Metatheorie juristischer Argumentation [1 ed.] 9783428454327, 9783428054329


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German Pages 258 Year 1983

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Metatheorie juristischer Argumentation [1 ed.]
 9783428454327, 9783428054329

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e r

juristische

Argumentation

S c h r i f t e n zur

Rechtetheorie

Heft 108

Metatheorie juristischer Argumentation I n Verbindung mit

Aulis Aarnio · Robert Alexy · Alekeander Peczenik Jan Broekman · Enrico Pattaro * Robert Summers Ota Weinberger · Jerzy Wróblewski herausgegeben von

Werner Krawietz und Robert Alexy

Mit einem Vorwort von

Werner Krawietz

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed In Germany ISBN 3 428 05432 6

Inhaltsverzeichnis

V o r w o r t : Juristische Argumentation u n d Argumentationstheorien dem Prüfstand Aulls Aamio,

Robert Alexy

u n d Aleksander

9

Broekman

Die Rationalität des juristischen Diskurses Enrico

3

Peczenik

Grundlagen der juristischen Argumentation Jan M.

auf

89

Pattaro

Uber Rechtswissenschaft, Transformationen u n d Rechtfertigung

117

Robert S. Summers Comments on " T h e Foundation of Legal Reasoning"

145

Ota Weinberger Logische Analyse als Basis der juristischen Argumentation Jerzy

159

Wróblewski

Towards Foundations of Judicial Reasoning Autorenverzeichnis

233 253

Vorwort

Juristische Argumentation und Argumentationstheorien auf dem Prüfstand Die juristische Argumentation ist nicht nur das Kernstück der Rechtspraxis und der praktischen (dogmatischen) Rechtswissenschaft. Sie steht auch i m Zentrum der juristischen Argumentations- und Methodenlehre, die auf Grund einer — i m Detail wie auch immer beschaffenen — Theorie der juristischen Argumentation operiert. Ihre Hauptaufgabe w i r d gewöhnlich darin erblickt, die juristische Methodik des Umgangs mit dem geltenden Recht — so weit wie irgend möglich — auf Regeln (canones, regulae) zu bringen, nach denen sich die juristische Begründung und Rechtfertigung rechtlicher Entscheidungen vollzieht. Üblicherweise werden zu diesen Argumentationsregeln auch diejenigen über die Rechtsgewinnung i m Einzelfalle gezählt, d. h. über die Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts (einschließlich der richterlichen Rechtsfortbildung); ferner zählen hierzu auch diejenigen über die j u ristische Begriffs- und Systembildung. Seit geraumer Zeit befassen sich darüber hinaus auch die Rechtstheorie (Allgemeine Rechtslehre, Legal Theory) und die u m eine philosophische bzw. soziologische Grundlegung des Rechts bemühte Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie mit den überaus vielschichtigen Problemen der Begründung und Rechtfertigung der juristischen Argumentation. Jedoch ist die Frage nach wie vor höchst umstritten, ob und gegebenenfalls inwieweit sich rechtliche Orientierungen menschlicher Praxis überhaupt i m Rahmen von Argumentationstheorien rational begründen bzw. durch den Nachweis ihrer praktischen Vernünftigkeit rechtfertigen und legitimieren lassen. Zweifel an der Möglichkeit einer normativistischen Geltungsbegründung des Rechts, aber auch an einer transzendentalphilosophischen Letztbegründung der Rechtsnormen bzw. der Rechtsordnung werden vor allem genährt durch die erkenntniskritische und wissenschaftstheoretische Entwicklung i m Rechtsdenken des vergangenen Jahrzehnts, vor allem jedoch durch die Entwicklung der Rechtstheorie selbst, die zur Aufklärung der Grundlagen juristischer Argumentation maßgeblich beigetragen hat. Insofern erscheinen auch die Bestrebungen eines transzendentalpragmatischen Konstruktivismus, des kritischen Rationalismus und der kritischen Theorie, zu

4

Vorwort

einer Begründung und Rechtfertigung der Normen des Rechts beizutragen, heute i n einem anderen Licht. Sie werden gewöhnlich verknüpft mit einer gegenüber den herkömmlichen Auffassungen gewandelten Vorstellung von der Rationalität bzw. der Vernünftigkeit auch der juristischen Argumentation. Daß Juristen sich bei der praktischen Ausübung ihrer juristischen Argumentations- und Entscheidungstätigkeit der Jurisprudenz bedienen, was immer man i m Detail darunter verstehen mag, erscheint als nahezu selbstverständlich. Tatsache ist jedoch, daß dieser Umstand zugleich die Eigenart und das Selbstverständnis der praktischen juristischen Argumentation maßgeblich mitbestimmt und prägt (mitsamt dem Verständnis der sonstigen Bedingungen und Grenzen, von denen sie nun einmal abhängig ist), was durchaus nicht selbstverständlich ist. Auch können Juristen nicht aus den Gründen des geltenden Rechts heraus argumentieren, d. h. ihre jeweiligen Entscheidungen rechtlich begründen und rechtfertigen, ohne das — heute gewöhnlich staatlich organisierte — Rechtssystem, an dem sie i m Rahmen ihrer Berufsrolle oder auch bloß als Bürger und Adressaten von Rechtsvorschriften kommunikativ teilhaben, jeweils schon vorauszusetzen, da es ihnen (zumindest ansatzweise!) die erforderlichen Entscheidungsprämissen und Kriterien für ihre rechtspraktischen juristischen Argumentationen liefert. A m Beginn der Entwicklung juristischer Argumentations- und Methodenlehren oder — etwas modischer formuliert! — der juristischen Argumentationstheorie steht somit die aufgrund mitlaufender Selbstbeobachtung i n kritischer Selbstreflexion von Juristen identifizierte »Erfahrung', daß zwischen der juristischen Argumentation auf der Ebene der Operationen des Rechtssystems und einer — wenn auch noch so rudimentären — Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung offensichtlich eine ganz spezifische Differenz besteht, die einer theoretischen Aufarbeitung bedarf. Der Jurist, der Theorien über das juristische Argumentieren entwickelt, entwickelt damit — zumindest implizit — auch eine Theorie über sein juristisches Argumentieren. Und wer dabei entdeckt, daß der i m Rechtssystem praktisch Handelnde und der i h n Beobachtende gewöhnlich durchaus unterschiedliche Relevanzschemata und Attributionsprinzipien zu benutzen pflegen, mag einen heilsamen Schock erleiden, wenn er sich eingesteht, daß er eben diese Einsicht auf seine eigene Beobachtung des juristischen Argumentierens anderer stützt. Die praktische juristische Argumentation erweist sich somit als durchgängig systemabhängig, aber zugleich auch als i n sehr verschiedener Hinsicht (Rechtssystem, Rechtswissenschaftssystem) systembedingt. Offensichtlich weist sie charakteristische Eigentümlichkeiten auf, die ohne Berücksichtigung der jeweiligen Systemreferenz des juristischen Argumentierens, das i n der Rechtspraxis bzw. i n der praktischen

Vorwort

Rechtswissenschaft stattfindet, gar nicht zureichend verstanden werden können. I m Hinblick auf die noch ständig wachsende Zahl von Argumentationstheorien, die gegenwärtig m i t dem Anspruch auftreten, auch die Eigenart der juristischen Argumentation zureichend zu deuten, erscheint es angebracht, die vorliegenden Theorieangebote vom Standpunkt heutiger Rechtstheorie einer Sichtung und Bewertung zu unterziehen. Ganz i n diesem Sinne dürften die i n diesem Bande vereinten Bemühungen, zu einer argumentationstheoretischen Metatheorie, d.h. einer Theorie über Theorien juristischer Argumentation beizutragen, zugleich auch geeignet sein, einer weiteren, bloß inflationären A u f blähung der Theorieangebote entgegenzuwirken. Jedoch ist — wohlgemerkt! — nur von einer (und nicht von der!) Metatheorie juristischer Argumentation die Rede ebenso wie von juristischer Argumentation nur i m Kollektivsingular (und nicht von der juristischen Argumentation!) gesprochen wird. Leider gibt es nun einmal nicht die juristische Argumentation bzw. die juristische Argumentationstheorie, die i m Stande wäre, uns mit den einzig richtigen rechtlichen Begründungen, Rechtfertigungen und juristischen Entscheidungsergebnissen zu bedienen, die w i r so dringend benötigten und so gerne hätten! Dem zeitgenössischen Theorienpluralismus kann infolgedessen nur dadurch begegnet werden, daß man die miteinander konkurrierenden Theorien zu integrieren bzw. gegeneinander zu substituieren sucht. Der Leser mag selber beurteilen, wie weit dies i n den einzelnen Beiträgen gelungen ist» Einer Metatheorie juristischer Argumentation, wie sie von den i n diesem Bande vereinten Autoren betrieben wird, geht es nicht (oder doch jedenfalls nicht primär!) um eine K r i t i k der — i n diesem Punkt bisweilen ein wenig überempfindlichen, aber vielleicht auch etwas überforderten — dogmatischen Rechtswissenschaft und der konventionellen juristischen Argumentations- und Methodenlehre. 1 K r i t i k beinhaltet sie allenfalls auf eine sehr indirekte, bloß mittelbare Weise, nämlich nur insofern, als die „Theorienbildung i n der Jurisprudenz" 2 Anlaß zu einer argumentationstheoretischen Durchleuchtung bietet. 3 Unmittelbar auf 1 Daß es „letzten Endes die gleichen Gesichtspunkte sind, deren sich der Argumentierende als A r g u m e n t u n d der »methodisch' Vorgehende" i n i h r e n Gedankenschritten bedienen, erkennt jetzt auch: Karl Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., B e r l i n 1983, S. 141 f. auf seiner Suche nach dem „Unterschied zwischen einer Methodenlehre u n d einer Argumentationstheorie". 2 Begrüßenswert ist das neuerdings auch von: Larenz, ebd., S. V I I , 432 ff. et passim an den Tag gelegte Bestreben, sich jetzt auch m i t den verschiedenen „ A r t e n juristischer Theorien" auseinanderzusetzen. 3 Z u r E n t w i c k l u n g der juristischen Argumentationstheorie i n den letzten einundeinhalb Jahrzehnten: Sh. unten S. 9.

6

Vorwort

dem Prüfstand stehen somit nicht die dogmatische Rechtswissenschaft und die tradierte juristische Methodenlehre als solche, sondern nur die gemeinschaftlich erarbeiteten, auf eine Grundlegung der juristischen A r gumentationstheorie und eine „integrale" Theoriebildung gerichteten, genuin rechtstheoretischen Bemühungen von Aulis Aamio (Helsinki), Robert Alexy (Göttingen) und Aleksander Peczenik (Lund) u m eine „Theorie der juristischen Argumentation, die eine optimale Vielfalt von Aspekten vereinigt". 4 Die Frage, welcher Grad an rechtstheoretischer Vereinheitlichung von den beteiligten Autoren wirklich erreicht worden ist, w i r d von ihnen selbst eher nüchtern und skeptisch eingeschätzt. 5 Die Beantwortung durch den Leser w i r d vermutlich recht unterschiedlich ausfallen und letztlich davon abhängen, ob er das ihnen Gemeinsame betont oder die gleichwohl verbleibenden Unterschiede i n den rechtstheoretischen und gesellschaftstheoretischen Grundauffassungen in den Vordergrund rückt. A n die gemeinschaftliche Abhandlung der eben genannten Autorengruppe schließen sich die übrigen Beiträge i n alphabetischer Reihenfolge an. Sie wurden als Originalbeiträge eigens für diesen Band verfaßt. Ich sehe davon ab, ihren Inhalt — und sei es auch nur schwerpunktmäßig — zu charakterisieren, weil diese Beiträge für sich selbst sprechen. Da deren Verfasser i n ihren rechtstheoretischen und philosophischen Auffassungen der erstgenannten Autorengruppe teils näher, teils ferner stehen, geraten nahezu zwangsläufig auch ihre Konzeptionen juristischer Argumentationstheorie auf den Prüfstand. Die Herausgeber hoffen, daß diese mit Vorbedacht und mit dem Einverständnis aller Beteiligten geschaffene Konkurrenzsituation dem Leser den Zugang zur Problematik und die Bildung seines eigenen Urteils erleichtern wird. Der Ausgang des hier dokumentierten, aber nicht bloß wiederaufgelegten, sondern i n seinen Voraussetzungen und Folgen i n der Tat neuen juristischen Methoden- und Theorienstreits, der (1) dem heute erreichten internationalen Niveau rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung und (2) dem Erfordernis einer inter- und multidisziplinären Zusammenarbeit mit allen dem Recht und der Rechtswissenschaft benachbarten Disziplinen, insbesondere mit den übrigen sozialen Handlungswissenschaften, aber auch der Philosophie, Rechnung zu tragen sucht, erscheint nach wie vor offen. Auch ist den Beteiligten wie den Herausgebern bewußt, daß sich bei weitem noch nicht alle gegenwärtig relevanten Denkrichtungen i n die hier begonnene Diskussion eingeschaltet haben. Dieses Buch ist insofern eine Einladung auch an bislang Nichtbeteiligte, i n einen hoffentlich fruchtbaren Dialog mit den Autoren und Herausgebern einzutreten. 4 Vgl. Aamio ! Alexy I Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation. Sh. u n t e n S. 9—87, 12 f. 5 Ebd., S. 13.

Vorwort

Da die Genese dieses Buches dem Leser nicht nur etwas über seinen Stellenwert, sondern auch etwas über den derzeitigen Diskussionsstand i m Bereich juristischer Argumentationstheorie offenbart, seien abschließend einige Hinweise auf die Entstehungsgeschichte erlaubt. (i) Die Idee zu dem von Aamio, Alexy und Peczenik vorgelegten Gemeinschaftswerk, das jetzt den Nukleus dieses Bandes bildet, entstand auf dem Internationalen Symposion „Argumentation i n Legal Science" vom 10. bis 12. Dezember 1979 in Helsinki 6 , an dem die Mitglieder dieser Autorengruppe als Veranstalter bzw. geladene Gäste teilnahmen. Erste Diskussionen der Arbeitsgruppe fanden am Rande des Symposions bzw. auf einer Fahrt von Helsinki nach T u r k u statt. 7 Die weiteren Ergebnisse dieser Zusammenarbeit wurden erstmals i m Jahre 1981 i n englischer Sprache unter dem Titel „The Foundation of Legal Reasoning" i n der Zeitschrift RECHTSTHEORIE in mehreren Fortsetzungen veröffentlicht. 8 (ii) Auf dem Symposion „Zum Fortschritt von Theorie und Technik in Recht und Ethik", das am 27./28. Oktober 1980 i n Salzburg stattfand 9 , faßten Aulis Aamio und ich den Plan, das Gemeinschaftswerk der obigen Arbeitsgruppe auch ins Deutsche übertragen zu lassen, um es — zusammen mit den kritischen Kommentaren einer Reihe internationaler Fachkollegen — als selbständige Veröffentlichung einem weiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Unsere damalige Absicht, auf diese Weise zugleich die einschlägigen Forschungen weiter voranzutreiben und eine verbesserte Ausgangsposition für künftige Auseinandersetzungen zu schaffen, hat sich dank der aufopferungsvollen M i t arbeit zahlreicher Fachkollegen relativ kurzfristig verwirklichen lassen. Die Herausgeber danken ferner Frau Doz. Marianne Thormählen und Herrn Axel Thormählen für die Übertragung der Manuskripte von Aulis Aamio und Aleksander Peczenik ins Deutsche. Zu dem an sich schon satzfertigen Manuskript hat Ota Weinberger noch eine ganze Reihe terminologischer Verbesserungsvorschläge beigesteuert, die der jetzigen Fassung der Übersetzung sehr zugute kamen. Robert Alexy hat das gesamte Manuskript der Arbeitsgruppe noch einmal durchgesehen und die notwendigen Korrekturen besorgt.

8 Die Ergebnisse dieses Symposions sind veröffentlicht in: Aulis Aamio / Ilka Niiniluoto / Jyrki Uusitalo (Hrsg.), Methodologie u n d Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, B e r l i n 1981. 7 Weitere Details dieser Zusammenarbeit: Sh. unten S. 12. 8 Vgl. RECHTSTHEORIE 12 (1981), S. 133—150, 257—279, 423—448. 9 Die Ergebnisse sind veröffentlicht in: limar Tammelo / Aulis Aamio (Hrsg.), On the Advancement of Theory and Technique i n L a w and Ethics, B e r l i n 1981.

Vorwort

(iii) Angesichts der Tatsache, daß der bei Drucklegung dieses Werks noch bevorstehende X I . Weltkongreß der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, der vom 14. bis 20. August 1983 i n Helsinki stattfindet, sich in drei seiner insgesamt sechs Arbeitsgruppen mit Problemen juristischer Argumentation befassen wird, gilt der Dank der Herausgeber vor allem den ausländischen Fachkollegen, die durch ihre Beiträge das rechtzeitige Erscheinen dieses Bandes ermöglicht haben. Ich bedanke mich vor allem für ihr Entgegenkommen und ihre große Geduld, mit der sie — ausgerüstet mit dem englischen Originalmanuskript und begleitet von immer neuen Übersetzungen ins Deutsche — die Arbeit an ihren eigenen Beiträgen bewerkstelligt haben. Der Beitrag von Enrico Pattaro (Bologna), der wegen der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit i n Italienisch abgefaßt wurde, ist dankenswerterweise von Raffaele de Giorgi ins Deutsche übertragen worden, der z. Zt. einen längeren Forschungsaufenthalt an meinem Lehrstuhl in Münster verbringt und hilfreich einsprang. I m Hinblick auf den nahen Termin des Weltkongresses nicht mehr verwirklicht werden konnte die ursprünglich beabsichtigte Übersetzung der Beiträge von Robert S. Summers (Ithaca, Ν. Y.) 1 0 und Jerzy Wróblewski (Lódz); der ausländische Leser dieses Buches, der von dem englischen Originaltext Aamio!Alexy/Peczenik ausgeht, mag darin sogar einen Vorteil erblicken. I n diesem Zusammenhang sei m i r auch der Hinweis auf einige einschlägige Veröffentlichungen 11 gestattet, die soeben erschienen sind. Dieses Buch wäre sicherlich nicht rechtzeitig fertig geworden ohne die tatkräftige Mithilfe einer Reihe von Mitarbeitern an meinem Lehrstuhl. Für ihren unermüdlichen Einsatz beim Druckfertigmachen der Manuskripte sowie bei den Fahnen- und Umbruchkorrekturen danke ich sehr herzlich meiner Sekretärin Frau Martina Böddeling und meinen Assistenten Frau Petra Werner sowie den Herren Alexander Puplick, Andreas Schemann und Edgar Schröder. Münster, den 2. August 1983

Werner

Krawietz

10 Z u den Hintergrundsannahmen seiner juristischen Argumentationstheorie jetzt auch: Robert S. Summers, Pragmatischer Instrumentalismus u n d amerikanische Rechtstheorie, Freiburg u n d München 1983. 11 Werner Krawietz, Juristische Argumentation i n rechtstheoretischer, rechtsphilosophischer u n d rechtssoziologischer Perspektive, in: Norbert Achterberg / Werner Krawietz / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Recht u n d Staat i m sozialen Wandel, B e r l i n 1983, S. 347—390; ders. t Theoriesubstitution i n der J u risprudenz, in: Dorothea Mayer-Maly / Peter M. Simons (Hrsg.), Das N a t u r rechtsdenken heute u n d morgen, B e r l i n 1983, S. 359—412. Z u r Diskurstheorie juristischer Argumentation bzw. zum Verhältnis von Theorieintegration u n d Theoriesubstitution auch: Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1983, S. 57 f , 61 f. bzw. S. 149 ff., 175 ff., 192 ff.

Grundlagen der juristischen Argumentation V o n Aulis Aarnio, Helsinki — Robert A l e x y , Göttingen u n d A l e k s a n d e r Peczenik, L u n d

Einleitung D i e T h e o r i e d e r j u r i s t i s c h e n A r g u m e n t a t i o n ist seit e i n i g e n J a h r e n eines d e r z e n t r a l e n T h e m e n d e r i n t e r n a t i o n a l e n rechtstheoretischen u n d rechtsphilosophischen D i s k u s s i o n 1 . Dies h a t v i e l e G r ü n d e , v o n den e n h i e r n u r d r e i i m V e r b u n d w i r k e n d e g e n a n n t w e r d e n sollen. D e r erste G r u n d b e t r i f f t d e n g e g e n w ä r t i g e n S t a n d d e r Rechtstheorie. D i e a l t e n F r o n t e n , d i e f ü r d e n G a n g d e r Rechtstheorie i n d i e s e m J a h r h u n dert kennzeichnend waren, sind i n A u f l ö s u n g begriffen 2. Die analytische Schule, d e r Rechtsrealismus ebenso w i e h e r m e n e u t i s c h u n d v e r n u n f t rechtlich orientierte Theorien k ö n n e n — zumindest i n i h r e r ursprüngl i c h e n u n d r e i n e n F o r m — n i c h t l ä n g e r als abgegrenzte P o s i t i o n e n b e t r a c h t e t w e r d e n , v o n d e n e n d i e e i n e u n t e r Ausschluß d e r a n d e r e n z u w ä h l e n ist. D i e Schwächen j e d e r dieser R i c h t u n g e n s i n d z u d e u t l i c h ge1

Die folgenden Kongresse haben dies zum Ausdruck gebracht: W e l t kongreß für Rechts- u n d Sozialphilosophie, Brüssel 1971 (Die juristische A r gumentation, Vorträge des Weltkongresses f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie, Brüssel 28. 8. - 3. 9. 1971, ARSP Beiheft N. F. 7 [1972]; H . Hubien [Hg.], Le raisonnement juridique. Actes d u congrès mondial de philosophie du droit et de philosophie sociale, Bruxelles 1971, Brüssel 1971); Tagung der Deutschen Sektion der I V R i n der Bundesrepublik Deutschland, München 1978 (W. Hassemer, A . Kaufmann, U. Neumann [Hg.], Argumentation u n d Recht. Vorträge auf der Tagung der Deutschen Sektion der I V R i n der B u n desrepublik Deutschland, München 3. - 6.9.1978, ARSP Beiheft N. F. 14 [1980]); Internationales Symposium der österreichischen Sektion der I V R u n d des Instituts für Rechtsphilosophie der Universität Graz, Retzhof 1979 {W. Krawietz, K. Opalek, A . Peczenik, A . Schramm [Hg.], Argumentation u n d Hermeneutik i n der Jurisprudenz, RECHTSTHEORIE Beiheft 1 [1979]; F. Rotter, O. Weinberger, F. Wieacker [ H g ] , Wissenschaft u n d Philosophie als Basis der Jurisprudenz, A R S P Beiheft N. F. 13 [1978]); Internationales Symposium der Finnischen Sektion der I V R , Helsinki 1979 (A. Aarnio t I. Niiniluoto f J. Uusitalo [Hg.], Methodologie u n d Erkenntnistheorie der j u ristischen Argumentation, RECHTSTHEORIE Beiheft 2 [1981]). 2 I n f o r m a t i v sind die v i e r Hauptbeiträge z u m Unterthema I , Analytische Rechtskonzeptionen, des 9. Weltkongresses f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie, Basel 1979: A . Edel, Legal Positivism: A Pragmatic Reanalysis, Papier Nr. 117; D. N. MacCormick, O n A n a l y t i c a l Jurisprudence, Papier N r . 090; A . Peczenik, Formalism, Rule-Scepticism and Juristic Operationism, Papier Nr. 054; O. Weinberger, Jenseits v o n Positivismus u n d Naturrecht; w i r d v o n der I V R veröffentlicht.

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A l i s Aarnio, Robert A l e x y u n d Aleksander Peczenik

worden. Nicht die Entscheidung zwischen Standpunkten, die durch Jahrzehnte der K r i t i k geschwächt sind, sondern die Zusammenfassung ihrer intakt gebliebenen Teile ist die Aufgabe der Rechtstheorie für den Rest des Jahrhunderts. Das Ziel ist eine integrale oder umfassende Rechtstheorie 3 . Die Aussichten, dies Ziel zu erreichen, sind günstig. Dies liegt an dem zweiten Grund, der, zusammen mit dem ersten und dem dritten Grund, für das Erwachen des Interesses an der Theorie der juristischen Argumentation verantwortlich ist: dem Stand der allgemeinen Wissenschaftstheorie, der Philosophie und der Soziologie. Hier seien nur vier Stichworte angeführt: die Rehabilitierung der praktischen Philosophie 4 , die Aufweichung der Spaltung i n analytische und hermeneutische Positionen, die zum Konzept einer analytischen Hermeneutik führte 5 , die Einbeziehung soziologischer und historischer Gesichtspunkte i n wissenschaftstheoretische Fragestellungen 6 sowie der Kontakt zwischen analytischer Philosophie und kritischer Theorie 7 . A l l dies befreit die Theorie der juristischen Argumentation von einer Gefahr, der die Rechtstheorie i n der Vergangenheit allzu oft erlegen ist, der der Einseitigkeit. Oft ist die Rechtstheorie auf eine philosophische Theorie gegründet worden, die aus einer Reihe konkurrierender philosophischer Theorien ohne zureichende Gründe ausgewählt wurde. Die neue Situation der Philosophie versetzt die Rechtstheorie i n die Lage, Ideen verschiedenen philosophischen Ursprungs auf eine relativ unabhängige Weise zu benutzen. Dies erleichtert die Entstehung einer Rechtstheorie, die sich nicht auf die passive Übertragung einiger Resultate der Philosophie beschränkt, sondern fähig ist, einen Beitrag zu der großen Zahl von Pro3 Vgl. hierzu R. Dreier, Recht — M o r a l — Ideologie, F r a n k f u r t / M . 1981, Einleitung u n d Kap. 1, 3, 8. 4 Vgl. ζ . Β . M . Riedel (Hg.), Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. 1, Freiburg 1972, Bd. 2, Freiburg 1974; J. Rawls, A Theory of Justice, Cambridge/Mass. 1971. 5 Vgl. etwa G. H. v. Wright, Explanation and Understanding, Ithaca/New York, 1971; P. M . S. Hacker, Hart's Philosophie of Law, in: P. M. S. Hacker, J. Raz (Hg.), L a w , M o r a l i t y and Society. Essays i n Honour of H. L. A . Hart, Oxford 1977, S.8 ff.; N. MacCormick, H. L. A . Hart, London 1981, Kap. 3. β Vgl. T. S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, 2. Aufl., Chicago 1970; I. Lakatos, A. Musgrave (Hg.), Criticism and the G r o w t h of Knowledge, Cambridge 1970; B. Hansson (Hg.), Metod eller anarki, L u n d 1979. 7 Vgl. z.B. J. Habermas, Wahrheitstheorien, in: H. Fahrenbach (Hg.), W i r k l i c h k e i t u n d Reflexion, Festschrift für W. Schulz, Pfullingen 1973, S. 211 ff.; H. Rottleuthner, Marxistische u n d analytische Rechtstheorie, i n : H. Rottleuthner (Hg.), Probleme der marxistischen Rechtstheorie, F r a n k furt/M. 1975, S. 159 ff. E i n hervorragendes Beispiel einer eindringenden A n a lyse des Verhältnisses der marxistischen Theorie zur analytischen Rechtstheorie findet sich i n Lars D. Eriksson, M a r x i s t i k teori och rättsvetenskap, Helsinki 1980. Eriksson f ü h r t die sogenannte alternative Rechtsdogmatik (uso alternativo del diritto) vor, u n d zwar auf eine sehr eigenständige Weise.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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blemen zu leisten, die sie insbesondere mit der Wissenschaftstheorie und der Moralphilosophie teilt 8 . Die ersten beiden Gründe reichen nicht aus, u m deutlich zu machen, weshalb es gerade die Theorie der juristischen Argumentation war, die zu einem der zentralen Themen der Rechtstheorie wurde. U m die Antwort vollständig zu machen, ist ein dritter Grund anzuführen. Dieser dritte Grund kann i n zwei Aspekte aufgespalten werden. Unter theoretischen Gesichtspunkten bietet die Theorie der juristischen A r gumentation einen Rahmen, innerhalb dessen die Postulate einer integralen Rechtstheorie optimal erfüllt werden können. So sind, u m nur einige Beispiele anzuführen, i n einer v o l l ausgebildeten Theorie der juristischen Argumentation folgende Fragen zu beantworten: Was ist unter welchen Bedingungen als geltendes Recht anzusehen? Sind Ausdrücke wie „wahr", „richtig" und „gerecht" auf juristische Aussagen anwendbar, und, wenn ja, wann sind sie dies? Welche logischen Strukturen haben juristische Begründungen? Ein wesentlicher Vorteil der Theorie der juristischen Argumentation besteht darin, daß i n ihr Fragen wie diese als Teilfragen einer umfassenderen Theorie behandelt werden können. Zu diesem theoretischen Vorteil kommt ein praktischer. Viele der klassischen Fragen der Rechtstheorie werden i m A l l tag des Juristen nur selten relevant. Es besteht die Gefahr, daß ihre Bedeutung nicht erfaßt wird. Die Theorie der juristischen Argumentation kann dies Problem lösen, indem sie diese Fragen als natürliche Glieder einer Fragestellung behandelt, die auf die Brücke zwischen Rechtstheorie und juristische Praxis zielt: der der juristischen Methodenlehre und der Rechtsquellenlehre. Das Interesse an dieser Fragestellung rechtfertigt sich nicht nur aus dem allgemeinen Wunsch, das juristische Entscheiden zu perfektionieren, sondern auch aus dem Ziel, Angriffen gegen die Legitimität der Lösung sozialer Konflikte nach j u ristischen Kriterien durch Richterspruch begründet entgegentreten zu können. Die Legitimationsfrage ist von besonderer Bedeutung i n einer Zeit, für die eine steigende Zahl juristischer Probleme und eine steigende Dringlichkeit ihrer Lösung charakteristisch sind. Die komplexen sozialen Strukturen und die zunehmende soziale Dynamik i n allen industrialisierten Ländern haben, verglichen mit statischeren Gesellschaften, nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der juristischen Probleme verändert. Dieser objektiven Seite korrespondiert eine subjektive Seite. Eine zunehmende Zahl an Bürgern erwartet gute und wohlbegründete Antworten auf rechtliche Fragen — Antworten, die, zumindest grundsätzlich, nicht nur von Juristen kontrolliert werden können. Die Theorie der juristischen Argumentation ist bestrebt, den Ju8 I. Niiniluoto, O n T r u t h and Argumentation i n Legal Dogmatics, in: RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1981), S. 53 - 76.

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A l i s Aarnio, Robert A l e x y u n d Aleksander Peczenik

risten m i t einem Werkzeug auszustatten, das es i h m ermöglicht, die A n forderungen, die heute an ihn gerichtet werden, zu erfüllen. Diese drei Gründe zusammen lassen eine Theorie der juristischen A r gumentation i m angedeuteten Sinne sowohl als möglich als auch als wünschenswert erscheinen. Dies heißt nicht, daß eine Theorie, die auf eine hinreichend breite Zustimmung hoffen kann, bereits existiert. Die augenblickliche Szene ist vielmehr durch eine Vielfalt von Ansätzen gekennzeichnet. Diese Vielfalt erschwert zwar das Geschäft, sie ist aber keinesfalls zu bedauern. Nur eine Theorie der juristischen Argumentation, die eine optimale Vielfalt von Aspekten vereinigt, kann ihrem Gegenstand gerecht werden. Dies ist leicht gesagt, aber schwer getan. Die Verknüpfung einer optimalen Vielfalt von Aspekten ergibt sich nicht von selbst. Es läßt sich nicht alles mit allem verbinden, und es gibt gute und schlechte Verbindungen. Die Vereinigung hat deshalb Gegenstand eigener Bemühungen zu sein. Unser A r t i k e l w i l l als Beitrag zu solchen Bemühungen verstanden werden. I n i h m versuchen w i r , eine Verbindung zwischen drei Theorien herzustellen: zwischen Aulis Aarnios auf Wittgensteins Begriff der Lebensform gegründeten Theorie 0 , Robert Alexys am Begriff der praktischen Rationalität orientierten Theorie 1 0 und Aleksander Peczeniks Theorie der Transformationen i m Recht 11 . Die Idee zu unserem Vorhaben entstand i m Dezember 1979 i n Helsinki. Entwürfe des ersten Teils von A. Peczenik, des zweiten Teils von R. Alexy und des dritten Teils von A. Aarnio bildeten den Ausgangspunkt unserer Diskussionen, die i n der Folge nicht nur schriftlich, sondern vor allem auch i m Rahmen von mehreren Treffen i n Göttingen i m Juni und i n Amsterdam i m September 1980 stattfanden. Aus systematischen Gründen wurden einige Teile des ersten Entwurfs von R. A l e x y i n den ersten Teil übernommen. W i r sehen es als einen Erfolg unserer Diskussionen an, daß w i r i n vielen Fällen den Urheber einer Idee nicht mehr identifizieren können. Wie aus den Ergebnissen ersichtlich, sind einige Differenzen jedoch nicht beseitigt worden, einige wurden von uns vielleicht nicht bemerkt. Dies war zu erwarten, und w i r meinen, daß w i r dies i n Kauf nehmen müssen und können. Jede unserer Theorien steht auf dem Boden mehrerer Traditionen. Einige Traditionen werden von den Autoren geteilt, einige nicht, einige kommen in den verschiedenen Theorien i n unterschiedli» A . Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, Wien/New Y o r k 1979; ders., O n T r u t h and Acceptability of Interpretative Propositions i n Legal Dogmatics, in: RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1981), S. 33 - 51. 10 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, F r a n k f u r t / M . 1978; ders., Die Idee einer prozeduralen Theorie der juristischen Argumentation, in: RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1981), S. 177 - 188. 11 Vgl. die folgende Fußnote.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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chem Maße zum Tragen. Trotz dieser Schwierigkeiten sind w i r der Meinung, daß die Gemeinsamkeiten stark und die verbleibenden Differenzen interessant genug sind, u m eine Verknüpfung zu diskutieren. Die Hauptverantwortung für die drei Teile verbleibt bei den Autoren der ursprünglichen Entwürfe, R. A l e x y übernimmt zusätzlich die Verantwortung für den Abschnitt 5.5 des ersten Teils. I. Transformationen im Recht 1. Transformation im allgemeinen Alles menschliche Wissen und alle gerechtfertigten Wertungen sind auf Transformationen gegründet 12 , d.h. auf „Sprünge" von einer bestimmten Stufe zu einer anderen. Die folgenden Stufen seien als Beispiele angeführt. Wahrnehmungen: ζ . B. das Sehen eines Feldes von Farben und Formen. Propositionen über individuelle Tatsachen: das Sprechen über individuelle Tatsachen und über ihren Wert. Allgemeine Theorien: das Konstruieren allgemeiner Theorien, von Naturgesetzen, Normensystemen und Wertsystemen. Der Status der ersten Stufe ist komplex und kann hier nicht erörtert werden. A u f jeden Fall kann auf der Grundlage des Begriffs der Transformation eine Hierarchie der verschiedenen Stufen konstruiert werden. Darüber hinaus lassen sich nahezu alle Probleme der Wissenschaftstheorie u m die „Sprünge" zwischen den erwähnten Stufen gruppieren. Daher liegt die Vermutung nahe, daß das Problem der Sprünge auch i n juristischen Zusammenhängen von Bedeutung ist. I n der vorliegenden Untersuchung versuchen w i r nicht, eine allgemeine Theorie der „Sprünge" zu entwikkeln. Noch wollen w i r eine detaillierte Analyse der Beziehungen zwischen den verschiedenen Stufen vorlegen. W i r beschränken uns auf einige Transformationen, die i m Recht und in der juristischen Argumentation von besonderer Bedeutung sind. 2. Der Begriff der Transformation Eine Transformation (ein „Sprung") findet statt, wenn, und nur wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: 12 Die dargelegte Theorie der Transformationen ist eine Weiterentwicklung v o n Ideen, die i n folgenden A r b e i t e n diskutiert wurden: A . Peczenik, Nonequivalent Transformations and the Law, i n : A . Peczenik, J. Uusitalo (Hg.), Reasoning on Legal Reasoning, Vammala 1979, S. 47 ff.; wieder abgedruckt i n : REGHTSTHEORIE Beiheft 1 (1979), S. 163 ff.; vgl. ferner ders., Formalism, Rule-Scepticism and Juristic Operationism, Weltkongreß für Rechts- u n d Sozialphilosophie, Basel 1979, Papier Nr. 054, das unter dem T i t e l „Right and Wrong i n Legal Reasoning" publiziert werden soll. Vgl. des weiteren ders., Rätt och fei j u r i d i s k argumentation, i n : Lundaforskare föreläser 11 (1979) S. 14 ff., wieder abgedruckt in: ders., Juridikens metodproblem, 2. Aufl., Stockholm 1980, S. 239 - 247.

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(1) ρ w i r d als Grund für q angeführt; und (2) q folgt logisch nicht aus p. Es folgt, daß keine Hinzufügung einer analytischen Proposition den Übergang von ρ zu q deduktiv machen kann. Die einfachste Formel für eine Transformation ist ρ Τ ς. ρ und q können für mehr als eine Proposition stehen. Demgemäß kann, falls notwendig, eine komplexere Formel verwendet werden: (pi, . . . , pm Τ q\, ..., Das Fehlen einer logischen Folgerungsbeziehung und die Handlung des „Springens" sind zwei Seiten einer Sache. Es ist eine psychologische Tatsache, die i m sogenannten Entdeckungszusammenhang (context of discovery) zu behandeln ist, daß „Sprünge" vollzogen werden. I m Rechtfertigungszusammenhang (context of justification) kann diskutiert werden, ob das Wissen, das durch „Sprünge" erzeugt wurde, gerechtfertigt ist 1 8 . 3. Transformationsregeln 14 3.1. Allgemeine Bemerkungen I m Rechtfertigungszusammenhang können die Transformationen k r i tisiert oder verteidigt, für richtig oder für falsch befunden werden. Dies zeigt, daß es nicht nur regelmäßig wiederholte Handlungen des „Springens" gibt, sondern auch Transformationsregeln (Regeln für das „Springen"). Zumindest i n einigen Fällen kann der Übergang von ρ zu q mit dem Hinweis auf eine Transformationsregel R\ gerechtfertigt werden. Eine Regel R· soll dann als „Transformationsregel" bezeichnet werden, wenn aus ρ zusammen mit R\ q logisch folgt, und wenn einige andere Bedingungen, die weiter unten diskutiert werden sollen, erfüllt sind. Ihre Rolle i n der deduktiven Rechtfertigung von q ist somit charakteristisch für Transformationsregeln. Transformationsregeln sind von grundlegenderen Regeln für die Rechtfertigung von Transformationsregeln und den ihnen entsprechenden Transformationen zu unterscheiden. Regeln für die Rechtfertigung von Transformationsregeln und den ihnen entsprechenden Transformationen gehören zur Tiefenstruktur der juristischen Argumentation, die Transformationsregeln selbst sind demgegenüber ihrer Oberflächenstruktur zuzuordnen. Der Ausdruck „Wissen" soll sich i n der folgenden Diskussion nicht auf deduktive I n f o r m a t i o n beziehen. Auch das sogenannte nicht-propositionale „Wissen" soll nicht behandelt werden. Über letzteres vgl. z . B . L. Wittgenstein, Über Gewißheit, F r a n k f u r t / M . 1970. 14 Der Abschnitt (1.3) wurde ursprünglich von R A geschrieben (AP).

G r n d l a g e n der juristischen Argumentation

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Daß T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n e x i s t i e r e n , m a c h t d e n B e g r i f f d e r T r a n s f o r m a t i o n n i c h t ü b e r f l ü s s i g . D e r B e g r i f f d e r T r a n s f o r m a t i o n ist gegenüber dem der Transformationsregel i n einem hier relevanten Sinne f u n d a m e n t a l . T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n s i n d n u r deshalb e r f o r d e r l i c h , w e i l T r a n s f o r m a t i o n e n e r f o r d e r l i c h sind. M e h r noch, n i c h t a l l e T r a n s formationen folgen bereits existierenden Transformationsregeln 15. A u f j e d e n F a l l lösen T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n n i c h t a l l e P r o b l e m e . O f t s i n d sie z u vage, u m die i n F r a g e stehende T r a n s f o r m a t i o n e i n d e u t i g zu r e g e l n ; m a n c h m a l müssen sie e i n g e s c h r ä n k t , m a n c h m a l ausgedehnt, m a n c h m a l sogar aufgegeben w e r d e n . T r a n s f o r m a t i o n e n w e r d e n also i n v i e l e n F ä l l e n n i c h t d u r c h T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n gelenkt, s o n d e r n sie s i n d gegenüber d e n T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n frei 16. H i n s i c h t l i c h d e r R o l l e d e r T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l n lassen sich d r e i F ä l l e u n t e r s c h e i d e n : (i) F ä l l e , i n d e n e n die T r a n s f o r m a t i o n e n z w e i f e l s f r e i e i n e r k l a r e n T r a n s f o r m a t i o n s r e g e l folgen, (ii) F ä l l e , i n d e n e n z w a r Transformationsregeln sind eine spezielle A r t von Folgerungsregeln, vgl. S. E. Toulmin, The Uses of Argument, Cambridge 1958, bes. S. 109 ff. Wenn keine existierende Transformationsregel zur Verfügung steht, k a n n die transformierende Person eine ad hoc- oder Minimalregel formulieren. Eine solche Minimalregel hat die F o r m q. Es ist deutlich, daß eine solche Regel nicht mehr leistet, als die Transformation ρ Τ q auszudrücken. Man könnte deshalb bestreiten, daß „ p q" überhaupt eine Regel ist, u n d hierfür anführen, daß sie nicht mehr enthält als eine Wiederholung des Schrittes, den sie rechtfertigen soll. L e t z t h i n handelt es sich u m eine terminologische Frage. F ü r die Behandlung der Minimalregeln als Regeln sprechen drei Gründe: (i) Unter Verwendung einer Wie-Klausel k a n n „ p q" i n die zwar sehr spezielle aber universelle Proposition: (x) (wie px-^wie qx) umgeformt werden; vgl. R. M. Hare, Universalisability, in: Proceedings of the A r i s t o telian Society 55 (1954/55), S. 306 ff.; ders., Freedom and Reason, Oxford 1963, S. 11. Solche Wie-Klauseln sind i m Bereich der praktischen Philosophie v o n Bedeutung, w e i l sie sichern, daß Eigenschaften u n d nicht I n d i v i d u e n den Ausschlag geben, (ii) A u f Minimalregeln können später generelle Regeln gestützt werden, u n d z w a r auf grundsätzlich gleiche Weise w i e auf Regeln niedrigeren Generalitätsgrades Regeln höheren Generalitätsgrades gestützt werden können, (iii) Wenn eine Transformation sich auf eine Transformationsregel stützt, k a n n die Frage nach der Rechtfertigung der Transformation als Frage nach der Rechtfertigung der Transformationsregel gestellt werden. Ob diese Frage hinsichtlich einer Minimalregel oder einer generellen Regel gestellt w i r d , begründet keinen grundsätzlichen Unterschied. Z u diesen Problemen vgl. auch A . Aarnio, O n Legal Reasoning, 1977, S. 72 ff., w o der A u tor das sogenannte „Draysche Paradox" diskutiert. Es sei ferner bemerkt, daß eine Folgerungsregel durch eine i h r entsprechende Prämisse ersetzt w e r den kann; vgl. E. Nagel, The Structure of Science, New Y o r k 1961, S. 138; W. Stegmüller, Probleme u n d Resultate der Wissenschaftstheorie u n d analytischen Philosophie, Bd. I , Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung, verbesserter Nachdruck, Berlin/Heidelberg/New Y o r k 1974, S. 98. 18 Insofern läßt sich, was Transformationen anbetrifft, eine Unterscheidung analog der Feyerabends zwischen einem gelenkten u n d einem freien Austausch treffen; vgl. P. K. Feyerabend, Erkenntnis f ü r freie Menschen, F r a n k f u r t / M . 1979, S. 57. Allerdings lassen sich, w i e w i r zeigen werden, auch freie Transformationen unter Bezug auf Regeln verteidigen u n d kritisieren.

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eine existierende Transformationsregel angeführt werden kann, diese Regel aber (a) präzisiert, (b) eingeschränkt, (c) erweitert oder (d) aufgegeben wird, (iii) Fälle, i n denen keine existierende Regel anwendbar ist, und in denen deshalb eine neue Regel formuliert werden kann 1 7 . 3.2. Transformationsregeln

und Analytizität

Wenn keine existierende Transformationsregel den Schritt von ρ zu q regelt, dann liegt ohne Zweifel ein „Sprung" ρ Τ g vor. Die Situation ist komplexer, wenn es eine Transformationsregel gibt. Transformationsregeln eliminieren „Sprünge" insofern, als der Schritt von ρ zusammen m i t der Transformationsregel zu q deduktiv ist. I n einem anderen Sinne aber eliminieren nur die Folgerungsregeln, die keine Transformationsregeln sind, „Sprünge" 1 8 . Diese „sprungeliminierenden" Folgerungsregeln sind analytisch. Analytizität eliminiert „Sprünge". Wenn die Proposition „Wenn p, dann q" — und die korrespondierende Folgerungsregel — analytisch ist, dann ist der Schritt von ρ zu g keine Transformation und die Folgerungsregel keine Transformationsregel. Eine Form der Analytizität ist i n einem formalen Sinne logisch; ein Beispiel hierfür ist die Proposition (1) „Fido ist schwarz oder Fido ist nicht schwarz". Ein Beispiel für eine andere Form der Analytizität ist (2) „Wenn Jack ein Junggeselle ist, dann ist er nicht verheiratet" 1 9 . Als ein juristisches Beispiel kommt folgendes i n Frage: „Wenn Jack ein Recht gegenüber John darauf hat, von John 100 D M zu erhalten, dann hat John die Pflicht, Jack 100 D M zu geben." Niemand, der den Regeln der Sprache verpflichtet ist, kann derartige Propositionen auf eine sinnvolle Weise bestreiten. Was analytisch ist, ist analytisch für jeden, der die Sprache spricht. I n diesem Zusammenhang ist es auch gebräuchlich, von Propositionen a priori zu sprechen. Sie sind nicht empirisch beweisbar, obwohl von einigen von ihnen gesagt wird, daß sie i n empirischen Wissenschaften vorausgesetzt werden. Obwohl eine Diskussion dieser Fragen über den Diese neue Regel ist mindestens eine Minimalregel, vgl. oben A n m . 15. 18 w i r lehnen folgende logisch mögliche Thesen ab: „ W e n n keine Folgerungsregel den Schritt regelt, dann liegt k e i n Sprung v o r " ; „Wenn eine Folgerungsregel den Schritt regelt, dann liegt ein Sprung v o r " ; u n d „ W e n n eine Folgerungsregel den Schritt regelt, dann liegt k e i n Sprung v o r " . Die erste These ist offensichtlich falsch, die zweite u n d die dritte sind zu stark. 19 „To ascertain the t r u t h of (1), only the meanings of the logical particles (.is', ,or'; ,not') are required; the meanings of the descriptive (i.e., non-logical) words (,Fido', ,black') are irrelevant . . . For (2), on the other hand, the meanings of some descriptive words are involved, viz., those of »bachelor' and ,married'." Vgl. R. Carnap , Meaning and Necessity, Chicago 1947 (1956), S. 222.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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Bereich der vorliegenden Untersuchung hinausgeht, sollen einige kurze Bemerkungen angefügt werden. W i r müssen, unter anderem, zwischen drei Arten von Propositionen oder Sätzen a priori unterscheiden: 1. Solche, die i n dem oben erörterten Sinne analytisch sind; man könnte sie „analytisch i n der normalen Sprache" nennen. Sie sind m i t Hilfe der Logik und von Bedeutungspostulaten der normalen Sprache beweisbar. Sie drücken die Notwendigkeit! aus. 2. Solche, die m i t Hilfe stipulativer Definitionen, stipulativer Bedeutungspostulate usw. (zusammen m i t der Logik) beweisbar sind. Die stipulativen Definitionen, Postulate usw. können entweder für eine künstliche Sprache erfunden oder der normalen Sprache w i l l k ü r lich hinzugefügt werden. Sie drücken Notwendigkeit2 aus. 3. Solche, die Notwendigkeit3 ausdrücken und zwischen Notwendigkeit! und Notwendigkeitâ anzusiedeln sind. Sie sind beweisbar m i t Hilfe der Logik und von Bedeutungspostulaten, deren Zugehörigkeit zur normalen Sprache umstritten ist, also anerkannt von einigen Personen und nicht anerkannt von anderen. So vertreten ζ . B. einige Personen die Auffassung, daß der Satz „Das Recht soll befolgt werden" ein Bedeutungspostulat der normalen Sprache ist, und andere weisen diese Auffassung zurück. Propositionen, die Notwendigkeitâ und Notwendigkeit3 ausdrücken, können „analytisch i n einer künstlichen Sprache" und „analytisch i n einer kontrovers interpretierten normalen Sprache" genannt werden, obwohl w i r es vorziehen, diesen Gebrauch des Ausdrucks „analytisch" zu vermeiden. Alles i n allem, die Transformation ρ Τ g ist eine Transformation, wenn sie nicht auf die Notwendigkeit! gestützt wird. A u f der anderen Seite kann die Behauptung „Wenn p, dann q" grundsätzlich von einigen Personen akzeptiert werden, während andere sich ihr gegenüber neutral verhalten; oder von einigen zurückgewiesen werden, während andere sich neutral verhalten; oder von einigen akzeptiert und von anderen zurückgewiesen werden. Die Positionen verschiedener Personen i n Bezug auf die Behauptung „Wenn p, dann q" (s) können demnach i m Sinne der folgenden A l t e r nativen systematisiert werden 2 0 : (a) einige positiv einige neutral (b) einige negativ einige neutral 20 Die Klassifikation ist v o n R A vorgeschlagen worden (AP). 2 Krawietz/Alexy

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(c)

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einige positiv einige negativ

I m Rahmen dieser drei Möglichkeiten kann weiter unterschieden werden, i m Rahmen von (c) etwa folgendermaßen: (ca) einige akzeptieren s als notwendig einige weisen s als unmöglich zurück (cb) einige akzeptieren s als kontingent einige weisen s als kontingent zurück (cc)

einige akzeptieren s als notwendig einige weisen s als kontingent zurück

(cd) einige akzeptieren s als kontingent einige weisen s als unmöglich zurück 2 1 . I n all diesen Fällen ist der Schritt von ρ zu q ein Sprung: ρ Τ q. Die bisherigen Ausführungen galten dem Problem der Transformation i m allgemeinen. Die nunmehr zu behandelnden Transformationen i m juristischen Denken und, spezifischer, i n der juristischen A r gumentation sind eindrucksvolle Beispiele für Transformationen in komplexen Situationen. I n einem gewissen Sinne machen die Transformationen i m juristischen Denken die Struktur von Transformationen auf eine besonders erhellende Weise deutlich. Dies deshalb, weil i n der Jurisprudenz das Problem von „Sein" und „Sollen" auf eine ganz andere Weise zentral ist als ζ . B. i n den Naturwissenschaften oder i n der empirischen Sozialforschung. 4. Die Transformation ins Redit 4.1. Die zwei Arten von Transformationen, die das Recht betreffen Die Erkenntnis des Rechts hängt wie jede Erkenntnis von „Sprüngen" ab. Wegen der Komplexität der juristischen Erkenntnis sind die „Sprünge" von komplizierter und unterschiedlicher A r t . Nichtsdesto2i M a n nehme an, eine Person, a, akzeptiert eine Behauptung als notwendig, während eine andere Person, b, sie als unmöglich zurückweist. W e n n dies Notwendigkeit/Unmöglichkeit^ bedeutet, dann besteht der Dissens i n einem t r i v i a l e n Unterschied bezüglich stipulativer Definitionen. Wenn es hingegen Notwendigkeitjj/Unmöglichkeit^ bedeutet, dann entsteht folgendes Problem: E i n Dissens zwischen α u n d b setzt voraus, daß sie sich verstehen; h i e r f ü r ist es erforderlich, daß sie zur selben Lebensform gehören. Wie aber können sie dann i n bezug auf Notwendigkeit^, die durch die Lebensform, zu der sie gehören, determiniert w i r d , nicht übereinstimmen? Z u dieser Frage vgl. R. Alexy, Aarnio, Perelman u n d Wittgenstein. Einige Bemerkungen zu A u l i s Aarnios Begriff der Rationalität der juristischen Argumentation, i n : Reasoning on Legal Reasoning, S. 128 ff.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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weniger sollen sie hier i m Rahmen folgender Haupteinteilung diskutiert werden: der i n Transformationen ins Recht und Transformationen innerhalb des Rechts 22 . Viele Personen verwenden i n vielen Situationen Ausdrücke wie „(geltendes) Recht" auf eine Weise, die ein ungelöstes Rätsel aufgeben würde, wenn sie nicht wenigstens eine Transformation jeder der beiden A r t e n vollzogen hätten. Der Gebrauch jener Begriffe durch diese Personen i n solchen Situationen setzt daher diese Transformationen voraus 2 3 . 4.2. Der Begriff

der Transformation

ins Recht

Eine Transformation ins Recht findet statt, wenn eine Konklusion über (geltendes) Recht durch eine Transformation aus einer Klasse von Prämissen abgeleitet wird, von denen keine (geltendes) Recht ausdrückt oder erwähnt. Dies ist der erste große Schritt ins Recht: von Tatsachen und dem nichtrechtlichen Sollen zum rechtlichen Sollen. Er öffnet die Tür ins Reich des Rechts. Ein notwendiger Aspekt dieser Transformation, die KategorienTransformation, w i r d i m Abschnitt I. 4.3. erörtert werden. E i n anderer Aspekt, die Kriterien-Transformation, w i r d i m Abschnitt I. 4.4. diskutiert werden. 4.3. Die Kategorien-Transformation

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4.3.1. Was w i r d beim Gebrauch des Ausdrucks „(geltendes) Recht" vorausgesetzt? (1) Jeder (der Laie wie der Jurist, ζ . B. der Rechtswissenschaftler, der Richter usw.) gebraucht den Ausdruck „(geltendes) Recht" auf eine Weise, die die Existenz von Kriterien für das Recht voraussetzt; wenn diese Kriterien erfüllt sind, dann ist die i n Frage stehende Norm, N, (geltendes) Recht. (2) Für viele Personen (Juristen wie Laien) setzt die 22 Ich habe die folgende detaillierte Klassifikation der „Sprünge" entwickelt, v o n R A stammt die Haupteinteilung: ins Recht u n d innerhalb des Rechts (AP). 23 Der Ausdruck „voraussetzen" bezieht sich auf Wendungen Kants wie ζ. B. die v o n den „Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung". Vgl. I. Kant, K r i t i k der reinen Vernunft, hg. v. R. Schmidt, Leipzig 1926, Β 197/A 158. K a n t könnte i m Sinne v o n W. Stegmüller, The Structure and Dynamics of Theories, New York/Heidelberg/Berlin 1976, S. 55, interpretiert werden: „presupposition is not a premise b u t a logical consequence". Dies könnte v i e l leicht auf allgemeinere Weise folgendermaßen ausgedrückt werden: Eine Präsupposition ist entweder eine logische Folge oder wenigstens eine Folge i m Hinblick auf eine Transformationsregel, die v o m Philosophen, der die A n a lyse durchführt, als notwendig akzeptiert w i r d . Vgl. ferner P. F. Strawson , Introduction to Logical Theory, London 1952, S. 175 ff. 2 * limar Tammelo hat den Ausdruck „Kategorien-Transmutation" vorgeschlagen.

2*

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B e h a u p t u n g „JV ist (geltendes) Recht" d a r ü b e r h i n a u s v o r a u s , daß Ν b e f o l g t w e r d e n s o l l 2 5 . (3) F ü r eine e t w a s k l e i n e r e Klasse v o n Personen (nicht f ü r k o n s e q u e n t e Rechtspositivisten!) setzt das „ r e c h t l i c h e Soll e n " schließlich e i n e n A n s p r u c h a u f R e c h t f e r t i g u n g s f ä h i g k e i t 2 6 v o m S t a n d p u n k t des Rechts a u s 2 7 v o r a u s . Dies schließt w e d e r e i n persönliches A k z e p t i e r e n des „ r e c h t l i c h e n Sollens" noch eine b e s t i m m t e R e c h t f e r t i g u n g des Rechts e i n ; es b e d e u t e t l e d i g l i c h , daß p r o f u n d e G r ü n d e f ü r die K o n k l u s i o n , daß das (geltende) Recht b e f o l g t w e r d e n soll, e r w a r t e t w e r d e n . 4.3.2. D i e G r u n d n o r m D e r G e b r a u c h des A u s d r u c k s „(geltendes) R e c h t " , w i e er b e i v i e l e n Personen a n g e t r o f f e n w i r d , setzt, k u r z gesprochen, die folgende F o l g e r u n g s r e g e l v o r a u s : W e n n einige K r i t e r i e n e r f ü l l t sind, d a n n s o l l die N o r m Ν v o m S t a n d p u n k t des Rechts aus b e f o l g t w e r d e n 2 8 . Diese F o l g e r u n g s r e g e l k a n n als „Grundnorm" bezeichnet w e r d e n 2 9 .

25 Vgl. H. Marantz, Can the Obligation People Have to Obey the L a w be Justified? Papier Nr. 097, Weltkongreß für Rechts- u n d Sozialphilosophie, Basel 1979. Vgl. ferner W. Lang, Obowiazywanie prawa, Warszawa 1962, passim. 26 Vgl. A . Peczenik, O n the Nature and Function of the Grundnorm, RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1981), S. 279 - 296, 284 ff. 27 Vgl. J. Raz, Legal V a l i d i t y , ARSP 63 (1977), S. 346 ff. Vgl. ferner A . Peczenik, Grundnorm, S. 284 - 287. 28 Vgl. A . Peczenik, Grundnorm, S. 287 f. 29 Ich habe m e i n Papier über die Grundnorm immer wieder umgeschrieben. Meine Idee war, Kelsen gerecht zu werden, dessen Grundnorm eine kategorische, nicht-konditionale N o r m ist. Die konditionale Transformationsregel „ W e n n bestimmte K r i t e r i e n erfüllt sind, dann soll Ν befolgt werden . . w a r deshalb als m i t der G r u n d n o r m nicht identisch aufzufassen; sie rechtfertigte die kategorische G r u n d n o r m „N soll befolgt werden . . . " . RA hat die Theorie vereinfacht (AP). Unsere vorliegende Theorie unterscheidet sich v o n der Kelsens auf zwei Weisen: (1) Unsere Grundnorm ist konditional. Sie enthält eine Wenn-Klausel, die drei Bedingungen für das „rechtliche Sollen" formuliert: (a) einige Tatsachen und/oder Werte; (b) den Standpunkt des Rechts; u n d (c) untermauernde Gründe. (Es macht keinen großen Unterschied, ob die untermauernden Gründe i n die Wenn-Klausel eingefügt werden, oder ob ihnen ein Platz außerhalb der Grundnorm als deren externe Bedingung zugewiesen w i r d ; vgl. die Formulierung i m Text u n d Stegmüllers These i n Fn. 23.) (2) Kelsens Grundnorm ist nicht-konditional formuliert, aber sie setzt eine externe Bedingung voraus: die „ W i r k s a m k e i t " der Rechtsordnung. Unsere G r u n d n o r m ist umfassender: „ W i r k s a m k e i t " ist eine v o n vielen T a t sachen, auf die die Wenn-Klausel unserer Grundnorm Bezug nehmen kann. H i n z u kommt, daß w i r , obwohl w i r die Bedeutung der Kelsenschen Theorie über die hierarchische S t r u k t u r des Rechts anerkennen (den Stufenbau), unsere Theorie auch dann aufrecht erhalten können, w e n n diese Hierarchie nicht perfekt ist. Kelsen hat angenommen, daß es i n jeder Rechtsordnung n u r eine Grundnorm gibt, w i r machen eine solche Annahme nicht.

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Aus Gründen, die weiter unten dargelegt werden, wollen w i r unsere Fragestellung für eine Weile einschränken: statt von „der Norm IV" wollen w i r nur von der Verfassung sprechen. Es gibt dann, unter anderem, folgende Formulierungen der Grundnorm, die von verschiedenen Personen vorausgesetzt werden: 1. Eine rechtspositivistische Formulierung: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F n, existiert, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden 3 0 . 2. Eine naturrechtliche Formulierung: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F n, existiert, und wenn bestimmte evaluative und/ oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden. Die letzte Formulierung scheint einem wichtigen Teil der normalen Sprache der Juristen wie der Laien recht nahe zu kommen, vorausgesetzt, sie wird, was die Werte betrifft, auf eine schwache Weise 31 interpretiert: Die i m K r i t e r i u m für das Recht enthaltene Liste der Werte ist somit offen; einige sind klar bestimmt, einige nur vage angedeutet und für andere w i r d ein Platz freigehalten. (Außerdem können dieselben Personen i n einigen Zusammenhängen die rechtspositivistische Formulierung verwenden.) Eine etwas kleinere Gruppe von Personen setzt bezüglich der Werte i m K r i t e r i u m für das „rechtliche Sollen" mehr voraus; viele Personen setzten ζ. B. voraus, daß diese Werte überwiegend negativ sind 3 2 : Die Nicht-Verletzung von Leben, Freiheit, Eigentum usw. Sogar die sozialen Tatsachen, auf die sich die Kriterien beziehen, sind institutioneller A r t , d. h. mit Werten beladen 33 , und das Resultat vieler Transformationen. W i r wollen uns für einen Augenblick der Frage zuwenden, auf welche Tatsachen sich die oben erwähnten Kriterien des Rechts beziehen. E i n normatives System ist (geltendes) Recht — das vom Standpunkt des 30 Dies entspricht Kelsens Auffassung v o n der Grundnorm. Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., W i e n 1960, S. 203 - 204. Vgl. ferner die Nachweise bei A . Peczenik, Grundnorm, insbes. A n m . 3 u n d 8. Vgl. auch St. L. Paulson, Material and Formal Authorisation i n Kelsen's Pure Theory, in: Cambridge L a w Journal 39 (1980), S. 172 ff. Vgl. A . Peczenik, Grundnorm, S. 287 f. 32 Der letzte Satz ist v o n RA (AP). 33 Vgl. die L i t e r a t u r über institutionelle Tatsachen, insbesondere die folgenden Arbeiten: G. E. M. Anscombe, O n B r u t e Facts, in: Analysis 18 (1958), S. 69 - 72; J. R. Searle, Speech Acts, Cambridge 1969, S. 50 - 53; Ν. MacCor mick, L a w as Institutional Fact, Edinburgh 1973; Ο. Weinberger, Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen, i n : Sozialphilosophie als A u f k l ä r u n g , Festschrift für Ernst Topitsch, Tübingen 1979, S. 173 - 187.

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Rechts aus befolgt werden soll —, wenn einige evaluative (bzw. normative) Kriterien erfüllt sind, vgl. oben, und wenn viele der folgenden Tatsachen vorliegen 3 4 : Das fragliche normative System w i r d i m großen und ganzen als eine effektive Normenordnung angewandt. Es regelt die Tätigkeit des Staates; der Staat ist die oberste machtausübende Organisation auf einem bestimmten Territorium. Es erfaßt die Gesellschaft als ganze m i t allen ihren Aspekten. Gemäß seines Inhalts beansprucht es, das oberste Normensystem i n der Gesellschaft zu sein, und es beansprucht das ausschließliche Recht auf die Ausübung physischer Gewalt auf seinem Territorium. Es w i r d regelmäßig durch berufsmäßig tätige Juristen, die recht technische und entwickelte Methoden und Doktrinen benutzen, interpretiert. Es ist eine „dynamische" Normenhiearchie, i n der Normen höheren Ranges die zulässige Weise der Statuierung von Normen niederen Ranges festlegen. Des weiteren besitzt es Eigenschaften wie ein relativ hohes Maß an Institutionalisierung, Festigkeit, Präzision (verglichen ζ . B. m i t moralischen Systemen), A l l gemeinheit, Dauer 3 5 usw. Schließlich veranlaßt es die Menschen, spezielle Einstellungen i h m gegenüber zu entwickeln, unter anderem die, seine Autorität anzuerkennen usw. Es gibt eine Familie solcher Tatsachen und entsprechender Kriterien. Einem einzelnen K r i t e r i u m zu folgen ist ein Sprachspiel i n W i t t gensteins Sinn, d. h. ein „deliberately simplified linguistic model, w h i d i reveals the manner i n which language functions in certain situations"**. Die Praxis des Übergangs von dieser Familie von Tatsachen zum „rechtlichen Sollen" schließlich ist selbst eine soziale Tatsache, wenn auch eine solche höherer Stufe. Das „Sollen" der Kriterien wie das der Tatsachen ist anderer A r t als das „Sollen" der Konklusion: moralisch, politisch, unspezifisch auf das „Gute" bezogen, aber nicht rechtlich 3 7 ' 3 Θ . 34 Vgl. A . Peczenik, Juridikens metodproblem, S. 44 ff.; ders., The Concept „ V a l i d L a w " , i n : Scandinavian Studies i n L a w 16 (1972), S. 211 ff. I n diesem Zusammenhang bedeutsame Fragen werden eingehend behandelt i n : ders., The Basis of Legal Justification, erscheint 1982. 35 Vgl. V. Blacks Bericht auf dem I I . Internationalen Kongreß über Rechtswissenschaft, Amsterdam, September 1980. V. Black spricht auch v o n der Erzwingbarkeit u n d dem I n h a l t . 3β A . Aarnio, O n Legal Reasoning, S. 47. Z u r Vielfalt der Sprachspiele vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, i n : ders., Schriften, Bd. 1, F r a n k f u r t / M . 1969, S. 279 ff., N r . 23; sowie ders., The Blue and B r o w n Books, New York/Hagerstown/San Francisco/London 1958, S. 81, über „discrete and more or less clear-cut language games". a? Vgl. A . Peczenik, Grundnorm. S. 284 - 290. 38 I m übrigen dürften die „Werte i n den Tatsachen" zu dunkel sein, u m klare Normen zu implizieren.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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Die Folgerungsregel (die Grundnorm) „Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen und Werte existiert, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden" kann durch stützende Gründe („underpinning reasons") 39 weiter gerechtfertigt werden: durch stützende Gründe für den Schritt von den Kriterien zu dem „rechtlichen Sollen" 4 0 . Diese Gründe können evaluativer A r t sein, also wiederum das „nicht-rechtliche Sollen" betreffen. (Es liegt nahe, einige Werte den Kriterien und andere den stützenden Gründen zuzuordnen 41 . Einige Gründe lassen sich auch dann anführen, wenn sich unter den Kriterien keine Werte finden, vgl. die oben angeführte positivistische Formulierung.) W i r können nunmehr eine vollständigere Formulierung der Grundnorm vornehmen. A u f der Grundlage der stützenden Gründe, Ui, . . . , U m, ist die folgende Regel gültig: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F n, existiert, und wenn einige evaluative und/oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden. Kurz und schematisch: stützende Gründe ; Tatsachen & Werte

rechtliches Sollen

Die dargelegte Folgerungsregel — die Grundnorm — ist eine Transformationsregel 42 . Sie regelt einen Aspekt der Transformation ins Recht, die Kategorien-Transformation. Die Konklusion „Die Verfassung soll vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden" ist keine logische Folge der Prämisse „Es existieren einige soziale Tatsachen und nicht-rechtliche Werte". (Noch weniger ist sie eine Folge der positivistischen Prämisse „Es existieren einige soziale Tatsachen".) Einige Personen halten die Konklusion für notwendig, einige weisen sie zurück, einige t u n je nach den Umständen mal das eine, mal das andere. Es findet ein „Sprung" von einem „Sein" und dem nicht-rechtlichen „Sollen" zum rechtlichen „Sollen" statt. Die Transformationsregel — die Grundnorm —, die dieser Transformation entspricht, kann entweder etabliert sein (sozial existieren) oder 39 Vgl. Ν. MacCormick, Legal Reasoning and Legal Theory, Oxford 1978, S. 62 - 65, 138 - 140, 240 - 248 u n d 275 - 292. 40 RA hat darauf hingewiesen, daß diese Möglichkeit unsere Theorie m i t der Neil MacCormicks verbindet. 41 V o m Standpunkt der Logik aus k a n n ein untermauernder G r u n d stets m i t i n die Folgerungsregel aufgenommen u n d diese als Prämisse behandelt werden; vgl. oben A n m . 15 a. E. 42 Vgl. A . Peczenik, Grundnorm, S. 284 - 287.

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ad hoc konstruiert sein. Sie kann verschiedene Generalitätsgrade aufweisen und mehr oder weniger präzise sein. Die Zahl der Rechtsnormen, für die eine Kategorien-Transformation zu vollziehen ist, hängt vom jeweiligen Rechtssystem ab. Wenn seine Normenhierarchie (sein Stufenbau) vollkommen ist, ist nur eine Kategorien-Transformation erforderlich: von einer Anzahl sozialer Tatsachen und nicht-rechtlicher Werte zu der Konklusion, daß die Verfassung vom Standpunkt 'des Rechts aus befolgt werden soll. Alles übrige, was über das „rechtliche Sollen" gesagt werden kann, kann aus einer Klasse von Prämissen, von denen eine eine Rechtsnorm ist, — deduktiv oder i m Wege eines „Sprunges" — abgeleitet werden. Gesetze — und i m Common Law Präjudizien — drücken daher deshalb ein „rechtliches Sollen" aus, weil sie gemäß der Verfassung erlassen oder geschaffen wurden; richterliche Entscheidungen drücken ein „rechtliches Sollen" aus, weil sie bestimmte i n Gesetzen niedergelegte Bedingungen erfüllen. Die Hierarchie kann jedoch auch unvollkommen sein, ζ . B. dann, wenn man zuläßt, daß eine Entscheidung ohne verfassungsmäßige Ermächtigung das „rechtliche Sollen" hervorbringen kann 4 3 . Dann sind mehrere Kategorien-Transformationen erforderlich, von denen jede einer eigenen Grundnorm entspricht 44 . Damit kommen w i r zu der allgemeinsten Formulierung der Grundnorm. A u f der Grundlage der stützenden Gründe, U±, ..., U m, ist die folgende Regel gültig: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F n, existiert, und wenn einige evaluative und/oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann soll die Norm Ν vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden. 4.4. Die Kriterien-Transformation Die Dann-Klausel der Grundnorm „ . . . dann soll die Norm Ν vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden" kann auch auf eine andere Weise formuliert werden. Man betrachte die folgende Formulierung: Wenn die stützenden Gründe gegeben sind, und wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F n, existiert, und wenn einige evaluative und/oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann ist die Norm Ν eine Quelle des (geltenden) Rechts. INF s Eigenschaft, eine Quelle des (geltenden) Rechts (eine Rechtsquelle) zu sein, setzt voraus, daß Ν vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden soll. Insofern sind die Soll-Formulierung und die QuellenFormulierung der Grundnorm zwei Seiten derselben Sache. 43 44

Vgl. A . Peczenik, Non-equivalent Transformations, S. 50 ff. (167 ff.). Vgl. A . Peczenik, Grundnorm, S. 291 f.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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(Auf der anderen Seite sollen, wie weiter unten dargelegt werden wird, nicht nur Rechtsquellen, sondern auch Normen, die sich aus ihrer Interpretation ergeben, vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden.) Auch wenn die Sollens-Implikation des Ausdrucks „(geltendes) Recht" außer acht gelassen wird, bleibt das Problem der Identifikation der Rechtsquellen. Welche Kriterien für ihre Identifikation existieren tatsächlich 45 ? (Mit anderen Worten: Was w i r d tatsächlich als Rechtsquelle identifiziert? Was w i r d als Quelle geltenden Rechts bezeichnet?) Die Identifikation derjenigen Rechtsquellen, die rangmäßig unter der Verfassung stehen, w i r d weiter unten diskutiert werden. Die Identifikation der Verfassung als (geltendes) Recht geschieht zum Teil nach einigen Kriterien externer Geltung, die zwischen dem (geltenden) Recht als einem Ganzen — zu dem diese Verfassung gehört — und anderen effektiven Normensystemen wie dem der Mafia unterscheiden. Diese Kriterien sind komplexer A r t . Es ist wichtig anzumerken, daß auch i m vorliegenden Kontext, i n dem das „rechtliche Sollen" außer acht gelassen wird, die Kriterien der rechtlichen Geltung, so wie sie von vielen angewandt werden, teilweise wertend sind und so Raum für eine Transformation lassen. Was die Wertbeladenheit anbelangt, so kann hinzugefügt werden, daß viele Personen evaluative Identitätskriterien für das Recht neben den oben erwähnten faktischen Kriterien verwenden. Ein normatives System kann nur dann (geltendes) Recht sein, wenn es den oben erwähnten Werten auf eine relevante Weise Rechnung trägt. Es sollen einige weitere Überlegungen zur Frage der Transformationen angestellt werden. Die beiden A r t e n von Kriterien, die faktischen und die evaluativen, sind häufig miteinander verwoben, so etwa dann, wenn a behauptet, daß X (geltendes) Recht ist, weil X w i r k sam ist und dem Wert der Gerechtigkeit dient 4 6 . Diese Kombination führt über eine Kette von Operationen zu der Konklusion, daß die Verfassung rechtlich gilt. Rechtliche Geltung ist freilich weder mit irgendeiner Kombination der zugrundeliegenden Tatsachen und nicht-recht45 Vgl. H. L. A . Hart, The Concept of Law, Oxford 1961, S. 97 ff.: „the rule of recognition". 46 Bei den i m Text angestellten Überlegungen über die K r i t e r i e n für geltendes Recht geht es i n erster L i n i e darum, den bestehenden Sprachgebrauch zu beschreiben, u n d nicht darum, irgendwelche Vorschläge zu machen. Die Beschreibung hat freilich idealisierenden Charakter; sie stellt ein Modell dar. Eine vollständige Beschreibung würde, w e n n sie überhaupt möglich sein sollte, außerordentlich komplex sein. (Nur die Wiederholung a l l dessen, was über das Recht gesagt w i r d , w ü r d e eine vollständige Beschreibung sein.)

