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German Pages 238 [240] Year 1997
Michael Pauen Pessimismus
Michael Pauen
Pessimismus Geschichtsphilosophie, Metaphysik und Moderne von Nietzsche bis Spengler
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Klages-Gesellschaft Marbach e.V. Titelbild: Ernst Ludwig Kirchner, Der Krieg (DH 765), Holzschnitt, 1924, Titelvignette in: Georg Heym: U M B R A VITAE, Kurt Wolff Verlag, München 1925 © Dr. Wolfgang & Ingeborg Henze-Ketterer, Wichtrach/Bern
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Pauen, Michael: Pessimismus : Geschichtsphilosophie, Metaphysik und Moderne von Nietzsche bis Spengler / Michael Pauen. Berlin : Akad. Verl., 1997 ISBN 3-05-003094-1
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen von WILEY-VCH. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO T C 46. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Umschlaggestaltung: Hans Herschelmann Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Einleitung Beobachtungen Absicht Begriffsklärung Die >Krisenhypothese< Aufbau I
METAPHYSIK
UND
7 8 14 15 18 26
GESCHICHTSPHILOSOPHIE
Kosmologie Antike Mittelalter Renaissance Galilei Bayle Theodizee Leibniz Wolff Voltaire Geschichtsphilosophie Lessing Maupertuis Kant Hegel II
PESSIMISMUS IM 19.
30 32 38 44 46 49 51 51 56 62 64 64 65 66 76 JAHRHUNDERT
Pessimistische Tendenzen in der Literatur Faszination des Schrecklichen Rationalisierung Die NACHTWACHEN
M. Solitaire Baudelaire und Poe Huysmans
VON BONAVENTURA
86 86 90 91
95 96 100
6
Inhalt
Metaphysischer Pessimismus Schopenhauer >Große Depression und Gründerzeit Nietzsche Eduard v. Hartmann Mainländer und Bahnsen Kulturpessimismus Dekadenz Lasaulx und Burckhardt Subjekt und Masse Paradoxie des Pessimismus Pessimismusdebatte Pessimismus und Weltschmerz Kritik III PESSIMISMUS NACH DER
103 103 112 117 122 131 144 145 146 150 151 154 154 157
JAHRHUNDERTWENDE
Pessimismus und Utopie Georg Lukdcs Ernst Bloch Konservative Entwürfe Ludwig Klages Oswald Spengler Fazit: Die Perspektive des Pessimismus
164 164 168 173 173 181 211
ANHANG
Literatur Index Schlußbemerkung
216 235 239
Einleitung
Wer einen Mißstand kritisiert, kann in der Regel mit wohlwollendem Interesse rechnen, scheint er doch einen Fehler entdeckt zu haben, der seinen Zeitgenossen bislang verborgen geblieben war. Wer ihm widerspricht, wird sich vorhalten lassen müssen, sein Sensorium sei eben nicht scharf genug, sein Verstand zu schwach, um den Mangel zu bemerken, offensichtlich habe er die Problematik gar nicht durchschaut. Sofern es sich um eine gesellschaftliche Krisendiagnose handelt, verbindet sich hiermit häufig noch ein schwerwiegenderer Verdacht: Will der Apologet nicht nur die Mängel des Bestehenden beschönigen und vorhandene Ungerechtigkeiten erhalten, wird sein Urteil also nicht doch nur durch seine eigenen Interessen bestimmt? Eine solche Einstellung hat nur zu gute Gründe, schließlich basieren wesentliche Errungenschaften der Moderne auf dem Prinzip der permanenten Kritik. Dies gilt für die Wissenschaften ebenso wie für die öffentliche Auseinandersetzung; in beiden Fällen setzt - zumindest der Theorie nach - eine sinnvolle Veränderung in der Regel die Kritik des Bestehenden voraus: Die Würdigung der Rousseauschen Kulturkritik durch die Apotheose ihres Autors in der Französischen Revolution und die Wirkung des Kantischen Kritizismus auf die Wissenschaften und ihre Theorie sind nur die äußeren Anzeichen jenes fundamentalen Wandels, der mit der Einbürgerung des Begriffes >Kritik< am Beginn des 17. Jahrhundert einsetzt.1 Die politischen und wissenschaftlichen Autoritäten, aber auch die bislang geheiligten Traditionen verlieren zusehends den Schutz der göttlichen Gnade und sie werden statt dessen dem Zwang permanenter Selbstrechtfertigung ausgesetzt. Mag jenes wohlwollende Interesse also zweifellos seine guten Gründe haben, so darf es doch nicht den Blick dafür verstellen, daß auch die Kritik selbst den gleichen Vorbehalten unterworfen sein sollte, wie die Gegenstände, denen sie sich zuwendet. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie vom Instrument zum Prinzip wird. Genau dies läßt sich beobachten, wenn sich die Auseinandersetzung mit den einzelnen Übeln der Wirklichkeit zu der Vorstellung verfestigt, die bestehende Welt sei insgesamt ein Übel; wenn also der absolutistische Superlativ des >Pessimismus< den skeptischen Komparativ des Schlechter Als< verdrängt. Solche Radikalisierung der Kritik muß nicht per se verfehlt sein, doch sie verdient zumindest die - ihrerseits kritische - Aufmerksamkeit des Beobachters.
1
cf. Koselleck, Kritik und Krise p. 87.
Einleitung
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Die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Pessimismus entspricht dieser Erwartung allerdings nur zum Teil. Soweit ausdrückliche oder auch nur implizite Vermutungen über die Entstehungsbedingungen dieser Theorien angestellt werden, legen sie in der Regel die Diagnosen der Pessimisten stillschweigend zugrunde. Weitgehend unumstritten ist auch in jüngeren Arbeiten die Ansicht, daß der Pessimismus im wesentlichen als Reaktion auf eine tiefgreifende gesellschaftliche Krise zu verstehen sei. Die Radikalität dieser Theorien, aber auch die ihnen offenbar werdenden Widersprüche und Unzulänglichkeiten scheinen diese Auffassung nur noch zu stützen: Es scheint so, als zählten die Pessimisten selbst zu den Opfern jener Krise; offenbar ist die Welt so weit aus den Fugen geraten, daß selbst das Urteilsvermögen der Kritiker in Mitleidenschaft gezogen wird.
Beobachtungen Die vorliegende Studie ist hervorgegangen aus einer Reihe von Beobachtungen, die sich mit der skizzierten Erklärung - ich möchte sie im folgenden als >Krisenhypotbese< bezeichnen - nur schwer vereinbaren lassen. Sie betreffen im wesentlichen drei Bereiche: Zum einen die historischen Entstehungsbedingungen des Pessimismus, aber auch die jener optimistischen* Entwürfe, gegen die sich die Pessimisten wenden; zweitens die theoretischen, insbesondere die geschichtsphilosophischen Traditionen, auf die sich der Pessimismus - polemisch oder affirmativ - bezieht; schließlich die argumentative und rhetorische Struktur der Texte selbst. Die Frage nach den Entstehungsbedingungen des Pessimismus, so wird sich dabei zeigen, stellt keinen bloßen Selbstzweck dar; sie hat vielmehr eine Reihe von Implikationen, die das Verständnis dieser Theorien, aber auch ihren Ort in der Philosophiegeschichte betreffen. In jedem Falle wirft schon ein erster Blick auf die Geschichte pessimistischer Theorien Zweifel an der Krisenhypothese auf: Der gnostische Pessimismus etwa hat seinen Höhepunkt nicht in den Untergangswirren des Römischen Reiches, sondern in einer Phase weitgehender Sekurität zur Zeit der Regierung von Hadrian und Antoninus Pius. Auch Prinz Siddhartha, der spätere Buddha, bedurfte keiner Krise, um seine pessimistischen Vorstellungen zu entwickeln; Hegesias, »der konsequenteste Pessimist des Altertums«,2 tritt auf in der Blütezeit Alexandrias unter Ptolemaios I., und auch der moderne Pessimismus entsteht nicht im Elend zwischen den Kriegen dieses Jahrhunderts: Er hat mit Schopenhauer seine Wurzeln in der späten Goethezeit und erlebt einen vorläufigen Höhepunkt in den prosperierenden Jahrzehnten zwischen der Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg. Auf der anderen Seite entsteht die Leibnizsche THEODIZEE im Anschluß an die >Große Krise< des 17. Jahrhunderts, und einige der wichtigsten optimistischen Systementwürfe von Aufklärung und Idealismus stammen aus der Zeit zwischen dem Siebenjährigen Krieg und der Napoleonischen Besatzung. Keineswegs läßt sich hieraus im Umkehrschluß ableiten, es sei eben die übermäßige Sekurität, die zuweilen zu den Kapriolen des Pessimismus verleite; hiergegen 2
Diels, Der antike Pessimismus p. 24.
Einleitung
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spricht schon, daß sich diese Lehren oft über lange Perioden erhalten. Pessimistische Vorstellungen finden sich im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts ebenso wie im Deutschland der Goethezeit, in der Euphorie der Gründerjahre ebenso wie in den Krisen der Zwischenkriegszeit, sie entstehen in den Jahren des Aufschwungs kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch Jahrzehnte später in der völlig andersartigen Situation der Gegenwart. In diesem Zusammenhang ergibt sich noch ein weiteres Argument, das gegen die >Krisenhypothese< spricht: Wenn optimistische und pessimistische Systementwürfe im wesentlichen ihre eigenen historischen Entstehungsbedingungen widerspiegelten, dann müßten die konkreten Erfahrungen, die in mittelalterlichen Lehren, bei Leibniz, Kant und Hegel thematisiert werden, weit positiver sein als diejenigen, die sich beispielsweise bei Schopenhauer oder Hartmann finden. Genau dies ist indessen nicht der Fall. So zeigt sich etwa der mittelalterliche Franziskaner Bonaventura zwar überzeugt, daß die Welt in ihrer Schönheit und Vollkommenheit ein Spiegel ihres göttlichen Schöpfers sei. Diese Annahmen leiten sich jedoch nicht aus konkreten Erfahrungen ab, sondern aus theologischen und metaphysischen Vorgaben. Aus ihnen folgt, daß der Schöpfer an seinem Werk zu erkennen ist - die Welt muß also ein Spiegel der göttlichen Vollkommenheit sein. Bonaventuras ausführliche Auseinandersetzung mit der Melancholie, der Acedia und der Negligentia bezeugt die Präsenz negativer Erfahrungen, die aber aufgrund der genannten Prämissen in den Bereich des Illegitimen, ja des Pathologischen abgedrängt werden müssen: Die Melancholie gilt als Krankheit, die Acedia gar als eine Todsünde. Auch ein genauerer Blick auf die Philosophie der Aufklärung läßt erkennen, daß es kaum die konkrete Erfahrung war, aus der der Optimismus hervorging. Maupertuis etwa sucht zu zeigen, daß das Unglück die positiven Erfahrungen bei weitem überwiegt, und auch Kant spricht in der KRITIK DER URTEILSKRAFT davon, daß kaum jemand sein Leben freiwillig ein zweites Mal antreten würde. Umgekehrt hüten sich die Pessimisten in der Regel, die konkreten historischen Fortschritte abzustreiten. Eduard v. Hartmann behauptet gar, daß sich der eigene metaphysische Pessimismus problemlos mit einem historischen Optimismus« vertrage. Keineswegs soll aus diesen Beobachtungen die Folgerung gezogen werden, die pessimistische Kritik sei aus der Luft gegriffen, das angeprangerte Leid eine bloße Erfindung - im Gegenteil: Bestritten wird hier nicht die Existenz der von den Pessimisten beschriebenen Erfahrungen und Mißstände, bestritten wird lediglich, daß sie neu sind. Gezeigt werden soll daher nur, daß sich der Pessimismus nicht als Reaktion auf eine Verschärfung der historischen Bedingungen verstehen läßt. Genau dies muß allerdings behaupten, wer an der allzu einfachen Gleichung von Krise und Pessimismus festhalten will, wer also den Umschlag der optimistischen Fortschrittshoffnungen in eine grundsätzliche Weltablehnung aus sozialen und historischen Entwicklungen erklären will. Bleibt die Situation jedoch im wesentlichen unverändert, dann müssen offenbar andere Gründe für die Entstehung des Pessimismus verantwortlich sein. Entscheidende Bedeutung, so soll in einer zweiten Folge von Beobachtungen gezeigt werden, haben die philosophie- und geistesgeschichtlichen Grundlagen, auf denen sich die pessimistischen Theorien entwickeln. Verbunden ist damit nicht etwa die Annahme, der Pessimismus sei ein von geschichtlichen Bedingungen unabhängiges Phä-
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Einleitung
nomen; vielmehr deutet sich hier eine alternative historische Erklärung an. Sie soll die Eigendynamik der theoretischer Traditionen ebenso wie die Komplexität der geschichtlichen Bezüge berücksichtigen, um so der trügerischen Identifikation von historischer Erfahrung und theoretischer Reflexion zu entgehen. Dabei zeigt sich, daß die Reaktionen auf bestimmte historische Umstände stark voneinander abweichen können: Luxus und Genuß lassen sich als Zeichen der Verblendung und damit indirekt als Beleg für die Nichtswürdigkeit des Bestehenden auffassen, umgekehrt kann Leid als notwendiges Opfer innerhalb eines sinnvollen kosmischen Zusammenhanges begriffen werden. So erkennt Kant etwa nur einen weiteren Beweis für die anbetungswürdige Weisheit der Natur, wenn er bemerkt, daß Schwalben aus Mangel an Nahrung einen Teil ihrer Jungen aus den Nestern werfen: »Da stand mein Verstand stille, da war nichts dabei zu tun, als hinzufallen und anzubeten.«3 Auch Schopenhauer beobachtet, daß in der Natur das Individuum der Gattung geopfert wird, seine Reaktion aber ist genau entgegengesetzt: Anders als Kant mag er hierin nur einen weiteren Beleg für die Amoralität der Natur4 und die Selbstentzweiung des Willens sehen: »Fast durchgängig führt der Genius der Gattung einen Krieg gegen den Genius des Individuums, ist sein Verfolger und Feind, indem er das persönliche Wohl ... beständig schonungslos zerstört, um seine Zwecke zu fördern.«5 Wenn beide Autoren hier also zu völlig gegensätzlichen Schlußfolgerungen kommen, dann deshalb, weil beide die historische Situation nicht einfach abbilden, sondern - auf der Basis eines nicht unmittelbar situationsabhängigen Bezugssystems - deuten: Kant geht aus von der regulativen Idee einer weisen und zweckmäßigen Natur, Schopenhauer von der Metaphysik des blinden Willens. Beide Theorien, dies zeigen bereits die angeführten Beispiele, legen die Interpretation möglicher Erfahrung schon weitgehend fest, so daß diese die Prämissen kaum mehr in Frage stellen kann. Tatsächlich wäre der Versuch, den Pessimismus zu einer bloßen Krisenreaktion zu erklären, problematisch schon allein deshalb, weil er den geistesgeschichtlichen Hintergrund ignorierte, auf dessen Basis die kritische Diagnose überhaupt erst möglich ist. Stimmt also der oben skizzierte Befund, dann ist es unzureichend, nur nach historischen Ursachen für die Entstehung des Pessimismus zu suchen. Notwendig ist vielmehr auch eine Analyse der Deutungszu-
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Kant z. n. Wasianski, Immanuel Kant p. 2 5 9 ; den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Reinhard Brandt. »Die Natur kennt nämlich nur das Physische, nicht das Moralische: sogar ist zwischen ihr und der Moral entschiedener Antagonismus.« Schopenhauer, Werke Bd. II p. 6 5 6 . Schopenhauer beruft sich dabei auf die Aufopferung des Individuums für das Wohl der Gattung. Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß Bd. IV. 1 p. 5 8 .
Einleitung
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sammenhänge;6 jener metaphysischen und theologischen Prämissen, die in die Darstellung, die Bewertung und die Auslegung der historischen Erfahrung eingehen.7 Dabei zeigt sich, daß eine wesentliche Differenz zwischen Optimismus und Pessimismus in einer Verschiebung der Perspektive besteht, von der diese Deutung ausgeht. Auch hier erweist sich das oben vorgestellte Beispiel als aufschlußreich: Während Schopenhauer mit den einzelnen Opfern sympathisiert, macht Kant sich die Sichtweise der Gattung zu eigen. Auch die anderen optimistischen Theorien argumentieren in der Regel aus der Perspektive des Ganzen. Bestritten wird nämlich nicht etwa die Existenz des Bösen, vielmehr bemühen sich Leibniz, Kant und Hegel um dessen Rechtfertigung. Als >sinnvoll< läßt sich das Übel nur dann begreifen, wenn es um eines höheren Zwekkes willen in Kauf genommen werden muß, doch dieser Zweck bezieht sich nicht auf die Wohlfahrt des einzelnen, sondern auf den Staat, die Menschheit oder gar den gesamten Kosmos. Sichtbar wird dies nicht nur in jenen Fortschrittstheorien, die den eigenen Zeitgenossen Verzicht zugunsten späterer Generationen abverlangen, es zeigt sich auch bei Leibniz, der das irdische Leid verrechnet mit dem Glück, das die Bewohner anderer Sonnensysteme genössen: Aus der Sicht Gottes mag damit die kosmische Vollkommenheitsbilanz wieder ins Lot kommen; das leidende Subjekt hingegen muß es als Zynismus empfinden, wenn ihm das Glück anderer Welten zum Trost vorgehalten wird. Wenn Schopenhauer und die auf ihn folgenden Autoren sich von dieser Perspektive abwenden, dann dürfte hierfür nicht zuletzt ein verändertes Verständnis der Rolle des Subjekts verantwortlich sein: Der einzelne ist nicht mehr bereit, sein eigenes Leiden zugunsten eines hypothetischen Ganzen zu relativieren; genausowenig mag er sich mangelnde Einsicht in die Pläne Gottes oder der Vorsehung nachsagen lassen, wenn er sein eigenes Schicksal nicht mehr klaglos hinnehmen will. Dieser Perspektivwechsel ist Teil einer übergreifenden Entwicklung, deren erste Anzeichen sich bereits in der Subjektphilosophie der Renaissance beobachten lassen. Sie 6
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Eine solche Unterscheidung von Erfahrung und Deutung ist nicht neu. Heinz-Dieter Kittsteiner etwa differenziert zwischen >Erfahrungsräumen< und >Erwartungshorizonten< (Kittsteiner, Naturabsicht p. 153), Georg Bollenbeck spricht von >DeutungsmusternErfahrung< und >Deutung< stellt im übrigen keinen Versuch dar, den >Mythos des Gegebenem (Seilars) wiederzubeleben. Selbstverständlich ist die Erfahrung, die in den geschichtsphilosophischen und kosmologischen Schriften zum Ausdruck kommt, selbst immer schon gedeutet, umgekehrt sind die Deutungsprinzipien niemals vollständig von der Erfahrung abzulösen. Dennoch scheint es gerechtfertigt, unter dem skizzierten Vorbehalt an der Unterscheidung von Erfahrung und Deutung festzuhalten, weil beide Begriffe - trotz ihrer gegenseitigen Abhängigkeit - zwei unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck bringen: Während die Prinzipien der Deutung sich auf theoretische Zusammenhänge, also die Tradition der Metaphysik oder die Prämissen des eigenen Systems, berufen, steht die Erfahrung in wesentlich direkterem Kontakt zur vortheoretischen Umwelt. Berufen kann sich diese Unterscheidung auch auf die Spannungen und Widersprüche, die - wie noch zu zeigen sein wird - immer wieder zwischen diesen beiden Perspektiven entstehen. Zum >Mythos des Gegebenem cf. Sellars, Empiricism and the Philosophy of Mind.
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Einleitung
hat vielfältige Gründe - die Fortschritte der Wissenschaften und die damit einhergehende Beschneidung des göttlichen Spielraums durch die vom menschlichen Intellekt entdeckten Naturgesetze dürften hier eine entscheidende Rolle spielen. Die Pessimisten setzen diesen Perspektivwechsel also nicht in Gang, doch sie treiben ihn ein gehöriges Stück weiter: Mit dem Glauben an einen göttlichen Schöpfer geben sie die Verpflichtung auf, die Schöpfung als den Ausdruck seiner Weisheit und Güte zu interpretieren. Entfällt diese Annahme, dann werden derartige Nachweise nicht nur überflüssig - sie sind vielmehr kaum mehr möglich: Mit dem liebenden Gott verschwindet auch der Sinn der von ihm gestifteten Ordnung, egal ob diese nun - wie bei Leibniz - kosmologisch oder aber - wie bei Kant und Hegel - historisch begründet wurde. Schopenhauer und Hartmann, aber auch Klages und der junge Bloch weisen die Vorstellung zurück, es gebe ein sinnstiftendes Ganzes, um dessentwillen es sich zu leiden lohnte. Das Übel kann nicht mehr gerechtfertigt werden und es tritt deshalb um so deutlicher ins Bewußtsein. Stimmen diese Beobachtungen, dann ließe sich zumindest eine Bedingung für die Entstehung des Pessimismus nennen: Der Zusammenbruch der traditionellen Metaphysik mit ihren weitreichenden theologischen und ontologischen Implikationen entzog der Legitimation von Kosmos und Geschichte die Basis und ermöglichte damit eine Artikulation jener subjektiven Erfahrungen von Leid und Ungenügen, die zuvor angesichts der unbezweifelbaren Güte Gottes keinen systematischen Ort, vor allem aber keine Berechtigung hatten. In direktem Zusammenhang hiermit steht eine Tendenz, die man als Steigerung des >Anspruchsniveaus< beschreiben könnte. Wenn die Pessimisten der Wirklichkeit weit kritischer gegenüberstehen als frühere Generationen, dann erklärt sich dies auch daraus, daß die angelegten Maßstäbe strenger geworden sind. Schopenhauer bezeichnet die bloße Existenz des Leids schon als hinreichend für die Begründung des Pessimismus, und Philipp Mainländer glaubt, daß selbst die Befriedigung aller denkbaren Bedürfnisse in einem >idealen Staat< den Pessimismus nicht in Frage stellen könne, schließlich müsse auch unter diesen Bedingungen das wahre Glück eine Illusion bleiben. Schon hieran wird deutlich, daß der Pessimismus keineswegs - so wie es zuweilen seine Anhänger glauben machen wollen - einen unverstellten, illusionslosen Zugang zur Wirklichkeit ermöglicht, auch wenn er ohne Zweifel die Artikulation bestimmter, bislang marginalisierter Formen der Erfahrung erlaubt. Die konkrete Auseinandersetzung mit den Prämissen, den Argumentationsstrategien und der Rhetorik des Pessimismus führt aber noch zu einer dritten Gruppe von Beobachtungen. Sie zeigen, daß die pessimistischen Theorien ihrerseits zu neuen Zwängen, zu neuen Formen der Ausgrenzung und Interpretation, aber auch zur Stilisierung bestimmter Erfahrungen führen. Wichtig ist hier zunächst das Erbe der alten Metaphysik, mit der die Pessimisten die Vorstellung teilen, daß die Welt letztlich auf ein ursprüngliches Prinzip zurückzuführen sei: Die Schopenhauersche Tradition beruft sich hier vor allem auf den >Willengut< oder >böse< beurteilen läßt. Dieses Urteil entscheidet nicht nur über den Wert jenes Prinzips selbst, sondern auch über das Schicksal der aus ihm hervorgehen-
Einleitung
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den Welt: Handelt es sich um einen weisen Gott, dann ist - zumindest für seine Anhänger - die Rettung gewiß; handelt es sich dagegen um einen finsteren Dämon, dann muß mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Verändert wird also nicht die Rolle dieses Prinzips im theatrum mundi, verändert wird allein die Besetzung: An die Stelle des guten und weisen Gottes tritt dessen spiegelbildliche Verkehrung, der finstere >Willeunumstößliches philosophisches Prinzips die für die Radikalität des Pessimismus verantwortlich ist. Einer der Gründe für die Attraktivität dieses Vorhabens dürfte darin bestehen, daß es den Pessimisten eine zusammenhängende Deutung der Wirklichkeit zu einer Zeit möglich macht, als die traditionelle Metaphysik und Geschichtsphilosophie, die ursprünglich ähnliches leisteten, längst diskreditiert sind. Für die Pessimisten aber läßt sich die kaum überschaubare Vielfalt des Bestehenden zurückführen auf ein zentrales Prinzip; in ihren Augen gehorchen die disparaten, einander widersprechenden Entwicklungen offenbar doch einer Logik - auch wenn es die Logik des Zerfalls ist. Mainländer bezeichnet seine Theorie des >Willens< als einen >ZauberstabThey Danced on Volcanoesohne Selbstpessimistische< Vorstellungen zu vertreten. Die Differenzen sind in der Tat schwer zu übersehen, dennoch läßt sich der Traktat Innozenz' nicht als >pessimistisch< im engeren Sinne bezeichnen. Dies gilt vor allem deshalb, weil Innozenz keineswegs die gesamte Schöpfung verdammt, sondern nur eine bestimmte Hierarchie innerhalb der Schöpfung propagiert. An deren unterem Ende steht der Mensch, der sein elendes Dasein offenbar selbst zu verantworten hat. Zu Recht spricht Geyer daher von einer gewissen Affinität des Traktates zu neuzeitlichen Theodizee-Vorstellungen. (cf. Geyer, Einleitung p. 12 sq.) In jedem Falle geht es dabei um eine Dämpfung der angeblichen menschlichen Hybris, die sich - wie bei den Katharern, zu deren Ausrottung Innozenz später maßgeblich beitragen wird - gegen die gottgewollte Ordnung richtet. So verweist der Autor ganz ausdrücklich auf die Mangelhaftigkeit der menschlichen Erkenntnisvermögen, die nur >Mühsal, Schmerz und Verdruß< einbringen. (Innozenz III., Vom Elend p. 5 0 ) .
Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen p. 3. 1. c. p. 2 3 . 7 5 cf. 1. c. p. 3 5 . 7 6 1 . c. p. 11. 73
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Metaphysik
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und
Geschichtsphilosophie
Selbstbehauptung und der schrankenlosen Selbsterweiterung findet, der bleibt auch für den Kosmos und seine Unendlichkeit blind. In Brunos Dialog DEGLI EROICI FURORI ist es daher die Form der Renaissance-Psychologie und die Form der Renaissance-Ethik, die sich überall als das entscheidende Motiv der neuen Kosmologie erweist. ... Für Bruno ... ist es eben die intellektuelle und die sittliche Würde des Ich, ist es sein Begriff der Person, der einen neuen Weltbegriff verlangt.« 7 7
Galilei Das theoretische Gegenstück hierzu ist die Cartesianische Begründung der Erkenntnis durch das denkende Subjekt. Der methodische Zweifel betrifft die anerkannten Meinungen, er betrifft die Existenz des Kosmos und zunächst sogar Gott - einzig der Zweifelnde selbst ist hiervon ausgenommen. Sichere Erkenntnis wird somit nicht mehr unmittelbar durch Gott, sondern durch den Erkennenden selbst begründet, der sich allerdings - in einem zweiten Schritt - noch auf Gott berufen muß, um die Gefahr einer Täuschung durch die Außenwelt auszuschließen. Aufschlußreicher noch für die hier im Vordergrund stehende Frage nach den genaueren Umständen der Überwindung der traditionellen Kosmologie sind aber einige Beobachtungen, die sich in Galileis SlDEREUS NUNCIUS machen lassen. Bekanntlich gelingt es Galilei im Jahre 1 6 0 9 , sich selbst ein Fernrohr zu bauen, mit dem er im selben und im folgenden J a h r unter anderem den M o n d beobachtet. Galilei stellt dabei fest, daß der M o n d nicht, wie bislang angenommen, die Gestalt einer vollkommenen Kugel hat, sondern daß seine Oberfläche von Kratern übersät ist. 7 8 Diese Erkenntnis widerspricht der bereits der Antike geläufigen Annahme, derzufolge sich die Vollkommenheit des Kosmos an der kreisförmigen Bahn der Himmelskörper, aber auch an ihrer nahezu perfekten Kugelgestalt ablesen lasse. 7 9 Galilei leistet damit seinen Beitrag zur Destruktion des überkommenen Weltbildes, doch auch hier ist wenig von einer Verlusterfahrung zu bemerken. Ebenso wie Pico, Nikolaus von Kues und Giordano Bruno bewertet er diese Entwicklung vielmehr eindeutig positiv: Die Erde nehme in der neuen Kosmologie einen höheren Rang ein als in den geozentrischen Systemen, wo sie am unteren Ende der kosmischen Hierarchie gestanden hatte. Galileis Beobachtun77 78
Cassirer, Individuum und K o s m o s p. 1 9 9 . » D u r c h häufig w i e d e r h o l t e U n t e r s u c h u n g e n dieser F l e c k e n nun bin ich zu der U b e r z e u g u n g s i c h e r e r E r k e n n t n i s g e k o m m e n , daß die O b e r f l ä c h e des M o n d e s n i c h t glatt, r e g e l m ä ß i g und von v o l l k o m m e n e r R u n d u n g ist, wie es eine g r o ß e S c h a r von P h i l o s o p h e n v o m M o n d selbst und von den übrigen H i m m e l s k ö r p e r n geglaubt hat, s o n d e r n d a ß sie im G e g e n t e i l u n e b e n , rauh und ganz mit H ö h l u n g e n und S c h w e l l u n g e n b e d e c k t ist, nicht anders als das Antlitz der E r d e selbst, das durch B e r g r ü c k e n und T a l s e n k e n allenthalben unterschiedlich gestaltet ist.« Galilei, Sidereus N u n c i u s p. 8 7 .
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S o schafft in Piatons TlMAlOS der D e m i u r g den K o s m o s »aus lauter G a n z e n als ein v o l l k o m m e n e s , nie alterndes n o c h e r k r a n k e n d e s G a n z e s und verlieh i h m die i h m a n g e m e s s e n e und v e r w a n d t e Gestalt«, n ä m l i c h die äußerlich glatte Kugel. P i a t o n , T i m a i o s 3 3 a - c . Diese V o r stellung wird seit der R e n a i s s a n c e n o c h insofern verstärkt, als die für Piaton f u n d a m e n t a l e D i f f e r e n z zwischen der Idee und ihrer m a t e r i e l l e n , u n v o l l k o m m e n e n Realisierung e i n g e e b net wird; cf. S c h m i t t , Klassische und platonische S c h ö n h e i t p. 4 1 8 sq.
Kosmologie
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gen zeigen nämlich, daß der Globus ebenso vom Licht der Sonne widerstrahlt wie die anderen Planeten, er kann daher nicht jener finstere und unwürdige Ort sein, als der er bislang beschrieben worden war: 8 0 »Sicher ist, daß Galilei selbst den Prozeß, den er auslöst, noch in den Kategorien der Tradition, also in der Rangvorstellung von Himmel und Erde im traditionellen Kosmos, versteht und daß in seiner Sprache nicht der Himmel abgeschafft, sondern die Erde zum Himmel erhoben wird. Das ist deshalb für das Verständnis der geschichtlichen Zusammenhänge nicht gleichgültig, weil nur unter dieser Voraussetzung der Kopernikanismus eben nicht als die große Enttäuschung und Erniedrigung des Menschen erfahren wurde, als die ihn schließlich Nietzsche empfinden sollte.« 81 Auch in einem anderen wichtigen Punkt wird deutlich, daß Galilei sich keineswegs vollständig von den Vorgaben jener Tradition löst. Von Interesse ist diese Beobachtung hier vor allem deshalb, weil sie beispielhaft den oben angedeuteten Konflikt zwischen den Postulaten der traditionellen Kosmologie und den Erkenntnissen der empirischen Wissenschaften demonstriert und gleichzeitig einen recht genauen Blick auf das Verhältnis von Erfahrung und Deutung ermöglicht. Dabei zeigt sich abermals, daß die traditionellen Interpretationen der Welt als eines von Gott geordneten, harmonischen Zusammenhanges keineswegs als Ausdruck einer entsprechenden Erfahrung begriffen werden können - vielmehr findet hier eine kaum weniger starke Uberformung statt, als sie in den geschichtsphilosophischen Entwürfen der Pessimisten festzustellen ist. Sichtbar wird Galileis Verpflichtung auf jene überkommenen Vorstellungen zunächst an seiner Weigerung, die Keplersche These von der ellipsoiden Form der Planetenbahnen zur Kenntnis zu nehmen. Obwohl er nachweislich von dieser Theorie wußte, 82 hält er an der schon bei Piaton vertretenen Auffassung83 fest, derzufolge die Bewegungen der Planeten »unmöglich ... anders als kreisförmig sein können«, schließlich sei sonst die »Anordnung der Teile der Welt keine vollkommene« 84 mehr. Galilei, so zeigt Alexandre Koyre, konnte sich »von der zwanghaften Vorstellung der Kreisform niemals vollständig befreien ... - seine Planeten bewegen sich kreisförmig um die Sonne, ohne in ihrer Bewegung eine Zentrifugalkraft zu entwickeln«. 85 Deutlicher noch macht sich die Resistenzkraft der überkommenen Deutungsprinzipien gegenüber der Erfahrung bei der Publikation des SlDEREUS NUNCIUS bemerkbar. Galilei legt dem
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»>Da f o r m t e G o t t d e n M e n s c h e n aus E r d e v o m A c k e r b o d e n < ( G e n 2 , 7 ) , d e m
niedrigsten
u n d g e r i n g s t e n d e r E l e m e n t e . D i e P l a n e t e n u n d ü b r i g e n G e s t i r n e m a c h t e e r aus F e u e r . « I n n o z e n z III., V o m E l e n d p. 4 3 . 81 82
B l u m e n b e r g , D a s F e r n r o h r u n d die O h n m a c h t d e r W a h r h e i t p. 2 8 . E r w i n P a n o f s k y k o m m t zu d i e s e m S c h l u ß a u f g r u n d e i n e s an G a l i l e i g e r i c h t e t e n B r i e f e s , s o w i e a u f g r u n d v o n Z e u g n i s s e n , die z e i g e n , d a ß K e p l e r s T h e s e n im K r e i s u m G a l i l e i d i s k u t i e r t w o r d e n s e i n m ü s s e n : » F r o m at least 1 6 1 2 , t h e n , . . . G a l i l e o w a s f a m i l i a r w i t h K e p l e r ' s first a n d s e c o n d laws.« P a n o f s k y , G a l i l e o as a C r i t i c o f t h e Arts p. 2 3 .
83
S o teilt d e r D e m i u r g in P i a t o n s TlMAiOS d e r W e l t » u n t e r den s i e b e n B e w e g u n g e n . . . die ihrer G e s t a l t [sc. d e r K u g e l ; Μ . P . ] a n g e m e s s e n e , d e m N a c h d e n k e n u n d d e m V e r s t ä n d e a m m e i s t e n e i g e n t ü m l i c h e zu. I n d e m e r sie also g l e i c h m ä ß i g in d e m s e l b e n R ä u m e u n d in s i c h selbst h e r u m f ü h r t , m a c h t e e r sie zu e i n e m i m K r e i s sich d r e h e n d e n K r e i s e . « P i a t o n , T i m a i o s 3 4 a.
84
G a l i l e i , S i d e r e u s N u n c i u s p. 1 4 7 .
85
K o y r e , V o n d e r g e s c h l o s s e n e n W e l t z u m u n e n d l i c h e n U n i v e r s u m p. 9 5 .
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Metaphysik und
Geschichtsphilosophie
Text des Werkes recht genaue Skizzen von der Oberfläche des Mondes bei. Es findet sich nur eine Ausnahme: Auf der Mittelachse des Mondes zeigen die gedruckten Abbildungen einen besonders großen, kreisförmigen Krater, der vom Autor im Text ausführlich hervorgehoben wird: »Ungefähr die Mondmitte wird nämlich von einer Höhlung eingenommen, die größer ist als alle übrigen und eine Gestalt von vollkommener Rundung aufweist.« 86 Bemerkenswert ist dieser Umstand deshalb, weil der Krater auf dem ansonsten äußerst genau abgebildeten Mond schlechterdings nicht existiert; mehr noch: er fehlt sogar in Galileis eigenen von Hand gezeichneten Skizzen. Eine Erklärung für diesen merkwürdigen Umstand gibt der - wiederholte 87 - Hinweis auf die perfekte Kreisform des Kraters zusammen mit Galileis Festhalten an den kreisförmigen Planetenbahnen: Die Konvention vom besonderen Rang der Kreisform und der Glaube an die Vollkommenheit des Kosmos 88 sind auch hier noch so fest verankert, 89 daß sie nicht nur - wie im Fall der Planetenbahnen - die Schlußfolgerungen, sondern auch - wie im Falle des kreisförmigen Kraters auf der Mondoberfläche - die Wiedergabe der Wahrnehmung bestimmen. Zu Recht spricht daher Erwin Panofsky von einem automatischen EliminationsprozeßVollkommenheitVollkommenheit< auch das eigentliche Kriterium genuiner Philosophie dar. Die nämlich ist erkennbar daran, daß sie den universellen Verweisungszusammenhang des Kosmos entschlüsselt: »Dieses ist der rechte Probier-Stein, daran man mercken kan, ob die allgemeinen Lehren von der Welt etwas nutzen, oder nicht, wenn man untersuchet, wie nach ihnen sich die Vollkommenheiten GOttes zeigen.«25 Die philosophische Untersuchung hat somit ein vorgegebenes Ziel. Sie tritt nicht auf mit dem Anspruch vorbehaltloser Prüfung des Gegebenen; der Gang der Untersuchung wird vielmehr bestimmt von recht weitgehenden Prämissen, die ihrerseits der kritischen Nachfrage entzogen sind: »Indem wir nemlich die Absichten der natürlichen Dinge erklären wollen, so müssen wir vor allen Dingen zeigen, daß die Welt so eingerichtet ist, daß man darinnen klare und deutliche Gründe findet, daraus man GOttes Vollkommenheiten schließen ... kan.« 26 Zweifel an der Güte der Schöpfung fallen also nicht auf Gott, sondern auf den Philosophen zurück, der diese Zweifel äußert, hat er sich doch als unfähig erwiesen, die göttlichen Pläne zu durchschauen - sein Wort hat daher kein Gewicht: »Wer aber dergleichen zu bewerkstelligen nicht vermögend ist, der hat auch kein Recht in die Sache zu reden, und wenn er sich anmasset, wozu er nicht geschickt ist, muß er sich gefallen lassen, daß sein Urtheil als ein vergebenes und verwegenes verachtet wird.« 27 Wer die Vollkommenheit des Kosmos in Frage stellt, steht auf gleicher Stufe mit einem Träumer, der die kosmische Harmonie nur als ein wirres Durcheinander erfährt: »Und ist demnach die Wahrheit nichts anders als die Ordnung in den Veränderungen der Dinge: hingegen der Traum ist Unordnung in den Veränderungen der Dinge.« 28 Wolff macht dabei eine epistemologische und eine metaphysische Voraussetzung, dabei beruft er sich in beiden Fällen auf den Satz vom Grund. 29 Erkenntnis, so sein 24 25 26 27 28 29
1. c. p. 325-328. Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten p. b3 (Vorrede). 1. c. p. 2 sq. 1. c. p. b3 (Vorrede). Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott p. 74. cf. Leibniz, Monadologie p. 20: »Dieser Vernunftgebrauch gründet sich auf zwei große Prinzipien. Erstens auf das Prinzip des Widerspruchs, kraft dessen wir für falsch erklären, was einen Widerspruch in sich schließt. ... Zweitens auf das Prinzip des zureichenden Grundes.«
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erstes Argument, setze Einsicht in die Ursachen voraus. »Ja es erhellet ferner, daß man die Wahrheit erkennet, wenn man den Grund verstehet, warum dieses oder jenes seyn kan, das ist, die Regeln der Ordnung, die in denen Dingen und ihren Veränderungen anzutreffen.« 3 0 Wolff zielt dabei weniger auf Kausalbeziehungen als vielmehr auf Zweckzusammenhänge, in denen sich die weisen Absichten Gottes manifestieren sollen. Sichtbar wird dabei gleichzeitig die zweite, metaphysische Voraussetzung. Ebenso wie Leibniz läßt auch Wolff von vornherein keinen Zweifel daran, daß die Welt ein von Gott wohlgeordnetes und harmonisches Ganzes ist: »GOtt hat die beste Welt gemacht, ... oder die vollkommenste. ... Da nun die Vollkommenheit des Ganzen aus der Vollkommenheit der Theile und ihrer Zusammenstimmung mit einander erwachset; ... so hat auch jedes Ding in der Welt so viel Vollkommenheit erhalten als möglich ist. Weil nun alles durch GOttes Rath und Kraft bestehet; ... so hat er einem jeden Dinge so viel Vollkommenheit mitgetheilet, folglich so viel Gutes erzeiget, ... als möglich ist.« 3 1 Im Anschluß an Leibniz kann sich Wolff auch bei dieser Voraussetzung letztlich auf den Satz vom Grunde berufen: Der Schöpfer muß schließlich einen Grund gehabt haben, als er diese und keine andere der vielen möglichen Welten wählte. Was aber hätte den weisen, allmächtigen und gütigen Gott zu seiner Auswahl veranlassen können, wenn nicht die Vollkommenheit dieser Welt? »Weil aber nichts ohne zureichenden Grund geschehen kan; ... so muß auch einer vorhanden seyn, warum GOtt eine Welt der andern vorgezogen. Da nun die verschiedenen Welten als Dinge von einer Art, nicht anders als durch die Grade der Vollkommenheit unterschieden seyn können; so kan dieser Grund nichts anders seyn, als ein grösserer Grad der Vollkommenheit, den GOtt bey dieser Welt angetroffen, die er anderen vorgezogen. Und demnach ist die gröste Vollkommenheit der Welt der Bewegungs-Grund seines Willens. ... Hieraus erhellet zugleich, daß die gegenwärtige Welt unter allen die beste ist: denn wir nennen die beste, darinnen die gröste Vollkommenheit anzutreffen. Wäre eine bessere als diese möglich gewesen; so hätte es nicht geschehen können, daß er die unvollkommenere ihr vorgezogen hätte.« 3 2 >Vollkommenheit< bleibt kein abstraktes Prinzip; Wolff hat recht genaue Vorstellungen davon, wie sie innerhalb des Kosmos zu erkennen ist. Auffällig ist dabei, daß das Theodizeeproblem und damit auch die Fragen nach der Rolle des Bösen in Wolffs DEUTSCHER TELEOLOGIE allenfalls eine Nebenrolle spielen. Keineswegs berechtigt diese Beobachtung zu Zweifeln an Wolffs Uberzeugung von der Vortrefflichkeit der Schöpfung, vielmehr liegen die Weisheit Gottes und die Güte seines Werkes so klar zutage, daß sich hier eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Problem des Bösen schlicht erübrigt. Bezeichnenderweise fallen für Wolff zudem die normativen mit den funktionalen Momenten zusammen, die Vollkommenheit der Welt zeigt sich nämlich daran, daß sie einen lückenlosen Funktionszusammenhang bildet. Der Kosmos stellt sich dar als eine gigantische Maschinerie, als ein Uhrwerk, in dem jedes Rädchen seine genau definierbare Funktion für den Zweck des Ganzen hat: »Es verhält sich die Welt nicht anders als wie ein Uhrwerke. Denn das Wesen der Welt besteht in der Art
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Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott p. 76. 1. c. p. 657. 1. c. p. 6 0 4 sq.
