Metaphysik des Untergangs: Eine kulturkritische Studie über Oswald Spengler 9783486777352, 9783486777345


231 99 19MB

German Pages 270 [272] Year 1949

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
INHALTSOBERSICHT
Vorbemerkung
ERSTES BUCH: DER STREIT UM SPENGLER. Kritik seiner Kritiker
Vorwort
I. Teil: Geschichtsphilosophisch-inhaltliche Einstellung
II. Teil: Kulturphilosophisch-wissenschaftliche Einstellung
III. Teil: Kulturmetaphysisch-religiöse Einstellung
Schluß: Historische und systematische Einordnung
ZWEITES BUCH: ERGEBNIS UND BEDEUTUNG. Das Werk und sein Ertrag
Einleitung
I. Teil: Das kultur-metaphysische Problem
II. Teil: Das kulturphilosophische Problem
III. Teil: Das geschichtsphilosophische Problem
Schluß: Die wissenschaftliche und die Kulturbedeutung
Nachwort
Namenverzeichnis
Recommend Papers

Metaphysik des Untergangs: Eine kulturkritische Studie über Oswald Spengler
 9783486777352, 9783486777345

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schweigsam Öffnen

über

der

Schädelstätte

sich Gottes goldene

Äugen. Georg Ttäkl

METAPHYSIK DES

UNTERGANGS

EINE KULTURKRITISCHE ÜBER O S W A L D

STUDIE

SPENGLER

VON

MANFRED

SCHRÖTER

MÜNCHEN 1949

LEIBNIZ

VERLAG

B I S H E R R. OLDENBOURG VERLAG

Dr. Manfred Schröter, Professor honor. der Technischen Hochschule München. Geb. am 29. November 1880 in München. Copyright 1949 by Leibniz Verlag (bisher R. Oldenbourg Verlag). US-E-179. 1. Auflage 1949. Auflagenhöhe: 5000. Druck u. Buchbinderarbeiten : R. Oldenbourg, Graph. Betriebe GmbH., München.

INHALTSOBERSICHT Vorbemerkung

7

E R S T E S B U C H : D E R S T R E I T UM Kritik seiner Vorwort

..

SPENGLER

Kritiker

..

17

I. Teil: Geschi chtsphilosophisch-inhaltliche Einstellung 1. Kapitel: Allgemeinbeurteilung 2. Kapitel: Weiterdeutende Kritik

..

II. Teil: Kulturphilosophisch-wissenschaftliche Einstellung 1. Kapitel: Die wissenschaftliche Problematik 2. Kapitel: Geisteswissenschaftliche Kritik 3. Kapitel: Naturwissenschaftliche Kritik

21 26 32 43 50 61 70

III. Teil: Kulturmetaphysisch-religiöse Einstellung 1. Kapitel: Geschichtswissenschaftliche Kritik 2. Kapitel: Philosophische Kritik 3. Kapitel: Theologische Kritik 4. Kapitel: Metaphysische Beurteilung

84 87 95 115 138

Schluß: Historische und systematische Einordnung

149

ZWEITES BUCH:

ERGEBNIS

UND

Das Werk und sein Einleitung

161

I. Teil: Das kultunnetaphysische Problem 1. Kapitel: Präludium 2. Kapitel: Exposition 3. Kapitel: Grund-Darlegung 4. Kapitel: Kritische Bilanz II. Teil: Das 1. Kapitel: 2. Kapitel: 3. Kapitel:

BEDEUTUNG

Ertrag

kulturphilosophische Problem Allgemeine Einleitung Kulturablauf und Kulturinhalte Kritische Bilanz

III. Teil: Das geschichtsphilosophische Problem 1. Kapitel: Zivilisation und Gegenwart 2. Kapitel: Prophet und Schicksal

165 165 171 178 189 199 199 206 213 224 224 237

Schluß: Die wissenschaftliche und die Kulturbedeutung

250

Nachwort

257

Namenverzeichnis

269

VORBEMERKUNG

Spenglers Gesamtwerk läßt sich, der Entstehung and dem Inhalt nach, einfach und übersichtlich gliedern: Sein Hauptwerk ist der Erste Band des „Untergangs des Abendlandes", der im Sommer 1918 erschien — das eigentliche Dokument seiner ursprünglichen Genialität, die Quelle seines Ruhmes und Erfolges. In iihm ist schon endgültig alles das gesagt, was er zu der Metaphysik und der Kulturmorphologiie, zu der Geschichtsphilosophie und Wissenschaftskritik Neues, Bedeutsames zu sagen hatte. Ihm folgten kurz darauf (1919 und 1921) zwei kleinere Abhandlungen— „Preußentum und Sozialismus" und „Pessimismus?" — als ernste Kundgebungen seiner politischen Schriftstellerei: Rechtfertigung seiner Geschichtsschau und ihrer Anwendung auf die Gegenwart und ihre Aufgabe. Damit zeichnen sich klar die vier verschiedenen Seiten seines Werkes und seiner Begabung ab: Seine M e t a p h y s i k , d. h. sein Suchen nach einem letzten metaphysischen Erklärungsgrunid des rätselhaften Kulturphänomens an sich, das als das Urgeheimnis hinter seinem ganzen Denken 6tand — seine K u l t u r m o r p h o l o g i e , d. h. seine Anordnung und Erscheinung&lehne dieser unermeßlichen Gestaltenfülle der verschiedenen Kulturen unserer Erde, die sein Geist mit unvergleichlicher Anschauungskraft umspannte — seine G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e , d. h. 6eine Deutung und Vorausschau auf Gegenwart und Zukunft des ablaufenden Prozesses, unter Betonung ihres Abstiegs- und Zerfalkcharaktere — und zuletzt sein p o l i t i s c h e s S c h r i f t t u m , d.h. sein Versuch, auf diese Gegenwart unmittelbar, warnend und mahnend, einzuwirken. Dies sind vier Seiten, vier Gebiete, die kritisch durchaus zu unterscheiden sind und jeweils auch verschiedene Beurteilungen erfordern, 7

selbst wenn idiese eich idann widersprechen sollten und die einen positiv, die andern negativ abschließen würden. Das erste dieser Gebiete, die Metaphysik, ist nur allein in jenem Ersten Band des „U.d.A." vertreten, und auch dort bleibt sie, wie eich noch zeigen wird, sehr unzulänglich. Das zweite und idritte Gebiet, die Kultur- und die Geschichtsphilosophie, entfalten eich gleichmäßig reich im Erstem und im Zweiten Band, der 1922 erschien und eigentlich nur ein ergänzender unid erweiternder Kommentar das Ensten Bandes ist. Seit diesem Band kommt fast für ein Jahrzehnt dann ausschließlich nur das vierte Gebiet zur Geltung: Der politische Schriftsteller hat allein das Wort, in zahlreichen kleineren Schriften und Vorträgen, die in den beiden Bänden „Politische Schriften" und „Reden und Aufsätze" gesammelt sind, um sich 'dann zum Schluß in den 1933 'erschienenen „Jährender Entscheidung" noch einmal zu einer mächtigen Kundgebung zu steigern, die als sein Vermächtnis (mit dem Untertitel „Deutschland und die weltgeschichtliche Entscheidung") sich beschwörend vor die drohende Entscheidung und Gefahr der Gegenwart stellt. Seine Entwicklung also scheint eindeutig zu verlaufen: Beginnend mit dem Herzpunkt innerer metaphysischer Wesensschau — die sie doch nicht erreicht und nicht behaupten kann — wendet sie sich nach der gereiften Durcharbeitung der Kulturmorphologie mit nachlassender Kraft nach außen und endigt als Untergangswarnung und Prophetie des schicksalhaft erschauten kommenden Verhängnisses. So wird begreiflich, daß bei seiner Allgemeinbeurteilung der Eindruck eines fatalistischen und starren Pessimismus überwiegt, der noch durch seine steigende Betonung einer biologisch und materialistisch ausgemalten „Raubtierethik" des erbarmungslosen Endkampfes und Untergangs verdüstert wird. Im ganzen also selbst eine absteigende, ermattende und ihren höchsten Sinn einbüßende Entwicklung, die von einem hohen Einsatzpunkt allmählich herabsinkend schließlich sich in „Nihilismus und Brutalität" verliert? Doch zeigt ein näheres Zusehen, daß diese Entwicklung in der Reihe seiner Schriften durchkreuzt wird von einer Gegenströmung — als hielte seine eigentliche Sehnsucht dauernd doch an jener ursprünglichen metaphysischen Kulturschau fest, die ihm in Wirklichkeit entgleitet. So nennt er 1922 das Eingangskapitel seines Zweiten Bandes (in der Anmerkung) als „einem metaphysischen Buch entnommen, das ich in Kürze vorzulegen hoffe". Und wieder spricht das Vorwort seiner Schrift von 1931 „Der Mensch und die Technik" von einem 8

„größeren Wenk", dein 'diese Gedanken entnommen seien. Nuin aber nennt er

es nidit mehr „Metaphysik"!

sondern „Geschichte

des

Menschen von seinem Ursprung an". Zweifellos hat er auch dauernd an einem solchen Werk gearbeitet und geplant, doch ist nur ein einziges größeres Stück daraus von äihm veröffentlicht worden — die hundertdreiunddreißig Seiten „Zur Weltgeschichte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends" (1935), deren Eingang von der „gToßen Geschichtsschreibung spricht, die überhaupt keine Wissenschaft" sei, „sondern eine Kunst, schöpferische Dichtung, Verschmelzung

der

Seele des Schauenden mit der Seele der Welt. Sie ist mit der großen Epik und Tragödie und der großen Philosophie in der Tiefe identisch. Sie ist Metaphysik." Dieses Schlußbekenntnis Spenglers enthüllt zugleich seine Tragik: Auch er gibt ja Geschichtsschreibung „von großem Stil", und doch wird 6ie als Wissenschaft nicht anerkannt, während sie andrerseits das Ziel der wirklichen echten Metaphysik, das 6ie sich vorsetzt, doch bei weitem nicht erreicht. Auch seine „Weltgeschichte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends" verliert sich in nur äußerlichen Fragen. Aber es soll nicht vergessen weiden, daß er bis zum Schluß, der Absicht nach, an seinen metaphysischen Endzielen immer festgehalten hat. Diese seine Behauptung und dieser sein Anspruch hat denn auch den Aufbau der hier unternommenen Untersuchung mitbestimmt, wie er sich andrerseits 6chon aus der chronologisch

fortschreitenden

Ordnung seiner Werke ganz von selbst 'ergibt. Dies mag ein Blick auf die Entstehung dieses Buches noch verdeutlichen. Sein erster Teil, „Der Streit um Spengler", bezieht sich ausschließlich nur auf den Ersten Band des „Untergangs des Abendlandes". Denn dieser Band lag ganz allein vier Jahre hindurch vor, und er allein bestimmte die Auswirkung Spenglers und entfesselte die ungemein vielseitige Kritik jener stürmischen Jahre, die hier, den entscheidenden Grundzügen nach, als ein Stück Wissenschaftsgeschichte, selbst kritisch beurteilt und geordnet, vorliegt. Sie erschien Herbst 1922, fast gleichzeitig mit dem Zweiten Band des „Untergangs" und ist hier — vom Ballast allzuvieler Anmerkungen befreit und wesentlich gekürzt, jedoch sonst unverändert wiedergegeben worden. Aus dieser Schau nur auf den Ersten Band des „Untergangs" erklärt sich ihre Ausrichtung auf die Geschichtsmetaphysik als auf den vorbereiteten, erhofften Höhepunkt des ganzen Werkes — eine Hoffnung, die der Zweite Band dann nicht erfüllen sollte.

