen Arten von Zugvögeln überquert wird, die Viehzucht deswegen ein erhöhtes Infektionsrisiko dar? „Nein“, versichert Jean-Luc Guerin. „Die von der DGAL oder der Afssa durchgeführten Studien [Direction générale de l’alimentation, Generaldirektion für Ernährung; Agence française de sécurité sanitaire des aliments, französische Agentur für Nahrungsmittelsicherheit] haben keine Risikounterschiede zwischen den Regionen festgestellt. Sogar dann, wenn dort die westliche Zugroute und die in der Aquitaine praktizierten Arten der Viehzucht aufeinander treffen.“

(34) Aujourd’hui, trois étapes sont nécessaires pour confirmer une suspicion de grippe aviaire. Lorsque l’on trouve un cadavre d’oiseau suspect, il doit d’abord être transporté au laboratoire vétérinaire départemental. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Le malaise des vétos“, S. 48.) Derzeit sind drei Schritte notwendig, um einen Vogelgrippeverdacht zu bestätigen. Wenn man einen verdächtigen Vogelkadaver findet, muss er zunächst ins tiermedizinische Labor des Départements gebracht werden.

(35) En 1871, le pouvoir versaillais a utilisé des régiments de fusiliers marins bretons pour écraser la Commune de Paris. Les Bretons votaient alors pour leurs châtelains. Ils votent aujourd’hui pour le PS, pour l’Europe, pour l’ouverture, même quand le reste de la France s’abandonne au repli. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le génie breton“, S. 59.)

8 1871 setzte die Regierung in Versailles bretonische Marineinfanterieregimente ein, um die Pariser Commune zu vernichten. Die Bretonen stimmten also für ihre Schlossherren. Sie stimmen heute für den PS [Parti Socialiste, sozialdemokratische Partei], für Europa, für die Öffnung, auch wenn sich das restliche Frankreich auf nationale Werte zurückbesinnt.

(36) Futurs parents, je vous en conjure, ayez un peu de décence ! Je sais que votre problème, il grossit autant que s’arrondit le joli ventre maternel : comment va-t-on l’appeler ? Je ne minimise pas cette question. Donner un prénom à un gamin, de nos jours, est un cauchemar. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Tu l’as velu, tu l’as eu“, S. 11.) Künftige Eltern, ich beschwöre euch, zumindest ein bisschen den Anstand zu wahren! Ich weiß, dass euer Problem in dem Maße zunimmt, wie der entzückende Bauch der werdenden Mutter runder wird: Wie wird es heißen? Ich will diese Frage nicht verharmlosen. Heutzutage ist es ein Alptraum, den Vornamen eines Kindes auszuwählen.

(37) Le Premier ministre a voulu imposer à la hussarde la « rupture » que son rival Nicolas Sarkozy promet pour 2007. Il a décidé sans concertation aucune une mesure que les jeunes, les syndicats et la gauche ne sont pas seuls à contester. Résultat : alors qu’il plonge dans les sondages, il se retrouve seul, ou presque. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „CPE : La vraie faute de Villepin“, S. 26.) Der Premierminister wollte den „Neuanfang“, den sein Rivale Nicolas Sarkozy für 2007 verspricht, übers Knie brechen. Er hat ohne jegliche Absprache eine Maßnahme beschlossen, die nicht nur bei den Jugendlichen, den Gewerkschaften und der Linken Widerspruch hervorruft. Ergebnis: Während er in den Umfragen abrutscht, findet er sich alleine wieder, zumindest fast.

(38) Le 5 mars, la perspective de voir jouer l’équipe de réserve de Marseille n’a pas entamé l’audience du match PSG-OM sur Canal+. Mais les abonnés, invités à donner une note de satisfaction, ont saqué cette piètre partie avec un 8,76 sur 20. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Un sport très in...“, S. 41.) Am 5. März hat die Aussicht, die Reservemannschaft von Marseille spielen zu sehen, die Zuschauerzahlen des Spiels Paris Saint-Germain – Olympique Marseille auf Canal+ nicht einbrechen lassen. Aber die Abonnenten, die aufgefordert wurden, ihre Zufriedenheit in Punktzahlen auszudrücken, haben diese erbärmliche Partie mit 8,76 von 20 Punkten durchrasseln lassen.

(39) N. O. – Avec votre chapeau, vos lunettes noires et votre berger tervueren, vous avez un look de gangster. Quand une banque vous a commandé un fresque, vous avez peint le hold-up de cette banque ! (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Jacques Monory. L’homme qui tire sur la peinture“, S. 5.) N. O. – Mit Ihrem Hut, Ihrer dunklen Brille und Ihrem Tervueren-Schäferhund pflegen Sie einen Gangster-Look. Als eine Bank bei Ihnen ein Fresko in Auftrag gegeben hat, haben Sie einen Überfall auf diese Bank gemalt!

9 (40) Abel Mamani, le guérillero de l’eau C’est donc lui l’enragé qui a mis Suez à genoux ? L’ancien dirigeant de la Fejuves (association des comités de quartier) d’El Alto, immense cité pauvre perchée au-dessus de La Paz, a violemment combattu Aguas del Illimani, filiale de Suez, qu’il accusait de négliger les quartiers pauvres et de vendre l’eau trop cher. Devenu ministre de l’Eau, ce radical a un peu... dilué son discours : « J’ai toujours proposé que l’eau appartienne à l’Etat, je ne vais pas changer. Mais je suis tout à fait d’accord pour qu’on tire parti de l’expérience étrangère. Il ne s’agit pas de subventionner une entreprise étatique comme un puits sans fond. » Au gouvernement, Mamani joue la loyauté : « On a un programme, chaque ministre va essayer de le suivre ». Il n’oublie pas qu’El Alto a voté à une majorité écrasante pour Evo. Mais il sait aussi qu’il suffit de bloquer quelques routes à la sortie d’El Alto pour asphyxier totalement La Paz. « La population ne bloquera rien si elle voit que le gouvernement a la volonté de l’aider », dit-il. Sinon... (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 9.) Abel Mamani, Guerillero im Kampf ums Wasser Dieser fanatische Querulant hat also Suez in die Knie gezwungen? Der ehemalige Leiter der Fejuves (Vereinigung der Nachbarschaftsräte) von El Alto, einer riesigen, oberhalb von La Paz gelegenen, armen Siedlung, hat heftig gegen Aguas del Illimani, eine Tochtergesellschaft von Suez, gekämpft. Er beschuldigte sie, die armen Viertel zu vernachlässigen und das Wasser zu teuer zu verkaufen. Nach seiner Ernennung zum Wasserminister hat der radikale Politiker seinen Standpunkt leicht ... verwässert: „Ich habe schon immer angeregt, dass das Wasser Staatseigentum wird, ich werde meine Meinung hierzu nicht ändern. Aber ich bin völlig einverstanden damit, dass man internationale Erfahrungen nutzt. Es soll nicht darauf hinauslaufen, dass man ein staatliches Unternehmen wie ein Fass ohne Boden subventioniert.“ Innerhalb der Regierung setzt Mamani auf Loyalität: „Wir haben ein Programm, und jeder Minister wird versuchen, diesem zu folgen.“ Er vergisst nicht, dass El Alto mit überwältigender Mehrheit für Evo gestimmt hat. Aber er weiß auch, dass es genügt, einige Straßen am Ortsausgang von El Alto zu blockieren, um La Paz vollkommen lahm zu legen. „Die Bevölkerung wird keine Blockaden errichten, wenn sie sieht, dass die Regierung den Willen zeigt, ihr zu helfen“, sagt er. Ansonsten ...

(41) Officiellement, Sarkozy soutient le CPE et le gouvernement, mais sans excès de zèle. Depuis le début, Nicolas Sarkozy ne « sent » pas ce projet. « Moi, j’étais pour un contrat unique, rappelle-t-il souvent en privé. Je suis contre les contrats spécifiques par catégories qui risquent de les dresser les unes contre les autres. » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 24.) Offiziell unterstützt Sarkozy den CPE [contrat premier embauche, Vertrag zur Ersteinstellung mit einfacher Kündigungsmöglichkeit während zwei Jahren] und die Regierung, allerdings ohne allzu großen Eifer. Von Beginn an identifiziert sich Nicolas Sarkozy nicht mit diesem Projekt. „Ich war für einen einheitlichen Vertrag“, ruft er abseits der Öffentlichkeit häufig in Erinnerung. „Ich bin gegen spezifische Verträge nach Kategorien, die das Risiko in sich bergen, diese gegeneinander aufzuhetzen.“

(42) Aribert Heim, 91 ans, figure en tête de la liste des criminels nazis que continuent à traquer, soixante ans après, les héritiers de Simon Wiesenthal. Marie France Etchegoin raconte la sinistre odyssée de ce bourreau en blouse blanche, que la police allemande pense avoir réussi à localiser récemment en Espagne. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 15.)

10 Aribert Heim, 91 Jahre, steht ganz oben auf der Liste der Naziverbrecher, die auch nach sechzig Jahren noch von den Erben Simon Wiesenthals verfolgt werden. Marie France Etchegoin schildert die unheilvolle Irrfahrt dieses Henkers im weißen Kittel, dessen Aufenthaltsort die deutsche Polizei kürzlich in Spanien ausgemacht zu haben glaubt.

(43) Son nouveau livre est l’événement de la rentrée politique. « Il est né d’une interrogation sur le monde et d’une inquiétude pour la France », écrit l’ancien Premier ministre. De la place des religions à la crise de l’idée de progrès, de la nature de l’empire américain aux nouveaux défis du socialisme, Lionel Jospin dit sa part de vérité. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 6.) Sein neues Buch ist das Ereignis nach dem Ende der politischen Sommerpause. „Es entstand aus der Hinterfragung der Welt und der Sorge um Frankreich“, schreibt der ehemalige Premierminister. Von der Rolle der Religionen bis hin zur Krise des Fortschrittsgedankens, vom Wesen des amerikanischen Imperiums bis zu den neuen Herausforderungen für den Sozialismus – Lionel Jospin tut seine Sicht der Dinge zu diesen Themen kund.

(44) Le dimanche 25 septembre, Nicolas Sarkozy sort du domicile de la dame, fait ses courses en sa compagnie. Clic-clac. Les photographes exultent. Ils ont leur scoop. Quel journal résisterait à pareille « bombe » ? Dès le lendemain, donc, ils foncent à « Paris-Match » persuadés que le directeur du magazine, Alain Genestar, va sauter sur l’aubaine. Prix du cliché : 90 000 euros. Genestar n’a-t-il pas, fin août, publié à la une la photo de Cécilia Sarkozy avec son compagnon Richard Attias, opération qui a fait frôler le million d’exemplaires à l’hebdomadaire, meilleure vente de l’année avec le numéro sur la mort de Jean-Paul II ? Ce cliché de la « nouvelle vie de Nicolas » vaut donc de l’or. Mais « Paris-Match » décline l’offre. « VSD », le concurrent dirigé par Philippe Labi, consulté lui aussi, refuse à son tour. Les photographes sont abasourdis, hurlent à la censure. A « Paris-Match », dans la rédaction, certains accusent le ministre d’avoir fait pression sur la direction du groupe Lagardère, propriétaire du titre. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Le boomerang de la ‹ politique people ›“, S. 24.) Am Sonntag, den 25. September verlässt Nicolas Sarkozy die Wohnung der Dame und geht in ihrer Begleitung einkaufen. Klick, klick, klick. Die Photographen frohlocken. Sie haben ihren Knüller. Welche Zeitung würde sich eine solche „Bombe“ entgehen lassen? Gleich am nächsten Tag sausen sie zu „Paris-Match“, in der festen Überzeugung, dass der Chefredakteur des Magazins, Alain Genestar, sich auf diesen Glückstreffer stürzen wird. Der Preis für das Negativ: 90 000 Euro. Hatte Genestar nicht Ende August das Photo von Cécilia Sarkozy mit ihrem Lebensgefährten Richard Attias auf der Titelseite veröffentlicht? Ein Coup, der das Wochenmagazin nah an eine Million Exemplare gebracht und neben der Ausgabe über den Tod von Johannes Paul II. zu den besten Verkaufszahlen des Jahres geführt hatte. Das Negativ vom „neuen Leben des Nicolas“ ist also Gold wert. Aber „Paris-Match“ schlägt das Angebot aus. „VSD“, der Konkurrent mit Philippe Labi an der Spitze, bei dem auch angefragt wurde, lehnt seinerseits ab. Die Photographen sind konsterniert, protestieren gegen die vermeintliche Zensur. Bei „Paris-Match“ in der Redaktion beschuldigen einige den Minister, auf die Führungsetage der Unternehmensgruppe Lagardère, die Eigentümerin des Titels, Druck ausgeübt zu haben.

(45) A In-Ekker, c’était la vie secret-défense : Lulu, Jean, Dédé et Noël en étaient si fiers. Quelques heures avant l’explosion, ils posaient en combinaison avec leur masque à gaz. On les voit sur

11 une photo en noir et blanc, des mômes, tout excités par leur nouveau déguisement. Les « beaux uniformes » étaient là, le ministre de la Recherche, Gaston Palewski, celui de la Défense, Pierre Messmer. Le tir Béryl est parti à 11 heures. Une grosse explosion, puis d’autres en cascade, probablement les portes blindées qui lâchaient. [...] Les beaux uniformes ont regagné Paris, eux ont atterri au camp de repli, dans un hangar immense. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Irradié pour la France“, S. 48f.) In In-Ekker stand das Leben unter dem Zeichen militärischer Geheimhaltung: Lulu, Jean, Dédé und Noël waren so stolz darauf. Einige Stunden vor der Explosion posierten sie im Overall mit ihrer Gasmaske. Man sieht sie auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme: ein paar über ihre neue Verkleidung aus dem Häuschen geratene Kinder. Die „schicken Uniformen“ waren anwesend, der Forschungsminister, Gaston Palewski, der Verteidigungsminister, Pierre Messmer. Die Zündung mit dem Decknamen „Béryl“ ging um 11 Uhr los. Eine gewaltige Explosion, dann weitere in schneller Folge, wahrscheinlich die nachgebenden Panzertüren. [...] Die schicken Uniformen kehrten nach Paris zurück, Lulu, Jean und Dédé landeten in einem Rückzugslager, in einem riesigen Hangar.

(46) C’est à Londres encore que les Alliés mettent au point la liste des hommes qui comparaîtront à Nuremberg. Nous sommes aujourd’hui si habitués à la litanie des accusés, à leur photo en deux rangées dans le box, que nous la tenons pour évidente. Elle ne l’était pas et fut établie sans véritable réflexion sur la nature de l’Etat nazi. Dix d’entre eux, prisonniers des Britanniques ou des Américains, figuraient sur une première liste. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Des crimes et des hommes“, S. 8.) Ebenfalls in London arbeiten die Alliierten die Liste der Männer, die in Nürnberg vor Gericht erscheinen werden, aus. Wir sind heute so mit der endlosen Aufzählung der Angeklagten vertraut, mit ihrem Photo in zwei Reihen auf der Anklagebank, dass sie uns selbstverständlich erscheint. Das war sie nicht, und sie wurde aufgestellt, ohne dass man sich tiefgehendere Gedanken über das Gepräge des Nazistaats gemacht hätte. Zehn von ihnen, Gefangene der Briten und Amerikaner, standen auf einer ersten Liste.

(47) Les télés et les radios ne s’y sont pas trompées. Jusqu’à présent, quand elles voulaient interviewer un boss de la distribution un peu olé-olé, elles n’avaient guère à installer derrière leurs micros que Michel-Edouard Leclerc, patron des centres du même nom et infatigable défenseur du pouvoir d’achat des consommateurs. Aujourd’hui, elles ont Serge Papin. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’épicier branché“, S. 39.) Die Fernsehstationen und Radios haben sich nicht geirrt. Bis jetzt mussten sie nur MichelEdouard Leclerc, Chef der gleichnamigen Kette und unermüdlicher Verteidiger der Kaufkraft der Konsumenten, vors Mikrofon stellen, wenn sie einen unzeremonielleren Boss aus dem Handel interviewen wollten. Heute haben sie Serge Papin.

(48) Jeudi 16 septembre 1982, à Beyrouth, des groupes de miliciens chrétiens attaquent la population des camps palestiniens. C’est le plus grand massacre de civils de la guerre du Liban. Pour la première fois, un film livre le récit des assassins. Un document exceptionnel. « Voilà... c’est le cercle. » Sur un tableau en papier, dans une lumière rouge crépusculaire, une main dessine au feutre un cercle fermé. Tout autour, avec l’application d’un cadre qui

12 expliquerait une méthode de gestion, l’homme place une série de petits points : « Nous étions là. » Le cercle, c’est le camp palestinien de Sabra ; les points, les miliciens qui ont encerclé et investi Sabra et Chatila, où ils ont massacré des civils, hommes, femmes et enfants, pendant deux jours et trois nuits d’affilée. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Sabra et Chatila : les tueurs parlent“, S. 36.) Am Donnerstag, den 16. September, greifen in Beirut Gruppen christlicher Milizionäre die Bevölkerung in den Palästinenserlagern an. Es ist das größte Massaker an Zivilpersonen während des Libanonkriegs. Zum ersten Mal lässt ein Film die Mörder zu Wort kommen. Ein außergewöhnliches Dokument. “Hier ... das ist der Kreis.“ Auf einer Papiertafel zeichnet in rotem Dämmerlicht eine Hand mit einem Filzstift einen geschlossenen Kreis. Außen herum platziert der Mann mit dem Eifer eines Managers, der eine betriebswirtschaftliche Strategie erklärt, eine Reihe kleiner Punkte: „Wir waren hier.“ Der Kreis stellt das Palästinenserlager von Sabra dar; die Punkte sind die Milizionäre, die Sabra und Chatila eingekreist und umzingelt haben, wo sie Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – ohne Unterlass zwei Tage und drei Nächte lang massakriert haben.

(49) Pour Manzour, le chef du groupe, le séisme aura une conséquence positive : « L’armée fait démonstration de son inefficacité. Ils ne sont nulle part et nous sommes partout. Les villageois vont rejoindre en masse notre combat pour l’indépendance du Cachemire ! » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Quand les djihadistes se font sauveteurs“, S. 35.) Laut Manzour, dem Anführer der Gruppe, hat das Erdbeben eine positive Auswirkung: „Die Armee demonstriert ihre Unfähigkeit. Sie sind nirgends, und wir sind überall. Die Dorfbewohner werden sich massenweise unserem Kampf für die Unabhängigkeit Kaschmirs anschließen!“

(50) Il y a aussi des soucis internes au camp français, comme l’affaire des « lettres anonymes » envoyées par les « épouses du 43e Bima » au ministère de la Défense et à Jacques Chirac, lettres que la presse ivoirienne s’empresse de publier. La décision de faire rentrer en France les familles des soldats du 43e Bima a provoqué un vent de colère parmi les épouses des soldats, qui ne comprennent pas ce retour programmé, dans une période de calme, six mois après avoir vécu les événements violents de novembre 2004, quand le pays était en proie aux émeutes antifrançaises. Les lettres accusent « l’officier supérieur commandant de la force Licorne », en clair le général Poncet, de vouloir libérer les villas de fonction pour pouvoir loger ses officiers en mission pour quatre mois. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Armée. Enquête sur un assassinat silencieux“, S. 40.) Dazu kommen Sorgen innerhalb des französischen Lagers, wie die Affäre der „anonymen Briefe“, die von den „Ehefrauen des 43. Marineinfanteriebatallions“ ans Verteidigungsministerium und an Jacques Chirac geschickt wurden, Briefe, die die ivorische Presse sogleich veröffentlicht. Die Entscheidung, die Familien der Soldaten des 43. Bima nach Hause zu schicken, hat einen Sturm der Entrüstung bei den Ehefrauen der Soldaten ausgelöst, die diese Rückkehr während einer ruhigen Zeit und sechs Monate nach den gewalttätigen Vorfällen im November 2004, als das Land von antifranzösischen Aufständen gebeutelt wurde,

13 nicht verstehen. Die Briefe beschuldigen „den befehlshabenden Stabsoffizier der LicorneTruppe“, im Klartext also den General Poncet, die Dienstvillen räumen zu wollen, um dort seine Offiziere in viermonatiger Mission unterbringen zu können.

(51) L’idée même de celui-là est amusante en soi. Elle est venue à l’auteur quand, en décembre dernier, la France et son gouvernement ont commis un acte abominable à ses yeux, ne pas fêter le bicentenaire de la bataille d’Austerlitz. Comme moi, peut-être, vous trouvez qu’en termes d’abomination, ces derniers temps, le monde a fait mieux que d’oublier d’envoyer trois gugusses déguisés en grognards chanter le « Salve Regina » devant les Invalides. Sans compter le service que cette discrète omission a dû rendre à notre diplomatie européenne. Célébrer la bataille par laquelle l’Empereur entendait mettre la main sur tout le continent, vous imaginez le truc simple à expliquer à un Conseil de l’Union, surtout en pleine présidence autrichienne. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „‹ La Maxeillaise ›“, S. 19.) Schon die Idee zu diesem Buch an sich ist amüsant. Sie kam dem Autor, als im letzten Dezember Frankreich und die französische Regierung eine in seinen Augen verabscheuenswerte Tat begingen, nämlich den zweihundertsten Jahrestag der Schlacht von Austerlitz nicht zu feiern. Sie werden vielleicht mit mir übereinstimmen, dass in letzter Zeit die Welt Abscheulicheres hervorgebracht hat als zu vergessen, drei als napoleonische Gardisten verkleidete Hanswürste vor das Hôtel des Invalides zu schicken, wo sie das „Salve Regina“ hätten singen sollen. Mal ganz abgesehen von dem Dienst, den dieses diskrete Versäumnis unserer europäischen Diplomatie erwiesen haben muss. Die Schlacht zu feiern, durch die der Kaiser den ganzen Kontinent unter seine Herrschaft zu bringen beabsichtigte – nichts leichter, als dies dem Rat der Europäischen Union zu erklären, v. a. mitten während der österreichischen Ratspräsidentschaft.