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liehen Werte identisch noch w i r d sie durch sie impliziert. Man vollzieht eine Kriterien-Transformation: einen „Sprung" von sozialen Tatsachen und nicht-rechtlichen Werten zu der Konklusion, daß die Verfassung eine Quelle des (geltenden) Rechts ist 4 7 . Bei der Identifikation von (geltendem) Recht nach den Kriterien stößt man früher oder später auf unklare Fälle und muß eine Entscheidung darüber fällen, ob eine Norm i m Grenzbereich (geltendes) Recht ist 4 8 . Diese Entscheidung schließt sowohl eine kognitive als auch eine volitive Bindung an die gewählten Kriterien ein 4 9 . I n gewissem Umfang folgt sie etablierten Transformationsregeln; i n gewissem Umfang geht sie über sie hinaus. Es gibt nur eine Transformation ins Recht; die Kategorien-Transformation und die Kriterien-Transformation sind sozusagen i n ihr, sie sind ihre zwei Seiten, zwei Aspekte, deren Unterscheidung ein analytisches Mittel ist, das dem folgenden Zweck dient: Wenn w i r über die Kategorien-Transformation sprechen, heben w i r den nicht-analytischen Charakter des Schrittes von den Kriterien des Rechts zu der Konklusion, daß das Recht vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden soll, hervor. Wenn w i r über die Kriterien-Transformation sprechen, „vergessen" w i r das „rechtliche Sollen", haben aber immer noch einen nicht-analytischen Schritt hervorzuheben: den Schritt von den unvollständigen Kriterien des Rechts zu der Konklusion, daß Ν geltendes Recht ist. Der letzte Schritt muß selbst von solchen „Rechtsrealisten" vorgenommen werden, die sagen (in einer Metasprache und vom externen Standpunkt aus) 50 , daß es kein „rechtliches Sollen" gibt, und daß geltendes Recht nichts anderes als das ist, was als geltendes Recht bezeichnet w i r d 5 1 . Da nicht einmal sie wissen, was i n allen Situationen „geltendes Recht" genannt wird, müssen sie entweder i m Wege eines „Sprungs" entscheiden, was so zu nennen ist, oder das schwere Leben eines Juristen führen, der 47 j . Raz, The Concept of a Legal System, Oxford 1970, S. 105, hat die Identifikation als geltend auf die (Austinsche) „basic (legislative) power", die der ersten Verfassung ihre A u t o r i t ä t gibt, gestützt. Nach unserer Auffassung ist eine Kriterien-Transformation erforderlich, u m diese „basic power" zu identifizieren. 48 Vgl. H. L. A . Hart, The Concept of Law, S. 144 ff., u n d N. MacCormick, Legal Reasoning, S. 138. A n dieser Stelle k a n n der u n t e n i m Abschnitt I I I behandelte Begriff der Lebensform erwähnt werden. Es gibt so etwas w i e die Basis u n d die Grenzen der Entscheidung. 40 Vgl. N. MacCormick, Legal Reasoning, S. 62 - 65, 138 - 140, 240 - 241 und 275 ff. 50 U m i n einer Objektsprache u n d v o m internen Standpunkt aus über geltendes Recht sprechen zu können, müssen w i r ein „rechtliches Sollen" annehmen; ohne diese Annahme ist der Begriff des geltenden Rechts i n der Objektsprache undefinierbar, suspekt u n d zu vermeiden. Vgl. K. Olivecrona, L a w as Fact, 2. Aufl., London 1971, S. 112 - 113. Dies ist der Grund, weshalb „Rechtsrealisten" so oft i n der Metasprache sprechen. 51 Vgl. T. Strömberg, I n l e d i n g t i l i den allmänna rättsläran, 7. Aufl., L u n d 1978, S. 44.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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nicht weiß, was geltendes Recht ist. Die Unterscheidung zwischen Kategorien- und Kriterien-Transformation zeigt somit, wie unausweichlich der „Sprung" ins Recht ist. 5. Die Transformation innerhalb des Redits 5.1. Der Begriff

der Transformation

innerhalb des Rechts

Die Transformation ins Recht, d.h. die Kategorien-Transformation und die Kriterien-Transformation, die ausschließlich auf nicht-rechtlichen Prämissen beruht, verleiht rechtliche Geltung (einschließlich der Eigenschaft des „rechtlichen Sollens") einem Normensystem als ganzen, seiner Verfassung und möglicherweise einigen anderen Rechtsquellen: diese Quellen können unabhängig von der Verfassung gelten, aber natürlich kann die Verfassung ihre Geltung beseitigen. U m den Rechtsquellen niederen Ranges und konkreten Entscheidungen (konkreten Aussagen, die das „rechtliche Sollen" ausdrücken) 52 Geltung zu verleihen, ist jedoch eine zweite Transformation, die Transformation innerhalb des Rechts, erforderlich. Transformationen innerhalb des Rechts treten auf, wenn aus einer Klasse von Prämissen, von denen mindestens eine (geltendes) Recht ausdrückt oder erwähnt, eine Konklusion über geltendes Recht i m Wege einer Transformation abgeleitet wird. 5.2. Ein Modell der Transformationen

innerhalb des Rechts

W i r können somit das folgende einfache Modell der rechtlichen Transformationen formulieren: Ρ Τι q T 2 r ρ

= Tatsachen und nicht-rechtliche Werte;

Ti = die Transformation ins Recht; q

= die rechtliche Geltung eines Normensystems als Ganzen, seiner Verfassung und möglicherweise auch einiger unabhängiger Rechtsquellen;

Ts = die Transformation innerhalb des Rechts; r

= die rechtliche Geltung anderer Rechtsquellen, nicht geschriebener (geltender) Rechtsregeln und Rechtsprinzipien und konkreter Aussagen, die das „rechtliche Sollen" ausdrücken.

52 Vgl. hierzu K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 2. Aufl., Heidelberg 1963, S. 5: „konkrete(s) juristische(s) Sollensurteil".

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Es gibt viele Arten von Transformationen innerhalb des Rechts. W i r wollen nur drei diskutieren: die Rechtsquellen-Transformation, die Rechtsnorm-Transformation und die Entscheidungs-Transformation. Bevor diese Ausdrücke erläutert werden, wollen w i r ein etwas komplexeres Modell der rechtlichen Transformationen präsentieren: Tatsachen und nichtrechtliche Werte (und/ oder nichtrechtliche Normen)

( \ w

τ

(

^

Θ

)

τ

S ί ι V V

Verfassung u n d einige unabhängige Rechtsquellen

λ /

^

Rechtsregeln u n d Rechtsprinzipien

1

\

T>

'

τ

, 7

1

)

Ν λ ) /

andere Rechtsquellen

Entscheidungen

Erläuterung:

Transformation ins Recht

Transformation innerhalb des Rechts

| T i == Kategorien-Transformation I t ;

= - Kriterien-Transformation

1*2 =

Rechtsquellen-Transformation

Tg =

Rechtsnorm-Transformation

Tg =

Entscheidungs-Transformation

5.3. Die Rechtsquellen-Transformation

l\

Einige Rechtsquellen, die „primär" genannt werden können, können im Wege eines Argumentationsprozesses, i n dem keine anderen Rechtsquellen eine Rolle spielen, identifiziert und mit dem „rechtlichen Sollen" versehen werden. Die meisten Rechtsquellen sind jedoch von einem argumentativen Standpunkt aus sekundär, d. h. sie können nur i m Wege einer Argumentation, i n der andere Rechtsquellen eine Rolle spielen, identifiziert und mit dem „rechtlichen Sollen" versehen werden. Der Schritt von den primären zu den sekundären Rechtsquellen ist oft eine Transformation; w i r wollen diese Transformation die „Rechtsquellen-Transformation" nennen: Die Aussage über die rechtliche Geltung der sekundären Rechtsquellen folgt nicht logisch aus den primären Rechtsquellen 53 . 53

J. W. Harris , L a w and Legal Science, Oxford 1979, S. 79: „No rule w i t h the complexity necessary to provide criteria of i d e n t i t y for all inferior rules can be seen to exist as part of the social practices of officials."

Grundlagen der juristischen Argumentation

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Verschiedene Rechtsordnungen sind, was das System ihrer Rechtsquellen betrifft, recht ähnlich. Es kann deshalb ein Modell des Systems der Rechtsquellen, das ganz universell auf moderne Rechtsordnungen anwendbar ist, erarbeitet werden. Es sagt, was bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen verwendet werden muß, soll und darf 5 4 . Die Gesetze und i m Common Law die Präjudizien müssen bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen verwendet werden. Dies sagt nichts anderes, als daß sie i n einem formellen Sinne „bindend" sind. W i r wollen keine Explikation der Ausdrücke „müssen" und „bindend" geben 55 ; es reicht aus, auf den gleichbleibenden Gebrauch des zweiten Ausdrucks i n modernen Rechtsordnungen zu verweisen. Die meisten Gesetze und Präjudizien sind sekundäre Rechtsquellen, die i m Wege einer Argumentation, die eine Bezugnahme auf die Verfassung einschließt, identifiziert und mit dem „rechtlichen Sollen" versehen werden. Einige andere Quellen, ζ . B. Präjudizien i m kontinentalen Recht (in Schweden auch die Gesetzgebungsmaterialien), sind nicht i n einem formellen Sinne bindend, aber sie sollen dennoch bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen benutzt werden. Diese Rechtfertigung w i r d stets geschwächt, wenn sie außer acht gelassen werden. Wieder andere Quellen, ζ . B. juristische Lehrbücher, ausländische Fälle usw., dürfen bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen verwendet werden. Dies bedeutet, daß ihr Gebrauch weder verboten noch für die professionelle Reputation der Person, die sie benutzt, schädlich ist. Es ist allerdings schwierig, sie positiv zu charakterisieren: Manchmal w i r d eine Rechtfertigung geschwächt, wenn sie außer acht gelassen werden, manchmal nicht. Die Liste dieser Quellen ist offen. Es ist leichter zu sagen, welche Quellen bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen nicht benutzt werden dürfen. Die „Soll-Quellen" und die „Darf-Quellen" sind sekundärer A r t . Sie werden i m Wege einer komplexen Argumentation, die auf andere Quellen Bezug nimmt, identifiziert und mit dem „rechtlichen Sollen" 54 Vgl. A . Peczenik, Juridikens metodproblem, S. 48 ff.; ders., The Structure of a Legal System, in: RECHTSTHEORIE 6 (1975), S. 7 ff. Vgl. ferner Harts Unterscheidung zwischen „permissive" u n d „mandatory legal sources", H. L. A . Hart, The Concept of Law, S. 246 f. ss A . Peczenik, a.a.O., hat zwei Explikationen gegeben: die Pflicht, die Gesetze zu befolgen, ist s t r i k t ; die Nichterfüllung dieser Pflicht k a n n zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Diese f ü r das schwedische Recht i m Jahr 1974 adäquaten Explikationen sind jedoch zu stark, u m auf die Mehrzahl der modernen Rechtssysteme anwendbar zu sein.

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versehen. W i r wollen ein stark vereinfachtes Beispiel für eine solche Argumentation geben: Warum dürfen Lehrbücher bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen benutzt werden? Weil die Praxis der Gerichte dies erkennen läßt. Aber warum sollen w i r der Praxis der Gerichte folgen? Nicht nur, weil sie i n der juristischen Gemeinschaft vorherrschend ist, sondern auch, weil die Verfassung ihr eine gewisse Stellung einräumt, die uns zwingt, sie ernst zu nehmen. Die Qualifikation als „Muß-", „Soll-" oder „Darf-Quelle" bedeutet nicht, daß die „Muß-Quelle" stets den anderen Quellen vorgeht 5 6 . Prima facie , als Ausgangspunkt für eine weitere juristische Argumentation, kann gesagt werden, daß es eine Hierarchie des Gewichts gibt: „Muß-Quellen" gehen „Soll-Quellen", und diese gehen „Darf-Quellen" vor. Diese prima facie- Hierarchie ist freilich einer Überprüfung durch die gesamte juristische Argumentation i m zu entscheidenden Fall ausgesetzt, und sie kann i n i h m aufgegeben werden. 5.4. Die Rechtsnorm-Transformation

1\

Eine weitere Transformation innerhalb des Rechts ist die Rechtsnorm-Transformation von den Quellen des Rechts zu ungeschriebenen (geltenden) Rechtsregeln und Rechtsprinzipien. Diese Transformation findet u. a. dann statt, wenn Gesetze ausgelegt und präjudizielle Regeln identifiziert werden. Keine dieser Tätigkeiten erschöpft sich i n einer Deduktion aus den Rechtsquellen; ideshalb schließen sie eine Transformation ein 0 7 . Die Rechtsnorm-Transformation ebenso wie die Entscheidungs-Transformation (vgl. 1.5.5.) kann von einer Aussage, die einen technischen Ausdruck wie „subjektives Recht" enthält, zu einer Aussage führen, die i h n nicht enthält, und umgekehrt. Das Problem, ob (und wann) ein solcher Schritt deduktiv sein kann, soll i n der vorliegenden Arbeit nicht diskutiert werden 5 8 . Es reicht aus zu sagen, daß dies oft nicht der Fall ist. 5.5. Die Entscheidungs-Transformation

Tjj

Die Entscheidung vieler Fälle folgt nicht logisch aus den Formulierungen der Gesetze oder/und anderer Rechtsquellen oder/und schon se A u f der anderen Seite können Gründe, die ausreichen, eine „SollQuelle" zurückzudrängen, nicht stark genug sein, u m eine „Muß-Quelle" zurückzudrängen; hierfür können stärkere Gründe erforderlich sein. Vgl. A . Peczenik, Juridikens metodproblem, S. 49. 67 Die Deduktion ist aber ein T e i l v o n ihnen; vgl. N. MacCormick, Legal Reasoning, S. 19 ff. 58 Vgl. aber A . Peczenik, Non-equivalent Transformations, S. 32 ff. (169 ff.) m. w. N.

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etablierter ungeschriebener Regeln und Prinzipien zusammen mit einer Beschreibung des Falls. I n diesen Fällen muß der Jurist die Entscheidung wählen, die er vom Standpunkt des Rechts aus für die beste hält 5 9 . Er muß eine Transformation weiterer A r t vollziehen, die „Entscheidungs-Transformation" genannt werden soll; d. h. er „springt" zu der Entscheidung, einem konkreten rechtlichen Sollensurteil, das das „rechtliche Sollen" ausdrückt oder impliziert. Es gibt sehr unterschiedliche A r t e n von Entscheidungs-Transformationen. Nach der oben gegebenen Beschreibung haben alle Entscheidungs-Transformationen eines gemeinsam: Die Entscheidung des konkreten Falls kann nicht aus — grob gesprochen — bereits etabliertem rechtlichen Material deduziert werden. Eine Transformation ist genau dann eine Entscheidungs-Transformation, wenn sie (i) ein konkretes rechtliches Sollensurteil zum Ergebnis hat, und wenn (ii) dieses Urteil nicht logisch allein aus bereits etabliertem rechtlichen Material zusammen mit einer Beschreibung des Falles folgt. Dieser Begriff der Entscheidungs-Transformation ist sehr weit und schließt sehr verschiedene Dinge ein. Er bereitet auch einige Probleme. Bei ihrer Erörterung soll folgende Klassifikation benutzt werden: (i) Präzisierung, (ii) Reduktion und Elimination, (iii) Erzeugung einer neuen Norm und (iv) Auflösung einer Kollision 6 0 . Es ist zweckmäßig, i m weiteren von folgender allgemeinen Form einer Rechtsnorm auszugehen: (x) (Tx ORx) 61. Eine Präzisierung w i r d erforderlich, wenn (x) (Tx ORx) zwar bereits — etwa i m Weg von T2 oder T2 — etabliert ist, aber nicht klar ist, ob diese Norm auf den zu entscheidenden Fall anwendbar ist, d. h. nicht klar ist, ob eine Person, eine Handlung oder eine Situation a unter Τ fällt oder nicht 0 2 . Dies kann daran liegen, daß Τ entweder vage oder mehrdeutig oder evase Die beste Entscheidung f ü r den einen Juristen muß jedoch nicht die beste für den anderen sein. Auch ist das, was f ü r jemanden heute die beste Entscheidung ist, nicht notwendig auch morgen f ü r i h n die beste Entscheidung. Dies ist eine relativistischere Position als etwa die, die D w o r k i n vert r i t t (vgl. R. Dworkin , T a k i n g Rights Seriously, Oxford 1977, S. 81, 279 - 290, bes. S. 286 - 287). Unsere Position, die, obwohl sie am Begriff der Richtigkeit (im Sinne v o n Rechtfertigungsfähigkeit) orientiert ist, ein gewisses Maß an Relativismus zuläßt, w i r d ausführlich i n den Abschnitten I I u n d I I I dargestellt werden. 60 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 17 f. 61 Z u dieser Formalisierung vgl. R. Alexy, Die logische Analyse juristischer Entscheidungen, i n : A R S P Beiheft N. F. 14 (1980), S. 187 ff. 62 V o m Problem der Präzisierung der Rechtsfolge soll hier abgesehen w e r den. Vgl. hierzu J. Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, Berlin/Heidelberg/New Y o r k 1973, S. 174 ff.; J. Wróblewski, Legal Syllogism and Rationality of Judical Decision, RECHTSTHEORIE 5 (1974), S. 44 ff.

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l u a t i v o f f e n i s t 6 3 . I n F ä l l e n w i e diesen ist aus G r ü n d e n , die w e i t e r u n t e n a u s g e f ü h r t w e r d e n s o l l e n 6 4 , die A n g a b e v o n e i n e r oder m e h r e r e n R e g e l n e r f o r d e r l i c h , die festlegen, ob a u n t e r Τ f ä l l t oder n i c h t . D i e B e s c h r e i b u n g des Falles d u r c h Sa sei n i c h t u m s t r i t t e n . E i n e p o s i t i v e F e s t l e g u n g k a n n d a n n ζ . B . d u r c h d i e b e i d e n R e g e l n (x) ( M x - * - T x ) u n d (x) (Sx Mx) erfolgen. D i e R e c h t f e r t i g u n g d e r E n t s c h e i d u n g ORa e r h ä l t auf diese Weise folgende F o r m : (1) ( x ) ( T x - > O R x ) (2) (x) {Mx

Tx)

(3) (x) (Sx

Mx)

(p2)

(4) Sa

(Pi)

(5) ORa

(q) ·65

I n solchen F ä l l e n k a n n v o n e i n e r T r a n s f o r m a t i o n v o n p i u n d z u q: Pu P s T ç , gesprochen w e r d e n . I n d e m diese T r a n s f o r m a t i o n v o l l z o g e n w i r d , w e r d e n die P r ä m i s s e n (2) u n d (3), die p i , P2 Τ g d e d u k t i v v e r v o l l ständigen, h i n z u g e f ü g t 6 6 . D i e nächsten d r e i T y p e n d e r E n t s c h e i d u n g s - T r a n s f o r m a t i o n s i n d d a d u r c h gekennzeichnet, daß n i c h t o h n e w e i t e r e s v o n e i n e r als e t a b l i e r t vorauszusetzenden N o r m als erster Prämisse e i n e r d e d u k t i v v o l l s t ä n d i g e n R e c h t f e r t i g u n g i m o b e n d a r g e s t e l l t e n S i n n e ausgegangen w e r d e n k a n n . Dies sei zunächst a n d e n F ä l l e n der z w e i t e n G r u p p e gezeigt. «3 Z u diesen Begriffen vgl. R. Alexy, Die logische Analyse juristischer E n t scheidungen, S. 190; H.-J. Koch, Uber juristisch-dogmatisches Argumentieren i m Staatsrecht, in: ders. (Hg.), Seminar: Die juristische Methode i m Staatsrecht, F r a n k f u r t / M . 1977, S. 29 ff. «4 I I . 2.4.3.1. Ausführlicher hierzu R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 273 ff.; H.-J. Koch, Das Frankfurter P r o j e k t zur juristischen Argumentation: Z u r Rehabilitation des deduktiven Begründens juristischer Entscheidungen, in: ARSP-Beiheft N. F. 14 (1980), S. 62 ff.; H. Yoshino, Z u Ansätzen der juristischen Logik, i n : I. Tammelo/H. Schreiner (Hg.), Strukturierungen u n d Entscheidungen i m Rechtsdenken, Wien/New Y o r k 1978, S. 283. 06 Es ist i n dem angeführten F a l l auch möglich, eine Transformation v o n p t zu q anzunehmen: ptT q, die durch die Regel (x) (Sx^ORx) getragen w i r d . Diese Regel folgt aus (1) - (3) des oben dargestellten Schemas u n d macht p1 Τ q deduktiv vollständig. Ganz gleich, f ü r welche Fassung der Transformat i o n m a n sich entscheidet, i n jedem F a l l w i r d das Problem der die Transformation tragenden Regeln relevant. W ä h l t m a n plf pgTqr, sind (2) u n d (3) unmittelbar zu rechtfertigen, w ä h l t m a n pt Τ q, ist erst (x) (Sx ORx) m i t H i l f e v o n (1) - (3) zu rechtfertigen u n d dann (1) - (3), was unter der Voraussetzung der Etabliertheit v o n (1) wieder auf die Rechtfertigung v o n (2) u n d (3) hinausläuft. Dies Problem w i r d i m zweiten K a p i t e l u n t e r dem Stichwort „externe Rechtfertigung" zu behandeln sein. Hier sei n u r darauf hingewiesen, daß diese weiteren Rechtfertigungen v o m Standpunkt der Transformationstheorie aus die Tiefenstruktur der Entscheidungs-Transformation plf p2 Τ q bzw. ΡχΊ q betrifft.

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Solche Fälle liegen vor, wenn kein Zweifel besteht, daß eine Norm Cχ) (Tx ORx) auf a anwendbar ist, Ta also als zutreffend angesehen wird, die Rechtsfolge ORa aber als vom Standpunkt des Rechts aus nicht akzeptabel gilt. I n dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, daß i n die Norm ein Merkmal eingefügt wird, das auf α nicht zutrifft 6 7 . Die Norm w i r d also verändert und nimmt die Gestalt (x) (Tx A Mx^ORx) oder (x) (Tx A Mx ORx) an. Dieser Fall soll Reduktion genannt werden. Eine Elimination w i r d demgegenüber erforderlich, wenn (x) (Tx ORx) als vom Standpunkt des Rechts aus i n allen Fällen nicht akzeptabel angesehen wird. Darüber, ob und wann das eine oder das andere zulässig ist, soll an dieser Stelle nichts ausgeführt werden. Es sei nur bemerkt, daß hierüber i n der juristischen Argumentation zu entscheiden ist. Hier interessiert nur die Frage, wie die Reduktion und die Elimination vom Begriff der Transformation aus zu analysieren ist. Es liegt nahe, i n beiden Fällen folgende Transformation anzunehmen: (1)

(x)(Tx->ORx)

(Pl)

(2) Ta

(p2)

(3) - ι ORa

(q) ,

d. h. pi, p2 Τ q, was ganz analog zum Fall der Präzisierung wäre. Dies wäre jedoch eine sehr grobe Form, die Dinge zu fassen. Der entscheidende Punkt, daß (1) ganz oder teilweise aufgegeben wird, würde nicht erfaßt werden. Wie sollte pi, p2 Τ q durch eine Transformationsregel deduktiv vervollständigt werden? U m diese Schwierigkeiten zu vermeiden, ist eine Aufspaltung der Entscheidungs-Transformation erforderlich. I h r erster Teil besteht entweder (i) i n der Transformation von p i zusammen m i t weiteren Gründen p j , . . . , p* zu (x) (Tx A Mx ORx) oder (x) (Tx A -. Mx ORx) oder (ii) i n der Transformation von p i zusammen m i t weiteren Grünüden p j , . . . , p* zu der Feststellung, daß (1) generell nicht anzuwenden, d. h. aus der Rechtsordnung zu eliminieren ist. Häufig folgt (ii) die Statuierung einer neuen Norm. Da auch (i) als Statuierung einer neuen Norm angesehen werden kann, entspricht beides seiner Struktur nach einer Entscheidungs-Transformation des dritten Typs, der Schaffung einer neuen Norm. Nach einem solchen ersten Teil — man nehme an, er habe zu (x) (Tx Α -ι Mx ORx) geführt — Diese Möglichkeit ist zu wählen, w e n n die Rechtsfolge i n einigen Fällen, i n denen Τ zutrifft, als akzeptabel gilt, u n d n u r i n einigen nicht, zu denen auch der F a l l a gehört. I n dieser Situation k a n n die N o r m entweder durch ein negiertes M e r k m a l , das n u r auf die Fälle zutrifft, auf die die N o r m nicht anwendbar sein soll, oder durch ein nicht negiertes M e r k m a l , das n u r auf die Fälle zutrifft, auf die die N o r m anwendbar sein soll, ergänzt werden; vgl. R. Alexy, Z u m Begriff des Rechtsprinzips, i n : RECHTSTHEORIE Beiheft 1 (1979), S. 68. 3 Krawietz/Alexy

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kann sich eine Transformation, deren Struktur der EntscheidungsTransformation des ersten Typs, der Präzisierung, entspricht, anschließen, bei der es ζ. B. u m die Präzisierung von M gehen kann 6 8 . Die Zusammenfassung dieser Teile i m Begriff eines besonderen Typs der Entscheidungs-Transformation rechtfertigt sich aus der Besonderheit der Entscheidungssituation. Diese Besonderheit besteht darin, daß der erste Teil, also etwa der Weg zu (jc) (Tx A Mx ORx) oder zu (.*) (Tx A Mx-> ORx), eine Rechtsnorm-Transformation (T^) ist, deren Durchführung notwendig ist, u m eine bestimmte Entscheidung in einem konkreten Fall zu fällen. Deshalb kann diese Transformation als Bestandteil der Entscheidungs-Transformation betrachtet werden. Der dritte Typ der Entscheidungs-Transformation, die Erzeugung einer neuen Norm, w i r d erforderlich, wenn der Rechtsanwender sich auf keine der bereits etablierten Normen unmittelbar stützen kann. Dieser Fall kann, wie oben bemerkt, auch nach einer Elimination eintreten. U m zu einer Entscheidung zu gelangen, muß, u m i m Modell zu bleiben, i n einem ersten Schritt eine Norm der Form (x) (Tx -> ORx) gewonnen und i n einem zweiten Schritt angewandt werden. Wieder ließe sich die Entscheidungs-Transformation i n zwei Transformationen aufspalten, von denen die erste i n ihrer Struktur einer RechtsnormTransformation (Tg) und die zweite einer Präzisierung entspricht 69 . Die Zusammenfassung als besonderer Typ der Entscheidungs-Transformation rechtfertigt sich auch i n diesem Fall aus der Einheit und Besonderheit der Entscheidungssituation. Gerade dieser Fall macht deutlich, wie weit der Bereich der Entscheidungs-Transformation reichen kann. Soweit er strukturell dem der Rechtsnorm-Transformation entspricht, umfaßt er Begründungsverfahren wie das der Analogie, der sog. juristischen Induktion und das der Abwägung von Zielen und Prinzipien, ein Feld, das, wie schon bemerkt, unten mit dem Begriff der externen Rechtfertigung erfaßt werden soll. Nach dem bisher Gesagten sind unter dem Gesichtspunkt der Klärung des Begriffs der Entscheidungs-Transformation zur vierten Untergruppe, der Auflösung einer Kollision, kaum noch Bemerkungen erforderlich. Normenkollisionen lassen sich i n solche zwischen Regeln, solche zwischen Prinzipien und solche zwischen Regeln und Prinzipien einteilen 7 0 . A l l e n diesen Fällen ist gemeinsam, daß eine Regel der allgemeinen Form (x) (Tx-+ ORx), die den Ausgangspunkt einer deduk68 Häufig w i r d M allerdings so gestaltet werden, daß über sein Zutreffen auf den zu entscheidenden F a l l ohne weiteres entschieden werden kann. 69 Falls eine Präzisierung dann noch erforderlich ist. 70 Z u r Unterscheidung zwischen Regeln u n d Prinzipien sowie zu den verschiedenen Kollisionstypen vgl. R. Alexy, Z u m Begriff des Rechtsprinzips, S. 63 ff.

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tiven Rechtfertigung bilden kann, noch nicht festliegt. Es ist unmöglich, hier auf die verschiedenen Formen der Kollisionen einzugehen. Es seien deshalb nur zwei typische Fälle herausgegriffen. Eine Kollision zwischen zwei Prinzipen P i und Pg kann u. a. dadurch gelöst werden, daß die Bedingungen C, unter denen P i P2 vorzuziehen ist, als Vordersatz einer Regel formuliert werden, die unter diesen Bedingungen die Rechtsfolge von F i anordnet: (x) (Tc OR^ x). U m die Entscheidung zu begründen, ist der bedingte Präferenzsatz (Pi Ρ Pg) C zu rechtfertigen und (x) (Tc x ORp 1 x), falls erforderlich, u m solche Prämissen zu ergänzen, die sicherstellen, daß ORp 1 a deduzierbar ist 7 1 . Ein typischer Fall einer Kollision zwischen zwei Regeln R1 und R2 ist etwa dann gegeben, wenn i n einem Fall R\ ORa und R2 -» ORa zur Folge hat, und die Frage lautet, welche der Regeln anzuwenden und welche aufzugeben ist. Die Lösung solcher Fälle, die als „Rechtsirrtümer" bezeichnet werden können 7 2 , kann anhand weiterer Regeln erfolgen. Die Anordnung der Rechtsquellen i n der Rangordnung: „MußQuellen"/,,Soll-Quellen"/,,Darf-Quellen" kann als ein Beispiel für solche Regeln angeführt werden. E i n anderes Beispiel ist die Ordnung der Muß-Quellen i n einem Stufenbau, ζ . B. Verfassung-Gesetz-Urteil. Weitere Beispiele sind Regeln wie „lex posterior derogat legi priori" und „lex specialis derogat legi generali". Einige Metanormen, die Rangordnungen dieser A r t ausdrücken, können unmittelbar i n Rechtsquellen enthalten sein; andere werden i m Wege einer Rechtsnorm-Transformation erzeugt; einige werden bei der Entscheidung konkreter Fälle geschaffen, modifiziert oder präzisiert. Wenn eine solche Metanorm aus Anlaß der Entscheidung eines Falls geschaffen, modifiziert oder präzisiert wird, ist die auf sie bezogene Transformation Teil der Entscheidungs-Transformation. Eine derartige Transformation kann u. a. dann erforderlich sein, wenn dargetan werden soll, daß eine bestimmte Norm niederen Ranges nicht nur dann als nichtig zu erklären ist, wenn sie unter Verstoß gegen prozedurale Regeln erzeugt wurde, sondern auch dann, wenn sie Normen widerspricht, die Anforderungen an ihren Inhalt stellen. A u f der anderen Seite kann eine Norm niederen Ranges als geltend erklärt werden, obwohl sie unter Verstoß gegen einige Normen höheren RanZ u einer genaueren Analyse der S t r u k t u r einer Entscheidung bei einer K o l l i s i o n v o n Prinzipien vgl. R. Alexy, Die logische Analyse juristischer E n t scheidungen, S. 194 ff., 203 ff. 72 Vgl. hierzu A . Merkl, J u s t i z i r r t u m u n d Rechtswahrheit, i n : H. K l e catzky/R. Marcic/H. Schambeck (Hg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Wien/Frankfurt/Zürich/Salzburg/München 1968, Bd. 1, S. 195 ff.; vgl. auch St. L. Paulson , Material and Formal Authorisation i n Kelsen's Pure Theory, in: The Cambridge L a w Journal 39 (1980), S. 172 ff. *

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ges erzeugt wurde; so kann etwa ein Urteil in Kraft sein, obwohl es i n einigen Hinsichten Gesetzen widerspricht. 5.6. Sind die Transformationen innerhalb des Rechts begrifflich notwendig? Man kann sich ein Normensystem vorstellen, i n dem es keine Transformation innerhalb des Rechts gibt, und das dennoch viele Eigenschaften hat, die es natürlich erscheinen lassen, es als „Rechtssystem" zu bezeichnen. Die Transformationen innerhalb des Rechts würden verschwinden, wenn das Rechtssystem nur aus primären Rechtsquellen, deren Geltung sich ausschließlich auf nicht-rechtliche Prämissen stützt, bestehen würde, und wenn weiterhin alle gerechtfertigten rechtlichen Entscheidungen logisch aus den Formulierungen dieser Quellen folgen würden. Wenn beides zuträfe, würde der Gebrauch des Ausdrucks „(geltendes) Recht" sich zwar ändern, dies aber nicht so sehr, wie es der Fall wäre, wenn die Idee des „rechtlichen Sollens" verschwände. Immerhin gibt es einige — wenige und einfache — Grenzfälle, die nur die Transformation ins Recht verlangen, also nur die Transformation i n eine primäre Rechtsquelle und eine unproblematische Subsumtion, jedoch keine Transformation innerhalb des Rechts, insbesondere keine schöpferische Interpretation. 6. Das epistemologische Problem der Transformationen Es stellt sich eine epistemologische Frage: Wie kann gerechtfertigtes Wissen durch all diese nicht-deduktiven Transformationen gewonnen werden; nämlich durch Transformationen von Tatsachen und nichtrechtlichen Werten zu „rechtlichem Sollen"; von vagen Kriterien für das Recht zu seiner präzisen Identifikation; von primären Rechtsquellen zu sekundären Rechtsquellen, deren Geltung nicht deduktiv aus jener der primären folgt; von den Quellen zu den Normen, die aus ihnen allein nicht folgen; und von diesen Normen zu Entscheidungen, welche logisch aus ihnen nicht folgen? I I . Die Rechtfertigung juristischer Transformation im rationalen juristischen Diskurs 1. Das Problem der Rechtfertigung juristischer Transformationen Wie können juristische Transformationen gerechtfertigt werden? Diese Frage führt von der Theorie der juristischen Transformationen zur Theorie der rationalen juristischen Argumentation.

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Die Frage nach der Rechtfertigung einer Transformation ρ Τ q kann als Frage nach der Rechtfertigung einer Transformationsregel oder mehrerer Transformationsregeln R[, ..., R l n, die ρ Τ q deduktiv vervollständigen, formuliert werden 7 3 . Das Operieren auf der Grundlage von Transformationsregeln ist oben als Operieren i m Bereich der Oberflächenstruktur der juristischen Argumentation bezeichnet worden 7 4 . Die nun zu behandelnde Rechtfertigung der Transformationsregeln bet r i f f t die Tiefenstruktur der juristischen Argumentation. 1.1. Empirische und technische Rechtfertigungen Zur Rechtfertigung von Transformationen können sehr verschiedene Argumente angeführt werden. Eine häufig verwendete Rechtfertigung besteht i n dem Hinweis auf eine bestehende Praxis, also auf die Tatsache der faktischen Geltung einer ρ Τ q deduktiv vervollständigenden Transformationsregel R\. Neben solchen empirischen Rechtfertigungen v/erden oft technische Rechtfertigungen herangezogen. Faßt man diesen Begriff weit, so fällt unter i h n eine Vielfalt von Argumentformen, die von einfachen Folgenargumenten bis zu komplexen funktionalen Begründungen reicht. Eine funktionale Rechtfertigung w i r d etwa dann versucht, wenn der Beitrag von R[ , ..., R l n zur Selbstregulierung des sozialen Systems als Ganzem hervorgehoben w i r d 7 5 . Auch wenn man von den bekannten Problemen der Erkenntnis einer existierenden Praxis, etwa dem der Identifikation der zu beschreibenden Praxis, absieht, ist die empirische Rechtfertigung aus zwei Gründen unzureichend. Ihre erste Schwäche besteht darin, daß es sich bei ihr u m einen Sonderfall eines Schlusses von einem Sein auf ein Sollen handelt. Zulässig wäre dieser Schluß nur dann, wenn man die Prämisse, daß die bestehende Praxis vernünftig ist, akzeptieren würde, also einen Satz wie den Hegels „ . . . was w i r k l i c h ist, das ist vernünftig" 7 6 wörtlich nähme. Eine solche Prämisse kann aber zumindest nicht ohne Ausnahmen gelten. Etwas kann zugleich der Fall und nicht gerechtfertigt sein. Daß eine Praxis existiert, bedeutet noch nicht, daß sie eine gerechtfertigte oder richtige Praxis ist. 73 I n Extremfällen ist die Frage nach der Rechtfertigung v o n Transformationsregeln als Frage nach der Rechtfertigung der oben geschilderten M i n i malregeln (Anm. 4) zu formulieren.

7

* 1.3.

75

N. L u h m a n n spricht i n diesem Sinne v o n „gesellschaftsadäquaten Rechtsbegriffen", vgl. N. Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, Stuttgart/ Berlin/Köln/Mainz 1974, S. 49 ff. 76 G. W. F. Hegel, G r u n d l i n i e n der Philosophie des Rechts, Werke Bd. 7, F r a n k f u r t / M . 1970, S. 24.

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A u f eine ähnliche Schwierigkeit stößt die technische Rechtfertigung. R l mag einen bestimmten Zustand, C, hervorbringen, fördern, verhindern, unwahrscheinlicher machen usw. R\ kann ferner zur Erhaltung, Stabilisierung, Ausdifferenzierung usw. eines gesellschaftlichen Systems oder Subsystems, S, beitragen. Umstände dieser A r t sind jedoch nur dann ein Grund für R\ , wenn C oder die von R\ geförderten Eigenschaften von S akzeptabel sind. Wenn dies bestritten wird, sind wie i m Fall eines Angriffs auf eine empirische Begründung weitere Argumente erforderlich. Die zweite Schwäche empirischer Rechtfertigungen besteht darin, daß der Bereich ihrer Anwendbarkeit beschränkt ist. Häufig läßt sich der existierenden Praxis eine Transformationsregel nicht eindeutig entnehmen, gelegentlich sind die existierenden Regeln widersprüchlich. A l l dies zeigt, daß empirische und technische Rechtfertigungen allein jedenfalls nicht hinreichend sind. 1.2. Rationale Rechtfertigung Die Frage, wann eine Transformation gerechtfertigt ist, zielt damit auf über die empirische und die technische Rechtfertigung hinausgehende Kriterien, die es erlauben, gute von schlechten Rechtfertigungen i m Bereich des Rechts zu unterscheiden 77 . Solche weiteren Kriterien sind denen der empirischen oder der technischen Rechtfertigung nicht i m Sinne einer ausschließenden Alternative gegenüberzustellen. Die Kriterien der empirischen und der technischen Rechtfertigung sind vielmehr Ausgangspunkte und Elemente eines Systems von Kriterien, das als Ganzes das „ K r i t e r i u m der rationalen juristischen Rechtfertigung" bildet 7 8 . Man kann versuchen, Kriterien für die Rationalität j u ristischer Rechtfertigungen einzeln zu erarbeiten, u m sie dann später zu einem System zusammenzufassen. Vorteilhafter erscheint es, von vornherein m i t der Entwicklung eines umfassenden Modells zu beginnen. Als ein solches w i r d hier die Theorie des rationalen juristischen Diskurses vorgetragen.

77 Diese Frage ist die zentrale Frage jeder nicht ausschließlich deskriptiven Theorie der juristischen Argumentation: „ A n y study of legal reasoning is therefore an attempt t o expiscate and explain the criteria as to w h a t constitutes a good or a bad, an acceptable or an unacceptable type of argument i n the l a w " ; N. MacCormick, Legal Reasoning, S. 12 f. 78 A u f die Rolle der empirischen u n d der technischen Rechtfertigung bei der Erarbeitung dieser K r i t e r i e n w i r d weiter unten einzugehen sein. Bereits hier sei jedoch bemerkt, daß es bei der Bestimmung dieser Rolle u m einen Ausschnitt der Bestimmung des Verhältnisses des Begriffs der Lebensform zum Begriff der Rationalität geht.

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2. Der rationale juristische Diskurs Ausgangspunkt der Theorie des rationalen juristischen Diskurses sind drei Thesen. Die erste besagt, daß es i n der juristischen Argumentation u m praktische Fragen geht. Die Ergebnisse der Transformationen sind Sätze, die Gebote, Verbote oder Erlaubnisse ausdrücken oder Sätze, aus denen sich solche Sätze gewinnen lassen. Die Entscheidung für oder gegen eine Transformation schließt schon deshalb immer auch eine Entscheidung für oder gegen einen normativen Satz ein. Bei der Rechtfertigung jeder Transformation geht es damit (zumindest auch) u m praktische Fragen. Die zweite These besagt, daß ein System von spezifisch juristischen Begründungsregeln, das i n jedem Fall zu genau einem Ergebnis führt, nicht existieren kann. Dies gilt für ein System von Interpretationsregeln (canones) ebenso wie für ein System von Regeln für die Abwägung von Rechtsprinzipien 79 . Daß dies so ist, liegt daran, daß die juristische Argumentation wesentlich von Wertungen abhängt, die durch spezifisch juristische Methodenregeln und Begründungsformen allein nicht kontrollierbar sind. Hieraus erhellt, daß eine Theorie der juristischen Argumentation nur dann adäquat sein kann, wenn sie der Rolle der Wertungen, die sich i n allgemeinen praktischen Argumenten ausdrücken, gerecht wird. Die dritte These besagt, daß dies nicht bedeutet, daß die juristische auf die allgemeine praktische Argumentation reduzierbar ist. Die juristische Argumentation ist vielmehr ein komplexes Gebilde, i n dem spezifisch juristische m i t allgemeinen praktischen Elementen verbunden sind. Dies eröffnet für eine Theorie der juristischen Argumentation zwei Möglichkeiten. Sie kann m i t den spezifisch juristischen Elementen anfangen und von diesen aus zu den allgemeinen praktischen Elementen vorstoßen, sie kann aber auch bei der Theorie der allgemeinen praktischen Argumentation einsetzen, u m von dieser aus zu einer Theorie der juristischen Argumentation fortzuschreiten. Die Theorie des rationalen juristischen Diskurses wählt aus Gründen der Systematik den zweiten Weg. Dabei sind für sie drei Eigenschaften kennzeichnend: (1) Die Theorie des rationalen juristischen Diskurses faßt den j u ristischen Diskurs als einen unter besonderen institutionellen Bedingungen (Bindung an Gesetz, Präjudiz und Dogmatik) stehenden ?» Ersteres ist v o n einer Vielzahl v o n A u t o r e n hervorgehoben worden, vgl. etwa M . Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl., B e r l i n 1976, S. 97 ff.; W. Krawietz, Juristische Entscheidung u n d wissenschaftliche Erkenntnis, Wien/New Y o r k 1978, S. 196 f. Die Theorie, daß m i t H i l f e v o n Prinzipien eine „soundest theory of l a w " aufgestellt werden könne, aus der sich stets genau eine richtige A n t w o r t ergebe, w i r d v o n D w o r k i n vertreten, vgl. ders., T a k i n g Rights Seriously, S. 66, 81 f. Kritisch hierzu R. Alexy, Z u m Begriff des Rechtsprinzips, S. 59 ff.

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besonderen F a l l des a l l g e m e i n e n p r a k t i s c h e n D i s k u r s e s a u f (Sonderfallthese (2) Sie ist eine a m B e g r i f f d e r p r a k t i s c h e n V e r n u n f t oder d e r p r a k tischen R a t i o n a l i t ä t o r i e n t i e r t e normativ-analytische Theorie 81. I h r Z i e l ist es, d e n m i t j u r i s t i s c h e n U r t e i l e n e r h o b e n e n A n s p r u c h , r a t i o n a l oder v e r n ü n f t i g b e g r ü n d b a r z u sein, z u e x p l i z i e r e n u n d K r i t e r i e n f ü r die R a t i o n a l i t ä t j u r i s t i s c h e r B e g r ü n d u n g e n anzugeben. (3) Dies geschieht i m R a h m e n eines b e s t i m m t e n T h e o r i e t y p s , u n d z w a r i m R a h m e n e i n e r prozeduralen Theorie* 2. I m f o l g e n d e n s o l l zunächst der B e g r i f f

der p r o z e d u r a l e n

Theorie

erläutert werden 83. 2.1. Der Begriff

der prozeduralen

Theorie

Das H e r z s t ü c k d e r T h e o r i e des a l l g e m e i n e n p r a k t i s c h e n D i s k u r s e s bildet ein System v o n Regeln u n d A r g u m e n t f o r m e n 8 4 praktischen A r ee Z u r Sonderfallthese vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 32 f., 263 ff. Vgl. ferner N. MacCormick, Legal Reasoning, S. 272. I n noch verstärkter Form w i r d die Sonderfallthese v o n Kriele vertreten, der v o n einer „weitgehende(n) Identität des ethischen u n d des rechtlichen Diskurses" spricht, M. Kriele, Recht u n d praktische Vernunft, Göttingen 1979, S. 34. ei Theorien der juristischen Argumentation können deskriptiv, normativ und/oder analytisch sein. Sie sind deskriptiv, w e n n sie die tatsächlich stattfindende Praxis der A r g u m e n t a t i o n beschreiben und/oder erklären, also etwa die K r i t e r i e n angeben, die bestimmte Sprechergruppen für die Beurteilung der Güte v o n Argumenten verwenden, oder die Häufigkeit der Verwendung bestimmter Argumentformen i n bestimmten Situationen v o n bestimmten Sprechern feststellen, oder die Ursachen, die Motive oder die Folgen der V e r wendung bestimmter Argumente zum Gegenstand haben. Sie sind analytisch, etwa w e n n sie die logische S t r u k t u r v o n Argumenten oder v o n Argumentationsregeln untersuchen. Sie sind normativ, w e n n u n d insoweit sie Aussagen darüber enthalten, was unabhängig davon, was v o n irgendjemand für ein gutes oder schlechtes A r g u m e n t oder eine vernünftige oder unvernünftige Begründung gehalten w i r d , ein gutes oder schlechtes A r g u m e n t oder eine vernünftige oder unvernünftige Begründung ist. Die drei Theorietypen k ö n nen auf die unterschiedlichsten Weisen miteinander v e r k n ü p f t werden. Die Einbeziehung der analytischen Sichtweise ist dabei stets möglich u n d nützlich. 82 Z u m Zusammenhang des Begriffs der prozeduralen Theorie m i t den Begriffen der Rechtfertigung u n d der Legitimation vgl. J. Habermas, Legitimationsprobleme i m modernen Staat, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 7 (1976), S. 39 ff. 83 Z u einer ausführlichen Darstellung vgl. R. Alexy, Die Idee einer prozeduralen Theorie, S. 177 ff. 84 Der Ausdruck „ A r g u m e n t f o r m " bezeichnet die S t r u k t u r einer Aussage, der sie stützenden Aussagen u n d des Zusammenhangs zwischen beiden. W e n n eine Argumentform, w i e etwa die des Hinweises auf Folgen einer einzelnen Handlung, i n den K a n o n der Anforderungen aufgenommen w i r d , so ist damit gesagt, daß es erlaubt ist, sich dieser F o r m zu bedienen. A l l e A r g u m e n t f o r men könnten deshalb i n eine Erlaubnisregel aufgenommen werden bzw., falls ihre Verwendung obligatorisch sein soll, i n eine Verpflichtungsregel.

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gumentierens, dessen Einhaltung bzw. Verwendung die Rationalität der Argumentation und damit die Richtigkeit der Ergebnisse garantiert. Dies Verhältnis von Richtigkeit und Prozedur ist für alle prozeduralen Theorien kennzeichnend. Wenn a Vertreter einer prozeduralen Theorie ist, nach der auf die Prozedur Ρ abzustellen ist, dann antwortet a auf die Frage, wann eine normative Aussage Ν richtig ist, mit: Eine normative Aussage Ν ist richtig genau dann, w e n n sie das Ergebnis der Prozedur Ρ sein kann.

Die Prozedur Ρ kann sehr unterschiedlich ausgestaltet werden 8 5 . Die des allgemeinen praktischen rationalen Diskurses (PP) ist dadurch gekennzeichnet, daß sich ihre Anforderungen vollständig über Regeln 80 (Rf , ..., R v n ) formulieren lassen, die sich auf tatsächlich existierende Individuen als Subjekte der Prozedur beziehen. Das Konzept der prozeduralen Theorie bietet vor allem zwei Vorteile: den der Variabilität und den der Ausdehnbarkeit. Der Vorteil der Variabilität besteht darin, daß das Rahmenwerk der prozeduralen Theorie die Konstruktion ganz unterschiedlicher Modelle erlaubt, die daraufhin geprüft werden können, ob sie unseren intuitiven Ideen von praktischer Rationalität entsprechen. Auch wenn man m i t einigen oder allen hier vorgestellten Regeln nicht einverstanden ist, so w i r d man doch, wenn man so etwas wie praktische Rationalität überhaupt für möglich hält, zugeben müssen, daß wenigstens irgendwelche Regeln der praktischen Rationalität formulierbar sind. Wenn hier ein komplexes Regelsystem vorgeführt wird, so geht es weniger darum, genau dies System als bestes auszuzeichnen, sondern vor allem darum, die 85 Die Unterschiede lassen sich i n solche, die die Individuen, die Anforderungen u n d den Entscheidungsprozeß betreffen, einteilen. Für die Theorie des praktischen Diskurses ist charakteristisch, daß sie auf I n d i v i d u e n i n dem Zustand, i n dem sie tatsächlich existieren, abstellt, ihre Anforderungen über Regeln u n d Argumentformen formuliert u n d auf diese Weise zu einem E n t scheidungsprozeß gelangt, i n dessen Verlauf sich die normativen Überzeugungen der Teilnehmer ändern können. E i n Gegenstück zu dieser Variante einer prozeduralen Theorie wäre eine Theorie, die m i t konstruierten I n d i viduen arbeitet, ihre Anforderungen, soweit sie nicht schon i n den Eigenschaften dieser I n d i v i d u e n erfaßt sind, über Bedingungen formuliert u n d dam i t zu einem Entscheidungsprozeß k o m m t , der theoretisch i n einem Zeitp u n k t stattfinden kann. E i n solches Modell sieht Rawls für die W a h l der Prinzipien der Gerechtigkeit vor, J. Rawls , A Theory of Justice, Cambridge, Mass., 1971, S. 121, 139. E i n V o r t e i l solcher Theorien ist das hohe Maß an erreichbarer Präzision. H i e r f ü r muß jedoch der Preis gezahlt werden, daß bereits bei der Erstellung der Theorie alle normativen Fragen, die entschieden werden sollen, entschieden werden müssen. Dies ist bei Diskurstheorien anders. I n i h r werden n u r Mindestanforderungen an die Rationalität der Prozedur aufgestellt. Alles andere w i r d den Teilnehmern überlassen. I m w e i teren soll n u r diese Variante einer prozeduralen Theorie betrachtet werden. 8β Wenn i m Text v o n „Regeln" die Rede ist, sollen auch Argumentformen m i t e r f aßt werden.

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Idee einer prozeduralen Theorie der praktischen Rationalität an einem Beispiel vorzuführen, u m deutlich zu machen, daß eine gute Chance besteht, die dunkle Idee der praktischen Rationalität mittels eines solchen Modells zu erhellen. Der Vorteil der Ausdehnbarkeit besteht darin, daß der Begriff der prozeduralen Theorie einen Rahmen dafür bietet, den gesamten Bereich des Praktischen systematisch zu erfassen. Dies soll hier für den Bereich des Rechts durch ein System von vier Prozeduren geschehen: (1) der des allgemeinen rationalen praktischen Diskurses der der staatlichen Rechtserzeugung (P r ), der des juristischen Diskurses (PO und der des gerichtlichen Verfahrens (P^) 87 . 2.2. Der allgemeine rationale praktische Diskurs (PP) Bei der Konstruktion ihres Regelsystems hat die Diskurstheorie zwei gegenläufige Werte i n ein optimales Verhältnis zu bringen, den der Ergebnissignifikanz und den der Akzeptabilität. Das Regelsystem muß zum einen möglichst stark sein, u m das Ergebnis der Prozedur i n möglichst hohem Maße festzulegen, zum anderen muß es möglichst schwach sein, u m möglichst leicht zu rechtfertigen zu sein und möglichst breite Zustimmung finden zu können. Wer etwa nur die Beachtung der Regeln der Logik, die Wahrheit der verwendeten empirischen Prämissen und eventuell die Berücksichtigung der Regeln der Zweckrationalität fordert, w i r d hierfür relativ leicht breite Zustimmung finden. Sein System schließt jedoch unter der Voraussetzung von Teilnehmern mit unterschiedlichen normativen Vorstellungen kaum etwas aus. Es vermag ferner nur einen Teilaspekt des Begriffs der Rationalität zu erfassen. 2.2.1. Die Regeln des allgemeinen rationalen praktischen Diskurses Das i m folgenden zu skizzierende System von fünf Gruppen von Regeln sowie einer Gruppe von Argumentformen stellt einen Versuch dar, ein optimales Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Werten der Stärke und Schwäche zu gewinnen. Die Regeln und Formen sind sehr unterschiedlicher A r t . Wenn man praktische Vernunft als das Vermögen definiert, nach diesem Regelsystem zu praktischen Einsichten zu gelangen, so w i r d deutlich, daß sie ein sehr komplexes Vermögen ist. Doch bevor die Struktur des Regelsystems näher analysiert und auf seine Begründung sowie die zugrundeliegenden Ideen eingegangen wird, sei es zunächst kurz dargestellt. Dabei soll darauf verzichtet werAusführlicher zum Vier-Prozeduren-Modell R. Alexy, prozeduralen Theorie, S. 185 ff.

Die Idee einer

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den, die an anderer Stelle explizit formulierten 22 Regeln und sechs Argumentformen vollständig anzuführen 88 . (1) Die erste Gruppe formuliert Grundbedingungen für die Rationalität sprachlicher Kommunikationen, i n denen es u m die Richtigkeit normativer Aussagen geht. Die Regeln dieser Gruppe können daher „Grundregeln" genannt werden. Die erste Regel fordert Widerspruchsfreiheit ( l . l ) 8 9 , die zweite Aufrichtigkeit (1.2), die dritte die Bereitschaft zum situationsunabhängigen Gebrauch deskriptiver (1.3) und evaluativer Ausdrücke (1.3') und die vierte die Gemeinsamkeit des Sprachgebrauchs verschiedener Sprecher (1.4). (1.3') entspricht dem Universalisierbarkeitsprinzip, wie es etwa Hare formuliert hat 9 0 . (2) Während die erste Regelgruppe Minimalbedingungen für die Rationalität enthält, enthält die zweite Gruppe Maximalbedingungen. Sie macht den idealen Charakter praktischer Vernunft deutlich, der sich in ihrer nur approximativen Realisierbarkeit niederschlägt. Es ist wesentlich diese Schwäche der Prozedur des Diskurses, die, wie sich zeigen wird, zur Notwendigkeit rechtlicher Prozeduren führt. Ausgangspunkt der Regeln der zweiten Gruppe ist eine Regel, die eine prima facieBegründungspflicht für jede Behauptung statuiert (2). Die weiteren Regeln normieren Teilnahmerechte an und Freiheitsrechte i n Diskursen. Die erste Regel stellt jedem, der sprechen kann, die Teilnahme an Diskursen frei (2.1). Die zweite erlaubt, i n Diskursen jede Behauptung anzugreifen (2.2.a), aufzustellen (2.2.b) sowie Einstellungen, Wünsche, Interessen und Bedürfnisse zu äußern (2.2.c). Da der praktische Diskurs als eine Veranstaltung zum rationalen Ausgleich von Interessen angesehen werden kann, ist letztere von besonderer Bedeutung. Die dritte Regel verbietet es, jemanden an der Wahrnehmung dieser Rechte zu hindern (2.3). Die Regeln dieser Gruppe definieren für den Rationalitätsbegriff der Diskurstheorie besonders kennzeichnende Merkmale. Sie können daher „Vernunftregeln" genannt werden 9 1 . 88 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 234 ff.; ders., Eine Theorie des praktischen Diskurses, i n : W. Oelmüller (Hg.), Normenbegründung - Normendurchsetzung, Materialien zur Normendiskussion Bd. 2, Paderborn 1978, S. 36 ff. 89 Die Ziffern beziehen sich auf die Kennzeichnungen der Regeln u n d Formen i n den i n A n m . 88 angeführten Darstellungen. Die hier gewählte D a r stellungsweise f ü h r t dazu, daß die m i t „4 . . g e k e n n z e i c h n e t e Gruppe erst nach den m i t „5 . . . " u n d „6 . . g e k e n n z e i c h n e t e n Gruppen angeführt w i r d . 99 R. M. Hare, Freedom and Reason, S. 10 ff.; vgl. hierzu auch L. Nelson, K r i t i k der praktischen Vernunft, Gesammelte Schriften Bd. 4, Hamburg 1972, S. 118 ff. 91 Die hinter diesen Regeln stehenden Ideen haben eine alte T r a d i t i o n u n d lassen sich heute i n vielfältige Ausprägungen finden. Es seien n u r Habermas' Begriff der idealen Sprechsituation (J. Habermas, Wahrheitstheorien, S. 255 ff.; zur Theorie Habermas', der die Vernunftregeln am nächsten stehen, vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 134), Poppers Idee einer

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(3) M e h r technischer A r t ist die d r i t t e R e g e l g r u p p e , die der A r g u m e n tationslastregeln. Argumentationslasten w e r d e n f ü r Ungleichbehandl u n g e n (3.1), A n g r i f f e a u f b i s l a n g n i c h t b e z w e i f e l t e N o r m e n (3.2) u n d die R e c h t f e r t i g u n g v o n D i s k u s s i o n s b e i t r ä g e n , die n i c h t auf die v o r a n gegangene D i s k u s s i o n bezogen s i n d (3.4), s t a t u i e r t . U m g e k e h r t h a t der, der b e r e i t s e i n A r g u m e n t a n g e f ü h r t h a t , das Recht, w e i t e r e A r g u m e n t e z u v e r w e i g e r n , solange k e i n G e g e n a r g u m e n t a n g e f ü h r t w i r d (3.3). (4) D i e b i s h e r a n g e f ü h r t e n R e g e l n lassen noch sehr v i e l offen. A u s diesem G r u n d e ist eine v i e r t e R e g e l g r u p p e e r f o r d e r l i c h , die sich spezifischer a u f die E i g e n a r t e n des p r a k t i s c h e n A r g u m e n t i e r e n s b e z i e h t , die G r u p p e der B e g r ü n d u n g s r e g e l n . E i n e erste U n t e r g r u p p e dieser G r u p p e s t e l l e n d r e i V a r i a n t e n des V e r a l l g e m e i n e r b a r k e i t s g e d a n k e n s d a r , das R o l l e n t a u s c h p r i n z i p (5.1.1) 92 , das K o n s e n s p r i n z i p (5.1.2) u n d das P u b l i z i t ä t s p r i n z i p (5.1.3) 9 3 . E i n e z w e i t e U n t e r g r u p p e b i l d e n z w e i R e geln der kritischen Überprüfung der Entstehung normativer Überzeugungen, d i e d e r Ü b e r p r ü f u n g d e r historisch-gesellschaftlichen Genese (5.2.1) u n d d e r i n d i v i d u e l l - p s y c h i s c h e n Genese (5.2.2) 94 . Das d r i t t e Stück dieser G r u p p e b i l d e t das R e a l i s i e r b a r k e i t s g e b o t (5.3). „rationale(n) Einheit der Menschheit" (K. R. Popper, Die offene Gesellschaft u n d ihre Feinde, Bd. 2, B e r n 1958, S. 277), Nelsons Konzept der sokratischen Methode (L. Nelson, Die sokratische Methode, i n : ders., Die Schule der k r i tischen Philosophie u n d ihre Methode, Gesammelte Schriften Bd. 1, Hamburg 1970, S. 269 ff.), die vielfältigen Theorien des moralischen Standpunktes (vgl. etwa W. K. Frankena, Ethics, Englewood Cliffs, Ν . J., 1963, Kap. 6; Κ. Baier, The M o r a l Point of View, Ithaca/London 1958, S. 187 ff.) u n d Rawls' Postulat der „symmetry of everyone's relations to each other" i n der original position (J. Rawls, A Theory of Justice, S. 12) angeführt. 92 Vgl. hierzu R. Alexy, R. M . Hares Regeln des moralischen Argumentierens u n d L. Nelsons Abwägungsgesetz, in: Vernunft, Erkenntnis, Sittlichkeit, Internationales philosophisches Symposion aus Anlaß des 50. Todestages v o n Leonard Nelson, Göttingen 1977, hg. v. P. Schröder, Hamburg 1979, S. 95 ff. Eine interessante Version des Rollentauschprinzips findet sich i n A . Smith, The Theory of M o r a l Sentiments, The Glasgow E d i t i o n of the Works and Correspondence of A d a m Smith, Bd. 1, hg. v. D. D. Raphael/A. L. Macfie, Oxford 1976, S. 109 ff. 93 Es ist interessant festzustellen, daß sich neben einer Reihe weiterer F o r men auch die beiden zuletzt genannten Varianten des Verallgemeinerbarkeitsgedankens bei K a n t finden: „Also k a n n n u r der übereinstimmende u n d vereinigte W i l l e A l l e r , sofern ein jeder über A l l e u n d A l l e über einen jeden ebendasselbe beschließen, m i t h i n n u r der allgemein vereinigte V o l k s w i l l e gesetzgebend sein" (I. Kant, Metaphysik der Sitten, Kants Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 6, B e r l i n 1907, S. 313 f.) sowie „ A l l e auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren M a x i m e sich nicht m i t der Publicität verträgt, sind unrecht" (ders., Z u m ewigen Frieden, ebd., Bd. 8, B e r l i n 1912, S. 381). Auch die Vernunftregeln drücken kantische Ideen aus. 94 Die eingehendste Ausarbeitung hat ein Verfahren der Überprüfung der historisch-gesellschaftlichen Genese unter A n k n ü p f u n g an Ideen Hegels u n d M a r x ' (vgl. P. Lorenzen, Normative Logic and Ethics, Mannheim/Zürich 1969, S. 84 ff.; ders., Das Problem des Szientismus, in: Philosophie u n d Wissen-

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(5) Die fünfte Regelgruppe, die der Übergangsregeln, trägt der Tatsache Rechnung, daß die Ergebnisse des praktischen Diskurses von den Ergebnissen anderer Diskursformen abhängen. Die Übergangsregeln verbinden deshalb den allgemeinen praktischen mit dem empirischen (6.1), dem sprachanalytischen (6.2) und dem diskurstheoretischen Diskurs (6.3). (6) Zu diesen fünf Regelgruppen t r i t t als sechste die Gruppe der Argumentformen. I n i h r werden sechs Grundformen unterschieden: Die Begründung singulärer normativer Aussagen durch Regeln (4.1) und Hinweise auf Folgen (4.2), die Begründung von Regeln durch Hinweise auf Folgen (4.3) und durch Regeln (4.4) und die Begründung von absoluten (4.5) und bedingten Präferenzrelationen (4.6) zwischen Regeln oder Prinzipien. Indem diese Begründungsmodelle als Argumentformen des allgemein praktischen Diskurses eingestuft werden, w i r d ihre Verwendung als rational ausgezeichnet. Von den vielfältigen Problemen dieses Regelsystems sollen hier nur zwei diskutiert werden: das Begründungs- und das Leistungsproblem. 2.2.2. Die Begründung der Diskursregeln Es ist zweckmäßig, das Begründungsproblem i m Rahmen von zwei Modellen zu behandeln: dem Prinzipienmodell und dem diskurstheoretischen Modell. 2.2.2.1. Das Prinzipienmodell™ Das Prinzipienmodell unterscheidet zwischen drei Ebenen, der der Ideen, der der Prinzipien und der der Regeln. I m Prinzipienmodell der Diskurstheorie findet sich auf der ersten Ebene die allgemeine Idee der praktischen Rationalität. A u f der zweiten Ebene w i r d diese sehr vage Idee durch die Prinzipien der praktischen Rationalität präzisiert. A u f der dritten Ebene schließlich werden die relativ vagen und häufig kollidierenden Prinzipien zu einem System von Regeln präzisiert 9 8 . schaft, 9. Deutscher Kongreß für Philosophie, Düsseldorf 1969, hg. v . L. Landgrebe, Meisenheim am Glan, 1972, S. 33 f.), i n P. LorenzenlO. Schwemmer, K o n s t r u k t i v e Logik, E t h i k u n d Wissenschaftstheorie, Mannheim/Wien/Zürich 1973, S. 190 ff., gefunden. Die Überprüfung der individuell-psychischen Genese k a n n etwa an Freud anknüpfen. 95 Die Idee des Prinzipienmodells verdanke ich A P (RA). 96 Z u der diesem Modell zugrunde liegenden Unterscheidung v o n Regel u n d Prinzip vgl. R. Alexy, Z u m Begriff des Rechtsprinzips, S. 63 ff. Dafür, daß etwas i n einem Prinzipienmodell die Rolle einer Idee spielt, müssen zwei Bedingungen erfüllt werden: (1) Es muß etwas stützen, darf aber v o n nichts gestützt werden. (2) Es darf m i t nichts kollidieren. Ideen können deshalb auch als absolute Prinzipien oder Prinzipien ohne Präferenzrelationen bezeichnet werden; vgl. hierzu R. Alexy, ebd., S. 76 f.

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Die Schwächen dieses simplen Modells liegen auf der Hand. Die Relationen zwischen den Stufen sind nicht deduktiv. A n welchen Kriterien soll sich der Schritt von der einen zur anderen Stufe orientieren? Es legt sich der Verdacht nahe, daß hier eine nicht besonders originelle Variante des ebenso alten wie unklaren Versuchs vorgeführt werden soll, allein aus allgemeinen Ideen und Prinzipien konkreten Gehalt zu gewinnen. Diesen Bedenken kann m i t einer Einschränkung des Zwecks des Prinzipienmodells begegnet werden. Es handelt sich i n erster Linie u m ein explikatorisches und erst i n zweiter Linie und i n einem schwachen Sinne u m ein justifikatorisches Modell. Geht man von den Regeln aus, so stellt es sich als ein System von stützenden Gründen dar. Als solches vermag es die hinter den Regeln stehenden Vorstellungen deutlich zu machen. Für den, der diese Vorstellungen teilt, sind diese Prinzipien Argumente für die Regeln. Diese Verdeutlichung, die zu einem besseren Verständnis führen kann, stellt nur einen Aspekt dar; das gleiche gilt für die Rolle von Prinzipien als Argumenten. Wichtiger ist, daß i n einem Prinzipienmodell Kohärenzbetrachtungen möglich sind, die über die hinausgehen, die i n einem reinen Regelsystem möglich wären 9 7 . Bereits dies lohnt die Erarbeitung von Prinzipienmodellen. Geht man nicht von den Regeln, sondern von der Idee oder den Prinzipien aus, so stellt sich das Modell als Explikation der Idee und der Prinzipien dar. Auch von diesem Standpunkt aus ist es nützlich. Ideen und Prinzipien werden erst als explizierte Ideen und Prinzipien diskutierbar. Die Idee der Rationalität bietet nicht mehr als einen Anfangspunkt. Der Begriff der Rationalität schließt eine evaluative Bedeutungskomponente ein, die sich auf eine Klasse von Anforderungen bezieht, die als positiv bewertet werden. Diese Anforderungen lassen sich auf einer zweiten Stufe als Prinzipien und auf einer dritten Stufe als Regeln formulieren. Was zu ihnen gezählt wird, ist von der jeweiligen Konzeption des Beurteilers und damit von individuell und sozial kontingenten Faktoren abhängig. Eines aber scheint das Konzept der Rationalität unabhängig von verschiedenen Konzeptionen zu enthalten: die Idee der Optimierung menschlicher Kompetenz i n allen ihren Aspekten 9 8 . Der Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses liegt eine Konzeption der Rationalität zugrunde, die sich durch sechs Prinzipien vollständig beschreiben läßt: (1) das der Konsistenz, (2) das der Zweck«7 Z u einem Prinzipienmodell der Kohärenz vgl. N. MacCormick, Reasoning, S. 152 ff. Z u r Unterscheidung v o n „Konzept" u n d „Konzeption" vgl. J. A Theory of Justice, S. 5.

