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German Pages 170 [172] Year 2002
Barbara Beßlich Faszination des Verfalls
Barbara Beßlich
Faszination des Verfalls Thomas Mann und Oswald Spengler
Akademie Verlag
Abbildung auf dem Einband: © Schweizerische Stiftung f. Photographie / V G Bild-Kunst, Bonn 2002
ISBN 3-05-003773-3
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Milchhof: Atelier 24, Hans Baltzer, Berlin Satz: Dr. Norbert Winkler, Mannheim Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Gedruckt in Deutschland
Inhalt
Einleitung 1
Thomas Mann liest und diskutiert Spengler.... 19 1.1 1.2
2
2.2 2.3 2.4
4
Lektüre und Notizen Gespräch und Korrespondenz
Der Untergang des Abendlandes in Aneignung und Abstoßung 2.1
3
7
Weltanschauungspoesie: Der „intellektuale Roman" Denken in Analogien Zivilisationsbewertung Fatalismus
20 26
35 37 41 43 47
Spengler im Zauberberg
53
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
60 68 71 73 80
Der Großvater, der Tod und die Zeit Abendländische Arbeit Settembrinis Musik Rußland und der „Aufgang" des Ostens Peeperkorn - ein Spenglerscher Cäsar?
Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"? 4.1 4.2 4.3
Fatalistische Apokalyptik Jesuitischer Sozialismus Preußischer Katholizismus spanischer Herkunft
89 92 98 104
6
5
Inhalt
Schlußbetrachtung
111
5.1 5.2
Adornos Spengler Spengler im Doktor Faustus
115 124
5.2.1
Breisacher als Agent des Untergangs
125
5.2.2
Spenglersche Herrenabende bei Kridwiß
132
5.2.3
Apocalipsis
cum figuris als musikalischer
Untergang des Abendlandes
6
Quellen und Literatur
143
6.1 6.2
Ungedruckte Quellen Gedruckte Quellen
143 143
6.2.1
Thomas Mann
143
6.2.2
Oswald Spengler
145
6.2.3
Sonstige
145
6.3 7
138
Darstellungen
Siglen und Abkürzungen
150 163
Personenregister
165
Werkregister Thomas Manns
169
Danksagung
171
Einleitung
Oswald Spengler verkündete 1918 den Deutschen den bereits vor dem Ersten Weltkrieg konzipierten Untergang des Abendlandes. Seine kulturgeschichtliche Apokalyptik zeitigte eine ungeheure Wirkung. Theodor Heuss erinnerte sich an das „literarische Phänomen" Spengler: Die Faszination seines „Untergang des Abendlandes" [...] war überaus stark; diese Morphologie einer den ganzen Erdball und die Jahrtausende umkreisenden Deutung der Kulturen hatte, auch im sprachlichen Vortrag, etwas Bezwingendes. Die abwägende Spezialkritik der historischen Fachleute kam demgegenüber nicht auf. Das Imponierende an dem Versuch war ja dies, daß er vor dem Ersten Weltkrieg unternommen war, dessen Verlauf und Ausgang etwas wie eine Bestätigung der alarmierenden These zu sein schien. (Die vulgäre Meinung, auch die Hitlers, hielt diese Termine dann auch nicht auseinander.)1
Spengler bestritt im Untergang des Abendlandes einen fortlaufenden weltgeschichtlichen Zusammenhang und nahm dagegen an, daß sich Zeitalter der Struktur nach, unabhängig voneinander, wiederholen. Er unterschied acht Kulturen, die - kategorisiert in einer kombinierten Jahreszeiten- und Lebensaltermetaphorik - Aufstieg (Frühling/Adoleszenz), Höhepunkt (Sommer/Reife), Niedergang (Herbst/Alter) und ein Endstadium (Winter/Sterben) durchliefen. Die eigene Kultur bezeichnete er als die „abendländische", die nicht mit der Antike, sondern mit dem christlichen Mittelalter begonnen habe und sich gegenwärtig im Endstadium befinde. Diese letzte Phase einer Kultur etikettierte Spengler als „Zivilisation", die sich auszeichne durch Rationalisierung, Bürokratie, Bedeutungszuwachs der Technik, Urbanisierung und Vermassung, durch eine Hausse der Wissenschaft und eine Baisse der Religion, durch depravierten Liberalismus, Kapitalismus und durch labile demokratische Herrschaftsformen, die dazu tendierten, sich cäsaristischen und imperialistischen Modellen zu öffnen. Im Kulturpessimismus und in der Konstruktion übermenschlich dimensionierter Herrscher war Spengler Nietzsche verpflichtet. Der Begriff der .Morphologie' ging zurück auf Goethe, dessen Prinzipien der Natur1
Theodor Heuss: Erinnerungen 1905-1933.
Frankfurt a. M. 1963, 237.
8
Einleitung
forschung Spengler auf die Geschichte anwandte. Die Begeisterung für entelechische Geschichtsmodelle übernahm er von Marx. Diese weltanschauliche Spannweite von Spenglers Eklektizismus erklärt partiell auch den umgreifenden Publikumserfolg.2 Uneins waren sich die Leser 1918/19, wie Spengler diesen Untergang des Abendlandes bewertete. Wenn er den abendländischen Zeitgenossen beschrieb als einen Nomaden und Parasiten - der „Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar, mit tiefer Abneigung gegen das Bauerntum" - , so schien dies den zivilisationskritischen Kanon zu erfüllen und darauf hinzudeuten, daß Spengler den Prozeß der Zivilisierung bedauerte.3 Die bekannten Topoi aus dem Reservoir der wilhelminischen Zivilisationskritik täuschen aber darüber hinweg, daß für Spengler zwar das Ende der abendländischen Kultur besiegelt war, aber die Heraufkunft der Zivilisation ihm keineswegs ein Lamento abnötigte: Spengler sah in der Zivilisation vielmehr die politische Chance für einen imperialistischen Neuaufstieg Deutschlands, und für diesen warb er. Ernst Bloch hat Spengler in diesem Sinn zu Recht als Optimisten beschrieben.4 Die deutschen Schriftsteller reagierten unterschiedlich auf Spenglers Diagnosen. Während Kurt Tucholsky sich echauffierte über diesen „Möchte-Attila" und ,,gipserne[n] Groschen-Napoleon", den „Turbinenphilosophien] Spengler, der einen neuen Typ, den spießigen Cäsar, er-
Zu Spenglers Untergang des Abendlandes vgl. die neueren Arbeiten von Frits Boterman: Oswald Spengler und sein „Untergang des Abendlandes". Köln 2000; Stefan Breuer: Grundpositionen der deutschen Rechten (1871-1945). Tübingen 1999 (= Historische Einführungen, 2), 59-62; Francis Wilhelm Lantink: Oswald Spengler oder die „zweite Romantik". „Der Untergang des Abendlandes ", ein „ intelleklualer Roman " zwischen Geschichte, Literatur und Politik Utrecht 1995; Der Fall Spengler. Eine kritische Bilanz. Hrsg. von Alexander Demandt und John Farrenkopf. Köln, Weimar 1994; Klaus P. Fischer: History and
3
4
Prophecy. Oswald Spengler and the Decline of the West. Frankfurt a. M. 1989; Detlef Feiken: Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur. München 1988, 40-127; Gilbert Merlio: Oswald Spengler. Temoin de son temps. 2 Bde., Stuttgart 1982 (— Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, 114). Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Ungekürzte Sonderausgabe in einem Band, 209.-223. Tausend des ersten bzw. 188.-202. Tausend des zweiten Bandes der Gesamtauflage. München 1981, 45, im folgenden abgekürzt: „UdA". Zur Großstadtkritik bei Spengler vgl. Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a. M. 2 1994, 281. Ernst Bloch: Spengler als Optimist. In: Der Neue Merkur 5 (1921-1922), 2 9 0 292. Zu Spenglers Zivilisationsoptimismus vgl. Boterman (Anm. 2), 150-154.
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Einleitung
funden hat",5 spornte der endzeitliche Cäsarismus den Georgeaner Karl Wolfskehl zu folgenden Versen an: AUGURIUM OSVALDI Blutroter Ab- und Abendglanz der Macht Du flammst noch einmal vor der ganzen Nacht. Eh weisse Färse Thanatos verfällt, Noch ein Kronid Beilager mit ihr hält.6
Die zum AUGURIUM OSVALDI antikisierte und ins Geheimnisvoll-Prophetische gehobene Untergangsdiagnose Spenglers ist in Wolfskehls Gedicht in eine Feuerbildlichkeit gefaßt, die das Endstadium der abendländischen Kultur nicht als stilles und sanftes Ausklingen, sondern als furiosen und verwegenen Schlußakkord interpretiert. Das Attribut „blutrot" und die Verbmetapher „flammst" verweisen sowohl auf Lebensintensität als auch auf Lebensgefahr. Das durch Tonbeugungen belebte jambische Metrum intensiviert den dynamischen Eindruck. Den Untergang des Abendlandes verknüpft Wolfskehl mit dem antiken Mythos von der Entstehung Europas: Die „weisse Färse", die dem Todesgott Thanatos überantwortet wird, nachdem sie mit einem Sohn des Kronos „Beilager" gehalten hat, zitiert den Raub Europas und los Verwandlung in eine Kuh.7 Zeus, dem Sohn des Kronos, wird in dem Gedicht „noch ein Kronid", Spenglers letzter cäsaristischer Herrscher, gegenübergesetzt. So wie der geschichtliche Beginn Europas in das erotisch getönte Bild vom Raub der Europa gefaßt wird, so wird das politische Ende Europas ebenfalls in einer geschlechtlichen Topik präsentiert: Das „Beilager" des Kroniden muß im Zusammenhang mit der „Macht" als ein Bild für die cäsaristische Endherrschaft gelesen werden. Anfang und Ende des Abendlands metaphorisiert und überhöht Wolfskehl so im antiken Mythos, eine Vorstellung, die der Spenglers allerdings entgegensteht, da für Spengler Antike und Abendland unterschiedliche Kulturen darstellen.
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6
7
Kurt Tucholsky: Wir Zuchthäusler (1931). In: Ders.: Gesammelte Werke. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Reinbek 1989, Bd. 9, 226 und Das will kein Mensch mehr wissen (1923), ebd., Bd. 3, 336. Die verdienstvolle Studie von Manfred Schröter: Metaphysik des Untergangs. Eine kulturkritische Studie über Oswald Spengler. München 1949, vernachlässigt die Dichter. Eine wissenschaftliche Untersuchung der literarischen Spengler-Rezeption steht noch aus. Karl Wolfskehl: Mittelmeer. Ode die fünf Fenster. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 1: Dichtungen und dramatische Dichtungen. Hamburg 1960, 183. Wolfskehl hat nicht unwesentlich zum Erfolg von Spenglers Werk beigetragen, indem er Spengler den Kontakt zur C.H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung vermittelte. Vgl. Anton M. Koktanek: Oswald Spengler in seiner Zeit. München 1968, 230f. „Färse" ist die Bezeichnung für ein weibliches Rind vor dem ersten Kalben.
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Einleitung
Auch Gottfried Benn bekannte, daß ihn „nach Nietzsche Spengler" besonders geprägt habe.8 Spuren einer Spengler-Rezeption finden sich beim frühen Benn, wenn er 1921 über „Abendlanduntergänge, Kulturherbste, kommunistische Regenerationen" reflektiert.9 Das Gedicht Schädelstätten lyrisiert 1922 Spenglers Vision nihilistisch zum „Finale, Nächte des Nichts". Dieser Untergang ist intellektuell, mit „Begriffsmanie", nicht zu verstehen, sondern nur noch im Mythos enthirnter dionysischer „Mänaden" erfaßbar: Schädelstätten Begriffsmanie Kein Zeitwort zu retten Noch Historie Allem Vergessen Allem Verschmähn Dem Unermessen Panathenaen In Heiligtumen Tyrrhenischer See Stier unter Blumen An Danae, In Leuenzügen Mänadenklang Und Götter fugen Den Untergang.10
Die bewußte Wahrnehmung von Zeit und ihre verstandesmäßige Anordnung zur Geschichte bewahren in Benns Gedicht auch nicht vor dem Untergang, sondern leuchten ihn lediglich intellektuell aus. Dagegen setzte Benn die Rückkehr aus der Geschichte und dem Logos in den Mythos. Er spielt dabei, wie auch Wolfskehl, auf eine weitere erotische Eskapade des Zeus an - in diesem Fall mit Danae. Dieser Liaison entspringt mit Perseus auch ein neuer Held, dem man mit Spenglers Terminologie cäsaristische Qualitäten zuschreiben könnte, wenn der Begriff nicht allzu anachronistisch anmutete, weil er eine Herrschaftstitulatur der römischen Spätantike auf den griechischen Mythos appliziert. Benns Untergang gestaltet sich ekstatisch im Gefolge des Dionysos, wenn Mänaden diese Endzeitvision akustisch begleiten. Das Schicksalhafte und Unausweichliche dieses
9 10
Gottfried Benn: Doppelleben (1949). In: Ders.: Prosa und Autobiographie in der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einfuhrung hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt a. M. 1984, 3 5 5 ^ 8 0 , hier 464. Gottfried Benn: Das letzte Ich (1921). In: Ders. (Anm. 8), 101-106, hier 104. Gottfried Benn: Schwer - (Schädelstätten) (1922), vierte und fünfte Strophe. In: Ders.: Gedichte. In der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einfuhrung hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfürt a. M. 1982, 144f.
Einleitung
11
Untergangs wird akzentuiert, wenn er in die Verantwortlichkeit der Götter geordnet wird: Sie „fugen den Untergang". Benns Forderung nach mythologisierender Enthirnung ist nicht so weit entfernt von Spenglers Prophezeiung eines dumpf-brütenden Endzustandes des Fellachenvolkes, das nur von einer cäsarischen Persönlichkeit gelenkt wird.11 In seiner Akademie-Rede analysiert Benn 1932 die Gegenwart unter dem Lemma der „Frigidisierung", was an Spenglers zivilisatorische Endzeitgestalten „irreligiös, intelligent, unfruchtbar" (UdA, 45) - erinnert. Und wie Spengler hofft Benn, daß diese Endzeit dennoch eine Chance bietet, „daß die zivilisatorische Endepoche der Menschheit, aus der ja allerdings wohl ganz ohne Zweifel alle ideologischen und theistischen Motive völlig verschwunden sein werden, gleichzeitig die Epoche eines großartig halluzinatorisch-konstruktiven Stils sein wird, in dem sich das Herkunftsmäßige, das Schöpfungsfrühe noch einmal ins Bewußtsein wendet".12 Während Benn Spenglers Gleichzeitigkeit von Ekel und Faszination für das Endzeitliche teilt, Wolfskehl Spenglers Cäsaren zum Kroniden vergöttlicht und seinem Werk mythische Kraft zuspricht, konnten sich die Nationalsozialisten nicht recht entscheiden, ob sie Spengler zu ihrem Wegbereiter oder zum Abtrünnigen erklären sollten. Spengler hatte nach anfänglichen Sympathien dem Nationalsozialismus 1933 in seiner Schrift Jahre der Entscheidung eine Absage erteilt.13 Günter Gründel reagierte Vgl. Benns Thematisierung des Cäsaren im Gedicht Rot (Patau) (1922), das mit Schädelstätten zum Zyklus Spuk gehört: Wie die Götter vergehn Und die großen Cäsaren, Von der Wange des Zeus Emporgefahren, Singe, wandert die Welt Schon in fremdestem Schwünge, Schmeckt uns das Charonsgeld Längst unter der Zunge Gottfried Benn: Rot (Patau) (1922), fünfte Strophe. In: Ders. (Anm. 10), 143. Gottfried Benn: Akademie-Rede (1932). In: Ders.: Essays und Reden in der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einführung hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt a. M. 1989, 449-455, hier 455. Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. I. Teil: Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung. München 1933. Den Weg von der anfanglichen Sympathie Spenglers mit dem Nationalsozialismus („Hitler ist ein Dummkopf, aber die Bewegung muß man unterstützen" [zitiert nach Feiken (Anm. 2), 186]) über die Brüskierung Goebbels, als Spengler es ablehnte, beim „Tag von Potsdam" eine Rede zu halten, bis hin zur offenen Kritik in Jahre der Entscheidung zeichnet kurz und prägnant Rolf-Peter Sieferle: Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen. Frankfürt a. M. 1995, 128ff., nach. Vgl. auch Michael Thöndl: Mussolini und Oswald Spenglers „Jahre der Entscheidung". In: Römische Historische Mitteilungen 38 (1996), 389-394.
12
Einleitung
darauf 1934 in seinem Pamphlet Jahre der Überwindung, das gegen Spengler in einem ausufernden Untertitel proklamierte: Umfassende Abrechnung mit dem „ Untergangs "-Magier - Aufgabe der deutschen Intellektuellen - Weltgeschichtliche Sinndeutung des Nationalsozialismus, und das alles auf 146 Seiten.14 Herbert Schacks Buch Denker und Deuter. Männer vor der deutschen Wende unternahm dagegen 1938 den Versuch, eine direkte und konsequente geistesgeschichtliche Entwicklung von Richard Wagner und Friedrich Nietzsche über Paul de Lagarde, Rudolf Eucken, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Houston Stewart Chamberlain und Stefan George in die nationalsozialistische „deutsche Wende" von 1933 nachzuzeichnen.15 Wenn von Thomas Manns Spengler-Rezeption die Rede ist, so fallen gemeinhin die abfallig-bissig intonierten Thomas Mann-Zitate über Spengler als „dem klugen Affen Nietzsche's" 16 , dem „Defaitisten der Humanität"17 und der „Hyäne Spengler"18. Diese geringschätzigen Äußerungen stammen aus der Zeit zwischen 1922 und 1947. Sie zeigen den republikanisch .gewendeten' Thomas Mann, mit dessen demokratischer Orientierung die Abkehr von konservativ-revolutionären Positionen einherging, die ihn um 1918 noch beeindruckt hatten. Diese wechselseitigen Sympathien zwischen Thomas Mann und der konservativen Revolution beruhen auf einem Mißverständnis, das Mann die .revolutionären', modernisierungsfreundlichen Elemente der konservativen Revolution unterschätzen läßt. Die konservativen Revolutionäre und er gebrauchen dieselben Begriffe (Kultur, Zivilisation, Technik), bewerten sie aber unterschiedlich. 14
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E. Günter Gründel: Jahre der Überwindung. Umfassende Abrechnung mit dem „ Untergangs"-Magier - Aufgabe der deutschen Intellektuellen - Weltgeschichtliche Sinndeutung des Nationalsozialismus. Breslau 1934. Herbert Schack: Denker und Deuter. Männer vor der deutschen Wende. Stuttgart 1938. Die Werke Thomas Manns werden im Text und in den Fußnoten - unter Angabe der Sigle „GW", Band und Seitenzahl - zitiert nach: Gesammelte Werke in 13 Bänden. Frankfurt a. M. 2 1974. Thomas Mann: Deutschland (1941), GW XII, 907. - Vgl. etwa auch den Spott Manns über den ,,detestable[n] Nietzsche Parodist[en] Spengler" (Brief Thomas Manns an Hermann Graf Keyserling vom 30. Juli 1932. In: Thomas Mann: Briefe 1889-1936. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1961, 321, im folgenden abgekürzt: Briefe 1889-1936). Über die Lehre Spenglers (1924), GW X, 174; so auch schon in German Letters /(1922), GW XIII, 266. Brief Thomas Manns an Hugo Martens vom 18. September 1947. In: Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. III, Die Briefe von 1944 bis 1950. Bearbeitet und hrsg. unter Mitarbeit von Yvonne Schmidlin (Thomas MannArchiv Zürich) von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer. Frankfurt a. M. 1982. 318f., Nr. 47/276, im folgenden abgekürzt: Die Briefe Thomas Manns, Bd. III
Einleitung
13
Umgekehrt haben die konservativen Revolutionäre sich Thomas Mann zu ihrem Nestor erkoren, ohne seine Orientierung am 19. Jahrhundert und seine Technikskepsis zu übernehmen.19 Die demokratische Wende zur „deutschen Republik" stand für Mann bekanntlich unter äußerst konservativen Vorzeichen: Die geistesaristokratische Romantik von Novalis, das homoerotische Männerbundkonzept Hans Blühers, die Lyrik Walt Whitmans und Friedrich Nietzsches Philosophie standen Pate für Manns Bekenntnis zur Demokratie.20 Mit einem Demokratie-Begriff in der Tradition der Französischen Revolution hatte das wenig zu tun. Flankiert wird die Darstellung des Spengler-Kritikers Thomas Mann in der Forschung gewöhnlich durch die Hinweise auf die Josephs-Romane als Gegenentwurf zum Untergang des Abendlandes21 und auf die an Spengler orientierte Figur des Dr. Chaim Breisacher, der im Doktor Faustus deutlich negativ konnotiert wird als Polyhistor, der „über alles und jedes zu reden wußte, ein Kulturphilosoph, dessen Gesinnung aber insofern gegen die Kultur gerichtet war, als er in ihrer ganzen Geschichte nichts als einen Verfallsprozeß zu sehen vorgab".22 Dieses allgegenwärtige Ensemble von Zitaten verdunkelt jedoch, daß Mann Spengler keineswegs von Anfang an skeptisch gegenüber stand.
19
Hierzu Stefan Breuer: Ein Mann der Rechten? Thomas Mann zwischen „konservativer Revolution ", „ ästhetischem Fundamentalismus " und neuem Nationalismus. In: Politisches Denken Jahrbuch 1997, 119-140. Anders Hermann Kurzkes Interpretation, die Mann als Parteigänger der konservativen Revolution einordnet (Hermann Kurzke: Auf der Suche nach der verlorenen Irrationalität. Thomas Mann und der Konservatismus. Würzburg 1980). Gegen Kurzkes Einordnung der Betrachtungen eines Unpolitischen als Hauptwerk der konservativen Revolution wendet sich Dieter Borchmeyer: Politische Betrachtungen eines angeblich Unpolitischen. Thomas Mann, Edmund Burke und die Tradition des Konservatismus. In: Thomas Mann Jahrbuch 10 (1997), 83-104.
20
Vgl. Hans Wißkirchen: Republikanischer Eros. Zu Walt Whitmans und Hans Blühers Rolle in der politischen Publizistik Thomas Manns. In: „Heimsuchung und süßes Gift". Erotik und Poetik bei Thomas Mann. Hrsg. von Gerhard Härle. Frankfurt a. M. 1992, 17-40. Hierzu Helmut Koopmann: Der Untergang des Abendlandes und der Aufgang des Morgenlandes. Thomas Mann, die Josephsromane und Spengler. In: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 24 (1980), 300-331. Doktor Faustus, GW VI, 279. Zur Darstellung der Konservativen Revolution im Doktor Faustus vgl. Stefan Breuer: Wie teuflisch ist die „konservative Revolution "? Zur politischen Semantik Thomas Manns. In: Thomas Mann. Doktor Faustus 1947-1997. Hrsg. von Werner Röcke. Frankfurt a. M. 2001 (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik; Neue Folge, 3), 59-71. Und: Andr6 Dabezies: Entre le mythe de Faust et l'idee „faustienne". Thomas Mann devant Oswald Spengler. In: Ders.: Le Mythe d'Etiemble. Hommages, Etudes et Recherches. Paris 1979, 47-56.
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14
Einleitung
In die Zeit konservativ-revolutionärer Sympathien - zwischen die Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) und die Rede von deutscher Republik (1922) - fällt die begeisterte Spengler-Lektüre Manns 1919/20, die sich in seinen Tagebüchern nachverfolgen läßt. Der Untergang des Abendlandes erscheint ihm im Juni 1919 „sehr gut, Gedanken und Brust weitend"23. Er spricht von einem „große[n] Werk"24 und geht so weit zu mutmaßen, „daß Spenglers Buch in meinem Leben Epoche machen könnte auf ähnliche Weise wie vor 20 Jahren die ,W[elt] a[ls] W[ille] u[nd] Verstellung]'." 25 Das klingt nach Wachablösung Schopenhauers durch Spengler. Ob aber der Bruch von Schopenhauers Metaphysik zu Spenglers apokalyptischen Zivilisationspanoramen 1919 und weiterhin der erneute Bruch mit Spengler als einem verachteten Vertreter eines „bleiernen Geschichtsmaterialismus"26 1924 so eindeutig und absolut ist, wie das Mann suggeriert, bleibt zu prüfen. Die spätere Abwehr von Spenglers Positionen fallt nicht zuletzt deshalb so vehement aus, weil Thomas Mann in seiner Kritik auch mit eigenen Tendenzen abrechnet. Daher mag auch die Rigorosität der späteren Spengler-Kritik partiell als rhetorische Autosuggestion erklärbar sein. Mann deutet dies selbst im Rückblick an: Was ihn [i. e. Spengler] mir, (nach einem Getroffensein durch sein Hauptwerk) so widerwärtig machte, war gerade eine gewisse Verwandtschaft der Herkunft und der geistigen Neigung zwischen uns: auch er hatte von Nietzsche hauptsächlich den Sinn für ,Verfall' übernommen - sein Interesse gilt tatsächlich vor allem dem Verfall seiner Kultur-Pflanzen und ich erinnere mich wohl, daß man den ,Unterg. d. Abendl.' bei seinem Erscheinen gelegentlich mit,Buddenbrooks' in Beziehung gebracht hat.27
In der vorliegenden Studie geht es nicht so sehr um die späte Abrechnung Thomas Manns mit Spengler; vielmehr liegt das Augenmerk auf der frühen Spengler-Rezeption Thomas Manns (1919-1924). Motiviert ist diese Untersuchung nicht aus einem biographischen Interesse heraus, sondern aus einer kulturgeschichtlichen Absicht und aus der literaturwissenschaftlich relevanten Tatsache, daß Spenglers Werk von erheblicher Bedeutung für die Konzeption des Zauberbergs ist. Daher schließt sich der Rekonstruktion von Manns Spenglerlektüre, seiner Gespräche und Korrespondenz über den Untergang des Abendlandes zunächst eine Interpretation seiner essayistischen Auseinandersetzung mit Spengler und dann eine in-
24 25 26 27
Thomas Mann: Tagebücher 1918-1921. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1979, (22. Juni 1919), 272, im folgenden abgekürzt: Tagebücher. Tagebücher (26. Juni 1919), 274. Tagebücher (2. Juli 1919), 276. Über die Lehre Spenglers, GW X, 179. Thomas Mann: Tagebücher 1935-1936. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1978, (1. August 1936), 343.
Einleitung
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tertextuelle Analyse von Spenglers Untergang des Abendlandes und Thomas Manns Zauberberg an: (1) Zu Beginn steht eine chronologische Skizze, die erläutert, wie Mann Spengler liest und welche Gesprächspartner, etwa Max Weber, Erich Mareks und vor allem Georg Merz, seine verhohlene Faszination nach und nach dämpfen. Dabei werden die Anstreichungen und Randbemerkungen Manns in seinem Exemplar des Untergang des Abendlandes, das sich im Thomas Mann-Archiv in Zürich befindet, erstmals ausfuhrlich berücksichtigt.28 Thomas Mann, der zeitlebens ein Meister in der intellektuellen Anverwandlung fremder Konzepte war, erweist sich auch in seiner Spengler-Rezeption nicht nur als bereit, sondern als geradezu erpicht darauf, sich in seiner Meinung beeinflussen zu lassen. Daher ist das Bemühen um die Rekonstruktion von Thomas Manns Gesprächen über Spengler ein entscheidender Schritt zum Verständnis seiner eklektischen Spenglerauffassung. (2) Weiterhin gilt es zu ermitteln, welche Gemeinsamkeiten Mann bei sich und Spengler ausmacht und ob diese Gemeinsamkeiten bloß behauptete oder tatsächliche sind. Gibt es also strukturelle und weltanschauliche Ähnlichkeiten im Denken der beiden Autoren, und wenn ja welche? Reichen diese Gemeinsamkeiten eventuell auch hinaus über die proklamierte Absage an Spengler? Dafür wird vor allem die essayistische Auseinandersetzung Manns mit Spengler als Quelle zu Rate gezogen. Insofern Spenglers Untergang des Abendlandes als ein Gründungstext der Konservativen Revolution verstanden werden kann, begreifen sich diese beiden ersten Kapitel auch als ein kleiner kulturgeschichtlicher Beitrag zu dem Versuch, Thomas Manns Stellung zur Konservativen Revolution zu bestimmen. (3) Ein dritter Abschnitt beschäftigt sich mit dem Einfluß von Spenglers Untergang des Abendlandes auf den Zauberberg. Neben der Zeitphilosophie sind hier vor allem das „Taufschalen"-Kapitel, die Definition des Russischen als Gegensphäre zum Abendländischen und die Orientierung der Peeperkorn-Figur an Spenglers Cäsaren-Typus zu nen28
Lantink (Anm. 2), 286-293, ist bisher meines Wissens der Einzige, der in seiner siebenseitigen Analyse von Thomas Manns Spengler-Rezeption auch die Anstreichungen Thomas Manns berücksichtigt, soweit dies auf sieben Seiten möglich ist. Daneben liegen handschriftliche Notizen im Thomas Mann-Archiv in Zürich zu Spengler vor: Sie entsprechen zum einen in den Gedanken zu Spenglers „Untergang des Abendlandes" (1 Bl., Mp VII/93 grün) der Spengler-Passage aus der Rede Von deutscher Republik (1922), GW XI, 840-842; und zum anderen ist der Brief aus Deutschland für eine italienische Zeitschrift über Oswald Spenglers „ Untergang des Abendlandes" (10 Bl., Mp. VII/96-2 grün) bis auf die einleitenden Sätze identisch mit Thomas Manns erstem German Letter (1922), GW XIII, 263-272.
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Einleitung
nen. Auch in der Auffassung einer spezifisch abendländischen Arbeitsmoral folgt Mann Spengler. Bislang dominierten in der Forschung lediglich Mutmaßungen über einen intertextuellen Zusammenhang. Die vorliegende Untersuchung bemüht sich, in einer quellenkritischen Analyse Klarheit zu schaffen. Auch hier erweisen sich Manns Marginalien im Untergang des Abendlandes als wertvolle Quelle und schaffen eine philologische Grundlage für die intertextuelle Analyse. (4) Ein eigener vierter Teil widmet sich der Figur des Leo Naphta im Zauberberg. Züge Spenglerscher Geschichtstheorie sind in seine Gestaltung eingeflossen. Naphtas weltanschaulicher Rigorismus und seine rhetorisch gepflegte Grausamkeit, seine fatalistische Apokalyptik, seine Gotik-Auffassung, sein Begriff des Preußischen und dessen gemutmaßte Verwandtschaft zum Spanischen, sein Verständnis von Sozialismus und seine Tendenz zu paradoxalem Denken weisen Naphta als Geistesverwandten Spenglers aus. Abschließend wird ein Blick über den eigentlichen Untersuchungszeitraum (1919-1924) hinaus geworfen und Manns späte Beschäftigung mit Spengler im Doktor Faustus skizziert. Theodor W. Adorno spielt bei Manns erneuter Auseinandersetzung mit Spengler in den 1940er Jahren eine vermittelnde Rolle. Im dritten und vierten Kapitel sowie in der Schlußbetrachtung stehen fiktionale Texte Thomas Manns - Der Zauberberg und Doktor Faustus - im Mittelpunkt. Um sie literaturwissenschaftlich stringent auf den Untergang des Abendlandes beziehen zu können, bedient sich die vorliegende Studie hier der intertextuellen Analyse nach Kriterien, die Ulrich Broich und Manfred Pfister aufgestellt haben.29 Die in den ersten Kapiteln unternommene Quellen- und Einflußforschung begreift sich als Basis für diese intertextuelle Interpretation. Broich und Pfister vermitteln zwischen einem globalen poststruktualistischen Intertextualitätsmodell, in dem jeder Text als Teil eines universellen Intertexts erscheint, und kleinteiligeren strukturalistischen oder hermeneutischen Modellen, in denen Intertextualität als intentionaler Bezug zwischen einem Post- und mehreren Prätexten verstanden wird. Pfister präsentiert sechs Kriterien für die Skalierung von Intertextualität, die es erlauben, „innerhalb der weit definierten Intertextualität nach Graden der Intensität des intertextuellen Bezuges" zu dif30 ferenzieren. Neben diesen qualitativen Kriterien spielen die Dichte und Ulrich Broich, Manfred Pfister (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985 (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, 35). 30
Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität. In: Broich, Pfister (Anm. 29), 1 30, hier 25. Diese sechs Kriterien (Referentialität, Kommunikativität, Autoreflexivität, Strukturalität, Selektivität, Dialogizität) werden zu Beginn des dritten Kapitels der vorliegenden Studie genauer erläutert.