9

Der Schraub engang ider Untersuchung beginnt dm weitesten, äußeren Umkreis mit der Allgemeinkritik, um, eich verengend und vertiefend, über die wissenschaftliche uad theologische Kritik zum metaphysischen, geforderten Zentralpunkt analytisch anzusteigen. Mit eben dieser metaphysischen Beurteilung beginnt das Zweite Buch („Daß Werk und sein Ertrag") 'die eigene Kritik, um deduktiv, über den kulturmorphologischen zum geecMchtepbilosophischan Bezirk, der Gegenwartsb eurteilung und solner Prophetie, wieder herabzusteigen. So entsprechen sich daher die drei Kapitel des Ersten und des Zweiten Buches gegenläufig spiegelbildlich, wie auch ihr gegenseitiger Zusammenhang von Anfang an geplant war. Das Zweite Buch (in seinen beiden ersten Kapiteln) war sogar schon vor dem Ersten, im Jahr 1920, begonnen und mit Spengler durchgesprochen worden, der die kritischen Einwände anerkannte. Sie bestimmten ihn und den Verlag, erst noch die Ausführung des „Ersten Buches" (den „Streit um Spengler") anzuregen, doch unterblieb damals die nachträgliche Fertigstellung auch des Zweiten Buches. Der erscheinende Zweite Band des „Untergangs" brachte nicht die erwartete Vertiefung, sondern wesentliche, aber nur inhaltliche, geschichtliche Ergänzungen zum Ersten Band. Der metaphysische Exkurs seines Eingangskapitels („Das Kosmische und der Mikrokosmos") gleitet in Biologismus ab, wenn auch die Anmerkung der ersten Seite jenes „metaphysische Buch" erwähnt. Bis zuletzt hat Spengler davon als von seinem Haupt- und Lieblingsplan erzählt. Unter seinen nachgelassenen Aufzeichnungen hierzu findet sich eine frühere Disposition: „Metaphysik im Umriß" und eine spätere: „Urfragen. Entwurf einer Frühgeschichte der Menschheit" Es war der letzte geheime Hintergrund, Zielpunkt und Untergrund aller seiner Gedanken, auf deim er sein gewaltiges Gebäude ruhen fühlte, dien er aber selbst nur erst andeuten und noch nicht in einem eigenen gereiften Werk aussprechen und gestalten konnte. Es wäre wohl die späte und wertvollste Frucht seines Alters geworden, die das Schicksal ihm nicht mehr gewährt hat. Sein von einer ins Unendliche greifenden Phantasie genährtes Werk mußte ein Torso bleiben, und so wird das Bild, das all seine Veröffentlichungen gewähren, erst noch aus dem Nachlaß ganz richtigzustellen sein. Der Zweite Band hatte damals mit nur unwesentlichen Ausnahmen fdarunter die wichtige Kritik A. Dempfs im „Hochland". 1922, und das Spenglerheft der Zürcher Zeitschrift „Wissen und Leben", 1923, mit dem Aufsatz F. Meineckes, sowie die überlegen kritische, 10

bedeutende ZueÄmmmg Eduand Meyems in eeditier Rede auf der Histoiikertagunig 1924, als Sonderdruck „Spenglers U. d. A." Berlin, 1925) keime W'editene Kritik mein ausgelöst — 'die unvergleichliche Auswirkung des Ersten Bandes und der ersten Jahre war plötzlich erloschen und sie hat sich seitdem nie wieder erneuert. Wesentliches an Kritiken ist im dem nun verflossenen Viertel] ahrhuodert nicht mehr dazugekommen, und so ist das Bild jener vergangenen Zeitwirkung abgeschlossen und 6chon endgültig geworden. Worin liegt die Berechtigung für den Versuch, diese vergangenen Analysen nun als Gesamtkritik des ganzen Werkes nochmals, wenn auch kurz, zu wiederholen, ja ihre kritische Zusammenordnung, wie es hier geschieht, nach dem ursprünglichen Konzept mit ihrer zweiten Hälfte nachträglich zu ergänzen? (Es siimd dies die Kapitel 14, II 3 und III. Teil des Zweiten Buches, die 1945 geschrieben wurden.) Die Gründe hiefür sind zweifacher ÄTt. Der Doppelgang dieser symmetrisch an- und absteigenden Untersuchung mag sie als lehrreiches Beispiel objektiver Wissenschaftskritik erscheinen lassen. Denn ihre beiden Schichten, die frühere in mehr positiver, die spätere in mehr negativer Beleuchtung, doch jede ihrer Zeit und dem Objekt nach notwendig bedingt und in polar fruchtbarer Spannung zueinander, mögen sich im der Tat zu einer endgültigen GesamtbeuTteilung der an dem Werk Spenglers erwachten und möglichen Grundfragen ergänzen. So könnte diese historische Studie auch als Handwerkszeug zur kommenden Verarbeitung grundsätzlicher wiederkehrender Fragen dienen, da ja das Werk Spenglers nach der vieljährigen Verbannung einmal neu erscheinen und zu neueT Wirkung gelangen wird. Hier 6ind darum nur typische Grundzüge der vergangenen Kritik und deren gesetzmäßiger Entwicklungsgang als eigenes Problem für 6ich verfolgt, unter Weglaesung alles Zeitbedingten. Nicht um die Sammlung alter Meinungen war es zu tun, die, noch so vollständig geordnet, für uns heute belanglos wären, sondern um die prinzipiellen Möglichkeiten kritischer Umfassung überhaupt, deren Ergebnis beispielhaft und zeitlos gültig sich bewähren müßte — unabhängig selbst von Spenglers Werk. In diesem Sinn möchte das Buch nicht sowohl zur Lektüre als zum Studium dienen, das, gestützt auf den Zusammenhang der Inhaltsübersicht, an jeder Stelle selbständig einsetzen kann, je nach dem sachlichen Anhalt, der eich dem Leser bietet. Dafür mag manche Wiederholung, die nicht zu vermeiden war, in Kauf genommen werden. 11

W>em Spenglers Werk seibist unbekannt ist, wird richtiger mit unserem Zweiten Budi beginnen. Der Kenner wind die Studien am besten im der Folge ihrer Entstehung (1920, 22, 45) überprüfen, uim an ihrem eigenen Wandlungegesetz womöglich eines zeitlosen Ertrags innezuwerden. Kritische Weiterbildung der Kulturmorphologie an sich ißt so die eigentliche letzte Absicht dieser Arbeit, die andererseits im Metaphysischem auch das noch uneröffnete gedankliche Vermächtnis Spenglers wahrem und vervollständigen möchte. Zu diesen theoretisch-wissenschaftlichen, bleibenden Gründen für die jetzige Veröffentlichung tritt ein gegenwärtiger und aktueller. Spenglers Gaschichtsphilosophie und Prophetie im seinen politischen Schriften haben durch den zweitem Weltkrieg, seinen Ausgang und dessen Auswirkung eine neue, problematische Bedeutung angenommen. Obwohl er den von ihm vorausgesehenen Kriegsausbruch selbst nicht mehr erlebte — er starb 1936 —, gehören seine letzten Schriften nun doch schon der „Kriegsliteratur" im weiteren Sinne an und unterliegen damit auch noch einer zeitbedingten kritischen Beurteilung: Wie er im „Dritten Reich" als Pessimist verfemt und als Autor darum schließlich unmöglich W&T, so stand er jetzt gerade umgekehrt im Ruf des Chauvinisten und Militaristen, ja des geistigen Mitschuldigen, des Schrittmachers und Vorbereiters des Verhängnisses. Was an dieser gleichfalls schicksalhaften und im Wesen des deutschen Geistes und Charakters in der Tat begründeten Anklage richtig und berechtigt ist, versuchen unsere Schilußkapitel als Ergebnis umfassender Übersicht endgültig klarzustellen und damit ihn und sein Werk in die von ihm erkannte Entwicklungslinie selbst sub 6pecie aeternitatis einzuordnen. Es mag wohl unbescheiden scheinen, diese mehrschichtige und umständliche Arbeit, nun fast ein MenschenalteT nach ihrem Beginn, einer veränderten und neuen Zeit — zum Teil gekürzt, zum Teil erst jetzt wirklich vollendet •— vorzulegen. Fühlt sich das Herz „noch jenem Wahn geneigt"? Und ist auch vor der Zeit für diese Fragen noch eine so ausführliche Erörterung gerechtfertigt? Die Antwort mag hier ein persönliches Bekenntnis sein. Ist doch die ganze Arbeit nur dos Dokument der persönlichen Auseinandersetzung einer langen Geistesfreundschaft — von der hoffenden Begrüßung des in Spenglers Erstlingsband 'erfühlten und begründeten metaphysischen Zielpunkts bis zu der kritischen Einsicht in dessen allmähliches Verblassen und Entschwinden vor der immer wachsenden Gewalt 12

einer tragischen Überschattung und Verfinsterung. Diesen Prozeß durchläuft das Schaffen Spenglers wie auch eedine Auswirkung und so auch ihr kritisches Spiegelbild in dieser Schrift. Er ist auch ihre schmerzliche Erlebndsunterlage. — Er wird beim kommenden Beginn erneuter Wirkung nunmehr als erledigt zurücktreten können vor der neuen wichtigeren, aber ums noch unzugänglichem Aufgabe: Spenglers Werk als letzte deutsche Ausprägung des Untergangsgedankens nun mit der in der übrigen Welt hervorgetretenen zunehmendem Auswirkung dieses entscheidendem Gegenwartsgedamkenß kritisch zu vergleichen. Denn auch das geschichtsphilosopliische deutsche Problem wird letzthin nur im Weltproblem einer einst planetarischen Gesatntkulturgemeiinschaft seine endgültige Lösung finden. In Betracht käme vor allem A. J. Toynbees „Study of Hiistory", 6 Bde., 1935/39; P. A. Sorokins „Social and Cultural Dynamics", 3 Bde., 1937; A. L. Kroebers „Configurations of Culture Growtih", 1944, sowie das vielfache Schrifttum Chr. Dawsons, wenn auch auf diesen Werken nicht die für uns tragische Schicksaifebedeutung des Spenglers eben lasten dürfte. Die zahlreichen Zitate aus dem Ersten Band — (kenntlich an der Angabe bloßer Seitenzahl) — sind beibehalten, da wohl noch auf lange hin die meisten Leser -das Werk Spenglers selbst entbehren werden. Diese Zahlen beziehen sich auf die erste Ausgabe (Braumüller Verlag, Wien-Leipzig, Sommer 1918), da der Ausdruck später von Spengler vielfach verändert, nicht immer verbessert wurde. So will auch die Ursprünglichkeit der Zitierung dieser Schrift ihren betont dokumentarischen Charakter wahren. — Noch obliegt mir auch an dieser Stelle der Ausdruck herzlichen Dankes an meinen verehrten Freund, Herrn Dr. Heinrich Beck, für gütige Überlassung seines Verlagsrechts auch am Neuabdruck des Ersten Buches dieser Schrift, sowie an Frl. Dr. H. Kornhardt, die in München lebende Nichte und Nachlaßverwalterin Spenglers, für manch wichtigen Hinweis. München, Weihnacht 1947