Legal Rawls ,

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rationalität, (3) das der Überprüfbarkeit, (4) das der Kohärenz, (5) das der Verallgemeinerbarkeit und (6) das der Aufrichtigkeit. Die Regeln sind nicht stets genau einem dieser Prinzipien zuzuordnen. So wie ein Prinzip mehrere Regeln stützen kann, so kann eine Regel von mehreren Prinzipien gestützt werden. (1) Dem Prinzip der Konsistenz ist die erste Regel der ersten Gruppe, die Widerspruchsfreiheit fordert (1.1), sowie die dritte Regel dieser Gruppe (1.3; 1.3'), die fordert, daß die Sprecher die von ihnen benutzten Ausdrücke stets auf die gleiche Weise verwenden, zuzuordnen. Zu diesem Prinzip gehören ferner die Argumentformen (4.5) und (4.6), die der Beseitigung von Kollisionen zwischen Regeln und Prinzipien, die Gegenstand des Diskurses sind, dienen. Auch ein Aspekt der zweiten Übergangsregel, die den praktischen mit dem sprachanalytischen Diskurs verbindet (6.2), läßt sich durch das Prinzip der Konsistenz stützen. (2) Das Prinzip der Zweckrationalität 99 entfaltet seine Kraft i n zwei Richtungen. Es bezieht sich zum einen auf die Effektivität der Kommunikation i m Diskurs und zum anderen auf die Zweckrationalität der dort erörterten normativen Vorschläge. Der Effektivität der Kommunikation dienen die Forderung nach gemeinsamem Sprachgebrauch (1.4), die prima facie-Begründungspflicht für jede Behauptung (2), ein Teil der Argumentationslastregeln (3.2) - (3.4) und die Übergangsregeln zum sprachanalytischen und diskurstheoretischen Diskurs (6.2), (6.3). A u f die Zweckrationalität der Vorschläge bezogen sind die beiden auf Folgen abstellenden Argumentformen (4.2) und (4.3). (3) Dem Prinzip der Überprüfbarkeit dienen drei Regelgruppen: (i) die Regeln, die konsistenten und gemeinsamen Sprachgebrauch fordern (1.3), (1.3'), (1.4), die der sprachlichen Klarheit dienende Übergangsregel zum sprachanalytischen Diskurs (6.2) sowie die Argumentformen (4.1) - (4.6), (ii) die Argumentationsrechte (2.1) - (2.3) und die Argumentationspflichten (2), (3.1), (3.2), (3.4) und (iii) die den Bereich der Argumentation erweiternden Regeln, das Rollentauschprinzip (5.1.1), die Überprüfung der Entstehung von normativen Überzeugungen (5.2.1), (5.2.2) sowie die Übergangsregel zum empirischen Diskurs (6.1), die praktisch von besonderer Bedeutung ist. (4) Das Prinzip der Kohärenz könnte ohne weiteres so gefaßt werden, daß es als negativen Aspekt das Prinzip der Konsistenz umfaßt. Hier soll es so verstanden werden, daß es nur positive Elemente einschließt. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, den Begriff der Kohärenz auch nur ansatzweise zu analysieren. I m Rahmen dieser Skizze eines e» Vgl. M. Weber, S. 12 f.

Wirtschaft u n d Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen 1976,

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Prinzipienmodells soll folgende intuitive Idee ausreichen: Der Kohärenz dienen alle Regeln, die zu einer möglichst umfassenden und zusammenhängenden Verknüpfung von Sätzen und Theorien führen. Eine Theorie T i ist i n diesem Sinne kohärenter als eine Theorie T% wenn i n T i zweierlei besser optimiert ist: (1) die Erfüllung des Postulats, möglichst viel zu umfassen, und (2) die Erfüllung des Postulats, die zusammengefaßten Teile möglichst eng zu verknüpfen 1 0 0 . Der Kohärenz i n diesem Sinne dienen u. a. die Vernunftregeln (2), (2.1) - (2.3), die für eine maximale Vielfalt von Argumenten sorgen, sowie die Pflichten auferlegenden Argumentationslastregeln (3.1), (3.2), (3.4). Zu einer gelenkten Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Argumentation führen das Rollentauschprinzip (5.1.1) und die Überprüfung der historischgesellschaftlichen sowie der individuell-psychischen Genese (5.2.1), (5.2.2), sowie, ganz allgemein, die Übergangsregel zum empirischen Diskurs (6.1). Wenn gesagt wird, daß diese prozeduralen Regeln der Kohärenz dienen, so bedeutet dies, daß sie der Herstellung von solchen Theorien als Ergebnissen der Prozeduren dienen, die das Postulat, möglichst viel zu umfassen, sowie das des Zusammenhangs optimal erfüllen. Eine Theorie des Rechts einer Gesellschaft, die diesen Postulaten i n einem Höchstmaß gerecht werden wollte, müßte u. a. mindestens folgende Bedingungen erfüllen: (i) Sie müßte eine vollständige Liste der Rechtsquellen sowie ein auf sie bezogenes vollständiges System von Präferenzregeln enthalten, (ii) Sie müßte sämtliche auf dieser Basis begründbaren Regeln und Prinzipien sowie ein auf sie bezogenes vollständiges System von Präferenzregeln bzw. -bedingungen enthalten, (iii) Jedes m i t Hilfe der i n (i) und (ii) erwähnten Elemente begründbare konkrete rechtliche Sollensurteil müßte sowohl m i t allen anderen Elementen jener A r t als auch m i t jedem anderen i m Rahmen der Theorie begründbaren konkreten rechtlichen Sollensurteil i n Einklang stehen 1 0 1 . (iv) Zwischen sämtlichen bislang angeführten Elementen müßte ein Optimum an stützenden Relationen bestehen. Die Schwächen dieser Bedingungen sind nur zu deutlich. Sie sind nicht nur so formuliert, daß allenfalls ein Herkules Dworkinscher Prägung 1 0 2 sie erfüllen könnte, es ist darüber hinaus zweifelhaft, ob selbst seine Ausstattung mit „superhuman skill, learning, patience and acum e n " 1 0 3 ausreicht, u m ihnen gerecht zu werden. Hierfür sind die Bedingungen, so wie sie formuliert wurden, zu unbestimmt. Darüber, daß loo z u den Ideen der comprehensiveness u n d der cohesiveness oder u n i t y vgl. N. Rescher, The Coherence Theory of T r u t h , Oxford 1973, S. 169 ff. ιοί (iii) schließt Elemente des Konsistenzpostulats ein. Z u zwei (iii) v e r wandten K r i t e r i e n vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 322 ff. 102 Vgl. R. Dworkin, T a k i n g Rights Seriously, S. 105 ff. los Ebd.

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sie präziser formuliert werden können, kann kein Zweifel bestehen. Bezweifelt werden muß aber, ob ein System von Kohärenzkriterien möglich ist, das ausreicht, die maximale Kohärenz einer Theorie sicher festzustellen. Bezweifelt werden muß dies, zumindest was normative Theorien anbetrifft, deshalb, w e i l eine Reihe von kohärenzstiftenden Relationen von den Personen, die die Theorie aufstellen, notwendig und dauerhaft abhängig ist. So schließt, u m nur ein Beispiel zu nennen, die i n (iv) genannte stützende Relation neben vielen anderen Typen von Grund-Relationen die Relation zwischen Prinzipien und Regeln ein, die wegen ihrer Unbestimmtheit ein deutliches Beispiel einer personenabhängigen Relation ist 1 0 4 . Dies begründet keinen Einwand gegen die Idee der Kohärenz. Es macht aber deutlich, weshalb die Theorie der juristischen Argumentation der Ebene der Theorie, auf der u. a. m i t dem Maßstab der Kohärenz gemessen wird, die Ebene der Prozedur als Fundament hinzufügt. A u f der Ebene der Prozedur gewinnt der Gedanke der Kohärenz als bei der Produktion von Theorien approximativ zu realisierendes Ziel seinen Sinn. (5) Der Gedanke der Verallgemeinerbarkeit erscheint i m Regelsystem i n sehr verschiedenen Varianten. (1.3) und (1.3') drücken das Universalisierbarkeitsprinzip, das dem Prinzip der formalen Gerechtigkeit entspricht, aus. Den Aspekt der Gleichberechtigung bringen die gleichen Teilnahme- und Rederechte (2.1), (2.2) und die Argumentationslast für Ungleichbehandlungen (3.1) zum Ausdruck. Er liegt auch den drei weiteren Varianten des Verallgemeinerbarkeitsgedankens zugrunde: dem Rollentauschprinzip (5.1.1), dem Konsensprinzip (5.1.2) und dem Publizitätsprinzip (5.1.3). Die Regeln dieser Gruppe enthalten den normativen Kern der Diskurstheorie 1 0 5 . Sie sind Konkretisierungen der Idee der Gerechtigkeit. (6) Dem Prinzip der Aufrichtigkeit ist vor allem die Aufrichtigkeitsregel (1.2) zuzuordnen. I n seinen Bereich fällt aber auch die Regel der Zwangsfreiheit (2.3). Beide Regeln bringen vor allem zum Ausdruck, daß die Basis des anzustrebenden Interessenausgleichs möglichst zu104 z u dieser Relation vgl. R. Alexy, Z u m Begriff des Rechtsprinzips, S. 82 ff. 105 Die Regeln dieser Gruppe bringen den prozeduralen Aspekt solcher Prinzipien w i e „Jeder Mensch hat gleichen Anspruch auf Freiheit u n d Menschenwürde" (M. Kriele, Befreiung u n d politische A u f k l ä r u n g , Freiburg/Br. 1980, S. 49, 88) oder „ . . . individuals have a r i g h t to equal concern and respect . . . (R. Dworkin, T a k i n g Rights Seriously, S. 180) zum Ausdruck. Die Notwendigkeit des prozeduralen Aspekts ergibt sich aus den bekannten u n d unausweichlichen Schwierigkeiten der Gewinnung v o n konkreteren Prinzipien u n d Regeln aus solchen Prinzipien i m Rahmen eines Prinzipienmodells. 4 Krawietz/Alexy

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treffende und unverfälschte Interesseninterpretationen der einzelnen Subjekte sein sollen 1 0 8 . Dem dienen i m übrigen vor allem die Regeln der Überprüfung der Entstehung normativer Überzeugungen. Die Schwächen des Prinzipienmodells sind bereits angeführt worden. Trotz dieser Schwächen erscheint ein solches Modell nicht wertlos. Es macht deutlich, daß der Begriff der praktischen Rationalität aus sehr heterogenen Elementen zusammengesetzt ist. W i l l man sie kurz kennzeichnen, so sind Konsistenz, Zweckrationalität, Überprüfbarkeit, Kohärenz, Verallgemeinerbarkeit und ein Optimum an zutreffender und unverfälschter Interesseninterpretation zu nennen. 2.2.2.2. Das diskurstheoretische

Modell

Das Begründungsproblem ist mit dem Prinzipienmodell noch nicht gelöst. Eine solche Lösung erscheint i m Rahmen einer liberalen Begründungstheorie möglich. Eine solche, an anderer Stelle eingehender dargelegte Theorie 1 0 7 besteht aus zwei Teilen. Ihr erster Teil enthält eine Theorie der möglichen Begründungsmodelle. Es lassen sich vier Modelle unterscheiden: das technische, das empirische, das definitorische und das universalpragmatische 108 . Der zweite Teil enthält die Theorie der Verwendung dieser Modelle, die Theorie des diskurstheoretischen Diskurses. Da i m diskurstheoretischen Diskurs Diskursregeln erst begründet werden sollen, kann i n i h m nicht nur nach begründeten Regeln vorgegangen werden. Dies läßt ihn jedoch nicht als ein unvernünftiges Unternehmen erscheinen. Da es einerseits nicht möglich ist, i h n nur nach begründeten Regeln durchzuführen, es aber andererseits vernünft i g ist, das Diskutieren über Diskursregeln zu betreiben, ist es vernünftig, dies teils auf der Grundlage nicht begründeter Regeln und teils regellos, lediglich auf die Vernunft der Argumentierenden vertrauend, zu tun. Die Basis des diskurstheoretischen Diskurses bilden damit neben bereits vorläufig begründeten Regeln einerseits die i n den Lebensformen seiner Teilnehmer eingewurzelten, faktisch vorhandenen Grundüberzeugungen und andererseits das Vermögen der Teilnehmer, auf dieser Basis i m Rahmen der erwähnten vier Modelle diskutieren zu können, ohne dabei durch die faktisch vorhandenen Grundüberzeugungen vollständig determiniert zu sein. Hier zeigt sich an systematisch zentraler Stelle die Verwiesenheit der Diskurstheorie auf eine Theorie der Lebensformen. 1Q 6 Es geht also u m die Feststellung von so etwas w i e wahren Interessen. Vgl. hierzu G. Patzig, Der Unterschied zwischen subjektiven u n d objektiven Interessen u n d seine Bedeutung i n der E t h i k , Göttingen 1978. 107 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 225 ff. 108 Vgl. ebd.

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Dies läßt sich i m Rahmen des Prinzipienmodells verdeutlichen. Die sechs Prinzipien können, wie dies bei Prinzipien ganz allgemein der Fall ist, kollidieren 1 0 9 . So können etwa dem Prinzip der Zweckrationalität und dem der Verallgemeinerbarkeit unterschiedliche Gewichte gegeben werden 1 1 0 . Dies macht es erforderlich, die sechs Prinzipien, die an dieser Stelle als Pi, P2, P3, P4, Ps, Pe notiert werden sollen, i n eine Präferenzrelation (Pi, Pg, P3, P4, P5, Pß) P 1 1 1 zu bringen. Diese Präferenzrelation zwischen den sechs Prinzipien des praktischen Diskurses w i r d durch die 22 Regeln und sechs Formen des praktischen Diskurses (Rf, . . . , R£8) ausgedrückt. Gegenstand des diskurstheoretischen Diskurses ist das System der Diskursregeln und damit zugleich die Präferenzrelation zwischen den Prinzipien, die durch sie ausgedrückt wird. Da das Ergebnis des diskurstheoretischen Diskurses u. a. von den faktisch vorhandenen Grundüberzeugungen seiner Teilnehmer abhängig ist, können unterschiedliche Regelsysteme und damit unterschiedliche Präferenzrelationen zwischen Prinzipien sein Ergebnis sein. Dies stellt das Problem, inwieweit die Regeln des praktischen Diskurses universellen und inwieweit sie kontingenten Charakter haben, d. h. k u l t u r gebunden sind. Die Struktur des diskurstheoretischen Diskurses zeigt, daß eine Abhängigkeit von der jeweiligen K u l t u r besteht, sie zeigt aber auch, daß auf dieser Basis Regeln, die universelle Geltung beanspruchen können, erarbeitet werden können. 2.2.3. Die Leistung der Diskursregeln Unter praktischen Gesichtspunkten drängender als das Begründungsproblem ist das Leistungsproblem. R f , . . . , R^ bieten weder Gewähr dafür, daß i n jeder praktischen Frage Einigkeit erzielt werden kann, noch dafür, daß eine erzielte Einigung endgültig und unumstößlich ist. Dies liegt daran, daß einige Diskursregeln nur unvollkommen erfüllbar sind, daß durch sie nicht alle Argumentationsschritte festgelegt werden, sowie daran, daß jeder Diskurs an die jeweils vorgegebenen normativen Überzeugungen anknüpfen muß. Die durch R{, . . . , R* definierte Prozedur des allgemeinen rationalen praktischen Diskurses ( Ρ f ü h r t damit nicht i n jeder Frage zu genau einem Ergebnis. Die praktische Frage F sei Gegenstand der von au a% und as zwischen den Zeitpunkten i i und Î2 durchgeführten Prozedur Pp. Zu Beginn der Prozedur schlagen au 0% und as jeweils verschiedene, 109 zur K o l l i s i o n v o n Prinzipien vgl. R. Alexy, prinzips, S. 75 ff.

Z u m Begriff des Rechts-

110 A P neigt dazu, dem Prinzip der Zweckrationalität gegenüber dem P r i n zip der Verallgemeinerbarkeit ein größeres Gewicht zu geben. 111 „P" steht i n diesem Zusammenhang für einen Präferenzoperator, vgl. R. Alexy, Die logische Analyse juristischer Entscheidungen, S. 205 ff.

4*

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sich einander ausschließende Antworten auf F vor, ni, 722 und 713. I m Zeitpunkt fe kann die Zuordnung der Antworten zu den Personen sehr verschieden aussehen. Drei Möglichkeiten interessierten hier: (i) a\ einigen sich auf η\. (ii) αϊ - as einigen sich auf n\. (iii) Mindestens ein üi vertritt ηi, und mindestens ein α;· vertritt π,·. I m ersten Fall ist n x relativ auf PP und a\ - as i m Zeitpunkt fe diskursiv notwendig. I m zweiten Fall ist ni entsprechend diskursiv unmöglich. I m dritten Fall sind n i und nj diskursiv möglich. Die Schwächen der Diskurstheorie liegen damit deutlich auf der Hand. Das Ergebnis von PP ist nicht nur (i) von den PP definierenden Regeln R { , . . . , abhängig, sondern darüber hinaus relativ auf (ii) die Teilnehmer au . . . , a\ und (iii) den Zeitraum U - tj. Zu dieser dreifachen Relativität t r i t t darüber hinaus (iv) die Tatsache, daß miteinander unverträgliche ri s gleichermaßen diskursiv möglich sein können. Hinzu kommt (v) das Problem, daß PP keinesfalls i n jedem Fall, i n dem man wissen möchte, ob ni richtig ist, tatsächlich durchgeführt werden kann. Diese Schwächen bringen die Theorie jedoch nicht zu Fall. I m Gegenteil, einige von ihnen begründen zugleich ihre Stärke, (i) Die Abhängigkeit von , . . . , Rf t begründet kein Problem, wenn Rf, . . . , hinreichend begründet werden können, (ii) Daß das Ergebnis auch von αϊ, . . . , ai abhängt, entlastet den Diskurstheoretiker von der unerfüllbaren Aufgabe, alles selbst behaupten und begründen zu müssen. Das Abstellen auf a\, . . . , ai ist gleichermaßen Ausdruck der Achtung deren Überzeugungen und Lebensformen wie des Vertrauens i n deren Vernunft. (iii) Wenn die Ergebnisse sich i m Laufe der Zeit nicht ändern könnten, wäre keine Verbesserung möglich, (iv) Daß nicht stets genau ein Ergebnis richtig ist, liegt daran, daß es u m praktische Fragen geht, bei deren Beantwortung die Wertungen verschiedener Individuen von konstitutiver Bedeutung sind, (v) Wenn PP nicht tatsächlich durchgeführt werden kann, sind Hypothesen über das Ergebnis einer solchen Durchführung erforderlich. Das hierfür erforderliche Wissen ist nur sehr begrenzt erreichbar. Hypothetische Prozeduren bilden also einen sehr unsicheren Maßstab. Mangels eines überlegenen sichereren ist jedoch mit i h m vorlieb zu nehmen 1 1 2 . 2.3. Die Notwendigkeit einer Prozedur der staatlichen Rechtserzeugung (P r) Wenn die Schwächen der Diskurstheorie diese nicht zu Fall bringen, so haben sie doch weitreichende Konsequenzen. Dem weiten Raum des 112 Generell zur Brauchbarkeit der Diskurstheorie vgl. R. Alexy, Theorie des praktischen Diskurses, S. 51 ff.

Eine

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nach Ρρ diskursiv Möglichen kann kein gleicher weiter Raum des i m sozialen Leben Erlaubten entsprechen. Ein sozialer Konflikt kann nicht anhand einander widersprechender Regeln gelöst werden. Sowohl das Prinzip der Universalisierbarkeit und damit das Prinzip der formalen Gerechtigkeit als auch das Prinzip der Effektivität und damit das Prinzip der Zweckrationalität verlangen, daß soziale Konflikte gleicher Art nach gleichen Normen geregelt werden. Wenn soziale Konflikte i n diesem Sinne anhand von Regeln gelöst werden sollen, dann begründen die Grenzen der Ergebnisbestimmtheit von PP die Notwendigkeit von Festlegungen i m Raum des diskursiv Möglichen durch Verfahren der Festsetzung positiver Normen. Daß PP nicht stets zu genau einem Ergebnis führt, hängt wesentlich davon ab, daß die normativen Überzeugungen der Teilnehmer trotz Durchführung einer rationalen Begründungsund Überprüfungsprozedur unterschiedlicher A r t sein können. E i n Grund für die Notwendigkeit von Prozeduren zur Positivierung von Rechtsnormen liegt damit in dem kontingenten Faktum, daß nicht stets alle Mitglieder einer Gesellschaft, sei es vor oder nach einem Diskurs, i n praktischen Fragen einer Meinung sind. Hinzu kommt, daß selbst dann, wenn es nur diskursiv notwendige oder unmögliche Ergebnisse gäbe, deren Transformation i n Rechtsnormen notwendig wäre. Die Zustimmung aller i m Diskurs zu einer Regel hat nicht notwendig deren Befolgung durch alle zur Folge. Die Struktur von PP zusammen mit der Prämisse, daß soziale Konflikte nach Regeln gelöst werden sollen, begründet damit unter nur zwei weiteren leicht zu verifizierenden Voraussetzungen, der der Möglichkeit der Verschiedenheit auch rational überprüfter normativer Überzeugungen und der der Disposition einiger, einige Normen zu ihrem Vorteil nicht zu befolgen, die Notwendigkeit einer Rechtsordnung mit Entscheidungs- und Durchsetzungsorganen. Die aus PP begründete Notwendigkeit des Rechts läßt sich i n die Notwendigkeit von drei weiteren Prozeduren aufspalten: (i) die der staatlichen Rechtserzeugung (P r ), deren Notwendigkeit sich aus den eben dargelegten Gründen ergibt, sowie (ii) die der juristischen Argumentation (PO und (iii) die des gerichtlichen Prozesses (P^), auf die jetzt einzugehen ist. 2.4. Der juristische

Diskurs (Pi)

2.4.1. Die Notwendigkeit des juristischen Diskurses Die Prozeduren staatlicher Rechtserzeugung (P r ) sind sehr unterschiedlicher A r t . Sie reichen von der allmählichen Entwicklung eines Rechtssystems durch die Rechtsprechung bis zur Schaffung umfassender Kodifikationen durch Parlamente. Hier soll nur interessieren, daß keine P r faktisch möglich ist, die den Rechtsunterworfenen und den Rechtsanwendern spätestens i m Zeitpunkt des Auftauchens jeder Rechtsfrage

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Normen zur Verfügung stellen kann, aus denen zusammen mit empirischen Prämissen entweder logisch folgt oder sich mit Hilfe von Regeln der juristischen Methode zwingend begründen läßt, was i m Einzelfall rechtlich geboten ist. Die Gründe, weshalb es i n allen faktisch existierenden Rechtsordnungen stets zahlreiche Fälle gibt, i n denen relativ zu dem von P r produzierten autoritativen Material mehrere juristische Entscheidungen möglich sind bzw., u m es m i t anderen Worten auszudrücken, zu deren Lösung eine Transformation erforderlich ist, brauchen hier nicht angeführt zu werden. Sie reichen von der Vagheit der Sprache des Rechts über die begrenzte Möglichkeit des Menschen, alle Konstellationen eines Problems zu überblicken, bis zur Tatsache, daß sich m i t der Veränderung der sozialen Verhältnisse die Antworten, die auf juristische Fragen zu geben sind, ändern können. Die Existenz von Fällen, in denen relativ zu dem von P r produzierten Material mehrere Entscheidungen möglich sind, begründet die Notwendigkeit einer Theorie der juristischen Argumentation, die geeignet ist, diese Rationalitätslücke zu schließen. 2.4.2. Der mit juristischen Urteilen erhobene Anspruch M i t juristischen Urteilen w i r d anders als mit allgemeinen praktischen Urteilen nicht der Anspruch erhoben, schlechthin vernünftig begründbar zu sein, sondern lediglich der Anspruch, i m Rahmen der geltenden Rechtsordnung vernünftig begründbar zu sein. Die Theorie der juristischen Argumentation hat damit zwei Aspekten gerecht zu werden. Sie muß zum einen sagen, was es heißt, im Rahmen einer bestimmten Rechtsordnung begründbar zu sein, und zum anderen dartun, was es bedeutet, i n diesem Rahmen vernünftig begründbar zu sein 1 1 3 . 2.4.3. Die Regeln des rationalen juristischen Diskurses I n Pi w i r d dieser Doppelaspekt durch ein System spezifischer Regeln und Formen des juristischen Diskurses (R{, . . . , R^) erfaßt. I m folgenden soll ein an anderer Stelle ausführlich dargestelltes und begründetes System von Regeln und Formen 1 1 4 kurz skizziert werden. Der Bereich dieses Systems ist begrenzt. Es bezieht sich nur auf Transformationen innerhalb des Rechts.

113 114

Vgl. ders., Theorie der juristischen Argumentation, S. 264 ff. Ebd., S. 273 ff.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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2.4.3.1. Die interne Rechtfertigung Die Regeln und Formen lassen sich i n solche der internen und solche der externen Rechtfertigung einteilen 1 1 5 . Die der internen Rechtfertigung verlangen, daß jedes konkrete rechtliche Sollensurteil aus einer universellen normativen Prämisse zusammen m i t weiteren Sätzen deduzierbar sein muß. Das allgemeinste Hauptschema der internen Rechtfertigung hat folgende Gestalt: (J.1.2)

.(1) (x)(Tx-*OR;x:)

.(2) ( x ) ( M l x - + T x ) .(3) ( x ) ( M 2 x - > M i x )

.(4) . (5) Sa (6) ORa

(1) - (5). 1 1 6

I n (J.1.2) ist (1) eine universelle normative Prämisse. Es kann sich bei ihr ζ . B. u m eine statuierte Norm, eine Regel des Präjudizienrechts oder u m eine vom Richter erstmals aufgestellte Regel handeln. (2) - (4) sind semantische Regeln, die einen Begriff des Tatbestandes so weit präzisieren, daß über sein Zutreffen i m konkreten Fall kein Zweifel mehr besteht. (5) ist eine individuelle Tatsachenaussage, die über (2) - (4) m i t (1) verbunden ist, (6) ist das konkrete rechtliche Sollensurteil, das über (2) - (5) aus (1) folgt. (J.1.2) bringt nur eine der vielfältigen Formen der internen Rechtfertigungen zum Ausdruck. Erweiterungen sind erforderlich, etwa u m die Konkretisierung der Rechtsfolge 117 , die negative Subsumtion 1 1 8 oder us Z u r Unterscheidung v o n interner u n d externer Rechtfertigung vgl. J. Wróblewski, Legal Syllogism and Rationality of Judical Decision, in: RECHTSTHEORIE 5 (1974), S. 39 ff.; ders., Legal Decision and its Justification, in: H. Hubien (Hg.), Le Raisonnement Juridique, S. 412 ff. I n der Sache dasselbe meinen Rüßmann, der v o m „logischen" u n d „außerlogischen Beweis" spricht (H. Rüßmann, Z u r Abgrenzung v o n Rechts- u n d Tatfrage, i n : H.-J. Koch (Hg.), Juristische Methodenlehre u n d analytische Philosophie, Kronberg/Ts. 1976, S. 250) u n d MacCormick, der die „first-order" v o n der „second-order justification" unterscheidet (Ν. MacCormick, Legal Reasoning, S. 19 ff., 100 ff.). Z u diesem Schema vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 276 ff., sowie H. Yoshino, Z u Ansätzen der juristischen Logik, S. 283, u n d H.-J. Koch/R. Trapp, Richterliche Innovation — Begriff u n d Begründbarkeit, i n : H. Harenburg/A. Podlech/ B. Schlink (Hg.), Rechtlicher Wandel durch richterliche Entscheidung, Darmstadt 1980, S. 89 ff. 117 Vgl. hierzu J. Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnis Verfahrens, S. 174 ff. " β Vgl. hierzu H.-J. Koch/R. Trapp, Richterliche Innovation — Begriff u n d Begründbarkeit, S. 95.

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die Reduktion darzustellen; eine Einschränkung verlangt der Fall der unmittelbaren Subsumtion unter T. (J.1.2) reicht aber aus, u m darzutun, was gemeint ist, wenn i m Blick auf den Rechtfertigungszusammenhang Prämissenvollständigkeit gefordert wird. (J.1.2) macht ferner deutlich, was alles Gegenstand der externen Rechtfertigung zu sein hat. Es ist oben bereits hervorgehoben worden, daß eine Rechtfertigung der Form (J.1.2) ohne weiteres einen Transformationsfall darstellen kann. So kann (J.1.2) ζ . B. die deduktive Vervollständigung der Transformation von (1) und (5) zu (6): (1), (5) Τ (6)

ausdrücken. Der normative Gehalt der Theorie der internen Rechtfertigung liegt gegenüber dem der allgemeinen Transformationstheorie darin, daß erstere verlangt, daß mindestens eine Prämisse auf der linken Seite eine universelle Norm sein muß. Dies entspricht (1.3') von PP. 2.4.3.2. Die externe Rechtfertigung Das eigentliche Feld der juristischen Argumentation ist die externe Rechtfertigung. Auch auf i h m sind zahlreiche Verbindungen zu PP sowie zur Transformationstheorie festzustellen. Es lassen sich sechs Gruppen von Regeln und Formen der externen Rechtfertigung i m Rahmen von Pi unterscheiden: die Regeln und Formen (1) der Auslegung, (2) der dogmatischen Argumentation, (3) der Präjudizienverwertung, (4) der allgemeinen praktischen Argumentation, (5) der empirischen Argumentation sowie (6) die sogenannten speziellen juristischen Argumentformen 1 1 9 . Die Analyse der Regeln und Formen der externen Rechtfertigung zeigt die Besonderheit der juristischen Argumentation. Diese Besonderheit besteht in einer dreifachen Beschränkung, die i n Ρρ nicht vorhanden ist: (i) der Bindung an die geltenden Rechtsnormen, (ii) der gebotenen Berücksichtigung der Präjudizien und (iii) der Einbindung i n die von der institutionell betriebenen Rechtswissenschaft erarbeiteten Dogmatik. Diesen Bindungen w i r d i m Rahmen der Theorie der juristischen A r gumentation durch Regeln, die ihnen Ausdruck geben, Rechnung getragen. Diese Regeln finden ihr transformationstheoretisches Gegenstück i n der Einteilung i n Muß-, Soll- und Kann-Quellen und der damit ausgedrückten prima facie-Hierarchisierung. Die drei Einschränkungen 119

Alexy,

Z u r Formulierung eines Systems dieser Regeln u n d Formen vgl. R. Theorie der juristischen Argumentation. S. 283 ff.

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Grundlagen der juristischen Argumentation

können, ganz i m Sinne der Ausführungen zu P R, als vernünftig gerechtfertigt werden. Der Raum des diskursiv Möglichen w i r d durch sie erheblich reduziert. Beseitigt w i r d er jedoch nicht. Dies liegt daran, daß R{, ..., Rj n i n allen Bereichen auf Wertungen, also auf Regeln und Formen des allgemeinen praktischen Diskurses verweisen. Damit nimmt PI teil an der Ergebnisunbestimmtheit von PP. Der Raum des relativ zu Pi Möglichen, er kann als „Raum des juristisch Möglichen" bezeichnet werden, ist zwar erheblich kleiner als der Raum des diskursiv Möglichen, er läßt sich jedoch nicht bis zum Punkt der Ergebnissicherheit reduzieren. Letzteres gilt auch für den „Sprung" i n das Recht (Ti). Ti ist keine Angelegenheit, die nur den Rechtstheoretiker oder Rechtsphilosophen zu interessieren hat. Selbst die einfachsten internen Rechtfertigungen, die eine universelle Prämisse als geltendes Recht behandeln, setzen Ti voraus. Τι-Probleme werden i n der juristischen Praxis nur seltener relevant als Tg-Probleme. Auch für Ti läßt sich ein Regelsystem formulieren und rechtfertigen. Sowohl bei dessen Rechtfertigung als auch bei der Arbeit m i t diesem Regelsystem spielt die allgemeine praktische Argumentation eine wesentliche Rolle. Auch i m Rahmen von Ti ist damit die Ergebnisunbestimmtheit von PP nicht eleminierbar. 2.5. Die Prozedur des gerichtlichen

Verfahrens

(Pv)

Die Ergebnisunbestimmtheit von Pi macht als vierte Prozedur die des gerichtlichen Verfahrens (P^) erforderlich. Das Ergebnis von P& hängt außer von RJ, . . . , RJJ und R{, ..., R\ a von den Regeln des Prozesses, R j , . . . , R | , ab. Rf, . . . , R gk sind so beschaffen, daß es nach Abschluß von P^ stets nur eine Möglichkeit gibt; i n Po w i r d wie i n P r nicht nur argumentiert, sondern auch entschieden. Die Notwendigkeit der Entscheidung bedeutet jedoch keine Verabschiedung der Vernunft. Daß i n einer Prozedur wie P9 entschieden wird, ist angesichts der Struktur von PP t P r und Pi vernünftig. Nach welchen Regeln R j , . . . , R 9n und wie i n P0 entschieden wird, kann unter Bezug auf PP und Pi vernünftig begründet werden. 3. Rationalität und Lebensform Die Kette der vier Prozeduren (PP, P r , Pi, P9) macht die Grenzen, aber auch die Berechtigung der Idee der praktischen Rationalität deutlich.

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Die Grenzen zeigten sich bereits bei ΡΛ Sie hatten dort zwei Gründe: Die Abhängigkeit der Ergebnisse der Prozedur von den tatsächlich vorhandenen normativen (und empirischen und metaphysischen) Überzeugungen der Teilnehmer und die Abhängigkeit der Rationalitätsregeln von den Konzeptionen praktischer Rationalität der Teilnehmer des diskurstheoretischen Diskurses. Es gibt also zwei Verwurzelungen von PP i n den vorgegebenen normativen Grundüberzeugungen der Menschen, die hier als Lebensform zusammengefaßt werden sollen. Diese Verwurzelungen sind freilich keine strikten. Menschen haben die Kompetenz, auch über einzelne ihrer Grundüberzeugungen zu diskutieren und sie zu überprüfen. Dies kann i m diskurstheoretischen Diskurs i m Rahmen der vier Begründungs- und Überprüfungsmodelle geschehen und i m praktischen Diskurs etwa i m Rahmen des Rollentausches (5.1.1) und der Überprüfung der Genese normativer Überzeugungen (5.2.1), (5.2.2). Dabei können sich die normativen Überzeugungen ändern, sie müssen es aber nicht. Wenn sie sich aufgrund des Verfahrens des Diskurses ändern, kann die Änderung als „rational" bezeichnet werden. Daß jede Argumentation i m Rahmen vorgegebener Lebensformen stattfindet, die freilich häufig schon durch vorangegangene rationale Diskurse geprägt sind, ist also nur die eine Seite der Sache. Die andere ist, daß eine Kompetenz zu praktischer Rationalität zu beobachten ist, i n etwas altertümlicher Terminologie: ein Vernunftvermögen, das die Möglichkeit eröffnet, auch grundlegende evaluative Überzeugungen auf rationale Weise zu ändern. I I I . Über die Wahrheit und Gültigkeit von Auslegungsbehauptungen in der Rechtsdogmatik 1. Der allgemeine Gesichtspunkt Der Gegenstand der juristischen Forschung ist die Rechtsordnung bzw. ein spezieller Teil derselben. Die rechtswissenschaftliche Forschung betrachtet ihren Gegenstand indes aus vielen Blickwinkeln. W i r sind gewohnt, i n der Rechtsforschung verschiedene Forschungsgebiete zu unterscheiden, ζ . B. Rechtsgeschichte, vergleichende Rechtswissenschaft, Rechtssoziologie und Rechtsdogmatik (bzw. dogmatische Rechtslehre). Diese Forschungsgebiete, oder auch Forschungsperspektiven, sind voneinander nicht unabhängig. Man könnte vielmehr behaupten, daß der Begriff der Rechtsforschung sich auf Dinge mit einer gewissen Familienähnlichkeit bezieht, auf eine A r t Bündel von Aktivitäten, die i n einer Wechselbeziehung zueinander stehen. I n der folgenden Erörterung sollen diese internen Zusammenhänge indes nicht weiter beleuchtet werden. W i r wollen unser Augenmerk vielmehr ausschließlich auf die Rechtsdogmatik richten.

Grundlagen der juristischen Argumentation

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Die Aufgaben der Rechtsdogmatik sind allgemein definiert worden als (i) die Klärung des Inhalts der Rechtsordnung und (ii) die Systematisierung von rechtlichen Begriffen und Normen 120. Diese Aufgaben sind gleichfalls miteinander verknüpft: Der Inhalt der Rechtsordnung ist nicht unabhängig von der Methode der Systematisierung und umgekehrt. I m Rahmen dieser Abhandlung müssen w i r diese theoretisch interessante Verbindung unberücksichtigt lassen; die Klärung des Inhalts der Rechtsordnung soll hier von alleinigem Interesse sein. Die Rechtsordnung ist die Summe der Rechtsnormen, die auf einer bestimmten Grundlage zusammengefügt (systematisiert) worden sind. Die Erforschung des Inhalts der Rechtsordnung ist daher gleichbedeutend mit der Erforschung des Inhalts der Rechtsnormen. I n Übereinstimmung mit der allgemein üblichen rechtstheoretischen Terminologie nennen w i r diese Aufgabe die Auslegung oder Interpretation von Rechtsnormen. Diese Termini verlangen nach Erläuterung. Um J. R. Searles bekannte Klassifikation zu benutzen und, zum Teil, zu ergänzen, möchten w i r die Normen in drei Gruppen einteilen: i n regulative, konstitutive und organisatorische Normen 1 2 1 . Die letztgenannten Normen, die i n verwickelter Beziehung zu den konstitutiven Normen stehen, sind insbesondere i n der Theorie des Privatrechts „Kompetenznormen" genannt worden 1 2 2 . Beschränken w i r uns auf die Untersuchung der regulativen Normen, soweit diese zur Darlegung des Grundproblems der Auslegung in einer anschaulichen Weise benutzt werden können. Die Aufforderung „Zahle deine Schuld!" stellt ein typisches Beispiel für eine regulative Norm dar. Alf Ross hat diesen Normentyp als eine an den Staatsbürger gerichtete Direktive (primäre Norm) charakterisiert. Man kann sie, der Terminologie von Ross folgend, stets i n eine an Behörden gerichtete Direktive umwandeln (sekundäre Norm), ohne ihren Inhalt ändern zu müssen 123 . Betrachten w i r kurz die Struktur einer solchen Norm. Gerichtet an die Behörden, besteht eine regulative Norm stets aus drei Elementen. Schriftlich kann sie folgendermaßen ausgedrückt werden: (1) N f „Wer v o n einer anderen Person Geld als Darlehen erhalten hat u n d die besagte Schuld nicht i n der vorgeschriebenen Weise beglichen hat, dem soll auferlegt werden, seine Schuld zu bezahlen . . !2o A . Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, S. 34 ff. Z u r Unterscheidung zwischen regulativen u n d konstitutiven vgl. J. R. Searle, Speech Acts, S. 50 ff. 122 A.Ross, On L a w and Justice, London 1958, S. 49 ff. 123 Ebd., S. 58 ff. 121

Normen

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Diese Norm läßt sich auf folgende Weise gliedern: Sie enthält eine Beschreibung des Tatbestand-Elements („Wer von einer anderen Person Geld . . . " ) , eine Beschreibung des Rechtsfolge-Elements („dem soll auferlegt werden, . . . " ) sowie ein spezielles Element des Sollens. Schematisch dargestellt sieht die Struktur der Norm daher folgendermaßen aus: (2)

N f ( x ) ( F x - > O G x ) 124,

wobei „ F " das Tatbestand-Element, „ G " das Rechtsfolge-Element, „ O " das Element des Sollens darstellt 1 2 5 . Normalerweise sind entweder die rechtlichen Tatbestände oder die Rechtsfolgen oder auch beide komplexe Entitäten. Zahlreiche Sachlagen, die entweder konjunktiv oder disjunktiv miteinander verbunden sind, bilden die rechtlichen Tatbestände und/oder die Rechtsfolgen. Daher könnte man für die Norm die folgende Struktur annehmen: (3)

N (: (x) (Fj χ, . . . , F n χ

Ο (G t χ, ...,

Gn x))

Der Einfachheit halber werden w i r uns hier auf eine Darstellungsweise beschränken, i n der die Beschreibung des rechtlichen Tatbestands auf die obige Weise komplex ist, also auf die folgende Form: (x) (Fi x, . . . , F n x OGi x). A u f dieser Grundlage kann die Auslegung einer Rechtsnorm als Operation definiert werden, i n der jemand einer Gruppe von Kriterien, die den rechtlichen Tatbestand (und/oder die Rechtsfolge) bilden, einen spezifischen Inhalt zuordnet. Die Behauptung, die sich als Resultat einer solchen Auslegung ergibt, kann als Normbehauptung bezeichnet werden. Allgemein gesagt handelt es sich hierbei u m eine Behauptung, die etwas über den Inhalt einer gültigen Norm aussagt 126 . Zum Beispiel: „Das i n Finnland geltende Gesetz S hat den Inhalt . . . " . Wenn w i r Normbehauptungen mit dem Buchstaben P s bezeichnen, so können w i r unser Beispiel folgendermaßen darstellen: (4)

P s: „Das i n F i n n l a n d geltende Recht enthält die N o r m (x) (F f χ

OG^ x)"

Vom sprachlichen Gesichtspunkt aus können w i r auch von Auslegungsbehauptungen (Pi) sprechen 1^7. Man kann eine beliebige Norm 124 „(x) ( F x - > OGx)" entspricht „(x) (Tx ORx) u i n den Abschnitten I und I I . 125 A . Aarnio, On Legal Reasoning, S. 11 ff. Siehe auch K. Makkonen, Zur Problematik der juridischen Entscheidung, Vammala 1965, S. 34 ff. 126 A . Aarnio, On Legal Reasoning, S. 11 f. u n d 34. 127 Ebd., S. 18, 85 u n d 21 (wo das Verhältnis zwischen Normbehauptungen u n d interpretativen Behauptungen analysiert wird). Interpretative Behauptungen beziehen sich auf den sprachlichen Bedeutungsinhalt, während N o r m -

Grundlagen der juristischen Argumentation

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als den Inhalt eines Gedankens ansehen, der mittels gewisser sprachlicher Symbole ausgedrückt ist. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet handelt es sich bei der Auslegung u m die Inhaltsklärung von sprachlich ausgedrückten Gedanken. Die Herausstellung dieses Punktes ist für die Rechtsdogmatik von großer Bedeutung. Ganz allgemein ließe sich sagen, daß die Auslegung von Rechtsnormen i n Verbindung steht mit der Textinterpretation und folglich mit den Wissenschaften, die mit der Sprache und dem Verstehen von Sprache zu t u n haben. Zudem ist die Theorie der Rechtsdogmatik von ihrer Natur her eng verknüpft m i t der allgemeinen Interpretationstheorie, zum Beispiel m i t der (Text-)Hermeneutik 1 2 8 . Es fällt leicht einzusehen, daß all dies für unser Thema von Belang ist. Die Rechtsdogmatik rückt ab von dem Bereich der empirischen Wissenschaften, ζ . B. von der Rechtssoziologie, und steht i n Verbindung m i t den sog. interpretativen Wissenschaften. Der Zusammenhang zwischen der Rechtsdogmatik und den empirischen Sozialwissenschaften ist ein instrumentaler, kein methodologischer. Die Rechtssoziologie produziert Auslegungswissen für die Rechtsdogmatik, stellt aber für diese keine Methoden bereit. Kehren w i r wieder zu dem Begriff der Normbehauptung zurück. Seine Beziehung zu dem Begriff der interpretativen Behauptung läßt sich folgendermaßen veranschaulichen. I n der Praxis können zwei A r ten der rechtsdogmatischen Auslegung auftreten, die sog. textorientierte und die problemorientierte Auslegung 1 2 9 . Unter textorientierter Auslegung verstehen wir, daß der Ausgangspunkt in einem bestimmten Teil der Gesetzgebung liegt, d. h. i n einem Gesetzestext, der i n einem Gesetzbuch (einer Sammlung von Rechtsbestimmungen) veröffentlicht wurde. Ein Beispiel hierfür könnte Kapitel 25 Absatz 2 des finnischen Strafgesetzes sein, das festlegt: „Wer . . . ein K i n d unter 15 Jahren entführt . . . oder ohne Erlaubnis ein K i n d von seinem Vater, seiner Mutter oder der Person, die m i t seiner Betreuung und Aufsicht beauftragt ist, wegnimmt, ist m i t Gefängnis zu bestrafen." Bei einer problemorientierten Auslegung ist der Ausgangspunkt ein bestimmter sozialer Konflikt, zum Beispiel ein Streit zwischen zwei Privatpersonen. Es geht darum, festzustellen, was das Gesetz zu einer solchen Angelegenheit zu behauptungen sich auf die Normen als normative Phänomene beziehen. Bei diesen zwei Behauptungstypen handelt es sich i m Grunde n u r u m zwei v e r schiedene Gesichtspunkte der juristischen Auslegung. 128 A . Aarnio, On Legal Reasoning, S. 23, u n d ders., Denkweisen der Rechtswissenschaft, S. 151 ff. 12» A P hat mich darauf hingewiesen, daß die Unterscheidung zwischen textorientierten u n d problemorientierten Gesichtspunkten n u r den sog. Entdeckung szusammenhang betrifft u n d nicht den Rechtfertigungszusammenhang. I m letzteren verliert diese Unterscheidung ihre Bedeutung.

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sagen hat. Die problemorientierte Auslegung kehrt daher genauer betrachtet zur Inhaltsklärung des Gesetzes, also zur Textinterpretation, zurück. I m folgenden w i r d die textorientierte Interpretation als typische Form der rechtsdogmatischen Auslegung angesehen. Wenn man von einem bestimmten Text ausgeht, zum Beispiel von Kapitel 25 Absatz 2 des Strafgesetzes, ist es die Aufgabe des Interpreten, den Bedeutungsinhalt des Textes zu spezifizieren. Als Resultat legt er eine interpretative Behauptung vor: „Der Inhalt des Gesetzestextes ist folgender . . . " Bezugnehmend auf seine interpretative Behauptung kann er stets «auch eine Normbehauptung vorbringen: „Das i n Finnland geltende Recht enthält die und die Norm". Interpretative und Normbehauptungen sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. I m folgenden nehmen w i r uns das Recht, von diesen Begriffen den i n der Rechtstheorie üblichen zu verwenden, den der Normbehauptung, ohne i h n i n allen Einzelheiten zu hinterfragen. Es handelt sich bei i h m eher um ein theoretisches Problem. Nehmen w i r an, ein Interpret bringt eine Normbehauptung vor, die sich auf die Norm (x) (Fi χ OG* x) bezieht. I n Anbetracht des Wesens aller Rechtsdogmatik müssen w i r uns fragen, ob sich diese Behauptung in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung befindet. Man muß sich vergegenwärtigen, daß eine Normbehauptung etwas Bestimmtes über geltende Normen aussagt. M i t anderen Worten: Gehört die Norm, auf die i n der Normbehauptung Bezug genommen wird, zum geltenden Recht? Allgemein ausgedrückt, es geht u m die Frage, ob Normbehauptungen i n der Rechtsdogmatik wahr oder falsch sein können 1 3 0 . Dieser Umstand ist zu trennen von dem Problem, ob man hinsichtlich der Rechtsnormen Wissen erlangen und, falls ja, welcher Methoden man sich hierzu bedienen kann. Die epistemologischen Fragen, die das Wissen über Normen, und die methodologischen Fragen, die die Methode zur Erwerbung von Wissen über Normen betreffen, sind von der Frage zu trennen, ob die Eigenschaften wahr/falsch den Normbehauptungen zugeschrieben werden können. I n der rechtstheoretischen Literatur sind indes diese Probleme selten auseinandergehalten worden. Die Tatsache, daß es unmöglich ist, über den Inhalt eines geltenden Gesetzes sicher zu sein, mag zu dem Schluß geführt haben, daß die Normbehauptungen, die i n der Rechtsforschung vorgebracht werden, nicht an der Kategorie der Wahrheit teilhaben 130 Es ist wichtig, die Geltung der Gesetze (der Rechtsnormen) v o n der Geltung v o n Normbehauptungen zu unterscheiden. Eine Normbehauptung, die entweder eine Normproposition oder eine Normstellungnahme sein k a n n (siehe Begriffsbestimmungen i m Text), bezieht sich auf Rechtsnormen als geltende Normen.

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können. I n einigen Fällen ist indes die Theorie der juristischen Argumentation i n einer recht undifferenzierten Weise sowohl als Theorie des Wissenserwerbs als auch als Theorie der Wahrheit angesehen worden. I n der nachfolgenden Erörterung werden wir, paradox genug, derartigen Ansichten recht nahe kommen. Dies ist allerdings nicht darauf zurückzuführen, daß w i r die Unterscheidung zwischen dem epistemologischen und dem methodologischen Gesichtspunkt sowie dem Wahrheitsproblem zu ignorieren trachteten, sondern dies ergibt sich aus der Tatsache, daß es i n der rechtsdogmatischen Auslegung nicht immer möglich ist, diese Fragen deutlich voneinander zu trennen. 2. Klärung des Problems der Untersuchung Zu Beginn ist es angebracht, zwischen drei Typen von Behauptungen zu unterscheiden: (5)

P ] : „Der Gesetzestext enthält den Satz P"

(6)

P j : „Der Satz P, der i n dem Gesetzestext enthalten ist, hat den eindeutigen I n h a l t I ?

(7)

P \ : „Der Satz P, der i n dem Gesetzestext enthalten ist, hat den interpretierten I n h a l t

Der erste angeführte Behauptungstyp (5) stellt einfach fest, daß der Gesetzestext bestimmte Wörter enthält. Er bezieht sich m. a. W. auf den Gesetzestext Enthält der Gesetzestext wirklich diese Wörter, so ist die Behauptung wahr. I n einem anderen Fall ist sie unwahr. Dies kann als „trivialer Fall einer rechtsdogmatischen Behauptung" bezeichnet werden. Behauptungen dieser A r t finden sich manchmal z. B. in Kommentaren zu Gesetzestexten. Nur die Behauptungen (6) und (7) machen einen wirklich bedeutsamen Teil der rechtsdogmatischen Forschungspraxis aus. Die Behauptung (6) impliziert, daß der Bedeutungsinhalt des Gesetzestextes nicht vage ist. Zum Beispiel: Der Gesetzestext definiert unzweideutig einen Gegenstand, X = d f Y. Die Behauptung P\ ist wahr, wenn der Gesetzes · text den Inhalt besitzt, den man i h m zuschreibt. Entsprechend ist eine Normbehauptung, die auf der Basis der Behauptung P? aufgebaut werden kann, wahr. Bekanntlich ist Eindeutigkeit von Gesetzestexten i n der Praxis relativ selten. Der Normalfall ist ein mehrdeutiger, vager, evaluativ offener oder unvollständger Gesetzestext oder auch ein Gesetzestext, der eine innere Unvereinbarkeit (bzw. einen inneren Widerspruch) ent-

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h ä l t 1 3 1 . W i r sind i m Fall der Behauptung (7) mit einer solchen Situation konfrontiert. Als Beispiel können w i r einen Fall nehmen, i n dem ein Gesetzestext i m wahren Sinne mehrdeutig ist, jedoch — der Einfachheit halber — nur zwei unterschiedliche Auslegungsalternativen zuläßt. Der Gesetzestext L kann m. a. W. bei einer vorläufigen Auslegung zwei mögliche Interpretationen erhalten, I i und Ig. Die vorläufige Auslegung kann indes auf der Semantik der Alltagssprache beruhen. Vom epistemologischen Gesichtspunkt aus bedeutet dies, daß w i r bereits wissen, daß es nur zwei Auslegungsalternativen gibt, daß w i r aber nicht wissen, welche von beiden die korrekte Auslegung ist, d. h. welche von beiden sich i n Übereinstimmung m i t der i n Frage stehenden Rechtsordnung befindet. Der obige Überblick über einen Fall von Mehrdeutigkeit kann auch, mutatis mutandis, auf Fälle von Vagheit, evaluativer Offenheit, auf Fälle von Lücken und Unvereinbarkeit angewandt werden. Verglichen mit unserem Beispiel für Mehrdeutigkeit sind die Fälle von Vagheit oder evaluativer Offenheit indes verwickelter, da die Semantik der A l l tagssprache oder die Auslegungsregeln der Rechtsdogmatik keine festen Anhaltspunkte für die Auslegung bereitstellen. I n derartigen Fällen stößt bereits eine vorläufige Auslegung auf Schwierigkeiten. Solche Probleme stehen hier jedoch nicht zur Diskussion. Zunächst läßt sich feststellen, daß der Behauptungstyp (7) i n drei Untertypen zu unterteilen ist. Der oben erläuterten Terminologie folgend handelt es sich bei der Behauptung P? u m eine Auslegungsbehauptung. Sie bezieht sich auf den Bedeutungsinhalt des Gesetzestextes L. A u f der Grundlage von P? können w i r stets eine Normbehauptung formulieren: „ I n der (finnischen) Rechtsordnung gilt die Norm Ν mit dem Inhalt Ij." I n der Terminologie der Philosophie w i r d eine Behauptung, der ein Wahrheitswert zugeschrieben werden kann, als Proposition bezeichnet. I n Übereinstimmung m i t diesem Sprachgebrauch handelt es sich bei einer Normbehauptung, die mittels der Begriffe Wahrheit oder Unwahrheit qualifiziert werden kann, u m eine Normproposition. I n dieser Bedeutung stellt die Normproposition einen Untertypus des allgemeineren Begriffes der Proposition dar. I n der folgenden Erörterung w i r d mittels des Buchstabensymbols P n auf den Terminus der Normproposition Bezug genommen. Nicht alle rechtsdogmatischen Normbehauptungen haben einen Wahrheitswert i m obigen Sinne. I m Falle der Mehrdeutigkeit zum Beispiel 131

Z u diesen Begriffen vgl. oben I. 5.5.

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kann der Interpret m i t zwei Auslegungsalternativen (Ii/Ig) konfrontiert werden, zwischen denen er eine Wahl zu treffen hat. Die Wahl, die er trifft, ist, wie w i r aufzeigen werden, zu rechtfertigen und damit gültig, aber nicht wahr oder falsch, wie es eine Proposition stets ist. I n unserer Erörterung w i r d das Resultat einer gerechtfertigten Wahl zwischen den Inhaltsalternativen einer Norm als „Normstellungnahme" (norm contention) (P c) bezeichnet werden. Verglichen m i t der Normproposition kann die Normstellungnahme ausschließlich mittels der Begriffe Gültigkeit oder Ungültigkeit (gerechtfertigt/ungerechtfertigt) qualifiziert werden. Der Terminus Normempfehlung (P r) wiederum w i r d zur Bezeichnung einer Aussage verwendet, wo ein „Empfehlungsoperator" m i t einer Normproposition (einer Behauptung m i t der Eigenschaft wahr/unwahr) oder einer Normstellungnahme (einer Behauptung mit der Eigenschaft gültig/ungültig) verbunden ist. Eine Normempfehlung weist m i t anderen Worten ungefähr dié folgende Form auf: „Dies ist der Inhalt der Norm Ν auf der Grundlage von G; akzeptiere diese Auslegung!" I n groben Zügen läßt sich die obige Dreiteilung folgendermaßen darstellen:

Ebene der Rechtsdogmatik

Normbehauptung Normproposition

i Ebene der Rechtsordnimg

Normstellungnahme

I

Normempfehlung

I

Geltende Rechtsnorm

Diese Abhandlung w i r d sich auf die Schwierigkeiten konzentrieren, die sich hinsichtlich der Begriffe Normproposition und Normstellungnahme i n der Rechtsdogmatik ergeben. Genauer ausgedrückt geht es u m die Frage, ob eine Normproposition oder eine Normstellungnahme i m Rahmen der Rechtsdogmatik w i r k l i c h vorgebracht werden kann. Das Problem des Inhalts, der Struktur und des Bedeutungsinhalts von Normempfehlungen soll hier nicht weiter untersucht werden. Normpropositionen bilden einen geeigneten Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung. Wenn w i r zum Beispiel argumentieren, daß die Interpretation I i die korrekte Interpretation ist, m. a. W., daß die Normproposition P n i , i n der die Interpretation I i ihren Ausdruck findet, wahr ist, so w i r d diese Annahme unvermeidlich m i t dem Begriff der Geltung einer Norm ver5 Krawietz/Alexy

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bunden sein. Eine Normproposition sagt ausdrücklich etwas über geltende Normen aus. Um nun die Ansicht verteidigen zu können, daß — unter gewissen Umständen — eine Normbehauptung wahr bzw. unwahr ist, müssen w i r für eine annehmbare Auffasung von der Geltung einer Norm eintreten. Die Auffassungen über die Geltung von Normen lassen sich wiederum grob i n zwei Kategorien einteilen, i n realistische und nichtrealistische Ansichten. W i r werden einige Denkweisen vorbringen, die als realistisch bezeichnet werden können. Zugleich können hierbei einige inhärente Probleme aufgezeigt werden. A u f diese Weise werden w i r hoffentlich Argumente vorbringen können, die meine eigenen Interpretationen am Schluß dieser Abhandlungen rechtfertigen. 3. Uber den Wahrheitscharakter von Normbehauptungen im Sinne des (Rechts-)Realismus Charakteristisch für die realistischen Ansichten ist der Versuch, Geltung m i t empirisch verifizierbaren gesellschaftlichen Phänomenen zu vereinen. Expliziter ausgedrückt: Der Begriff der Geltung w i r d auf die eine oder andere A r t verbunden m i t dem Begriff des menschlichen Verhaltens. Ein solcher Versuch kann auf unterschiedliche Weise unternommen werden. 3.1. Die Richtung, die man den amerikanischen Realismus nennt, basiert auf dem Gedanken, daß sich das Gesetz i n der Gerichtspraxis verw i r k l i c h t 1 8 2 . Dieser Ansicht entsprechend ist eine Behauptung, die i m Rahmen der Rechtsforschung vorgebracht wird, eine Vorhersage des behördlichen Verhaltens. G. H. von Wright hat diese Denkweise folgendermaßen veranschaulicht. Er beginnt m i t dem Begriff der (juristischen) Pflicht. Nach von Wright ist ein Individuum i verpflichtet, Τ zu tun, wenn i zu einer Gruppe von Handelnden A gehört und wenn es (sehr) wahrscheinlich ist, daß, wenn ein A sich der Tat Τ enthält, eine Behörde V daraufhin die Maßnahme R ergreifen wird. Hierbei setzt von Wright voraus, daß es sich bei R u m etwas für A Unangenehmes handelt, m i t anderen Worten, daß die Unannehmlichkeit, die dem Auftreten von R eigen ist, für die meisten von A größer ist als die Annehmlichkeit (der Gewinn), die (der) sich aus der Verweigerung von Τ ergibt. U m von Wrights eigene Worte zu gebrauchen: „Falls i verpflichtet ist, Τ zu tun, dann sagen w i r , daß die Norm, nach der alle A's die Tat Τ t u n sollen, gültig ist 1 3 3 ." 132 Twining , K a r l L l e w e l l y n and the Realist Movement, Coventry 1973. Siehe auch T. M . Benditi , L a w as Rule and Principle, Sussex 1979, Kap. 1 - 2 . !33 G. H. von Wright, Normien eksistenssi, Unveröffentlichte A b h a n d l u n g 1963.

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Diese Interpretation erinnert uns i n manch wichtiger Hinsicht an die Gedanken der amerikanischen Realisten, ist aber u m einiges präziser. Auf der anderen Seite sollte wohl auch herausgestellt werden, daß gewisse radikale Tendenzen i m amerikanischen Realismus häufig die Existenz der Norm überhaupt verneint haben. Das Gesetz war ausschließlich eine Regelmäßigkeit i m Verhalten der Behörden. Verständlicherweise eignet sich eine solche norm-nihilistische Denkweise nicht als Basis für die Erörterung der Wahrheit bzw. Unwahrheit von Normbehauptungen. Trotzdem führen auch die Interpretationen, die auf der von Wrightschen Denkweise basieren, zu bestimmten Problemen. Zunächst einmal erscheint es nicht als selbstverständlich, die „Annehmlichkeit" oder „Unannehmlichkeit" von R m i t den Vorstellungen der Mehrheit von A zu verbinden. Hinsichtlich unseres Themas ist jedoch die Situation problematischer, wenn die Staatsbürger gewohnheitsmäßig in der Weise -« Τ handeln und es dennoch wahrscheinlich ist, daß die Gerichte für —• Τ die Sanktion R verhängen werden. Die oben beschriebene Denkweise stellt m. a. W. das Verhalten des Staatsbürgers nicht als ein K r i t e r i u m für Geltung i n Rechnung. Nebenbei bemerkt ist eine solche Ansicht vom Standpunkt des Obersten Gerichtshofes aus problematisch. Für diesen ist wichtig, ob eine Norm eine Pflicht mit sich bringt, und nicht, ob der Oberste Gerichtshof (sehr) wahrscheinlich i n der Weise R vorgehen wird. I n gewisser Beziehung muß der Oberste Gerichtshof selbst das K r i t e r i u m für die Geltung einer verpflichtenden Norm bilden. Ein Realismus wie der oben beschriebene versagt auch darin, daß er die Möglichkeit außer acht läßt, daß ein Gericht sich (sehr) wahrscheinlich auf eine bestimmte Weise verhalten wird, man diese Verhaltensweise aber zugleich als ungesetzmäßig erweisen kann. Letzteres kann man zum Beispiel i n Krisenzeiten für möglich halten, wenn die beschlußfassende Behörde unter äußerem Druck zu arbeiten hat. Schließlich sollten w i r uns vergegenwärtigen, daß der hier dargestellte Gedankengang letztendlich nicht den Grad der Wahrscheinlichkeit genauer angibt, den man als K r i t e r i u m für die Geltung einer Norm benötigt. Ist irgendeine Norm auch dann gültig, wenn es ebenso wahrscheinlich ist, daß eine Behörde zum Beispiel der Norm A, der Norm Β oder der Norm C folgt? Alles i n allem scheint es daher so zu sein, daß die Geltung i m Gegensatz zu den vom amerikanischen Realismus vorgebrachten Theorien nicht verknüpft werden kann m i t der Wahrscheinlichkeit, daß eine Behörde auf eine bestimmte Weise reagieren wird. 3.2. Die Version des skandinavischen Realismus, die von Alf Ross repräsentiert wird, ähnelt hinsichtlich einiger struktureller Merkmale dem amerikanischen Realismus 134 . I n manch wesentlicher Hinsicht ist Ross allerdings mehr i n Einzelheiten gegangen. Ein wesentlicher Aspekt 5*

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seiner Denkweise ist, daß eine Behauptung i n der Rechtswissenschaft de facto entweder prädikativ (vorhersagend) oder nichtprädikativ sein kann. Behauptungen der letzteren A r t erfüllen indes nicht die Kriterien der Wissenschaftlichkeit, da sie grundsätzlich nicht verifizierbar sind. Eine nichtprädikative Behauptung ist ein normativer Standpunkt, ζ . Β. wie man zu handeln habe. Damit die Jurisprudenz den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erheben kannn, muß sie Prädiktionen produzieren. Deren Inhalte sagen indes nicht die Endergebnisse des behördlichen Verhaltens voraus. Ross läßt damit also die radikale Ausprägung des Behaviourismus fallen. Er ist der Ansicht, daß die Prädiktion aussagt ob eine gedachte Norm Teil der normativen Ideologie ist, an die sich der Richter gebunden fühlt. Eine Prädiktion i n der Rechtswissenschaft stellt m. a. W. etwas über die normative Ideologie fest, d. h. über die normative Basis, die den Richter bindet. Trotz dieser Präzisierungen lassen sich gegen Ross vielfach dieselben kritischen Anmerkungen ins Feld führen wie gegen den amerikanischen Realismus. Aber auch der folgende Punkt soll hier Beachtung finden. Nach Ross ist eine Norm gültig, wenn sie wahrscheinlich i n der normativen Ideologie des Entscheidenden enthalten ist. Hat dies zu bedeuten, daß eine Norm stets nur m i t geringerer oder größerer Wahrscheinlichkeit gültig ist? Auch wenn die Norm N i i m Moment U Bestandteil der Ideologie des entscheidungsfällenden Richters ist, verbleibt noch immer ein Rest an Wahrscheinlichkeit, daß die normative Ideologie des Richters bei zukünftigen, gleichgelagerten Fällen die Norm enthalten wird, die m i t N\ nicht identisch ist. W i r sind hier also mit der Möglichkeit konfrontiert, daß die Rechtsordnung nur etwas wahrscheinlich Geltendes ist. 3.3. Ilkka Niiniluoto hat für eine Lösung plädiert, die derselben Quelle entspringt wie die oben beschriebenen realistischen Ansichten, mit der er allerdings einige hier auftretende Probleme umgehen w i l l 1 3 5 . Nach Niiniluoto sind Normbehauptungen „Behauptungen über soziale Verhältnisse. Daher ist eine Normproposition dann und nur dann wahr, wenn sie ein wirklich bestehendes soziales Verhältnis, d. h. ein soziales Faktum ausdrückt." A n anderer Stelle hat Niiniluoto bemerkt, daß „ein Verhältnis . . . sozial ist, wenn es auf wesentliche A r t soziale Gruppen und Handelnde miteinbezieht, zum Beispiel Gruppen von Menschen . . . oder verschiedene Institutionen". 134 Siehe i n diesem Zusammenhang A . Aarnio, O n Legal Reasoning, S. 243 ff. 135 j . Niiniluoto, O n the T r u t h of N o r m Propositions, i n : RECHTSTHEOR I E Beiheft 3 (1981), S. 171 ff. Siehe auch ders.. O n T r u t h and Argumentation i n Legal Dogmatics, S. 53 ff.

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A u f der Basis dieser Überlegungen sieht Niiniluoto die folgenden Behauptungen als synonym an: (a) Die Norm Ν ist gültig i n C. (b) Die Norm Ν gehört zu der Rechtsordnung von C. (c) Die Rechtsgemeinschaft von C akzeptiert die Norm Ν als rechtmäßig i n C. Die Wahrheitsbedingungen der Propositionen (a) und (b) können durch die Behauptung (c) ausgedrückt werden. M i t anderen Worten: Die Norm Ν ist i n einer Rechtsgemeinschaft dann und nur dann gültig, wenn die Mitglieder dieser Gemeinschaft die Norm Ν als Rechtsnorm akzeptiert haben. Niiniluoto faßt unter dem Begriff der Rechtsgemeinschaft alle die Personen zusammen, die hinsichtlich ihres Berufes bestimmte Kriterien erfüllen. Er schreibt: „Die Rechtsgemeinschaft besteht aus den professionellen Juristen und den Personen, die i n rechtlich relevanten Positionen tätig sind (ζ . B. i n der Gesetzgebung, der Verwaltung, als Geschworene etc.)". Wesentlich i n Niiniluotos Ansichten ist der Zusammenhang zwischen Geltung und aktualem (tatsächlich bestehendem) Akzeptieren. A u f der anderen Seite begrenzt er die akzeptierenden Subjekte nicht auf Behören, ζ . B. auf Gerichte, wie es die amerikanischen Realisten oder auch Alf Ross tun. Er geht von einem viel weiteren Begriff aus, nämlich dem der Rechtsgemeinschaft, die nicht nur die Anwender des Rechts umfaßt, sondern auch Forscher und sogar manche Nichtjuristen. Indes kann selbst Niiniluoto nicht allen Problemen aus dem Weg gehen. Wenn er aktuales Akzeptieren fordert, ist er gezwungen, auf das Akzeptieren durch die Mehrheit zu bauen: die meisten Mitglieder akzeptieren N, glauben, daß auch die anderen Mitglieder Ν akzeptieren, und handeln so, als sei Ν gültig. Wie sollten w i r nun den Fall deuten, daß ein Gericht die Norm N\ anwendet, während die übrige Rechtsgemeinschaft allgemein die Norm No akzeptiert? Hat das Gericht i n diesem Fall eine Norm angewandt, die nicht gültig ist? Die Sachlage verwickelt sich weiter, wenn w i r annehmen, daß es sich bei dem betreffenden Gericht u m den Obersten Gerichtshof handelt. Was würde geschehen, wenn es i n einer Rechtsgemeinschaft für eine bestimmte Norm keine Mehrheit gäbe, sondern nur verschiedene, sich zum Teil widersprechende Ansichten? Beide Fragen offenbaren die Tatsache, daß sich der Mehrheitsbegriff nicht als K r i t e r i u m für Geltung eignet, wenn w i r das tatsächliche Rechtsleben betrachten. Die Lage w i r d noch heikler, wenn w i r es m i t einem völlig neuen Gesetz zu t u n haben. Ein solches Gesetz ist nur von einem Teil der

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Rechtsgemeinschaft akzeptiert worden, dem Gesetzgeber. Rein quantitativ gesehen steht dieser deutlich i n der Minderheit. Der Rest der Rechtsgemeinschaft hat zu der Angelegenheit keine Stellung genommen. Ist die Norm nun gültig? Wenn dem so ist, so ist es offensichtlich, daß w i r einen Begriff des Akzeptierens annehmen müssen, der weniger „streng" ist als der des aktualen Akzeptierens. Die obigen Gesichtspunkte werden von Niiniluoto außer acht gelassen. Ein anderer problematischer Fall entsteht dann, wenn die falsche Norm aus Versehen akzeptiert worden ist. Wenn das aktuale Akzeptieren der alleinige Maßstab für die Geltung ist, so sieht man sich der heiklen Frage gegenüber, ob es dann überhaupt noch möglich ist, die Meinung zu vertreten, eine bestimmte akzeptierte Norm widerspreche dem geltenden Recht. Diese Frage ist auch i n den Fällen von Belang, wo das Akzeptieren durch Zufall geschehen ist und nicht gerechtfertigt werden konnte. Wenn man den Zufall aus dem aktualen Akzeptieren ausschließen möchte, so muß man sich für einen gewissen Begriff des gerechtfertigten Akzeptierens entscheiden, was dann allerdings etwas anderes ist als das aktuale Akzeptieren durch die Rechtsgemeinschaft. Aufgrund der hier vorgenommenen Überlegungen müssen w i r feststellen, daß die von Niiniluoto vorgeschlagene Lösung die hier dargestellte Feuerprobe nicht besteht. Die Behauptung {c): „Die Rechtsgemeinschaft von C akzeptiert die Norm Ν als rechtmäßig i n C" liefert keine verläßliche Bestimmung der Wahrheitsbedingungen für (a) und (b). Die Behauptung (c) zeigt nicht auf, wann die Norm Ν i n einer bestimmten Rechtsordnung gültig ist. Eine Normproposition wird, u m zusammenzufassen, als Behauptung verstanden, die mittels der Begriffe Wahrheit und Unwahrheit qualifiziert werden kann. Die Normproposition bezieht sich auf gültige Rechtsnormen. Geltung w i r d andererseits definiert als ein soziales Verhältnis. Wenn man sich diese Punkte vergegenwärtigt, so sieht man, daß i n dem Begriff der Normproposition zweierlei Probleme enthalten sind: (i) Die Wahrheitsbasis einer Normproposition ist nicht eindeutig. Zunächst kann man die Geltung einer Rechtsnorm nicht ausschließlich mit Hilfe von empirischen Begriffen, zum Beispiel als soziales Verhältnis, definieren. Zweitens werfen die Kriterien für die Geltung eine Vielzahl von theoretischen Problemen auf. (ii) Grundsätzlich ist es wohl möglich, Behauptungen wie (c) i n der Rechtsdogmatik als Propositionen vorzubringen. Derartige Propositionen sind allerdings i n der rechtsdogmatischen Forschungspraxis relativ selten. Normpropositionen stellen demnach keine repräsentativen

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Beispiele für rechtsdogmatische Normbehauptungen dar. I n der Forschungspraxis scheinen Normstellungnahmen die wichtigste Gruppe der Behauptungen zu bilden. Wie oben festgestellt wurde, ist eine Normstellungnahme ein gerechtfertigter Standpunkt über den mehrdeutigen Inhalt einer Norm. Sie ist nicht nur als Empfehlung oder als Behauptung gedacht, m i t der andere beeinflußt werden sollen. Die Intention einer Normstellung ist es, Wissen über die geltende Rechtsordnung (bzw. über einen Teil derselben) bereitzustellen. Das Problem liegt indes darin, wie die Beziehung zwischen einer solchen Behauptung und der Kategorie Wahrheit/Unwahrheit zu charakterisieren ist. I m folgenden soll die Ansicht verteidigt werden, daß eine Normstellungnahme die Eigenschaft „wahr/ unwahr" nicht haben kann. Das Wesen der Gültigkeit von Normstellungnahmen ist m. a. W. „weniger streng" als die Wahrheit von Normpropositionen. 4. Kohärenz und Gültigkeit von Normstellungnahmen Es ist charakteristisch für sämtliche oben beschriebene Ansichten, daß sie auf die eine oder andere A r t Wahrheit mit der Realisierung von Normen oder zumindest m i t dem Mechanismus der Normen oder mit ihrer Wirkung i n der Gesellschaft verknüpfen. Eine ganz andere Auffassung vertreten diejenigen, die die verbindliche Natur der Rechtsnormen als unabhängig von der Anwendung sehen. Für sie ist ein Rechtssystem gültig und verbindlich bereits vor seiner Anwendung. Zur Unterscheidung dieser Ansichten von denen der Realisten hat es sich eingebürgert, von „idealistischen Ansichten" zu sprechen. I n dieser Abhandlung wurde oben der Terminus „nichtrealistische Ansichten" hierfür verwendet. I n schriftlich fixierten Rechtssystemen wie den Rechtssystemen des europäischen Kontinents und Skandinaviens nehmen der Wille des Gesetzgebers und dessen objektive Form, der Zweck des Gesetzes (seine ratio), eine zentrale Rolle ein 1 3 6 . Der Gedanke des gesetzgeberischen Willens impliziert den Begriff eines Handelnden, der Gesetze formt, während sich die ratio des Gesetzes auf das Endergebnis der legislativen Tätigkeit bezieht. Wille und ratio sind indes eng miteinander verbunden, denn die vom Gesetzgeber ausgedrückte Absicht w i r d i m allgemeinen als die ratio des Gesetzes angesehen. Der Zusammenhang m i t dem Problembündel bezüglich der Wahrheit von Normpropositionen ist offensichtlich. Wenn der Wortlaut des Gesetzes unklar ist, so könnte man die Absicht des Gesetzgebers für !3β Siehe hierzu ζ . Β . K . Olivecrona,

L a w as Fact, S. 120 ff.