(52) Le 5 mars, la perspective de voir jouer l’équipe de réserve de Marseille n’a pas entamé l’audience du match PSG–OM sur Canal+. Mais les abonnés, invités à donner une note de satisfaction, ont saqué cette piètre partie avec un 8,76 sur 20. Et les courriers de mécontentement pleuvent. A l’inverse, le même week-end, le match de rugby Stade français–Biarritz a remporté la note record de 14,5, très exceptionnellement accordée au foot. Il est vrai que la créativité du Stade français a donné de la modernité et un côté festif à ce sport. A Canal+, où le plaisir des abonnés prime sur l’audience, la comparaison de ces résultats ne laisse pas indifférent. Le rugby est en train de se faire une place de choix. L’émission « Jour de rugby » est, certes, moins suivie que « Jour de foot », mais pas tant que cela. Et pour la première fois depuis la rentrée, six matchs ont été diffusés en prime time. Surtout le ballon ovale a l’avantage sur le rond auprès de la gent féminine. Et mieux vaut lui plaire car, si la décision de s’abonner est prise en famille, la résiliation est le plus souvent décidée... par les femmes. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Un sport très in...“, S. 41.) Am 5. März hat die Aussicht, die Reservemannschaft von Marseille spielen zu sehen, die Zuschauerzahlen des Spiels Paris Saint-Germain–Olympique Marseille auf Canal+ nicht einbrechen lassen. Aber die Abonnenten, die aufgefordert wurden, ihre Zufriedenheit in Punktzahlen auszudrücken, haben diese erbärmliche Partie mit 8,76 von 20 Punkten durchrasseln lassen. Und die unzufriedenen Abonnentenzuschriften flattern nur so herein. Im Gegensatz dazu hat das Rugbyspiel Stade français–Biarritz eine Rekordpunktzahl von 14,5 erreicht, wie sie dem Fußball nur sehr selten zuteil wird. Tatsächlich hat die Kreativität der Mannschaft Stade français diesem Sport eine gewisse Modernität und Feierstimmung verliehen. Bei Canal+, wo das Vergnügen der Abonnenten wichtiger ist als die Zuschauerzahlen, wird

14 der Vergleich dieser Ergebnisse nicht gleichgültig abgehakt. Rugby ist dabei, sich eine führende Position zu sichern. Die Sendung „Jour de rugby“ [Der Rugby-Tag] wird zwar sicherlich von weniger Zuschauern verfolgt als „Jour de foot“ [Der Fußball-Tag], aber der Unterschied ist nicht allzu groß. Und zum ersten Mal seit der Sommerpause wurden sechs Spiele zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Vor allem ist der ovale bei der weiblichen Zuschauerschaft beliebter als der runde Ball. Und man ist gut beraten, sich mit dieser gut zu stellen, denn während die Entscheidung, ein Abonnement abzuschließen, von der Familie gemeinsam getroffen wird, geht eine Kündigung in den meisten Fällen ... von den Frauen aus.

(53) Le 20 juillet 1943, Jacques Lusseyran est cueilli, chez ses parents, par la Gestapo. On l’a dénoncé. Pendant six mois, il est incarcéré, molesté et interrogé à Fresnes. En février 1944, il est déporté à Buchenwald. Malgré sa précaution d’usage – « Je ne vais pas vous montrer Buchenwald, personne n’a jamais pu le faire » –, on n’a jamais mieux vu l’enfer concentrationnaire qu’à travers les yeux morts de cet aveugle, l’héroïsme de cet enfant de 20 ans. Nuit et brouillard. Maintes fois, le matricule 41978 faillit mourir, de pleurésie, de dysenterie, de septicémie. De famine aussi, car on lui volait son pain sec, jusqu’à ce que des Russes le prennent sous leur protection. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un aveugle à Buchenwald“, S. 57.) Am 20. Juli 1943 wird Jacques Lusseyran von der Gestapo aus seinem Elternhaus abgeholt. Er wurde denunziert. Sechs Monate lang wird er in Fresnes gefangen gehalten, misshandelt und verhört. Im Februar 1944 wird er nach Buchenwald deportiert. Trotz seiner großen Zurückhaltung – „Ich werde Buchenwald nicht beschreiben, das ist noch niemandem gelungen“ – konnte man die Hölle der Konzentrationslager nie besser nachvollziehen als durch die toten Augen dieses Blinden, die Heldenhaftigkeit dieses 20-jährigen Jungen. Nacht und Nebel. Oft entkommt die Nummer 41978 dem Tod durch Rippenfellentzündung, Ruhr, Blutvergiftung nur knapp. Genau wie dem Hungertod, denn ihm wird sein trocken Brot gestohlen, bis ihn Russen unter ihren Schutz nehmen.

(54) « Jésus est mon pote ». Pas le vôtre ? Désolé, il va falloir vous habituer à croiser jeunes et moins jeunes affublés d’un T-shirt avec la tête du Christ ou de sa maman, avec le message « Jesus is my homeboy » ou « Mary is my homegirl ». Teenage Millionaire, l’entreprise de Los Angeles qui a lancé le T-shirt, en a déjà vendu plus d’un million, et l’acteur Ben Affleck ou Madonna se sont fait photographier en compagnie de leur « pote ». Sans oublier Pamela Anderson, dont l’anatomie pulpeuse fait littéralement exploser le mot « Jésus »... (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „God is good“, S. 46.) „Jesus ist mein Kumpel.“ Ihrer aber nicht? Sie werden sich wohl leider daran gewöhnen müssen, mehr oder weniger jungen Menschen über den Weg zu laufen, die in ein T-Shirt mit dem Kopf Christi oder seiner Mama und der Botschaft „Jesus is my homeboy“ oder „Mary is my homegirl“ gewandet sind. Teenage Millionaire, das in Los Angeles ansässige Unternehmen, das das T-Shirt auf den Markt gebracht hat, hat davon schon mehr als eine Million Stück verkauft, und der Schauspieler Ben Affleck und Madonna haben sich bereits in Begleitung ihres „Kumpels“ ablichten lassen. Nicht zu vergessen Pamela Anderson, deren üppiger Körperbau das Wort „Jesus“ buchstäblich explodieren lässt ...

(55) Les Berbères n’ont pas forcément vocation à être, à eux seuls, les enfants de l’Algérie. Le fait d’être là depuis le néolithique n’est pas une fin en soi. Bientôt les Chinois, de plus en

15 plus nombreux chez nous, pourront clamer que l’Algérie est chinoise et il sera difficile de les contredire. Disons que pour le moment, l’Algérie est peuplée d’Algériens, descendants de Numides, et on en reste là. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mes chers compatriotes“, S. 52.) Die Berber können nicht unbedingt als einzige von sich behaupten, die Kinder Algeriens zu sein. Die Tatsache, dass sie seit der Jungsteinzeit dort leben, ist an sich nicht das ultimative Kriterium. Bald werden die Chinesen, die in immer größerer Zahl bei uns leben, beanspruchen können, dass Algerien chinesisch ist, und es wird schwer fallen, ihnen zu widersprechen. Halten wir also fest, dass Algerien einstweilen von Algeriern bewohnt wird, die von den Numidern abstammen, und belassen wir es dabei.

(56) Où va l’Amérique ? A l’extérieur, les Etats-Unis ont opéré un double changement. Ils sont passés d’un leadership multilatéraliste à une hégémonie d’inspiration nationaliste. Ils sont sortis d’un conservatisme mondial fondé sur l’endiguement du communisme et la défense du statu quo pour entrer dans un activisme international où la défense de la démocratie se mue en croisade, en lutte du Bien contre le Mal, et divise le monde, trop simplement, entre amis et ennemis. Mais il est parfois plus facile de faire la guerre que d’assurer la paix. Si les Etats-Unis sont entrés aisément en Irak, il leur sera difficile d’en sortir en y ayant atteint les objectifs qu’ils affichent : la démocratie dans la paix civile. Sur le long terme, les Etats-Unis auront sans doute à choisir entre l’hégémonie et le leadership. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce que je crois“, S. 9.) Wohin steuert Amerika? Nach außen hin haben die Vereinigten Staaten einen zweifachen Wandel vollzogen. Sie sind von einer Führungsrolle innerhalb einer multilateralen Umgebung zu einer auf Nationalismus beruhenden Hegemoniestellung übergegangen. Sie haben sich von einem weltweiten, auf die Eindämmung des Kommunismus gegründeten Konservatismus und der Verteidigung des Status quo wegbewegt, um zu einem internationalen Aktivismus zu gelangen, innerhalb dessen die Verteidigung der Demokratie zum Kreuzzug wird, zum Kampf des Guten gegen das Böse, und die Welt zu stark vereinfachend in zwei Lager spaltet, ein Freundes- und ein Feindeslager. Aber manchmal ist es einfacher, Krieg zu führen, als den Frieden zu sichern. Während die Vereinigten Staaten mit Leichtigkeit in den Irak einmarschiert sind, so wird es ihnen schwerer fallen, abzurücken und zuvor die Ziele zu erreichen, die sie sich gesetzt haben: Demokratie und inneren Frieden. Auf lange Sicht werden sich die Vereinigten Staaten wahrscheinlich zwischen Hegemonie und Führungsrolle entscheiden müssen.

(57) « Des images terribles d’hommes marchant dans le désert, refoulés, abandonnés, nous écrit Jacques Vuillemin. Entre la misère du Sud et la richesse du Nord, des barbelés. Derrière ces barbelés, le mirage d’un monde meilleur, plus humain, plus juste. L’espoir d’une vie nouvelle, des promesses d’avenir. Comment ne pas être partagé, déchiré entre compassion et impuissance ? » Pour ce lecteur, « la solidarité ne consiste pas seulement à accueillir des immigrés, mais aussi et surtout à s’intéresser à leur sort après. On ne peut favoriser l’immigration des élites et abandonner les autres. On ne réduira pas la misère du Sud en l’ignorant, en la repoussant, en élevant des barrières de barbelés. (...) La richesse du Nord ne pourra durablement coexister avec la misère du Sud ». (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Melilla, polygamie et regroupement familial“, S. 13.)

16 „Erschütternde Bilder von Menschen, die abgeschoben und hilflos durch die Wüste laufen“, schreibt uns Jacques Vuillemin. „Zwischen der Not des Südens und dem Reichtum des Nordens: Stacheldraht. Hinter diesen Stacheldrahtzäunen winkt die Fata Morgana einer besseren, menschlicheren und gerechteren Welt. Die Hoffnung auf ein neues Leben, Verheißungen für die Zukunft. Wie soll man da nicht hin- und hergerissen sein zwischen Mitleid und Ohnmacht?“ Für diesen Leser „besteht Solidarität nicht nur darin, die Einwanderer aufzunehmen, sondern auch und v. a. darin, sich für ihr weiteres Schicksal zu interessieren. Man kann nicht die Zuwanderung von Eliten befürworten und gleichzeitig die anderen im Stich lassen. Die Not des Südens lässt sich nicht lindern, indem man sie ignoriert und verdrängt oder indem man Stacheldrahtzäune errichtet. (...) Der Reichtum des Nordens kann nicht auf Dauer mit der Not des Südens koexistieren.“

(58) Un Flaubert inédit C’est l’exclusivité de l’année, encore qu’elle ait dormi dans un classeur perdu et oublié depuis... 1860 ! « Le Magazine littéraire » publie dans son numéro d’octobre (5,50 euros) un inédit de Flaubert dont les connaisseurs soupçonnaient l’existence, notamment par des lettres où l’auteur de « Mme Bovary » évoquait ce texte, mais sur lequel ils désespéraient de jamais mettre la main : « la Vie et les travaux du révérend Cruchard », portrait d’un prédicateur aux champs, une sorte d’autobiographie farceuse retrouvée par un chineur dans une liasse de papiers ayant appartenu à Caroline Commanville, la nièce de Gustave. Ecrit à l’intention de sa grande amie George Sand, c’est du Flaubert pur beurre, et la dame de Nohant a dû bien s’amuser aux aventures de ce Bourdaloue rural, « né à Maniquerville-lèsQuiquerville, diocèse de Lisieux »... (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un Flaubert inédit“, S. 58.) Ein unveröffentlichter Flaubert Es ist die aufsehenerregendste Veröffentlichung des Jahres, obwohl sie in einem Ordner ruhte, der verloren gegangen und in Vergessenheit geraten war, und das seit ... 1860! „Le Magazine littéraire“ druckt in seiner Oktoberausgabe (5,50 Euro) einen unveröffentlichten Text von Flaubert ab, dessen Existenz von Experten vermutet wurde – insbesondere aufgrund von Briefen, in denen der Autor von „Madame Bovary“ eben jenen Text erwähnte –, aber auf dessen Entdeckung sie nicht mehr zu hoffen wagten: „La Vie et les travaux du révérend Cruchard“ [Leben und Werke des Paters Cruchard], das Porträt eines Wald- und Wiesenpredigers, eine Art komische Autobiographie, die von einem Trödler in einem Bündel Papiere gefunden wurde, die Caroline Commanville, der Nichte von Gustave, gehört hatten. Die für seine enge Freundin George Sand geschriebenen Texte sind Flaubert vom Feinsten, und die Dame aus Nohant dürfte sich bestens über die Abenteuer dieses ländlichen Bourdaloue, „geboren in Maniquerville-lès-Quiquerville, in der Diözese von Lisieux“, amüsiert haben ...

(77) La fonction actuelle de l’histoire, c’est de clarifier les procédures de l’évolution de l’humanité, et par là aussi peut-être la nature des problèmes auxquels se confronte l’humanité. L’évolution historique est devenue une composante centrale des sciences naturelles dans des domaines aussi éloignés que la cosmogonie et le néodarwinisme. De fait, la biologie moléculaire et évolutionniste, la paléontologie, l’archéologie transforment l’histoire elle-même. Jusqu’à un certain point l’évolution, y compris de l’espèce humaine, peut se comprendre à travers les procédures de l’évolution darwinienne. Mais à partir de l’humanisation de cette histoire, ça ne suffit plus. Vu que l’histoire humaine est d’une brièveté extrême. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Ma vie en rouge“, S. 17.)

17 Die derzeitige Funktion der Geschichte besteht darin, die Vorgänge bei der Entwicklung der Menschheit zu erhellen und dadurch vielleicht auch das Wesen der Probleme, denen sich die Menschheit gegenüber gestellt sieht. Die geschichtliche Entwicklung ist heute ein zentraler Bestandteil der Naturwissenschaften in so unterschiedlichen Bereichen wie der Kosmogonie und dem Neodarwinismus. Ja die Molekular- und Evolutionsbiologie, die Paläontologie und die Archäologie verändern die Geschichte selbst. Bis zu einem gewissen Punkt kann die Entwicklung, einschließlich jener der Menschheit, durch die Prozesse der darwinschen Evolution verstanden werden. Aber ab der Zentrierung dieser Geschichte auf den Menschen genügt dies nicht mehr, zeichnet sich doch die menschliche Geschichte durch extreme Kürze aus.

(79) Rapidement naît l’idée d’amorcer un dialogue juifs-Noirs dans un cadre au départ strictement philosophique. Ils prennent contact avec la communauté juive locale, d’abord surprise de leur démarche. « Pour le rabbin de la ville, se souvient Abdoulaye Barro, aujourd’hui docteur en philosophie, les rapports des juifs et des Noirs ne posaient alors aucun problème particulier. Il nous a demandé notre diagnostic. J’ai parlé d’indifférence sympathique, mais je lui ai dit qu’il nous semblait indispensable d’anticiper l’action d’éventuels pyromanes dans le futur. [...] » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Juifs–Noirs, un dialogue“, S. 59.) Schnell kommt die Idee auf, einen Dialog zwischen Farbigen und Juden, anfangs auf rein philosophischer Ebene, anzustoßen. Sie kontaktieren die örtliche jüdische Gemeinde, die zunächst über diese Initiative überrascht ist. „Für den Rabbi der Stadt“, erinnert sich Abdoulaye Barro, der heute Doktor der Philosophie ist, „stellte damals das Verhältnis zwischen Juden und Farbigen kein spezielles Problem dar. Er bat uns um unsere Einschätzung der Situation. Ich habe von gleichgültiger Sympathie gesprochen, aber ich sagte ihm auch, dass es uns unerlässlich erschien, den künftigen Taten möglicher Brandstifter zuvorzukommen. [...]“

(80) « Le problème, c’est que la mairie fait des plans sur une ville qui n’existe pas, affirme Nourredine Abouakil, responsable de l’association Un centre-ville pour tous. Elle n’agit pas avec les Marseillais tels qu’ils sont, divers et populaires, mais en rêvant d’une ville idéale pour riches bourgeois. » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 27.) „Das Problem ist, dass das Bürgermeisteramt Pläne für eine Stadt macht, die so nicht existiert“, stellt Nourredine Abouakil, der Verantwortliche der Initiative Ein Stadtzentrum für alle, fest. „Es arbeitet nicht mit den Marseillern, wie sie nun einmal sind – unterschiedlicher Herkunft und aus einfachen Verhältnissen stammend –, zusammen, sondern träumt den Traum von einer idealen Stadt für das reiche Bürgertum.“

(81) Stéphane Paoli, qui anime ce rendez-vous, a l’habitude de ces détournements d’antenne. Sporadiquement depuis deux ans, et plus fréquemment depuis la rentrée, des « snipers » parviennent à passer les filtres du standard pour « exercer leur droit de critique des médias sur cette antenne publique qui est aussi la nôtre », nous ont-ils expliqué par mail. Ils fustigent Inter, qui aurait trahi sa mission de service public en étant – selon eux – trop proche du grand capital, et Stéphane Paoli, pour ses « ménages » (prestations extérieures rémunérées). (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Guérilla des ondes sur France-Inter“, S. 43.)

18 Stéphane Paoli, der diese Sendung moderiert, ist an die Sendungspiraterie gewöhnt. Seit zwei Jahren gelingt es den „Heckenschützen“ immer wieder, und zwar verstärkt seit der letzten Sommerpause, an der Anruffilterung der Telefonzentrale vorbeizukommen, um „ihr Recht auf Medienkritik auf diesem öffentlichen Sender, der auch uns gehört, auszuüben“, wie sie per E-Mail erklärt haben. Sie prangern Inter an, das seine Aufgabe als öffentliche Einrichtung verraten haben soll, indem es – ihnen zufolge – dem Großkapital zu nahe steht, und geißeln Stéphane Paoli wegen seiner Moderationsauftritte bei privaten und geschäftlichen Anlässen (externe Honorartätigkeiten).

(82) « Avec l’industrie, mon aventure commence ! » C’est l’affriolant slogan choisi par le ministère de l’Industrie pour sa dernière campagne de séduction en direction des jeunes. Voilà des années, en effet, que le secteur dépense sans compter pour séduire lycéens et étudiants, qui font la fine bouche. « Faute de candidats, nous fermons une section de BTS industriel par an ! » déplore un prof de lycée. Le secteur souffre d’un déficit d’image : la caricature du travail à l’usine dans un environnement bruyant, salissant et offrant des rémunérations médiocres a la vie dure. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.) „Mit der Industrie ins Abenteuer!“ lautet der verlockende Slogan, der vom Industrieministerium für die neueste auf Jugendliche abzielende Überzeugungskampagne ausgewählt wurde. Schon seit Jahren gibt der Sektor nämlich großzügig Geld aus, um Oberschüler und Studenten anzulocken, die sich noch zieren. „Aus Mangel an Bewerbern schließen wir pro Jahr einen Industrie-BTS-Zweig [brevet de technicien supérieur, Abschluss eines technischen Kurzstudiums]!“ klagt ein Oberschullehrer. Der Sektor leidet unter seinem schlechten Image: Die überzogene Vorstellung von mittelmäßig bezahlter Fabrikarbeit in einer lauten, schmutzigen Arbeitsumgebung hält sich hartnäckig.

(83) Flonflons, trompettes et une grosse campagne de pub en prime. Pour lancer sa nouvelle maquette, « le Monde » n’a pas lésiné sur la dépense : 5 millions d’euros et des spots à la télévision pour nous expliquer : « Remettons les choses à leur place ». Le journal, lui, a fait plus que remettre les choses en place, il a été revu de fond en comble. Le nouveau « Monde », qui s’inspire du quotidien britannique « The Independant », a dû faire tomber ses vieux lecteurs de leur chaise. Couleurs, photos et graphisme sont au rendez-vous sur 32 pages. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „‹ Le Monde › refait ‹ Le Monde ›“, S. 47.) Pauken und Trompeten und eine groß angelegte Werbekampagne als Dreingabe. Um ihr neues Layout einzuführen, hat „Le Monde“ keine Kosten gescheut: 5 Millionen Euro und Fernsehspots, um uns zu vermitteln: „Wir rücken die Dinge an den rechten Platz.“ Die Zeitung hat noch mehr getan, als die Dinge an den rechten Platz zu rücken, sie wurde von Grund auf überarbeitet. Die neue „Le Monde“, die sich von der britischen Tageszeitung „The Independant“ hat inspirieren lassen, muss ihre alten Leser vom Stuhl gehauen haben. Farben, Photos und graphische Gestaltung haben auf 32 Seiten Einzug gehalten.