Einleitung
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Häufigkeit der intertextuellen Bezüge, ihre Streubreite, eine wesentliche Rolle, um die Bedeutung des Untergang des Abendlandes für den Zauberberg zu gewichten. Ein diskursanalytisches Verfahren löst die intertextuelle Analyse dann ab, wenn es nicht mehr möglich ist, exakte Bezüge zwischen dem Untergang des Abendlandes und dem Zauberberg offenzulegen, sondern es plausibler erscheint, daß Thomas Mann sich nicht mehr auf Spenglers Werk selbst bezieht, sondern sich in einen größeren Diskurs über den Untergang des Abendlandes als Beitrag zur Konservativen Revolution einschreibt. Manns Spengler-Lektüre ist in der Forschung verschiedentlich nachgezeichnet worden, aber ohne Manns Gespräche über Spengler und die entsprechenden Positionen von Manns Gesprächspartnern zu berücksichtigen.31 Gegenüber diesen Studien wird hier besonderer Wert gelegt auf den Austausch Manns über Spengler. In Gespräch und Korrespondenz erarbeitet sich Mann seine differenzierte Haltung gegenüber Spengler. Vorliegende Studie versucht zu rekonstruieren, wer Thomas Mann in seiner Spengler-Rezeption wie beeinflußt haben könnte. Wie wichtig Alfred Baeumler in dieser Hinsicht für Thomas Manns Spengler-Kritik war, haben ebenso detailliert wie überzeugend Marianne Baeumler, Hubert Brunträger und Hermann Kurzke nachgewiesen.32 Der älteren Forschung standen noch nicht die Tagebücher, die verschiedenen Briefeditionen und die Regesten zur Verfugung, sodaß dort über den Rezeptionswandel nur gemutmaßt werden konnte.3
Vgl. Roger A. Nicholls: Thomas Mann and Spengler. In: The German Quarterly 58 (1985), 361-374; Henning Ottmann: Oswald Spengler und Thomas Mann. In: Demandt, Farrenkopf (Anm. 2), 153-169. Die Forschung, die sich im Rahmen der Zauberberg-lnteipKtation mit Spengler beschäftigt, wird in den entsprechenden Kapiteln (3 und 4) dieser Studie gewürdigt. Marianne Baeumler, Hubert Brunträger, Hermann Kurzke: Thomas Mann und Alfred Baeumler. Eine Dokumentation. Wilrzburg 1989, im folgenden abgekürzt: Thomas Mann und Alfred Baeumler. Vgl. in diesem Sinn die ansonsten bestechende Studie von Massimo Ferrari Zumbini: Untergänge und Morgenröten. Über Spengler und Nietzsche. In: Nietzsche-Studien 5 (1976), 194-254 (wieder, aber nicht aktualisiert in: Ders.: Untergänge und Morgenröten. Nietzsche - Spengler - Antisemitismus. Würzburg 1999 [= Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, 14], 25-86) sowie Michel Vanhelleputte: Thomas Mann et „Le Declin de l'Occident" (1919-1924). In: Revue de l'Universitd de Bruxelles, N.S. 18,5 (1966), 450-465 (auf deutsch, ebenfalls nicht aktualisiert in: Ders.: Engagement, Formgefühl, Humanität. Ausgewählte literaturwissenschaftliche Studien. Hrsg. von Monique Boussart. Frankfurt a. M. 1997, 50-59]. Nicholls (Anm. 31) hätte die Möglichkeit gehabt, die Briefregesten als Quelle hinzuziehen, nutzt sie aber nicht.
1 Thomas Mann liest und diskutiert Spengler
Thomas Mann orderte am 9. Mai 1919 den Untergang des Abendlandes?* Bereits Anfang September 1918 war der erste Band von Spenglers Werk, mit dem Untertitel Gestalt und Wirklichkeit, ausgeliefert worden. In der ersten Auflage erschien er noch beim Verlag Werner Braumüller in Wien und Leipzig. Das Buch war rasch vergriffen und wurde bei der C.H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung Oskar Beck in München neu aufgelegt. Der zweite Band, mit dem Untertitel Welthistorische Perspektiven, erschien 1922 ebenfalls bei Beck. Thomas Mann besaß die Wiener Ausgabe des ersten Bandes von 1918 und die erste Auflage (16.-30. Tausend) des zweiten Bandes von 1922. Das ist wichtig festzuhalten, weil Spengler den ersten Band ab dem 33.-47. Tausend 1922 vollständig neu bearbeitet hat, und viele Marginalien Manns für die Neubearbeitung nicht mehr zutreffen. In den Bibliotheken sind heute zumeist die späteren Ausgaben der C.H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung vorhanden. Die Erstausgabe von Braumüller ist heute kaum noch greifbar. Stellen, die Mann markiert oder glossiert, werden im folgenden doppelt zitiert, zuerst, wie zuvor auch, nach der heute greifbaren einbändigen Ausgabe,35 und parallel dazu nach Thomas Manns Exemplar unter der römisch gezählten Angabe der Bände.36 Jede doppelte Zitierung dokumentiert somit eine Anstreichung Thomas Manns. Die Deutschen sahen in Spenglers vor dem Ersten Weltkrieg konzipierten Werk fälschlicherweise eine Deutung der Kriegsniederlage und kauften das Buch in Scharen. Begeistert war das Publikum vor allem vom 34
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Tagebücher (9. Mai 1919), 231. Auf Philipp Witkops Nachfrage berichtet Thomas Mann am 12. Mai 1919: „Den Spengler kenne ich noch nicht, habe ihn aber vorgemerkt" (Thomas Mann an Philipp Witkop am 12. Mai 1919. In: Briefe 1889-1936, 161). Spengler (Anm. 3). Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Erster Band: Gestalt und Wirklichkeit. Wien und Leipzig (Wilhelm Braumüller) 1918 [= I], Zweiter Band: Welthistorische Perspektiven. 16.-30. Auflage, München (C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck) 1922 [= II],
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Duktus des Buches, das mehr ein „literarisches Phänomen" als ein wissenschaftliches Ereignis darstellte.37 Von der Fachwelt kritisiert, wurde es vom deutschen Bildungsbürgertum geschätzt und gern fragmentarisch zitiert; gelesen wurde es weniger.38
1.1 Lektüre und Notizen Thomas Mann aber liest - und dies mehr und mehr begeistert - parallel zu seiner Arbeit am Zauberberg. Am 22. Juni 1919 bemerkt Mann beim ersten Blättern, daß Spenglers Werk „offenbar etwas für mich ist"39. Einige Tage später bekennt er sich als „höchst gefesselt" und macht bereits Ähnlichkeiten zwischen dem Untergang des Abendlandes und seinen Betrachtungen eines Unpolitischen aus.40 „Spenglers großem Werk" widmet er zunehmend mehr Interesse und kommt zu dem Schluß, „hier einen großen Fund gethan zu haben, der vielleicht in meinem Leben Epoche machen wird".41 Analogien zum Zauberberg stellt Mann verwundert fest. 42 Im Juli 1919 erfolgt der bereits erwähnte Vergleich mit Schopenhauer, und wie Thomas Buddenbrook seinen Schopenhauer liest als philosophisches Erlebnis und weltanschaulichen Initiationsritus, ohne die argumentativen Einzelschritte vollständig zu begreifen,43 so liest Thomas Mann Spengler in ähnlicher Andacht: „Ich kann nicht einmal immer fol-
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Vgl. Heuss (Anm. 1), 237. Spenglers Werk ist ein Paradebeispiel dafür, daß ein Buch auch ohne Lektüre enorm wirken kann. Bezeichnend ist hierfür die Anfrage einer alten Dame, die 1920 an Spengler schrieb, „sie hätte zwar sein Buch nicht gelesen, aber vielleicht könnte er ihr doch raten, wo und wie sie ihre Wertpapiere jetzt anlegen sollte" (Jürgen Naeher: Oswald Spengler mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1984, 144). Tagebücher (22. Juni 1919), 271. Tagebücher (25. Juni 1919), 273f. Tagebücher (26. Juni 1919), 274. Vgl. Tagebücher (26. Juni 1919), 274, (2. Juli 1919), 276. Vgl. Buddenbrooks. Verfall einer Familie, GW I, 654f.: „Er begriff nicht alles; Prinzipien und Voraussetzungen blieben ihm unklar, und sein Sinn, in solcher Lektüre ungeübt, vermochte gewissen Gedankengängen nicht zu folgen. Aber gerade der Wechsel von Licht und Finsternis, von dumpfer Verständnislosigkeit, vagem Ahnen und plötzlicher Hellsicht hielt ihn in Atem, und die Stunden schwanden, ohne daß er vom Buche aufgeblickt oder auch nur seine Stellung im Stuhle verändert hätte. Er hatte anfänglich manche Seite ungelesen gelassen und rasch vorwärtsschreitend, unbewußt und eilig nach der Hauptsache, nach dem Wichtigen verlangend, sich nur diesen oder jenen Abschnitt zu eigen gemacht, der ihn fesselte."
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gen und kümmere mich nicht darum. Es hindert mich nicht, die a priori vertraute Essenz des Buches begierig aufzunehmen."44 „Staunen und Bewunderung"45 nötigt Spenglers weltgeschichtliche tour de force Thomas Mann ab. Die Anstreichungen und Marginalien Manns im Untergang des Abendlandes zum Zauberberg werden im dritten und vierten Kapitel der vorliegenden Studie eingehend behandelt. Diese den Zauberberg betreffenden Markierungen haben fast durchgehend den affirmativsten Charakter. Wenn sie hier vorerst übergangen werden, mag der Eindruck des Spengler-Kritikers Thomas Mann sich auf den ersten Blick verfestigen. Bei der späteren Berücksichtigung der Zauberberg-SteWen relativiert sich dieser Anschein hingegen wieder. Die übrigen Marginalien zeigen, wie sehr Mann bei Spengler die als unentrinnbares Schicksal klassifizierte Zivilisation beschäftigte. Der zwölfte Abschnitt der Einleitung, der die Zivilisation als unausweichliches Fatum einführt, ist dicht mit Anstreichungen durchzogen. Thomas Mann registriert allerdings die wertende Perspektive und glossiert Spenglers Plädoyer für die eigene Unparteilichkeit mit „Irrtum" (UdA, 47, 48/ 147, 48). An anderer Stelle bescheinigt Mann Spengler „Tendenz" (UdA, 108/1 116). Auch der Begriff des .Imperialismus', der im dreizehnten Abschnitt der Einleitung entfaltet wird, provoziert zahlreiche Ausrufungszeichen Manns. Spenglers ultimative Einschätzung, daß man diese zivilisatorische Entwicklung „wollen muß oder gar nichts" (UdA, 53/1 54), ist besonders deutlich hervorgehoben. Spenglers Einordnung des Ersten Weltkriegs an einem „seit Jahrhunderten vorbestimmten Platz" (UdA, 67/1 68) trägt ihm von Mann die Marginalie ,,Fatalist[..]" ein. Wie Spengler das Verhältnis von Kultur und Zivilisation bestimmt, interessiert Mann besonders. Hatte es in Manns Kriegspublizistik ein synchrones Gegeneinander dieser beiden Sphären gegeben, sieht Spengler das Verhältnis der Kultur zur Zivilisation als ein diachrones. Entsprechende Textstellen, in denen dies ausgeführt wird, sind von Mann markiert (UdA, 123/1 132f., 143/1 156, 193/1208, 197/1 212, 450/1 508, 459/1 521). Ihn interessiert des weiteren Spenglers Einordnung der abendländischen Literatur in Seelenbild und Lebensgefühl (UdA, 408-414/1 451458), und dabei besonders die Differenzierung zwischen populärer und hermetischer Kunst (UdA, 420f./I 466f.). Für Spengler ist die Antike in ästhetischen Belangen spezialistenfrei: „Der Kenner aber ist es, der mit seinem Gegensatz, dem Laien, der Antike fehlt, wo jeder alles kennt" (UdA, 422/1 468), eine Einschätzung, die Mann, der den Begriff des Di-
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Tagebücher (2. Juli 1919), 276f. Tagebücher (5. Juli 1919), 278.
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lettantismus kultivierte, mit einem gewaltigen Strich versieht.46 Daß Nietzsche von Spengler zum Dilettanten erklärt wird, findet Manns besondere Beachtung (UdA, 462/1526). Wirklich erbost zeigt sich Mann, als sich Spengler anschickt, George Bernhard Shaw zum legitimen geistigen Erben Nietzsches zu erheben. Spengler stilisiert Shaw zum ,,einzige[n] Denker von Bedeutung, der konsequent in der Richtung des echten Nietzsches fortgeschritten ist, als produktiver Kritiker des abendländischen Menschen nämlich" (UdA, I 53747). Bei der nachfolgenden vorsichtigen Relativierung dieses Urteils setzt Mann ein gebieterisches „möchte ich ausgebeten haben" an den Rand. Aber Shaw bleibt in den folgenden Seiten präsent, worauf sich Manns Ärger steigert zur ausfuhrlicheren Randbemerkung: „Er nennt Shaw ,etwas oft'. Diese ganzen Partien sehr unsympathisch [...] Man spricht nicht so von Nietzsche" (UdA, I 542). Aber Spengler bleibt bei seiner Einschätzung: „Sicherlich ist Nietzsche als Persönlichkeit der Gipfel dieser Reihe von Ethikern, aber hier reicht Shaw, der Parteipolitiker, als Denker an ihn heran." (UdA, 478/1 543) Dies quittiert Mann mit dem Verdikt „der Affe Nietzsches", eine Formulierung, die später in Manns Werk und Korrespondenz wieder auftaucht.48 Als Spengler Shaws Mensch und Übermensch als „letzte Synthese von Darwin und Nietzsche" (UdA, 481/1 546) definiert, kommentiert Mann dies aus nationaler Perspektive mit „Verengländerung Nietzsches!" Innerhalb eines Monats las Mann die gut 640 Seiten des ersten Bandes des Untergang des Abendlandes und resümierte Ende Juli 1919 superlativisch: „Beendete gestern den 1. Band von Spenglers Werk, mit höchster Teilnahme. Das wichtigste Buch!"49 Relevanz, nicht Richtigkeit von Spenglers Aussage kommen in dieser Bewertung zum Tragen. Es handelt sich für Mann um eine besonders bedeutende, nicht unbedingt um eine besonders zutreffende Arbeit, um die wesentlichste, nicht um die wahrste Publikation. Aber diese Kritik am Wahrheitsgehalt schmälert für Mann nicht die Bedeutung des Werks. Der Entwurf bleibt in seiner und wegen seiner Dimension für Mann großartig und kann es auch bleiben, wenn er sich als falsch herausstellen sollte.50 Diese Einschätzung markiert den
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Vgl. Bengt Algot Sarensen: Der „Dilettantismus" des Fin de Steele und der junge Heinrich Mann. In: Orbis Litterarum 24 (1969), 251-270, und Hans Rudolf Vaget: Der Dilettant. Eine Skizze der Wort- und Bedeutungsgeschichte. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 14 (1970), 131-158. Diese Passage fehlt in der Neubearbeitung. Vgl. Brief Thomas Manns an Ida Boy-Ed vom 5. Dezember 1922. In: Briefe 1889-1936, 202 und Deutschland (1941), GW XII, 907. Tagebücher (24. Juli 1919), 283. Gegenüber Ida Boy-Ed bekennt Mann: „Es ist nicht nur das Buch der Stunde, sondern das Buch der Epoche, meiner Empfindung nach" (Brief Thomas Manns
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Zenit von Manns Aneignung des Spenglerschen Werks unmittelbar nach beendeter Lektüre. Ende August 1919 erhält Mann eine Einladung vom Nietzsche-Archiv in Weimar, dem Preisrichterkollegium für den Nietzsche-Preis beizutreten. Wer den Preis erhalten soll, steht für Mann eindeutig fest: „Spengler ist zu krönen!"51 Dem Oberbürgermeister von Weimar, Adalbert Ohler, schlägt Mann dementsprechend Spengler als preiswürdig vor, weil er dessen Werk „ebenso sehr für das Buch des Augenblicks, wie das Buch der Epoche" halte. Mann eröffnet eine Rangfolge der möglichen Preisträger: „1.) Spengler. 2.) Gundolf. 3.) Vaihinger. 4.) Keyserling."52 Gegenüber Elisabeth Förster-Nietzsche nennt Thomas Mann in diesem Zusammenhang Spengler „wahrhaft ein[en] Schüler Ihres großen Bruders".53 Den zweiten Band von Spenglers Werk hat Mann 1922 nicht so intensiv durchgearbeitet wie den ersten.54 Dennoch finden sich auch hier zahlreiche Anstreichungen, die sich häufen im Kapitel Urvölker, Kulturvölker, Fellachenvölker, drei Begriffe, die Spenglers Vorstellung einer Entwicklung von einem Urvolk über den Gipfel eines Kulturvolks hinab zum Fellachenvolk abschreiten. Spengler definiert dort seinen Volks-Begriff: „Für mich ist ,Volk' eine Einheit der Seele," (UdA, 754/11 197) ein Diktum, das zunächst recht schwammig klingt, aber gar nicht so weit von den
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an Ida Boy-Ed vom 13. September 1919. In: Thomas Mann: Briefe an Otto Grauttoff 1894-1901 und Ida Boy-Ed 1902-1927. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1975, 205f.). Diese Ansicht behält Mann über seine Distanzierung von Spengler hinweg bei. Tagebücher (31. August 1919), 298. Brief Thomas Manns an Adalbert Ohler vom 2. September 1919, fälschlicherweise in den Regesten datiert auf den 2. September 1918. In: Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. I, Die Briefe von 1889-1933. Bearbeitet und hrsg. unter Mitarbeit von Yvonne Schmidlin (Thomas Mann-Archiv Zürich) von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer, mit einem Vorwort von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1976, 249, Nr. 18/65, im folgenden abgekürzt: Die Briefe Thomas Manns, Bd. I. Die in den Regesten angegebene Datierung 2. September 1918, und auch die eines weiteren Briefs von Thomas Mann an Ohler vom 10. November 1918, kann wohl nicht stimmen, wenn man die Tagebucheinträge vom 31. August 1919 („Aufforderung, ins Preisrichter-Collegium der NietzscheArchiv-Stiftung einzutreten", 298), vom 8. November 1919 („Brief des Oberbürgermeisters Oehler in der Nietzsche-Preis-Sache", 317) und vom 10. November 1919 („Schrieb an Oberbürgermeister Oehler", 318) hinzuzieht. Brief Thomas Manns an Elisabeth Förster-Nietzsche vom 8. Oktober 1919. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. /, 275, Nr. 19/100. Diese positiv angemerkte Wahlverwandtschaft legt zumindest die Vermutung nahe, daß die Glosse „der Affe Nietzsches" (UdA, 478/1 543) aus späterer Zeit stammt. Die Tagebücher Thomas Manns sind nur 1918-1921 und wieder 1933-1955 erhalten, so daß sich die Lektüre des zweiten Bandes des Untergang des Abendlandes 1922 nicht in den Tagebüchern nachverfolgen läßt.
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neueren Nationalismus-Forschungen entfernt ist. Ernest Gellner und Benedict Anderson verstehen etwa den Nationalismus entgegen seiner Selbstinterpretation nicht als naturhaften Prozeß, sondern als Konstrukt, das sich seine Nation erst erschafft. Nicht die Nation bringt Ideensysteme im Sinne des Nationalismus hervor, sondern der Nationalismus erfindet sich seine Nation. 55 Ganz ähnlich, nur mit anderem Vokabular und anderer ideologischer Stoßrichtung, klingt das bei Spengler, von Thomas Mann dick markiert: Alle großen Ereignisse der Geschichte sind nicht eigentlich von Völkern ausgeführt worden, sondern haben Völker erst hervorgerufen. [...] Einen anderen Inhalt des Wortes Volk gibt es nicht. Weder die Einheit der Sprache noch der leiblichen Abstammung ist entscheidend. Was ein Volk von einer Bevölkerung unterscheidet, es aus dieser abhebt und wieder in ihr aufgehen läßt, ist stets das innere Erlebnis des ,Wir'. (UdA, 754/11 197)
Völker sind nach Spengler nicht Subjekte der Geschichte, sondern ihre Produkte, nicht historische Initiatoren, sondern kulturelle Ergebnisse historischer Prozesse. 56 ,Volk' ist bei ihm keine geographisch, rassistisch oder sprachlich definierte reale Entität, sondern ein ideelles Konzept. Diese intentionale Begriffsbestimmung von Volk erinnert an die NationsDefinition von Carl Schmitt, nur daß bei Schmitt der Wille zur politischen Einheit entscheidend ist,57 was für Spengler nicht gilt: „Völker sind weder sprachliche noch politische noch zoologische, sondern seelische Einheiten." (UdA, 759/11 202) Weder ein ins soli noch ein ins sanguinis zirkelt die Volkszugehörigkeit für Spengler ab. Ähnliches gilt für den Begriff der ,Rasse'. Hier orientiert sich Spengler am Ahnvater der konservativen Revolution, Paul de Lagarde, der vor biologistischen Kurzschlüssen warnt mit der gleichwohl radikalnationalistisch intonierten
Vgl. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt a. M. 2 1993. Ernest Gellner: Nationalismus. Kultur und Macht. Berlin 1999. Ders.: Nationalismus und Moderne. Hamburg 1995. Einen guten Überblick über die Forschung bietet Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. In: Neue politische Literatur 40 (1995), 190-236. Spenglers Denken zielt über den Nationalstaat hinaus auf das, was Breuer „Planetarischen Imperialismus" nennt, vgl. Breuer (Anm. 2), 61 f. Carl Schmitt definiert die „Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen" (Der Hüter der Verfassung. Berlin 2 1969, 159) als Nation und setzt neben den Begriff der Repräsentation den der Identität des Volkes mit sich selbst in der politischen Einheit der Nation, „weil die substantielle Gleichartigkeit des Volkes so groß ist, daß aus der gleichen Substanz heraus alle das Gleiche wollen" (Verfassungslehre. Berlin 3 1970, 229).
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Formel: „Das Deutschtum liegt nicht im Geblüte, sondern im Gemüte." Spengler betont und Mann unterstreicht es, „daß kein Volk sich je für dieses Ideal des ,reinen Blutes' begeistert hat. ,Rasse' ist nichts Stoffliches, sondern etwas Kosmisches und Gerichtetes, gefühlter Einklang eines Schicksals, gleicher Schritt und Gang im historischen Sein." (UdA, 755/11 198) Spengler reicht hier, wenn auch von politisch entgegengesetzter Seite, nah an ein perzeptiv-konzeptuelles Verständnis von Nation heran, demzufolge Nation das ist, was als solche wahrgenommen wird: „Nationen verstehen sich so wenig wie einzelne Menschen. Jede versteht nur ein selbstgeschaffenes Bild des andern" (UdA, 763/11 205), was Mann wiederum durch Anstreichung hervorhebt. Völker werden für Spengler zu Nationen, wenn sie aus dem Stadium eines Urvolks in das eines Kulturvolks überwechseln. Weder ein Urvolk noch ein Fellachenvolk kann für Spengler Nation sein: „Völker im Stil einer Kultur nenne ich Nationen und unterscheide sie schon durch das Wort von den Gebilden vorher und nachher." (UdA, 761) In seinen Betrachtungen eines Unpolitischen war Thomas Mann gegen den „Zivilisationsliteraten" zu Felde gezogen. Das war ein Weltanschauungskampf gegen Frankreich, die Demokratie, die Politik, die Urbanität, Intellektualität und Rationalität sowie ein Bruderzwist mit Heinrich Mann zugleich.59 Wenn Spengler eine bestimmte Spezies Mensch beschreibt, die in den Weltstädten zu Hause ist, „zeitlose, geschichtslose, literarische Menschen, Menschen der Gründe und Ursachen, nicht des Schicksals, welche, dem Blut und dem Dasein innerlich entfremdet, ganz denkendes Wachsein, für den Begriff der Nation keinen vernünftigen' Inhalt mehr entdecken" (UdA, 780/11 222), so ist Mann dies vertraut, und er bedenkt diesen und die folgenden Sätze: „Kosmopolitismus ist eine bloße Wachseinsverbindung von .Intelligenzen'. [...] Kosmopolitismus ist Literatur" (UdA, 780/11 222) mit der Marginalie „Der Civilisationsliterat". Hier
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Zitiert nach der posthumen Textkompilation im Eugen Diederichs Verlag: Paul de Lagarde: Deutscher Glaube. Deutsches Vaterland. Deutsche Bildung. Das Wesentliche aus seinen Schriften ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Daab. Jena 1919, 153. Dieses Buch besaß auch Thomas Mann und versah es mit zahlreichen Anstreichungen. Manns Exemplar befindet sich im Thomas Mann-Archiv Zürich. Arthur Herman: Propheten des Niedergangs. Der Endzeitmythos im westlichen Denken. Berlin 1999, unterstellt Spengler fälschlicherweise biologistischen Rassismus. Spengler ist sicher vieles in der intellektuellen Vorbereitung des Nationalsozialismus vorzuwerfen; aber die Rassismus-Rüge trifft für Spengler nicht zu. Hierzu etwa Joachim Fest: Die unwissenden Magier. Über Thomas und Heinrich Mann. Berlin 1985. Hendrik Balonier: Schriftsteller in konservativer Tradition. Thomas Mann 1914-1924. Frankfurt a. M. 1983, 41-138.
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sieht Mann Wahlverwandtschaft zwischen den Betrachtungen eines Unpolitischen und dem Untergang des Abendlandes. Thomas Mann trat in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen gegen die Demokratie an und setzte die Monarchie in der Tradition des 19. Jahrhunderts dagegen. Eine andere Opposition beobachtet Mann bei Spengler, nämlich den „Endkampf zwischen Demokratie und Cäsarismus, zwischen den führenden Mächten einer diktatorischen Geldwirtschaft und dem rein politischen Ordnungswillen der Cäsaren" (UdA, 1144/11 583). Demokratie wird von Mann wie von Spengler als ein wirtschaftlich ausgerichtetes System betrachtet, nur setzen sie unterschiedliche Modelle dagegen: Thomas Mann orientiert sich vor seiner demokratischen Wende' an der konstitutionellen Monarchie der Vergangenheit, Spengler entwirft einen autoritären Staat, der sich totalitären Horizonten öffnet. Das gemeinsame Feindbild täuscht Mann eine Zeit lang darüber hinweg, daß seine und Spenglers politische Ziele sich entgegenstehen.
1.2 Gespräch und Korrespondenz Im Austausch mit Freunden und Bekannten lenkt Mann das Augenmerk auf Schwachstellen von Spenglers Argumentation. Im Gespräch mit Ernst Bertram wendet sich Mann im August 1919 gegen Spenglers Bemühen, Antike und Abendland als unterschiedliche Kulturen voneinander zu trennen. Die Gleichzeitigkeit von Faszination am großen Gestus des Buchs und sachlicher Kritik an Einzelheiten läßt sich deutlich heraushören, wenn Mann erläutert, daß er „bei allem Enthusiasmus, die Unhaltbarkeit der Antithese von ,antiker' und .abendländischer' Kultur betonte".60 Der George-Anhänger Bertram katalysiert Manns Auffassung von der Einheit einer antik-abendländischen Kultur, die einen Bogen von der attischen Demokratie zur Französischen Revolution, von Alexander dem Großen zu Napoleon schlagen läßt.61 Daß für Mann gerade der DemokratieBegriff eine Verbindung von Antike und Abendland dokumentiert, deutet 60
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Tagebücher (11. August 1919), 293. Vgl. auch schon (13. Juli 1919), 281: „Das .Abendland' als Kultur, in völliger innerer Fremdheit gegenüber der antiken Kultur, das geht wohl nicht. Die Demokratie und Öffentlichkeit des romanischen Westens ist antik-rhetorisch." Zu Spenglers Verständnis der Antike vgl. Gustav A. Lehmann: Eduard Meyer, Oswald Spengler und die Epoche des Hellenismus. In: Archiv für Kulturgeschichte 77 (1995), 572-615. Zum Einfluß Bertrams auf den Zauberberg vgl. Bernhard Böschenstein: Ernst Bertram und der Zauberberg. In: Wagner - Nietzsche - Thomas Mann. Festschrift für Eckhard Heftrich. Hrsg. von Heinz Gockel. Frankfurt a. M. 1993, 2 9 8 309.
Gespräch und Korrespondenz
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auch die Glossierung von Spenglers Trennung der „Kultur des ancien regime von der des perikleischen Athen" (UdA, 495/1 563) mit „Antike und Demokratie" an. Mit dem Schriftsteller Bruno Frank stellt Thomas Mann einen Vergleich von Spengler und Schopenhauer an,62 und mit dem klassischen Philologen Franz Boll korrespondiert Mann über Spengler.63 Im November 1919 erlebt Thomas Mann in der Münchener Buchhandlung von Heinrich Jaffe Spengler als Redner über Goethes philosophische Form. Spenglers Vortrag bestärkt Mann in dem Eindruck seiner Lektüre. Früh schon hatte Mann „geistreiche Überspitzungen" bemerkt, die er als „systematisch u. eigensinnig, aber überaus glänzend und fesselnd" charakterisierte.64 Dem entsprach Spenglers „rigoros-schematische Art" während der Lesung. 65 Anfang Dezember 1919 erscheint Spenglers Schrift Preußentum und Sozialismus, welche Thomas Mann kurz vor Weihnachten „mit Beifall" zu lesen beginnt. 66 Mann bewundert die „glänzenden Konstruktionen" Spenglers, aber von Konstruktionen und Antithesen, kurz vom intellektuellen Apparat abgesehen: meine Sympathie mit dem rein Gesinnungsmäßigen (das ich aus dem Hauptwerk schon herausfühlte), geht oft bis zur Begeisterung. 67
Diese „Sympathie mit dem rein Gesinnungsmäßigen" bedeutete eine Sympathie mit der Perpetuierung der ,Ideen von 1914', eine Sympathie mit der Entstehung der konservativen Revolution aus dem Geist des ,Kulturkriegs'. Der ,Kulturkrieg' war ein ideologisches Konstrukt, ersonnen von deutschen Intellektuellen zu dem Zweck, den Ersten Weltkrieg zum Kampf für das deutsche Wesen zu stilisieren. Dieser Weltanschauungskampf proklamierte Kultur, Innerlichkeit, metaphysische Tiefe, Organisation' und eine spezifisch deutsche Freiheit, die schon immer will, was
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Vgl. Tagebücher (6. November 1919), 315. Vgl. Tagebücher (14. November 1919), 320; Brief Thomas Manns an Franz Boll vom 2. November 1919, in dem er über Spenglers Haltung zur Zivilisation reflektiert. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. I, 276 f. Nr. 19/108. Dieser Brief wird im zweiten Kapitel eingehend ausgewertet. Tagebücher (13. Juli 1919), 281 und (9. Juli 1919), 279. Tagebücher (23. November 1919), 325. Wenn Lantink (Anm. 2), 293 mühsam über kryptische Briefstellen sich um einen Nachweis bemüht, daß „Mann Spengler jedenfalls von Angesicht zu Angesicht gesehen hat", hätte ein Blick in die Tagebücher genügt, um nachzuweisen, daß er ihn darüber hinaus am 23. November 1919 auch sprechen hörte über Goethe. Tagebücher (22. Dezember 1919), 348. Oswald Spengler: Preußentum und Sozialismus. München 1919. Tagebücher (23. Dezember 1919), 348.