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entscheidend halten. Man könnte also folgern, daß eine Normproposition dann gültig ist, wenn sie m i t der Absicht des Gesetzgebers übereinstimmt I n anderen Fällen ist sie nicht gültig. Das Problem ist hier die Wahrheitsbasis selbst, die Intention des Gesetzgebers. I n dem rechtstheoretischen Schrifttum w i r d gewöhnlich zwischen der historischen und der hypothetischen Absicht unterschieden. Die historische Absicht ist die, die der Gesetzgeber während der Phase des legislativen Aktes gehabt hat. Hinsichtlich unseres Themas tauchen hierbei zahlreiche Probleme auf. Drei von ihnen sollen hier Erwähnung finden. Als erstes: Es kann an einer historischen Absicht mangeln, d.h. der fragliche Sachverhalt stand zur Zeit des gesetzgeberischen Aktes überhaupt nicht zur Diskussion, oder es wurde hierzu keine unzweideutige Haltung eingenommen. Z u m zweiten kann die historische Absicht zu manchen Zeiten auch kontradiktorisch gewesen sein: Z u der Zeit, als das Gesetz verabschiedet wurde, wurden zwei einander ausschließende Ansichten akzeptiert. Der häufigste Fall besteht allerdings wohl darin, daß die historische Absicht nicht mehr den Anforderungen der gesellschaftlichen Situation entspricht E i n solcher Fall t r i t t häufig bei alter Gesetzgebung ein, aber auch relativ junge Gesetze können i n Bereichen, i n denen sich gravierende Umwälzungen vollzogen haben, dieses Schicksal erfahren. Aus diesen Gründen bildet die historische Absicht keine Basis, auf der man Normbehauptungen allgemein verifizieren könnte. Die historische Absicht ist kein soziales Faktum, für immer und ewig gegeben, das das Wahrheitsproblem i n allen Fällen lösen könnte. Teils deswegen, teils auch aus anderen Gründen, ist recht früh i n der Rechtsphilosophie die Lehre von der sog. hypothetischen Absicht entwickelt worden. Die hypothetische Absicht ist die Absicht, die der Gesetzgeber gehabt hätte, wäre er m i t den Umständen des jeweiligen Problems vertraut gewesen. Die Lehre von der hypothetischen Absicht findet spezielles Interesse vom Standpunkt der oben erwähnten nichtrealistischen Auffassungen. Schließlich haben w i r es hier m i t etwas zu tun, was nicht auf dieselbe Weise empirisch verifizierbar ist wie zum Beispiel das Verhalten von Behörden. Die hypothetische Absicht ist, so könnte man sagen, ein postulierter Sachverhalt Es ist etwas, von dem man annimmt, man könnte es mittels bestimmter Informationen, zum Beispiel mittels der Vorarbeiten zu den Gesetzen und der juristischen Literatur herleiten. Das Wesen der hypothetischen Absicht als etwas Postuliertes macht die Frage der Wahrheit von Normbehauptungen jedoch zu einer äußerst komplizierten Angelegenheit. Was bedeutet es denn eigentlich, wenn jemand sagt, die Normproposition P n sei dann und nur dann wahr, wenn P n m i t der hypothetischen Absicht des Gesetzgebers übereinstimmt?

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Nehmen w i r an, daß eine Person a und eine Person b uneins sind über die Auslegung eines Gesetzestextes L. a plädiert für die Interpretation I i , während b der Meinung ist, daß diese Interpretation I i der Rechtsordnung widerspricht, b kann der Ansicht sein, braucht dies aber nicht unbedingt zu sein, daß sich eine zweite Interpretation Ig i n Übereinstimmung mit der Rechtsordnung befindet. W i r können diese Situation m i t Hilfe der Symbole a/If 0S, fc/IJ 1 e g veranschaulichen, wobei „pos" eine positive und „neg" eine negative Einstellung zur Interpretation I i signalisiert. W i r können beginnen m i t der Annahme, daß — entsprechend Niiniluotos Vorschlag — die zwei folgenden Behauptungen synonym sind: (d) Die Norm Ν ist gültig i n C. (e) Die Normbehauptung (d) stimmt mit dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers überein. Oben hatten w i r indes festgestellt, daß die hypothetische Absicht eine postulierte Entität sei. W i r können nun die Folgefrage stellen: Worauf soll a sich berufen, wenn er den Versuch unternimmt, die Gültigkeit der Behauptung (d) zu zeigen? Es gibt legislative Texte, Vorarbeiten zu den Gesetzen, Präzedenzfälle, rechtsdogmatische Literatur, Gewohnheitsrecht („die Landessitte"), den systematischen Gesichtspunkt und eine Vielzahl von praktischen Argumenten wie die Berücksichtigung und Bewertung der Folgen. I n der Rechtstheorie werden diese Dinge die Rechtsquellen (sensu largo) genannt. A u f den folgenden Seiten dieser Abhandlung w i r d sich das Symbol S auf ein derartiges Material beziehen. A u f der Grundlage der obigen Analyse könnte nun die Behauptung versuchsweise folgendermaßen geschrieben werden: (f) Die Rechtsquellen (S) liefern ausreichende Argumente für die hypothetische Absicht des Gesetzgebers. Die Gültigkeit der Behauptung (d) w i r d nun also durch die Behauptung (f) determiniert. Die Behauptung (d) ist dann und nur dann gültig, wenn die Rechtsquellen (S) ausreichende Argumente bereitstellen, m i t denen sich die Behauptung begründen läßt. Da es uns hier allerdings u m den Problemkreis der Wahrheit geht, müssen w i r feststellen, daß die Theorie der hypothetischen Absicht für eine weitergehende Analyse keine theoretische Grundlage bilden kann. Wie bereits bemerkt, ist die hypothetische Absicht ausschließlich eine postulierte Entität Als solche ist sie zugleich ein überflüssiges terminologisches Element. Wenn α versucht, seine Ansicht über die Gültigkeit der Interpretation I i (deren Übereinstimmung mit der Rechtsordnung) zu verteidigen, ist es für sein Gelingen wichtig, solche Rechtsquellen

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anzuführen, die die Interpretation I i rechtfertigen. Es ist hierbei ohne Belang, ob sich α auf die hypothetische Absicht als einen „vermittelnden" Faktor beruft. Der entscheidende Faktor ist die Kompatibilität der Interpretation I i mit den Rechtsquellen S. a bringt i n der Argumentation eine Normstellungnahme vor, die sich auf die Alternative I i bezieht. W i r sind folglich mit dem Problem der Gültigkeit von Normstellungnahmen konfrontiert. Zunächst kann die obige Analyse, bezogen nun auf die Gültigkeit von Normstellungnahmen i n der Rechtsdogmatik, i n der folgenden verallgemeinerten Form als Definition niedergeschrieben werden: Def. I : Eine Normstellungnahme (Auslegungsstellungnahme) ist dann u n d n u r dann wahr, w e n n zwischen der Stellungnahme u n d dem A u s legungsmaterial, das zur Stützung derselben vorgebracht w i r d , K o härenz besteht 1 3 7 .

„Kohärenz" steht hier für Kompatibilität m i t allem, was sonstwie für gerechtfertigt erachtet wird. Das Auslegungsmaterial ist, wie oben gesagt, dasselbe wie die Rechtsquellen (S). Die Auslegung oder die Normstellungnahme ist m. a. W. nur unter der Voraussetzung gültig, daß sie mit dem Bündel der Feststellungen, die als Rechtsquellen akzeptiert werden, kohärent ist 1 3 8 . Dieser Definition gemäß kann die Normstellungnahme Pei, i n der die Interpretation I i ausgedrückt ist, nur m i t dem Bündel Si kohärent sein. Die Stellungnahme Peg, die die Interpretation I2 enthält, ist wiederum nur m i t dem Bündel Sj kohärent. Schematisch darstellen läßt sich diese Situation folgendermaßen:

Die Gültigkeit einer rechtsdogmatischen Normstellungnahme (und/ oder einer Auslegungsstellungnahme) ist demzufolge keine Wahrheit i m Sinne der Übereinstimmungstheorie, sondern sie ist wahr i m Sinne der Kohärenztheorie. Dies ist stets der Fall, wenn es sich u m eine vage Norm handelt. Der Interpret hat unter zwei oder mehreren AlternatiA . Aarnio , O n T r u t h and Acceptability of Interpretative Propositions i n Legal Dogmatics. *®e V o m logischen Standpunkt aus ist es w o h l möglich zu behaupten, daß Normstellungnahmen w a h r bzw. falsch seien, da sie etwas über die Rechtsquellen behaupten. Sie beziehen sich auf diese Quellen, nicht n u r i m Sinne der Kohärenztheorie. Dennoch ist eine A r g u m e n t a t i o n dieser A r t irreführend. Eine Normstellungnahme sagt etwas über das geltende Recht aus, welches nicht m i t den Rechtsquellen identifiziert werden darf. Das geltende Recht ist etwas, was m i t H i l f e gewisser „Sprünge" zum Beispiel aus dem Quellenmater i a l transformiert werden kann. — Ich verdanke diesen Hinweis AP.

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ven eine mögliche Auslegung auszuwählen. Man denkt an eine solche Situation, wenn man von einer echten Auslegungssituation spricht. Die „Wahrheit" von Normstellungnahmen (Auslegungsstellungnahmen) ist hierbei relativ; sie ist es hinsichtlich des Bündels von Feststellungen, die den Hintergrund für die Kohärenz bilden. Diese A r t von „Wahrheit" ist allerdings von einer sehr schwachen Natur. Sie ist so schwach, wie es Wahrheit i m Sinne der Kohärenztheorie allgemein ist. 5. Konsensus, Akzeptierbarkeit der Auslegung und das Auditorium Die Definition I kann nicht — u m das oben Gesagte noch einmal aufzunehmen — als Grundlage gelten, die auf erschöpfende Weise die „richtige" Auslegung liefert i n dem Sinne, daß man sagen könnte, die Normstellungnahme habe eine und nur eine Wahrheitsbasis. Es ist auf der Basis der Definition nicht möglich, einem Behauptungsbündel gegenüber dem anderen (Si/Sj) den Vorzug zu geben. Wenn w i r zudem daran denken, daß es keine objektiven und allzeit gültigen Auswahlkriterien gibt, so sehen w i r uns m i t der Frage konfrontiert, ob w i r überhaupt die Interpretationen I i und Ig i n eine Rangordnung des Vorzugs bringen können. Die andere Seite der Frage ist, ob die Relativität der Gültigkeit von Normstellungnahmen zur Willkürlichkeit führt. Ist es überhaupt möglich, eine Auslegung als einer anderen gleichwertig anzusehen? Wenn dem so ist, so würde dies dazu führen, daß es i n gleicher Weise gerechtfertigt wäre, eine jede beliebige Auslegung als in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung anzusehen. W i r glauben indes, daß, obwohl die Annahme der Kohärenz auf schwachen Füßen steht, sie dennoch nicht zu einer derartigen W i l l k ü r führen wird. Zudem finden sich i n der Forschungspraxis und der Geschichte der Rechtslehre keine Bestätigungen für das Argument der Willkürlichkeit. Die Rechtsdogmatik ist keine Ansammlung von stichprobenartig ausgewählten und „gleich gültigen" Auslegungen („Chaos"). Die Rechtsforschung ist ebenso wie die Rechtsanwendung von Rationalität geprägt worden. W i r möchten abschließend versuchen, diesen Aspekt zu erörtern. Nehmen w i r an, ein Forscher α habe die Normstellungnahme P c 1 vorgebracht, die m i t der Interpretation I i übereinstimmt. Er trägt seine Interpretation stets jemandem vor. I n unserem Beispiel ist dies ein gewisser b. W i r könnten indes den Kreis der Adressaten auch erweitern und annehmen, daß α seine Auslegung einer Gruppe von Menschen vorträgt. U m hier den Gedankengängen von I l k k a Niiniluoto zu folgen, möchte ich diese als Rechtsgemeinschaft bezeichnen. Das Problem der Errichtung einer Rangordnung wandelt sich i n die Frage, welche Auslegung i n der Rechtsgemeinschaft akzeptabel ist. Die Rechtsgemein-

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schaft ist der Prüfstein, der aus einer Fülle von Interpretationen eine bestimmte bzw. bestimmte Interpretationen auswählt. Wenn w i r die I n terpretationen h und I* vorbringen, sind i m Sinne der Kohärenztheorie die entsprechenden Stellungnahmen gleichermaßen gerechtfertigt, solange wie w i r für beide ein kohärentes Bündel S anführen können. Es kann jedoch sein, daß die Rechtsgemeinschaft sich ausschließlich für die Interpretation I i entscheidet. A u f welcher Grundlage geschieht dies? Die A n t w o r t auf diese Frage steht i m Zusammenhang m i t dem Begriff des Konsensus. Das Bündel S enthält Elemente der verschiedensten A r t . Gemäß der skandinavischen Auffassung über die Rechtsquellen gehören hierzu legislative Texte, Vorarbeiten zu Gesetzen, Präzedenzfälle, die sog. Landessitte, die Jurisprudenz, systematische Argumente wie auch verschiedene praktische Gesichtspunkte. Der Umfang dieser Quellenliste kann — je nach der betr. Rechtskultur — variieren. Gute Beispiele hierfür sind die exegetische Schule i n der französischen Gerichtspraxis zu Beginn des 19. Jahrhunderts und später die sogenannte Freirechtsschule i n der deutschen Rechtstheorie. Erstere akzeptierte als Rechtsquellen ausschließlich legislative Texte (nebst den Vorarbeiten zu Gesetzen), während letztere die Liste der Rechtsquellen vollkommen offenließ. Wenn es darum geht, eine bestimmte Auslegungsalternative (in unserem Beispiel die Interpretation Ii) zu rechtfertigen, muß eine gewisse Kombination von Rechtsquellen nutzbar gemacht werden. I n der obigen Erörterung sind die Symbole Si und Sj i n diesem Sinne verwendet worden. Wenn die Interpretation I i m i t einer Kombination von Rechtsquellen kohärent ist, so ist sie gültig. M i t anderen Worten: Die Begründung einer Auslegung ist die Suche nach dieser Kohärenz. Welche Kombination von Rechtsquellen nun als Basis für die Auslegung akzeptiert wird, hängt von dem Konsensus ab. I n diesem Sinne ist der Konsensus das Kriterium, durch das es möglich wird, unterschiedliche Auslegungen i n einer Rechtsgemeinschaft i n eine Rangordnung ihres Vorzugs zu bringen. Die Feststellung ist indes von Belang, daß der Konsensus nicht als Bezugspunkt verwendet werden kann, wenn Auslegungen hinsichtlich ihres Wahrheitscharakters, i m Sinne der Übereinstimmung m i t der Wirklichkeit, i n eine Rangordnung zu bringen sind. Die Interpretation I i ist nicht „wahrer", wenn sie aufgrund gewisser Kriterien von dem Konsensus der Rechtsgemeinschaft gestützt wird. Auslegungen werden ausschließlich hinsichtlich ihrer Akzeptierbarkeit i n eine Rangordnung ihres Vorzugs gebracht. I n der Forschungspraxis ist eine Auslegung, die von dem Konsensus der Rechtsgemeinschaft getragen wird, i n die-

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ser Gemeinschaft akzeptierbar. Wenn Rationalität eine Forderung an die gesellschaftliche A k t i v i t ä t ist, so hat diese Auslegung, aufgrund ihrer Akzeptierbarkeit, eine größere gesellschaftliche Relevanz als konkurrierende Auslegungen. Dies macht es möglich, die Gefahr zu eliminieren, daß die Kohärenztheorie i n der Rechtslehre zur Willkürlichkeit i n der Auslegungstätigkeit führen könnte. I n der Praxis ist eine solche Willkürlichkeit nicht möglich, da die Rechtsgemeinschaft selbst für unterschiedliche Auslegungen als Filter fungiert. Das oben Gesagte impliziert allerdings nicht die Behauptung, nur eine solche Auslegung sei wahr, die von der Rechtsgemeinschaft akzeptiert w i r d 1 3 0 . Wenn der Begriff der Wahrheit als annehmbar angesehen wird, dann ist die Wahrheit von rechtsdogmatischen Normstellungnahmen nicht verbunden m i t dem aktualen Akzeptieren, nicht einmal m i t dem potentiellen Akzeptieren, sondern m i t der Kohärenz. Zudem ist es wichtig, zwischen dem Akzeptieren und der Akzeptierbarkeit zu unterscheiden. Aktuales Akzeptieren kann sich auf völlig zufällige Faktoren begründen. Die Basis des Akzeptierens kann irrational sein, und es ist denkbar, daß das Akzeptieren zum Beispiel durch Manipulation zustande gekommen ist. Wenn für die gesellschaftliche A k t i v i t ä t die Forderung nach Rationalität erhoben wird, so ist es einsichtig, daß nicht einmal die gesellschaftliche Relevanz der Auslegung auf das aktuale Akzeptieren allein gestützt werden kann. Es muß gefordert werden, daß die Auslegung i n einer rationalen Diskussion akzeptiert wird, m i t anderen Worten, daß das Akzeptieren der Auslegung ein Ergebnis des rationalen Diskurses ist 1 4 0 . Aktuales Akzeptieren erfüllt dieses K r i t e r i u m nicht unbedingt. Der rationale Diskurs stellt gewissermaßen eine Idealsituation dar: Eine Auslegung ist unter der Bedingung akzeptierbar, daß die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft aus rationalen Gründen hinsichtlich der Basis für die Akzeptierbarkeit einen Konsensus erreichen. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte können w i r nun die folgende Definition abfassen: Def. I I : Die Auslegung m i t der größten rationalen Akzeptierbarkeit hat die größte gesellschaftliche Relevanz. 139 N u r die Anhänger der Konsensustheorie könnten diese A r t der G ü l tigkeit „Wahrheit" nennen. (Ich verdanke diesen Hinweis A P u n d RA.) 140 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, besonders S.219. W i r sehen hier die Verbindung zwischen der Theorie des rationalen Diskurses (vgl. Abschnitt I I ) u n d der Theorie des Konsenses, der Lebensform u n d des Auditoriums, die i n diesem Abschnitt dargelegt w i r d . Jede N o r m stellungnahme bezieht sich indes auf geltendes Recht. Die Transformationstheorie ist daher f ü r das Verständnis der Probleme nötig, die der Begriff der Normstellungnahme enthält.

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Wenn w i r das Wesen der rechtsdogmatischen Forschung vom Aspekt der Gesellschaft aus betrachten, so folgt aus der Definition II, daß das regulative Prinzip der Rechtsdogmatik nicht die Wahrheit, sondern — u m m i t den Worten von K. R. Popper zu sprechen — das Maximum rationaler Akzeptierbarkeit i s t 1 4 1 . Rechtswissenschaft ist eine soziale Institution m i t der primären Aufgabe, den Inhalt 'der Normen zu klären, die die Gesellschaft regulieren. Der wesentliche Punkt hierbei ist, daß Rechtsdogmatik relevantes Wissen über die Gesellschaft hervorbringt, relevant i n dem Sinne, daß es m i t den Erwartungen korrespondiert, die von den Mitgliedern der Gemeinschaft gestellt werden und die auf rationalen Erwägungen beruhen. Oben wurde der Versuch unternommen, aufzuzeigen, daß Wahrheit i m Sinne der Übereinstimmungstheorie nicht allen Erfordernissen der Rechtswissenschaft genügt. Der Begriff der Wahrheit, wie er von der Kohärenztheorie vertreten wird, ist wiederum zu biegsam, u m als regulatives Prinzip für die gesamte Rechtslehre gelten zu können. Es bestehen daher gute Gründe für die Argumentation, daß Rechtsdogmatik sich bemühen sollte, maximale Akzeptierbarkeit für ihre Normstellungnahmen zu gewährleisten, daß aber diese Akzeptierbarkeit unter der Berücksichtigung des Prinzips der rationalen Agumentation zu erreichen ist. Bislang sind noch keine detaillierten Angaben über die Kriterien dargeboten worden, auf die die Rechtsgemeinschaft einen Konsensus über eine Auslegung gründen kann. W i r können diese die (rationalen) Kriterien für Akzeptierbarkeit nennen. Kehren w i r zurück zur Debatte zwischen α und b. a bringt eine Auslegung vor, die von b akzeptiert werden soll. Wenn w i r annehmen, daß sich α und b über die Interpretation (h/h) uneins sind, so können w i r zunächst feststellen, daß die Kriterien der Akzeptierbarkeit die gleichen sind wie die Kriterien, durch die sich die Meinungsverschiedenheit zwischen a und b beseitigen läßt. Für die Beseitigung der Meinungsverschiedenheit sind die Prämissen nötig, daß (i) α und b eine gemeinsame Sprache haben i n dem Sinne, daß sie dieselben intersubjektiven Bedeutungsinhalte akzeptieren, (ii) α und b über die gleiche empirische Sicht von der Welt verfügen und daß (iii) a und b eine hinreichende Menge an Werten teilen 1 4 2 . Die Bedingung (i) drückt eine Grundvoraussetzung des Verstehens aus. α und b können beide die vom anderen verwendete Sprache nicht 141 κ . R. Popper, The G r o w t h of Scientific Knowledge, F r a n k f u r t 1979, S. 23 ff. 142 A . Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, S. 157 ff.

a.M.

Grundlagen der juristischen Argumentation

verstehen, wenn sie nicht über eine ausreichende Menge intersubjektiver Bedeutungen verfügen. Die Bedingung (i) gewährleistet indes noch keine Akzeptierbarkeit Diese verlangt, daß auch noch die Bedingungen (ii) und (iii) erfüllt werden. Wenn zwei Menschen über eine gemeinsame Sprache, über nahezu die gleiche empirische Weltsicht und über i n einem hinreichenden Maße einheitliche Wertvorstellungen verfügen, ist es für sie möglich, einen rationalen Konsensus über eine Auslegung zu erreichen. Rechtsdogmatische Auslegungen sind gerade von den Faktoren, die i n den Bedingungen (i) - (iii) zum Ausdruck kommen, abhängig. Als erstes sind alle Rechtsquellen sprachlich ausgedrückt, und auch eine Auslegung benutzt das Medium der Sprache. Verständnis ist daher eine selbstverständliche Minimalforderung. Weiterhin enthalten die Rechtsquellen (sensu largo) Elemente, die empirisch unter Beweis gestellt werden können wie kausale Vorstellungen über die Folgen bestimmter Auslegungen. Werte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Es ließe sich sogar behaupten, daß Werte einen charakteristischen Bestandteil des Argumentationsmaterials darstellen, das i n juristischen Auslegungen Anwendung findet. Werte sind i n dem Bündel S i n verschiedener Weise enthalten: — Die Gewichtsverteilung und die Aufstellung einer unter den Rechtsquellen verlangt nach Evaluation.

Rangordnung

— Die Regeln für die Anwendung der Rechtsquellen basieren häufig auf Werten, so i n dem Fall der Argumentation mittels Analogie, wo ein Vergleich zwischen ähnlichen Charakteristika auf Evaluation beruht. — Evaluation kann auch eine autonome Stellung unter den Rechtsquellen einnehmen; die Evaluation der Gerechtigkeit tut dies zum Beispiel. — Praktische Schlußfolgerungen erfordern gleichfalls eine Evaluation der verschiedenen Lösungsalternativen. Eine gerechtfertigte Folge ist, unter bestimmten Umständen, das Ergebnis einer Auswahl unter Werten. Eine hinreichende Übereinstimmung bezüglich der Werte und der Evaluation ist daher eine notwendige Bedingung für den Konsensus. Oben wurde festgestellt, daß rational erreichte Akzeptierbarkeit das regulative Prinzip der Rechtsdogmatik darstellt. Aus diesem Grund müssen die Kriterien für die Akzeptierbarkeit noch u m einen Punkt ergänzt werden: (iv) Der Konsensus w i r d erreicht durch rationalen Diskurs.

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Ohne diese Bedingung hätten w i r auch einen solchen Konsensus zu akzeptieren, der aufgrund von zufälligen Ursachen oder irrationalen Faktoren zustande gekommen ist. Obwohl derartiges i n der Gesellschaft de facto auftreten mag, kann ein zufälliger Konsensus weder das Ziel der Rechtsdogmatik sein noch kann eine auf solchen Faktoren basierende Akzeptierbarkeit als regulatives Prinzip der Forschung gelten. Es ist noch eine weitere Klärung vorzunehmen. Aufgrund der Bedingung (iv) ist man verständlicherweise geneigt zu fragen, ob es denn möglich sei, als Ergebnis eines rationalen Diskurses nur ein Bündel S* zu entwerfen, m i t dem die Normstellungnahme P c kohärent ist. M i t anderen Worten: Führt die Bedingung der Rationalität nicht zu einer Situation, i n der es stets möglich ist, eine Auslegung möglichen anderen vorzuziehen, und könnte es daher nicht möglich sein, diese Auslegung dann als wahr zu bezeichnen? I n der vorangegangenen Erörterung wurde der Rationalitätsbedingung allerdings kein solch gewichtiger Inhalt beigemessen. Die i n der Bedingung (iii) erwähnten Werte und die Evaluation nehmen eine Schlüsselstellung ein. Die gesamte vorangegangene Untersuchung basiert auf einer Werttheorie, die nicht-kognitivistisch und relativistisch i m gemäßigten Sinne des Wortes ist. Dieser Theorie zufolge können Werte nicht vollständig m i t dem Bezug auf objektive Fakten begründet werden. Werte sind indes mehr als bloße Einstellungen („Geschmacksachen"). Bis zu einer gewissen Grenze ist es möglich, sie für die Argumentation nutzbar zu machen. Es ist möglich, ständig zu hinterfragen, warum etwas so ist, wie es ist. A n einem bestimmten Punkt angelangt, können indes keine weiteren Antworten mehr gegeben werden. Man erreicht eine Grenze, hinter der keine weitergehende Rechtfertigung mehr möglich ist. Es ist einfach so, wie es ist. Diese Grenze ist allerdings nicht beliebig gesetzt. Auch kann sie nicht aufgrund von Vereinbarung gezogen werden. Über diese Grenze läßt sich einfach keine Vereinbarung treffen. Es handelt sich hierbei u m die Grenze der Lebensform 143. Tatsächlich ermöglicht es der Begriff der „Lebensform", zuerst von Ludwig Wittgenstein formuliert, zu verstehen, warum es überhaupt möglich ist, einen Konsensus über eine Sache zu erzielen, warum es aber auf der anderen Seite unmöglich ist, über diverse Angelegenheiten eine vollkommene Übereinkunft zu erreichen. Eine gemeinsame Lebensform liefert die Basis für den Konsensus und damit auch die Basis für Akzeptierbarkeit. Die Kriterien der Akzeptierbarkeit sind sozusagen m i t unserem Leben verbunden. 14 3 A . Aarnio , Linguistic Philosophy and Legal Theory. Some Problems of Legal Argumentation, i n : RECHTSTHEORIE Beiheft 1 (1979), S. 29 ff.

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Sie werden nicht per Zufall und W i l l k ü r durch die Rechtsgemeinschaft geschaffen. Die Wandlung der Basis, ihre Dynamik, ist weiterhin eine Wandlung der Form des Lebens. Der Wittgensteinsche Begriff der Lebensform setzt zugleich die Grenzen der Rationalität. Wittgenstein selbst hat geäußert, daß man nicht von einer Lebensform zu einer anderen auf der Grundlage von rationalen Argumenten übergehen kann. Der Übergang von einer Form zur anderen ist eine Angelegenheit des Glaubens, der Überredung 144. E i n rationaler Diskurs ist daher nur innerhalb der durch die Lebensform gesetzten Grenzen, innerhalb einer bestimmten Lebensform möglich. Dies bedeutet, daß die gleichen Regeln der Rationalität i n zwei Lebensformen beobachtet werden können und daß trotzdem unterschiedliche Schlußfolgerungen erreicht werden, da die grundlegenden Kriterien i n diesen Lebensformen unterschiedlich sind. A u f der anderen Seite ist die Lebensform selbst nicht unveränderlich. Bekanntlich ist Familienähnlichkeit ein Schlüsselbegriff bei W i t t genstein. Seiner Terminologie gemäß ist Sprache eine Gesamtheit von sprachlichen Spielen m i t einer Familienähnlichkeit. Das Spiel der Sprache ist wiederum eine Dimension der Lebensform. Man könnte daher argumentieren, daß sich die Lebensform selbst aus Bruchstücken zusammensetzt, Teilen, zwischen denen eine Familienähnlichkeit besteht. Eine Person kann an einem Bruchstück teilhaben, ohne zugleich einem anderen anzugehören. Teilnahme an einer Lebensform ist demzufolge keine Entweder/Oder-Angelegenheit. Abhängig von der jeweils behandelten Sache und der Situation kann ein Konsensus über eine bestimmte Sache unter bestimmten Menschen einer Rechtsgemeinschaft auch dann erzielt werden, wenn die Konsensusgruppe hinsichtlich einer anderen Angelegenheit verschiedene Meinungen vertritt. Wenn die Personen a und b aus unserem Beispiel ein gemeinsames Stück einer Lebensform bezüglich der Probleme, u m die es i n der Auslegung geht, teilen, so können sie zu einem rationalen Konsensus über die Erfüllung der Bedingungen (i) - (iv) gelangen. Daraufhin kann die von a vorgeschlagene Auslegung vom Adressaten akzeptiert werden. Falls keine Teilnahme an einer gemeinsamen Lebensform besteht, so gibt es auch keine Möglichkeit dafür, daß das K r i t e r i u m für Akzeptierbarkeit erfüllt wird. Die A n t w o r t auf die Frage, ob a und b einen Teil einer gemeinsamen Lebensform — oder genauer: ein Bruchstück einer Lebensform 144 Vgl. hierzu R. Alexy, Aarnio, Perelman u n d Wittgenstein, S. 121 ff. A l e x y v e r t r i t t i n diesem A r t i k e l eine Auffassung, die v o n der oben dargelegten abweicht. 6 Krawietz/Alexy

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— teilen, hängt von dem jeweiligen Fall ab. Eine Teilnahme kann bezüglich einer Angelegenheit (X) bestehen und hinsichtlich einer A n gelegenheit (Y) nicht. So können zum Beispiel zwei Menschen über Familienangelegenheiten und Sexualmoral gleicher Meinung sein, ohne hingegen einen Konsensus über Fragen des Aufbaus der wirtschaftlichen Basis der Gesellschaft (auf der Skala Marxismus/Kapitalismus zum Beispiel) zu erzielen. Zum Abschluß möchten w i r den Sachverhalt noch veranschaulichen, indem w i r einen Begriff einbringen, der i n rechtsphilosophischen Diskussionen häufig auftaucht, den des Auditoriums 145. Es ist nur möglich, einen Konsensus unter einer bestimmten Gruppe von Menschen zu erreichen. Diese Gruppe möchten w i r hier „Auditorium" nennen. Es ist m. a. W. eine Gruppe von Menschen, auf die die Bedingungen (i) - (iv) zutreffen. A u f diese Weise interpretiert ist die Akzeptierbarkeit einer rechtsdogmatischen Normstellungnahme verbunden m i t dem Auditorium . Die Stellungnahme P c kann i n einem gewissen Auditorium und nur i n diesem Auditorium akzeptiert werden, während i n einem anderen Auditorium keine Akzeptierbarkeit zustande kommen kann. Die Diskussion innerhalb eines Auditoriums kann i m obigen Sinne rational sein. Eine Diskussion über eine bestimmte Auslegung zwischen verschiedenen Auditorien ist hingegen notwendigerweise nicht-rational; sie gehört i n den Bereich der Überredung. Dementsprechend können w i r die Definition I I auf die folgende Weise neu formulieren: Def. I I I : Die Auslegung, für die m a n ein rationales Akzeptieren durch das umfangreichste A u d i t o r i u m erzielen kann, hat die größte gesellschaftliche Relevanz.

Das Auditorium ist die „persönliche Seite" der Form des Lebens, zugleich aber auch seinem Wesen nach ein Ideal. Es besteht aus den Personen, die an einer gemeinsamen Form des Lebens teilhaben und die sich den Regeln des rationalen Diskurses verpflichten. Wie oben bemerkt, ist die Lebensform kein uniformer Begriff, sondern eine äußerst komplexe Gesamtheit. Die begriffliche Verbindung zwischen dem Auditorium und der Lebensform resultiert daher i n dem Faktum, daß das Auditorium gleichfalls ein Netz von Relationen bildet, die eine Familienähnlichkeit aufweisen, und zwar i n einer Gesellschaft, die ihrerseits einen Komplex darstellt, i n der Auditorien, die sich auf vielen verschiedenen Grundlagen entwickelt haben, miteinander verknüpft sind. Teilnahme an einem A u d i t o r i u m impliziert nicht die Teilnahme an allen. Aber: Nur die Teilnahme an einem bestimmten Auditorium und an einer bestimmten Lebensform ermöglicht es, einen Kon145 Vgl. A . Aarnio,

Linguistic Philosophy and Legal Theory.

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sensus ü b e r eine A n g e l e g e n h e i t z u e r z i e l e n , d i e z u d e r s e l b e n L e b e n s form gehört146. D i e a l l g e m e i n e gesellschaftliche D y n a m i k r e g u l i e r t die Weise, i n d e r sich A u d i t o r i e n b i l d e n , i n der diese sich v e r ä n d e r n u n d i h r e P o s i t i o n e n i n d e r Gesellschaft beziehen. W i r w i s s e n aus E r f a h r u n g , daß i n e i n e r Rechtsgemeinschaft stets S p a n n u n g e n z w i s c h e n d e m vorherrschenden D e n k e n u n d v e r s c h i e d e n e n alternativen D e n k w e i s e n bestehen. E i n i g e S c h w i e r i g k e i t e n , d i e i n d e r R e c h t s d o g m a t i k d e m W a n d e l e i g e n sind, d r e h e n sich gerade d a r u m , w i e das d i a l e k t i s c h e V e r h ä l t n i s z w i s c h e n diesen d i v e r g i e r e n d e n D e n k w e i s e n z u lösen ist. H i e r i n l i e g t eine ernste H e r a u s f o r d e r u n g , w e i t e r z u forschen, u m das j u r i s t i s c h e W i s s e n z u m e h r e n u n d die Rechtswissenschaft w e i t e r z u b r i n g e n .

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6 Α . Aarnio, K a n ett pâstâende om en rättsregels innehâll vara riktigt?, in: Uppsalaskolan — och efterât. Rättsfilosofiskt symposium. Uppsala 23. - 26. Mai 1977, S. 143 ff. *

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— Explanation and Unterstanding, Ithaca/New Y o r k 1971 Wróblewski, J.: Legal Syllogism and Rationality of Judicial Decision, i n : RECHTSTHEORIE 5 (1974), S. 33 - 46 — Legal Decision and its Justification, in: H. Hubien (Hg.), Le Raisonnement Juridique, Brüssel 1971, S. 409 - 419 Yoshino, H.: Z u Ansätzen der juristischen Logik, i n : I. Tammelo / H. Schreiner (Hg.), Strukturierungen u n d Entscheidungen i m Rechtsdenken, Wien/ New Y o r k 1978, S. 277 - 287

Die Rationalität des juristischen Diskurses Von Jan M. Broekman, Leuven Die einschlägige Literatur zum Thema geht mindestens von zwei Voraussetzungen aus. Als erste ist die Tatsache zu erwähnen, daß juristische Rationalität gemeinhin als Form einer allgemeinen Rationalität aufgefaßt wird. Dabei w i r d kaum überprüft, ob nicht die Besonderheit des Rechts und der dogmatischen Rechtswissenschaft einer derartigen Kontinuierlichkeit der Begriffsauffassung i m Wege steht. So w i r d der Eindruck geweckt, als ob es nur von nebensächlichem Belang sei, ob es u m Rationalität i n Philosophie, Soziologie, Wissenschaftstheorie oder eben i m Recht und i n der Rechtswissenschaft geht. Exemplarisch dafür dürfte die A r t und Weise sein, i n der heutzutage die Systemrationalität als sozialwissenschaftliches Thema auftritt. Dort w i r d Rationalität aufgefaßt, als wäre sie angesichts der jeweiligen Systemspezifizität völlig neutral und demzufolge generell anwendbar. Ähnliches gilt für die rechtssoziologische Literatur zu diesem Thema. Weder Max Weber noch i n unseren Tagen Niklas Luhmann oder Jürgen Habermas differenzieren zwischen einer allgemeinen und einer juristischen Rationalität i n einer solchen A r t und Weise, daß die dogmatischen Kennzeichen des Rechts bei der Behandlung der juristischen Rationalität zur Geltung kommen. Dasselbe gilt für die auf den common law ausgerichtete angelsächsische rechtstheoretische Literatur, wie aus Arbeiten von H. L. A . Hart oder Neil MacCormick zu entnehmen ist. 1 Als zweite Voraussetzung gilt wohl, daß juristische Rationalität generell auf juristisches Argumentieren eingeengt wird. Dies ist verständlich, da i m juristischen Argumentieren die Rationalität greifbar, universell, überprüfbar w i r d und abgestimmt w i r d auf konkreten Konsens. I n dieser A r t und Weise ist die juristische Rationalität ebenfalls zu einem wichtigen Bestandteil eines allgemeinen Legitimationsbedürfnisses geworden. Für diese Tatsache gibt es eine Anzahl von Gründen, die i m allgemeinen kulturellen K l i m a unserer Zeit verankert 1 Max Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, Studienausgabe Tübingen 1976, S. 815 ff.; Niklas Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, Stuttgart 1974; Jürgen Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns, F r a n k f u r t / M . 1981, Bd. I , Kap. 1, 2, 3; H. L . A . Hart, The concept of l a w , Oxford 1961, Kap. V , V I ; N. MacCormick, Legal reasoning and legal theory, Oxford 1978, Kap. I X .

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sind. So ist die Naturwissenschaft sehr stark durch die Entdeckung von Informationen als selbständige Entität neben Materie und Energie beeinflußt worden. A u f dieses allgemeine Prinzip ist die Informationstheorie, die Kybernetik und auch die Systemtheorie ausgerichtet. Dabei wurde die soziologische Einsicht verstärkt, daß die Beherrschung und gar die Herstellung von Information eine soziale Macht bildet, die ihresgleichen i n unserer Gesellschaft nicht hat. I n diesem Bereich der Information ist die Argumentation eine Hauptsache. Schließlich wäre zu beobachten, wie sehr das Konsensbedürfnis gesteigert wurde i n einer zunehmend segmentierten und differenzierten Gesellschaftsordnung. Ein solches Bedürfnis ist ebenso als Legitimationsbedürfnis anzusehen, da Legitimation durch Konsens informativ hergestellt wird. Beide, sowohl Konsens wie auch Legitimation, sind aufs Argumentieren angewiesen, zumal die i n dem argumentativen Vorgang produzierte Rationalität dann sozusagen beherrschbar hervortritt. Die Aufdeckung und weitere Darstellung dieser zwei Voraussetzungen dürfte die These bestätigen, daß juristische Rationalität als Reproduktion von dogmatisch vorgegebenen Strukturen aufzufassen ist. Dam i t wäre dann an erster Stelle die spezifisch juristische Form von Rationalität m i t Hilfe des Begriffs der Dogmatik von der allgemeinen Rationalität zu unterscheiden, an zweiter Stelle wäre der Fortschrittsglaube zu relativieren, der die gegenwärtige Rechtstheorie kennzeichnet. Das ist besonders vonnöten wegen des Optimismus bezüglich der Funktion einer integralen Theorie, die neuerdings als Gegengewicht gegen die zwingend gestaltende K r a f t der Dogmatik ins Feld geführt wird. A u f diese Weise ist zugleich eine Stellungnahme formuliert, die ihrerseits i n die komplexe Diskussion des Verhältnisses von Rechtsdogmatik, Rechtstheorie und Rechtsphilosophie eingreift. Eine Grundfrage ist dabei, ob eine integrative Theorie des Rechts und der Rechtswissenschaft überhaupt möglich ist 2 . Denn sowohl die Idee der Interdisziplinarität wie auch jene der Integration verschiedener Theorieansätze und Fragestellungen i n der Rechtstheorie setzt ein Verständnis von Theorie voraus, welches von dem der Dogmatik grundsätzlich abweichen sollte. Ist Integration i n dieser Hinsicht nicht eine allzu naive und viel zu optimistische Formel, u m überhaupt tragfähig zu sein? Das Verhältnis von Rationalität und Begründung w i r d sicherlich betroffen. Das ist als drittes Moment der Betrachtungen anläßlich der genannten These über die juristische Rationalität zu beachten. Es stellt sich nämlich heraus, daß eine Einheit von juristischer Rationalität und spezifischem Anwendungsdenken i m Recht besteht, die keineswegs identisch * R. Dreier, Recht, Moral, Ideologie, F r a n k f u r t 1981, S. 12 f., 70 f., 241 f.; A . Aarnio / R. Alexy / A . Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, s. oben S. 10.

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ist mit dem Nachweis von praktisch-diskursiven Regeln und deren Aufzählung und Systematisierung. Dies hat seine wichtigen Konsequenzen für den Diskursbegriff selber. Außerdem w i r d ersichtlich, daß die Problematik der juristischen Rationalität nicht lediglich auf das Verhältnis von Rationalität und Begründung ausgerichtet ist, sondern darüber hinaus einen allgemeineren kulturellen Horizont hat. Durch die Dogmatik w i r d sie zwangsläufig zu einem besonderen Zweckrationalismus. Man kann sich m i t Grund fragen, was demgegenüber die Rationalität eines diskursiven Modells bezwecken soll. I n dieser Hinsicht ist die abschließende Erwägung bei Coing von Belang, wenn dieser über die Bedeutung des Rechts i n der neueren Geschichte Europas bemerkt: „ . . . stets gefährdet ist das Recht nicht nur durch das unausrottbare Streben nach Macht, das bei einzelnen Gruppen stets lebendig ist — bei uns, wie wohl bei allen Menschen; tiefer sind meines Erachtens die Gefahren, die i h m aus einer anderen K r a f t unserer K u l t u r erwachsen, von der die Rechtsentwicklung lange Zeit Unterstützung erfahren hat: ihrem Rationalismus. Das Recht gehört zu jenen Phänomenen, die von einem rein kausalen Denken ebensowenig v o l l verstanden werden können wie von einem bloßen Zweckdenken. Es gehört nicht i n die Welt der Geometer, von der Bergson gesprochen hat. Seine Rationalität bleibt an Werte gebunden, die allein rational nicht ableitbar sind. Kantisch formuliert: es kommt ohne Postulate nicht aus. Aber noch darüber hinaus enthält es irrationale Elemente, ζ . B. i m Strafrecht. Darum kann der Zweckrationalismus, der die K u l t u r der Gegenwart auszeichnet, auch Gefahren für die Rechtskultur heraufführen." 3 I. Allgemeine und juristische Rationalität Wittgenstein kennzeichnet die Form eines philosophischen Problems i n analytischer Weise durch einen einfachen Satz. 4 Dieser lautet: „Ich kenne mich nicht aus". Ein solcher Satz dürfte als Deskription einer Sachlage genommen werden und als rationale Aussage gelten. Aber er beschreibt die Lage nicht nur, sondern er funktioniert ebenfalls als Sprechakt m i t einem gewissen performativen Charakter. Aus dem Kontext von Wittgensteins Überlegungen wäre abzuleiten, daß die Problemlage immer verbunden ist m i t einem durch die Grammatik unserer natürlichen Sprachen verursachten Manko an Übersichtlichkeit. „Unserer Grammatik fehlt es an Übersichtlichkeit. — Die übersichtliche Darstellung vermittelt das Verständnis, welches eben darin be« H. Coing , Die Bedeutung des Rechts i n der neueren Geschichte Europas, in: W. Fikentscher / H. F r a n k e / O . Köhler (Hg.), Entstehung u n d Wandel rechtlicher Traditionen, Freiburg 1980, S. 777 f. 4 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Oxford 1958, nr. 123, S. 49.

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steht, daß w i r die »Zusammenhänge sehen4 . . . Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die A r t , wie w i r die Dinge sehen 5 ." ,.... durch Ordnen (wird etwas) übersichtlich . . . " und ersichtlich, „was unter der Oberfläche l i e g t . . . was w i r sehen, wenn w i r die Sache durchschauen, und was eine Analyse hervorheben soll 6 ." „ . . . die logische Betrachtung erforscht das Wesen aller Dinge . . . Sie entspringt nicht einem Interesse für Tatsachen des Naturgeschehens, noch dem Bedürfnis, kausale Zusammenhänge zu erfassen. Sondern einem Streben, das Fundament, oder Wesen, alles Erfahrungsmäßigen zu verstehen. Nicht aber, als sollten w i r dazu neue Tatsachen aufspüren: es ist vielmehr für unsere Untersuchung wesentlich, daß w i r nichts Neues m i t i h r lernen wollen. W i r wollen etwas verstehen, was schon offen vor unsern Augen liegt. Denn das scheinen w i r , i n irgend einem Sinne, nicht zu verstehen 7 ." Es wäre keineswegs unangebracht, i n Wittgensteins Darlegungen den Versuch zu einer Beschreibung der allgemeinen Rationalität zu sehen. Die Strategie zur Lösung von Problemen und des Auswegs aus offensichtlichen Sackgassen zielt auf ein Sichzurechtfinden ab. Aber dieses Ziel führt auf keinen Fall automatisch zum Einsatz einer rücksichtslosen Zweckrationalität. Rationalität bekundet sich zuerst i n der Erstellung einer übersichtlichen Darstellung der gesamten Lage unserer Erkenntnisposition (der „ A r t , wie w i r die Dinge sehen"). Dies wäre als Rationalität i m allgemeinen Sinn zu verstehen. Bei Wittgenstein geschieht dies unter Berufung auf die Logik. Aber dabei geht es u m eine Logik, die dem Anspruch der Logistiker auf die Logik noch nicht i n der A r t und Weise unterworfen ist, wie das heute oft der Fall ist 8 . Logik ist i m Sinne von Wittgenstein hier auf allgemeine Rationalität angelegt. Läßt sich nun tatsächlich, wie Wittgenstein nahelegt, durch die Entdeckung einer Ordnung und durch das Aufdecken und Rekonstruieren einer gewissen Regelstruktur der besagte Ausweg finden? Und — ein philosophisches Problem von großem Gewicht — wäre diese Regelstruktur als das Ergebnis einer Darstellung, d. h. als bestimmte Rekonstruktion des Gegebenen zu erreichen? Müßte man nicht sagen, daß sie vielmehr das Ergebnis einer konstruktiven Tätigkeit des menschlichen Geistes ist, u n d keineswegs lediglich durch eine Rekonstruktion gewonnen wird? 5 Ebd., Nr. 122, S. 49. β Ebd., Nr. 92, S. 43. 7 Ebd., Nr. 89, S. 42. 8 G. Jacoby, Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik u n d ihre Geschichtschreibung, Stuttgart 1962, S. 9- 65; 161 - 163.

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M i t einer solchen Fragestellung wächst bereits die Einsicht, daß gewisse Parallelen zwischen der von Wittgenstein beschriebenen allgemeinen Rationalität und der juristischen Rationalität bestehen. Die auffallendste Parallele dürfte wohl sein, daß besonders i m Bereich der juristischen Dogmatik ein juristisches Urteil betrachtet w i r d als A r t i kulation, Suche, Feststellung oder nähere Bestimmung eines bereits gegebenen Sachverhalts. Sorgfältig w i r d i n Formulierung und Begründung des juristischen Urteils auch nur der Eindruck vermieden, daß jenes Urteil der bereits existierenden Realität irgendeinen Wirklichkeitsgehalt hinzufügt. Keine Veränderung darf stattgefunden haben; das Recht sollte lediglich eine weitergehende Erhellung des Gegebenen bewirken. A u f die Erstellung einer »übersichtlichen Darstellung' der vorgegebenen Sachlage hat auch das Recht sich auszurichten. Eine zweite, m i t der ersten eng zusammenhängende Parallele wäre folgendermaßen zu formulieren. Es sieht so aus, als ob das Gewicht der Wittgensteinschen Formel: ,Ich kenne mich nicht aus', auf das Erkennen fällt und die Subjektivität geradezu beiläufig, aus Gründen einer grammatikalischen Korrektheit erwähnt wird. I n Wahrheit ist es jedoch genau umgekehrt: nicht die Erkenntnis, sondern die Subjektivität bildet ein Problem. Das gilt für den analytischen Ansatz von W i t t genstein wie für die Rationalität der juristischen Dogmatik. Dieses Umkehrungsverhältnis bezüglich des Subjekts der Erkenntnis und infolgedessen der Rationalität ist bei Wittgenstein gewissermaßen indirekt zu zeigen. Er beschreibt die Sachlage des Sich-nicht-Auskennens nämlich i m Kontext eines Städtebildes. Es ist, als ob man i n einer fremden Stadt ankommt und sich dort nicht auskennt. Die sich dann alsbald entfaltende Rationalität sucht nach einer Übersicht, sie entwickelt eine Ahnung vom Stadtplan, parallel zu jenen der bereits bekannten Städte. Infolgedessen w i r d ein Zentrum gesucht, eine Peripherie, primäre und sekundäre Straßen. Ist die Stadt beim Ankommen bereits aus der Ferne zu sehen, so sind Türme, Kirchen, Bürozentren schon bekannte Anhaltspunkte, die m i t Zentren oder Peripherien i n Zusammenhang gebracht werden. Anscheinend ist eine Rekonstruktion des bereits Vorhandenen möglich, als ob die fremde Stadt durch einen einzigen Bauherrn i n einem vergessenen Augenblick der Geschichte gebaut wurde, und dies alles w i r d n u n i n Erinnerung gebracht. Es entsteht gewissermaßen eine anamnestische Rationalität eben durch jenes Subjekt, welches sich verhält als realer Fragender und zugleich als imaginärer Bauherr, der sich all dessen wiedererinnert. A l l e i n schon dieses Verhalten legt die Akzente nicht auf Erkenntnis, sondern auf Subjektivität. Hinzu kommt, daß jene scheinbar anamnestische Rationalität

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keineswegs eine solipsistische ist, sondern von Grund aus auf Intersubjektivität angelegt. Davon zeugt die auch i n Wittgensteins Erwägungen aufgenommene Möglichkeit, i n der beschriebenen Situation gewisse Fragen zu stellen. Aber die Antworten, die der Sich-nicht-Auskennende bekommt, reichen oft nicht aus. Sie haben nur einen Sinn i m Rahmen der bereits durch den Fragenden aufgebauten Orientierung, also der bereits einsichtig gewordenen Regelstruktur und der zustandegekommenen Erfahrung. Umwege sind demnach rationaler als es dem Ortskundigen erscheint. Daraus w i r d ersichtlich, wie sehr nur das Subjekt einer Lebensform, einer Sprachgemeinschaft, nur das Subjekt innerhalb eines Konsenses die beschriebene Erfahrung sammeln und rationales Verhalten aufweisen kann. Es gibt offensichtlich keine Rationalität, die von einem solipsistischen Nullpunkt ausgeht. I m Gegenteil: jede Form einer Rationalität ist i n dem von Hegel i n der Phänomenologie des Geistes dargelegten Phänomen der Anerkennung verwurzelt. Diese Feststellung hat, wie w i r später sehen werden, ihre Konsequenzen i m Hinblick auf die Praktikabilität des sogenannten rationalen praktischen Diskurses. So ist demzufolge das Problem des Wittgensteinschen Ansatzes nicht i n der Erkenntniskomponente, sondern i n der Grundposition der erkennenden Subjektivität gelegen. Dies führt zu einer für Juristen besonders interessanten Schlußfolgerung. I n dem Bilde eines „Sich-nichtAuskennens" i n einer fremden Stadt w i r d nämlich die besondere Stellung der Schrift und des Textes betont. Michel Butor hat genau beschrieben, wie eine Stadt als Text genommen wird. Die Architektur oder die Existenz von Straße, Untergrundbahn, Bahnhof, Buslinie reicht nicht aus u m sich zurechtzufinden. Als sprachunkundiger Franzose i n Tokyo hat er diese Erfahrungen gesammelt und philosophisch ausgearbeitet. 9 I m allgemeinen Sinne folgt daraus, daß Textualität als Vorbedingung aller entdeckenden, analysierenden oder gar aufgeklärten Rationalität funktioniert. Diese Textualität ist keine Metapher, sondern i m buchstäblichen Sinne des Wortes ernst zu nehmen. Sie impliziert Historizität und Konsens i n einer materialistischen Weise. Das heißt philosophisch, daß jede Exploration des rationalen Verhaltens eine Erfahrung konstruiert, die i n der jeweiligen Sprach- und Lebensgemeinschaft bereits gegeben ist. Trotz dieser Gegebenheit ist jedoch keineswegs von einer einfachen Rekonstruktion die Rede. Denn hier gilt auch für den Bereich des Rechts, daß die Subjektivität niemals außerhalb jener Gemeinschaft steht und von dort aus, gewissermaßen » M . Butor , La v i l l e comme texte, i n : Repertoire V, Paris 1982, S . 3 3 - 4 3 ; s. auch: Italo Calvino , Le citta invisibili, 1972, dtsch.: Die unsichtbaren Städte, München 1976.

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i n einer Subjekt-Objekt-Beziehung, zu einer Rekonstruktion solcher Erfahrungen kommt. Subjektivität ist, i m Gegenteil, als solche eine besondere Textualität jener Erfahrungen und jener Rationalität. Erst i n diesem hermeneutischen Sinne sind Rationalität und Erfahrung aufeinander und zugleich auf ein Drittes bezogen, nämlich auf die Sprach- und Lebensgemeinschaft. Ursprung ist Subjektivität angesichts dieses Erfahrungszusammenhanges wohl nie. Anfang ist sie immer nur i n einer sehr vorläufigen, textuell festgelegten und dennoch aufhebbaren Weise. So verstanden ist jede Erfahrung subjektiv, aber nur, weil Subjektivität als textuelles Moment des Intersubjektiven zu lesen ist. Wie ist es nun m i t demjenigen bestellt, der sich i m Recht nicht auskennt? Gilt dort eine ähnliche Möglichkeit der Entfaltung von Rationalität zwecks seiner Orientierung? Kann man i m Bereich des juristischen Diskurses eine Rationalität aufbauen, die wegweisend ist für den Betroffenen? Dies scheint gerade nicht der Fall zu sein, da i m Recht alles so aussieht, wie sonst; aber dieser Schein trügt. I m Recht ist alles anders als es aussieht: Verantwortlichkeit ist Haftbarkeit, Subjektivität ist Rechtssubjektivität als Träger von Rechten und Pflichten usw. Ist die juristische Rationalität, vom Juristen aus gedacht noch als wegweisend zu betrachten — bereits dort sind manche Ausnahmen zu verzeichnen —, so ist das vom Standpunkt der Rechtsgenossen betrachtet gar nicht mehr der Fall. Es gibt offensichtlich keine Einheit i m Bezug auf das Verhältnis von allgemeiner und juristischer Rationalität. I m Gegenteil: beim Übergang von der einen zu der anderen Rationalitätsform sind immer Transformationen am Werke, semantische Verschiebungen, die die Welt i m Recht nicht lediglich anders repräsentieren als sie i m A l l t a g ist, denn die Welt ist dort eine andere. 10 Diese Tatsache ist für die juristische Rationalität grundlegend, egal ob es n u n u m die juristisch-dogmatische Rationalität oder u m andere juristische Rationalitätsformen geht. Dabei darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß diese Transformation geschieht durch das Recht mit dem Menschen und seiner Welt. Dieselbe Transformationsarbeit ist das Ergebnis eines besonderen, nämlich juristischen Verhältnisses zur Welt. I n diesem Sinne formuliert A.-J. Arnaud i n seiner Critique de la raison juridique: „La raison j u r i dique ne reproduit pas l'être, mais seulement une certaine vision de l'être, exprimée à travers le moule du discours . . . dans tous les cas, le critique se trouve en présence d'un corpus discursif traduisant une conception du monde, et plus précisément de la société pour laquelle sont édictée les règles normatives. Mais si la raison juridique ne ren10

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voie pas à l'être, elle rend compte néanmoins d'une activité humaine concrète de transformation du monde. Cette transformation s'opère grâce au caractère normatif d'activité qui l'engendre. Etant telle, elle apparaît comme cause ou motif légitime, légitimation 1 1 ." Aber man sollte noch einen Schritt weitergehen. Die allgemeine Voraussetzung, nach welcher die allgemeine Rationalität gewissermaßen bruchlos i n die juristische übergehen kann, ist eine ideologische. Dies w i r d i n jenen Systematisierungen zum Ausdruck gebracht, nach welchen die allgemeine Rationalität als für das Recht externe Rationalität beschrieben wird, während es dann daneben noch eine rechtsinterne Rationalität gäbe, inklusive ihrer Besonderungen, wozu beispielsweise die Rationalität der Rechtssubjekte gehört. 12 Philosophisch betrachtet ist diese Tatsache auf die Ansicht zurückzuführen, daß menschliches Handeln eine Konformität m i t der sogenannten Ratio aufzuweisen vermag, die bis i n die juristischen Handlungen hinein ihre ungebrochene Kontinuität findet. Diese Ansicht wurde m i t Grund als eine ideologische zurückgewiesen. Denn die juristische Rationalität w i r d niemals i n der Sache selbst vorgefunden, sondern vom Juristen m i t Hilfe besonderer Denk- und Handlungsanweisungen, nämlich der Dogmatik, hergestellt. I n der traditionellen juristischen Argumentation w i r d dieselbe Rationalität jedoch dargestellt, als ob sie der Natur der Sache gemäß sei. Eben dieses Verhältnis von Darstellung und Herstellung ist als ideologisches zu kennzeichnen. Gilt dieses ideologische Verhältnis auch für den praktischen Diskurs juristischer Rationalität? Es ist nicht leicht, diese Frage direkt zu beantworten, und noch weniger, die Folgen einer etwaigen positiven Beantwortung zu übersehen. Als Vorarbeit dazu wäre erneut die Erwägung anzustellen, welche Differenzen zwischen der allgemeinen und der besonderen juristischdogmatischen Rationalität zu verzeichnen sind. Folgende, sehr allgemeine und jeweils dogmatisch überprüfbare Momente juristischer Rationalität sind zu erwähnen. 1. Wer meint, sich i m Recht auszukennen und zurechtzufinden wie i n einer fremden Stadt, erfährt die besagte Differenz am eigenen Leibe. Denn i m Recht sieht alles so aus, als wäre dieser Diskurs uns vertraut wie jeder andere. Aber die Erfahrung drängt sich alsbald auf, daß trotz dieser scheinbaren Vertrautheit alles anders ist. Das ist die Folge von systematisch-dogmatisch bestimmten Prozessen semantischer 11

A.-J. Arnaud, Critique de la raison juridique, Paris 1982, S. 31. So beispielsweise Chr. Grzegorczyk, L a rationalité de la décision j u r i dique, i n : Archives de Philosophie d u Droit, Bd. 23 (1978), S. 237 ff. 12

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Verschiebungen. Die Totalität jener Prozesse kann man Transformation nennen. Das geschieht so, weil der Transformationsbegriff als linguistischer Begriff unverhüllter jene semantische Dimension zeigt, die hier so wesentlich ist für das Verständnis des juristischen Diskurses. Peczeniks Verwendung des Begriffs eines Sprunges (Jump; dieser Begriff ist nicht ohne weiteres m i t Transformation zu übersetzen!) ist insoweit irreführend, als dort ein wissenschaftstheoretischer Begriff die Suggestion aufrechterhält, daß es sich hier u m neutrale und ideologiefreie, wenigstens nicht u m Ideologie produzierende Vorgänge handelt. Weiterh i n gibt der Begriff des Sprunges nicht an, daß hier a-subjektive Sprach- und Bedeutungsverleihungsvorgänge am Werk sind 1 3 . Juristische Rationalität ist die beherrschende Kraft jener Benennungsaktivität von Wirklichkeit, die — durch die Dogmatik gesteuert und kontrolliert — für die Rechtswissenschaft sowie für die Rechtspraxis konstitutiv ist. Diese A k t i v i t ä t vollzieht sich durch genau vorgeschriebene diskursive Ereignisse, welche die lebensfaktischen Vorfälle umbenennen und so für den juristischen Zugriff relevant machen. 2. Juristische Rationalität ist ausgerichtet auf den Prozeß einer fortschreitenden, dogmatischen A r t i k u l a t i o n von Wirklichkeit. A l l e Versuche, das Recht als ,reflexives Recht' oder responsive law' aufzufassen, sind nicht imstande, den dogmatischen K e r n des Rechts völlig auszuschließen 14 . Wichtiger ist i n diesem Zusammenhang, daß jene A r t i k u l a tion als eine Transformation aufzufassen ist, und zwar ganz besonders als Transformation von Bedeutungen. Die Dogmatik ist dabei als führendes Lexikon zu betrachten, obwohl es heutzutage zu einer Übersetzungsmaschine zu werden droht. Zwei wichtige Ereignisse finden m i t dieser Transformation statt; beide bestimmen den Vorgang juristischer Rationalität i n bedeutendem Maße. Durch Transformation entsteht jene diskursive Struktur der Artikulation von Wirklichkeit, die man Normativität nennt. Normativität ist also ein semantisch-narratives Geschehen. Es w i r d innerhalb des juristischen Diskurses dogmatisch überhöht und auf diese Weise die Illusion geweckt, als ob Normativität ein soziales Naturereignis sei, welches bloß juristisch registriert oder rekonstruiert zu werden braucht. I n Wirklichkeit handelt es sich u m eine juristische Konstruktion. Erneut spielt hier das Verhältnis von Darstellung und Herstellung eine Rolle. Juristische Kausalität entsteht i n derselben A r t und Weise. is A . Peczenik, Rationality of legal justification, in: ARSP 68 (1982), S. 137 ff. 1 4 G. Teübner, Reflexives Recht, in: ARSP 68 (1982), S. 13 ff.; ders., K o m mentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2: Allgemeines Schuldrecht, Luchterhand 1980; Ph. Nonet / Ph. Selznick, L a w and Society i n Transition: Tow a r d Responsive L a w , New Y o r k 1978. 7 Krawietz/Alexy

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Auch die Kausalität i m Recht ist nicht als Naturmoment der sozialen Welt vorgegeben. Sie w i r d i m Recht nicht rekonstruiert, sondern konstruiert. Juristische Erkenntnis mitsamt ihrer besonderen Rationalität ist Erkenntnis a posteriori. 3. Ist juristische Rationalität nicht als Ursache oder Ursprung des juristischen Diskurses zu betrachten, dann drängt sich die Folgerung auf, daß sie als diskursive Strategie 15 zu kennzeichnen ist. Diese Strategie ist auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet. Dieser Zweck ist die Einheit des juristischen Diskurses. Eine philosophische Analyse jenes teleologischen Charakters hätte als Ergebnis, daß i n diesem Zusammenhang einsichtig wird, wie sehr das Recht auf Selbstdarstellung angelegt ist. Die logische Form dieser Selbstdarstellung wäre die Tautologie. 4. Rationalität ist demnach keine Zielsetzung des juristischen Argumentierens, sondern eine diskursinterne Ausrichtung auf Grundsätze, die jene Einheit und jenen Zusammenhang des Diskurses garantieren. Die vielgerühmte Plastizität und Elastizität der juristischen Rationalität w i r d eben durch diese Sachlage gefördert. Dies erinnert an eine Bemerkung aus den politisch-philosophischen Schriften von MerleauPonty, als er schrieb: „ . . . i l n'y a pas de décisions justes , i l n'y a qu'une politique juste 1*" Wenn man hier statt Politik den Begriff einer diskursiven Strategie einführt, w i r d die beschriebene Mechanik der j u r i stischen Rationalität klar. Aufgrund dieser vier, kurz formulierten Erwägungen hinsichtlich der Eigenart juristischer Rationalität sind tatsächliche Differenzen zwischen juristisch-rationalem Verhalten und lebensfaktischem Verhalten zu sehen. Diese werden von den skizzierten Darlegungen Wittgensteins nicht betroffen. I m allgemeinen kann man sagen, daß Momente juristischer Rationalität existieren, die je für sich ein Gewicht haben, weil sie i m Recht aufgrund einer falschen Anthropologie zerlegt und getrennt werden. Erstens gibt es juristische Rationalität als Systematizität j u r i stischer Erkenntnis. Dort ist der Transformationsgehalt der juristischen Realität und Faktizität klar erkennbar. Zweitens gibt es juristische Rationalität als Systematizität der juristischen Argumentation. Dort w i r k t die diskursive Strategie, welche die Logik des Arguments für die Rationalität als solche hält. Dadurch verbirgt sie die Struktur der Selbstdarstellung, welche sie als eine der Anerkennung darstellt. D r i t tens gibt es juristische Rationalität als Systematizität des juristischen Handelns. I n ihr ist das Geheimnis der sozialen Ordnung aufbewahrt, Jan M. Broekman, Rechtsfindung als diskursive Strategie, in: O. B a l l weg / T h . - M . Seibert, Rhetorische Rechtstheorie. Z u m 75. Geburtstag v o n Theodor Viehweg, Freiburg 1982, S. 197 - 234. 16 M . Merleau-Ponty, Les aventures de la dialectique, Paris 1955, S. 9.

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einer Ordnung, die sich dank der Theorie eines Sozialvertrags als freie und autonom gewollte Ordnung darstellt. Sie führt jeder von uns i n die Ordnung der Praxis ein — einer Ordnung, die nicht durch reflexive Erkenntnis, sondern durch Tausch, Kommunikation, letzten Endes durch Reifikation und Verfremdung entsteht und aufrechterhalten bleibt. Ersichtlich w i r d jetzt die Wirksamkeit der anfangs genannten Voraussetzung i n der gegenwärtigen Literatur zum Rationalitätsproblem, nämlich ihre Reduktion von Rationalität auf Argumentation. Diese wurde neulich von K.-O. Apel i n einem Interview i n Le Monde wiederholt, i n dem er bemerkte: „ ,Je pense4 veut dire j'argumente' et aussi J'ai accepté les normes pratiques de la communication' . . . I l importe de présenter une communauté argumentatrice, de savoir ce que fait la science, de savoir l'unité de la philosophie et des sciences au nom du Logos, de lutter contre les nouvelles mythologies en maintenant une méthodologie normative 1 7 ." Eine solche Einstellung bewirkt die genannte Reduktion von Rationalität auf Argumentation, indem sie zuerst Erkennen, Denken und Handeln als autonome menschliche Eigenschaften darstellt und daraufhin Rationalität und Denken miteinander identifiziert. I I . Logik des Fortschritts und integrale Rechtstheorie Adorno schreibt 1964 i n seinem Beitrag zur Festschrift für Josef König den folgenden, wichtigen Satz: „Philosophie lebt i n Symbiose m i t der Wissenschaft; von ihr kann sie nicht sich lossagen ohne Dogmatismus, schließlich Rückfall i n Mythologie. I h r Gehalt aber wäre auszudrücken, was von Wissenschaft, Arbeitsteilung, den Reflexionsformen des Betriebs der Selbsterhaltung versäumt oder weggeschnitten wird. Darum entfernt sich i h r Fortschritt zugleich von dem, wozu sie fortzuschreiten hätte; die Kraft der Erfahrungen, die sie registriert, w i r d abgeschwächt, je mehr sie die szientifische Apparatur schleift 18 ." Die Wachsamkeit i n bezug auf Vorgänge wie Versäumnis oder eines Wegschneidens hat dazu geführt, die allgemeine Voraussetzung hinsichtlich einer Gleichsetzung von allgemeiner und juristischer Rationalität nicht zu akzeptieren. Gerade eine differenzierende Besonderung der beiden Rationalitätsformen läßt die Eigenart der letzteren ersichtlich werden. Rationalität i m allgemeinen Sinn wurde i n dem Beitrag über die Grundlagen der juristischen Argumentation als eine Praxis dargestellt, die zwei regulative Ideen miteinander verbindet. Diese sind 17 Jacques le Rider , K a r l Otto Apel, u n affreux rationaliste, in: Le Monde 6 I I 1983, S. X I V .

is Th. W. Adorno , Stichworte, Kritische Modelle 2, F r a n k f u r t 1978, S. 47.