(84) 1956 divise l’histoire de la Grande-Bretagne au XXe siècle en deux moitiés très différentes : avant et après le rock and roll et le choc de Suez. Avec le rock, c’est l’entrée brusque d’une culture autonome de la jeunesse. Suez, c’est la conscience pour les Britanniques de la fin de l’empire. A partir de cette époque, des membres de l’ex-empire viennent émigrer en GrandeBretagne. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Ma vie en rouge“, S. 15.)

19 Das Jahr 1956 teilt die Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert in zwei sehr unterschiedliche Hälften: vor und nach dem Rock and Roll und der Suezkrise. Der Rock führt zu einem unvermittelt schnellen Aufstreben einer eigenständigen Jugendkultur. Suez bedeutet für die Briten die Bewusstwerdung über das Ende des Britischen Weltreichs. Von diesem Zeitpunkt an wandern Angehörige des ehemaligen Weltreichs nach Großbritannien aus.

(85) Je sais. Depuis le début de la diffusion, lundi sur France 2, de cette fameuse nouvelle version des « Rois maudits », je me doute bien de ce que nombre de citoyens de ce pays doivent penser : le seul point positif de l’affaire, c’est que cette pauvre dynastie capétienne se soit éteinte avant d’avoir vu ça. Après ce qu’ils ont souffert en mille ans d’histoire, leur faire subir en plus la série de Josée Dayan tournée dans les impayables décors de Philippe Druillet, ça friserait l’acharnement. Pourtant, je vous l’avoue, cet étonnant remake, personnellement, je l’ai trouvé très bienvenu. D’accord, la version historique de Claude Barma était plus pédagogique. Grâce à la fameuse touche « Buttes-Chaumont » du tournage, grâce au casting entièrement raflé à la ComédieFrançaise, les enfants de France de 1972 eurent une idée claire de ce qu’était le Moyen Age : une époque où on articulait des textes pleins d’imparfait du subjonctif dans des décors à petits budgets. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le bon temps des années fioles“, S. 13.) Ich weiß. Seit dem Beginn der Ausstrahlung dieser berühmten neuen Version der „Rois maudits“ [Die unseligen Könige] am Montag auf France 2 kann ich mir gut vorstellen, was viele Bürger dieses Landes denken müssen: Das einzig Positive an der Sache ist, dass das arme Herrschergeschlecht der Kapetinger ausgestorben ist, bevor es dies mit ansehen musste. Nach dem, was sie während ihrer tausendjährigen Geschichte erleiden mussten, wäre es über das Erträgliche hinausgegangen, ihnen auch noch die Serie von Josée Dayan zuzumuten, die vor den unvergleichlichen Kulissen von Philippe Druillet gedreht wurde. Dennoch gebe ich zu, dass ich persönlich dieses erstaunliche Remake sehr begrüße. Zugegeben, die ursprüngliche Version von Claude Barma war pädagogischer angelegt. Dank der berühmten Note der Studios von „Buttes-Chaumont“ und der komplett aus der ComédieFrançaise rekrutierten Besetzung haben die Kinder im Frankreich von 1972 einen klaren Eindruck davon erhalten, was das Mittelalter ausmachte: eine Epoche, in der man vor LowBudget-Kulissen lauter Texte voll mit dem imparfait du subjonctif deklamierte.

(86) Que sait-on du programme nucléaire iranien ? On sait que ce programme existe depuis près de vingt ans, qu’il est resté totalement clandestin jusqu’en 2002 et qu’une partie, dont personne ne connaît l’ampleur, est toujours secrète. Grâce à l’Agence internationale de l’Energie atomique (AIEA), on sait aussi : 1) que l’Iran a produit de petites quantités de plutonium dans un laboratoire de recherches ; 2) qu’il est (à peu près) capable de convertir du minerai d’uranium en gaz et qu’il dispose, à Isphahan, de la capacité de faire cela à grande échelle ; 3) que Téhéran a acquis ou fabriqué plusieurs centaines de machines destinées à enrichir ce gaz : les fameuses centrifugeuses qui produisent, selon leur configuration, soit du combustible pour une centrale électrique, soit de la matière fissile pour une bombe atomique ; 4) que la République islamique a l’intention d’en installer bientôt des dizaines de milliers à Natanz, mais que les ingénieurs iraniens ne maîtrisent pas encore le savoir-faire nécessaire à la bonne marche de ces centrifugueuses ; 5) que l’armée iranienne teste des missiles de moyenne portée, potentiellement capables de propulser une charge nucléaire à plus de 1 000 kilomètres. Tout le reste, ou presque n’est qu’hypothèses.

20 Ce programme est-il forcément militaire ? Téhéran répète que son objectif est civil : il s’agit de produire de l’électricité. « Pourquoi rejeter totalement cette explication ? demande Bruno Tertrais, de la Fondation pour la Recherche stratégique. Le pays regorge de pétrole et de gaz, mais ces ressources vont s’épuiser. Il n’est donc pas absurde qu’une grande nation comme l’Iran prévoie l’après-hydrocarbures. C’était déjà l’idée du shah... » Mais à l’évidence, il y a autre chose. « Même s’il n’existe pas de preuve formelle, les indices sur le caractère principalement militaire de ce programme sont nombreux et concordants », dit Pascal Boniface, le directeur de l’Institut de Relations internationales et stratégiques (Iris). Il y a, en vrac, le secret qui entoure cette affaire depuis si longtemps, le refus de la part de Téhéran de coopérer pleinement avec l’AIEA, [...]. « Selon toute vraisemblance, l’Iran cherche donc à se doter des moyens de construire une arme atomique, dit Bruno Tertrais, mais rien ne prouve que la décision politique de construire effectivement cette bombe ait été prise. Téhéran veut peut-être imiter le Japon et ne pas dépasser le „seuil“ nucléaire, c’est-à-dire le niveau technique et industriel qui permet de produire une arme en quelques mois, si nécessaire. » Nombre d’experts pensent cependant que la République islamique veut aller au-delà de ce « seuil » et que la décision américaine d’envahir l’Irak n’a fait que renforcer sa détermination. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Iran. Les clés de la crise nucléaire“, S. 32f.) Was weiß man über das iranische Atomprogramm? Es ist bekannt, dass es dieses Programm seit fast zwanzig Jahren gibt, dass es bis 2002 völlig geheim gehalten wurde und dass ein Teil unbekannten Ausmaßes immer noch geheim ist. Dank der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) weiß man auch: 1) dass der Iran in einem Forschungslabor kleine Mengen Plutonium hergestellt hat; 2) dass er (beinahe) dazu in der Lage ist, Uranerz in Gas umzuwandeln, und dass er in Isphahan über die Möglichkeit verfügt, dies in großem Stil zu tun; 3) dass Teheran mehrere Hundert Anlagen zur Anreicherung dieses Gases erworben oder hergestellt hat: die berühmten Zentrifugen, die je nach ihrer Programmierung entweder Brennmaterial für ein Stromkraftwerk oder spaltbares Material für eine Atombombe produzieren; 4) dass die Islamische Republik die Absicht verfolgt, bald Zehntausende solcher Anlagen in Natanz zu errichten, dass aber die iranischen Ingenieure über das notwendige Know-how für den reibungslosen Betrieb dieser Zentrifugen noch nicht verfügen; 5) dass die iranische Armee Mittelstreckenraketen testet, die potenziell dazu in der Lage sind, eine nukleare Ladung mehr als 1 000 Kilometer weit zu katapultieren. Alles oder zumindest fast alles Weitere sind nur Vermutungen. Handelt es sich zwangsläufig um ein militärisches Programm? Teheran wiederholt immer wieder, dass seine Zielsetzung ziviler Art sei: Es gehe darum, Strom zu produzieren. „Warum sollte diese Erklärung völlig von der Hand gewiesen werden?“ fragt Bruno Tertrais von der Fondation pour la Recherche stratégique [Stiftung für strategische Forschung]. „Das Land verfügt über Erdöl und -gas im Überfluss, aber diese Ressourcen sind erschöpflich. Es ist also nicht abwegig, dass eine große Nation wie der Iran für die Nach-Kohlenwasserstoff-Ära Vorsorge trifft. Diese Idee verfolgte bereits der Schah ...“ Aber offenkundig steckt noch etwas anderes dahinter. „Auch wenn es keinen formalen Beweis dafür gibt, finden sich zahlreiche und übereinstimmende Hinweise auf den hauptsächlich militärischen Charakter dieses Programms“, sagt Pascal Boniface, der Direktor des Institut de Relations internationales et stratégiques (Iris) [Institut für internationale und strategische Beziehungen und Strategien]. Um einige wahllos herauszugreifen: die Geheimniskrämerei, die die Angelegenheit schon so lange umgibt, die Ablehnung seitens Teherans, ohne Vorbehalte mit der IAEA zusammenzuarbeiten, [...]. “Aller Wahrscheinlichkeit nach versucht also der Iran, sich mit den Mitteln auszustatten, um eine Nuklearwaffe zu bauen“, sagt Bruno Tertrais, „aber nichts belegt, dass die politische Entscheidung, diese Bombe wirklich zu bauen, getroffen wurde. Teheran will es vielleicht

21 Japan nachtun und gar nicht die „Schwelle“ zur Nuklearfähigkeit erreichen, d. h. das technische und industrielle Niveau, das im Bedarfsfall die Herstellung einer Atomwaffe innerhalb einiger Monate ermöglicht.“ Viele Experten sind jedoch der Meinung, dass die Islamische Republik die Überschreitung dieser „Schwelle“ anstrebt und dass die amerikanische Entscheidung, in den Irak einzumarschieren, ihre Entschlossenheit nur noch verstärkt hat.

(87) L’étudiant au chapeau rond syndiqué à SUD-Etudiant, qui faisait le comité d’accueil ce matin, descend les marches quatre à quatre. Il a du métier, il sait haranguer la foule. « Il y a 59 facs mobilisées en France, et on appelle ça une minorité ! » lance-t-il avec ferveur, tandis qu’un mouvement se dessine dans le fond de l’amphi, autour d’un étudiant longiligne qui s’avance en criant, d’abord sans micro : « La fac de sciences a voté le blocus ! ». Une victoire décisive ! Jusqu’à présent, elle résistait. La nouvelle tombe pic au moment où l’amphi bondé s’apprête à voter. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „L’histoire secrète d’une folle semaine“, S. 26.) Der Student mit dem runden Hut, der bei SUD-Etudiant organisiert ist und heute Morgen das Empfangskomitee stellte, rennt die Treppe hinab, immer vier Stufen auf einmal. Er versteht sein Handwerk, er weiß, wie man eine Ansprache an die Menge hält. „Wir sind bei 59 Unis, die sich in ganz Frankreich der Bewegung angeschlossen haben, und das soll eine Minderheit sein!“ schmettert er mit Inbrunst heraus, während sich im hinteren Teil des Hörsaals eine Bewegung um einen hochgewachsenen Studenten abzeichnet, der nach vorne kommt und dabei zunächst ohne Mikro ruft: „Die naturwissenschaftliche Fakultät hat für die Blockade gestimmt!“ Ein entscheidender Sieg! Bis jetzt sperrte sie sich. Die Neuigkeit schlägt genau in dem Moment ein, in dem der brechend volle Hörsaal zur Abstimmung übergeht.

(88) Du coup, les comptes du groupe, qui possède aussi « Télérama », « Courrier international », « le Midi libre », ou 6% du « Nouvel Observateur » (actionnaire lui de 4% du « Monde »), ont viré au rouge vif. La perte a atteint 60 millions d’euros l’an dernier et devrait dépasser encore 20 millions cette année. Le journal a supprimé 20% des effectifs, tout en lançant une augmentation de capital de 65 millions d’euros. Il se retrouve aujourd’hui avec deux gros actionnaires en embuscade, qui rêvent d’aller encore plus haut au moindre faux pas de l’équipe : le groupe Lagardère et l’espagnol Prisa, éditeur d’« El Pais ». (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „‹ Le Monde › refait ‹ Le Monde ›“, S. 47.) Deshalb sind die Zahlen der Gruppe, die auch „Télérama“, „Courrier international“, „Midi libre“ und 6 % des „Nouvel Observateur“ (der selbst mit 4 % als Aktionär an „Le Monde“ beteiligt ist) besitzt, weit in den roten Bereich abgerutscht. Die Verluste erreichten letztes Jahr 60 Millionen Euro und werden wahrscheinlich auch dieses Jahr 20 Millionen Euro überschreiten. Die Zeitung hat 20 % des Personals abgebaut und gleichzeitig eine Kapitalerhöhung von 65 Millionen Euro eingeleitet. Sie sieht sich heute zwei im Hinterhalt lauernden Großaktionären gegenüber, die davon träumen, beim geringsten Fehler des Teams ihren Einfluss noch zu vergrößern: die Lagardère-Gruppe und die spanische Prisa-Gruppe, der Herausgeber von „El País“.

(89) Il y a seulement quarante ans, le pauvre ancien de 14 n’intéressait personne, c’était le raseur seulement capable de faire ronfler des tablées entières avec son 122e récit de Verdun. Cela a bien changé. D’abord les tablées qu’il assomait n’ont plus à l’être, elles sont mortes depuis

22 longtemps. Et l’auguste vieillard jouit désormais d’une rente d’Etat immédiate, il est tellement vieux qu’on l’adore spontanément, vous imaginez, un type qui était déjà soldat alors que Drucker n’était même pas encore à la télé. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Attention les vieux !“, S. 19.) Vor nur vierzig Jahren interessierte der arme Veteran von 1914 niemanden, er wurde als Plagegeist abgetan, der lediglich dazu in der Lage war, ganze Tischrunden mit seiner 122. Erzählung von Verdun wegschnarchen zu lassen. Das hat sich deutlich geändert. Zunächst einmal haben die Tischrunden, die er in unendliche Langeweile versetzte, nicht mehr unter diesem Zustand zu leiden, sie sind nämlich schon seit langer Zeit tot. Und der würdige Greis bezieht fortan eine sofortige Staatsrente, er ist so alt, dass man ihn sofort gern haben muss. Man stelle sich vor: jemand, der schon Soldat war, als der Moderator Michel Drucker noch nicht im Fernsehen war.

(90) Pas question donc d’être maintenant associé à un projet « perso » de Villepin. « C’est son truc. Il l’a fait contre Sarko pour montrer que la rupture, c’était lui », enrage un proche du ministre de l’Intérieur. Sans doute. Mais Sarkozy est numéro deux du gouvernement. Qu’il le veuille ou non, il est un membre éminent de l’équipe, donc associé à son bilan, comme le montre le dernier sondage TNS-Sofres du « Figaro Magazine ». Sa cote de popularité chute de 8 points quand Villepin en perd 7. En outre, la mobilisation étudiante contre le CPE tombe au plus mauvais moment pour le ministre de l’Intérieur, déjà en délicatesse avec la jeunesse depuis la crise des banlieues. « On a un problème avec les jeunes », reconnaît pudiquement un dirigeant de l’UMP. Sans compter la bataille du téléchargement sur internet dans laquelle il a pris parti contre la licence globale. Et voilà que se profilent des manifestations que le ministre de l’Intérieur devra encadrer voire réprimer en priant que tout se passe sans bavures... Ce n’est pas la casquette idéale pour se réconcilier avec la jeunesse. Sarkozy se serait bien passé de devoir jouer à nouveau le rôle de premier flic de France. Certes, le président de l’UMP demeure le meilleur à droite pour représenter son camp en 2007, mais le baromètre du « Fig-Mag » a resonné comme un signal d’alerte. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 25.) Es kommt also nicht in Frage, sich jetzt mit einem der ureigensten Projekte Villepins in Verbindung bringen zu lassen. „Das ist sein Ding. Er hat es gegen Sarko auf den Weg gebracht, um zu zeigen, dass er den Neuanfang verkörpert“, regt sich ein Vertrauter des Innenministers auf. Gewiss. Aber Sarkozy ist die Nummer zwei der Regierung. Ob er es will oder nicht, er ist ein prominentes Mitglied der Regierungsmannschaft und wird also mit deren Bilanz in Verbindung gebracht, wie die neueste Umfrage von TNS-Sofres im „Figaro Magazine“ zeigt. Seine Beliebtheitswerte sind um 8 Punkte gefallen, während Villepin 7 verloren hat. Darüber hinaus erwischt die studentische Mobilmachung gegen den CPE [contrat premier embauche, Vertrag zur Ersteinstellung mit einfacher Kündigungsmöglichkeit während zwei Jahren] den Innenminister, der zu den Jugendlichen seit der Krise in den Vorstädten ein angespanntes Verhältnis hat, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. „Wir haben ein Problem mit den Jugendlichen“, gibt ein Mitglied der Führungsspitze der UMP [Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung] vorsichtig zu. Ganz abgesehen vom Streit um Internetdownloads, in dem er Stellung gegen die Globallizenz bezogen hat. Und schon zeichnen sich Demonstrationen ab, die der Innenminister mit Ordnungsmaßnahmen begleiten oder sogar in die Schranken weisen muss, während er betet, dass alles ohne Übergriffe vonstatten geht ... Das ist nicht der ideale Posten, um sich mit der Jugend auszusöhnen. Sarkozy hätte gerne darauf verzichtet, erneut die Rolle des obersten Polypen

23 Frankreichs spielen zu müssen. Der Vorsitzende der UMP bleibt zwar bei den Konservativen derjenige, der 2007 sein Lager am besten wird vertreten können, aber das Stimmungsbarometer des „Fig-Mag“ klingt wie ein Warnschuss.

(91) « Il se passe de drôles de choses dans certains riads » assure Latifa Liq, de l’Association marocaine des Droits de l’Homme. Marrakech devient la ville de toutes les rumeurs, de tous les contrastes... Alors quid des risques d’explosion, de flambée sociale, d’attentats islamistes ? « La menace n’est pas plus importante qu’ailleurs. Ce qui est plus risqué pour nous, c’est d’être dépendants des Français », rétorque un responsable régional. Crânement, Marrakech fait donc de l’œil aux Anglais, qui commencent à acheter leurs petits coins de paradis avec patio et piscine. Et rêve d’attirer demain des Américains ou des Chinois en goguette. Sur les contreforts de l’Atlas, business is business... (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „A qui appartient Marrakech ?“, S. 16.) „In einigen Riads spielen sich seltsame Dinge ab“, behauptet Latifa Liq von der Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung. Marrakesch wird zur Stadt der Gerüchte und der Gegensätze ... Wie steht es also um die Gefahr einer Entladung, sozialer Unruhen, islamistischer Anschläge? „Die Bedrohung ist nicht größer als anderswo. Was für uns eine größere Gefahr darstellt, ist die Abhängigkeit von den Franzosen“, erwidert ein regionaler Verantwortlicher. Kühn macht Marrakesch also den Engländern schöne Augen, die anfangen, ihr kleines Stückchen vom Paradies mit Patio und Swimmingpool zu kaufen. Und träumt davon, morgen Amerikaner oder amüsierfreudige Chinesen anzulocken. Am Fuße des Atlas gilt: business is business ...

(92) « Voilà, c’est ici ! » s’exclame notre guide, Thierry Saint-Joanis, 45 ans. Cet ancien journaliste aujourd’hui dirigeant d’une société de presse ne vit plus que dans ce repaire. Il est le président de la Société Sherlock Holmes de France. Ce titre lui donne certains privilèges : lors de réunions d’adhérents ou dans certaines apparitions publiques, il est le seul à pouvoir porter le costume du personnage créé par Conan Doyle en 1887. Soit la deerstalker ou casquette à double visière, le macfarlane, la pipe et divers autres accessoires vestimentaires empruntés à la garde-robe victorienne. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „La secte des holmésiens“, S. 60.) „Hier ist es!“ ruft unser Begleiter, Thierry Saint-Joanis, 45 Jahre. Der ehemalige Journalist, der heute einen Presseverlag führt, lebt nur noch in diesem Schlupfwinkel. Er ist der Präsident der Sherlock Holmes-Gesellschaft in Frankreich. Dieser Titel verleiht ihm bestimmte Privilegien: Bei Mitgliederversammlungen oder bei bestimmten öffentlichen Auftritten ist er der einzige, der das Kostüm der von Conan Doyle im Jahr 1887 erfundenen Figur tragen darf. D. h. den Deerstalker bzw. die Mütze mit Schild vorne und hinten, den Macfarlane, die Pfeife und verschiedene andere Kleidungsstücke der viktorianischen Garderobe.

(94) La Ddass... On en parle ici avec autant de colère que de la justice et du petit lieutenant Burgaud. On dit encore « la Ddass », avec tout ce que le sigle charrie d’arbitraire et de casse, alors qu’elle s’appelle Aide sociale à l’Enfance (ASE), depuis plus de vingt ans (cf. encadré). L’ASE est au cœur du ravage d’Outreau. Mais à l’heure où on tente de disséquer l’engrenage

24 infernal, elle reste étrangement silencieuse. Les auditions de ses agents devant la commission parlementaire ont lieu à huis clos. La presse est tenue à l’écart. Secret professionnel, dit-on, volonté de préserver le personnel traumatisé. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’autre fiasco d’Outreau“, S. 42.) Über die Ddass [Direction Départementale des Affaires Sanitaires et Sociales, Départementsdirektion für Gesundheit und Soziales] wird hier mit genauso viel Wut gesprochen wie über die Justiz und den Untersuchungsrichter Burgaud. Man nennt sie immer noch „die Ddass“ – mit all den Assoziationen von Willkür und hinterlassenen Scherbenhaufen, die der Abkürzung anhaften –, obwohl sie sich seit zwanzig Jahren Aide sociale à l’Enfance (ASE) [Jugendfürsorge] nennt (s. Kasten). Die ASE steht im Mittelpunkt der verheerenden Ereignisse von Outreau. Aber als versucht wird, das höllische Räderwerk auseinander zu nehmen, bleibt sie seltsam schweigsam. Die Anhörungen ihrer Bediensteten vor der parlamentarischen Kommission finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Presse wird auf Abstand gehalten. Dienstgeheimnis, wird gesagt, um die traumatisierten Mitarbeiter zu schonen.