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ihrer Zusammensetzung; ... das Wesen einer Uhr gleichfals. ... Die Veränderungen, die sich in der Welt ereignen, sind in der Art ihrer Zusammensetzung gegründet: ... die Bewegungen der Uhr haben gleichfals keinen anderen Grund als die Art der Zusammensetzung, die man in der Uhr findet.«33 Wolff wendet sich damit nicht zuletzt gegen die Annahme, Gott wirke auch in der Gegenwart noch Wunder. Wäre dies tatsächlich notwendig, dann verriete sich darin nur die Unvollkommenheit seiner Schöpfung, die offensichtlich noch der Nachbesserung bedürftig sei. Ein vollkommenes Uhrwerk dagegen muß nicht mehr korrigiert werden, nachdem es einmal in Gang gesetzt worden ist. >Vollkommenheit< läßt sich überdies erkennen an der >Ordnung des Mannigfaltigens 34 u n d s o wird die Ordnung zu einem weiteren zentralen Kriterium: »Da in der Vollkommenheit Ordnung ist; ... so muß auch in einer Welt um so viel mehr Ordnung seyn, je mehr Vollkommenheit darinnen ist.«35 Zum Ausdruck kommt diese Ordnung in der Harmonie des Ganzen, aber auch in den Regeln, die seinen Zusammenhang bestimmen: »Da die Regeln aus dem Grund der Vollkommenheit entstehen; ... so ist vollkommener, was den Regeln gemässer ist, und daher machen die Menge der Regeln, die alle zusammen stimmen, Grade der Vollkommenheit aus: aus den Graden aber erwächset eine Grösse.« 36 Wolff bemüht sich daher in seiner Teleologie, die funktionalen Zusammenhänge zu erkennen, die das kosmische Geschehen bestimmen. Damit soll den einzelnen Gegenständen ihr Platz in der Ordnung angewiesen und der Funktionsplan jenes Uhrwerks so weit wie möglich entschlüsselt werden. Diesem Vorhaben widmet sich der Autor mit beachtlichem Scharfsinn. So erfährt der Leser, daß das Sonnenlicht unter anderem der Ersparnis von Kerzen dient,37 daß die Atmosphäre die Erde davor schützt, ihre Substanz im Weltall zu verstreuen,38 und der nächtliche Tau die Erquickung der tagsüber ermatteten Pflanzen bewirkt. 39 Selbst die Erdbeben finden ihren Platz in der vom Allerhöchsten weise eingerichteten kosmischen Maschinerie. Wenn Gott sie nicht gerade zu Zwecken der Bestrafung benötigt, dann dienen sie der möglichst ökonomischen Umgestaltung des Globus. 40 Passen muß Wolff lediglich beim Nebel, doch auch hier können wir sicher sein, daß der Allmächtige sich von guten Absichten leiten ließ: 1 . c. p. 335. »Die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen machet die Vollkommenheit der Dinge aus.« 1. c. p. 78. 3 5 1. c. p. 448. 3 6 1. c. p. 90; cf. ders., Vernünfftige Gedancken von den Absichten p. 148 sq. 3 7 »Das Tag-Licht aber schaffet uns grossen Nutzen: denn bey demselben können wir unsere Verrichtung bequem vornehmen, die sich des Abends theils gar nicht, oder doch wenigstens nicht so bequem, und mit einigen Kosten vornehmen lassen, die durch die Kunst es lichte zu machen erfordert werden.« 1. c. p. 74. 3 8 »Man siehet demnach, daß die Lufft zu dem Ende gemacht ist, daß nichts von der Materie, die zur Erde gehörte, von ihr wegkommen kan.« 1. c. p. 155. 3 9 »So dörffen wir wohl nicht zweiffein, daß der Thau von der Natur dazu gewidmet sey, daß die den Tag über abgemattete Pflantzen erquicket werden.« 1. c. p. 275. 4 0 »Die Erdbeben richten zwar grossen und entsetzlichen Schaden an ... und sind dannenhero ein Mittel, welches Gott zur Straffe gebrauchen kan.« Daneben sind sie aber auch »das vornehmste Mittel, welches die Natur braucht, den Zustand der Erden zu verändern.« 1. c. p. 458. 33
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»Weil er [sc. der Nebel; M. P.] demnach den Wolcken zufälliger Weise die Materie wegnimmet; ... so scheinet es auch, als wenn wir keine besondere Absicht dabey sehen könten, sondern ihn bloß als eine Sache anzuführen hätten, die deßwegen statt findet, weil sich ohne diesen Zufall eine andere Absicht, nemlich die Erzeugung der Wolcken, nicht erhalten Hesse. ... Jedoch weil es allzeit gefährlich ist in der Natur etwas zu verneinen ... so will ich eben nicht in Abrede seyn / daß eine Haupt=Absicht oder ein Haupt=Nutzen des Nebels vorhanden sey / oder vielleicht mit der Zeit entdecket werden dörffte.« 4 1 Die Welt erweist sich als ein genauestens geordneter hierarchischer Zweckzusammenhang, in dem alles auf den höchsten Zweck: den Menschen, verweist. Die Erde samt allem pflanzlichen und tierischen Leben ist daher »ein von GOtt verordnetes Mittel alles dasjenige zu erreichen, was wir zur Nothdurfft, zur Bequemlichkeit, und zur Ergötzlichkeit nöthig haben«. 4 2 Gerechtfertigt ist damit vor allem die Herrschaft des Menschen über die Natur, schließlich existiert letztlich »alles um der Menschen willen«. 43 Die Einsicht in den Zweckzusammenhang hat also nicht nur theoretische Bedeutung, sie zeigt dem Menschen gleichzeitig auch ganz praktisch neue Wege zum Ausbau seiner Herrschaft über die Natur: »Je mehr wir demnach die Absicht der natürlichen Dinge erkennen, je mehr nimmet unsere Herrschafft über sie zu. Wir sind alsdenn in dem Stande vieles in der Natur zur Würcklichkeit zu bringen, welches sonst dieselbe nicht erreichen würde.« 4 4 Der kosmische Verweisungszusammenhang findet hier nur einen vorläufigen Abschluß: Auch dem Menschen ist noch eine weitere Aufgabe gestellt. Ihm obliegt es nämlich, die göttlichen Vollkommenheiten zu erkennen - warum hätte Gott die Welt sonst überhaupt erschaffen sollen? Tatsächlich besteht die »Haupt=Absicht, ... die er [sc. Gott; M. P.] von der Welt gehabt«, darin, »daß er nemlich als ein GOtt erkandt und verehret wird«. 4 5 Genau diese Aufgabe obliegt dem Menschen, ist es doch er allein »unter allen lebendigen Geschöpffen, ... der GOtt aus sich und denen übrigen Geschöpffen erkennen kann«. 4 6 Gleichzeitig ergibt sich damit für Wolff eine willkommene Gelegenheit, seiner eigenen Philosophie einen Platz auf den oberen Rängen jener Hierarchie zu verschaffen, schließlich kommt sie geradezu beispielhaft der Aufgabe nach, um derentwillen der Mensch und letztlich sogar der gesamte Kosmos geschaffen wurde. Sichtbar wird hier ein zentrales Problem der Wölfischen Konstruktion: Das Denken in Zweckkategorien läßt Sinnstiftungen immer nur auf der Basis einer Ableitung zu; dabei wird das eigentliche Problem nur auf eine höhere Hierarchieebene verlagert: Wenn das Sonnenlicht dem irdischen Leben nützt, dann hängt sein Wert ab von dem Nutzen, den dieses Leben auf einer höheren Ebene stiftet, deren Nutzen dann wiederum von einer anderen Instanz abzuleiten ist. Eine Zweckmäßigkeit um ihrer selbst 41 42 4J 44 45 46
1. c. 1. c. 1. c. 1. c. 1. c. 1. c.
p. p. p. p. p. p.
259. 97. 492. 6. 492. 4 9 0 sq.
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willen hat - abgesehen von Gott - in diesem System keinen Platz, schließlich ist es Wolffs erklärte Absicht zu zeigen, daß alles bestimmten Zwecken dient. Insofern ist die gesamte Konstruktion von jener Instanz abhängig, die die Zweckmäßigkeit letztlich verbürgt: von Gott. In ihm laufen die funktionalen und die normativen Argumentationsstränge der Teleologie zusammen. Auf der einen Seite trifft er in weiser Voraussicht die Vorkehrungen dafür, daß alles zweckgemäß abläuft; gleichzeitig stellt er auch den höchsten Punkt dieser Wertehierarchie dar, von dem sich dann die Legitimation der untergeordneten Instanzen ableitet. Offenkundig, daß sich hieraus auch eine substantielle Abhängigkeit ergibt: Die Sinnstiftung, die Wolff betreibt, steht und fällt mit dem Glauben an jene Instanz, die allein den Sinn verbürgt. Doch wie auch immer man über die Harmonie der Welt denkt - in jedem Falle gelingt es Wolff, zumindest innerhalb seines eigenen Systems jenen Verweisungszusammenhang herzustellen, dessen Realität zu beschreiben er behauptet. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil sich in seinem Begriff der >Vollkommenheit< ähnlich wie bei Leibniz ästhetische und ethische mit den bereits erwähnten funktionalen und epistemologischen Gesichtspunkten verschränken: Das Wahre, Schöne und Gute werden noch einmal durch ihre gemeinsame Begründung aus diesem Begriff vereint. Wahrheit, so hatte sich bereits gezeigt, bestimmt sich als Erkenntnis der Vollkommenheit; doch auch das Gute läßt sich unmittelbar aus der Vollkommenheit ableiten: »Was uns und unsern Zustand vollkommener machet, das ist gut.«47 Ahnliches gilt schließlich für die Schönheit; sie wird definiert als die anschauliche Vollkommenheit^ 48 Entscheidend sind dabei die Konsequenzen für den Kosmos: In seiner Vollkommenheit ist er nicht nur nützlich, sondern gleichzeitig auch gut. 49 Umgekehrt finden damit normative und epistemologische Begriffe einen direkten Halt in der Kosmologie: Wahr ist die philosophische Theorie, weil sie die Vollkommenheit des Kosmos zu explizieren versteht. Das ästhetische Gegenstück zu dieser Vorstellung findet sich bei Lessing und beim jungen Schiller, die verlangen, daß die Ordnung der Welt im Kunstwerk sichtbar werden müsse. Die Schönheit des Ganzen, die in der Realität nur dem göttlichen Schöpfer sichtbar sei, soll somit im Mikrokosmos des Kunstwerkes auch dem gewöhnlichen Zuschauer zugänglich gemacht werden: Es ist also die Teilhabe an den Vollkommenheiten des Kosmos, die die Schönheit eines Werkes begründet. 50 47 48
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Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott p. 260. »Hinc definiri potest Pulchritudo, quod sit rei aptitudo producendi in nobis voluptatem, vel, quod sit observabilitas perfectionis.« Wolff, Psychologia empirica p. 4 2 1 (§ 545). Auch diese Überlegung findet sich bereits bei Leibniz: »Die Schönheit der Natur ist so groß und deren Betrachtung hat eine solche Süßigkeit, auch das Licht und die gute Regung, so daraus entstehen, haben so herrlichen Nutzen bereits in diesem Leben, daß wer sie gekostet, alle anderen Ergötzlichkeiten gering dagegen achtet.« Leibniz, Kleine Schriften p. 4 0 1 . »In der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem. ... Aber nach dieser unendlichen Mannichfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem Genüsse desselben Anteil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat. ... Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schönen dieser Absonderung zu überheben.« Lessing, Werke Bd. IV p. 557 (HAMBURGISCHE DRAMATURGIE). Bei Schiller heißt es: »Wir Menschen stehen vor dem Universum wie die Ameise vor einem großen majestätischen Palaste. Es ist ein ungeheures Gebäude, unser Insektenblick verweilet auf diesem Flügel und fin-
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Offenkundig, daß es Wolff noch einmal gelingt, eine geschlossene Metaphysik zu stiften; ein System, das die gesamte Erkenntnis zu einem sinnvollen Ganzen zu bündeln behauptet. In der nachfolgenden ästhetischen, vor allem aber in der erkenntniskritischen Diskussion treten immer deutlicher die Probleme zutage, mit denen die Einheitlichkeit dieses Systems erkauft wird. Thematisiert werden sie beispielsweise in Kants Kritik an der Übertragung des Prinzips der Vollkommenheit auf die Ästhetik. Ein Urteil über die Vollkommenheit, so argumentiert die KRITIK DER U R T E I L S K R A F T , setze immer schon einen Begriff des Gegenstandes voraus - andernfalls bleibe unklar, wofür oder in welcher Hinsicht das Objekt vollkommen sein soll. 51 Von einer Uhr wissen wir, daß sie möglichst genau die Zeit messen soll, doch können wir uns in unserem Geschmacksurteil offenbar nicht an diesem Wissen orientieren: Als >schön< beurteilen wir auch solche Gegenstände, deren Zweck wir gar nicht kennen. Es scheint daher so, als würde bei Wolff die Einstimmigkeit erkauft durch Aquivokationen. Sie werden zurückgewiesen im Verlauf der weiteren Ausdifferenzierung der einzelnen Bereiche, wie sie sich in der Ästhetik etwa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzieht. Tatsächlich zielt Kant mit seiner Kritik vor allem auf die unzulässigen Vereinfachungen, auf denen diese Theorie basiert. S2 Sinngemäß gilt dieser Vorbehalt auch für den Zusammenhang zwischen dem Guten und der Lust: Immer wieder beharrt Kant auf der konstitutiven Differenz zwischen normativen und eudämonologischen Gesichtspunkten - erst die Freiheit von allem sinnlichen, in Kants Worten: >pathologischemOptimisten< gegen widerstrebende Erfahrungen zu wehren wußten. Lessing kommt hier auf die oben bereits erwähnte Forderung zurück, die Kunst solle »ein Schattenriß von dem Ganzen des ewigen Schöpfers sein; sollte uns an den Gedanken gewöhnen, wie sich in ihm alles zum Besten auflöse, werde es auch in jenem geschehen«.5 Dies, so folgert Lessing, bedeute vor allem, daß sie auf Darstellungen des Grauens zu verzichten habe. Lessing bestreitet nicht, daß es dieses Grauen in der Wirklichkeit gibt, doch zumindest im Reich des Schönen möchte er nicht daran erinnert werden: »Wenn die Lehre der Vernunft in uns bekleiben soll, wenn wir, bei unserer Unterwerfung, noch Vertrauen und fröhlichen Mut behalten sollen: so ist es höchst nötig, daß wir an die verwirrenden Beispiele solcher unverdienten schrecklichen Verhängnisse so wenig als möglich erinnert werden. Weg mit ihnen von der Bühne! Weg, wenn es sein könnte aus allen Büchern mit ihnen!«6
Maupertuis Ein aufschlußreicheres Beispiel noch dürfte Maupertuis' 1749 erschienener E S S A I D E P H I L O S O P H I E M O R A L E bieten. Maupertuis, der als Präsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften insbesondere durch die berühmte Preisfrage von 1753 7 Stellung gegen Leibniz und Wolff bezog, sucht zunächst zu zeigen, daß zumindest in der Gegenwart das Leiden ein eindeutiges Ubergewicht gegenüber allen Formen von Glück und Vergnügen habe. Zwar sind körperliche und geistige Vergnügungen im Prinzip gleichwertig, allerdings glaubt Maupertuis, daß sich jene negative Bilanz im Bereich der sinnlichen Empfindungen niemals umkehren lasse: Während sich das Leiden mit seiner Lessing, Werke Bd. VIII p. 4 9 6 . 1. c. p. 5 0 9 . 5 1. c. p. 5 9 8 . 6 1 . c. p. 5 9 8 sq. 7 Verlangt wurde in der Preisfrage, die unter anderem Lessings und Mendelssohns Schrift POPE EIN METAPHYSIKER initiierte, eine »Untersuchung des Popeschen Systems, das in dem Satze »Alles ist gut< enthalten ist.« Den Preis erhielt eine Arbeit von Adolf Friedrich Reinhard, die - wie erwartet - die Leibnizsche Philosophie angriff; cf. hierzu den Kommentar in Lessing, Werke Bd. III p. 7 8 7 - 7 8 9 . 3 4
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Dauer steigere, währten die sinnlichen Vergnügungen nur kurze Zeit und schwächten sich dabei noch ab: »Wenn man das Leben im Lichte dieser Ideen betrachtet, dann wird man überrascht, ja erschrocken sein zu sehen, wie sehr es mit Leiden erfüllt ist und wie wenig Vergnügen man hier findet. Und wirklich, wie selten sind denn auch die Empfindungen, deren Gegenwart der Seele angenehm ist?«8 Beleg hierfür sind auch die vielfältigen Zerstreuungen, denen die Menschen nachgehen, dienen sie doch nur dazu, das Elend des alltäglichen Daseins vergessen zu machen. »Aller Zeitvertreib der Menschen beweist das Unglück ihrer Situation. Nur um unangenehme Empfindungen zu vermeiden, spielt dieser hier Karten, jener geht zur Jagd: In den ernsthaften oder unterhaltenden Beschäftigungen versuchen alle nur, sich selbst zu vergessen.« 9 Bezeichnenderweise zieht Maupertuis aus diesen Beobachtungen aber nicht etwa den Schluß, daß die irdische Existenz letztlich wertlos, das Nichtsein der Welt ihrem Sein vorzuziehen sei. Ganz im Gegenteil beruft er sich vielmehr auf die Wahrheiten der Religion: Sie gewähren dem Weisen nämlich dauerhafte Genüsse, die das körperliche Mißbehagen kompensieren können. In der Liebe zu Gott, aber auch in der Liebe zu seiner Schöpfung findet sich jenes höhere Glück, das von den Wechselfällen des Lebens nicht in Frage gestellt werden kann: »Es ist leicht zu erkennen, daß diese Regel die Quelle des größtmöglichen Glückes ist, das man in diesem Leben erreichen kann. Diese universelle Ergebenheit gewährt nicht nur Ruhe, vielmehr fließt aus der Liebe ein Zauber, den der Stoiker niemals kennenlernt.« 10 Auch hier ist es letztlich wieder das traditionelle Postulat von der Vollkommenheit Gottes und seiner Schöpfung, durch das sich die optimistische Deutung gegen widersprechende Erfahrungen behaupten kann: Seine Vollkommenheit weist Gott als die Quelle jener Wahrheit und Gerechtigkeit aus, in der der Weise das wirkliche Vergnügen findet, doch auch hier ist es zunächst notwendig, daß das Subjekt seine eigene Perspektive überwindet: »Gott von ganzem Herzen lieben heißt, sich vollständig der Ordnung zu unterwerfen, keinen anderen Willen haben als Gott und sich selbst nur so einzuschätzen, wie man in seinen Augen ist.«11
Kant Auch Kant setzt sich immer wieder mit den Problemen des Optimismus auseinander; SO b e r e i t s 1 7 5 9 i n d e m VERSUCH EINIGER BETRACHTUNGEN ÜBER DEN OPTIMISMUS, s p ä t e r d a n n i n d e r IDEE ZU EINER ALLGEMEINEN GESCHICHTE IN WELTBÜRGERLICHER
ABSICHT ( 1 7 8 4 ) , in d e n R e z e n s i o n e n zu H e r d e r s IDEEN ( 1 7 8 5 ) , in d e r S c h r i f t ÜBER DAS MISSLINGEN ALLER PHILOSOPHISCHEN VERSUCHE IN DER T H E O D I C E E ( 1 7 9 1 ) , i n
der
FRIEDENSSCHRIFT ( 1 7 9 5 ) u n d s c h l i e ß l i c h i m STREIT DER FAKULTÄTEN ( 1 7 9 8 ) .
Das
Thema taucht aber auch in den Kritiken auf, so vor allem in der KRITIK DER URTEILSKRAFT.
Der vorkritische VERSUCH ÜBER DEN OPTIMISMUS hält sich noch weitgehend an die Vorgaben der Leibniz-Wolffschen Schulmetaphysik: »Darum weil Gott diese Welt 8 9 10 11
Maupertuis, Essai p. 202. 1. c. p. 203. 1. c. p. 235. ibd.
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unter allen möglichen, die er kannte, allein wählte, muß er sie für die beste gehalten haben, und weil sein Urteil niemals fehlt, so ist sie es auch in der That.« 12 Daß Kant sich von dieser Position später abwenden wird, verrät schon der Titel der Schrift ÜBER DAS MISSLINGEN ALLER PHILOSOPHISCHEN VERSUCHE IN DER T H E O D I C E E v o n
1791,
und in der Tat bemüht er sich hier zu zeigen, »daß alle bisherige Theodicee das nicht leiste, was sie verspricht«.13 Kant wendet sich dabei vor allem gegen den Versuch, das Böse als schlechterdings notwendig darzustellen: Damit werde nur die moralische Selbstverantwortung des Menschen untergraben. Trotz seines Sinneswandels gibt Kant jenes Unternehmen jedoch nicht vollständig auf. Er hält fest an der Möglichkeit einer »authentischen TheodizeeEthikotheologie< tritt damit an die Stelle der >PhysikotheologieZweckmäßigkeit< von Kant nach 1781 als ein regulatives Prinzip betrachtet wird: Die teleologischen Zusammenhänge in Natur und Geschichte können nicht zum Gegenstand objektiver Erkenntnis werden, vielmehr bieten sie nur einen >Leitfadenhonestum< und >utile< ermöglicht.« 18 Wichtig ist diese >prästabilierte Harmonie< von Natur und Moral auch deshalb, weil sie den für die Kantische Ethik inakzeptablen Gegensatz von Gesinnungsund Verantwortungsethik vermeidet, schließlich würde damit die Unbedingtheit der Forderungen des Sittengesetzes untergraben: 19 Wer die richtige Gesinnung hat, wer sich also moralisch richtig verhält, braucht nicht zu befürchten, daß der Erfolg seiner Handlungen seinen Absichten zuwiderläuft, er darf aber auch derartige Gesichtspunkte gar nicht in seine Überlegungen einbeziehen. So muß er selbst dann die Wahrheit sagen, wenn ein potentieller Mörder ihn nach dem Aufenthaltsort seines Opfers fragt. 20 Kant versteht diese Harmonie von Natur und Freiheit jedoch nicht als einen unveränderlichen, gottgeschaffenen Zustand; sie entwickelt sich vielmehr innerhalb eines planvoll verlaufenden historischen Prozesses. Kant gelingt damit die Überwindung der Kluft zwischen dem Bereich der theoretischen und dem der praktischen Vernunft, gleichzeitig gewinnt er ein Bezugssystem, das es ihm erlaubt, Geschichte als einen sinnvoll geordneten Zusammenhang zu lesen: gleichen der ihnen gemäßen Naturformen, unendlich groß wäre und uns an diesen ein rohes chaotisches Aggregat und nicht die mindeste Spur eines Systems darlegte, ob wir gleich ein solches nach transcendentalen Gesetzen voraussetzen müssen.« Kant, Gesammelte Schriften B d . X X p. 2 0 9 (ERSTE EINLEITUNG IN DIE KRITIK DER URTEILSKRAFT); cf. h i e r z u B r a n d t , T h e 17 18 19
Deductions p. 180 sq. Kant, Gesammelte Schriften Bd. V p. 176. Brandt, Historisch-kritische Beobachtungen p. 86 sq. »Die Moral ist schon an sich selbst eine Praxis in objectiver Bedeutung, als Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen, und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff seine Autorität zugestanden hat, noch sagen zu wollen, daß man es doch nicht könne. Denn alsdann fällt dieser Begriff aus der Moral von selbst weg (ultra posse nemo obligatur); mithin kann es keinen Streit der Politik, als ausübender Rechtslehre, mit der Moral, als einer solchen, aber theoretischen (mithin keinen Streit der Praxis mit der Theorie) geben«. Kant, Gesammelte Schriften Bd. VIII p. 370 (ZUM EWIGEN FRIEDEN). Charakteristisch für die Konsequenz, mit der Kant an der Unbedingtheit des Sittengesetzes festhält, sind seine Ausführungen zur Wahrhaftigkeit: »Jeder Mensch aber hat nicht allein ein Recht, sondern sogar die strengste Pflicht zu Wahrhaftigkeit in Aussagen, die er nicht umgehen kann: sie mag nun ihm selbst oder Andern schaden.« 1. c. p. 428 (ÜBER EIN VERMEINTLICHES R E C H T ) .
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cf. 1. c. p. 425, 427.
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»Wenn man indessen annehmen darf: daß die Natur, selbst im Spiele der menschlichen Freiheit, nicht ohne Plan und Endabsicht verfahre, so könnte diese Idee doch wohl brauchbar werden; und, ob wir gleich zu kurzsichtig sind, den geheimen Mechanism ihrer Veranstaltung durchzuschauen, so dürfte diese Idee uns doch zum Leitfaden dienen, ein sonst planloses Aggregat menschlicher Handlungen, wenigstens im Großen als ein System darzustellen.«21 Es ist von zentraler Bedeutung, daß es nicht zuletzt systematische Prämissen sind, die die Kantische Geschichtsinterpretation bestimmen: Die Geschichte muß sich als ein sinnvoll geordnetes Ganzes bestimmen lassen, weil sonst die praktische Philosophie Kants keinen Ort mehr in ihr fände. Könnte man einen solch sinnvollen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht erwarten, dann wären wir genötigt, »unsere Augen ... mit Unwillen wegzuwenden, und, indem wir verzweifeln, jemals darin eine vollendete vernünftige Absicht anzutreffen, ... sie nur in einer andern Welt zu hoffen«. 22 Konkret vollzieht sich dieser Prozeß auf drei Ebenen, er betrifft das einzelne Individuum, den Staat und die Staatengemeinschaft. Auf der individuellen Ebene ist es vor allem die Kultur, die diese Entwicklung vorantreibt und das Individuum dazu befähigt, sich dem Sittengesetz entsprechend zu verhalten.23 >Kultur< steht hier, darauf hat kürzlich Pauline Kleingeld hingewiesen,24 nicht zuletzt für den Prozeß der »Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken überhaupt«,25 was für Kant insbesondere die Befähigung zum Handeln in Freiheit einschließt. Im Naturzustand steht der Mensch nämlich noch unter dem >Despotism der BegierdenGarantie< des ewigen Friedens, die letztlich durch die Natur selbst verbürgt werde. Diese habe durch den Mechanismus der Eigeninteressen dafür gesorgt, daß die Menschen schließlich nolens volens zu dem intendierten Ergebnis kämen. Selbst ein Volk von Teufeln würde so zu dem von der Natur gewünschten Resultat gelangen. Garantiert ist damit, »daß dasjenige, was der Mensch nach Freiheitsgesetzen thun sollte, ... auch durch einen Zwang der Natur, daß er es thun werde, gesichert sei«.33 Staaten, die sich dieser Einsicht verschließen, so Kants versteckte Drohung, müssen damit rechnen, von der geschichtlichen Entwicklung überrollt zu werden, da sie nicht nur gegen die Interessen ihrer eigenen Bürger, sondern gegen die Interessen der Natur verstoßen: »Die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte. Was man nun hier verabsäumt zu thun, das macht sich zuletzt selbst, obzwar mit viel Ungemächlichkeit.«34 Charakteristisch für die Kantische Geschichtsphilosophie ist dabei die bereits erwähnte Vorstellung, daß der Krieg - weit entfernt davon, die historische Entwicklung zu behindern - letztlich seinerseits zum Fortschritt beitrage, erweise er sich doch als »eine Triebfeder mehr ... alle Talente, die zur Cultur dienen, bis zum höchsten Grade zu entwickeln«.35 Auch sonst ist es für Kant nicht weiter problematisch, negative Erfahrungen in dieses Modell zu integrieren, indem er sie zum Werkzeug höherer Absichten macht. Tatsächlich glaubt Kant, daß der historische Prozeß vorangetrieben werde von den gesellschaftlichen Antagonismen,36 aber auch von den Widerständen, die die Natur dem Menschen entgegensetzt. Geradezu emphatisch begrüßt er daher die Existenz solcher Gegensätze: »Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die mißgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden alle vortreffliche Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern.«37 Die negativen Erfahrungen werden somit zu Instrumenten des Fortschritts; das Böse treibt den Menschen an, das Gute hervorzubringen: »Die Natur hat den Schmerz zum Stachel der Thätigkeit in ihn gelegt, dem er nicht entgehen kann, um immer zum Bessern fortzuschreiten«.38 So bestreitet er denn auch keinesfalls »das Übergewicht der Übel, welche die Verfeinerung 32
»Johann H. G. Justi versuchte zu zeigen, daß die Idee eines europäischen Friedensbundes eine Chimäre ist, und der Hofprediger Johann F. W. Jerusalem demonstrierte den vielfältigen Nutzen der gottgewollten Kriege.« Brandt, Historisch-kritische Beobachtungen p. 75.
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Kant, Gesammelte Schriften Bd. VIII p. 3 6 5 (ZUM EWIGEN FRIEDEN).
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1. c. p. 367. 1. c. Bd. V p. 433. »Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism derselben in der Gesellschaft, so fern dieser doch am Ende die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung derselben wird. Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist.« 1. c. p. 20 (IDEE ZU EINER ALLGEMEINEN GE-
35 36
SCHICHTE). 37 38
1. c. Bd. VIII p. 21. 1 . c . B d . V I I p . 2 3 5 (ANTHROPOLOGIE).
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des Geschmacks ... über uns ausschüttet«. Gerade hier aber verrate sich ein höherer »Zweck der NaturList der Vernunft< rubrizieren wird, sucht er doch zu zeigen, daß es gerade die negativen Seiten der menschlichen Existenz sind, die die Vorsehung - hinter dem Rücken der Handelnden - zum Besten des Ganzen zu nutzen weiß. Von Bedeutung für den Vergleich dieses Entwurfes mit den Theorien der Pessimisten ist jedoch nicht allein die Fähigkeit der Kantischen Geschichtsphilosophie zur Integration negativer Momente. Kaum weniger wichtig ist die Beobachtung, daß der postulierte Fortschritt für Kant keineswegs mit einer Steigerung des menschlichen Wohlergehens verbunden ist. Im Gegenteil, es geht um eine Steigerung der Moralität, die eher eine Abnahme der Glückseligkeit zur Folge haben werde: »Die Plagen aber wachsen im Fortschritte derselben [sc. der Kultur; M. P.] auf beiden Seiten gleich mächtig, auf der einen durch fremde Gewaltthätigkeit, auf der andern durch innere Ungenügsamkeit.« 40 Wenn Kant hierin dennoch einen höheren Sinn entdeckt, dann ist dies ein weiterer Beleg für die Vermutung, daß sein Glauben an die Vorsehung kein Reflex empirischer Erfahrungen ist: Nicht die Empirie bestimmt den Glauben an die Vorsehung, 4 1 vielmehr setzt dieser Glaube selbst - zusammen mit den oben skizzierten systematischen Prämissen - den Rahmen, in dem die Erfahrung gedeutet wird und aus den bereits erwähnten systematischen Gründen auch gedeutet werden muß. Bestätigt wird diese Vermutung durch eine Vielzahl von recht eindeutigen Bemerkungen über die eigene Wirklichkeitserfahrung, die in Zusammenhang mit Kants geschichtsphilosophischen Überlegungen entstehen. »Weit gefehlt« sei die Annahme des Menschen, »daß die Natur ihn zu ihrem besondern Liebling aufgenommen und vor allen Thieren mit Wohlthun begünstigt habe, daß sie ihn vielmehr in ihren verderblichen Wirkungen, in Pest, Hunger, Wassergefahr, Frost, Anfall von andern großen und kleinen Thieren u. d. gl., ebensowenig verschont, wie jedes andere Thier; noch mehr aber, daß das Widersinnische der Naturanlagen in ihm ihn noch in selbstersonnene Plagen und noch andere von seiner eigenen Gattung durch den Druck der Herrschaft, die Barbarei der Kriege u. s. w. in N o t versetzt und er selbst, soviel an ihm ist, an der Zerstörung seiner eigenen Gattung arbeitet«. 42 Fataler noch für die Vorstellung von den glücklichen Aufklärern ist die Quintessenz, die Kant aus diesen Beobachtungen zieht: »Was das Leben für uns für einen Werth habe, wenn dieser bloß nach dem geschätzt wird, was man
39 40 41
1. c. Bd. V p. 433. 1. c. p. 432. »Die Bestimmung des menschlichen Geschlechts im ganzen ist unaufhörliches Fortschreiten und die Vollendung derselben ist eine bloße, aber in aller Absicht sehr nützliche Idee von dem Ziele, worauf wir der Absicht der Vorsehung gemäß unsere Bestrebungen zu richten haben.« 1. c. Bd. VIII p. 6 5 ( R E Z E N S I O N ZUR J O H A N N G O T T F R I E D H E R D E R S I D E E N ) . Cf. 1. c. p. 123,
42
368.
1. c. Bd. V p. 430.
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genießt, ... ist leicht zu entscheiden. Er sinkt unter Null; denn wer wollte wohl das Leben unter denselben Bedingungen ... aufs neue antreten.« 43 Keineswegs gerät Kant damit in Konflikt mit seinem Postulat vom Menschen als Endzweck der Schöpfung; vielmehr bestätigen die zitierten Beobachtungen in seinen Augen lediglich, daß dem Menschen nicht als empirischem, sondern lediglich als moralischem Subjekt diese Rolle zukommt. Es geht nicht um das Individuum mit seinem Verlangen nach Glück, sondern um die Gattung, in der allein sich jener moralische Endzweck realisieren kann. Offenkundig also, daß auch Kant aus der Perspektive des Ganzen argumentiert - als zweckmäßig erweisen sich Natur und Geschichte allein aus der Sicht des gesamten menschlichen Geschlechtes, nicht aus der des einzelnen Subjekts, das durchaus zum Opfer von Naturkatastrophen oder kriegerischen Auseinandersetzungen werden mag. Kant nimmt damit eine Position ein, die für die aufklärerischen Fortschrittstheorien insgesamt charakteristisch ist: Die Versprechungen des Fortschrittes beziehen sich stets auf die Gattung, nicht auf das einzelne Individuum. 44 Kant selbst thematisiert die Probleme, die sich aus dieser Theorie ergeben, ganz ausdrücklich in der IDEE ZU EINER ALLGEMEINEN GESCHICHTE. 4 5 W e n n die einzelnen G e n e r a t i o n e n
nur Durchgangsstufen auf dem Wege zur Vervollkommnung der Gattung sind, findet dann nicht eine Instrumentalisierung des Individuums durch die Geschichte statt? »Befremdend bleibt es immer hiebei: daß die ältern Generationen nur scheinen um der späteren willen ihr mühseliges Geschäft zu treiben, um nämlich diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk, welches die Natur zur Absicht hat, höher bringen könnten; und daß doch nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren (zwar freilich ohne Absicht) gearbei-
43
1. c. p. 4 3 4 (Anm.); cf. 1. c. Bd. VIII p. 1 2 2 , 2 5 9 . Kant übernimmt hier fast wörtlich eine Bemerkung von Maupertuis: »Qu'on les [sc. les hommes; M . P.] interroge: on en trouvera bien peu, dans quelque condition qu'on les prenne, qui voulussent recommencer leur vie telle qu'elle a ete, qui voulussent repasser par tous les memes etats dans lesquels ils se sont trouves. N'est-ce pas l'aveu le plus clair qu'ils ont eu plus de maux que de biens?« Maupertuis, Essai p. 2 0 4 . Kant ändert damit eine Meinung, die er - gegen Maupertuis - in dem V E R S U C H DEN B E G R I F F DER NEGATIVEN G R Ö S S E N IN DIE W E L T W E I S H E I T EINZUFÜHREN
(1763)
vertreten hatte: »Nach dergleichen Begriffen suchte der Herr Maupertuis in seinem Versuche der moralischen Weltweisheit die Summe der Glückseligkeit des menschlichen Lebens zu schätzen. ... Der Calcul gab diesem gelehrten Manne ein negatives Facit, worin ich ihm gleichwohl nicht beistimme.« Kant, Gesammelte Schriften Bd. U p . 1 8 1 sq. 44
»Wie sich zeigte, war es der Standpunkt der menschlichen Gattung, von dem aus die Universalgeschichte konstruiert wurde. Und die daraus resultierende Perspektive scheint auch die Divergenz der Anteile an der Gesamtheit des menschheitsgeschichtlich realisierbaren Glücks zu rechtfertigen.« »Entscheidend für die Fortschrittstheorie im ganzen ist dabei, daß dieses Geschichtssubjekt mit keinem der direkt involvierten Individuen, nicht einmal mit der Summe dieser Individuen identisch sein darf, sondern außerhalb des historischen Prozesses stehen soll.« R o h b e c k , Die Fortschrittstheorie der Aufklärung p. 2 5 8 , 2 4 2 ; cf. p. 2 5 0 ; siehe auch die folgende Anmerkung sowie oben p. 5 3 .
45
Erkannt werden diese Probleme bereits von den Zeitgenossen. So spricht etwa Herder in einem Brief an Hamann angesichts der Kantischen Geschichtsphilosophie von dem »kindischen Plan, daß der Mensch für die Gattung u. die vollkommenste Staatsmaschiene am Ende der Zeiten erschaffen sei«. Herder, Briefe Bd. V p. 1 0 6 (an Hamann, 14. II. 1 7 8 5 ) .
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tet hatten, ohne doch selbst an dem Glück, das sie vorbereiten, Anteil nehmen zu können. Allein so rätselhaft dieses auch ist, so notwendig ist es doch zugleich, wenn man einmal annimmt: eine Tiergattung soll Vernunft haben.« 46 Offenkundig, daß Kant sich hier auf ein ad hoc Argument stützt: Die normative Frage nach der Berechtigung jener Instrumentalisierung wird stillgestellt durch den Verweis auf bloße >Sachzwängeälteren Generationen gegen das Gebot, den Menschen nur als Zweck, nicht jedoch als Mittel zu behandeln. 47 Schon Kants Zeitgenosse Moses Mendelssohn hatte Zweifel an dieser Konzeption geäußert, 48 doch erst Schopenhauer wird die radikale Konsequenz aus den skizzierten Unstimmigkeiten ziehen: Indem er den ignoranten und bösartigen >Willen< an die Stelle der göttlichen Vorsehung setzt, befreit er sich von dem Zwang, auch jenen offensichtlichen Ungerechtigkeiten noch einen höheren Sinn abgewinnen zu müssen. Die Mißachtung der individuellen Interessen gegenüber der Selbsterhaltung der Gattung wird nicht mehr einfach akzeptiert, sondern als Beleg für die Blindheit des Willens aufgefaßt. Kant dagegen hält letztlich fest an der Vorsehung und damit auch an der Perspektive des Ganzen. Ausdrücklich verweist er darauf, daß die Historiographie nur dann, »wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen betrachtet, ... einen regelmäßigen Gang derselben entdecken könne«. So lasse sich, »was an einzelnen Subjekten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwickelung der ursprünglichen Anlagen derselben« 49 verstehen. In diesem Sinne verweist er dann das einzelne Subjekt darauf, »alle Übel, die es erduldet, und alles Böse, das es verübt, seiner eigenen Schuld zuzuschreiben, zugleich aber auch als ein Glied des Ganzen ... die Weisheit und Zweckmäßigkeit der Anordnung zu bewundern und zu preisen«. 50 Pauline Kleingeld hat zudem darauf verwiesen, daß Kant diese Perspektive nicht nur in der normativen Beurteilung des historischen Prozesses, sondern auch bei der Bestimmung der Ursachen seiner Dynamik einnimmt: »>Positive< Weisheit zur Erreichung einer >auf echten Rechtsprinzipien gegründeten Verfassung< hingegen kann, obwohl sie für das Fortschreiten not46 47
Kant, Gesammelte Schriften Bd. VIII p. 20. »Nach diesem Prinzip ist der Mensch sowohl sich selbst als andern Zweck, und es ist nicht genug, daß er weder sich selbst noch andere bloß als Mittel zu brauchen befugt ist (dabei er doch gegen sie auch indifferent sein kann), sondern den Menschen überhaupt sich zum Zwecke zu machen ist an sich selbst des Menschen Pflicht.« Kant, Gesammelte Schriften Bd. VI p.
395
(METAPHYSIK DER S I T T E N ) ; c f . B d .
V
p.
131
sq.
(KRITIK DER PRAKTISCHEN
VERNUNFT). 48
49 50
Mendelssohn, so Norbert Hinske, »hat offenbar spontan erkannt, daß der Lösungsvorschlag Kants das Individuum gewollt oder ungewollt zum bloßen Mittel des gesellschaftlichen Fortschritts degradiert. ... Die Sinngebung des Ganzen ist mit der Preisgabe des Einzelnen erkauft.« Hinske, Das stillschweigende Gespräch p. 155. Mendelssohn selbst bezeichnet die Vervollkommnung des Menschen, des Individui* als >Absicht der Naturmoralische Weisheit des Welturhebers< 52 steht denn auch für Kant niemals zur Disposition, schließlich ist die Moral selbst, auf deren Realisierung dieser Prozeß abzielt, nichts anderes als die unmittelbare Erklärung und Stimme Gottes, ... durch die er dem Buchstaben seiner Schöpfung einen Sinn gibt«.53 Auch andernorts zeigt sich, daß Kant festhält an dem Glauben an die >Weisheit und Zweckmäßigkeit« des Kosmos. 54 Die KRITIK DER URTEILSKRAFT beispielsweise gibt sich überzeugt, daß »alles in der Welt ... irgend wozu gut« sei, »nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Producten giebt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten«. 55 So befürwortet Kant denn auch ganz ausdrücklich den »Glauben, daß Gott den Mangel unserer eigenen Gerechtigkeit, wenn nur unsere Gesinnung ächt war, auch durch uns unbegreifliche Mittel ergänzen werde, wir also in der Bestrebung zum Guten nichts nachlassen sollen«. 56 Angesichts der hier wieder sichtbar werdenden Resistenzkraft der Vorstellung von der Güte der göttlichen Schöpfung gegenüber dem individuellen und dem kollektiven Leid fällt es schwer, den aufklärerischen Optimismus auf eine historische Erfahrung zurückzuführen, die Desillusionierung oder Entfremdung eben noch nicht gekannt habe. Ein Beispiel für diese Position liefert Adorno; er glaubt hier eine Periode der >Geschichte im Stillstand« vor sich zu haben, in der eine Humanität erkennbar geworden sei, »die unverstümmelt wäre vom feudalen Zwang und geschützt vor bürgerlicher Barbarei«. 57 Ignoriert wird dabei, daß auch die aufklärerischen Fortschrittsprognosen in der skizzierten theologisch-metaphysischen Tradition stehen und daher gerade nicht 51
Kleingeld, Geschichtsphilosophie p. 7 3 ; cf. Kant, Gesammelte Schriften Bd. VII p. 9 2 sq. (STREIT DER FAKULTÄTEN).