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sie im Dienst der Allgemeinheit muß, als Kriegsziele. 6 8 Spengler verkündete nach dem Krieg in Preußentum und Sozialismus, ähnlich w i e der .Kulturkrieger' Hermann Bahr während des Ersten Weltkriegs, 6 9 eine Synthese v o n preußischem Militarismus und konservativ begriffenem Staatssozialismus, rationaler Organisationsbegabung, wie sie der Münsteraner Soziologe und Nationalökonom Johann Plenge als Quintessenz der ,Ideen v o n 1914' propagiert hatte, 70 und irrational empfundener Burgfriedensgemeinschaft. D i e s e s Zusammenzwingen v o n scheinbaren Dichotomien in eine neue Synthese, die nur möglich wird durch semantische Aushöhlungen, wird prägend für die Rhetorik Leo Naphtas im Zauberberg. Zwischen Weihnachten und Neujahr 1919 war das Ehepaar Mann zum Tee eingeladen bei M a x und Else Bernstein. 71 Ebenfalls anwesend war M a x Weber, der gegen Spengler polemisierte. 7 2 Weber hielt Spengler für einen Dilettanten, der waghalsig weitab v o n der historischen Realität spekulierte. 73 Er verübelte dem Eklektiker Spengler, daß er den Einfluß von
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Zum intellektuellen Konstrukt des ,Kulturkriegs' und seiner zivilisationskritischen Vorgeschichte, insbesondere bei Thomas Mann, Hermann Bahr, Rudolf Eucken und Johann Plenge vgl. Barbara Beßlich: Wege in den ,Kulturkrieg'. Zivilisationskritik in Deutschland 1890-1914. Darmstadt 2000. Bei Hermann Bahr finden sich Formulierungen wie „Enthusiasmus mit Disziplin", „völlige Verzückung bei völliger Präzision" und „Trunkenheit der Seele bei wachem Verstände", um das Ineinandergreifen von enthemmter Mobilmachungsbegeisterung und sachlich-rationalem Organisationstalent zu umschreiben (Vgl. Herman Bahr: Kriegssegen. München 1915, 22). Johann Plenge definiert .Organisation' als „die reiche, inhaltsvolle objektive Gliederung unseres Staats- und Gesellschaftslebens, der man sich mit dienender Bereitschaft eingliedern muß" (Johann Plenge: 1789 und 1914. Die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes. Berlin 1916, 43). Daß diese .Organisation' ein Euphemismus für antiparlamentarische Tendenzen ist, haben bereits Zeitgenossen wie Max Weber analysiert. Else Bernstein ist auch bekannt unter ihrem Pseudonym Ernst Rosmer. Vgl. Tagebücher (28. Dezember 1919), 352 und Brief Thomas Manns an Hermann Graf Keyserling vom 6. Januar 1920. In: Thomas Mann: Briefwechsel mit Autoren. Hrsg. von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1988, 235, im folgenden abgekürzt: Briefwechsel mit Autoren. Mann hatte Weber am 9. November 1919 kennengelernt. Vgl. Tagebücher (9. November 1919), 317. Vgl. zu Thomas Mann und Max Weber: Harvey Goldman: Max Weber and Thomas Mann. Calling and Shaping of the seif. Berkley 1988. Edith Weiller: Max Weber und die literarische Moderne. Ambivalente Beziehungen zweier Kulturen. Stuttgart 1994. Manfred Dierks: Typologisches Denken bei Thomas Mann - mit einem Seitenblick auf C.G. Jung und Max Weber. In: Thomas Mann Jahrbuch 9 (1996), 127153. Vgl. Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild. Heidelberg 1950, 725: „Weber sah darin [i. e. Spenglers Werk] die geistvolle geschichtsphilosophische Kon-
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Marx und Nietzsche auf seine Arbeit leugnete. Etwa einen Monat nach dem Treffen mit Thomas Mann hielt M a x Weber Spengler dies persönlich in einer v o n Münchener Studenten organisierten Debatte vor: Nun, worauf laufen eigentlich Ihre Prognosen hinaus, Herr Doktor? Sie sagen: Eine blühende Kultur wird in ein Altersstadium der Zivilisation übergehen. Ist dies ein einheitlicher Übergang? Und späterhin ein einheitliches Stadium? Wohl kaum? [...] Aber gesetzt auch, Sie könnten eindeutig definieren, bei welchem Grade der Summation von entscheidenden Merkmalen das Altersstadium einer Kultur, also das zivilisatorische Zeitalter beginnt, - Ihre Prognosen, an Marx gemessen, sind dennoch ohne jeden wissenschaftlichen Wert. Es sind Prognosen von der Art, daß ich zum Fenster hinausschaue [...] und sage: jetzt scheint die Sonne, und wende mich tiefsinnig zu meinen andächtigen Gläubigen und erkläre: Aber Sie können sicher sein, eines Tages wird es regnen. Das ist doch bei Marx, den Sie so sehr gescholten haben, sehr anders.74 Anfang 1920 las Mann einen Aufsatz v o n Hermann Graf Keyserling über Spengler. Keyserling warf Spengler vor, daß er wider besseren Wissens die Übertragbarkeit des Geistes zwischen den einzelnen Kulturen leugne. Hatte Spengler die einzelnen seiner acht Kulturen (Antike, Abendland, Indien, Babylon, China, Ägypten, Arabien, Mexiko) als voneinander unabhängige Monaden entworfen, die für sich betrachtet werden sollten und zwischen denen kein Kulturtransfer stattfinden könne, so widersprach
zeption eines sehr geistvollen und gelehrten .Dilettanten', der die Ergebnisse historischer Forschung in seine spekulativen Konstruktionen preßt." Dieses Protokoll der Weber-Spengler-Debatte findet sich in: Eduard Baumgarten: Max Weber. Werk und Person. Dokumente. Tübingen 1964, 554. Vgl. zu Spengler und Weber zeitgenössisch den Staatsrechtslehrer Otto Koellreutter: Die staatspolitischen Anschauungen Max Webers und Oswald Spenglers. In: Zeitschrift für Politik 14 (1925), 481-500. Aus heutiger Sicht: J. G. Merquior: Georges Sorel und Max Weber. In: Max Weber und seine Zeitgenossen. Hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. Göttingen, Zürich 1988 (= Publications of the German Historical Institute London, 21), 242-256, hier 243. Spengler reagiert auf die wiederholten Eklektizismus-Vorwürfe im Vorwort zum 33.-47. Tausend, in dem er die Namen nennt, „denen ich so gut wie alles verdanke: Goethe und Nietzsche" (UdA, IX). Gilbert Merlio nimmt dies zum Anlaß, Spengler historistisches Denken zu attestieren und um das Abschließen der Kulturen voneinander in Rankes Sinn als ein „unmittelbar zu Gott" zu deuten. Vgl. Gilbert Merlio: Über Spenglers Modernität. In: Demandt, Farrenkopf (Anm. 2), 115-127. Auch Spenglers Ablehnung, den Verfall selbst zu interpretieren, stützt eine solche historistische Interpretation. Spengler spricht von der „erhabenen Zwecklosigkeit" (UdA, 29) der Geschichtsentwicklung und erinnert damit an Theodor Lessings Deutung der Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen. München 2 1921. Vgl. zu Lessing: Barbara Beßlich: „Die verfluchte Kultur". Theodor Lessing (1872-1933) zwischen Zivilisationskritik, jüdischem Selbsthaß und politischem Reformwillen. Erscheint dem-
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Keyserling dem und betonte, daß die Übertragbarkeit geradezu das Wesen von Kultur und Geist ausmache.76 Mann gesteht zu, daß Keyserlings Kritik „durchaus meinen eigenen Empfindungen" entspricht, betont aber gleichzeitig, daß Spenglers Werk dennoch „wie die Dinge heute liegen, 77
wahrhaft als eine Magenstärkung wirkt - nicht wahr?" Der Historiker Erich Mareks wiederum verwickelte Mann Ende Januar 1920 bei einem Spaziergang in ein Gespräch über Spengler, das „noch längere Zeit mich von der [Garten-]Pforte fernhielt."78 Der Neo-Rankeaner und Historist Mareks stemmte sich gegen die Konstruiertheit von Spenglers Thesen. Abfällig kanzelte er Spengler als einen Verschnitt aus Nietzsche und dem ebenfalls mit universalgeschichtlichen Hypothesen operierenden Kulturhistoriker Karl Lamprecht ab. Das Urteil über die handwerkliche Methode war klar und harsch: „Was ich dort an positiv Historischem las, war Mist", die Meinung über den weltanschaulichen Gehalt disparater: „Bedeutend, anregend, bedenklich", resümierte Mareks. Die Brisanz von Spenglers Thesen kommentierte Mareks ebenfalls als „mir fremd und bedenklich" und beleuchtete die Ambivalenz von wissenschaftlicher Ungenauigkeit und weltanschaulicher tour de force als „geistreich, umfassend, gedankenvoll, dilettantisch u. gefährlich".79 Wäh-
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nächst in: Jüdische Intellektuelle im 20. Jahrhundert. Literatur- und kulturgeschichtliche Studien. Hrsg. von Ariane Huml. Keyserling spricht in diesem Zusammenhang vom Geist als logos spermatikos, der schöpferisch und nicht selbstbezüglich sei. Vgl. Hermann Graf Keyserling: Spengler und wir. In: Der Weg zur Vollendung. Mitteilungen der Gesellschaft für freie Philosophie, „Schule der Weisheit". Darmstadt. Hrsg. von Graf Hermann Keyserling, H. 5, Dannstadt 1923, 3-16. Brief Thomas Manns an Hermann Graf Keyserling vom 6. Januar 1920. In: Briefwechsel mit Autoren, 235. Vgl. Tagebücher (26. Januar 1920), 374. Zum Verhältnis Spenglers zum Historismus vgl. Joanne M. Cho: Historicism and Civilisational Discontinuity in Spengler and Troeltsch. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 51 (1999), 238-262. Vgl. Brief von Erich Mareks an Willy Andreas vom 26. Oktober 1919: „In Spengler sah ich hinein; Sie auch? Mir fremd und bedenklich. Was ich dort an positiv Historischem las, war Mist. Und Westphal sagt, es sei methodisch höchst faul, Nietzsche + Lamprecht. Aber die Jugend wiehert vor Vergnügen, und Geist u. Wissensumfang u. Form hat Spengler. Aber sonst?!" (In: Nachlaß Willy Andreas, Generallandesarchiv Karlsruhe, Fasz. 1052). Brief von Erich Mareks an Friedrich Meinecke vom 26. 10. 1919: „Ob Du Spengler gelesen hast? Ich erst ein wenig. Geistreich, umfassend, gedankenvoll, dilettantisch u. gefährlich, (darüber Nietzsche + Lamprecht!) Wo ich die Dinge kannte, fand ich ihn bodenlos; bei Luther ohrfeigenwert. Ein Judengesicht mit gutem scharfem Profil, früher mathemat. Oberlehrer in Hambg, jetzt hier privat. Bedeutend, anregend, bedenklich." In: Nachlaß Friedrich Meinecke, Geheimes Staatsarchiv PK Dahlem. Rep. 92, Nr. 25, 262. - Den Hinweis auf die Briefe von Erich Mareks verdanke
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rend Mann Mareks' historistische Einwände gegen Spenglers Theorie einleuchteten, gab Mann wenig auf die Ausfalle gegen Spengler in Rudolf Pannwitz' deutscher Lehre und seiner Krisis der europäischen Kultur™ In einem Gespräch mit dem dialektischen Theologen und Münchener Pfarrer Georg Merz - anläßlich der Taufe von Michael Mann - erfahrt Manns Spengler-Rezeption im Februar 1920 eine entscheidende Wende. Hatte Mann bisher angenommen, daß Spenglers Fortschrittspathos und Technikbegeisterung, sein Aufruf, den Untergang des Abendlandes zu forcieren und die Heraufkunft der technischen Zivilisation zu feiern, intellektuelles Talmi darstelle, nur ironisch überglänzte Nostalgie bedeute, so argumentierte Merz für die Aufrichtigkeit von Spenglers Modernisierungsbegeisterung. Mann rekapitulierte die Meinung von Merz über Spengler, dem es mit seiner Theorie sehr ernst sein soll (obgleich sie meiner oft ausgesprochenen Überzeugung nach melancholische Ironie ist), und der wünsche, die Jugend vor Illusionen zu bewahren und sie von der zukunftslosen Kunst weg zur Technik und Ähnlichem zu weisen. Ein Teil aber antwortet ihm, dann mache man es lieber wie gewisse vom Schicksal der antiken Kultur sich trennende Römer, die zur neu aufsteigenden östlichen Kultur übergingen. Er stellt sich die Zukunft des Abendlandes vor als ein bescheidenzufriedenes Fel[l]achentum mit einer geistigeren Oberschicht, bramahnenhaft. Sehr plausibel: Soziale Masse und Literatentum.81
Merz richtete den Blick auf die Zukunft des Abendlandes nach dem Untergang und wies Thomas Mann daraufhin, daß Spengler eine neue starke Kultur im Osten erkenne. Optionen für den Abendländer nach dem Untergang seien nach Spengler mithin entweder die Orientierung an der neuen östlichen Kultur oder die Selbstbescheidung zur welthistorischen Unwichtigkeit im Untergang. All dies referierte Merz äußerst kritisch; denn er warnte davor, Spengler zum universellen .Krisenmanager' zu erich Jens Nordalm, dessen Monographie zu Erich Mareks (1861-1938) und die Generation der Rankerenaissance. Historie als Kunst, Wissenschaft und Politik demnächst erscheint. Vgl. auch Jens Nordalm: Thomas Manns „ Unordnung und frühes Leid", Erich Mareks und Philipp IL von Spanien. Eine Beobachtung. In: Thomas Mann-Jahrbuch 14 (2001), 225-232. Einen Vergleich zwischen Lamprecht und Spengler eröffnet auch Rüdiger vom Bruch: Kulturpsychologie und Kulturbiologie. Universalgeschichte als Kulturmorphologie bei Karl Lamprecht und Oswald Spengler. In: Demandt, Farrenkopf (Anm. 2), 1-20. 80
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Vgl. Tagebücher (19. Februar 1920), 382. Rudolf Pannwitz: Die deutsche Lehre. Nürnberg 1919. Ders.: Die Krisis der europäischen Kultur. München 1921 [zuerst 1917]. Vgl. Brief Thomas Manns an Rudolf Pannwitz vom 7. August 1920, in dem Mann Pannwitz erläutert, man nenne ihn wie Spengler einen „Alldeutschen", „weil ich Deutschland als Bollwerk gegen das empfand, was Spengler die Civilisation nennt, und das ich die Demokratie genannt habe, nachdem Nietzsche es Nihilismus genannt hatte." In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. 1,293 Nr. 20/74. Tagebücher (26. Februar 1920), 386f.
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heben und stellte ihn in eine Reihe mit anderen zeitgenössischen Welterklärungsversuchen. Aus der Retrospektive analysierte Merz, wie seit der Jahrhundertwende der nach Sinn suchende Mensch „sein Pathos aus dem allgemeinen Kulturoptimismus, dann aus dem revolutionären Menschheitsgedanken oder aus Oswald Spengler, aus der Jugendbewegung und schließlich aus dem Antisemitismus schöpft."82 Daß der Wille zum Untergang des Abendlandes und zur Zivilisation bei Spengler ernst gemeint sein könnte, verblüffte Mann, und er glaubte es vorerst auch nicht. In seinem Exemplar des Untergangs glossiert Mann etwa Spenglers Unterscheidung vom ursprünglichen Schicksal und der zivilisatorischen I d e o logie noch mit dem Ausruf „Immer gegen die Civilisation!" (UdA, 158/172) So wie Spengler hatte Thomas Mann bisher auch die konservative Revolution mißverstanden, ihre ,revolutionären' und .modernisierungsfreundlichen' Elemente als rhetorischen Bombast unterschätzt. Ein Gespräch mit Hermann Bahr, dem österreichischen Schriftsteller und Propagandisten der ,Ideen von 1914', über Spengler folgte im März 1920. Für Bahr war Spenglers Werk ein „erstaunlich gedankenvolles, kühn überbrückendes, im Erhabenen kreisendes Buch", und er betonte die Nähe zu Goethes Naturbetrachtung.83 Problematisch erschien Bahr aber Spenglers „dogmatische Haltung bei radikaler Skepsis: hier wird der Versuch einer neuen Wissenschaft gemacht von einem, der im selben Atem die Möglichkeit aller Wissenschaft überhaupt leugnet."84 Damit spielte Bahr auf die Aporie an, daß Spengler zum einen alle kulturellen Phänomene auf ihre Geschichtlichkeit reduzierte und damit historisch relativierte und zum anderen aber seiner eigenen Deutung absolute Gültigkeit zusprach. Spengler schlingerte zwischen einem relativen und einem normativen Kulturbegriff, ohne methodisch sauber zu differenzieren. Bahr war wie Mann gleichzeitig fasziniert und brüskiert von dieser kühnen Melange: „Sein unaufhaltsamer Mut bezaubert mich, nur muß ich 82
Georg Merz: Das evangelische Predigtamt und die moderne Gesellschaft. In: Zwischen den Zeiten 8 (1930), 49-65, hier 56. Vgl. auch den kurzen Hinweis auf Spengler in: Ders.: Der Einbruch des Mysterienglaubens in die Kirche der Gegenwart. In: Zeitwende 5 (1929), 44—59, hier 59. Dazu knapp Manacnuc M. Lichtenfeld: Georg Merz - Pastoraltheologe zwischen den Zeiten. Leben und Werk in Weimarer Republik und Kirchenkampf als theologischer Beitrag zur Praxis der Kirche. Gütersloh 1997 ( = D i e Lutherische Kirche, 18), 135, 141 und 271; etwas ausführlicher Martin Wittenberg: Persönliche Beiträge zum Bilde von Georg Merz. In: Homiletisch-Liturgisches Korrespondenzblatt N.F. 10 (1992/ 93), 27-37, hier 32f.
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Hermann Bahr: 1919. Leipzig, Wien, Zürich, 1920, 29 und 32 (4. Januar 1919). Zu diesen literarisch-öffentlichen Tagebüchern Bahrs vgl. Donald G. Daviau: Hermann Bahrs veröffentlichte und unveröffentlichte Tagebücher. In: Österreichische Tagebuchschriftsteller. Hrsg. von Donald G. Daviau. Wien 1994, 21-64. Bahr (Anm. 83), 45 (23. Januar 1919).
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mich immer wieder fragen: wo nimmt er den Mut zu diesem Mut her, der ja doch auch wieder durchaus zeitgeschichtlich bedingt und damit ebenso zeitgeschichtlich begrenzt, im Grunde also auch wieder illusorisch wäre?" 85 - Mit dem Germanisten Conrad Wandrey spekulierte Mann über verschiedene Kulturpropheten und rückte Stefan George, Hans Blüher und Oswald Spengler aneinander.86
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Bahr (Anm. 83), 47 (23. Januar 1919). Vgl. Tagebücher (26. Juni 1921), 533.
2 Der Untergang des Abendlandes in Aneignung und Abstoßung
Essayistisch erwähnt Thomas Mann Spenglers Werk erstmals im Dezember 1919 in seiner Anzeige eines Fontane-Buchs. Hier ordnet Mann „Spenglers intellektuale[n] Roman vom ,Untergang des Abendlandes'" in eine Reihe kulturkritischer Selbstverständigungen der Moderne ein, zu denen er auch die Werke von Friedrich Gundolf, Ernst Bertram, Hermann Graf Keyserling und Rudolf Pannwitz rechnet.87 Mann bemüht sich um eine Gattungsbestimmung dieser weltanschaulichen Grundsatzerklärungen, „eine Familienähnlichkeit und Grundverwandtschaft all dieser Bücher [...], eine Verwandtschaft, die sich kaum in der Gemeinsamkeit eines Niveaus erschöpft, das als altmodisch-deutsch am knappsten zu kennzeichnen wäre" (GW X, 573). Verwundert zeigt sich Mann, „woher der deutsche Geist heute das völlig ungedemütigte und unerschütterte Machtgefühl, die superiore Würde und Strenge der Überschau, des Ordnens und Wertens nimmt" (GW X, 573), obgleich sich diese weltanschaulichen Sinnstiftungen im großen Zug doch auch als kulturelle Kompensationen der politisch-militärischen Niederlage erklären ließen. In seiner großen Rede Von deutscher Republik bekennt sich Mann im Oktober 1922 anläßlich der Ermordung von Walther Rathenau zur Weimarer Republik. In diese konservative confessio des vormaligen Herzensmonarchisten zum Vernunftrepublikanismus flicht Mann auch eine prononcierte Abrechnung mit Spenglers Technikbegeisterung und Zivilisationsemphase ein, auf die weiter unten ausfuhrlich eingegangen wird. Parallel dazu erscheint im Dezember 1922 der erste der German Letters, in dem Mann weitere Gründe seiner Distanzierung von Spengler ausbreitet.88 Diesen Text wirkt Thomas Mann in seine essayistische Quintessenz der Lektüre Spenglers und der Gespräche über ihn ein, den 1924 erschie-
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Anzeige eines Fontane-Buchs (1919), GW X, 573. Erstmals unter dem Titel Zum hundertsten Geburtstag Theodor Fontanes. In: Berliner Tageblatt vom 25. Dezember 1919. Der erste Brief aus dem November 1922 erscheint erstmals in englischer Übersetzung unter dem Titel German Letter I in: The Dial, New York, vol. 73, nr. 6, December 1922.
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nenen Artikel Thomas Manns Über die Lehre Spenglers (GW X, 172— 180).89 Mann zeigt sich hier enttäuscht über Spenglers Zivilisationsoptimismus und wirft ihm Fatalismus vor. Auf Nachfrage von Ida Boy-Ed erklärte Thomas Mann, „ich habe mich von Nietzsche nicht abgewandt, wenn ich auch seinen klugen Affen, Herrn Spengler, billig gebe";90 aber er nimmt ihm nicht die Untergangsdiagnose übel, sondern den Therapievorschlag, Technik und Zivilisation zu befördern. Manns Unzufriedenheit mit Spenglers Empfehlungen überdeckt hier seinen Enthusiasmus für die Darstellung des Befundes. In der Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte spricht Mann 1929 vom „Geschichtspessimismus Spenglers" und ordnet ihm die Lebensphilosophie von Ludwig Klages an die Seite. Bei beiden sei die angebliche Ohnmacht des Geistes gegenüber dem Leben „ein Grund mehr, ihn [i. e. den Geist] zu hassen und ihn als Totengräber des Lebens religiös zu verrufen."91 Sieht Mann Spenglers Jahre der Entscheidung noch als Bekenntnis zum Nationalsozialismus, so nimmt er 1935 in „Achtung, Europa!" Spengler zum Kronzeugen für den baldigen Untergang des Dritten Reichs: „O. Spengler, der gewiß kein Dummkopf ist und Verbindungen zur Großindustrie unterhält, glaubt an den Zusammenbruch 92 des Regimes im Lauf dieses Winters." 1941 entwirft Thomas Mann eine
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Erstmals in: Allgemeine Zeitung, München, vom 9. März 1924. German Letter I und Über die Lehre Spenglers sind bis auf die ersten Seiten und die Schlußpassage des ersten German Letter (GW XIII, 260-263 und 272) weitgehend textidentisch. Brief Thomas Manns an Ida Boy-Ed vom 5. Dezember 1922. In: Briefe 18891936, 202. Die Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte (1929), GW X, 262. Zu Thomas Mann und Ludwig Klages vgl. Stefan Breuer: Das Unbewußte in Kilchberg. Thomas Mann und Ludwig Klages. Mit einem Anhang über Klages und C. G. Jung. In: Das Unbewußte in Zürich. Literatur und Tiefenpsychologie um 1900. Sigmund Freud, Thomas Mann und C. G. Jung. Hrsg. von Thomas Sprecher. Zürich 2000, 53-72. „Achtung, Europa!" (1935), GW XII, 765, und dort weiter: Spengler „war vor einiger Zeit ad audiendum verbum bei Hitler, er war auch bei Mussolini gewesen und verglich. Der Italiener sagt zur Begrüßung höfliche Worte, die seine Unterrichtetheit beweisen sollen, lädt dann zum sitzen ein und sagt: ,Bitte äußern Sie sich, Sie können deutsch sprechen.' Hitler läßt den Besucher, einen Mann immerhin wie Spengler, überhaupt nicht zu Worte kommen. Er redet selbst, unausgesetzt, eine Stunde lang und länger. Dabei hat man das Gefühl, sagen zu müssen: .Gehen Sie jetzt, junger Mann, und holen Sie ihren Chef!'" (ebd.) Zu Mussolini und Spengler vgl. Michael Thöndl: Das Politikbild von Oswald Spengler (1880-1936) mit einer Ortsbestimmung seines politischen Urteils über Hitler und Mussolini. In: Zeitschrift fiir Politik 40 (1993), 418-433. Ders.: Die Rezeption des Werks von Oswald Spengler (1880—1936) in Italien bis zum Ende des
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weltanschauliche Vorgeschichte des Nationalsozialismus und fixiert dort Spengler zwischen die kleindeutsch-borussische Geschichtsschreibung und die Staatsrechtslehre Carl Schmitts.93 Im folgenden soll auf der Grundlage der zentralen essayistischen Texte Manns zu Spengler - nämlich der Rede von deutscher Republik (1922), dem ersten German Letter (1922) und dem Fazit Über die Lehre Spenglers (1924) - die Aneignung und Abstoßung von Spenglers Werk nachgezeichnet werden.
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Weltanschauungspoesie: Der „intellektuale Roman"
Den weltanschaulichen Gesprächen zwischen Naphta und Settembrini im Zauberberg hat man gelegentlich vorgeworfen, sie störten die Gattung des Romans, indem sie sich zu sehr ins Dozieren, ins Extemporieren ihres weltanschaulichen Standpunktes verliefen.94 Das Erzählen rückt im sechsten Kapitel des Zauberbergs in den Hintergrund zugunsten ideologischer Debatten, die nicht mehr so sehr narrativ vermittelt, sondern vielmehr in beinahe dramatisierter Form wiedergegeben werden.95 So wie Fontane für seinen Roman Stechlin die gesprächsreiche Ereignisarmut in die lapidaren Worte faßte: „Zum Schluß stirbt ein Alter und Zwei Junge heiraten sich; [...] Alles Plauderei Dialog"96, so könnte man für die entsprechenden Passagen des Zauberbergs formulieren: „Zum Schluß stirbt ein Junger und
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Zweiten Weltkriegs. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 73 (1993), 572-615. Die Linie beginnt bei Fichte, Hegel und Turnvater Jahn, zieht sich weiter über Richard Wagner und Houston Stewart Chamberlain, „über die Hof-Historiographen und Lakaien des Prussianismus Treitschke und Sybel geht es in immer wachsender Verwilderung und Malignität hinab zu Oswald Spengler, dem klugen Affen Nietzsche's, zu Carl Schmidt [sie!], dem Theoretiker des deutschen Faschismus" (Deutschland (1941), GW XII, 907). Vgl. Erich Heller: Thomas Mann. Der ironische Deutsche. Frankfurt a. M. 1959, 216, der dies in Dialogform persifliert. Thomas Mann modifiziert die Erzähltechnik virtuos und wechselt von der dramatisierten direkten Rede zur indirekten Rede über die erlebte Rede bis hin zum inneren Monolog, wobei die indirekte Rede in der erzählerischen Vermittlung der Debatten zwischen Naptha und Settembrini einen wichtigen Teil einnimmt. Theodor Fontane: Brief-Entwurf an Adolf Hoffmann aus dem Mai/Juni 1897. In: Theodor Fontane: Briefe, Bd. 4 1890-1898. Hrsg. von Otto Drude und Helmuth Nürnberger. München 1982 (= Werke, Schriften und Briefe IV, 4), 650.
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Der Untergang des Abendlandes
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zuvor konstruieren zwei Alte Weltanschauungen ... Alles Vortrag, Streitgespräch." Für Thomas Mann war diese Disputationsfülle bei gleichzeitiger Handlungskargheit durchaus mit seiner Vorstellung von einem Roman vereinbar. Es handelte sich um einen Zeitroman, 97 der die weltanschaulichen Strömungen der Zeit figurativ verarbeitete, nämlich in Gestalt Naphtas und Settembrinis. Und umgekehrt konnte sich für Mann ein wissenschaftliches Werk, das in ähnlich disputativem Stil die Kulturprobleme der Epoche erörterte, auch der Gattung Roman annähern. Ein solches Ineinanderfließen der Gattungsgrenzen macht Mann bei Spengler fest, wenn er dessen Untergang des Abendlandes einen „intellektualen Roman" 98
nennt. Mann kontextualisierte diese neue Gattung in einem „Prozeß, der die Grenzen von Wissenschaft und Kunst verwischt, den Gedanken erlebnishaft durchblutet, die Gestalt vergeistigt und einen Buchtypus zeitigt, der heute bei uns, wenn ich nicht irre, der herrschende ist, und den man den ,intellektualen Roman' nennen könnte" (GW XIII, 263). Eine poetische Traditionslinie dieser Gattung zieht Mann von der Romantik über Nietzsche in die Gegenwart." Zu diesem Changieren zwischen Dichtung und Wissenschaft gehört bei Spengler auch ein ganz eigener Tonfall, eine spezifische Rhetorik, die Vgl. etwa Ulrich Karthaus: „Der Zauberberg" - ein Zeitroman. (Zeit, Geschichte, Mythos). In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 44 (1970), 269-305. Auch wenn Hermann Kurzke dafür plädiert, daß es sich beim Zauberberg „letzten Endes nicht um einen Zeitroman" handelt, muß man meines Erachtens die durchaus vorhandenen zeitgeschichtlichen Bezüge berücksichtigen (Hermann Kurzke: Thomas Mann. Epoche - Werk - Wirkung. München 2 1991, 211). Naptha und Settembrini reden nicht als überzeitliche Intellektuelle, sondern sind nur im frühen 20. Jahrhundert situierbar. In diesem Sinn vgl. Terence J. Reed: Der Zauberberg. Zeitwandel und Bedeutungswandel 1912-1924. In: Besichtigung des Zauberbergs. Hrsg. von Heinz Sauereßig. Biberach 1974, 81-139. Jürgen Jacobs: Wilhelm Meister und seine Brüder. Untersuchungen zum deutschen Bildungsroman. München 1972, 226-244. Stefan Bodo Würffei: Zeitkrankheit - Zeitdiagnose aus der Sicht des „Zauberbergs". Die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges - in Davos erlebt. In: Das ZauberbergSymposium 1994 in Davos. Hrsg. von Thomas Sprecher. Frankfurt a. M. 1995 (= Thomas Mann-Studien, 11), 197-223. Da Mann diesen Begriff mehrfach gebraucht, ist er durchaus ernstzunehmen: Anzeige eines Fontane-Buches (1919), GW X, 573; ebenso in: Über die Lehre Spenglers (1924), GW X, 173. Helmut Koopmann bezieht diesen Begriff, den Mann von Schopenhauer übernimmt (vgl. Herman Anton: Die Romankunst Thomas Manns. Paderborn 2 1979, 25), auf den Zauberberg-. Helmut Koopmann: Die Entwicklung des „intellektualen Romans" bei Thomas Mann. Untersuchungen zur Struktur von „ Buddenbrooks ", „ Königliche Hoheit" und „ Der Zauberberg ". Bonn 3 1980. Vgl. Lantink (Anm. 2). Vgl. Ober die Lehre Spenglers (1924), GW X, 173.