(95) Perche tendue à la délégation d’EDF qui répond par un plaidoyer pro domo. Puis Jean-Paul Mauduit, membre du Medef et président de la chambre de commerce de Lyon, lance : « Je suis pro-nucléaire et pour l’EPR [European Pressurized Reactor] ! Les moulins à café, nous ne pouvons plus les prendre aux Chinois. Les centrales, si ! La France dispose d’un savoir que le monde entier nous envie. Sans le nucléaire, ce serait la débandade ! » Rires et aplaudissements. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „EPR : premier débat, cahin-caha“, S. 52.) Eine goldene Brücke für die Delegation von EDF [Electricité de France, staatliche französische Elektrizitätsgesellschaft], die mit einem Plädoyer für die eigene Sache antwortet. Darauf bekennt Jean-Paul Mauduit, Mitglied des Medef [Mouvement des Entreprises de France, französischer Arbeitgeberverband] und Präsident der Handelskammer Lyon: „Ich bin für Atomkraft und für den EPR [European Pressurized Reactor, Europäischer Druckwasserreaktor]! Die Kaffeemühlen können wir den Chinesen nicht mehr streitig machen. Die Atomkraftwerke sehr wohl! Frankreich verfügt über ein Know-how, um das uns die ganze Welt beneidet. Ohne Atomtechnologie würde hier alles den Bach hinuntergehen!“ Gelächter und Applaus.

(96) Après l’excitation de Berlin, la découverte de l’Angleterre en 1933 en tant qu’émigrant d’Europe centrale fut un choc et une grande déception. A cette époque, la Grande-Bretagne demeurait une île autosuffisante. Elle était insulaire à tous les sens du terme. Surtout sur le plan intellectuel. Les Britanniques avaient quelques décennies de retard par rapport à ce qu’on avait vécu en Allemagne. C’est donc à l’école que j’ai découvert cette culture qui s’est ajoutée à la culture allemande, puis française. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Ma vie en rouge“, S. 14.) Nach dem Trubel in Berlin bedeutete die Ankunft in England im Jahr 1933 für einen Auswanderer aus Mitteleuropa einen Schock und eine große Enttäuschung. Damals war Großbritannien noch eine sich selbst genügende Insel. Es war in jeglichem Wortsinne insular. Vor allem in intellektueller Hinsicht. Die Briten hatten einige Jahrzehnte Verspätung gegenüber dem, was man in Deutschland erlebt hatte. So habe ich also in der Schule jene Kultur kennengelernt, die zu meinen Eindrücken von der deutschen und auch der französischen Kultur hinzutrat.

25 (97) L’enquête d’Ariane Chemin et de Géraldine Catalano « Une famille au secret » (Stock) montre à quel point la double vie de François Mitterand a eu des conséquences politiques. A quel point, justement, les « idées » et « l’attitude », en d’autres termes le style de vie, sont intimement liées. Jusqu’à présent, en France, journalistes ou biographes ne se sont aventurés sur ce terrain qu’une fois leur « sujet » mort. Nicolas Sarkozy, lui bien vivant, essuie les plâtres d’une nouvelle ère, celle de la transparence. La décision de la vénérable Agence France Presse, organisme d’Etat, qui a repris l’article de « France-Soir » et « outé » la nouvelle amie du ministre, est révélatrice du trouble de la presse française, attaquée par le virus de la « peopolisation ». (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Le boomerang de la ‹ politique people ›“, S. 25.) Die Nachforschungen von Ariane Chemin und Géraldine Catalano – unter dem Titel „Une famille au secret“ [Eine Familie im Geheimen] bei Stock erschienen – zeigen, in welchem Maße das Doppelleben François Mitterands politische Folgen zeitigte. In welchem Maße die „Ideen“ mit der „Einstellung“, also dem Lebensstil, eng verknüpft sind. Bis jetzt haben sich in Frankreich Journalisten und Biographen erst auf dieses Terrain vorgewagt, wenn ihr „Thema“ bereits tot war. Nicolas Sarkozy, der seinerseits quicklebendig ist, stellt das Versuchskaninchen für eine neue Ära der Transparenz dar. Die Entscheidung der ehrwürdigen Agence France Presse, einer staatlichen Institution, die den Artikel von „France Soir“ aufgegriffen und die neue Freundin des Ministers „geoutet“ hat, ist bezeichnend für die Turbulenzen in der vom Virus der Boulevardisierung befallenen französischen Presselandschaft.

(98) Sur les pavés disjoints, les Jeep américaines se livrent à un furieux gymkhana au milieu des décombres. Nuremberg, la cité d’Albrecht Dürer, la ville qui donna son nom aux lois racistes de 1935 et célébra les grands-messes hitlériennes, dans une débauche d’oriflammes et de croix gammées, Nuremberg, en ce mois de novembre 1945, n’est plus que ruines. Les vainqueurs klaxonnent à tout va pour disperser les piétons. Ils sont chez eux, désormais, dans cette ville rasée par les bombardements britanniques en janvier et mars. Pour le procès, le plus grand procès de tous les temps jamais organisé contre les dignitaires d’un pays vaincu, l’eau et l’électricité ont été rétablies. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Nuremberg. Les nazis face à leurs crimes“, S. 5.) Auf den lockeren Pflastersteinen liefern sich die amerikanischen Jeeps einen erbitterten Geschicklichkeitswettbewerb inmitten der Trümmer. Nürnberg, die Stadt Albrecht Dürers, die Stadt, die den Rassengesetzen von 1935 ihren Namen verlieh und die in einem Meer von Bannern und Hakenkreuzen Hitlers hohe Messen zelebrierte, Nürnberg also besteht in jenem November 1945 nur noch aus Ruinen. Die Sieger hupen, was das Zeug hält, um die Fußgänger auseinander zu treiben. Von jetzt an haben sie hier das Sagen, in dieser Stadt, die im Januar und März von den britischen Bombardements niedergemäht worden ist. Für den Prozess, den größten Prozess aller Zeiten, der jemals gegen die Amtsträger eines besiegten Landes geführt wurde, sind eigens die Wasser- und Stromversorgung wiederhergestellt worden.

(99) Mais le Moloch médiatique n’est pas un toutou obéissant. Terrible dérive de la téléréalité, qui dévaste tout sur son passage. Logique cynique et mercantile : les déboires sentimentaux et romanesques de Nicolas passionnent. Les lecteurs se plaignent de l’abaissement du débat démocratique, et en même temps ils en redemandent. « Désormais Sarko vend plus que

26 n’importe quelle actrice », dit la rédactrice en chef d’un magazine people. Alors les paparazzi ne le lâchent plus. Ils le suivent partout. Ils mitraillent le couple, parti le week-end dernier à Venise. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Le boomerang de la ‹ politique people ›“, S. 25.) Aber der Medien-Moloch ist kein folgsames Hündchen. Ein erschreckender Auswuchs des Reality-Fernsehens, das auf seinem Durchmarsch nur Zerstörung hinterlässt. Eine zynische und profitgierige Denkweise: Die Enttäuschungen im Gefühls- und Liebesleben von Nicolas wecken reges Interesse. Die Leser beschweren sich über einen Verfall der demokratischen Diskussionskultur, und gleichzeitig verlangen sie mehr solche Nachrichten. „Künftig verkauft Sarko mehr als alle Schauspielerinnen“, sagt die Chefredakteurin eines Klatschmagazins. Nun lassen die Paparazzi nicht mehr von ihm ab. Sie verfolgen ihn überall hin. Sie schießen Bilder von dem Paar auf seiner Venedigreise am letzten Wochenende.

(100) L’université bouge. Il y a quelque chose de désespérant dans ce cliché tenace qui voudrait que l’université ne prépare pas à l’emploi. Trop longtemps, il est vrai, les facs n’ont formé que des juristes, des médecins, des chercheurs ou des profs. Les autres métiers, on les apprenait ailleurs, comme on pouvait. Dans les grandes écoles, si on faisait partie des 2% ou 3% de cracks pouvant y accéder. Dans les petites écoles professionnelles et les BTS, apparus en 1959, pour les autres. Puis, à la fin des années 1960, l’université a vu naître – avec mauvaise grâce – les instituts universitaires de technologie. Aujourd’hui, cette filière est devenue une des coqueluches des employeurs, redorant le blason de l’université. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’université bouge“, S. 6.) Die Universität im Wandel. Das hartnäckige Vorurteil, die Universität würde nicht auf das Arbeitsleben vorbereiten, hat etwas Entmutigendes. Es stimmt, dass die Unis zu lange nur Juristen und Mediziner, Wissenschaftler und Lehrer ausgebildet haben. Andere Berufe musste man, so gut es einem eben möglich war, andernorts erlernen. Entweder in den Grandes Ecoles, wenn man zu den 2 % oder 3 % der Überflieger gehörte, die dort aufgenommen wurden. Oder in den kleineren Berufsfachschulen und den BTS-Studiengängen [brevet de technicien supérieur, Abschluss eines technischen Kurzstudiums], die ab 1959 entstanden, wenn man zum Rest gehörte. Ab dem Ende der 60er Jahre erlebte die Universität widerwillig, wie die Instituts universitaires de technologie [Fachhochschulen] entstanden. Heute hat sich dieser Zweig zum Liebling der Arbeitgeber gemausert, der das Image der Universität aufwertet.

(101) Le Nouvel Observateur. – Dans vos tableaux, vous aimez vous représenter avec un revolver, mais jamais avec le pinceau des peintres... Jacques Monory. – Dans la série « Meurtres », pourtant, c’est moi qui meurs : je tombe, je meurs 2, 3, 4 fois... Le 10e tableau est un miroir pour faire entrer les gens dans le tableau et ce sont eux qui sont tués finalement – on voit quelqu’un qui se sauve, c’est moi ! En fait, plutôt que sur les gens, je préfère tirer sur la peinture, comme dans « Monet est mort », où je tire sur une valise métallique qui s’enfonce dans l’étang des « Nymphéas ». (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Jacques Monory. L’homme qui tire sur la peinture“, S. 5.) Le Nouvel Observateur. – Auf Ihren Bildern stellen Sie sich gerne mit einem Revolver dar, aber niemals mit dem Pinsel eines Malers ...

27 Jacques Monory. – In der Serie „Morde“ bin es allerdings ich, der stirbt: Ich falle, ich sterbe 2-, 3-, 4-mal ... Das 10. Bild ist ein Spiegel, der die Leute in das Bild eintreten lässt, und sie sind es, die schließlich getötet werden – man sieht jemanden, der flüchtet, das bin ich! Lieber als auf Leute schieße ich eigentlich auf Gemälde, wie in „Monet ist tot“, oder ich schieße auf einen Metallkoffer, der im Teich des „Seerosen“-Bilds untergeht.

(102) Des morts de Clichy-sous-Bois et d’Epinay-sur-Seine au recours à l’état d’urgence et à l’instauration du couvre-feu annoncé par Dominique de Villepin, Claude Askolovitch raconte ces dix jours qui ont ébranlé la France. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Banlieues. Pourquoi l’incendie“, S. 22.) Von den Toten in Clichy-sous-Bois und Epinay-sur-Seine bis zur Ausrufung des Ausnahmezustands und der Verhängung einer Ausgangssperre, die von Dominique de Villepin verkündet wurde, gibt Claude Askolovitch jene zehn Tage wieder, die Frankreich in seinen Grundfesten erschüttert haben.

(103) Il n’empêche qu’elle ne renoncerait pour rien au monde à ces cours du soir dans ce bidonville sur les hauteurs de Caracas, près du quartier de Petare : « Le quartier est toujours aussi dangereux, mais les comportements commencent à changer. On voit moins de gens qui traînent devant leur porte, qui picolent et créent une mauvaise ambiance dans le quartier. L’exemple des autres est contagieux, ils se mettent à étudier. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 7.) Trotzdem würde sie um nichts auf der Welt die Abendkurse in diesem Elendsviertel auf den Anhöhen von Caracas in der Nähe von Petare aufgeben: „Das Viertel ist immer noch genauso gefährlich, aber die Verhaltensweisen beginnen, sich zu ändern. Man sieht weniger Leute, die vor ihren Türen herumlungern, die trinken und die im Viertel eine ungute Stimmung verbreiten. Das Beispiel, das die anderen bieten, ist ansteckend, sie fangen an, etwas für ihre Bildung zu tun.“

(104) Cette irruption des gratuits a dans un premier temps réveillé les médias qu’elle ne réussissait pas à tuer : grâce aux produits dérivés (CD, DVD et autres encyclopédies), « la Repubblica », désormais tout en couleurs, a publié les meilleurs résultats de son histoire. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Gratuits : le vent du Nord“, S. 31.) Dieser Überfall der Gratiszeitungen hat zunächst die Medien, die er nicht auslöschen konnte, wachgerüttelt: Dank Zusatzprodukten (CDs, DVDs und anderen Nachschlagewerken) konnte „la Repubblica“, von jetzt an ganz in Farbe, die besten Ergebnisse ihrer Geschichte verkünden.

(105) Il développe tous ses sens valides. Il donne du relief à ce qu’il ne voit pas et de la matière aux odeurs. Il transforme les choses en couleur et parle d’une perception visuelle extrarétinienne. Il entend ce que Nathalie Sarraute allait bientôt appeler « la sous-conversation » : il sait quand une voix ment ou dit la vérité. Il demande à Mozart et Schubert de lui enseigner le courage et les lois d’amour. Il découvre le bonheur de la fraternité et ne compte plus les

28 camarades qui, désormais, lui tendent une main, une épaule, pour le conduire dans les rues de Paris ou sur les rives de la Sarthe. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un aveugle à Buchenwald“, S. 57.) Er schärft alle seine gesunden Sinne. Er verleiht dem, was er nicht sieht, Plastizität und den Gerüchen Materialität. Er verwandelt Dinge in Farben und spricht von einer visuellen Wahrnehmung außerhalb der Netzhaut. Er hört, was Nathalie Sarraute bald als „sousconversation“ bezeichnen sollte: Er weiß, wann eine Stimme lügt oder die Wahrheit sagt. Er wendet sich an Mozart und Schubert, damit sie ihm Mut und die Gesetze der Liebe beibringen. Er entdeckt das Glück der Brüderlichkeit und hat unzählige Kameraden, die ihm fortan die Hand reichen oder eine Schulter bieten, um ihn durch die Straßen von Paris oder am Ufer der Sarthe entlang zu führen.

(106) A la veille de la manifestation parisienne du 22 mars contre le projet gouvernemental de prévention de la délinquance, nous continuons de recevoir beaucoup de courriers protestant contre une étude de l’Inserm publiée en septembre qui préconise le repérage précoce des troubles de conduite chez les tout-petits et qui est reprise dans le projet de loi Sarkozy. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Science-fiction et enfants terribles“, S. 13.) Am Vortag der Demonstration vom 22. März in Paris gegen das Gesetzesvorhaben der Regierung zur Kriminalitätsprävention erhalten wir weiter viele gegen die im September vom Inserm [Institut national de la santé et de la recherche médicale, Nationales Institut für Gesundheit und medizinische Forschung] veröffentlichte Studie gerichtete Briefe. Die Studie befürwortet die frühzeitige Registrierung von Verhaltensstörungen vom Kleinstkindalter an und wird in Sarkozys Gesetzesvorhaben aufgegriffen.

(107) « La France en tant que pays a toujours eu des difficultés à se projeter hors de l’Hexagone (piètre empire colonial, abandon du Quèbec, ingérence en Afrique, perception d’arrogance...) et les rares endroits où elle a implanté sa langue ont été soit pauvres (Afrique) soit isolés (Québec), donc sans grand rayonnement international. » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.) „Frankreich als Land hat immer schon Schwierigkeiten gehabt, seinen Einfluss über das französische Mutterland hinaus geltend zu machen (ein armseliges Kolonialreich, die Aufgabe Québecs, die Einmischung in Afrika, ein als arrogant wahrgenommenes Auftreten, ...). Und die wenigen Orte, an denen es seine Sprache hinterlassen hat, waren entweder arm (Afrika) oder entlegen (Québec), d. h. ohne große internationale Ausstrahlungskraft.“

(108) A l’heure de la mondialisation, « le patriotisme économique » défendu par Dominique de Villepin est brocardé à Rome et à Bruxelles. La volonté du Premier ministre d’annoncer lui-même, la semaine dernière, la fusion entre Suez et Gaz de France, deux groupes cotés en Bourse, a suscité des demandes fermes d’explication de la Commission européenne. Ce retour du nationalisme économique « met en danger le marché unique européen », dénonce le libéral Mario Monti. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Europe : la grande peur des OPA“, S. 41.)

29 In Zeiten der Globalisierung trifft „der Wirtschaftspatriotismus“, der von Dominique de Villepin vertreten wird, in Rom und Brüssel nur auf Spott. Die Absicht des Ministers, vergangene Woche den Zusammenschluss zwischen Suez und Gaz de France, zwei an der Börse notierten Unternehmensgruppen, persönlich zu verkünden, hat die Europäische Kommission veranlasst, mit Nachdruck eine Erklärung zu verlangen. Diese Wiederkehr des wirtschaftlichen Nationalismus „gefährdet den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt“, prangert der Liberale Mario Monti an.

(109) Ici comme ailleurs, ce n’est pas dans la conception, c’est dans l’application que les Français pèchent. Il est inadmissible qu’en matière d’immigration et de politique de la Ville, comme dans d’autres domaines, chaque majorité sortie des urnes s’applique à détruire l’œuvre de la précédente. Quel besoin avait Nicolas Sarkozy de s’attaquer à la police de proximité qui était une heureuse initiative de l’ère Jospin ? Ou encore de couper les vivres à des associations travaillant au plus proche des citoyens. Inversement, quand Laurent Fabius promet d’abroger la plupart des lois élaborées par la droite, il pratique une politique de la terre brûlée, indigne d’un Etat démocratique. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Les banlieues de nos âmes“, S. 19.) In diesem wie auch in anderen Punkten hapert es bei den Franzosen nicht am Konzept, sondern an der Umsetzung. Es ist untragbar, dass im Bereich der Immigration und der Stadtteilentwicklung, wie auch auf anderen Gebieten, jede Mehrheit, die aus den Wahlurnen hervorgeht, darauf aus ist, das Werk der vorhergehenden zu zerstören. Warum musste Nicolas Sarkozy die Nachbarschaftspolizei attackieren, die eine gelungene Initiative aus der Jospin-Ära darstellte? Oder warum musste er Verbänden die Mittel kürzen, die aufs Engste mit den Bürgern zusammenarbeiteten? Umgekehrt verfolgt auch Laurent Fabius eine demokratieunwürdige Politik der verbrannten Erde, wenn er verspricht, die meisten von der Rechten ausgearbeiteten Gesetze rückgängig zu machen.

(110) La grande inquiétude actuelle, notamment chez les experts de la FAO, est que l’agent de la grippe aviaire poursuive sa route jusqu’en Afrique de l’Est. Il infecterait alors des pays bien moins armés pour éradiquer le virus que ceux d’Europe occidentale. On aurait toutes les raisons de craindre alors que les conditions se trouvent réunies pour faire émerger une souche adaptée à l’homme et capable d’amorcer la pandémie tant redoutée. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Grippe aviaire. L’alerte“, S. 46.) Die derzeitige große Sorge, die insbesondere unter den Experten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen herrscht, besteht darin, dass der Erreger der Vogelgrippe seinen Weg bis nach Ostafrika fortsetzt. Er würde dann Länder infizieren, die im Vergleich zu Westeuropa weitaus weniger gut für den Kampf gegen das Virus gerüstet sind. Man hätte dann guten Grund, zu befürchten, dass alle Voraussetzungen zusammenkommen, um einen Virusstamm entstehen zu lassen, der an den Menschen angepasst wäre und die allseits gefürchtete Pandemie auslösen könnte.

(111) En outre, le Premier ministre a décidé seul de ce projet sans même y associer ses ministres en charge des dossiers sociaux, Jean-Louis Borloo et Gérard Larcher, a fortiori sans consulter les autres. « Aucune consultation, ni avec les partenaires sociaux, ni avec le gouvernement, ni avec le Parlement. Ça ne fait pas les meilleurs textes », souligne, suave, Patrick Devedjian. Le renfort de l’UMP dans ce dossier a du reste été fort discret. Quelques ministres proches

30 de Villepin se sont étonnés de ne voir dans leur département aucun tract du parti appelant à soutenir le CPE. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La droite malade de Villepin“, S. 24.) Darüber hinaus hat der Premierminister allein über dieses Vorhaben entschieden, ohne überhaupt seine Minister Jean-Louis Borloo und Gérard Larcher einzubeziehen, in deren Verantwortungsbereich soziale Angelegenheiten fallen, geschweige denn, dass er die anderen konsultiert hätte. „Keinerlei Abstimmung, weder mit den Sozialpartnern noch mit der Regierung oder dem Parlament. So entstehen nicht gerade die besten Gesetzestexte“, unterstreicht Patrick Devedjian süßlich-ironisch. Die Unterstützung seitens der UMP [Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung] in dieser Sache ist dementsprechend äußerst zurückhaltend ausgefallen. Einige de Villepin nahestehende Minister waren erstaunt, in ihrem Ressort kein Mitteilungsblatt der Partei mit dem Aufruf, den CPE [contrat premier embauche, Vertrag zur Ersteinstellung mit einfacher Kündigungsmöglichkeit während zwei Jahren] zu unterstützen, vorzufinden.