52 53
Kant, Gesammelte Schriften Bd. VIII p. 2 6 4 (ÜBER DAS MISSLINGEN). ibd.
54
1. c. p. 1 1 6 . ( M U T M A S S L I C H E R A N F A N G ).
55
1. c. Bd. V p. 3 7 9 ; wenig später heißt es: »Wir können es als eine Gunst, die die Natur für uns gehabt hat, betrachten, daß sie über das Nützliche noch Schönheit und Reize so reichlich austheilte, und sie deshalb lieben, ... gerade als o b die Natur ganz eigentlich in dieser Absicht ihre herrliche Bühne aufgeschlagen und ausgeschmückt habe.« 1. c. p. 3 8 0 .
56
57
1 . c. B d . V I I I p . 3 6 2 , A n m . ( Z U M EWIGEN FRIEDEN).
Adorno, Gesammelte Schriften Bd. XVII p. 3 4 (HULDIGUNG AN ZERLINA).
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als Reflex einer Erfahrung gelesen werden können, die Anlaß gab zu Optimismus und Weltvertrauen. Sie dienen vielmehr nicht zuletzt der Integration und Umdeutung negativer Erfahrung als Anweisung auf einen durch die göttliche Vorsehung garantierten besseren Zustand, dabei stützen sie sich auf bestimmte theologische und systematische Prämissen, die ihrerseits nicht mehr hinterfragbar sind. Diese Prämissen ermöglichten derartige Deutungen, doch sie erzwangen sie auch: Der gute Gott ließ es nicht zu, daß man seine Schöpfung denunzierte, aber er gab seinen Verteidigern die Möglichkeit, ihn mit Berufung auf seine guten Absichten für das kosmische oder historische Ganze in Schutz zu nehmen und dabei die eigenen Erfahrungen von Leid und Defizienz als Instrument eines weisen Planes zu deuten.
Hegel Diese Bemerkungen gelten im Grundsatz auch für die Hegeische Geschichtsphilosophie. Schon in der Einleitung zu diesem Kapitel wurde auf die verbreitete Vorstellung hingewiesen, diese Theorie verdanke sich einem Vertrauen in die Vernunft des Bestehenden, das erst im 19. Jahrhundert zerbrochen sei; Adorno spricht in der bereits zitierten Passage aus der NEGATIVEN DIALEKTIK58 sogar davon, daß hier historisch gerechtfertigte Versöhnungshoffnungen zum Ausdruck kämen. Bei näherer Betrachtung mehren sich aber die Zweifel. Nicht ganz unwichtig ist bereits, daß Hegel, der es »verschmäht, ... von jenem Bilde des Besonderen zum Allgemeinen aufzusteigen«,59 das zentrale Postulat von der die Historie bestimmenden Vernunft nicht aus empirischen Beobachtungen, sondern aus systematischen Prämissen ableitet: »Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei.«60 Hegel behauptet zwar, er könne die Berechtigung dieses >festen unüberwindlichen GlaubensGlauben< an die göttliche Providenz bzw. an den Weltgeist und seine stufenweise sich realisierende Vernünftigkeit in der Geschichte.« Düsing, Dialektik und Geschichtsmetaphysik p. 1 3 7 . 58
59
62
cf. Hegel, Werke Bd. III p. 4 7 sqq. (PHÄNOMENOLOGIE).
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deter Anspruch, die dialektische Beziehung von Geist und Natur zu begründen,63 überhaupt nur unter dieser Prämisse realisieren.64 Die Dichotomie von Freiheit und Notwendigkeit,65 von Geist und Natur, die - in Hegels Augen - die Kantische Philosophie bestimmt,66 ist nur zu überwinden, wenn das Wirkliche in der Tat als vernünftig zu begreifen ist. Möglich ist dies, so läßt sich Hegels Position umreißen, weil der Geist die Wirklichkeit benötigt, um zu entfalten, was ursprünglich nur keimhaft angelegt ist. 67 Dies bedeutet gleichzeitig, daß die Wirklichkeit »die Darstellung des Geistes« ist, »wie er sich das Wissen dessen, was er an sich ist, erarbeitet«.68 Vorgegeben ist damit die Perspektive, die Hegels Deutung der Geschichte bestimmt. Die konkrete Gestalt jener Selbstrealisierung des Geistes erblickt Hegel in der Entwicklung der Freiheit. Zu Beginn der Geschichte erst in Ansätzen erkennbar, breitet die Freiheit sich im weiteren Verlauf immer weiter aus, um dann in den aufgeklärten Monarchien der Gegenwart vollständig realisiert zu werden. »Der Orient wußte und weiß nur, daß Einer frei ist, die griechische und römische Welt, daß Einige frei seien, die germanische Welt weiß, das Alle frei sind. Die erste Form, die wir daher in der Weltgeschichte sehen, ist der Despotismus, die zweite ist die Demokratie und Aristokratie, und die dritte ist die Monarchie.«69 Der Vernunft des historischen Verlaufs insgesamt korrespondiert die Vernunft seiner einzelnen Stadien: Auch in ihnen offenbart sich schließlich der Geist - selbst wenn sich dies nicht jedem einzelnen erschließen mag. »Die Vernunft hat daher jetzt ein allgemeines Interesse an der Welt, weil sie die Gewißheit ist, Gegenwart in ihr zu haben, oder daß die Gegenwart vernünftig ist. Sie sucht ihr Anderes, indem sie weiß, daran nichts anderes als sich selbst zu besitzen; sie sucht nur ihre eigene Unendlichkeit.«70
63
»Die denkende Naturbetrachtung muß betrachten, wie die Natur an ihr selbst dieser Prozeß ist, zum Geiste zu werden.« Hegel, Werke Bd. I X p. 2 5 (ENZYKLOPÄDIE). »Die höchste Wahrheit ... ist die Auflösung des höchsten Gegensatzes und Widerspruchs. In ihr hat der Gegensatz von Freiheit und Natur, von Wissen und Gegenstand, Gesetz und Trieb, der Gegensatz und Widerspruch überhaupt, welche Form er auch annehmen möge, als Gegensatz und Widerspruch keine Geltung und Macht mehr.« 1. c. Bd. XIII p. 1 3 7 sq. (ÄSTHETIK).
64
»Dieses Bewußtsein, welchem das Sein die Bedeutung des Seinen hat, sehen wir nun zwar wieder in das Meinen und Wahrnehmen hineingehen, aber nicht als in der Gewißheit eines nur Anderen, sondern mit der Gewißheit, dies Andere selbst zu sein.« 1. c. Bd. III p. 1 8 5 . cf. 1. c. Bd. VIII p. 3 0 3 . »Dieser Idealismus ist in diesem Widerspruche, weil er den abstrakten Begriff der Vernunft als das Wahre behauptet; daher ihm unmittelbar ebensosehr die Realität als eine solche entsteht, welche vielmehr nicht die Realität der Vernunft ist, während die Vernunft zugleich alle Realität sein sollte«. Hegel, Werke Bd. III p. 1 8 5 . Die obigen Ausführungen zu Kants Begriff der Teleologie zeigen jedoch, daß dieser den genannten Fehler gerade nicht macht.
65 66
67 68
69 70
1. c. Bd. XII p. 3 1 . ibd. Ähnlich argumentiert Hegel in der PHÄNOMENOLOGIE: »Die Natur, ist sein [sc. des Geistes; M. P.] lebendiges unmittelbares Werden; sie, der entäußerte Geist, ist in ihrem Dasein nichts als diese ewige Entäußerung ihres Bestehens und die Bewegung, die das Subjekt herstellt.« 1. c. Bd. III p. 5 9 0 . 1. c. Bd. XII p. 134. 1. c. Bd. III p. 1 8 6 .
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Hegels These von der Realisierung der Vernunft in der Geschichte impliziert allerdings nicht etwa die Annahme, die Geschichte habe die Bedürfnisse des Individuums im Sinne. Wichtig ist hier zunächst, daß >Freiheit< für Hegel niemals die partikuläre Freiheit des einzelnen 71 ist, sondern allein die mit dem Gesamtwohl zu vereinbarende Freiheit aller. Ihre höchste Ausdrucksform 72 findet sie im Staat 73 als der >göttlichen Idee, wie sie auf Erden vorhanden istGeschäftsführer des WeltgeistesTheodizeeOckhams Rasiermessen 87 - auch heute noch zum Rüstzeug der Wissenschaftstheorie gehört. So heißt es bei Quine über die Kriterien, denen eine wissenschaftliche Theorie entsprechen muß: »Wir übernehmen, zumindest insoweit wir vernünftig sind, das einfachste begriffliche Schema, dem sich die ungeordneten Fragmente unserer direkten Erfahrung einfügen lassen.«88 Legt man dieses Kriterium zugrunde, dann ist Hegel in der Tat kaum weniger vernünftig, als er es für sich selbst in Anspruch nimmt, vermag doch seine Konstruktion die Fragmente der individuellen Erfahrung in ein recht einfaches und übersichtliches Schema zu integrieren. Dies gilt im übrigen auch für die Sinnstiftungen, um die sich die anderen >optimistischen< Theorien bemühen: >Sinnstiftung< heißt in diesen Fällen schließlich: die Zurückführung der unüberschaubaren Vielfalt der Einzelphänomene auf eine möglichst geringe Zahl von Prinzipien oder Gesetzen Ernst Mach spricht in diesem Zusammenhang von der >Okonomie< wissenschaftlicher Modelle. Die traditionelle Metaphysik, mit deren Grundsätzen auch Hegel hier noch übereinstimmt, wird dieser Forderung in geradezu beispielhafter Weise gerecht, gelingt es ihr doch, alles Bestehende letztlich auf ein einziges Prinzip zurückzuführen: auf Gott. Zweifel an der rationalen Struktur des Kosmos oder am vernünftigen Ablauf der Geschichte mußten daher wie der Einbruch bloßer Unvernunft erscheinen, stellten sie doch eine bewährte Erklärung in Frage, ohne für ausreichenden Ersatz zu sorgen: 84
1. c. Bd. III p. 24. 1. c. Bd. XII p. 4 2 8 . 86 1 . c. p. 23. 87 »Pluralitas non est ponenda sine necessitate.« Die bekannte Formulierung »entia non sunt multiplicanda sine necessitate« findet sich nicht bei Ockham. Cf. Gethmann, Ockham's razor. 88 Quine, O n What there is p. 16 sq. 85
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Wenn Kriege und individuelles Leid keinen geschichtsphilosophischen Sinn haben, wie lassen sie sich dann erklären, warum gibt es sie dann überhaupt? Dies ist auch einer der Gründe dafür, daß Kant trotz seiner Kritik an der Ontologie an der Teleologie als regulativem Prinzip festhält - nur so gelingt es ihm, die vernünftige Struktur von Geschichte und Kosmos zu retten. Ähnliches gilt auch für Hegel: Erst »vor dem reinen Licht dieser göttlichen Idee, die kein bloßes Ideal ist, verschwindet der Schein, als ob die Welt ein verrücktes, törichtes Geschehen sei. Die Philosophie will den Inhalt, die Wirklichkeit der göttlichen Idee erkennen und die verschmähte Wirklichkeit rechtfertigen. Denn die Vernunft ist das Vernehmen des göttlichen Werkes.« 89 Treffen die oben angeführten Beobachtungen zu, dann werden die traditionelle Metaphysik und die aus ihr hervorgegangenen >optimistischen< kosmologischen und geschichtsphilosophischen Entwürfe weniger von direkten historischen Einflüssen als vielmehr von theoretischen Traditionen, systematischen Zwängen und theologischen Prämissen bestimmt. Keineswegs stellt diese These einen Rückfall in die Vorstellung dar, die >reine Wissenschaft< folge nur ihrem autonomen Erkenntnisinteresse und bleibe völlig unabhängig von historischen, gar gesellschaftlichen Faktoren. Vor allem die theologischen Prämissen, die hier namhaft gemacht wurden, weisen zurück auf jene geschichtlichen Kräfte, die - wie die Kirche und ihre Vertreter - ein geradezu existentielles Interesse an der Geltung dieser Postulate haben mußten. Behauptet wird hier nur, daß es eine beachtliche Eigendynamik der Theoriebildung gibt, die sich unabhängig von kurzfristigen historischen Konstellationen erhält - die oben genannten Momente sind maßgeblich verantwortlich für diese Eigendynamik. Immerhin ließe sich einwenden, daß die Prämissen des Optimismus auch dann de facto aus einer direkten Gegenwartserfahrung erwachsen könnten, wenn die Theoretiker selbst nur systematische Gesichtspunkte benennen, oder umgekehrt: Die auf der Theorieebene in sich abgeschlossene optimistische Metaphysik hätte sich gar nicht entwickeln können, wenn sie nicht zumindest einen gewissen Rückhalt in der Erfahrung gefunden hätte. Mit Adorno etwa wäre dann zu argumentieren, daß die Erfahrung der Französischen Revolution ebenso wie die Aufklärungs- und Modernisierungsbemühungen im Preußen Kants und Hegels die Autoren zu der Überzeugung geführt hätten, der historische Prozeß sei in der Tat vernünftig. Zwar tauche diese Erfahrung selbst nicht direkt in den Theorien auf, dennoch habe die Evidenz jener historischen Geschehnisse die angedeuteten Verallgemeinerungen ebenso wie das Abdrängen widersprechender Wahrnehmungen begünstigt. Es gibt im wesentlichen zwei Punkte, die sich gegen diesen Einwand anführen lassen. Zum einen zeigt der rekonstruierte Traditionszusammenhang, der zurückführt bis auf die patristische Schöpfungstheologie, daß hier Prämissen im Spiel sind, die weit hinter die Epoche der Aufklärung zurückreichen und sich dabei als weitgehend immun gegenüber konkreten historischen Erfahrungen erweisen. Die Vorstellung, daß sich die göttliche Weisheit in der Schöpfung widerspiegele, entsteht ja nicht etwa erst während der aufklärerischen >ModernisierungseuphorieGoethezeit< mißt; völlig unglaubwürdig wird sie aber spätestens dann, wenn man den Gesamtzeitraum zum Vergleich heranzieht, in dem jene Prämissen gegolten haben. Auch der Verweis auf das >metaphysische ObdachOrdoMenschen von gesundem Verstande< müsse auf dieser Welt die Lust vergehen, das Leben noch einmal zu beginnen. Es fällt schwer, aus derartigen Bemerkungen einen Anlaß oder auch nur eine empirische Bestätigung für optimistische Deutungen abzuleiten. Erkennbar wird aber auch, daß es keiner grundsätzlich neuen Erfahrungen bedurfte, um Zweifel an jenen Entwürfen aufkommen zu lassen, wenn schon Hegel berichtet, in seiner eigenen Gegenwart sei »nichts ... häufiger als die Klage, daß die Ideale, welche die Phantasie aufstellt, nicht realisiert, daß diese herrlichen Träume von der kalten Wirklichkeit zerstört werden«.90 Tatsächlich soll denn auch im folgenden gezeigt werden, daß der Pessimismus, wie er sich bei Schopenhauer und seinen Nachfolgern ausbildet, nicht auf sich verschärfenden historischen Bedingungen oder gar auf der oben erwähnten Steigerung der Lebensangst< beruht. Zwar mögen sich die einzelnen Anlässe von Leid und Unglück mit der Zeit tiefgreifend gewandelt haben; nichts spricht jedoch dafür, daß es zu einer derartigen Ausweitung negativer Erfahrungen gekommen ist. Entscheidend ist vielmehr ein Wechsel des Standpunktes, der dazu führt, daß diesen Erfahrungen eine ganz neue Bedeutung zugemessen werden kann: Geschichte und Kosmos werden nun nicht mehr aus der Sicht des Ganzen betrachtet, sondern aus der Perspektive des Individuums. Aus dieser Sicht aber, das hatten Leibniz, Kant und Hegel schon bereitwillig zugegeben, müsse die >beste aller möglichen Welten< als mangelhaft, die Geschichte als widersinnig 90
1. c. p. 52.
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erscheinen, schließlich werde die Vernunft nur beim Blick aufs Ganze erkennbar. Möglich ist dieser Perspektivwechsel durch einen Bruch mit den Prämissen der traditionellen Metaphysik: Schopenhauer faßt die Welt nicht mehr als das Produkt eines weisen Schöpfers auf, sondern als das Machwerk eines blinden Dämons. Durch die Absage an die Vorstellung vom weisen Schöpfergott gewinnt Schopenhauer die Möglichkeit, dem Leid des Individuums auch systematische Bedeutung zuzubilligen. Die obige Skizze zeigt aber auch, daß dieser Bruch letztlich eine logische Konsequenz von Entwicklungen ist, die in dieser Tradition selbst schon angelegt sind. Auf der einen Seite dürften die Erfolge der Wissenschaften in der Erkenntnis und schließlich auch der Beherrschung der Wirklichkeit das Vertrauen in den menschlichen Intellekt gestärkt haben. Die Behauptung, daß das Walten Gottes der eigenen Einsicht entzogen sei, mußte daher zunehmend unglaubwürdiger klingen. Das deutlichste Indiz für diese Entwicklung fand sich in der Entwicklung von Bayle zu Leibniz: Hatte Bayle die offenkundigen Widersprüche zwischen dem Postulat der göttlichen Güte und dem Elend auf der Welt noch mit einem Verweis auf die Schwäche des menschlichen Intellekts zu schlichten versucht, der den tieferen Sinn der göttlichen Ratschlüsse nun einmal nicht zu verstehen vermöge, so glaubt Leibniz bereits, den Spielraum des Allmächtigen auf jenen Bereich einschränken zu können, der dem Menschen als >möglich< erscheint. Leibniz vermag damit den Widerspruch zwischen den Wahrheiten des Glaubens und denen der Wissenschaften zu schlichten und gleichzeitig Gott gegen den Vorwurf verteidigen, er habe das Elend der Welt billigend in Kauf genommen: Über bestimmte Notwendigkeiten vermag sich auch Gott nicht hinwegzusetzen, und so kann man ihm denn keinen Vorwurf machen, wenn auch die >beste aller möglichen Welten< nicht frei von Übeln ist. Anders als Bayle gesteht Leibniz damit allerdings dem Menschen ein Urteil über den Wert der Schöpfung zu und er schafft damit zumindest eine Voraussetzung dafür, daß das Werk des Allmächtigen zum Gegenstand der Kritik werden kann, wie sie sich in Ansätzen bereits bei Voltaire findet. Eine weitere Voraussetzung ergab sich daraus, daß der göttliche Spielraum durch die Erkenntnisse der Wissenschaften zunehmend eingeschränkt wurde. Charakteristisch ist hier Wolffs Vergleich der Erde mit einem Uhrwerk, das, einmal geschaffen, fortan nach seinen eigenen Regeln funktioniert. Der göttliche Uhrmacher behält hier noch seine Verantwortung, doch wenn er ins Tagesgeschehen eingreift, dann zeigt er damit nur, daß sein ursprüngliches Werk unvollkommen war. Vollzogen ist damit ein entscheidender Schritt zur Emanzipation der Schöpfung von ihrem Urheber, ein Schritt, der die Abkehr von der biblischen Schöpfungstheologie und damit auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Bestehenden erleichterte. Wichtig ist schließlich ein drittes Moment. Die politischen und sozialen Veränderungen, die sich seit dem Beginn der Neuzeit, verstärkt dann seit der Aufklärung und der Französischen Revolution vollziehen, haben auch eine Emanzipation des Individuums von staatlichen und kirchlichen Strukturen zur Folge. Es ist naheliegend, daß die Kritik an diesen Formen der Herrschaft zurückfiel auch auf jene theologischen und metaphysischen Annahmen, aus denen Staat und Kirche bislang ihre Legitimation abgeleitet hatten. Wenn bezweifelt werden durfte, ob die Stellvertreter Christi auf Erden oder die von Gottes Gnade eingesetzten Herrscher ihr Amt zum Besten aller ausübten, dann stellte sich auch die Frage, ob die göttliche Weisheit, die bei ihrer Auswahl offen-
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bar einer Täuschung erlegen war, nicht auch andere Fehler gemacht haben konnte. Gleichzeitig dürfte die Zunahme der Eigenverantwortlichkeit die Bereitschaft geschwächt haben, das eigene Leid um eines >allgemeinen Besten< willen in Kauf zu nehmen, das nicht nur schwer greifbar war, sondern überdies nur durch jene längst diskreditierten Autoritäten verbürgt wurde. Nicht zuletzt hieraus dürfte sich eine Erklärung für den im folgenden noch genauer zu beschreibenden Perspektivwechsel ergeben, den die Pessimisten vollziehen. Die Zurückweisung der >Krisenhypothese< muß also nicht etwa zu der Annahme führen, der Pessimismus sei ein historisch nicht weiter erklärbares Phänomen, das plötzlich und unvorhersehbar in den autonomen Gefilden der Geistesgeschichte entstehe. Auch die hier angestellten Überlegungen zeigen, daß der Pessimismus seine historischen Ursachen hat. Diese allerdings erstrecken sich nicht nur über einen wesentlich längeren Zeitraum, als es die >Krisenhypothese< glauben machen möchte, sie stehen zudem in einem wesentlich komplizierten Verhältnis zur theoretischen, insbesondere zur geschichtsphilosophischen Reflexion, als es jener simple Mechanismus unterstellt. So sind denn auch bei weitem noch nicht alle wichtigen Momente genannt - die folgende Auseinandersetzung mit den Entwürfen der Pessimisten wird in den Texten noch genauer nach Motiven zu suchen haben, die die Entstehung und Ausbreitung dieser Tradition erklären.
II PESSIMISMUS IM 1 9 . JAHRHUNDERT
Pessimistische Tendenzen in der Literatur
Faszination des Schrecklichen Bevor jedoch Entstehung und Entwicklung des philosophischen Pessimismus nachgezeichnet werden, scheint es sinnvoll, einige Tendenzen in der Literatur des 19. Jahrhunderts herauszustellen, in denen bereits die Physiognomie des modernen Pessimismus zu erkennen ist. Dies gilt auch deshalb, weil hier einige Motive klarer hervortreten als in theoretischen Schriften, die eine gewisse Tendenz haben, auch ästhetische Momente zu rationalisieren. Im Mittelpunkt wird dabei die bereits erwähnte Anziehungskraft des Schrecklichen stehen. Diese zunächst rein ästhetische Faszination, so wird zu zeigen sein, steht häufig in direktem Zusammenhang mit der Diagnose des Schrecklichen; die Ästhetik des Grauens verbindet sich mit einer pessimistischen Deutung der Wirklichkeit. Zurückzuweisen ist zunächst die Vorstellung, schon die ästhetische Vorliebe für das Grauenhafte und das Schreckliche sei der Reflex einer >häßlichen< oder gar >kranken< Gesellschaft. Vertreten worden ist diese These vom späten Lukäcs, der in der Abwendung vom klassizistischen Schönheitsideal, wie sie sich in den verschiedensten Spielarten während des 19. Jahrhunderts vollziehe, den Spiegel einer Gesellschaft sieht, die »in ihrer fertigen Häßlichkeit, in ihrer klar ausgeprägten Feindschaft der Schönheit und der Kunst gegenüber« 1 stehe. Eine ähnliche These - jedoch mit einer anderen Akzentsetzung und selbstverständlich auch einem anderen ideologischen Hintergrund - findet sich bei Benedetto Croce, der die Vorliebe der schwärzen Romantik< für Inzest, Tod und Krankheit als >Unfähigkeit< interpretiert, den >neuen Glauben< des Jahrhunderts »richtig zu erfassen, zu erleben und zu betätigen. ... Den Weibischen, Weichen, Sentimentalen, Wetterwendischen aber gelang es nicht, denn sie weckten und schürten bei sich selbst den Zweifel und allerlei Schwierigkeiten, die ihnen sodann über den Kopf wuchsen; sie suchten und sehnten sich nach Fährlichkeiten, in denen sie umkamen.« 2 Diese These ist ebenso schwer zu verifizieren wie die zuvor zitierte von Lukäcs: Wie sähe eine >richtige< Erfassung des >neuen Glaubens* aus? Woran ließe sich die >Häßlichkeit< einer Gesellschaft ersehen, und was wären die Maßstäbe, an denen sie zu messen wäre? Ähnliches gilt für die >KunstfeindschaftNachfahren der Aufstiegsperiode< in einer Zeit allgemeinen Verfalls. cf. Ross, Das Bild der römischen Kaiserzeit p. 77: »Der eigentliche Vertreter dieses gesteigerten Lebens [in Bouilhets Vorstellung des antiken Rom; M. P.] ist der Gladiator, nun nicht mehr nur Gegenstand ästhetischer Bewunderung oder sozialen Mitleids, sondern selber der klügste Genießer und Held zugleich, dem der drohende Tod den Reiz des Lebens unendlich erhöht und der verächtlich auf die Menge herabsieht.« »Zwei goldne Nadeln, welche ihr Gewand Verschlossen, riß er aus und hob sie hoch Und stieß sie in der Augen weiten Kreis ... Mit solchen Flüchen traf er immerzu Die aufgerißnen Bälle, deren Blut Ihm auf die Wangen lief und nicht allein In roten Tropfen, nein, ein schwarzer Strom Fiel nieder wie ein Hagelguß von Blut.« S o p h o k l e s , KÖNIG OIDIPUS, S c h l u ß s z e n e V. 1 2 6 8 - 7 9 . cf. Seneca, MEDEA, V. Akt, V. 9 1 6 sqq.
» ... Schwärend Siechtum fraß an seinem Fuße; sein Geschrei, sein Ächzen zerriß mißtönend unsres Lagers Frieden«. S o p h o k l e s , PHILOKTET V. 4 - 9 .
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»Gerne beobachten wir, wenn die Sturmböen weithin die Meerflut peitschen, vom Land aus, wie andre gefahrvoll sich abmühen müssen; ... weil man gerne Gefahren mit ansieht, vor denen man selber völlig verschont bleibt.« Lukrez, Vom Wesen des Weltalls p. 77 (Zweiter Gesang, V. 1 sqq.); die Schilderung der Pest p. 325-331 (Sechster Gesang V. 1138 sqq.). cf. Zelle, Angenehmes Grauen p. 3. Laudun d'Aigaliers, Art Poetique, z. n. Nurse, Le Cid p. 13.
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sichtbar sind.« 11 Ähnliche Erscheinungen lassen sich auch im deutschen Trauerspiel des Barock beobachten, das von Opitz in seinem BUCH VON DER DEUTSCHEN POETEREY 1 6 2 4 geradezu definiert wird durch den Zweck der Darstellung des Grauens: »Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße / ohne das sie selten leidet / das man geringen standes personen vnd schlechte Sachen einführe: weil sie nur von Königlichem willen / Todtschlägen / verzweiffelungen / Kinder- und Vätermörden / brande / blutschanden / kriege vnd auffruhr / klagen / heulen / seuffzen vnd dergleichen handelt.« 12 Mag man hier noch an eine Reaktion auf den gleichzeitig wütenden Krieg denken, so fällt diese Erklärung schon schwerer bei dem Aufklärer Moses Mendelssohn. Er bezeugt die Anziehungskraft des Grauens, wenn er einen >Weisen< beschreibt, der »nach dem Blutbade bey * * * « zum Schlachtfeld eilt und »ein schauervolles Ergötzen bey Betrachtung dieser schrecklichen State« empfindet. 13 Aufschlußreicher noch sind die etwas älteren literarischen Hervorbringungen des Hamburger Ratsherrn Barthold Hinrich Brockes. Brockes hatte sich die Bewunderung seiner Zeitgenossen schon früh durch eine Übersetzung von Marinos STRAGE DEGLI INNOCENTI verdient, und dabei - wie ein zeitgenössisches Lobgedicht zu berichten weiß - das Original in der Inszenierung des Schrecklichen noch übertroffen: Es fand die Poesie im Blut' ermordter Söhne Ein Meer / worauf sich hier Marino singend übt. Doch macht sein Dolmetsch ihn gedoppelt zur Sirene / Wann er der Weltschen Pracht die Teutsche Zunge giebt. Ergetzlich Schrecken=Bild! beliebte Mord=Gedancken! Die ihr ein Scheusahl selbst durch Kunst zur Anmuth bringt / Ihr übersteigt euch selbst und eures Ruhmes Schrancken. 1 4 Erkennbar werden diese Tendenzen auch in Brockes' eigenen Schriften, die nicht mit grausigen Einzelheiten geizen, wenn sie etwa die schrecklichen Folgen des Feuers durch einen gigantischen Vulkanausbruch illustrieren. 15 In einem Gedicht über das Wasser beschreibt Brockes wie die Leichen aus den Gräbern gespült werden; ein Ertrinkender sucht nach etwas Festem zu greifen, doch er faßt statt dessen in eine halb-
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Lebegue, Le Theatre baroque p. 1 6 1 . Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey p. 27. Mendelssohn, Ästhetische Schriften p. 128 (RHAPSODIE). Michael Richey, Lobgedicht auf Brockes' BETHLEHEMINISCHEN KINDERMORD, Z. n. Zelle, Angenehmes Grauen p. 2 1 0 . »Welch ein Anblick voller Schrecken, Wann den Erd=Kreis überall Flammen, Graus und Kohlen decken; Wann, mit ungeheurem Knall, Sich die Berg' herunter weltzen, Felsen und Metallen schmeltzen.« Brockes, Auszug der vornehmsten Gedichte p. 5 0 2 .
Literatur
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verweste Leiche und geht unter den Augen des dichtenden Senators elendiglich zugrunde.16 Von besonderem Interesse sind die Arbeiten Brockes' hier vor allem deshalb, weil sie abermals zeigen, daß diese Faszination völlig unabhängig ist von realem Krisenbewußtsein oder gar von Depravationserscheinungen, die durch derartige Krisen ausgelöst werden. Das Werk Brockes' gehört zu einem Zyklus über die vier Elemente und ist ein prägnantes Beispiel für die optimistische Physikotheologie des 18. Jahrhunderts. So folgt denn in Brockes' Gedichten der farbenreichen Schilderung der Gefahren der Elemente eine nicht minder eindringliche Darstellung ihrer weit überwiegenden nützlichen Aspekte, die schließlich in einer Apotheose des Schöpfers gipfelt.17 Zu Recht figuriert Brockes, der noch den Unschlitt der Gemsen ad maiorem Dei gloriam zu deuten weiß,18 später auch in der Auseinandersetzung um den Pessimismus als Vertreter einer mittlerweile ausgestorbenen Spezies naiver Optimisten.19 Anders als bei den Autoren des 19. Jahrhunderts beeinflußt die Faszination des Schrecklichen hier also noch nicht das Urteil über die Wirklichkeit. Das Grauen wird vielmehr, so hat Carsten Zelle gezeigt, ähnlich wie in der Leibnizschen Theodizee in einen durch Gottes Gnade und Machtvollkommenheit harmonisch geordneten Kosmos integriert und damit gleichzeitig relativiert.20
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»Einer, der, was zu erreichen, Die h a l b = t o d t e n Finger Schloß, Griff nach einer faulen Leichen, Die den Augenblick zerfloß; M u ß t ' er also trostlos sinken, Und im W u s t und Schlamm ertrincken Einer streckt die H a n d e m p o r : D o r t ragt noch ein Kopf hervor.« 1. c. p. 4 0 0 . So heißt es am Ende des Gedichtes über das Wasser: »Möchte man doch dieses fassen, Das nur GOtt das eintz'ge Gut; W ü r d e man die Laster hassen, Und sich stets mit frohem Muth, Durchs Geschöpf, zum Schöpfer lencken, J a sich stets in Demuth sencken, Voll gelassener Geduld, In den Abgrund Seiner Huld.« 1. c. p. 4 1 2 .
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»Sonst ist überall bekannt, wie sie uns so nützlich seien;
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Für die Schwindsucht ist ihr Unschlitt, fürs Gesicht die Galle gut. Gemsenfleisch ist gut zu essen und den Schwindel heilt ihr Blut.« Brockes z. n. Huber, Der Pessimismus p. 3 5 . cf. Huber, Der Pessimismus p. 3 4 sq. »Im Duktus physikotheologischer Wendung wird von Brockes dem häßlichen oder schrecklichen Einzelnen sein Stellenwert im schönen Ganzen zugewiesen und damit relativiert.« Zelle, Angenehmes Grauen p. 2 0 2 sq.
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Rationalisierung Immer wieder wird bei der Auseinandersetzung mit der ästhetischen Faszination des Schrecklichen ein Bedürfnis nach einer moralischen oder rationalen Einhegung dieser allen Humanitätspostulaten zuwiderlaufenden Lust erkennbar. Besonders deutlich läßt sich diese Tendenz in der deutschen Ästhetik des 18. Jahrhunderts beobachten. Während in Corneilles D I S C O U R S D E L A T R A G E D I E von 1 6 6 0 das Vergnügen am Schrecklichen noch zu den keiner weiteren Begründung bedürftigen Momenten des Tragischen zählt, 21 wird es bei Gottsched nur noch als Instrument der Moral zugelassen: »Der Poet«, so heißt es in der C R I T I S C H E N D I C H T K U N S T , hat nicht das Vergnügen des Zuschauers im Auge, sondern er »wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will«.22 So dient denn auch das Schreckliche, dessen Anziehungskraft Gottsched sehr wohl bewußt ist,23 dazu, »die Zuschauer ... zu ihren eigenen Trübsalen« vorzubereiten, aber auch, ihnen die fürchterlichen Konsequenzen ihrer Verfehlungen vor Augen zu halten. 24 Gottscheds Strategie von Abschreckung und Abhärtung verliert nicht zuletzt durch die Kritik Lessings schon während des 18. Jahrhunderts an Glaubwürdigkeit, das Skandalon der Faszination des Schrecklichen indessen bleibt erhalten. Auf Moses Mendelssohn wurde bereits verwiesen; Lessing selbst stimmt den >Schrecken< zunächst zur >Furcht< herab, und weist dieser dann in der Ökonomie der vermischten Empfindungen die Aufgabe zu, die tugendhafte Wirkung des Trauerspiels über die Dauer der Aufführung hinaus zu erhalten. 25 Aufschlußreicher noch für den Umgang mit der Lust an der Unlust ist eine Bemerkung Herders über die Grenzen, die beachten müsse, wer die >süße Melancholey< erregen wolle: »Man muß sich aber hüten, alle diese äußre Sachen so schwarz zu machen, daß dadurch eher Schrecken, als süße Melancholey, in der Seele entstehen würde«; »die Seele muß sich in der Gelassenheit befinden, wo ihr weder die bittre Träne des Leides ausgepresset, noch der tiefe Seufzer der Angst entrissen, noch das röchelnde Schluchzen der Wehmut abgezwungen wird. Wenn ja die Tränen fließen: so mögen sie milde fließen, und wenn Seufzer gehört werden: so mögen sie uns zum sanften Mitleid stimmen, und nicht zur Bangigkeit quälen.« 26 Immerhin werden die negativen Empfindungen hier noch als eine Quelle der Lust akzeptiert; Kant geht einen Schritt weiter und macht das Erhabene zum bloßen Anlaß einer Reflexion auf die Vernunft, »denn das eigentliche Erhabene kann in keiner sinn21
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»Le but du poete est de plaire selon les regies de son art. Pour plaire, il a besoin quelquefois de rehausser l'eclat des belles actions et d'extenuer l'horreur des funestes. Ce sont des necessites d'embellissement«. Corneille, Theatre Complet Bd. I p. 55 ( D I S C O U R S DE LA TRAGEDIE). Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst p. 611. »Die Engeländer und wir Deutschen haben dergleichen blutige Dinge gern; wenige Personen ausgenommen, die kein Blut sehen können.« 1. c. p. 30 Anm. cf. 1. c. p. 606. »Sobald die Tragödie aus ist, höret unser Mitleid auf, und nichts bleibt von allen den empfundenen Regungen in uns zurück, als die wahrscheinliche Furcht, die uns das bemitleidete Übel für uns selbst schöpfen lassen.« Lessing, Werke Bd. IV p. 588 ( H A M B U R G I S C H E DRAMATURGIE).
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Herder, Frühe Schriften p. 492; 494 sq.
Literatur
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liehen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft: welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen läßt, rege gemacht und ins Gemüth gerufen werden«. 27 Weite Verbreitung hat diese Vorstellung vor allem durch die Schillersche Dramatik erfahren, die sich der Ansicht anschließt, daß »die Quelle des Vergnügens« nicht etwa das Schreckliche selbst sei, sondern allein »das Bewußtsein unsrer moralischen ... Freiheit«. 28 Die Verpflichtung auf das Wahre, Schöne und Gute, die hier zum Ausdruck kommt, war in ihrer Geltung im wesentlichen auf die Theorie beschränkt; dort verliert sie jedoch erst recht spät an Bedeutung. Noch die akademische Ästhetik des frühen 2 0 . Jahrhunderts glaubt die Kunst, die sich in Wirklichkeit schon längst über derartige Grenzen hinweggesetzt hatte, als die »geflissentliche Hervorbringung des Schönen« definieren zu können. 2 9 Tatsächlich hatte sich aber bereits Schiller selbst im GEIS T E R S E H E R - mit einem ihm selbst etwas unheimlichen Erfolg - an der Inszenierung des Schrecklichen versucht und damit die hier skizzierte Tradition fortgeführt, die während des 19. Jahrhunderts wieder stärker in das Bewußtsein der literarischen Öffentlichkeit tritt.
Die NACHTWACHEN
VON BONAVENTURA
Von Interesse ist die bereits hinlänglich erforschte Geschichte der Ästhetik des Grauens 30 hier nur insofern, als sie zur Physiognomie des literarischen und philosophischen Pessimismus beitragen kann. Tatsächlich läßt sich in der Literatur- und Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts eine Entwicklung beobachten, die in ihren Grundzügen dem philosophiehistorischen Befund entspricht. Während die Aufklärer das Schreckliche nicht zuletzt deshalb zurückdrängen, weil es nur schwer mit dem Bild einer harmonisch geordneten Natur und eines von Vernunft und Mitleid geleiteten Menschen zu vereinbaren ist, geben die im 19. Jahrhundert sich verstärkenden Zweifel an dieser Weltsicht auch den Blick auf die »Nachtseite« nicht nur der Natur, sondern auch des Menschen frei. Eines der frühesten und gleichzeitig aufschlußreichsten Beispiele für die in diesem Umfeld sich entwickelnden pessimistischen Tendenzen in der Literatur sind die 1 8 0 4 anonym durch Ernst August Klingemann 31 publizierten N A C H T W A C H E N V O N BON A V E N T U R A , in denen beide Momente: Faszination und die Diagnose des Schreckens direkt miteinander verbunden sind. Der Erzähler macht keinen Hehl aus seiner Überzeugung von der Erbärmlichkeit der menschlichen Existenz und der Nichtswürdigkeit
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Kant, Gesammelte Schriften Bd. V p. 2 4 5 . Schiller, Sämtliche Werke Bd. V p. 5 1 0 (VOM ERHABENEN). Lipps, Ästhetik Bd. I p. 1. cf. Praz, Liebe, Tod und Teufel; Zelle, Angenehmes Grauen; Jung, Schöner Schein; Oesterle, Entwurf einer Monographie des ästhetisch Häßlichen. In jüngster Zeit hat das Thema größere Beachtung im Zusammenhang mit der phantastischen Literatur bzw. der Medienästhetik gefunden. Cf. Brittnacher, Ästhetik des Horrors; Carroll, Enjoying Horror Fictions; ders., The Philosophy of Horror. cf. dazu Dietzsch, Morgenröte der Moderne, insb. p. 1 6 1 .
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Pessimismus im 19. Jahrhundert
jener Welt, in der »nichts an seinen gehörigen Platz zu stehen kommen könne«; der Schöpfer habe sie daher »bald möglichst ... wie ein verunglücktes System auszustreichen und zu vernichten«. 32 Den Ausführungen >Bonaventuras< hätten die Pessimisten wohl wenig hinzuzufügen gehabt: »Ueberall strecken nur der Tod und die Verwesung gierig ihre Arme nach ihm [dem Menschen; M. P.] aus, ihn nach und nach zu verzehren, um zulezt, wenn seine Schmerzen, seine Wonne, seine Erinnerung und sein Staub verwehet ist, vom Morden müde auf seiner leeren Gruft auszuruhen.« 33 Charakteristisch für die Haltung des Erzählers ist der Anspruch, jene Illusionen zu entlarven, mit denen sich die Allgemeinheit über die Grausamkeiten der Wirklichkeit hinwegzutäuschen suche. »Bonaventura hält nichts von Kritik, insofern sie nicht radikal ist, d. h. an die Wurzeln reicht; Bonaventura hält nichts davon, der Welt einen Spiegel hinzuhalten, in dem sie sich ohnehin nicht erkennt.« 34 So sind denn die anerkannten Wahrheiten für den Erzähler der NACHTWACHEN »nichts anders als die Decke die über das Mosisantlitz des Lebens gehängt ist, damit es Gott nicht schaue«, 35 und das Leben gilt ihm als ein »Schellenkleid das das Nichts umgehängt hat, um damit zu klingeln und es zulezt grimmig zu zerreißen und von sich zu schleudern. Es ist Alles Nichts und würgt sich selbst auf und schlingt sich gierig hinunter, und eben dieses Selbstverschlingen ist die tückische Spiegelfechterei als gäbe es Etwas, da doch wenn das Würgen einmal inne halten wollte eben das Nichts recht deutlich zur Erscheinung käme, daß sie davor erschrecken müßten.« 36 Entscheidend ist dabei, daß diese tückische Spiegelfechterei der Mehrheit verborgen bleiben muß. Durchschaut wird sie allein von denen, die - wie der Erzähler selbst - auf der Nachtseite des Lebens stehen und sich deshalb von den Illusionen des Tagesbewußtseins nicht blenden lassen. Der Nachtwächter und seine Geistesverwandten sehen die dunkle Seite der Dinge, doch gerade die erweist sich schließlich als >wahrvorgestekten RosenFreigeistesNachtstückeIdeensymphonie< hervorhebt: »Wie der Schmerz nach alter Gunst und Gnade, nach tiefer Affinität zwischen Leiden und Schönheit sich darin durch die Form erlöst, so ist es die Schönheit, welche gewährleistet für seine Wahrheit.« 3 1 Die nahezu unerschöpfliche Phantasie, die Schopenhauer bei der Imagination des Schrecklichen entwickelt, zeigt, daß es sich hier nicht etwa um Projektionen seiner Leser handelt. Die Behauptung, daß die bestehende Welt noch die Hölle des Dante
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Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. I p. 1 3 1 (DIE GEBURT DER TRAGÖDIE). Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß Bd. IV.2 p. 8. 1. c. p. 16. Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. III p. 6 0 0 (DIE FRÖHLICHE WISSENSCHAFT). Schopenhauer, Werke Bd. V p. 4 1 6 . Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. V p. 3 4 9 . Mann, Schopenhauer p. 2 9 2 sq. Cf. auch die Reaktion von Manns alter ego Thomas Budd e n b r o o k auf die L e k t ü r e der WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG: » E r [ T h . B u d d e n b r o o k ;
M. P.] fühlte sein ganzes Wesen auf ungeheuerliche Art geweitet und von einer schweren, dunklen Trunkenheit erfüllt; seinen Sinn umnebelt und vollständig berauscht von irgend etwas unsäglich Neuem, Lockendem und Verheißungsvollem, das an erste, hoffende Liebessehnsucht gemahnte.« Mann, Buddenbrooks p. 4 4 6 .