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deutlich versucht, sich über wissenschaftliche Genauigkeit zu erheben. Die bewußte wissenschaftliche Selbstbescheidung auf ein abgegrenztes, bearbeitbares Thema erscheint bei Spengler als ,Mumpitz'. Spengler verspricht dem Leser Erkenntnisse jenseits der Wissenschaftlichkeit: Geschichte wissenschaftlich behandeln wollen ist im letzten Grunde immer etwas Widerspruchsvolles. [...] Natur soll man wissenschaftlich behandeln, über Geschichte soll man dichten. Der alte Leopold von Ranke soll einmal gesagt haben, daß der „Quentin Durward" von Scott doch eigentlich die wahre Geschichtsschreibung darstelle. So ist es auch; ein gutes Geschichtswerk hat seinen Vorzug darin, daß der Leser sein eigner Walter Scott zu sein vermag. (UdA, 129)
Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit läßt sich zwar gegen Spengler erheben, und er wurde erhoben, wenn etwa Walter Benjamin sich, nach Spengler gefragt, mokierte: „Was soll ich von ihm halten? Ein trivialer Sauhund."100 Aber „wer Spenglers historizistische Rhetorik als pseudogeschichtswissenschaftliches Geschwätz klassifizierte, verfehlte ihr Genus und machte sich unfähig, die außerordentliche Sensation zu verstehen, die sie waren."101 Wissenschaftliche Ansprüche auf Genauigkeit und exakte Nachweise zu brüskieren, gehört zur literarischen Strategie Spenglers. Ästhetisierung tritt an die Stelle des wissenschaftlichen Nachweises. Der Poetisierung von Geschichte wird mehr Überzeugungskraft zugesprochen als ihrer wissenschaftlichen Analyse. Problematisch war dabei, daß Spengler sich einerseits über die Wissenschaft lustig machte und mit seinem schneidenden Ton eher einen poetischen Generalbefehl zum Untergang als eine wissenschaftliche Analyse vorlegte, aber andererseits für diese Weltanschauungspoesie einen wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch behauptete. Die historiographische Einzelkritik vermochte nicht, Spenglers Erfolg zu dämpfen, denn Spenglers Faszination verdankte sich gerade der konsequenten Vernachlässigung wissenschaftlicher Standards, über die er sich mit auftrumpfender Gebärde erhob.102 Hermann Lübbe spricht in die100
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So berichtet Werner Kraft: Über Benjamin. In: Zur Aktualität Benjamins. Aus Anlaß des 80. Geburtstages von Walter Benjamin. Hrsg. von Siegfried Unseld. Frankfurt a. M. 1972, 59-69, hier 66. Hermann Lübbe: Historisch-politische Exaltationen. Spengler wiedergelesen. In.: Spengler heute. Sechs Essays mit einem Vorwort von Hermann Lübbe. Hrsg. von Peter Christian Ludz. München 1980, 1-24, hier 6. Vgl. auch Feiken (Anm. 2), 85. Zur zeitgenössischen geschichtswissenschaftlichen Kritik vgl. etwa: Erich Brandenburg: Spenglers „ Untergang des Abendlandes". In: Historische Vierteljahrsschrift 20 (1920/21), 1-22. Kurt Breysig: Der Prophet des Unterganges. Oswald Spengler. In: Velhagen & Klasing's Monatshefte 35 (1921), 261-270. Hedwig Hintze: Der Untergang des Abendlandes. In: Die Hilfe 26 (1920), 44-47. Otto
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sem Zusammenhang von den „intellektuellefn] Exaltationen" Spenglers, die provozieren wollen.103 Der Skandal war kalkuliert. Die Bemühungen einiger Wissenschaftler in der Zeitschrift Logos, gemeinsam Spengler interdisziplinär mit wissenschaftlichen Mitteln aus den Angeln zu heben, waren so wissenschaftlich anerkennenswert wie faktisch erfolglos.104 Die philosophische Zunft war noch am ehesten bereit, sich auf Spenglers Affront einzulassen.105 Die Fülle historischer Analogien, die Spengler ausbreitet, wären von einem Fachmann nicht wissenschaftlich verantwortbar präsentabel gewesen. Aber Spengler ging es nicht um reine Faktenvermittlung, sondern er verband mit der historischen Darstellung die politische Absicht, den Untergang des Abendlandes zu forcieren und den heraufdämmernden Cäsarismus nationalistisch zu instrumentalisieren. Mann begriff Spengler als einen intellektualen Romancier des Kulturpessimismus und fühlte sich ihm in dieser Hinsicht verwandt. Andere „intellektuale Romane" waren für Thomas Mann „das ,Reisetagebuch eines Philosophen' vom Grafen Hermann Keyserling, das schöne NietzscheBuch von Ernst Bertram und der monumentale ,Goethe' des George-Propheten Gundolf (GW X, 173) - alles Texte, die keine Romane im eigentlichen Sinn waren, aber mit fiktionalen Versatzstücken und literarisierenden Tendenzen biographische und kulturgeschichtliche Themen ästhetisierten. Man konnte als Schriftsteller Spengler als neuen semipoetischen Kollegen in seinen Reihen begrüßen, wie dies Thomas Mann erst einmal unternahm. Lou Andreas-Salome tat dies auch gegenüber Rilke und schwärmte über den Untergang des Abendlandes, „der dicke wunderherrliche Spengler [...]. Ist das nicht zum Glücklichwerden im Inwen-
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Hintze: Sammelrezension zu Spengler et al. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 79 (1925), 541-547. Friedrich Meinecke: Über Spenglers Geschichtsbetrachtung. In: Wissen und Leben 16 (1923), 549-561. Ernst Troeltsch: Rezension „Der Untergang des Abendlandes". In: Ders.: Gesammelte Schriften Bd. IV. Hrsg. von Hans Baron. Tübingen 1925, 677-695. Lübbe (Anm. 101), 9. In der Ausgabe des Logos von 1920/21, die Spenglers Untergang des Abendlandes gewidmet war, mühten sich Gustav Becking, Ludwig Curtius, Erich Franck, Karl Joel, Edmund Mezger, Eduard Schwartz und Wilhelm Spiegelberg vergeblich, Spenglers Erfolg zu unterminieren. Inwiefern Heidegger und Wittgenstein sich von Spengler haben beeinflussen lassen, ist seit einiger Zeit Gegenstand philosophischer Forschung: Vgl. Ulrich H. J. Körtner: Morphologie des Untergangs. Zivilisationund Technikkritik bei Oswald Spengler. In: Theologische Zeitschrift 47 (1991), 148-170, zu Heidegger 166. James C. Klagge: Wittgenstein on Non-Mediative Causality. In: Journal of the history of Philosophy 37 (1999), 653-667. Rudolf Haller: Questions on Wittgenstein. Lincoln 1988. Ders.: War Wittgenstein von Spengler beeinflußt? In: Teoria 5 (1985), 97-112. Stanley Cavell: Declining Decline. Wittgenstein as a philosopher ofculture. In: Inquiry 31 (1988), 253-264.
Denken in Analogien
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digsten, daß es solche breiten und tiefen Geister noch giebt?" Rilke war zwar nicht ganz so enthusiasmiert, räumte aber ein: „Ja er ist schon etwas für den Geburtstag." 106 Man konnte sich aber genauso aufregen über diese als unredlich eingestufte Verbindung von dichterischem Charisma und angeblicher metawissenschaftlicher Sachlichkeit. Hermann Broch zeigte sich angewidert von Spenglers ,,ignorante[r] Präpotenz". 107 Franz Kafka betonte ebenfalls den literarischen Charakter v o n Spenglers Werk und wertete dies als .Amtsanmaßung': „Viele sogenannte Wissenschaftler transponieren die Welt des Dichters auf eine andere, wissenschaftliche Ebene und gelangen so zu Ruhm und Bedeutung." 1 0 8
2.2 Denken in Analogien Robert Musil verfaßte 1921 Anmerkungen für Leser, welche dem Untergang des Abendlandes entronnen sind und erklärte Spenglers Methode wie folgt: Seien wir also generös. Spengler meint es quasi, arbeitet mit Analogien und in irgendeinem Sinne kann man da immer recht haben. [...] Es gibt zitronengelbe Falter, es gibt zitronengelbe Chinesen; in gewissem Sinne kann man also sagen: Falter ist der mitteleuropäische geflügelte Zwergchinese. [...] Daß der Falter Flügel hat und der Chinese keine, ist nur Oberflächenphänomen.109 D i e s e v o n Musil komisierte Methode der waghalsigen Syllogismen, assoziativen Ketten und hoch getürmten begrifflichen Analogien, die nicht
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Brief Lou Andreas-Salomds an Rainer Maria Rilke vom 17. Februar 1919 und Brief Rainer Maria Rilkes an Lou Andreas-Salomd vom 21. Februar 1919. In: Rainer Maria Rilke - Lou Andreas-Salomö: Briefwechsel. Mit Erläuterungen und einem Nachwort hrsg. von Ernst Pfeiffer. Zürich 1952,409 und 412. Brief Hermann Brochs an Ea von Allesch vom 4. Juli 1920. In: Hermann Broch: Briefe 1 (1913-1938). Dokumente und Kommentare zu Leben und Werk Hrsg. von Paul Michael Lutzeler. Frankfurt a. M. 1981 (= Kommentierte Werkausgabe, 13/1), 44. Zu Brochs Auseinandersetzung mit Spengler vgl. Paul Michael Lützeler: Europäischer Kulturzerfall. Brochs „Schlafwandler" und Spenglers „ Untergang des Abendlandes". In: Ders.: Europäische Identität und Multikultur. Fallstudien zur deutschsprachigen Literatur seit der Romantik. Tübingen 1997 (= Stauffenburg discussion, 8), 87-105. Gustav Janouch: Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1968, 109. Robert Musil: Geist und Erfahrung. Anmerkungen für Leser, welche dem Untergang des Abendlandes entronnen sind. In: Ders.: Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden. Hamburg 1955, 652.
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Der Untergang des Abendlandes
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recht zusammen passen wollen, betreibt nicht nur Spengler.110 Auch Thomas Mann ist ein Meister des Jonglierens mit Begriffen. In seinem EssayEntwurf Geist und Kunst - entstanden in den Jahren von 1908 bis 1912 — bemühte er sich um eine „große Abhandlung über Geist und Kunst, Kritik und Plastik, Erkenntnis und Schönheit, Wissen und Schöpfertum, Zivilisation und Kultur, Vernunft und Dämonie".111 Diese Begriffsgirlande begreift sich binär angeordnet, und jedes Begriffspaar erhebt den Anspruch, mit dem voraufgehenden und folgenden in inhaltlicher Beziehung zu stehen. Aber Mann operiert dabei eklektisch mit verschiedenen Dichotomien, die sich untereinander als nicht kompatibel erweisen. Nietzsches Spannung zwischen Apollinischem und Dionysischem steht neben Schillers Unterscheidung von sentimentalischer und naiver Dichtung. Heines Opposition von spiritualistischem Christentum und sensualistischem Heidentum übernimmt Mann ebenso wie Tolstois Polarität von Kritik und Plastik.112 Sehnsucht nach einem intellektuellen System, das befähigt, all diese Spannungen zu integrieren, spricht aus diesen Begriffsreihen. Thomas Mann sah sich nicht in der Lage, ein solches Gefüge zu schaffen. Geist und Kunst blieb Fragment. Lediglich Manns Novellen-Figur Gustav von Aschenbach schafft im Tod in Venedig das scheinbar Unmögliche und konzipiert eine ,,leidenschaftliche[] Abhandlung über ,Geist und Kunst', deren ordnende Kraft und antithetische Beredsamkeit ernste Beurteiler vermochte, sie unmittelbar neben Schillers Raisonnement über naive und sentimentalische Dichtung zu stellen."113 Aber Aschenbachs theoretische Erkenntnisse werden vom Leben widerlegt; er scheitert. Auch hier bleibt das Projekt einer umfassenden zivilisationskritischen Diagnose unvollendet. Als Spenglers Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte erscheinen, kann Mann in ihnen nicht nur den seinigen ähnliche Intentionen nach klärender Zusammenschau herauslesen, sondern darüber hinaus eine interessante Variante seines ordnenden Denkens erblicken.
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Spengler erläutert seine Methode in Abgrenzung zur Mathematik: „Das Mittel, tote Formen zu erkennen, ist das mathematische Gesetz. Das Mittel, lebendige Formen zu verstehen, ist die Analogie. [...] Die Vergleiche könnten das Glück des geschichtlichen Denkens sein" (UdA, 4 u. 6). Thomas Mann: „Geist und Kunst". Thomas Manns Notizen zu einem „Literatur "-Essay. In: Paul Scherrer, Hans Wysling: Quellenkritische Studien zum Werk Thomas Manns. Bern und München 1967 (= Thomas-Mann-Studien, 1), 123— 233. Zitat aus: Der Künstler und der Literat (1913), GW X, 62. Vgl. Kurzke (Anm. 97), 87. Der Tod in Venedig (1912), GW VIII, 450.
Zivilisationsbewertung
2.3
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Zivilisationsbewertung
Während Mann Kultur und Zivilisation im Kontext seiner Kulturkriegspublizistik aber auch schon in der Vorkriegszeit 114 polar begriff, als einen Gegensatz, in dem sich eine Hierarchie manifestierte von der höherwertigen Kultur zur minderwertigen Zivilisation, verzeitlichte Spengler diesen Gegensatz. Aus der Hierarchie schuf er eine Chronologie, in der die Zivilisation notwendig der Kultur folgte. Einen apokalyptischen Blick, der das Ende der eigenen Epoche weissagte, teilten sich Mann und Spengler.115 Die Untergangsdiagnose vereinte die beiden Schriftsteller. Schließlich hatte Mann bereits 1901 in den, ursprünglich Abwärts betitelten, Buddenbrooks eine solche Kulturentwicklung en famille literarisiert. Nur in der Bewertung dieser Prophezeiung unterschieden sie sich. Alfred Baeumlers Meinung, daß in „Spenglers Buch die Abendröte des neunzehnten, in Ihrem das Morgenrot des zwanzigsten Jahrhunderts" aufglänzte, schmeichelte zwar Thomas Mann und seinen Betrachtungen eines Unpolitischen, bildete aber für Mann nicht den eigentlichen Anlaß, um sich von Spenglers Positionen zu distanzieren. 16 Zwar liefert Baeumler Thomas Mann in der Tat, wie Hermann Kurzke erläutert, Argumente einer Spengler-Kritik,117 aber Thomas Mann greift sie erst einmal nicht auf. Auf Baeumlers Zurückweisung der Spenglerschen Theorie ins 19. Jahrhundert entgegnet Mann 1920, daß aber diese Herkunft keinen Einwand für mich bedeute, mag verzeihlich sein. Ich kann die Kennzeichnung seines Werkes als „Dekadenzphilosophie" (Pannwitz nennt ihn nicht anders als .Aasgeier'; die Wut in der George-Sphäre ist erheblich) nicht ablehnen. Aber die Tatsache eben, daß sie zutrifft, ist wohl leider der Grund dafür, daß die Wirkung des Buches auf mich durchaus die der Faszination war. Zu Vieles in mir hatte auf diese Formulierungen nur gewartet.118
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Thomas Mann: „ Geist und Kunst" (Anm. 111), 215 (Notiz Nr. 118), Gedanken im Kriege (1914), GW VIII, 528. Dichotomisiert waren die Begriffe bei Thomas Mann schon vor 1914, nationalisiert wurden sie erst im Ersten Weltkrieg. Vgl. zu Spenglers Diktum „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" (UdA, 1194) Klaus Vondung: Die Apokalypse in Deutschland. München 1988, 147fF. Alfred Baeumler: Metaphysik und Geschichte. Brief an Thomas Mann. In: Thomas Mann und Alfred Baeumler, 76. Thomas Mann und Alfred Baeumler, 7. Brief Thomas Manns an Alfred Baeumler vom 7. März 1920. In: Thomas Mann und Alfred Baeumler, 92f. Zum Verhältnis von Baeumler und Mann vgl. Hubert Brunträger: Der Ironiker und der Ideologe. Die Beziehungen zwischen Thomas Mann und Alfred Baeumler. Würzburg 1993 (= Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, 4).
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Nicht Max Webers Kritik an der historischen Unscharfe und dem unredlichen Prophetentum, nicht Hermann Graf Keyserlings Plädoyer für den Transfer zwischen den Kulturen und schon gar nicht Erich Mareks' historistische Skepsis gegenüber der entelechischen Geschichtstheorie ließen Mann von Spengler abrücken. Gerade das Bemühen um die große Synthese, die „glänzende Konstruktion" beeindruckten Thomas Mann.119 Er spricht in diesem Zusammenhang vom „Über-Historismus" Spenglers. 20 Nicht ohne Koketterie bekennt er: „Und der sündhaften Mischung aus Dogmatismus und Skepsis unterlag ich komplett, - ich schäme mich nur wenig, es zu sagen."12 Damit greift er eine Formulierung Hermann Bahrs auf, den ebenfalls Spenglers „dogmatische Haltung bei radikaler Skepsis" fasziniert.122 Die Bewertung der Zivilisation, dessen, was auf den Niedergang der Kultur folgen sollte, trennte schließlich Thomas Mann von Oswald Spengler. Über die Unentrinnbarkeit der Zivilisation herrschte noch Einigkeit. Spengler befand: „Die Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal [...], unwiderruflich" (UdA, 43). Mann stimmte zu, man müsse verstehen, „daß der Sieg England-Amerika's die Civilisierung, Rationalisierung, Utilarisierung [sie!] des Abendlandes, die das Schicksal jeder al123 ternden Kultur ist, besiegelt und beendet" Verstehen bedeutete aber nicht Gutheißen. Dieser Befund gefiel Thomas Mann mitnichten. Konservative Sehnsucht, Ironie und Bedauern mischen sich in seine Überlegungen, und er meint, sie auch bei Spengler zu sehen. Thomas Mann verteidigt Spengler im November 1919 gegenüber der Einschätzung des Zivilisationsagitatoren in einem Brief an Franz Boll: „Der Spenglersche Fatalismus mag kühl anmuten, aber er ist im Grunde eine Maske, die Maske eines pessimistischen Konservativen."124 In ganz ähnlichem Duktus ist Mann noch einige Monate später bemüht, Spenglers Denken an das seine zu rücken: „Man hält ihn für einen Verherrlicher und Propheten der Zivilisation', - während sich doch diese ganze Anordnung der Dinge nur in einem konservativen Kopfe herstellt
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Vgl. Tagebücher (23. Dezember 1919), 348. Tagebücher (22. Juni 1919), 272. Brief Thomas Manns an Alfred Baeumler vom 7. März 1920. In: Thomas Mann und Alfred Baeumler, 93. Bahr (Anm. 83), 45 (23. Januar 1919). Brief Thomas Manns an Gustav Blume vom 5. Juli 1919. In: Briefe 1889-1936, 165. Brief Thomas Manns an Franz Boll vom 2. November 1919. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. I, 277 Nr. 19/108.
Zivilisationsbewertung
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und seine ganze Kulturdiagnose - für mich unzweifelhaft - nichts als Melancholie, Resignation und unterirdische Polemik bedeutet."125 Erst allmählich begreift Thomas Mann, daß sich im 20. Jahrhundert eine neue Form des Konservatismus formierte, die zwar antidemokratische, autoritäre, und in dem Sinn konservative, Herrschaftskonzepte bevorzugte, aber zugleich für eine technische und zivilisatorische Modernisierung warb. Spenglers Fazit: „Ich lehre hier den Imperialismus [...]. Imperialismus ist reine Zivilisation. In dieser Erscheinungsform liegt unwiderruflich das Schicksal des Abendlandes" (UdA, 51), verquickte autoritäre Herrschaft mit technischem Fortschritt und war eben sehr wohl ernst zu nehmen und enthielt für Deutschland die Möglichkeit, aus dem Untergang des Abendlandes die Kraft zu schöpfen, einen zivilisatorisch-imperialistischen Neuaufbau zu wagen. Spenglers Zivilisationsbegeisterung erklärt sich aus nationalen Größenphantasien; die Kulturdiagnose verdankt sich politischen Impulsen. Das analysierte Spengler nicht nüchtern, sondern er begeisterte sich dafür: Wer nicht begreift, daß sich an diesem Ausgang nichts ändern läßt, daß man dies wollen muß oder gar nichts, daß man dies Schicksal lieben oder an der Zukunft, am Leben verzweifeln muß, wer das Großartige nicht empfindet, das auch in dieser Wirksamkeit gewaltiger Intelligenzen, dieser Energie und Disziplin metallharter Naturen, diesem Kampf mit den kältesten, abstraktesten Mitteln liegt, wer mit dem Idealismus eines Provinzialen herumgeht und den Lebensstil verflossener Zeiten sucht, der muß es aufgeben, Geschichte verstehen, Geschichte durchleben, Geschichte schaffen zu wollen. (UdA, 53)
Diese Technikbegeisterung und die Schwärmerei für Kälte und Sachlichkeit mißverstand Mann.12 Es handelte sich nicht um einen wehmütigen Schwanengesang auf das Abendland, sondern um die kriegerische Ouvertüre für den zivilisatorischen „Winter" des Abendlandes. Cecil Rhodes 125
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Brief Thomas Manns an Alfred Baeumler vom 7. März 1920. In: Thomas Mann und Alfred Baeumler, 93. In diesem Sinn schreibt Thomas Mann auch am 5. Juli 1919 an Gustav Blume: „Man muß sich kontemplativ stimmen, auch fatalistischheiter, Spengler lesen [...]". In: Briefe 1889-1936, 165. Wie wenig eine melancholische, kontemplativ-heitere Stimmung zu Spenglers Duktus paßt, erläutert Ottmann (Anm. 31), 156f. Es ist ein wirkliches Mißverständnis, nicht nur ein prätendiertes, wie dies Ferrari Zumbini (Anm. 33), 206 behauptet. Als generationsspezifisches Phänomen in den 1920er Jahren beschreibt Ulrich Herbert: „Generation der Sachlichkeit". Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre in Deutschland. In: Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlev Peukert zum Gedenken. Hrsg. von Frank Bajohr, Werner Lohe und Uwe Lohalm. Hamburg 1991 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, 27), 155— 144, das Pathos der Kälte und Objektivität, das Spengler feiert und Mann brüskiert. Vgl. auch Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M. 1994.
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Der Untergang des Abendlandes
in Aneignung und Abstoßung
wurde zum neuen Vorbild dieser Zeit erklärt, dessen Imperialismus „den politischen Stil einer ferneren, abendländischen, germanischen, insbesondere deutschen Zukunft" (UdA, 51) präge und der verstanden wurde als der „Vorläufer eines abendländischen Cäsarentyps, für den die Zeit noch lange nicht gekommen ist" (UdA, 52). Spengler empfahl der neuen Generation ernstlich, sich „der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik" (UdA, 57) zuzuwenden. 127 Im erwähnten Gespräch mit dem Pfarrer Merz hatte Mann dies noch abwehrend als „melancholische Ironie" verteidigt.128 Aber in seiner Rede Von Deutscher Republik klärte er 1922 dieses Mißverständnis auf und rekapitulierte: Als ich aber erfuhr, daß dieser Mann seine Verkalkungs-Prophetie stockernst und positiv genommen haben wolle und die Jugend in ihrem Sinne unterweise, das heißt sie anhalte, an Dinge der Kultur, der Kunst der Dichtung und Bildung nur ja nicht ihr Herz und ihre Leidenschaft zu schenken, sondern sich an das zu halten, was einzig Zukunft sei und was man wollen müsse, um überhaupt noch irgend etwas wollen zu können, nämlich an den Mechanismus, die Technik, die Wirtschaft oder allenfalls noch die Politik; als ich dies gewahr wurde, daß er tatsächlich dem Willen und der Sehnsucht des Menschen die kalte „Naturgesetzliche" Teufelsfaust entgegenballt - da wandte ich mich ab von so viel Feindlichkeit und habe sein Buch mir aus den Augen getan, um das Schädliche, Tödliche nicht bewundern zu müssen. (GW XI, 841 f.)
Thomas Mann setzte gegen die „kalte , naturgesetzliche' Teufelsfaust" der Maschinenwelt die konservativ-romantische Wärme einer Technikferne bei gleichzeitigem Placet zur Demokratie. Die Begriffe „Wärme" und „Kälte" sind dabei nicht nur rhetorischer Schmuck, sondern umreißen Haltungen zu weltanschaulichen Konzepten. „Wärme" begleitet Thomas Manns Ironie, seinen teilnehmenden Kulturpessimismus. „Kälte" hingegen steht für Sachlichkeit und Zivilisationsoptimismus. Diese Haltungen werden mit großem Engagement und Pathos eingenommen. Sie begleiten nicht nur die Gesinnungen als Ausdrucksform, sondern intensivieren sie und bilden einen wichtigen Bestandteil der jeweiligen Weltanschauungen. Antitechnisches „Pathos der Wärme" und technikbegeistertes „Pathos der Kälte und Sachlichkeit" trennen Mann und die konservative Revolution.
127
128
Vgl. auch: „Für die prachtvoll klaren, hochintellektuellen Formen eines Schnelldampfers, eines Stahlwerkes, einer Präzisionsmaschine, die Subtilität und Eleganz gewisser chemischer und optischer Verfahren gebe ich den ganzen Stilplunder des heutigen Kunstgewerbes samt Malerei und Architektur." (UdA, 61) Das änderte sich erst mit Beginn der 1930er Jahre mit der Technikschrift: Oswald Spengler: Der Mensch und die Technik. Beitrag zu einer Philosophie des Lebens. München 1931. Tagebücher (26. Februar 1920), 386f.
Fatalismus
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Thomas Mann betrieb Zivilisationskritik für die Kultur, Oswald Spengler hingegen Kulturkritik für die Zivilisation.
2.4
Fatalismus
Mit eindeutigem Pessimismus oder Optimismus hätte sich Mann, wenn auch nicht anfreunden, so doch zumindest abfinden können. Thomas Mann zitiert in seinem German Letter Benedetto Croce, der es begreiflich fand, daß Deutschland in seiner aktuellen Situation nach dem Ersten Weltkrieg in einer „Welle von historischem Pessimismus" schwimme. 129 Aber Spenglers schillerndes Changieren zwischen den Positionen, sein Spiel mit der Uneindeutigkeit und „seine vexatorische Erscheinung" ( G W X , 178) erzürnen Thomas Mann: „Spengler leugnet, Pessimist zu sein. Einen Optimisten wird er sich noch weniger nennen wollen. Er ist Fatalist." (GW X, 174) Mann bezieht sich hier auf einen Pessimismus? übertitelten Aufsatz Spenglers von 1921 in den Preußischen Jahrbüchern, in dem Spengler sich mit Rezeptionsmißverständnissen auseinandersetzt und den Vorwurf des Pessimismus von sich weist. 130 Spengler konzediert dort, daß der Begriff des „Untergangs" Mißverständnissen Vorschub geleistet hat. Gleichwohl sei die Konnotation der „Katastrophe [...] in dem Wort nicht enthalten. Sagt man statt Untergang Vollendung, [...] so ist die .pessimistische' Seite einstweilen ausgeschaltet, ohne daß der eigentliche Sinn des Begriffs verändert wäre." 1 1 Gegen alle Mutmaßungen stellt Spengler dort fest: „Nein, ich bin kein Pessimist. Pessimismus heißt: keine Aufgaben mehr sehen. Ich sehe so viele noch ungelöst, daß ich fürchte, es wird uns an Zeit und Männern für sie fehlen." 132 Unzufrieden gestimmt mag Thomas Mann auch haben, daß Spengler zwar den deutschen Roman „zu den Aufgaben des Jahrhunderts rechnet",
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German Letter /, GW XIII, 266. Vgl. Benedetto Croce: Benedetto Croce gegen Oswald Spengler. In: Frankfurter Zeitung vom 23. Juni 1920. Zitiert nach Hermann Kurzke in: Thomas Mann: Essays. Bd. 3: Schriften über Musik und Philosophie. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Hermann Kurzke. Frankfurt a. M. 1988,359. Vgl. Hermann Kurzke in: Thomas Mann: Essays (Anm. 129), 285, dort sechste Anm. zu Seite 147. Oswald Spengler: Pessimismus? In: Preußische Jahrbücher 184 (1921), 73-84, hier 73. Spengler (Anm. 131), 82. Eine differenzierte und sorgfältige Analyse von Spenglers Haltung zum Pessimismus leistet Michael Pauen: Pessimismus. Geschichtsphilosophie, Metaphysik und Moderne von Nietzsche bis Spengler. Berlin 1997, 181-210.
48
Der Untergang des Abendlandes in Aneignung und Abstoßung
aber - die Buddenbrooks
übergehend - lapidar feststellt: „ B i s jetzt haben
wir nur Goethe. [...] Wir haben n o c h keine deutsche Prosa, w i e e s eine e n g l i s c h e und französische gibt." 1 3 3 Spengler hielt M a n n literarisch für einen überlebten Nostalgiker, der zwar „scheinbar moderne S t o f f e " erzählte, „aber mit e i n e m g a n z veralteten Gehalt, Biedermeierempfindsamkeit oder H e i n e ins Großstädtisch-Homosexuelle projiziert", s o Spengler in e i n e m B r i e f an seinen Freund Hans Klöres. 1 3 4 D i e Zukunft D e u t s c h lands liegt für Spengler nicht in der Literatur, sondern in der Politik: „Zu e i n e m G o e t h e w e r d e n wir D e u t s c h e e s nicht wieder bringen, aber z u ein e m Cäsar" 1 3 5 - für einen Schriftsteller keine wirklich befriedigende Prog n o s e . M a n n greift d i e s e n Satz aus Spenglers Pessimismns?-Aufsatz
auf
und zitiert frei: „Ein Cäsar kann und wird w i e d e r k o m m e n , ein G o e t h e niemals." ( G W X , 177) „Fatalismus" ist für M a n n die zentrale Kategorie, mit der er Spenglers D e n k e n versieht, und dies ist für ihn ein Vorwurf, denn dieser Fatalismus „ist w e i t entfernt, tragisch-heroischen Charakter z u tragen" ( G W X , 174),
133 134
135
Spengler (Anm. 131), 83. Brief Oswald Spenglers an Hans Klöres vom 13. Dezember 1913. In: Oswald Spengler: Briefe 1913-1936. In Zusammenarbeit mit Manfred Schröter hrsg. von Anton M. Koktanek. München 1963, 24. Zum frühen Spengler vgl. Gilbert Merlio: Oswald Spengler ä Munich au debut du siecle. In: München als Ort der Moderne. Hrsg. von Gilbert Merlio und Nicole Pelletier. Frankfurt a. M. 1998 (= Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Kongressberichte, 47), 261-276. Spengler (Anm. 131), 84. Spenglers Abrechnung mit den politischen Idealisten und ästhetisierenden Neureligiösen erinnert an Max Webers Plädoyer für den Verantwortungsethiker in Politik als Beruf und seinen Verweis der Zivilisationskritiker an die Kirche in Wissenschaft als Beruf: „Wer dies Schicksal der Zeit nicht männlich ertragen kann, dem muß man sagen: Er kehre lieber, schweigend, ohne die übliche öffentliche Renegatenreklame, sondern schlicht und einfach, in die weit und erbarmend geöffneten Arme der alten Kirche zurück." (Max Weber: Wissenschaft als Beruf. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann. Tübingen 7 1988, 612) Vgl. Spengler: „Religion j a - aber dann nimm dein Gesangbuch, nicht den Konfuzius auf Büttenpapier - und gehe in die Kirche, Politik ja, aber von Staatsmännern und nicht von Weltverbesserern. Alles andere kommt nicht in Betracht." (Spengler [Anm. 131], 84). Eine mögliche Quelle Webers und damit auch Spenglers für den Verweis des Zivilisationskritikers an die Religion bietet Gustav Radbruch: Zur Philosophie dieses Krieges. Eine methodologische Abhandlung. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 44 (1917/18), 139-160, hier 157f.: „Wer um den Krieg zu ertragen, einer höheren Weihe bedarf als die ihm das Wort ,right or wrong, my country' zu geben vermag, kann sie nur noch aus jener Quelle erwarten, aus der allem Seienden letzten Endes auch eine Weihe, ein Wert zufließt: aus der Religion." Zur Auseinandersetzung Radbruchs mit dem „Kulturkrieg" vgl. Beßlich (Anm. 68), 337-350.