Manfred

Schröter

13

ERSTES

BUCH

DER STREIT UM S P E N G L E R KRITIK SEINER KRITIKER

VORWORT

Nicht ohne Erschrecken bemerkt der Verfasser bei Beendigung dieses in kritischer Abwehr begonnenen Versuches, daß man ihn im Gegenteil, zwar wohl nicht der Parteinahme, doch fast einer Verliebtheit in den Beiden seiner kritischen Odysseusfahrten zeihen werde — ein Zwiespalt, dessen psychologische Erklärung in der eigenen kritischen Studie des Verfassers liegt, die dieser Durchmusterung der Spenglerliteratur vorausgegangen ist, doch deren Abschluß und Veröffentlichung erst noch Spenglers Zweiten Band 6owie die endgültige Neuherausgabe des Ersten abzuwarten haben wird. Hat sich daß kritische Gemüt nämlich des eigenen Ingrimms und Widerstandes entladen, so betrachtet es bekanntlich schon aus Reaktion die positiven Seiten des Objekts mit neuer Liebe. Diese waren es ja doch von Anfang an, die sein lebendiges Interesse erregt hatten. Kommt nun dazu noch «Jas von allen Seiten tönende Geschrei vielfältiger Verw.eriung, das im Grunde nicht viel anderes besagt, als was man selbst bescheidentlich auch schon an jenem Buche bemerkt hatte, so erwächst unwillkürlich das Bedürfnis, auch die Stärken des inkriminierten Werkes — und wäre es auch nur in der „Minorität von Zweien" — zu verteidigen, da mit verschwindenden Ausnahmen die gewaltige Mehrheit von Kritikern aus allen Lagern, wissenschaftlichen, schriftstellerischen und politischen, geschlossen in der wohlgerüsteten Phalanx des Sammelhefts, gepanzert in der dickleibigen Gegenschrift, oder ausschwärmend in Einzelbroschüren, Zeitschrift- und Zeitungsaufsätzen und Vorträgen, in tausendfacher Übermacht gegen den einzelnen Sturm läuft. Gleich einem Klotz ragt dieses einsame Buch aus der Springflut, die es nun vier Jahre lang umbrandet, imponierend schon durch den schweigenden Gegensatz. 2 Sdiröter, Untergang

17

Dios möge dem Anreiz erMären, die Gesamtheit dar Kritiken ihrerseits zu würdigen. Nichts ißt dabei weniger beabsichtigt als Antikritik, .die niemanden überzeugt und niemandem genugtut. Weder im Sinne einer Widerlegung aller Irrtümer der bisherigen Kritiken von überlegener Sachkenntnis aus, was die Umfassungskraft des einzelnen bei weitem übersteigen würde, noch im Sinne einer gegenseitigen Selbstaufhebung der gegensätzlichen Behauptungen, wie es wohl manchmal möglich wäre, doch sachlich nichtssagend bliebe, und am allerwenigsten endlich im Sinne einer Spenglerschen Orthodoxie, die alle Angriffe auf sein Werk zu entkräften hätte. Dazu fehlt dem Verfasser jegliche Veranlassung. Wenn er sich einen objektiven Grund für diesen scheinbar so umfassenden Versuch 'einer Gesamtbeurteilung der kritischen Literatur zugute halten darf, so wäre es nur der, daß er an b e i d e n Parteien gleichmäßig Anteil zu haben glaubt. Kein begründetes Urteil über die FragWürdigkeit der Spenglerschen Aufstellungen kann scharf und absprechend genug sein, das er in gewissem Sinne nicht mit unterschreiben würde: und doch fühlt er in dem Buche andererseits die überlegene und dämonische Stärke, die all den berechtigten Einwürfen trotzt und eine tiefer reichende Erklärung fordert, als 6ie ihr bisher zuteil geworden. Sollte dieser Widerspruch nicht aufzulösen sein? Nicht in der Prätension eines einzelnen, richtiger zu sehen als andere, ja womöglich als der Autor selbst, sondern in der sachlichen Überzeugung, hier vor einem grundsätzlichen Zeitproblem zu stehen, dessen Lösung nur durch vereinte positive Arbeit gefördert werden kann. In der Problemstellung Spenglers scheint uns die Kraft zu liegen, wesentliche Fragen der kulturkritischen Selbsterkenntnis unserer Zeit von einem selten vielseitigen Kreuzungspunkte aus zu überschauen und vielleicht auf eine tiefere Ordnung zurückzuführen. So kann die Auswirkung dieses Buches als Zeitphänomen von bestimmter Bedeutung und Bedeutsamkeit für das Kulturbewußtsein dieser Gegenwart begriffen werden. Diesem Ziel, der Kulturselbsterkenntnis gegenüber, wird uns hier Spengler und Spenglerkritik zur Nebensache, d. h. zum dankbar benutzten Mittel zu dem Zweck kritischer Förderung jenes Kulturproblems, dessen ganz allgemeine Lösung und Klärung uns Lebensnotwendigkeit bedeutet Diesem Ziel allein will diese kritische Zusammenfassung der Kritiken d i e n e n und sie weist daher von vornherein jeden Vorwurf zurück, in Spenglers Werk „hineinzusielhen", was er nicht gesagt oder höchsten erst 18

angedeutet habe. Nicht um Spengler, sondern nur um jiene sachliche Aufgabe ist es uns zu tun. Vollständigkeit des Materials im Sinne einer Spenglerbibliographie ist nirgends angestrebt. Im Gegenteil schien uns unser Viersuch nur dann berechtigt, wenn es ihm gelingen sollte, aus dem Chaos der bisherigen Kritiken für seine bestimmten Zwecke eine prinzipiell fortschreitende Auswahl zu treffen, deren Wert auch nicht in der Erschöpfung einer .einzelnen Kritik, sondern nur in der möglichst übersichtlichen Vertiefung der kritischen Frage selbst zu liegen hätte. Demgemäß versuchen die drei Teile dieser Schrift eine Stufenfolge aufzustellen je nach Sachinhalt und Herkunft der Kritik, so daß sich das Interesse der verschiedenen Leserkreise seinem eigentümlichen Gebiet zuwenden kann: dem Literarisch-Kritischen, dem Einzelwissenschaftlichen oder dem Philosophisch-Religiösen; bzw. dem g e 6 c h i c h t s p h i l o s o p h i s c ' h e n I n h a l t und der Antwort der Kulturschrifteteller (I. Teil), der k u l t u r p h i l o s o p h i s c h e n F o r m f r a g e der einzelwiesenschaftlichen Fachkritiker (II. Teil), oder dem k u l t u r m e t a p h y s i s c h e n tieferen Hintergrund und seiner Kritik durch die Philosophen und die Theologen (III. Teil). Wem .diese Verklammerung und Einteilung allzu pedantisch scheint, mag sie als notwendiges Gegengewicht der Ordnung gegen die Fülle widerstreitender Kritiken gelten lassen, deren unzusammenhängende und vielfältige Masse einheitlich zu gliedern war. Das innere Verhältnis dieser drei Kapitel unter 6ich erhellt sich aus dem angedeuteten Prozeß der Selbstbewußtwerdung der Gegenwartskultur, an dem sich theoretisch gleichfalls eine dreistufige Schichtung unterscheiden läßt: einerseits die i n h a l t l i c h e Fragestellung, insofern das kritisierte Werk den Zeitgehalt selbst geschichts-philosophisch ausdrückt — die spezifische und aktuelle Gegenwartsbedeutung der „Untergangsthese" a L der Allgameimbeurteilung der Zeit. Andrerseits die mehr f o r m a l e Frage nach den wissenschaftlichen und kulturphilosophischen Prinzipien jenes Inhalts und jener Beurteilung, unabhängig von bewußter oder unbewußter und von positiver oder negativer Einstellung. Endlich die dritte und übergreifende Möglichkeit: daß der Zeiti n h a 11 zu den F o r m gesetzen selber in Beziehung 6tünde und sein Zielpunkt eben in der Richtung jener Formbewegung und Formbildung liegen würde. Hier trachtete der Wachstumstrieb der gegenwärtigen Kulturgestaltung dann durch seine eigene Form nach seinem notwendigen Inhalt, um das Leben seiner Zeit in 6ich zu offenbaren 2»

19

— ein nicht wissenschaftlich, sondern erst von einem metaphysisch oder religiös gedachten Hintergründe aus zu bewertender Vorgang. — Das sind nun drei verschiedene und ganz verschieden weit gehende Arten der Betrachtung. Sie stehen aber unter eich in gesetzmäßigem Zusammenhang, um so unmittelbarer, wenn das kritisierte Werk selbst in ihm ednbeschlossen wäre. Denn die dreistufige geistige Vertiefung müßte eich an ihm und seiner Wirkung auch geschichtlich in der Gegenwart aufzeigen lassen, wie 6ean systematischer Entwicklungsgang als Selbstentfaltung des Werkinhalts nachweisbar zum Vorschein kommen müßte. Dies letztere ausführlich zu begründen versucht unsere zweite Studie [dieser Schrift „Zweites Buch"], in der gewissermaßen deduktiv die drei Schichtungen von innen nach außen zu durchlaufen sein werden, die hier induktiv, von außen nach innen zu aufgefunden und durchschritten werden sollen. Nur die persönliche Bemerkung sei hier noch gestattet, daß a u c h S p e n g l e r s e l b s t die 'vorliegende Schrift erat aius den fertigen Druckbogen kennen gelernt hat. Seine Meinung über seine Kritiker im «iinEetoen waT ums 60 unbekannt wie ihm .die unsrige bis zu dieser Drucklegung. Was hier vorliegt, ist, von ihm gänzlich unbeeinflußt, allein - u n s e r « Meinung, für die wir e Weltforan des Werdens und des Lehens durch mechanische Aspekte wieder verfälscht — wiie andrerseits An der Weltformung des Gewordenen die nicht beherrschten, nicht verstandenen Werdeprinzipien als Karikatur erscheinen. So spiegelt sich auf methodologischem Gebiet die gleiche Schwierigkeit wider, die bei Erörterung des metaphysischen Problems hervortrat. Dort galt als letztes Ziel der dem Erlebten 'erreichbaren Reife ein gleich tiefes Fassen und Ergreifen beider Daseinsseiten, über dem ein ahnendes, versöhnendes Begreifen ihres letzten, eben in dem Gegensatz sich erfüllenden und durchsetzenden Sinnes stand. Bei Spengler waT «ine endgültig festgehaltene konsequente Lösung zu vermissen, woraus sich sein Abgleiten von der metaphysischen Problemstellung erklärte. Was aber dort, beim Absehen von dieser Problemstellung, für die Kritik vorerst gleichgültig war, ist hier nun ungleich folgenschwerer. Denn die exzentrische Orientierung (ausschließlich oder doch vorwiegend nach den Prinzipien einer 'einseitigen Weltforn) verursacht, um im Bild zu bleiben, nicht wie dort, nur bloßen Ausfall oder Lücken im metaphysischen Weltbild, sondern hier, im kulturphiilosophiscben Bereich, Verzerrungen und teilweise Mißdeutungen von nur gewaltsam in das Bild hereingerückten Einzelheiten. Der Grund liegt hier wie dort in der Inkongruenz der Begabungen — der „morphologischen", anschaulichen, intuitiven, und der erkennenden, ordnenden, systematischen, die nicht zu reinem Ausgleich kommen. Erscheint so auch im Spengler im der Sphäre des Kulturerfossens, -erschauens und -erfühlens vielleicht die genialste und umfassendste Begabung, die bis jetzt wohl überhaupt hervorgetreten ist, so steht der Stärke dieser anschaulich intuitiven Kraft bei ihm doch nicht die gleiche Kraft und Tiefe reflexiven, systematischen Durchdenkens 203