(112) Mais cet inventaire du monde futur, dont l’Asie sera, de l’Iran à la Chine, l’épicentre, n’est pas seulement le constat d’une spécialiste exceptionnellement informée. C’est aussi un appel vibrant à la mémoire, seul antidote à l’oubli paresseux qui a déjà englouti tant de tragédies, du Rwanda au Darfour. C’est un recours constant, pour déchiffrer l’avenir, aux philosophes, aux romanciers et aux poètes, souvent mieux équipés pour l’exercice que les historiens. C’est enfin une ample réflexion philosophique, car le cœur du livre est l’effort pour trier dans l’histoire entre l’imprévisible et le prévisible. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Mona Ozouf a lu le livre de Thérèse Delpech ‹ l’Ensauvagement ›“, S. 17.) Diese Bestandsaufnahme der künftigen Welt aber, in der Asien, vom Iran bis China, das Epizentrum bilden wird, ist nicht nur das Fazit einer besonders kundigen Expertin. Es ist gleichzeitig ein aufrüttelnder Aufruf zur Erinnerung, dem einzigen Gegenmittel gegen das träge Vergessen, dem schon so viele Tragödien von Ruanda bis Darfur anheim gefallen sind. Es ist in dem Unterfangen, die Zukunft zu enträtseln, ein andauernder Rekurs auf Philosophen, Romanciers und Dichter, die häufig besser für diese Aufgabe gerüstet sind als Historiker. Und schließlich ist es eine breit angelegte philosophische Reflexion, denn das Herzstück des Buchs besteht aus dem Bemühen, in der Geschichte Unvorhersehbares von Vorhersehbarem zu unterscheiden.

(113) Une position partagée par nombre de pétitionnaires, désormais vigilants sur tous les textes qui filtrent depuis trois ans du ministère de l’Intérieur. Ils ont été sidérés de découvrir après coup le prérapport du député Jacques-Alain Bénisti, écrit il y a deux ans et qu’on aurait cru sorti d’un manuel de maison de redressement de l’entre-deux-guerres, édictant la nécessité de bannir de la maison le « patois » des immigrés et louant les vertus d’une prévention qui doit s’imposer « dès les prémices de la déviance, c’est-à-dire dès le plus jeune âge ». « Un torchon fasciste, résume le professeur Golse. Pire que tout ce que l’on pouvait redouter. » Depuis, les textes se sont pondérés, ont repris une tonalité floue, qui prête à de l’exégèse. Un article de la huitième version du projet de lutte contre la délinquance prône de façon très générale la « continuité du suivi psycho-médico-social des enfants et adolescents de la maternelle à 16 ans ». (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Délinquants à 3 ans !“, S. 49.)

31 Eine Einstellung, die von vielen Unterzeichnern der Petition, die nun ein wachsames Auge auf alle Texte haben, die seit drei Jahren aus dem Innenministerium nach außen dringen, geteilt wird. Sie waren perplex, nachträglich den Vorbericht des Abgeordneten Jacques-Alain Bénisti zu entdecken, der vor zwei Jahren verfasst wurde und der den Eindruck hinterlässt, er sei aus dem Handbuch einer Erziehungsanstalt der Zwischenkriegszeit entnommen, der die Notwendigkeit verkündet, das „Patois“ der Immigranten aus dem Hause zu verbannen, und die Vorzüge einer Prävention preist, die „von den Anfängen eines abweichenden Verhaltens, d. h. vom jüngsten Kindesalter an“ geboten ist. „Faschistisches Geschmier“, resümiert Professor Golse. „Schlimmer als befürchtet.“ Seitdem fallen die Texte gemäßigter aus und haben eine vagere Tonart, die einigen Interpretationsspielraum bietet. Ein Artikel der achten Version des Gesetzesvorhabens zum Kampf gegen Kriminalität empfiehlt sehr allgemein die „fortlaufende psychologisch-medizinisch-soziale Betreuung von Kindern und Jugendlichen vom Kindergarten bis zum Alter von 16 Jahren“.

(114) Allons-y pour les clichés : Buenos Aires, capitale mondiale du divan. Même si ce n’est peut-être plus tout à fait vrai, la ville a de beaux restes freudiens. Laura Turner, analyste et psychiatre, voit défiler à l’hôpital toutes sortes de symptômes et de syndromes liés à la crise et aux difficultés de la vie quotidienne. « En 2001–2002, on a vu beaucoup de stress posttraumatique, de panique. La population qui venait des banlieues a diminué, non pas parce qu’elle était moins stressée mais parce qu’elle n’avait plus de quoi payer le voyage, ou bien qu’elle cherchait du boulot. » Parmi ceux qui consultent aujourd’hui, Laura observe « beaucoup de frustration, parfois de la résignation. Et beaucoup de couples où le mari a perdu son emploi, ce qui entraîne de grandes tensions et parfois des violences familiales ». L’euphorie économique depuis deux ou trois ans ? « Cela ne se voit pas encore dans les consultations. Les gens parlent de l’inflation, des salaires à la traîne. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 10.) Keine Angst vor Klischees: Buenos Aires, Welthauptstadt der Couch. Auch wenn das vielleicht nicht mehr ganz der Wirklichkeit entspricht, so birgt die Stadt einige nette freudsche Überbleibsel. Laura Turner, Psychoanalytikerin und Psychiaterin, sieht im Krankenhaus alle Arten von Symptomen und Syndromen vorbeispazieren, die mit der Krise und den Problemen des täglichen Lebens zusammenhängen. „In den Jahren 2001–2002 bekamen wir viel posttraumatischen Stress und Panik zu Gesicht. Der Patientenkreis, der aus den Vororten zu uns kommt, ist kleiner geworden, nicht weil er weniger gestresst wäre, sondern weil er nicht mehr über die Mittel verfügt, um die Anfahrt zu bezahlen, oder weil er auf Arbeitssuche ist.“ Bei denjenigen, die heute in der Sprechstunde erscheinen, beobachtet Laura „ein hohes Maß an Frustration, manchmal Resignation. Und viele Paare, bei denen der Ehemann seine Anstellung verloren hat, was zu großen Spannungen und manchmal zu Gewalttätigkeiten innerhalb der Familie führt.“ Und die seit zwei oder drei Jahren zu beobachtende wirtschaftliche Euphorie? „Das schlägt sich noch nicht in den Sprechstunden nieder. Die Leute reden von Inflation, von schleppend gezahlten Löhnen.“

(115) Chimiste de profession, le romancier Emmanuel Dongala, qui enseigne les littératures francophones près de Boston, a publié « Johnny, chien méchant » en France dans une relative discrétion, tandis que, traduit chez Farrar, Strauss et Giroux [sic], il a figuré sur la liste des vingt meilleurs livres de l’année 2005 du « Los Angeles Times », avec Ishiguro, Rushdie et Doctorow. Pour Dongala, « le vrai danger qui guette la francophonie, c’est l’esprit étriqué de la plupart des éditeurs de France ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.)

32 Von Beruf Chemiker, hat der Romanautor Emmanuel Dongala, der in der Nähe von Boston frankophone Literatur unterrichtet, „Johnny, chien méchant“ in Frankreich relativ unbeachtet veröffentlicht, während er in der Übersetzung bei Farrar, Straus and Giroux auf der Liste der zwanzig besten Bücher des Jahres 2005 der „Los Angeles Times“ stand, zusammen mit Ishiguro, Rushdie und Doctorow. Für Dongala gilt: „Die eigentliche Gefahr, die die Frankophonie bedroht, ist der engstirnige Geist der meisten Verleger in Frankreich.“

(116) Un dernier point inquiétait les Américains et les Irakiens : le comportement de Saddam Hussein lui-même. Lors de sa première comparution devant le juge, six mois après sa capture, on a découvert un homme droit, regard noir et sourcils épais, sûr de lui et au charisme intact. Dès les premières questions de routine posées par le jeune magistrat, Saddam attaque : « – Profession : ex-président de la République ? – Je le suis toujours ! Par la volonté du peuple. – Lieu de résidence : Irak ? Chaque maison irakienne peut être la mienne. » Et quand le juge parle de loi, Saddam le coupe : « La loi ? Quelle loi ? Rappelle-toi que tu juges au nom du peuple. Ne te réfère pas à ces forces que ton peuple qualifie de forces d’occupation ! » Soudain, apparaît le spectre d’un dictateur capable – façon Milosevic – de prendre en main son procès, de renverser les rôles et de se faire accusateur devant les caméras du monde entier. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Saddam Hussein. Un procès sans conviction“, S. 32.) Ein letzter Punkt beunruhigte die Amerikaner und die Iraker: das Verhalten von Saddam Hussein selbst. Bei seinem ersten Erscheinen vor dem Richter sechs Monate nach seiner Gefangennahme begegnete man einem aufrechten Mann mit finsterem Blick und buschigen Augenbrauen, selbstsicher und mit ungebrochener Ausstrahlung. Gleich bei den ersten Routinefragen des jungen Richters greift Saddam an: „– Beruf: Ex-Präsident der Republik? – Das bin ich immer noch! Durch den Willen des Volkes. – Wohnsitz: Irak? Jedes irakische Haus könnte meines sein.“ Und als der Richter vom Gesetz spricht, unterbricht ihn Saddam: „Das Gesetz? Welches Gesetz? Vergiss nicht, dass du im Namen des Volkes urteilst. Berufe dich nicht auf die Mächte, die dein Volk als Besatzungsmächte ansieht!“ Plötzlich taucht das Gespenst eines Diktators auf, der dazu fähig ist – ähnlich wie Milosevic –, seinen Prozess in die Hand zu nehmen, die Rollen zu vertauschen und als Ankläger vor den Kameras der ganzen Welt aufzutreten.

(117) N. O. – Vous avez des regrets d’éditeur ? C. Bourgois. – Modiano. Un jour, j’ai lu un texte de Patrick, qui était alors âgé de 17 ans, et à qui j’ai envoyé un mot. Pas de réponse. Je l’ai rencontré plus tard, et il m’a dit que j’avais été le premier à lui écrire mais qu’il avait été trop timide pour me répondre. C’est ainsi que je ne l’ai jamais publié. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le grand Bourgois“, S. 58.) N. O. – Bedauern Sie etwas in ihrer Verlegerlaufbahn? C. Bourgois. – Modiano. Eines Tages las ich einen Text von Patrick, der damals 17 Jahre alt war und dem ich daraufhin ein paar Zeilen geschrieben habe. Keine Antwort. Ich habe ihn später einmal getroffen und er hat mir gesagt, dass ich der erste gewesen sei, der ihm geschrieben habe, aber dass er zu schüchtern gewesen sei, um mir zu antworten. So habe ich ihn letztlich nie verlegt.

(118) Un clan renouvelé, dépolitisé mais soudé, au moins en apparence. Satanés Servan-Schreiber. Où puisent-ils cette énergie ? Par quel miracle résistent-ils toujours aux virus de la France

33 grise ? Ecoutez, regardez, lisez-les : chez eux, le bien-être se partage, se vit et se vend. En famille exclusivement. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „La psy connection“, S. 44.) Ein Familienclan, der sich erneuert hat: entpolitisiert, aber zusammengeschweißt, zumindest sieht es nach außen hin so aus. Die verflixten Servan-Schreibers. Woher nehmen sie diese Energie? Durch welches Wunder widerstehen sie immer wieder dem Virus des farblosen Frankreichs? Hören, sehen, lesen Sie sie: Bei ihnen wird das Wohlbefinden geteilt, gelebt und verkauft. Aber alles bleibt in der Familie.

(119) Les policiers de Stuttgart ont diffusé sur leur site internet un avis de recherche. Il promet une récompense de 130 000 euros pour toute information. On y voit deux photos du médecin fantôme. L’une date de 1959. Un bel homme portant smoking et nœud papillon. La deuxième est une simulation, une photo « vieillie ». « Taille : 1,90 mètre, précise encore le “wanted” de la police. Pointure : 47. Yeux bleu-gris sombre. Cicatrice à la commissure droite des lèvres en forme de V [souvenir d’un duel à l’arme blanche]. Constitution robuste et sportive. » Avant-guerre, Heim était joueur de hockey sur glace dans l’équipe nationale autrichienne. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „A la recherche du ‹ boucher de Mauthausen ›“, S. 16.) Die Stuttgarter Polizei hat auf ihrer Internetseite einen Steckbrief veröffentlicht. Er verspricht eine Belohnung von 130 000 Euro für jegliche Information. Man sieht darauf zwei Photos des verschwundenen Arztes. Das eine stammt aus dem Jahr 1959. Ein schöner Mann in Smoking und mit Fliege. Das zweite ist eine Simulation, ein „gealtertes“ Photo. „Größe: 1,90 Meter“, teilt außerdem das „Wanted“ der Polizei mit. Schuhgröße: 47. Grau-blaue Augen. V-förmige Narbe am rechten Mundwinkel [Andenken an ein Duell mit blanker Waffe]. Kräftige und sportliche Statur.“ Vor dem Krieg war Heim Eishockeyspieler in der österreichischen Nationalmannschaft.

(120) A l’accueil, une jeune femme noire téléphone. Avec un fort accent, elle répond aux trois offres d’emploi non qualifié qu’elle vient de trouver sur le tableau d’affichage. Elle raccroche, dépitée. « Je ne comprends pas, explique-t-elle à une conseillère. Ils me disent qu’elles sont déjà pourvues ! » La conseillère vérifie. C’est faux. « Vous devriez demander à un ami d’appeler à votre place » glisse-t-elle à la jeune femme. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Chronique du chômage ordinaire“, S. 44.) Am Empfang telefoniert eine junge dunkelhäutige Frau. Mit starkem Akzent meldet sie sich auf die drei Angebote für Stellen ohne besondere Qualifikation hin, die sie am Anschlagbrett gefunden hat. Sie legt enttäuscht und verdrossen auf. „Ich verstehe das nicht“, erklärt sie einer Arbeitsvermittlerin. „Mir wird gesagt, dass sie schon vergeben sind!“ Die Vermittlerin schaut nach. Es stimmt nicht. „Sie sollten einen Freund bitten, für Sie anzurufen“, raunt sie der jungen Frau zu.

(121) L’augmentation des droits d’inscription, l’insuffisance des bourses, des conditions de logement catastrophiques, la précarité vécue sont la matrice de la révolte. Elle n’est pas insouciante. Ses acteurs savent déjà l’âpreté de la vie. A Dijon, qui accueillera à son tour

34 dimanche les délégués de la coordination étudiante, Pierre-Yves le gréviste affiche 26 ans bien sonnés. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La colère aux cent visages“, S. 29.) Die Erhöhung der Immatrikulationsgebühren, die unzureichenden Stipendien, eine katastrophale Wohnungssituation und die spürbare soziale Unsicherheit sind Nährboden der Revolte. Sie ist nicht naiv. Ihre Akteure kennen bereits die Härten des Lebens. In Dijon, das am Samstag an der Reihe ist, die Delegierten des studentischen Zusammenschlusses zu empfangen, hat der Streikende Pierre-Yves schon 26 Lebensjahre auf dem Buckel.

(122) Faut-il pour autant s’orienter fissa vers ces métiers ? Prudence ! Car sous nos latitudes l’industrie apparaît comme une activité fragile, à la merci des délocalisations. Plus inquiétant : selon l’Unedic, les effectifs salariés, après avoir stagné pendant dix ans, sont en chute libre depuis 2001... (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.) Sollte man deswegen eiligst einen dieser Berufe ansteuern? Vorsicht! Denn in unseren Breitengraden ist die Industrie ein anfälliger Wirtschaftssektor, der Standortverlagerungen wehrlos ausgeliefert ist. Noch beunruhigender: Der Unedic [Union nationale interprofessionnelle pour l’emploi dans l’industrie et le commerce, Arbeitslosenversicherung] zufolge befindet sich der Personalbestand, nachdem er zehn Jahre lang auf gleichem Niveau lag, seit 2001 im freien Fall ...

(123) Révolution vestimentaire dans la police suédoise : les fonctionnaires sont désormais autorisés à porter turbans, kippas et autres foulards islamiques durant leur service. L’objectif est d’attirer d’avantage de représentants de minorités religieuses (sikhs, juifs, musulmans...) dans les rangs d’une police qui se singularisait jusqu’ici par son manque de diversité. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Turban et kippa dans la police“, S. 31.) Revolution in Sachen Kleidung bei der schwedischen Polizei: Den Beamten ist es von nun an erlaubt, im Dienst Turbane, Kippas und islamische Kopftücher zu tragen. Dahinter steht die Absicht, mehr Vertreter von religiösen Minderheiten (Sikhs, Juden, Muslime, ...) in die Reihen einer Polizei zu holen, die sich bislang durch ihren Mangel an Vielfalt auszeichnete.

(127) N. O. – Vous étiez donc le matin l’un des piliers du Groupe de la Cité et, le soir, un éditeur artisanal au sein d’une toute petite entreprise... C. Bourgois. – Exactement. J’ai exercé pendant plus de vingt ans des responsabilités éditoriales au sein de 10/18, Julliard, Plon, Perrin, où j’ai publié des auteurs dont le seul nom était insupportable aux financiers du groupe. En 1992, quand j’ai dû finalement partir, je me suis retrouvé, à 60 ans, seul avec ma femme Dominique dans les bureaux des Editions Christian Bourgois. C’est mon seul regret : d’avoir été à partir de ce moment-là un grand éditeur avec peu de moyens. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le grand Bourgois“, S. 58.) N. O. – Sie waren also morgens noch einer der Grundpfeiler der Groupe de la Cité und abends ein Kleinverleger in einem winzig kleinen Unternehmen ... C. Bourgois. – Genau. Ich habe während mehr als zwanzig Jahren verlegerische Verantwortung bei 10/18, Julliard, Plon und Perrin getragen, wo ich Autoren, deren Name allein den

35 Finanziers der Unternehmensgruppe unerträglich war, veröffentlicht habe. 1992, als ich schließlich gehen musste, fand ich mich mit sechzig Jahren allein mit meiner Frau Dominique in den Räumen des Verlags Christian Bourgois wieder. Das ist das einzige, was ich bedauere: nämlich dass ich ab diesem Zeitpunkt ein großer Verleger mit wenig Mitteln war.

(128) Lundi dernier, Valérie, 40 ans, a fait sa première rentrée des classes, comme institutrice stagiaire, dans la région de Montpellier. Nouvelle vie, nouveau métier. Il y a quatre ans encore elle était esthéticienne, mais son salon « marchait mal » et les horaires à rallonge la fatiguaient. Elle a alors tout plaqué pour préparer le concours de professeur des écoles, qu’elle a décroché en juin dernier. Valérie n’est pas un cas isolé. Depuis quelques années, de plus en plus de salariés du secteur privé viennent chercher une deuxième carrière dans l’enseignement (voir encadré). (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „J’aurais voulu être un instit“, S. 48.) Am letzten Montag hat Valérie, 40 Jahre, ihr erstes Schuljahr begonnen, und zwar als Referendarin im Umland von Montpellier. Ein neues Leben, ein neuer Beruf. Vor vier Jahren noch war sie Kosmetikerin, aber ihr Salon „lief schlecht“ und die langen Arbeitszeiten strengten sie an. Sie warf also alles hin, um die Aufnahmeprüfung für Lehrer, die sie im Juni bestanden hat, vorzubereiten. Valérie ist kein Einzelfall. Seit einigen Jahren entscheiden sich immer mehr Beschäftigte aus der Privatwirtschaft für eine zweite Laufbahn im Schuldienst (s. Kasten).

(129) Le bilan est rude. Et tranche avec les discours lénifiants des organisateurs du festival, qui semblent s’être inspirés d’un film de Jean Yanne, « Tout le monde il est beau, tout le monde il est gentil ». Accusés, les éditeurs français, pas assez ouverts aux écrivains francophones, qui sont, paradoxalement, souvent mieux accueillis en traduction chez leurs confrères anglosaxons. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „‹ Nous accusons la France ›“, S. 56.) Diese Bilanz ist hart. Und setzt sich deutlich von den besänftigenden Reden der Festivalorganisatoren ab, die sich scheinbar von einem Film von Jean Yanne, „Tout le monde il est beau, tout le monde il est gentil“ [übersetzt: Friede, Freude, Eierkuchen; deutscher Titel „Die große Masche“], haben inspirieren lassen. Angeklagt werden die französischen Verleger, die nicht offen genug sind für frankophone Schriftsteller, die paradoxerweise in der Übersetzung bei ihren angelsächsischen Kollegen häufig besser aufgenommen werden.