Ί*

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Allgemeinheit und Begründung. Es wurde dargelegt, daß die Eigenart der juristischen Rationalität daran zu erkennen sei, daß beide auf eine bestimmte Zweckrationalität des juristisch-dogmatischen Diskurses abzielen, nämlich auf seine Einheit. Aus allen Elementen des dogmatischen Denkens und Handelns spricht dieses Bedürfnis nach Einheit des juristischen Diskurses. Aber auch vom externen, sozialwissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen ist diese auffällige Zielsetzung verständlich. Die allgemeine Rationalität w i r d dabei m i t der juristischen durchaus für kompatibel gehalten. Es w i r d gedacht, als bestünde ein ungebrochenes Verhältnis zwischen beiden und als gäbe es überhaupt keine grundlegenden Transformationen beim Übergang von der einen zu der anderen Rationalität. Als repräsentatives Beispiel sei eine Bemerkung von Nonet und Selznick zitiert: „ . . . intellectual coherence is needed, for the sake of public education as well as for social inquiry. I t is important for the citizenry, including the legal profession, to be able to make sense of the troubles of the system, weigh competing values, and develop appropriate expectations. I t is important for scholars to appreciate the f u l l range of legal experience, thereby validating and integrating partial perspectives. Without intellectual coherence, there cannot be a rational agenda for social inquiry 1 9 ." Erst i m Hinblick auf die Einheit des juristischen Diskurses w i r d die Kombination von Allgemeinheit und Begründung für das Recht effektiv. Juristische Rationalität wäre somit aufzufassen als Kompromiß zwischen der Eindeutigkeit von Rechtssicherheit und der Vieldeutigkeit von Wertungen. I n diesem Licht ist die Fußnote 110 auf Seite 51 zu verstehen, nach welcher Peczenik dazu neigt, dem Prinzip der Zweckrationalität ein größeres Gewicht zu geben gegenüber dem der Verallgemeinbarkeit. M i t dieser Zweckrationalität ist ein merkwürdiger Fortschrittsoptimismus verbunden i m Hinblick auf die Relevanz des Rechts. „To make jurisprudence more relevant and more alive, there must be a reintegration of legal, political, and social theory", schreiben Nonet und Selznick. Sie versuchen eine integrative Theorie, „ . . . to recast jurisprudential issues i n a social-science perspective. Thus understood, competing philosophical theories are seen as reflecting varieties of legal and social experience. We propose a framework for comparing these experiences, for analyzing the premises and assessing the w o r t h of alternative modes of legal ordering 2 0 ." Dieselbe Idee einer integralen Rechtstheorie beherrscht den Beitrag von Aarnio, A l e x y und Peczenik. Die Zusammenfassung von intakt gebliebenen Teilen der Standpunkte vergangener Jahrzehnte ist nach Auffassung dieser Autoren die Aufgabe der Rechtste Nonet / Selznik, 20 Ebd., S. 324.

op. cit., S. 3.

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theorie für den Rest des Jahrhunderts. Die Einheit und Kontinuität des soziologischen und rechtstheoretischen Ansatzes zu einer integralen Theorie ist auffallend. Wichtig ist dabei die Annahme, daß die theoretische Erarbeitung des konkreten rationalen und argumentativen Verhaltens von Juristen i m Sinne eines Idealtyps einen Beitrag liefert zum juristischen Rationalitätsverständnis als solchen. Diese optimistische Ansicht ist nicht nur darauf beschränkt, sondern sie ist auch i n dem Automatismus zu finden, nach welchem das konkrete Argumentieren des Juristen durch diese (rechts)theoretische Arbeit beeinflußt wird. Jener Optimismus angesichts der Leistung einer integralen Theorie . bezieht sich a) auf das Verhältnis von Theorie und Praxis sowie b) auf eine mechanistische Auffassung dieses Verhältnisses. Die Kombination beider Momente führt dazu, hier von einem naiven Instrumentalismus zu sprechen. Dieser Instrumentalismus bestimmt, gemäß seiner pragmatischen Natur, aus der Distanz zur Praxis, was Theorie sein soll. Erst nachdem diese Bestimmung von Theorie und Praxis als geradezu autonomen Entitäten stattgefunden hat, w i r d der Automatismus einer allgemeinen Anwendbarkeit von Theorie auf Praxis seinen Lauf nehmen können. Dabei entsteht eine für den besagten Pragmatismus charakteristische Einseitigkeit. Immer geht es u m die Anwendung von Theorie und Praxis. Der Entwurf einer integralen Theorie w i r d aus einem Optimismus hinsichtlich ihrer Möglichkeiten i n Sachen des juristischen Argumentierens geschrieben! Die Logik des Fortschritts ist die verborgene Energie jenes Entwurfs. Sie stellt durch die Hoffnung auf eine unmittelbare Anwendbarkeit von Theorie auf Praxis ein mechanistisches Verhältnis her. Die dargelegten Regeln des praktischen juristischargumentativen Diskurses sind, i n Form einer analytisch fundierten Rekonstruktion des tatsächlichen Regelgebrauchs ein mechanisches Ganzes geworden. Diese Mechanik beruht auf einer Anthropologie, deren Selbstverständlichkeit i n unserer K u l t u r geradezu unaufhebbar zu sein scheint. Darin w i r d zugestanden, daß Erkennen eine Rolle fürs Handeln spielt, aber nicht, daß Handeln (und Können) eine konstitutive Rolle fürs Erkennen spielt. M i t dieser anthropologischen Voraussetzung w i r d eben ein mechanistisches Verhältnis zwischen Theorie und Praxis produziert, welches einen Prozeß der Selbstlegitimation i n Gang setzt. Theorie, unmittelbar auf die Praxis angewandt und sich den Anforderungen der Praxis direkt fügend, stellt sich lediglich i n den Dienst ein und desselben Transformationsprozesses. Die Transformationsregeln des praktischen Diskurses sind aber wegen der Bestimmung des juristischen Diskurses als eines praktischen, immer schon Momente eines umfassenden Mechanismus. So entsteht eine theoretische Verdoppelung der Praxis mitsamt ihrer Regelstruktur. I m Falle des juristischen Diskurses trägt diese Mechanik der Verdoppelung einen Namen, nämlich: juristi-

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sehe Dogmatik. Ist die integrale Rechtstheorie eine Verdoppelung i n diesem Sinne und folglich die juristische Rationalität eine Reproduktion von dogmatisch vorgegebenen Strukturen i n Gestalt einer diskursiven Strategie? Diese Frage wäre i n jenem Augenblick zu bejahen, i n dem die Theorie ein A t t r i b u t der Praxis wird. Das w i r d sie, sobald beispielsweise formuliert wird: „Die neue Situation der Philosophie versetzt die Rechtstheorie i n die Lage, Ideen verschiedenen philosophischen Ursprungs auf eine relativ unabhängige Weise zu benutzen" (AAP 10). A u f die Erwägung, weshalb gerade die Theorie der j u r i stischen Argumentation zum zentralen Thema der gegenwärtigen Rechtstheorie wurde, werden zwei Hinweise gegeben, die ebenfalls pragmatischer Natur sind. Diese Theorie, so die besagte Pragmatik, liefere einen theoretisch ausreichenden Rahmen, und sie besitze zugleich eine direkte Relevanz für Legitimationsfragen der gegenwärtigen Gesellschaft (AAP 11). Damit w i r d i n eindeutiger Weise die mechanistische Auffassung des Theorie-Praxis-Verhältnisses zentral gestellt. Interessant ist nun, daß eine so verstandene Theorie selbst ist, was sie i n den Augen ihrer Theoretiker erst werden soll, nämlich ein Gebrauchsgegenstand, m i t Hilfe dessen Legitimationsbedürfnisse erfüllt werden können. Der dogmatische Charakter einer so verstandenen Rechtstheorie ist aus der Tatsache abzuleiten, daß die Differenz zwischen dem, was die Theorie tatsächlich ist und dem, was sie gemäß den Erwartungen der Pragmatiker werden soll, nicht artikuliert werden darf. Sie, die Differenz, ist selbst niemals Gegenstand der analytischpragmatisch verstandenen Theorie. Die Theorie löst sich demnach nicht aus ihren ideologischen Verhältnissen. Die integrale Rechtstheorie ist somit, pragmatisch verstanden, zu betrachten als eine bloß mechanistische Akkumulation von immer denselben, dogmatisch bestimmten Theoriebestandteilen. Die Einsicht i n den mechanistischen Charakter einer integralen Rechtstheorie ist zugleich eine Einsicht i n die Tatsache, daß die Rechtswissenschaft eine dogmatische ist. Keine Theoriebildung kann dies außer Acht lassen 21 . Von jener Dogmatik geht die Forderung aus nach Einheit des juristischen Diskurses. Diese Einheit als wichtigstes Interesse der Rechtswissenschaft erfordert eine minutiöse und mechanistische Beherrschung aller diskursiven Strategien. Sie, diese Beherrschung, zielt ebensogut auf die richterliche Rechtsfindung wie auf die Gesetzgebung, auf die Entwicklung der juristischen Methode wie auf die Lösung von Legitimationsfragen, auf die gesamte Rechtslehre genauso wie auf die Rechtstheorie, welche als Extrapolierung dieser Rechtslehre 21 Jan M . Broekman , Mens en mensbeeld v a n ons recht, Leuven/Zwolle 1979, 19832, Kap. 1; ders., The inner f o r m of legal t h i n k i n g / A k t e n Primer Congreso Internacional de Filosofia del Derecho, Bd. I I , L a Plata 1982.

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und somit nicht als ideologiekritische Theorie zu gelten hat. Eine Distanz der Theorie gegenüber der Praxis ist hier verboten. Die unmittelbare Praktikabilität jener Theorie gilt als oberstes Gebot. Theorie soll nur leisten, was unter anderen Gesichtspunkten die Praxis je schon zu leisten imstande war. Eine derartige theoretische Verdoppelung der Praxis ist die beste Garantie für den ungebrochenen Zusammenhang von Allgemeinheit und Begründung. Genau wegen dieses Garantiebedürfnisses w i r d ersichtlich, wie sehr Allgemeinheit und Begründung als regulative Ideen funktionieren. Die Praxis des kontinuierlichen Zusammenhangs dieser beiden stellt sich dar als juristische Rationalität. Dies kann jedoch nur unter einer wichtigen, einschränkenden Voraussetzung geschehen: die Einheit des juristischen Diskurses soll als System dargestellt werden. Die Einheit des ,legal system4 gilt als einziges Moment aller theoretischen Referenzen. I n dieser Hinsicht neigt die Rechtstheorie dazu, jene Systematizität zu reifizieren. Das gilt für die kontinentale Theoriebildung genauso wie für die angelsächsische Tradition. Die kontinentale Tradition erblickt es als Aufgabe der juristischen Dogmatik, „durch Systematisierung der vielfältigen Rechtsbestimmungen zu rechtlichen Systembildungen zu gelangen, die es gestatten, aufgrund der erarbeiteten Systematik ,die Gesamtheit der Regeln des betreffenden Gebiets zu beherrschen', u m auf diese Weise Einsicht i n die »inneren Zusammenhänge der Bestimmungen' und damit letztlich i n ,die Struktur der Rechtsordnung' zu erlangen. A l l e weiteren Systematisierungsbestrebungen der Rechtswissenschaft sind damit von vornherein verwiesen auf das Verhältnis zwischen dem heute üblicherweise staatlich organisierten Rechtssystem oder Teilen dieses Rechtssystems, von Aarnio sehr treffend als ursprüngliches ,Regelsystem' oder ,Grundsystem' bezeichnet, und den Systematisierungsleistungen der j u ristischen Dogmatik bzw. den durch sie erstellten Systematiken, i n denen — ausgehend von der ,herrschenden Rechtsordnung und den Rechtsvorschriften des zu systematisierenden Rechtsgebiets' — die jeweiligen »Gegebenheiten des betreffenden Lebensgebiets' systematisch dargestellt werden 2 2 ." Auch hier also die philosophisch und rechtstheoretisch ungeklärte Problematik des Verhältnisses zwischen Darstellung und Herstellung von Systematizität. Krawietz und Aarnio merken mit Recht an, daß eine Rechtsordnung nicht beliebig systematisierbar sei. Dabei w i r d eine ständige Orientierung an dem ursprünglichen Regeloder Grundsystem verlangt. Aarnio fordert auf zu einer adäquaten Widerspiegelung, die durch wahrheitsgemäße Systematisierung zu er22 W. Krawietz, Rechtssystem u n d Rationalität i n der juristischen Dogmat i k , i n : Methodologie u n d Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1980), S. 300 f. unter Berufung auf u n d m i t Zitaten aus: A . Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, W i e n - New Y o r k 1979, S. 37, 50 ff., 54 f., 66 ff.

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folgen habe. Krawietz bezweifelt die Tragfähigkeit eines solchen Wahrheitskriteriums, aber das Faktum der Widerspiegelung w i r d nicht bezweifelt ebensowenig wie die Existenz jenes Grundsystems angezweifelt w i r d . 2 3 I m Grunde genommen ist Systematisierung dadurch als Theorie identisch mit Darstellung. Die Debatte über die Tragfähigkeit des Wahrheitskriteriums wäre überflüssig, wenn auch hier eingesehen wird, wie sehr es nicht u m Darstellung, sondern u m Herstellung von Systematizität geht. Unter dem Einfluß der Dogmatik ist es notwendig, diese Herstellung als Darstellung zu präsentieren. Es gehört, m i t anderen Worten, zu den Notwendigkeiten der juristisch-diskursiven Strategie, ein Grundsystem als Referenzmöglichkeit darzustellen, damit diese Dimension des Konstruktiven und Grundlosen i m theoretischen Argumentieren nicht offen zutage t r i t t und eine Bedrohung für die gegebenen Legitimationsmöglichkeiten wird. Ähnliche Fragen treten i m angelsächsischen Rechtsdenken hervor, obwohl dort die Rolle einer Dogmatik als systemsteuernde Kraft weniger offen zutagetritt. Neil MacCormick dürfte hier als der Rechtstheoretiker gelten, der die systemtheoretischen Aspekte i n der angelsächsischen Rechtstheorie am weitesten vorangetrieben hat. Es hat sich dabei ein ganz bestimmter Ausgangspunkt entwickelt, der i n der gesamten Literatur zu finden ist. Dieser Punkt ist die Unterscheidung von H. L. A. Hart, i n The concept of law, 1961, der zwischen »primary and secundary rules 4 differenziert. Systematizität ist, wie auch MacCormick ausführt, abhängig von jener besonderen Regel, welche Hart als ,rule of recognition' bezeichnet. Analytisches Rechtsdenken befragt die Konnotationen und gegenseitigen Verhältnisse aller möglichen Regeln, aber nicht die referentielle Funktion des einheitlichen Rechtssystems als solche. Diese Beobachtung dürfte von Belang sein, weil demnach das Interesse des positiven Rechts an Einheit i n Form der Systematizität bewahrt und geschützt bleibt. Aus diesem Grunde betont MacCormick, daß die Rationalität einer Entscheidung von der Bedeutung i m Kontext des jeweiligen Systems abhängig sei. Diese Bemerkung dürfte als Variation gelten von Wittgensteins allzu bekannter Aussage: „ . . . the meaning of a word is its use i n the language / Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch i n der Sprache" und: „Wie ein Wort funktioniert, kann man nicht erraten. Man muß seine Anwendung ansehen und daraus lernen 2 4 ." Was hier die Sprache als System leistet, w i r d bei MacCormick das Recht als ,legal system' auf sich nehmen. Darum sind Richter an Grundsätze des rationalen Argumentierens gebunden, und eben aus diesem Grunde haben Aarnio, A l e x y und Peczenik ihren idealtypischen Entwurf vorgelegt. Das evasa Krawietz, Rechtssystem u n d Rationalität i n der juristischen Dogmatik, S. 311 f.; Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, S. 66 f. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, op. cit., S. 20, nr. 43; S. 109, nr. 340.

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luative Moment i n diesem Argumentieren ist ein derart unbestimmter und gegenüber einem positivistisch verstandenen Begriff der Rechtssicherheit unsicherer Faktor, daß es MacCormick dazu bringt, die j u r i stische Argumentation als „rationally structured but not rationally determined" zu umschreiben. Diese Umschreibung hat die allgemeine Rationalität, auf dem Hintergrund der Idee einer praktischen Vernunft, lückenlos i n die juristische übertragen. Eben dieser Vorgang wäre als Ideologie zu kennzeichnen. Sie setzt die Möglichkeit a priori voraus, daß juristisches Argumentieren und Entscheiden eine Rationalitätsstruktur reproduziert, die eine zusammenhängende, kohärente Lebensform bewirkt. Diese Beobachtung w i r f t ebenfalls ein Licht auf die These, die neuerdings von Schelsky vorgetragen wird. Dieser geht von der Feststellung aus, daß es keine „rationale Einheit oder Identität der Wissenschaft des Rechts mit der juridisch-institutionellen Praxis des Rechts als Gesetzgebung oder Justiz" gibt. Diese Einheit, die also tatsächlich nicht existiert, nennt Schelsky eine Illusion. I m Zuge der oben entwickelten Gedankengänge gehört diese Illusion zu den wichtigsten Momenten einer diskursiven Strategie i m Recht. Jene Illusion ist, soziologisch betrachtet, interessenbedingt und erkenntnistheoretisch betrachtet eine Ideologie. Eben diese Ideologie w i r d instand gehalten durch eine konstante „Selbsttäuschung der Rechtswissenschaftler und der von ihnen ausgebildeten praktischen Juristen" 2 5 . Die Frage nach der Adäquatheit rechtstheoretischer Modelle und Deskriptionen erscheint i n diesem Licht als weniger radikal. Sie bewegt sich offensichtlich noch i m Rahmen einer durch das dogmatische Denken abgesteckten und buchstäblich vorgeschriebenen Region der Theorie. Diese bleibt demzufolge dem Darstellungscharakter des Rechtssystems verhaftet. Die besonders durch A l e x y entwickelte Analyse juristischer Sprechakte und Sprachverwendungen bleibt ebenfalls i n diesem Rahmen stecken. I n diese Richtung geht bereits die scharfe K r i t i k von Krawietz, nach welchem eine solche Analyse und analytische Theorie ihren Gegenstand nicht erreicht. „Solange man die juristische Argumentation und ihre systematische Begründung und Rechtfertigung durch Vorwahl einer immanenz-analytischen Argumentationsund Sprechakttheorie von ihren jeweiligen sozialen Systembezügen abzukoppeln sucht, läuft man Gefahr, die überaus vielschichtige Problematik des rechtlichen Entscheidungs-, Begründungs- und Rechtfertigungsverhaltens auf einen Teilaspekt zu reduzieren und damit die spezifisch juristische Rationalität des rechtlichen Problemlösungsver25 H. Schelsky, Die juridische Rationalität, i n : Die Soziologen u n d das Recht, Köln/Opladen 1980, S. 34 f.

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haltens zu verfehlen." Und: „Leider ist bei A l e x y von der juristischen Argumentation der Interessen- und Wertungsjurisprudenz . . . und von der Rechtswelt, wie er sie versteht, weder die Rede noch die Schreibe 26 ." Es geht in diesem Argument also u m die Tatsache, daß gewisse Interpretationen und Praktiken des Rechts durch die überaus reduktiv vorgehende theoretische Analyse nicht getroffen sind. Die Beschreibung, die Darstellung verfehle i h r Objekt. Aber die Idee der Darstellung als solche bleibt unangegriffen, auf sie w i r d nicht reflektiert. Weiterhin w i r d ein Gegensatz geschaffen zwischen der analytischen Sprechakttheorie und einer umfassenderen Systemtheorie sozialer Bezüge. Nun ist die Frage, ob dieser an sich interessante Gegensatz theoretisch tragfähig ist, ohne daß auf die implizite Sprachtheorie der beiden Richtungen — und damit auf die Bedeutung des Diskursbegriffs — eingegangen wird. Auffallend ist beispielsweise, daß diese Gegenüberstellung auf einem Gegensatz zwischen Sprache als relativ autonomes Phänomen und Sprache als m i t Handeln und Institutionalität vereinheitlichtes Phänomen beruht. Für den Diskursbegriff ist relevant, daß die Entität Sprache oder jene von Sprache und (institutionellem) Handeln immer noch nicht auf jene Einheit von Denken, Sprechen und Handeln zurückgeht, die als anthropologischer Fundamentalbegriff gelten darf. I n beiden Auffassungen ist anscheinend noch eine verkürzte Anthropologie wirksam. I I I . Grundlagen des juristischen Diskursbegriffs Drei Denkbewegungen kommen i n die Auffassung vom Begriff eines Diskurses bei Aarnio, Alexy und Peczenik zusammen. 1. Der juristische Diskurs w i r d als begriindbarer Diskurs angesehen. Allgemeinheit und Begründung sind unlösbar miteinander verbunden. Ein Denken der Begründung ist dem Recht sozusagen natürlich: Rechtsdenken ist ebensosehr Fundierungsdenken wie auch Anwendungsdenken. 27 Beide sind jedoch eingefangen i n eine i m Wesentlichen cartesianische Denkform, die Herstellung als Darstellung präsentiert, und Denken, Handeln und Sprechen als autonome Entitäten auseinanderhält. 2. Der juristische Diskurs w i r d als rationalre Diskurs angesehen. Diskursivität, das Verrichten von Sprechhandlungen w i r d als rational aufgefaßt, insoweit es regelgeleitetes Verhalten ist. Handlung und Regel gehören grundsätzlich zusammen. 3. Der juristische Diskurs w i r d als praktischer Diskurs angesehen. Die Regelstruktur der Praktikabilität des Diskurses wäre als Wiederholung der Regelstruktur von Sprache zu nehmen. Dies kann 26 Krawietz, Rechtssystem u n d Rationalität i n der juristischen Dogmatik, S. 308 f. 2 7 Broekman, Recht u n d Anthropologie, op. cit., S. 85 ff.

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nur geschehen aufgrund einer Trennung von Sprache, Denken und Handeln als wären sie selbständige Entitäten. M i t diesen drei Charakterisierungen: Begründung, Rationalität und Praktikabilität hängt also eine ganz bestimmte, philosophisch einseitige Auffassung vom Diskursbegriff zusammen. Erst die Frage nach den Grundlagen des Diskursbegriffs kann den Zusammenhang jener drei Momente erhellen. Die Diskussion setzt sich demnach fort auf die Ebene der anthropologischen und sprachtheoretischen Voraussetzungen. Die Frage nach einem solchen Zusammenhang hängt ganz offensichtlich zusammen m i t der Interpretation vom Verhältnis des sprechenden Menschen zur Wirklichkeit. A n anderer Stelle wurde bereits dargelegt, daß genau die instrumentalistische, bzw. naiv-pragmatische Interpretation dieses Verhältnisses entscheidend ist für die Differenz zwischen dem analysierten Ansatz zu einer Diskurstheorie i m Recht und einer sogenannten post-strukturalistischen Auf fasung jenes Themas. 28 Die analytische Sprach- und Rechtstheorie bringt Sprachhandlungen und Rechtshandlungen so zusammen, daß sie geradezu eine Identität besitzen. M i t der Phänomonologie teilt sie die Auffassung, daß die Oberfläche der natürlichen Umgangssprache zugleich jene des juristischen Diskurses ist und daß beide gleichermaßen für Sprecher und Hörer als unmittelbare Gegebenheit zugänglich und verständlich sind. Wenn i m analytischen Verständnis tatsächlich auf die unter der Sprachoberfläche wirksamen Tiefenschichten zurückgegriffen wird, dann ist es deswegen, weil dort ein gesellschaftlicher Konsens angenommen wird. Dieser ließe ein Fundierungsverhältnis für das tatsächliche positive Recht i n der Sprachoberfläche zu. Da jedoch i m analytischen Verständnis dasselbe für die Umgangssprache i m Hinblick auf die Moral gilt, w i r d die Spezifizität des juristischen Diskurses nicht herausgestellt als selbständiger Bestandteil der Theorie. Ein hermeneutisches und poststrukturalistisches Verständnis desselben Problems entdeckt während des Lesens der Oberfläche, wie sehr eine solche Lektüre das Ablesen von Gesellschaftskonzeptionen, aber auch von vorherrschenden Ideologien, Sprachbarrieren und Verzerrungen der Erkenntnis ist. Für ein solches Verständnis besteht kein direkter Zugang vom alltäglichen zum juristischen Diskurs. Soziale und kulturelle Normen und Werte gelangen keineswegs i n direkter Weise, sondern nur durch einen Prozeß von semantischen Differenzierungen, also durch Transformation, ins Recht. Der Vorgang des juristischen Qualifizierens sowie jener der Juridisierung von Lebensfakten ist darum von außerordentlichem Gewicht 2 9 . 28 Jan M. Broekman, Juristischer Diskurs u n d Rechtstheorie, i n : RECHTST H E O R I E 11 (1980), S. 40 f. 29 Broekman, Recht u n d Anthropologie, op. cit., S. 16 f., 81 - 85, 135 ff., 180 f.

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Eine analytisch geprägte Theorie stellt nicht an erster Stelle die Frage nach jenen semantischen Differenzen, sondern lediglich nach der Adäquatheit des betreffenden Ausdrucks. Darin liegt der pragmatische Zugriff vom Recht auf die Wirklichkeit gewissermaßen philosophisch vorprogrammiert. Sprachoberfläche ist i n dem Sinne ein factum brutum für die analytisch verstandene Rechtstheorie und Rechtsphilosophie. Für einen post-strukturalistischen Ansatz ist nicht die Adäquatheit des Ausdrucks von Werten und Normen i m juristischen Diskurs an erster Stelle wichtig, sondern die komplizierte Vorgeschichte, die vorgängigen und unterschwelligen Arbeitsprozesse, die eben einen solchen Ausdruck hervorbrachten. Denn alle Phänomene der jeweiligen Sprachoberflächen sind das Ergebnis von komplizierten Arbeits- und Produktionsvorgängen. Solche Vorgänge sind für die natürlichen Sprachen eben i n gewisser Weise anders als für die Sprache des juristischen Diskurses. Wie diese Differenz zustandekommt, ist Sache einer Rekonstruktion der tatsächlichen juristisch-dogmatischen Sprachverwendung aufgrund von Grundwerten des allgemeinen kulturellen Diskurses. I n diesem Licht dürfte schon ersichtlich werden, daß damit mehr gesagt w i r d als daß die Sprechakttheorie nicht von ihren (!) sozialen Systembezügen abzukoppeln sei (Krawietz). Eine derartige Rekonstruktion 3 0 steht nicht i n einem Abbildverhältnis zu dem Objekt und sie versucht nicht, ausschließlich die Regeln der betreffenden Sprachverwendungensysteme zu analysieren. Es geht vielmehr u m eine Erkenntniskritik, die den Gebrauch des Diskursbegriffs während der besagten Rekonstruktion m i t umfaßt. A u f diese Weise w i r d es möglich, ein Modell der Reflexionsphilosophie m i t dem Modell von Erkenntnis als politischer Ökonomie zu konfrontieren. Aus einer derartigen Konfrontation, die hier nicht nachvollzogen wird, da sie bereits skizziert worden ist 3 1 , ergibt sich: 1. Analytisches Denken neigt dazu, die Explikation, den Ausbau und die Verfeinerung des tatsächlichen dogmatischen Sprachgebrauchs anzustreben. Die Arbeit und Politik eines derartigen theoretischen Vorgehens läßt sich mit Hilfe des traditionellen Begriffs der Rechtsdogmat i k bzw. Rechtslehre kennzeichnen. Danach erfolgt eine Artikulation des juristischen Diskurses i m Dienste der Interessen der Dogmatik. Jedoch wurde bereits dargelegt, wie sehr dies eine mechanistische A u f fassung impliziert, eine Verdoppelung der Theorie i m Hinblick auf die Praxis nach sich zieht und somit den autoreferentiellen Charakter des Rechts mit Hilfe von deutlich erkennbaren diskursiven Strategien instandhält. I m Brennpunkt des Modells von Sprache und Erkenntnis, so Ebd., S. 135 - 187. 3* Broekman, Juristischer Diskurs u n d Rechtstheorie, op. cit., S. 41 ff.

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das zugleich Gegenstand der politischen Ökonomie als Erkenntnistheorie ist, steht die Subjektivität. Denn es steht fest, daß die vorherrschende und immer noch als cartesianisch zu charakterisierende philosophische Auffassung über das Wesen des Menschen als einer sich selbst gleichbleibenden und dauerhaften Identität durch die Dogmatik legitimiert wird. Der dogmatische Begriff der Rechtssubjektivität bringt diese Essenz besonders i n seinem Begründungsanspruch zum Ausdruck 3 2 . 2. Analytisches Denken neigt dazu, die Frage nach Eigenart und Funktion des Textes i m juristischen Diskurs lediglich instrumentalistisch zu beantworten. Jeder Text ist ein Moment von Institutionalität mitsamt ihrer Rationalität. Außerdem ist jeder Text ein Moment des Verschließens aller Zugänge zu seinen Tiefenstrukturen und Mehrdeutigkeiten. Jede Textbehandlung tendiert dazu, unter dem Druck der sozialen Verhältnisse, von Werten und Normen der allgemeinen K u l t u r bloß positivistisch vorzugehen. Juristische Texte, verstanden als pragmatisches Instrument zur Handhabung des positiven Rechts und der Rechtssicherheit, sind eindeutig gemachte Texte. Sie enthalten eine Fülle von Mehrdeutigkeiten, aber diese werden transformiert oder gar unterdrückt. Die juristische Rationalität wird somit durch Vereindeutigung juristischer Texte hergestellt. Erst die Analyse i m Sinne einer politischen Ökonomie der Textualität läßt ersichtlich werden, wie sehr diese juristische Rationalität auf Reduktionen basiert. Jene Reduktionen beruhen auf der exegetischen Idee, daß eine ausgezeichnete und absolut gültige Textinterpretation durchaus möglich ist. Als Gegenmodell dazu gilt die Einsicht, daß das Verhältnis des Textes zu der jeweiligen gesellschaftlichen Struktur nur als narrativer Komplex zu verstehen sei. 3. Analytisches Denken neigt dazu, das Verhältnis von Sprachregel und Verhaltensregel nicht i n die Analyse aufzunehmen. Es w i r d allgemein vorausgesetzt, daß menschliches Handeln sich gemäß Sprachregeln vollzieht oder gar mit diesen Regeln identisch ist. Eine Philosophie des menschlichen Handelns ist eine Sprachphilosophie. „ . . . if my conception of language is correct, a theory of language is part of a theory of a c t i o n . . . " sagt zum Beispiel John Searle. Das ist der Fall, weil Sprechen ein regelbefolgendes Handeln ist, wobei die Sprachregeln und solche des normativen sozialen Verhaltens stillschweigend für identisch gehalten werden. Erst aufgrund dieser Annahme kann Searle argumentieren: „Speaking a language is engaging i n a (highly complex) rulegoverned form of behavior." „ M y knowledge of how to speak a language involves a mastery of a system of rules which renders my use of the 32 B. Edelman, Le droit saisi par la photographie, L'homme des foules, Paris 1981.

Paris 1973; ders.,

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elements of that language regular and systematic 33 ." Jedes Handeln w i r d somit vollständig regelabhängig. Jedes Handeln ist auf Anerkennung angewiesen; aber jede Anerkennung, die Handlung konstituiert, hebt sich als solche auf, indem sie die Befolgung von Regeln als einziges K r i t e r i u m einführt. Von großem Gewicht ist hier die Schlußfolgerung von Peter Winch: „ I t follows that I can only be committed i n the future by what I do now if my present act is the application of a r u l e . . . this is possible only where the act i n question has a relation to a social context: this must be true even of the most private acts, if, that is, they are meaningful 3 4 ." Denn i n diesem Fall ist die Identifikation von Verhalten und Regelstruktur so weit fortgeschritten, daß die analytische Theorie geradezu rechtsdogmatische Züge annimmt. Die allgemeine Aussage über Verhalten und Zukunft i m Hinblick auf die Regel dürfte nachgerade als dogmatische Definition der Rechtssicherheit dienen! Aber sie dient auch als philosophische Grundlage für die Funktion der allgemeinen Idee einer praktischen Vernunft i m Hinblick auf den praktischen juristischen Diskurs i m Sinne von Alexy. Seine prozedurale Theorie, Kernstück einer umfassenderen Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses, läßt Prozedur, Praxis und Rationalität ausschließlich als regelbefolgende Prozesse erscheinen. Darum ist die Analyse jenes Diskurses größtenteils identisch m i t der Analyse der Regeln des Diskurses. A u f S. 41 w i r d infolgedessen die prozedurale Theorie umschrieben m i t Hilfe des Regelbegriffs. Jener Begriff läßt jedoch keinen Raum für die Frage nach der Identität von Sprachregel und Verhaltensregel. Denn wer diese Identität befragt, bringt die Analyse ins Stocken. Eine prozedurale Theorie ist demnach ein System von Regeln und Argumentationsformen des praktischen Argumentierens, dessen Befolgung bzw. Gebrauch die Rationalität der Argumentation und die Richtigkeit der Ergebnisse garantiert. Grundanliegen ist dabei, an Hand eines Modells die Idee der Rationalität zu erhellen. Was kann diese Idee jedoch anders sichtbar machen, als was von vornherein als konstituierendes Element angenommen wurde, nämlich die Regel? Ersichtlich wird, wie sehr eine derartige Theorie, genauso wie das dogmatisch festgelegte positive Recht, auf Selbstdarstellung angelegt ist. Bevor dieser letzte Gedanke weitergeführt wird, sollten zwei Nebenbemerkungen eingeschoben werden. Die erste ist, daß m i t obigen Erwägungen kein philosophischer Methodenstreit zwischen analytischem und post-strukturalistischem Denken ausgetragen wird. Die benutzten Etikettierungen sind ungenügend und die respektiven Standpunkte sind durchweg relativ. Es geht vielmehr darum, die Einseitigkeiten des analytischen Verfahrens aufzuspüren. Denn sie haben durch die Wirkung 33 j . Searle , Speech acts, Cambridge 1970, S. 17, 12, 13. 34 p . Winch , The idea of a social science, London 1959, 1971?, S. 50.

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des dargestellten Modells ihre Wirkung bis i n die Hoffnungen auf eine zunehmende Rationalität bei Richter und Gesetzgeber. Darüber hinaus sollen Grundannahmen und ideologische Verzerrungen, die vor allem durch die Wirkungen der Dogmatik eintreten, ans Licht gebracht werden. Es geht also u m Aufklärung und nicht, wie man meinen könnte, u m bloße Erklärung. Die zweite Nebenbemerkung ist, daß die angedeuteten Themen einer Erkenntniskritik des dogmatisch-juristischen Denkens, nämlich Subjektivität, Textualität und Regel, genau m i t den Themen des Beitrags von Aarnio, A l e x y und Peczenik, nämlich: Begründung, Rationalität und Praktikabilität parallel laufen. Subjektivität ist das privilegierte Thema für die Fundierung des Rechts und die Legitimierung des Anwendungsdenkens. Textualität ist die Thematik, die durch Reduktion und Vereindeutigung der Oberfläche von Sprache die besondere juristische Rationalität entstehen läßt. Die Regel bildet schließlich jene Thematik, die dank der juristischen Voraussetzung von Identität zwischen Sprache und Handeln eine allseitige Praktikabilität juristischer Sprechakte und sprachlicher Vorstellungsweisen entstehen läßt. Aus der beschriebenen Parallele ist der transformationelle Charakter des Rechts abzulesen, d. h. aus i h r ist die ideologische Wirkung der Verneinung einer solchen grundlegenden Transformation, die keinesfalls eine Transformation von Regeln, sondern von semantischen Feldern ist, mitsamt der Notwendigkeit jener Verneinung für das Fortbestehen des dogmatisch bestimmten positiven Rechts abzulesen. Die Grundlagenproblematik des juristischen Argumentierens sowie der vorgeschlagenen prozeduralen Theorie ist darum weder als „contextually sufficient justification" noch als „deep justification" (Peczenik) zu entwickeln. Sie kann nur erforscht werden, wenn noch eine dritte Dimension entwickelt wird, nämlich jene der Bedingungen der Möglichkeit einer solchen Theorie. Die „deep justification" bleibt immer noch i m Bereich der Extrapolierung dogmatischer Theoriebestandteile. Die dritte Dimension fehlt, da Diskursivität naiv-pragmatisch als Extrapolierung einer Sprachtheorie verstanden wird, welche auf dem herkömmlichen Sprecher-Hörer-Modell beruht. Eine Berufung auf W i t t gensteins Idee der Lebensform ändert diese Sachlage ebenso wenig wie die sonstigen modernen sprachtheoretischen und philosophischen Variationen desselben Themas bis h i n zur Philosophy and the mirror of nature von Richard Porty 3 5 . I m Hinblick auf ein solches Bedürfnis nach einer Rechtfertigung der Theorie und der Berechtigung des instrumentalistisch verstandenen Diskursbegriffs auf dem Niveau der Grundlagenforschung sollten zwei Fragen gestellt werden. Wenn die „deep justification" der Ausrichtung einer prozeduralen Theorie und ihrer as R. Porty , Philosophy and the m i r r o r of nature, Oxford 1980, Kap. V I I

& Vili.

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Argumentationsformen so einseitig auf die Regel zurückgeht, ist dann damit die gesamte Theorie nicht eine legalistische? Und ist damit der praktische Diskurs nicht ein praktisch-legalistischer Diskurs? Legalismus ist nach Judith Shklar „ . . . the ethical attitude that holds moral conduct to be a matter of rule-following, and moral relationships to consist of duties and rights determined by rules" 3 6 . Dabei h i l f t keine Berufung auf die sogenannte ethische Neutralität der Regel, denn diese ist abgeleitet von der Idee einer ethischen Neutralität des Rechts selber. Dieser letzte Gedanke wäre leicht zu widerlegen. Z u bemerken wäre, daß die Diskussionen von Fuller, Hart oder D w o r k i n und MacCormick immer i m Zirkel des bereits a priori legalistischen Anwendungsdenkens stattfinden 37 . Das ,Wie' und das ,Daß' der Anwendbarkeit des Anwendungsdenkens innerhalb des juristischen Diskurses bleibt gänzlich unbesprochen. Die zweite Frage ist anderer Natur, aber sie läuft offensichtlich auf denselben Problemkomplex hinaus. Als roter Faden der dargestellten Theorie der juristischen Argumentation ist die Idee zu betrachten, daß die Konstruktion eines Modells von Rationalität, das keineswegs immer Realitätsgehalt zu haben braucht, m i t den intuitiven Auffassungen von juristisch-praktischer Rationalität übereinstimmen muß. Dabei ist richtig bemerkt, daß die praktische Rationalität eine dunkle Idee, d.h. nicht von sich aus klar und evident ist. Praktische Vernunft w i r d verstanden als das Vermögen, mit Hilfe gewisser Regelsysteme zu praktischen Einsichten zu gelangen. Ist das nicht schon eine legalistische Interpretation der Praxis, nämlich der eines regelbedingten Verhaltens? W i r d daraus nicht ersichtlich, wie sehr i m Rechtsdenken der Legalismus an die Stelle des Cartesianismus t r i t t , genauso wie umgekehrt i n der Philosophie der Cartesianismus den Legalismus vert r i t t 3 8 ? Praktische Vernunft ist, wie Merleau-Ponty anläßlich eines Essays über den westlichen Marxismus mit Recht bemerkt, „ . . . de nous installer dans u n ordre qui n'est pas celui de la connaissance, mais celui de la communication, de l'échange, de la fréquentation" 3 9 . Aber auch diese Ordnung w i r d für das analytische Denken durch die Regel konstituiert, und darum ist der Konsens für die Ordnung jenes analytischen Denkens das höchste Gut. Jener Konsens w i r d als neutral, objektiv, unabhängig vom individuellen Willen oder von Privatinteressen und gerade darum als zwingend vorgestellt. Diese Auffassung ist demnach se J. Shklar, Legalism, Cambridge Mass. 1964, S. 1. 37 L. L. Fuller , The m o r a l i t y of law, New Haven & London 1964; H. L. A . Hart, The concept of law, op. cit.; passim; R. Dworkin, T a k i n g rights seriously, London 1977; N. MacCormick, Legal reasoning and legal theory, op. cit., passim; Lutz Ellrich, H. L. A . Harts regelkonzeptionelle Theorie der Eigenständigkeit des Rechts, in: RECHTSTHEORIE 13 (1982), S. 421-441. 38 Broekman, Recht u n d Anthropologie, op. cit., S. 103. 3» Merleau-Ponty, op. cit., S. 70.

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ebenfalls legalistisch oder mit Shklar gesprochen „ . . . an openly, intrinsically and quite specifically conservative view . . ." 4 0 . Die beiden Fragen, die i n die Diskussion des legalistischen Charakters der aufklärerischen Idee einer prozeduralen Theorie des juristischen Argumentierens ausmünden, können hier nicht vollständig beantwortet werden. Es fragt sich, ob sie überhaupt mit Hilfe der gegenwärtigen Ansichten innerhalb der Rechtstheorie zu beantworten sind. Sie zielen nämlich auf die Problematik der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Paradigmawechsels des Rechts. Hier haben sie lediglich eine indikative Bedeutung. Sie sollen andeuten, daß Begründung, Rationalität und Praktikabilität keine Theoriebestandteile sind, die durch eine „deep justification" genügend erhellt werden können, welche mit einer instrumentalistischen Interpretation des Diskursbegriffs arbeitet. Dabei steht der Gegenbeweis, daß dies mit einer nicht-instrumentalistischen oder auch post-strukturalistischen Interpretation des Diskursbegriffes möglich sein wird, noch aus. Dennoch sind Ansätze dazu skizziert worden. Die weitere Ausführung jener Ansätze hieße, die Rolle von Subjektivität, Textualität und Regel für die Rechtstheorie auszuarbeiten. Ist es möglich, i m Bereich eines solchen Vorhabens jene Klarheit zu erreichen, die die dargelegte Regelanalyse hinsichtlich des juristischen Argumentierens bei Aarnio, Alexy und Peczenik bereits erreicht hat? Das gäbe eine erneute Diskussion über den bisher nicht i n voller Höhe bekannten Preis, d. h. über die Bedingungen der Möglichkeit, jene Klarheit zu erreichen, sowie über die Frage, ob man bereit ist, einen solchen Preis zu bezahlen. Oder bewirkt die normative K r a f t des j u r i stischen Diskurses und seines Pragmatismus, daß auch der Philosoph genau so wie der Theoretiker dazu gezwungen wird, einen derartigen Preis gewissermaßen unaufgefordert zu zahlen? IV. Integrale Rechtstheorie und Ideologiekritik Eine Zusammenfassung der hier entwickelten Gedankengänge ergibt folgendes Bild. Zwei Voraussetzungen werden i n der Literatur allgemein befolgt. Die erste ist, daß juristische Rationalität als Moment einer allgemeinen Rationalität betrachtet wird, ohne die durch semantische Transformation zustandegekommene Spezifizität jener Rationalität zu beachten. Diese Rationalität entsteht vornehmlich dadurch, daß die Textualität i m Recht zu einer positivistisch-legalistischen Eindeutigkeit gezwungen wird. Denn ohne sie wäre weder die Einheit des juristischen Diskurses garantiert noch wäre die Rechtssicherheit als solche denkbar. Die zweite Voraussetzung ist, daß juristische Rationalität ge40 Shklar,

op. cit., S. 3.

8 Krawietz/Alexy

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Jan M. Broekman

nerell auf juristisches Argumentieren eingeengt wird. Aus beiden Voraussetzungen wurde die These entwickelt, daß juristische Rationalität als Reproduktion von dogmatisch vorgegebenen Rechtsstrukturen aufzufassen sei. Diese Reproduktion ist ein wichtiges Moment der generellen diskursiven Strategie der Dogmatik i m Recht. Beide Voraussetzungen lassen, einmal ans Licht gerückt, den mechanischen Charakter einer pragmatisch angelegten integralen Rechtstheorie sichtbar werden. Das ideologische Moment w i r d klar, wenn man die Grundlagen der Theorie erforscht und sich vergegenwärtigt, wie sehr die juristische Argumentation als ein analysierbares Objekt vorgestellt wird, während eine diskursive Strategie am Werk ist, die seine Theorie herstellt und als Objekt bloß darstellt. Die besonders von Peczenik durchgeführten Analysen von Transformation i m Recht (AAP 14 ff.) sind Regeltransformationen innerhalb des Bereichs eines dogmatisch vorgegebenen Rechtssystems. Sie analysieren und rationalisieren die Handhabe dogmatisch bestimmter Rechtsfiguren und erhoffen so einen Beitrag zur allgemeinen Rationalität zu leisten. Es gilt jedoch zu entdecken, nach welchen Regeln dieses ideologische System produziert wird. Dadurch entsteht ein Theorieansatz, der nicht mehr als Akkumulation dogmatisch-legalistischer Theoriebestandteile zu charakterisieren wäre. Krawietz k r i t i siert an den Analysen von Alexy, daß diese das tatsächlich funktionierende Recht nicht treffen. Dies ist einmal der Fall, w e i l Alexys Ansatz als sprechakttheoretischer zu eng ist, zum anderen ist das so, weil sein Rechtsbegriff zu beschränkt ist. Beide Bemerkungen sind durch die dogmatisch-legalistische Ausrichtung jener Analysen der vorgeschlagenen Theorie der juristischen Argumentation, i n deren Rahmen die Postulate einer integralen Rechtstheorie zu erfüllen sind (AAP 11 f. et passim), als berechtigte Einwände zu sehen. Über die Beschränktheit des sprechakttheoretischen Verfahrens wurde bereits bemerkt, wie sehr dort eine verkürzte Anthropologie am Werk ist. Diese ist besonders sichtbar i n die Gleichsetzung von Sprachregel und Verhaltensregel sowie i n der Betonung des regelbefolgenden Verhaltens ohne theoretischen Spielraum für entregelndes Verhalten zu schaffen 41 . Der zu beschränkte Rechtsbegriff w i r d ersichtlich aus der Tatsache, daß „die i m Bereich der sozialen Handlungswissenschaften unter Einschluß der Rechtswissenschaft zu analysierenden, i m Recht und seiner Anwendung zum Ausdruck gelangenden Rationalitätsstrukturen nicht hinreichend erfassen", was nach diesem Autor ebenfalls wesentlich zum Recht gehört. Man sollte den „ i m Wege juristischen Entscheidens sozial konstituierten, stets systemrelativen normativen Sinn zugleich als Teil der 41

Jan M. Broekmann, Sprechakt u n d InterSubjektivität, in: Waidenfels/ Broekman/Pazanin (Hg.), Phänomenologie u n d Marxismus, Bd. I I I , F r a n k furt 1978, S. 101 f.

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Struktur des staatlich organisierten Rechtssystems begreifen" 4 2 . Damit gehört zum Rationalitätsthema ebenfalls die Rationalität des staatlich organisierten Rechts, die Rationalität der Rechtswissenschaft, die Rationalität der Interdependenzen von Organisation und Wissenschaft und ganz besonders die Rationalität der Dogmatik als Tragfläche jener besonderen Rationalitäten. Diese Rationalitätsmomente sind jedoch noch als „contextually sufficient" oder als „deep justification" einer Theorie des juristischen Argumentierens zu behandeln. Jedoch übersteigt die Grundlagenproblematik mitsamt ihrer Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit jener Rationalitäten zugleich den Bereich der „deep justification". A u f dem Hintergrund des Verhältnisses von Recht und K u l t u r betrachtet, ist andererseits jede „deep justification" noch „contextually sufficient", d.h. an die Wirkung der Dogmatik gekettet. Erkennt man diese Sachlage, dann eröffnet sich das Vorfeld einer Erkenntnistheorie, die Ideologiekritik einschließt. Problematisch ist dabei, daß dann die Frage nach einem Paradigmawechsel i m Recht gestellt werden muß. Ist angesichts dieser Problematik der Begriff der juristischen Rationalität noch tragfähig für eine Rechtstheorie? Aufgrund der dargelegten Erörterungen ist man geneigt, diese Frage verneinend zu beantworten. Jedoch bleibt die Neigung bestehen, auf die allgemeine Rationalität zu verweisen. W i r d diese uns durch die Situation eines Paradigmawechsels hindurchführen können? Theoretisch wie praktisch ist man damit bei dem Punkt angelangt, an dem Wittgenstein ein philosophisches Problem kennzeichnet durch den nur scheinbar so einfachen Satz: „Ich kenne mich nicht aus".

42 Krawietz 8«

(Fn. 22), S. 910 f.

über Rechtswissenschaft, Traneformationen und Rechtfertigung Von Enrico Pattaro, Bologna Einleitung Mein Beitrag gliedert sich i n drei Abschnitte. Der erste Abschnitt versucht darzustellen, daß die sog. wissenschaftliche Tätigkeit des Juristen keine Wissenschaft ist. Den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet eine kritische Auseinandersetzung mit dem Denken von Norberto Bobbio, der sich häufig m i t diesem Argument beschäftigt hat. Ich schließe meine Reflexionen an diejenigen Bobbios an, nicht nur deswegen, weil er der größte lebende Rechtsphilosoph Italiens ist, der sich mit der Natur der Rechtswissenschaft auseinandergesetzt hat, sondern auch deshalb, weil er als Kelsenianer und Neoempirist hierzu einen sehr vielschichtigen Standpunkt einnimmt, der meiner Meinung nach i n vielerlei Hinsicht demjenigen nahe steht, den eine Reihe von Vertretern des analytischen Positivismus i n der Rechtstheorie einnehmen. Insbesondere i n den von m i r ausgewählten Schriften behandelt Bobbio das Thema der Transformationsregeln, wobei er versucht, die Wissenschaftlichkeit der juristischen Tätigkeit zu belegen. I m ersten Abschnitt gelange ich zu dem Schluß, daß die sog. wissenschaftliche Tätigkeit des Juristen i n Wirklichkeit eine i m weitesten Sinne ethisch-politische ist, welche Normen hervorbringt. Daher ist es angebracht, diese Tätigkeit — genau so wie das Recht, m i t dem sich der Jurist beschäftigt — auf den großen Bereich praktischer Diskurse zurückzuführen. I m zweiten Abschnitt untersuche ich daher einige Aspekte der ethischen Argumentation. I m einzelnen befasse ich mich m i t dem Problem der Verallgemeinerung und der Anwendung von Schlüssen. Dabei versuche ich zu beweisen, daß der Anwendung solcher Verfahren in der Ethik eine pragmatische Rechtfertigung fehlt. I n den Realwissenschaften hingegen ist eine solche vorhanden. Ich schließe diesen Teil der Abhandlung mit dem Hinweis, daß das Recht als dynamische formale Ordnung i m Sinne Kelsens als ein typisches Beispiel eines sich selbst rechtfertigenden Systems bezeichnet werden kann, deshalb einer präg-

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matischen Rechtfertigung entbehrt und als solches den gleichen epistemologischen Status wie das ethische System aufweist. Der letzte Abschnitt setzt sich zusammen aus meinen eigenen kurzen und abschließenden Überlegungen, die sich auf den Aufsatz Grundlagen der juristischen Argumentation von A. Aarnio, R. A l e x y und A. Peczenik beziehen, besonders auf die Theorie der Sprünge (jumps), die letzterer entwickelt hat. I. Rechtswissenschaft als praktischer Diskurs 1. Rechtswissenschaft zwischen Formalwissenschaften und empirischen Wissenschaften Zuerst beziehe ich mich auf Gedanken, die Bobbio bereits i n den 50er Jahren vertreten hat 1 . I n seiner Teoria della scienza giuridica (Theorie der Rechtswissenschaft), einer kritisch historischen Untersuchung, rechnet Bobbio zu Recht ab m i t einer Reihe von Klassifikationen, die sich nur schwer mit einer neoempiristischen Epistemologie Vertragen, nämlich m i t der Unterscheidung der Natur- und Geisteswissenschaften nach ihrem Gegenstand (Wundt, Dilthey, Rothacker) und nach ihrer Methode (Windelband, Rickert, Croce). Diese Klassifikationen sind ungeeignet, eine Kategorie der Wissenschaften zu bestimmen, die keine Naturwissenschaften sind und der auch die Rechtswissenschaft als Disziplin zuzuordnen wäre 2 . I m Anschluß daran stellt sich Bobbio der nicht leichten Aufgabe, der Rechtswissenschaft Wissenschaftscharakter zuzuerkennen. Dafür benutzt er die von der neoempiristischen Philosophie zur Verfügung gestellten „Werkzeuge". Zu diesen zählen die Unterscheidung zwischen empirischen Wissenschaften (Realwissenschaften) und Formalwissenschaften, die auf Carnap zurückgeht, und die Verwertung der axiomatischen Methode. „Empirische Wissenschaften", schreibt Bobbio, sind „die Wissenschaften von Tatsachen oder auch der Wirklichkeit, insofern sie empirisch ι D . h . ich werde zuerst N. Bobbio, Scienza del d i r i t t o e analisi del l i n guaggio (1950), i n : U. Scarpelli (Hrsg.), D i r i t t o e analisi del linguaggio, Milano 1976, S. 287-324; ders., Teoria della scienza giuridica, Torino 1950 i n Bezug nehmen. Anderer (aber später fallengelassener) Auffassung: Bobbio, in: Scienza e tecnica del diritto, in: Memorie dell'istituto giuridico dell'Università d i Torino, serie I I , memoria X X I X , Torino 1934, S. 1 - 53; eine hiervon unterschiedene Auffassung w i r d in: ders., Studi per una teoria generale del diritto, T o r i n o 1977, S. 139 - 173, und: D i r i t t o e scienze sociali, in: ders., Della struttura alla funzione. N u o v i studi d i teoria del diritto, Milano 1977, S. 43 - 61, vertreten. 2 Vgl. Bobbio, Teoria della scienza giuridica, S. 78 ff., 101 - 103, 104 ff 120 ff.

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erkennbar ist: die Physik, die Biologie, die Psychologie, die Soziologie usw". Die analytischen Sätze der Formalwissenschaften hingegen „machen keine Aussagen über die empirische Welt"; sie sind Tautologien (z. B. „A = A " , 2 + 2 = 4); „sie sagen uns wie w i r gewisse Symbole anwenden müssen", wenn einmal gewisse Konventionen feststehen 3 . Offensichtlich ist, daß die Formalwissenschaften, da sie nur analytische Sätze kennen, keine konkreten Erkenntnisse liefern; sie haben keine Erkenntnisfunktion: u m es m i t Carnap zu sagen, sie sind gegenstandsfrei, bringen keine Sachverhalte, sind gehaltsleer. Die Formalwissenschaften üben aber gegenüber empirischen Wissenschaften eine bedeutende Hilfsfunktion oder instrumentale Funktion aus. Sie stellen diesen Wissenschaften Inferenz- und K a l k ü l m i t t e l zur Verfügung: die Logik verschafft qualitative, die Mathematik quantitative Inferenzmittel. Carnap schreibt: „Die Verwendung der synthetischen und der analytischen Sätze in der Wissenschaft ist die folgende. Der Realwissenschaftler stellt synthetische Sätze auf, z. B. singuläre Sätze zur Beschreibung beobachteter Tatsachen oder generelle Sätze, die als Hypothesen aufgestellt und versuchsweise verwendet werden. Aus den aufgestellten Sätzen w i l l nun der Wissenschaftler andere synthetische Sätze erschließen, z. B. u m Voraussagen über die Zukunft zu machen. Die analytischen Sätze dienen als Hilfsmittel für diese Schlußoperationen. Die gesamte Logik, einschließlich der Mathematik, ist, vom Gesichtspunkt der Gesamtsprache aus betrachtet, nichts anderes als ein Hilfskalkül zur Behandlung der synthetischen Sätze. Die Formalwissenschaft hat keine selbständige Bedeutung, sondern ist ein aus technischen Gründen i n die Sprache eingefügter Hilfsbestandteil, der die für die Realwissenschaft erforderlichen sprachlichen Umformungen [Transformationen?] technisch erleichtert 4 ." Bobbio stimmt i m wesentlichen diesen Aussagen Carnaps zu. Er erkennt den instrumentalen Charakter der Formalwissenschaften an und bemerkt: „Die Tatsache, daß es diese Formalwissenschaften neben den empirischen Wissenschaften gibt, nimmt der Empirizität der Wissenschaft nichts, da diese (die Formalwissenschaften) eigentlich keinen Gegenstand haben, sondern ein System von Sätzen bilden, das der Bearbeitung des einzigen Gegenstands der Wissenschaft bzw. jeglicher nicht-instrumentalen Wissenschaft dient: dieser Gegenstand ist ein empirischer Gegenstand 5 ." 3 N. Bobbio, Teoria della scienza giuridica, S. 137, 138; vgl. A . Pasquinelli , Nuovi p r i n c i p i di epistemologia, Milano 1974, S. 58 ff., sowie Introduzione alla logica simbolica, Torino 1965, S. 10 f f.; R. Carnap, Formalwissenschaft u n d Realwissenschaft, in: Erkenntnis, 1935 V, S. 30 - 37. 4 Carnap (Fn. 3), S. 35 (Hervorhebung E. P.); vgl. S. 37.

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Anschließend beweist Bobbio feinsinnig ausführend, daß die Rechtswissenschaft keine Formalwissenschaft ist. Er tut dies zu Recht angesichts der Verwirrung, die allgemein i n den juristischen Disziplinen bezüglich „Form" und „Formalismus" herrscht 8 . Es ist nicht möglich und auch nicht unbedingt notwendig, hier die Beweisführung Bobbios mitzuvollziehen. Es ist aber wichtig hervorzuheben, daß nach Bobbio die Rechtswissenschaft keine analytischen Sätze kennt und daß ihre Aufgabe gegenüber den synthetischen Sätzen nicht eine kalkulierende Aufgabe, eine Hilfsaufgabe ist, wie es für die Logik und die Mathematik der Fall ist. Wenn diese Ansicht, die übrigens allgemein vertreten wird, einmal gutgeheißen wird, scheint für Bobbio der einzig begehbare Weg, die Rechtswissenschaft als „echte Wissenschaft" zu bestimmen, darin zu bestehen, diese auf eine empirische Wissenschaft zu reduzieren. I n den hier berücksichtigten Schriften folgt der Autor aber nicht diesem, sondern einem neuen Weg, der zu einer besonderen Betrachtung der Empirizität der Rechtswissenschaft und zu einer besonderen Verwertung der axiomatischen Methode führt. Diese beiden Punkte werde ich i m folgenden behandeln. Eine indirekte Bestätigung der Problemhaftigkeit, die der von Bobbio für die Rechtswissenschaft vorgeschlagenen empirischen Wissenschaftsauffassung anhaftet, kann darin gesehen werden, daß er sowohl die Behauptung aufstellte, die Rechtswissenschaft sei „nicht eine empirische Wissenschaft" als auch, daß sie der „großen Familie der empirischen Wissenschaften" angehört 7 . Die Rechtswissenschaft ist nach Bobbio „keine empirische Wissenschaft", weil die Regeln, mit denen sich der Jurist beschäftigt, „ i n Sätzen ausgedrückt werden, die w i r auf Grund ihrer ideellen und nicht reellen Geltung als normative bezeichnen können. Gegenstand der juristischen Forschung ist eine Gesamtheit von normativen Sätzen. Man beachte: Der Jurist beobachtet nicht Phänomene, wie der Forscher einer empirischen Wissenschaft, noch kümmert er sich darum* die Wahrheit durch die Erfahrung zu überprüfen, da diese Sätze, eben weil sie normativ sind — d. h. Regeln eines zukünftigen Verhaltens und nicht Darstellungen eines Ereignisses oder Vorfalles sind —, nicht eine empirische, sondern eine rein ideelle Wahrheit besitzen. Das heißt aber zugleich, daß ihre Wahrheit nicht in ihrer Überprüfbarkeit besteht, sondern i n der Übereinstimmung mit gewissen ethischen Prinzipien, die als regulative Kriterien der Handlungen i n einer bestimmten Gesellschaft aufgenommen sind 8 ." s Bobbio, Teoria della scienza giuridica, S. 138. β Vgl. ebd., S. 136 - 160. 7 Beide Behauptungen sind jeweils in: Scienza del d i r i t t o e analisi del linguaggio, S. 305, u n d in: ders., Teoria della scienza giuridica, S. 201, zu finden.

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Die zitierte Stelle enthält zwei Argumente: a) der Jurist beschäftigt sich mit Sprache (Verhaltensregeln), nicht mit Tatsachen und b) mit einer präskriptiven, weder überprüfbaren noch verfälschbaren Sprache. Es handelt sich u m zwei interessante Argumente, die für einen neoempiristischen Ansatz typisch sind. Ich werde später auf diese Argumente zurückkommen. Andererseits gehört die Redits Wissenschaft, nach Bobbio, auch zur „großen Familie der empirischen Wissenschaften", weil der Jurist, obwohl er Verhaltensregeln, normative Sätze, also Sprachentitäten untersucht, gleichwohl „den Bezug auf reale Verhaltensweisen (außersprachliche Entitäten), aus denen . . . der Satz herausgenommen wurde", voraussetzt. Es kann gesagt werden, erklärt Bobbio, „daß i m Falle des Juristen zwischen Wirklichkeit (Tatsachen, Verhalten) und Forschung die Sprache (des Gesetzgebers) getreten ist, die eine gewisse Wirklichkeit ausdrückt. Was erforscht wird, ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern ein gewisses Urteil über die Wirklichkeit: deshalb handelt es sich nicht darum, reelle Tatsachen zu erkennen, sondern den Sinn gewisser Behauptungen (rectius Vorschriften) über die Wirklichkeit zu interpretieren". Ein altes Vorurteil ist — schließt Bobbio —, „daß zum Verständnis des Gesetzes kein anderes Material notwendig ist als das, welches aus dem Gesetz selbst gewonnen werden kann, und daß deshalb die Rechtswissenschaft nicht der Erfahrung bedürfe, sondern fast eine reine A r t von formaler Gesetzesdeduktion ist. Um den Sinn einer Norm, die ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, zu verstehen, beobachtet der Interpret genau so wie ein Historiker, ein Soziologe, das reale Verhalten. Aus dieser Erkenntnis bezieht er unentbehrliche Elemente, u m seine Interpretationsfunktion zu erfüllen. I m übrigen ist heute diese Notwendigkeit allgemein, selbst von den Juristen anerkannt, die bereit sind, unter den hermeneutischen Mitteln, deren sich ein guter Interpret bedienen muß, den Rückgriff auf die sog. „Natur der Sache" oder „Natur des geregelten Falles" usw. anzunehmen. A l l diese Ausdrücke weisen auf das Bedürfnis hin, „ . . . daß die Beobachtung des realen Verhaltens die Grundlage des Verständnisses der von den Rechtsnormen hypothetisch vorgesehenen Verhaltensweisen bildet" 9 . 2. Beobachtungs- und Theorieebene Diesen von Bobbio formulierten Anmerkungen über die A r t der j u r i stischen Tätigkeit stimme ich v o l l zu. Von einem neoempiristischen Standpunkt aus, kann aber nicht zugestanden werden, daß der auf β Bobbio, Scienza del d i r i t t o e analisi del linguaggio, S. 304-306; vgl. ders., Teoria della scienza giuridica, S. 158 ff., 168 ff. ® Bobbio, Teoria della scienza giuridica, S. 162, 163, 200, 202, 168, 171, 174, 170, 176, 177 (Zitate aus S. 201, 169; 177).

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diese Weise tätige Jurist wie ein empirischer Wissenschaftler handelt, daß die Aussagen, die die Ergebnisse seiner Interpretationstätigkeit darlegen, Aussagen einer empirischen Wissenschaft sind. Wie bekannt sein dürfte, arbeitet der empirische Wissenschaftler auf zwei Ebenen, auf der Beobachtungsebene und auf der Theorieebene. Durch die Beobachtung von einzelnen Phänomenen erhält er den pragmatischen Anstoß, „Hypothesen, das heißt Annahmen allgemeiner A r t zu formulieren, die er dann der rationalen Verarbeitung zuführt. Mit Hilfe von angemessenen Nebenprämissen und wenn notwendig von Definitionen, folgert er induktiv oder deduktiv Voraussagen, die mögliche Ergebnisse von bestimmten Beobachtungsvorgängen oder experimentellen Vorgängen darstellen... Die Erfolge solcher Vorgänge sind größtenteils positiv, sichern induktiv einen angemessenen Bestätigungsgrad der Hypothesen und erlauben es daher, diese als Gesetze und Theorien aufzustellen. Endlich, wenn einmal die Gesetze und Theorien aufgestellt sind, kann der Wissenschaftler sie zur Erklärung und Voraussage von Phänomenen heranziehen, die i m Bereich der Untersuchung liegen. Nach Feststellung der relevanten Ausgangsbedingungen, kann der Forscher auf Beobachtungs- und Theorieebene jene Phänomene aus dieser oder jener Menge von nomologischen Prinzipien schließen 10 ." Was die Beobachtungsebene betrifft, so glaubt Bobbio, daß diese bei der Rechtswissenschaft dadurch ersetzt wird, daß sowohl der Gesetzgeber als auch der Interpret an der Gesellschaft und der Geschichte teilhaben. I n diesem Zusammenhang unterscheidet Bobbio implizit zwei Arten von Empirizität: einerseits die Empirizität der naturoder sozialwissenschaftlichen Aussagen, welche Tatsachen beschreiben, andererseits die Empirizität der Aussagen hermeneutischer, interpretativer Disziplinen, die keine Tatsachen beschreiben, sondern sich auf vergangene oder zukünftige Tatsachen beziehen, u m die Interpretationen, die sie selbst von gewissen Vorschriften und Verhaltensregeln geben, zu rechtfertigen und zu erhärten. Was hingegen die Theorieebene betrifft, wertet Bobbio die Methode der Rechtswissenschaft dadurch auf, daß er sie nach einem Modell gestaltet, das, wie bereits angedeutet, an die axiomatische (nichtformale) Methode erinnert. I n diesem Zusammenhang weist Bobbio darauf hin, daß die Methodologie des logischen Neopositivismus den Akzent von der Wahrheit auf die Strenge verschoben hatte, indem auch die Wahrheit i m Sinne von Strenge verstanden wurde. „Die Wissenschaftlichkeit eines Diskurses besteht nicht i n der Wahrheit, d. h. i n der Übereinstimmung der Aussage mit einer objektiven Wirklichkeit, son10 Pasquinelli,

N u o v i p r i n c i p i d i epistemologia, S. 152 (Hervorhebung E. P.).

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dern i n der Strenge seiner Sprache, d. h. i n der Kohärenz einer Aussage mit all den anderen Aussagen, die mit dieser ein System bilden." Die der wissenschaftlichen Sprache eigene Strenge w i r d erreicht, so Bobbio, wenn die Formationsregeln der Ausgangssätze des Systems und die Transformationsregeln, durch die man von den Ausgangssätzen zu weiteren Sätzen gelangt, vollkommen gegeben werden. Die Strenge w i r d nämlich erreicht: „(a) wenn alle Wörter der Primitivsätze des Systems definiert, oder wenn alle Anwendungsregeln festgelegt sind und nur dann angewendet werden, wenn diese Regeln eingehalten werden; (b) wenn die Regeln, auf Grund derer aus den Primitivsätzen die weiteren Sätze abgeleitet werden können, festgelegt sind und keine anderen Regeln angewendet werden, als die, die festgelegt sind 1 1 ." Was insbesondere die Rechtswissenschaft angeht, so bemerkt Bobbio vor allem, daß der Jurist, da die Sprache des Gesetzgebers nicht notwendig streng ist, ihr diese Strenge verleiht, indem er sie „bereinigt", oder anders ausgedrückt, indem er den Sinn der Wörter, die i n den Rechtsvorschriften Anwendung finden, bestimmt. Der Sinn eines Wortes w i r d durch die Festlegung der Anwendungsregeln bestimmt. „Die Gesamtheit der Regeln, die die Anwendung eines Wortes festlegen, bildet den dem Wort entsprechenden Begriff. Der Begriff des Eigentums, der Vollmacht, des Darlehens usw. geht aus der Gesamtheit der Regeln hervor, die die Anwendung des Wortes Vollmacht, Eigentum, Darlehen usw. festlegen." Ferner betont Bobbio, daß die Sprache des Gesetzgebers nicht notwendig vollständig ist, und daß der Jurist sie vervollständigt. Rechtssätze (rectius, Rechtsvorschriften) sind nach Bobbio nur die, die vom Gesetzgeber nach bestimmten Modalitäten gesetzt werden und die, die den gesetzten Sätzen Inbegriffen sind und deshalb aus diesen durch die vom Gesetzgeber erlaubten Transformationsregeln geschlossen werden können. Die „Vervollständigung" der Sprache des Gesetzgebers, deren sich der Jurist annimmt, sieht Bobbio i n dem Vorgang, der allein Vorschriften auf das normative System zurückführt, die zurückführbar sind (durch die erlaubten Transformationsregeln) und gleichzeitig jene ausscheidet, die nicht korrekt geschlossen werden können. Unter die Regeln, die der Jurist bei diesem Vorgang anwendet, fallen die extensiven Interpretationen und die Analogie, die Bobbio als eine A r t extensiver Interpretation begreift. Schließlich bemerkt Bobbio, daß die Sprache des Gesetzgebers nicht notwendig geordnet ist und daß diese durch systematische Bearbeitung i i Bobbio, Scienza del d i r i t t o e analisi del linguaggio, S. 299 ff. (Zitate aus S. 300); ders., Teoria della scienza giuridica, S. 213 - 214, 215 - 216.

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vom Juristen geordnet wird. „ I m Bereich des Rechts hängt der Fortschritt der Rechtswissenschaft vom Mut ab, mit dem die Juristen die systematische Bearbeitung des Rechts angehen. Sie sollte der Tradition als Tradition keine Zugeständnisse machen und der Pluralität der Bedeutungen, die den Wörtern je nach Kontext und Sprache, welcher sie angehören, zukommt, Rechnung tragen und sich nicht von anderen Regeln, als denen der untersuchten Sprache, führen lassen, u m so eine kohärente und einheitliche Sprache zu erarbeiten, die so gut wie möglich Unverständlichkeiten ausschließt — die Vorteile für die praktische Anwendung des Gesetzes, die sich daraus ergeben, kann sich jeder leicht vorstellen 1 2 ." Wie ich schon bemerken konnte, schlägt Bobbio i m wesentlichen ein Modell der Rechtswissenschaft vor, das von der axiomatischen nichtformalen Methode geprägt wird, dessen Termini deshalb ab initio sinnvoll sind. Darüber hinaus verlangt diese Methode ζ . B. gegenüber der euklidischen nicht formalen Axiomatik, daß die Formations- und Transformationsregeln des Diskurses ausgesprochen werden. Sie schlägt auch die primitiven Termini und konventionellen Axiome vor (im Gegensatz zu den primitiven Termini und jeweils zu den Axiomen der euklidischen Axiomatik, die als unmittelbar faßbar und einsichtig gehalten wurden) 1 3 . 3. Rechtswissenschaft als Aufbau einer strengen Sprache Dieser Intuition über die Natur der A k t i v i t ä t des Juristen auf der Theorieebene und den vorher angeführten Bemerkungen über A r t und Weise der juristischen Tätigkeit auf der Beobachtungsebene folgend, 12 Bobbio, Scienza del d i r i t t o e analisi del linguaggio, S. 307, 308, 315; 316 317, 319; ders., Teoria della scienza giuridica, S. 218, 220, 229 - 230, 231 ff. Wie bekannt ist, unterscheidet man zwischen nichtformalen, halbformalen u n d formalen axiomatischen Systemen. Die euklidische A x i o m a t i k ist eine nichtformale A x i o m a t i k , die sich — kurz dargestellt — i n folgende vier Vorgänge auflösen läßt, v o n denen die zwei ersten die Grundlage u n d die anderen beiden die Entwicklung des axiomatischen Systems bilden: 1. Die Bestimmung einer Klasse von p r i m i t i v e n Begriffen u n d Termini, die u n m i t telbar durch einen direkten Intuitionsakt verständlich sind, z. B. der Begriff „ P u n k t " . 2. Die Aussage v o n A x i o m e n u n d Postulaten, d. h. v o n Sätzen, deren Wahrheit autoevident ist, z. B. das Postulat nach dem, w e n n eine Gerade u n d ein P u n k t gegeben sind, durch diesen P u n k t eine u n d n u r eine zur gegebenen Gerade parallele Gerade führt. 3. Die Definition v o n neuen T e r m i n i u n d Begriffen auf Grund der p r i m i t i v e n nichtdefinierten Termini, z.B. die Defin i t i o n der „Fläche" (auf G r u n d der p r i m i t i v e n T e r m i n i „ P u n k t " u n d „ L i n i e " ) als Gesamtheit der i n der L i n i e enthaltenen Punkte. 4. Der Beweis der Theoreme auf Grund der nichtbewiesenen Axiome, z. B. der Beweis, daß die Summe der inneren W i n k e l eines Dreiecks gleich 180° ist. Die Definitionen neuer T e r m i n i u n d die Beweise der Theoreme werden nach bestimmten Regeln erstellt, die i m Falle der euklidischen A x i o m a t i k i m p l i z i t die grammatikalischen Regeln der griechischen Sprache und die aristotelische Logik waren.