gegenüber. Dies klingt sonderbar, vor der gewaltigen Aufbau- und Ordnungsarbeit, die in Spenglers Wenk geleistet ist, um alles anschauliche Material entsprechend übersichtlich zu beherbergen, und angesichts seiner Gewandtheit, auch die naturwissenschaftlichen, systematischen Wertformen uod Formalem; ernte setoer eigenen einseitigen Ordnungsmacht einzuverleiben. Aber im Gegensatz zu seinem anschaulichen Kulturerfühlen, das immer wieder intuitiv bis zum letzten Grund das Erschauten hinabreacht und darum auch oft das Gebiet das Metaphysiischien berührt, bleibt die abstrakte Systematik Spenglers reflexiv, sie ist nicht wuraelhaft gewachsen und 'erlebt. Er selber freilich möchte, auf Grund sedaeo- andersartigen Begabung, wohl überhaupt die letztere Möglichkeit verneinen. Jeder E r l e b n i s wert des Systematischen und damit dessen ursprünglicher Wert auch für das anschauliche Gebiet des Werdens und des Lebens steht ihm fern. Darum erkennt er in den systematischen Kulturausprägungen vor allem den Bedeutungswert für die jeweilige Kultur und die methodisch 60 verschiedene Eigenart der analogen Ausdrucksformen (der Wissenschaften, Künste und Philosophien) der verschiedenen Kulturen, deren Gegensätze ihm umfassend und eindringlich zu Bewußtsein kommen. Doch er leugnet andrerseits die unter allen Unterschieden tief beharrenden Grundwesenszüge des von ihm verpönten Menschlichen .und Wissenschaftlichen, Philosophischen und Künstlerischen „überhaupt". Im Gegensatz zu der rein morphologischen Auffassung isolierter und verschiedener Kulturen, Religionen und Philosophien sieht die systematische Erkenntnis jenseits all der jeweiligen Unterschiede immer wiederkehrende, weil typische Probleme einer allgemeinen menschlich-geistigien Struktur in ihren venschiiiedenfachen Abwandlungen, die aber alle von dem systematisch Einigenden ihrer typischen und notwendigen Lebensformen durchwaltet sind. Die Einseitigkeit einer das Systematische nur als mechanische, tötende Abstraktion abweisenden Betrachtungsart wirkt sich so auch bei Spengler aus. Das unstillbare Verlangen nach Ordnung und Festigkeit entbehrt bei ihm des tragenden, in sich ruhenden Untergrunds der systematischen Zusammenhänge, von dem aus die Wechselflut alles Lebendigen nur um so reiner und gesicherter in ihrer unabhängig sich erneuernden und ursprünglichen Fülle zu durchforschen ist. Statt dessen dringt an allen schwachen Punkten seiner Überschau aus dem verpönten Reich der zwar verbannten, doch nicht 204

überwundenen Systematik ungewollt und unbewußt ein Ordnungsschema ein, daß in dem Weltbild des Lebendigen nun doppelt anorganisch und mechanisierend wirken muß — als angreifbare, 6chiefe und verfälschende Unklarheit in dem reichen Bau seiner Gedankenwelt; es können sich daher an sie mit Recht Einwände heften, die im übrigen dem Niveau des ganzen Werkes nicht entfernt gewachsen sind. In grundsätzlicher Zusammenfassung sei noch einmal These und Antithese hier wiederholt: Nach Spengler „gibt es keine Übergänge zwischen Organismus und Mechanismus. Darin liegt die große Schwierigkeit, sich verständlich zu machen." — Allerdings, doch zwischen beiden besteht Polarität und gerade darum die innigste gegensätzliche Beziehung und die Möglichkeit einer auch baideTseitigen Beherrschung. — Der Weg dazu? „Neben gewissen Faktoren von zweifellos weitreichender Geltung, die wenigstens schetebaT unabhängig davon sind, zu welcher Kultur, in welches Jahrhundert der Erkennende gehört, liegt allem Denken auch noch eine ganz andere Notwendigkeit der Form zugrunde, welcher der Mensch eben als Glied einer bestimmten und keinieT anderen Kultur unterworfan äst. Das sind nun zwei sehr verschiedene Arten des apriorischen Gehaltes und es ist -eine nie zu beantwortende, weil jenseits aller Erkenntnismöglichkeiten liegende Frage, welches die Grenze zwischen ihnen ist und ob es -eine solche überhaupt g i b t . . . Das Tiefste und Letzte kann nicht aus der Konstanz, sondern allein aus der Verschiedenheit und nur aus der organischen Periodizität dieser Verschiedenheit erschlossen werden. Die vergleichende Morphologie der Erkenntnisformen ist eine Aufgabe, die dem abendländischen Denken noch vorbehalten ist." Dem ist zu entgegnen, daß diese Morphologie der Erkenntnisformen, die auch von der deutschen Philosophie der letzten Jahrzehnte schon mehrfach gefordert wurde, nur gelingen kann, wenn neben der Verschiedenheit auch die Konstanz berücksichtigt und d. h. aus ihr selber heraus verstanden und beherrscht wird. Gerade an der möglichst tief begriffenen Konstanz erwächst und läutert 6ich das Urteil über die Verschiedenheit in ihrer organischen Periodizität und in ihrer Begrenzung. Der Weg hiezu führt über die Erkenntnis jener „gewissen Faktoren von zweifellos weitreichender Geltung", die nicht nur „scheinbar" unabhängig sind, und über die Lösung jener oben berührten Frage nach der Grenze zwischen den „zwei 6ehr ver205

schiedenen Arten apriorischen Gehaltes". An dieser Frage arbeiten die reifsten und wertvollsten kritischen Versuche der Gaschichtephilosopben aller Zeiten. Daß Spengler an dieser Stelle nicht mehr in die Tiefe gegangen ißt — begreiflich aus der Richtung und dem Drude sedxier andersgearteten Begabung — , rächt sich in seiner allzufrühen, unkritischen Aufstellung nicht stichhaltiger, oft willkürlicher Konstanzprinaipien, ohne die auch er die wirklichen und tiefgaschauten morphologischen Verschiedenheiten nicht erfassen und darstellen kann. Ihr Ordnungsund Strukturwert steht darum weit hinter der Bedeutsamkeit sedner erlebten und lebendig erschauten Gestaltenwelt zurück —

oder er

deutet zwar in systematische Tiefen hinab, bleibt aber unbewußt, so daß auf diesem unerkannten Grund sich abermals unzureichende Ordnungen

aufrichten, die den Gang der Untersuchung

zu ver-

flachen drohen. Dieser lehrreiche Pfoaeß soll nun an Spenglers Werk im Einzelnen verfolgt werden, und zwar nach den Hauptrichtungen des Kulturablaufs und der Kulturinhalte, die, wie sich zeigen wird, gegenseitig verflochten und bedingt sind.

II. Kultutablauf

KAPITEL und

Kulturinhalte

Wir greifen hier damit zugleich die Frage wieder auf, die als daß ungeklärte

Schlußergebnis

unseres

kuilturmetaphysischen

Kapitels

stehengeblieben war und jetzt erst ihre endgültige Lösung

finden

kann — die Frage jener Spenglerschen „KuAtunenising'Uilarität", deren isolierender Formanschauung gegenüber das aus der systematischen Struktur erschlossene Allgemeine und Gemeinsame nicht mehr zur Geltung kommt. Der Metaphysiker kann vor der Lösung stehenbleiben und in die Darstellung kulturell verschiedener Fassungen des Problems abbiegen, wenn er für sich auf Metaphysik verzichtet hat —

doch der Kulturphilosoph, der diese seine Philosophie dar-

legen will, kann nicht das letzte „Urphänomen" seiner

Gegeben-

heiten in die isolierten Individuen verschiedener Kulturen vergleichend zerteilen, ohne für diese Vergleichung selber eine übergrei206

fende Einheit und Ordnung festzuhalten. So kommt 'es darauf an, die auch der morphologischen Vergleicbung unentbehrliche Konstanz so tief und unangreifbar wie nur möglich zu bestimmen, um edn dauernd sich vertiefendes Wechselverhältnis der ständig berichtigten Verschiedenheit und Einheilt zu 'ermöglichen. Diese Freiheit lebendiger Selbstvertiefung scheint bei Spengler gleichsam festgelegt, gelähmt durch seine übermächtige Einseitigkeit. Charakteristisch entfällt so bei ihm die ganze edme Hälfte des kulturgeschichitlicben Betrachtens und Erforschens: die Seite der Kulturverflechtungen, Verbreitungen und Übertragungen, des selbständigen Weiterwachsens systematischer Kulturzusammenhänge und sachlicher Kulturüberlagerungen, wie ßie doch auf den verschiedensten Kulturgebieten den einzelenen, gleichsam biographischen Kulturverlauf durchkreuzen, überdecken und verändern, wie Zettel und Einschlag oft zusammenwirkend. Spengler behauptet die kulturgeschichtliche Absurdität der e i n z e l n e n Kulturen, punktuell getrennt, neben- und nacheinanderstehend; er konstruiert für 6ie darum, als das Konstanzprinzip seiner Vergleichung, ein dauerndes Schema des organischen Kulturablaufs (vom Werden bis zum Reifen, Altern, Welken und Erstarren), das in der Allgemeinheit seines typisch statuierten, einzeln ausgeführten Nacheinamders selbst etwas Erstarrtes hat und das der objektiven Wirklichkeit des Lebens nicht genügt. Wie im Dynamischen des zeitlichen Kulturablaufs uns eine unzulängliche, 6chematische Pseudokonstanz an Stelle einer wirklichen und echten tritt, so fehlt bei Spengler auch im statischen Gebiet der Kultursystematik und des inneren Zusammenhangs der Kulturinhalte ein solches echtes, wirkliches Konstanzprinzip, das diesen inneren Zusammenhang begründete. Auch hier sieht er nicht den Zusammenhang, die Wechselwirkung und die gegenseitige Bedingtheit der verschiedenen Kultursphären untereinander, sondern behandelt jede einzeln, isoliert, für sich — ohne das systematische Kulturgefüge überhaupt zu beachten, geschweige es erklärend zu durchforschen. Aber gerade aus dem tieferen Verstehen dieses Kulturgefüges würden sich, wie sich noch zeigen wird, die wirklichen letzten Konstanzprinzipien auch für den Kulturablauf ergeben. Betrachtet man von dem erreichten Höhepunkt des kulturmetaphysischen Kapitels aus die sachliche Einteilung des Gesamtwerks, so fällt auf, wie wenig hier die systematische Begründung oder Ordnung berücksichtigt ist. Nachdem die ersten drei Kapitel des Ersten 207