(130) Mais autour de lui, les amis de Chaïb, qui était très populaire car il s’occupait d’une équipe de foot, n’ont pas tardé à faire référence à la mort récente du jeune Ilan Halimi et à dénoncer le « deux poids, deux mesures » qui s’appliquerait, selon eux, en fonction de l’origine de la victime. « A part le maire d’Oullins, le sénateur UMP François-Noël Buffet, qui est venu voir la famille dès qu’il a appris le drame et qui a financé le rapatriement du corps de Chaïb, on n’a pas eu de message de soutien ou d’émotion médiatique comme dans d’autres affaires récentes qui ne concernaient pas des Arabes », dit un parent de la victime. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Le cocktail mortel d’Oullins“, S. 46.) Aber in seinem Umfeld beziehen sich die Freunde von Chaïb, der sehr beliebt war, weil er eine Fußballmannschaft betreute, sogleich auf den kürzlichen Tod des jungen Ilan Halimi und

36 beklagen das „zweierlei Maß“, mit dem aus ihrer Sicht je nach Herkunft des Opfers gemessen wird. „Abgesehen vom Bürgermeister von Oullins, dem UMP-Senatsmitglied [Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung] François-Noël Buffet, der die Familie besucht hat, sobald er von dem Drama erfahren hat, und der die Rückführung des Leichnams von Chaïb finanziert hat, haben wir keine unterstützenden Worte oder Mitgefühl in den Medien erfahren, wie es kürzlich bei anderen Vorkommnissen, von denen keine Araber betroffen waren, der Fall war“, sagt ein Verwandter des Opfers.

(131) Après une brève enquête, l’affaire est classée sans suite. La famille Delay est désormais suivie par deux services, l’Utass et le Centre d’action éducative (CAE) qui dépend du ministère de la Justice. Les travailleurs sociaux continuent d’observer. Au foyer Beaucerf, qui s’est occupé trente ans plus tôt de Myriam, on surprend Jimmy à « uriner sur les jeux et le lit de plusieurs enfants : un éventuel trouble ou traumatisme sexuel ? ». Comme d’habitude, les éducateurs et les assistantes sociales grimpent en haut de la tour des Merles. Comme d’habitude, Myriam fait son cirque, oui, les enfants sont durs, non, elle ne prend pas le centre médico-pédagogique pour une garderie. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2005, „L’autre fiasco d’Outreau“, S. 43.) Nach einer kurzen Untersuchung wird die Angelegenheit, ohne weitere Folgen nach sich zu ziehen, zu den Akten gelegt. Die Familie Delay wird von diesem Moment an von zwei Dienststellen betreut, der Utass [Unité territoriale de l’action sanitaire et sociale, Familienhilfe] und dem Centre d’action éducative (CAE) [Familienhilfe], das dem Justizministerium untersteht. Die Sozialarbeiter beobachten weiter. Im Beaucerf-Heim, das sich bereits dreißig Jahre zuvor um Myriam gekümmert hat, wird Jimmy dabei erwischt, „wie er auf die Spiele und das Bett mehrerer Kinder uriniert: eine Störung oder ein sexuelles Trauma?“ Wie üblich steigen die Erzieher und Sozialarbeiter die Treppen des Merles-Hochhauses hinauf. Wie üblich zieht Myriam ihr Theater ab, ja, die Kinder sind schwierig, nein, sie hält das medizinisch-pädagogische Zentrum nicht für eine Kinderbetreuung.

(132) Le juge à la Cour suprême Robert H. Jackson, nommé le 2 mai 1945 procureur général par le nouveau président des Etats-Unis Harry Truman, réunit à Londres les juristes des quatre puissances accusatrices : la France, les Etats-Unis, le Royaume-Uni et l’Union soviétique. Quatre mois de débats à huis clos permettent d’élaborer l’accord de Londres qui fixe le statut du tribunal et la définition des crimes. Vingt et un autres pays (dont la Pologne, mais aussi l’Uruguay) le parapheront. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Des crimes et des hommes“, S. 8.) Der Richter des Obersten Gerichtshofs Robert H. Jackson, der von Harry Truman, dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten, am 2. Mai 1945 zum Generalstaatsanwalt ernannt worden war, versammelt in London die Juristen der vier Kläger-Mächte: Frankreich, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und die Sowjetunion. Vier Monate Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit ermöglichen die Ausarbeitung des Londoner Statuts, das die Stellung des Gerichts und die Definition der Verbrechen festlegt. Einundzwanzig weitere Länder (darunter Polen, aber auch Uruguay) werden es unterzeichnen.

(133) Il lui avoue combien il aurait aimé être officier de marine « quand les bateaux ressemblaient à des chapeaux de femme », raconte son trac devant les lorgnons helvètes au moment de prononcer une conférence à Zurich et l’envie qu’elle lui donna de se jeter dans les eaux vertes

37 de la Limmat, évoque ses rencontres au ministère de l’Intérieur avec l’inquiétant Huysmans, [...]. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Valéry toujours recommencé“, S. 61.) Er gesteht ihm, wie gerne er Marineoffizier gewesen wäre, „als die Schiffe Frauenhüten glichen“, erzählt von seinem Bammel vor den helvetischen Lorgnons, als er einen Vortrag in Zürich hielt, und wie gerne er sich dieses Vortrags wegen in das grüne Wasser der Limmat gestürzt hätte, er erwähnt seine Begegnungen mit dem etwas unheimlichen Huysmans im Innenministerium, [...].

(134) Les tueurs ont grandi avec la guerre. Au début, en 1975, ce sont des gamins armés de fusils de chasse qui jouent à se battre, vivent de la rue et des armes et se droguent en avalant des cachets de Mandrax et de LSD : « Sorti de mon trip, je ne croyais plus à ce que j’avais fait », dit l’un d’eux. A 15 ans, une balle lui a traversé la cuisse. Son père lui offre un revolver : « Porte-le toujours. N’aie pas peur. Retourne te battre. » Ils apprennent la guerre : « Je marchais pieds nus sur les gravats pour déposer ma charge de TNT sous la barricade ennemie. J’aimais ça. Vivre ou mourir... On se foutait de tout. » (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Sabra et Chatila : les tueurs parlent“, S. 36.) Die Schlächter sind mit dem Krieg groß geworden. Zu Beginn, im Jahr 1975, sind sie noch kleine Jungs und stellen mit Jagdgewehren bewaffnet Schlachten nach, leben von der Straße und von Waffen und nehmen Drogen in Form von Mandrax- und LSD-Tabletten: „Wenn ich von meinem Trip aufwachte, war es vollkommen unwirklich, was ich getan hatte“, sagt einer von ihnen. Mit 15 Jahren durchbohrt eine Kugel seinen Schenkel. Sein Vater schenkt ihm einen Revolver: „Trage ihn immer bei dir. Hab keine Angst. Kehr zurück und kämpfe.“ Sie lernen den Krieg: „Ich lief barfuß auf dem Schutt, um meine Ladung TNT unter der feindlichen Barrikade zu platzieren. Mir gefiel das. Leben oder sterben ... Uns war alles egal.“

(135) Le nez ressemble à « une avalanche de boue », les yeux pétillent, l’énergie est toujours là. A 80 ans (il est né le 28 juin 1926 à Brooklyn), Mel Brooks continue à faire rire : la nouvelle version des « Producteurs » est d’ores et déjà un succès. Il n’y a que Mel Brooks pour imaginer un producteur qui rêve de financer un flop... et qui échoue. Gagman à la télé, auteur de sketches, scénariste pour Jerry Lewis, réalisateur de deux comédies géniales (« Le sherif est en prison » et « Frankenstein Junior »), Brooks a inventé des Sioux qui parlent yiddish, des moines de l’Inquisition qui dansent le french cancan et des cow-boys avec des selles Hermès. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mel Brooks. ‹ Rire, c’est bon pour le cœur ›“, S. 64.) Die Nase gleicht einer „Schlammlawine“, die Augen blitzen, nichts von seiner Energie ist verloren gegangen. Mit 80 Jahren (er wurde am 28. Juni 1926 in Brooklyn geboren) bringt Mel Brooks die Menschen immer noch zum Lachen: Die Neuverfilmung von „The Producers“ ist schon jetzt ein Erfolg. Niemand außer Mel Brooks könnte sich einen Filmproduzenten ausdenken, der davon träumt, einen Flop zu finanzieren ... und der scheitert. Als Pointenerfinder beim Fernsehen, Sketchautor, Drehbuchschreiber für Jerry Lewis, Regisseur von zwei genialen Komödien („Der wilde wilde Westen“ und „Frankenstein Junior“) hat Brooks Sioux-Indianer erfunden, die jiddisch sprechen, Mönche der Inquisition, die Cancan tanzen, und Cowboys mit Sätteln von Hermès.

38 (136) Le secteur souffre d’un déficit d’image : la caricature du travail à l’usine dans un environnement bruyant, salissant et offrant des rémunérations médiocres a la vie dure. Pourtant, ceux qui sautent le pas y trouvent largement leur compte. Charles Gentil, étudiant en dernière année dans une école d’ingénieurs, a adoré ses stages en usines : « C’est un univers spécial. Les techniciens passent du temps dans la poussière et le bruit, mais pas uniquement : ils marchent aussi sur de la moquette ! Quant aux ingénieurs, ils dirigent les projets et les hommes. » Qu’on se le dise : dans l’industrie, de nos jours, on passe plus de temps les mains sur le clavier d’un ordinateur que dans le cambouis ! Le ministère déplore « plus de 20% d’offres d’emploi non satisfaites » : les techniciens et agents de maîtrise de l’industrie mécanique sont les plus recherchés. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.) Der Sektor leidet unter seinem schlechten Image: Die überzogene Vorstellung von mittelmäßig bezahlter Fabrikarbeit in einer lauten, schmutzigen Arbeitsumgebung hält sich hartnäckig. Dennoch kommen jene, die den Sprung wagen, voll auf ihre Kosten. Charles Gentil, Student an einer ingenieurwissenschaftlichen Hochschule im letzten Studienjahr, haben die Praktika in der Fabrik großen Spaß gemacht: „Das ist ein eigenes Universum. Die Techniker verbringen schon Zeit im Staub und im Lärm, aber nicht nur: Sie laufen auch auf Teppich! Die Ingenieure hingegen leiten die Projekte und die Mitarbeiter.“ Weitersagen: In der Industrie verbringt man heutzutage mehr Zeit mit den Händen auf der Computertastatur als im Schmieröl! Der Minister klagt über „mehr als 20 % erfolgloser Stellenangebote“: Am dringendsten gefragt sind Techniker und Industriemeister im Maschinenbau.

(137) « Les gens n’en peuvent plus », ajoute-t-il, s’identifiant à l’électeur moyen qui s’est senti étouffé par cinq ans de berlusconisme. « Il les fallait, ces primaires », commente Giulio Santagata, bras droit de Prodi. Ne fût-ce que pour répliquer au monopole télévisuel de Sua Emittenza. « Nous, nous n’avons pas de télés, mais la passion des gens, oui. » (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Ce sera Prodi“, S. 36.) „Die Leute halten es nicht mehr aus“, fügt er hinzu, wobei er sich in den durchschnittlichen Wähler hineinversetzt, dem 5 Jahre Berlusconismus die Luft zum Atmen genommen haben. „Diese Vorwahlen waren einfach notwendig“, kommentiert Giulio Santagata, der rechte Arm Prodis. Und sei es nur, um dem Fernsehmonopol von Sua Emittenza etwas entgegenzusetzen. „Wir haben zwar nicht das Fernsehen, aber dafür die Sympathie der Menschen.“

(138) Du surréalisme, il fut aussi le continuateur, s’adonnant longtemps aux joies de l’écriture automatique. Si les poèmes d’avant-guerre du « Rappel à l’ordure » montrent un Georges Henein farouchement antimilitariste, contempteur d’une modernité industrielle qu’il juge déshumanisante, les articles de presse sont le lieu de la réflexion théorique, parfois polémique. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Le prince de l’exil“, S. 58.) Den Surrealismus führte er zudem auch weiter und gab sich lange Zeit dem Vergnügen der écriture automatique hin. Wo die Vorkriegsgedichte aus „Rappel à l’ordure“ einen erbittert antimilitaristischen Georges Henein, einen Verächter der als entmenschlichend bewerteten industriellen Moderne, zeigen, sind die Presseartikel ein Ort der theoretischen, manchmal polemischen Reflexion.

39 (139) La crise de la constitution civile du clergé a provoqué dans cette province de forte religiosité une fracture encore plus vive qu’ailleurs. Elle aurait pu ruiner l’intégration réussie de la Bretagne à la communauté nationale par la précocité de sa culture citoyenne. Mais après avoir plongé le Bocage pendant plusieurs années dans la guerre civile, l’affrontement des blancs et des bleus va ordonner la vie politique bretonne pendant près de deux siècles et permettre à chaque commune de réguler ses propres conflits en les articulant au discours national. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „Le génie breton“, S. 59.) Die Krise der Zivilverfassung des Klerus rief in diesem tiefreligiösen Landesteil einen noch deutlicheren Bruch hervor als anderswo. Sie hätte die durch die früh entstandene Bürgerkultur gelungene Eingliederung der Bretagne in die nationale Gemeinschaft ins Wanken bringen können. Aber nachdem sie im Bocage mehrere Jahre lang einen Bürgerkrieg hatte schwelen lassen, sollte die Auseinandersetzung zwischen den Weißen und den Blauen das politische Leben der Bretagne über fast zwei Jahrhunderte hinweg strukturieren, was den einzelnen Gemeinden erlaubte, ihre eigenen Konflikte unter Rückgriff auf den nationalen Diskurs auszutragen.

(140) Dans les années 1950, quand l’Allemagne a retrouvé son statut d’Etat, elle a conduit d’autres procès. On y a été plus sévère pour les tueurs, les criminels de bas étage, que pour les donneurs d’ordres, les criminels de bureau. Ensuite un Office central de Recherche sur les Crimes nazis a été créé. Les enquêtes se sont poursuivies. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „L’œuvre de justice continue“, S. 11.) In den 1950er Jahren, nachdem Deutschland seine Stellung als Staat wiedererlangt hatte, führte es weitere Prozesse. Mit den Mördern, den Kriminellen aus den unteren Etagen verfuhr man dabei härter als mit den Befehlshabern, den Tätern an den Schreibtischen. Anschließend wurde die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen gegründet. Die Nachforschungen gingen weiter.

(141) Seulement, ce qui plus sûrement déprime, quand on lève la tête de ce petit livre, c’est de réaliser que, à part lui, il n’est pas grand monde pour affronter ce monstre-là. Qui d’autre aujourd’hui cherche une transcendance, un projet commun, une idée qui nous fasse avancer, nous rehausse en faisant taire ce qui nous abaisse ? Qui ? Et voici donc où nous en sommes désormais, coincés entre des individus agrippés à leurs prétendues racines et d’autres pleurant devant le drapeau. Voilà la France de 2006, la cocarde ou le clocher. Cela vous donne envie de rire, vous ? Moi, non. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „‹ La Maxeillaise ›“, S. 19.) Nur wird es mit noch größerer Sicherheit deprimierend sein, wenn man den Blick von diesem kleinen Buch hebt und erkennt, dass außer ihm kaum jemand diesem Ungeheuer die Stirn bietet. Wer sonst strebt heutzutage nach hehren Zielen, nach einem gemeinsamen Projekt, einer Idee, die uns voranbringt, uns erhebt und das zum Schweigen bringt, was uns erniedrigt? Wer? Und so befinden wir uns in der Zwickmühle zwischen Individuen, die sich an ihre angeblichen Wurzeln klammern, und anderen, die beim Anblick der Nationalflagge weinen. Das ist Frankreich im Jahre 2006, die Kokarde oder der Kirchturm. Finden Sie das zum Lachen? Ich nicht.

40 (142) Vu par les opposants, c’est une constante : la droite bafoue la jeunesse en prétendant l’aider. En 1986, des gamins confrontés au chômage, persuadés que seul le diplôme universitaire préservera leurs chances, voient la réforme comme un obstacle à leur survie même : l’impossibilité matérielle de faire des études. En 1994, les prolétaires de l’enseignement supérieur, les BTS et les DUT, découvrent que leur parchemin ne les garantit pas contre le mépris social. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „La jeunesse, maladie chronique de la droite“, S. 29.) Aus Sicht der Gegner des Gesetzes handelt es sich um eine Konstante: Die Rechte verhöhnt die Jugend, während sie vorgibt, ihr zu helfen. 1986 sind die Jugendlichen angesichts der Arbeitslosigkeit der Überzeugung, dass alleine ein Universitätsabschluss ihre Chancen wahren kann, und sehen die Reform als ein Hindernis für ihr Überleben an: Das Studium wird ihnen aus materiellen Gründen unmöglich gemacht. 1994 entdeckt das Proletariat des Hochschulwesens, die BTS und die DUT [brevet de technicien supérieur, Abschluss eines technischen Kurzstudiums; diplôme universitaire de technologie, berufsqualifizierender Abschluss nach 4 Semestern], dass seine Abschlussurkunde keine Garantie gegen gesellschaftliche Geringschätzung darstellt.

(143) Jeunes Pâques Quand les anciens Polynésiens ont-ils construit les célèbres statues monolithiques de l’île de Pâques ? La chronologie admise date le premier peuplement entre 600 et 900 après JésusChrist. Redécouverte par les Hollandais en 1722, l’île de Pâques n’abritait plus que des autochtones survivant de maigres ressources. Elle a fourni le modèle d’une civilisation qui a connu un âge d’or de plusieurs siècles avant de provoquer son propre déclin en détruisant son habitat. Terry Hunt et Carl Lipo, anthropologues à Hawaï et à Long Beach, contestent cette version : d’après leurs nouvelles datations, l’île de Pâques n’aurait été peuplée que vers 1200, et son environnement aurait commencé à se dégrader à la même époque, sans connaître d’âge d’or (« Science », 17 mars 2006). (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Jeunes Pâques“, S. 51.) Junge Osterkultur Wann haben die alten Polynesier die berühmten aus einem Stein gehauenen Statuen auf der Osterinsel errichtet? Die allgemein anerkannte Datierung gibt die erste Ansiedlung für zwischen 600 und 900 nach Christus an. Die von den Holländern 1722 wiederentdeckte Osterinsel beherbergte nur noch Ureinwohner, die von spärlichen Ressourcen überlebten. Sie lieferte ein Beispiel für eine Gesellschaft, die eine über mehrere Jahrhunderte dauernde Blütezeit erlebte, bevor sie ihren eigenen Untergang verursachte, indem sie ihren Lebensraum zerstörte. Terry Hunt und Carl Lipo, Anthropologen aus Hawaii und Long Beach, bestreiten diese Version: Ihren neuen Datierungen zufolge wäre die Osterinsel erst um 1200 besiedelt worden und der Verfall ihrer Umwelt hätte zur selben Zeit begonnen, ohne dass es jemals eine Blütezeit gegeben hätte (Science, 17. März 2006).

(144) Samedi, 18 h 30, le chant du muezzin appelle à la prière du Maghreb, celle du soleil couchant. Sur le trottoir du Guéliz, dans la ville nouvelle, le directeur commercial du Tanzania – vendu comme le premier club-restaurant en plein air du centre-ville – distribue luimême les prospectus publicitaires. Plus tard, dans le quartier de l’hivernage, les premiers clients s’installent dans les sièges moelleux du comptoir Darna, à l’atmosphère rouge et feutrée. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „A qui appartient Marrakech ?“, S. 18.)

41 Samstag, 18 h 30, der Gesang des Muezzins ruft zum Maghrib-Gebet, dem Gebet zum Sonnenuntergang. Auf dem Bürgersteig des Guéliz-Viertels in der Neustadt verteilt der kaufmännische Geschäftsführer des Tanzania – das als das erste Freiluft-Club-Restaurant im Stadtzentrum angepriesen wird – eigenhändig Werbeprospekte. Später lassen sich im Hivernage-Viertel die ersten Gäste auf den weichen Sitzgelegenheiten des Comptoir Darna mit seiner dämmrig-roten und gedämpften Atmosphäre nieder.

(145) N. O. – Le travail, c’est mauvais pour la santé. M. Brooks. – C’est vrai. Il faut dire à vos lecteurs que « les Producteurs », le nouveau film, ajoutera cinq années à leur espérance de vie. Rire c’est bon pour le cœur. Prouvé ! Affirmatif ! Certifié ! (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mel Brooks. ‹ Rire, c’est bon pour le cœur ›“, S. 66.) N. O. – Arbeit ist schlecht für die Gesundheit. M. Brooks. – Das stimmt. Man sollte Ihren Lesern sagen, dass „The Producers“, der neue Film, ihre Lebenserwartung um 5 Jahre steigert. Lachen ist gut fürs Herz. Nachweislich! Bestimmt! Garantiert!

(146) Le SDF est une espèce à consommer pendant les mois en « r ». Comme les huîtres. En septembre, il en meurt déjà, mais il est trop tôt pour s’en indigner. Trop coton septembre, pas assez grosse laine et bise mordante. Trop tôt pour que l’hystérie caritative ne secoue la torpeur bureaucratique ou la panurgie médiatique de la rentrée sociale. « Le caractère saisonnier de l’aide tue tous les ans », écrit plaisamment Patrick Declerck dans « les Naufragés ». (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Une certaine idée de la rue“, S. 4.) Der Obdachlose ist eine Spezies, die in den Monaten mit „r“ zu genießen ist. Wie Austern. Im September sterben schon welche, aber es ist noch zu früh, um sich zu empören. Der September kommt noch viel zu watteweich daher und fühlt sich noch nicht genug nach grober Wolle und beißendem Nordwind an. Es ist noch zu früh, als dass die Wohltätigkeitshysterie die bürokratische Lethargie aufrütteln oder den Medienrummel wachrufen würde, der mit der Rückkehr des sozialen Gewissens aus den großen Ferien einhergeht. „Die saisonale Beschaffenheit der Hilfe tötet alle Jahre wieder“, schreibt Patrick Declerck trocken in „Les Naufragés“ [Die Schiffbrüchigen].