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Fatalismus
wie ihn Thomas Mann bei Nietzsche gegeben sieht.136 Mann verdenkt Spengler, daß er nicht am Untergang leidet, sondern ihn mit einer „boshaften Apodiktizität" (GW X, 174) verkündet. Er kreidet ihm mangelndes Mitgefühl an; Spenglers Fatalismus „ist nicht amor fati. Mit ,amor' gerade hat er am allerwenigsten zu tun, - und das ist das Abstoßende daran." (GW X, 174) Mann verlangt Anteilnahme jenseits der Wissenschaftlichkeit. Wieder taucht in diesem Zusammenhang der Begriff der „Kälte" auf, wenn er Spenglers „,froschkalt-wissenschaftliches' Verfügen" (GW X, 174) über die abendländische Geschichte kritisiert.137 Wissenschaftlichkeit und Pathos der Kälte scheinen für Mann zusammen zu gehören. Die „unerbittliche Wissenschaft" (GW X, 178) erfordert Rationalität und objektive Teilnahmslosigkeit. Mann plädiert hingegen dafür, der Untergangsdiagnose „ein der berechnenden Wissenschaft unzugängliches Element von Irrationalität bei[zu]mischen" (GW X, 174). Da Spengler jegliche Mitmenschlichkeit vermissen läßt, degeneriert er für Mann zum „Defaitistfen] der Humanität" (GW X, 174). Denn Untergangs-Prophetien sind für den Moralisten Mann nur als Prophylaxe legitim, wenn sie in der Absicht geäußert werden, den Untergang zu verhindern. Man darf die Heraufkunft der Zivilisation verkünden, „nicht damit sie kommt, sondern damit sie nicht kommt, vorbeugenderweise also, im Sinne geistiger Beschwörung" (GW XI, 841). In seinem Essay Über die Lehre Spenglers rechnet Mann aufs Schärfste mit diesem Fatalismus ab. Die Vehemenz der Ablehnung ist für den doch sonst meist eher moderat milden Thomas Mann erstaunlich und erinnert im beleidigenden Tonfall an die Kontroverse von 1910 mit Theo1 ^K
dor Lessing, einem anderen Kämpfer gegen Die verfluchte Kultur. Mit Häme spricht Mann von Spenglers universellem Zugriff auf sämtliche Hochkulturen. 139 Mann reklamiert den Kulturtransfer, von dem er sich im 136
137
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Zum Fatalismus als zentraler Kategorie bei Spengler und anderen konservativen Weltanschauungen vgl. Michael Biddis: History as destiny. Gobineau, HS. Chamberlain and Spengler. In: Transactions of the Royal History Society, VIth Series 6/7 (1997), 73-100. Zur Stellung der Rationalität in Spenglers Philosophie vgl. Francesco Ingravalle: L 'iper-razionalismo di Oswald Spengler e l 'interpretazione di Otto Neurath del Tramonto dell 'Occidente. In: Filosofia45 (1994), 163-176. Theodor Lessing: Die verfluchte Kultur. Gedanken über den Gegensatz von Leben und Geist. Mit einem Essay von Elisabeth Lenk. München 1981. Vgl. hierzu Beßlich (Anm. 75) und zur Kontroverse zwischen Lessing und Mann Jochen Hartwig: „ Sei was immer du bist. " Theodor Lessings wendungsvolle Identitätsbildung als Deutscher und Jude. Oldenburg 1999 (= Oldenburger Beiträge zu Jüdischen Studien, 4) und Peter de Mendelssohn: Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Teil 1, Frankfurt a. M. 1975, 821-834. „Nur Herr Spengler versteht sie samt und sonders und weiß von einer jeden zu sagen und zu singen, daß es eine Lust ist." (GW X, 175)
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Der Untergang des Abendlandes in Aneignung und Abstoßung
Gespräch mit Ernst Bertram überzeugte, in wortreicher Ironie, die in ihrer rhetorischen Überfülle beinahe hilflos wirkt.140 Er trennt nicht Darstellung von Kritik, sondern läßt beide von Anfang an interferieren. Autosuggestiv versucht er, Spenglers Faszination durch überscharfe Kritik zu dämpfen. Gleichwohl kann er im selben Aufsatz nicht bestreiten, daß sich Spenglers Untergang des Abendlandes „dank großer Eigenschaften, die niemand ihm abstreitet" (GW X, 175), auch Thomas Mann nicht, Weltruhm erworben hat. Aber es geht nicht nur um den publizistischen Erfolg, den es anzuerkennen gilt, sondern um die Wirkung, die Spenglers Werk auf Mann selbst ausübte. Zum Schluß seines ersten German Letters steht bei aller Kritik die Anerkennung dieser Faszination: „Es spricht für die Kräfte eines Buches, an das ich nicht glaube, daß es mich verführte, den mir freundlich gebotenen Raum mit seiner Besprechung allein schon zu überschreiten." (GW XIII, 272) Und in Von deutscher Republik erkennt Mann bei gleichzeitiger Distanzierung den hohen literarischen und intellektuellen Rang des Werks an: Spenglers Studie ist für Mann „das Erzeugnis enormer Potenz und Willenskraft, wissenschaftsvoll und gesichtereich, ein intellektualer Roman von hoher Unterhaltungskraft und nicht allein durch seine musikalische Kompositionsart an Schopenhauers ,Welt als Wille und Vorstellung' erinnernd" (GW XI, 841), und um dem Publikum zu erläutern, wie schwer ein solcher Vergleich mit Schopenhauer für den Redner wiegt, setzt Mann noch nach: „Damit ist das Buch sehr hoch gestellt." (GW XI, 841) Der Pfarrer Georg Merz hatte Mann 1920 auf den Zusammenhang zwischen dem Untergang einer Kultur und ihrer Zukunft als „Fellachenvolk" bei Spengler aufmerksam gemacht.141 Mann hatte sich daraufhin 1922 besonders vertieft in das Kapitel Urvölker, Kulturvölker, Fellachenvölker des zweiten Bandes des Untergang des Abendlandes und rekapitulierte 1924 Über die Lehre Spenglers: „Das Fellachentum ist nach Spengler Endzustand jeden Volkslebens. Ein Volk tritt, wenn seine Kultur sich ausgelebt hat, ins Fellachentum über und wird wieder geschichtslos, wie es als Urvolk war" (GW X, 176f.). In dieser Beschreibung der Geschichtslosigkeit des anfänglichen Urvolks und des finalen Fellachentums tauchen Begriffe auf, die für die Bestimmung des Russischen im Zauberberg zentral sind: „Das ist die Formlosigkeit, das Ende, das Nichts" (GWX, 177). Den Begriff der Formlosigkeit verwendet Spengler mehrmals, von Thomas Mann markiert.142 Formlosigkeit ist für Spengler die 140 141 142
Vgl. G W X , 175. Vgl. Kapitel 1.2. Spengler spricht über die „formlose und deshalb geschichtslose Masse" und charakterisiert die Fellachenvölker als „formlose Bevölkerung" (UdA, 782/11 224), beide Zitate von Thomas Mann markiert.
Fatalismus
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Voraussetzung für die Entstehung traditionsloser Herrschaftsformen, auflösende Tendenzen verknüpfen sich mit diktatorialen Bestrebungen143 eine Verbindung, die im Zauberberg figural Clawdia Chauchat von der formlos russischen Seite und Mynheer Peeperkorn von der diktatorialen Seite her eingehen. Ins Fellachentum eingekehrt, lebt der Mensch „ins Zoologische, Kosmisch-Geschichtslose zurückgekehrt" und „kümmert stumpf in den Ruinen der ehemaligen Weltstädte hin" (GW X, 178). Um dieses dumpfe Fellachentum ertragen zu können, schafft sich der Spätgeborene „die sogenannte ,zweite Religiosität', ein Surrogat der ersten kulturvoll-schöpferischen, ohnmächtig und eben vermögend, ihm sein Leiden in Ergebung tragen zu helfen" (GW X, 178).144 Nicht Zweifel an der wissenschaftlichen Stichhaltigkeit, historistische Bedenken und Abneigung gegenüber der Geschichtstheorie bedingen Thomas Manns Distanzierung von Spengler, sondern weltanschauliche, kulturpessimistische Bedenken. In Umkehrung des Baeumler-Zitats erwies sich Thomas Mann als ein strikter Verteidiger des 19. Jahrhunderts, während Oswald Spengler die technisch-zivilisatorischen Vorzeichen, unter denen das 20. Jahrhundert stand, forderte. Aber gerade diese (wertneutral begriffene) größere Modernität mag Mann Spengler nicht zugestehen, und er bemüht sich mit enormem rhetorischen Aufwand, Spengler zurück ins 19. Jahrhundert zu definieren. Hier kommt ihm Baeumlers Argumentation zur Hilfe, aber er benutzt sie, obwohl er weiß, daß sie nicht ganz stimmig ist, gleichsam, um sich intellektuelle Unterstützung zu verschaffen.145 So behauptet Mann: Alles, was zur Zivilisation gehört, Intellektualismus, Rationalismus, Relativismus, Kult der Kausalität, des .Naturgesetzes', - seine Lehre ist damit durchtränkt, sie besteht daraus, und gegen ihren bleiernen Geschichtsmaterialismus ist derjenige eines Marx nur ideali143
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„Die persönliche Gewalt, der große Einzelne herrscht über entnervte Fellachenmassen, die er als Schlachtvieh traktiert." (GW X, 177) Vgl. UdA, 145/1 158 und 548/1633, von Mann jeweils markiert. Damit beleuchte ich die Bedeutung Baeumlers für Manns Spengler-Rezeption etwas anders als Marianne Baeumler, die urteilt: „Daß die Ablehnung Spenglers in der Republik-Rede mit auf die Beweisführung Baeumlers in Metaphysik und Geschichte zurückzuführen ist, dürfte unschwer zu erkennen sein. Thomas Mann übernimmt aus diesem Aufsatz auch den Gedanken der einen Kulturmenschheit, leitet ihn wie Baeumler aus der Tatsache der Allgemeinverständlichkeit des großen Kunstwerks ab und spielt ihn gegen den .Basiliskenblick' der morphologischen Wissenschaft Spenglers aus." (Thomas Mann und Alfred Baeumler, 27f.). Meines Erachtens instrumentalisiert Mann hier eher Baeumlers Saeculums-Zuordnung, und den Gedanken der Zusammengehörigkeit von Kulturen hatte er ebenso mit Emst Bertram diskutiert wie in Hermann Graf Keyserlings SpenglerKritik finden können. Mir scheint das Gespräch mit Georg Merz vom 26. Februar 1920 von größerer Bedeutung für den Rezeptionswandel zu sein (Vgl. Kapitel 1.2).
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Der Untergang des Abendlandes in Aneignung und Abstoßung stische Himmelsbläue. Sie ist nichts als neunzehntes Jahrhundert, völlig vieux jeu, bourgeois durch und durch; und indem sie die „Zivilisation" als das Kommende apokalyptisch an die Wand malt, ist sie selber ihr Ausklang und Grabgesang. (GW X, 179)
Aber so ungebrochen, wie Mann es darstellt, waren der Rationalismus und die Fortschrittseuphorie des 19. Jahrhunderts nicht gewesen, und das wußte er sehr wohl. Daß das 19. Jahrhundert seinen wissenschaftlichen Fortschritt und seine Technikbegeisterung immer wieder zivilisationskritisch hinterfragte, daß Nietzsche und Burckhardt die gründerzeitliche Aufbaubegeisterung mit ihrem Pessimismus torpedierten und daß die kulturkritische Skepsis gegenüber dem eigenen Erfolg Teil des Erfolgs des 19. Jahrhunderts war, läßt Mann hier wider besseren Wissens beiseite. Aber genau das war es, was das 19. Jahrhundert so interessant für Thomas Mann machte. Diese kulturpessimistische Skepsis mit nostalgischem Unterton des 19. Jahrhunderts fehlt bei Spengler. Ganz so vieux jeu, bourgeois, wie Mann es suggeriert, war Spenglers Geschichtskonstruktion eben nicht. Sie enthielt durchaus Neues, gerade in der Unbedingtheit und Totalität der Diagnose, die mit einem Pathos der Kälte vorgetragen war. Zwar bezieht sich Spengler auf Autoren des 19. Jahrhunderts, auf Goethe, Marx und Nietzsche, aber er verkürzt und verhärtet sie eklektisch zu einem Ideen-Konglomerat, das sich der Konservativen Revolution anschmiegt und deutlich im 20. Jahrhundert zu situieren ist. „Humaner" war Der Untergang des Abendlandes nicht als Die Betrachtungen eines Unpolitischen, moderner (im Sinne der neutralen Neuheit, nicht des werthaltigen Fortschritts) allerdings.
3 Spengler im Zauberberg
Henning Ottmann urteilte 1994, „erstaunlich w e n i g spiegelt sich v o n Thomas Manns B e g e g n u n g mit Spengler im Zauberberg. Dabei hätte der große Zeitroman die ideale Gelegenheit geboten, die eigene Zeit mit und g e g e n Spengler darzustellen." 14 D i e s e Meinung spiegelt grosso modo den älteren Stand der Forschung. 1 4 7 Francis Wilhelm Lantink hat 1995 knapp auf die Intertextualität von Spenglers Untergang und Manns Zauberberg hingewiesen, aber er bleibt in seiner siebenseitigen Interpretation notgedrungen summarisch und übersieht wichtige Themenkomplexe. 1 4 8 Hatte Helmut Koopmann noch 1980 geurteilt, daß Spengler im Zauberberg nicht mehr „als bloß allgemeine Spuren" hinterlassen habe, 1 4 9 revidierte er 1999 seine Meinung und stellte einzelne Adaptionen Spenglerscher Gedanken im Zauberberg vor. 1 5 0
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Ottmann (Anm. 31), 160. Vgl. etwa in diesem Sinn Johannes Krey: Die gesellschaftliche Bedeutung der Musik im Werk Thomas Manns. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der FriedrichSchiller-Universität Jena/Thüringen 3 (1953/54), 301-332, hier 312f. Eine Ausnahme bildet Heinz Sauereßig: Die Entstehung des Romans „Der Zauberberg". In: Sauereßig (Anm. 97), 5-54, hier 23f., der zwar eine „entscheidende Schlüsselstellung" Spenglers vermutet, diese aber nicht quellenkritisch nachweist. Eine weitere Ausnahme stellt auch Werner Frizen dar: Zaubertrank der Metaphysik. Quellenkritische Überlegungen im Umkreis der Schopenhauer-Rezeption Thomas Manns. Frankfurt a. M. 1980. Lantink (Anm. 2), 286-293. Das Skizzenhafte von Lantinks Darstellung ist legitimiert durch den größeren rezeptionsästhetischen Zusammenhang, in den die Thomas Mann-Verarbeitung eingegliedert ist. Koopmann (Anm. 21), zitiert nach dem Wiederabdruck in Ders.: Der schwierige Deutsche. Studien zum Werk Thomas Manns. Tübingen 1988, 174 (dort Anm. 30). Helmut Koopmann: Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes" in Thomas Manns „Der Zauberberg". In: Thomas Mann und die Wissenschaften. Hrsg. von Dietrich von Engelhardt und Hans Wißkirchen. Lübeck 1999 (= Literatur und Wissenschaft im Dialog, 1), 9-23, konkret zur Rezeption Spenglers im Zauberberg 18-22. Koopmann beruft sich hierbei auf Ergebnisse der in Augsburg
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Hieran gilt es anzuknüpfen. Um einem solchen Textvergleich ein methodisches Fundament zu verleihen, bedient sich die vorliegende Studie der intertextuellen Analyse, wie sie Ulrich Broich und Manfred Pfister skizziert haben.151 Pfister stellt sechs Kriterien vor, um Intertextualität skalieren zu können: Unter Referentialität versteht er die verweisende Bezugnahme eines Textes auf einen anderen. Eine Beziehung zwischen Texten ist mithin umso intensiver intertextuell, je mehr der eine Text den anderen zum Thema macht. Im Hinblick auf die Referentialität erweist sich das Verhältnis des Zauberbergs zum Untergang des Abendlandes als hochgradig intertextuell. Wie der Zauberberg auf Spenglers kulturgeschichtliche Apokalyptik referiert, soll in der folgenden Analyse deutlich werden. Das Kriterium der Kommunikativität skaliert den Grad der Bewußtheit des intertextuellen Bezugs beim Autor wie beim Rezipienten. Unterlaufen Thomas Mann im Zauberberg also gleichsam unbeabsichtigt Hinweise auf den Untergang des Abendlandes oder sind diese intendiert, deutlich markiert und auch für den zeitgenössischen Leser erkennbar? Die Analyse zur „Abendländischen Arbeit" (3.2) wird exemplarisch zeigen, daß unter dem Kriterium der Kommunikativität deutliche Markierungen im Zauberberg zu finden sind, mit denen Thomas Mann bewußt auf Spengler verweist. Für einen zeitgenössischen Leser waren diese Markierungen leicht zu entschlüsseln. Von Autoreflexivität spricht man, wenn solche markierten Verweise im Text selbst angesprochen, reflektiert und zum Thema gemacht werden. Dieses Kriterium erfüllt der Zauberberg nicht. Strukturalität betrifft die syntagmatische Integration des Prätextes in den Text. Solche strukturellen Ähnlichkeiten weisen der Zauberberg und der Untergang des Abendlandes auf, wenn man sie unter dem von Thomas Mann gewählten Gattungs1 Begriff des „intellektualen Romans" vergleicht. Das Oszillieren zwischen Dichtung und Wissenschaft, das Spenglers Werk auszeichnet, prägt auch die Teile des Zauberbergs, in denen Naphta und Settembrini ihre weltanschaulichen Diskussionen führen. Die Debatten der beiden Pädagogen greifen die Struktur des „intellektualen Romans" auf: Der Erzähler tritt in diesen Passagen zurück, und anstelle des epischen Duktus tritt die Selbstaussage der weltanschaulichen Antagonisten - bei Naphta ganz im Gestus Spenglers. Mit dem Kriterium der Selektivität läßt sich ermitteln, wie pointiert ein bestimmtes Element aus einem Prätext als Bezugsfolie ausgewählt wird. Der Zauberberg kapriziert sich in seinen Spengler-Bezügen vor allem auf
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1997 eingereichten, unveröffentlichten Magisterarbeit von Heike Wagner. Diese Studie lag mir nicht vor. Vgl. Broich, Pfister (Anm. 29). Vgl. Kapitel 2.1 dieser Studie.
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die Zeitphilosophie, die Opposition des Russischen und des Abendländischen und die Cäsaren-Problematik. Dagegen stehen Spenglers Interpretationen der nicht-abendländischen Kulturen eher im Hintergrund.153 Das sechste und letzte Kriterium, die Dialogizität, knüpft an Bachtin an und besagt, daß ein intertextueller Bezug umso intensiver ist, ,je stärker der ursprüngliche und der neue Zusammenhang in semantischer und ideologischer Spannung zueinander stehen. Eine Textverarbeitung gegen den Strich des Originals, ein Anzitieren des Textes, das diesen ironisch relativiert und seine ideologischen Voraussetzungen unterminiert, [...] dies alles sind Fälle besonders intensiver Intertextualität."154 Dieses letzte Kriterium ist entscheidend für die intertextuelle Analyse vom Zauberberg und dem Untergang des Abendlandes; denn Mann übernimmt von Spengler zwar die Vorstellung, daß mit dem Ersten Weltkrieg eine abendländische Welt in ihr Endstadium eintrete, aber in der Bewertung dieses Untergangs setzt der Zauberberg einen deutlich anderen Akzent als der Untergang des Abendlandes. Und diese andere Bewertung ist nicht unabhängig von Spengler, sondern gegen ihn gerichtet, sie antwortet ihm „dialogisch". Stellt man neben diese qualitativen Kriterien die Frage nach der Quantität der intertextuellen Bezüge, so lassen sich drei Themenfelder im Zauberberg bestimmen, in denen sich Verweise auf Spengler verdichten: Zu Beginn des Romans stehen die zeitphilosophischen Abschnitte unter besonderem Einfluß Spenglers. In der Konfrontation von Clawdia Chauchat und Hans Castorp in der Mitte des Romans spiegelt sich Spenglers weltgeschichtliche Opposition von untergehendem Abendland und anbrechender Herrschaft des Ostens. Gegen Ende des Romans transportieren die Roman-Figuren Naphta und Peeperkorn auf unterschiedliche Weise Spenglersche Gedanken. Eine Verbindung zwischen dem Zauberberg und Spenglers Untergang macht Mann bereits fest, bevor er anfangt, den Untergang zu lesen. Am 6. Juni 1919 schreibt Mann an Josef Ponten: Ich schreibe nun wieder fort an dem ,Zauberberg'-Roman, dessen Grundthema (Romantik und Aufklärung, Tod und Tugend: das Thema des ,Tod in Venedig' noch einmal und auch das der Betrachtungen') mich aufs neue in 153
Dieser intertexuellen Selektivität im Zauberberg entspricht Thomas Manns Lektüre von Spenglers Untergang des Abendlandes, wenn man Thomas Manns Anstreichungen und Marginalien auch als eine Form der Selektion begreift. Themen des Untergang des Abendlandes, die im Zauberberg aufgegriffen werden, sind durchweg solche, die Thomas Mann bereits durch Anstreichungen hervorgehoben hat.
154
Pfister (Anm. 30), 29. Vgl. Michail M. Bachtin: The Dialogic Imagination. Ed. by Michael Holquist. Austin 1981 (= University of Texas Press slavic series, 1). Hierzu etwa: Michael Gardiner: The dialogues of critique. M.M. Bakhtin and the theory ofideology. London 1992.
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Zauberberg
Bann geschlagen hat. Aber die künstlerische Beschäftigung ist heutzutage sehr problematisch, wo der Untergang der abendländischen Kultur überhaupt bevorzustehen scheint. 155
Thomas Mann hatte mit der Arbeit am Zauberberg im Juli 1913 begonnen. Er war bis zum August 1915 beim Abschnitt Hippe im vierten Kapitel angelangt, unterbrochen von der Arbeit an den Gedanken im Kriege (1914) und an Friedrich und die große Koalition (1914).156 Dann hielt ihn von 1915 bis 1918 die Arbeit an den Betrachtungen eines Unpolitischen von der kontinuierlichen Weiterarbeit am Roman ab. Am 9. April 1919, zwei Monate, bevor er mit der Spengler-Lektüre anfing, nahm Thomas Mann den Roman wieder zur Hand. Er arbeitete die bis dahin entstandenen Kapitel intensiv um, ab dem Sommer 1919 unter deutlichem Einfluß von Spenglers Untergang des Abendlandes. Im Mai 1921 war die Hälfte des Romans mit dem Abschnitt Walpurgisnacht am Ende des fünften Kapitels erreicht. Im Frühjahr 1923 entstand der Schnee-Abschnitt im sechsten Kapitel. Die Abschnitte zu Mynheer Peeperkorn lagen im Winter 1923 vor; und am 27. September 1924 setzte Thomas Mann unter die letzten Worte des Zauberbergs sein FINIS OPERIS. Nachdem Mann am 22. Juni 1919 die Lektüre des Untergang des Abendlandes begonnen hatte, wird er direkt auf Spenglers spezifisches Verhältnis zu Nietzsche aufmerksam157 und registriert Spenglers Bemühen, Reste von „Naivetät, Egocentrizität, mythischer Gegenwärtigkeit und Ahistorismus" aufzulösen als „Decadence-Aufklärung".158 Daß der Zauberberg ein Untergangs-Szenario entwirft, das wie das Spenglersche mit dem Ersten Weltkrieg in seine absolute Endphase eintritt, ist evident und müßig festzustellen. Wichtiger ist es schon, Ähnlichkeiten in der Art des Untergangs auszumachen. Spengler beschreibt das 155
Brief Thomas Manns an Josef Ponten vom 6. Juni 1919. In: Briefe 163.
156
Vgl. das entsprechende Manuskript: James F. White: The Yale „Zauberberg"Manuscript. Rejected Sheets Once Part of Thomas Mann 's Novel. Bern und München 1980 (= Thomas Mann-Studien, 4). Zur Entstehung des Zauberbergs vgl. knapp: Hans Wysling: Der Zauberberg. In: Thomas-Mann-Handbuch. Hrsg. von Helmut Koopmann. Stuttgart 1990, 397-422, hier 397-400. Vgl. auch Reed (Anm. 97) sowie Thomas Sprecher: Davos in der Weltliteratur. Zur Entstehung von Thomas Manns Roman „Der Zauberberg". In: Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft, Kultur 75 (1995), 17-23.
157
„Er schreibt nietz[sch]isch, indem er geringschätzig von Nietzsche spricht (allerdings unter einer höchst großartigen Optik). Ohne die dionysische Überwindung des Pessimismus wäre sein Buch nicht möglich gewesen". (Tagebücher [22. Juni 1919], 272) Vgl. auch (25. Juni 1919), 273: Mann ist von Spengler „höchst gefesselt. Aber auf Schritt und Tritt macht sich mir das widersprechende Verhältnis zu Nietzsche auffällig." Tagebücher (22. Juni 1919), 272.
158
1889-1936,
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Fiebern der Deutschen in der Juli-Krise und in den Tagen der Mobilmachung auf ein Ereignis hin im Bewußtsein der geschichtlichen Bedeutsamkeit als typisch abendländisch: „Von der tragischen Spannung historischer Krisen, wo der Augenblick schon erdrückend wirkt wie in den Augusttagen 1914, hätte weder ein Grieche noch ein Inder eine Vorstellung haben können." Und er fugt hinzu: „Aber solche Krisen können tiefe Menschen des Abendlandes auch in sich erleben." (UdA, 175/1 190) Thomas Mann versah diese Überlegung Spenglers mit der Randbemerkung „Zbg" (für Zauberberg) und „Erwachen". Auch im Zauberberg wird eine sanatoriumsinterne nervöse „Juli-Krise" erzeugt, die in der Kapitel-Überschrift Die große Gereiztheit plastisch wird (GW III, 947). Hier wird in kleinen persönlichen Streitereien die diplomatische Krise vorgebildet. Der Schuß in Sarajewo auf den Thronfolger wird in Davos im Duell zwischen Settembrini und Naphta antizipiert. Und es folgt für Hans Castorp ein „Erwachen", bei dem er „nicht wissend, wie ihm geschah, sich langsam aufrichtete, bevor er saß und sich die Augen rieb" (GW III, 988). Hans Castorp erlebt „in sich", wie das Spengler beschreibt, die Widersprüchlichkeiten einer geschichtlichen Endzeit, wenn er die unterschiedlichen Denkexperimente, die ihm angeboten werden, angeht. Die außenpolitischen Fährnisse der wilhelminischen Vorkriegsgesellschaft verwandeln sich im Zauberberg in eine zwischenmenschliche Streitsituation. So wie Spengler das Widerspiel von Wissenschaftlichkeit und der neuen „zweiten Religiosität" für die Endzeit beschreibt (UdA, 145/1 158, von Mann markiert), erlebt etwa Hans Castorp seine sieben Jahre auf dem Zauberberg als ein Placet experiri zwischen Wissenschaftsbegeisterung ä la Settembrini und Sehnsucht nach einer neuen Innerlichkeit, sei es vermittels Naphtas religiöser Lehren oder in den religiösen Suchbewegungen der Zauberberggesellschaft zwischen spiritistischen Sitzungen und einer neuen Frömmigkeit.159 Mit dem großen Stumpfsinn, der die Zauberberggesellschaft kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs ergreift, referiert der Zauberberg intertextuell auf den fellachischen Endzustand von Spenglers Abendland, den Thomas Mann ebenfalls mit dem Attribut „stumpf' versah, wenn er ihn folgendermaßen in seinem Essay Über die Lehre Spenglers beschrieb: „Der Mensch, ins Zoologische, Kosmisch-Geschichtslose zurückgesunken, lebt als Bauer mit der mütterlichen Scholle verbunden oder kümmert stumpf in den Ruinen der ehemaligen Weltstädte hin." (GW X, 178) Spengler hat für den großen Stumpfsinn im Zauberberg gleichsam ein
159
Vgl. Ludwig Völker: Ein Mißverständnis und seine Folgen. Placet experiri als Wahlspruch Petrarcas in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg". In: Euphorion 67 (1973), 383-385.
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Programm entworfen, wenn er das enthirnte Freizeitverhalten debiler Städter beschreibt: Die intellektuelle Spannung kennt nur noch eine, die spezifisch weltstädtische Form der Erholung: die Entspannung, die „Zerstreuung". Das echte Spiel, die Lebensfreude, die Lust, der Rausch sind aus dem kosmischen Takte geboren und werden in ihrem Wesen gar nicht mehr begriffen. Aber die Ablösung intensivster praktischer Denkarbeit durch ihren Gegensatz, die mit Bewußtsein betriebene Trottelei, die Ablösung der geistigen Anspannung durch die körperliche des Sports, der körperlichen durch die sinnliche des „Vergnügens" und die geistige der „Aufregung" des Spiels und der Wette, der Ersatz der reinen Logik der täglichen Arbeit durch die mit Bewußtsein genossene Mystik das kehrt in allen Weltstädten aller Zivilisationen wieder. Kino, Expressionismus, Theosophie, Boxkämpfe, Niggertänze, Poker und Rennwetten - man wird alles in Rom wiederfinden, und ein Kenner sollte einmal die Untersuchung auf die indischen, chinesischen und arabischen Weltstädte ausdehnen. [...] Es liegt ein Kult zugrunde, ohne Zweifel, aber es ist ein Parfüm darüber gebreitet wie über den fashionablen stadtrömischen Isiskult in der Nachbarschaft des Circus Maximus. (UdA, 678)
Im Zauberberg lösen solche Spenglerschen fellachischen Freizeitbeschäftigungen einander ab: Auf die Liebhaberphotographie folgt das Briefmarkensammeln; das „Schweinchenzeichnen" wird begleitet von geometrischen Geduldsübungen, die ihre mathematischen Berechnungen nicht mehr in den Dienst praktischer Tätigkeit stellen, sondern Selbstzweck sind. Esperanto wird erlernt, Gesellschaftsspiele exzessiv betrieben und Patiencen mit Furor gelegt. All dies wird im Spenglerschen Sinn als „mit Bewußtsein betriebene Trottelei" beschrieben, wobei Thomas Mann dem Treiben der Zauberberg-Gesellschaft noch eine Aura der Unheimlichkeit verleiht, wenn Hans Castorp zumute ist, als sei es mit Welt und Leben nicht ganz geheuer; als stehe es auf eine besondere Weise und zunehmend schief und beängstigend darum; als habe ein Dämon die Macht ergriffen, der schlimm und närrisch, zwar lange schon beträchtlichen Einfluß geübt, jetzt aber seine Herrschaft so zügellos offen erklärt habe, daß es wohl geheimnisvollen Schrecken einflößen und Fluchtgedanken nahelegen konnte, - der Dämon, des Name Stumpfsinn war. (GW III, 871 f.)