Bandes im edmeim einheitlichen Fortschreiten bis in den eigentlichen Herzpunkt seiner Kulturanschauung geführt haben, die 6ich in der Idee des Makrokosmos und in dem Raum als Ursymbol jeder Kulturwelt ausspricht, entfaltet eich in der nun folgenden Kapitelreihe wohl eine Folge einzelner Kuikunsphären — Kapital 3, 2 biß 5, 1 behandelt die Kunst, Kapitel 5, 2 die Gesellschaft, Kapitel 6 die Naturwitssenschoft; und 'daran schließen «ich im Zweiten Band nach den zwei ersten allgemein kulüurphilosophisch präludierenden Kapiteln in Kapitel 3 die Religion; in Kapitel 4 der Staat; in Kapitel 5 die Wirtschaft und endlich die Technik. Aber diese Sphären, deren Aufreihung zwar — von der Kunst bis hinab ZUT Technik — wenigstens eine Anordnungsfolge sichtbar werden läßt, wenn auch ohne Begründung, eteheoi ganz isoliiert nebeneinander, so vereinzelt wie die einzelnen Kulturen selbst. Jede Beziehung, jede Gesetzmäßigkeit untereinander bleibt hier umintereucht. Andrerseits durchzieht die Spenglers che Darstellung einer solchen einzelnen Kultumsphäre eine grundsätzliche Dualität, 'die ganz versteckt bleibt: sie kleidet sich in das Gewand zweier verschiedener und gegensätzlicher Kulturen, zumeist der antiken „apollinischen" und der abendländischen ,,faustischen" Kultur. Doch dieser Gegensatz ist ein abstrakter, prinzipieller, der der Auswahl unbewußt zugrunde liegt, wenn auch sehr viele Unterschiede 'der beiden Kulturen tatsächlich .diesem Gegensatz entgegenkommen und sich einigermaßen in ihn einordnen lassen. Er ist aber nicht aus ihnen abstrahiert, sondern er ist vielmehr das unbewußte Prinzip der Auswahl selbst. Dieses merkwürdige Verhältnis begründet die Stärke wie die Schwäche der Spemglerschen Aufstellungen und damit die Schwierigkeit und Seltenheit einer grundsätzlichen Kritik, die beidem gewachsen wäre und wirklich gerecht werden könnte, wozu es unseres Erachtens bisher noch nicht gekommen ist. Die Folge der 'einseitigen Betrachtungsart Spenglers ist so beim statischen Gebiet des Kultur g e f ü g e s ganz dieselbe wie beim dynamischen des K u l t u r a b l a u f s : in Wirklichkeit vergleicht er dort, wie sich noch zeigen wird, durchaus nicht alle von ihm isolierten Kulturen, sondern im Grund und vollständig immer nur zwei — die antike und die abendländische Kultur. Nur flüchtig und stellenweise werden außer der eingehend verfolgten ägyptischen Kultur die übrigen Kulturen herangezogen. Die Basis dieser vergleichenden Kulturmorphologie ist also in Wahrheit eine sehr beschränkte: drei bis 208

vier, am höchsten Falle fünf Abläufe von sehr schwankender Analogie. Trotzdem wird damit schon ein „ewiges Gesetz" der objektiven Kulturverlaufsnotwendigkeit begründet, aber keineswegs an allen der hervorgehobenen Kulturentwicklumigen bewiesen. Das Primäre bleibt jenes genial intuitive Vergleichiserlebnis eben der antiken und deir abendländischen Kultur, mit ihrem freilich unvergleichbair wertvollen Reichtum spezieller Gegensätze und Beziehungen. Hieraus 'erwächst, als wirkliche Entdeckung, die fmuchtbame Beurteilung der ägyptischen Kultur und eine äußerst problematische Aufstellung der „arabischen" Gesamtkultur. Alles übrige sind geistvolle, doch fragmentarische Behauptungen. Jene unbewußte Wurzelung der morphologischen Gedankenwelt in einem ganz bestimmten Mutterboden •— dem umfassenden Vergleich des mitteleuropäischen antiken und das abendländischen Kulturablaufs — ist jedoch noch von einer anderen, nachhaltigen Bedeutung für die Spenglersche Darstellung. Unter den erschau-ten Gegensätzen und Beziehungen der zwei Kulturen verbirgt sich unerkannt des öfteren eine noch allgemeinere, systematische Gegensätzlichkeit, deren Polarität die Auswahl der Vergldchsobjekte auch für den Kultur i n h a 11 mitbestimmt. Wieder tritt hier ein, was Benedetto Croce in seiner trefflichen Hegeikiiitik die „Verknüpfung der Unterschiode und die falsche Anwendung der dialektischen Form" genannt hat, oder was wir hier aLs die Gefahr der Verwechslung von U n t e r s c h i e d und G e g e n s a t z bezeichnen: Es werden an irgendeinem Kulturinhalt die bloßen Unterschiede der „apollinischen" und der „faustischen" Ausprägung dem Gogensatzscheima zuliebe zu polarer Antithesenform verschärft, oder .es wird umgekehrt ein wirklich zugrunde liegender systematischer Gegensatz als einfacher Artunterschied zweier sich fremder Kulturen verkannt. Beide Male wird so die Kennzeichnung, Auswahl und Begrenzung von Kulturinhalten unbewußt von systematischem Interesse geleitet, dessen innere polare Spannung die Aufstellung und Vergleichung analoger Inhalte beider Kulturen erst ermöglichte. So wird die unbefangene Charakterisierung nur zu oft verschoben und beeinträchtigt. Hieraus erklärt sich auch die auffallende Tatsache, daß selbst eine so scharfsichtige Genialität der Oberflächlichkeit und Schiefheit mancher pseudosystematischer Ordnungsprinzipien nicht inne wird, wie sie nun doch als schematischc Stützen der Konstanz in das Weltbild des Werdens sich eindrängen. Gerade weil das unbewußte 14

Sdirötcr,

Untergang

209

SYßtemetißcbe innere Schwergewicht der Auswahl selbst schon die Ordnung und Konstanz gewährleistet, so brauchen und vermögen dlie nachträglich aufgestellten Gesetzmäßigkeiten dieser Art nicht mehr zum eigentlichen Schwerpunkt bewußt vorzudringen und entarten dämm oft geradezu in dos schematiscfoe, mechanische Gebiet, dessen tötende Abstraktion sie dem Lebendigen und Werdenden fernhalten sollten und nach der Empfindung des Verfassers auch fernhalten. Geht doch die Paradoxäe so weit, daß Spengler, der Apostel das Lebendigen, des Werdens und der Anschauung, zum PredigeT des Todes und des Mechanismus wird, indem er, orthodox an seinem Einheitsschema des Kulturablaufs festhaltend — (das aber in dem Nacheinander von Entstehen, Reife und Vergehen doch nur eine abstrakte Beziehung und noch nachte Inhaltliches aussagt) — als Ziel geschichtlicher Betrachtung die Vorausbestimmung zukünftigen Werdens aufstellt, ohne Gefühl für das Mechanische, Erstarrte, Unorganische dieses dem wissenschaftlichen Reich des ,gewordenen" entstammenden Gedankens eines Ablesons zukünftiger geschichtlicher Entwicklung. Die Tiefe des so vielfach wandelbaren Korrelationsproblems von „Ethik und Logik" (vgl. 502), „Möglichem und Wirklichem", von „Freiheit des schicksalsgläubigien Lebens und Notwendigkeit des kausal gedachten Gewordenen" ist hier nicht mehr festgehalten. Wohl sagt Spengler selbst (168): „Wer hier, im Lebendigen, Gründe und Folgen sucht, und wer da glaubt, daß ein inneres Wissen um den Sinn des Lebens gleichbedeutend mit Fatalismus und Prädestination sei, der weiß gar nicht, wovon diiie Rede i s t " . . . . Aber ein „inneres Wissen um den Sinn des Lebens" ist etwas gänzlich anderes als das Errechnen seines zukünftigen Ablaufs. Vielleicht liegt hier für jede geschichtliche Betrachtung eine analoge Schwierigkeit verborgen, wie sie Spengler selbst am treffendsten an dem für die mechanische Naturauffassung unlösbaren (weil letzten Grundes organischen) Bewegungsproblem aufgezeigt hat: Das kausale Begreifen der Vergangenheit, des Gewordenen, des 6chon abgelaufenen Werdens, läßt sich zwar durch die Erlebniskraft des gegenwärtigen Werdens zur vollen Reife physiognomischen lebendigen Verstehens erhöhen, doch die gedanklich eindeutige Fortsetzung des Werdens in die Zukunft zwingt die beiden Elemente, da6 gedanklich begriffene Wirkliche und da6 ursprünglich werdende Mögliche, verfrüht und gewaltsam zusammen. Der Satz Spenglers (569), „eis läßt sich nicht rückwärts 210

leben, nur rückwärts denken", läßt sich'hier umkehren: „es läßt eich nicht vorwärts denken, nur vorwärts leben" — wenn unter Denken die eindeutig begreifende Bestimmbarkeit verstanden wird. Wie der mechanischen Betrachtung diie lebendige Bewegung nur als tote, schematisierte Abstraktion zugänglich ist, so erfaßt die historische Betrachtung die Zukunft, die nicht im gestaltenden Willen, sondern durch das begreifende Denken bestimmt werden soll — also gleichsam nur 'ata vorweggenommenes „Gewordansiedin" des Werdens — , nur als tötende, erstarrte Abstraktion, deren scheinbare Eindeutigkeit und Festigkeit keine schicksalhafte Intuition vor dem Vorwurf der Selbsttäuschung bewahren kann. Nach Bergsons treffendem Vergleich ist der Lebensweg einer Persönlichkeit bedeckt mit all den Schierben und Fragmenten angefangener Möglichkeiten, die, unausgeführt, auch noch in ihrem Bereich lagen. Das Leben der Persönlichkeit ist die Verwirklichung von Möglichem, aber stets nur eines Teiles aller ihrer Möglichkeiten. Nur der verwirklichte, Vergangenheit gewordene Teil ist eindeutig gedanklichem B e g r e i f e n zugänglich; der zukünftige liegt in aller Fülle immer neu dem W i l l e n offen. Vergangenheit und Zukunft, „Logik und Ethik" grenzen in dem 6tetig fortgeschobenen Lebenspunkt der Gegenwart in diesem Sinne unversöhnlich und unvermengbar aneinander. Sowenig wie von einer Einzebeele, sowenig läßt sich von einer Kultunseele jemals behaupten, daß sie ihre Möglichkeiten erschöpft habe bzw. nur auf diese eine angewiesen 6ei, solange 6ie noch Leben und Zukunft vor sich hat. Auf dem unklaren Gefühl einer solchen ethischen Vergewaltigung bzw. intellektuellen Sünde der Zukunft gegenüber beruht die starke instinktive Abneigung der Jugend gegen Spenglers Buch, ohne Verständnis freilich für die Tiefe und Gewalt seiner Durchdringung der Vergangenheit, deren fortreißende Strömung gleichsam über jenen Grenzpunkt hinüberschäumt und ihren Schwung herrisch und zielhaft („faustisch") auch der Zukunft eindeutig aufprägen will. Allein es gilt, sich dieser genial dargestellten und berückenden Verlockung zu entziehen, deren starke und scheinbar geschlossene Wirkung nur durch die gewaltsame Einseitigkeit einer beschränkten Einstellung erkauft wird. Warum soll denn im Historischen alles 60 einfach und schematisch verlaufen, daß eine doch nur teilweise Analogie sehr weniger Kulturabläufe nun schon dauernd als alleiniges Gesetz zu gelten hätte? Daß 'die paar Jahrtausende bisheriger Ge14*