Metaphysischer Pessimismus
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übertreffe, weil einer hier der Teufel des anderen sein müsse, wurde bereits zitiert; an anderer Stelle vergleicht Schopenhauer seine Mitmenschen mit >Tigern und WölfenInszenierung< hier wie auch bei den anderen genannten Autoren lediglich die Form betrifft, in der diese Erfahrungen präsentiert werden; keineswegs ist damit gemeint, daß Leid und Grauen bloße Erfindungen der Autoren seien. Wichtiger für die Rezeption, aber auch für die Beurteilung des Schopenhauerschen Pessimismus ist allerdings die Abwendung von den Prämissen der traditionellen Metaphysik; erst hierdurch verschafft sich Schopenhauer den Spielraum, jene Erfahrungen in dieser Form und Intensität zu artikulieren. Durch seinen Bruch mit der Vorstellung von Gott als einem >höchsten Wesenvon obenunüberschaubar< oder schlechthin >kontingent< erscheinen mußte. Eine solche Unterstellung romantisiert nicht nur die vormoderne Wirklichkeitserfahrung; gleichzeitig ignoriert sie die Webersche Einsicht, derzufolge die empirische Forschung zeige, daß es »prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge - im Prinzip - durch Berechnen beherrschen könne«. 41 Genau damit wird die Natur erkennbar und vorhersagbar in einem Maße, an das zuvor nicht zu denken war, schließlich ließ sich aus der Uberzeugung von der Präsenz Gottes in seiner Schöpfung nicht ableiten, wie diese Schöpfung sich im täglichen Umgang verhalten würde, oder wie man sie am besten zu seinen eigenen Zwecken einspannen konnte. Die Neubestimmung der Rolle des einzelnen setzt bereits ein in der Philosophie der Renaissance, deren Entwicklung oben kurz skizziert wurde. In der systematischen Philosophie ist sie erkennbar an der Bedeutung, die der Theorie des Subjekts nicht nur bei Descartes, Leibniz und Kant, sondern auch im englischen Empirismus zugewiesen wird; in der Staatsphilosophie daran, daß die Souveränität nun nicht mehr als Gottesgnadentum aus der Machtvollkommenheit des Schöpfers, sondern aus einem durch die Subjekte abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag abgeleitet wird. Einen vorläufigen Höhepunkt erreicht die Entwicklung wohl bei Fichte, der das >Nicht-Ich< als bloße Setzung des Ich betrachtet. Bedeutung hat dieses metaphysische Postulat auch für die Bestimmung der empirischen Rolle des Subjekts: »Ich will der Herr der Natur sein, und sie soll mein Diener sein; ich will einen meiner Kraft gemäßen Einfluß auf sie haben, sie aber soll keinen haben auf mich.« 42 Für Fichte begreift sich das Subjekt jedoch immer noch als Teil einer sinnvollen metaphysischen Ordnung: »Das aber weiß ich, daß ich in der Welt der höchsten Weisheit und Güte mich befinde, die ihren Plan ganz durchschaut, und ihn unfehlbar ausführt; und in dieser Uberzeugung ruhe ich, und bin selig.«43 Die Entstehung des Pessimismus wird durch diese Entwicklung nicht erzwungen; Schopenhauers Philosophie stellt aber eine logische Fortsetzung des skizzierten Prozesses dar, indem das Subjekt nun auch gegenüber dieser metaphysischen Ordnung emanzipiert wird, die von Kant und Hegel noch gegen die Ansprüche des einzelnen verteidigt wurde. Schopenhauer ist nicht der Initiator jenes Perspektivwechsels, doch er treibt ihn ein gutes Stück weiter, indem er den Ansprüchen des nach Glück suchenden Ich den Vorrang gegenüber der vermuteten Vernunft des Ganzen einräumt: Hatten Kant, Hegel und Leibniz die Ansprüche des einzelnen dort beschnitten, wo sie die Weber, Wissenschaft als Beruf p. 16. Fichte, Werke Bd. III p. 2 8 ( D I E BESTIMMUNG 4 3 1. c. p. 149. 41
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DES M E N S C H E N ) .
Pessimismus im 19. Jahrhundert
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Weisheit und Güte des Ganzen in Frage zu stellen drohten, so ergibt sich für Schopenhauer aus solchen Kollisionen nicht etwa ein Zweifel an der Legitimität der Ansprüche, sondern ein zusätzliches Argument gegen die Vernunft des Ganzen. Der pessimistische Radikalismus, der an die Stelle der >besten< gleich die schlechteste aller möglichen Welten< setzt, hat aber noch eine weitere Voraussetzung. Sie ergibt sich paradoxerweise daraus, daß Schopenhauer und mit ihm auch Hartmann und Mainländer zumindest in einem Punkt der vorkantischen Tradition verpflichtet bleiben. Mit ihr teilen sie nämlich die Vorstellung, die Welt lasse sich auf ein zentrales Prinzip zurückführen, ein Prinzip, das überdies auch axiologisch beurteilt werden kann. Tatsächlich erweist sich der Schopenhauersche >Wille< in seiner Allmacht als Abbild, in seiner Verworfenheit und Ignoranz als Gegenbild jenes Gottes, dessen systematische Rolle er übernimmt. An die Stelle des schlechthin Guten tritt das radikal Böse, das aufgrund seiner Allmacht die beste gleich in die schlechteste aller möglichen Welten verwandelt. Es sind wohl vor allem diese systematischen Anleihen bei der traditionellen Metaphysik, die die Radikalität des Pessimismus erklären. Er öffnet sich für die Erfahrung des Grauens, doch Beobachtungen, die von den einmal angenommenen Prämissen abweichen, werden auch hier systematisch ausgegrenzt. Immerhin gewinnen Schopenhauer und seine Nachfolger damit die Möglichkeit einer metaphysischen Gesamtdeutung: Sämtliche Weltprozesse gehorchen einer Logik, und der Theoretiker ist in der Lage, den scheinbar disparaten Einzelerscheinungen einen genauen systematischen Ort zuzuweisen. Vermuten läßt sich aber, daß die von den Pessimisten betriebene Emanzipation der Perspektive des Subjekts schließlich auch den Rahmen der eigenen Systeme sprengen wird, die mit ihren Anleihen bei der metaphysischen Tradition dieser Entwicklung selbst im Wege stehen: Schopenhauers Metaphysik etwa schränkt nicht nur den Erkenntnisspielraum ein, sie begrenzt mit ihrem Rückgriff auf den allmächtigen >Willen< auch die Handlungsmöglichkeiten des Subjekts, schließlich ist über die Qualität des Kosmos und das Schicksal seiner Bewohner immer schon entschieden: Innerhalb des Weltprozesses kann nichts grundsätzlich Neues entstehen. Dem einzelnen bleibt daher nur noch die Resignation - Nietzsches systemfeindliche Tendenzen, aber auch seine Polemik gegen den Schopenhauerschen >Resignationismus< lassen sich auch als Reaktion auf diese Einschränkungen verstehen.
> Große Depression
und
Gründerzeit
Vor einer Auseinandersetzung mit den Nachfolgern Schopenhauers soll hier zunächst eine kurze Skizze der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben werden, unter denen die Pessimismusdiskussion des späten 19. Jahrhunderts entsteht. Gerade bei einem methodisch etwas bewußteren Vorgehen zeigt sich, daß hier kaum von einer Krise die Rede sein kann. Tatsächlich findet sich in den sozialen Schichten, die an der Pessimismusdiskussion teilnehmen, kaum eines der oben genannten Charakteristika politisch-sozialer Systemkrisen. 44 So sind hier weder massive Desintegrationstendenzen 44
cf. Vierhaus, Z u m Problem historischer Krisen p. 3 2 0 - 3 2 4 .
Metaphysischer
Pessimismus
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noch ein Versagen sozialer oder politischer Steuerungsmechanismen zu beobachten, vergebens sucht man denn auch nach einem verbreiteten »Krisengefühl oder, in gesteigerter Form, Krisenbewußtsein«. 45 Ahnliches gilt für die von Habermas entwickelten Krisentypen, insbesondere für die ökonomische Krise, der der Autor für den Liberalkapitalismus eine Schlüsselrolle zuweist. 4 6 Von einer solchen Krise kann hier keine Rede sein; die ersten Jahrzehnte nach der Reichsgründung stellen - trotz des >Gründerkrachs< - im langfristigen Vergleich eher eine Phase des wirtschaftlichen und sozialen Aufschwungs dar. Festzuhalten ist zunächst, daß die weniger auf empirischen Befunden als vielmehr auf der Annahme langfristiger Konjunkturschwankungen - sogenannten Kondratjev-Zyklen - beruhende These Hans Rosenbergs von der >Großen Depression und dem damit einhergehenden Krisenbewußtsein zwischen 1873 und 1 8 9 5 mittlerweile weitgehend widerlegt ist. Volker Hentschel etwa kommt in seiner Bestandsaufnahme der WIRTSCHAFT UND WIRTSCHAFTSPOLITIK IM WILHELMINISCHEN DEUTSCHLAND z u d e m S c h l u ß , d a ß » d e r
Begriff >Große Depression< als gesamtwirtschaftliche Erscheinung nicht nur >mißverständlich und insgesamt wohl nicht erkenntnisförderlich«< sei: »Er ist falsch und irreführend.« 4 7 Ahnlich argumentiert Geoff Eley, der den Begriff der >Großen Depression grundsätzlich in Frage stellt 48 und dabei auch auf methodische Probleme des Rosenbergschen Ansatzes hinweist: »Auch unabhängig von den ökonomischen Realitäten beruht die Ansicht, daß die >Große Depression, eine bedeutungsvolle Periode der politischen Geschichte darstelle, auf einer ökonomistischen und behavioristischen Sozialpsychologie, deren theoretischer Hintergrund noch nicht adäquat entwickelt worden ist, und die sicherlich niemals durch eine genaue Analyse der sozialen Erfahrung bestimmt worden ist.« 4 9 Tatsächlich fällt es schon beim Blick auf die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Hintergründe schwer, die hier zur Diskussion stehende Phase als Zeit der »Großen Depression oder als Krisenperiode zu bezeichnen. Aufschlußreich ist die ökonomische Entwicklung. Die bereits in den sechziger Jahren einsetzende Aufschwungphase führt zwischen 1871 und 1913 zu einer Versechsfachung der industriellen Produktion in Deutschland. 5 0 Selbst während der >Gründerkrise< kommt es nicht zu einem Rückgang - zwischen 1 8 6 9 und 1 8 7 9 steigert sich das nominale Sozialprodukt immerhin noch um 4 0 % . 5 1 Der Aufschwung erfaßt dabei auch die Löhne. So steigert sich der durchschnittliche Jahresverdienst etwa im Bergbau alleine zwischen 1 8 9 4 und 1 9 0 0 um nahezu 4 0 % . 5 2 Wichtiger als diese bloßen ökonomischen Daten sind die sozial- und geistesgeschichtlichen Rahmenbedingungen; an ihnen läßt sich ablesen, daß auch auf der staat1 . c. p. 3 2 1 . cf. Habermas, Legitimationsprobleme p. 6 6 - 7 3 ; speziell p. 4 1 ^ 9 4 7 Hentschel, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik p. 2 0 6 . 4 8 cf. Eley, F r o m Unification to Nazism p. 3 6 . 4 9 1. c. p. 3 7 . 5 0 cf. Nipperdey, Deutsche Geschichte Bd. I p. 2 7 8 . 5 1 cf. 1. c. p. 2 8 5 . 5 2 cf. Hentschel, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik p. 2 1 7 . 45 46
zum
>Liberalkapitalismus
krisenhaft< zu bezeichnenden Entwicklung ist die Schulbildung. Die Zahl der Schüler an Höheren Schulen steigt zwischen 1873 und 1914 um etwa 140%, 54 die Zahl der Lehrer und ihre Besoldung verbessern sich entschieden, 55 dabei gewinnen zudem - nicht zuletzt durch die Einführung von Realgymnasium und Oberrealschule - auch die Mittel- und Unterschichten Zugang zur höheren Bildung. 56 Gleichzeitig entwickelt sich das Pressewesen, das durch die Aufhebung der Pressezensur (1874) begünstigt wird. 57 Die Zahl der Zeitungen erhöht sich zwischen 1850 und 1914 von eintausendfünfhundert auf über viertausend, 58 bei der durchschnittlichen Auflage kommt es zwischen 1885 und 1918 zu einer Verdreifachung. 59 Damit einher geht eine stürmische Entwicklung der Wissenschaften, aber auch eine Ausweitung des ästhetischen Interesses. Es wird in den bildenden Künsten unterstützt durch den Anbrach des >Zeitalters der technischen ReproduzierbarkeitDesintegrationserscheinungen< oder einer >Legitimationskrise< im Sinne Habermas' kann daher kaum die Rede sein. Bestimmt wird der Konsens durch die »national-kleindeutschen, protestantischen, bürgerlichen Wertvorstellungen« der tonangebenden bürgerlichen Schichten, 62 die durch eine sehr aktive populärwissenschaftliche und fortschrittsgläubige Publizistik unterstützt werden. Zu erinnern ist hier etwa an Ludwig Büchner oder Carl Vogt, vor allem aber an Ernst Haeckel, dessen WELTRÄTSEL zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen allein in Deutschland eine Auflage von 340.000 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Nipperdey, Deutsche Geschichte Bd. II p. 363. cf. Nipperdey, Deutsche Geschichte Bd. I p. 554. cf. 1. c. p. 543. cf. 1. c. p. 556. cf. 1. c. p. 798. ibd. ibd. cf. 1. c. p. 753. Stern, Kulturpessimismus p. 141. Nipperdey, Deutsche Geschichte Bd. I p. 639; cf. p. 635.
Metaphysischer
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Exemplaren erreicht hatten. Haeckel und mit ihm der unter seiner Ägide stehende >Monistenbund< propagierten eine naturwissenschaftliche WeltanschauungWelträtsel< ( - bis auf das eine letzte, das Substanzproblem! - ) zur Lösung führt.« 6 4 Andere populärwissenschaftliche Autoren wie Ernst Krause, Rudolf Bommeli oder Wilhelm Bölsche standen dem Monismus mit seinen »schier ungezügelten Hoffnungen« 6 5 nicht nach und auch sie gründeten ihren Optimismus auf das durch die Natur selbst verbürgte Entwicklungsprinzip. 6 6 Im Gegensatz zu Haeckel, der gegen die christlichen und philosophischen »Wahngebilde des Aberglaubens« polemisiert, bemühten sie sich aber um eine versöhnliche Haltung. V o n einer krisenhaften Wirklichkeitserfahrung kann jedenfalls in dieser Strömung, ebensowenig die Rede sein wie im Haeckelschen Monismus: »>Krise< als strukturelle Signatur der Neuzeit und im besonderen als Beschreibung einer Entscheidungssituation, eine solche Diagnose ließ der Grundtenor der naturkundlichen Schriften nicht zu. Die Annahme sich krisenhaft zuspitzender Entscheidungssituationen, zumal durch menschliches Verhalten bedingt, paßte nicht in ein Weltkonzept, das sich der Unabänderlichkeit ewiger Naturgesetze verschrieben hatte.« 6 7 Fortschrittsgewißheit und Optimismus sind weit verbreitet; 6 8 »die bürgerliche Grundstimmung«, so Hans-Liudger Dienel, blieb »bis 1 9 1 4 durch ein kaum in Frage gestelltes Kraftgefühl und einen unverwüstlichen Optimismus gekennzeichnet«. 6 9 Es überrascht daher nicht, wenn Emil Dubois-Reymond in seiner Rede ÜBER DIE GRENZEN DES NATURERKENNENS ( 1 8 7 2 ) die Wissenschaft mit einem >Welteroberer< vergleicht, der »an einem Rasttag inmitten seiner Siegeszüge verlangen konnte, die Grenzen seiner Herrschaft genauer festgestellt zu sehen«. 7 0 Johannes Volkelt spricht davon, daß »das Vernünftige, Gute, Positive, ... das umfassende, übergeordnete, sie63
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Haeckel, Die Welträtsel p. 16; zur Bedeutung des Monistenbundes in den Auseinandersetzungen über die naturwissenschaftliche Weltanschauung um 1 9 0 0 cf. Drehsen, Zander, Rationale Weltveränderung. Haeckel, Die Welträtsel p. 4 8 3 . Drehsen, Zander, Rationale Weltveränderung p. 2 1 8 . So heißt es 1 8 9 4 bei Rudolf Bommeli: »Und was sie [sc. die Vegetation; M. P.] uns laut und deutlich verkündet, das ist die Verherrlichung des Sieges, den das Bessere über das Schlechtere, das Höhere und Edlere über das Niedrige und Gemeine hat, die Verherrlichung des Fortschritts.« Bommeli z. n. Daum, Das versöhnende Element der neuen Weltanschauung p. 2 0 8 . Daum, Das versöhnende Element der neuen Weltanschauung p. 2 0 7 . »Was hier [im Kulturkampf; M. P.] zum Durchbruch kommt, ist eine Stimmung, die sich gegen alle Mächte wendet, die den lebensbejahenden Optimismus, den rücksichtslosen Eroberungsdrang und weltergreifenden Aktivismus der aus der Gemeinschaft herausragenden Genies mit moralischem Muckertum, verlogenen Jenseitshoffnungen und Autoritätsansprüchen zu Boden zwingen möchte.« Hamann, Hermand, Gründerzeit p. 117. Dienel, Der Triumph der Technik p. 196. Dubois-Reymond, Uber die Grenzen des Naturerkennens p. 54.
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gende Prinzip« 71 sei, und auch Heinrich Viehoff behauptet, »daß in der Menschheit ein zwar langsamer und stellenweise von Stockungen ja von Rückschlägen unterbrochener, aber im Großen und Ganzen doch unaufhaltsamer Fortschritt stattfindet in Humanität und Sittlichkeit, ... überhaupt ein Fortschritt in geistigem und leiblichem Wohlbefinden«. 72 Diese Haltung ist nicht beschränkt auf die Lobsänger des Wilhelminischen Reiches; auch der junge Bloch konstatiert, daß in der Gegenwart »durch die allseitige technische Umgestaltung der Lebensverhältnisse eine gewaltige Steigerung der Alltagsstimmung erreicht wurde«. 73 Dies wird im übrigen auch von den Pessimisten nicht bestritten, sondern als weiterer Beleg für die Illusionen der Zeitgenossen betrachtet zuweilen lassen sich allerdings auch die Kritiker selbst von dieser Stimmung anstecken. Langbehn etwa verkündet »eine Rückkehr zur Farbe und Lebensfreudigkeit, zur Einheit und Feinheit, zur Innigkeit und Innerlichkeit«, 74 Lagarde schreibt ein Gedicht über den >goldenen Tag, den Zukunft bringen soll·, 75 und auch Agnes Taubert, die Frau Eduard v. Hartmanns, betont, daß die geistigen ebenso wie die materiellen Lebensbedingungen noch niemals so günstig gewesen seien wie in der eigenen Gegenwart. 76 Besonders aufschlußreich sind hier die Reden und Aufsätze, die 1 9 0 0 aus Anlaß der Säkularwende verfaßt wurden. Neben einem vergleichsweise repräsentativen Bild der Zukunftserwartungen breiter Schichten findet sich hier auch immer wieder der Versuch, eine Bilanz des vergangenen Jahrhunderts zu ziehen; dabei findet die für die Pessimismusdiskussion wichtige Zeit nach der Reichsgründung in der Regel besondere Beachtung. »Für uns Deutsche«, so heißt es etwa in der Vossischen Zeitung, »war das verflossenene Jahrhundert das ruhmreichste und nutzbringendste unserer ganzen Geschichte.« 77 Gefeiert werden dabei nicht nur - mit dem entsprechenden nationalistischen Pathos - Aufstieg und Einigung Deutschlands, gleichzeitig geben sich die Autoren auch überzeugt, daß das vergangene Jahrhundert für breite Teile der Bevölkerung die Erwartungen der Aufklärung verwirklicht habe. 78 Die Zukunft aber, so meint man,
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Volkelt, System der Ästhetik Bd. III p. 5 0 5 . Viehoff, Ueber den Pessimismus der Gegenwart p. 2 4 6 . Bloch, Gedanken p. 9. Langbehn, Rembrandt als Erzieher p. 2. »Der goldne Tag, den Zukunft bringen soll, wohnt hinter dunklen, wilden Wettern: das Herz gestählt! die Stirn gedankenvoll! sonst wird die Windsbraut dich zerschmettern. ... und nur wer strebt und denkt und ernstlich vorwärts will, steht einst an einem Ziele still.« Lagarde, Gedichte p. 2 4 . cf. Taubert, Der Pessimismus und seine Gegner p. 113 sq. Vossische Zeitung No. 6 1 2 , 3 1 . XII. 1 8 9 9 , ζ. η. Salewski, Neujahr 1 9 0 0 p. 3 5 7 . »Die Güter der Aufklärung, der Menschenliebe und Duldung kamen [in der Zeit der Aufklärung; M. P.] einem Kreise von satten Menschen zugute. In welchem dumpfen Drucke, in welchem Mangel für Magen, Herz und Geist die ungeheuere Menge ihr Dasein zubrachte, sah man nicht. ... Hier schafft das neunzehnte Jahrhundert, das wir heute begraben, einen Wandel. ... Unter den vielen Namen, die man dem neunzehnten Jahrhundert beilegen könnte, scheint uns einstweilen der am zweckmäßigsten, daß man von dem sozialen Jahrhundert spricht.« 1. c. p. 3 6 6 .
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verspreche noch weit mehr, und sie verspreche es vor allem dem Deutschen Kaiserreich: »So stehen wir voll Mut und Hoffnung auf der Schwelle des neuen Jahrhunderts, voll Vertrauen auf den alten Gott der Deutschen und unsere eigene Kraft. Erhalten uns diese beiden den Frieden, dann wird jeder neue Tag des kommenden Jahrhunderts Großes bringen, und das Große noch Größeres erzeugen, und jedes neue Jahr wird Herrliches bringen, das wieder Herrlicherem weicht, und wie der Dichter sagt: Die Welt wird schöner mit jedem Tag, man weiß nicht, was noch werden mag.« 79 Dieser Optimismus war nicht beschränkt auf das Bürgertum, auch in den Verlautbarungen der Sozialdemokratie war von Krisenbewußtsein wenig zu spüren, wie ein Artikel im VORWÄRTS zeigt: »Wir sind froh des Sonnenaufgangs, in dessen wunderbar rosigem Schimmer das neue Jahrhundert aus der Zeiten Schöße heraufsteigt«. 80
Nietzsche Obwohl die Pessimismusdebatte der Gründerzeit zunächst durch Hartmann, Bahnsen, Lagarde und Langbehn bestimmt wird, konzentriert sich die spätere Rezeptionsgeschichte eher auf das Frühwerk Nietzsches. Wenn hier zunächst die GEBURT DER TRAGÖDIE vorgestellt werden soll, dann deshalb, weil die Schrift mehr noch als das kurz zuvor erschienene Hartmannsche Hauptwerk zur Erhellung der Hintergründe und Entstehungsbedingungen jener Debatte beiträgt. Keineswegs sollen dabei die Differenzen zwischen Nietzsche und der Schopenhauerschen Willensmetaphysik geleugnet werden; genausowenig verbindet sich damit die Annahme, Nietzsches Philosophie ließe sich generell als >pessimistisch< bezeichnen. Für die GEBURT DER TRAGÖDIE aber gibt es eine recht eindeutige Stellungnahme des Autors selbst. In der Schrift, die 1 8 8 6 den Untertitel >Griechenthum und Pessimismus< erhält, kündigt sich nach der Ansicht Nietzsches »vielleicht zum ersten Male, ein Pessimismus >jenseits von Gut und Böse< an«, 81 der es wagt, die Moral selbst als »Schein, Wahn, Irrtum, Ausdeutung, Zurechtmachung, Kunst« 82 zu entlarven. Besonders aufschlußreich sind dabei Nietzsches Überlegungen bezüglich der Hintergründe seiner Haltung, die er selbst auch als Pessimismus der Stärke< bezeichnet: »Giebt es einen Pessimismus der Stärke? Eine intellektuelle Vorneigung für das Harte, Schauerliche, Böse, Problematische des Daseins aus Wohlsein, aus überströmender Gesundheit, aus Fülle des Daseins? Giebt es vielleicht ein Leiden an der Ueberfülle selbst? Eine versucherische Tapferkeit des schärfsten Blicks, die
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Keller z. n. Salewski, Neujahr 1 9 0 0 p. 3 6 2 . Vorwärts z. n. Salewski, Neujahr 1 9 0 0 p. 3 6 8 . Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. I p. 17 (DIE GEBURT DER TRAGÖDIE). 1. c. p. 18.
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nach dem Furchtbaren verlangt, als nach dem Feinde, dem würdigen Feinde, an dem sie ihre Kraft erproben kann?«83 Keineswegs verfälscht Nietzsches V E R S U C H E I N E R S E L B S T K R I T I K damit die ursprünglichen Intentionen der Schrift, wollte die doch den >ethischen Untergrund der pessimistischen Tragödie< sichtbar machen. 84 Auch in zeitgenössischen Notizen stellt Nietzsche eine direkte Beziehung zwischen dem Dionysischem, der Tragödie und dem Pessimismus her: »Das Dionysische als Mutter der Mysterien, der Tragödie, des Pessimismus.«85 Die Tragödie gibt den Blick frei auf das »Unheil im Wesen der Dinge«,86 doch gerade dieser unverstellte Blick auf das Schreckliche, so betont der Autor, sei verbunden mit einer eigentümlichen Faszination. Ausdrücklich weist er hin auf die »Erscheinung, dass Schmerzen Lust erwecken«: 87 »Musik und tragischer Mythus ... verklären eine Region, in deren Lustaccorden die Dissonanz ebenso wie das schreckliche Weltbild reizvoll verklingt; beide spielen mit dem Stachel der Unlust, ihren überaus mächtigen Zauberkünsten vertrauend; beide rechtfertigen durch dieses Spiel die Existenz selbst der schlechtesten WeltPessimismus der Stärkemit unbewegtem Blicke< der »ewigen Wahrheit« 100 zuwendet. Schon in der Tragödienschrift imaginiert Nietzsche eine »heranwachsende Generation mit dieser Unerschrockenheit des Blicks, mit diesem heroischen Zug ins Ungeheure«, die »allen den Schwächlichkeitsdoctrinen jenes Optimismus den Rücken kehren, um im Ganzen und Vollen >resolut zu lebenBequemlichkeitsdoctrinen des liberalen OptimismusStärke< zeigt der Pessimist nicht allein in seiner Furchtlosigkeit gegenüber dem Schrecklichen, sondern ebenso in seiner Bereitschaft, die bestehenden Verhältnisse 1. c. Bd. XII p. 466 sq. 1. c. Bd. Ip. 131. 100 1. c. p. 112. 101 1. c. p. 118. 102 1. c. Bd. VII p. 356. 103 1. c. Bd. Vp. 161. 104 1. c. Bd. I p. 606. 105 1. c. Bd. VII p. 798. 106 1. c. Bd. VI p. 311. 107 1. c. Bd. VII p. 356. 98
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sowohl in der Wissenschaft wie in der Gesellschaft grundsätzlich in Frage zu stellen. Nietzsche bestätigt damit die hier mehrfach vorgetragene Vermutung, daß eines der wesentlichen Motive des Pessimismus in der Ablösung von überkommenen Traditionen bestehe, die jenem >Bösen< zugeschlagen werden, das über die Welt herrsche. Nietzsches radikale Kritik an dem »ruhelos barbarischen Treiben und Wirbeln, das sich jetzt >die Gegenwart< nennt«, 108 vor allem aber sein Versuch der >Umwertung aller Werte< sind Ausdruck dieser entschieden konventionsfeindlichen Tendenz. Dabei kommt es zu einer gewissen Änderung der Stoßrichtung: Ging es bei Schopenhauer im wesentlichen um eine Auseinandersetzung mit der traditionellen Metaphysik, so konzentriert sich Nietzsche, für den diese Tradition längst an Bedeutung verloren hat, auf die zeitgenössische Kultur 109 und die positiven Wissenschaften, die dem >im Wesen der Logik verborgenen Optimismus* verpflichtet seien. 110 Die GEBURT DER TRAGÖDIE diagnostiziert dabei einen welthistorischen Verfallsprozeß, der die ursprüngliche dionysische Energie absterben läßt und seinen Höhepunkt in der Gegenwart erreicht. Nietzsche entdeckt hier »die Symptome einer völligen Ausrottung und Entwurzelung der Cultur, ... die Nationen trennen sich wieder auf das feindseligste und begehren sich zu zerfleischen. Die Wissenschaften, ohne jedes Maass und im blindesten laisser faire betrieben, zersplittern und lösen alles Festgeglaubte auf; die gebildeten Stände und Staaten werden von einer grossartig verächtlichen Geldwirthschaft fortgerissen. Niemals war die Welt mehr Welt, nie ärmer an Liebe und Güte«. 111 Einen der entscheidenden Gründe hierfür sieht Nietzsche in dem Verlust des Zugangs zur eigentlichen Beschaffenheit der Wirklichkeit, wie ihn die Antike vor Sokrates in den dionysischen Künsten, insbesondere in der Tragödie besessen habe. An ihrer Stelle habe sich ein bequemer Optimismus breit gemacht. Er täusche sich über das Grauen hinweg und begnüge sich mit dem oberflächlichen Schein der Dinge, wie ihn die empirischen Wissenschaften als Wahrheit ausgeben. Paradigma dieser Entwicklung sei der »theoretische MenschWillen zur Macht< artikuliert. Ausdrücklich befaßt sich Nietzsche zudem mit den ästhetischen und rhetorischen Momenten des Pessimismus, die ansonsten eher in literarischen Texten thematisiert werden. Die Zurückhaltung der Philosophen ist dabei verständlich, vertragen sich jene Tendenzen doch nur schlecht mit dem emphatischen Erkenntnisanspruch des Pessimismus. Während Schopenhauer und später Hartmann oder Spengler als unerschrokkene Zeugen der bislang verkannten Wahrheit auftreten, gibt sich hier das inszenatorische Moment zu erkennen, das im Pessimismus selbst wirksam ist. Es überrascht nicht, daß solche Eingeständnisse nicht zu den bevorzugten Übungen pessimistischer Theoretiker gehören, doch gerade dies macht Bemerkungen wie die Nietzsches um so wertvoller, bestätigen sie doch - ähnlich wie die zitierten Äußerungen Baudelaires und Huysmans' - die These, daß es sich hier in der Tat um einen vermittelten, einen sekundären Pessimismus< handelt.
Eduard v. Hartmann Weiter konkretisieren läßt sich die hier vertretene These durch eine Auseinandersetzung mit der bereits erwähnten Pessimismusdiskussion, die sich an die Veröffentlichung von Hartmanns PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN anschließt. Das Werk entsteht, angeregt offenbar durch Hartmanns Schopenhauer-Lektüre, 1 1 5 zwischen 1 8 6 4 und 18 6 7 . 1 1 6 Zwei Jahre später wird es publiziert, und das Interesse ist gleich zu Beginn so groß, daß schon 1 8 7 0 die zweite Auflage gedruckt werden muß; insgesamt wird das Buch, das von Wilhelm Wundt 1 8 7 7 als das auf dem deutschen Buchmarkt erfolgreichste philosophische Werk überhaupt bezeichnet wird, 1 1 7 innerhalb der ersten zwei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen zehnmal aufgelegt. Ebenso wie Schopenhauer vertritt Hartmann einen metaphysischen Pessimismus, der sich nicht auf empirische Beobachtungen, sondern auf theoretische Prämissen beruft. Hartmanns pessimistische Grundüberzeugung findet ihren klarsten Ausdruck in dem auf Schopenhauer zurückgehenden Satz, daß die Welt »durchweg elend, und 1 . c. Bd. VII p. 8 1 7 . cf. Hartmann, Mein Entwicklungsgang p. 4 0 . 1 1 6 »So begann ich gegen Ende des Jahres 1 8 6 4 die PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN, ohne zu ahnen, wie weit die beim Abschnitt Α angefangene Arbeit sich mir unter den Händen ausspinnen würde. ... Im Frühjahr 1 8 6 5 gelangte ich bis Abschn. B. Cap. II, im Frühjahr 6 6 bis C. Cap. V, im April 1 8 6 7 war das Werk vollendet.« 1. c. p. 2 6 ; 4 1 . 1 1 7 Wundt, Philosophy in Germany p. 5 0 5 . 114
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schlechter als gar keine sei«. 118 Tatsächlich knüpft die PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN denn auch in zentralen Punkten an die Schopenhauersche Willensmetaphysik an, die aber in Anlehnung an Hegel historisiert wird. Von Schopenhauer übernimmt Hartmann die Vorstellung, daß der Weltprozeß in einem vitalen aber ignoranten Prinzip wurzelt. An die Stelle des Schopenhauerschen >Willens< tritt bei Hartmann das >UnbewußteDummheitUnbewußten< allerdings einen Gegenspieler: Während dort der Intellekt zum Sklaven des Willens degradiert wird, 120 erhebt Hartmann die Vernunft beziehungsweise das >Bewußte< zum gleichrangigen Widersacher des >UnbewußtenBewußte< bei Hartmann. Während es Schopenhauer jedoch nicht gelingt, das Verhältnis dieser Vernunft, der sich nicht zuletzt des Autors eigene Einsichten verdanken, zum >Willen< zu klären, vermeidet Hartmann dieses Problem, indem er der Vernunft in seiner dualistischen Konzeption von vornherein eine eigenständige Rolle zuweist. Zu den hieraus sich ergebenden systematischen Problemen bei Schopenhauer cf. oben p. 1 0 4 . Hartmann, Philosophie des Unbewußten p. 6 7 0 . 1 . c. p. 6 7 1 .
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Ende des Weltprozesses »das gesammte actuelle Wollen in das Nichts zurückzuschleudern«, doch damit endet nicht nur die Qual der körperlichen Begierden. Hartmann zeigt sich vielmehr überzeugt, daß in diesem Augenblick »der Process und die Welt aufhört, und zwar ohne irgend welchen Rest aufhört, an welchem sich ein Process weiterspinnen könnte«. 1 2 3 Hartmann verzichtet auf farbenprächtige Visionen des Weltuntergangs, seine eigenen Vorstellungen sind jedoch nicht minder phantasievoll als etwa die apokalyptischen Szenarien Blochs im GEIST DER UTOPIE. Das Ende der Welt, so vermutet die PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN, könne durch den Parlamentsbeschluß einer Menschheit eingeleitet werden, die eingesehen hat, daß sich das Weiterleben nicht mehr lohnt. Die bizarre Vorstellung, »dass die Majorität des in der Welt thätigen Geistes den Beschluss fasst, das Wollen aufzuheben«, 124 hat Hartmann schon den Spott Nietzsches eingetragen, der dieser Entscheidung eine >polizeiliche Verordnung< folgen läßt, »dass nächsten Samstag Abends pünktlich 12 Uhr die Welt untergehen soll, die überstimmte Minorität mit eingeschlossen«. 125 Schon dieser kurze Uberblick zeigt, daß der Hartmannsche Pessimismus ähnlich wie der Schopenhauers auf einer metaphysischen, nicht auf einer empirischen Grundlage steht. Es geht nicht in erster Linie um die Auseinandersetzung mit historischen Beobachtungen; Ausgangspunkt ist vielmehr die theoretische Spekulation. Zwar bemüht sich Hartmann, dessen Werk im Untertitel speculative Resultate nach inductiv-naturwissenschaftlicher Methode< verspricht, auch um empirische Belege; ganz ausdrücklich betont er aber, daß sich sein Pessimismus im Kern nicht auf historische Beobachtungen, sondern auf theoretische Einsichten stützt: »Nach meiner Auffassung ist der philosophische Pessimismus ein rein theoretischer Pessimismus oder eine pessimistische Theorie, welche weder mit dem Situationsschmerz, ... noch mit dem Weltschmerz ... das Geringste zu thun hat. Der philosophische Pessimismus beschäftigt sich mit der Frage, ob die Lustbilance der Welt negativ sei; dies ist eine rein theoretische Frage, welche nur mit intellectuellen Hilfsmitteln gelöst werden kann.« 1 2 6 Hartmanns Theorie von der Erlösung durch Vernichtung mag abwegig klingen, immerhin ergibt sie sich schlüssig aus seiner Vorstellung, »dass die Weltschöpfung ihren ersten Ursprung einem unvernünftigen Acte verdankt«, 127 eben jenem >grundlosen
1231. 1241.
c. p. 6 8 1 . c. p. 6 7 8 sq.
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Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. VII p. 6 5 8 . Auch ein anderer Zeitgenosse, Ludwig v. Golther, kritisiert Hartmanns eigentümliche Vorstellung: »Der Gedanke der Weltvernichtung durch die Willensverneinung der Menschheit ist als solcher nach Hartmann's eigenen Principien ... ein logisch undenkbarer.« Golther, Der moderne Pessimismus p. 1 7 4 . Cf. auch die Darstellung Rintelens: »Hartmann bietet uns in seiner Philosophie des Unbewußten eine Schilderung des Jüngsten Tages, die ans Phantastische grenzt. Spätere Auflagen schränken sie immer mehr ein. Allmählich scheint er selbst den Glauben an eine solche Lösung aufgegeben zu haben. Die Menschheit faßt einen >ParlamentsbeschlußAlles ist ganz eitel·, d. h. illusorisch, nichtig«. 129 Aus dieser individuellen Erfahrung entstehe innerhalb der Weltgeschichte ein Prozeß fortlaufender Desillusionierung, der die ursprüngliche naive Erwartung auf irdisches Glück schließlich vollständig vernichte. Hartmann unterscheidet drei Stufen der Illusion, durch die gleichzeitig die drei wichtigsten Phasen der menschlichen Entwicklung bezeichnet werden. Am Beginn steht die der Antike 130 zugeordnete Vorstellung, daß das Glück »dem heutigen Individuum im irdischen Leben« erreichbar sei.131 Aus der Erkenntnis, daß diese Hoffnung vergeblich sei, habe sich der Lebensekel der Antike ergeben. Auf ihn antworte das Christentum mit seinem Versprechen transzendenter Glückseligkeit. Dieses Versprechen, das allererst den Siegeszug dieser Lehre erkläre, stelle das zweite Stadium der Illusion dar. 132 Zwar bringe das Christentum in seiner Abkehr von der Illusion gegenwärtigen Glückes einen Gewinn an Einsicht gegenüber der Antike, dennoch schüre es mit seinem Versprechen auf ein paradiesisches Jenseits wieder falsche Hoffnungen. Hartmann hält vor allem die Erwartung einer individuellen Fortdauer nach dem Tode für falsch; gebe man diese Erwartung auf, dann verschwinde auch die Möglichkeit, die verheißene Glückseligkeit überhaupt zu erfahren. 133 Das Christentum muß daher auf der dritten Stufe der modernen Fortschrittsvorstellung weichen, die der Erkenntnis folgt, »dass der Weg zur Erlösung von dem Elend der Gegenwart erstens nicht innerhalb, sondern ausserhalb des Individuums und zweitens nicht ausserhalb des Weltprocesses zu suchen ist, sondern im Weltprocesse selbst liegt«.134 Letztlich handelt es sich aber auch hier um eine vergebliche Hoffnung. Hartmann sieht daher die historische Aufgabe seiner eigenen Philosophie darin, auch dieses dritte Stadium der Illusion zu überwinden, um somit den Weg für die endgültige >Erlösung< freizumachen. Er geht das ganze Spektrum möglicher Quellen der Lust von der Gesundheit über die Jugend, die Freiheit und die Liebe bis zum Erwerbstrieb durch, um zu zeigen, daß die >Lustbilance< durchweg negativ ist. In keinem der untersuchten Bereiche könne die mögliche Befriedigung die zu erwartende Unlust übersteigen. Lediglich in Kunst und Wissenschaft gebe es einen gewissen Überschuß der Lust, doch der sei »verschwindend klein ... gegen die Summe des vorhandenen Elendes« und verteile sich »noch dazu auf solche Individuen, welche die Unlust des Daseins stärker als andere ... fühlen«. 135 128
ibd. 1. c. p. 634. 130 cf. ibd. 131 1. c. p. 573. 132 cf. 1. c. p. 637. 133 cf. 1. c. p. 640 sq. 134 1. c. p. 643. 135 1. c. p. 623. 129
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Naheliegend ist auch hier wieder die Annahme, der Autor verabsolutiere seine eigenen Beobachtungen; zum metaphysischen Prinzip könne die Desillusionierung nur deshalb hochstilisiert werden, weil sie auch die konkrete historische Erfahrung bestimme. Gegen diese Annahme spricht zunächst Hartmanns Autobiographie. In seinem 1 8 7 5 veröffentlichten ENTWICKLUNGSGANG zeichnet der mittlerweile zur Berühmtheit gewordene Autor eine geradezu biedermeierliche Idylle von seinem eigenen Familienleben. Zweifellos mag hier ein gewisses Bemühen mitspielen, den Erwartungen der Leser entgegenzukommen; dennoch fällt es angesichts dieses Selbstporträts schwer, Hartmanns Lehre aus einer Krisenerfahrung abzuleiten: »Die liebende Gattin, die verständnisvolle Genossin meiner idealen Bestrebungen, waltet in meiner bescheidenen aber freundlichen Häuslichkeit. ... Zu unsern Füßen spielt mit dem treuen vierfüßigen Gefährten ein schönes blühendes Kind. ... Meine Eltern und Schwiegereltern sowie ein erlesener Freundeskreis sorgen für geistige Abwechselung und gemüthliche Anregung, und ein philosophischer Freund äußerte kürzlich: >wenn man wieder einmal zufriedene und heitere Gesichter sehen will, so muß man zu den Pessimisten gehenl·« 1 3 6 Hartmanns Frau, Agnes Taubert, zeigt zudem in ihrer Schrift über den PESSIMISMUS UND SEINE GEGNER, daß sich diese Philosophie sehr gut mit einer recht positiven generellen Einschätzung der eigenen Gegenwart verträgt. Ausdrücklich betont sie, daß »der gesammte leibliche und geistige Comfort der ganzen Menschheit ... noch zu keiner Zeit so günstig und so wohlentwickelt gewesen ist wie in unseren Tagen«. 1 3 7 Tatsächlich erkennt Hartmann, wie schon bemerkt, die Fortschritte in den Wissenschaften, in der Technik und auch in den gesellschaftlichen Beziehungen freimütig an, ja er weist sogar darauf hin, daß sein metaphysischer Pessimismus den »politischen, socialen etc. Optimismus ... einschliesst«: 1 3 8 »Wir aber, die wir in Natur und Geschichte nur einen einzigen grossartigen und wundervollen Entwickelungsprocess erkennen, glauben an einen endlichen Sieg der heller und heller hervorstrahlenden Vernunft über die zu überwindende Un-
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Hartmann, Mein Entwicklungsgang p. 4 2 . Neben der offensichtlichen Stilisierung dieses Bildes der heilen Welt läßt auch der Kontrast zu der oben zitierten Bemerkung von der Dummheit der Glücklichen vermuten, daß Hartmann hier wieder seiner Neigung zur Akkommodation an die Erwartungen seines Publikums nachgibt.