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gelangt Bobbio zu dem Schluß, daß die Rechtswissenschaft, die eigentlich weder Formalwissenschaft noch empirische Wissenschaft ist, „trotzdem i n einem bestimmten Sinne m i t beiden etwas teilt". Denn jede Untersuchung, so stellt Bobbio fest, die für sich Wissenschaftlichkeit beansprucht, besteht „nicht nur aus einem konstitutiven Teil der Forschung, der diese als empirische Wissenschaft begründet, wenn die Untersuchung sich den Erfahrungstatsachen zuwendet, oder als Formalwissenschaft, wenn die Untersuchung sich mit dem formalen Element des zu untersuchenden Universums beschäftigt, sondern auch aus einem eigentlich kritischen Teil, der i n der Konstruktion einer strengen Sprache besteht. Durch letzteren allein erhält die Forschung einen wissenschaftlichen Wert. Die beiden Teile sind eng miteinander verbunden und nur i n einer abstrakten Analyse unterscheidbar. Ein wissenschaftliches System besteht normalerweise aus beiden Teilen. Die Jurisprudenz (Rechtswissenschaft) hingegen, die schon gegebene normative Sätze als ihren eigenen Gegenstand nimmt — die Sätze selbst sind Ergebnis einer vorhergehenden empirischen Forschung, die der Jurist bis zur Grenze der offensichtlichen Absurdität oder der skandalösen Ungerechtigkeit einhalten soll! —, besteht ausschließlich aus dem k r i tischen Teil, der jedem wissenschaftlichen System eigen ist, d.h. sie besteht aus der Konstruktion einer strengen Sprache zum Zweck der vollständigen Kommunizierbarkeit der i m voraus festgesetzten Erlebnisse." Obwohl der Rechtswissenschaft der konstitutive Teil fehlt, ist sie nach Bobbio eine Wissenschaft „wie jede andere Wissenschaft", weil die in ihr ablaufenden Vorgänge „ m i t den Vorgängen oder zumindest mit einem wesentlichen und unentbehrlichen Teil der Vorgänge jeder anderen Wissenschaft vollkommen übereinstimmen, ohne den keine Forschung für sich Wissenschaftlichkeit i n Anspruch nehmen könnte. Diese Vorgänge sind — genau betrachtet — nichts anderes als jene komplexe Aktivität, i n der traditionell die Aufgabe des Juristen gesehen wird, nämlich die Interpretation der Gesetze 1*" 4. Kritik Diese sicherlich suggestive Darstellung, die Bobbio von der Wissenschaftlichkeit der Gesetzesinterpretation gibt, ist dem Einwand ausgesetzt, den schon Moritz Schlick machte, als sich den Neopositivisten i m allgemeinen das Problem der Tragweite stellte, welche die Empirizität und die Strenge für die wissenschaftliche Natur der Forschung besitzen: „Wer es ernst meint mit der Kohärenz als alleinigem K r i t e r i u m der 14 Bobbio, Scienza del d i r i t t o e analisi del linguaggio, S. 305 - 306 (Hervorhebung i m Text); ders., Teoria della scienza giuridica, S. 217 - 218.

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Wahrheit, muß beliebig erdichtete Märchen für ebenso wahr halten wie einen historischen Bericht oder die Sätze i n einem Lehrbuch der Chemie, wenn nur die Märchen so gut erfunden sind, daß nirgends ein Widerspruch auftritt 1 5 ." W i r d einmal vorausgesetzt, daß die von Juristen vorgenommene Interpretation ein axiomatisches System schafft, könnte dieses n u r dann als Wissenschaft angesehen werden, sofern es sich aus der Axiomatisierung ergibt, d. h. entweder aus der Axiomatisierung einer Formalwissenschaft, die von analytischen Sätzen konstituiert wird, oder einer empirischen Wissenschaft, die aus synthetischen Sätzen besteht, i n bezug auf die die axiomatische Methode die Funktion ausübt, wissenschaftliche Strenge zu gewährleisten. Gegenstand der juristischen I n terpretation hingegen sind, wie Bobbio selbst bemerkt, weder analytische Sätze einer Formal W i s s e n s c h a f t noch synthetische Sätze einer empirischen Wissenschaft, sondern die präskriptiven Sprachverwendungen des Gesetzgebers. Aus diesem Grund fehlt der juristischen Untersuchung der „konstitutive" Teil, welcher jede Forschung als „Wissenschaft" begründet. Genau so wie ein strenges Märchen keine Wissenschaft ist, so ist auch ein strenges System von Vorschriften keine Wissenschaft. Andererseits führt die gegenteilige These bezüglich der Gesetzesinterpretation zu einem Paradox. I n der Tat, wenn die durch die Anwendung der axiomatischen Methode erreichte Strenge hinreichender Grund wäre, u m das von i h r betroffene Universum des Diskurses als wissenschaftlich zu begründen, dann gäbe es, als streng sprachliches Universum, nach „Bereinigung", Vervollständigung und Systematisierung, die der Jurist durch Gesetzesinterpretation bewerkstelligt, das System der Staatsgesetze. Es gäbe also paradoxerweise ein System von Gesetzen, das insofern es streng ist, zugleich wissenschaftlich wäre, aber deshalb noch nicht notwendigerweise eine strenge (und somit wissenschaftliche) Rechtswissenschaft. Die axiomatische Methode allein reicht für die Wissenschaftlichkeit nicht aus. Sie n i m m t i m Gegenteil nicht einmal ihre potentiell hilfswissenschaftliche Funktion wahr, wenn sie nicht auf einen Diskurs angewendet w i r d , der „konstitutiver" und als solcher begründender Teil einer empirischen Wissenschaft oder Formalwissenschaft ist. Die beiden Aufgaben, die Bobbio i n den Schriften der 50er Jahre der Rechtswissenschaft zusprach, nämlich einerseits die Verbindung der Sprache des Gesetzgebers m i t der Gesellschaft und der Geschichte aufrechtzuerhalten und andererseits sie m i t Strenge auszustatten, sind 13 M . Schlick, Uber das Fundament der Erkenntnis, i n : Erkenntnis (1934), S. 86.

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i n Wirklichkeit alle Aufgaben, die der Jurist bei der Gesetzesinterpretation ausübt. So spricht Savigny i n einem anderen Zusammenhang bezüglich der ersten Aufgabe von dem „politischen Element" und i n bezug auf die zweite Aufgabe von dem „technischen Element" des Rechts 16 . Unser Einwand bezieht sich ausschließlich darauf, welchen Standort diese Elemente gegenüber der Wissenschaft einnehmen. Das technische Element reicht nicht aus, u m die Interpretationstätigkeit des Juristen als wissenschaftlich zu begründen, während das politische Element, das Bobbio als empirisches und zu beobachtendes verstand, i n der sogen. Rechtswissenschaft vorherrschend ist und sie der Gesetzgebungsarbeit gleichstellt. 5. Rechtswissenschaft als Rechtsquelle I n späteren Arbeiten hat Bobbio selbst eine andere Qualifikation und einen anderen Standort der Rechtswissenschaft vorgeschlagen. Er tendiert nun zu der Auffassung, der Jurist erkenne nicht, sondern schaffe das Recht oder trage zumindest dazu bei, es zu schaffen. Der Jurist, dazu schreibt er, ist „zusammen m i t dem Gesetzgeber und dem Richter einer der Protagonisten der Formations - und Transformationstätigkeit . . . eines Rechtssystems". „Ist erst einmal die Jurisprudenz (Rechtswissenschaft) von ungeeigneten Denkmodellen befreit, zeigt eine k r i tische oder wie auch gesagt, eine realistische Reflexion über die juristische Tätigkeit, daß die Jurisprudenz (Rechtswissenschaft) in jeder Rechtsordnung, ungeachtet der Denkmodelle, in größerem oder geringerem Umfang die primäre oder sekundäre Funktion einer Rechtsquelle ausübt." „Die Normen eines «Systems gelten für den Juristen als die Werkzeuge, die er gebraucht, u m seine soziale Funktion zu erfüllen. Diese Funktion besteht darin, Verhalten als verpflichtet, verboten oder erlaubt zu qualifizieren und folglich Rechte und Pflichten zuzuschreiben. Genau so wie ein Handwerker, der gleichzeitig ein Künstler ist, findet der Jurist die Werkzeuge nicht fertig vor, zum Gebrauch bereitgestellt: u m m i t ihnen arbeiten zu können, muß zuerst nach ihnen gesucht werden (und manchmal sind sie weit weg und versteckt); dann müssen sie nach dem bestimmten Zweck geformt und manchmal auch mit eigenen Händen angefertigt werden. Wenn der Jurist nicht vor ihrem Gebrauch all diese Arbeit bewältigen muß, so heißt das, daß ein anderer Handwerker, d. h. ein anderer Jurist, dies vor i h m schon geleistet hat 1 7 ." ie F. C. von Savigny, V o m Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung u n d Rechtswissenschaft, in: J. Stern (Hrsg.), Tibaut u n d Savigny, Darmstadt, 1959, S. 79. " Ν. Bobbio, Essere e dover essere nella scienza giuridica, S. 146 - 147, 151, 154 ÌHfìrvnrhebune von mir); ders., D i r i t t o e scienze sociali, S. 47 ff.

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Die wichtigste Neuerung i n den jüngsten Auffassungen von Bobbio über die Rechtswissenschaft besteht i n der Annahme, daß die Rechtsnormen nicht schon „gegeben", nicht schon „zur Anwendung fertig" sind, sondern vom Juristen „mit seinen eigenen Händen" geformt und somit geschaffen werden. Es erscheint daher angebracht, i m Anschluß an Tarello, zwischen zwei Bedeutungen von „Interpretation" zu unterscheiden: Interpretation als auslegende Tätigkeit und Interpretation als Ergebnis der auslegenden Tätigkeit 1 8 . Es gibt Gesetze und Dokumente, auf Grund deren die Juristen ihre auslegende Tätigkeit ausüben, und es gibt die Interpretation, Ergebnis der auslegenden Tätigkeit, die i n der Behauptung besteht, daß bestimmte Rechtsnormen existieren. Um i n Wirklichkeit festzustellen, welche Rechtsnormen wann und wo „existieren" und wer sie schafft, müssen w i r unseren Horizont ausdehnen und weiter ausholen. Es liegt beispielsweise nahe, zu unterscheiden zwischen denen, die die Gesetze verfassen und vorbereiten (Funktionäre, Expertenkommissionen usw.) und den Gesetzgebern: die ersten erarbeiten den Gesetzestext, die zweiten beteiligen sich an dem formellen Verfahren, welches zur Verkündigung des Gesetzes führt. Es ist jedoch irrelevant, ob die Gesetzgeber an der Abfassung des Textes mitgewirkt oder nicht mitgewirkt haben, diesen Text kennen oder nicht kennen. Ihre wesentliche Aufgabe i m komplexen Mechanismus des Rechts besteht darin, die Gesetzestexte m i t den Formalitäten zu versehen, welche sie psychisch und sozial wirksam oder anders ausgedrückt als Rechtsvorschriften brauchbar machen 19 . Das Verhaltensmodell, an dem sich die normalen Bürger orientieren, w i r d jedoch nicht nur von den Gesetzesverfassern und Gesetzgebern vorbereitet. Eine ganze Reihe von Juristen (Rechtsanwälte, Richter, Funktionäre der öffentlichen Verwaltung usw.) interpretieren i m Rahmen ihrer Auslegungstätigkeit nicht nur die Gesetzestexte, sondern auch die Texte der Vorbereitungsarbeiten, u m festzulegen, daß die Rechtsregel, die Norm, das Verhaltensmodell, das befolgt werden soll, dieses (und nicht jenes) ist (Interpretation als Ergebnis). Auf diese A r t und Weise wirken die Juristen mit, das Verhaltensmodell als rechtlich verpflichtend zu definieren und zu bekräftigen, das dann i n der Gesellschaft befolgt werden wird. Eine Sprache (in unserem Fall jene des Gesetzgebers) zu interpretieren, sie m i t Sinn zu versehen und dabei unter anderem, wie es i m Falle der Rechtswissenschaft unumgänglich ist, auf die Natur der Sache zurückzugreifen, also eine teleologische Interpretation vorzunehmen is G. Tarello, D i r i t t o , enunciati, usi, Bologna, 1974, S. 403 ff.; ders., L ' i n t e r pretazione della legge, Milano, 1980, S. 39 - 42. 19 Κ. Olivecrona, Der Imperativ des Gesetzes, Kopenhagen, 1942, S. 41 ff.

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(ohne die übrigen tausend M i t t e l und Wege der Rechtswissenschaft zu berücksichtigen), ist keine wissenschaftliche empirische Tätigkeit. Etwas anderes gilt bezüglich einer soziologischen oder psychologischen Untersuchung über gewisse Sprachgebräuche einer bestimmten Gemeinschaft. Interpretieren ist nicht beschreiben: dabei werden weder Tatsachen noch der »Sinn von Aussagen beschrieben. Interpretieren heißt vorschlagen, vorschreiben auf der Grundlage von bestimmten Argumenten und i m Hinblick auf gewisse Ziele. Interpretieren heißt ferner, daß bestimmten Äußerungen bestimmte Bedeutungen beigemessen werden, wie es i m Falle der juristischen Arbeit ist, daß neue Sätze i n das System der Sätze aufgenommen werden, deren Sinn festgelegt, das heißt vorgeschrieben wird. Insbesondere i m Falle der Rechtswissenschaft ist Interpretation eine Interpretation von präskriptiven Äußerungen (in der Sprache des Gesetzgebers): sie besteht also aus Vorschriften über Vorschriften. Daraus folgt, daß das Kontrollkriterium der vorgeschlagenen Interpretationen nicht ein empirisches K r i t e r i u m sein kann. Während der Vorschlag, einem Aussagesatz eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben, geprüft werden kann, indem festgestellt wird, ob er — i m vorgeschlagenen Sinne ausgelegt — wahr oder falsch ist, kann ein derartiges Verfahren bezüglich des Vorschlags, einer Vorschrift einen bestimmten Sinn zu geben, keine Anwendung finden. Dies deshalb, weil eine Vorschrift, insbesondere eine Rechtsvorschrift, wie auch immer interpretiert, weder wahr noch falsch sein kann, sondern auf diese Weise überhaupt nicht verifizierbar bzw. falsifizierbar ist 2 0 . Die Rechtswissenschaft, die wie Bobbio sagt, das Regulierte, d. h. den Inhalt der Rechtsregeln, untersucht, ist keine Wissenschaft, die ihren eigenen Gegenstand erkennt, indem sie Hypothesen und Gesetze formuliert und von diesen ausgehend auf Erklärungen und Voraussagen schließt, die der empirischen Kontrolle unterstellt werden müssen. Sie ist auch keine Hilfswissenschaft, die die Instrumente für die oben genannten Vorgänge bereitstellt. Vielmehr handelt es sich u m eine Disziplin, die ihren eigenen Gegenstand, d. h. den Inhalt der Rechtsregeln, überhaupt erst schafft oder zumindest dabei m i t w i r k t , weil es „die Normen nicht i m gleichen Sinne gibt wie es die Gegenstände der physischen Natur g i b t " 2 1 , und weil sie nicht außerhalb der Rechtswissenschaft existieren, die sie untersucht, sondern sehr weitgehend das Ergebnis dieser Tätigkeit des Juristen sind. 20 I n dieser A r t meine ich die Argumente Bobbios, die i m voraus festgelegt wurden, entwerfen zu können. Vgl. supra I. 1, Note 8. 21 A . Aarnio, On Legal Reasoning, T u r k u 1977, S. 22.

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Aus dem Gesagten folgt, daß die Rechtswissenschaft keine Wissenschaft ist. Freilich w i r d ihr dieser Name so leicht nicht streitig gemacht werden können, da er zutiefst i m gegenwärtigen Sprachgebrauch verwurzelt ist. Sie w i r d aber unter anderem auch als „Rechtslehre" oder „Rechtsdogmatik" bezeichnet. Jedenfalls, cum de re constat , de verbis non est litigandum . Die Rechtswissenschaft ist eine praktische Disziplin, die i n ihren Begriffen und Methoden der Ethik näher steht als der Wissenschaft. Die Rechtswissenschaft kann nach ihrem epistemologischen Status nicht den Wissenschaften und selbstverständlich auch nicht der Philosophie zugeordnet werden: sie gehört dem Bereich der Ethik i m weitesten Sinne an, dem Universum der praktischen Diskurse. I I . Vernunft und Rechtfertigung 1. Funktion der Urteile in theoretischen Systemen Die theoretischen Systeme entwickeln sich, auch wenn sie keine axiomatischen Systeme sind, nach Formations- und Transformationsregeln, indem sie für das System neue Sätze durch Annahmeurteile gewinnen. Ein Urteil drückt die Entscheidung aus, durch die man einem Satz zustimmt oder nicht zustimmt. Der „Vorschlag", dem System neue Sätze hinzuzufügen, entsteht auf Grund einer Schlußfolgerung aus allgemeinen, i m System bereits aufgenommenen Sätzen, beispielsweise aus Hypothesen oder Gesetzen. Das Urteil, mit dem ein partikulärer Satz ins System aufgenommen oder abgelehnt wird, vermittelt — i n idealistischer Sprechweise formuliert — d a s Universelle mit dem Individuellen; denn auch ein partikulärer Satz birgt Universalien i n sich, da er i m Wege der Schlußfolgerung aus einer allgemeinen Hypothese oder Gesetz vorgeschlagen w i r d und/oder selbst allgemeine Termini enthält. Außerdem ist der neue partikuläre Satz, der nach einem Urteil ins System aufgenommen wird, seinerseit verallgemeinert, indem er explizit oder implizit als Bestätigung der vorhergehenden Hypothesen oder allgemeinen Gesetze gedeutet w i r d oder als neue Hypothese oder allgemeines Gesetz, das irgendeinen Teil des Systems integriert oder verändert. Diese Auffassungen schließen unmittelbar an Thesen von A. Ross, Sir K. R. Popper und R. M. Hare an 2 2 . & Vgl. A . Ross, Directives and Norms, London 1968, S. 15 - 18, 61 ff.; K. R. Popper , The Logic of Scientific Discovery, New Y o r k 1968, S. 32 - 34, 62 - 70, 94 - 95 („We can u t t e r no scientific Statement that does not go far beyond w h a t can be k n o w n w i t h certainty ,on the basis of immediate experience'. (This fact may be referred to as the .transcendence inherent i n any descrip-

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2. Erklärende Natur der Tatsachenurteile M i t einem Tatsachenurteil w i r d entschieden, ob ein i n einem partikulären deskriptiven Satz enthaltenes aletisches Allgemeines i n einem ontischen Individuellen, i n einem gewissen Phänomen, auf welches sich der Satz bezieht, ist oder nicht ist: es w i r d entschieden, ob das Allgemeine i m Individuellen auffindbar ist, ob dieses sein Bezug oder denotatum ist. Ist der partikuläre Satz „Die Tür ist offen" gegeben, w i r d mit einem Tatsachenurteil entschieden, ob er falsch oder wahr ist; d.h. es w i r d entschieden, ob der allgemeine Begriff „offen" den Zustand der Tür, die w i r betrachten, bezeichnet oder auch nicht bezeichnet. Die Entscheidung gewährt Entscheidungsspielräume. Insofern die Entscheidung aber auf beobachtbaren Geschehnissen fußt, ist sie ein erklärendes Urteil, das intersubjektiv kontrollierbar, durch mögliche Mißerfolge widerlegbar ist, zu denen es gegen unsere subjektiven Überzeugungen führt. Wenn w i r entscheiden, daß der Satz „Die Tür ist offen" wahr ist und w i r ohne Erfolg versuchen, durch diese zu schreiten, dann ist dies ein Mißerfolg, der unser Tatsachenurteil widerlegt. Man beachte, daß das Tatsachenurteil streng genommen eine A r t von „fallacy" ist, da w i r durch dieses Tatsachenurteil von unseren Wahrnehmungen auf die Behauptung der Existenz eines Gegenstandes (Phänomen, Ereignis) schließen. I n diesem Zusammenhang besteht jedenfalls die Möglichkeit, sich dem Trug des idealistischen Subjektivismus zu entziehen, weil die Aussagen über die eigenen Wahrnehmungen Behauptungen über Gegenstände sind, genauso wie diejenigen, die w i r über die äußere Wirklichkeit formulieren (Unterscheidung Subj e k t — Objekt). Andererseits erlauben diese Behauptungen aber „objektivere" Kontrollen als jene, welche die eigenen Wahrnehmungen betreffen 23 . tion.') Every description uses universal names (or symbols, or ideas); every statement has the character of a theory, of a hypothesis. T h e statement, ,Here is a glass of water' cannot be verified by an observational experience. The reason is that the universals which appear i n i t cannot be correlated w i t h any specific sense-experience. ( A n »immediate experience 4 is only once »immediately given'; i t is unique). B y the w o r d ,glass 1 , for exemple, w e denote physical bodies which exhibit a certain law-like behaviour , and the same holds for the w o r d ,water 4 "), 420 ff.; R. M. Hare, Freedom and Reason, Oxford 1961, S. 10 ff. 23 Bezüglich der Entscheidung i m Tatsachenurteil u n d seiner Uberprüfbarkeit vgl. K. R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, S. 4 4 - 4 8 , 88 ff., 93 - 100 (auch hinsichtlich der Wahrnehmung u n d der Wirklichkeit), 103 - 105, 108-111. Z u m Aussagecharakter v o n Tatsachenurteilen vgl. A . Ross, Directives and Norms, S. 61. 9*

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3. Konstitutive Natur der moralischen Werturteile M i t einem moralischen Werturteil w i r d entschieden, ob ein i n einem partikulären präskriptiven Satz enthaltenes deontisches Allgemeines auf ein ontisches Individuelles (ζ . B. auf ein gewisses Verhalten) angewendet oder nicht angewendet werden soll. Ergibt sich der partikuläre präskriptive Satz „Peter soll die Tür schließen", so w i r d durch ein moralisches Werturteil entschieden, ob dieser Satz moralisch verpflichtet oder nicht verpflichtet, d. h. es w i r d entschieden, ob der allgemeine Begriff „die Tür schließen" von Peter in ein Verhalten umgesetzt oder nicht umgesetzt werden soll. Ein deontisches Allgemeines hat jedoch keinen Bezug oder denotatum: Sein Denotat w i r d sozusagen i m einzelnen moralischen Werturteil erzeugt mit der Wahl, die das Subjekt beim Übergehen vom Sein auf das Sollen tätigt, und erschöpft sich darin. Die Wahl ist subjektiv (nicht durch Beobachtung intersubjektiv kontrollierbar). Das Urteil, das sie ausdrückt, ist nicht erklärend, wohl aber konstitutiv: es ist nicht „gegen unsere subjektiven Überzeugungen" widerlegbar, weil unsere subjektive Überzeugung, die Wahl, die w i r getroffen haben, der einzige und ganze Erfolg ist, zu dem die Individualisierung des deontischen Allgemeinen führen kann. Die moralische Wirklichkeit w i r d geschaffen und nicht erkannt 2 4 . Die moralischen Werturteile sind nicht erkenntnisfähig, wohl aber konstitutiv. „Normen", „Rechte", „Pflichten", „Werte" und all die anderen Termini, die die Wirklichkeit eines Sollens zu bezeichnen scheinen, sind vom Menschen erfundene Wörter, um die eigenen Wahlen auszudrücken, zu objektivieren und u m sich manchmal, mehr oder minder bewußt, der Verantwortung zu entziehen, diese getroffen zu haben. „Vous êtes libre, choisissez, c'est-à-dire inventez. Aucune morale générale ne peut vous indiquer ce qu'il y a à faire; i l n' y a pas de signes dans le monde" 2 5 . Ein moralisches Werturteil drückt die Wahl aus, durch die folgendes bestimmt wird: ist etwas das, was es ist, so soll etwas (das 24 v g l . Rm M. Hare, The Language of Morals, Oxford 1961, S. 3, 56 ff., 70; ders., Freedom and Reason, S. 30, 35 ff., 139. Trotz zutreffender K r i t i k an Hare, hebt Ross deutlich hervor, daß den moralischen Urteilen konstitutiver Charakter anhaftet, da diese die A n n a h m e v o n „unpersönlichen, selbständigen moralischen Direktiven" ausdrücken. Vgl. A . Ross, Directives, 34 ff., 57 ff., 61; G. Tarello, D i r i t t o , enunciati, usi, S. 223 - 247, hebt tiefgreifend sowohl die zweifache Abhängigkeit der Wahrheit v o n der Sprache u n d v o n der Erfahr u n g hervor, als auch die Schwierigkeiten, welche bezüglich der allgemeinen Termini, daraus entstehen, daß den Vorschriften, i m Moment der Entscheidung über ihre Annahme, jeglicher Bezug fehlt. 25 j. ρ. Sartre, L'existentialisme est u n humanisme, Paris 1946, S. 47.

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gleiche und/oder etwas anderes) „objektiv" sein. Das Urteil drückt eine Wahl aus, durch die eine ethische Norm gesetzt oder angenommen — konstituiert — wird. Der moralische Wert ist deshalb das, von dem oder hinsichtlich dessen gesagt wird, daß es „sein soll": eigentlich, das, von dem gesagt wird, daß es an sich sein soll (Zuschreibung also eines inneren Wertes), und/oder für dessen Erlangung gesagt wird, daß die geeigneten Mittel zur Verwirklichung sein sollen (Zuschreibung also eines äußeren, instrumentalen Wertes). Wäre der Zusammenhang, der sich zwischen Sein und Sollen herstellt, logisch notwendig, so gäbe es bei seiner Bildung kein moralisches Werturteil: die Nicht-Di visionist en leugnen die „fallacy". Paradoxerweise leugnen sie dadurch moralische Werte. Aber auch der, welcher annimmt, das Sollen und die moralischen Werte zu erkennen, kann sie i n Wirklichkeit nur an-erkennen: er erkennt Tatsachen, auch wenn es sich um ein göttliches Gebot oder Vorschriften der vernünftigen Natur des Menschen handelt. Sie werden durch den Wahlakt, m i t dem bestimmt wird, daß „deshalb" etwas sein soll (moralisches Werturteil, naturalistische „fallacy"), zu Werten erhoben 26 . 4. Annahme eines Schlusses als korrekt und Annahme einer Direktive als bindend Eine subtile Form der „fallacy" ist die Überzeugung, daß das Sollen von normativen Prämissen „ableitbar" ist. Kelsens Gedanke einer dynamischen Ordnung enthält i n diesem Zusammenhang sehr feinsinnige divisionistische Ansätze, die der große Jurist, der sich u m die Objektivität der Rechtswissenschaft bemühte, nicht mit Strenge entwickelte 2 7 . Es gibt keine logische Inferenz zwischen Normen, weil jede Norm, auch die, welche eine vorhergehende allgemeinere anwendet, se Vgl. R. M. Hare, The Language of Morals, S. 99 ff., 118 ff., 129 ff., 148 - 150, 153 ff., 172 ff., 195 - 197; ders., Freedom and Reason, S. 87 ff., 186 ff. Hare vert r i t t die Auffassung, daß die Schlüsse i n der E t h i k dazu dienen, uns die Folgen aufzuzeigen, die die A n w e n d u n g eines Verhaltenskriteriums anstatt eines anderen m i t sich führt. A u f diese Weise entscheiden w i r uns, je nach den Folgen (Sein) eher für ein Verhaltenskriterium als für ein anderes (Sollen), indem w i r i n Bezug auf gewisse Zustände anstatt auf andere die ethischen T e r m i n i anwenden. 27 Sei es hinsichtlich des Rechts, i n bezug auf das Kelsen zu unrecht v o m subjektiven Sollen auf das objektive Sollen übergeht, sei es hinsichtlich der Moral, die er, zumindest bis zu einer bestimmten Zeit, als statische Ordnung darstellt. W e n n ich v o m Divisionismus Kelsens spreche, beziehe ich mich v o r allem besonders auf H. Kelsen, Recht u n d Logik, i n : Neues Forum (1965), S. 421 -425, 495- 500; u n d ders., Allgemeine Theorie der N o r men, hrsg. v o n K . Ringhofer u n d R. Walter, Wien, 1979, Kap. 44, 45, 47 ff., 57 - 61. Vgl. E. Pattaro, Per una critica della dottrina pura, i n : ders. (Hrsg.), Contributi al realismo giuridico, I, Milano 1982, S. X X X I X - L X X X I .

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einen Willensakt verlangt. Wenn w i r unter „Willensakt" eine Wahl verstehen, so w i r d gewählt (Kelsen sagt „ w i r d vorausgesetzt"), daß das, was die verfassungsgebenden Väter bestimmten (Tatsache), sein soll (Wert). Ferner w i r d gewählt, daß das, was auf Grund dieser ersten Wahl zusätzlich beschlossen (Tatsache) w i r d , seinerseits sein soll (Wert). Das Sollen w i r d immer geschaffen, nicht nur dann, wenn das Gesetz gemacht wird, sondern auch dann, wenn dieses befolgt oder angewendet wird, jedesmal dann, wenn es befolgt und angewendet wird, wie auch immer die Rechtfertigung der Befolgung und die Methode der Anwendung beschaffen sein mögen. Es w i r d auch nicht ein für allemal gewählt; es w i r d immer erneut -gewählt, weil die Wahlen der Vergangenheit Tatsachen sind, während die Durchsetzung eines Sollens hic et nunc, „weshalb diese Wahlen getroffen wurden", ebenfalls eine Wahl ausdrückt, einen Übergang vom Sein auf das Sollen, ein moralisches Werturteil. Damit ein Gesetz i n Kraft ist und daher als Recht gilt, ist es, um m i t Aristoteles zu sprechen, notwendig, daß es lebendig wird: der Richter verkörpert gleichsam die Gerechtigkeit 28 . Hinter diesen prägnanten Formulierungen verbirgt sich das Problem der Rechtfertigung des Rückgriffs auf die Universalisierung i n der Ethik. Sie ist unerläßlich, u m aus allgemeinen ethischen Sätzen, d.h. aus Sätzen, die durch Verallgemeinerung von partikulären ethischen Sätzen gewonnen wurden, andere individuelle bindende ethische Sätze abzuleiten. Es ist Ergebnis einer Wahl, die eine naturalistische „fallacy" impliziert, festzusetzen, daß a alle Menschen, weil sie Menschen sind, frei sein wollen. Es ist Ergebnis einer weiteren Wahl, die eine „fallacy" impliziert, festzusetzen, daß b Herr Braun, da er ein Mensch ist und weil alle Menschen frei sein sollen, frei sein soll. Bei α besteht eine naturalistische (normalerweise bewußte) „fallacy" i n der Annahme, daß alle Menschen frei sein sollen, weil sie Menschen sind. Bei b besteht eine (normalerweise unbewußte) „fallacy" i n der A n nahme, daß Herr Braun frei sein soll, weil der Satz „Herr Braun soll frei sein" eine logisch korrekte Schlußfolgerung ist i n bezug auf die Sätze „Alle Menschen sollen frei sein" und „Herr Braun ist ein Mensch". Es ist der Verdienst von A l f Ross, i n diesem Zusammenhang angemessen unterschieden zu haben zwischen der „Annahme eines Schlusses als korrekt", der „Annahme einer Direktive als bindend" und der „Annahme eines Satzes als wahr". Dabei bewies er, daß weder die Aus2

8 Vgl. G. Gentile, Opere, I I , Firenze, 1962, S. 28; Aristoteles, machea, V, 4, 1132 a 21.

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sagelogik die Sätze, sofern sie wahr sind, behandelt noch die imperative Logik die Vorschriften, sofern sie bindend sind 2 9 . Einem partikulären präskriptiven Schluß, der durch einen „normativen" Syllogismus korrekt abgeleitet wird, kann stets ein moralisches Werturteil entgegengestellt werden, d.h. eine ethische, von diesem präskriptiven Schluß abweichende Wahl. Genau so kann einem deskriptiven Schluß, der durch einen indikativen Syllogismus korrekt abgeleitet wird, immer ein von diesem deskriptiven Schluß abweichendes Tatsachenurteil entgegengesetzt werden. Wie die Logik keine Tatsachen schafft, so bringt sie auch keine Werte hervor. Die grundlegende Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werten, nach der die Tatsachen festgestellt, während die Werte konstituiert werden, bleibt auf jeden Fall bestehen: die Werte werden geschaffen, die Tatsachen erkannt. Daraus folgt, daß für die Annahme eines deskriptiven, logisch korrekten Schlusses als wahr oder falsch eine reine Entscheidung des erkennenden Subjekts nicht ausreicht, sondern diese sich auf die Beobachtung von Tatsachen (Tatsachenurteil) gründen muß, während die Annahme eines präskriptiven Schlusses als bindend oder dessen Ablehnung als nicht bindend nur von der freien Wahl des Subjekts (moralisches Werturteil) abhängt. Dieser Punkt ist natürlich von großem Interesse für das Rechtfertigungsproblem. 5. Verallgemeinerung und Anwendung logischer Schlüsse rechtfertigen nicht, sondern müssen gerechtfertigt werden Das Gesagte könnte als Primat der Ethik zusammengefaßt werden: einer ethischen Wahl kann weder ein wissenschaftlicher Beweis noch ein logischer Schluß entgegengesetzt werden, sondern nur eine andere ethische Wahl 3 0 . Einer ethischen Wahl kann nicht einmal das Argument der naturalistischen „fallacy" entgegengehalten werden. Es kann sicherlich dazu gebraucht werden, u m zu beweisen, daß ein Werturteil vorhanden ist, um es zu verdeutlichen, u m es eventuell aufzudecken, falls es als Tatsachenurteil oder logischer Schluß getarnt ist. Das Argument der naturalistischen „fallacy" kann aber nicht ein Werturteil widerlegen. Um sich einem moralischen Werturteil zu widersetzen, ist ein anderes moralisches Werturteil notwendig, eine andere „fallacy", durch die eine andere Tatsache zum Wert erhoben wird.

Vgl. A . Ross, Directives and Norms, S. 177 ff. Siehe auch R. M. Hare, The Language of Morals, S. 32 - 55, 74 - 78. 30 Vgl. U. Scarpelli, L'etica senza verità, Bologna, 1982, S. 73 - 112.

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Die Anerkennung des Primats der Ethik ist die Anerkennung des subjektiven Charakters der Ethik: eine Anerkennung, die auf der metatheoretischen Ebene jenen Anerkennungen nahe kommt, die ζ . B. in Bezug auf den Primat der Kunst, der Metaphysik oder der Religion gefällt werden können. Diese Eigenart des Primats der Ethik sollte zu einer gewissen Vorsicht bewegen, was die Rechtfertigungsfunktion betrifft, welche die Begriffe, theoretische Apparate sowie die Logik i m weitesten Sinne bezüglich der Ethik und innerhalb der Ethik zu leisten vermögen. Einige Moralisten scheinen bereit zu sein, der Logik, insbesondere der Logik des normalen Diskurses („contextual implication", „logical oddnes", et similia) eine rechtfertigende Fähigkeit und Kraft gegenüber dem ethischen Diskurs zuzuerkennen, welche die Logik nicht einmal gegenüber dem wissenschaftlichen erkennenden Diskurs besitzt. I m Bereich der Subjektivität kann ein Rationalismus, der sich nicht fragt, ob die Logik, anstatt zu rechtfertigen, nicht selbst gerechtfertigt werden muß, zu Formen des Idealismus führen, ζ . B. des Typs „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig". A u f metaethischer Ebene nimmt diese A r t von Idealismus, die ich als „naiven Idealismus" bezeichne, explizit oder implizit an: „Was vernünftig ist, das ist moralisch; und was moralisch ist, das ist vernünftig." Das Problem der Universalien mit all seinen Schwierigkeiten hängt eng m i t dieser Thematik zusammen: moralia nulla possunt ratione muniri si univ er salia sunt? 1. Den Autoren, die den oben genannten Formen eines „naiven Idealismus" verfallen, aber auch den überzeugten Divisionisten und Dezisionisten entgeht bisweilen, daß das Urteil, m i t welchem ein neuer Satz i n ein ethisches System aufgenommen wird, ein konstitutives Urteil ist. Das heißt, daß es ein Urteil ist, für dessen Relevanz die Transformationsregeln des Systems höchstens verlangen, daß die logisch-methodologischen Verfahrensregeln berücksichtigt werden und nicht materielle, vom theoretischen System unabhängige Bedingungen, wie der Bezug auf Tatsachen i m Falle von Systemen deskriptiver Sätze. Ein ethisches System ist somit bestimmt, sich durch die Formulierung der Urteile, die für die Aufnahme von neuen Sätzen jeweils gefällt werden, selbst zu reproduzieren und selbst zu rechtfertigen, ohne daß Richtigstellung und Widerlegung möglich wären 3 2 . s1 Occam, Dialogue inter magistrum et discipulum de imperatorum et pontificum potestate, pars I, 1. I, c. 8. 32 Was die „basic statements" i m Falle der Realwissenschaften angeht, hinsichtlich der E r f ü l l u n g v o n materiellen Erfordernissen, die sowohl t a t sächlich als auch formal v o m System unabhängig sind, v g l . K . R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, S. 102 - 103.

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Der Umstand, daß es auch i n ethischen wie i n wissenschaftlichen Systemen partikuläre universalisierbare Sätze gibt, ändert nichts am Problem selbst, sondern läßt vielmehr offensichtlich erscheinen, daß die is-ought question , pons asinorum jeglicher Metaethik, am Ende ein Aspekt des Problems der induktiven Generalisierung ist. Es besteht bei Hume ein Verbot der induktiven Generalisierung, d. h. der Universalisierung partikulärer Sätze, das jedoch i n den Realwissenschaften aus pragmatischen Gründen überwunden wird. Es fragt sich daher, ob ähnliche Gründe der Überwindung dieses Verbots auch in der Ethik gelten 33 . Was die Realwissenschaften angeht, ist diese Problematik nach Hume meisterhaft unter anderen von K a r l R. Popper geklärt worden: ein allgemeines wissenschaftliches Gesetz „ist überhaupt nie aus empirischen Daten geschlossen worden". Vielmehr kann aus empirischen Daten nur die Falschheit eines wissenschaftlichen Gesetzes geschlossen werden und „es handelt sich dabei u m einen rein deduktiven Schluß". Aus „ x ist ein Schwan und er ist weiß" ist es nicht möglich zu schließen, „alle Schwäne sind weiß", sondern es kann geschlossen werden, daß „alle Schwäne sind schwarz" falsch ist. Der Zusammenhang, welcher sich zwischen logischer und ontologischer Ordnung durch ein Tatsachenurteil ergibt, kann nicht als logischer Beweis, daß ein allgemeiner Satz tatsächlich wahr ist, verwendet werden. Er kann vielmehr nur als logischer Beweis, daß ein allgemeiner Satz tatsächlich falsch ist, benutzt werden: „die Verfälschungen zeigen so die Punkte, wo w i r sozusagen die Wirklichkeit berührt haben". „Die Theorien sind unsere Erfindungen, unsere Ideen; sie werden uns nicht aufgedrängt, sie sind Denkmittel, die von uns selbst erstellt werden: das ist klar von den Idealisten gesehen worden. Aber einige dieser Theorien können mit der Wirklichkeit i n Konflikt geraten, und wenn dies geschieht, stellen w i r fest, daß es eine Wirklichkeit gibt, daß es etwas gibt, was uns daran erinnert, daß unsere Ideen falsch sein können. Eben darum behält der Realist recht" 3 4 . Der Realist behält recht, weil das pragmatische Argument, welches den Rückgriff auf die Universalisierung (die Formulierung und A n 33 Vgl. R. M. Hare, Freedom and Reason, S. 10 ff., 21 ff., 26 ff., 30 ff.; ders., M o r a l Thinking. Its Levels, Method, and Point, Oxford 1982, S. 21 - 23, 87 - 91, 107- 116, 220-227. Entsprechend Κ . R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, S. 420 ff., an den Hare offensichtlich bei der Erstellung eines sich selbstkorrigierenden Modells der E t h i k , welches dem Modell Poppers einer sich selbstkorrigierenden Wissenschaft entspricht, anknüpft. 34 K. R. Popper, Conjectures and Refutations. The G r o w t h of Scientific Knowledge, London, 1969, S. 5 4 - 5 5 , 116- 117; ders., The Logic of Scientific Discovery, S. 27 ff., 33 ff., 41, 75 ff., 84 ff., 108, 251 ff., 420 ff.

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nähme von allgemeinen wissenschaftlichen Gesetzen) und die Anwendung der logischen Schlüsse zur Voraussage und Erklärung von Tatsachen rechtfertigt, d. h. das Argument, daß w i r Dank der Anwendung der Universalisierung und der Schlüsse i n der Lage sind, die W i r k lichkeit nach unseren Entwürfen „ m i t Erfolg zu untersuchen", eine i n der empirischen Dimension begründete Grenze hat. Über die Tatsachenurteile können die Tatsachen sich gegen die allgemeinen wissenschaftlichen Gesetze und die aus diesen korrekt abgeleiteten Schlüsse auflehnen. Es ist eine petitio principii anzunehmen, daß die Ethik logisch-rationale Grundlagen habe, weil die partikulären, i m ethischen System aufgenommenen Sätze universalisierbar sind. Diese These hält für bewiesen, was erst bewiesen werden muß, nämlich, daß es einen guten Grund gibt, auf die Verallgemeinerung und die Anwendung der logischen Schlüsse auch i n der Ethik zurückzugreifen. Es gilt für die Ethik zu fragen, warum w i r verallgemeinern und logische Schlüsse anwenden sollten. Wie w i r auf der metawissenschaftlichen Ebene dieser Frage nicht ausweichen können, so können w i r es auch nicht auf der metaethischen. Eines ist sicher: i m Falle der Ethik gibt es nicht dieses Ineinandergreifen von logisch-empirisch-pragmatischen Argumenten, das i n den Realwissenschaften den Rückgriff auf die Verallgemeinerung und auf die inferenziellen Verfahren rechtfertigt. Hier rückt die is-ought question , die den moralischen Werturteilen als solchen nicht gegenübertreten kann, da es keine moralischen Werturteile ohne naturalistische „fallacy" gibt, i n den Blickpunkt. Dies geschieht vor allem deshalb, weil der wesentliche Unterschied, den die naturalistische „fallacy" zwischen konstitutiven moralischen Werturteilen und erklärenden Tatsachenurteilen bewirkt, das pragmatische A r gument für die Rechtfertigung der Verallgemeinerung und die A n wendung der inferenziellen Verfahren in der Ethik unbrauchbar macht. Die ethischen Theorien kennen genau so wie die metaphysischen Theorien keine „potentiellen Verfälscher", d.h. partikuläre Sätze, die auf Grund empirischer Beobachtung zur Widerlegung von i m System aufgenommenen allgemeinen Sätzen akzeptiert werden müssen 35 . Diesen Theorien fehlt also die logische Voraussetzung einer pragmatischen Rechtfertigung der Universalisierung und der Anwendung logischer Schlüsse. Wenn die Werte von konstitutiven Wahlen des Subjekts abhängen, gibt es keine „objektive (intersubjektiv beobachtbare) moralische Wirklichkeit", die sich gegen die allgemeinen ethischen Gesetze 35 Vgl. K. R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, S. 40 ff., 78 ff., 112 ff.

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„auflehnen" könnte, indem diese durch den Beweis widerlegt werden, daß einige oder mehrere partikuläre, durch logische Schlüsse von den allgemeinen Gesetzen abgeleitete Sätze „moralisch falsch" sind. Nur die moralische individuelle und subjektive Wahl des einzelnen kann sich gegenüber einem allgemeinen ethischen Gesetz „auflehnen" oder „anlehnen". Die Wahl aber, streng genommen, widerlegt weder i m Falle der Abweichung das allgemeine ethische Gesetz, noch w i r d dieses i m Fall der Konformität durch sie bestätigt, weil sie eine subjektive ist. Verallgemeinert man einen deskriptiven partikulären Satz d, der sich auf ein Ereignis χ bezieht und durch ein Tatsachenurteil GF als wahr angenommen wird, so gewinnt man eine Hypothese oder ein allgemeines wissenschaftliches Gesetz US. Schließt man aus diesem weitere partikuläre deskriptive Sätze dt, d :2 ... d n, so werden weitere Ereignisse vorausgesagt oder erklärt. Geschehen die Ereignisse x\, X'2 . ·. x n, entscheidet man durch weitere Tatsachenurteile GFi, GF2 ... GF n, die auf intersubjektiv kontrollierbare Beobachtungen gründen, ob diese Ereignisse diejenigen sind bzw. nicht sind, die von US vorausgesagt oder erklärt waren, da sie jeweils du d^ . . . d n entsprechen oder nicht. Für den Fall, daß sie ihnen entsprechen, sind du d^ . . . dn wahr und ist US provisorisch bestätigt. Für den Fall, daß sie ihnen nicht entsprechen, sind du d% ... d n falsch und ist US widerlegt. Wenden w i r uns der Ethik zu. Generalisiert man einen partikulären präskriptiven ethischen Satz e, der sich auf ein Ereignis (sagen w i r Verhalten) bezieht und der durch ein moralisches Werturteil GV als bindend angenommen wird, so gewinnt man ein allgemeines ethisches Gesetz UE. Schließt man aus diesem weitere partikuläre präskriptive ethische Sätze eu ei ... en, so werden weitere Ereignisse weder vorausgesagt noch erklärt. Geschehen weitere Ereignisse y\, 2/2 y n w i r d durch moralische Werturteile GV1, GV2 ... GV n entschieden werden müssen, ob i n bezug auf solche Ereignisse die partikulären ethischen Sätze eu e% ... en bindend oder nicht bindend sind. Diesbezüglich ergibt sich die Alternative, die ich nachher darlegen werde. Jedenfalls hat diese zur Folge, daß das pragmatische Argument i n der Ethik zur Rechtfertigung der Universalisierung und der Anwendung von Schlüssen nicht brauchbar ist 8 6 . Ist einmal aus einem allgemeinen ethischen Gesetz (erlangt durch Universalisierung) ein partikulärer präskriptiver ethischer Satz geschlossen worden, ergibt sich die Alternative, daß jeweils durch ein moralisches Werturteil entschieden wird, ob i m konkreten Fall das allae Vgl. R. M. Hare , Freedom and Reason, S. 21 - 22; Κ. R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, S. 59 ff.

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gemeine ethische Gesetz als taxativ oder dispositiv anzusehen ist, aus dem der partikuläre ethische Satz geschlossen wurde 3 7 . Ein allgemeines ethisches Gesetz, das als taxativ langesehen wird, verhindert die Annahme von partikulären ethischen Sätzen, die aus diesem nicht geschlossen werden können. Das bedeutet, daß nur die moralischen Werturteile relevant sind, durch die partikuläre ethische Sätze angenommen werden, die mit dem allgemeinen ethischen Gesetz übereinstimmen. I n diesem Fall kann das allgemeine ethische Gesetz nicht widerlegt werden, weil nur moralische Werturteile zugelassen sind, die partikuläre ethische Sätze annehmen, welche, da sie mit dem Gesetz übereinstimmen, es nicht widerlegen können 3 8 . Ein allgemeines ethisches Gesetz, das als dispositiv angesehen wird, erlaubt die Annahme jedes partikulären ethischen Satzes unter der „rein potestativen" Bedingung, daß das Subjekt m i t gutem Gewissen wählt, ihn anzunehmen. Das heißt, daß alle moralischen Werturteile zugelassen sind, stimmen die von diesen angenommenen partikulären ethischen Sätze mit dem allgemeinen ethischen Gesetz überein oder auch nicht überein. Auch i n diesem Fall kann das allgemeine ethische Gesetz nicht widerlegt werden, weil nicht zugelassen wird, daß die partikulären ethischen Sätze, die durch ein moralisches Werturteil angenommen sind und vom Gesetz abweichen, dieses widerlegen 3 9 . I n beiden Fällen hat die angewandte Methode notwendigerweise Erfolg, weil i n beiden Fällen keine Ergebnisse vorgesehen sind, die eine Bewertung der Angemessenheit der angewandten Methode ermöglichen würden. Das pragmatische Argument, das i m Bereich der Wissenschaft die Verallgemeinerung und die Anwendung der logischen Schlüsse rechtfertigt, schlägt i n der Ethik wegen der konstitutiven Natur der moralischen Werturteile fehl; indem sie den Erfolg jeder Methode sichern, verwischen sie die Unterscheidung zwischen Erfolg und Mißerfolg. 37 Die Entscheidung zwischen „ t a x a t i v " u n d „dispositiv", wie immer sie auch gestellt werden mag, ist meines Erachtens eine ethische u n d sie w i e derholt sich mittels moralischer Werturteile bei jeder Gesetzesanwendung. «β Natürlich bleiben, was die Konformität oder Abweichung der p a r t i k u lären Sätze i n Bezug auf das allgemeine ethische Gesetz betrifft, die Schwierigkeiten, den Bedeutungsumfang der allgemeinen Termini, die i n den V o r schriften vorkommen, zu bestimmen. Deshalb bleibt auch u n t e r diesem Gesichtspunkt die Subjektivität der moralischen Werturteile, trotz des t a x a t i ven Charakters des ethischen Gesetzes, bestehen.

β» Die Unterscheidung zwischen Regeln u n d Prinzipien, v o n R. Dworkin , T a k i n g Rights Seriously, London, 1978, S. 14 ff., hervorgehoben, hängt m i t dieser Problematik zusammen. A u f sie ist auch die Frage der für u n g ü l t i g erklärbaren, aber nicht für u n g ü l t i g erklärten Rechtsnormen zurückführbar, i n dem Sinne, w i e sie von H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien, 1980, S. 271 - 282, behandelt und von A . Ross, Directives and Norms, S. 170 ff. berücksichtigt w i r d .

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Ein typisches Beispiel eines sich selbst rechtfertigenden Systems, das nicht durch pragmatische Argumente gerechtfertigt werden kann, ist die dynamisch-formale Ordnung, wie sie von der Theorie Kelsens dargestellt wird. I n diesem System erweist sich i n der Tat jede normative Produktionsmethode als geeignet, weil jede Rechtsnorm als gültig und bindend anzusehen ist, wenn sie das Verfahrenserfordernis erfüllt, unter Beachtung der festgesetzten Methode erlassen zu sein. U m die innere, dieser A r t von Systemen eigene Subjektivität zu bewältigen, fordert Kelsen für die Geltung und bindende Kraft dieses Rechtssystems auch eine materielle Bedingung als conditio sine qua non, die formell vom System unabhängig ist: seine allgemeine Wirksamkeit. A u f diese Weise nimmt Kelsen gleichwohl davon Kenntnis, was normalerweise mit allen sich selbst rechtfertigenden theoretischen Systemen geschieht, seien es juristische, ethische, metaphysische oder religiöse, nämlich, daß zwischen ihnen jenes vorherrscht, das tatsächlich angenommen oder aufgezwungen wird, d.h.: „das stärkste". Die theoretischen Systeme, deren Erfolg nicht i n ihrer Anpassung an die Wirklichkeit bestehen kann (adaequatio intellectus ad rem), eignen sich für eine andere A r t von Erfolg: daß sich die Wirklichkeit an sie anpaßt (adaequatio rei ad inteU.ectum). Die ideelle Wirklichkeit, welche die metaphysischen, religiösen, ethischen, juristischen usw. Systeme schaffen, ohne widerlegt werden zu können, verlangt und erreicht, wenn sie hinreichend stark ist, daß die tatsächliche Wirklichkeit des menschlichen Verhaltens sich ihr beugt und angleicht. Die Rechtsordnung hat, wie die anderen sich selbst rechtfertigenden theoretischen Systeme, keine materiellen äußeren Grenzen, die sie verfälschen können. Wie die anderen Systeme dieser A r t behauptet sie sich konkret nur unter der Bedingung, daß sie sich durchsetzt. Der Erfolg, die Durchsetzung einer Rechtsordnung anstatt einer anderen, hängt ab von dem Ausmaß des sozialen Drucks, letztlich von der direkten oder indirekten Anwendung physischer Gewalt. I I I . Abschließende Bemerkungen I m ersten Abschnitt habe ich unter anderem kritisch die Thematik der Transformationsregeln untersucht und dargestellt, wie sie bei Bobbio i n bezug auf die Rechtswissenschaft auftritt. I m zweiten Abschnitt habe ich meine Auffassungen über die Funktion der Tatsachenurteile, der moralischen Werturteile und der Verallgemeinerung i n den von m i r als theoretisch bezeichneten Systemen dargelegt. Unter theoretischem System verstehe ich eine Gesamtheit von Sätzen, die auf Grund von Verbindungen und Zusammenhängen, welche

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zwischen den Sätzen selbst gesetzt werden, auf eine Einheit zurückgeführt werden können. Ich gebe zu, daß es nicht nur wissenschaftliche theoretische Systeme gibt, sondern auch ethische, rechtliche, metaphysische usw. theoretische Systeme. Die Einheit der theoretischen Systeme w i r d von den Formations- und Transformationsregeln der Sätze gewährleistet. Bei Carnap ist, wie w i r i m ersten Abschnitt gesehen haben, i m Hinblick darauf von „sprachlichen Umformungen" die Rede. Die Tatsachenurteile, die moralischen Werturteile und die Verallgemeinerung, von denen ich i m zweiten Abschnitt gesprochen habe, sind gleichwohl Transformationen oder Sprünge i n dem von A. Peczenik bezeichneten Sinne 40 . I n bezug auf die A r t und Weise, wie Bobbio von den Transformationsregeln spricht, hat die Theorie der Transformationsregeln von Peczenik den Vorteil, sinnfällig zu machen, daß auch die Sprünge nach Regeln erfolgen oder doch zumindest erfolgen können. I n der Abhandlung von Arnio/Alexy/Peczenik w i r d die Unterscheidung zwischen denjenigen Transformationen, die Sprünge sind (nonequivalent transformations i m Sinne von Peczenik) und solchen, die keine Sprünge sind (equivalent transformations), mit Bezug auf das Problem der Analytizität hervorgehoben. Diese Hervorhebung ist selbstverständlich angebracht. Ich möchte trotzdem darauf hinweisen, daß eine Transformationsregel immer eine Inferenzregel 41 ist und daß ein nach Transformationsregeln vollzogener Sprung ein korrekter Schluß ist. Ich verweise i n diesem Zusammenhang auf die Unterscheidung von Ross zwischen der „Annahme eines Schlusses als korrekt", der „ A n nahme eines Satzes als wahr" und der „Annahme einer Direktive als bindend", die ich schon unter Abschnitt I I bis I V hervorgehoben habe. 40 A . Peczenik stellt 8 Sprünge oder „non-equivalent transformations" fest: 1. V o n den Empfindungen zur Erkenntnis der Tatsachen; 2. v o n der E r k e n n t nis der Tatsachen zu den Sätzen; 3. v o n den Sätzen über individuelle Tatsachen zu allgemeinen Theorien u n d (universellen) Naturgesetzen; 4. v o n der Beschreibung zu einer kausalen E r k l ä r u n g ; 5. v o n den naturalistischen Daten zu einer intentionalen E r k l ä r u n g ; 6. v o n den Tatsachen zu den gültigen Rechtsquellen; 7. v o n den gültigen Rechtsquellen zu den gültigen Rechtsregeln, die nicht für „hard cases" geschrieben sind u n d 8. v o n rechtlichen Verhaltensregeln zu einigen Rechtsregeln, die i m Sinne v o n subjektiven Rechten ausgedrückt sind. Vgl. A . Peczenik, Non-Equivalent Transformations and the Laws, in: ders., J. Uusitalo (Hrsg.), Reasoning on Legal Reason-

ing, S. 47-54; A. Aarnio / R. Alexy / A. Peczenik, schen Argumentation, S. 13 ff. 41

Aarnio ! Alexy ! Peczenik,

S. 16 ff., 20 ff.

Grundlagen der juristi-

Grundlagen der juristischen Argumentation,

Über Rechtswissenschaft, Transformationen u n d Rechtfertigung

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Um einen Schluß als korrekt anzunehmen, ist es nicht notwendig, die Regel des Schlusses anzunehmen oder mit ihr übereinzustimmen. Es genügt anzunehmen, daß der Schluß nach einer gegebenen Inferenzregel erfolgt ist. Richtiger ist es, die Inferenzregel w i r d nur zum Zweck der Entscheidung beachtet, ob der Schlußsatz i n Konformität m i t i h r gefolgert wurde. Die Annahme eines Schlusses als korrekt drückt sich i n einem Konformitätsurteil über eine gegebene Regel aus. Da die Transformationsregeln Inferenzregeln sind, ist es auch für die Annahme einer Transformation i m Sinne eines Sprungs als korrekt nicht nötig, die Transformationsregel anzunehmen oder mit ihr übereinzustimmen. Es ist hinreichend anzunehmen, daß die Transformation nach einer gegebenen Transformationsregel (Konformitätsurteil) erfolgt ist. Die Interpretation und die Anwendung einer Transformationsregel stellt sicherlich mehr Probleme als die Interpretation und Anwendung einer Inferenzregel, die keine Transformationsregel ist. Jedenfalls gilt das, was oben festgestellt wurde: die Annahme einer Transformation als korrekt, d.h. als einer gegebenen Transformationsregel konform, bedeutet keinesfalls Annahme, sondern bloß Berücksichtigung der Transformationsregel. Um hingegen einen Satz als tatsächlich wahr anzunehmen, genügt es nicht anzunehmen, daß dieser Satz korrekt nach einer gegebenen Transformationsregel gewonnen wurde, sondern es muß zusätzlich die Transformationsregel als Regel angenommen werden, die es ermöglicht festzustellen, ob der Satz tatsächlich wahr oder falsch ist. Wenn die Transformationsregel nicht i n diesem Sinne angenommen wird, w i r d der Satz seinerseits nicht als wahr (es gibt kein Tatsachenurteil) angenommen, sondern nur als mit der Transformationsregel konform (es gibt nur ein Konformitätsurteil). Um einen Satz als bindend anzunehmen, genügt es nicht anzunehmen, daß dieser Satz korrekt aus einem anderen nach einer Transformationsregel gewonnen wurde, sondern es ist zusätzlich notwendig, die Transformationsregel als Regel anzunehmen, die es i m konkreten Fall ermöglicht festzustellen, ob der i n Frage stehende Satz bindend oder nicht bindend ist. W i r d die Transformationsregel i n diesem Sinne nicht angenommen, d.h. als Regel, der man folgen muß, u m zu entscheiden, ob der Satz bindend ist, so w i r d der Satz seinerseits nicht als bindend (es fehlt ein moralisches Werturteil), sondern nur als der Transformationsregel konform (es gibt nur ein Konformitätsurteil) angenommen.

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Aarnio/Alexy/Peczenik erarbeiten eine besondere Transformation, nämlich eine Kategorien-Transformation, i n der Transformation ins Recht: „Eine Transformation ins Recht findet statt, wenn eine Konklusion über (geltendes) Recht durch eine Transformation aus einer Klasse von Prämissen abgeleitet wird, von denen keine (geltendes) Recht ausdrückt oder erwähnt. Dies ist der erste große Schritt ins Recht: von Tatsachen und dem nichtrechtlichen Sollen zum rechtlichen Sollen. Er öffnet die Tür ins Reich des Rechts 42 ." Die Transformationsregel, die bei der Transformation ins Recht befolgt wird, bezeichnet man als Grundnorm 4 3 . Auch i n bezug auf die Transformation ins Recht und ihre Beziehung zur Grundnorm stellt sich die Unterscheidung zwischen Konformitätsurteil, Tatsachenurteil und moralischem Werturteil. Der Satz, der durch eine Transformation ins Recht aufgestellt wird, ist ein Satz des Typs: „Die Norm Ν soll vom Standpunkt des Rechts befolgt werden 4 4 ." Ist dieser Satz einfach ein Satz, der korrekt nach der gegebenen Grundnorm geschlossen und transformiert wurde (Konformitätsurteil) oder ist er ein wahrer Satz (Tatsachenurteil) oder ist er letztlich ein bindender Satz (moralisches Werturteil)? Je nachdem, welche der drei Versionen des Satzes „Die Norm Ν soll vom Standpunkt des Rechts befolgt werden" man bei der Transformation verfolgt, muß auch die Rechtfertigung der Grundnorm unterschiedlich ausfallen.

42

Aarnio/Alexy/Peczenik,

Grundlagen der juristischen

Argumentation,

S. 19. 43 44

Aarnio / Alexy / Peczenik, ebd., S. 20. Aarnio / Alexy / Peczenik, ebd., S. 20.

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Commente on "The Foundation of Legal Reasoning" By Robert S. Summers, Ithaca, New York I. Introduction Professor Dr. Aulis Aarnio, Dr. Robert Alexy, and Professor Dr. Aleksander Peczenik (hereafter referred to as " A A P " ) have w r i t t e n a most thoughtful essay on the theory of legal reasoning. 1 They have introduced a number of new or relatively new concepts into contemporary discussion, have articulated a variety of novel and important distinctions, and have even identified some new questions i n the field. Their work i n this volume is only a small part of their many contributions to the theory of legal reasoning. European theorists have generally been interested i n developing systematic theories of legal reasoning for a much longer period than has been true for American theorists. A A P are thus participants i n a venerable tradition of European thought. I n my comments on the work of AAP, I w i l l not devote much effort to summarizing their views. I w i l l assume that readers of my comments have already studied the papers by A A P that open this volume. Also, I w i l l not here set forth a list of the many specific points on which I agree w i t h AAP. Instead, I w i l l mainly: (1) attempt to add to some of the features of their theory, (2) indicate some alternative possible approaches to parts of their theory, and (3) offer a few criticisms. Because I have been for several years seeking to develop a systematic general theory of legal reasoning of my own, perhaps I may be forgiven if I have already arrived at some views that do not always coincide w i t h those of A A P and which incline me to differ w i t h them here and there to some degree. I I . Why Legal Reasoning is Today so much Discussed The authors open w i t h some highly interesting reflections on w h y legal reasoning is so much discussed today. I n addition to the explanations that A A P give for this great surge of contemporary interest 1 I w i l l hereafter refer t o this essay as " A A P " and give page references accordingly.

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i n the subject, I would note several others (some of which overlap somewhat w i t h those cited by AAP). First, if theorists have more faith i n the justificatory force of reason than i n former times, then they w i l l be more likely to take the subject seriously as an academic pursuit. During the 19th century and well into the 20th century, many theorists seem to have had less faith i n the justificatory force of reason i n socio-legal affairs as such than seems to be true today. For one thing, many earlier academics tended to be moral skeptics (or at least more skeptical then than now). This moral skepticism led to a skepticism about the force of reason generally. The causes of this skeptical climate were complex, and include the influence of: cynical majoritarianism ("votes rather than reasons are decisive"), misplaced libertarianism ("a man is free to adopt any position"), ethical relativism ("what is good here and now is only good here now"), pseudo Freudianism ("we don't know our real reasons, so why care?), misplaced deductivism ("only deductively conclusive arguments can have force"), ideological determinism ("our reasons are all socially conditioned by ideology , so they can have l i t t l e force"), scientism ("only reasoning about matters of fact is t r u l y respectable"), and so on. Today most of these influences are i n decline and there is more faith i n the force of reasoned justification than earlier i n this century. 2 A t the same time, many recent theorists have, secondly, become impatient w i t h deficiencies i n utilitarianism as a general theory of reasoned justification, and have been spurred by this to t r y to develop a more satisfactory general theory. The state of utilitarian theory in the last several decades has invited much further development and controversy. 3 (So called "economic analysis" of law is an offshoot of utilitarianism, too). 4 I n America and i n Britain this state of affairs led theorists such as John Rawls 5 and Ronald Dworkin® to seek to w o r k our systematic modifications or even alternative general approaches to socio-legal justification, and their work has, i n turn, generated a vast volume of secondary literature that has contributed to a general atmosphere highly congenial to work on legal reasoning.

2 See further, Robert S. Summers , Essays i n Legal Philosophy, Oxford, England 1968, gën. intro. 3 See generally, David Lyons , Forms and L i m i t s of Utilitarianism, Oxford 1965, esp. Ch. V. 4 See generally, Richard Posner, The Economic Analysis of L a w , Boston, Mass., 1977. See also R. Posner, Utilitarianism, Economics, and Legal Theory, J. Legal Studies, 8 (1979) p. 103. s J. Rawls, A Theory of Justice, Cambridge, Mass. 1971. β R. Dworkin, T a k i n g Rights Seriously, London 1978.

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A t h i r d factor is this. W i t h the extraordinary growth of the modern state, more and more people, and more of the lives of more and more people, have been touched by the actions and inactions of the state. These actions and inactions of the state have typically been " i n the name of l a w " . That is, law i n its various forms is a primary (if not the primary) instrument of government i n organized society. 7 Today, states act or fail to act i n the interests of citizens far more often than before. When states act, or fail to act, this is ordinarily either beneficial to, or adverse to, those affected. When adverse, i t is natural to require that this be justified. A n d when beneficial, then this too must be justified, at least when, as is usually the case, any benefit to some must be provided at the expense of others. Thus, today i n modern societies the occasions to demand reasoned justifications for the exercise or nonexercise of state power are simply far more numerous than true i n former times. These demands have "goaded" theorists into taking a correspondingly greater degree of interest i n the questions that fall w i t h i n a general theory of justification. Fourth, various forms of legal positivism are less prominent now than they were not long ago. Most positivists tended to associate law not w i t h the effort to apply reason to human relations but merely w i t h the actions of state officials as such. When legal theorists view law as consisting essentially of something posited by officials, or as a configuration of state power, or as the mere arbitrium of authority, then these theorists are much less l i k e l y to be interested i n the questions associated w i t h a deeply different conception of law. a conception i n which reasoned justification purports to play a large role. 8 I I I . Purposes of a Theory of Legal Reasoning A A P indicate that they believe that a satisfactory theory of legal reasoning would serve a number of different purposes. I t would not only draw upon general philosophy to advance our understanding of legal reasoning but would also help solve a "vast number of problems which legal theory and, for instance, the philosophy of science and moral philosophy have i n common." 9 Thus one basic purpose is increased understanding, and so far as law is concerned, the theory would not only enhance our grasp of legal reasoning but would also provide a framework for an overall general legal theory and thus advance our 7 See generally, R. Summers , The Technique Element i n Law, California L a w Review, 59 (1971) p. 733.

« See generally, Robert S. Summers , Lon F. Fuller, Stanford 1984, chs. 2,3, 4, 5. See also Robert S. Summers , Working Conceptions of "The Law", Law and Philosophy 1 (1982) p. 263. » Α Α Ρ p. 134.

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understanding of law itself. Certainly i t is true that if we can grasp the nature of legal reasoning better we should be able to understand law more fully. Indeed, part of the very province of law is to provide reasons for officials and private parties to use to justify what they do. Law can even be viewed as a system of sources of reasons of various kinds w i t h varying degrees of force. When we come to understand w h y and how this is true, we w i l l have a better grasp of the very nature of law itself. Still another basic purpose of the theory of legal reasoning is, as A A P point out, to provide a "bridge between legal theory and legal practice" and thereby enhance the legitimacy of judicial resolutions of controversies and generally "improve on legal decision making." 1 0 I have no doubt that legal theorists have a great role to play i n regard to the latter, especially where decisions are made by judicial officials who must give published reasons for their decisions. The construction and evaluation of such reasons are complex social practices that are by no means sufficiently studied and understood today. I t should be possible to identify the f u l l range of such reasons, differentiate their various internal elements, and specify procedures for the construction of each type, procedures that would appropriately incorporate each element, step by step, into an overall integrated whole. 1 1 I t should also be possible to devise ways of teaching judges how to construct good reasons of each type, and how to evaluate reasons of each type. Thus i n developing such models, we would not merely thereby contribute directly to the improvement of reason-giving practices but also to the critical evaluation of reason-giving practices. This, i n t u r n would also improve the critical activities of academics, of members of the legal profession, and of the informed public, as well as of the judiciary. The theorist should also be guided i n his labors by notions of why it is important for judges (and other officials) to be able to give the best available reasons i n support of what they do or do not do. The importance of reaching the best decisions cannot be denied. When a judge fails to reach the best decision, he may sacrifice justice, liberty, security or any of a host of other significant values. A judge should, ideally, construct the available reasons for each alternative decision, compare these, and then choose the decision supported by the best reasons. A judge who goes through such a process w i l l more likely reach the best decision. Even when a judge is sure he is arriving at the best decision, it is important that he spend whatever additional effort is required to 10 Α Α Ρ p. 135. " See generally, Robert S. Summers , T w o Types of Substantive Reasons: The Core of A Theory of Common L a w Justification, Cornell L a w Review, 63 (1978) p. 707 (hereafter cited as, Summers, Cornell).

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articulate these reasons fully for purposes of any opinion to be written. I n so doing, the judge may guide other judges to better decisions i n future cases (at least i n common law countries). A n d he may serve still other purposes, too. He may thereby help make the decision i n the case at hand more acceptable to the losing party. He may also thereby reduce the need for coercive enforcement (with attendant friction, waste, and loss of liberty). The judge may also thereby render the resulting state of the law (at least i n common law countries) (1) more law-like and therefore consistent w i t h "rule of l a w " values (including predictability), (2) more respectworthy and consequently capable of motivating higher levels of citizen conformity generally, and (3) more readily appraisable and thus more susceptible of rational revision as conditions and values change. M y own view is that we also need more specific analyses and formulations of the purposes of particular branches of a general theory of legal reasoning than we now have today. Without such analyses, it w i l l not be possible to judge the adequacy of contributions to these branches of theory. (Presumably APP would agree). For example, the purposes of that part of such a theory addressed to the sources of the law would include: (1) the definition of the concept of source, (2) the specification of criteria for differentiating sources, (3) the ordering of priorities between sources, (4) treatment of whether source-based criteria of valid law are conceptually inherent i n law, and so on. The articulation of such purposes is an important task that remains for most particular branches of the subject. I V . Main Elements of a General Theory A A P state that "only a theory of legal reasoning that unites an optimal variety of aspects can meet the demands made by its subject." 1 2 I t would be difficult to disagree w i t h the spirit of this statement. A n d i t is probably too early i n the history of this subject to attempt a comprehensive inventory of the various "aspects" or elements that should have a place i n a theory of legal reasoning. From the work of A A P set forth i n this volume, it is clear that they wish to make places i n their theory for the following elements: (1) an inventory of the types of "moves" into or within the law calling for justification, (2) an account of the nature and sources of valid law, (3) a treatment of the logical structure of justifications i n the law, (4) a specific account of the role of values and valuations i n legal reasoning, including those values that figure i n "underpinning" reasons, (5) a treatment of procedures for justifying the various types of "moves" into or w i t h i n the law calling Α Α Ρ p. 136.