211

schichte schon die wesentliche Formenlehre dieser Lebnserischednungen erschöpfend überschauen lassen müßten? Auch wenn das Bisherige richtig erschaut und sein Gesetz erkannt bleibt, warum sollen nicht trotzdem noch andere Wendungen, Verwicklungen und Neubildungen möglich sein, zu denen d e Vergangenheit noch keine Analogie darbietet? Verbieten uns denn all die klar begriffenen Symptome vielfältigen Niedergangs in unserer Kultur schon, uns ihre Zukunft trotzdem noch anders und viel komplizierter vorzustellen als die bisherigen Epochen und' Kulturen? Über die Verwirklichung all der noch möglichen Verwandlungen des Kulturlebens entscheidet nur die Kraft der Zukunft und keine Analogie mit irgendeiner Vergangenheit, denn die Bedingungen und Möglichkeiten sind ewig anders, ewig neu, in fortschreitendem Wechsel. Merkwürdig selten hat der Forscher und Kulturers chauer anscheinend die Kraft, neben der Fülle der durchdrungenen, geordneten Vergangenheit sich für die Zukunft seine Unbefangenheit zu wahren — sie und all ihre Möglichkeiten mit der Freiheit und der Vorsicht eines Beobachters zu betrachten, statt sie diktatorisch einem subjektiven Schema zu unterwerfen. Immer wieder greift d'eir Ordnung wollende Geist vor dem Chaos kommenden Werdens zu Analogien und beweist durch deren eindeutige Auswahl nur .die Schwäche oder doch die Beschränktheit seiner Vorstellungsmöglichkeiten. Insonderheit der deutsche Geist hat schon zu oft durch analogisierende Konstruktion auf viel zu schmaler Basis, bei und trotz erreichter Tiefe, sich versündigt, als daß hier nicht dreifache Vorsicht notwendig wäre. Dankbar und bewundernd sehen wir „das tausendfältige Gewölbe sich kräftig iiniainanderschliießen", unld seine erschaute Gesetzmäßigkeit bleibt ails kostbarer Schatz; aber die Fundamente dieser Wölbung müssen, um im Bild zu bleiben, ständig sich vertiefen und erweitern lassen, ohne den tragenden Lebensgrund des weiterreifenden Bewußtseins in seinem Wachstum gleichsam durch starre Mauern zu behindern. Wie Spengler, der geschmeidige Relativist des Kulturinhalts, hinsichtlich des Kulturverlaufs als orthodoxer Dogmatiker auftritt, und diese beiden Einstellungen naturgemäß sich wechselweise unterstützen, so bedingen sich bei ihm die Schwäche und die StäTke seiner Leistung gegenseitig. Das Angesicht der Spenglerschen Erkenntnis, das, auf die Vergangenheit gerichtet, in seinen reichhaltigen Zügen die gesammelte und reife Weisheit ganzer Jahrhunderte voll frischen 212

Lebens trägt, das, nach der Zukunft hin gewendet, so schnell zur schemenhaften leeren Maske sich verzerrt oder erstarrt, bleibt doch eines deT inhaltsreichsten und bedeutsamsten,

tiefgründigsten der

Gegenwart, und diese Gegenwart tut gut daran, ßich mit Bewußtheit in den Zauber dieses widerspruchsvollen,

verräterisch wedt-

deutendem, lehrreichen Angesichtes kritisch zu versenken.

III.

KAPITEL

Kritische

Bilanz

Wenn nach dieser grundsätzlichen Übersicht versucht wird, nun die kritische Bilanz auch auf dem kulturmorphologischen Gebiet zu ziehen, so kann es sich bei der hier angehäuften Fülle des so vielfach durchgearbeiteten Stoffes nur um wichtigste Beispiele und nur um die prinzipielle Frage handeln. Alle Einzelheiten sind ja von der Fachkritik längst ausführlich besprochen und bereinigt. Das lehrreichste Beispiel bleibt das Verhältnis der Antike und der abendländischen Kultur, das auch in Spenglers Darstellung weitaus die größte Rolle spielt. Immer aufs neue umkreisen seine Gedanken Verwandtschaft und Gagensatz der beladen nah verschwisfierten Kulturen, um aus ihnen 'die dann weiterhin verallgemeinerten Erkenntnisse zu schöpfen. Zugleich aber lassen sich an diesem Beispiel die Grundsätze kulturmorphologischer Betrachtung am natürlichsten entwickeln, weil es selbst schon, mehr als alle andern, grundsätzlich bedingt ist. Zudem zeigt sich auch an diesem Sonderfall sowohl die Stärke wie die Schwäche Spenglers ganz besonders deutlich: erstere an dem fruchtbaren Gegensatz die&er Kulturen selbst, die letztere an ihrem Zwischen- und Verbindungsglied, der von Spengler konstruierten sogenannten „arabischen Kultur". So läßt sich hier ein positives und ein negatives Musterbeispiel schon an e i n e m

kriti-

schen Objekt vereint erörtern. Wir sehen allenthalben in der geschichtlichen Kulturverflechtung, entgegen dem von Spengler so hervorgehobenen Einzelcharakter der großen Kulturen, eine Fülle von Beeinflussungen, Übernahmen, Fortwirkungen und Vererbungen verschiedener Art und in verschiedenen Sphären. Aber nie und nirgends, auch nicht in den Frühkulturen des 213

Orients, die schließlich in daß Perserreich einmündeten, sind zwei selbständige große Kulturen, wie die antike und die abendländische, in solch unmittelbar engem Zusammenhang gestanden, daß sie in mancher Hinsicht fast als die zwei Hauptepochen einer und derselben Kulturfolge angesehen werden könnten. Und doch ist das Verhältnis 60, daß 'die Antike, ihrer eigenen Entwicklung nach, zerfällt und abstirbt und die abendländische Kultur auf ihren Trümmern 6ich in einem analogen Wachstum noch einmal von vorn in ganz ähnlichen Phasen neu lemtfaltet. Aber diese Phasen sind andrerseits beeinflußt und durchsetzt von den fortwirkenden vererbten Inhalten der abgelaufenen Antike, zu deren Sammelbecken die Entwicklung des Christentums geworden ist. Dies letztere vereint den großen hebräischen Prophetismus mit der letzten Sublimierung des griechischen Geistes und der Organiisationekraft Roms im Ausbau der christlichen Kirchen und der christlichen Religion, die nun als Mittelglied den Raum zwischen den beiden Weltkulturen, der Antike und des Abendlandes, zeitlich und inhaltlich überbrückt. Dieses merkwürdige Verhältnis bildet die unvergleichliche und einmalige Grundtatsache unseres Kulturverstehens, das sich eben hier, an diesem Gegensatz und Zusammenhang der sinkenden und der neu emporsteigenden Kultur entzündet hat und sich allein an diesem einzigartigen Vorgang der Weltgeschichte derartig ausbilden konnte. Diese Tatsache ist auch das eigentliche Fundament der Spengl-erschen Kulturarkeinntnis. Aus ihr entspringt die Quelle ©einer Kraft, obwohl er 6ich doch das Verständnis jenes Mittelglieds, des Christentums, durch seine Aufstellung einer „arabischen Kultur" verbaut hat und als Folge davon zu den oft bemerkten Übertreibungen des Gegensatzes zwischen der Antike und der abendländischen (der apollinischen und faustischen) Kultur veranlaßt wird, deren Auswirkungen oben besprochen sind. Die Entfaltung de6 Christentums wird bei ihm mit den andersartigen Kulturgebilden das Islam und des Puritanismus zu der scheinbaren Gesamtfolge einer eignen Kulturwelt zusammengezwungen, deren Blütezeit eben zwischen der absteigenden Antike und der aufsteigenden abendländischen Kultur liegen würde. Er rechnet etwa 1000 vor Christus als ungefähre ,,Geburtszeit" der antiken, die Zeitwende als die der arabischen, 1000 nach Christus als die der abendländischen Kultur, der jeweils die frühen Jahrhunderte der „erwachenden Völker", der sich vorbereitenden religiösen Entscheidungen, vorangehen sollen. Die paralleli214

siertan Einzelphasen 'dieser dnei Reiben verzeichnen die zwei ersten Tafeln seiner „gleichziei'tigen Geistes- und Kurustepoche" im Ersten Band, erläutert durch daß große 3. Kapitel des Zweiten Bandes über die arabische Kultur und „Pseudomorphose", in dem Spengler selbst („Das arabische Seelentum ist um seine Blüte betrogen worden") dlie e i .n maüige Eigenart dieser Entwicklung „ohnegleichen" zugeben muß. In Wahrheit bildet ihre Darstellung ein Knäuel von sehr geistreichen, z. T. überraschend tiefen Vergleichsgedanken und unrichtigen Gewaltsamkeiten. Die ersteren erhellen die Geschichte des Islam, die letzteren häufen sich bei der willkürlichen einseitigen Darstellung des 'entstehenden Christentums mit seinen vielfachen und ganz verschiedenartigen geistigen Wurzeln. Die Einzelfragen sind von der Kritik ja genügend erörtert. (Besonders gut hier schon von Neuraths ,,Antispengler" und von Tro-eltechs letzter Kritik -des Zweiten Bandes, mit dem „Schneegestöber von Analogien, das den Leser umflattert und die er auf Treu und Glauben hinzunehmen hat", wie von den Kritiken E. Meyers und A. Dempfs.) Hier handelt es eich nicht mehr um die Korrekturen, sondern um -die Grundfrage, warum Spenglers einzige, stets wiederholte Ordnungs- und Erklärungsmöglichkeit für ein Kulturfaktum in dessen Einordnung in eine der großen Kulturwelten besteht, die nach ihm isoliert und selbständig nebeneinander wachsen und zerfallen. „Beziehungen zwischen den Kulturein" werden geleugnet und ausdrücklich abgewehrt (Abs. 3 .des 1. Kapitels). Erst die Umschlossenheit von -einem seiner statuierten Kulturkreise gibt jeder Kulturerscheinung ihren Sinn. Darum wird der behauptete Zusammenhalt jeder Kultur ein so gewaltsamer und notwendig 'erzwungener, darum überspannt er die Kultur von Anfang bis zum Ende mit dem „UnsYmbol" einer einheitlichen eigenen Raumauffassung, Raum•entstehung, als dem innersten Charakteristikum des ganzen Kulturablaufs, dem „Urphänomen". So tritt bei unserem Beispiel zu dem Gegensatzpaar der „faustischen" unendlichen Ranmweite und dem „euklidisch" körperhaften Raumbild der Antike bei der arabischen Kultur der „Höhlenraum" der magischen Kulturwelt. Er findet von den „aramäischen Anfängen" her im Kuppelbau, in Mosaik und Arabeske seinen märchenhaft-substanzartigen Ausdruck, analog dem höhlenhaften Zeitbewußts-ein „mit Weltanfamg und Weltende" und der FrömmigkeitS'ergebung in den absoluten grundlosen göttlichen Willen. 215