137
Taubert, Der Pessimismus und seine Gegner p. 113 sq. Hartmann, Philosophie des Unbewußten (12. Auflage) Bd. II p. 3 7 6 . Für Lütkehaus leitet sich hieraus auch eine wirklichkeitsverändernde Tendenz der Hartmannschen Philosophie ab: »Gerade aber weil es [für Hartmann; M. P.] darauf ankommt, die Welt zu verhindern, ist sie zu verändern«, so gehe »bei Hartmann der >metaphysische Pessimismus* mit dem politischen und sozialen Optimismus* eine dynamische Allianz ein.« Lütkehaus, Pessimismus und Praxis p. 1 3 0 .
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V e r n u n f t d e s b l i n d e n W o l l e n s , w i r g l a u b e n a n ein Ziel
127 des Processes, das uns die
Erlösung von der Qual des Daseins bringt.« 139 Die Emphase, mit der der Philosoph des Unbewußten hier dem historischen Fortschritt huldigt, mag auf den ersten Blick Zweifel an seinem Pessimismus wachrufen - in Wirklichkeit greift Hartmann den zeitgenössischen Fortschrittsoptimismus nur auf, um zu zeigen, daß auch dieser letztlich auf einer Illusion basiert. Wenn Hartmann daher zu dem Ergebnis kommt, daß »das Nichtsein der Welt ihrem Sein vorzuziehen«140 sei, dann liegt es daran, daß die Errungenschaften der Moderne vor dem einzig relevanten Kriterium versagen: der Glückseligkeit des Individuums. »Fabriken, Dampfschiffe, Eisenbahnen und Telegraphen haben noch nichts Positives für das Glück der Menschheit geleistet«,141 und auch die »wissenschaftlichen Fortschritte tragen in rein theoretischer Beziehung wenig oder gar nichts zum Glück der Welt bei« 142 - im Gegenteil, es habe sich »mit den vermehrten Mitteln nichts weiter vermehrt, als die Wünsche und Bedürfnisse, und in Folge davon die Unzufriedenheit«,143 Letztlich gelingt es Hartmann daher, seine Position durch scheinbare Konzessionen an den Gegenwartsoptimismus noch zu bekräftigen: Wenn der Pessimismus unter den vergleichsweise positiven Bedingungen zur Zeit der Reichsgründung schon unumgänglich ist, mit wieviel mehr Recht gilt er dann in Epochen, die weniger günstige materielle Voraussetzungen vorfinden! Originell ist Hartmanns Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Fortschrittsglauben vor allem darin, daß sie jener Ideologie nicht von außen die Existenzberechtigung streitig macht, sondern sie von innen diskreditiert. Hartmann beruft sich also nicht einfach auf eine der unter den zeitgenössischen Kulturkritikern so beliebten Verfallstheorien, 144 sondern führt den Fortschrittsglauben anhand seiner eigenen Prämissen ad absurdum: Selbst wenn alle Versprechungen einträfen, sei damit immer noch nichts für das Wohlergehen der Menschheit gewonnen. Der Philosoph des Unbewußten geht noch weiter, und fordert auch für die Zukunft eine Fortsetzung dieser Entwicklung. Die teleologische Struktur seiner Geschichtsphilosophie schließt eine bloße Verneinung des >Willens zum LebenNichtsTrost und Hoffnung< in der Philosophie suchen: »Zu solchen Zwecken giebt es Religions- und Erbauungsbücher. Die Philosophie aber forscht rücksichtslos nach Wahrheit, unbekümmert darum, ob das, was sie findet, dem in der Illusion des Triebes befangenen Gefühlsurtheil behagt oder nicht. Die Philosophie ist hart, kalt und fühllos wie Stein; im Aether des reinen Gedankens schwebend strebt sie nach der frostigen Erkenntniss dessen, was ist, seiner Ursachen und seines Wesens.« 148 Die Absage an das eigene Bedürfnis nach Glück und Sicherheit erlaubt es den Pessimisten, als Sachwalter der Wahrheit aufzutreten; ihre Verpflichtung auf genuine Erkenntnis soll schon daran erkennbar sein, daß sie ihr zuliebe die vitalen eigenen Bedürfnisse übergehen. Sie beweisen damit einen Mut, der ihren in bloßem Wunschdenken befangenen Gegnern abgeht: Diese klammern sich an ihre Illusionen in der vergeblichen Hoffnung, die Welt werde ihnen am Ende doch noch recht geben. Hart148
Hartmann, Philosophie des Unbewußten ( 1 2 . Auflage) Bd. II p. 3 9 0 .
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mann greift hier zurück auf die bereits von Schopenhauer, Nietzsche und Baudelaire bekannte Vorstellung, daß allenfalls ein Mangel an Mut und Einsichtsvermögen jene Illusionen aufrechterhalten könne - der wahre Philosoph indessen registriert ungerührt, wie die optimistischen Schwächlinge unter der Last der von ihm entdeckten Einsichten zusammenbrechen: »Wenn die Kraft des Menschen der Aufgabe nicht gewachsen ist, die Resultate des Denkens zu ertragen, und das vom Jammer zusammengekrampfte Herz vor Grauen erstarrt, vor Verzweiflung bricht, oder weichlich im Weltschmerz zerfliesst, ... dann registrirt die Philosophie diese Thatsachen als schätzbares psychologisches Material für ihre Untersuchungen.«149 Angesichts dieses erbärmlichen Bildes, das seine Gegner abgeben, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn der Pessimismus für Hartmann zu einer Frage des persönlichen Ranges, die Hoffnungslosigkeit zu einem Ausweis der Genialität wird. So behauptet denn die PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN, »dass ein Wesen um so glücklicher ist, je stumpfer sein Nervensystem ist, weil der Ueberschuss der Unlust über die Lust desto kleiner, und die Befangenheit in der Illusion desto grösser wird«.1S0 Wer wollte noch behaupten, er sei leidlich mit seinem Los zufrieden, wenn er bei Hartmann erfahren muß, »dass die Dummen glücklicher sind als die Klugen«,151 ja, »dass die Menschen durchschnittlich um so geringer über den Werth des Lebens denken, je feinfühliger und geistig hochstehender sie sind«.152 Fügt Hartmann sich mit seiner heroischen Pose recht genau in das hier gezeichnete Bild vom sekundären Pessimismus< ein, so mag es zunächst fraglich erscheinen, ob dies auch für die These gilt, diese Tradition stelle eine besonders radikale Form der Ablösung von gültigen Normvorstellungen und Konventionen dar - schließlich betont Hartmann doch ausdrücklich die >Pflicht< jedes einzelnen, den Weltprozeß innerhalb der vorhandenen Institutionen weiter voranzutreiben. Hartmann, so lästert Nietzsche, habe sich damit als »eine[r] der ersten philosophischen Parodisten aller Zeiten«153 zu erkennen gegeben, als ein >ironischer Farceurächte religiös-sittliche Bewusstsein« wird zu einem >Correlat< des Pessimismus erklärt (Hartmann, Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus p. 1 2 7 ) und Jesus der illustren Gesellschaft der Hartmannschen Vorgänger einverleibt: »Nach alledem läßt sich nicht bestreiten, daß Jesus der entschiedenste Pessimist für diese Welt ist, nicht nur in ethischer, sondern auch in physischer Beziehung.« Hartmann, Das Christentum des Neuen Testaments p. 87.
157
Hartmann, Philosophie des Unbewußten p. 6 5 8 .
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Pessimismus im 19.
Jahrhundert
S c h r i f t v o m WIDERSPRUCH IM WISSEN UND WESEN DER W E L T v e r d i e n t s e i n
anonym
erschienenes PESSIMISTENBREVIER besonderes Interesse. Dabei erweckt eine deutlich sichtbare Tendenz zur Verschärfung des Pessimismus, wie sie von Schopenhauers WELT
ALS W I L L E UND VORSTELLUNG
(1819)
über
Hartmanns
1869
erschienene
PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN, M a i l ä n d e r s PHILOSOPHIE DER ERLÖSUNG ( 1 8 7 6 ) z u
den Arbeiten Bahnsens führt, den Eindruck, daß die Autoren hier eine gewisse Überbietungsstrategie verfolgen. Schopenhauer findet in der ästhetischen Erfahrung noch ein wichtiges Gegengewicht zu dem Leiden der Welt, außerdem bleibt bei der Vernichtung des Bestehenden, in der seine Philosophie gipfelt, offen, ob sich aus dem Nichts nicht vielleicht doch noch ein erlösendes >Anderes< entwickelt. Hartmann dagegen schließt solche Blütenträume kategorisch aus; von >Erlösung< spricht die PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN nur im Sinne einer Abschaffung des Leids, die die restlose Vernichtung alles Bestehenden mit einschließt. Die Entwicklung führt weiter zu Mainländer, der den von Hartmann noch verworfenen Selbstmord als legitimen Ausweg aus dem Elend des Daseins zuläßt, und sie gipfelt in Bahnsen, der - so Johannes Volkelt »das non plus ultra im Pessimismus geleistet hat«. 158 Kategorisch streitet Bahnsen die Aussicht auf das bei Hartmann und Mainländer immerhin noch mögliche Ende des Leidens ab: Die Kette der Qualen, so postuliert Bahnsen, wird niemals enden.
Mainländer Im Gegensatz zu der eher zyklisch argumentierenden >Realdialektik< Bahnsens geht Philipp Mainländer von einer teleologischen Entwicklung aus. Das hegelsche Erbe dieser Philosophie wird in dem Glauben erkennbar, daß die Geschichte einen Sinn ergeben müsse für denjenigen, der das Prinzip ihrer Bewegung erkannt habe - auch der Mainländersche Pessimismus zielt also ab auf einen metaphysischen Gesamtentwurf. Das Prinzip, das diesem Entwurf zugrundeliegt, unterscheidet sich jedoch radikal von dem der Hegeischen Philosophie; es ist der Verfall. Ebenso wie Schopenhauer 1 5 9 und Hartmann glaubt Mainländer, »daß alles Leben Leiden ist, daß es . . . wesentlich unglücklich und schmerzvoll ... ist«. 160 Mit seinen beiden Vorläufern teilt er zudem die Vorstellung, daß nur die vollständige Vernichtung der Welt eine Erlösung von Leid und Elend bringen könne. Doch während Hartmann noch konzediert hatte, daß zumindest auf der Oberfläche des gesellschaftlichen Treibens ein gewisser Fortschritt zu erkennen sei, beobachtet Mainländer in Natur und Zivilisation nur einen gigantischen Niedergangsprozeß, der schließlich in der >Erlösung< genannten Vernichtung des Universums enden werde. »Die Weltbewegung ist also ... Bewegung aus dem für uns unbegreiflichen Ursein ... durch das wirkliche Sein in das absolute Nichtsein.« 161 Hieraus ergibt sich für ihn die »unverlierbare Erkenntniß, daß der Gang der Menschheit nicht
158 159
160
Volkelt, Das Unbewußte und der Pessimismus p. 2 7 1 . »Ich bekenne also frei, daß ich auf den Schultern Kant's und Schopenhauer's stehe, und daß meine Philosophie lediglich eine Weiterführung der des Einen und der des Anderen ist.« Mainländer, Die Philosophie der Erlösung Bd. I p. 3 6 2 . 1. c. p. 2 1 6 . c. Bd. II p. 5 1 0 .
1611.
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die Erscheinung einer sogenannten sittlichen Weltordnung, sondern die nackte Bewegung aus dem Leben in den absoluten Tod ist«. 162 Der Verweis auf den »Fäulniß- und Absterbungsproceß der asiatischen Militärdespotieen, Griechenlands und Rom's« 163 zeigt, daß Mainländer hier in der Tat das im 19. Jahrhundert bei Autoren wie Ernst v. Lasaulx über Peladan bis Burckhardt beliebte Thema der Dekadenz variiert. Mainländer behauptet dabei, daß die Kultur, weit entfernt davon, irgendeinen substantiellen Fortschritt hervorzubringen, den Verfallsprozeß nur noch beschleunige: »Die Bewegung eines Naturvolks ist der einer Kugel auf einer fast horizontalen Fläche, die Bewegung eines Culturvolks dagegen dem Sturze dieser Kugel in den Abgrund zu vergleichen.«164 Zu Recht hat Ulrich Horstmann in diesem Zusammenhang auf die schon von einem zeitgenössischen Rezensenten bemerkte 165 Nähe dieser Vorstellungen zur zeitgenössischen Entropiediskussion aufmerksam gemacht. 166 Mainländer greift zurück auf Allgemeingut der Schopenhauerschen Tradition, wenn er den >Willen< als eine »furchtbare blinde Energie«167 bezeichnet. Originell ist er allerdings dort, wo er die Bedeutung dieses Prinzips für den kosmischen Prozeß bestimmt. Er stellt die Willensmetaphysik Schopenhauers geradewegs auf den Kopf, wenn er diesen Willen als einen >Willen zum Tode< definiert und damit den Verfall zum metaphysischen Prinzip macht. Begreift Schopenhauer die gesamte Wirklichkeit als eine Erscheinung des >Willens zum LebenWille zum Leben< zunächst weit deutlicher in Erscheinung tritt als der >Wille zum TodeWille zum Tode
Nichtsein< besser als das >SeinNichts< keineswegs im Sinne der >Negativen Theologie< als das Absolute interpretieren, das sich nur unter den Bedingungen der Erscheinungswirklichkeit der Erkenntnis entziehe. Der Nihilismus von Mainländer ist vielmehr völlig kompromißlos: »Jenseits der Welt ist weder ein Ort des Friedens, noch ein Ort der Qual, sondern nur das Nichts. Wer es betritt, hat weder Ruhe, noch Bewegung, er ist zustandslos wie im Schlaf, nur mit dem großen Unterschied, daß auch das, was im Schlafe zustandslos ist, nicht mehr existirt: der Wille ist vollständig vernichtet.«172 Ungeachtet solcher wenig erhebenden Aussichten schildert Mainländer diesen Zustand kaum weniger emphatisch als Schopenhauer: »Dann ist Gott thatsächlich aus dem Uebersein, durch das Werden, in das Nichtsein übergetreten; er hat durch den Weltproceß gefunden, was er, von seinem Wesen verhindert, nicht sofort erreichen konnte: das Nichtsein. Erst ging das transcendente Gebiet unter, - jetzt ist ... auch das immanente vergangen: und wir blicken, je nach unserer Weltanschauung, entsetzt oder tief befriedigt, in das absolute Nichts, die absolute Leere, in das nihil negativum. Es ist vollbracht.«173 Mainländer verfolgt hier gegenüber Schopenhauer und Hartmann eben jene Strategie der Überbietung, mit der diese bereits das kritische Bewußtsein der Wissenschaften und des Alltagsverstandes zu übertrumpfen versucht hatten. Für die PHILOSOPHIE DER ERLÖSUNG fällt daher selbst die Schopenhauersche Konzeption des >Willens zum Leben< unter das Verdikt des bloßen Scheins; sie ist eine der verbliebenen Illusionen, die der Autor zu überwinden behauptet. »Philipp Mainländer ... hat den metaphysischen Pessimismus auf die Spitze getrieben und dabei moralische Forderungen abgeleitet, die noch weiter von den Konventionen seiner Zeitgenossen entfernt sind als diejenigen Schopenhauers.«174 Immerhin befaßt sich Mainländer dezidierter als seine Vorgänger mit den konkreten gesellschaftlichen Problemen der Gegenwart. Dabei macht er die kapitalistische Wirt1 6 9 1.
c. p. 3 4 6 . c. p. 3 3 5 . cf. hierzu Gräfrath, Pessimismus p. 2 2 0 . Mainländer, Die Philosophie der Erlösung Bd. I p. 3 5 1 . 1. c. p. 3 4 4 sq. Gräfrath, Pessimismus p. 2 1 1 .
1 7 0 1. 171 172 173 174
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schaftsstruktur als eine der wichtigsten Ursachen für die Nöte seiner Zeitgenossen aus. Das »Capital«, so Mainländer, sei der »kälteste und schrecklichste aller Tyrannen«; seine einzelnen Handlanger benähmen sich schlimmer noch als die antiken Sklavenhalter, die die Objekte ihrer Ausbeutung zumindest in Zeiten der Not nicht einfach entlassen hätten. 175 Während Hartmann gegen die »nackte Bestialität der Socialdemokratie« polemisiert hatte, trägt sich Mainländer ernsthaft mit dem Gedanken, die »sozialdemokratische BahnTand< erklärten höheren Töchter zu danken zu haben, daß sie dazu herhalten müssen, auch die Unterschichten von Mainländers Philosophie zu überzeugen. Deren Position ist in jedem Falle klar genug: Nicht nur unter den gegenwärtigen Umständen ist dem einzelnen der Zugang zum Glück verwehrt, vielmehr ist überhaupt keine Verfassung von Staat und Gesellschaft denkbar, in der dies möglich wäre. Selbst einsehen werde die Menschheit dies aber erst dann, wenn jene primären Bedürfnisse erfüllt seien, denen sie in der Gegenwart noch nachjage: »Satt von allen Genüssen, welche die Welt bieten kann, müssen erst alle Menschen sein, ehe die Menschheit reif für die Erlösung werden kann, und da ihre Erlösung ihre Bestimmung ist, so müssen die Menschen satt werden.«184 Das Verlangen nach einer Befriedigung körperlicher Bedürfnisse kann im übrigen nur der haben, dem die Erkenntnisse der Mainländerschen Philosophie noch fremd sind. Wer sich diese Einsichten dagegen zu eigen gemacht hat, der weiß, daß das Streben nach irdischem Glück sinnlos ist. Er wird selbst zur >Erlösung< beitragen, indem er seinen eigenen >Willen zum Leben< zu überwinden sucht. Mainländer propagiert in diesem Zusammenhang ein rigides Keuschheitsgebot, eine Forderung, die Nietzsche mit einer Polemik gegen »den süsslichen Virginitäts-Apostel Mainländer«185 beantwortet hat. Gleichzeitig rechtfertigt Mainländer den Selbstmord, der ihm als eine völlig legitime Abkürzung des irdischen Leidensweges erscheint: »Geht ohne Zittern, meine Brüder, aus diesem Leben hinaus, wenn es zu schwer auf euch liegt«. 186 Geradezu emphatisch tritt der Autor für diese Konsequenz ein, die er selbst unmittelbar nach Vollendung des zweiten Bandes seiner Philosophie gezogen hat: »Derjenige hingegen, welcher sich ... vom Leben abwenden mußte, ... geht, ... auf dem kurzen Pfad der Erlösung: vor ihm liegt in goldenem Lichte die Höhe, er sieht sie und er wird sie erreichen.« 187 So mag also der Fortschritt das Los der Menschheit bessern - niemals, so behauptet Mainländer, könne jener >Wille zum Tode< überwunden werden, der das Schicksal des Kosmos beherrscht. Sichtbar wird hier, daß auch bei Mainländer historische Erfahrungen nur eine Nebenrolle spielen, beruft sich seine Konzeption doch im wesentlichen 182 183 184 185 186 187
ibd. cf. 1. c. p. 3 0 8 . ibd. Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. III p. 6 0 1 . Mainländer, Die Philosophie der Erlösung Bd. II p. 2 1 8 . 1. c. Bd. I p . 3 4 7 .
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auf metaphysische Prinzipien. Der Vergleich mit der traditionellen Metaphysik demonstriert gleichzeitig den auch von Mainländer vollzogenen Perspektivwechsel: Konnte dort das individuelle Elend gegenüber der Wohlfahrt des Ganzen marginalisiert werden, so wird hier noch der unbestrittene historische Fortschritt als Erscheinungsform des Verfalls interpretiert, und zwar deshalb, weil er den Glücksansprüchen des einzelnen nicht gerecht zu werden vermag. Sichtbar wird damit auch eine massive Erhöhung des >Anspruchsniveauswahre Glück< stellt. Vor allem Mainländers Zuversicht, daß sich der >ideale Staat< verwirklichen lasse, ist ein Grund mehr, den Pessimismus nicht auf die direkten Erfahrungen der Zeitgenossen, sondern auf die skizzierte langfristige Dynamik der Geistesund Wissenschaftsgeschichte zurückzuführen. Offenkundig, daß Mainländer mit seinem pessimistischen Radikalismus die hier vorgestellte Tradition nahtlos fortsetzt. Ähnliches gilt für die Tendenz zur Stilisierung des Grauens; ausdrücklich spricht er von der >dämonischen Schönheit< des bösen Prinzips, das »in jedem Menschen eine Saite sympathisch ertönen« lasse. 188 Mainländer weiß daher die Leiden der Verdammten seinen Lesern plastisch vor Augen zu führen: »Leben ist Qual. Durch Tausende von Jahrhunderten mußten sie, als hungriger Wille zum Leben ... ruhelos vorwärts, immer die Peitsche im Nacken fühlend, gestoßen, getreten, zerfleischt, denn es fehlte ... das befreiende Princip« 189 - eben die Einsicht nämlich, die seine eigene Philosophie propagiert. Mainländer vermeidet die heroischen Gesten, mit denen Schopenhauer, Hartmann und Nietzsche den eigenen Anspruch auf genuine Erkenntnis unterstrichen hatten, doch auch er begreift sich als >WeiserWidersinnigkeit< gegenüber in ihre logische Neutralität mit einem Non liquet zurückziehen, um mittels solcher Skepsis sich den Boden freizuhalten für ihr eschatologisches Dogma von der absoluten Ewigkeit des Willenswesens.« 209 Man mag hinter Bahnsens Rede vom >eschatologischen Dogma< leise Selbstzweifel vermuten, in jedem Falle aber zeigt sich hier wieder recht deutlich, daß auch diese Theorie nicht als Reflex auf die zeitgenössische Realität aufgefaßt werden kann: Die Behauptung, die Realdialektik gründe auf reinen Tatsachen, ist - ähnlich wie bei Hartmann - weniger eine zutreffende Beschreibung der eigenen Methode als vielmehr ein Versuch der Akkommodation an das Bewußtsein der Zeitgenossen. Für die »Wahrheit des realdialektischen Pessimismus«, so konstatiert Bahnsen denn auch, komme es »nicht so sehr auf ein ängstliches Abwägen des Mehr oder Minder von Gut und Uebel« an. Wichtiger als derlei empirische Befunde sei die metaphysische »Einsicht, ... dass die Welt vermöge der dira necessitas dupliciter volendi i. e. essendi eine andere gar nicht sein kann, als welche sie ist, und an dieser Seinsnothwendigkeit keine Denknothwendigkeit ... etwas zu ändern im Stande ist«.210 Nicht aufgrund einer historischen Krise hüllt sich »dem realdialektisch dreinschauenden Auge Alles ringsumher in das schwärzliche Grau einer geistig vollzogenen Götterdämmerung«, 211 sondern deshalb, weil Bahnsen, ähnlich wie Schopenhauer und Hartmann, seine pessimistische Wirklichkeit ganz bewußt aus einer spezifischen metaphysischen Perspektive konstruiert, und so verrät denn auch das Ergebnis dieser Bemühungen mehr über die Intentionen des Autors als über die historische Situation, die er zu beschreiben behauptet. Bezeichnenderweise findet sich zudem bei Bahnsen die für den sekundären Pessimismus< typische Pose des heroischen einzelnen, der die reine Wahrheit gegen die Masse der Ignoranten verteidigt. Es sind »Heldengeister, die sich getrauten, dem Ver207
1. c. 1. c. 209 1. c. 210 1. c. 211 1. c. 208
p. p. p. p. p.
92. 96. 244. 51. 81.
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Pessimismus
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nichtungsgedanken ins Angesicht zu schauen und es gelernt hatten, einen Gott zu entbehren als Garanten ihrer Hoffnungen wie als Lenker ihres Wollens«. 2 1 2 Bahnsen vergißt dabei nicht, den Zusammenhang von Leid und Heroismus hervorzuheben: Der wahre Held muß »das vergangene Leid ... überstanden haben - das gegenwärtige aushalten - das zukünftige nicht scheuen«. 2 1 3 So gerüstet, kann der pessimistischen Heldenseele nicht mehr viel passieren: »Der Held schreitet mit der Selbstgewissheit und Selbstverantwortlichkeit eines Gottes hin durch die Reihen der geknechteten, im Staube knieenden Geister und steht niemand Rede als dem eigenen Gewissen.« 2 1 4 Heroisch sei der Pessimismus schon deshalb, weil er »Jahrtausende alten Traditionen zuwiderläuft, so will jeder Schritt vorwärts in Fechterposition erkämpft sein«. 2 1 5 Es ist jedoch nicht allein das schon von Nietzsche bekannte Pathos des einsamen Helden, das Bahnsen hier mobilisiert; zum Ausweis der Wahrheit kann dieser Heroismus nur werden, weil er gleichzeitig mit den Anspruch auftritt, die eigenen Interessen der Erkenntnis zuliebe zu ignorieren, das Leid um eines höheren Gutes willen in Kauf zu nehmen. Der Umkehrschluß ist klar: Ähnlich wie Nietzsche und Hartmann behauptet Bahnsen, daß der Optimismus reines Wunschdenken sei; er entspreche dem zwar verständlichen, aber dennoch irreführenden »Bedürfnis, die Welt für vernünftig halten zu können«. 2 1 6 Nur deshalb fänden die Gegner des Pessimismus sich mit der Welt ab, »weil sie des Muthes baar sind, offenen Auges hinabzublicken in die Tiefen all des hoffnungslosen Jammers, ... und die deßhalb von jeder enthüllten Selbsttäuschung in eine andere sich stürzen, weil sie nach ihrem eigenen naiven Bekenntniß, es sonst nicht >aushielten zu lebengroß vorzukommen^ ihr »mit einigem guten Willen zu beseitigendes Unglück als den Erweis dafür an, daß die vorhandene Welt die möglichst schlechteste aller möglichen Welten ist«.1 Lagarde benennt damit ein zentrales Moment des sekundären Pessimismusepochemachender Individualitäten in der Literatur und zuletzt darauf, daß »die bildende Kunst... doch der Monumentalität« 3 entbehre. Sieht man einmal ab von der Frage, welcher Kunstverstand sich hinter der Klage über das Fehlen von Monumentalität verbirgt, so zeigt die Bemerkung des als >tiefsinnig< geltenden Autors doch zumindest, daß die Verfallsvorstellungen zumindest im Kreise seiner Rezipienten so weit verbreitet waren, daß eingehendere Begründungen sich offenbar erübrigten.
1 2 3
Lagarde, Deutscher Glaube p. 69. Langbehn, Rembrandt als Erzieher p. 1. ibd.
Kulturpessimismus
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Dekadenz Grund dafür war selbstverständlich nicht allein der philosophische Pessimismus. Der Begriff >Dekadenz< hat eine wesentlich längere Geschichte. Schon 1694 taucht er in Boileaus REFLEXIONS CRITIQUES auf,4 1734 findet er sich im Titel von Montesquieus CONSIDERATIONS SUR LA GRANDEUR DES ROMAINS ET LEUR DECADENCE, später d a n n in G i b b o n s HISTORY OF THE DECLINE AND FALL OF THE ROMAN EMPIRE ( 1 7 7 6 - 1 7 8 8 ) .
Die Vorstellung, daß es sich hier nicht nur um ein historisches Phänomen, sondern auch um ein Problem der Gegenwart handle, verstärkt sich in Frankreich in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts.5 Hieraus entsteht dann »zwischen 1850 und 1870 ... der Gedanke, ... die Nation sei im Niedergang begriffen«,6 eine Vorstellung, die relativ schnell auch in Deutschland aufgegriffen wurde. Naheliegend ist dabei wieder der Gedanke, daß es sich hier um eine Reaktion auf historische Erfahrungen handle. Dagegen spricht jedoch bereits die Beobachtung, daß die romantische Dekadenzstimmung ihren Höhepunkt »gleichzeitig mit dem Zivilisationsoptimismus Hugos, Lamartines und Michelets« erreichte. »Die römische Kaiserzeit wurde nicht nur ein überhistorisches Paradies der Wollust, sondern auch die historische Vorgängerin der Dekadenz des 19. Jahrhunderts, die man in sich erlebte.«7 Bezeichnenderweise sind es die Gegner Napoleons, die dessen Vergleich mit der Größe Roms durch einen Verweis auf den Niedergang beantworten, der auch den eigenen Zeitgenossen drohe: »Die Behauptung von der französischen Dekadenz ist zuerst von der Opposition des zweiten Kaiserreichs aufgestellt worden. Sie hat also von Anfang an eine polemische, wo nicht agitatorische Färbung. Und das ist auch in der Folgezeit so geblieben.«8 Tatsächlich galt jene Periode Roms nicht nur als Zeit des Niedergangs vitaler Energien, sondern auch als Gipfel der Zivilisation und Kultur, vor allem aber als Höhepunkt imperialer Prachtentfaltung. Diese Ambivalenz von Niedergang und Größe, läßt sich immer wieder in den literarischen Formen der Decadence beobachten, bei Huysmans ebenso wie in Thomas Manns BUDDENBROOKS; ausdrücklich thematisiert wird sie spätestens in Paul Bourgets Essay über Baudelaire, der »zum ersten Mal die beiden Aspekte der Dekadenz, Kraftabnahme und Zuwachs an seelischen und künstlerischen Werten« gegeneinander abgrenzt:9 »Das Phänomen des Verfalls ist ... in der Sicht des Fin de siecle
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5
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»... nostre mollesse et ... nostre luxe ... qui sont pourtant l'origine de tous les vices, ainsi que Longin le fait voir dans son dernier Chapitre, oü il traite de la decadence des Esprits.« Boileau, CEuvres p. 5 3 4 sq. (REFLEXIONS CRITIQUES); cf. Rehm, Der Untergang Roms p. 87. »Indem sich aber [in Frankreich ca. 1 8 3 0 ; M. P.] die Vorstellung immer mehr einbürgerte, daß die römische Geschichte zwei große Entwickungsabschnitte habe, eine Periode des Aufstiegs und eine der Dekadenz, mit dem Höhe- und Wendepunkt etwa zur Zeit des Augustus, und daß nicht nur die politischen Ereignisse, sondern auch alles andere sich diesem Schema einordnete, wurde man auch auf die Gemeinsamkeiten zwischen der eigenen Epoche und der Kaiserzeit aufmerksam.« Ross, Das Bild der römischen Kaiserzeit p. 6 7 . Curtius, Entstehung und Wandlung p. 4 1 . Ross, Das Bild der römischen Kaiserzeit p. 6 8 . Curtius, Entstehung und Wandlung p. 4 3 . Ross, Das Bild der römischen Kaiserzeit p. 86. Beobachten läßt sich diese Ambivalenz auch im Selbstverständnis von Autoren, die sich dieser Richtung zuordnen: »Es gehört zum Be-
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Pessimismus
im 19.
Jahrhundert
doppelwertig. Es trägt die Farbe der Melancholie und Resignation, aber zugleich wird Decadence auch als etwas Erlesenes, Auszeichnendes empfunden, als Vergeistigung, Erhöhung der Sensibilität, Empfänglichkeit für künstlerische Werke, Fähigkeit der Erkenntnis.« 1 0 Wirksam ist in den Darstellungen des Verfalls zudem jene Faszination des Schrecklichen, die auch die Werke der Pessimisten bestimmt. Im Mittelpunkt von Victor H u g o s DECADENCE DE ROME etwa steht »das T h e m a des Untergangs und der Vergänglichkeit, ... das durch die Bilder von Fäulnis und Verwesung verdeutlicht wird. Von der Orgie steigt Grabesgeruch auf, während es von dem Zirkus heißt: >Ce charnier de geants semblait fait pour pourrir le squelette du monde.«< n H u g o rechtfertigt diese Vorliebe im Vorwort zum CROMWELL: »Das Schöne hat nur einen Typus, das Häßliche tausend.« 1 2 Gegen Ende des Jahrhunderts verwenden Autoren wie Verlaine den zunächst polemisch gebrauchten Begriff der >Dekadenz< zur Selbstcharakterisierung einer nachklassischen Kunst und Literatur; bezeichnenderweise wird dabei die Vorstellung des Verfalls aber zunächst ausgespart. Für Verlaine beispielsweise steht die Dekadenz »ganz im Gegenteil für raffinierte Gedanken von äußerster Kultiviertheit, für eine hohe literarische Bildung und für einen Geist, der intensiver Leidenschaften fähig ist.« 13
Lasaulx und Burckhardt Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Verbreitung der Dekadenzvorstellung kam selbstverständlich historischen Untersuchungen zu. In der deutschen Diskussion spielten geschichtsphilosophisch argumentierende Kulturzyklentheorien eine besondere Rolle wie etwa der NEUE VERSUCH EINER PHILOSOPHIE DER GESCHICHTE des Ernst von Lasaulx. Lasaulx postuliert, daß »alle diese menschlichen Gebilde und Lebensformen ... als solche ein besonderes ihnen eigenthümliches Leben« hätten, »welches nach biologischen Gesezen sich entwickelt, wächst, blüht, seinen Höhepunkt erreicht, und wenn es den erreicht und seine Idee vollständig verwirklicht hat, allmälig wieder abstirbt«. 1 4 Staaten und Nationen existieren vermöge einer >LebensenergieMassenmedien< und schließlich der Ausweitung des Wahlrechtes die Vorstellungen, Interessen und Ansprüche von Bevölkerungsschichten ins Bewußtsein traten, die bislang einfach ignoriert werden konnten. Eben jene Ansprüche und Vorstellungen, die bislang das Privileg einer Minderheit waren, konnten plötzlich auch von größeren Schichten geltend gemacht werden. Im Grunde genommen wenden sich die Kulturpessimisten mit ihrer Polemik gegen die Massenkultur also gegen eine Entwicklung, aus der sie selbst hervorgehen. Deutlich wird diese Verschränkung auch an einzelnen Kritikpunkten. So stellt die Öffentlichkeit als eines der zentralen Organe von Demokratie und Massengesellschaft ein bevorzugtes Angriffsziel der Kulturpessimisten dar, obwohl ihre eigenen Schriften ohne die Öffentlichkeit und das Massenpublikum, das sie trug, niemals erschienen wären. Ähnliches gilt für die Kritiker selbst, die ihren sozialen Status als unabhängige Intellektuelle eben dieser Öffentlichkeit oder aber - wie etwa Schopenhauer und Hartmann - einem Rentiersdasein verdanken, das nur unter den Bedingungen der kritisierten modernen Produktionsverhältnisse möglich ist. Bemerkenswerterweise hat denn auch die Popularität ihrer Schriften ihren Grund nicht nur in dem kaufmännischen Geschick ihrer Verleger, sondern auch in der Unterstützung eben jener Presse, 42 deren Vertreter gerne als »Sclaven ... des Moments, der Meinungen und der Moden« 4 3 attackiert werden. Keineswegs soll damit den Pessimisten ein Mangel an Konsequenz vorgerechnet werden. Entscheidend ist vielmehr die Einsicht, daß diese Autoren mit ihrer demonstrativen Unabhängigkeit von den staatlichen, religiösen, gesellschaftlichen und in der Regel auch von den akademischen Institutionen geradezu paradigmatisch den Typus des in der Öffentlichkeit agierenden, modernen Intellektuellen repräsentieren, dessen Existenzgrundlage sie so entschieden kritisieren. Gerade in der Radikalität ihrer Abrechnung mit dem Bestehenden und in der Heroisierung der Rolle des einzelnen, der sich - zuweilen in spektakulärer Form - von allen Konventionen und Illusionen lossagt, markieren sie eine paradigmatische Form des modernen Intellektualismus. Sie stehen dabei gleichzeitig für eine entschiedene Erweiterung des Spielraums der öffentlichen Diskussion, die sich hier von der Verpflichtung befreit, die eigenen Vorstellungen innerhalb jenes Rahmens zu formulieren, den die überkommenen gesellschaftlichen Institutionen vorgegeben hatten. Die Pessimisten vollziehen einen radikalen Bruch mit den Autoritäten in Kirche, Staat und Geistesgeschichte, indem sie die bis dahin sorgsam verhüllte oder auch nur übersehene Nachtseite der Dinge ins Blickfeld rücken. 4 4 Zweifellos haben sie unrecht, wenn sie diese Perspektive zur allein maßgebli42
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cf. Wundt, Philosophy in Gemany p. 5 0 5 ; Hartmann führt beispielsweise im Vorwort zur siebten Auflage der PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN mehrere Journalisten als die ersten Parteigänger seiner Lehre auf. Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. VII p. 8 1 7 . »Die Ambivalenz der pessimistischen Kulturkritik hebt auch Bollenbeck hervor: »Man soll es sich mit der Rede vom »kulturkritischen Verblendungszusammenhang« nicht zu leicht machen. Die pessimistische Kulturkritik erweist sich da als scharfsichtig, wo sie anspruchsvoll im Namen von echter >Bildung< und >Kultur< einzelne Phänomene brandmarkt. ... Der ver-
Kulturpessimismus
153
chen Wahrheit erklären; dennoch machen sie im Einzelfall vielfach wichtige Beobachtungen und erleichtern es zudem ihren Nachfolgern, eine unabhängige Position jenseits von bloßer Affirmation oder reiner Ablehnung zu gewinnen.
breiteten Klage über den Substanzverlust des Geistes, über die fehlende integrierende >BildungKulturkritikVulgäridealismus< (F. Stern) beurteilt nicht die Moderne, sondern verurteilt sie.« Bollenbeck, Bildung und Kultur p. 280.
Pessimismusdebatte
Neben dem kulturkritischen und dem metaphysischen Pessimismus entwickelte sich in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts schließlich noch eine dritte, populäre Form des Pessimismus. Nach der Veröffentlichung von Hartmanns PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN kam es in Broschüren und Pamphleten, aber auch in neugegründeten Zeitschriften wie der GEGENWART, der GESELLSCHAFT, der DEUTSCHEN REVUE oder der DEUTSCHEN RUNDSCHAU zu einer lebhaften Debatte über dieses Thema, an der neben den Protagonisten des Pessimismus auch Autoren wie Georg Simmel, Johannes Volkelt oder Friedrich Theodor Vischer teilnahmen.
Pessimismus und
Weltschmerz
Wenn hier zunächst einige Aphorismensammlungen und populärwissenschaftliche Schriften vorgestellt werden, dann nicht allein deshalb, weil sie einen der Bezugspunkte der Pessimismuskritik bilden. Es kommt hinzu, daß dieses Genre, das mit einer ernsthaften philosophischen Diskussion herzlich wenig im Sinne hat, doch einige der Motive besonders anschaulich zutage treten läßt, die auch in den metaphysischen Systementwürfen wirksam sind. Von besonderem Interesse ist dabei eine Aphorismensammlung, die einer der Theoretiker des metaphysischen Pessimismus veröffentlicht hat: Julius Bahnsens 1879 anonym erschienenes PESSIMISTENBREVIER, das die Neigung des Autors zur effektvollen Inszenierung der schrecklichen Wirklichkeit erkennen läßt. Besonders deutlich sichtbar ist diese Tendenz bezeichnenderweise dort, wo Bahnsen die Authentizität seiner Beobachtungen beschwört: »Wem seine Eingebungen nicht zufließen aus einem Born, welcher in tiefinnerstem Grunde zusammensickerte aus unzähligen Tropfen selbsterlebter Trübsal oder wer nicht schöpfte aus dem Schatze schwererkaufter Erinnerungen, der bietet Euch, im Solde des Mammon, das ekelhafte, erschlaffende Gebräu künstlicher Bitterwasser aus schmutzigen Laboratorien, statt, ohne Entgelt, magenstärkende, frische Destillate aus den natürlichen Wermuthmagazinen des Lebens, oder hält Glasperlen feil statt echter Thränen.« 1
1
Bahnsen, Pessimisten-Brevier p. VI.