(147) Sans ces efforts, les émeutes auraient éclaté plus vite et plus fort. Mais tout cela s’épuise à la longue dans une France soumise depuis plus de vingt ans au chômage de masse. On a beau multiplier les activités, les formations, les rénovations, les « remédiations », les réhabilitations, rien ne remplace un emploi correct, qui procure stabilité pour aujourd’hui et espoir pour demain. Dans beaucoup d’endroits, le chômage des jeunes dépasse les 50% : cette oisiveté forcée et ce désespoir font brûler les voitures. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „La faute à qui ?“, S. 25.) Ohne diese Bemühungen wären die Unruhen schneller und heftiger ausgebrochen. Aber all diese Möglichkeiten werden auf lange Sicht irgendwann ausgeschöpft sein, in einem Frankreich, das seit mehr als zwanzig Jahren unter Massenarbeitslosigkeit leidet. Vergeblich hat man immer mehr Initiativen, Schulungen, Neuausrichtungen, Hilfs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen durchgeführt, nichts davon ersetzt einen regulären Arbeitsplatz, der im

42 Heute Stabilität verschafft und für morgen Hoffnung gibt. An vielen Orten übersteigt die Jugendarbeitslosigkeit die 50 %-Marke: Diese erzwungene Untätigkeit und diese Hoffnungslosigkeit lassen Autos in Flammen aufgehen.

(148) C’est aussi dans ce lieu [Temara, in der Nähe von Rabat] que les Américains sous-traitent la torture à la police marocaine. Ce que la CIA appelle la « délocalisation des interrogatoires ». L’hebdomadaire « Newsweek » a révélé dans son édition du 28 février 2005 que des présumés terroristes marocains, incarcerés au bagne de Guantanamo, avaient été reconduits au Maroc, le 22 janvier à bord d’un Boeing 737 affrété par la CIA. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „L’islam des taudis“, S. 15.) Ebenfalls an diesem Ort [Temara, in der Nähe von Rabat] delegieren die Amerikaner Folterungen an die marokkanische Polizei, was von der CIA als „Auslagerung von Verhören“ bezeichnet wird. Das Wochenmagazin „Newsweek“ enthüllte in seiner Ausgabe vom 28. Februar 2005, dass mutmaßliche marokkanische Terroristen, die im Gefangenenlager Guantanamo inhaftiert waren, am 22. Januar an Bord einer Boeing 737 von der CIA nach Marokko rücküberführt worden waren.

(149) Les dégâts sont au coin de la rue. Ainsi la rénovation urbaine. Entamée dans le quartier Belsunce par l’expulsion de vieux travailleurs immigrés. Poursuivie rue de la République par la tentative de déplacements de locataires historiques. On a offert le terrain à la banque Lazard, à la Société générale ou au fonds de pension US Lone Star. Les veuves des pompiers de Dallas, pour toucher leurs dividendes, doivent expulser les vieilles dames de Marseille. Peur. Résistances. Des militants se révèlent. La mairie intervient pour limiter les dégâts. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Marseille : l’illusion gauchiste“, S. 27.) Die negativen Auswirkungen sind an jeder Straßenecke sichtbar. So zum Beispiel die Stadterneuerung. Sie wurde im Viertel Belsunce mit der Vertreibung alter eingewanderter Arbeiter begonnen und in der Rue de la République mit dem Versuch, alteingesessene Mieter zu verdrängen, fortgesetzt. Die Grundstücke wurden der Investmentbank Lazard angeboten, der Société générale oder dem Pensionsfonds US Lone Star. Die Witwen der Feuerwehrmänner aus Dallas müssen, um ihre Dividenden zu erhalten, die alten Damen aus Marseille vertreiben. Angst. Widerstand. Aktivisten treten auf den Plan. Das Bürgermeisteramt schreitet ein, um den Schaden zu begrenzen.

(150) Les diplômes qui donnent du travail (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les diplômes qui donnent du travail“, S. 4.) Die Abschlüsse, die Arbeit geben

(151) Industrie. Les filières qui carburent (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les filières qui carburent“, S. 7.) Industrie. Diese Studiengänge brummen

43 (152) La télé prend des couleurs (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La télé prend des couleurs“, S. 47.) Das Fernsehen hat Farbe bekommen

(153) La planète a soif (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „La planète a soif“, S. 48.) Der Planet hat Durst

(154) Nous sommes des Algériens, c’est tout, des êtres multicolores et polyglottes, et nos racines plongent partout dans le monde. Toute la Méditerranée coule dans nos veines. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mes chers compatriotes“, S. 52.) Wir sind Algerier, nicht mehr und nicht weniger, Kreaturen verschiedener Hautfarbe und Sprache, und unsere Wurzeln sind in der ganzen Welt verankert. Das gesamte Mittelmeer fließt in unseren Adern.

(155) Et pour la plupart des analystes, la violation du traité de non-prolifération (TNP) par Téhéran risquerait aussi d’entraîner une dynamique de prolifération très inquiétante au Moyen-Orient. Une nucléarisation de l’Iran pourrait ainsi raviver les ambitions atomiques de l’Arabie Saoudite, de l’Egypte, voire de la Turquie, et consacrer l’échec définitif des accords internationaux de non-prolifération. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Iran. Les clés de la crise nucléaire“, S. 33.) Und für die Mehrheit der Beobachter würde die Verletzung des Vertrags zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (NVV) durch Teheran auch die Gefahr bergen, eine sehr beunruhigende Dynamik bei der Ausbreitung von Atomwaffen im Mittleren Osten in Gang zu setzen. So könnte eine Nuklearisierung des Irans den atomaren Ehrgeiz Saudi-Arabiens, Ägyptens oder sogar der Türkei wiederaufleben lassen und das definitive Scheitern der internationalen Nichtverbreitungsverträge besiegeln.

(156) Il y aura un avant et un après-novembre 2005 et pas seulement dans les cités semées de carcasses calcinées. Une fois le calme revenu, la France va-t-elle s’installer dans la division, admettre sur son sol des zones entières vivant dans la dissidence, tracer autour d’elles une frontière de protection casquée, les soumettre par impuissance sociale au quadrillage des camions à gyrophare et à un couvre-feu issu de la guerre d’Algérie ? Ou bien, par un effort nouveau et des mesures réalistes, qui marqueraient une rupture, s’engager franchement sur la voie de la réunification républicaine ? (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „La faute à qui ?“, S. 25.) Die Geschichte wird in eine Zeit vor und eine Zeit nach November 2005 zerfallen, und dies nicht nur in den Wohnsiedlungen, die von ausgebrannten Autowracks übersät sind. Wenn erst einmal wieder Ruhe eingekehrt ist, wird sich Frankreich dann mit der Spaltung arrangieren und auf seinem Boden die Existenz geschlossener abtrünniger Gebiete dulden? Wird

44 es um diese Gebiete eine Grenze aus behelmtem Schutz ziehen, dort aus sozialer Ohnmacht eine engmaschige Überwachung durch Blaulichtwagen anordnen und eine Ausgangssperre wie im Algerienkrieg verhängen? Oder aber wird es durch erneute Anstrengungen und realistische Maßnahmen, die einen Neuanfang signalisieren, ohne Umschweife den Weg der republikanischen Wiedervereinigung einschlagen?

(157) Objectif des pouvoirs publics : faire de cette région de l’Atlas un nouveau Megève. Utopique ? Dans le cadre du plan Azur, programme ambitieux orchestré par le roi, qui vise à attirer 10 millions de touristes au Maroc en 2010, la wilaya de Marrakech est en première ligne. Ambition des décideurs marocains : faire de cette région la Floride de l’Afrique. Avec des touristes plutôt haut de gamme. Leurs activités sur place ? La plage à Essaouira, le ski à Oukaimeden, la culture et le golf à Marrakech. Palm Springs aux portes du désert. Gstaad, Saint-Tropez et Miami dans le même packaging. Projet babylonien. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le nouveau Maroc“, S. 8.) Ziel der staatlichen Behörden: aus dieser Region im Atlas-Gebirge ein neues Megève entstehen zu lassen. Utopisch? Im Rahmen des Plans „Azur“, einem ehrgeizigen Programm auf Geheiß des Königs, der anstrebt, 2010 10 Millionen Touristen nach Marokko zu locken, steht der Wilaya von Marrakesch ganz weit vorne auf der Liste. Der Ehrgeiz der marokkanischen Entscheidungsträger: aus dieser Gegend das Florida Afrikas zu machen. Mit Touristen der gehobeneren Kategorie. Die vor Ort gebotenen Aktivitäten? Strand in Essaouira, Skifahren in Oukaimeden, Kultur und Golfen in Marrakesch. Palm Springs am Eingangstor zur Wüste. Gstaad, Saint-Tropez und Miami in einem Paket. Ein babylonisches Projekt.

(158) Les cinq autres salles françaises où il est projeté affichent, chacune, entre 500 et 1 000 entrées. Rien à voir, bien sûr, avec les 4 millions de spectateurs recensés en Turquie, où le film enregistre depuis cinq semaines le plus gros score de l’histoire du cinéma local. En France, ce sont les spectateurs turcs eux-mêmes qui l’ont demandé. Tous les jours, le répondeur du distributeur Too Cool était saturé de messages. Les exploitants français des salles frontalières avec l’Allemagne et la Belgique, où le film était sorti, se désespéraient de voir des clients leur échapper par cars entiers affrétés pour l’occasion. « Nous avons alors demandé au CNC l’autorisation d’avancer la sortie du film prévue pour fin avril au 1er mars », explique la responsable de programmation de Too Cool. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Fort comme un film turc“, S. 47.) Die fünf anderen französischen Kinos, in denen er gezeigt wird, verzeichnen jeweils zwischen 500 und 1 000 Besucher. Natürlich nicht zu vergleichen mit den 4 Millionen Zuschauern, die in der Türkei gezählt wurden, wo der Film seit fünf Wochen die besten Ergebnisse in der Geschichte des lokalen Kinos einspielt. In Frankreich haben die türkischen Zuschauer selbst den Film eingefordert. Jeden Tag war der Anrufbeantworter des Verleihers Too Cool voller Nachrichten. Die französischen Betreiber von Kinosälen an der Grenze zu Deutschland und Belgien, wo der Film bereits in die Kinos gekommen war, mussten verzweifelt zusehen, wie ihnen die Kunden ladungsweise in extra gemieteten Bussen davonfuhren. „Wir haben dann beim CNC [Centre national du cinéma et de l’image animée, nationales Filmförderungszentrum] die Genehmigung dafür erbeten, den Kinostart des Films, der für Ende April vorgesehen war, auf den 1. März vorzuverlegen“, erklärt der Programmverantwortliche von Too Cool.

(159) Une Amérique latine de gauche ? Evidemment non. Entre le Venezuela flamboyant de Hugo Chávez et le Chili sage de Michelle Bachelet, entre le Brésil orthodoxe de Lula et

45 la Bolivie fragile d’Evo Morales, quel rapport ? L’hostilité aux Etats-Unis ? Même pas. Le Brésil, l’Argentine et le Chili soignent scrupuleusement leurs relations avec le grand voisin, tandis que le Venezuela cache derrière sa rhétorique guerrière de bonnes relations commerciales avec Oncle Sam. Un rejet du néolibéralisme ? Sans doute, mais pas seulement celui des Américains. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Amérique latine. Le virage à gauche“, S. 7.) Eine generelle Linksorientierung Lateinamerikas? Offensichtlich nicht. Welcher Zusammenhang lässt sich zwischen dem enthusiastischen Venezuela von Hugo Chávez und dem besonnenen Chile von Michelle Bachelet, zwischen dem orthodoxen Brasilien von Lula und dem instabilen Bolivien von Evo Morales erkennen? Eine Feindseligkeit gegenüber den Vereinigten Staaten? Nicht einmal das. Sorgfältig pflegen Brasilien, Argentinien und Chile ihre Beziehungen zum großen Nachbarn, während Venezuela hinter seiner Kriegsrhetorik gute Handelsbeziehungen zu Uncle Sam verbirgt. Eine Ablehnung des Neoliberalismus? Wahrscheinlich, aber nicht nur gegenüber dem der Amerikaner.

(160) Mais ces filières restent méconnues des familles et des employeurs. A preuve, ce terrible sondage, réalisé récemment auprès de jeunes, de parents d’élèves et de dirigeants d’entreprise. A la question « Quelle formation supérieure prépare le mieux un jeune à affronter le monde du travail ? » 62% des dirigeants d’entreprise répondent « les grandes écoles », 30% « les IUT » et 5% « une autre formation universitaire ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „L’université bouge“, S. 6.) Aber diese Bildungswege werden von Familien und Arbeitgebern weiterhin verkannt. Den Beweis dafür liefert eine erschreckende Umfrage, die kürzlich unter Jugendlichen, Eltern von Schülern und Führungskräften aus Unternehmen durchgeführt wurde. Auf die Frage „Welche Hochschulausbildung bereitet einen Jugendlichen am besten auf den Einstieg in die Arbeitswelt vor?“ antworten 62 % der Führungskräfte aus Unternehmen „die Grandes Ecoles“, 30 % „die IUT [instituts universitaires de technologie, in etwa Fachhochschule]“ und 5 % „eine andere universitäre Ausbildung“.

(161) Ce philosophe d’un bon quintal, membre de la Société psychanalytique de Paris, est considéré comme l’un des meilleurs experts européens de la désocialisation. En 2001, il a publié « les Naufragés », un essai consacré aux sans-logis, aux clochards, vendu à 50 000 exemplaires. En 2005, il récidive avec « Le sang nouveau est arrivé ». Sous-titre : « L’horreur SDF ». Une visite grinçante dans les caves de nos démocraties consensuelles. Un voyage dans les recoins, les encoignures, les enfoncements, les abris de fortune, où chaque année, prévue, surveillée, suivie, mesurée, la vague de froid tue. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Une certaine idée de la rue“, S. 4.) Dieser einen guten Doppelzentner schwere Philosoph, der auch Mitglied der Société psychanalytique de Paris [Pariser Psychoanalytische Gesellschaft] ist, wird als einer der besten europäischen Experten für Desozialisierung anerkannt. 2001 hat er „Les Naufragés“ [Die Schiffbrüchigen] veröffentlicht, einen den Obdachlosen und Stadtstreichern gewidmeten Essay, von dem 50 000 Exemplare verkauft wurden. 2005 wird er mit „Le sang nouveau est arrivé“ [Das frische Blut ist da] rückfällig. Untertitel: „L’horreur SDF“ [Horror der Obdachlosigkeit]. Ein knirschender Besuch in den Kellern unserer konsensbasierten Demokratien. Eine Reise in die Ecken und Winkel, die Nischen, die Unterschlupfe, wo die Kältewelle jedes Jahr vorhersehbar tötet, unter Beobachtung und Beaufsichtigung und genauer Buchführung.

46 (162) Le succès des gratuits scandinaves ? Il se lit partout. Certains pays comme l’Allemagne résistent. Aucun n’échappe à l’invasion : en Espagne, avec 2,3 millions d’exemplaires, « 20 Minutos » a ravi à « El País » son leadership de la presse quotidienne. En France, les frères ennemis écoulent chaque matin près de 1,5 million d’exemplaires. L’effet d’imitation ? Spectaculaire. Petit pays de 11 millions d’habitants, la Grèce compte 15 tirages gratuits. Préservée jusqu’ici de l’invasion, la Grande-Bretagne a vu surgir un gratuit financier, « City AM », venu défier le « Financial Times » dans le temple de ses exploits. Cette irruption des gratuits a dans un premier temps réveillé les médias qu’elle ne réussissait pas à tuer : grâce aux produits dérivés (CD, DVD et autres encyclopédies), « la Repubblica », désormais tout en couleurs, a publié les meilleurs résultats de son histoire. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Gratuits : le vent du Nord“, S. 31.) Der Erfolg der skandinavischen Gratiszeitungen? Er ist überall ablesbar. Einige Länder wie Deutschland leisten Widerstand. Keines entgeht der Invasion: In Spanien hat „20 Minutos“ mit 2,3 Millionen Exemplaren „El País“ die Führungsposition in der Tagespresse geraubt. In Frankreich bringen die feindlichen Brüder jeden Morgen fast 1,5 Millionen Exemplare in Umlauf. Der Nachahmungseffekt? Außerordentlich. Als kleines Land mit 11 Millionen Einwohnern verzeichnet Griechenland 15 kostenlose Blätter. In Großbritannien, das bis jetzt von der Invasion verschont geblieben war, tauchte eine Gratis-Finanzzeitung auf, „City AM“, die angetreten ist, die „Financial Times“ im Allerheiligsten ihrer Heldentaten herauszufordern. Dieser Überfall der Gratiszeitungen hat die Medien, die er nicht auslöschen konnte, zunächst wachgerüttelt: Dank Zusatzprodukten (CDs, DVDs und anderer Nachschlagewerken) konnte „la Repubblica“, von jetzt an ganz in Farbe, die besten Ergebnisse ihrer Geschichte veröffentlichen.

(163) Il [der Schriftsteller Eugène Ebodé] juge l’anglais « assourdissant de prétention. La langue la plus parlée au monde étant le mandarin, la plupart des écrivains préoccupés par l’inscription comptable devraient donc se dépêcher de s’inscrire aux LanguesO. Je vous assure que je ne suis pas prêt à abandonner le français pour le mandarin ou toute autre juteuse mandarine opportunément commerciale. Non, bien que je sois originaire d’un pays bilingue (le Cameroun), l’expérience de l’utilisation de l’anglais ne me séduit guère. Je kiffe encore trop pour le français, ses subtilités, ses nuances, ses ponctuations, ses conventions et sa faculté d’évolution pour lui être infidèle. Je n’ai vraiment pas encore envie de lui faire des enfants dans le dos ! Des enfants illégitimes, ça oui. Ce sont mes livres écrits en français ». (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „ ‹ Nous accusons la France ›“, S. 58.) Er [der Schriftsteller Eugène Ebodé] bezichtigt das Englische „ohrenbetäubender Selbstgefälligkeit. Da die meistgesprochene Sprache der Welt das Mandarin ist, müssten sich die meisten Schriftsteller, die sich um die zu verbuchenden Gewinne sorgen, hurtig für orientalische Sprachen einschreiben. Ich versichere Ihnen, dass ich nicht dazu bereit bin, das Französische für das Mandarin oder irgendeine andere saftige, kommerziell auszuquetschende Mandarine zu verlassen. Nein, obwohl ich aus einem zweisprachigen Land (Kamerun) stamme, erscheint es mir wenig verführerisch, das Englische auszuprobieren. Ich stehe noch viel zu sehr auf die französische Sprache, ihre Feinheiten, ihre Nuancen, ihre Interpunktion, ihre Konventionen und ihre Wandlungsfähigkeit, als dass ich ihr untreu sein könnte. Ich habe wirklich noch keine Lust, mit einer anderen Kinder zu zeugen! Uneheliche Kinder, dafür bin ich aber schon zu haben. Das sind meine auf Französisch geschriebenen Bücher.“

(164) Plus sûr que le Loto, plus rentable que la Bourse, aussi durable que la pierre : un diplôme ! C’est ce que confirme une récente et très sérieuse étude de l’OCDE. Selon l’organisation internationale, qui a mené une monumentale enquête internationale sur les systèmes

47 d’éducation, la vérité tient dans un « taux de rendement » : en France, investir dans une formation rapporterait 12% par an. Un ratio quelque peu théorique – on investit en temps et en argent dans ses études ! – mais qui donne à réfléchir. Car, au-delà des chiffres, qui peut raisonnablement douter que l’éducation soit le placement de toute une vie ? Le meilleur atout, le plus enrichissant dans toutes les acceptions du terme ? Voilà pourquoi il est si important de miser juste. Jamais, en effet, les disparités n’ont été aussi importantes d’une filière à l’autre. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les diplômes qui donnent du travail“, S. 4.) Sicherer als Lotto, gewinnbringender als die Börse, so haltbar wie Stein: ein Abschluss! Dies wird durch eine kürzlich durchgeführte und sehr seriöse Studie der OECD belegt. Der internationalen Organisation zufolge, die eine äußerst umfangreiche internationale Untersuchung zu den verschiedenen Bildungssystemen durchgeführt hat, liegt die Wahrheit in der „Rendite“: In Frankreich erzielt man, wenn man in eine Ausbildung investiert, einen Ertrag von 12 % pro Jahr. Ein etwas theoretischer Wert – man investiert ja Zeit und Geld in sein Studium! –, der aber zu denken gibt. Denn wer kann jenseits der Zahlen ernsthaft daran zweifeln, dass Bildung die Anlage schlechthin für das ganze Leben ist? Der größte Trumpf und zugleich der in jeglicher Hinsicht bereicherndste? Deshalb ist es so wichtig, richtig zu setzen. In der Tat waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Ausbildungszweigen noch nie so deutlich.