Der Tdiefsinm dieses Höhlenraumsymbols ist — trotz der sehr fragwürdigen Herkunft aus Frobeniuis' Aufstellungen — unbestreitbar. Er leitet auch noch weiter zu mutterrechtlich-primitiven Tiefen unerforschter Vorkulturen. Für Spengler entscheidend ist seine Beziehung zu der gleichfalls ,,höhlenhaften Weltzeit" von „vorbestimmter Dauer, in deren Geschlossenheit alles ,eine Zeit', seine Zeit hat". („Die Höhlenfrage ist dös Wann?") Das kulturmetaphysis'di'e Kapitel hat gezeigt, wie tief die innere Verbundenheit von Raum und Zeit als letzte gedankliche Klammer von der Spenglerschen Metaphysik gefordert wird, auch wenn seine begriffliche Begründung in der „Richtung" dieses nur geahnte Ziel nicht voll erreichte. Hier nun wird von anderer Seite her begreiflich, wie nötig auch dem Spenglerschen Kulturbild diese Klammer ist. Denn sie allein begründet und verbürgt ihm letzthin die innere Einheit und den einheitlichen Sinn jeder Kultur, deren Inhalte 6onst bei ihm ganz unbestimmt und unbestimmbar bleiben. Erst so nur schließt sich das Bild, vereinheitlicht 6ich die Kultur zu einem abgeschlossenen Ganzen, das er aus den Inhalten selbst nicht aufbauen kann, weil er die schöpferischen Beziehungen zwischen ihnen leugnet und nicht kennt. Darum ersetzt er ihren systematischen Zusammenhang, der die Kultureinheit erst endgültig begründete, durch eine bloße Stimmung, durch die einheitliche „Farbe", in die das Ursymbol der Raumwerdung das Weltbild eben dieser Kultur taucht und ihren Werdegang in ihm begleitet und bestimmt. Damit aber sind alle Unsicherheiten miteingeschlossen, die aus Stimmung und Intuition erwachsen — sie können treffen oder auch verfehlen, ohne daß Kontrolle und wirklicher Aufbau möglich wäre. Statt die Einheit einer solchen Kultur systematisch zu bestimmen, kann sie diktatorisch nur behauptet werden — alles m u ß ihrem Verlauf als einer einzelnen, wenn auch noch so gewaltsam konstruierten Kulturgesamtheit angehören. Immer frcilich ist die Einheit eines solchen „Urphänomens" bei ihm instinktumwittert und genial erahnt, so daß oft auch das Konstruierte noch von tiefem Sinn erfüllt ist. Der Preis der Einheit aber ist die Isolierung und Vereinzelung der so gewonnenen Kulturen: 6ie fallen als Individuen zusammenhanglos auseinander. Das in der metaphysischen Verarbeitung verfehlte Individualprinzip tritt also nachträglich verfälschend auch in die kulturmorphologische Darstellung ein. 216

Hieraus erklärt sich die so widerspruchsvolle Mischung von Richtigem uind Falschem bei dem angezogenen Beispiel der „arabischen Kultur" — die Gewaltsamkeit des in die christlichen Entstehungsvorgänge himaingedeuteten „magischen Höhlenweltraums", der h i e r , ohne dem geringsten Nachweis, reine Phantasie und Konstruktion bleibt, doch für den entstehenden Islam seinen berechtigten fruchtbaren Sinn behält. Andrerseits die gewaltsame Verklammerung dieser entstehenden Kulturwelt mit dem im Grund andersartigen (christlichen) End- und Miechungsprodukt absteigender Kulturen der Antike, der iranischen und jüdischen Kultur zu einem und demselben scheinbaren historischen Gebilde einer isolierten arabischen Gesamtkultur. Ebenso isoliert bleiben die beiden Weltkulturen, deren Verbindungs- und Mischungsprodukt eben das neue Christentum darstellt: die Antike und das „Abendland". Auch ihre Raumsymbole sind nicht sowohl primär von den Kultarinhaltein selber abstrahiert, sondern erwachsen als der selbständige Gegensatz des unendlichen („faustischen") und des körperhaften („euklidischen") Raumes in polarer Gegenübersetzung, wie überhaupt 'diese beiden Kulturen in allen Beziehungen zur vollen Gegensätzlichkeit hinaufgesteigert werden, wenn auch überraschend vieles an den tatsächlichen Kulturinhalten dem „UrsYmbol" dieser scharf herausgearbeiteten Raumchairaktere hier entspricht. An diesem Gegensatzpaar des euklidischen und des faustischen wird auch der Forderung jener Entstehungseinhoit in der Tiefendehnung (durch die „Richtung") wenigstens andeutend Genüge geleistet — weil eben in der Gegenüberstellung selbst schon ein Erklärungswert sich ausdrückt, der zugleich dem Gegensatz des betont abistorischen und des betont historischen (euklidischen und faustischen) Zeitempfindens entspricht. Um so weniger ist die entscheidungsvolle Zeit-Raumeinheit in dem Beispiel der magischen Kultur erreicht: Es bleibt hier nur ei.ii ungewisser Schwebezustand, dürftig fragmentarisch angedeutet. Die volle Lösung gelingt nur einmal: bei der ägyptischen Kultur mit ihrem raumsetzenden Ursymbol als „Weg", als Lebenspfad, der in der Zielrichtung — dem Grabe zu! — vom Wanderer beschritten wird. Hier in der Tat fällt die Intuition mit dem auch seelisch voll erlebbaren Kulturanschauungsinhalt auf das glücklichste zusammen, und dem entspricht die großartige Deutung, die Spengler den Erscheinungen dieser Kultur217

weit zu geben vermag (vgl. o. S. 52 f.). Im Grande bildet je auch dieses ruhelose fliehende ägyptische Raum empfinden mit dem magischen Höhlenweltraumgefühl — (,,ich harre, midi umkreist die Z d t " ) edrn Gegens atzpaar sich polar entsprechender, und wohl auch so, im Gegensätze zueinander konzipierter and erwachsener Raummöglichkeiten, auch wenn Spengler hiervon nichts erwähnt. Er kommt außer bei diesen vier Beispielen nur noch einmal auf das Kulturraumproblem zu sprechen: bei der chinesischen Kultur, denn bei der sechsten der in den Tabellen aufgestellten Weltkulturen, der indischen, fehlt jedes Eingehen auf diese Frage. Auch bei China wird sie nur in zwd Anmerkungen gastretift, anläßlich sieiner feinsinnigen Analyse des chtoesischen Lanidlschaftsraume. Auf die so verlockende Gegenüberstellung zum indischen Raum mift siedmer völlig traumhaften Weltüiefe und Unwirklichkeit und -dem ebenso traumhaften Wechsel der Welträume unid Weltweiten ist Spengler nicht miehr eingegangen. Doch es genügen ©chon die beiden Gegensätze der vier ersten Beispiele, um darzutun, wie eingeschränkt im Grund das Änschauungs- und Beweismaterial für Spenglens Hauptthese, die Raumentstehung als das Unsymbol, nur ist — nuT vier Beispiele ausgeprägter Kulturwirklichkeit, und diese zeigen zudem deutlich ihre Herkunft aus dem theoretischen und systematischen Ordnungsbedürfnis. Eben die Systematik, die nicht induktiv und sachlich aus den Inhalten gewonnen wurde, macht sich unbewußt formal schon im den grundsätzlichen Aufstellungen selber geltend, die auf wenige typische Möglichkeiten solchen Raumempfindens überhaupt (jenes „über die Weltform entscheidenden Tiefenerlebnisses") zurückgehen. Die Raumordnung selbst, ,,das Urerlebmis des Menschen, das ihm zugleich ein Innenleben und den Besitz einer Außenwelt gewährt", war der äußerste Punkt, den Spenglens Metaphysik erreichte, die vor dar letzten Lösung, vor der mit der Raumwerdung doch schon geforderten T n d i v i d u a t i o n stehenblieb. Nun unters cheidet Spenglers Morphologie am jeweiligen Ursymbol die einzelnen Kulturen als individuelle Einheiten e b e n d u r c h dieses Raumpninzip, das selber die Individuation bedingt, ja ihre Erscheinungsweis« ist. Darum also die „Singularität" weniger unterschiedener isolierter Weltkulturen, Kulturwelten n e b e n einander. Noch verhängnisvoller wirkt 6ich die Nichtberücksichtigung der Kulturinhalte und ihrer gegenseitigen Beziehungen aus, wenn nun 218

die Fragestellung vom Gesichtswinkel der Räumlichkeit in den der Z e i 11 i c h k e i t hinüberrückt, also von der Unterscheidung der einzelnen Kulturen zur Betrachtung ihres stets gleichmäßigen Verlaufs, oder mit den Benenmuimgen der auf diesem, ja auch vor Spengler schon öfters bearbeiteten Gebiet besonders fruchtbaren Kritik: der Schritt vom Kulturindividualiemus zu ihrem P a r a l l e l i s m u s (Troeltsch), von den Kulturcharakteren zu ihrer P h a s e o l o g i e (Neurath), vom individuell-organischen Kultursubstanzbegriff ZUT „formal-morphologischen Gleichheit ihrer Entwicklung u n d P e r d o d i z i t ä t " (Schück). Es ist die zweite Hauptthese der Lehre Spenglers: der echematisdi gleichartige Ablauf der Kulturprozesse — jene übersteigerte, im vorigen Kapitel schon berührte „Ps.eudokonstante" des abstrakten unerbittlichen Gesetzes einer und derselben immer gleichen Phasenfolge im Verlauf der sonst doch grundverschiedenen und unvergleichbaren, selbständigen Kulturen. Immer handelt es sich dabei um die sechs in den Gleichzeitigkeitstabellen parallel gestellten Kulturen: iene Region des Ewigen, aus der der helle Stern sein Licht u n d seine belebende Wärme schöpft, in die Region sittlicher Werte und Gesetze, zu der wir selbst in unserem Innersten unmittelbar den Zugang haben, da der Mensch durch die Persönlichkeit „Zweck an sich selbst" ist, „niemals bloß als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck" zu gelten hat, als „das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit". —• Dieser im Ewigen beharrende Kärntische Hintergrund auch noch jener Ideen von 1914 scheint uns eben das, was sich die Besten der Idealisten heute noch wie damals schon ersehnten, aber was in Wirklichkeit schon völlig aufgegeben war und dessen Fehlen, dessen Leugnung in den Schriften Spenglers ihren pessimistischen und skeptischen Absturz bedingt. Noch einmal übersehen wir sie 60, gleichsam von einem letzten höchsten Aussichtspunkte aus, in ihren starken wie auch in ihren schwachen Seiten: Wie es 6ich symbolisch schon in seiner unfertiggebliebenen Metaphysik aussprach, die nicht zum letzten Mittelpunkt, zum I c h und der Persönlichkeit als herrschendem und lösiungsmächtigem Zentrum gelangte, so dringt seine morphologische Kulturanschauung nicht zum letzten positiven Sinn und Halt, eben 250