Pessimismusdebatte
155
Das Leid stärkt nicht nur den Magen, sondern auch das Selbstbewußtsein: wer es nicht erfahren hat, der ist seiner offenbar unwürdig: »Nur wem ein nach so mancherlei Richtungen durch nicht ganz alltägliche Heimsuchungen ausgezeichneter Lebensgang mit all seinen Schmerzerträgen beschieden, wem das Rad des Verhängnisses heute mit diesem, morgen mit jenem Zahn ein Stück vom Knochengerüst seiner Seele bei lebendigem Leibe zermalmt hat, mag sich dessen getrösten: damit weiht die verschleierte Muse der Weltnänie Dich wiederum ein in eines ihrer Geheimnisse, deren sie nimmer würdigt den profanen Haufen, auf dessen platte Schädel niemals vom Weihwedel ein Tropfen Opferbluts sprühte und dessen Mund keiner der Seraphim je rührete mit der glühenden Kohle.« 2 Kaum weniger unbefangen als Nietzsche, dazu aber mit einer zuweilen entwaffnenden Naivität plaudert Bahnsen über die Geheimnisse des sekundären PessimismusKrisenhypotheseZeit des Epos< nach, in der »der Sternenhimmel die Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege« 6 war; einer Zeit, in der Gott noch nicht die Welt verlassen hatte, und die »nur Antworten, aber keine Fragen, nur Lösungen, ... aber keine Rätsel«7 gekannt habe. Lukäcs wird diese Position der THEORIE DES ROMANS im Rückblick später als >ethisch gefärbten Gegenwartspessimismus< bezeichnen; 8 doch es sieht so aus, als würde hier, anders als in den bislang vorgestellten pessimistischen Entwürfen, nicht die Aufhebung alter Bindungen, sondern deren Restitution befürwortet. Lukäcs ist weit entfernt vom heroischen Gestus der Schopenhauer, Nietzsche und Hartmann; er scheint sich nicht als Protagonist der Emanzipation von überlebten Traditionen zu begreifen, sondern als Opfer einer Modernität, die den »tragenden und positiven Sinn«9 verloren hat. Verbürgt waren diese Sicherheiten durch die Religion; Lukäcs verweist hier auf die »Totalität der Danteschen Welt«, deren Sinn durch die Transzendenz gestiftet wird: »Jenseits dieser Welt findet jeder Verirrte seine auf ihn von Ewigkeit her wartende Heimat; jeder hier einsam verklingenden Stimme harrt dort der Chorgesang, der ihren Ton aufnimmt, zur Harmonie führt und durch sie zur Harmonie wird.« 10 Fraglich ist daher, ob Lukäcs' Position nicht der hier vertretenen Charakteristik des Pessimismus widerspricht. Nun wäre es zweifellos naiv, wollte man erwarten, daß eine so heterogene Tradition wie die des Pessimismus auf einen allen Autoren gemeinsamen, eindeutig bestimmbaren Komplex von Motiven zu reduzieren sei. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Gemeinsamkeiten, die es erlauben, diese Autoren unter der Kategorie des >Pessimismus< zu versammeln, zunächst nicht auf einen stringenten argumentativen Verweisungszusammenhang, sondern auf einen Komplex von radikalen Werturteilen, auf rhetorische und argumentative Strategien zurückgehen, die sich auf recht unterschiedliche Gegenstände beziehen können. Als eines der wesentlichen Kriterien dafür, daß hier dennoch von substantiellen Ubereinstimmungen und nicht nur vom gemeinsamen Gebrauch eines bestimmten Vokabulars gesprochen werden kann, war bislang der Perspektivwechsel zugunsten des Subjekts benannt worden. Die oben dargestellte Neigung zur Restitution alter Bindungen könnte daher Zweifel aufwerfen, ob der junge Lukäcs überhaupt dieser Tradition zugerechnet werden kann. Eine genaue Auseinandersetzung mit dessen THEORIE DES ROMANS zeigt aber, daß der Autor sich cf. Lukäcs, Notizheft Ν VII, Lukäcs-Archiv, Budapest LAK 5 4 3 p. 167 sq. Lukäcs, Die Theorie des Romans p. 21. 7 1. c. p. 23. 8 1. c. p. 12. 9 1. c. p. 26. 1 0 1. c. p. 50. 5 6
166
Pessimismus nach der
Jahrhundertwende
durch sein sentimentales Verhältnis zu den >metaphysisch überwölbten Zeiten« nicht den Blick für den emanzipatorischen Charakter eben der Entwicklung rauben läßt, die jene Sinnstiftungen zerstört hat. Lukäcs mag sich nach den vermeintlich seligen Zeiten des Griechentums zurücksehnen; gleichzeitig ist ihm jedoch - zumindest an diesem Punkt seiner Entwicklung noch - klar, daß seine eigene Rolle darin besteht, eben die Fragen zu stellen, die den Griechen vor lauter Antworten angeblich nicht in den Sinn kamen: »Der Kreis, in dem die Griechen metaphysisch leben, ist kleiner als der unsrige: darum können wir uns niemals in ihn lebendig hineinversetzen: besser gesagt: der Kreis, dessen Geschlossenheit die transzendentale Wesensart ihres Lebens ausmacht, ist für uns gesprengt; wir können in einer geschlossenen Welt nicht mehr atmen. Wir haben die Produktivität des Geistes erfunden.« 11 Erkennbar wird hier, daß sich auch bei Lukäcs der oben skizzierte Perspektivwechsel vollzieht: Auch für die THEORIE DES ROMANS steht das Subjekt im Fluchtpunkt der Argumentation. Trotz aller wehmutsvollen Rückblicke auf Epochen, denen diese Form der Subjektivität fremd war, beharrt Lukäcs darauf, daß in der Gegenwart jene >objektiven< Maßstäbe ihr Recht verloren hätten. »Wir haben in uns die allein wahre Substanz gefunden; darum mußten wir zwischen Erkennen und Tun, zwischen Seele und Gebilde, zwischen Ich und Welt unüberbrückbare Abgründe legen und jede Substantialität jenseits des Abgrunds in Reflexivität zerflattern lassen.«12 Der junge Lukäcs meidet die spektakulären Posen Nietzsches oder Hartmanns, in der Sache jedoch begründet auch er die eigene Position aus der Perspektive des einzelnen. Deutlich wird dies an seinen Überlegungen zur Rolle des Essayisten, also eben zu der Rolle, die Lukäcs zu dieser Zeit selbst einnimmt. Der Essayist, so heißt es in seiner programmatischen Schrift über dieses Genre, müsse sich »auf sich selbst besinnen, sich finden und aus Eigenem Eigenes bauen. ... Es wäre beinahe richtig zu sagen: er nimmt es sich; aus sich heraus erschafft er seine richtenden Werte.« 13 Die Konsequenz dieses Postulates läßt sich wiederum in der THEORIE DES ROMANS beobachten: Deren gnostischer Pessimismus beruft sich nämlich vor allem darauf, daß die zeitgenössischen Institutionen dem Subjekt - oder in Lukäcs' Terminologie: der >Seele< - nicht gerecht werden könnten. Besonders plastisch tritt dieser Zusammenhang wohl an einer der bekanntesten Passagen dieses Essays zutage. Als »ein erstarrter, fremdgewordener ... Sinneskomplex«, ja als »Schädelstätte vermoderter Innerlichkeiten« erweisen sich die von Lukäcs zur >zweiten Natur der Menschengebilde< erklärten gesellschaftlichen Institutionen eben deshalb, weil sie allein ihren eigenen Gesetzen folgen und damit der >Seele< fremd geworden sind. »Sie bilden die Welt der Konvention: eine Welt, ... die aber bei all ihrer Gesetzmäßigkeit sich weder als Sinn für das zielsuchende Subjekt noch in sinnlicher Unmittelbarkeit als Stoff für das handelnde darbietet. Sie ist eine zweite Natur; wie die erste nur als Inbegriff von erkannten, sinnesfremden Notwen-
11
I.e. p. 25. 1. c. p. 26. 13 Lukäcs, Die Seele und die Formen p. 28. 12
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digkeiten bestimmbar und deshalb in ihrer wirklichen Substanz unerfaßbar und unerkennbar.« 14 Die Affinität des jungen Lukäcs zu der hier verfolgten Tradition läßt sich zudem daran ersehen, daß er auch für die Zukunft nicht mit einer positiven Entwicklung im Sinne eines graduellen Fortschrittes rechnet. Er verfällt dabei aber nicht in den Nihilismus Hartmannscher oder Mainländerscher Prägung, vielmehr akzentuiert er ähnlich wie später Ernst Bloch jenes soteriologische Moment, daß in der pessimistischen Tradition zwar angelegt ist, in der Regel jedoch von den nihilistischen Tendenzen verdeckt wird. Immerhin ist ja auch bei Mainländer und Hartmann von >Erlösung< die Rede, doch die endgültige Überwindung des Leids bedeutet bei ihnen gleichzeitig die Vernichtung des Kosmos. Erkennbar ist dieser Zusammenfall von Nihilismus und Soteriologie bereits bei Schopenhauer: Das >Nichtsfreche Mode< zwischen den Menschen festgesetzt haben.« 16 Derartige Umbruchsvorstellungen sind das positive Korrelat der radikalen Kritik: Sie bilden eine Kontrastfolie, vor der die Mängel der Gegenwart noch deutlicher sichtbar werden. Anders als in den traditionellen Fortschrittsvorstellungen kann dieses Reich der Hoffnung nicht mehr aus einer graduellen Entwicklung hervorgehen, sondern allenfalls aus einem Umbruch, der das schlechte Bestehende vernichtet. Lukäcs selbst findet denn auch lange nach seiner Wende zum Sozialismus, die seine >pessimistische< Phase beendet, in der T H E O R I E D E S R O M A N S einen »höchst naiven und völlig unfundierten Utopismus«, der das Kommen einer >neuen Welt< erwartet habe. 17 Tatsächlich spricht die T H E O R I E D E S R O M A N S von einem »metaphysischen Akt einer Wiedererweckung des Seelischen«, 18 einer Art Erlösung, die in den Künsten vorbereitet werde. Hier kann sich die »Heimkehr des Subjekts in sich selbst«, vollziehen, die »in der Erinnerung aufdämmernde, aber erlebte Einheit von Persönlichkeit und Welt«. 19 Vor allem in den Werken Dostojewskis glaubt Lukäcs die »Anzeichen eines Kommenden« zu finden, das aber »noch so schwach ist, daß es von der unfruchtbaren Macht des bloß Seienden wann immer spielend erdrückt werden kann«. 20 Läßt Lukäcs somit noch Restbestände der »Negativen Theologie< Schopenhauerscher Provenienz erkenLukäcs, Die Theorie des Romans p. 53. cf. Frank, Der kommende Gott p. 13, Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne p. 114. 1 6 Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. I p. 29. 1 7 Lukäcs, Die Theorie des Romans p. 14. 1 8 1. c. p. 55. 1 9 1. c. p. 114. 2 0 1. c. p. 138. 14
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nen, so ist doch gleichzeitig der Wille erkennbar, den Begriff der Erlösung zu säkularisieren und ihm - ebenso wie dem Pessimismus selbst - eine historische Bedeutung zu geben: Lukäcs' weitere Entwicklung wird in genau diese Richtung führen.
Ernst Bloch Lukäcs' intellektuelle Biographie nimmt damit einen ähnlichen Verlauf wie die seines zeitweiligen Weggefährten Ernst Bloch, in dessen Erstlingswerk sich die Gewichte allerdings noch weiter vom Pessimismus zum utopischen Denken verschieben. Später dann wird sich Bloch zu einem >Optimismus mit Trauerflor* bekennen.21 Im GEIST DER UTOPIE aber, einem Werk mit deutlichen gnostischen Strukturen,22 spricht er angesichts der Gegenwart noch von einem »blinden leeren Zufallsgeschiebe*.23 Die Natur gilt ihm als ein »Schutthaufen des Irrtums«24 und die Welt als ein »Beinhaus«:25 »Wir schwanken gegenwärtig in der größten Verdunklung, ... die jemals in der Geschichte vorkam.«26 Geradezu lustvoll beschreibt Bloch, »was uns hier in seiner stümperhaften und dann rachsüchtigen Hand hat: hemmend, verfolgend, verblendend, die Spinne, das Fressen und Gefressenwerden, der Giftskorpion, der Würgeengel, der Zufalls-, Unfalls-, Todesdämon, die Heimatlosigkeit alles Sinnvollen, der Mordgestank der Menschheit«.27 Es ist daher nur konsequent, wenn Bloch ähnlich wie Lukäcs die Vorstellung ablehnt, ein historischer Fortschritt könne aus dieser katastrophalen Lage herausführen. Eine grundsätzliche Besserung läßt sich nur denken, wenn zuvor das schlechte Bestehende zerstört worden ist, und Bloch läßt es sich nicht nehmen, diesen apokalyptischen Umbruch nach allen Regeln der Kunst in Szene zu setzen: »In Explosion fliegt auf das Draußen, in den Weg Gestelltes, Satan der Todesdämon, das krustenhafte Ritardando der Welt, alles, was nicht von uns, von dem vielen Einzelnen, sich Erhoffenden, von unserer himmlischen Herrlichkeit ist oder sie gar hindert.«28 Hinter Blochs expressionistischem Wortschwall sind die zwei zentralen Kennzeichen des »sekundären Pessimismus* zu erkennen: Weniger auffällig vielleicht zunächst die Tendenz zur >SelbstermächtigungWelt der Seele* dem schlechten Bestehenden entgegenstellt. Unverkennbar ist in jedem Falle die Faszination des Schrecklichen, die auch an anderen Stellen des Buches immer wieder sichtbar wird. Die Vermutung, daß hier inszenatorische Momente eine wichtige Rolle spielen, läßt sich mit einem Brief Blochs untermauern. Ursprünglich war der GEIST DER UTOPIE wohl nach dem Vorbild von Lukäcs' Band DIE SEELE UND DIE FORMEN - als eine lose Essaysammlung geplant, die noch so unverfängliche Werke enthielt wie eine Schrift
21 22 23 24 25 26 27 28
Bloch, Tübinger Einleitung p. 2 4 1 . cf. Pauen, Dithyrambiker des Untergangs p. 1 9 9 - 2 5 4 . Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 2 3 ) p. 3 5 6 . Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 6 4 ) p. 3 4 2 . Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 2 3 ) p. 3 5 6 . 1. c. p. 2 1 2 . Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 1 8 ) p. 4 4 1 . Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 2 3 ) p. 3 6 3 .
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ÜBER DIE MELODIE IM KINO oder einen Aufsatz mit dem Titel NEGERPLASTIK.29 Erst recht spät gibt der Autor die Idee einer bloßen Sammlung von Essays auf, und es ist nicht zuletzt die apokalyptische Inszenierung, die ihm helfen soll, aus der Sammlung ein geschlossenes Werk zu machen: »Übrigens, das Buch jetzt völlig umdisponiert; es ist ganz einheitlich alles vom Ornament bis zur Frage in einen politisch-soziologischgeschichtsphilosophisch-apokalyptischen Rahmen ... gestellt und zusammengehalten.« 30 Schon die Tatsache, daß Bloch sich erst vier Monate vor der ersten Nachricht über den Druckbeginn 31 zu diesem Eingriff entschließt, zeigt, daß der Pessimismus seines - zu diesem Zeitpunkt ja bereits weitgehend vollendeten - Erstlingswerkes nicht als substantieller Reflex einer Krise zu verstehen ist. Es sind vielmehr Fragen der Disposition und der einheitlichen Gestaltung, aber offensichtlich auch die Möglichkeiten der Selbstinszenierung, die den Autor dazu veranlassen, dem Werk einen finsteren, pessimistischen Hintergrund zu geben. Bestätigt wird damit der Befund, den auch die Schrift selbst mit ihrem Schwelgen in apokalyptischen Bildern nahelegt. Anders als die Mehrzahl der späteren Interpreten erkennen die zeitgenössischen Rezensenten noch diese Tendenz. Salomo Friedlaender etwa spricht von dem »apokalyptischen, schwärmerischen, bunten Kirchenfensterdeutsch des Buches ... Weihrauch aus Worten«. 3 2 Polemischer noch äußert sich Kurt Hiller, der hier nur »einen >katholischen< Salat affektierter Betrachter-Einfälle in dunkler Tunke« erkennen mag, entstanden aus dem Ehrgeiz, »das Weltanschauungsbuch der Saison ... zu schreiben«. 33 Bezeichnenderweise taucht dieses Thema auch bei Rezensenten auf, die Bloch wohlgesonnen sind. Margarete Susman etwa übernimmt Blochs Vorstellung von der »ungeheuren Finsternis, ... in der wir leben«, 34 und Friedrich Burschell, der erklärt, nur ehrfurchtsvoll, wie es sich ziemtWelt der SeeleSelbst< eine wahre Apotheose, »denn daß ich Ich bin, ist heilig und sowohl das Mittel der Hilfe wie der eigentliche Spiegel des Reichtums im Wir«. 41 Das Subjekt wird so zum Maßstab und Ziel des utopischen Prozesses erklärt, »denn es gibt letzthin nichts unter allen Dingen zu bedenken als die Seele, das noch verhüllte innere Wesen, das Erste, Letzte und Freieste, einzig Metaphysische und Allerrealste der Welt«. 42 Ähnlich wie bei Lukäcs hat die Selbstermächtigung bei Bloch neben der inhaltlichen auch methodische Bedeutung: Sein Werk nimmt selbst jene Autorität in Anspruch, die es dem einzelnen gegenüber der schlechten Wirklichkeit einräumt. Blochs Konzeption verwahrt sich so gegen Einwände, die ihr im Namen des Bestehenden entgegengehalten werden könnten: »Aber daß wir selig werden, daß es das Himmelreich geben kann, ... das ist nicht nur denkbar, das heißt formal möglich, sondern schlechterdings notwendig, weit entfernt von allen formalen oder realen Belegen, Beweisen, Erlaubnissen, Prämissen seines Daseins, aus der Natur der Sache a priori postuliert und demnach auch von utopischer, intensiver Neigung genau gegebener, real possibler, essentieller Realität.«43 Letztlich ist es das Subjekt des Autors, das hier auf die Macht seiner Einsichten pocht Friedrich Burschell dürfte sich der Zustimmung Blochs sicher gewesen sein, als er ihn als »großen, zornigen, gotterfüllten Propheten< apostrophierte.44 Bloch, der sich schon 37 38 39 40 41 42 43 44
Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 2 3 ) p. 5. ibd. 1. c. p. 4. Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 1 8 ) p. 4 4 2 . 1. c. p. 3 5 8 . 1. c. p. 4 1 0 sq. Bloch, Geist der Utopie ( 1 9 2 3 ) p. 3 6 2 sq. Burschell, Der Geist der Utopie ( 1 9 1 8 ) p. 3 8 1 .
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in einem frühen Brief an Lukäcs als >Parakleten< bezeichnet hatte, in dem die Menschen »den heimkehrenden Gott erleben und verstehen« 45 würden, tritt auch im GEIST DER UTOPIE auf als >FührerProphetheute zu Unrecht vergessenen«54 Eduard von Hartmann beschäftigt; der GEIST DER UTOPIE findet seine Gewährsmänner auch sonst unter den Vertretern der hier verfolgten Tradition: Wichtig sind vor allem Schopenhauer - trotz der Polemik gegen dessen >erzfalsche< Musikdefinition 55 - und Nietzsche, bei dem sich »zuerst die Ahnung eines noch nicht bewußten Wissens« bemerkbar gemacht habe. 56 Bloch, so zeigt sich, partizipiert ebenso wie Lukäcs auch rezeptionsgeschichtlich an der Tradition des Pessimismus. Gerade deshalb ist es wichtig, die Differenzen hervorzuheben, die beide Autoren bereits in ihren Frühschriften von den Theorien Hartmanns oder Schopenhauers trennen. Zentral dürfte die Umdeutung der Erlösungsvorstellung sein. Zwar sind im GEIST DER UTOPIE die für die pessimistische Tradition insgesamt charakteristischen kryptotheologischen Tendenzen wirksam, anders als bei Schopenhauer, Hartmann oder Mainländer reicht bei Bloch der kosmische Prozeß aber über die bloße Vernichtung hinaus: 57 Die Zerstörung der materiellen Wirklichkeit ist nur das Vorspiel zur Vollendung des utopischen Prozesses. >Erfüllung< ist bei Bloch ebenso wie beim jungen Lukäcs keine bloße Erlösung vom Leiden um den Preis der Vernichtung, sondern die Realisierung einer Welt, in der individuelles Glück keine blanke Illusion mehr ist. Diese Position dürfte Bloch und Lukäcs im übrigen auch den Ubergang zum Marxismus erleichtert haben, dem später zugetraut wird, jene Hoffnung zu realisieren - ein Reflex dieses Wandels ist Blochs späteres Bekenntnis zu einem >Optimismus mit Trauerflore Bezeichnenderweise setzt sich Bloch in seinem Frühwerk aber noch recht deutlich von Marx ab, der »allen Traum, alle wirkende Utopie ... aus der Geschichte« verbannt habe, um »mit den »Produktivkräften« dasselbe allzu konstitutive Wesen, denselben Pantheismus, Mythizismus« zu treiben, »die Hegel der >Idee< ... vindiziert hatte«. 58 Bloch, der sich noch 1915 an seine »frühere konservativpreußische Grundstimmung« 59 erinnert, stimmt mit dem »Kgl. preußischen Buddhismus« 60 Hartmanns und Schopenhauers auch insofern überein, als er ähnlich wie der junge Lukäcs die Offenheit des Utopischen betont. Bestimmtheit gewinnt die >Welt der Seele< eher durch ihre konstitutive Differenz von allem Bestehenden denn durch die positiven Andeutungen, die sich im GEIST DER UTOPIE selbst finden: Die Utopie ist - ebenso wie das Schopenhauersche >Nichts< - das schlechthin >AndereDiktatur des Willens< zumindest zeitweilig zu überwinden sei; Nietzsche hatte in der GEBURT DER TRAGÖDIE gar eine grundsätzliche Erneuerung der Gegenwart aus dem Geiste der Musik prognostiziert. Der junge Lukäcs gründet seine utopischen Hoffnungen auf den Roman der Zukunft und auch Bloch weist den Künsten, vor allem der Musik, eine entscheidende Aufgabe im utopischen Prozeß zu: Die ästhetische Erfahrung gibt einen Vorschein des Utopischen und trägt damit ihrerseits zu der von Bloch geforderten Umkehr bei.
Ludwig Klages Ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei Ludwig Klages, einem der wohl wichtigsten konservativen Theoretiker des Pessimismus nach der Jahrhundertwende. Die Affinität zur Ästhetik läßt sich ablesen bereits an Klages' intellektueller Biographie: Bis 1904 gehört er dem Kreis der >Kosmiker< um Stefan George und Wolfskehl an, seine ersten Veröffentlichungen sind Dramenfragmente, Essays und Gedichte, die in den BLÄTTERN FÜR DIE KUNST erscheinen; schon 1902 verfaßt Klages dann eine Schrift über das Werk Stefan Georges. Nach dem Bruch mit George wird Klages' rege Publikationstätigkeit immer stärker von theoretischen Interessen bestimmt; eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in der Veröffentlichung seines philosophischen Hauptwer-
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kes über den GEIST ALS WIDERSACHER DER SEELE ( 1 9 2 9 - 3 2 ) findet. Eine erste Fassung dieses Werkes liegt bereits vor dem Ende des Ersten Weltkrieges vor, also innerhalb des hier zur Diskussion stehenden Zeitraumes. Beachtung verdient sein Werk auch deshalb, weil sich hier die >Paradoxie des Pessimismus< noch einmal besonders deutlich beobachten läßt: In seiner Theorie setzen sich die resignativen Tendenzen der Schopenhauerschen Tradition fort und es kommt hinzu, daß hier die radikale Kritik zuweilen in einen massiven Antisemitismus umschlägt, glaubt Klages doch dem >Judaismus< die Hauptverantwortung an den Übeln der Welt anlasten zu können. Gleichzeitig wird hier aber auch das produktive Potential des Pessimismus erkennbar; Klages nimmt einige wesentliche Gedanken der >Neuen Phänomenologie< vorweg und formuliert schon kurz nach der Jahrhundertwende eine dezidierte Kritik an Umweltzerstörung und den Allmachtsphantasien der Technokraten, deren logische Konsequenz die Katastrophe des Weltkrieges ist - Klages ist einer der wenigen deutschen Intellektuellen, die sich 1914 nicht von der Kriegsbegeisterung anstecken lassen.
Metaphysik Die Grundzüge der Klagesschen Metaphysik finden sich in der 1 9 1 7 publizierten Schrift über GEIST UND SEELE; ausführlich entfaltet der Autor diese Konzeption dann in der Zwischenkriegszeit in seinem dreibändigen Werk über den GEIST ALS WIDERSACHER DER SEELE. Klages knüpft an bei Nietzsche und der Lebensphilosophie, deutlich erkennbar sind aber auch die Affinitäten zum Pessimismus der Schopenhauerschen Tradition, insbesondere zu Hartmann. Ebenso wie die PHILOSOPHIE DES UNBEWUSSTEN begreift Klages nämlich den Weltprozeß als Kampf zweier Prinzipien dabei lassen sich ähnlich wie bei Bloch recht deutliche gnostische Strukturen beobachten. 1 Mit Hartmann stimmt Klages zudem in der Vorstellung überein, daß das unbewußte, irrationale Prinzip am Beginn dieses Prozesses steht, um in der weiteren Entwicklung durch den Geist immer weiter in den Hintergrund gerückt zu werden. Der entscheidende Unterschied besteht nun darin, daß Klages die Wertmaßstäbe geradewegs umkehrt. Hatten Schopenhauer, Hartmann und Mainländer Geist und Vernunft in Ubereinstimmung mit der philosophischen Tradition immer noch als positive Prinzipien dem irrationalen, dumpfen >Willen< entgegengestellt, so betrachtet Klages den >Geist< als die eigentlich zerstörerische Kraft. Es kommt hinzu, daß >Geist< und >Wille< bei Klages eine verhängnisvolle Allianz eingehen und damit die Macht des Bösen vergrößern, wie sie sich in den positiven Wissenschaften, in der Industrie, aber auch im Staat manifestiert. Klages nimmt in Grundzügen jene Kritik der >instrumentellen Vernunft< vorweg, wie sie später durch Horkheimer und Adorno formuliert werden wird. Das positive Prinzip wird in der Klagesschen Metaphysik von >Leben< und >Seele< vertreten. Sie stehen für die Einheit des einzelnen mit dem Kosmos, für die Harmonie von Mensch und Umwelt: Während der >Geist< die Natur nur als Instrument seiner Zwecke gebraucht, respektiert die >Seele< sie in ihrer Eigenständigkeit und erschließt sich gerade dadurch die ganze Fülle des Kosmos.
1
cf. dazu Pauen, Dithyrambiker des Untergangs p. 135-198.
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Der allerdings ist bedroht, stellt die Weltgeschichte doch einen kontinuierlichen Kampf des >Geistes< gegen das >Leben< dar, der in einer Katastrophe enden wird: »Das Wesen des >historischen< Prozesses der Menschheit (auch >Fortschritt< genannt) ist der siegreich fortschreitende Kampf des Geistes gegen das Leben mit dem logisch absehbaren Ende der Vernichtung des letzteren.« 2 Unvermeidlich ist diese Entwicklung vor allem deshalb, weil das >Leben< in seiner Passivität dem >Geist< schutzlos ausgeliefert ist. Doch der Sieger wird seiner Herrschaft nicht froh, zerstört er doch in seinem Kampf gegen das >Leben< letztlich auch seine eigene Basis. Aufgrund seines rein instrumentellen Denkens schneidet der >Geist< sich nicht nur von jeglicher substantieller Erkenntnis der Wirklichkeit ab, gleichzeitig vernichtet er auch ganz real die natürlichen Grundlagen seiner eigenen Existenz. Die Ausbeutung der Natur schlägt zurück auf die >instrumentelle Vernunft< und ihre Helfershelfer in den Wissenschaften und der Industrie, werden doch auch sie dem drohenden Untergang zum Opfer fallen: »Es will uns scheinen, die Selbstzerfleischung habe mit so gewaltigen Stößen eingesetzt, daß es schwer zu entscheiden sein möchte, was eher kommt: der Mensch als bewußtlose Maschine oder der Erdball ohne Menschen: Jenes wäre die Vollendung des Leerlaufs zufolge vernichtigter Vergangenheit, dieses der Untergang durch die Rache der geschändeten Vergangenheit.« 3
Ökologie und Kulturkritik Die deutlichsten Anzeichen dieses Prozesses glaubt Klages in der zunehmenden Zerstörung der Umwelt zu erkennen. Schon 1913 prangert er Mißstände an, die erst mehr als ein halbes Jahrhundert später in das Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit treten sollten. Klages kritisiert die Ausrottung einer Vielzahl von biologischen Arten, den Verlust des Bezuges zur natürlichen Umwelt in den Großstädten, vor allem aber die Bedenkenlosigkeit, mit der die Zeitgenossen die natürlichen Ressourcen ausbeuten: »Wir täuschten uns nicht, als wir den >Fortschritt< leerer Machtgelüste verdächtig fanden, und wir sehen, daß Methode im Wahnwitz der Zerstörung steckt. Unter den Vorwänden von >NutzenSchlachtvieh< zur bloßen Ware, zum vogelfreien Gegenstande eines schrankenlosen Beutehungers.« 4 Diese Form der Instrumentalisierung zeigt sich nicht allein im praktischen Umgang mit der Natur, sie bestimmt auch die Theorie - jenes verfügende Denken nämlich, das seine Gegenstände in vorbereitete Schemata preßt, um sie zu >begreifenentzaubern< können wir auch positiv sagen >verdinglichenbegreifen< und >erfassen< für die Verstandesfunktion. ... Und so wird denn anschaulich klar, daß die Entzauberung der Welt bestehe in der Tilgung ihres Gehalts an Ferne. ... Darum, indem er die Fernheit verneint, tötet der Besitztrieb den Eros, mit ihm den Nimbus der Welt; mit ihm die Wirklichkeit selbst.«5 Dem rationalen Begreifen stellt Klages einen anderen Zugang zur Wirklichkeit gegenüber: Das >Erlebenanzueignen< und zu >begreifenNimbus< oder die >Aura< der Dinge. Charakteristisch für diese ursprüngliche Form der Wahrnehmung ist eine »Ferne, mit der wir verschmelzen, ohne ihr anzunahen, Vertrautheit, die dennoch Fremdheit bleibt, ungeteilte und unaufteilbare Fülle. Der Verstand aber mißt und zählt, bringt Fernstes in abtastbare und gleichwohl gesonderte Nähe, entschleiert die Fremdheit und macht uns >bekannt< mit ihr, verdrängt mit der >Ordnung< die Fülle, entschöpft dem Meere der Bilder die unentmischbare Starrheit der Gegenstände.«6 Mit seinem Begriff der >Aura< entwickelt Klages im Anschluß an Alfred Schuler eine Vorstellung, die durch die Vermittlung Walter Benjamins maßgeblichen Einfluß auf die kulturkritische Diskussion, aber auch auf das Feuilleton der letzten beiden Jahrzehnte dieses Jahrhunderts gewinnen sollte.7 Deutlicher noch macht sich die Produktivität seiner Theorie im Umkreis der von Hermann Schmitz begründeten »Neuen Phänomenologie< geltend.8 So greift Schmitz die oben skizzierten Überlegungen Klages' auf, wenn er den >Reduktionismus< der »europäischen Intellektualkultur< kritisiert.9 Schmitz rügt dabei insbesondere die bereits von Klages bemängelte Fixierung auf den Dingbegriff10 und beruft sich im Gegenzug auf atmosphärische Qualitäten, die zwar unmittelbar erfahrbar seien, einer auf das Zählen, Messen und Wägen fixierten Wissenschaft jedoch entgehen müßten.11 Aufgegriffen worden ist der Begriff der >Atmosphäre< kürzlich auch von Gernot Böhme. Böhme, der sich ausdrücklich auf Schmitz und Klages bezieht,12 will diese Kategorie zur Grundlage einer »neuen Asthetik< machen, die unter anderem die klassischen Dichotomien von authentischer Kunst und Alltag zu überwinden sucht. Ein weiteres Beispiel für die Produktivität Klagesscher Überlegungen in der Gegenwart bietet Meyer-Abichs Kritik an der in Wissenschaft und Alltagskultur weitverbreiteten Tendenz, die Naturzugehörigkeit des Menschen zu verschleiern und damit die Natur zum bloßen Objekt der Ausbeutung zu degradieren. Meyer-Abich erwähnt
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Klages, Vom kosmogonischen Eros p. 217. Klages, Der Geist als Widersacher p. 451. zu den Beziehungen zu Burckhardt cf. oben p. 148. cf. hierzu auch Großheim, Ludwig Klages, passim. cf. Schmitz, Was bleibt vom Philosophen Ludwig Klages? p. 14 sq. cf. Schmitz, Der unerschöpfliche Gegenstand p. 36; 2 1 5 - 2 2 2 . cf. 1. c. p. 15 sq. sowie Großheim, Ludwig Klages p. 372 sq. cf. Böhme, Atmosphäre p. 2 8 - 3 1 .
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Böhme und Schmitz, 13 die Affinitäten zu Klages sind jedoch deutlich erkennbar. Dies gilt zum einen für den Rekurs auf die Körpererfahrung, 14 in der die postulierte Ganzheit unmittelbar wahrzunehmen sei, es gilt aber auch für die Kritik an den ökologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Konsequenzen der von Meyer-Abich kritisierten Entwicklungen. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Klages und den genannten Autoren betrifft jedoch den Pessimismus, der sowohl Meyer-Abich als auch Böhme und Schmitz völlig fremd ist. Bei Klages dagegen zeigt sich der Pessimismus nicht allein in den düsteren Gegenwartsdiagnosen; pessimistisch ist seine Theorie vor allem deshalb, weil sie für die Zukunft ein Fortdauern, ja eine Verschärfung dieser verhängnisvollen Tendenzen prognostiziert. Klages beruft sich dabei letztlich wieder auf metaphysische Prämissen: Die Macht des >Geistes< läßt es gar nicht zu, daß >Leben< und >Seele< wieder an Bedeutung gewinnen. Denkbar, wenngleich äußerst unwahrscheinlich, ist allenfalls ein radikaler Umbruch; Klages spricht in diesem Zusammenhang von der >Wiederkehr des Erosc »Geschähe das Unerhörte, ... so wäre die Fluchmacht des Geistes gebrochen, der entsetzliche Angsttraum der >Weltgeschichte< zerränne, und es >blühte Erwachen in Strömen des LichtsGeist< ist für Klages immer auch einzelner Geist; ja das neuzeitliche >Ich< mit seinem Drang, sich die Natur zu Diensten zu machen, stellt geradezu ein Paradigma dieses >Geistes< dar. »Die Austreibung aus dem Paradiese ist identisch mit der Entstehung des Ichs«.16 Es scheint also zunächst so, als stünde die Klagessche Theorie im Widerspruch zu der hier vertretenen These, derzufolge für den modernen Pessimismus ein Perspektivwechsel zugunsten des Subjekts charakteristisch ist. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß Klages weit davon entfernt ist, jenen Perspektivwechsel rückgängig machen zu wollen. Sichtbar wird dies bereits daran, daß er dem Geist eine entschieden subjektivistische Kategorie entgegenstellt, nämlich die >SeeleGeist< als ein überpersönliches Prinzip begreift, als formale, instrumentelle Rationalität, die sich in all ihren Erscheinungsformen schlechthin gleich bleibt. Genau dies gilt auch für das >IchUnwiederholbar< und >einzigartig< ist sie das Zentrum jedes besonderen Lebens und gleichzeitig der Fluchtpunkt individueller Erfahrung. Ursprünglich bildet sie eine spannungsvolle doch harmonische Einheit mit dem Leib, der sich seinerseits aufgehoben findet im Pulsieren des Kosmos. Es ist genau dieses Zusammenspiel, das zerstört wird durch das Eindringen des >GeistesGeist< und >Seele< auch sein mag, so zeigt doch die genaue Bestimmung der beiden Antagonisten, daß auch Klages die Partei des Subjekts gegen die Handlanger des >Geistes< ergreift, daß er Stellung bezieht gegen Wissenschaft und Industrie, Staat und Kapitalismus, die die >Seele< unter das Gesetz des Allgemeinen zwingen wollen. Die oben skizzierten utopischen Vorstellungen des Autors zeigen zudem, daß er die Ansprüche des einzelnen keineswegs zurückschraubt - im Gegenteil: Die Maßstäbe, an denen hier »wirkliches Glück< gemessen wird, sind so hoch, daß sie nur noch in einer Sphäre jenseits des Bestehenden erfüllt werden können. Dennoch ist es kein Zufall, daß bei Klages jener lärmende Subjektivismus fehlt, wie er oben etwa in Blochs GEIST DER UTOPIE beobachtet wurde. Tatsächlich beinhaltet Klages' Vorstellung einer kosmischen Harmonie von Mensch und Umwelt auch gewisse Vorbehalte gegenüber einem schrankenlosen Subjektivismus, der die Natur als bloßes Instrument menschlicher Willkür ansieht - auch in dieser Forderung nach menschlicher Selbstbeschränkung und in der Abkehr von der Vorstellung, daß die Natur nach Belieben ausgebeutet werden könne, läßt Klages eine bemerkenswerte Hellsicht erkennen.
Sekundärer Pessimismus Der hier vorgestellten Tradition fügt Klages sich überdies insofern ein, als sich bei ihm auch jene Tendenzen zur Inszenierung und Selbststilisierung erkennen lassen, die typisch sind für den »sekundären PessimismusGeistes< verkörpern, stehen die >Heiden< Karthagos für einen ursprünglichen Bezug zur Wirklichkeit. Symbolisiert wird der Untergang des >Heidentums< durch die Vernichtung des Tempels von Karthago - ein Sieg Roms aber, der gleichzeitig den Grundstein für die Vernichtung des Imperiums legt: Ebenso wie der >Geist< selbst zerstören auch seine römischen Helfershelfer mit ihrer Machtgier die eigenen Grundlagen. Klages wird sich später in seinen philosophischen Schriften immer wieder eben der Bilder bedienen, die hier entworfen werden; besonders prägnant ist dabei die Vorstellung vom zerstörten >Tempel des Lebensc »Die Erde raucht vom Blute Erschlagener wie nie noch zuvor, und das Affenmäßige prunkt mit den Spolien aus dem zerbrochenen Tempel des Lebens.« 18 Unverkennbar zudem, daß Klages sich in seiner Darstellung von der Faszination des Grauens leiten läßt. Gleich zu Beginn kündigt er ein »tiefbedeutsames Panorama< an, das »von Graun und Ekel übervoll« sei, und er bemüht sich nach Kräften, dieser Ankündigung gerecht zu werden. Mit einer bemerkenswerten Liebe zum Detail werden die einzelnen Szenen der Schlacht auf dieser »Stätte des Verwesens und der Greuel« geschildert. 19 Diese Tendenz zur Inszenierung des Schreck18 19
Klages, Der Geist als Widersacher p. 9 2 3 . »... Dazwischen Hingeschleudert Menschenleiber In scheußlicher Verstümmelung. Den Kopf
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liehen bleibt erhalten in seinen späteren philosophischen Schriften: Nicht ohne eine gewisse Virtuosität malt Klages die erbärmliche Lage der Gegenwart und das drohende Verhängnis der Zukunft immer wieder in den schwärzesten Farben und zeigt damit, daß auch seine Diagnosen von ästhetischen Motiven mitbestimmt werden: »Eine Verwüstungsorgie ohnegleichen hat die Menschheit ergriffen, die >Zivilisation< trägt die Züge entfesselter Mordsucht, und die Fülle der Erde verdorrt vor ihrem giftigen Anhauch. So also sähen die Früchte des >Fortschritts< aus!« 2 0 Der dunkle Hintergrund gibt dem Autor Gelegenheit zu der für die Pessimisten charakteristischen Selbststilisierung: Klages beschreibt sich als >letzten Mohikaner< 21 oder gar als >Leichnamfurchtbare Jahre unter den Menschen< verbracht habe. 2 2 An anderer Stelle vergleicht er sich mit jemandem, der sich vor einer drohenden Sintflut auf die Berge zurückzieht und unter sich das Gewimmel der ahnungslosen Masse sieht: »Keiner, den auch nur seine Stimme erreichte; und dabei friert und erfriert seine Seele! Ach, wie hungert ihn nach dem warmen Brodem der Tiefe, nach der weiten dampfenden Ebene, nach den Horizonten der Vergangenheit! Allein, die Vergangenheit ist tot und über dem Erdenplan nistet ein tödlicher Dunst des Verderbens. Wir sind ins Inferno eingetreten und - nulla est redemptio ex infernis.« 23
Mythologie des Antisemitismus Die radikale Abkehr von den Konventionen und Überzeugungen der Mehrheit liefert nicht nur den willkommenen Anlaß zur Selbststilisierung des einsamen Erkennenden, zweifellos trägt sie bei auch zur Produktivität dieser Philosophie. Doch Klages verstrickt sich mit seiner Radikalität in die bereits bekannten Probleme: Wenn es sich bei dem >Geist< um ein metaphysisches Prinzip handelt, dann ist eine Auflehnung gegen seine Macht wenig aussichtsreich. Das Schicksal des Kosmos scheint besiegelt, und auch die Klagessche Kritik kann das Verhängnis nicht mehr abwenden; allenfalls einigen wenigen Auserwählten vermag sie dazu zu verhelfen, daß sie nicht blind in den
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Von einer Streitaxt klaffend aufgespellt Hängt zwischen Balken eingeklemmt Ein halber Mensch dort. Aus der Fuge ragt Daneben eine abgeschnittene Hand.« Klages, Rhythmen und Runen p. 196. Klages, Mensch und Erde p. 20. »Die Stunde der Gegenwirkung wurde versäumt, und wir alle, die wir aus leidenschaftlicher Liebe des Lebens so Grauenvolles beweinen müssen, sind >letzte MohikanerGeist< in Klages' Augen zu genuiner Erkenntnis nicht in der Lage ist, muß der Autor immer wieder auf Einsichten rekurrieren, die sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen. Damit aber untergräbt er den eigenen methodischen Anspruch, wie er sich auch in der fast schon pedantischen Systematik des Hauptwerkes manifestiert. Es kommt hinzu, daß Klages >Geist< und >Leben< zu mythischen Hypostasen macht. Es geht nicht einfach um den Widerspruch zwischen abstrakten Prinzipien, sondern um eine Gigantomachie zwischen zwei anthropomorphen Gewalten. Aufgeladen wird sie dadurch, daß diese Gewalten nach gnostischem Vorbild gleichzeitig für das schlechthin Gute und das radikal Böse stehen; Klages bezeichnet den >Geist< zuweilen als >Satan< und leiht ihm die Züge des gnostischen Demiurgen. Diese Radikalisierung überträgt sich auf die Parteigänger jener Prinzipien: Wer sich zum Handlanger des Teufels macht, jnuß selbst rettungslos verderbt sein. Klages glaubt, diese Verräter am Leben vor allem in den Reihen der >Judaisten< zu finden. Der offiziellen Lesart zufolge sind damit nicht nur Juden, sondern die Anhänger aller biblischen Religionen gemeint, sind sie doch durch den Gott des Alten Testamentes dazu verleitet worden, sich die Erde Untertan zu machen. Tatsächlich nimmt Klages selbst diese Behauptung aber immer wieder zum Anlaß für zum Teil erschreckende antisemitische Ausfälle. Sie finden sich nicht nur in der mittlerweile berüchtigten Vorrede zu den FRAGMENTEN UND VORTRÄGEN Alfred Schulers, sondern tauchen auch in frühen Schriften auf. 26 Klages läßt damit noch einmal die Gefahren des pessimistischen Radikalismus erkennen, der
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Klages, Mensch und Erde p. 115 sq. »Wir haben ... gezeigt, daß die auf höchster Ebene urteilender Besinnung allein noch mögliche Form der Lebensabhängigkeit des Geistes Logik oder Sachlichkeit heißt ... und daß nur mit ihrer Hilfe, niemals dagegen ohne sie Wahrheiten ermittelt werden, mag deren Inhalt und Gehalt hundertmal jenseits, richtiger diesseits aller Begreiflichkeit liegen.« Klages, Der Geist als Widersacher p. 1418. Zu einer Verteidigung Klages' gegen den Irrationalismusvorwurf cf. Großheim, Ludwig Klages p. 402—407. So bezeichnet Klages >den< Juden in einem 1907 entstandenen Nachlaßfragment als den >Vampyr der MenschheitJudaistenden< Juden, dem er einen >nackten Willen zur Vernichtung< unterstellt: »Dieser ... schlachtet, vergiftet, verpestet ohne Wiederersatz. ... Wir stehen also auf dem Punkte zu entdecken: der Jude ist überhaupt kein Mensch.« (1. c. p. 330.)
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nicht nur die Möglichkeit verspielt, das Kritisierte zu verändern, sondern auch Gefahr läuft, das radikal Böse zu mythologisieren. Mit ihren zum Teil weitreichenden Einsichten auf der einen Seite, ihren methodischen Unzulänglichkeiten und antisemitischen Entgleisungen auf der anderen demonstriert Klages' Theorie vom >Geist als Widersacher der Seele< wohl am deutlichsten das Potential, aber auch die Risiken des Pessimismus. Die Koinzidenz ist keineswegs zufällig, vielmehr ist es die Immunisierung gegen Kritik und Uberprüfung durch das Forum einer wissenschaftlichen oder intellektuellen Öffentlichkeit, die es den Pessimisten auf der einen Seite erlaubt, sich von den Konventionen und Blindheiten der Zeitgenossen zu lösen, die ihnen aber auf der anderen Seite die Maßstäbe raubt, an denen ihre eigenen Vorstellungen noch zu messen und zu korrigieren wären.