(165) Voilà pourquoi il est si important de miser juste. Jamais, en effet, les disparités n’ont été aussi importantes d’une filière à l’autre. D’un côté les voies rapides souvent spécialisées et reconnues par les professionnels. De l’autre, des itinéraires plus académiques, encombrés et souvent sans issue. A la fin, quoi de plus déprimant pour un doctorant à la tête bien pleine que de se retrouver au chômage ? Pourtant, pour qui sait se doter d’une bonne boussole, notre enseignement supérieur – un tantinet labyrinthique – recèle des raccourcis étonnants. Des formations aux noms barbares, mais qui valent de l’or sur le marché du travail. Il faut absolument connaître les Miage (méthodes informatiques appliquées à la gestion des entreprises) ou les MAE (masters d’administration des entreprises) dont les diplômés se placent au même niveau que ceux des grandes écoles. Et qui sait qu’un jeune ingénieur sur deux n’a jamais mis les pieds dans une classe préparatoire, qu’on peut, à l’issue d’un BTS, entrer dans une école de commerce ou à Science-Po Lille ? [...] Un exemple : les diplômes de physique délivrés par l’université peuvent mener à l’enseignement et à la recherche. Mais à y regarder de plus près, on s’aperçoit qu’ils débouchent souvent sur des jobs d’informaticien ! [...] Mais avant de prendre son billet, il faudra plus que jamais avoir misé juste... (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Les diplômes qui donnent du travail“, S. 4, 6.) Deshalb ist es so wichtig, richtig zu setzen. In der Tat waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Ausbildungszweigen noch nie so deutlich. Auf der einen Seite die Schnellstraßen, die häufig eine Spezialisierung beinhalten und von den Fachleuten anerkannt sind. Auf der anderen Seite akademischere Routen, die verstopft sind und häufig in einer Sackgasse enden. Was gibt es schließlich Deprimierenderes für einen Doktoranden mit einem Kopf voller Wissen, als sich in der Arbeitslosigkeit wiederzufinden? Für diejenigen, die sich jedoch mit einem guten Kompass auszustatten verstehen, hält unser – etwas labyrinthisches Hochschulwesen – erstaunliche Abkürzungen bereit. Ausbildungen mit barbarischen Namen, die aber auf dem Arbeitsmarkt Gold wert sind. Man sollte unbedingt die Miage (méthodes informatiques appliquées à la gestion des entreprises [angewandte Wirtschaftsinformatik]) kennen oder die MAE (masters d’administration des entreprises [Master Be-

48 triebsführung]), deren Abschlüsse mit denen der Grandes Ecoles mithalten können. Und wer weiß schon, dass einer von zwei jungen Ingenieuren niemals auch nur einen Fuß in eine Classe Préparatoire [Vorbereitungsklassen für die Grandes Ecoles] gesetzt hat, dass man, nach Erlangung eines BTS [brevet de technicien supérieur, Abschluss eines technischen Kurzstudiums], in eine Handelsschule oder in Science-Po Lille eintreten kann? [...] Ein Beispiel: Universitätsabschlüsse in Physik können in die Lehre und in die Forschung führen. Aber bei näherem Hinsehen bemerkt man, dass sie oft in Informatikerjobs münden! [...] Doch bevor man seinen Fahrschein löst, muss man mehr als je zuvor auf das Richtige gesetzt haben ...

(166) Cet ancien directeur de cabinet du président Senghor, qui règne aujourd’hui sur l’équipe du Conseil, aura cependant du mal à convaincre de la bonne gestion des affaires francophones, quand l’un de ses membres, Dominique Wolton, dénonce justement, dans un livre qui vient de paraître, « Demain la francophonie » (Flammarion), le grand bazar institutionnel. « La francophonie est un objet non identifié dans l’Etat français. [...] Pourquoi simplifier les institutions de la francophonie et maintenir en parallèle ce maquis institutionnel en France ? Mystère. Le labyrinthe ministériel est accablant. » (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Kafkaïenne francophonie...“, S. 56.) Diesem ehemaligen persönlichen Referenten des Präsidenten Senghor, der heute den Stab des Rats leitet, wird es schwer fallen, die verantwortungsvolle Führung der Geschäfte der Frankophonie überzeugend darzustellen, während eines seiner Mitglieder, Dominique Wolton, in einem vor Kurzem erschienenen Buch „Demain la francophonie“ [Frankophonie morgen] (Flammarion), gerade das große institutionelle Durcheinander anprangert. „Die Frankophonie ist ein nicht-identifiziertes Objekt im französischen Staat. [...] Warum sollen die Institutionen der Frankophonie vereinfacht werden, während parallel dieses institutionelle Gestrüpp in Frankreich aufrecht erhalten wird? Ein Rätsel. Das ministerielle Labyrinth ist niederschmetternd.“

(167) Dieu est à la mode. Et les croisés du business chrétien ou les vendeurs de T-shirts en profitent. (Le Nouvel Observateur 2140, 10.–16. November 2005, „God is good“, S. 46.) Gott ist in Mode. Und die Kreuzritter des christlichen Business oder die T-Shirt-Verkäufer ziehen daraus Profit.

(168) Autre indice de l’évolution des esprits culinaires, un premier congrès français de gastronomie a réuni au Havre, le mois dernier, la fine fleur de la jeune cuisine hexagonale : les « petits », comme Benjamin Toursel qui sert 8 couverts dans une auberge près d’Agen, aussi bien que les étoilés comme Thierry Marx. Délaissant les batailles d’ego qui alimentent et empoisonnent régulièrement la chronique gastronomique, tous ont échangé recettes, tours de main, sans souci de propriété ni de « marques déposées ». (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „L’internationale des chefs“, S. 47.) Als weiteres Anzeichen der Fortentwicklung des kulinarischen Geistes hat ein erster französischer Gastronomiekongress letzten Monat in Le Havre die Crème de la Crème der jungen französischen Küche versammelt: sowohl die „Kleinen“, wie Benjamin Toursel, der in einem Gasthof in der Nähe von Agen 8 Gedecke auflegt, als auch die Stars wie Thierry

49 Marx. Sie alle haben den Selbstdarstellungskampf hinter sich gelassen, der sonst die gastronomische Berichterstattung regelmäßig nährt und vergiftet, und haben Rezepte und Tricks ausgetauscht, ohne sich um geistiges Eigentum oder „eingetragene Marken“ zu sorgen.

(169) Il émane de ces ruelles visqueuses une odeur nauséabonde d’égout à ciel ouvert. La plupart des « maisons » sont faites de bric et de broc, avec des plaques de zinc en guise de toit. Sur les « portes » sont inscrits, à peine lisibles, les numéros et les noms des « rues ». Ce sont les seules indications. Impossible de se repérer dans ce magma sans plan, même pour les habitants... (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „L’islam des taudis“, S. 14.) Diese schleimigen Sträßchen verströmen einen üblen Geruch nach offener Kanalisation. Die meisten „Häuser“ sind aus allem Möglichen zusammengeschustert und mit Zinkblechen als Dach versehen. An den „Türen“ sind kaum lesbar die Nummern und Namen der „Straßen“ angeschrieben. Das sind die einzigen Orientierungshilfen. Unmöglich, sich in diesem undurchschaubaren Magma zurechtzufinden, selbst für die Bewohner ...

(170) C’est que, depuis une dizaine d’années, Michel P. avait trouvé un moyen bien plus lucratif que la musique pour assurer ses fins de mois. Il créait des sociétés (plus d’une centaine répertoriées par la police). Des coquilles vides qui n’embauchaient personne, ne produisaient rien, n’avaient pas de bureaux. Leur utilité était tout autre : elles fabriquaient à la pelle des « kits Assedic », des dossiers complets avec (faux) contrat et certificat de travail, bulletins de salaire, solde de tout compte, attestation Assedic..., bref, le nécessaire pour s’inscrire au chômage. (Le Nouvel Observateur 2159, 23.–29. März 2006, „Arnaques en série à l’Unedic“, S. 38.) Seit ungefähr zehn Jahren nämlich hatte Michel P. ein sehr viel lukrativeres Mittel als die Musik gefunden, um über die Runden zu kommen. Er gründete Gesellschaften (mehr als hundert wurden von der Polizei erfasst). Hohle Nüsse, die niemanden einstellten, nichts produzierten, keine Geschäftsräume unterhielten. Ihr Zweck war ein ganz anderer: Sie produzierten haufenweise „Assedic-Pakete“ [Association pour l’emploi dans l’industrie et le commerce, Arbeitslosenversicherung], komplette Unterlagen mit (falschem) Vertrag und Arbeitszeugnis, Lohnzetteln, Ausgleichsquittung, Bescheinigung über Sozialversicherungsbeiträge, ..., kurzum, alles Notwendige, um sich arbeitslos zu melden.

(171) Elle avait été embauchée début novembre en CNE (contrat nouvelles embauches), cet ovni du Code du Travail réservé aux entreprises de moins de 20 salariés, qui peut être rompu sans motif pendant la période d’essai, longue de deux ans. (Le Nouvel Observateur 2157, 9.–15. März 2006, „Le bras de fer devant les tribunaux“, S. 28.) Sie war Anfang November über einen CNE (contrat nouvelles embauches [Vertrag für Neueinstellungen]) eingestellt worden, dieses Ufo des Arbeitsrechts, das Unternehmen mit weniger als 20 Angestellten vorbehalten ist und das während der zweijährigen Probezeit ohne Angabe von Gründen gekündigt werden kann.

50 (172) Un film « sur » Mai-68, « les Amants réguliers » ? Non, trois fois non. À propos de Mai-68, alors ? Moins encore. Un film « de » Mai-68, dans ce cas ? Peut-être, en ce sens que Mai-68 sert d’étincelle, à la lueur de laquelle tout ce qui suit devient visible. Une étincelle, une lueur, une odeur aussi. Celle de l’essence sur la main droite de François (Louis Garrel), qu’il donne à respirer au copain qui attend dans l’escalier. François, esoufflé non tant par sa course ou par les marches qu’il a escaladées que par l’aventure qu’il vient de vivre et, plus encore, par le récit qu’il en fait : un type lui a glissé un cocktail Molotov dans les mains, qu’il a songé à allumer et à lâcher sous un fourgon de CRS, finalement il l’a abandonné sans l’utiliser, décidant que, non, on ne peut quand même pas tuer des gens. L’essence de Mai-68 fait tourner le moteur des « Amants réguliers ». Les « événements », François les traverse comme on passe une nuit blanche. Blanche comme la voiture, que la caméra cadre en arrière-plan, entre les jeunes qui s’activent au plus près et les flics que l’on ne voit pas, mais que l’on a vus plus tôt, en ordre de bataille. Bataille rangée dont la durée des plans restitue le désordre. Au matin, le visage de François est noir de fumée et d’excitation ; le jeune homme peut gagner l’appartement où une femme lui fera couler un bain et lui proposera un pantalon et une chemise propres. Blanche, la chemise, « les Amants réguliers » est un film en noir et blanc, et parfois les cernes de François, aussi sûremenent que les cadrages qui l’isolent, le font ressembler à un personnage du cinéma des premiers temps. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Mai pour mémoire“, S. 65.) „Les Amants réguliers“ [Die Unruhestifter], ein Film „über“ den Mai ’68? Nein, nein und nochmals nein. Etwa, ein Film den Mai ’68 betreffend? Noch weniger. Dann eher ein Film „vom“ Mai ’68? Vielleicht, in dem Sinne, dass der Mai ’68 als Funke dient, in dessen Schein alles Folgende sichtbar wird. Ein Funke, ein Licht, auch ein Geruch. Nach Benzin auf der rechten Hand von François (Louis Garrel), die er seinem im Treppenhaus wartenden Freund hinhält, um ihn daran riechen zu lassen. François, ganz außer Atem, weniger vom Rennen oder von den Treppenstufen, die er hinaufgestiegen ist, als vielmehr von dem gerade erlebten Abenteuer und mehr noch von der Erzählung, die er dazu liefert: Ein Typ hat ihm einen Molotowcocktail zugeschoben, und er hat überlegt, ihn anzuzünden und unter einem Mannschaftswagen der CRS [Companie Républicaine de Sécurité, Spezialeinsatzkräfte der französischen Polizei] hochgehen zu lassen. Schließlich hat er ihn liegen lassen, ohne ihn zu verwenden, weil er entschieden hat, dass man trotz allem keine Leute umbringen kann. Das Benzin vom Mai ’68 treibt den Motor der „Amants réguliers“ an. Die „Ereignisse“ durchlebt François wie eine durchgemachte Nacht, an deren Ende das weiße Morgenlicht schimmert. Weiß wie das Auto, das die Kamera im Hintergrund im Bild hat, zwischen den Jugendlichen, die sich weiter vorne zu schaffen machen, und den Polizisten, die man nicht sieht, aber die vorher in Schlachtordnung im Bild gewesen sind. Eine Feldschlacht, deren Unordnung durch die Dauer der Einstellungen wiedergegeben wird. Am Morgen ist das Gesicht von François schwarz vor Rauch und Aufregung; der junge Mann kann die Wohnung erreichen, wo eine Frau ihm ein Bad einlässt und eine saubere Hose und ein sauberes Hemd anbietet. Das Hemd ebenfalls weiß. „Les Amants réguliers“ ist ein Schwarz-Weiß-Film, und manchmal lassen die Augenringe, ebenso deutlich wie die Kameraeinstellungen, die ihn alleine zeigen, François wie eine Figur aus dem Kino der ersten Stunde wirken.

(173) Il faut bien vivre et penser à sa famille. On s’invente une filiation, on se fait une barbe, on se cogne le front contre le mur pour se faire la marque nécrosée du grand dévot, on se déguise en taliban fiévreux. Du mimétisme au fanatisme, il n’y a qu’un pas. La phase suivante de l’islamisme, et elle viendra, c’est un processus cumulatif à explosions périodiques, sera infiniment plus terrible. Affirmer que le peuple algérien est musulman revient à dire : qui n’est pas musulman n’est pas des nôtres. Or tout croyant trouvera sur sa route plus croyant que lui. Si de l’étincelle ne jaillit point la lumière, alors le feu ira à la poudre.

51 Il n’y a qu’un système qui peut nous sauver de ce processus funeste : la laïcité. Est-ce si sûr, la France laïque est-elle à l’abri de ses intégristes ? La laïcité est une condition nécessaire mais non suffisante. Il y a encore tant à faire pour que la liberté, l’égalité et la fraternité soient le pain de chaque jour pour tous. En attendant, chez nous, entre nous, empressons-nous de mettre un peu de laïcité dans notre thé, ce sera ça de gagné. On pourra alors être musulmans sans avoir de comptes à rendre à personne, sauf à Allah, le jour du Jugement dernier. Et d’ores et déjà, nous le savons, sa clémence nous est acquise. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Mes chers compatriotes“, S. 52f.) Man muss irgendwie überleben und an seine Familie denken. Man dichtet sich eine Abstammung an, man lässt sich einen Bart wachsen, man stößt seinen Kopf gegen die Wand, um das Wundmal des großen Frömmlers zu tragen, man verkleidet sich als eifriger Taliban. Von der Mimikry zum Fanatismus ist es nur ein kleiner Schritt. Die nächste Phase des Islamismus – und sie wird kommen – ist ein kumulativer Prozess mit regelmäßigen Ausbrüchen und wird unendlich viel schrecklicher sein. Zu behaupten, das algerische Volk sei muslimisch, kommt folgender Aussage gleich: Wer nicht Moslem ist, gehört nicht zu uns. Jeder Gläubige wird jedoch auf seinem Weg jemandem begegnen, der noch gläubiger ist als er selbst. Wenn aus dem Funken kein bisschen Licht aufblitzt, wird das Feuer auf das Pulver übergreifen. Es gibt nur ein Prinzip, das uns vor diesem unheilvollen Prozess bewahren kann: die Laizität. Doch stimmt das, ist Frankreich in Sicherheit vor den dortigen Fundamentalisten? Die Laizität ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Es bleibt noch so viel zu tun, damit die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit unser aller täglich Brot wird. In der Zwischenzeit sollten wir schleunigst bei uns und unter uns ein bisschen Laizität in unseren Tee mischen. Damit wären wir zumindest schon einmal in diesem Punkt ein Stückchen weiter. Man wird also muslimisch sein können, ohne am Tag des Jüngsten Gerichts vor jemand anderem außer Allah Rechenschaft ablegen zu müssen. Und wie wir wissen, ist uns schon jetzt seine Gnade sicher.

(174) Alerte rose. A Lille où la rumeur est reine, on ne parle que de ça. Deux sondages, l’un de la Sofres pour le compte de la mairie, l’autre de l’Ifop pour l’UMP et c’est la ville qui s’enflamme. Le détail de ces deux enquêtes est encore secret mais le message, relayé à l’envie, est le même. Rien ne va plus... si tout continue à l’identique, cette fois, le beffroi risque fort de tomber à droite, lors des municipales de mars 2008. Face à la bourrasque – celle là n’est pas la première – Martine fait du Aubry. Dénégation, appel à la résistance, invocation (tardive) des mânes des grands anciens, Pierre Mauroy en tête. (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Aubry : le rêve brisé“, S. 30.) Alarmstufe rot. In Lille, wo Gerüchte regieren, wird von nichts anderem mehr gesprochen. Zwei Umfragen, eine von Sofres im Auftrag des Rathauses, die andere von Ifop für die UMP [Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung] versetzen die Stadt in Aufruhr. Die Einzelheiten dieser beiden Erhebungen sind noch geheim, aber die Botschaft, die ohne Zurückhaltung weitergetragen wird, ist die gleiche. Nichts geht mehr ... wenn alles genauso wie bisher weiterläuft, besteht dieses Mal die ernsthafte Gefahr, dass der Beffroi bei den Kommunalwahlen im März 2008 nach rechts fällt. Angesichts des kräftigen Windstoßes – es ist nicht der erste – zieht Martine das Aubry-Programm durch. Abstreiten, Aufruf zum Widerstand, (verspätete) Anrufung der Manen der großen Altehrwürdigen, Pierre Mauroy ganz zuvorderst.

(175) Pour une fois, les siècles les plus nombreux avaient été requis : la Septimanie était le nom d’un royaume wisigothique. Et ça, c’est fort. Qui, sinon M. Frêche, a jamais osé dans notre

52 histoire réhabiliter les Wisigoths, ces envahisseurs de l’Empire romain des IVe et Ve siècles ? Quelles étaient ses arrière-pensées ? Trouve-t-il qu’avec Chiracus-Augustule, toujours au bord d’être trahi par le petit Hun de l’UMP ou par Villebrutus le fils félon, notre Gaule a un faux air de la Rome de la fin ? Entendait-il arriver au congrès du PS au Mans en char à bœufs, suivi de ses troupes pour châtier Hollande, cet Hannibal de sous-préfecture infoutu de dompter ses éléphants ? (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Tu l’as velu, tu l’as eu“, S. 11.) Diesmal wurden gleich die verschiedensten Jahrhunderte herangezogen: Septimanie war der Name eines westgotischen Königreichs. Und das ist schon ein starkes Stück. Wer, außer Herrn Frêche, hat es jemals in unserer Geschichte gewagt, die Westgoten zu rehabilitieren, diese Eindringlinge in das römische Reich im vierten und fünften Jahrhundert? Was waren da wohl seine Hintergedanken? Findet er, dass mit Chiracus-Augustule, der immer knapp davor steht, von dem kleinen Hunnen der UMP [Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung] oder von dem eidbrüchigen Sohn Villebrutus verraten zu werden, unser Gallien scheinbar an das dem Untergang geweihte Rom erinnert? Wollte er auf dem Kongress des PS [Parti Socialiste, sozialdemokratische Partei] in Le Mans im Ochsenkarren vorfahren, gefolgt von seinen Truppen, um Hollande, diesen Hannibal aus der Unterpräfektur, zu züchtigen, der es nicht auf die Reihe kriegt, seine Elefanten zu zähmen?

(176) Le cocktail mortel d’Oullins Chaïb Zehaf est mort à la sortie d’un bar la semaine dernière. Drame de l’alcoolisme ou crime raciste ? La justice a décidé de réentendre tous les témoins (Le Nouvel Observateur 2158, 16.–22. März 2006, „Le cocktail mortel d’Oullins“, S. 46.) Der tödliche Cocktail von Oullins Chaïb Zehaf starb, als er letzte Woche eine Bar verließ. Alkoholdrama oder rassistisches Verbrechen? Die Justiz hat entschieden, nochmals alle Zeugen zu vernehmen

(177) C’est donc aux Etats-Unis que Jacques Lusseyran a enseigné les vertus et les richesses... de la civilisation française. Et c’est aux Américains qu’il a dédié la morale de son livre : « La lumière ne vient pas du dehors. Elle est en nous. » Il est mort, en 1971, dans un accident de voiture. Il avait 47 ans. Tellement plus, en vérité. Car il répétait sans cesse que la vie n’est pas faite pour être vécue à moitié. La sienne a été si pleine qu’elle donne l’impression d’avoir débordé. Ce livre, qui illustre au plus haut point le concept de résilience, peine d’ailleurs à la contenir. Et à endiguer l’émotion tremblante qu’on éprouve à toucher du doigt, comme du braille, cet admirable destin saillant. (Le Nouvel Observateur 2137, 20.–26. Oktober 2005, „Un aveugle à Buchenwald“, S. 57.) Also unterrichtete Jacques Lusseyran in den Vereinigten Staaten die Vorzüge und den Reichtum ... der französischen Kultur. Den Amerikanern hat er auch die Moral seines Buchs gewidmet: „Das Licht kommt nicht von außen. Es ist in uns.“ Er kam 1971 bei einem Autounfall ums Leben. Er war 47 Jahre alt. In Wirklichkeit aber so viel älter. Denn er wiederholte andauernd, dass das Leben nicht dazu gemacht ist, um nur halb gelebt zu werden. Seines war so erfüllt, dass es den Eindruck erweckt, überzuströmen. Dieses Buch, das überdeutlich illustriert, was seelische Energie bedeutet, schafft es übrigens kaum diese zwischen den Buchdeckeln zu halten und die zitternde Ergriffenheit einzudämmen, die man verspürt, wenn man mit der Fingerspitze dieses bewundernswerte, hervortretende Schicksal wie Braille berührt.