dem „Inhalt" der erschauten Form des Lebens vor und gleitet darum wider Willen immer wieder in Naturalismus ab. Und aus dem gleichen Grand vermag sie geschichtsp hiloso p his ch nicht, der Gegenwart die ethische Forderung der Gerechtigkeit und die Rechtfertigung des Ewigen aus dessen Tiefen selber entgegenzustellen. Sein scharfer, sorgenvoller Blick auf ihre Schwächen und Gefahren verschmilzt vielmehr unmittelbar mit seiner festgelegten tragischen Erkenntnis der VerfaHsnotweadigkedt absteigender Kulturen und dem sicheren Gefühl von dem schon überschrittenen Höhepunkt der unsrigen, zu dem grandiosen, aber düsteren Gemälde seines Weltbilds, das für unsere Zukunft nur die harten, negativen, grausamen und finsteren Züge übrig hat. Auch sie schließen sich folgerichtig zu einer „Philosophie und PhYsiognomik", ja zu einer „Metaphysik des Unterganges" zusammen, als deren schicksalshafter Künder und Prophet er seinen Auftrag und sein Werk vollendet hat. Dieses edibstübemonrnieme Propbetemschicksal aber ist 60, für Deutschland wenigstens, auch noch in einem tiefern Sinn bedeutungsvoll: Nimmt man sein Schrifttum als bezeichnend für die Selbsterkenntnis unserer Kultur, so zeigt es selber in der Tat eben duTch sich, durch sein Vorhandensein das „hippokratischie Gosicht" des Sterbenmüssens und des Untergangs. Daß diese hellsichtige umfassende Kulturkritik in dieser Art, mit diesem negativen Ausgang und Ausblick geschrieben werden konnte, zeigt auch ihrerseits den Stand der Lebensliniie an; es ließ erkennen — auch schon vor dem Kriegsausgang —, daß nicht das jugendliche Ideal fordernder Jünglinge diie Wirklichkeit richtig erkannte, sondern das skeptische Urteil des pessiimiistits'ch sorgenvollen Manneis. Wider Willen, widor sein Erwarten ist er eo in seinem Werke selbst, als dessen Schöpfer, der Prophet des Untergangs geworden, der eintreffen mußte, wenn ßchon die Kitltursubstanz selber derart verbraucht, durchschaut und todesreif geworden war. Die alte Einsicht Hegels, daß „eine Gestalt des Lebens alt geworden sei, wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt . . . und mit Grau in Grau läßt sie eich nicht verjüngen, sondern nur erkennen" — wird liier noch einmal in sich gesteigert und vertieft zu dcT erschreckenden Tatsache, daß die späte, mitleidlose Selbsterkenntnis der zerfallenden Kultur nur ihre eigene Zersetzung offenkundig machen und bestätigen muß. In diesem Sinn steht Spenglers Werk als Abschluß und am Ende des ,,ge6chichtsphilosophischen Bogens" deutscher Denker, an dessen Anfang 251

Herders seherisches Jugendwerk, auf dessen Scheitelhöhe Hegels vollemidumgsgasättigte Gasamterk ennitnis steht. Damit sind nun auch Art und Grenzen seiner wissenschaftlichen Bedeutung

klar geworden. Niemand

wird

Spenglers

Bücher

um

exakter wissenschaftlicher Erkenntnis willen lesen — seine Fehler und Irrtümer sind iim edimzelnen so oft durchprüft und richtiggestellt worden, .daß hier jedes weitere Wort überflüssig ist. Spengler fordert —

wie auch Hegel — reife, kenntnisreiche und kritische

Leser. Für diese aber wird er dauernd eine reichhaltige Quelle des Genusses und schöpferischer

Anregung sein,

gerade durch seine

gewagten kühnen Paradoxe und Gewaltsamkeiten. Führen sie doch meist den überlegenen Kritiker zu überraschenden Ausblicken. Die starren Schematismen aber, die vergeblich diese Fülle blühender und blitzender

Gedanken,

wie sie

Troeltsch

nennt,

halten

und ein-

ordnen wollen, sind als solche psychologisch zu verstehen aus eben dieser Fülle von Kulturinhalten der Jahrtausende, die 6ich in diesem Geiste als Erlebnis durcheinanderdrängten und der Bändigung und Übersicht bedurften. Auf der Kulturhöhe gelingt es wohl dem beherrschenden Genius, sein selbstgeschaffenes Ordnungsschema auch zum logischen System zu steigern und organisch auszubauen. Aber auch hieT sind die rastlos andrängenden Gedankenmassen des geschichtlichen, konkreten Materials das Erste und Ursprüngliche, und das an ihrer Ordnung wachsende System bleibt nur das Handwerkszeug und das Organ de6 Geschichtsphilosophen, mit dem er seinen Ordnungsbau errichtet. In der späteren Zeit absinkender Kultur und verfallender

Tradition wird dieses

Handwerkszeug,

wie auch

bei

Spengler, mehr improvisiert und gleichsam aufgerafft, was die hervorgehobenen Widersprüche und Willkürlichkeiten wenigstens zum Teil

erklären mag. Exakte Fachgelehrte eind in ihren ruhig

be-

herrschten einzelnen Gebieten weniger dem Überdruck und Wirrwarr solcher leidenschaftlicher Gedankenstürme ausgesetzt. So liegt die wirkliche und bleibende Bedeutung Spenglers weder auf dem wissenschaftlichen noch auf dem eigentlich-philosophischen, d.i. metaphysischen Gebiet, sondern ausschließlich auf dem kulturellen. Spengler ist, wie letzten Grundes auch schon Nietzsche, wesentlich Kultur- und

eigentlich

politischer

Schriftsteller. Wie sein

erstes,

ursprünglich befruchtendes Erlebnis (1911) die politische Sorge um Deutschland und deutsche Kultur gewesen ist, und wie seine ganze Kulturphilosophie des ,,Untergangs des Abendlandes" nur aus der

252

immer tieferen Erklärung jener Sorge .erwachsen ist, so schließt »ich wieder seine ganze spätere Produktion ausschließlich um die gleichen politischen Sorgen und Erwägungen zusammen, die um Deutschlands Schicksal kreisen und ihn als „Politiker" von seinem kulituranschaueniden Lebenswerk immer weiter abgedrängt halben, Hieraus erklärt sich auch — wenigstens psychologisch — noch ein letzter schroffer "Widerspruch: daß ein den letzten höchsten Werten und Gebilden der Kulturen leidenschaftlich hingegebener Geist die Zukunft unserer eigenen Kultur 6ich nur in solchen rohen und brutalen Bildern primitivster Machtkämpfe vorstellen kann. Vorherrschend ist bei ihm, als dem feinfühligen Kulturerschauer, das erbitternde schmerzliche Leiden an der Zeit des Abstiegs, in die er hineingeboren ist. In seiner abwehrenden Reaktion auf dieses Leiden häuft er in den Schilderunigen dieser ihm verhaßten Endzustände noch die negativen Züge, als Anklage und verachtende Anprangerung der menschlichen Erbärmlichkeit dieser erlöschenden Kulturen. Dies wenigstens scheint manchmal — wi£ auch oft bei Nietzsche und bei MachdaveHii — der geheime Untergrund ihrer so ruchlos odiar kindisch übersteigerten Verherrlichung des „Raubtiers Mensch". Doch das Begreifen dieses Reaktionsvorgangs entschuldigt nicht seine bedenkliche Wirkung, .die von Vielen als verwerflich empfunden wird — gerade in d e m Lande, über das in Wirklichikieit die Katastrophe hereinbrechen sollte, die durch die brutale nackte Macht- und Gewaltpolitik heraufbeschworen wurde. Wahrhaft dämonisch sind hier düie reifende Wirklichkeit und deren Erkenntnis in sich verkettet wie bei keinem anderen Volke seit den Zeiten eines Arnos und Jesajas. Diese schicksalhafte Verflechtung und Beladenheit verleiht dem Werke Spenglers für deutsche Leser seine einzigartige Bedeutung gegenüber analogen Werken auch des Auslands. So steht sein Werk zuletzt in einem eigentümlich düsteren Licht, beschattet von dem nahenden Verhängnis, dos es warnend kommen sah und dessen Unentrinnbarkeit es selbst doch durch sein eigenes Wesen noch bezeugte. Unwillkürlich drängt sich damit noch ein letzter lehrreicher Vergleich auf. Denn wie Spenglers Werk als bedeutsames Dokument des deutschen Kulturselbstbewußtseins an dem schicksalsvollen Ausgang steht, 60 war auch schon die deutsche Kulturhöhe selbst von einer bangenden Vorahnung solchen Absturzes begleitet: Gerade hundert Jahre vor der letzten Spenglerschen Schrift „Jahre der Entscheidung" erschien, 1834, kaum zwei Jahre nach dem 253

Tadle Goethes, wie edin Satyrs piel nach der beschlossenien Hochblüte deutschen Geisüas, die geniale Persiflage Heinrich Heimes „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland", in drei Büchern („Deutschland biß Luther, Von Luther bis Kant, Von Kant bis Hegeil"), iin denen er die geistige Auswirkung dieser letzten Denker mit dem Geiste der Französischen Revolution verglich. Daher erwartete Heine nach der deutschen Reformation und nach der deutschem Gedankenirevolution der großen Philosophen erst noch die größte, die politische deutsche Revolution. „Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erscheinungen dieselbe Revolution erwartet, die im Gebiete des Geistes stattgefunden. Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht . . . Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen düe Französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte . . . wienn die Stunde -erscheint, wo dort die Schar der Gladiatoren anlangt, die auf Tod und Leben kämpfen sollen. — Und die Stunde wird kommen. Wie auf den Stufen eines Amphitheaters werden die Völker sich um Deutschland herumgruppieren, um die großen Kampfspiele zu betrachten . . Diese revolutionären Kräfte werden ,