Oswald Spengler Einer der aufmerksamsten Leser der Klagesschen Kultur- und Umweltkritik dürfte wohl Oswald Spengler gewesen sein, dessen Nachlaßaufzeichnungen eine Vielzahl von Notizen zum W e r k Klages' enthalten. Spengler übernimmt von Klages später die Kritik an den ökologischen Zerstörungen; ansonsten aber läßt er sich nicht in seiner positiven Einschätzung eben jener Gewalten beirren, die für Klages als Handlanger des Geistes in das Reich des Bösen gehören. Am deutlichsten wird dieser Gegensatz im Verhältnis zum Krieg: Während er von Spengler als ein zentrales Ingredienz der Ästhetik der Macht verherrlicht wird, lehnt Klages ihn als verhängnisvollsten Ausdruck der Herrschaft des Geistes ab. Mehr noch als Klages erreicht Spengler mit seinem Hauptwerk zudem ein breites Publikum. Sein UNTERGANG DES ABENDLANDES wird wohl zum populärsten philosophischen Werk der Zwischenkriegszeit, auch wenn es in Fachkreisen auf ein recht zwiespältiges Echo trifft. Von Simmel als Verfasser der nichtigsten Geschichtsphilosophie seit Hegel· 2 7 begrüßt, von Tucholsky dagegen als »Karl May der Philosophie«, 28 von Benjamin gar als »trivialer Sauhund« 29 abgelehnt, unternimmt Spengler einen der letzten großangelegten Versuche, Geschichte als einen »Organismus von strengstem Bau und sinnvollster Gliederung« zu begreifen, 3 0 dessen erkennbare Ordnung recht genaue Prognosen über zukünftige Entwicklungen erlaubt. Die allerdings, darin stimmt Spengler mit den anderen Vertretern des Pessimismus überein, seien äußerst düster. Wie bereits der Titel verrät, droht den westlichen Kulturen der Untergang, den Spengler auf die Zeit nach der nächsten Jahrtausendwende datieren zu können glaubt. Auch hier wird also der Pessimismus zur Basis eines Gesamtentwurfes: Die Ordnung, die hinter den disparaten Einzelphänomenen sichtbar wird, ist eine Ordnung des Verfalls. Spenglers Prognosen ebenso wie sein Erfolg verlangen nach einer Erklärung, und so ist denn in der Forschung die Ansicht geäußert worden, es handle sich hier um den Ausdruck eines »ab 1 9 2 2 allgemein gewordene [n] Schicksalsbewusstseins, am Ende 27 28 29 30
Simmel z. n. Feiken, Oswald Spengler p. 1 1 4 . Tucholsky, ibd. Benjamin, ibd. Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 1 4 1 .
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eines geschichtlichen Verfallsprozesses zu stehen«,31 um ein »Bekenntnis der Verzweiflung an der europäischen Kultur der Gegenwart«32 oder um eine Reaktion darauf, daß »sich die politischen und wirtschaftskulturellen Verhältnisse in Europa ... so weit zugespitzt« hätten, »daß der Fortschrittsglaube an Kraft verlieren mußte«.33 Spenglers Philosophie, so Manfred Schröter, »reift als eine notwendige, späte Frucht des ... alternden Kulturbewußtseins selbst«.34 Der zunächst naheliegenden Annahme, Spenglers Philosophie sei eine Reaktion auf den Untergang des Kaiserreichs und die Krisen der Zwischenkriegszeit, widerspricht schon die Chronologie, schließlich ist das Werk bei Kriegsende längst fertiggestellt. Ein erster Entwurf liegt 1911 vor, 35 und schon bei Beginn des Krieges ist eine vorläufige Niederschrift abgeschlossen.36 Wichtiger noch, daß Spengler auch nach der Fertigstellung des ersten Bandes nicht etwa an einen Untergang Deutschlands, sondern an dessen Aufstieg zu einer Weltmacht glaubt. Das im Dezember 1917 entstandene Vorwort äußert die Hoffnung, »daß dies Buch neben den militärischen Leistungen Deutschlands nicht ganz unwürdig dastehen möge«: 37 Spengler ist auch zu dieser Zeit immer noch von einem bevorstehenden deutschen Sieg überzeugt. Nur konsequent erscheint es daher, wenn er sich in einer eigens diesem Thema gewidmeten Schrift gegen den Vorwurf des Pessimismus zur Wehr setzt: »Nein, ich bin kein Pessimist. Pessimismus heißt: keine Aufgaben mehr sehen. Ich sehe so viele noch ungelöst, daß ich fürchte, es wird uns an Zeit und Männern für sie fehlen.«38 Schon Ludwig Marcuse hatte »Spenglers kürzeste und unmißverständlichste Schrift« ironisch als eine >Reinigung< von der >furchtbaren Anklage< des Pessimismus interpretiert;39 bestätigt wurde diese Einschätzung durch John Farrenkopf und Ulrich H. J. Körtner. Erst unter dem Eindruck der ökonomischen und politischen Krisen in der späteren Weimarer Republik sei Spengler zu einem substantiellen Pessimismus gekommen.40 Bei näherem Hinsehen wird jedoch erkennbar, daß Spengler sich - ähnlich wie Nietzsche - nur gegenüber jener resignativen Spielart des Pessimismus abgrenzt, die bei 31 32 33 34
35
36 37 38 39
40
Schoeps, Vorläufer Spenglers p. 2. Havenstein z. n. Schröter, Metaphysik des Untergangs p. 4 2 . Schischkoff, Spengler und Toynbee p. 64. Schröter, Metaphysik des Untergangs p. 1 4 7 sq.; bei Schröter steht diese Annahme jedoch neben der Einsicht, daß Spengler einen nationalen Aufstieg Deutschlands erwarte; cf. unten p. 1 9 7 . cf. Spengler, Politische Schriften p. VI Anm. 1; Pessimismus p. 7 3 ; Untergang des Abendlandes Bd. I p. 6 3 sq. sowie Feiken, Oswald Spengler p. 3 1 - 3 6 . Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. X . 1. c. p. XI. Spengler, Pessimismus p. 7 5 . Marcuse, Pessimismus p. 1 6 9 ; cf. p. 4 2 , 1 7 9 ; cf. Mann, Uber die Lehre Spenglers p. 1 4 7 : »Spengler leugnet, Pessimist zu sein. Einen Optimisten wird er sich noch weniger nennen wollen. Er ist Fatalist. Aber sein Fatalismus, resümiert in dem Satze: >Wir müssen das Notwendige wollen oder nichtsGestellsFest-stellens< beschrieben hatte. 78 Bemerkenswerter noch 73
1. c. p. 138. 1. c. p. 76. 75 1. c. p. 138. 76 cf. 1. c. p. 131. 77 Heidegger wirft Spengler vor allem die Abhängigkeit von der Lebensphilosophie, insbesondere von Dilthey, vor: »Die laute Gespreiztheit also, mit der heute gerade Spengler in seinem »europäischen« Buche gerade in den prinzipiellen Punkten auftritt, wirkt für den, der die Dinge wirklich kennt, einfach lächerlich.« Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie p. 9; cf. p. 3, 4 9 , 160. Heideggers eigene methodische Reflexionen ähneln gleichwohl denen Spenglers: »Idee der erklärenden, hypothetisch substruierenden, experimentell messenden physiologischen Psychologie. Motiv dieser Tendenz: ein objektives Sachgebiet zu gewinnen, zugänglich in strengwissenschaftlicher Methode, um seine Gesetzlichkeit herauszuarbeiten. Motiv also: strengwissenschaftliche Erkenntnis der Selbstwelt - echt, insofern Ausschaltung aller metaphysischer, religiöser und sonstiger nichttheoretischer Tendenz und zwar in solcher Strenge wie die Naturwissenschaft. Also: dieser es nachzutun? Hier setzt die Unechtheit ein: Man nimmt sie in der Weise zum Vorbild, daß man zugleich ihre Grundeinstellung (Tendenz) und Methodik übernimmt.« 1. c. p. 92. Eine ähnliche Kritik übt auch der junge Bloch: »Auch wenn sie weniger windig und besser fundiert wäre, ja gerade dann erst recht, hätte die experimentelle Psychologie ihren allein rechtmäßigen Platz in der ersten Sektion der philosophischen Fakultät, als ein vorklinischer Prüfungsgegenstand neben den anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Zu mehr reicht sie nicht aus.« Bloch, Geist der Utopie (1918) p. 245. 74
78
»Die entscheidende Wendung in der Geschichte des höheren Lebens erfolgt, wenn das Feststellen der Natur ... in ein Fest-machen übergeht, durch die sie absichtlich verändert wird. Damit wird die Technik gewissermassen souverän.« Spengler, Der Untergang des Abendlan-
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sind die Einflüsse auf Wittgenstein, die schon G. H. v. Wright hervorgehoben hat. 79 Ausdrücklich zählt Wittgenstein Spengler zu seinen wichtigsten Anregern; 80 auf ihn greift er beispielsweise mit dem für seine Spätphilosophie zentralen Begriff der Familienähnlichkeit^ 1 zurück. Erkennbar wird Spenglers Einfluß auch in Wittgensteins Hinwendung zu einer deskriptiven Morphologie 8 2 sowie am Prinzip der übersichtlichen Darstellungc »Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen. (Eine Art der >Weltanschauungstrenge< naturwissenschaftliche Erkenntnis schafft sich ihren Gegenstand selbst, schließlich ist »das Gewordensein für den menschlichen Geist ... mit dem vollzogenen Erkenntnisakt identisch«.86 Die strengen Wissenschaften haben also ein historisches Fundament, das allererst die Geschichtsphysiognomik zu erkennen vermag. Diese erweist sich daher systematisch als die Basis und historisch als der eigentliche Höhepunkt der abendländischen Wissenschaftstradition: »Erst von diesem Ein- und Ausblicke an darf von einer Philosophie der Geschichte ernsthaft die Rede sein. Erst dann ist es möglich, jede Tatsache im historischen Bilde, jeden Gedanken, jede Kunst, jeden Krieg, jede Persönlichkeit, jede Epoche ihrem symbolischen Gehalte nach zu begreifen und die Geschichte selbst nicht mehr als bloße Summe von Vergangenem ... vor sich zu sehen, sondern als einen Organismus von strengstem Bau und sinnvollster Gliederung.«87 In aller Bescheidenheit beschreibt Spengler seine >Morphologie der Weltgeschichte< daher als »die letzte große Aufgabe abendländischer Philosophie, die einzige, welche der Altersweisheit der faustischen Kultur noch aufgespart ist«.88 Der Spenglerschen Geschichtsmorphologie wird somit jede Kultur zu einem organischen Ganzen, das ein gemeinsames Formprinzip, das >UrsymbolKörperHöhle< und für die abendländische Kultur schließlich der >unendliche RaumFormgefühlsWahrheitUrsymbols< durch die >Seele< einer Kultur. »Wir finden einen indischen, arabischen,
8 6 1.
c. p. 77. 1. c. p. 141. 8 8 1. c. p. 208. 8 9 1. c. p. 229. 87
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antiken, abendländischen Typus des mathematischen Denkens und damit Typus einer Zahl, jeder von Grund aus etwas Eignes und Einziges, jeder Ausdruck eines andern Weltgefühls, jeder Symbol von einer auch wissenschaftlich genau begrenzten Gültigkeit.« 90 Es gibt also nicht eine einheitliche Wissenschaft der Mathematik, die verschiedene Entwicklungsstufen kennt, sondern - ebenso wie in den Künsten - unterschiedliche Stilformen mathematischen Denkens: »Mathematik ist also auch eine Kunst. Sie hat ihre Stile und Stilperioden. Sie ist nicht ... der Substanz nach unveränderlich, sondern wie jede Kunst von Epoche zu Epoche unvermerkten Wandlungen unterworfen.« 91 Auch die neuzeitliche Physik, so behauptet Spengler, sei »ein Kunstwerk des Barock«, das in seinem >Stil< dem »von Vignola begründeten Jesuitenstil der Architektur« entspreche. 92 In ihren Grundbegriffen erkennt Spengler eine »Formen- und Bilderwelt«, die »in genauem Einklang mit den gleichzeitigen Künsten, der perspektivischen Ölmalerei und der Instrumentalmusik erwachsen« ist.93 Spengler nimmt damit Vorstellungen vorweg, die im Gefolge von Wittgensteins Begriff der >Lebensform< zentrale Bedeutung für Relativisten wie Feyerabend oder Goodman gewinnen werden. Dies gilt insbesondere für die Vorstellung, daß zwischen Wissenschaft und Kunst eine besondere Affinität bestehe. Ganz entschieden insistiert etwa Goodman »auf Zusammenhang und Einheit, ja auf der Affinität zwischen Kunst, Wissenschaft und Wahrnehmung, ... die alle Zweige des Welterzeugens sind«. 94 Spengler greift diesen Autoren in einigen zentralen Punkten vor; anders als Goodman oder Feyerabend drängt er jedoch die diachronen Zusammenhänge innerhalb der einzelnen Wissensgebiete nur zurück, um an ihrer Stelle die synchronen Gemeinsamkeiten jeweils innerhalb einer Kulturform hervorzuheben: An die Stelle der abendländischen Wissenschaftsgeschichte mit ihren Fortschritten von der Aristotelischen Physik bis zur Relativitätstheorie tritt hier eine Abfolge von in sich geschlossenen, unabhängigen Kulturzyklen. Dem Physiognomen, der die Eigenart der Kulturen zu erkennen vermag, erweist sich ein solcher Zyklus als ein Zeichenzusammenhang, der alle Erscheinungen der kulturellen, ökonomischen und wissenschaftlichen Realität umspannt: »Jede Epoche, jede große Gestalt, jede Gottheit, Städte, Sprachen, Nationen, Künste, alles was je da war und da sein wird, ist ein physiognomischer Zug von höchster Symbolik, den ein Menschenkenner in einem ganz neuen Sinne des Wortes zu deuten hat. Dichtungen und Schlachten, Feiern der Isis und Kybele und katholische Messen, Hochofenwerke und Gladiatorenspiele, Derwische und Darwinisten, Eisenbahnen und Römerstraßen, Fortschritt« und Nirwana, Zeitungen, Sklavenmassen, Geld, Maschinen, alles ist in gleicher Weise Zeichen und Symbol im Weltbilde des Vergangenen, das eine Seele mit Bedeutung sich verge-
1. c. p. 81. 1 . c. p. 85. 9 2 1. c. p. 5 3 4 sq. 9 3 1. c. p. 491. 9 4 Goodman, Weisen der Welterzeugung p. 161. 90 91
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Pessimismus nach der
Jahrhundertwende
genwärtigt. ... Und so erweitert sich der Gedanke einer Weltgeschichte physio-
gnomischer Art zur Idee einer allumfassenden
Symbolik.«9S
Konnten Spenglers theoretische Überlegungen zunächst den Eindruck erwecken, als ginge es ihm um ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Naturerkenntnis und geschichtlichem Erleben, so gewinnt hier die Morphologie eindeutig den Primat gegenüber der empirischen Wissenschaft, die selbst nur eine Ausdrucksform der >Seele< ist. Doch nicht genug damit: Unter dem Blick des Physiognomen verwandelt sich die Geschichte in ein Drama, dessen Bedeutung allein derjenige erkennt, der sich auf die »Kunst der historischen Betrachtung« 9 6 versteht. Der Ausgang dieses Geschehens indessen ist stets tragisch: Als Organismen erweisen sich die einzelnen Kulturen auch darin, daß sie im Verlauf von etwa 1 0 0 0 Jahren die Stadien des Lebens von der Geburt über das Wachstum der Jugend bis zu Verfall und T o d durchlaufen. Glück für Spengler, daß die Dauer dieser Zyklen sich nahtlos in das abendländische Dezimalsystem einpaßt, erfreulicher noch, daß ihr Beginn und Ende auf eine geradezu wunderbare Weise mit der Zählung des Gregorianischen Kalenders übereinstimmen: 9 7 Mit einer Abweichung von wenig mehr als einem Jahrhundert wechseln sich die wichtigen Kulturen jeweils an einem Jahrtausendwechsel unserer Zählung ab. Die antike Kultur dauert von 1 1 0 0 v. Chr. bis etwa zur Zeitenwende, der die >magische< arabische Kultur folgt. Etwa um das Jahr 1 0 0 0 wird sie von der >faustischen< Kultur abgelöst, deren Untergang Spengler für die Zeit nach der nächsten Jahrtausendwende prognostiziert. Deutlich wird hier, daß Spenglers Zukunftsprognosen nicht etwa in einer besonderen Sensibilität für drohende Katastrophen begründet sind. Zweifellos finden sich in seinen Schriften oft interessante und zutreffende Einzeldiagnosen, keinesfalls deutet jedoch deren Generalisierung zu der Untergangs- und Verfallsprophezeiung auf eine ausgeprägte Fähigkeit zu langfristigen Vorhersagen oder gar auf ein Vermögen, eben sich abzeichnende Entwicklungen zu erkennen. Die Spenglerschen Untergangserwartungen basieren vielmehr ebenso wie die der übrigen Pessimisten auf einem metaphysisch oder geschichtsphilosophisch begründeten Determinismus. Kein Zufall, daß Spengler selbst, aber auch seinen Vorgängern dabei zuweilen groteske Fehleinschätzungen unterlaufen, die die Behauptung von den besonderen prognostischen Fähigkeiten der Kulturkritiker ad absurdum führen. Auf Spenglers Irrtümer wird noch einzugehen sein; zu erinnern ist hier an Ernst von Lasaulx, der die europäischen Völker durch einen ihrer geschwächten Lebenskraft geschuldeten Geburtenrückgang bedroht sieht, an den von Hartmann prognostizierten Parlamentsbeschluß zur Aufhebung des irdischen Lebens oder an die von Mainländer erwartete Abnahme der Lebenskraft, die schließlich in den Untergang der Menschheit führen werde.
95 96 97
Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 2 0 9 ; 2 1 3 . 1. c. p. 8 sq. Die Gewaltsamkeiten, mit denen Spengler vor allem das >magische< Zeitalter in dieses Schema preßt, hebt Demandt hervor: »Spenglers Grenzmarken der magischen Kultur indessen überzeugen nicht. ... Das Jahr 1 0 0 0 beendete keinen der bestehenden Staaten.« Demandt, Spengler und die Spätantike p. 3 3 ; cf. p. 3 4 sq.
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Spengler selbst stützt sich insbesondere auf die bereits bei Lasaulx präsente Vorstellung, derzufolge der Staat wie alle anderen menschlichen Gebilde von biologischen Gesetzen bestimmt werde und daher auch die Lebenszyklen eines Organismus durchlaufe: 98 »Diese drei reinen Grundformen und die ihnen gegenüberstehenden drei Ausartungen bilden unter sich einen Kreislauf, so dass mit einer Art von sittlicher Naturnothwendigkeit die eine Form in die andere übergeht: die Monarchie in die Tyrannis, und dann gestürzt wird und in die Aristokratie übergeht; welche dann ihrerseits in Oligarchie übergeht, und dann gestürzt wird und in Demokratie übergeht; die dann ihrerseits in Ochlokratie verkehrt wird und in Anarchie übergeht, aus welcher dann als die lezte Krankheit der Staaten der Militärdespotismus hervorgeht, unter dem die Völker sich ausleben.«99 Dieses in Grundzügen bereits der Antike bekannte Schema wird zur Basis der Spenglerschen Verfallsprognose, die die Entwicklung einer Kultur mit den einzelnen Phasen eines biologischen Lebenszyklus vergleicht, der schließlich im Tod seinen Abschluß finden müsse. Grundlage dieser Prognose ist also eine deterministische Vorstellung von Geschichte, nicht jedoch ein besonderes Sensorium für die Entwicklungen, die zunächst in den >Cäsarismus< des Dritten Reiches und schließlich in den Untergang führen werden. Anders als Hartmann, Schopenhauer oder Mainländer, anders auch als Bloch sagt Spengler hier keine materielle Vernichtung der Welt voraus, sondern lediglich den Niedergang der gegenwärtigen Kulturformation.100 Die Konsequenzen für den einzelnen sind allerdings kaum verlockender, reißt doch die Kultur alle staatlichen, ökonomischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Institutionen mit in den Untergang und verdammt somit ihre Angehörigen, wenn sie denn den herandrängenden jungen Völkern entgehen, zu einem unproduktiven Dahindämmern. Spenglers spätere Schriften entfernen sich - gegenteiligen Aussagen des Autors zum Trotz 101 - von dieser Position zumindest insofern, als sie die Isolation der verschiedenen Kulturzyklen voneinander abschwächen. Dabei rückt auch eine Vernichtung der Welt selbst, also nicht nur das Ende einzelner Kulturen, in den Bereich des Möglichen - auch dies eine Perspektive, wie sie aus den anderen pessimistischen Theorien bekannt ist. Völlig fremd ist Spengler 98
cf. Lasaulx, N e u e r Versuch p. 2 4 .
99
1. c. p. 1 0 5 . Spenglers spätere Überlegungen in der FRÜHZEIT DER WELTGESCHICHTE weichen in diesem Punkt v o m UNTERGANG DES ABENDLANDES ab. Er bettet nun die ursprünglich voneinander unabhängigen >Hochkulturen< in eine >Menschheitsgeschichte< ein, indem er ihnen drei andere Kulturstufen voranstellt und gleichzeitig auch ein definitives Ende dieser Geschichte ins Auge faßt. Die Höherentwicklung des kulturellen Niveaus, wie sie in der Entwicklung von der ersten zur vierten Stufe zu beobachten ist, muß mit einer kontinuierlichen Beschleunigung des Verfalls bezahlt werden. W ä h r e n d die erste Kulturstufe noch einige zehntausend J a h r e umfaßt, dauert die zweite Epoche nur noch fünfzehntausend, die dritte dreitausend, die letzte schließlich - wie es auch der UNTERGANG DES ABENDLANDES angenommen hatte tausend Jahre und markiert damit gleichzeitig das Ende der gesamten Menschheitsgeschichte, nachdem die letzte der Hochkulturen, die dem Abendland folgende russische, vergangen ist.
100
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»Nur möchte ich ihnen sagen, daß selbstverständlich in meinen Ansichten über das Schicksal der hohen Kulturen keine Änderung [gegenüber dem UNTERGANG DES ABENDLANDES; M . P.] eingetreten ist.« Spengler, Briefe p. 6 4 0 (an W o l f Goetze, 2 4 . I X . 1 9 3 1 ) .
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Pessimismus
nach der
Jahrhundertwende
allerdings die k r y p t o t h e o l o g i s c h e H o f f n u n g , d a ß d a m i t eine >Erlösung< v o n den Q u a l e n des Daseins v e r b u n d e n sei: In s o l c h e n E r w a r t u n g e n v e r r ä t sich aus seiner Sicht nur die S c h w ä c h e v e r k a p p t e r Idealisten, die v o r der H ä r t e der irdischen E x i s t e n z kapitulieren. Spengler
verwirft
eschatologischen
also
die
in der
Gegenströmungen;
Schopenhauerschen ähnlich
wie
Tradition
Bahnsen
noch
verzichtet
er
wirksamen auf
jeden
»metaphysischen TrostKultur< u n d »Zivilisation«: 1 0 6 »Kultur u n d Zivilisation - das ist der lebendige Leib eines S e e l e n t u m s u n d seine M u m i e « . 1 0 7 Zivilisationen, so heißt es a n a n d e r e r Stelle, »sind ein A b s c h l u ß ; sie folgen d e m W e r d e n als das G e w o r d e n e , d e m L e b e n als der T o d , der E n t w i c k l u n g als die Starrheit, d e m L a n d e u n d der seelischen Kindheit, wie sie D o r i k u n d G o t i k zeigen, als das geistige G r e i s e n t u m u n d die steinerne, versteinerte
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»Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt. W i r sind civilisirt bis zum Überlästigen zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisirt zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus.« Kant, Gesammelte Schriften Bd. VIII p. 2 6 . »Man soll sich über den abgründlichen Antagonismus von Cultur und Civilisation nicht irre führen lassen. . . . Civilisation will etwas Anderes als Cultur will: vielleicht etwas Umgekehrtes«. Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. X I I I p. 4 8 5 sq. Bollenbeck macht indessen darauf aufmerksam, daß das Begriffspaar, das paradigmatisch für das Bewußtsein des >deutschen Sonderwegs< stehe, in der Regel keinen vollständigen Gegensatz bezeichnet; cf. Bollenbeck, Bildung und Kultur p. 2 6 8 sq. »Zivilisation aber ist nicht viel mehr als die Anerkennung, welche die Menge den M o m e n t e n der Kultur zu zollen sich ... gedrungen fühlt.« Lagarde, Deutscher Glaube p. 1 7 2 . »Der Unterschied von Geist und Politik enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.« M a n n , Betrachtungen eines Unpolitischen p. 2 3 . Auf Differenzen zwischen der Bedeutung von >Zivilisation< in Deutschland, England und Frankreich hat schon Norbert Elias aufmerksam gemacht: »Der französische und der englische Begriff »Zivilisation« kann sich auf politische oder wirtschaftliche, auf religiöse oder technische, auf moralische oder gesellschaftliche Fakten beziehen. Der deutsche Begriff >Kultur< bezieht sich im Kern auf geistige, künstlerische, religiöse Fakten, und er hat eine starke Tendenz, zwischen Fakten dieser Art auf der einen Seite, und den politischen, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fakten auf der anderen eine starke Scheidewand zu ziehen.« Elias, Der Prozeß der Zivilisation Bd. I p. 2 sq.; cf. hierzu auch Ringer, Die Gelehrten p. 2 0 4 , sowie Bollenbeck, Bildung und Kultur p. 2 6 9 sq. Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 4 5 3 .
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Weltstadt. Sie sind ein Ende, unwiderruflich, aber sie sind mit innerster Notwendigkeit immer wieder erreicht worden.« 108 Wichtig ist zunächst, daß Spengler den Schritt von der >Kultur< zur >Zivilisation< bereits im 19. Jahrhundert vollzogen sieht. Die Gegenwart, so ergibt sich daraus, »ist eine Zeit des Niedergangs. ... Wir können es nicht ändern, daß wir als Menschen des beginnenden Winters der vollen Zivilisation und nicht auf der Sonnenhöhe einer reifen Kultur zur Zeit des Phidias oder Mozart geboren sind.« 109 Charakteristisch für die antike wie die moderne Zivilisation« ist dabei eine Reihe von Konzentrationsprozessen, die die organischen Strukturen der >Kultur< zerstören: Bevölkerung, Reichtum, Kunstverständnis und politische Macht drängen sich nunmehr an wenigen Punkten zusammen, während in den Zwischenräumen ein Vakuum entsteht. Dabei bilden sich riesige Großstädte; sie reißen ihre Bewohner aus den angestammten Bindungen, führen zu einer Verödung ländlicher Regionen und lassen allererst jene >Massen< entstehen, an denen dann Cäsaren und Industriemagnaten ihre Macht erproben können: »Statt einer Welt eine Stadt, ein Punkt, in dem sich das ganze Leben weiter Länder sammelt, während der Rest verdorrt; statt eines formvollen, mit der Erde verwachsenen Volkes ein neuer Nomade, ein Parasit, der Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar, ... also ein ungeheurer Schritt zum Anorganischen, zum Ende.« 110 Eine Beschleunigung dieser Bewegung ist absehbar, weil der Konzentrationsprozeß auch die politischen Institutionen erfaßt; dabei dienen Parteien und demokratische Institutionen nur der Verschleierung der realen Machtverhältnisse: »Es ist eine kleine Anzahl überlegener Köpfe, ... die alles entscheidet; während die große Masse der Politiker zweiten Ranges, Rhetoren und Tribunen, Abgeordnete und Journalisten ... nach unten die Illusion einer Selbstbestimmung des Volkes aufrecht erhält.« 111 Den Endpunkt dieser Entwicklung stellt die Herrschaft der Cäsaren dar, deren Zeit aber »noch lange nicht gekommen ist«.112 Sie werden herrschen über >amorphe, entseelte Menschenmassen« 113 und den Imperialismus um seiner selbst willen betreiben: »Die expansive Tendenz ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures, das den späten Menschen des Weltstadtstadiums packt, in seinen Dienst zwingt und verbraucht, ob er will oder nicht, ob er es weiß oder nicht.« 114 Bezeichnenderweise sucht Spengler die Belege für seine Untergangsprognose nicht zuletzt in den Künsten und er beruft sich dabei darauf, daß das »Weltgefühl des höheren Menschen ... seinen symbolischen Ausdruck ... am deutlichsten in den
108
1. c. p. 42; die Abwertung wird deutlich auch an der auffälligen Verwandtschaft des Vokabulars, das die Zivilisation kennzeichnet (Gewordenes, Tod, Starrheit) mit dem, das Spengler zur Charakterisierung der von ihm kritisierten wissenschaftlichen Methode verwendet; cf. oben p. 185. 109 1. c. p. 61. 110 1. c. p. 46. 111 1. c. p. 47. 112 1. c. p. 51. 113 1. c. p. 50. 114 ibd.
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bildenden Künsten gefunden« 1 1 5 habe. Drastischer noch als in der Wirtschaft, den Wissenschaften oder der Politik mache sich hier der Niedergang der abendländischen Kultur bemerkbar. Vergeblich suche diese ihre »sinkende Gestaltungskraft« durch das »Form- und Maßlose« 1 1 6 ihrer Werke, durch einen Hang zum Monströsen und Grandiosen zu verbergen, der »nicht . . . Ausdruck innerer Größe ist, sondern über deren Mangel hinwegtäuscht«. 1 1 7 In der Gegenwart lassen sich diese Tendenzen beispielsweise an Wagners Bayreuth beobachten; ein weiteres Beispiel bietet »der prahlerische und aufdringliche Stil unsrer Straßen, monumentalen Plätze und Ausstellungen«: 1 1 8 »Dies Prunken mit leeren Dimensionen ist allen anbrechenden Zivilisationen gemeinsam und herrscht vom Zeusaltar in Pergamon . . . bis zu den Römerbauten der Kaiserzeit, ebenso wie in Ägypten zu Beginn des Neuen Reiches und heute in Amerika.« 1 1 9 Erste Vorzeichen dieses Prozesses findet Spengler schon am Ende des 17. Jahrhunderts, wenn die Malerei jenes >Atelierbraun< aufgibt, das als »Symbol räumlicher Unendlichkeit . . . für den faustischen Menschen aus dem Gemälde ein seelenhaftes Etwas schuf«. 1 2 0 Nicht weniger verhängnisvoll als die Abwendung von dieser >metaphysischen Farbe< zugunsten des banalen Freilichtes, das im 19. Jahrhundert in die Malerei einzieht, sind die Verfallserscheinungen in Literatur und Musik. N a c h dem Höhepunkt der Beethovenschen Kammermusik findet die Musik bei Wagner ihr Ende als ernstzunehmende Kunstform: »Im Tristan stirbt die letzte der faustischen Künste. Dies W e r k ist der riesenhafte Schlußstein der abendländischen Musik.« 1 2 1 Nur naive Optimisten können hier noch auf Rettung hoffen; in Wirklichkeit, so Spenglers b i t t e res EingeständnisbegründetZug ins RiesenhafteKrieg nach dem Kriege< ... wird in der Abdankung der romanischen Nationen, dem faktischen deutschen Protektorat über den Kontinent (bis zum Ural!) und einer Anzahl weiterer Wirkungen bestehen, über deren Voraussage heute noch jeder lachen würde.« 1 2 7 Der UNTERGANG DES ABENDLANDES, so Manfred Schröter, geht aus »von der Erwartung eines deutschen Sieges, ... bei dem die Rolle Preußen-Deutschlands mit der Roms nach den Punischen Kriegen (dem Analo-
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Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 3 8 0 . »Die wirtschaftliche Weltlage setzt dem Kriege eine natürliche Grenze im Westen und der Winter im Osten« (Spengler, Briefe p. 3 0 ; an Klöres, 2 5 . X . 1 9 1 4 ) . »Ich nehme an, daß mit beginnendem Frühjahr die längst vorbereiteten letzten Schläge fallen werden und daß der Frühsommer den Waffenstillstand bringt« (1. c. p. 3 4 ; an Klöres, 3 0 . I. 1 9 1 5 ) . »Man kann jetzt doch mit einiger Bestimmtheit die Einstellung der Feindseligkeiten auf den Spätsommer ansetzen« (1. c. p. 5 1 ; an Klöres, 17. V. 1 9 1 6 ) . »Übrigens bin ich Ihrer Meinung, daß wir doch vor Weihnachten einen Waffenstillstand erwarten können« (1. c. p. 5 7 ; an Klöres, 12. X . 1 9 1 6 ) . »Der Zusammenbruch der italienischen Armee dürfte wohl das militärische System der Westmächte endgültig zum Scheitern bringen« (1. c. p. 8 3 ; an Klöres, 6. XI. 1 9 1 7 ) . »Bezüglich des Krieges bin ich auch der Meinung, daß das Ende im Sommer oder Herbst zu erwarten ist« (1. c. p. 9 7 ; an Klöres, 11. V. 1 9 1 8 ) . 1. c. p. 9 7 (an Klöres, 11. V. 1 9 1 8 ) .
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gon des Weltkriegs) gleichgesetzt wird. Den zivilisatorischen Aufstieg dieses siegreichen, harten, imperialistisch expandierenden Deutschlands sieht Spengler als die Aufgabe der kommenden Jahrhunderte.« 128 Erst im Dezember 1918 wird sich Spengler des Ernstes der Lage bewußt, doch in eben dem Brief, der davon berichtet, daß »Ekel und Scham über die schmachvollen Ereignisse der letzten Zeit« ihn an den Rand des Todes gebracht hätten, spekuliert er schon wieder über den Wiederaufstieg Deutschlands: Die gerade abgeschaffte Monarchie werde »gestärkt aus der Krise hervorgehen«, und auch dem Reich insgesamt stehe trotz der Niederlage eine glanzvolle Zukunft bevor: »Weder England noch Frankreich stehen mehr auf sicheren Füßen. Von Italien zu schweigen.« 129 Der kulturelle Verfall, so zeigt sich hier, ist also begleitet vom imperialen Aufstieg Deutschlands, das eben jene >Männer der Wirklichkeit< zu bieten habe, denen die Zukunft gehören werde. Zwar nähere sich die abendländische Zivilisation dem Untergang, doch den letzten Ruhm werden die deutschen Cäsaren der Zukunft ernten. Charakteristisch für die nicht eben spannungsfreie Doppelbödigkeit des Spenglerschen Pessimismus ist ein Brief, in dem der Autor diese gegenläufigen Tendenzen ausdrücklich reflektiert: »Seien wir uns darüber klar, daß dies Deutschland, das heute gegen die Welt kämpft, nicht Goethes Deutschland ist, sondern ein zweites Amerika. Ich für meine Person bin vorurteilsfrei genug, um das zu bedauern, aber als Tatsache gelten zu lassen und in Zukunft politisch wie in Schulfragen ζ. B. eben diese Tatsache als Ziel zu setzen, weil Deutschland doch nur dies eine zu erreichen hat. Auch sehe ich darin Größe. ... Die ungeheuren Dimensionen adeln da alles, was in kleinen Verhältnissen krämerhaft wirkt.« 1 3 0 Erkennbar wird hier die zentrale Bruchstelle in Spenglers Denken: Eben jener Hang zum Grandiosen, der einerseits als Mangel an Gestaltungskraft und damit als Symptom einer niedergehenden Kultur gilt, wird auf der anderen Seite als Gewähr für politische Größe interpretiert; nur deshalb vermag Spengler den Pessimismus mit seinen eigenen historischen Erfahrungen und Erwartungen - wie illusionär diese im einzelnen auch sein mögen - in Einklang zu bringen. Obwohl bereits von Koktanek hervorgehoben, 131 wurde diese Doppelbödigkeit in der Forschung häufig verkannt. Bemerkbar macht sich dies in den widersprüchlichen Urteilen, die zur Frage des Spenglerschen Pessimismus vertreten werden. Walzel 1 3 2 etwa bestreitet, daß hier überhaupt von Pessimismus die
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Schröter, Metaphysik des Untergangs p. 2 5 ; cf. p. 2 8 , 1 6 1 ; zu gegenläufigen Tendenzen bei Schröter cf. unten p. 1 9 7 . Spengler, Briefe p. 1 1 1 (an Klöres, 18. XII. 1 9 1 8 ) . 1. c. p. 4 4 (an Klöres, 14. VII. 1 9 1 5 ) . »Nicht genug, daß Spengler den Imperialismus (und näherhin den Wilhelminismus) als politischen Imperativ anerkannte und expressis verbis in bezug auf die Aussichten dieser Politik stets Optimist war - er begriff den Imperialismus nun im Rahmen seiner rasch sich klärenden welthistorischen Konzeption, die eben durch die eigentümliche Verbindung von Kulturpessimismus und Machtoptimismus bestimmt ist.« Koktanek, Oswald Spengler p. 1 4 0 ; ähnlich Farrenkopf, Klio und Cäsar p. 6 6 ; Merlio, Über Spenglers Modernität p. 1 2 1 . »Ich habe nie begriffen, wie ein Buch, das zwar unsere Kultur am Ende ihrer Entwicklung angelangt nennt, künftigen neuen Kulturen hingegen eine zukunftsfrohe Bahn öffnet, in ei-
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Rede sein könne, im Gegensatz dazu spricht Georgi Schischkoff davon, »daß dieser ihm [Spengler; M. P.] ureigene Pessimismus es war, der ihn zur Entstehung der großen geschichtsmorphologischen Konzeption gedrängt hat. 1 3 3 Während Körtner die beiden Tendenzen historisch zu vermitteln sucht, 1 3 4 spiegelt sich der Gegensatz bei Manfred Schröter unmittelbar in der Ambivalenz seiner eigenen Stellungnahmen. Auf der einen Seite spricht er von »dem allgemeinen Mißverständnis jener peripheren, oberflächlichen Auffassung«, »die den Zeitgehalt nur in ganz äußerlicher Reaktion auf die Ereignisse zu einer >pessimistischen Untergangsprophezeiung< verflacht und vergröbert«; 1 3 5 auf der anderen Seite bezeichnet er Spengler selbst dann doch als den »letzten großen repräsentativen Pessimisten des versunkenen Deutschlands«. 136 Zu erklären sind diese Differenzen nicht zuletzt dadurch, daß Spengler die skizzierte Ambivalenz verschleiert, indem er die Maßstäbe, an denen er den Verfall mißt, niemals wirklich offenlegt. 137 Die biologische Metapher von der steigenden und sinkenden Lebenskraft gewinnt ihre Plausibilität vor allem aus den häufig gewagten Parallelisierungen 1 3 8 mit dem Entstehen und Absterben anderer Kulturen; 1 3 9 problematisch wird sie aber gerade an dem Punkt, um den es Spengler am meisten zu tun sein muß, nämlich bei der Frage nach dem Niedergang der Gegenwart. Völlig offen bleibt bei jener Metaphorik nämlich die Frage, welche konkreten historischen Phänomene als relevante Indikatoren der geschichtsphilosophischen Entwicklung zu betrachten sind. Nach welchen Maßstäben läßt sich eine Degeneration der Künste oder ein Niedergang
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nem irgendwie strengeren Sinn des Wortes für pessimistisch gelten könnte.« Walzel z. n. Schröter, Metaphysik des Untergangs p. 6 6 . Schischkoff, Spengler und Toynbee p. 6 4 sq. »Unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen wird Spenglers Geschichtsauffassung nach 1 9 2 1 freilich zunehmend pessimistischer, seine Zukunftserwartung düsterer.« Körtner, Morphologie des Untergangs p. 1 5 2 ; cf. oben p. 180. Schröter, Metaphysik des Untergangs p. 2 5 . 1. c. p. 2 5 6 . Auf dieses Problem weist schon Thomas Jung hin: »Die willkürlich gesetzte Identifizierung historischer Prozesse und Epochen zum Schicksal einer Kultur bemüht sich zwar um physiognomische Indizien des Kulturverfalls für die Gegenwart, kann aber kein triftiges Unterscheidungskriterium angeben, wann ein geschichtlich-kultureller Indikator bereits als Verfallsmoment zu kennzeichnen oder möglicherweise als Krisenmoment einer historischen Transformationsbewegung im Sinne noch andauernder Vollendungsbewegung anzuerkennen ist.« Jung, V o m Ende der Geschichte p. 9 4 . »Die Basis dieser vergleichenden Kulturmorphologie ist also in Wahrheit eine sehr beschränkte: drei bis vier, im höchsten Falle fünf Abläufe von sehr schwankender Analogie. Trotzdem wird damit schon ein >ewiges Gesetz< der objektiven Kulturverlaufsnotwendigkeit begründet, aber keineswegs an allen der hervorgehobenen Kulturentwicklungen bewiesen.« Schröter, Metaphysik des Untergangs p. 2 0 8 sq. Auch hier trifft Spengler jedoch schon in den frühen Rezensionen auf entschiedene Kritik: »Wir vermissen jeden Beweis für die Anwendbarkeit des Entwicklungsschemas der Organismen auf die einer menschlichen Gemeinschaft innewohnende Lebenskraft und vermögen daher auch seinen Prophezeiungen über das künftige Schicksal der abendländischen Seele keinen objektiven Wert beizumessen.« Brandenburg, Spenglers UNTERGANG DES ABENDLANDES p. 2 2 .