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for justification, including interpretations, (6) an account of the relations between the procedures and especially between distinctively legal ones and general practical reasoning, and (7) a treatment of the role of forms of life i n narrowing the range of disagreements. This is not a complete inventory (or a fully adequate summary description) of all elements of the theory set forth i n this volume b y A A P , but i t includes nearly all (perhaps all?) of the major elements as A A P view them. I agree that all of these elements are important. I n my own developing theory, however, I stress a number of other elements that are either entirely distinct from those stressed by A A P or only overlap relatively l i t t l e w i t h them. First, I make a distinct and separate place for a branch of detailed theory about the specific purposes of legal justification. Such justification has distinct and peculiar purposes, and the adequacy of a general theory cannot be judged w i t h o u t reference to these. (I have already i n part suggested this i n section III). Second, i n m y theory, I make a distinct and separate place for the concept of "justificatory force." We want to be able to compare different reasons and different overall justifications (which consist largely of clusters of reasons) i n light of their differing justificatory force. The degree of justificatory force of a reason is its most important single attribute. Yet how this concept of justificatory force i n the law should be analyzed is not yet clear today. A t the very least, i t must be differentiated from deductive v a l i d i t y on the one hand, and mere "audience" persuasiveness on the other hand. I sense that A A P and I may differ somewhat over the relevance of models drawn from deductive logic. I n m y view, the appropriate models are to be generated very largely out of the " r a w materials" of legal reasoning. I t would seem that legal reasoning is not a species of formal reasoning. Moreover, i t is concerned w i t h material justification. As Wittgenstein stressed, a justification must appeal to something "independent" of the conclusion. 13 Premises from which the conclusion follows deductively are not and cannot be relevantly independent here.. Also, at least i n common law countries, the opposing lawyers w i l l each bring to court their own valid syllogisms; thus i t may be said that what justifies the judge's choice between these opposing "syllogistic" approaches to the case is what really qualifies as justificatory . I n any event, i t would appear that the justificatory force of reasons for judicial decisions arises significantly not from a deductively valid derivation but from a reason's supporting relationship to a decision. The relevant metaphor is that of "supporting", not that of "following." 1 4 ι» Ludwig Wittgenstein , Philosophical Investigations, New York, 1951.

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I t seems clear that A A P also wish to make a place for some such conception as that of justificatory force as set forth above but they do not attempt to draw together i n one place a general account of i t in this volume. I should add this. A A P have stimulated me to draw a distinction between the justification for a decision and the acceptab i l i t y of a decision. The justification for a decision is a function of the justificatory force of the reasons for it. The acceptability of a decision is a function of the justificatory force of the reasons for i t and still other factors such as the appropriateness and correctness of the procedures followed by officials i n reaching the decision. A t h i r d element i n m y own tentative theory on which I place special emphasis is the distinction between reasons recognized by judges and lawyers that depend for their justificatory force on direct appeal to legal rules and other legal norms as such ("authoritative reasons") and reasons that depend for their justificatory force on direct appeal to moral, economic, social, or general political considerations ("substantive" reasons). 15 H. L. A. Hart has recently suggested a similar distinction. 1 6 There is evidence i n AAP's work i n this volume that they would observe a similar distinction. Thus they refer to certain "underpinning reasons" and they refer to reasons that appeal to consequences, for example. 17 A t the same time they contrast w i t h such reasons still other reasons that derive directly from the sources of the law. Even so, they do not accord primacy to the role of substantive reasons as do I . 1 8 This may be because i n European systems substantive reasons do not play as large a direct role i n official legal justifications as they do i n common law countries. (I would like to learn more about the possible validity of this explanation.) Yet there is one great similarity between my theory and that of A A P which I would like to note here. I n my own theory, I emphasize the importance of "rightness" reasons — reasons that invoke ordinary concepts of fairness, equity, due respect, diligence, etc. from daily justificatory practices outside the law. 1 9 I n stressing forms of life and i n stressing the relations between legal reasoning and h Cf. John Wisdom, "Gods", Essays on Logic and Language (1st Series 1952, Oxford, p. 187).

ι» Summers, Cornell at 716 - 724. le H. L. A . Hart , Essays on Bentham, Oxford 1982, Ch. X . ι 7 O n underpinning reasons, see the i m p o r t a n t book by Neil MacCormick , Legal Reasoning and Legal Theory, Oxford 1978. is See Summers, Cornell at pp. 730 - 734. There are three senses of " p r i macy": (1) "foundational", (2) "numerically most common", and (3) "always of over-riding significance". I intend only the first. ι» See Summers, Cornell at pp. 718 - 722, 752 - 773, 778 -782. See also Robert S. Summers, Instrumentalism and American Legal Theory, Cornell, 1982 pp. 53 - 54, 250 - 252.

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Robert S Summers

general practical reasoning, A A P would appear to give Tightness reasons a similar k i n d of emphasis. I n any case, i n my own theory I wish to emphasize the very strong relationships and connections between substantive reasons i n justificatory practices i n daily life and substantive reasons i n justificatory practices i n the law. (This is not to deny that there are important differences.) Fourth, although A A P do identify several features of legal argumentation that reveal its "particular nature", they appear to omit or to downplay a type of reason widely used i n legal argumentation i n common law countries and which I therefore give special place to, namely, institutional reasons. Such reasons are exceedingly familiar i n common law countries. Here are some concrete examples of such reasons: (a) "This case presents issues that should only be decided by the legislature." (b) " I t would be impossible to measure damages for such a harm." (c) "The issue is now moot because of a change of circumstances." There are many other such reasons. Institutional reasons all relate i n some fashion to institutional roles and features of institutional processes. They concern such important matters as the rational division of legal labor, the efficient workings of judicial machinery, the practicab i l i t y of remedies, "process values" such as fair opportunity of affected parties to participate, and even the limited efficacy of judicial and other legal machinery. Such reasons often influence the decision of cases i n common law countries. We do not yet have i n our literature an adequate overall account of reasons of this type, or of their relations to other kinds of reasons. 20 Fifth, A A P w i l l undoubtedly i n their joint theory wish to address the question whether a rational procedure can be f u l l y worked out for weighing conflicting reasons. When I have conducted seminars for judges on judicial justification, the judges have often said that this is the hardest problem of fall and that guidance from theorists would be most welcome. Of course, this is a most complex cluster of issues, and i t may eventually t u r n out that no branch of a general theory of legal reasoning can afford judges much guidance. 21 A t most, theory can only structure the exercise of judgment here anyway; i t cannot serve as a substitute for the exercise of judgment. Theory does have limits.

20

I briefly mention t h e m i n Summers , Cornell at 722 - 724. I have been w o r d i n g on a "solution" to the problem but I am not satisfied w i t h w h a t I have. 21

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V. Some Specific Comments I would now like to offer a few tentative and brief critical comments on parts of the work of A A P included, i n this volume. These criticisms are offered i n a spirit of great respect for that work. I t is said by A A P that a normative system is a "dynamical hierarchy of norms i n which the higher norm determines the way of creating lower norms." 2 2 I n some Anglo-American countries, the situation is a bit more complex. Putative law owes its status rather to (a) conformity of the putative norm to such "higher norm" criteria (usually sourcebased), or (b) general social acceptance or acceptability of the substantive content of the putative norm, or (c) a combination of (a) and (b). For example, even the lawful content of a statute, over time, is really attributable to a combination of compliance w i t h source-based internal criteria of the system ((a) above) plus substantive general and particular notions relevant to creative interpretation that inform the statute's content ((b) above). 23 Indeed, to cite further examples, the common law itself at any given point i n time is more of a mixture of (a) and (b) than it is a creature solely of (a). 24 A n d putative customary law — of great importance i n most systems — is law almost entirely by virtue of (b), not (a). 25 (I do not claim that a sharp general line can be drawn between (a) and (b)). If I am correct, then this point has important implications for the theory of legal reasoning. Among other things, the more a system depends for its reasons on (b) or (c), the freer w i l l be its legal method. Also, there w i l l be less of a tendency to make the worth of reasons offered in court depend solely on the extent of any prior judicial or other official endorsement and more on their own intrinsic merits. I t is suggested by A A P that the objects of justification i n a general theory of legal reasoning are best defined as various forms of "nondeductive transformations", e. g., "from vague criteria of the law to its precise identification", and "from primary sources to secondary sources whose validity does not deductively follow", and so on. 2 6 I n AngloAmerican theory, other approaches to this problem have been taken. For example, the objects of justification can be defined i n a way that does not focus on the presence of a transformation but rather upon the presence of a special k i n d of "justificatory job" of the decision-maker. M y own approach has been along such lines, though I have not yet 22 23 24 25 2β

A A P at 145. See also, Lon L. Fuller, A n a t o m y of The Law, New Y o r k , 1968, pp. 57 - 59. Id. at 84 - 101. Id. at 43 - 46. A A P at 158.

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published very much about this. I n 1966. I did, however, adumbrate this approach, and I w i l l recapitulate it briefly. 2 7 The problem of justifying common law decisions can be broken down into: (1) relatively routine or straightforward justificatory jobs, e. g., justifying the application of existing precedent, and (2) rather less routine and more difficult justificatory jobs, e. g., justifying a decision i n a case of first impression, justifying a decision where there are conflicting lines of case law development, justifying a decision that creates an exception to an existing common law rule, justifying the construction of a common law synthesis into a new rule, justifying a decision that over-rules precedent. Once the theorist develops a typology of the latter kind, he can seek to construct models of the best justified decisions of each type. That is, he can identify the features (including the forms of argument) that would play roles i n each such model. Some of these would be peculiar to each model, and some not. To illustrate, i t would be valuable to a judge (and to critic of a judge) to have before h i m an account of the factors that rationally play a role i n the ideal case (the best justified) for creating an exception to a common law doctrine. Among such factors would be the following: (1) that when the doctrine itself was being first formulated and developed, it was not foreseen that the language i n which i t was expressed could also apply to the case at hand, (2) that the exception would interfere little, if at all, w i t h the realization of the reasons of substance behind the doctrine, (3) that an independently significant reason (or reasons) of substance support recognition of the exception, (4) that the facts that bring the exception into play can be ascertained judicially without making significantly more mistakes (as to the facts) than would be made if no exception were recognized, (5) that this fact-finding process can be carried on without undue expense and would not bring into play any other adverse "institutional reasons" 28 , (6) that the exception can be formulated i n terms that judges can administer so that the exception w i l l not "swallow u p " the doctrine itself, (7) that the boundaries of the exception would not be unduly arbitrary, and (8) that exceptions have simil a r l y been made i n the law. I n their very interesting essay, A A P introduce the concept of a procedural theory of justification. I believe there is much that is i l l u minating i n their discussion of the varieties of procedures that are relevant to decision making i n the law. These varieties include procedures of rational practical discourse, procedures for establishing posi2

7 Robert S. Summers , The New Analytical Jurists, New York University

L a w Review, 41 (1966) pp. 894 - 95. 28 On the concept of institutional reasons, see Summers , Cornell at 722 724.

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tive legal norms, procedures of legal discourse, and procedures of j u dicial decision-making. A A P go on to make the claim that "the observance of this system guarantees that the argumentation is rational and hence that the results are sound or justified." 2 9 I n my view, A A P need to expound on this more i n order to make i t convincing. I t does seem that the observance of procedures alone would not guarantee that results are justified. Of course, much might depend here on what is included i n the concept of a procedure. A procedure can be defined i n such a way as to guarantee that results are justified. If so defined, however, a question would arise whether i t would still be a procedure properly so called. I t would seem that the most that a true procedure could possibly guarantee would be that all relevant considerations be taken into account. This alone would not be enough to guarantee that the resulting decision would be justified. No doubt A A P have some responses to this point, and I await those w i t h interest. I am not certain that I understand exactly what A A P mean when they say that the "indeterminacy concerning the result" of earlier procedures "necessitates a fourth procedure, that of legal proceedings i n court" and that "the construction . . . ensures that one possibility only remains once court proceedings are finished." 3 0 Do A A P mean to emphasize that the court, i n selecting from several possible rational decisions is to some extent acting arbitrarily? If so, I would point out that there is considerable scope for reasoned justification to operate i n selecting from several rationally justifiable decisions. The overall justificatory force of reasons supporting one decision over others (that would at least be rational) is frequently very much greater than the force of reasons supporting the other decisions. As Professor Fuller sometimes suggested, the weight of reasons is often heavily on one side. I am not certain that A A P would deny this. But if what I say is correct here, then emphasis on the necessity of a court procedure should be focused differently. This necessity would arise not because the force of reason is often too weak to select between alternative decisions, but because, perhaps, without an authoritative legal decision procedure, not enough people would recognize the force of reason. Indeed, because of selfinterest or other factors, the party who does not have the weight of reason on his side (and should therefore lose) would be almost certain not to recognize the force of reason. This whole problem is very complex, and I do not mean to suggest I have exhausted i t . 3 1 2» A A P at 261. so Id. at 278. 31 I once discussed the rational justification for having a court procedure. See Robert S. Summers , Law, A d j u d i c a t i v e Process and C i v i l Justice, i n L a w , Reason and Justice, New Y o r k , 1969, p. 169.

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I n their contribution to this volume, A A P have included an exceedingly interesting discussion of how the validity of norms and norfri contentions is to be determined. I agree w i t h their criticisms of the "predictive" theories of realists, and I agree w i t h much of what they say about the inadequacies of theories that explain the validity of legal norms solely on the basis of social acceptance by a defined group. 82 About this, I would say that the existence of criteria of validity internal to a system can be explained on a number of grounds some of which are touched on or developed also i n AAP's discussion: First, such criteria are necessary because most forms of law cannot be said to be socially accepted. Not enough people know about them. Acceptance presupposes knowledge i n some form. Second, such criteria are simply more efficient ways of identifying valid law than would be the determination, ad hoc, of sufficient acceptance of rules i n each case. (Indeed, a mere test of acceptance also poses many difficulties of administration: How much is "sufficient?" By what measure? etc.). Third, criteria of validity promise a more effective way of differentiating between law and non-law. A mere test of sufficiency of acceptance would not necessarily differentiate accepted moral rules, for example. Fourth, we know that some putative law is new and could not yet have had time to receive social acceptance. For example, if a new law is passed requiring everyone to drive on the left, and many people at first failed to follow this law, the view that law's validity depends on its acceptance would require the paradoxical conclusion that the new law is not yet law. 3 3 Here, acceptance is conceptually inadequate as a test. Fifth, and similarly, some putative law can be very old, and may command no general acceptance anymore, yet still be valid under criteria of validity internal to the system. 34 Sixth, criteria of validity can resolve conflicts between competing forms of putative law more efficiently and effectively than mere tests of sufficient acceptance. Seventh, antecedent criteria of validity probably permit the public through lawyers to know the law better i n advance than can mere tests of acceptance. A A P probably would not dissent from what I have said here. Despite the t r u t h of the foregoing matters, we must bear in mind that some putative law may, i n particular systems, be law i n part (or even entirely) because of acceptance. 35

32 A A P at pp. 432 f., 437 ff., 440, 443. 33 I am indebted to m y colleague Professor Dr. Theodor Tomandl of the University of Vienna for this example. 34 On this and on the fourth point, see also H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961, Chs. 4, 5, and 6. 35 See the text accompanying notes 23, 24, and 25.

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A A P provide a specification of four conditions upon which certain people i n legal communities can achieve a rational consensus, and as a result, can accept a proposed norm contention or interpretation of a norm. 3 6 Thus these persons must have a common language, have access to the same empirical evidence regarding the world, must share sufficient values, and must engage i n rational discourse over the proposed interpretation. I believe the fulfillment of these conditions w i l l frequently lead to some consensus about the acceptability of a proposed interpretation. However, I am sure A A P are aware that frequently these conditions can be fulfilled and yet there remain at least two competing proposed interpretations that are rationally acceptable. Even then, one may still be significantly more justified, as an interpretation, than the other. What accounts for this superior justifiability awaits further explanation. Conclusion I was much stimulated by the writings of A A P i n this volume, and I look forward to many further discussions by them of these v i t a l l y important and interesting issues.

se A A P at p. 440 f.

Logische Analyse als Basis der juristischen Argumentation* Von Ota Weinberger, Graz Anlaß und Aufgabe meiner Untersuchungen Die von Aulis Aarnio (AA), Robert Alexy (RA) und Aleksander Peczenik (AP) mehr oder weniger m i t verteilten Rollen abgefaßte Abhandlung „The Foundation of Legal Reasoning" 1 ist ein so wichtiger Beitrag zur Rechtstheorie, zur juristischen Hermeneutik und zur j u r i stischen Argumentationstheorie, daß ich den Vorschlag von Werner Krawietz m i t Freude aufgreife, eine Stellungnahme zu den wichtigsten Thesen dieser Arbeit abzugeben und darüber hinaus meine — doch wesentlich abweichende — Auffassung der Rechtstheorie und der j u r i stischen Argumentation darzulegen. Ich gehe bei meinen Analysen von der deutschen Fassung der oben zitierten Abhandlung aus, die i n diesem Band unter dem Titel „Grundlagen der juristischen Argumentation" (S, 9 - 8 7 ) abgedruckt ist. Die Seitenhinweise beziehen sich auf diesen Text, den ich als „Grundlagen" zitieren werde. Die erste Zahl i n den Klammern weist auf den deutschen Text, die zweite hinter dem Schrägstrich auf die entsprechende Seite des ursprünglichen englischen Textes i n der „Rechtstheorie" hin. Die Autoren der „Grundlagen" gehen von verschiedenen wissenschaftlichen Schulen aus, von denen sie einige Standpunkte, nicht jedoch die gesamte Auffassung übernehmen. Sie versuchen aus diesen verschiedenen gedanklichen Elementen, die sie i n wesentlicher Weise umgestalten, eine einheitliche spezifische Konzeption aufzubauen, welche nicht nur eine neue Rechtstheorie und juristische Methodenlehre darstellen soll, sondern die auch gewisse allgemeine Züge der Erkenntnistheorie i n origineller Weise deutet. Trotz dieser Beziehungen zu sehr verschiedenen philosophischen Richtungen, die eklektizistisch behandelt werden, und trotz gewisser * Die erste Fassung dieser A b h a n d l u n g habe ich ausführlich m i t meinen

Mitarbeitern, Frau Mag. H erlinde Studer und Herrn Dr. Dr. Peter Koller,

diskutiert. Ich b i n ihnen für viele kritische Hinweise u n d Anregungen sehr zu Dank verpflichtet. Für die i n dieser Abhandlung vertretenen Meinungen b i n ich jedoch allein verantwortlich.

ι A. Aarnio / R. Alexy J A. Peczenik, The Foundation of Legal Reasoning,

RECHTSTHEORIE 12 (1981), S. 133 - 158, S. 257 - 279, S. 423 - 448.

Ota Weinberger

160 kleinerer

M e i n u n g s d i v e r g e n z e n zwischen d e n K o a u t o r e n , w o l l t e n die

A u t o r e n eine spezifische u n d i m großen u n d ganzen e i n h e i t l i c h e K o n z e p t i o n schaffen, die sie als ,integrale

Rechtstheorie'

bezeichnen.

Die Gliederung meiner Darlegungen: I. Jurisprudenz und die Lehre von den Sprüngen der Erkenntnis 1. Die Erkenntnistheorie der Sprünge (Transformationen) 2. Die 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.

Sprünge ins Recht Der Begriff geltendes Recht' Die Grundnorm als Transformationsregel Die Kriterien-Transformation G r u n d n o r m u n d Quellentheorie

3. Die 3.1. 3.2. 3.3.

Transformationen innerhalb des Rechts Die Rechtsquellen-Transformation Die Rechtsregel-Transformation (General-Norm-Transformation) Die Entscheidungs-Transformation

I I . Diskurstheorie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

und Transformationsjurisprudenz

Die Ausgangspunkte von Robert A l e x y Der Begriff der Rechtfertigung K r i t i k der prozeduralen Konzeption der Rationalität Die prozedurale Normbegründung Allgemeiner praktischer u n d juristischer Diskurs Die Regeln des allgemeinen praktischen Diskurses Zwei Modelle der rationalen Begründung von Diskursregeln

8. Rechtsprozeduren u n d juristischer Diskurs I I I . Rechtsdogmatik,

Rechtsrealismus und Lebensformen

1. A u l i s Aarnios Auffassung u n d die integrale Rechtstheorie 2. Das Wesen der rechtsdogmatischen Behauptungen 3. Die Theorie der Rechtsgeltung als Grundlage der Wahrheit v o n N o r m propositionen 4. Einige kritische Anmerkungen zum Rechtsrealismus 5. Die Wahrheit v o n Normpropositionen, Normstellungnahmen u n d die juristische Interpretation 6. Die Bedeutung von Konsens, Akzeptierbarkeit u n d Lebensform für die juristische Dogmatik I V . Juristische Methodenlehre Rechtspositivismus (IRP)

vom Standpunkt

des Institutionalistischen

1. Das Dasein des Rechts — der Begriff geltendes Recht' 2. Die normativistische Strukturtheorie des Institutionalistischen Rechtspositivismus 3. Institutionalistischer Rechtspositivismus versus Rechtsrealismus 4. Die Hermeneutik des Institutionalistischen Rechtspositivismus

Logische Analyse als Basis der juristischen Argumentation

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I. Jurisprudenz und die Lehre von den Sprüngen der Erkenntnis 1. Die Erkenntnistheorie der Sprünge (Transformationen) Wenn A P i n den „Grundlagen" auch nicht versucht, seine Lehre von den Sprüngen (Transformationen) als allgemeine Theorie darzustellen, ist es dennoch offensichtlich, daß er davon überzeugt ist, eine solche allgemeine Theorie müsse entwickelt werden, und sie sei eine der Kernideen der Erkenntnistheorie, der Rechtstheorie sowie der Lehre von der juristischen Argumentation. A n anderer Stelle sagt A P ausdrücklich „... all knowledge is based on jumps" 2 . Er v e r t r i t t die Meinung, daß Sprünge/Transformationen wesentliche Schritte jeder Erkenntnis seien. „Die Erkenntnis des Rechts hängt wie jede Erkenntnis von Sprüngen 4 ab." (18/142) Die Termini ,Sprung' und »Transformation 4 verwendet A P als Synonyma. Diese erkenntnistheoretische Auffassung hat etwas unmittelbar Plausibles an sich; sie drückt ein wichtiges Aperçu aus: unsere Erkenntnis ist gestuft, sie besteht aus einer Menge verschiedener Gedankensysteme. Zu dem Aufbau dieser Systeme gelangen w i r nicht auf dem Wege logischer Ableitungen, und die Verbindung zwischen den verschiedenen Systemen der Erkenntnis bildet keine logisch deduktive Kette. Von Erfahrungsdaten zu physikalischen Theorien oder von empirischen Theorien zu mathematischen Theorien, ζ . B. zu einer Geometrie, führt kein direkter logischer Weg. Diese Feststellung über die Pluralität der Gedankensysteme, die unsere Erkenntnis — und insbesondere die Wissenschaft — ausmachen, ist sicherlich überzeugend. Es muß nur noch dargelegt werden, wie diese Strukturen unserer Erkenntnis philosophisch angemessen zu erklären sind. Ich glaube, daß A P selbst den Schlüssel zum Verständnis und zur Erklärung dieser Beziehungen m i t folgender These ausgedrückt hat: „we achieve our knowledge creatively, not passively" 3 . Durch Erfahrung, Vorwissen und andere Momente (insbesondere praktische und theoretische Aufgaben) entstehen Problemsituationen, die unser Denken dazu zwingen, solche Gedankensysteme zu entwerfen, die als kognitive Bewältigung der i n dieser Situation vorschwebenden Problematik aufgefaßt werden können. W i r nehmen ζ . B. das Verhalten der Objekte unserer Umwelt 2 A . Peczenik, On the Nature and Function of the Grundnorm, in: A . Aarnio/ I. N i i n i l u o t o / J. Uusitalo (Hrsg.), Methodologie u n d die Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1981), S. 279 296. 3 A . Peczenik, Right and W r o n g i n Legal Reasoning, ARSP, Suppl. Vol. I , Part 1, „Contemporary Conceptions of L a w " , 9th W o r l d Congress, Basel 1979, S. 60. 11 Krawietz/Alexy

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Ota Weinberger

wahr und beobachten verschiedene Vorgänge; aufgrund dieser Problemsituation entwickeln w i r physikalische Hypothesen, die getestet werden, und gelangen so zu physikalischen Theorien. Es handelt sich also u m einen komplizierten Prozeß der empirischen Erkenntnis, der sicherlich nicht als ein logisches Deduzieren der Theorien aus Basisdaten (respektive Sätzen, die ihnen entsprechen) aufgefaßt werden kann. Die Menge der Erkenntnissysteme w i r d sicherlich nicht i n einem deduktiven Prozeß, der etwa von einfacheren Datensystemen zu spezifischen Theorien aufsteigen würde, erstellt. Es muß jedoch die Frage geprüft werden, ob die von A P dargelegte Erkenntnistheorie der Sprünge (Transformationen) eine klare und angemessene Darstellung der Strukturen unserer Erkenntnis, die i n dieser Pluralität von Systemen besteht, liefert. APs Erkenntnistheorie und seine Auffassung der juristischen Argumentation steht offenbar unter dem Einfluß der Lehre von Stephen Toulmin 4, bei dem sowohl von Typensprüngen die Rede ist, als auch davon, daß die substantielle Argumentation keine logisch deduktive Operation darstellt. Einige sehr problematische Züge der Toulminscheri Lehre, insbesondere die Auffassung, daß die Deduktion auf den Bereich des Analytischen beschränkt sei, die Meinung, daß nicht-deduktive Argumentationen immer i n d u k t i v seien, u. a., hat A P wahrscheinlich nicht übernommen. Eine gewisse Unklarheit der Theorie scheint m i r schon i n der Terminologie des Autors verankert zu sein. Die Bedeutung des Terminus »Sprung4 und des Terminus »Transformation 4 sind sowohl i n der Umgangssprache als auch i m wissenschaftlichen Sprachgebrauch so verschieden, daß die synonyme Verwendung zu Unklarheiten führt. Wenn w i r sagen, daß i n einer Argumentation ein Sprung vorliege, verstehen w i r das gewöhnlich als Vorwurf, als Hinweis auf wesentliche Mangelhaftigkeit der wissenschaftlichen Argumentation. Bei AP bedeutet dies bloß, daß nicht-deduktive Gedankenschritte durchgeführt werden, wobei vorausgesetzt wird, daß solche Schritte notwendig seien und die einzig richtige Vorgangsweise darstellen. Der Terminus »Transformation* w i r d i n der Wissenschaftssprache gewöhnlich i m Sinne einer durch Regeln gelenkten Operation verstanden. Kleene schreibt z. B.: „Transformation rules . I n this section we shall introduce further metamathematical definitions (called deductive rules or transformation rules) which give the formal system the structure of deductive theory 5 ." 4 St. Toulmin , The Uses of Argument, Cambridge 1969 (19581); deutsch: ders., Der Gebrauch v o n Argumenten, übersetzt v o n U. Berk, Kronberg/Ts. 1975. » St. C. Kleene, Introduction to Metamathematics, Groningen, Amsterdam, Bedford, New Y o r k 1974? (1952*), S. 80.

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,Transformation 4 nennt man auch den formal dargestellten Übergang von einem Zustand des Systems i n einen zweiten, der gegebenenfalls mit dem ersten gleich sein kann (die sogenannte identische Transformation) 6 . Die synonyme Verwendung eines Terminus (,Sprung 4 ), der üblicherweise für eine ungeregelte oder unbestimmte Vorgangsweise verwendet wird, m i t einem Terminus (»Transformation 4 ), der gewöhnlich eine durch Regeln bestimmte Vorgangsweise bezeichnet, erleichtert dem Leser das Verständnis der Lehre sicher nicht. W i r müssen bei der Diskussion der „Grundlagen 44 von den gewohnten Bedeutungen der Termini absehen und unter ,Sprung 4 und »Transformation 4 genau dasselbe verstehen, und zwar das, was A P durch seine Definition festsetzt und wie er den Begriff ,Sprung 4 (»Transformation 4 ; symbolisch fV Τ q') erläutert. „Eine Transformation (ein ,Sprung 4 ) findet statt, wenn, und nur wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) ρ w i r d als Grund für q angeführt; und (2) q folgt logisch nicht aus p. Es folgt, daß keine Hinzufügung einer analytischen Proposition den Übergang von ρ zu q deduktiv machen kann. 44 (13 f./137) Der letzte, etwas unklar formulierte Satz (Was bedeutet hier „Es folgt 44 ? U m eine Konsequenz der Definition handelt es sich offenbar nicht, sondern u m eine zusätzliche Bestimmung 7 ) soll offenbar zum Ausdruck bringen, daß ,q* nicht durch eine rein analytische (sprachlichdefinitorische) Beziehung, sondern „substantiell 44 begründet wird, wie Toulmin sagen würde. Sprünge sind — sagt A P — psychologische Tatsachen des Entdekkungszusammenhanges, wobei die Frage, ob das durch Sprünge erzeugte Wissen gerechtfertigt ist, gesondert geprüft werden müsse (14/137). Bevor ich näher auf die Probleme und Schwierigkeiten des SprungBegriffes eingehe, möchte ich darauf hinweisen, daß die Deutung der Theorie der Sprünge zwischen zwei Interpretationen schwanken kann: β Vgl. W. R. Ashby, Einführung i n die Kybernetik, F r a n k f u r t / M . 1974, S. 27 ff. 7 Dieses „Es folgt" könnte n u r dann als begründet erscheinen, w e n n Dedukt i o n auf den Bereich des Analytischen beschränkt wäre, w i e Toulmin meint (vgl. St. Toulmin, Der Gebrauch v o n Argumenten, S. 103, 111 ff.). Dies ist aber offenbar falsch. Nicht n u r aus A x i o m e n u n d analytischen Sätzen w i r d deduziert, sondern auch aus empirischen Gesetzen, A n n a h m e n usw. Die Deduktion ist also auch ein Bestandteil der „substantiellen Argumentation" u n d eine notwendige Voraussetzung für jede empirische Forschung, insbesondere für die Falsifikation v o n Hypothesen. 11*

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(i) die Theorie ist eine Beschreibung der tatsächlichen Vorgänge des Wissenserwerbs und der Entwicklung der Wissenschaften: Es werden neue Erkenntnisse durch Sprünge gewonnen, die dann gerechtfertigt werden; (ii) die Lehre ist eine methodologische Lehre, die angibt, wie vorgegangen werden muß, u m i n effektiver Weise Erkenntnisse gewinnen und Wissenschaften aufbauen zu können. Ich b i n keineswegs sicher, welche der beiden Möglichkeiten A P eigentlich vorschwebt. Wahrscheinlich sollte die Lehre beides leisten. Als geistesgeschichtliche Beschreibung würde ich eher das Konstruktive als das Non-Deduktive bei der Entwicklung wissenschaftlicher Systeme unterstreichen. Die These oder Theorie (entspricht ,g') erscheint dann nicht als durch eine gewisse Problemsituation und vorangehende Erkenntnisse (entspricht ,p0 begründet, sondern sie werden durch die Problemsituation und durch die Erkenntnisaufgabe i n gewisser Weise nur motiviert. Wenn man die Lehre als Methodologie auffaßt, muß man eine größere Bestimmtheit der Anleitungen fordern; das heißt, es müßte angegeben werden: (a) wann Sprünge gemacht werden müssen, (b) von welcher Basis aus man springen kann, (c) wie man richtig springt (wodurch w i r d die Richtung des Sprunges bestimmt? Wie gelangt man zu richtigen Sprungresultaten?), (d) wie gelangt man zur Begriffsapparatur der neuen Theorie, die häufig i m Bereich von ,p' (sozusagen: i m Bereich der Sprungbasis) nicht gegeben ist? A P entwickelt die Theorie der Sprünge nicht zu einer methodischen Anleitung, vielleicht weil er sie eben dem context of discovery zuordnet, i n dem er keine — oder nur beschränkte — Möglichkeiten für eine Anleitung sieht. Gelegentlich jedoch stellt er Kriterien und Regeln auf, welche das Springen (die Transformation) i n die Nähe einer Begründungsstruktur bringt (vgl. seine Darlegungen über die Grundnorm). I m allgemeinen scheint er die Vorgangs weise als Prozeß i n zwei Schritten zu sehen: dem Sprung und der Rechtfertigung. Die Rechtfertigung w i r d durch Regeln (Transformationsregeln 8 ) bzw. durch Diskurse gegeben. Die Definition des Sprunges scheint m i r i n einigen Punkten problematisch. 8 I n der einen Bedeutung dieses Terminus, nicht i n der Bedeutung ,Regel für das Springen'. Uber die zwei verschiedenen Bedeutungen, i n denen A P den Terminus ,Transformationsreger gebraucht, w i r d später die Rede sein (S. 166 f.).

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Die Bedingung (1) fordert bloß, daß ρ (von einem Subjekt) als Grund angeführt wird. Man kann annehmen, daß Aufrichtigkeit vorausgesetzt wird, so daß offenbar ρ auch für eine Begründung von q gehalten w i r d . Sollte nicht auch vorausgesetzt werden, daß ,p' wahr ist? Bei näherer Betrachtung gelangen w i r ferner zu folgendem Problem: Was heißt es, daß dieses Subjekt ρ für den Grund von q hält? Welche Relation w i r d i n diesem Meinen des betreffenden Subjekts zwischen ρ und q vorausgesetzt? Wenn ein Subjekt meint, ,das Krähen des Hahnes 4 (Pi) sei der Grund für den Sonnenaufgang (gi), dann meint es, daß zwischen p i und qi eine gewisse Beziehung besteht, nämlich: daß eine kausalgesetzliche Beziehung zwischen dem Krähen-des-Hahnes-amMorgen und dem Sonnenaufgang besteht, und daß, wenn die Feststellung gilt, daß der Hahn eben gekräht hat (pi), die logische Folgerung aus dem Kausalgesetz und dieser Feststellung gilt, daß die Sonne aufgehen w i r d (gi). Sonst kann ich nicht verstehen, was das Subjekt gemeint haben mag, wenn es p i als Grund für gi angeführt hat. Es muß wenigstens erklärt werden, was dieses „als-Grund-Anführen" bedeutet; das heißt: wenn man die normologisch-deduktive Konzeption, die ich i n dem Beispiel m i t dem krähenden Hahn vorausgesetzt habe, nicht akzeptiert, muß man ein anderes Modell, ζ . B. einen schwächeren Begriff des Begründens, bestimmen, damit (1) einen klaren Sinn bekommt. Ob dies ohne Konflikt m i t der Definitionsbedingung (2) möglich ist, weiß ich nicht 9 . Ich kann mich auch m i t der Tatsache nicht ganz anfreunden, daß die Definition des Sprung-Begriffes subjektivistisch formuliert ist; diese Einstellung w i r d dann i n der Analyse des Notwendigkeitsbegriffes fortgesetzt, die das Meinen einiger bzw. aller als differenzierendes Merkmal heranzieht (16 ff./139 ff.). Meines Erachtens sollten w i r i n der Erkenntnistheorie erklären, was gute Gründe sind, nicht bloß davon sprechen, daß etwas von manchen oder allen als gute Gründe angesehen wird. Wenn man den aktiven und konstruktiven Charakter unseres Erkennens als grundlegend ansieht — und diese Auffassung ist von den Sinnesdaten 10 über die Wahrnehmung, dem Alltagsdenken und bis zum » Faßt m a n den G r u n d als normologisch-deduktive Begründung ( H - O Schema) auf, dann ist der K o n f l i k t w o h l unvermeidlich. 10 Bezüglich der A k t i v i t ä t der Sinne vgl. K. D. Roeder, Spontaneous A c t i v i t y and Behavior, i n : The Scientific M o n t h l y 80, 1955, S. 362 - 370. Die W a h r nehmung, d . h . die i n unserem Bewußtsein auftretenden Informationen aufgrund v o n Sinneserfahrung sind Ergebnisse aktiver Informationsverarbeitungsprozesse, v o n sogenannten ratiomorphen Transformationen. Dies belegt einerseits die Gestaltwahrnehmung u n d andererseits die Konstanzmechanismen des Wahrnehmens. Vgl. neben der breiten psychologischen L i t e r a t u r über Gestaltwahrnehmungen auch K. Lorenz, Vergleichende Verhaltensfor-

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Aufbau der verschiedenen Systeme der Wissenschaften wohl belegt —, dann w i r d das aufbauende Element bei der Herausbildung von Systemen der Erkenntnis verständlich. Die Systemkonstruktion kann natürlich keine Deduktion sein. Das Unterstreichen des nicht-deduktiven Charakters unseres konstruktiven Denkens kommt auch i n der Erkenntnistheorie der Sprünge zum Ausdruck. ,Sprung' und noch mehr der Ausdruck »Transformation* suggerieren aber die Vorstellung, daß die Erkenntnis durch eigenartige Operationen sozusagen von unten hinauf vor sich gehe. Die konstruktive Auffassung der Erkenntnis meint, daß unsere Erkenntnis immer wieder durch Begriffs- und Systemkonstruktionen (bzw. Rekonstruktionen) auf das Erfassen und Erklären des Erfahrungsfeldes hinstrebt. Dieses konstruktive Vorgehen ist keine Umgestaltung von vorangehendem Material durch spezifische Operationen nicht-deduktiven Charakters (Sprünge), sondern begriffliche sowie erfinderische Schöpfung von Gedankengebäuden. I m Bereich der empirisch-hypothetischen Forschung spricht Popper von »conjectures' 1 1 . Es besteht also eine gewisse Verwandtschaft zwischen APs Auffassung (und der Koautoren) und meiner aktiv-konstruktivistischen Konzeption der Erkenntnis, daneben gibt es aber auch wesentliche Unterschiede, die sich auch i n der Konzeption der Rechtfertigung von Sprüngen zeigt. Vorerst eine terminologische Anmerkung. Die Autoren A P / R A 1 2 sprechen i n zweierlei Bedeutung von Transformationsregelri: (i) Transformationsregeln sind Regeln für das Springen, (ii) eine Transformationsregel ist eine Regel, aus der zusammen m i t ρ q logisch folgt. (i) „Regeln für das Springen" kann wohl kaum etwas anderes bedeuten als methodologische Anleitungen, wann, wie und wohin richtig gesprungen werden kann (oder soll). Es sind also Regeln für die Vorgangsweisen i m context of discovery: (ii) ist aber eine Rechtfertigungsregel, denn i n der Bedeutung (ii) hat die Transformationsregel die Rolle einer deduktiven Rechtfertigung von q. Das heißt, daß der Sprung i n eine deduktive Begründung verwandelt wird. Es ist m i r nicht klar, ob A P und RA diesen Weg als den Idealweg der Rechtfertigung ansehen. (Dann wären Sprünge nur Interimsstadien, gegebenenfalls schung. Grundlagen der Ethologie, Wien, New Y o r k 1978, S. 34 ff. u n d Ch. Weinberger, Evolutionäre Verhaltens- u n d Erkenntnistheorie. Eine wissenschaftstheoretische Untersuchung, Wien, New Y o r k 1983. u K. R. Popper, Conjectures and Refutations. The G r o w t h of Scientific Knowledge, London 1969« (19631). ι 2 Der Abschnitt über die Transformationsregeln ist offenbar v o n R A u n d A P gemeinsam geschrieben worden. Vgl. Grundlagen, F N 14 (14/138).

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Schwachstellen der Wissenschaft.) Sie kennen offenbar noch andere Rechtfertigungsweisen, insbesondere die Rechtfertigung durch Diskurse. Sie bleiben bei der Sprungtheorie aufgrund der These, daß nicht alle Transformationen mittels Transformationsregeln i n deduktive Begründungsketten aufgelöst werden können, und w e i l Transformationen „ i n vielen Fällen nicht durch Transformationsregeln gelenkt, sondern (...) gegenüber den Transformationsregeln frei (sind)" (15/139). Wenn man anstelle der Sprungtheorie die konstruktivistische Auffassung vertritt, stellt sich die Frage der Prüfung anders: nicht als Aufgabe, eine wohl begründete Regel zu finden, dergemäß q durch ρ deduktiv begründbar w i r d (man sucht also ζ . B. nicht Regeln zu finden, die aus Sinnesdaten physikalische Theorien logisch abzuleiten erlauben würden), sondern belegt die Angemessenheit des Systems durch seine Eignung, die gestellte Aufgabe zu erfüllen (bei der physikalischen Theorie: m i t dem Erfahrungsmaterial trotz strenger Prüfung i n Übereinstimmung zu sein). A P und RA deuten i m Sinne Toulmins Transformationsregeln als eine spezielle A r t von Folgerungsregeln — F N 15 (15/138 f.); meines Erachtens eine sehr unzweckmäßige Auffassung. Der i n der Logik übliche Begriff der Folgerungsregel als Regel m i t universeller Gültigkeit („für jede mögliche Welt") müßte nämlich aufgegeben und durch einen anderen Begriff der Folgerung ersetzt werden. Die Transformationsregel ist offenbar ein Satz, der die Form einer nomischen Aussage hat (er ist ein genereller Bedingungssatz). I n FN 15 werden die Form ,p q' und generalisiert die Form ,(λγ) (wie px -» wie qxY angeführt 1 3 . Aufgrund solcher Formeln gelangt man zu einer Begründung von q nur dann, wenn man logische Folgerungsregeln hinzuzieht (Abtrennungsregel, Individualisierungsregel). Die Autoren sagen selbst, „daß eine Folgerungsregel durch eine ihr entsprechende Prämisse ersetzt werden kann". (15/138 f.) Wenn man von der zur Begründung erforderlichen nomischen Prämisse sprechen würde und nicht versuchen würde, andere als logische Folgerungsregeln einzuführen, dann wäre klar: (i) die der Begründung zugrunde liegenden Operationen sind logische (deduktive) Operationen, die durch logische Regeln bestimmbar sind, (ii) diese Begründung steht und fällt m i t der Begründung der nomischen Prämisse. Die verwirrende Vermengung von substantiellen Argumenten (dies sind meines Erachtens: die nomischen Prämissen) mit Folgerungsregeln ist vermeidbar. Eine Rechtfertigung mittels ad-hoc- bzw. Minimalregeln (wie AP/RA dies meinen) ist eine Pseudobegründung, zu der man 13 Diese Formeln sind eigentlich Satzschemata, aber keine Regeln. Regeln sind nämlich Metasätze über zulässige Operationen.

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gelangt, wenn man statt der Suche nach einer überzeugenden Begründung der nomisch-generellen Prämisse, den Sprung von ρ zu q (pl q) durch die w i l l k ü r l i c h festgesetzte Regel q (genauer: Wenn ,p', dann ist begründbar) begründet. Wenn man klarstellt, daß eine substantielle nomische Prämisse herangezogen werden muß, dann w i r d man auf solchen Unfug, wie Begründung durch ad-hoc-Transformationsregeln gar nicht kommen. Wenn man meint, die Rechtfertigung von q (einer These oder einer Theorie) sei einfach durch Angabe einer Transformationsregel aufgrund vorgehender Erkenntnisse (p) zu bewerkstelligen, verschleiert man das Wesentliche der Schöpfung und Begründung von neuen Erkenntnissen und Theorien: nämlich die Tatsache, daß sie erfunden werden, indem man neue Betrachtungsweisen und Beweis- bzw. Begründungsmethoden ersinnt. Die Überlegungen über Propositionen (Sätze) a priori, Analyzität und Notwendigkeit stehen nur i n losem Zusammenhang m i t der sprungtheoretischen Jurisprudenz — außer der Einschränkung, daß Sprünge nur dann vorliegen, wenn q aus ρ nicht analytisch folgt. Ich beschränke mich daher auf einige kurze Anmerkungen. (i) Man sollte meines Erachtens die drei Problemkreise: Sätze a priori, Analyzität und Notwendigkeit, nicht zu einem Problem verschmelzen lassen. Sätze a priori sind zwar notwendig wahr, aber nicht jede Notwendigkeit ist apriorisch. Die bekannten erkenntnistheoretischen Probleme— insbesondere Kants Frage „Gibt es synthetische Sätze a priori?" und die Frage der Phänomenologen „Gibt es ein materielles Apriori?" — können nicht i n klarer Weise untersucht werden, wenn man die drei Probleme nicht gesondert analysiert. Wenn man den Begriff der Notwendigkeit an den Begriff der Analyzität bindet, verliert man die Möglichkeit, die meines Erachtens wichtigsten A r t e n der Notwendigkeit zu unterscheiden (logische, bedeutungsabhängige und empirisch begründete Notwendigkeit). (ii) Die als analytisch geltenden Relationen i n der Sprache sind oft erfahrungsabhängig oder abhängig von Festsetzungen: „Wenn diese Fläche rot ist, dann ist sie nicht blau." Die analytische Wahrheit dieses Satzes beruht auf Bedeutungspostulaten über unser Farbsehen, nämlich auf dem Grundsatz, daß w i r jede Raumstelle immer nur i n einer Farbe sehen (physikalisch betrachtet, als Wellenlänge des von einer Stelle reflektierten Lichts, gilt das nicht). Diese Analyzität hat also eine empirische Basis, die zur sprachlichen Festsetzung gemacht wird. Temperaturangaben setzen die Definition einer Skala und die Bestimmung von Fixpunkten der Skala voraus. Wenn w i r das Celsius-System ver-

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wenden, ist der Satz,Wasser siedet bei 100° C' analytisch (ex definitione) wahr. Als analytischer Satz charakterisiert er eine Sprachkonvention. Derselbe Satz ist aber gleichzeitig auch eine Tatsachenbeschreibung. (iii) APs Unterscheidung von drei Arten der Notwendigkeit (17/140) halte ich für problematisch: der Unterschied zwischen Notwendigkeit! und Notwendigkeit2 erscheint m i r unwichtig; es läßt sich kaum unterscheiden, was i n der normalen Sprache an und für sich analytisch ist, und was stipulativ eingeführt wurde (wohin gehört ζ . B. »Wasser siedet bei 100° C'?). Notwendigkeita ist ein problematischer Begriff. Ein Satz ist notwendig3, wenn er von manchen Sprachbenutzern als analytisch und von anderen als nicht-analytisch angesehen wird. Wenn man APs These „Was analytisch ist, ist analytisch für jeden, der die Sprache spricht" (16/140) ernst nimmt, sprechen die beiden Gruppen von Sprachbenutzern verschiedene Sprachen. Wenigstens muß angenommen werden, wenn man diese Konsequenz nicht ziehen w i l l , daß der betreffende Satz (noch) nicht zum analytischen Fundus der Sprache gehört. (iv) Die Erkenntnis, ob ein Satz i n einer Sprache analytisch ist, hängt oft von einer (tiefengrammatikalischen) Analyse ab. Dabei stehen zu bleiben, daß die einen i h n für analytisch, die anderen für nicht-analytisch halten, ist ein sehr unzweckmäßiger Standpunkt, der die Wissenschaft nicht fördert. Dies zeigt APs Beispiel sehr klar. Die Behauptung mancher Theoretiker, daß der Satz „Das Recht soll befolgt werden" analytisch wahr sei, und die Ablehnung dieser Meinung durch andere, ist eine Folge ungenügender Analyse dieser These, aber kein Beleg für die Existenz einer Notwendigkeit3 (man könnte Notwendigkeita als schwankende oder umstrittene Notwendigkeit bezeichnen). Vom Standpunkt des betreffenden Rechtssystems aus gesehen ist die These leer und überhaupt eine schlecht formulierte Behauptung: Da das Recht Sollen vorschreibt, fordert es ex definitione befolgt zu werden, denn, wer Sollen setzt, tut nichts anderes, als zu fordern, daß der Sollinhalt befolgt werde. W i r d der Satz aber als Forderung eines anderen Systems (ζ. B. vom Standpunkt der Moral) als richtige Einstellung zur Rechtsordnung verstanden, dann ist er sicherlich nicht-analytisch. (Es gilt gegebenenfalls sogar, daß die moralische Pflicht besteht, Recht nicht zu befolgen, insbesondere wenn es inhuman, sozusagen: entartetes Recht, ist.) Die Autoren unterscheiden zwei A r t e n von Sprüngen, die für den Bereich des Rechts relevant sind: die Transformationen ins Recht und die Transformationen innerhalb des Rechts.

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2. Die Sprünge ins Recht APs Lehre von den Transformationen ins Recht geht von der Vorstellung aus, daß man von außerrechtlichen Tatsachen (darunter versteht er offenbar gewisse beobachtbare soziale Phänomene, außerrechtliche Normen oder/und Werte) durch einen Sprung — und nur so — i n das Reich des Rechts gelangt (18 f./142). Wenn man einen Sprung ins Recht als eine Beschreibung einer Gedankenführung i m Entdeckungszusammenhang versteht, bleibt ungeklärt, wie ein solcher Sprung ins „Reich des Rechts" führen kann. Es ist zwar richtig, daß Recht nicht durch reine Beobachtung von Vorgängen i n der Welt (inklusive Gesellschaft) erkannt werden kann. Dasselbe gilt wohl auch von außer rechtlichen Normen und Werten, denn Normen und Werte können immer nur verstanden, niemals aber beobachtet werden. Der Weg zur rechtstheoretischen Erkenntnis w i r d durch die Bezeichnung als Sprung nur sehr ungenügend charakterisiert. Von den Tatsachenfeststellungen und außerrechtlichen Norm-Konstatierungen führt kein gedanklicher Weg zum Recht, zur Erkenntnis des Daseins von Recht. Für das Erfassen des Rechts, sozusagen: als Eintrittskarte i n den Bereich des Rechts, ist eine spezifische Begriffsapparatur erforderlich, die konstruktiv erstellt, aber nicht aus außerrechtlichen Tatsachen gewonnen werden kann. Die Grundlage, auf der man zum Begriff des Rechts und i n den Bereich der Rechtswesensbegriffe (um einen Terminus von Kelsen zu verwenden) sowie zur Aufgabe, eine Rechtsordnung verstehend zu erfassen, gelangt, sind Befunde über unser Leben, das Verhalten der Menschen, das Funktionieren verschiedener gesellschaftlicher Einrichtungen u. ä. Nicht die außerrechtlichen Tatsachen führen zum Recht, sondern die eigenartige Struktur des menschlichen und zwischenmenschlichen Verhaltens, die unerklärlich bleibt, solange w i r nicht Recht (und andere gesellschaftliche Regulative) als real-daseiende Idealentitäten i n Rechnung ziehen 14 . Nur weil w i r die Realität des Menschen als eines handelnden Wesens und die zwischenmenschlichen Beziehungen als normativ geregelt erleben und das menschliche Verhalten nur als Konsequenzen der Existenz normativer Regulative erfassen können, gelangen w i r zur Konstruktion des Begriffes »Recht4. Bildlich gesprochen: die Eintrittskarte zum Bereich des Rechts w i r d nicht i m Feld des Außer14 Vgl. D. N. MacCormick, L a w as I n s t i t u t i o n a l Fact, Inaugural Lecture, University of Edinburgh 1973, ders., On A n a l y t i c a l Jurisprudence, ARSP, Supplementa Vol. I, Part 1, S. 2 9 - 4 1 ; O. Weinberger , Die N o r m als Gedanke u n d Realität, ÖZÖR 1970, S. 203 - 216, ders., Z u r Idee eines i n s t i t u t i o nalistischen Rechtspositivismus. Gleichzeitig eine Auseinandersetzung m i t Hans Kelsens Setzungspositivismus, in: Kelsen et le positivisme juridique, Revue International de Philosophie, 35 (1981), Bd. 4, S. 487 - 507.

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rechtlichen erworben, sondern aus dem Feld der sozialen Realität, i n der diese normativen Informationsstrukturen schon enthalten sind, verstehend und konstruktiv „extrahiert". Wenn man den Sprung ins Recht aus der Perspektive der Rechtfertigung des Rechts, der Rechtserkenntnis und der Begründung unseres Urteils über das Dasein des Rechts betrachtet, dann sind außerrechtliche Tatsachen, moralische und andere außerrechtliche Werte und Normen zwar Umstände, die m i t dem Recht zusammenhängen, sozusagen den Faktenkontext des Rechts bilden, diese außerrechtlichen Tatsachen selbst sind aber keine Rechtfertigung des Rechts und der Rechtserkenntnis. Man muß i m Gegenteil einsehen, daß zwischen Verhalten, gesellschaftlicher Ordnung als einer beobachtbaren Struktur der gesellschaftlichen Institutionen und einem System handlungsabhängiger Tatsachen auf der einen Seite und dem Recht als praktischer (handlungsbezogener) Information auf der anderen Seite ein innerer, ein Wesenszusammenhang besteht. Das Recht und die Konstatierung der Existenz des Rechts können nicht durch Hinweis auf Außerrechtliches allein begründet werden. Rechtfertigende Gründe der Rechtserkenntnis sind also nicht außerrechtliche Tatsachen, sondern die tatsächlichen W i r k beziehungen zwischen der brute-fact-Seite institutioneller Tatsachen und ihrer sinnhaften normativen Seite. Es ist auch denkbar, den Sprung ins Recht ontologisch zu betrachten: von außerrechtlichen Entitäten kommt man nach A P durch diesen Sprung zur Entität Recht. Ist es w i r k l i c h so? Man muß i n dieser Sicht die Frage nach den Seinsschichten stellen; Daseiendes sind dann nicht nur direkt beobachtbare Gegenstände u n d Sachverhalte, die durch Eigenschaften bzw. Relationen von Gegenständen dieser A r t gebildet sind (brute facts), sondern auch Informationen 1 5 , und insbesondere i n stitutionell daseiende Normen als Informationen, die den semantischen Charakter von praktischen Sätzen haben. Die ontischen Differenzierungen „rohe Tatsachen — institutionelle Tatsachen" u n d „Seinsinformation — Norminformation" betreffen aber gleichermaßen die Ausgangsbasis des Sprunges wie dessen Ergebnis, d.h. der Sprung kann nicht darin bestehen, daß von rohen zu institutionellen Tatsachen (bzw. von Seins- zu Norminformationen) gesprungen werden würde, denn diese Differenzierungen bestehen auch gemäß der Lehre von A P auf beiden Seiten der Transformation. Ich b i n der Meinung — offenbar i m Gegensatz zu A P —, daß i n den Fakten des gesellschaftlichen Seins, d.h. i n der institutionellen W i r k Vgl. die Schichtenontologie v o n N. H a r t m a n n u n d Poppers Lehre v o n den drei Welten. Vgl. K. R. Popper, Three Worlds, The Tanner Lectures on H u m a n Values, in: Sterling M. M c M u r r i n (Hrsg.), Cambridge 1980, S. 143 - 167; N. Hartmann, Der A u f b a u der realen Welt, B e r l i n 1964.

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lichkeit, rechtsnormative Informationen direkt verankert sind und nicht erst durch Sprünge aus außerrechtlichen Elementen gewonnen werden. Wenn ich das Verhalten der Menschen beobachte, ζ . B. daß Ν vom Kaufmann Κ eine Semmel gekauft hat, dann stelle ich nicht eine rohe Tatsache fest, daß Ν eine Semmel vom Kaufmann übernommen und i h m eine Münze (richtig: ein rundes Metallstück, denn eine Münze ist dieses nur aufgrund institutioneller (rechtlicher) Beziehungen) überreicht hat, und füge eine moralische Wertung (etwa „dies war nicht unsittlich") hinzu, und transformiere diese Feststellungen i n die Rechtssphäre, sondern der Kaufvorgang w i r d als Verhalten i m rechtlichen Rahmen gedeutet, d.h. das Recht ist integrierender Bestandteil des Vorgangs, und nur so kann der Vorgang erklärt werden. Handeln ist als Komplex roher Tatsachen nicht erklärbar, es ist informationsabhängig, und meist ist die Explanation abhängig von institutionalisierten normativen Regulativen. Analoges gilt für jede Situation, wo Rechtsnormen als gültiges Recht erfaßt werden: die Erkenntnis, es besteht Recht (eine Rechtsordnung), kann nicht durch bloß außerrechtliche Feststellungen gewonnen und begründet werden, sondern nur dadurch, daß rechtliches Sollen als Bestandteil der institutionellen Realität selbst verstanden wird. 2.1. Der Begriff

geltendes Recht'

Die i n den Grundlagen vertretene Theorie der Rechtsgeltung ist nicht ganz einfach. Der Begriff »geltendes Recht4 w i r d nicht ausdrücklich definiert, sondern es w i r d bloß gesagt, daß der Begriff i n der Weise verwendet wird, daß die Existenz von Kriterien für die Geltung von Recht vorausgesetzt wird. A P führt zwei Transformationen ins Recht ein: die Kategorien-Transformation und die Kriterien-Transformation, die er aber nur als zwei Seiten einer einzigen Transformation ansieht. Ersterer entspricht die Soll-Formulierung, letzterer die Quellen-Formulierung der Grundnorm. Es w i r d ferner die Frage diskutiert, ob die These „ N ist geltendes Recht" voraussetzt (besser: impliziert), daß Ν befolgt werden soll, ohne daß der Autor zu dieser Frage eine klare Stellung einnehmen würde. Der Autor stellt ferner — leider wieder ohne hinreichende Analyse der methodologischen Probleme und ohne eindeutige Stellungnahme zu der Auffassung selbst — die positivistischen und die naturrechtlichen Konzeptionen einander gegenüber, wobei er diese dadurch charakterisiert, daß sie einen Anspruch auf Rechtfertigungsfähigkeit des rechtlichen Sollens voraussetzen (20/143).

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Ein gewisses Problem, wie APs Lehre gedeutet werden soll, entsteht auch dadurch, daß der Autor einerseits von einer Quellen-Formulierung der Grundnorm (Kriterien-Transformation), andererseits von einer Rechtsquellen-Transformation innerhalb des Rechts spricht, und hierbei den Begriff der Rechtsquelle als das definiert, was bei der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen verwendet werden muß, soll oder darf (29/150). (Siehe unten Abschnitt 2.3.) 2.2. Die Grundnorm als Transformationsregel Die Grundnormtheorie von A P muß unabhängig von der Lehre Kelsens untersucht werden, denn sie ist wesentlich anders konzipiert, wenn auch offenbar einige übereinstimmende Tendenzen auffallen: Sowohl bei Kelsen wie bei A P soll durch die Grundnorm der Zugang zur Rechtsbetrachtung eröffnet werden u n d das rechtliche Sollen von Befehlen eines Mafiabosses unterschieden werden. Bei beiden Autoren w i r d e i n — u n d zwar indirekter—Zusammenhang zwischen der Sphäre des Tatsächlichen und dem rechtlichen Sollen konstituiert, bei Kelsen durch den Begriff der Wirksamkeit der durch die Grundnorm bestimmten Rechtsordnung, bei A P sind Tatsachen (plus außerrechtlichen Normen und Werten) die Basis des Sprunges ins Recht. Einen fundamentalen Zug der klassischen Grundnormtheorie der Wiener — und noch nachdrücklicher der Brünner — Schule der Reinen Rechtslehre hat A P aufgegeben, nämlich die Rolle der Grundnorm als Schöpfer der Einheit der Rechtsordnung 16 . Dem Postulat der rationalen Einheit (bzw. des Zusammenschlusses zu einer solchen Einheit) scheint AP wenig Bedeutung zuzuschreiben. Die beiden der Grundnorm entsprechenden Transformationen bezieht AP auf die Verfassung „und möglicherweise einige andere Rechtsquellen", jedenfalls aber auf die Rechtsordnung als Ganzes; Rechtsquellen niederen Ranges und die Geltung von Entscheidungen werden durch Transformationen innerhalb des Rechts begründet (27/149). B e d e n k l i c h scheint m i r z u sein, i n e i n u n d d e m s e l b e n Rechtssystem e v e n t u e l l — w e n n d i e N o r m e n h i e r a r c h i e n i c h t v o l l k o m m e n ist — m e h r e r e G r u n d n o r m e n n e b e n e i n a n d e r zuzulassen. E i n e solche O r d n u n g w ä r e als e i n S y s t e m r a t i o n a l n i c h t e r f a ß b a r . Es m u ß d a h e r m e i n e s E r achtens gerade die A u f g a b e der k o n k r e t e n D e f i n i t i o n d e r G r u n d n o r m f ü r ein z u erfassendes Rechtssystem sein, d i e g r u n d l e g e n d e Rechtsie Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auflage, W i e n 1960, S. 197, 317 et passim; F. Weyr f Die Souveränität der Rechtsordnung, in: Kubes/Weinberger (Hrsg.), Die Brünner rechtstheoretische Schule (Normative Theorie), W i e n 1980, S. 60 ff.; H. L. A . Hart, Der Begriff des Rechts, F r a n k f u r t / M a i n 1973, S. 150 f.

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quellenvereinheitlichung durchzuführen. Die klassischen analytischen Rechtstheorien, die Kelsensche Grundnormtheorie ebenso wie die Hartsehe Theorie der rule of recognition, setzen voraus, daß das Rechtssystem jeweils durch eine und nur eine Grundnorm (bzw. oberste Erkennungsregel) konstituiert wird. Ohne normative Ordnung zwischen mehreren „Grundnormen" (im APschen Sinne) kommt keine rational einheitliche Rechtsordnung zustande. Die Soll-Formulierung der Grundnorm (Kategorien-Transformation) legt A P i n zwei Konzeptionen vor: „1. Eine rechtspositivistische Formulierung: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F n, existiert, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden. 2. Eine naturrechtliche Formulierung: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, Fi, . . . , F w , existiert, und wenn bestimmte evaluative und/oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden." (21/143 f.) Der Unterschied besteht also genau darin, daß der Naturrechtler das Befolgt-werden-Sollen auch von evaluativen und außerrechtlichen normativen Bedingungen abhängig macht. Die Tatsachen Ei, . . . , E n charakterisiert A P i m wesentlichen als Effektivität. Es scheint mir, daß er hier die Effektivität primär auf den Staatsapparat und den Rechtsstab bezieht. Meines Erachtens jedoch lebt das Recht gleichermaßen i n der ganzen Gesellschaft. A P scheint — wenn auch nicht i n klarer Weise — zur naturrechtlichen Formulierung zu tendieren (Argument: „Die letzte Formulierung scheint einem wichtigen Teil der normalen Sprache der Juristen wie der Laien recht nahe zu kommen"), wobei er eine offene Liste von Werten voraussetzt, i n der einige Werte nur vage angedeutet seien, für andere bloß ein Platz freigehalten werde (21/144). Die Werte seien oft überwiegend negativ: die „Nicht-Verletzung von Leben, Freiheit, Eigentum usw.". Die Aufnahme von Wertkriterien als Bedingungen für den Sprung ins Recht hat zur Folge, daß nur das, was diese Kriterien erfüllt, überhaupt Recht ist; was diese Werte (bzw. außerrechtlichen Normen) verletzt, w i r d gar nicht zum Bestandteil der Rechtsordnung. Einer offenen und so vage bestimmten Klasse von Kriterien diese entscheidende Filterrolle zuzusprechen, macht das geltende Recht zu einer nur sehr vage bestimmten Entität. Auch eine sehr restriktive Bestimmung der recht ausschließ enden Werte oder die Beschränkung auf einige wenige

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negative Kriterien (sie sind i n der Tat oft i n t u i t i v überzeugender) h i l f t hier kaum. Auch solche scheinbar plausiblen Wertkriterien, die die Autoren RA und A P anführen: „Die Nicht-Verletzung von Leben, Freiheit, Eigentum" (21/144), sind als Filter möglichen Rechts offenbar ungeeignet: Todesstrafe könnte gar nicht rechtlich festgelegt werden 1 7 . Normen, die Kriegsdienst — der doch meist auch Lebens-Verletzungen des Feindes fordert — festsetzen, wäre der Rechtscharakter abgesprochen. Freiheit existiert nur zusammen m i t Einschränkungen von Freiheiten anderer, und zwar auch nach liberalistischer Konzeption; die Grenzziehung der Freiheit wäre ebenso wenig Recht wie der Freiheitsentzug als Strafmaßnahme. Sozialreformen, die i n gewisser Weise iura quaesita beschränken, wären als Nicht-Recht disqualifiziert. Wenn man Wertkriterien als Filter heranzieht, stellt sich notwendigerweise die Frage, wer berufen ist, sie festzulegen. Sind sie objektive Gegebenheiten? Sind sie objektiv feststellbare (erkennbare) Momente? Sind es die praktischen Einstellungen, die von einer Religionsquelle festgesetzt sind, die Einstellungen eines besonders qualifizierten Rechtsgelehrten, die herrschende Meinung i n der Forschergemeinschaft oder irgendein anderes angebbares System von Werten und Normen? Ich sehe keine Möglichkeit, überzeugende, genügend klare und unstrittige Kriterien anzugeben, denen man eine solche entscheidende Rolle zusprechen könnte. Wenn w i r der W i l l k ü r nicht Tür und Tor öffnen wollen, kann eine Für-Ungültig-Erklärung von formal gültig erzeugtem Recht aufgrund von Werterwägungen, die noch dazu als offen und vage anzusehen sind, nicht akzeptiert werden. A P formuliert die Grundnorm als Folgerungsregel, die noch durch stützende Gründe gerechtfertigt wird. Wenn man die Grundnorm als Folgerungsregel betrachtet, dann bedeutet hier der Terminus »Folgerungsreger offenbar etwas ganz anderes als eine Regel des logischen Folgerns. Dieser Terminus hat hier den Sinn eines gedanklichen Schrittes, der dem Sprung ins Recht entspricht. A P bezeichnet die Grundnorm auch als Transformationsregel, doch meint er sicher nicht, daß aus den Tatsachen (inklusive außerrechtlichen Werten und Normen) und den stützenden Gründen logisch (deduktiv) folge, daß die Verfassung vom Standpunkt des Rechts befolgt werden soll. (Nach der einen Bedeutung des Terminus ,Transformationsreger müßte dies aber der Fall sein.) Was wirklich gemeint ist, scheint m i r folgendes zu sein: 17 Auch ein entschiedener Gegner der Todesstrafe w i r d w o h l nicht leugnen, daß i n gewissen Rechtsordnungen Rechtsnormen gelten, die unter gewissen BedingungenTodesstrafe androhen; sonst wäre j a sein K a m p f gegen die Todesstrafe gegenstandslos.

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(a) Zur Feststellung der Geltung der Verfassung (und somit der Rechtsordnung), also des Befolgt-werden-Sollens des durch die Verfassung konstituierten rechtlichen Normensystems, ist erforderlich, daß die Existenz gewisser sozialer Tatsachen nachgewiesen ist. (b) Die Geltung der Verfassung (Rechtsordnung) w i r d von vielen Forschern davon abhängig gemacht, daß sie m i t außerrechtlichen normativen Regulativen und Wertvorstellungen der Gesellschaft i n Einklang steht. (c) A l l diese festgestellten Bedingungen der Geltung der Verfassung begründen zwar den Schluß, daß die Verfassung gilt (befolgt werden soll), aber nicht i n logisch schlüssiger (deduktiver) Weise, sondern als Sprung. (d) Dieser Sprung w i r d nicht nur als nicht-schlüssiger — aber dennoch wissenschaftlich begründeter — Schritt angesehen, sondern er w i r d auch als Schritt von der außerrechtlichen Welt i n die ontische Sphäre des Rechts betrachtet. Den ontologischen „Sprung" i m Sinne von (d), bzw. die Gedankenkette, die diesem ontologischen Übergang von einer außerrechtlichen Sphäre i n die Rechtssphäre entspricht, halte ich für höchst problematisch. (i) Wenn man von der positivistischen Formulierung ausgeht, steht die Begründung von rechtlichem Sollen bloß aus sozialen Tatsachen ohne Wert- oder Soll-Prämissen i m Widerspruch zu der non-kognitivistischen Position. Wenn man noch außerrechtliche Werte oder Normen als Argumente hinzuzieht, geht die Trennung außer rechtlicher Normensysteme und Werte vom System des Rechts verloren. (ii) Meines Erachtens ist das Recht als gesellschaftlich daseiendes Normensystem wesenhaft m i t rechtlichen Tatsachen, dem Rechtsleben und seinen Institutionen, verbunden. Es existieren Rechtsgeschäfte, Ehen, Vereine, Aktiengesellschaften usw., es existieren Richter und andere Staatsorgane. Sie werden nicht hergeleitet durch einen Sprung, der von rohen Tatsachen (direkt beobachtbaren Vorgängen) zur Erkenntnis des Rechts als einer neuen Seinssphäre gelangen würde, sondern der Mensch als handelndes und i n Gemeinschaften lebendes Wesen konstituiert eine institutionelle Seinssphäre, die als solche erfaßt und verstanden wird, i n der das Recht als spezifische Realentität mit normativem Sinn verankert ist. (iii) Wenn man die institutionalistische Rechtsontologie — wie sie unter (ii) kurz charakterisiert wurde — akzeptiert, dann gibt es keinen Sprung ins Recht, sondern bloß die Feststellung, daß das Recht als in-

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stitutionelle Tatsache existiert. Diese Erkenntnis kann analytisch gegliedert werden i n Aspekte der institutionellen Verankerung: a) Mit dem Recht korrelieren rohe Tatsachen — deren Sinn und Funktion aber durch das normative Regulativ des Rechts bestimmt sind. β) M i t dem Recht hängen Bewußtseins- und Erwartungstatsachen bei den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft zusammen. γ) Die Verhaltensweisen und Handlungen der Menschen wären ohne Beziehung zum Recht und seinen Institutionen ohne Ordnung und unverstehbar. ô) I n dieser Sicht muß auch auf die Zusammenhänge zwischen Recht und anderen Normensystemen hingewiesen werden, denn moralische, religiöse und andere Wertungen beeinflussen den Inhalt des Rechts, und es geht i n der Gesellschaft eine Auseinandersetzung über den Inhalt des Rechts vor sich, die als Tatsache des sozialen Umfeldes des Rechts zweifellos m i t dem institutionellen Dasein des Rechts verbunden ist. Außerrechtliche Normen und Werte sind aber keine Kriterien der Geltung der Rechtsnormen, sondern i n der Gesellschaft bestehende Momente, die die Gestaltung des rechtlichen Sollens beeinflussen. Als vollständige Formulierung der Grundnorm führt A P an: „ A u f der Grundlage der stützenden Gründe, U i , . . . , U m, ist die folgende Regel gültig: Wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, F i , . . . , F n, existiert, und wenn einige evaluative und/oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann soll die Verfassung vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden." (23/145 f.) 1 8 Unklar — und kaum begründbar — erscheint m i r die Unterscheidung von stützenden Gründen und anderen Bedingungen (Tatsachen, außerrechtlichen Werten, Normen) i n der Formulierung der Grundnorm. Was könnten die stützenden Gründe anderes sein als Tatsachen, Werte oder Normen? Warum werden stützende Gründe von anderen Voraussetzungen des Sprunges ins Recht abgetrennt? Ferner ist m i r nicht ganz klar, welche Funktion die Wendung „vom Standpunkt des Rechts" hier hat. Die Verfassung w i r d als K e r n der Rechtsordnung aufgefaßt. Wenn sie gilt, so w i r d durch sie der Rechtsstandpunkt artikuliert, so daß es m i r überflüssig erscheint, die Wendung „vom Standpunkt des Rechts" hinzuzufügen. Meines Erachtens muß auch nicht gefolgert werden, daß die Verfassung befolgt werden soll, sondern es handelt sich darum, festzustellen, daß die betreffende Verfassung als Nukleus des Rechts eines gewissen Staates gilt; dann ist das rechtliche Befolgt-werden-Sollen der Verfas18

A P scheint also die naturrechtliche Konzeption zu akzeptieren.