Dämonisch erscheint dieser Stumpfsinn, weil er die Mißachtung der Zeit befördert. Im Ausbruch dieser stumpfsinnigen „mit Bewußtsein betriebenen Trottelei" erkennt Hans Castorp „das Leben ohne Zeit, das sorg- und hoffnungslose Leben, das Leben als stagnierend betriebsame Liederlichkeit, das tote Leben" (GW III, 872), wie es die zivilisatorischen Weltstädte in ihrem Endstadium bei Spengler auszeichnet. Auch diese Kombination von stumpfsinniger, nervöser und zweckloser Tätigkeit und Dämonie findet sich bei Spengler, wenn er die endzeitlichen Weltstädte als „dämonische Gebilde" (UdA, 676) charakterisiert oder von der „dämonischen
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Steinwüste" (UdA, 673) spricht. Der Begriff der „Dämonie" markiert hier einen kommunikativen intertextuellen Zusammenhang zwischen Spenglers „intellektualem Roman" und dem Zauberberg. Die Dämonie resultiert, bei Spengler ganz wie im Zauberberg, aus einer „Wendung zum Tode": „Der letzte Mensch der Weltstädte will nicht mehr leben [...]; in diesem Gesamtwesen [i. e. der Stadt] erlischt die Furcht vor dem Tode." (UdA, 679) Wenn Staatsanwalt Paravent, der „entgleiste Beamte" (GW III, 875), vom großen Stumpfsinn erfaßt, versucht, die Quadratur des Kreises zu lösen, so kann man dies auch als leise Anspielung auf Spenglers Kulturkreislehren verstehen.160 Der große Stumpfsinn wird als Begleiterscheinung des Untergangs gewertet, vom Erzähler und von Hans Castorp als „apokalyptischer Name" (GW III, 880) rubriziert. Hans Castorp ahnt einen an Spengler gemahnenden Untergang des Abendlandes voraus, „als werde eine Katastrophe das Ende sein, eine Empörung der geduldigen Natur, ein Donnerwetter und aufräumender Sturmwind, der den Bann der Welt brechen, das Leben über den ,toten Punkt' hinwegreißen und der ,Sauregurkenzeit' einen schrecklichen Jüngsten Tag bereiten werde." (GW III, 880f.) Das zivilisatorische Endstadium einer Kultur trägt bei Spengler das Janusgesicht von technischer Entzauberung einerseits und verzaubernder Rückkehr aus der Geschichte in den Mythos andererseits. Diese Gleichzeitigkeit von Bürokratisierung und Remythologisierung nimmt Thomas Mann intertextuell auf in der Gestaltung des Hofrat Behrens. Der Chefarzt des Berghofs wird von Settembrini mephistophelisch zum „Teufelsknecht" (GW III, 311) abgestempelt und gleichzeitig mythologisiert zu Rhadamanthys, dem Sohn des Zeus und der Europa, der einen der drei Totenrichter darstellt. In der Fremdcharakterisierung Settembrinis erscheint Behrens so als überzeitliche Figur, die souverän über den dämonischen Zauberberg gebietet. Aus der Perspektive von Behrens hingegen schrumpft diese mythologische Omnipotenz zu einem bürokratisierten Abhängigkeitsverhältnis. Behrens präsidiert mitnichten den Berghof thronend, sondern bewohnt „ein paar banal-bürgerlich möblierte Räume" (GW III, 356). Er herrscht nicht absolut über den Zauberberg als sein Besitzer: „Ich bin [...] überhaupt kein Besitzer! Ich bin Angestellter hier! Ich bin Arzt! Ich bin nur Arzt, verstehen Sie mich?!" (GW III, 580) Der Zauberberg präsentiert einen verwalteten Mythos, dessen Rhadamanthys lediglich ein besserer Abteilungsleiter ist. Jede mythologische Gebärde ist
„Man sah ihn [i. e. Staatsanwalt Paravent] öfters noch spät am Abend im verödeten und schlecht erleuchteten Speisesaal an seinem Tische sitzen, auf dessen entblößter Platte er ein Stück Bindfaden sorgfältig in Kreisform legte, um es plötzlich, mit überrumpelnder Gebärde, zur Geraden zu strecken, danach aber, schwer aufgestützt, in bitteres Grübeln zu verfallen." (GW III, 875f.)
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Spengler im
Zauberberg
zugleich Verwaltungsakt, und der Zauberberg erscheint als bürokratisierter Venusberg, in dem nicht Behrens als anthropomorpher Halbgott, sondern ein anonym bleibender Apparat das letzte Wort hat. Behrens erklärt Hans Castorp in diesem Sinn über einen rebellierenden Patienten: „Ich kann ihn nicht 'rausgraulen, ich kriege es mit der Generaldirektion zu tun." (GW III, 692) In der Rede Von deutscher Republik hatte Thomas Mann darüber spekuliert, inwieweit Spengler die Apokalypse prophezeie, „nicht damit sie kommt, sondern damit sie nicht kommt, vorbeugenderweise also, im Sinne geistiger Beschwörung" (GW XI, 841). Diese Überlegung greift der Erzähler des Zauberbergs auf, als er Hans Castorps Grübeleien beobachtet, ob Clawdia Chauchat wieder nach Davos zurückkehrt. Dabei schweift der Erzähler aber deutlich vom eigentlichen Thema ab und wird allgemein, denn er gibt zu bedenken, daß gewisse Dinge nicht prophezeit werden, damit sie eintreten, sondern damit sie nicht eintreten, gleichsam im Sinn der Beschwörung. Propheten dieser Art verhöhnen die Zukunft, indem sie ihr sagen, wie sie sich gestalten werde, damit sie sich schäme, sich wirklich so zu gestalten. (GW III, 486)
Eine Rückkehr Clawdia Chauchats würde in diesem Sinn den Untergang von Hans Castorps abendländischen Vorsätzen beschleunigen. Man kann dies durchaus als einen versteckten Seitenhieb Manns auf Spengler lesen, dessen „vexatorisches" Changieren zwischen Pessimismus und Optimismus Mann zu schaffen gemacht hatte.
3.1 Der Großvater, der Tod und die Zeit Am 26. Juni 1919 beendet Mann die Lektüre der Einleitung des Untergangs und stellt verwundert Geistesverwandtschaft mit dem Zauberberg fest: „Die Art, wie das historische Problem hier zum ZeiTproblem wird, ist berückend im geistigsten Sinn. Es ist merkwürdig, daß ich die neue Szene mit der Taufschale im Zbg. schrieb, bevor ich das Spenglersche Buch zur Hand genommen."161 Dieser Eindruck intensiviert sich mit fortschreitender Lektüre. Am 2. Juli 1919 macht es Mann einen „tiefen, geheimnisvollen Eindruck, zu sehen, welche Rolle in der Spengler'sehen Geschichtsphilosophie das Zeitproblem spielt, das mich seit 1912 oder 13, als 161
Tagebücher (26. Juni 1919), 274. Allgemein zur Zeitphilosophie im Roman ohne besonderen Bezug zu Spengler vgl. Ruprecht Wimmer: Zur Philosophie der Zeit im „Zauberberg". In: Auf dem Weg zum „Zauberberg". Die Davoser Literaturtage 1996. Hrsg. von Thomas Sprecher. Frankfurt a. M. 1997 (= Thomas MannStudien, 16), 251-272.
Der Großvater, der Tod und die Zeit
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Spenglers Werk noch im Entstehen begriffen war, als ein Grundmotiv beschäftigt." Und Mann wundert sich über Ähnlichkeiten en detail. „Einzelheiten wie die physisch-seelische Sonderverwandtschaft des Enkels mit dem Großvater habe ich nachgetragen, unmittelbar bevor ich den ,Untergang', durch den Ruf des Buchs veranlaßt, aber auch durch die Ahnung, hier etwas Zugehöriges zu finden, zur Hand nahm."163 Im Abschnitt Von der Taufschale und vom Großvater in zwiefacher Gestalt im zweiten Kapitel des Zauberbergs wird Hans Castorps Leben bei seinem Großvater, dem Senator Hans Lorenz Castorp, in einer epischen Rückwendung nachgetragen. Nachdem seine Eltern gestorben sind, lebt der auf den Namen des Großvaters getaufte Hans Castorp dort anderthalb Jahre von seinem siebten bis achten Lebensjahr, bis auch der Großvater stirbt, „übrigens gleichfalls an einer Lungenentzündung" (GW III, 32). Das Verhältnis des Großvaters zum Enkel ist überaus eng, enger als zu den Eltern, obgleich Hans Castorp sehr viel weniger Zeit mit dem Großvater als mit den Eltern verlebt: Prüfte der junge Mann sich später, so fand er, daß das Bild seines Ältervaters sich ihm viel tiefer, deutlicher und bedeutender eingeprägt hatte als das seiner Eltern: was möglicherweise auf Sympathie und physischer Sonderverwandtschaft beruhte [...] Wie gesagt war da Sympathie im Spiele, jene ein Glied überspringende Nächstverbundenheit und Wesensverwandtschaft, die nichts Seltenes ist. (GW III, 38f.)
Dies hatte Mann bereits geschrieben, als er bei Spengler über Generationsverschiebungen in Epochen lesen konnte: „Das seelische Verhältnis zwischen Großvater und Enkel hängt damit zusammen. Daher stammt die Überzeugung primitiver Völker, daß die Seele des Großvaters im Enkel zurückkehre, und die verbreitete Sitte, dem Enkel den Namen des Großvaters zu geben, der mit seiner mystischen Kraft dessen Seele wieder in die Körperwelt bannt." (UdA, 148/1161)164 Als der Großvater stirbt, begreift der kleine Hans Castorp angesichts seines Leichnams die Bedeutung des Todes und der Endlichkeit mensch162
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Tagebücher (2. Juli 1919), 276. Manfred Dierks: De tijd van Spengler. Thomas Mann en het tijdconcept van Oswald Spengler, met en uitstapje naar Heidegger. In: Forum der Letteren 36 (1995), 212-225, vermutet eine Verwandtschaft zwischen Spenglers Zeitkonzept und der Literarisierung von Zeit im Zauberberg. Er steigt allerdings nicht in die detaillierte textvergleichende Analyse ein, wie dies hier im folgenden unternommen werden soll. Eine Änderung von Spenglers Zeitkonzept behauptet en passant Werner Wienand: Größe und Gnade. Grundlage und Entfaltung des Gnadenbegriffs bei Thomas Mann. Würzburg 2001 (= Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, 15), 178, dort Anm.703. Tagebücher (2. Juli 1919), 276. Diese Passage ist bei der Neubearbeitung Spenglers vom Haupttext in eine Fußnote übertragen worden. Thomas Mann hat die Textstelle deutlich markiert.
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Spengler im Zauberberg
liehen Lebens; er versteht, daß der tote Körper nicht mehr „der Großvater selbst, sondern eine Hülle" war, die, „wie Hans Castorp wußte, nicht aus Wachs bestand, sondern aus ihrem eigenen Stoff; nur aus Stoff' (GW III, 44). Deshalb spricht er vom „ehemaligen Großvater" (GW III, 44), wenn er den Leichnam meint.165 Bei Spengler glossiert Mann folgende Stelle mit dem Kürzel „Zbg!": „Mit tiefer und bedeutungsvoller Identität knüpft sich deshalb das Erwachen des Innenlebens in einem Kinde oft an den Tod eines Verwandten. Es begreift plötzlich den leblosen Leichnam, der ganz Stoff, ganz Raum geworden ist, und zugleich fühlt er sich als einzelnes Wesen in einer fremden, ausgedehnten Welt." (UdA, 215/1 237)166 Diese Textstelle steht nicht mehr in der Einleitung, sondern im dritten Kapitel des Untergang des Abendlandes, und es ist zumindest denkbar, daß Mann sie nachträglich in das Taufschalen-Kapitel eingewirkt hat. Thomas Mann zeigt sich durch die von ihm konstatierte Geistesverwandtschaft mit Spengler so beeindruckt, daß bei der folgenden Niederschrift des Zauberbergs nicht mehr nur zufällige Ähnlichkeiten festzumachen sind, sondern im Sinne der intertextuellen Referentialität und Kommunikativität Bezugnahmen auf Spenglers Untergang des Abendlandes zu konstatieren sind. Fühlt Thomas Mann sich anfangs durch Spengler bestätigt, verändert sich das Bezugsverhältnis im folgenden in ein rezeptives, der Untergang des Abendlandes wird zum Prätext für den Zauberberg. Sowohl der Untergang des Abendlandes als auch der Zauberberg sind situiert in einem kulturpessimistischen Diskurs, der sich in Deutschland nach der Kriegsniederlage festigt, und aus dem heraus die Konservative Revolution entsteht. Diese diskursbedingten Analogien der beiden Texte bilden den Rahmen für eine sehr viel konkretere intertextuelle Beziehung. Späterhin greift Hans Castorp im Gespräch mit Leo Naphta noch einmal das Thema der Totenbestattung und -konservierung auf, des „leblosen Leichnam[s], der ganz Stoff, ganz Raum geworden ist", und wählt dafür die komisch-skurril anmutende Vergleichsebene der Konservierung von Früchten: Leo Naphta nennt das Grab „das Gefäß, die wohlverwahrte Kristallretorte, worin der Stoff seiner letzten Wandlung und Läuterung 165
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Dieser Begriff wird leitmotivisch wieder aufgegriffen, wenn von dem Leichnam von Hans Castorps Vetter als dem „ehemaligen Joachim" (GW III, 745) gesprochen wird. Vgl. dort weiter: „,Vom fünfjährigen Knaben bis zu mir ist nur ein Schritt. Vom Neugeborenen bis zum fünfjährigen Kinde ist eine schreckliche Entfernung', hat Tolstoi einmal gesagt. Hier, in diesem entscheidenden Punkt des Daseins, wo der Mensch erst zum Menschen wird und seine ungeheure Einsamkeit im All kennen lernt, enthüllt sich die Weltangst als die rein menschliche Angst vor dem Tode, der Grenze in der Welt des Lichts, dem starren Raum." ( U d A 215/1 238, glossiert von Mann mit „Schopenhauer")
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entgegengezwängt wird" (GW III, 706). „Entschuldigen Sie", schaltet sich Hans Castorp daraufhin ein, „aber ich muß immer dabei an unsere Weckgläser denken [...]. Das Zauberhafte daran ist, daß das Eingeweckte der Zeit entzogen war; es war hermetisch von ihr abgesperrt, die Zeit ging daran vorüber, es hatte keine Zeit, sondern stand außerhalb ihrer auf seinem Bort. Na, soviel von den Weckgläsern."167 (GW III, 706) In diesem Gespräch und im rhetorischen Schlagabtausch zwischen Settembrini und Naphta über die Leichenverbrennung (GW III, 631 ff.) spiegeln sich Spenglersche Gedanken. Spengler oppositioniert die Totenverbrennung der griechischen Antike als „Akt der Vernichtung" (UdA, 176) von Geschichte mit dem Erdgrab des Abendlandes: Damit war für Spengler „ein neues Zeitgefühl erwacht" (UdA, 176). Eine Steigerung des Zeitgefühls und Geschichtsbewußtseins sieht Spengler in der ägyptischen Einbalsamierung der „großen Pharaonen - ein Symbol schauerlicher Erhabenheit - mit jetzt noch erkennbaren Gesichtszügen" (UdA, 176). Zwei Tage nachdem Mann sich über die Wesensverwandtschaft von Spengler und dem Zauberberg überrascht gezeigt hat, vermerkt er am 28. Juni 1919 im Tagebuch: „Arbeit am 3. Kap." Das dritte Kapitel des Zauberbergs enthält den Abschnitt Gedankenschärfe, in dem Hans Castorp in der Liegekur über die Zeit philosophiert. Spengler hatte im Untergang des Abendlandes so ausführlich über das Verhältnis von Zeit und Raum spekuliert, daß Ernst Bloch sich bemüßigt fühlte, diese Betrachtungen ideologiekritisch folgendermaßen zu vermessen: Was bei [Karl] Mannheim die verschiedenen soziologischen Strukturen in der Zeit, das leisteten die Kulturkreise Spenglers, die isolierten Landschaftsgärten jeweiliger Kultur im Raum: nämlich die Zersprengung der Geschichte, die Aufhebung dialektisch durchgehender Glieder. Überhaupt ist der Primat des Raums über die Zeit ein untrügliches Kennzeichen reaktionärer Sprache; von den illustrierten Beilagen angefangen, welche sich „Volk und Raum" nennen (Beilagen der Linksblätter hießen „Volk und Zeit") bis zu Nadlers „raumhistorischer Methode" und Keyserlings geographischen Meditationen. Höchstens ist bei Spengler das „raumhistorische Schicksal" nicht so unmittelbar an den Boden geknüpft, sondern mehr an die „Kulturseele", welche über verschiedenste Länder dahinzog und sie einte. [...] Dennoch herrscht bei Spengler Primat des Raums durchaus. [...] Es gibt bei Spengler überhaupt keine Zeit außerhalb des jeweiligen Kulturraums; und diese seine Zeit ist nichts als der kraftlose Schatten einer vorgeordneten Entfaltung, welche in allen Kulturen
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Vgl. Helmut Koopmann: Die Kategorie des Hermetischen in Thomas Manns „Der Zauberberg". In: Zeitschrift für deutsche Philologie 80 (1961), 404-422. Tagebücher (28. Juni 1919), 275.
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denselben Schicksalsweg nimmt, denselben Anfang, dasselbe Ende, und nur das Kultursymbol ist jeweils verschieden.169 Anläßlich v o n Joachim Ziemßens siebenminütigem Fiebermessen gerät Hans Castorp ins Grübeln über die subjektive Wahrnehmung v o n Zeit. Joachim Ziemßen plädiert für die mathematische Meßbarkeit v o n Zeit, Hans Castorp bestreitet dies und könnte sich dabei auf Spenglers (von Mann angestrichenes) Diktum berufen: „Die Zeit hat, wie sich immer deutlicher zeigen wird, mit mathematischen Dingen nicht das Geringste zu tun." ( U d A , I 95 1 7 0 ) Hans Castorp bemerkt über die Messung der Zeit mit einer Uhr: Eine Minute ist so lang ... sie dauert so lange, wie der Sekundenzeiger braucht, um seinen Kreis zu beschreiben. [...] Tatsächlich genommen [...] ist das eine Bewegung, eine räumliche Bewegung, nicht wahr? Halt, warte! Wir messen also die Zeit mit dem Räume. Aber das ist doch ebenso, als wollten wir den Raum an der Zeit messen, - was doch nur ganz unwissenschaftliche Leute tun. (GW III, 95) V o n der Gedankenschärfe des Vetters verdutzt, fragt Joachim besorgt: „Was hast du denn? Ich glaube, es greift dich an hier bei uns?" ( G W III, 9 5 ) Castorps N e i g u n g zur Philosophie, die Joachim Ziemßen blümerant werden läßt, verdankt sich hier Überlegungen Spenglers über die Zeit und die Erfindung der Uhr, „eine Schöpfung hochentwickelter Kulturen, die immer geheimnisvoller wird, j e mehr man darüber nachdenkt" ( U d A , 172/1 188) 1 7 1 : Alles was in der „wissenschaftlichen" Philosophie, Psychologie und Physik über die Zeit gesagt worden ist - die vermeintliche Antwort auf eine Frage, [...] was nämlich die Zeit „ist - , betrifft niemals das Geheimnis selbst, sondern lediglich ein räumlich gestaltetes, stellvertretendes Phantom, in dem die Lebendigkeit der Richtung, ihr Schicksalszug, durch das wenn auch noch so verinnerlichte Bild einer Strecke ersetzt worden ist, ein mechanisches, meßbares, teilbares und umkehrbares Abbild des in der Tat nicht Abzubildenden. [...] Wenn Philosophen der abendländischen Gegenwart - sie tun es alle - sich der Wendung bedienen, daß die Dinge „in der Zeit wie im Räume sind und nicht „außerhalb" ihrer „gedacht" werden könne, so setzen sie lediglich eine zweite Art von Räumlichkeit neben die gewöhnliche. (UdA, 161ff./I 178f.)172
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Ernst Bloch: Spenglers Raubtiere und relative Kulturgärten. In: Ders.: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt a. M. 1962 (= Gesamtausgabe, 4), 318-329, hier 322f. In der Neubearbeitung ist in diesem Satz der Begriff „Zeit" durch „wirkliche Zahl" ersetzt (UdA, 87). Die Stelle hat Mann markiert. Thomas Mann hat diese Stelle am Seitenrand markiert und die Worte „räumlich gestaltet" im Text unterstrichen (UdA, 161/1 178). Vgl. auch Spengler des weiteren: ,J)ie Zeit ist ein Gegenbegriff zum Räume" (UdA, 165) und „Das mit dem Wort Zeit berührte Geheimnis
des sich vollendenden
Lebens bildet die
Grundla-
Der Großvater, der Tod und die Zeit
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Die Romanfigur Hans Castorp trägt Spenglersche Überlegungen vor, die später vom Erzähler des Romans aufgegriffen und bestätigt werden. Wie Spengler mit den Weltepochen im großen Stil jongliert - „ein Mann, der überhaupt kein Gefühl für das Einzelwesen hat, aber mit dem Kosmos herumwirtschaftet"173 - , so verfahrt Hofrat Behrens, der Hausherr des Zauberbergs, mit der Zeit: „Unsere kleinste Zeiteinheit ist der Monat. Wir rechnen im großen Stil" (GW III, 85), was man vielleicht als kleine Anspielung auf Spengler begreifen kann.174 Die Zeit und das Problem ihrer objektiven Meßbarkeit verfolgt Hans Castorp bis in den Traum. Settembrini hatte ihm tagsüber von dem Fieberthermometer ohne Bezifferung erzählt, das man „stumme Schwester" nenne und hier verwende, damit Kranke ihre Temperatur nicht manipulieren können. Im Traum wird Hans Castorp dann die Einsicht zuteil, „was eigentlich die Zeit sei: nämlich nichts anderes, als einfach eine Stumme Schwester, eine Quecksilbersäule ganz ohne Bezifferung, für diejenigen, welche mogeln wollten, - worüber er mit dem bestimmten Vorhaben erwachte, seinem Vetter Joachim morgen von diesem Funde Mitteilung zu machen." (GW III, 131) Diese Metapher verdeutlicht, wie sehr Castorp an der Spenglerschen Auffassung von der räumlich nicht meßbaren Zeit festhält. Die jahreszeitliche Konfusion in Davos trägt das ihre dazu bei, den Eindruck von der 175 Rätselhaftigkeit und Unfixierbarkeit der Zeit zu intensivieren. Im vierten Kapitel schiebt Thomas Mann einen Exkurs über den Zeitsinn ein (GW III, 145-149), der die Gedankenschärfe des dritten Kapitels fortführt. Die Liegekur, für Hans Castorp mittlerweile komfortabler mit Decken ausgestattet, bietet dem Erzähler Gelegenheit, über das „Sicheinleben an fremdem Orte" (GW III, 147) zu reflektieren. Dabei werden Feriengedanken des kleinen Hanno Buddenbrook aufgegriffen. 176 Ortswechsel und Zeiterfahrung werden hier eng verknüpft, die Sommerfrische legitimiert als „Verjüngung, Verstärkung, Verlangsamung unseres Zeiter-
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ge dessen, was als vollendet durch das Wort Raum weniger verstanden als für ein inneres Gefühl angedeutet wird." (UdA, 223/1 247, Kursivierungen im Original, von Mann markiert) Tucholsky (Anm. 5), 226. Jahrtausende überspringt auch Hans Castorp mühelos, als er auf die Astrologie der Chaldäer zu sprechen kommt (GW III, 514). Auch hier kann Thomas Mann auf Spengler zurückgreifen, der sich im Untergang des Abendlandes ebenfalls über die chaldäische Astrologie und Astronomie äußert. (UdA, 806f.) Joachim Ziemßen erklärt Hans Castorp anläßlich des Schneefalls im August: „Es gibt Wintertage und Sommertage und Frühlings- und Herbsttage, aber so richtige Jahreszeiten, die gibt es eigentlich nicht bei uns hier oben." (GW III, 134) So erlebt Hanno die Schulferien in Travemünde in dem gleichen Rhythmus, wie der Erzähler des Zauberbergs Hans Castorps Einleben beschreibt: vgl. Buddenbrooks (GW I, Zehnter Teil, drittes Kapitel).
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Spengler im
Zauberberg
lebnisses und damit unseres Lebensgefiihls überhaupt" (GW III, 148) durch einen Ortswechsel. Auch für Spengler gibt es ein ähnliches Zusammenwirken von bewußter Selbstwahrnehmung in der Zeit und im Raumerlebnis: „Das Welterlebnis knüpft sich ausschließlich an das Wesen der Tiefe - der Ferne oder Entfernung" (UdA, 217). Wenn Spengler urteilt, „die Zeit gebiert den Raum, der Raum aber tötet die Zeit" (UdA, 224/1 247), so scheint dies die Vorbedingung für die Überlegung, daß der Ortswechsel eine „Erfrischung des Zeitsinnes" (GW III, 148) ermögliche. Wenn der Erzähler im Zauberberg über das Unheimliche der Zeit raunt: „Ja, die Zeit ist ein rätselhaftes Ding, es hat eine schwer klarzustellende Bewandtnis mit ihr!" (GW III, 199), so greift er damit vielleicht auch Spenglers Unbehagen auf: „Dies gibt der Zeit [...] jenes widerspruchsvoll Unheimliche und drückend Zweideutige, dessen sich kein bedeutender Mensch ganz erwehren kann." (UdA, 107/1 116177) Zeit und Ehre stehen in einem dezidierten Zusammenhang, wenn leitmotivisch immer wieder auf Joachim Ziemßens Ehre hingewiesen wird, der die scheinbare Zeitlosigkeit auf dem Zauberberg nicht genießt, sondern militärisch genau mit seinem Kurdienst auszufüllen bestrebt ist.178 An dem „ehrliebenden Joachim" (GW III, 729) hat Hans Castorp eine Stütze und Korrektur in seinem maßlosen Herumwirtschaften mit den Monaten. Auf den Zusammenhang von Ehre und Zeit war Thomas Mann bei Spengler aufmerksam geworden, als er folgende Stelle mit dem Kürzel „Zbg" glossierte: Der Grundbegriff aller lebendigen Sitte ist Ehre. [...] Die Ehre verlieren, heißt für das Leben, die Zeit, die Geschichte vernichtet sein. [...] Ehre bedeutet, daß das Leben einer Person etwas wert ist, historischen Rang, Abstand, Adel besitzt. Sie gehört zur gerichteten Zeit wie die Sünde zum zeitlosen Räume. (UdA, 982/11 424)
Die Sünde im zeitlosen Räume scheint auf dem Zauberberg heimisch zu sein, der mit dem abendländischen Ethos einer Arbeitsmoral bricht. Der Erzähler spricht, in Anspielung auf den Venusberg des Tannhäuser, vom „Sündenberg" (GW III, 988). Settembrini weist Hans Castorp in diesem Sinne zurecht, daß sein sorgloser Umgang mit der Zeit moralisch nicht zu vertreten sei: „Wissen Sie nicht, daß es grauenhaft ist, wie Sie mit den
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Die Stelle ist von Mann markiert. Vgl. auch GW III, 479: „Was ist die Zeit? Ein Geheimnis, - wesenlos und allmächtig." Zum narratologischen Problem, Zeitlosigkeit zu erzählen, vgl. Dorrit Cohn: „Ein eigentlich träumerischer Doppelsinn". Telling timelessness in „Der Zauberberg". In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 44 (1994), 4 2 5 ^ 3 9 . Zum Leitmotiv der Ehre vgl. etwa nur als wenige Beispiele GW III, 305, 327, 329, 339. Eine Sonderstellung nimmt der Begriff der „ehrbaren Verfinsterung" ein, der als reaktiver Kontrastbcgriff zu erotischen Verlockungen eingesetzt wird.
Der Großvater, der Tod und die Zeit
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Monaten herumwerfen? Grauenhaft, weil unnatürlich und Ihrem Wesen fremd" (GW III, 339), wirft Settembrini Hans Castorp vor. Und Settembrini bringt diese ehrenvolle Verpflichtung zum Zeitbewußtsein und zum verantwortlichen Umgang mit ihr in Zusammenhang mit der abendländischen Herkunft. Während andere Kulturkreise eventuell einen anderen Umgang mit Zeit pflegten, sei dies den Europäern nicht gestattet: „Wir Europäer, wir können es nicht. Wir haben so wenig Zeit, wie unser edler und zierlich gegliederter Erdteil Raum hat, wir sind auf genauer Bewirtschaftung des einen wie des anderen angewiesen, auf Nutzung, Nutzung, Ingenieur!" (GW III, 339) Settembrini schließt seine pädagogische Rede in einer flammenden Per oratio: „Die Zeit ist eine Göttergabe, dem Menschen verliehen, damit er sie nutze - sie nutze, Ingenieur, im Dienste des Menschheitsfortschritts." (GW III, 340) Auch den Status der Ehr- und Zeitlosigkeit, in den Hans Castorp immer mehr abrutscht und den er in Davos in unterschiedlicher Form figural vorgelebt bekommt, wird von Spengler beschrieben. Figuren wie Herr Albin führen Hans Castorp vor, wie es sein müsse, „wenn man endgültig des Druckes der Ehre ledig war und auf immer die bodenlosen Vorteile der Schande genoß" (GW III, 116). In dem kläglichen Chauchat-Verehrer mit dem sprechenden Namen Ferdinand Wehsal wird die Kümmerlichkeit der Ehrlosigkeit gezeichnet, die sich in einer hündischen Verehrung gefallt und im eigenen Schmerz suhlt. Wehsal plädiert für die absehbar erfolglose Liebeserklärung, begeistert sich für die Prügelstrafe und die Folter, wobei der Erzähler die masochistischen Tendenzen Wehsais jedes Mal ironisch kommentiert: „Die Anregung stand ihm zu Gesichte." (GW III, 629) Spengler beschreibt diesen Zustand folgendermaßen: Das Gegenteil sind die Thersitesnaturen, die Kotseelen, der Pöbel: .Tritt mich, aber laß mich leben.' Eine Beleidigung hinnehmen, eine Niederlage vergessen, vor dem Feinde winseln das ist alles Zeichen wertlos und überflüssig gewordenen Lebens. (UdA, 982/11 424)
Dagegen setzt Spengler aber noch eine dritte Form der Ehre, die er die „priesterliche" nennt, die das Leben selbst zunehmend indifferent betrachtet, aber aus einer heroischen Haltung heraus. Thomas Mann hat die entsprechende Passage dick markiert, und es scheint, daß Hans Castorps immer wieder leitmotivisch zitierter Wunsch im Irrealis, Priester geworden zu sein,179 sich auch ein wenig der Spenglerschen Definition des prie-
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Vgl. etwa GW III, 366: „Ich hätte zum Beispiel auch Geistlicher werden können. [...] Ja, vorübergehend ist es mir schon manchmal so vorgekommen, als ob ich dabei eigentlich ganz in meinem Element gewesen wäre." Oder GW III, 524: „Ich habe nicht einmal gedient und bin ganz ausgesprochen ein Kind des Friedens und habe sogar schon manchmal gedacht, daß ich sehr gut auch Geistlicher
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sterlichen Umgangs mit der Ehre, der Zeit, dem Leben und dem Tod verdankt. Spengler beschreibt diese priesterliche Moral, die sich nicht an das wenn auch noch so verächtlich gewordene Leben klammert, sondern vom Leben und damit der Ehre überhaupt absieht. Es war schon gesagt worden: jede moralische Handlung ist im tiefsten Grunde eine Stück Askese und Abtötung des Daseins. Und eben damit steht sie außerhalb des Lebens und der geschichtlichen Welt. (UdA, 983/11424)
Hans Castorp unterscheidet ebenfalls verschiedene „Geistesrichtungen oder Geistesstimmungen, wie man wohl richtiger sagen sollte, es gibt die fromme und die freie. Sie haben beide ihre Vorzüge." (GW III, 409) Und gegen Settembrini sympathisiert Castorp mit der priesterlich-frommen Moral, denn sie enthält „auch viel menschliche Würde und gibt Veranlassung zu einer Menge Wohlanstand und properer Haltung und nobler Förmlichkeit, mehr sogar als die ,freie', obgleich sie die menschliche Schwäche und Hinfälligkeit ja besonders im Auge hat und der Gedanke an Tod und Verwesung eine so wichtige Rolle darin spielt" (GW III, 409f.). Wenn Hans Castorp sich in Gesprächen mit Settembrini und Naphta auf eine solche priesterliche Moral beruft, ist das gleichwohl ein eristisches Argument, oder, wie es bei Mann heißen würde, eine „vexatorische Erscheinung", weil die Selbststilisierung zur Priesterlichkeit auch eine Schutzbehauptung für das Abrutschen in die Ehrlosigkeit der Wehsalschen Art ist.