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der sozialen Beziehungen beurteilen? 140 »Die Kulturkreislehre«, so Eduard Spranger, »schließt ... eine Richtung des historischen Werturteils ein, über dessen Maßstäbe sie keine Rechenschaft abgelegt hat«. 141 Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um ein bloßes Versehen; Spengler hat sich die Möglichkeit zur Begründung derartiger Maßstäbe nämlich prinzipiell durch seinen Relativismus verbaut: Wenn die Kulturen in sich abgeschlossene Lebenszyklen sind, dann ist auch Spengler selbst als dem Angehörigen eines dieser Zyklen der Zugang zu einem Maßstab versagt, der eine übergreifende Beurteilung der Verlaufsgeschichte dieser Zyklen ermöglichen würde. Tatsächlich hat dieses Versäumnis nicht nur zur nachträglichen Verschleierung jener Ambivalenz beigetragen, auch deren Entstehung dürfte durch die hieraus sich ergebenden Unklarheiten begünstigt worden sein. So kann Spengler etwa die >Zivilisationen< auf der einen Seite als >TodVollendung< im positiven Sinne bezeichnen, als »die äußersten und künstlichsten Zustände, deren eine höhere Art von Menschen fähig ist«. 142 Offenkundig ist seine Sympathie mit jenem »hochintelligenten Publikum von Kennern und Käufern«, 143 das sich in den modernen Großstädten herausgebildet hat. Während diese elitäre Schicht auf der einen Seite geradezu paradigmatisch den Niedergang der ursprünglichen Kultur repräsentiert, ist doch allein sie zum Verständnis jener avantgardistischen Kunst in der Lage, welche »das ganze Bündel moderner Sehnsüchte, Reize und Schmerzen« 144 zum Ausdruck bringt. Wichtiger noch, daß allein diese Elite die »neue Tatsachenphilosophie« zu würdigen vermag - Spenglers eigenes Werk also, das »für metaphysische Spekulationen nur ein Lächeln übrig hat«. 145 Der UNTERGANG DES ABENDLANDES läßt damit zwei miteinander konkurrierende Maßstäbe erkennen: Auf der einen Seite steht ein traditioneller Kulturbegriff, der von bildungsbürgerlichen Idealen bestimmt ist und die Kultur der Weimarer Klassik als Höhepunkt jenes abendländischen Kulturzyklus auffaßt, dessen Verfallsphase nun angebrochen sei - Spenglers Verehrung Goethes ist nur ein Indiz dieser Haltung. Auf der anderen Seite steht eine geradezu futuristische Bewunderung eben der Modernität, für die jene Kulturvorstellungen nur noch als die Träume versponnener Idealisten erscheinen können. In der Systematik der Spenglerschen Konzeption fällt beiden Tendenzen Zuweilen versucht es Spengler mit einer Antwort, die jedoch schon aufgrund des einfachen Mechanismus, der hier unterstellt wird, äußerst unbefriedigend bleibt. So glaubt er, daß sich ein Volk >verbraucheBesten< gleichzeitig die Tapfersten sind, und daher in den unvermeidlichen Kriegen auch das größte Risiko eingehen. Hieraus unter anderem leitet er die Hoffnung auf Deutschlands künftige Größe ab, da ihm dieses Schicksal aufgrund seiner politischen Schattenexistenz bislang erspart geblieben sei: »Warum ist das deutsche Volk das unverbrauchteste der weißen Welt, und also das, worauf man am stärksten hoffen darf? Weil seine politische Vergangenheit ihm keine Gelegenheit gab, sein wertvollstes Blut und seine großen Begabungen zu verschwenden.« Spengler, Jahre der Entscheidung p. 162; cf. Reden und Aufsätze p. 134. Ein weiteres Kriterium liefert die Geburtenrate, die durch die Zivilisation immer weiter herabgedrückt werde: »Gesundheit eines lebenden Körpers ist Fruchtbarkeit. Fruchtbarkeit ist politische Macht.« Spengler, Reden und Aufsätze p. 136. 141 Spranger, Die Kulturzyklentheorie p. 14; cf. Feiken, Oswald Spengler p. 6 8 - 7 6 . 1 4 2 Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 42. 1 4 3 1. c. p. 48. 1 4 4 1. c. p. 47. 1 4 5 1. c. p. 48. 140
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zudem eine unterschiedliche Rolle zu: Letztere bestimmt seine direkten Gegenwartsbeobachtungen, soweit sie die militärische Lage Deutschlands, die Tatkraft seiner führenden Schichten und die politisch-ökonomischen Aussichten für die nähere Zukunft betreffen, und sie führt dabei zu einem vergleichsweise positiven Urteil. Die >idealistische< Tendenz dagegen macht sich - abgesehen von den ästhetischen Einschätzungen des Autors - eher auf einer übergeordneten Ebene bemerkbar und stützt hier den Spenglerschen Pessimismus: Dieser betrifft die langfristige Entwicklung der faustischen Kultur< und gewinnt schon allein damit eine gewisse Immunität gegenüber den Einzelerkenntnissen. Kaum besser ließe sich die hier verfochtene These belegen, daß der Pessimismus eine spezifische Form der Deutung historischer Fakten ist, als durch Spenglers Versuch, den von ihm erwarteten Aufstieg Deutschlands zu einer Weltmacht als Vorboten des Untergangs zu interpretieren: Offensichtlich stellt sein Pessimismus gerade nicht die Reaktion auf eine Krise dar, allenfalls von einer antithetischen Reaktion auf die Zeitumstände kann hier die Rede sein. Spengler vermag die beiden Tendenzen nicht miteinander zu vermitteln, dennoch gelingt es ihm, ein offenes Aufbrechen des Gegensatzes zu vermeiden. Die positiven Erwartungen für Deutschlands Zukunft kann er auch dadurch in seine pessimistische Geschichtsphilosophie integrieren, daß er den Hang zum Monumentalen ästhetisch als Verfallserscheinung, historisch als letzten Höhepunkt vor dem endgültigen Sturz deutet. Spengler zieht dabei wiederum eine Parallele zum römischen Imperium, das er, ohne dessen >barbarische< Züge zu verschweigen, als Präfiguration des »Imperium Germanicum der Zukunft« betrachtet: 146 »Vergessen wir nicht, daß das Imperium Romanum auch nur ein skrupelloses Geschäftsunternehmen war und die großen Römer sämtlich Spekulanten waren. Und trotzdem liegt Schönheit über dem Römertum.« 147 Dieser »Typus starkgeistiger, vollkommen unmetaphysischer Menschen« taucht nicht nur in der Antike auf; er bestimmt vielmehr die Schlußphase einer jeden Formation, die eigene Gegenwart eingeschlossen: »In ihren Händen liegt das geistige und materielle Geschick einer jeden Spätzeit.«148 Spenglers Idealvorstellung sind hier die Cäsaren, deren erste moderne Verkörperung er in Cecil Rhodes gefunden zu haben glaubt, doch auch die bereits genannten >Tatsachenmenschen< der Gegenwart, die »Männer der Wirklichkeit, Industrielle, hohe Offiziere, Organisatoren«149 und schließlich auch die modernen Großstadtbewohner kommen seinen Vorstellungen nahe. Spenglers politische Hoffnungen vertragen sich auch deshalb mit seinem Kulturpessimismus, weil das Imperium - allem Tatsachenkult zum Trotz - für ihn nicht zuletzt ein ästhetisches Phänomen ist, Geschichte ein Schauspiel, in dem die große Geste zählt. 150 Beide Seiten seiner Geschichtsphilosophie sind antithetische Momente einer Dramaturgie, die vor allem an >Stil< und >Haltung< interessiert ist: Während zwischen 146 147 148 149 150
Spengler, Briefe p. 4 4 (an Klöres, 14. VII. 1 9 1 5 ) . ibd. Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 4 3 . Spengler, Pessimismus p. 7 8 . »Sein [Spenglers; M. P.] Politikverständnis lief einher mit einer Ästhetik des politischen Handelns, gegen deren heroisches Stilideal sich die Kompromißprozeduren des parlamentarischen Systems wie Karikaturen viriler Entschlußfreudigkeit ausnehmen mußten.« Feiken, Oswald Spengler p. 1 5 4 sq.
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der Untergangsprophezeiung und der Voraussage der sich anbahnenden Größe Deutschlands trotz der skizzierten geschichtsphilosophischen Vermittlung eine Spannung verbleibt, solange beide Tendenzen nur auf die historischen Fakten bezogen werden, ergänzen sie sich auf der ästhetischen Ebene gerade durch ihren Kontrast: Der Glanz der künftigen deutschen Cäsaren wird nur noch beeindruckender sein, wenn sie ihr Imperium dem nahenden Zusammenbruch abgerungen haben; außerdem wird ihnen so die Gelegenheit geboten, in all ihrer Erhabenheit unterzugehen. Weit entfernt davon, den imperialistischen Träumen zu widersprechen, bestärkt die Untergangsprophezeiung sie also, sofern beide aus der ästhetischen Perspektive betrachtet werden, einer Perspektive im übrigen, die in ihrer Engführung von Pracht und Verfall noch immer von der Ambivalenz der Dekadenzvorstellung zehrt. Besonders deutlich kommt diese Tendenz gerade dort zum Ausdruck, wo Spengler dem eigenen Selbstverständnis nach seinen unerbittlichen Blick auf die harten und grausamen Tatsachen richtet und allen Asthetizismus wortreich verdammt. So verdanken jene Wirtschaftsführer und Organisatoren, die den versponnenen >Nachzüglern des humanistischen Klassizismus der GoethezeitHindenburgstil< ... kurz, klar, römisch, vor allem natürlich«,152 dem Spengler selbst nacheifert. Uberflüssig zu erwähnen, daß auch der Cäsarismus ein politischer Stil ist, 153 und ein besonders grandioser dazu: »Wer das Großartige nicht empfindet, das auch in dieser Wirksamkeit gewaltiger Intelligenzen, dieser Energie und Disziplin metallharter Naturen, diesem Kampf mit den kältesten, abstraktesten Mitteln liegt, ... der muß es aufgeben, Geschichte verstehen, Geschichte durchleben, Geschichte schaffen zu wollen.« 154 Es ist kein Zufall, daß Spengler hier >VerstehenDurchleben< und 'Schaffen< von Geschichte unmittelbar zusammenrückt, ist für ihn Geschichtsschreibung doch in der Tat eine Form eigener ästhetischer Produktivität. Natur, so bemerkt der Autor in einer später gestrichenen Passage der ersten Auflage, »soll man wissenschaftlich traktieren, über Geschichte soll man dichten«. 155 In diesem Sinne bemerkt John Farrenkopf: »Es ist der enorme Ehrgeiz dieses Denkers, ... der Dramaturg der Weltgeschichte selbst zu sein und das volle poetische Bewußtsein der Schrecken und Wunder der gesamten geschichtlichen Erfahrung des Menschen zu erlangen.« 156 Ahnliches gilt für Spenglers Verhältnis zu Technik und Wissenschaft. Eben-
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Spengler, Der Mensch und die Technik p. 2. cf. Briefe p. 4 5 sq. (an Klöres, 14. VII. 1915): »Ich finde gutes Deutsch oft in Leitartikeln, bei Bismarck, in Geschäftsberichten unsrer großen Industrieunternehmen, aber nie in Romanen.« Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 50. 1. c. p. 52. Spengler, Der Untergang des Abendlandes (1. Aufl.) p. 141; cf. Untergang des Abendlandes Bd. I p . 131. Farrenkopf, The Transformation of Spengler's Philosophy p. 4 6 8 ; cf. Brandenburg, Spenglers UNTERGANG DES ABENDLANDES p. 7: »Das Wesen jeder Kultur und das Verhältnis jeder Einzelerscheinung zum Ganzen der Kultur ist nur auf dem Wege künstlerischer Intuition zu erfassen. Der Historiker wird geboren wie der Dichter. Eine historische Wissenschaft kann es nicht geben, weil sie mit den hierzu untauglichen Mitteln kausaler Erkenntnis Fragen zu
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so wie im Futurismus, 157 der im übrigen auch über die Faszination des Schrecklichen schon recht genau Bescheid wußte, 1 5 8 gelten auch bei Spengler in diesem Bereich vor allem ästhetische Kriterien: Keineswegs steigt der Autor in die triviale Sphäre des Gebrauchswertes hinab, um den Vorrang einer mathematischen Formel gegenüber einem Gedicht zu zeigen; erstere ist nicht nützlicher, sondern schöner als ein poetisches Werk: »Ich liebe die Tiefe und Feinheit mathematischer und physikalischer Theorien, denen gegenüber der Ästhetiker und Physiolog ein Stümper ist. Für die prachtvoll klaren, hochintellektuellen Formen eines Schnelldampfers, eines Stahlwerkes, einer Präzisionsmaschine, die Subtilität und Eleganz gewisser chemischer und optischer Verfahren gebe ich den ganzen Stilplunder des heutigen Kunstgewerbes samt Malerei und Architektur hin.« 159 Bezeichnenderweise wird denn auch die Parallele zwischen dem Imperium Germanicum< und seinem römischen Vorbild nicht zuletzt durch eine gemeinsame Ästhetik gestiftet. Bei einem Vergleich der deutschen Soldaten mit römischen Legionären etwa beruft sich Spengler nicht etwa auf Taktik, Tapferkeit oder militärisches Geschick, sondern auf die feldgraue Uniform. Diese komme in ihrer erhabenen Schmucklosigkeit der Legionärsrüstung gleich - eine rein ästhetische Gemeinsamkeit, die jedoch gleich zu einem generellen Schluß auf die substantielle Verwandtschaft zwischen dem Römischen und dem Deutschen Reich berechtigt: »Deutschland hat eine Mission, die der Roms ähnlich ist. Betrachten Sie den Typus unsrer feldgrauen Soldaten, der welthistorisch sein wird. Keine andre Armee hat etwas so Symbolisches in ihrer Erscheinung. So traten den malerischen Soldaten der hellenischen und punischen Heere die römischen
lösen versucht, die nur dem ahnenden und nachschaffenden Geiste des Künstlers zugänglich sind.« 157 Die folgende Bemerkung Umberto Boccionis illustriert die Affinität Spenglers zur Ästhetik des Futurismus: »Das Offnen und Schließen eines Ventils schafft einen ebenso schönen, aber unendlich viel neueren Rhythmus als den des Augenlids eines Tieres.« Umberto Boccioni, Die futuristische Bildhauerkunst, z. n. Perpeet, Kulturphilosophie um die Jahrhundertwende p. 371. 158 »1. Noi vogliamo cantare l'amor del pericolo, l'abitudine all'energia e alia temeritä. 2. II corragio, l'audacia, la ribellione, saranno elementi essenziali della nostra poesia. 3. La letteratura esaltö fino ad oggi l'immobilitä pensosa, l'estasi e il sonno. Noi vogliamo esaltare il movimento aggressivo, l'insonnia febbrile, il passo di corsa, il salto mortale, lo schiaffo ed il pugno. ... 9. Noi vogliamo glorificare la guerra - sola igiene del mondo - il militarismo, il patriottismo, il gesto distruttore dei libertarl, le belle idee per cui si muore e il disprezzo della donna.« Marinetti, Teoria p. 9 sq. (MANIFESTO DEL FUTURISMO) »1. Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit. 2. Mut, Kühnheit und Auflehnung werden die Wesenselemente unserer Dichtung sein. 3. Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag. ... 9. Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.« (Übersetzung nach Lepenies, Melancholie p. 42.). 159 Spengler, Der Untergang des Abendlandes p. 60.
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Legionen gegenüber: nüchtern, schmucklos, aber von eiserner innerlichster Selbstverständlichkeit.«160
Die Tragödie der Weltgeschichte Spenglers >Morphologie< inszeniert so - dem eigenen Selbstverständnis nach - »Kultur als geschichtliches Schauspiel«;161 konsequent ist es da, wenn sie selbst Wahrheit nur beansprucht »im Sinne der inneren Wahrheit eines großen Kunstwerkes nämlich, was von der Beweisbarkeit und selbst Widerspruchslosigkeit der einzelnen Sätze unabhängig ist«. 162 Den entscheidenden Ansatzpunkt liefert ihr dabei der Pessimismus. Er allererst verwandelt die Weltgeschichte aus einem bürgerlichen Trauerspiel in eine erhabene Tragödie, die ihrem Autor und Helden Gelegenheit gibt, Standfestigkeit und Weitblick zu demonstrieren. Daß es sich hier um eine kunstvolle Inszenierung handelt, 163 verrät auch Spenglers Terminologie, die noch in den späten Fragmenten ihre ästhetische Herkunft erkennen läßt: »Was ich schreibe, ist eine Tragödie. Die >Weltgeschichte< in diesem Aspekt ist tragisch: der >frei< gewordene Mensch im Kampf gegen die Welt - um sich, in sich, in den andren Menschen. Der höhere Mensch ist ein Verhängnis. Er hinterläßt mit seinen Gräbern die Erde als Schlachtfeld und Trümmerstätte. ... Er hat das Antlitz der Welt blutig gezeichnet, verstümmelt, zerrissen. Aber es war Größe darin. Wenn er nicht mehr ist, wird sein Schicksal etwas Großes gewesen sein. Und selig die, welche Zeiten dieser Größe erleben, schauen können.« 164 Deutlich sichtbar ist hier der Zusammenhang von >Größe< und >PessimismusBild des Sieges< malt: Wahre Größe zeigt sich im Angesicht des Unterganges, doch zu ihrer Vollendung bedarf sie des Bildes, der ästhetischen Inszenierung. Spengler gibt mit jener Geschichte offenkundig ein verstecktes Selbstporträt, ist es doch sein eigenes Werk, das angesichts des nahenden Untergangs das Bild der um ihn tobenden Schlacht zeichnen will. Der Untergang des Abendlandes wird schrecklich sein, doch gerade dies gibt seinem Chronisten Gelegenheit, einen Heroismus zu beweisen, der dem des japanischen Malers gleichkommt. Anders als in späteren Schriften wird der Asthetizismus in der bereits 1 9 1 0 entstandenen Erzählung noch eindeutig einbekannt: Held ist der Künstler - nicht der >TatsachenmenschMasse< kann stets als Erscheinungsform des schlechten Ganzen dem heroischen einzelnen entgegengestellt und damit diskreditiert werden. Spengler, Jahre der Entscheidung p. 9 sq.; cf. oben p. 1 8 4 . cf. Spengler, Der Untergang des Abendlandes Bd. I p. 5 3 . 1 8 4 Spengler, Der Mensch und die Technik p. 88. 1 8 5 1. c. p. 3 3 . 1 8 6 Spengler, Jahre der Entscheidung p. 1 4 3 . 1 8 7 1 . c. p. 1 4 4 . 1 8 8 Spengler, Urfragen p. 3 4 8 . 1 8 9 Spengler, Jahre der Entscheidung p. 1 3 3 , 1 3 5 . 182
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Auch wenn man also entschiedene Vorbehalte gegenüber dem Versuch des späten Lukäcs hegt, die konservative Kulturkritik kurzerhand der Vorgeschichte Faschismus einzuordnen, 190 so wird hier doch offensichtlich, daß Spengler zumindest theoretische Vorarbeit für den Nationalsozialismus leistet. Zwar bewahrt er - trotz anfänglicher Sympathien mit der »nationalen Umwälzung< 191 - Distanz zur NSDAP, die er als die »Organisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuem verspottet; seine Ästhetik der Gewalt aber, die Begriffe wie >Wahrheit< und >Recht< als Illusionen idealistischer Schwächlinge denunziert, beteiligt sich de facto an der Etablierung der nationalsozialistischen Ideologie: »Spenglers Beitrag zum antidemokratischen Denken der Weimarer Republik«, so Detlef Feiken, »ist kaum zu unterschätzen. Er selbst hielt sich viel darauf zugute, den Sturz der Republik von Anbeginn an gefordert und gefördert zu haben. Zumindest indirekt haben seine Schriften den >Bündnisabschluß zwischen alten Führungsschichten und nationalsozialistischer Bewegung< begünstigt, der Hitler an die Macht brachte.« 1 9 2 Letztlich brechen jedoch in Spenglers Verhältnis zum Nationalsozialismus noch einmal all die Widersprüche auf, die sich aus seinem heroischen Asthetizismus ergeben: Seine Antipathie gegen Hitler ist vornehmlich 193 ästhetisch motiviert, ging dem Führer der »braunen Haufen< doch jene Größe ab, die Spengler an Mussolini so bewundert hatte. 1 9 4 Hitler sei ein >HeldentenorSkepsis< wiegt angesichts der Bedeutung dieser Haltung für Spengler besonders schwer; zu Mussolini cf. Frühzeit der Weltgeschichte p. 2 1 . Hitler, darauf hat bereits Hermann Lübbe hingewiesen, ist daher von Spengler auch nicht als der vorausgesagte Cäsar erkannt worden; cf. Lübbe, Historischpolitische Exaltationen p. 14. Spengler, Politische Schriften p. X . 1 . c. p. 1 5 1 .
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liehe >BedeutungKunst< verwendet - in seinen Augen versagt Hitler als politischer Künstler, doch gerade dabei wird noch einmal Spenglers Verkennung seiner eigenen Rolle sichtbar: Seine Polemik gegen die politische Ästhetik der Nazis ist selbst ästhetizistisch, und sein Plädoyer für den Heroismus der Tat stammt aus dem Munde eines Literaten, der sich mit dem Gedanken trägt, ein Drama über Tiberius zu verfassen. 199 So ist es denn auch nicht die illusionslose Erkenntnis der harten Tatsachen, die Spengler zu seinem Pessimismus bringt, sondern umgekehrt: der Pessimismus bestimmt seine Auswahl, seine Deutung und - vor allem - seine Darstellung der >TatsachenWillen< regiert wird, kann der einzelne nicht mehr erwarten, daß sein Unheil der Nachwelt zugute kommen wird, doch er braucht sich auch nicht mehr mit derartigen Versprechungen vertrösten zu lassen: Die Metaphysik des >WillensAnspruchsniveaus< beschrieben wurde: die Pessimisten verwahren sich nicht nur gegen die Zumutung, das Leid als sinnvoll zu akzeptieren, gleichzeitig formulieren sie auch recht weitgehende Forderungen an ein glückseliges Leben. Mainländer etwa akzeptiert noch nicht einmal die Befriedigung sämtlicher sinnlichen und materiellen Bedürfnisse in einem idealen Staat als Gewähr für ein glückseliges Leben - auch unter diesen Bedingungen sei das Nichtsein der Welt ihrem Sein vorzuziehen, der Pessimismus bleibe also im Recht. 1 2
Kant, Gesammelte Schriften Bd. V p. 3 7 9 . »Es ist gut, selbst die uns unangenehmen und in besonderen Beziehungen zweckwidrigen Dinge auch von dieser Seite zu betrachten. So könnte man ζ. B. sagen: das Ungeziefer, welches die Menschen in ihren Kleidern, Haaren oder Bettstellen plagt, sei nach einer weisen Naturanstalt Antrieb zu Reinlichkeit, die für sich schon ein wichtiges Mittel zur Erhaltung der Gesundheit ist.« ibd.
Die Perspektive des Pessimismus
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Selbstverständlich gibt es andere Möglichkeiten der Reaktion auf die skizzierte Situation - Feuerbach steht für die Überwindung der theologischen Prämissen der Tradition, Stirners Schrift über den EINZIGEN UND SEIN EIGENTUM für eine entschieden subjektivistische Perspektive. Beide kommen ebensowenig zu pessimistischen Schlußfolgerungen wie Marx, der dem Leid das konkrete historische Handeln entgegenstellt. Entscheidend für die Ausbildung des Pessimismus sind daher noch zwei weitere Momente. Zum einen bleiben vor allem die Theorien der Schopenhauer, Hartmann, Mainländer und Bahnsen dem Erbe der traditionellen Metaphysik verpflichtet, indem sie die Welt auf ein zentrales Prinzip zurückführen. Hatte dort der gute Gott, komme was da wolle, die Weisheit der Weltläufte garantiert, so ist für die Pessimisten das Schicksal der Erde und ihrer Bewohner durch den blinden und ignoranten >Willen< unwiderruflich festgeschrieben. Das Projekt der Theodizee wird also nicht einfach aufgegeben, sondern mitsamt seinen axiologischen Implikationen umgekehrt und neu begründet - die Rolle des Schöpfers nicht gestrichen, sondern neu besetzt: An die Stelle des liebenden Gottes tritt der finstere >Willeunmittelbaren< Zugang zur realen Erfahrung, doch er zwingt zur Auseinandersetzung mit jenen negativen Momenten der menschlichen Existenz, die bislang ohne große Schwierigkeiten marginalisiert werden konnten. Zunächst bleibt die Wirksamkeit dieser Einsichten gering, erst außerhalb der eigenen Systemzusammenhänge können die Erkenntnisse der Pessimisten fruchtbar werden: Welchen Sinn sollte es schließlich haben, sich gegen ein Schicksal aufzulehnen, das unwiderruflich feststand? Die Auseinandersetzung mit dem Pessimismus läßt jedoch noch einen weiteren Komplex von Motiven erkennen - jene Formen rhetorischer und ästhetischer Stilisierung nämlich, die es erlauben, hier von einem sekundären Pessimismus< zu sprechen. In dem Grauen, das die Pessimisten diagnostizieren, wird immer wieder eine gewisse Faszination des Schrecklichen sichtbar, gleichzeitig ist hier eine Neigung zur Selbststilisierung zu bemerken. Die Pessimisten treten auf als die einsamen Vorkämpfer einer Wahrheit, die verkannt wird, weil die feige und verblendete Masse das Schreckliche nicht zur Kenntnis zu nehmen wagt. Die Pose, die die Pessimisten dabei einnehmen, demonstriert noch einmal die Ambivalenz des Perspektivwechsels, der hier vollzogen wird: Trägt dieser auf der einen Seite entscheidend dazu bei, daß das subjektiv erfahrene Leid ernst genommen werden muß, so finden hier doch auf der anderen Seite selbsternannte Heldenseelen die Möglichkeit, sich über die Meinungen und Interessen der Mehrheit hinwegzusetzen. Unter Berufung auf den Adel des Leids vermögen die >großen einzelnem die Massen kurzerhand dem schlechten Bestehenden zuzuschlagen: »Das tiefe Leiden«, so Nietzsche, »macht vornehm; es trennt.«3 Schon Schopenhauer war alles andere als ein Demokrat, weit deutlicher zum Ausdruck kommen diese problematischen Tendenzen aber erst bei den Kul3
Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. V p. 2 2 5 .
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Fazit
turpessimisten des späten 19. und frühen 2 0 . Jahrhunderts. In Spenglers UNTERGANG DES ABENDLANDES erstarrt der pessimistische Subjektivismus dann zur Pose des heroischen einzelnen, der nur noch mit Verachtung auf jenes Leid der Individuen herabblikken kann, das ursprünglich einmal zu den zentralen Motiven des Pessimismus gehört hatte. Diese Leiden haben sich - soweit das heute zu beurteilen ist - in den eineinhalb Jahrhunderten zwischen Kant und Spengler nicht wesentlich vergrößert, die schwarze Farbe, die die Pessimisten mit einer gewissen Faszination auftragen, hat mit der Wirklichkeit wenig mehr zu tun als der ältere Goldglanz. Dennoch wird hier ein wichtiger Schritt vollzogen: Die Zerstörung jener autoritativen Sinnstiftungen schafft den Raum, in der das Subjekt als Kritiker wie als Opfer seine Interessen und seine Sichtweise zur Geltung bringen kann - hier vor allem scheint denn auch die philosophische Bedeutung dieser Tradition zu liegen.
ANHANG
Literatur
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Index
- A -
Acham, Karl 24 Adorno, Theodor W. 20; 25; 75 sq.; 81; 174 Alewyn, Richard 19 Allen, Don Cameron 135 Anz, Thomas 23 Armstrong, Arthur Hillary 32 Augustinus, Aurelius 41; 81 -BBaeumler, Alfred 187; 189 Bahnsen, Julius 14; 16; 27; 117 sq.; 131 sq.; 138 sq.; 140-142; 150; 154-156; 160; 183; 194; 212 sq. Barth, Karl 62 Baudelaire, Charles 17; 94; 96-101; 108; 119 sq.; 122; 130; 145; 156 Bayle, Pierre 41; 4 9 - 5 1 ; 53; 65; 83; 110; 212 Benjamin, Walter 17; 99; 150; 164; 176; 181 Bloch, Ernst 12; 38; 116; 124; 164; 167-174; 178; 188; 193; 208 Blumenberg, Hans 19; 39; 47 sq.; 52 Böhme, Gernot 176 sq. Boileau, Nicolas 145 Bollenbeck, Georg 11; 152; 194 Bommeli, Rudolf 115 Bonaventura 9; 39^12; 45; 82 Borst, Arno 42 Brandenburg, Erich 187; 199; 202 Brandt, Reinhard 10; 68; 71 Breidert, Wolfgang 21; 54 sq. Brittnacher, Hans Richard 91 Brockes, Barthold Hinrich 67; 88 sq. Bruno, Giordano 44—46
Buber, Martin 19 Burckhardt, Jacob 16; 23; 133; 142; 147-151; 158; 176 Burschell, Friedrich 169; 170 Burton, Robert 33; 93 sq. Butts, Robert E. 67 -CCampanella, Tommaso 16; 135 Caro, Eime Marie 35; 158; 161 Carroll, Noel 91 Cassirer, Ernst 39; 46 Cicero, Marcus Tullius 33; 35 Corneille, Pierre 30; 90 Curtius, Emst Robert 19; 145; 147; 205 Cusanus, Nicolaus 39 -DDaum, Andreas 115 Decher, Friedhelm 118 Demandt, Alexander 192 Demokrit 33 Descartes, Rene 46; 50; 111 Diels, Hermann 8; 34 Dienel, Hans-Liudger 115 Dietzsch, Steffen 91 sq.; 94 Diogenes Laertius 34 Drehsen, Volker 115; 146 Düsing, Klaus 67; 69; 76 -EEley, Geoff 22; 113 Elias, Norbert 194 Empedokles 33 Epikur 33 sq.
Anhang
236
-FFarrenkopf, J o h n 1 8 2 ; 1 8 5 ; 1 9 8 ; 2 0 2 Fechner, Gustav T h e o d o r 148 Feiken, Detlef 1 8 1 ; 1 8 2 ; 1 8 5 ; 2 0 0 sq.; 2 0 7 ; 2 0 9 sq. Fereus, Zdenko 155 Feuerbach, Ludwig 2 1 3 Fichte, Johann Gottlieb 1 1 1 ; 165 Ficino, Marsilio 3 1 Foerster, Werner 3 5 ; 95 Frank, Manfred 1 6 7 Freud, Sigmund 3 8 ; 138 Friedlaender, Salomo 1 6 9
-GGadamer, Hans-Georg 2 5 Gaiser, Konrad 3 2 Galilei, Galileo 4 6 - 4 9 ; 2 1 1 Gerhardt, Volker 15 Gethmann, Carl F. 8 0 Geyer, Carl-Friedrich 4 5 Glasenapp, Helmut v. 3 4 Glaser, Adolf 1 5 9 Gloy, Karen 3 9 Goedert, Georges 118 Golther, Ludwig v. 1 2 4 ; 1 3 1 ; 1 5 8 ; 1 6 0 sq. Goodman, Nelson 191 Gottsched, Johann Christoph Gräfrath, Bernd 1 3 4 sq. Gräntz, Fritz 1 8 7 ; 2 0 4 Greif, Hans Jürgen 2 3 Großheim, Michael 1 7 6
90
-HHabermas, Jürgen 1 1 3 ; 1 6 7 Haeckel, Ernst 1 1 4 sq. Haller, Rudolf 1 8 9 Hampe, Edgar 95 sq. Hartmann, Eduard v. 9 ; 1 2 - 1 7 ; 2 7 ; 3 8 ; 1 1 2 ; 1 1 6 - 1 1 8 ; 1 2 2 - 1 3 2 ; 1 3 4 sq.; 1 3 7 - 1 4 2 ; 148; 150; 152; 154; 1 5 9 - 1 6 1 ; 1 6 4 - 1 6 7 ; 171 sq.; 1 7 4 ; 1 8 3 ; 1 9 2 sq.; 2 0 7 sq.; 2 1 2 sq. Havenstein, Martin 1 8 2 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 9; 11 sq.; 2 0 sq.; 2 6 ; 3 0 ; 6 4 ; 7 2 ; 7 6 - 8 2 ; 1 0 6 ; 1 0 8 ; 1 1 0 sq.; 1 2 3 ; 1 2 8 ; 1 3 2 ; 1 7 2 ; 181; 213
Heibel, Yule F. 2 3 sq. Heidegger, Martin 2 5 ; 1 1 0 ; 188 sq. Heidbrink, Ludger 17 Hentschel, Volker 2 2 ; 113 Heraklit 3 3 ; 5 2 Herder, Johann Gottfried 6 6 ; 7 2 ; 9 0 ; 1 8 7 Heym, Georg 93 Hiller, Kurt 1 6 9 Hinske, Norbert 7 4 Hocke, Gustav Rene 19 Hof, Walter 4 5 Horkheimer, M a x 2 5 ; 4 4 ; 1 0 7 ; 1 7 4 Horstmann, Rolf-Peter 7 8 ; 1 0 6 Horstmann, Ulrich 133 Huber, Johannes 3 4 ; 8 9 ; 1 5 8 ; 1 6 0 Hugo, Victor 2 6 ; 145 sq. Huizinga, Johan 2 5 ; 4 3 Huysmans, Joris-Karl 2 3 ; 1 0 0 sq.; 1 0 8 ; 1 2 0 ; 1 2 2 ; 1 4 5 ; 156 - I -
Innozenz III. 4 3 ; 4 5 ; 4 7
- J -
Janßen, Hans-Gerd 5 4 ; 6 2 sq. Jehl, Rainer 4 1 sq. Jonas, Hans 35 sq. Jung, Matthias 2 5 Jung, Thomas ; 1 8 7 ; 1 9 9 Jung, Werner 91 Jünger, Ernst 1 8 9
-KKant, Immanuel 7 ; 9 - 1 2 ; 2 6 ; 5 6 ; 6 1 ; 6 4 ; 6 6 - 7 5 ; 7 7 sq.; 81 sq.; 9 0 sq.; 1 0 6 ; 1 0 9 - 1 1 1 ; 129; 132; 138; 148; 159; 180; 194; 212; 214 Kaup, Julian 3 9 Kemmer, Otto 155 Kesting, Marianne 2 1 ; 9 7 Kittsteiner, Heinz-Dieter 11; 2 1 ; 5 0 ; 6 4 Klages, Ludwig 14; 18; 1 3 8 ; 1 5 0 ; 1 7 3 ; 174-181;188 Kleingeld, Pauline 6 7 ; 6 9 ; 7 4 sq. Klingemann, Ernst August 9 1 - 9 5 ; 101 Kockelmans, Joseph J . 2 5 Koktanek, Anton Mirko 183 sq.; 198
Index Körtner, Ulrich H. J. 182; 188 sq.; 199; 204 Koselleck, Reinhart 7; 18 Koyre, Alexandre 4 4 ; 47 Krauss, Werner 30
-LLagarde, Paul de 16; 18; 2 2 sq.; 116 sq.; 142; 144; 151; 194 Lambert, Malcolm D. 4 2 Landauer, Gustav 24; 38 Langbehn, Julius 16; 18; 22; 114; 116 sq.; 142; 144; 151 Lasaulx, Ernst v. 133; 146 sq.; 151; 192 sq. Lebegue, Raymond 87 sq. Leibniz, Gottfried Wilhelm 9; 11 sq.; 2 0 ; 5 1 - 5 7 ; 60; 6 2 sq.; 65 sq.; 75; 82 sq.; 89; 104; 110 sq. Lepenies, Wolf 203 Lessing, Gotthold Ephraim 20; 60; 64 sq.; 87; 90; 97 Lipps, Theodor 91 Lübbe, Hermann 187; 189; 2 0 4 ; 2 0 7 ; 209 Lukäcs, Georg 2 2 ; 24; 38 sq.; 86; 87; 110; 150; 1 6 4 - 1 7 3 ; 2 0 9 Lukrez 87; 96 Lütkehaus, Ludger 126 -MMager, Kurt 187 Mainländer, Philipp 1 2 - 1 4 ; 16 sq.; 27; 112; 1 3 1 - 1 3 9 ; 142; 148; 150; 155; 158; 160 sq.; 167; 172; 174; 192 sq.; 2 1 2 sq. Mann, Thomas 13; 108; 145; 164; 167; 182; 194 Mansfeld, Jaap 33; 5 2 Marcuse, Ludwig 15; 182 sq. Marinetti, F. T. 203 Marquard, O d o 62 Maupertuis, P. L. Moreau de 9; 65 sq.; 7 3 ; 82; 148 McGinn, Robert E. 121 Mendelssohn, Moses 65; 7 4 ; 88; 90 Merlio, Gilbert 198 Metman, Etienne 137; 1 5 8 - 1 6 0 Meyer, Hans 3 9 ; 4 1 sq.; 176 sq.
237 Mezger, Edmund 185; 2 0 5 ; 2 0 7 Morus, Thomas 16; 135 -NNietzsche, Friedrich 13 sq.; 17; 19; 27; 38; 4 7 ; 94; 98; 1 0 5 - 1 0 8 ; 112; 1 1 7 - 1 2 2 ; 124; 129 sq.; 136 sq.; 139; 141 sq.; 148; 152; 155 sq.; 1 6 5 - 1 6 7 ; 1 7 2 - 1 7 4 ; 182 sq.; 185; 187; 194; 2 0 7 ; 209 Nipperdey, Thomas 2 2 - 2 4 ; 113 sq. Novalis 24; 44 - O -
Oelmüller, Willi 53; 110 Oesterle, Günter 91 Opitz, Martin 88 Orieux, Jean 62
-PPanofsky, Erwin 4 7 sq. Pascal, Blaise 19; 38 sq.; 44; 100 Pauen, Michael 131; 150; 168; 174 Peladan, Josephin 133 Perpeet, Wilhelm 183; 203 Pflaum, Hans-Georg 36 Pico della Mirandola, Giovanni 4 4 sq. Piaton 16; 32; 46 sq.; 104 sq. Plotin 3 2 sq. Poe, Edgar Allan 21; 9 6 - 9 9 ; 101 Pöggeler, Otto 189 Pope, Alexander 20; 54 sq. Popov, Stephan 185 Praz, Mario 86; 91; 97 -QQuine, Willard Van Orman 80
-RRapp, Friedrich 147 Rasch, Wolfdietrich 23; 146 Rehm, Walther 145 Riegl, Aloys 149 Ringer, Fritz K. 194 Rintelen, Fritz-Joachim v. 124; 131; 160 sq. Roberts, David 25 Rohbeck, Johannes 64; 73 Rosenberg, Hans 2 2 ; 113; 2 0 9
Anhang
238 Ross, Werner 2 3 ; 8 7 ; 145 sq. Rostovzeff, Michael 3 5 Rothhaupt, Josef G. F. 1 8 9 Rousseau, Jean-Jacques 7 ; 2 4 ; 5 5 Rudolph, Kurt 3 5 Rütten, T h o m a s 3 3
-SSafranski, Rüdiger 103 Salewski, Michael 1 1 6 Sander, Ernst 2 1 ; 6 3 Schaeffler, Richard 7 9 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 2 5 Schiller, Friedrich 6 0 ; 9 1 Schischkoff, Georgi 1 8 2 ; 1 9 9 Schlegel, Friedrich 2 4 Schlosser, Johann Georg 5 4 Schmitt, Arbogast 3 2 ; 4 6 Schmitz, Hermann 1 7 6 ; 1 7 7 Schoeps, Hans Joachim 1 4 7 ; 1 5 0 ; 1 8 2 Schömel, Wolfgang 2 2 Schopenhauer, Arthur 8 - 1 7 ; 2 7 ; 3 4 ; 3 8 ; 5 2 ; 5 4 ; 7 4 ; 8 2 ; 1 0 0 ; 1 0 3 - 1 1 2 ; 118 sq.; 1 2 1 - 1 2 5 ; 127; 1 2 9 - 1 3 4 ; 1 3 7 - 1 4 0 ; 1 4 2 ; 1 4 4 ; 1 5 0 ; 1 5 2 ; 1 5 6 ; 1 6 0 sq.; 1 6 4 sq.; 1 6 7 ; 1 7 2 - 1 7 4 ; 1 8 3 ; 1 8 9 ; 1 9 3 ; 208;211-213 Schröder, Hans Eggert 1 3 8 ; 1 7 9 Schröter, Manfred 1 8 2 ; 1 8 6 ; 1 9 7 - 1 9 9 ; 205 Schuler, Alfred 1 5 0 ; 1 7 6 ; 1 8 0 Schulz, Walter 2 0 Selling, M a x 1 3 7 ; 155 sq. Seilars, Wilfrid 11 Seneca, L. Annaeus 3 3 ; 8 7 Simmel, Georg 1 4 8 ; 1 5 4 ; 1 5 9 ; 1 6 0 ; 1 6 5 ; 181 Solitaire, M . 95 sq.; 1 0 1 ; 157 Sontheimer, Kurt 2 0 9 Sophokles 8 7 Sotion 3 3 S p a m , Walter 1 4 6
Spengler, Oswald 14 sq.; 17 sq.; 2 7 ; 1 2 2 ; 147; 150; 1 8 1 - 2 1 1 ; 214 Spranger, Eduard 1 8 7 ; 2 0 0 Stäglich, Hans 15 Stern, Fritz 2 2 sq.; 1 1 4 ; 1 5 3 ; 158 Stirner, M a x 2 1 3 Susman, Margarete 1 6 9
-TTaine, Hippolyte 2 3 Taubert, Agnes 1 1 6 ; 1 2 6 ; 148 Taylor, Charles 7 8 Theunissen, Michael 3 3
-UUnger, Rudolf 2 0 -VViehoff, Heinrich 1 1 6 ; 1 5 9 ; 1 6 1 Vierhaus, Rudolf 18 Volkelt, Johannes 115 sq.; 1 3 2 ; 1 5 4 ; 1 5 9 ; 187 Voltaire 5 5 ; 6 2 - 6 4 ; 8 2 sq. Vondung, Klaus 2 3 Vossenkuhl, Wilhelm 1 8 9 Vyverberg, Henry 6 4 - W -
Walzel, Oskar 198 sq. Wasianski, Ε. A. Ch. 10 Weber, Max 3 5 ; 111 Weinrich, Harald 6 2 Whittaker, T . 133 Wittgenstein, Ludwig 1 8 9 ; 1 9 1 Wolff, Christian 5 6 - 6 3 ; 6 5 sq.; 7 5 ; 8 0 ; 83; 169 Wright, Georg Henrik von 1 8 9 Wundt, Wilhelm 1 2 2 ; 1 5 2
-ZZander, Helmut 115 Zelle, Carsten 1 9 ; 4 2 ; 8 7 - 8 9 ; 9 1 Zimmermann, Oswald 1 5 6 sq.
Schlußbemerkung
Bücher haben nicht nur ihre Schicksale, sondern leider auch ihre Fehler. Beim vorliegenden Buch wären die ersteren schwieriger, letztere zahlreicher, hätte ich nicht Kritik, Rat und Unterstützung von Reinhard Brandt erhalten. Bedanken möchte ich mich außerdem für Interesse und vielfältige Hilfen bei Arbogast Schmitt, Herb Deinert und ganz besonders bei Gert Mattenklott. Matthias Schwannauer half mir bei den Korrekturen und bei der Literaturbeschaffung, Jörg Lengelsen und Gerald Funk gaben mir inhaltliche Hinweise und machten mich auf wichtige Texte aufmerksam. Schließlich gilt mein Dank der Klages-Gesellschaft Marbach und insbesondere Michael Großheim für einen großzügigen Druckkostenzuschuß. Profitiert haben meine Arbeiten zu Beginn von den wunderbaren Arbeitsmöglichkeiten der Olin-Library in Cornell, beim Abschluß von der Unterstützung und dem Engagement Thomas Egels. Besonders wichtig waren für mich in den optimistischen ebenso wie in den krisenhaften Phasen der Entstehungsgeschichte dieses Buches Geduld und Hilfe, aber auch Vorschläge und Kritik, die ich von meiner Frau erhalten habe. Widmen möchte ich diese Arbeit schließlich dem ersten und zugleich liebenswertesten Pessimisten, den ich kennengelernt habe - meinem Vater. Marburg, Oktober 1996 Michael Pauen