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sung äquivalent mit der Behauptung, daß diese Verfassung gilt. Nur vom Standpunkt eines anderen Normensystems (ζ . B. vom Standpunkt des Völkerrechts, eines Moralsystems u. ä.) ist es sinnvoll, zu fragen, ob eine bestimmte Verfassung oder das durch sie konstituierte Rechtssystem befolgt werden soll. 2.3. Die Kriterien-Transformation A P betrachtet die Kriterien-Transformation als alternative Darstellungsweise des Sprunges ins Recht. Während die Grundnorm als Kategorien-Transformation das Befolgt-werden-Sollen des Rechts begründet, w i r d durch die Kriterien-Transformation der Quellencharakter der Rechtsnorm konstruiert. „Wenn die stützenden Gründe gegeben sind, und wenn eine Anzahl sozialer Tatsachen, F i , . . . , F n , existiert, und wenn einige evaluative und/oder normative Bedingungen, W, erfüllt sind, dann ist die Norm Ν eine Quelle des (geltenden) Rechts." (24/147) ,Eine Rechtsquelle-sein' betrachtet der Autor als Eigenschaft der Norm N, die genau dann vorliegt, wenn Ν aufgrund der Grundnorm vom Standpunkt des Rechts aus befolgt werden soll. Seine These, daß die Soll-Formulierung und die Quellen-Formulierung der Grundnorm zwei Seiten ein und derselben Sache seien, verstehe ich so, daß man nach Belieben von der das rechtliche Sollen bestimmenden — früher angeführten — Grundnormregel oder von einer Regel, die die Rechtsquellen identifiziert, ausgehen kann. Diese Dualität von Bestimmung als Rechtsquelle und Bestimmung als das, was befolgt werden soll, halte ich für überflüssig. Wenn man i n Rechnung zieht, daß A P daneben eine m. E. problematische Rechtsquellentheorie vertritt, kann die Formulierung der Grundnorm mittels des Quellen-Begriffes leicht zu Verwirrung führen. 2.4. Grundnorm und Quellentheorie A P trennt die Diskussion der Rechtsquelle der Verfassung von jener der untergeordneten Quellen ab. Jene handelt er als Transformation ins Recht ab, deren Ergebnis die Konstatierung der Existenz des Rechtssystems ist, diese rechnet er zu den Transformationen innerhalb des Rechts, durch die untergeordnete Rechtsquellen als gültiges Recht legitimiert werden. I n bezug auf untergeordnete Quellen sagt AP: „Verschiedene Rechtsordnungen sind, was das System ihrer Rechtsquellen betrifft, recht ähnlich. Es kann deshalb ein Modell des Systems der Rechtsquellen, das ganz universell auf moderne Rechtsordnungen anwendbar ist, erarbeitet werden. Es sagt, was bei der Rechtfertigung

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richterlicher Entscheidungen verwendet werden muß, soll und darf." (29/150) [Vgl. die etwas abweichende Auffassung von A A (76/438).] Meines Erachtens ist es nur dann sinnvoll von der Verfassung als der grundlegenden Rechtsquelle zu sprechen, die das Rechtssystem konstituiert, wenn sie die anderen Rechtsquellen — und deren normatives Verhältnis zueinander — bestimmt. Dann w i r d aber das System der — i n bezug auf die Verfassung als oberster Quelle (oder oberster rule of recognition) — sekundären Quellen nicht durch die i n der Entscheidungspraxis verwendbaren Rechtfertigungsargumente, sondern durch die Verfassung bestimmt. Die Verfassung — sei sie geschriebenes oder Gewohnheitsrecht — ist als die umfassende normative Klammer des Rechtssystems anzusehen. Sie ist so zu konzipieren, daß das gesamte Rechtsquellensystem eine Einheit bildet. Ich halte es nicht für zweckmäßig, die Lehre von den Rechtsquellen innerhalb des Rechtssystems von der Verfassung als Rechtsquelle abzuschneiden, denn die Rechtsquellen des Rechts — ihnen entspricht bei A P die Rechtsquellen-Transformation (vgl. unten Abschnitt 3.1)—hängt von der Verfassung ab, die die untergeordneten Rechtsquellen bestimmt. Dies entspricht jedenfalls der Stammbaumkonzeption des Rechts, die wohl auch A P akzeptiert. Die Ausgliederung der Betrachtung der untergeordneten Rechtsquellen aus dem Gesamtzusammenhang des Rechtssystems ermöglicht AP den Begriff der Rechtsquelle von ganz anderen Gesichtspunkten aus als vom Standpunkt der stammbaummäßigen Geltung zu betrachten. Dies führt meines Erachtens zu einem gewissen Bruch i n der integralen Rechtstheorie. 3. Die Transformationen innerhalb des Rechts I n etwas nebuloser Weise behauptet AP, es gäbe viele Arten von Sprüngen (Transformationen) innerhalb des Rechts, von denen er jedoch nur drei einer näheren Betrachtung unterzieht: die Rechtsquellen-, die Rechtsregel- und die Entscheidungs-Transformation. 3.1. Die Rechtsquellen-Transformation I m Geiste des Rechtsrealismus bestimmt A P die Rechtsquellen als das, was vom Richter (allgemeiner: vom Rechtsanwender) zur Begründung der Entscheidungen als Argument herangezogen wird, bzw. was als Argument verwendet werden muß, kann oder darf. Daß es eine gewisse juristische Tradition gibt, worauf Rechtsentscheidungen argumentativ gestützt werden, und daß die Rechtfertigung der 1*

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Entscheidung dieser Tradition gemäß gewisse Momente als Argumente enthalten muß, andere aber bloß nach Möglichkeit enthalten soll — oder je nach Umständen enthalten kann —, bleibe unbestritten. Bestreiten möchte ich aber, daß diese Tatsache als Basis einer Rechtsquellenlehre dienen kann. Nicht alles, was als Argument zur Begründung der Entscheidung auft r i t t , kann als Rechtsquelle gelten. Es ist unzweifelhaft, daß jede Begründung (Rechtfertigung) einer Rechtsentscheidung Tatsachenfeststellungen des Falles als Argumente enthalten muß. Diese Feststellungen— obwohl notwendiger Bestandteil jeder Entscheidungsbegründung — w i r d niemand als Rechtsquelle ansehen. Gewisse Elemente geltenden Rechts, welche implizit Bestandteile der Begründung—also für die Entscheidung relevante Rechtsquelle sind—, werden i n der Begründung gar nicht explizit angeführt. Die Verfassung m i t ihrer Ermächtigung zur Gesetzgebung ist — logisch gesehen — immer Bestandteil der Geltungsbegründung der Entscheidung, sie w i r d aber i n dieser Funktion nur selten i n der Begründung der Entscheidungen angeführt. Sie ist aber dennoch zweifellos (grundlegende) Rechtsquelle. Die als Gründe angeführten generellen Rechtsregeln (Gesetze, Verordnungen usw.; Präzedenzien, soweit deren rationes decidendi — sie sind eigentlich auch generelle Regeln bzw. allgemeine Rechtsprinzipien — als Rechtsquelle bindend sind) haben i n der Entscheidungsbegründung eine andere Rolle als die übrigen Elemente der Begründung. Manche Argumente betreffen die Interpretation von Normtexten, ζ. B. Gesetzgebungsmaterialien, Vorentscheidungen i n Rechtssystemen, die Präzedenzien nicht als bindende Rechtsquellen ansehen 19 , juristische Literatur u. a. Die i n der Literatur angeführten hermeneutischen Überlegungen, Wertungsdeliberationen, Erwägungen über Lückenausfüllung und begründete Ratschläge, wie i n Ermessenssituationen entschieden werden soll, können natürlich vom Richter übernommen werden. Die Jurisprudenz w i r k t kraft ihrer Argumente, teils auch als fachlich kompetente Autorität, nicht aber als Rechtsquelle, als autorisierte Rechtserzeugungsinstanz. I m römischen Recht stand zwar manchen Rechtsgelehrten das ius respondendi zu, und sie wurden so — bezüglich des zwischen ihnen Unstrittigen — zu Rechtserzeugungsorganen; aufgrund der wissenschaftlichen Funktion allein — ohne institutionalisierte Ermächtigung — ist jedoch die Jurisprudenz keine Rechtsquelle, 19 Der Unterschied zwischen dem Präzedenzrecht u n d anderen Rechtssystemen liegt gerade darin, daß i n diesen Systemen Vorentscheidungen nicht als Rechtsquellen gelten, sondern v o r allem k r a f t der vorgetragenen Argumente wirken.

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sondern bloß eine Quelle interessanter juristischer Argumente, die soweit — und nur soweit — relevant sind, wie sie überzeugend sind und von ermächtigten Organen übernommen werden. Problematisch erscheinen m i r an dieser Rechtsquellenlehre noch zwei Momente: (i) die Behauptung, daß die Liste der Quellen offen sei (29/151), (ii) 'die Beziehung zwischen primären und sekundären Rechtsquellen (28 f./150 f.). Wenn die Liste der Rechtsquellen offen ist, dann kann alles Mögliche als Rechtsquelle hinzugezogen werden: eine inakzeptable Öffnung für juristische W i l l k ü r . Als primäre Rechtsquellen bezeichnet A P solche, die i m Wege eines Argumentationsprozesses, i n dem keine anderen Rechtsquellen eine Rolle spielen, identifiziert und mit dem „rechtlichen Sollen" versehen werden; als sekundär gelten jene, die durch Argumentationen, i n denen andere Quellen eine Rolle spielen, festgestellt werden. Die Deutung dieser Lehre bereitet m i r Schwierigkeiten. Was sind die primären Quellen? Man könnte meinen, daß dies die authentischen Texte seien, doch scheint diese Deutung dadurch ausgeschlossen, daß auch die primären Quellen das Ergebnis einer Argumentation sind. Es könnte damit der Sinn solcher Rechtstexte gemeint sein, zum Unterschied zu solchen Quellen, wie es ζ . B. Lehrbücher sind, bei denen die Argumentation immer auch andere Quellen (insbesondere Gesetze usw.) umfaßt. Durch diese Unklarheit ist auch eine gewisse Vagheit der Quellen-Transformation verursacht, die eben i m Übergang von primären zu sekundären Quellen besteht. 3.2. Die Rechtsregel-Transformation ( General-Norm-Transformation) Ich halte die Behauptung für richtig, daß es Rechtsregeln und Rechtsprinzipien gibt, deren Geltung sich auf gültige Rechtsquellen (im üblichen, nicht i n APs Sinne) stützt, obwohl sie aus den vorliegenden Rechtstexten i n einem rein formal-deduktiven Prozeß nicht gewonnen werden können. Die Methode ihrer Gewinnung w i r d jedoch durch die Bezeichnung als Sprung (Transformation) nicht erklärt. Eine angemessene juristische Hermeneutik müßte meines Erachtens zeigen, wie w i r durch Analyse verschiedener stammbaummäßig ausgewiesener Rechtsnormen und unter Berücksichtigung unseres theoretischen Vorwissens über das Recht allgemeine, gegebenenfalls abstraktere Regeln und Rechtsprinzipien gewinnen können, deren Angemessenheit am vorliegenden Rechtsmaterial zu testen und bei jeder A n wendung noch einer wertenden K r i t i k zu unterziehen ist.

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3.3. Die Entscheidungs-Transformation Die sachliche Basis dieses Teils der Transformationsjurisprudenz liegt i n altbekannten Problemen der Rechtsanwendung, nämlich i n der Tatsache, daß die juristische Entscheidung durch Tatsachenfeststellung und geltende Rechtsregel oft logisch nicht v o l l determiniert ist. A P sucht diese Situation durch Sprünge (Transformationen) zu erklären. Der Autor analysiert vier A r t e n von Entscheidungs-Transformationen, wobei er auf gewisse Beziehungen zwischen ihnen aufmerksam macht: (i) die Präzisierung, (ii) die Reduktion und Elimination, (iii) die Erzeugung einer neuen Norm, (iv) die Auflösung von Kollisionen. (i) Die Präzisierung Die Präzisierung sei erforderlich, wenn zwar die i n Betracht kommende Rechtsregel feststeht, nicht aber, ob der judizierte Sachverhalt unter die Norm subsumierbar ist. Diese Frage müsse durch präzisierende Regeln gelöst werden. Ist diese Entscheidung der Subsumierbarkeit wirklich ein Sprung? A P gibt drei Gründe an, durch die dieses Subsumtionsproblem entsteht: Vagheit, Mehrdeutigkeit, evaluative Offenheit. Vagheit und Mehrdeutigkeit sind offenbar Probleme der Interpretation. Ist die Diagnose der Vagheit oder Mehrdeutigkeit der Stand vor der hermeneutischen Analyse, muß die Subsumtionsfrage auf die Situation nach der durchgeführten Interpretation verschoben werden. Bleibt Vagheit oder/und Mehrdeutigkeit auch nachher bestehen, hat der Rechtsanwender diese zusätzliche Regel (oder zusätzliche Regeln) nicht zur Verfügung, er muß eine Dezision treffen, wenigstens für den gegebenen Fall. Diese Dezision kann zwar als generalisierbar angesehen werden (nach dem Prinzip der formalen Gleichheit 20 ), doch kann dies nicht immer als Ergänzung der Rechtsordnung durch zusätzliche Regeln angesehen werden. Direkt rechtliche Geltung hat dieses Element der Entschediung nur i n Systemen, die Präzedenzien als Rechtsquelle ansehen. Insbesondere die evaluative Offenheit kann so unbestimmt sein, daß nicht angegeben werden kann, welche Merkmale als Kriterien und welche Intensität der Momente die Entscheidung determinieren. Allgemeine Regeln, welche die evaluative Offenheit ergänzen würden, können hier meist nicht angegeben werden. A u f 20 Vgl. O. Weinberger, Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische u n d rechtspolitische Betrachtung, i n : ÖZÖR 25 (1974), S. 23 - 38.

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jeden Fall ist die Aufgabe, die Rechtsregel durch zusätzliche Regeln der Bedeutung oder der Wertung i n eine rein kognitive Subsumtionsoperation umzugestalten, eine weit umfassendere Aufgabe (die oft kaum lösbar ist) als eine wertende Subsumtionsdezision i m konkreten Fall. (ii) Die Reduktion und Elimination Die Bedingung für die Reduktion und Elimination ist die gleiche, nämlich, daß für gewisse Fälle der Subsumtion zwar die Norm ,(x) (Tx ORx)' 21 gegeben ist, unter die subsumiert werden soll, „die Rechtsfolge ORa aber als vom Standpunkt des Rechts aus nicht akzeptabel gilt". Diese Feststellung des Nicht-akzeptabel-Seins ist extrem unklar und w i r d durch den Zusatz „als vom Standpunkt des Rechts" kaum klarer. Wer sagt, was vom Standpunkt des Rechts sein soll, wenn nicht die (wohl verstandenen) Rechtsregeln? Sonst würden sie nur solange gelten, als sie „akzeptabel erscheinen"; und wem müßten sie akzeptabel erscheinen: dem jeweiligen -Richter?, der Richterschaft?, den Rechtsgelehrten?, dem Volk? Wenn w i r eine solche geltungseinschränkende Klausel akzeptieren, dann degradieren w i r die Rechtsordnung zu einer Sammlung von Kochrezepten für richterliche Entscheidungen, die der findige Richter nach W i l l k ü r (beim Koch würden w i r sagen: „nach Geschmack") modifizieren kann. Nur dann, wenn man strenge Gründe für die Nichtanwendbarkeit der Rechtsregel festlegt, damit man zur Reduktion oder Elimination schreiten kann, und außerdem eine Ermächtigung des Richters für diese Vorgehens weisen — gebunden an außerordentliche Bedingungen — voraussetzt, kann eine solche elastische Rechtsanwendung akzeptiert werden. Bloß zu sagen, daß hierüber i n juristischer Argumentation zu entscheiden sei, würde zu juristischer W i l l k ü r (des Richters oder des Rechtsgelehrten) führen. Über das Problem der Reduktion — ohne diese, m i r nicht ganz einleuchtende, Terminologie von A P zu verwenden — habe ich 1974 ziemlich ausführlich geschrieben 22 ; dabei habe ich versucht, Bedingungen zu statuieren, unter denen eine solche Modifikation einer Rechtsnorm, d. h. ihre Aufspaltung m i t Rücksicht auf einen zusätzlichen Subsumtionsumstand, zulässig erscheint. 21 Ich bleibe hier bei der v o n A P verwendeten Form der symbolischen Niederschrift, trotz meiner Zweifel an der Angemessenheit, den Bedingungsnormsatz mittels des aussagenlogischen Funktors ,-V darzustellen. [Vgl. Ch. Weinberger / O. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, S. 123f.] 22 O. Weinberger, Einzelfallgerechtigkeit. E i n Beitrag zum Studium der logischen Bedingungen der Gerechtigkeit, in: M . Fischer u. a. (Hrsg.), Dimensionen des Rechts. Gedächtnisschrift für René Marcie, B e r l i n 1974, S. 427 ff.

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Die Elimination einer Rechtsregel w i r d von A P definiert als ganze oder teilweise Aufgabe einer Rechtsregel (33/155). Eine teilweise Aufgabe einer Rechtsregel ist schon durch die Aufspaltung realisiert. Wenn w i r der juristischen Argumentation selbst die Berechtigung zusprechen, formal gültige Rechtsregeln aus der Normenordnung auszuschließen, scheint m i r dies bedenklich — sinnvoll ist nur die Diskussion von Gründen, die zu so entscheidenden Schritten legitimieren können. Diese Gründe gibt aber der Autor nicht an. Sie können nicht darin liegen, daß das Ergebnis der Subsumtion jemandem inakzeptabel erscheint — niemandem steht eine solche Superrevision des geltenden Rechts zu, die nichts anderes als eine Legitimation zur W i l l k ü r wäre —, sondern die Begründung beruht auf der Beachtung von Besonderheiten i m Bereich der Umstände des Falles. (iii) Die Erzeugung einer neuen Norm Niemand zweifelt daran, daß i n Bereichen, wo Entscheidungszwang besteht und sogenanntes „freies" Ermessen zulässig ist, der Entscheidung eine neue ratio decidendi — eine neue Norm oder ein neu etabliertes Rechtsprinzip — zugrunde gelegt werden kann. Darauf beruht die Dynamik des Präzedenzrechts und auch i n anderen Rechtssystemen die historische Fortentwicklung des Rechts. Unklar bleibt, warum man das als Sprung bezeichnen soll. (iv) Die Auflösung von Kollisionen AP führt drei Typen von Kollisionen an: (a) zwischen Rechtsregeln, (b) zwischen Prinzipien, (c) zwischen Regeln und Prinzipien. Die Frage der Kollision zwischen Regeln und Prinzipien behandelt AP überhaupt nicht, obwohl meines Erachtens gerade hier Zweifel auftauchen, ob {bzw. wann) Prinzipien zu echten Kollisionen mit Rechtsregeln führen, und ob durch Hinweis auf Prinzipien Rechtsregeln in Frage gestellt werden können. Wenn der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich anordnet, kann man dann überhaupt sagen, daß abstrakte Prinzipien i n einer solchen Weise m i t der Rechtsregel in Konflikt geraten können, daß die Rechtsregel — d. h.: die Geltung und Anwendbarkeit der Regel — durch eine solche „Kollision" (ist es überhaupt eine?) problematisch werden kann. Wenn der Autor die Kollisionen zwischen zwei gleichzeitig anwendbaren Rechtsregeln durch weitere Regeln zu lösen versucht, dann bestehen — wenn diese Regeln Bestandteil des Rechts sind — eigentlich nur scheinbar Kollisionen.

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Man kann natürlich den „Konflikt" zwischen Prinzipien — er ist eben wie Dworkin überzeugend gezeigt hat, ganz anderer A r t als der Konflikt zwischen (anderen) Rechtsregeln 23 — durch eine Präferenzregel zwischen diesen Prinzipien lösen, doch besteht das Wesen der Anwendungsweise von Rechtsprinzipien gerade darin, daß der Vorrang des einen gegenüber dem anderen nicht immer generell gilt, sondern je nach der Situation variiert, und daher als wertende Dezision anzusehen ist. Eine Präferenzregel müßte oft gerade auf den beurteilten Fall spezifiziert werden, was gegenüber der Einzelfalldezision keinen Unterschied bildet.

I I . Diskurstheorie und Transformationsjurisprudenz 1. Die Ausgangspunkte von Robert Alexy Der zweite Teil der untersuchten Arbeit stammt aus der Feder von RA. Er sucht eine Verbindung zwischen der Transformationstheorie von den Sprüngen (Transformationen) keine schlüssigen Begründungen Auffassung der praktischen Rationalität (einschließlich der juristischen Argumentationslehre) zu schaffen. Gerade die Tatsache, daß die Lehre von den Sprüngen (Transformationen) keine schlüssigen Begründungen liefert, führt RA — offenbar i n Übereinstimmung m i t den Koautoren der „Grundlagen" — zur Auffassung, daß eine Ergänzung durch diskurstheoretische Elemente erforderlich sei. RA glaubt an eine praktische Vernunft, die inhaltliche Erkenntnisse über richtiges (rationales) Sollen und Werte liefern kann. Das Rationale des praktischen Argumentierens w i r d nach RAs Ansicht durch eine prozedurale Theorie garantiert, die i n Diskursregeln zum Ausdruck kommt. Der tiefe Einfluß von Habermas auf RA ist — trotz seiner k r i tischen Einstellung zum Wesen und zur Leistung der Diskurse — unverkennbar. Die Überzeugung, (1) daß Rationalität, i m Sinne von ,Vernünftigkeit des Argumentierens', durch Diskurse definiert ist, und (2) daß durch die adäquate Prozedur Richtigkeit des Ergebnisses garantiert sei (d.h. Wahrheit i m kognitiven, richtige Normen und objektiv gültige Werte i m praktischen Bereich), bilden die Grundlage dieser Auffassung. Und gerade diese Grundüberzeugungen des Autors halte ich für prinzipiell verfehlt; sie stehen meines Erachtens i n Konflikt m i t dem Wesen des 23 R. Dworkin, T a k i n g Rights Seriously, insbesondere S. 71 ff. Vgl. auch O. Weinberger, Die Naturrechtskonzeption v o n Ronald D w o r k i n , i n : D . M a y e r M a l y / P. M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute u n d morgen. Gedächtnisschrift für Réne Marcie, B e r l i n 1983, S. 497 - 515, w o ich meine, von D w o r k i n abweichende, Konzeption der Rechtsprinzipien dargelegt habe.

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Beweisens, Begründens und Argumentierens sowohl i m Bereich der Erkenntnis als auch i m Feld des praktischen (handlungsbezogenen) Denkens. 2. Der Begriff der Rechtfertigung Es ist durchaus nicht überraschend, daß die integrale Rechtstheorie bestrebt ist, eine tragfähige Theorie des Begründens bzw. des Rechtfertigens vorzulegen. Wissenschaft — also auch Rechtswissenschaft — ohne Theorie des Begründens ist undenkbar. Für den gesamten Bereich der praktischen (d.h. handlungsbezogenen) Philosophie ist das Begründen und das Studium der Begründungsstrukturen von grundlegender Wichtigkeit. Soweit ist gegen die Auffassungen von RA nichts einzuwenden. Problematisch erscheint m i r aber: (a) der diskurstheoretische Ansatz, (b) die ungenügende Trennung zwischen der Richtigkeit einer These oder einer Stellungnahme und den pragmatischen Prozessen des Überzeugens. I n seinem Buch „Theorie der juristischen Argumentation" schreibt RA, daß er die Termini »Rechtfertigung' und »Begründung' „weitgehend synonym gebraucht (werde)" 2 4 ; diese Absicht hat er wohl auch i n den „Grundlagen" beibehalten. Ich habe jedoch den Eindruck, daß ein gewisser nicht ausgedrückter Unterschied zwischen den Termini besteht, der auch erklärt, warum RA eher dazu neigt, von »Rechtfertigung' zu sprechen. Wenn man von »Rechtfertigung' spricht, meint man, jemandem für eine These Rechenschaft schuldig zu sein, und diese Aufgabe erscheint als erledigt, wenn die Rechtfertigung von dieser Person als befriedigend akzeptiert wird. Es klingt hier die Idee Habermasscher Prägung an (vgl. dessen Begriff des ,Geltungsanspruchs', der i n Diskursen zu befriedigen ist), daß mit einer Behauptung oder Anerkennung einer Norm bzw. Wertung die Pflicht verbunden sei, die These respektive die praktische Einstellung gegenüber den Diskursteilnehmern zu rechtfertigen, d.h.: daß sozusagen die moralische Pflicht bestehe, Rechenschaft zu geben, warum man diese Meinung vertritt. I n der wissenschaftlichen Betrachtung problematisiert man dagegen gerade die Frage, ob das, was als Begründung vorgetragen wird, eine gültige bzw. hinreichende Begründung darstellt. Meines Erachtens sollte es uns u m Begründen gehen, d. h. u m die Frage, wann vorgelegte Argumente echte Gründe darstellen, und nicht darum, ob sich die Diskursteilnehmer m i t gewissen als Begründung vorgetragenen Überlegungen zufrieden geben. Die Begründungsproblematik ist i n der Wis24

R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, F r a n k f u r t a. M. 1978, S. 54, F N 3, w o R A auch auf gewisse Unterschiede zwischen den beiden T e r m i n i hinweist.

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senschaftstheorie i n objektivierter Perspektive zu behandeln; nicht i n der subjektiven Sicht von Diskursteilnehmern. Daß Argumente akzeptiert werden, ist zwar oft praktisch wichtig, aber kein Beweis, daß dies echte (stichhaltige) Begründungen sind. Die Wissenschaft und die Philosophie haben gerade gegen Pseudobegründungen zu kämpfen. Dies können sie durch Analysen, nicht aber durch Konsens oder Abstimmung erreichen! RA stellt drei Grundtypen der Rechtfertigung juristischer Transformationen einander gegenüber: (i) die empirische, (ii) die technische und (iii) die rationale Rechtfertigung. Die rationale Rechtfertigung deutet er i m wesentlichen prozedural, d . h . als rational erscheint i h m vor allem eine diskurstheoretische Rechtfertigung. (i) Die empirische Rechtfertigung Unter einer empirischen Rechtfertigung würde man w o h l i m Sinne der üblichen philosophischen Terminologie eine solche verstehen, die sich auf Erfahrung stützt, die also Beobachtungen des Gegenstands oder Ergebnisse von Experimenten m i t dem Gegenstand als Begründungen heranzieht. RA spricht aber von »empirischer Rechtfertigung 4 i n einem ganz anderen Sinne. Er versteht darunter eine Begründung der Rechtfertigungsweise durch Hinweis auf eine bestehende Praxis des Argumentierens 2 5 . RA ist sich dessen sehr wohl bewußt, daß hier ein sehr problematischer Weg beschritten w i r d : offensichtlich kann die Feststellung, daß man häufig nach einer gewissen Methode oder einer gewissen Regel vorgeht, n u r ein heuristischer Hinweis sein, zu prüfen, ob diese Methode (bzw. Regel) gerechtfertigt ist, d. h. zu richtigen (effektiven) Argumentationsweisen führt, sie kann aber nicht als eigentliche Begründung der Vorgangs weise gelten. Außerdem stützt sich die Argumentationspraxis manchmal auf untereinander unverträgliche Regeln, und gelegentlich läßt sich die Argumentationsregel gar nicht eindeutig bestimmen. (ii) Die technische Rechtfertigung Eine Argumentationsregel könne dadurch gerechtfertigt werden, daß nachgewiesen w i r d , daß sie eine gewünschte Auswirkung auf ein ge25 Vgl. (27 f./258 f.), ferner: R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 227 f., F N 18.

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wisses System S hat. Hier bleibt die Frage offen, ob die Auswirkung objektiv als gut oder aber relativ zu den Wünschen oder Überzeugungen irgendwelcher besonderer Subjektive anzusehen ist. Ob eine Ausw i r k u n g objektiv als gut nachgewiesen werden kann, bleibt problematisch; wenn es sich aber bloß u m subjektiv erwünschte Auswirkungen handelt, dann verliert die Rechtfertigung den Charakter einer gültigen Begründung, denn auch eine falsche Argumentation kann jemandem gefallen oder nützen. Weder (i) noch (ii) sind gangbare Wege zur Gewinnung einer überzeugenden Argumentationstheorie. Obwohl der Autor diese Probleme sieht, betrachtet er die empirische und die technische Rechtfertigung als „Ausgangspunkte und Elemente eines Systems von Kriterien, das als Ganzes das »Kriterium der rationalen juristischen Rechtfertigung« bildet". (38/258 f.) (iii) Die rationale Rechtfertigung Als rationale Rechtfertigung sieht RA offenbar jene an, die sich aus der prozeduralen Theorie ergibt: „Das Herzstück der Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses bildet ein System von Regeln und Argumentformen praktischen Argumentierens, dessen Einhaltung bzw. Verwendung die Rationalität der Argumentation und damit die Richtigkeit der Ergebnisse garantiert." Meiner Ansicht nach müssen zwei Fragen scharf getrennt werden: (1) die Frage der zweckmäßigen Organisation des Meinungsstreits (der Diskussion) und (2) die Frage, ob durch die Form des Meinungsstreits (des Diskurses) die Wahrheit (bzw. Richtigkeit) der i n der Diskussion erlangten Ergebnisse sichergestellt werden kann. 3. Kritik der prozeduralen Konzeption der Rationalität Es ist sinnvoll, und hat auch praktische Auswirkungen, Regeln der Diskussion zu statuieren, und jedermann w i r d wohl die Bedeutung der gedanklichen Interaktion, des wissenschaftlichen Meinungsstreites ebenso wie der gesellschaftlichen Diskussion i n Fragen des Rechts und der Gerechtigkeit anerkennen. Es ist jedoch ganz unbegründet und äußerst verwirrend anzunehmen, die Ergebnisse des Meinungsstreits (Diskurses) seien wahre Thesen oder richtige (rational begründete) praktische Einstellungen. Dies gilt auch dann nicht, wenn man besondere Diskursregeln aufstellt und einhält. Es führt kein Weg vom Meinen der Diskursteilnehmer zur objektiven Wahrheit oder Richtigkeit. I n den prozeduralen Theorien spielt der Begriff des Konsenses eine entscheidende Rolle, und es w i r d immer i n irgendeiner Weise voraus-

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gesetzt, daß ein i m regelgerechten Diskurs erzielter Konsens die rationale Konzeption darstellt: also eine wahre These ergibt oder — wenn es sich u m praktische Fragen handelt — die richtige Einstellung, den gerechten Interessenausgleich, richtiges Recht oder die echte Moral ausdrückt. U m sich ein klares Urteil über die prozedurale Konzeption der Rationalität (im Sinne von »vernünftigen 4 , nicht i m Sinne von »technisch zweckmäßig') bilden zu können, müssen die verschiedenen Möglichkeiten von Ergebnissen der Diskurse, die verschiedenen A r t e n von Konsens und die methodologisch sehr verschiedenen Typen von Diskursen (im weiten Sinne von ,Argumentationsgesprächen') erörtert werden. Das Ergebnis von Diskursen kann nicht nur (a) universeller Konsens, (b) Mehrheitskonsens, (c) die Feststellung einer gewissen Häufigkeitsverteilung der resultierenden Meinungen, sondern auch Zweifel (bei allen oder bei einigen), Staunen oder/und die Erkenntnis sein, daß man noch keine klare Basis für die Problembestimmung oder/und für die Begründung einer These gefunden hat. Schon hier zeigt sich, daß Diskurse ein Mittel sein können, das Denken zu befruchten und weiterzuführen; sie sind bedeutungsvoll i m context of discovery, kaum jedoch i m context of justification, denn wenn eine Begründung auch allgemein oder mehrheitlich akzeptiert wird, beweist dies keineswegs, daß sie gültig ist. Wenn alle Menschen meinen, daß es eine Methode geben muß, wie die Länge des Kreisumfangs m i t Zirkel und Lineal dargestellt werden kann (das Problem der Rektifikation der Kreislinie), belegt das keineswegs die Wahrheit dieser Meinung, ja, zugespitzt gesagt, hat eine universell vertretene Meinung m i t der Wahrheit der These gar nichts zu tun. Erst wenn eine neue A r t und Weise der Analyse, und infolgedessen der Argumentation erfunden wird, erscheint die entgegengesetzte These nicht nur plausibel, sondern sie w i r d beweisbar. Der Begriff des Konsenses w i r d i n verschiedenen Theorien i n unterschiedlicher Weise verwendet. (Die Rolle des allgemeinen oder Mehrheitskonsenses i n demokratischen Willensbildungsprozessen bleibt hier natürlich außer Betracht, denn sie ist etwas ganz anderes als der Konsens i n Argumentationen.) Drei Fälle sind zu unterscheiden: (i) der fiktive Konsens, (ii) der Konsens i n einem durch Regeln bestimmten Diskurs, (iii) der Konsens als Ergebnis tatsächlich durchgeführter Diskurse. Als markantes Beispiel eines fiktiven Konsenses kann John Rawls' Argumentation für seine Gerechtigkeitsgrundsätze i n der Urposition

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angeführt werden. Die Urposition ist keine Tatsache, sondern ein Argumentationsmodell. Die These, daß unter den für die Entscheidungssituation i n der Urposition festgesetzten Bedingungen die Rawlsschen Gerechtigkeitsprinzipien allgemeinen Konsens finden müßten 2 8 , kann dann und nur dann als begründet gelten, wenn die Richtigkeit der Behauptung, die als Gegenstand des Konsenses hingestellt wird, selbst hinreichend begründet ist. Genau dann ist es berechtigt, zu behaupten, daß die Teilnehmer am fiktiven Diskurs der These zustimmen müßten. Beim fiktiven Konsens handelt es sich bloß u m eine besondere Darstellungsweise der Argumentation, bei der der Weg der Begründung gerade der umgekehrte ist, als es den Anschein hat: die hinreichende Begründung der These rechtfertigt die Konsensbehauptung, nicht umgekehrt, denn ein bloß fiktiver Konsens kann keinesfalls als Begründung einer These gelten 2 7 . M i t dem Konsens i n geregelten Diskursen w i r d oft die Annahme verbunden, der Konsens bedeute Richtigkeit der These oder wenigstens ein praktisches Optimum von Wahrheitsnähe oder praktischer Richtigkeit, denn die prozeduralen Regeln werden eingeführt, u m gerade dies zu gewährleisten. Es ist zweckmäßig, Spielregeln fürs Diskutieren festzulegen. Dies hat schon die traditionelle Eristik versucht 28 . Es scheint aber verfehlt, i n diesen pragmatischen Regeln, die meines Erachtens keine strenge universelle Geltung haben 2 9 , Definitionselemente der Vernunft zu erblicken. Die Behauptung, daß die Einhaltung von Diskursregeln Rationalität der Argumentation und Richtigkeit des Ergebnisses bzw. eines so erzielten Konsenses sicherstelle, ist ein unbegründeter Glaubenssatz, und zwar sowohl für reale als auch ideale Diskurse. Der wissenschaftliche Beweis und die wissenschaftliche Begründung suchen objektive Kriterien der Geltung von Argumenten; prozedurale Momente können die Gültigkeit der Argumentation nicht gewährleisten. 2« Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, F r a n k f u r t a. M . 1975, S. 206 et passim. 27 Vgl. O.Weinberger, Die Rolle des Konsenses i n der Wissenschaft, i m Recht u n d i n der P o l i t i k , i n : A . A a r n i o / J. Niiniluoto / J. Uusitalo (Hrsg.), Methodologie u n d Erkenntnistheorie i n der juristischen Argumentation, RECHTSTHEORIE Beiheft 2 (1981), S. 147 - 165. 28 T. Kotarbinski, Kurs L o g i k i dia p r a w n i k ó w [Logikkurs für Juristen], Warschau 1955, S. 184 ff., ferner: O. Weinberger, Logika. Uöebnice pro prâvn i k y [Logik. E i n Lehrbuch für Juristen], Prag 1965*, S. 207 ff. 29 So gibt es z. B. meiner Ansicht nach keine universell u n d streng geltende Onus-probandi-Regel. M a n w i r d w o h l gewöhnlich fordern, daß der, der die Existenz einer Entität behauptet, dies begründen sollte. W e n n ein Mathemat i k e r auf den Gedanken kommt, daß es imaginäre Zahlen gibt, oder w e n n ein Rechtsphilosoph den Begriff der institutionellen Tatsache einführt, w i r d m a n diese Begriffsapparatur k a u m durch die Forderung nach Existensbeweisen i m üblichen Sinne diskreditieren können.

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Neue Konzeptionen, wissenschaftliche Theorien, Wege wissenschaftlicher Beweise, den wissenschaftlichen Fortschritt konstituierende Rekonstruktionen der Begriffsapparatur müssen erfunden werden. Auch die optimale Diskursform und zeitliche Unbeschränktheit (bei idealem Diskurs) können nicht einmal den besten Weg der Gedankenführung garantieren, geschweige denn das Erfinden besserer Theorien oder treffender Beweismethoden oder gar die Richtigkeit der Diskursergebnisse. Auch Habermas' These, daß bei Diskursfreiheit „keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der K r i t i k entzogen bleibt" 3 0 , ist i n faktisch veranstalteten Diskussionen ganz unbegründet; sie gilt meines Erachtens nicht einmal für hypothetische Diskurse. Der Konsens i n realen Diskursen zeigt nichts anderes, als daß eine Gruppe von Menschen zu einem gewissen Zeitpunkt eine gewisse These für wahr hält oder daß die Gruppenmitglieder eine gewisse praktische Einstellung gemeinsam vertreten. Die Tatsache, daß w i r i m Bereich der Erfahrungserkenntnisse keinen Z u t r i t t zu einer absolut objektiven Verifikation unserer Thesen haben, führt manche Denker zur Auffassung, daß praktisch das, was unstrittig ist, worüber allgemeiner Konsens herrscht, die Wahrheit sei oder wenigstens als die Wahrheit gelten müsse, soweit sie für uns erreichbar ist. Den Begriff der Wahrheit m i t unstrittigem Meinen (d. h. m i t Konsens der Meinungen) oder m i t als wohlbegründet angesehenen Thesen zu vermengen, führt zu einer unkritischen Erkenntnistheorie. Konsens oder Mehrheitsmeinungen sind nicht einmal verläßliche Anzeichen für eine Annäherung an die Wahrheit. Die Meinung eines einzelnen Denkers kann der Wahrheit näher sein als die herrschende Meinung. Die Konsenstheorie der Erkenntnis bzw. der Wahrheit tendiert dazu, Diskurs an die Stelle von Erfahrung und von philosophischer Analyse zu setzen, und das halte ich für äußerst bedenklich. I n praktischen Fragen ist die Situation analog: Was von einer Gruppe als richtig angesehen wird, mag vernünftigerweise als Maßstab angewendet werden, doch würde es zu Dogmatismus und Erstarrung führen, wenn man diese kollektive Meinung als das objektiv Richtige, ein für alle Male Anzuerkennende, ansehen würde. Es besteht immer die Möglichkeit, zu anderen Wertungen überzugehen, oder aufgrund einer angemessenen Analyse zu anderen Konzeptionen des Richtigen, Zweckmäßigen oder Gerechten. Dies weiß auch RA; unerklärlicherweise beharrt er trotzdem auf der prozeduralen Theorie der Rationalität.

so J. Habermas, Wahrheitstheorien, in: H. Fahrenbach (Hrsg.), W i r k l i c h k e i t u n d Reflexio. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, S. 255.

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Argumentationsgespräche können sein: (a) reale Diskurse, (b) ideale Diskurse, (c) geregelte Begründungsdialoge. Bei den realen Diskursen muß mit realen Zeitspannen und den subjektiven Grenzen der Diskursteilnehmer gerechnet werden. Menschen unterliegen Irrtümern und Illusionen. Es ist bekannt, daß gerade i n Situationen der — sicherlich außerrationalen — Massenpsychosen schnell ein allgemeiner Konsens zustande kommt. Angesichts solcher Tatsachen erscheint es m i r absurd, die Ergebnisse faktischer Diskurse ex definitione als Wahrheiten, als richtige Wertungen oder als objektiv vernünftiges Sollen anzusehen. Die Abwicklung des Meinungsstreits kann durch prozedurale Regeln gelenkt werden. Vorsicht ist dann geboten, wenn die Regeln nicht rein prozedural bleiben, sondern inhaltlichen Charakter annehmen, z. B. Präsumtionen aufstellen, denn auf diese Weise könnten gewisse Auffassungen i m voraus immunisiert werden. Sowohl i m Feld der Wissenschaften und der Philosophie, als auch i m politischen Leben ist der argumentierende Meinungsstreit eines der wichtigsten Instrumente des Fortschritts i m context of discovery. Der Diskurs verliert diese fortschrittliche Rolle, sobald man sein Ergebnis als die rational begründete These hinstellt, die man deswegen anerkennen muß. Ein i m Diskurs erzielter Konsens darf nicht die schlüssige Argumentation ersetzen, und er darf nicht als endgültiger Schlußpunkt der Erkenntnis gelten. Auch das Ergebnis idealer Diskurse bleibt i m Bereich des Meinens und legitimiert nicht die Voraussetzung, daß er das objektiv rational Gültige darstelle. Außerdem ist alles, was er mehr verspricht als reale Diskurse, unrealisiert und kann ex definitione argumentativ nicht verwendet werden. Nicht einmal die Annahme, daß eine ideale Fortsetzung realer Diskurse asymptotisch zur Wahrheit und zur richtigen Auffassung führen muß, ist vertretbar, denn eine solche Annahme scheitert an der Tatsache, daß Theorien, praktische Konzeptionen und Begründungen von Momenten des Erfindens abhängen; daß man gute Einfälle haben w i r d und daß gerade diese sich durchsetzen werden — und nicht etwa ideologischer Irrglaube — ist zu hoffen, aber nicht beweisbar. Geregelte Begründungsdialoge, bei denen Regeln — und nicht das Akzeptieren der Diskursteilnehmer — das Ergebnis determinieren (Lorenzen und die Erlanger Schule 31 ), sind zwar Argumentationsgespräche, 31

Vgl. P. Lorenzen, Einführung i n die operative Logik u n d Mathematik, B e r l i n - Heidelberg 19692, ders. / K. Lorenz, Dialogische Logik, Darmstadt 1978, ders./O. Schwemmer, K o n s t r u k t i v e Logik, E t h i k u n d Wissenschaftstheorie, Mannheim, Wien, Zürich 1973.

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aber keine solchen Diskurse, die Habermas und RA i m Sinne haben. Sie sind spezifische formalisierte Beweismethoden. 4. Die prozedurale Normbegründung Die Rechtfertigung einer Norm stützt RA auf folgende Festsetzung: „Eine normative Aussage Ν ist richtig genau dann, wenn sie das Ergebnis der Prozedur Ρ sein kann." (41/261) Die Anforderungen an den praktischen Diskurs — also an die angemessene Prozedur — lassen sich i n Form von Regeln vollständig formulieren (41/261). Es kann für eine demokratische Gemeinschaft als angemessene Richtlinie gelten, daß das Ergebnis einer Willens- (oder Meinungs-)bildungsprozedur für eine gewisse Zeitspanne als bindend zu gelten hat. I n dieser Weise können Gesetzgebungsakte gesetzt werden oder andere gesellschaftlich relevante Feststellungen i n bindender Weise getroffen werden. Ζ. B. als Beschluß über Tatsachenfeststellungen i n einem Gerichtsverfahren, wo es nicht u m Wahrheit an und für sich geht, sondern u m den Entschluß, etwas als bewiesen zu betrachten, als Faktenbasis der Entscheidung zu nehmen. I n gefährlicher Weise verwirrend ist es aber, diese Entscheidungen als etwas anderes anzusehen, als sie sind. Sie sind Willensäußerungen, keine Richtigkeitsurteile. Die Norm kann Gültigkeit erlangen, wenn dieser Konsens oder Majoritätsbeschluß ein Normerzeugungsakt ist; es folgt daraus aber nicht, daß dieses Ergebnis objektiv richtig, vernünftig und sachlich gerechtfertigt (ζ . B. zielführend) ist. Die oben angeführte Definition der richtigen Norm Aussage") halte ich für sehr problematisch.

(„normativen

Es kann je nach der Gruppe oder je nach Umständen mehrere, aber untereinander unverträgliche „richtige Normen" — i m Sinne der Definition von RA — geben, denn die Diskurse dieser A r t werden doch offenbar nicht durch algorithmisch eindeutige Anleitungen bestimmt. Kann ein so konzipierter Begriff der richtigen normativen Aussage noch als Explikation des Terminus „richtige Norm" gelten? Es ist nicht einmal sichergestellt, daß gute Gründe ins Spiel gebracht wurden und Anerkennung gefunden haben. Die Regeln des Diskurses können dies offenbar nicht garantieren. Die Definition fordert nur, daß Ν das Ergebnis der Prozedur sein kann. Ich kann m i r kaum eine These (oder Norm) vorstellen, die nicht unter Umständen einem Diskursforum plausibel gemacht werden könnte. Wenn man so schwache Kriterien der Richtigkeit festlegt, kann beinahe jede Norm als „richtig" ausgewiesen werden. 13 Krawietz/Alexy

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Ich zweifle daran, daß der praktische Diskurs durch Regeln vollständig bestimmt werden kann. Argumentieren ist—wenigstens teilweise— ein Prozeß der Entdeckung von Argumentationsmethoden, und — soweit es diesen Charakter hat — d u r c h vorgegebene Regeln nicht vollständig bestimmbar. Außerdem bleibt die Geltung der angebbaren Regeln meines Er achtens weitgehend strittig. Daher w i r d durch die Behauptung, der Diskurs sei durch Regeln vollständig bestimmbar, nur vorgetäuscht, daß die Argumentationsprozesse nicht von Inventionen abhängen und daß i m praktischen Bereich des Argumentierens die Dezisionen durch Regeln ersetzt werden können, die denEntscheidungsprozeß zu einer rein kognitiven Operation machen. 5. Allgemeiner praktischer und juristischer Diskurs RA betrachtet den juristischen Diskurs als Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurseis (Sonderfallthese). Die praktische Vernunft sei ein Vermögen, aufgrund eines prozeduralen Regelsystems zu praktischen Einsichten zu gelangen, und dieses Vermögen werde i n geregelten Diskursen realisiert. Die materielle Auffassung der praktischen Vernunft ist eigentlich ein Bekenntnis zur kognitivistischen Position, obwohl RA auch einige Thesen vertritt, die i n die entgegengesetzte Richtung weisen, ζ . B.: die These „aus Sein folgt nicht Sollen"; die Behauptung, daß die Ergebnisse der praktischen Argumentation von den normativen Vorstellungen der Diskursteilnehmer abhängen, so daß Eindeutigkeit der Diskursergebnisse oft nicht erreicht werden kann; die Auffassung, daß bei Beantwortung praktischer Fragen die Wertung verschiedener Individuen von konstitutiver Bedeutung ist. Ich möchte aber eindeutig am Non-Kognitivismus festhalten. Die Vernunft ist kein Reservoir von praktischen Sätzen oder absoluten Werten. Die Vernunft ist also keine Quelle praktischer Erkenntnis, sondern nur eine rational-operative Kapazität. Praktische Argumentationen umfassen daher immer neben empirischen Argumenten normative oder/und Wertvoraussetzungen sowie stellungnehmende Dezisionen. Weder Diskursregeln noch Diskursprozesse definieren den Begriff der praktischen Rationalität (die praktische Vernunft). Mag man von Diskursen i n (möglichst) idealen Sprechsituationen i m Sinne von Habermas ausgehen oder die etwas modifizierten Diskursregeln von RA zur Grundlage nehmen, sie garantieren meines Erachtens i n keinem Fall, daß der Weg zur Wahrheit und zur richtigen praktischen Einstellung beschritten wird. Weder die pragmatischen Bedingungen des Diskurses noch die bei beiden Autoren integrierten moralischen Postulate der

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Diskursabwicklung (ζ . B. Zwangsfreiheit, Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit u. a.) begründen die Voraussetzung, daß der Diskurs zur Wahrheit oder praktischen Richtigkeit führt. Da nicht sichergestellt ist, daß die Diskursteilnehmer eine adäquate Problemanalyse vor sich haben, und daß es ihnen gelingt, zielführende Beweis- und Argumentationsmethoden zu erfinden, muß man einsehen, daß Diskursregeln die Wahrheit oder die objektive Geltung der Diskursergebnisse nicht sicherstellen können. Wenn man ferner nicht m i t einem idealen und zeitlich unbeschränkten, d. h. fiktiven, Diskurs rechnet, sondern die Diskurstheorie auf faktische Prozesse der Diskussion i n gewissen Gruppen bezieht, dann t r i t t noch hinzu, daß man die Gesamtheit der psychologischen Beschränkungen und der möglichen I r r meinungen, die auch die gesamte Gruppe betreffen können, i n Rechnung ziehen muß, was die Gültigkeit solcher optimistischer Hypothesen ausschließt. Die Besonderheit des juristischen Diskurses ist durch die Bindung an institutionelle Tatsachen — Gesetz, Präjudiz, Dogmatik — bedingt. Die zwei weiteren Merkmale, durch die RA den juristischen Diskurs charakterisiert, scheinen m i r direkte Folgen der Sonderfallthese und von RAs Konzeption der allgemeinen praktsichen Rationalität zu sein: (i) der juristische Diskurs sei — sagt RA — an der praktischen Vernunft orientiert und er sei eine normativ-analytische Theorie, (ii) er beruhe auf einer prozeduralen Theorie der Rationalität (39 f./260). 6. Die Regeln des allgemeinen praktischen Diskurses RAs System der Regeln des rationalen praktischen Diskurses umfaßt 22 Regeln und sechs Argumentationsformen (43/2Θ3)32. Ich beschränke mich hier auf einige kritische Anmerkungen. Die erste Gruppe bilden die Grundregeln der rationalen sprachlichen Kommunikation: Widerspruchsfreiheit, Aufrichtigkeit, situationsunabhängiger Gebrauch deskriptiver und evaluativer Ausdrücke und interpersonal gemeinsamer Sprachgebrauch. Es sind dies offenbar sehr verschiedenartige Postulate. Widerspruchsfreiheit ist als logisches Postulat i m Prinzip unstrittig 3 3 . Äußerst problematisch ist die Vermengung logischer m i t moralischen Postulaten. Das Postulat der Aufrichtigkeit ist nicht für jede sprachliche Kommunikation konstitutiv; sonst könnte der Richter m i t dem Ange32 Vgl. R. Alexey, Theorie der juristischen Argumentation, S. 234 ff. 33 Obwohl i m einzelnen auch Probleme existieren, z. B.: (a) Wie ist der logische Widerspruch zwischen Normsätzen zu definieren? (b) Enhält die Klasse v o n Sätzen { Ο (ρ Λ q); p } einen logischen Widerspruch? [Wenn ,Ο (ρ Λ qY ,Op' ,Oq' zur Folge hat, dann ja, sonst nicht.] 1*

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klagten überhaupt nicht reden, da dieser das Recht hat, sich gegebenenfalls mit unwahren Behauptungen zu verteidigen. Auch wenn man aus solchen „transzendentalpragmatischen" (beziehungsweise „universalpragmatischen") Voraussetzungen keine Moralgrundsätze zu gewinnen sucht 34 , täuschen solche Diskursregeln vor, daß die erwünschte moralische Vorgangsweise den Weg zur Wahrheit und zum Richtigen sicherstellt: wenn man wahrhaftig spricht, tut man sein Bestes, u m zur Wahrheit und zum Richtigen zu gelangen. Die außerethischen Momente des Erfindens von effektiven Argumentationsmethoden werden i m Glauben an die Macht des guten Willens, gemeinsame Überlegungen anzustellen, außer acht gelassen. Die zweite Gruppe — die Vernunftregeln: die prima-facie-Begründungsregel und Regeln über Teilnehmerrechte — sind Maximen für die Organisation der Diskussion. Von Begründungspflicht zu sprechen scheint m i r auch i n der abgeschwächten Form problematisch. „Jeder Sprecher muß das, was er behauptet, auf Verlangen begründen, es sei denn, er kann Gründe anführen, die es rechtfertigen, eine Begründung zu verweigern 8 6 ." Welche Gründe sind hinreichend, eine solche Begründungspflicht auszuschließen? Genügt es zu sagen, daß man die Begründung nicht kennt? Genügt der Hinweis auf Evidenz der These statt einer Begründung? Sind Axiome i n diskurstheoretischer Sicht hinterfragbar? (Z.B. das Parallelenaxiom, das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten, das Widerspruchsprinzip? Wie kommt dabei der unterschiedliche Charakter der Axiome zur Geltung?) Kann man über Dialektik Diskurse führen, obwohl sie die Geltung des Widerspruchsprinzips leugnet? Genügt es darauf hinzuweisen, daß es wegen der Relativität des Beweisens und Begründens — jede Begründung stützt sich auf Gründe, die wieder begründet werden müssen, ad i n f i n i t u m — logisch ausgeschlossen ist, alle Thesen eines Systems zu beweisen (zu begründen)? Ist es angesichts dieser logischen Tatsache nicht unvernünftig, ein solches Postulat, das allgemein gar nicht erfüllt werden kann, aufzustellen? Die Rechte der Diskursteilnehmer, i m Diskurs beliebige Thesen vorlegen und beliebige Einstellungen oder Wünsche äußern zu dürfen, klingen sehr schön, doch besteht dann die Gefahr, daß eine „many questions"-Situation hervorgerufen wird, die schon von der traditionellen Diskussionstheorie als Vernichtungstrick gebrandmarkt wurde. 34 Wie dies insbesondere K. O. Apel tut. Vgl. K. O. Apel, Das A p r i o r i der Kommunikationsgemeinschaft u n d die Grundlagen der E t h i k . Z u m Problem einer rationalen Begründung der E t h i k i m Zeitalter der Wissenschaft, in: ders., Transformation der Philosophie, Bd. I I , F r a n k f u r t 1973, S. 358 - 435. ss R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 239.

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Es w i r d durch solche Grundsätze keineswegs erreicht, daß gerade die relevanten Argumente vorgetragen werden. Auch ein Interessenausgleich scheint m i r eher davon abhängig, daß man solche Lösungen findet, die i h m dienen, als die Veranstaltung eines praktischen Diskurses mit der Freiheit, Forderungen stellen zu dürfen. Als dritte Gruppe führt RA die Argumentationslastregeln an. Dieses alte Problem der Eristik entspringt aus der Tatsache, daß neben der Möglichkeit, daß ,p' bewiesen (gerechtfertigt, als richtig erkannt) ist, und der Möglichkeit, daß , - i p ' bewiesen (gerechtfertigt, als richtig erkannt) ist, bei kontingentem ,p' immer die Möglichkeit besteht, daß weder ,p' noch bewiesen (gerechtfertigt, als richtig erkannt) sind. Die Onus-probandi-Regel präsumiert die Wahrheit (Geltung) einer These, solange sie nicht widerlegt wird. Es werden aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen oder aus anderen Gründen (ζ . B. des Persönlichkeitsschutzes bei der in-dubiis-pro-reo-Regel i m Strafrecht) solche Regeln akzeptiert. Ich halte es aber für verfehlt, sie als allgemeine Regeln der Vernunft anzusehen. Vernünftig ist es, das Wahrscheinliche vorauszusetzen, wenn man keine weiteren Informationen zur Verfügung hat, doch nicht immer: die eben angeführte Regel des Strafrechts begnügt sich nicht mit wahrscheinlichen Feststellungen als Basis der Verurteilung (wie Wyschinski, der Theoretiker der sowjetischen Schauprozesse, gefordert hat 8 6 ), sondern fordert Gewißheit. Ich betrachte es keineswegs als Sache der Vernunft, bisher Nicht-Bezweifeltes durch Beweislastregeln zu schützen [aus den Popperschen wissenschaftstheoretischen Postulaten ebenso wie aus der trial-anderror-Methodologie folgt gerade das Gegenteil]. Wer — i m Sinne von 3.4 37 — fordert, daß ein neues Argument erst das Placet der Diskursteilnehmer erlangen muß, bevor es angewendet werden darf, der sterilisiert die Diskussion, denn die neuen Argumente werden gerade durch ihre argumentative Rolle legitimiert (neben der Wahrheit bei indikativen Thesen und der Akzeptabilität bei praktischen Sätzen). Auch solche Diskursregeln wie (3.3) „Wer ein Argument angeführt hat, ist nur bei einem Gegenargument zu weiteren Argumenten verpflichtet" 3 8 , sind unzweckmäßig. Ist das Argument zur Begründung der These logisch hinreichend, dann sind weitere Argumente überflüssig (aber manchmal dennoch sehr nützlich; z. B. vgl. die Pluralität der Messungsweisen i n den Naturwissenschaften) — nicht aufgrund von Diskursregeln, sondern aus logischen Gründen. Sind die bisher vorgelegten Argumente nur Instrumente des Plausibelmachens, ist nicht einzusehen, A . Ja. Wyschinskij, Theorija sudebnych dokazateljstw w prawe, Moskau 1946. 37 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 245. 38 Ebd., S. 244.

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warum jedes Stückchen vorgetragener Plausibilitätsgründe die Forderung nach stärkeren Gründen ausschließen sollte. Die Diskursregeln erscheinen m i r dort besonders problematisch, wo sie nicht nur Prozedurregeln sind, sondern unter dem Deckmantel von Diskursregeln inhaltliche Konzeptionen festlegen. Diesen Charakter hat ζ . B. die Argumentationslastregel „Wer eine Person A anders als eine Person Β behandeln w i l l , ist verpflichtet, dies zu begründen" 3 0 . Nach dem Prinzip der formalen Gleichheit ist Ungleichbehandlung unter gleichen Bedingungen immer auszuschließen 40 . Dies ist eine vernünftige Voraussetzung der Gerechtigkeitsanalyse. Die entscheidende Frage ist dann, ob weitere differenzierende Subsumtionsbedingungen anerkannt werden sollen, oder nicht. Anders ist die Situation, wenn man die Gleichheitspräsumption inhaltlich deutet, wie dies RA wahrscheinlich i m Sinne hat, wenn er sagt: „Eine andere Begründung von (3.1) besteht darin, daß nach den Vernunftregeln alle gleich sind und deshalb Gründe vorgebracht werden müssen, u m ein Abweichen von diesem Zustand zu rechtfertigen. Die Vernunftregeln begründen eine Vermutung für die Gleichheit 41 ." Dann schließt man Diskurse über die Frage, ob primär materielle Gleichheit gefordert werden soll, a limine aus. Dies halte ich für sehr bedauerlich: materielle Gleichheitspostulate sind 'keine a-priori-Postulate der Vernunft, sondern materielle Postulate einer moralischen Einstellung. Es liegt hier ein typischer Fall der Immunisierung durch Diskursregeln vor. I n der vierten Regelgruppe, den Begründungsregeln des praktischen Diskurses finden w i r weitere Beispiele (das Rollentauschprinzip, das Konsensprinzip, das Publizitätsprinzip und die Prinzipien der Überprüfung der historisch-gesellschaftlichen bzw. der individuellen Genese normativer Überzeugungen). Meine nur partielle und kursorische Analyse der RAschen Regeln des praktischen Diskurses sollte folgende Thesen plausibel machen: 1. Die Diskursregeln sind weder unproblematisch noch bilden sie ein solches System, das als umfassende Ganzheit die Begriffe »Vernunft' und »rationale Begründung' definiert. 2. Es ist durch die Regeln und durch Diskurse keineswegs die Erwartung begründet, daß sie zur praktischen Erkenntnis (zur objektiven Richtigkeit) führen. Sie führen bloß zu einem scheinbegründeten Kognitivismus. 39 Ebd., S. 243. 40 O. Weinberger, Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische u n d rechtspolitische Betrachtung, in: ÖZÖR 25 (1974), S. 23 - 38; ders., Gleichheit u n d Freiheit: Komplementäre oder widerstreitende Ideale, in: Equality and Freedom: International ad Comparative Jurisprudence, New Y o r k , Leiden 1977, S. 641 - 654. 41 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 243.

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7. Zwei Modelle der rationalen Begründung von Diskursregeln RA spricht von zwei verschiedenen Modellen der Begründung von Diskursregeln: dem Prinzipienmodell und dem diskurstheoretischen Modell, wobei er ausdrücklich dieses jenem vorzieht. Die Trennung der Modelle ist aber aus zwei Gründen unscharf: (i) RA betrachtet die Prinzipien auch als Bestandteile des diskurstheoretischen Modells, (ii) er legt die Prinzipien i n diskurstheoretischer Sicht dar. Das Werten des Einzelmenschen oder einer sozialen Gruppe definiert, was als rational gewertet w i r d (46/267). RA arbeitet also mit einer Differenzierung des Rationalitätsbegriffes; es gibt also je nach der Werteinstellung von Personen oder von Gruppen verschiedene Rationalitäten. Nur eines sei allen gemeinsam: „die Idee der Optimierung menschlicher Kompetenz i n allen ihren Aspekten" (46/267). Meines Erachtens ist die Optimierung der menschlichen Kompetenz nicht durch eine Aufspaltung der Ratio i n verschiedene Rationalitäten, je nach der subjektiven Wertung einzelner oder gewisser Gruppen zu erreichen, sondern es geht darum, aufgrund philosophischer Analysen 4 2 das bloße Für-vernünftig-Halten i n einer globalen prima-facie-Wertung durch echte Begründungen zu ersetzen. Ich kann diese Auffassung auch so ausdrücken: es geht darum, die bloße Feststellung, daß Menschen i n gewissen Situationen vorgetragene Argumentationen als überzeugend ansehen und Argumente als gute Gründe anerkennen, durch Untersuchungen darüber zu ersetzen, wann Argumentationen gelten, und was ,gute Gründe 4 , gegebenenfalls ,hinreichende Begründungen 4 für eine These sind. Die praktische Rationalität sucht RA durch die Prinzipien (1) der Konsistenz, (2) Zweckrationalität, (3) Überprüfbarkeit, (4) Kohärenz, (5) Verallgemeinerbarkeit und (6) Aufrichtigkeit „vollständig" zu beschreiben. Angesichts der Verschiedenartigkeit dieser Prinzipien ist m i r nicht klar, was die Vollständigkeit dieser Aufzählung begründet. Die Prinzipien beziehen sich offenbar auf verschiedene Gegenstände: Prinzip (1) auf ein System von Sätzen, i n der diskurstheoretischen Interpretation von RA auch auf das Verhalten von Diskursteilnehmern. Prinzip (2) bezieht RA einerseits auf die Kommunikation i m Diskurs, andererseits auf die normativen Vorschläge. Prinzip (3), „Überprüfbarkeit", w i r d von RA nicht als K r i t e r i u m des zulässigen Inhalts von Behauptungen und Theorien — wie i n der Philosophie üblich —, sondern als Komplex 42 Was ich darunter verstehe habe ich angedeutet i n : O. Weinberger, Tiefengrammatik u n d Problemsituation. Eine Untersuchung über den Charakter der philosophischen Analyse, in: Wittgenstein u n d sein Einfluß auf die gegenwärtige Philosophie, A k t e n des 2. Internationalen Wittgenstein-Symposiums 1977, W i e n 1978, S. 290 - 297.

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von auf Kommunikation, auf den Argumentationsprozeß und auf die Argumentationsformen bezogenen Postulaten hingestellt. Die Darlegung von (4), des Kohärenzprinzips, scheint m i r zu unklar, als daß ich darüber etwas sagen könnte 4 8 . Prinzip (5), „Verallgemeinerbarkeit", w i r d als Gerechtigkeitskriterium, als Diskursregel, als Onus-probandi-Regel, als Rollentausch-, Konsens- und Publizitätsprinzip verstanden, so daß die Zusammenhänge schwer nachvollziehbar sind. Das Prinzip (6), Aufrichtigkeit, ist ein an Personen gerichtetes (moralisches) Postulat, und die Zwangsfreiheit — die nach RA i n den Bereich der Aufrichtigkeitsregel fällt — ist eine soziologische Charakteristik zwischenmenschlicher Beziehungen. Ich zweifle daran, ob ein solcher Mischbegriff der Rationalität für unser gemeinsames Anliegen, nämlich: für die philosophische Klarheit und die Förderung der Vernunftanalyse i n der praktischen Philosophie, dienlich sein kann. Zum Diskursmodell Nun, RA selbst steht dem Prinzipienmodell skeptisch gegenüber und sieht die Lösung i m diskurstheoretischen Modell. Dieses Modell besteht nach RA aus zwei Teilen: aus der Begründung der Diskursregeln und der Theorie des diskurstheoretischen Diskurses. Ich muß es m i r versagen, hier auf die von RA vorausgesetzten vier Begründungs weisen von Diskursregeln einzugehen. Es gibt zweifellos pragmatische Voraussetzungen der Kommunikation 4 4 , ebenso wie es zweckmäßig ist, Formen von Diskursen zu optimieren. RA versteht unter dem Begriff der Rationalität etwas anderes als ich: Rationalität ist für i h n eine postulierte Eigenschaft von Diskursprozessen; ausgedrückt w i r d sie i n den Diskursregeln. Für mich ist Rationalität eine Charakteristik der philosophischen Analyse, d. h. der Analyse der Thesen selbst, ihres begrifflichen Aufbaus, der Auffindung impliziter Voraussetzungen und das Studium der begründenden Basis der Thesen. Rationalität — i n diesem Sinne — beruht auf der Idee der logischen Folgerichtigkeit und dem Postulat der erkenntniskritischen Reflexion („Woher weiß ich, daß ...?", „Wie ist die These begründet?"). 43

Wenn R A sagt: „Der Kohärenz dienen alle Regeln, die zu einer möglichst umfassenden u n d zusammenhängenden Verknüpfung v o n Sätzen u n d Theorien führen" (48 f., 268 f.), übersieht er, daß solche Thesen, Forderungen oder Regeln n u r dann sinnvoll sind, w e n n eine operational brauchbare Definition v o n „zusammenhängende Verknüpfung" zur Verfügung steht. 44 Ζ. B. die Behauptungskonvention. Vgl. O. Weinberger, Rechtslogik. Versuch einer A n w e n d u n g moderer Logik auf das juristische Denken, Wien, New Y o r k 1970, S. 32.

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RA ist sich der Unmöglichkeit, objektive Geltung durch Diskurse zu garantieren, bewußt, weil sowohl die Begründung der Diskursregeln als auch die Diskurse selbst von den Vorstellungen und Wertungen der Teilnehmer abhängen, die nicht objektiviert werden können. Die verschiedenen Rationalitäten entsprechen verschiedenen Lebensformen. Die Leistung der Diskursregeln sei es, daß es für einen gewissen Zeitraum und für eine bestimmte Personengruppe praktische Antworten gebe, die diskursiv notwendig, möglich oder unmöglich seien, je nachdem, ob alle Teilnehmer, einige ( = wenigstens ein Teilnehmer) oder kein Teilnehmer ihr zustimmen 4 5 . Es bleibt unklar, welches Gewicht die Feststellung der diskursiven Modalität hat. 8. Rechtsprozeduren und juristischer Diskurs Für das Rechtsleben ist es zweifellos charakteristisch, daß i n i h m Prozeduren auftreten — sie werden gewöhnlich Rechtsverfahren genannt —, die i n spezifischer Weise mit Argumentationen i n Verbindung stehen. Hier gibt es also einen legitimen Platz für den juristischen Diskurs. I n vielen Rechtsverfahren komme es auch i n wesentlichem Maße auf die tatsächlichen Wertungen der Menschen, auf gesellschaftliche Rechtfertigung und auf Konsens an. Es liegt hier also ein passendes Anwendungsfeld für eine Theorie der argumentativen Rechtfertigung vor. Es ist wichtig, diese Argumentationen analytisch und kritisch zu betrachten, und insbesondere logische, kognitiv-empirische und stellungnehmende (normative und evaluative) Elemente der Argumentation möglichst klar zu unterscheiden. RA sucht zu zeigen, daß der allgemeine praktische Diskurs, PP, keine ausreichende Basis des Rechtslebens bietet, weil er keine eindeutigen praktischen Regeln anbietet und weil durch ihn die Befolgung der Regeln nicht garantiert sein kann. Sowohl der „Sprung i n das Recht" als auch die „Transformationen innerhalb des Rechts" sind für RA das Feld des juristischen Diskurses. Beide sind für das Rechtsleben nötig, und beide können durch Regeln bestimmt und gerechtfertigt werden. Die Rechtfertigung des Sprungs i n das Recht behandelt RA nicht näher. 4

5 R A definiert als ,diskursiv möglich' das, was wenigstens v o n einem Diskursteilnehmer vertreten w i r d u n d gleichzeitig mindestens von einem nicht vertreten w i r d . Danach w ä r e n ,diskursiv möglich' u n d ,diskursiv n o t wendig' einander ausschließende Eigenschaften (52/272). Das w a r w o h l nicht die Absicht des Autors, denn sonst hätte er nicht v o m „ R a u m des juristisch Möglichen" gesprochen, der offenbar auch das diskursiv Notwendige m i t u m faßt. Auch seine Behauptung, daß die Positivierung der Normen i m Räume des diskursiv Möglichen stattfinde (57/273), wäre problematisch, denn das diskursiv Notwendige k a n n doch hier nicht ausgeschlossen werden.

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Ota Weinberger

Neben der allgemeinen praktischen Rechtfertigungsprozedur, PP, setzt RA drei spezifisch juristische Prozeduren: P r , die staatliche Rechtserzeugung, Pi, den juristischen Diskurs, und P^, die gerichtlichen Verfahren. Diese Systematik erscheint m i r nicht zweckmäßig. Vom Standpunkt einer dynamischen Konzeption des Rechts ist die staatliche Rechtserzeugung i m Prinzip von analoger A r t wie die richterliche und diese wieder wie die Rechtserzeugung i m Verwaltungsverfahren 4 ®. Unklar bleibt für mich, wie Pi, der juristische Diskurs, von P r und P& abgetrennt wird. Ist etwa m i t P> ein rein doktrinaler Diskurs (ohne Entscheidungskompetenz) gemeint? Ich weiß es nicht. Vom rational-argumentativen Gesichtspunkt besteht hier kein Unterschied zwischen P? und P9. Solange man nicht k l a r zwischen Rechtsverfahren (definiert durch Kompetenzen), Argumentationen (als rationalen Begründungsprozessen) und argumentativen Diskussionen (als interpersonalen Prozeduren der Meinungsbildung aufgrund von Analyse, Argumentation, Stellungnahme und Konsenssuchen) unterscheidet, kann keine klare Erklärung des Rechtsgeschehens und der mit i h m verbundenen Gedankenarbeit ausgearbeitet werden. Auch die RAsche Unterscheidung der internen und externen Rechtfertigung i m juristischen Diskurs ist problematisch. Die interne Rechtfertigung ist offenbar nichts anderes als Rechtfertigung durch Subsumtionsschluß unter Heranziehung von semantischen Regeln. Die externe Rechtfertigung umfaßt: „die Regeln und Formen (1) der Auslegung, (2) der dogmatischen Argumentation, (3) der Präjudizienverwertung, (4) der allgemeinen praktischen Argumentation, (5) der empirischen Argumentation sowie (6) die sogenannten speziellen juristischen Argumentformen." (56/277) A n anderer Stelle definiert RA die externe Rechtfertigung folgendermaßen: „Gegenstand der externen Rechtfertigung ist die Begründung der i n der internen Rechtfertigung benutzten Prämissen. Diese Prämissen können ganz unterschiedlicher A r t sein. Es lassen sich (1) Regeln des positiven Rechts, (2) empirische Aussagen und (3) Prämissen, die weder empirische Aussagen noch Regeln des positiven Rechts sind, unterscheiden 47 ." M i r scheint es nicht angemessen, die Subsumtionsbegründung von den anderen normativ ergänzenden Begründungselementen strikt abzutrennen; die Argumentationen aufgrund von Prinzipien und die Ermessensargumentationen sollten meines Erachtens als zusammenhängend verstanden werden 4 8 . 4