3.2 Abendländische Arbeit Hans Castorps Hinneigung zum nonchalanten Umgang mit der Zeit impliziert auch eine Abkehr von der abendländischen Arbeitsmoral. Bevor er „auf Besuch für drei Wochen" (GW III, 11) nach Davos reiste, hegte er für die Arbeit „den allergrößten Respekt, obwohl ihn persönlich die Arbeit ja leicht ermüdete" (GW III, 52). In der personal gefärbten Abtönungspartikel ,ja" deutet sich bereits Hans Castorps Tendenz zum Müßiggang an. Aber sein anerzogenes protestantisches Pflichtbewußtsein läßt ihn die Arbeit noch als zentralen Wert erkennen: Wie hätte Hans Castorp die Arbeit nicht achten sollen? Es wäre unnatürlich gewesen. Wie alles lag, mußte sie ihm als das unbedingt Achtungswertste gelten, es gab im Grunde nichts Achtenswertes außer ihr, sie war das Prinzip, vor dem man bestand oder nicht bestand, das Absolutum der Zeit, sie beantworte-
hätte werden können, - fragen Sie meinen Vetter, ich habe verschiedentlich so was geäußert."
Abendländische Arbeit
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te sozusagen sich selbst. Seine Achtung vor ihr war also religiöser und, soviel er wußte, unzweifelhafter Natur. (GW III, 52f.)
Diese Auffassung von der Arbeit als Angelpunkt abendländischen Denkens literarisierte Thomas Mann bereits in den Buddenbrooks. In den Betrachtungen eines Unpolitischen verwies Mann auch auf Max Webers Studie über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus (GW XII, 145). 0 Im Zauberberg kommen zu diesen Traditionslinien noch die Spenglerschen Überlegungen zur Arbeit hinzu. Denn für Spengler stellt die Arbeit das Zentrum abendländisch-faustischen Denkens dar. In einem historischen Abriß erläutert er: Arbeit wird das große Wort des ethischen Nachdenkens. Es verliert im 18. Jahrhundert in allen Sprachen seine geringschätzige Bedeutung. Die Maschine arbeitet und zwingt den Menschen zur Mitarbeit. Die ganze Kultur ist in einen Grad von Tätigkeit geraten, unter dem die Erde bebt." (UdA, 1188) Spengler schwankt dabei, ähnlich wie Hans Castorp, zwischen der Bewunderung für die eigenverantwortliche Tat und dem Abscheu vor der mechanisierten, entfremdeten Arbeit. Daher opponiert er auch „Tat" und „Arbeit" und begreift die Arbeit als zivilisatorische Verfallserscheinung der kulturellen, faustischen Tat: „Das faustische Weltgefühl der Tat, wie es von den Staufen und Weifen bis auf Friedrich den Großen, Goethe und Napoleon in jedem großen Menschen wirksam war, verflachte zu einer Philosophie der Arbeit, wobei es für den inneren Rang gleichgültig ist, ob man sie verteidigt oder verurteilt. Der Kulturbegriff der Tat und der zivilisierte Begriff der Arbeit verhalten sich wie die Haltung des aischyleischen Prometheus zu der des Diogenes. Der eine ist ein Dulder, der andere ist faul." (UdA, 454/1 512) An anderer Stelle verschärft Spengler diesen Gegensatz noch weiter: „Der große Mensch der Vergangenheit von den Hohenstaufen bis zu Napoleon verrichtete Taten, der moderne Gehirnmensch arbeitet. Wir sind alle Arbeiter und der Unterschied besteht nur noch zwischen geistiger und ungeistiger Arbeit."181 (UdA 1,619) Naphta wird aus der Perspektive einer kulturellen Früh- und Hochzeit des Abendlandes gegen die Arbeit als zivilisatorische Verfallserschei-
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Vgl. Andreas Urs Sommer: Der Bankrott „protestantischer Ethik". Thomas Manns „ Buddenbrooks ". Prolegomena einer religionsphilosophischen Romaninterpretation. In: Wirkendes Wort 44 (1994), 88-110. Diese Passage, die in der Neubearbeitung fehlt, wird wichtig für Ernst Jüngers „Arbeiter"-Konzept in: Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt Hamburg 1932. Vgl. hierzu Gilbert Merlio: Ernst Jünger et Oswald Spengler. In: Etudes germaniques 51 (1996), 657-676. Ders.: Jünger und Spengler. In: Die großen Jagden des Mythos. Ernst Jünger in Frankreich. Hrsg. von Peter Koslowski. München 1996, 41-60.
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nung sprechen und dagegen die vita contemplativa verkünden.182 Endzeitliche Zweifel am Wert der Arbeit (nicht der Tat) konnte Thomas Mann bei Spengler finden, und er markierte folgende Passage: Durch die Mechanisierung des organischen Bildes der Tat entsteht die Arbeit im heutigen Sprachgebrauch als die zivilisierte Form faustischen Wirkens. Diese Moral, der Drang, dem Leben die denkbar aktivste Form zu geben, ist stärker als die Vernunft, deren Moralprogramme, sie mögen noch so geheiligt, inbrünstig geglaubt, leidenschaftlich verteidigt sein, nur insoweit wirken, als sie in der Richtung dieses Dranges liegen oder in ihr mißverstanden werden. Im übrigen bleiben sie Worte. Man unterscheide in aller Modernität wohl die volkstümliche Seite, das süße Nichtstun, die Sorge um Gesundheit, Glück, Sorglosigkeit, den allgemeinen Frieden, kurz das vermeintlich Christliche von dem höheren Ethos, das nur die Tat wertet, das den Massen - wie alles Faustische - weder verständlich noch erwünscht ist, die großartige Idealisierung des Zweckes und also der Arbeit. (UdA, 464/1 530)
Die leitmotivische Präsenz der Begriffe „Okzident" und „Abendland" in der Auseinandersetzung Settembrinis und Naphtas über die Arbeit signalisiert die intertextuelle Durchlässigkeit zu Spenglers Untergang des Abendlandes: Settembrini beruft sich auf sein Dasein als „Europäer, Okzidentale" (GW III, 522) und verweist Naphtas Primat der Beschaulichkeit aus dem Abendland: „Ihre Rangordnung da ist reiner Orient. Der Osten verabscheut die Tätigkeit." (GW III, 522) Naphta aber beweist Settembrini mit Beispielen aus der ,,abendländische[n] Mystik" (GW III, 522) die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und legt dar, daß die Hochschätzung des Müßiggangs eher in Kulturkreislehren einzuordnen ist als in einen fortlaufenden weltgeschichtlichen Zusammenhang. Naphta erweist sich hier als ein Vertreter Spenglerscher Positionen. Settembrini bestreitet sie: „Sache des Abendländers, trotz aller Propositionen, ist die Vernunft, die Analyse, die Tat und der Fortschritt, - nicht das Faulbett des Mönches!" (GW III, 523) Settembrini sieht das Abendland als eine überzeitliche Norm, Naphta hingegen - wie Spengler - als einen Prozeß, in dem der Arbeit in unterschiedlichen Phasen unterschiedlicher Wert zu„Arbeit, Arbeit ich bitte, gleich wird er [i. e. Settembrini] mich einen Feind der Menschheit schelten, einen inimicus humanus naturae, wenn ich es wage, an Zeiten zu erinnern, wo er mit dieser Fanfare den gewohnten Effekt durchaus nicht erzielt hätte, nämlich an Zeiten, wo das Gegenteil seines Ideals in unvergleichlich höheren Ehren stand." (GW III, 522) Naphta beruft sich in seiner Argumentation auf Bernhard von Clairvaux, den Spengler ebenfalls des öfteren als Beispiel für eine religiöse Aufbruchsemphase weg von der Gesellschaft anfuhrt. Spengler spricht etwa von Bernhard von Clairvaux und Franz von Assisi, „die eine Durchgeistigung des Entsagens besaßen, eine Seligkeit in dem Sich-selbst-darbringen, eine ätherische, blutlose, zeitlose, geschichtslose Caritas, in welcher die Furcht vor dem All sich ganz in reine, fleckenlose Liebe verwandelt hat, eine Höhe der kausalen Moral, deren späte Zeiten überhaupt nicht mehr fähig sind." (UdA, 892)
Settembrinis Musik
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gemessen wurde. Der Zauberberg referiert nicht nur auf den Untergang des Abendlandes, sondern er markiert diese Referenz für den zeitgenössischen Leser dechiffrierbar. Die Allgegenwärtigkeit der Begriffe „Abendland" und „Okzident" gibt dem Leser im Sinne der Kommunikativität ein Signal, sich des Bezugs zu Spenglers Untergang des Abendlandes bewußt zu werden.
3.3 Settembrinis Musik Am fünften Tag von Hans Castorps Aufenthalt, einem Sonntag, „und zwar einem Sonntag mit Kurmusik auf der Terrasse" (GW III, 156), trifft der italienische homo humanus (GW III, 210) Ludovico Settembrini die Vettern nach dem zweiten Frühstück bei musikalischer Zerstreuung an. „Benommen vom Biere und von der Musik, die wie immer bewirkte, daß sein Mund sich öffnete und sein Kopf sich auf die Seite legte" (GW III, 158), muß sich Hans Castorp sehr zusammenreißen, um Settembrinis musikphilosophischen Überlegungen folgen zu können. Musik, so Settembrini, „ist das halb Artikulierte, das Zweifelhafte, das Unverantwortliche, das Indifferente". Ihre „träumerische, nichtssagende und zu nichts verpflichtende Klarheit, eine Klarheit ohne Konsequenzen" ist für Settembrini „gefahrlich deshalb, weil sie dazu verführt, sich bei ihr zu beruhigen". In rhetorischer Steigerung erklärt Settembrini seinen „Verdachte des Quietismus" gegen die Musik und gipfelt: „Lassen Sie mich die Sache auf die Spitze stellen: Ich hege eine politische Abneigung gegen die Musik." (GW III, 160) Musik ist dabei der Sprache und der Dichtung opponiert. Das Wort ist für Settembrini „Träger des Geistes", die Musik jenseits der Sprache scheint sich auch deren Rationalität und Strukturprinzipien zu entziehen. Settembrinis Echauffement wird aus der pädagogischen Sorge um Hans Castorp erklärlich: „Musik allein ist gefahrlich. Für Sie persönlich, Ingenieur, ist sie unbedingt gefährlich. Ich sah es sogleich an Ihren Gesichtszügen." (GW III, 161) Musik als Sedativ und Opiat zieht sich leitmotivisch schon durch das Frühwerk Thomas Manns. Für Gerda Buddenbrook, geborene Arnoldsen, ist die Musik ein Arkanum und ein Rückzugsort, zu der die gesellschaftlichen Verpflichtungen keinen Zutritt haben. Bei ihrem Sohn Hanno werden die Rauschwirkungen der Musik intensiviert. Er spielt sich am Klavier in Trance, in einen erotisch konnotierten Rausch, aber auch in Lebensüberdruß und Todessehnsucht. In der Novelle Tristan (1903) bedeutet die Interpretation des zweiten Aufzuges von Tristan und Isolde für Gabriele Klöteijahn buchstäblich den Tod. In Wälsungenblut motiviert Wagners Walküre den geschlechtlichen Rausch des Geschwisterinzests.
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Spengler im Zauberberg
Sexualität, Taumel, Kunst, Metaphysik und Todesverfallenheit bedingen in all diesen wagnerianischen musikalischen Rauschzuständen den Verlust von Raum und Zeit und eine an Schopenhauer orientierte Einbuße der Welt als Wille.183 Insofern sie an die kritisch beleuchteten Wagnerschen Ekstasen im Frühwerk von Thomas Mann anknüpft, ist Settembrinis Deutung der Musik nicht originell. Interessant ist aber, daß die Interpretation sich im Zauberberg nicht konkret auf Wagner bezieht, sondern im allgemeinen verbleibt und sich den „abwechselnd flott und getragen[en]" (GW III, 157) Weisen einer Kurkapelle verdankt. In ihrer Allgemeinheit wäre hier auch eine Orientierung an Spengler denkbar. Auch Spengler opponiert Sprache und Musik und arbeitet dabei mit einer Licht- und Schatten-Metaphorik.184 Einer Licht- und Augenwelt der Schrift und der Sprache steht eine Schattenwelt der nicht sprachlich rational artikulierbaren Musik gegenüber. Elemente der Verlockung und der Schopenhauerischen Auflösung des Willens finden sich auch bei Spengler, wenn er vom „unnennbarefn] Zauber" und der ,,erlösende[n] Kraft" der Musik spricht, die „aus der Welt hinausführen". Auch der changierende Charakter der Musik, den Settembrini mit dem Adverb „scheinbar" (GW III, 160) verdeutlicht, taucht bei Spengler wieder auf, wenn er die „süße Täuschung" der Musik thematisiert: Eben darin beruht für uns Menschen der unnennbare Zauber der Musik und ihre wahrhaft erlösende Kraft, deren Mittel außerhalb der Lichtwelt liegen, welche für uns längst mit der Welt überhaupt gleichbedeutend geworden ist, so daß Musik allein uns gleichsam aus der Welt hinausführen, den stählernen
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Zu Richard Wagner im Frühwerk Thomas Manns vgl. Peter Wapnewski: Der Magier und der Zauberer. Thomas Mann und Richard Wagner. In: Thomas Mann und München. Fünf Vorträge. Frankfurt a. M. 1989, 78-103 sowie Erwin Koppen: Vom Decadent zum Proto-Hitler. Wagner-Bilder Thomas Manns. In: Thomas Mann und die Tradition. Hrsg. von Peter Pütz. Frankfurt a. M. 1971, 201-224. Zur Musiktheorie Spenglers vgl. Wolfgang Krebs: Kultur, Musik und der „ Untergang des Abendlandes ". Bemerkungen zu Oswald Spenglers Geschichtsphilosophie. In: Archiv für Musikwissenschaft 55 (1998), 311-331. David B. Richardson: The New Faustian music: its mechanistic, organic, contextual, and formist aspects. In: Journal of Mind and Behaviour 3 (1982), 427-442, der Spenglers Rubrizierung der abendländischen Musik kritisiert. Vgl. auch HansJürgen Bienefeld: Physiognomischer Skeptizismus. Oswald Spenglers „ Morphologie der Weltgeschichte" im Kontext zeitgenössischer Kunsttheorien. In: Die Weimarer Republik zwischen Metropole und Provinz. Intellektuellendiskurse zur politischen Kultur. Hrsg. von Wolfgang Bialas und Burkhard Stenzel. Weimar, Köln, Wien 1996, 143-155. Zeitgenössische Kritik bei Gustav Becking: Die Musikgeschichte in Spenglers „ Untergang des Abendlandes ". In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur 9 (1920/21), 284-295.
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Bann der Herrschaft des Lichts zerbrechen und die süße Täuschung einflößen kann, daß wir hier das letzte Geheimnis der Seele berühren, eine Täuschung, die darauf beruht, daß der wache Mensch von einem einzelnen seiner Sinne beständig derart beherrscht wird, daß er aus den Eindrücken seines Ohres nicht mehr eine Welt des Ohres bilden kann, sondern sie nur noch seiner Augenwelt einfügt. (UdA, 565)
3.4 Rußland und der „Aufgang" des Ostens Nach dem Untergang des Abendlandes in Formlosigkeit vermutete Spengler den Aufgang des Ostens und insbesondere Rußlands. Ernst Bloch hat 1936 Spengler und Rußland eine eigene Studie gewidmet und in dieser herausgearbeitet, wie „Spenglers Rußland [...] als Zukunftsland hervorleuchtet], als letzte Kultur der weißen Rasse, nach der ,antikapollinischen', .arabisch-magischen', .germanisch-faustischen'".185 Aus einer formlosen russischen Urbevölkerung sollte eine neue starke Kultur hervorgehen. Den Begriff der Formlosigkeit verwendet Spengler mehrmals, von Thomas Mann markiert. Thomas Mann hatte bereits in seiner essayistischen Auseinandersetzung mit dem Untergang des Abendlandes auf Spenglers Charakterisierung eines „Fellachenvolkes" als einer „formlose[n] Bevölkerung" (UdA, 782/11 224) im Gegensatz zur Nation als Form schlechthin aufmerksam gemacht.186 Thomas Mann markierte folgende Überlegung Spenglers: „Eine Nation ist Menschentum in lebendige Form gebracht." (UdA, 782/11 224) Das Widerspiel von Unform, Form und Überform im Zauberberg verdankt sich nicht nur Schopenhauer, wie es Berge Kristiansen überzeugend nachgewiesen hat, sondern eben auch Spengler.187 Wie bereits erläutert, hatte Georg Merz Thomas Mann auf die Bedeutung dieses „Fellachen"-Begriffs bei Spengler aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, daß für Spengler die Zukunft in der „neuaufsteigenden östlichen Kultur" auszumachen ist.188 Im Zauberberg appliziert Thomas Mann Spenglers „Völkerentwicklungslehre" auf die Charaktere der Davoser Sanatoriumsgesellschaft. Die Anfangsphase (des sogenannten
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Ernst Bloch: Spengler und Rußland (1936). In: Ders.: Literarische Aufsätze. Frankfurt a. M. 1984,61-66, hier 63. Vgl. Über die Lehre Spenglers (1924), GW X, 176f. Vgl. Berge Kristiansen: Unform - Form - Überform. Thomas Manns Zauberberg und Schopenhauers Metaphysik. Eine Studie zu den Beziehungen zwischen Thomas Manns Roman „ Der Zauberberg " und Schopenhauers Metaphysik. Kopenhagen 1978 (= Kopenhagener germanistische Studien, 5). Tagebücher (26. Februar 1920), 386; vgl. Kapitel 1.2.
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„Urvolkes") und die Endphase (des sogenannten „Fellachenvolkes") ähneln sich dabei in ihrer Formlosigkeit, so daß ein formloses Fellachenvolk für eine neue Kultur gleichsam die Grundlage für ein neues „Urvolk" bilden kann, um in Spenglers Terminologie zu bleiben.189 Hier nähern sich Anfang und Ende einander an. Bereits in der Einleitung des Untergang des Abendlandes etabliert Spengler seinen Abendland-Begriff gegen den allgemein üblichen Europa-Begriff und betont, wie wenig für ihn Rußland zum Abendland zu zählen ist.190 Thomas Mann markiert folgende Stelle mit einem Ausrufungszeichen: Es war allein das Wort Europa mit dem unter seinem Einfluß gestandenen Gedankenkomplex, das Rußland mit dem Abendlande in unser historisches Bewußtsein zu einer durch nichts gerechtfertigten Einheit verband. Hier hat, in einer durch Bücher erzogenen Kultur von Lesern, eine bloße Abstraktion zu ungeheuren tatsächlichen Folgen geführt. Sie haben, in der Person Peters des Großen, die historische Tendenz einer primitiven Völkermasse auf Jahrhunderte gefälscht, obwohl der russische Instinkt ,Europa' sehr richtig und tief mit einer in Tolstoi, Aksakow und Dostojewski verkörperten Feindseligkeit gegen das .Mütterchen Rußland' abgrenzt. (UdA, 22/1 22)
Auch Thomas Mann kontrastiert das Abendland und die russische Sphäre, wenn er seinen Erzähler Settembrini und Clawdia Chauchat opponieren läßt: „Was oder wer befand sich auf dieser anderen, dem Patriotismus, der Menschenwürde und der schönen Literatur entgegengesetzten Seite, wohin Hans Castorp sein Sinnen und Betreiben nun wieder lenken zu dürfen glaubte? Dort befand sich ... Clawdia Chauchat, - schlaff, wurmstichig und kirgisenäugig." (GW III, 226) Hans Castorp benutzt den Begriff des Abendlandes in seiner französischen Liebeserklärung, wenn er zu erklären versucht, warum das Siezen als abendländische Errungenschaft nicht seinem Verhältnis zur russischen Clawdia Chauchat angemessen ist.191 Mit demselben Argument mahnt Settembrini Hans Castorp, beim „Sie" zu bleiben: „Bedienen Sie sich der im gebildeten Abendlande üblichen Form der Anrede, der dritten Person pluralis, wenn ich bitten darf!" (GW III, 457) Und im Rückblick auf den Faschingsabend wird be-
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Vgl. Karl H. Metz: Faust und Chronos. Das Problem der Technik in der Zivilisationstheorie Oswald Spenglers. In: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), 153170, hier 161. Zu Spenglers Demontage des Europa-Begriffs vgl. auch Annemarie Pieper: Europa - ein utopisches Konstrukt. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 50 (1996), 183-196. „Cette forme de s'adresser ä une personne, qui est celle de l'Occident cultivö et de la civilisation humanitaire, me semble fort bourgeoise et pödante. Pourquoi, au fond, de la forme? La forme, c'est la Pedanterie elle-meme." (GW III, 474)
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tont, daß Hans Castorp mitnichten „im Sinne des gebildeten Abendlandes" (GW III, 492) mit Clawdia Chauchat gesprochen habe. Die Form- und Willenlosigkeit wird von Spengler geradezu zum bestimmenden Charakteristikum des Russischen erhoben: „Die russische, willenlose Seele, deren Ursymbol die unendliche Ebene ist, sucht in der Brüderwelt, der horizontalen, dienend, namenlos, sich verlierend aufzugeben." (UdA, 394) Die Europäisierung Rußlands unter Peter dem Großen kategorisiert Spengler als „Pseudomorphose des Petrinismus" (UdA, 395), die am eigentlichen Signum des Außerabendländischen nichts wesentliches geändert habe.192 Absolutismus nach aufgeklärtem Vorbild, wie er im josephinischen Österreich oder friderizianischen Preußen herrschte, schien Spengler unpassend für Rußland, und Thomas Mann markierte folgende Sätze Spenglers zur politischen Ordnung Rußlands: Der primitive Zarismus von Moskau ist die einzige Form, welche noch heute dem Russentum gemäß ist, aber er ist in Petersburg in die dynastische Form Westeuropas umgefälscht worden. Der Zug nach dem heiligen Süden, nach Byzanz und Jerusalem, der tief in allen rechtgläubigen Seelen lag, wurde in eine weltmännische Diplomatie mit dem Blick nach Westen verwandelt. Auf den Brand von Moskau, die großartig symbolische Tat eines Urvolkes, aus welcher der Makkabäerhaß gegen alles Fremde und Fremdgläubige redet, folgt der Einzug Alexanders in Paris, die heilige Allianz und die Stellung im Konzert der westlichen Großmächte. Ein Volkstum, dessen Bestimmung es war, noch auf Generationen hin geschichtslos zu leben, wurde in eine künstliche und unechte Geschichte gezwängt, deren Geist vom Urrussentum gar nicht begriffen werden konnte. (UdA, 789/11 232)
Dieses „Urvolkhafte" und Vorgeschichtliche, das Spengler Rußland attestiert, gestaltet Thomas Mann vor allem in der Beschreibung des sogenannten „Schlechten Russentischs", dessen Mitglieder ihr Verhalten noch nicht abendländischen Gepflogenheiten angepaßt haben, sondern sich beispielsweise in den Tischmanieren noch in einem vorzivilisatorischen Zustand zu befinden scheinen: „Es war richtig, daß die Sitten dieser Leute
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In anderem Zusammenhang spricht Spengler etwas vorsichtiger von Rußland als einem „Volk halbabendländischen Stils in unserer Geschichte von der großen Katharina an bis zum Untergang des petrinischen Zarentums" (UdA, 761). Zum Rußlandbild Spenglers vgl. Hans C. Kraus: „ Untergang des Abendlandes ". Rußland im Geschichtsdenken Oswald Spenglers. In: Deutschland und die Russische Revolution 1917-1924. Hrsg. von Gert Koenen und Lew Kopelew. München 1998 (= West-östliche Spiegelungen, 5), 277-312. Gary L. Ulmen: Metaphysik des Wissens. Spengler über Rußland. In: Ludz (Anm. 101), 123-173. Der Briefwechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. Groeger über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen. Hrsg. von Xenia Werner. Hamburg 1987.
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Spengler im Zauberberg
einem Humanisten wohl lebhafte Abstandsgefuhle erregen konnten. Sie aßen mit dem Messer und besudelten auf nicht wiederzugebende Weise die Toilette." (GW III, 319) Als Settembrini sich über die Russifizierung Hans Castorps angstvoll äußert, tut er dies in atavistischen Tierbildern und beschreibt so das russische nicht nur als das ur- oder vorgeschichtliche Prinzip, sondern überspitzt es rhetorisch sogar als im Kern vormenschlich: „Sie werden auf allen vieren gehen, sie neigen sich schon auf Ihre vorderen Extremitäten, bald werden Sie zu grunzen beginnen, - hüten Sie sich!"193 (GW III, 345) Auch im Religiösen macht Spengler erhebliche Unterschiede fest, wenn er die abendländische Kultur als „faustisch" charakterisiert,194 die empor strebt, und dagegen das Russische als „Menschentum der Ebene" (UdA, 921/11362) bezeichnet: Den unermeßlichen Unterschied der faustischen und der russischen Seele verraten einige Wortklänge. Das russische Wort für Himmel ist njebo, eine Verneinung (n). Der Mensch des Abendlandes blickt hinauf, der Russe blickt zum Horizont ins Weite. Man muß den Tiefendrang beider also unterscheiden, daß er dort die Leidenschaft des Vordringens nach allen Seiten in den unendlichen Raum ist, hier ein Sichentäußern, bis das ,Es' im Menschen mit der endlosen Ebene eins geworden ist. So versteht der Russe die Worte Mensch und Bruder: er sieht auch das Menschentum der Ebene. (UdA, 921)
Ernst Bloch charakterisierte diese Betonung des „Horizontalen" und der „Ebene" bei Spengler folgendermaßen: „Die Berge streicht Spengler zugunsten der russischen Tiefebene aus, ja er entdeckt in letzterer sogar das .Symbol' des künftigen Rußland, ein der antiken Flachdecke, der arabischen Kuppel, der faustischen Apsis ebenbürtiges Symbol. Die Ebene-, es ist der Blick geradeaus, nicht in die Höhe, nicht in eine unendlich brausende Tiefe; es ist vielmehr der Blick von Mensch zu Mensch, zum brüderlichen Du und Osterkuß, zu Tolstois Christentum."195 Der Blick „zum Horizont" und die „horizontale Brüderwelt" (UdA, 394) bei Spengler verwandelt sich bei Mann in die „horizontale Lebensweise" (GW III, 283196) auf dem bequemen Liegestuhl des Berghofs. Auch hier referiert der Zauberberg nicht nur auf den Untergang des Abendlandes, sondern er markiert diese Referenz bewußt im Sinne der Kommunikativität durch die 193
Damit wird auch auf die Auseinandersetzung von Voltaire und Rousseau angespielt und die Verballhornung Rousseaus zum zur Natur zurückgekehrten Tier zitiert.
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Vgl. Metz (Anm. 189). Bloch (Anm. 185), 63. Vgl. ebenfalls GW III, 508, 693, 737. In den letzten beiden Textbeispielen wird Joachim Ziemßens Rückkehr aus dem „Flachlande", als eine Rückkehr zur „horizontalen Lebensweise" beschrieben und seine Bettlägerigkeit als Horizontale in Permanenz gekennzeichnet.
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Begriffsübernahme des Attributes „horizontal", das im Zauberberg zum Leitmotiv wird. Das „horizontale" Leben steht für die Abkehr von der abendländischen Arbeitsmoral, die Muße und das Aufgehen in der Zeitlosigkeit. Beim Spaziergang mit Karen Karstedt über den Davoser Friedhof wird der Tod ironisch als eigentlicher Zielpunkt dieses „horizontalen" Lebens gekennzeichnet, wenn über die Toten gesagt wird, daß sie hier „zur horizontalen Daseinsform endgültig eingekehrt" (GW III, 448) waren. Das Leben auf dem Zauberberg zeichnet den Wechsel vom faustisch, aktiv, emporstrebenden zum russisch, passiv, in die Weite blickenden Leben nach. Der Untergang des Abendlandes bedeutet eben auch den Aufstieg einer neuen Kultur, und die ist nach Spengler im Osten beheimatet.1 7 Rußland steht bei Spengler „als einzige Zukunft einem, man könnte sagen: verfaulenden Europa gegenüber. Als einziger Gegenstand des Optimismus; und die vollkommene, die bis zum Blödsinn getriebene Mythisierung Rußlands verringerte den Optimismus nicht," so Ernst Bloch über Spengler.198 Der Aufstieg aus der Formlosigkeit zur bestimmenden Kultur bedarf aber einer formbewußten Leitung, bei Spengler wäre dies gegeben durch die Figur des Cäsaren. Inwiefern sich dabei Unform und Überform amalgamieren zur Diktatur, reflektiert Hans Castorp anläßlich der Reise Clawdia Chauchats nach Spanien: „Es könne aber auch etwas recht boshaft Terroristisches zustande kommen, wenn der Osten nach Spanien gehe." (GW III, 697) Der Untergang des Abendlandes und der „Aufgang" des Ostens sind für Spengler vorherbestimmt, und er nennt dies Schicksal, was ihm von Mann den Vorwurf des Fatalismus eingetragen hatte.199 Man mag es als kleine intertextuelle Reverenz an Spenglers Fatalismus verstehen, wenn Mann Madame Chauchat ihre asiatischen Lockungen mit einer „Schicksalsstimme" (GW III, 771) sprechen läßt. Der Zauberberg deutet Spenglers imperialen Stabwechsel an, wenn nicht mehr die Arbeitsmächte des abendländischen „Flachlandes" über Hans Castorp Gewalt besitzen, sondern er sich ganz dem geschichts- und zeitlosen Nichtstun verschreibt: einem Leben, das Thomas Mann in der Rezeption Spenglers beschreibt als „bescheiden-zufriedenes Fel[l]achentum".2 Settembrini verkürzt diesen Kulturwechsel zum angstvollen Ausruf: „Asien verschlingt uns." (GW III, 337)
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Spengler vertrat die „Ansicht, daß das alte Europa sich im Zustand des Verfalls befinde, während Rußland (das nicht ein Teil Europas, sondern gewissermaßen sein Gegenteil sei) auf einer jüngeren Kulturstufe seinem Zenit entgegenstrebe" (so Werner [Anm. 192], 13f.). Bloch (Anm. 185), 63f. Vgl. Kapitel 2.4 dieser Studie. Tagebücher (26. Februar 1920), 387.
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Madame Chauchat ist qua russischer Nationalität am begabtesten für ein solches Leben jenseits des protestantischen Arbeitsethos. Jenes Phlegma und jene Gleichgültigkeit, mit denen Spengler die „russische Seele" entwirft, kennzeichnen auch Madame Chauchat, wenn Fräulein Engelhardt im Tischgespräch mit Hans Castorp etwas „Freies und Großzügiges in ihrem Wesen" (GW III, 193) feststellt. Es handelt sich dabei nicht um eine Großzügigkeit, die sich einem bewußten Entschluß verdankt, sondern aus Nachlässigkeit resultiert, aus „Mangel an Ordnung und gesitteter Energie" (GW III, 318). Settembrini philosophiert über „das asiatische, das knechtische Prinzip der Beharrung" (GW III, 222). Die Tendenz zur Formauflösung spiegelt sich auch in der russischen Sprache, deren „knochenloser Charakter" Hans Castorp „an einen Thorax ohne Rippen erinnerte" (GW III, 319).201 Die sozialistisch, antikapitalistische Verfaßtheit solcher „Urvölker", wie sie Spengler annimmt, spiegelt sich im Zauberberg in Clawdia Chauchats Charakter ,„mähnschlicher' Gemeinsamkeit und Besitzgenossenschaft, einer wilden und weichen Selbstverständlichkeit des Gebens und Nehmens" (GW III, 824). Diejenige Figur, die Hans Castorp mit erotischer Ausstrahlung in den Untergang zieht, ist nicht zufällig russischer Staatsangehörigkeit.202 Auch Joachim Ziemßen, der noch anhaltender, mit deutlich mehr Kraftaufwand und mit abendländisch militärischem Ehrbewußtsein zu widerstehen bemüht ist, wird von einer Russin, Marusja, zur Aufgabe des abendländischen Formbewußtseins verleitet. Figural ist die Untergangsbewegung so gedoppelt und gesteigert. Clawdia Chauchat verkörpert die russische Formlosigkeit gegenüber Naphtas jesuitisch-spanisch inspirierter Überform. Daß dieser Drang zur Selbstauflösung mit der russischen Nationalität verknüpft wird, ist zwar nicht nur Manns Spengler-Lektüre geschuldet. Die begeisterte Tolstoi-Lektüre und die Stilisierung Tolstois zum Propheten des Unmodernen gehörte zum guten Ton der intellektuellen Vorkriegsgesellschaft und beeinflußte auch Thomas Mann.203 Aber die spezifische Definition des Russischen als etwas Nicht-Abendländisches und Außereuropäisches im Zauberberg, das per se zur Formlosigkeit tendiert, scheint mir deutlich auch auf Spengler zurückzugehen. Hans Castorp als 201
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Vgl. hierzu Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Eine Biographie. München 1999, 330f. Vgl. Edward Engelberg: Ambigous Solitude. Hans Castorps 's Sturm und Drang nach Osten. In: A Companion to Thomas Mann's The Magic Mountain. Edited by Stephen D. Dowden. Columbia 1999, 95-108. Edith Hanke: Prophet des Unmodernen. Leo N.Tolstoi als Kulturkritiker in der deutschen Diskussion der Jahrhundertwende. Tübingen 1993. Vgl. des weiteren zum Rußland-Bild Thomas Manns in dieser Zeit: Gerd Koenen: Betrachtungen eines Unpolitischen. Thomas Mann über Rußland und den Bolschewismus. In: Koenen, Kopelew (Anm. 192), 313-379.
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Protagonist des Abendlandes, einer abendländisch-faustischen Nation, wird von Clawdia Chauchat, der Angehörigen des russischen „Urvolks", in den Atavismus einer künstlichen Unkultur gezogen. So beschleunigt das „Urvolk" Rußland im Zauberberg den Untergang des Abendlandes von der nationalen Verfaßtheit in den Spenglerschen „Fellachenzustand". Wenn Castorp und Chauchat ein ähnliches, „horizontales" Leben führen, so tun sie dies - nach Spenglers Kulturdiagnose - in unterschiedlichen weltgeschichtlichen Phasen und exemplifizieren die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Hans Castorp begreift seinen Davoser Müßiggang als einen Rückfall hinter bereits erreichte Leistungsideale einer tätigen abendländischen Kultur, und er kämpft mit seinem Gewissen, weil er sein Nichtstun als eine sündhafte Unterlassung interpretiert. Castorps dolce far niente bedeutet einen Abfall von der verfeinerten Hochkultur ins „Fellachenvolk". Clawdia Chauchat hingegen hat keinen Wandel hinter sich. Sie spricht als Protagonistin des nomadisch, vormodernen „Naturvolks" Rußland, bei dem mangelnde Tätigkeit kein „nicht mehr", sondern ein „noch nicht" bedeutet. Settembrini macht auf diese unterschiedliche Situierung der zeitvergessenden Muße aufmerksam, wenn er Hans Castorp mahnt: Richten Sie sich innerlich nicht nach ihnen [i. e. den Russen], lassen Sie sich von ihren Begriffen nicht infizieren, setzen Sie vielmehr Ihr Wesen, Ihr höheres Wesen gegen das ihre, und halten Sie heilig, was Ihnen, dem Sohn des Westens, des göttlichen Westens, - dem Sohn der Zivilisation, nach Natur und Herkunft heilig ist, zum Beispiel die Zeit! Diese Freigiebigkeit, diese barbarische Großartigkeit im Zeitverbrauch ist asiatischer Stil. [...] Wo viel Raum ist, da ist viel Zeit, - man sagt ja, daß sie das Volk sind, das Zeit hat und warten kann. Wir Europäer, wir können es nicht. (GW III, 339) 204
Während Spengler („durch den Geist der damaligen Zeit dazu verpflichtet, merowingische Morgenluft in Rußland zu wittern"205) den „Aufgang" des Ostens prophezeit, bleibt es im Zauberberg offen, welches der weltgeschichtlichen Prinzipien den Sieg davon trägt. Zwar verläßt mit Claw204
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Eine solche „Zeitunbewußtheit", die Settembrini für Rußland konstatiert, expliziert Spengler beispielsweise auch an der indischen Kultur. Folgende Passage hat Thomas Mann markiert: „Die Inder, deren Nirwana auch durch den Mangel an irgendwelcher Zeitrechnung ausgedrückt ist, besaßen ebenfalls keine Uhren und also keine Geschichte, keine Lebenserinnerungen, keine Sorge. Was wir, eminent historisch angelegte Menschen, indische Geschichte nennen, ist ohne das geringste Bewußtsein seiner selbst verwirklicht worden. Das Jahrtausend der indischen Kultur von den Veden bis auf den Buddha herab wirkt auf uns wie die Regungen eines Schlafenden. Hier war das Leben wirklich ein Traum. Nichts steht diesem Indertum ferner als das Jahrtausend der abendländischen Kultur." (UdA, 174/ 1189f.) Bloch (Anm. 185), 65.
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Spengler im Zauberberg
dia Chauchat das russische Leben den Zauberberg, aber Hans Castorp hält gleichwohl fest am müßiggängerischen, „horizontalen" Patientendasein. Der Einfluß von Settembrinis Plädoyer für das Abendland reicht nicht aus, um Hans Castorp zu Aktivität und okzidentaler Pflicht zu motivieren. Erst der Erste Weltkrieg, nicht Settembrini und sein humanistischabendländisches Pathos, vermag es, den an Tannhäuser gemahnenden Hans Castorp aus seinem russifizierten Venusberg zu lösen. Es bleibt eine Rettung von außen, bei der nicht klar zu entscheiden ist, ob ohne dieses äußere Zutun, das - um mit Spengler zu reden - faustisch-abendländische formbewußte Prinzip oder das russisch formauflösende Prinzip den Sieg davongetragen hätte. Damit setzt der Zauberberg einen anderen Akzent als der Untergang des Abendlandes, und zwar nicht unabhängig von ihm, sondern in direkter Auseinandersetzung mit ihm. Er antwortet ihm „dialogisch" und stellt seine weltgeschichtliche Diagnose in Frage. Während im Untergang des Abendlandes dem Abstieg der einen Kultur gleichsam naturgesetzlich der Aufstieg der anderen folgt, ohne daß dies zu verhindern wäre, bringt der Zauberberg gegen diese Zwangsläufigkeit den menschlichen Willen ins Spiel. Im Akt des Aufbegehrens akzentuieren Romanfiguren wie Settembrini (und gegen Ende auch Hans Castorp) die Geschichte als eine von Menschen bewußt gestaltete und veränderbare Sphäre und nicht als ein unabhängig von ihnen abrollender Kreislauf der Kulturen.
3.5 Peeperkorn - ein Spenglerscher Cäsar? Wenn sich zu Hans Castorps tiefer Enttäuschung Clawdia Chauchats Wiedereintreffen in Davos als eine gemeinsame Ankunft" (GW III, 759) entpuppt und sie sich in einer Verbindung präsentiert mit Mynheer Peeperkorn, so ist das in Spenglerscher Diktion eine Verknüpfung der Formlosigkeit mit der traditionslosen Gewalt aufstrebender Cäsaren, die labile Formlosigkeit benötigen, um ihre Herrschaft errichten zu können.206 Daß Peeperkorn im Aussehen, „groß, breit und hochgestirnt, weiß umlodert das mächtige Haupt" (GW III, 767), in Gestus und Diktion auch nach Gerhart Hauptmann modelliert ist, schließt eine solche Deutung nicht aus, sondern illustriert die Vielschichtigkeit der Personnage Thomas
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Auf einen Zusammenhang zwischen dem Spenglerschen Cäsaren-Typus mit der Figur des Peeperkorn hat Koopmann (Anm. 150), 21, kurz aufmerksam gemacht. Er beruft sich dabei auf die unveröffentlichte Magisterarbeit von Heike Wagner. Koopmann führt diese Parallele aber leider nicht detailliert aus.
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Manns.207 Solche „Mehrfachcodierungen" sind häufig bei Thomas Mann anzutreffen. Peeperkorns Nationalität und seine häufige antonomastische Umschreibung als „der Holländer" verweisen darüber hinaus auf seine an Richard Wagner orientierte Mythologisierung zum „Fliegenden Holländer", der hier aber vergeblich auf Erlösung durch die Treue Sentas/Clawdia Chauchats baut, sondern vielmehr das vormalige Verhältnis mit Hans Castorp entdecken muß. 1922 war der zweite Band von Spenglers Untergang des Abendlandes erschienen, in dem er sich ausführlich dem Cäsarismus als Herrschaftsform der zivilisatorischen Endzeit zuwandte, den er im ersten Band zwar schon angesprochen, aber noch nicht ausfuhrlich berücksichtigt hatte. Mynheer Peeperkorn wurde von Thomas Mann 1923 in den Roman hineingeschrieben. Diese Daten ermöglichen es, einen zeitlichen Konnex zwischen Spenglers Cäsarismus und der Figur Peeperkorns herzustellen. Daß dieser Zusammenhang nicht nur zeitlich möglich, sondern auch intertextuell plausibel ist, soll im folgenden dargestellt werden. Unter Cäsarismus versteht Spengler die „Regierungsart, welche trotz aller staatsrechtlichen Formulierung in ihrem inneren Wesen wieder gänzlich formlos ist" (UdA, 1101). Der Cäsarismus baut, nach Spengler, nicht auf institutionalisierter Herrschaft auf, sondern stützt sich rein auf die Persönlichkeit des Herrschers. „Bedeutung hat nur die ganz persönliche Gewalt, welche der Cäsar oder an seiner Stelle irgend jemand durch seine Fähigkeiten ausübt." (UdA, 1101) Im Cäsarismus berührt sich die Formlosigkeit des „Urvolks" mit der Formlosigkeit des „fellachischen" Endzustands, Anfangs- und Endphase der Spenglerschen Kulturkreislehre nähern sich an einander an: „Es ist die Heimkehr aus einer formvollendeten Welt ins Primitive, ins Kosmisch-Geschichtslose. Biologische Zeiträume nehmen wieder den Platz historischer Epochen ein." (UdA, 1101)208 207
Thomas Mann hatte nach einer Begegnung mit Hauptmann im Herbst 1923 Peeperkorn im Passepartout auf Hauptmann zugeschnitten. Vgl. Gerhart Hauptmann, GW IX, 814. Zu Hauptmannschen Anteilen in Peeperkorn vgl. Jürgen Eder: Thomas Mann, Gerhart Hauptmann und Pieter Peeperkorn. Die Geschichte einer Rivalität. In: Zeitgeschehen und Lebensansicht. Die Aktualität der Literatur Gerhart Hauptmanns. Hrsg. von Walter Engel und Jost Börners. Berlin 1997, 203-217. Heinz Dieter Tschörtner: „ Und damit genug von Peeperkorn". Gerhart Hauptmann an S. Fischer. In: Ders.: Unaufhörlich bläst das Meer. Neue Hauptmann-Studien. Würzburg 1996, 113-120 und 190f. Ders.: „Ich bitte Sie dringend". Zu einem Brief Thomas Manns über Peeperkorn. In: Ders.: Unaufhörlich bläst das Meer. s. o., 104-112 und 189f.
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Vgl. auch UdA, 977: „Mit dem Cäsarismus kehrt die Geschichte wieder ins Geschichtslose zurück, in den primitiven Takt der Urzeit und zu den ebenso endlosen als bedeutungslosen Kämpfen um die materielle Macht". Zum Cäsarismus als Demokratie-Kritik bei Spengler vgl. Karin Erika Eckermann: Oswald Spengler und die moderne Kulturkritik. Darstellung und Bewertung der Thesen Spenglers
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Spengler im Zauberberg
Von Max Webers charismatischer Herrschaft unterscheidet sich Spenglers Cäsarismus durch die Bedeutung des emphatischen Charismas, das der Spenglersche Cäsar haben kann, aber das nicht conditio sine qua non seiner Herrschaft ist.209 Gewalt ersetzt bei Spengler Charisma, und dies wird nicht unbedingt als Außeralltäglichkeit begriffen. Die cäsaristische Herrschaft wird deutlich als totalitär und traditionsungebunden gekennzeichnet und setzt nicht mehr den Staat, sondern eine „Volksgemeinschaft" ins Zentrum ihrer Aktion: „Die Wendung vom absoluten Staat zur - kämpfenden - Volksgemeinschaft jeder beginnenden Zivilisation mag für Idealisten und Ideologen bedeuten, was sie will; in der Tatsachenwelt bedeutet sie den Übergang vom Regieren im Stil und Takt einer strengen Tradition zu dem sie volvo, sie jubeo des schrankenlosen persönlichen Regiments." (UdA, 1085) Charismatische Herrschaft ist bei Spengler nicht mit Sakralisierung des Herrschers verbunden. Spenglers Cäsarismus ist eine spezifisch ungenialische Herrschaftsform der „ideenlosen Tatsachen" (UdA, 1102), eine „Herrschaft ohne Sentimentalität nach praktischen Gesichtspunkten" (UdA, 1103). Sie löst den Intellektualismus ab, „ergreift das Weltregiment, und das Reich der Bücher und Probleme erstarrt oder versinkt in Vergessenheit" (UdA, 1102). Ernst Bloch ironisiert die von Spengler prognostizierte Entintellektualisierung mit einem Wiener Bonmot: „,In diesem Stadium, da hilft kein Studium', singt Johann Strauß, nach Spengler der .letzte Musikertyp des Abendlandes'." 210 Als Mynheer Peeperkorn Hans Castorp in seinen Bann schlägt, „versinkt" das „Reich der Bücher" und Ideen ebenfalls in Vergessenheit, und den Intellektuellen Settembrini und Naphta „hilft kein Studium" mehr beim pädagogischen Werben um Hans Castorp. Die philosophischen Disputationen mit Naphta und Settembrini verlieren für Hans Castorp an Interesse, der sich fasziniert der „Persönlichkeit" Peeperkorn zuwendet. Castorp gesteht sich ein, „daß die beiden überartikulierten Erzieher, die seine arme Seele in die Mitte genommen, neben Pieter Peeperkorn geradezu verzwergten, so daß er geneigt war, sie zu nennen, wie jener in königlich trunkener Neckerei ihn selbst genannt hatte, nämlich , Schwätzerchen'" (GW III, 796). Mit Pieter Peeperkorn taucht, um mit Spengler zu
209
210
sowie der Vergleich mit einigen neueren gesellschafts- und staatstheoretischen Ansätzen. Bonn 1980, 43-55. Zu Max Webers Idealtyp der charismatischen Herrschaft und seine Verbindung zum „Cäsarismus" vgl. etwa Rongfen Wang: Cäsarismus und Machtpolitik. Eine historisch-biobibliographische Analyse von Max Webers Charismakonzept. Berlin 1997. Stefan Breuer: Bürokratie und Charisma. Zur politischen Soziologie Max Webers. Darmstadt 1994. Kurt E. Becker: „Der römische Cäsar mit Christi Seele" - Max Webers Charisma-Konzept. Eine systematische kritische Analyse unter Einbeziehung biographischer Fakten. Frankfurt a. M. 1988. Bloch (Anm. 185), 65.
Peeperkorn - ein Spenglerscher Cäsar?
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sprechen, „aus dem Chaos eine neue, übermächtige, bis in den Urgrund allen Werdens hinabreichende Größe empor: die Menschen vom cäsarischem Schlage" (UdA, 1102). So wie Spengler seine Cäsaren als praktische, „ideenlose" „Tatsachenmenschen" (UdA, 55) beschreibt, kennzeichnet Castorp auf Nachfrage von Behrens Peeperkorn als „robust und spärlich" (GW III, 760). Es zählt nicht mehr die Macht des Wortes, auf die Settembrini und Naphta gesetzt hatten, sondern die viel unmittelbarere „ganz persönliche Gewalt" (UdA, 1101), wie Spengler es nennt. Und die darf durchaus unintellektuell sein. Hans Castorp gibt zu, „daß von Gescheitheit kaum die Rede sein kann" (GW III, 808) bei Peeperkorn und er dennoch eine „Persönlichkeit" darstellt. Gescheitheit ist nicht erwünscht in Spenglers Cäsarismus „von strengstem Tatsachensinn, ungenial, barbarisch, diszipliniert, praktisch" (UdA, 36). Dementsprechend zeichnet Thomas Mann Peeperkorn als in seinem eigentlichen „cäsarischen" Element befindlich, wenn es nicht länger um Witz und Wort und Spiritus, sondern um Sachen, um Irden-Praktisches, kurz, um Fragen und Dinge ging, in denen Herrschernaturen sich eigentlich bewähren: dann war's um sie [i. e. Naphta und Settembrini] geschehen, sie traten in den Schatten, wurden unscheinbar, und Peeperkorn ergriff das Zepter, bestimmte, entschied, beorderte, bestellte und befahl ... Was Wunder, daß er nach diesem Zustand trachtete und aus der Logomachie in ihn hinüberstrebte? (GW III, 820)
Der Untergang des Abendlandes beinhaltet den Untergang der „Logomachie" und den Aufstieg der unintellektuellen Gewaltherrschaft. Hatten vor Peeperkorns Erscheinen Settembrini und Naphta Hans Castorp mit ihrer Logorrhöe infiziert, kehrt mit Peeperkorn die sprachlose Herrschaft in den Berghof ein. Peeperkorn winkt im Speisesaal der Kellnerin (er ruft nicht nach ihr), „und obgleich sehr beschäftigt, folgte sie sofort seinem bedeutenden Zeichen" (GW III, 763). Die ganze ZaMÄerfterg-Gesellschaft erliegt der Persönlichkeit Peeperkorns. Als Frau Stöhr, der Fremdworte nicht mächtig, Peeperkorn als „Geld-Magneten" tituliert („Magnat! Die Fürchterliche!"), greift Hans Castorp diesen Versprecher auf: „Magnet sei auch nicht schlecht, denn offenbar habe Peeperkorn viel Anziehendes" (GW III, 765). Peeperkorn wirkt wie der Spenglersche Cäsar „magnetisch" kraft seiner „persönlichen Gewalt".211 Auf Anregung Peeperkorns finden sich eines Abends, nach dem wie immer üppigen Nachtmahl, einige Sanatoriums-Patienten zu weiteren lu211
Der Erzähler greift den Begriff später noch einmal auf und spricht vom „Magnetismus" Peeperkorns (GW III, 813). Zu solchen „Versprechern" vgl. Hans-Martin Gauger: „Der Zauberberg" - ein linguistischer Roman. In: Die Neue Rundschau 86 (1975), 217-245. „Geldmagnat" nennt Thomas Mann Spengler 1947 auch in Nietzsche 's Philosophie im Lichte unserer Erfahrung, GW IX, 703.
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Spengler im Zauberberg
kullischen Ausschweifungen, Spiel und Trank zusammen. „Chablis vom Jahre 06, drei Flaschen fürs erste, und Süßigkeiten dazu, was eben an gedörrtem Südobst und Konfekt würde aufzutreiben sein" (GW III, 777), machen den Anfang. „Malagatrauben", „Salz- und Mohnbrezeln" folgt eine weitere „Stärkung für die Runde, eine Kollation, Fleisch, Aufschnitt, Zunge, Gänsebrust, Braten, Wurst und Schinken, - Platten voll fetter Leckerbissen, die, mit Butterkugeln, Radieschen und Petersilie garniert, prangenden Blumenbeeten glichen." (GW III, 780) Aber damit ist es immer noch nicht genug. Peeperkorn verlangt nach Kräuter-Omelette, die dann auch aufgetragen wird, „auf mehreren Platten [..], kanariengelb und grün gesprenkelt, einen warmen Duft von Eiern und Butter im Zimmer verbreitend." (GW III, 781) Dazu gibt es hochprozentigen holländischen Genever. Drei Flaschen Champagner „Mumm & Co., Cordon rouge, tres sec" leiten über zum zweiten Dessert des Abends (zum dritten des Tages), „petits fours, köstliche, kegelförmige kleine Schlemmerbissen, mit farbigem Zuckerguß überkleidet, von zartestem Biskuitcharakter, im Innern benetzt von Schokolade- und Pistaziencreme und auf Papierdeckchen mit reichem Spitzenrande angeboten." (GW III, 790) Kaffee, Champagner, Mocca double, „der wiederum von ,Brot' [i. e. Genever] begleitet war" (GW III, 791), bilden den Übergang zu „Apricots Brandy, Chartreuse, Cröme de Vanille und Maraschino für die Damen" (GW III, 791). Erneut hebt man an mit „sauren Fischfilets und Bier dazu, endlich Tee, und zwar sowohl chinesischen wie Kamillentee für solche, die es nicht vorzogen, beim Sekt oder Likör zu bleiben oder zu einem ernsthaften Wein zurückzukehren" (GW III, 791). Genüßlich und detailliert führt Thomas Mann die Todsünde der Völlerei vor, hier verbunden mit dem Signum der Überfeinerung und Dekadenz. Bei dieser nächtlichen Orgie im Berghof zu zwölf Personen, die Mann synkretistisch zugleich als letztes Abendmahl und laszives Bacchanal strukturiert,212 erweist sich Peeperkorn nicht nur als Schmerzensmann und Dionysos in Personalunion, sondern auch als cäsarische „Herrschernatur" (GW III, 779), die eine neue Einfachheit proklamiert, die Spenglers Begeisterung für das „heilige, stille Wachsein" (UdA, 1107) cäsarischer Endzeit rekapituliert: „Das Einfache! Das Heilige" (GW III, 781) sind für Peeperkorn eins. Wie sehr ein cäsarisches Herrschen Spenglerscher Disposition an die aktuelle Gegenwart der „persönlichen Gewalt" 212
Vgl. Erkme Joseph: Nietzsche im „Zauberberg". Frankfurt a. M. 1996 (= Thomas Mann-Studien, 14), 243. Des weiteren Friedhelm Marx: Mynheer Peeperkorns mythologisches Rollenspiel. Zur Integration des Mythos in Thomas Manns „Zauberberg". In: Wirkendes Wort 42 (1992), 67-75. Eckhard Heftrich: Zauberbergmusik. Über Thomas Mann. Frankfiirt a. M. 1975 (= Das Abendland, N.F. 7), 239, sieht in dem Bacchanal auch eine Parodie des Eucharistie-Mysteriums in Wagners Parsifal.
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gebunden ist, demonstriert Thomas Mann beim Davoser Bacchanal, als Peeperkorn sich eine Zeitlang von der Abendmahlsgesellschaft abwendet und sich mit Hans Castorp ins Gespräch vertieft. Ohne die Präsenz des Cäsaren verfallt das formlose „Fellachenvolk" sogleich wieder ins Chaos: „Demoralisation, Lethargie, Stumpfsinn hatten um sich gegriffen: die Gäste trieben Allotria wie eine unbeaufsichtigte Schulklasse." (GW III, 788) Erst der persönliche Einsatz des Cäsaren überführt die Formlosigkeit in eine straff-militärische Formation. Thomas Mann wählt hier gezielt militärisches Vokabular. Peeperkorn sichert seine Herrschaft: Er „ergriff sofort die schleifenden Zügel", erhebt seinen Finger „wie ein winkender Degen oder wie eine Fahne" und appelliert mit einem Ruf „gleich dem ,Mir nach, wer keine Memme ist!' des Führers, der eine beginnende Deroute zum Stehen bringt" (GW III, 788). Militärischer Gestus und die „persönliche Gewalt" sind sofort von „weckender und sammelnder Wirkung" (GW III, 788). Das militärische Gepräge einer Cäsarenherrschaft, wie sie Spengler entwirft, greift Mann bewußt auf und läßt etwa Hans Castorp „einen gewissermaßen militärischen Zug" (GW III, 820) bei Peeperkorn bemerken, den er vor Settembrini erläutert: Peeperkorn ist „kein Zivilist, wie ich, sondern eine Art von Militär, wie mein armer Vetter" (GW III, 812). Im Unterschied zu Helmut Koopmann und Heike Wagner erscheint mir Peeperkorn aber nicht als reiner Cäsar Spenglerscher Prägung, 213 sondern als eine Karikatur des Spenglerschen Cäsaren, in der Thomas Mann bereits mit Spenglers Begeisterung für den großen maskulinen Führer abrechnet. Intertextuell referiert die Figur des Peeperkorn zwar auf Spenglers Cäsaren, aber es handelt sich nicht um eine affirmative Übernahme, sondern im Sinne der Dialogizität um eine ironische Verfremdung des Spenglerschen Typus. Den Cäsaren Spenglerschen Zuschnitts zeichnet Darwinismus, körperliche Kraft und Virilität aus: Die Mächte des Blutes, die urwüchsigen Triebe alles Lebens, die ungebrochene körperliche Kraft treten ihre alte Herrschaft wieder an. Die Rasse bricht rein und unwiderstehlich hervor: der Erfolg des Stärksten und der Rest als Beute. [...] Von nun an werden Heldenschicksale im Stil der Vorzeit wieder möglich, die nicht durch Kausalitäten für das Bewußtsein verschleiert sind. (UdA, 1102)
Mynheer Peeperkorn redet und stammelt zwar auch gern und viel vom Leben als einer unsentimentalen Angelegenheit und metaphorisiert schwärmerisch-vitalistisch das Dasein als weibliche Provokation für die Männlichkeit. „Das Leben - junger Mann", rodomontiert er zu Hans Castorp gewandt,
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Vgl. Koopmann (Anm. 150), 21.
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es ist ein Weib, ein hingespreitet Weib, mit dicht beieinander quellenden Brüsten und großer, weicher Bauchfläche zwischen den ausladenden Hüften, mit schmalen Armen und schwellenden Schenkeln und halbgeschlossenen Augen, das in herrlicher höhnischer Herausforderung unsere höchste Inständigkeit beansprucht, alle Spannkraft unserer Manneslust, die vor ihm besteht oder zuschanden wird (GW III, 784). A b e r bei Peeperkon wird sie „zuschanden". E r selbst besteht diese „höhnische H e r a u s f o r d e r u n g " nicht mehr und begeht aus A n g s t v o r der Impotenz Selbstmord. 2 1 4 Z u d e m ist er nicht kraftstrotzend v o r Gesundheit, sondern krank, „außer einer gehörigen alkoholischen Verschleimung scheint malignes Tropenfieber vorzuliegen" ( G W III, 7 6 0 ) , mutmaßt Hofrat B e h rens beim Eintreffen Peeperkorns. Peeperkorn erweist sich nicht als souveräner Gebieter seiner Bedürfnisse, sondern ist der alkoholischen „ L a bung in ungewöhnlichem Grade bedürftig" ( G W III, 7 6 8 ) . D e r Erzähler ironisiert und relativiert das C h a r i s m a Peeperkorns, wenn er erläutert, daß Peeperkorn „im Freien nicht g a n z so großartig wie in g e s c h l o s s e n e m R a u m " ( G W III, 8 0 6 ) wirkte. Für Settembrini ist Peeperkorn nicht ohne B e r e c h t i g u n g schlicht ein „dummer alter M a n n " ( G W III, 8 0 7 ) . Impotent, krank, d u m m und alt wird Peeperkorn den Spenglerschen Anforderungen an einen C ä s a r e n nicht gerecht. A l s Hans Castorp dennoch diese Karikatur eines Spenglerschen Cäsaren in M a x W e b e r s Sinn als charismatischen Herrscher interpretiert, verweist ihm Settembrini dies erbost. D e r P ä d a g o g e Settembrini m a c h t a u f den Hiat zwischen A n s p r u c h und Wirklichkeit in der Gestalt Peeperkorns aufmerksam und mahnt H a n s Castorp: Indem Sie aus der Persönlichkeit ein Geheimnis machen, laufen Sie Gefahr, der Götzenanbetung zu verfallen. Sie venerieren eine Maske. Sie sehen Mystik, wo es sich um Mystifikation handelt, um eine jener betrügerischen Hohlformen, mit denen der Dämon des Körperlich-Physiognomischen uns manchmal zu foppen liebt. Sie haben nie in Schauspielerkreisen verkehrt? Sie 214
Das wird zwar nie offen ausgesprochen, ist aber durch leitmotivische Strukturen erkennbar. Dem Schicksal des impotenten Leopardi („er entbehrte vor allem der Frauenliebe, und dies war es wohl namentlich, was ihn unfähig machte, der Verkümmerung seiner Seele zu steuern", GW III, 1 4 1 ) , hatte Settembrini etwa „Tragik" (GW III, 141) zugestanden, so wie Castorp für Peeperkorn von der „Tragik großen Versagens" (GW III, 871) spricht. Peeperkorn zeichnet die Impotenz derart drastisch („Schmach und Entehrung sind gelinde Worte für diesen Ruin und Bankerott, für diese grauenhafte Blamage", GW III, 784), daß sie im Nachhinein als Motivation seines Selbstmords erklärlich wird. Vgl. hierzu auch Joseph (Anm. 212), 269. Castorp spricht von Peeperkorns „Angst vor dem Versagen des Gefühls" (GW III, 829), und Peeperkorn erläutert Castorp „daher unsere Verpflichtung, unsere religiöse Verpflichtung zum Gefühl. Unser Gefühl, verstehen Sie, ist die Manneskraft, die das Leben weckt. [...] Versagt er im Gefühl, so bricht Gottesschande herein, es ist die Niederlage von Gottes Manneskraft, eine kosmische Katastrophe, ein unausdenkbares Entsetzen." (GW III, 837)
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kennen nicht diese Mimenköpfe, in denen sich die Züge Julius Cäsars, Goethe's und Beethovens vereinigen und deren glückliche Besitzer, sobald sie den Mund auftun, sich als die erbärmlichsten Tröpfe unter der Sonne erweisen? (GW III, 810) 2 , s
Das, was Spengler als vitalistischen Kern seines Cäsaren beschreibt, besitzt Peeperkorn nicht mehr, er versucht nur vergeblich, es herbeizureden.216 Er ist der Schauspieler eines Cäsaren, der sehr wohl um die eigene Rollenhaftigkeit weiß. Peeperkorn bietet intertextuell das „dialogische" Zerrbild eines Spenglerschen Cäsaren, der zwar ähnliche Losungen von sich gibt und auch qua seiner Persönlichkeit auf seine Umgebung magnetisch wirkt, aber letztendlich ist er auch nicht lebensnäher als die beiden Pädagogen Naphta und Settembrini, deren intellektuelle Herrschaft über Castorp er scheinbar abgelöst hat. So wie Tucholsky Spengler beschrieben hat als einen „geschlagenefnl General, der in der Theorie gesiegt 217
hat", zeichnet Mann Peeperkorn als „noch jemanden", der permanent das Leben als sinnliche Herausforderung beschreibt, die er selbst nicht besteht. Er, der Feind aller Intellektualismen, ist nur noch in der Lage, qua intellektualisierender Reflexion Sinnlichkeit zu ,erleben'. 218 Er feiert verbal das Leben, das er zu meistern nicht in der Lage ist.
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Man kann hier auch deutlich einen Seitenhieb auf die goetheanische Selbststilisierung Gerhart Hauptmanns herauslesen. Thomas Mann signalisiert die intertextuelle Durchlässigkeit der Peeperkom-Figur zu Spengler, indem er Peeperkorn das männliche Versagen mit Spenglerschem Vokabular als Untergangsvision beschreiben läßt. Die Blamage der Impotenz „ist das Ende, die höllische Verzweiflung, der Weltuntergang" (GW III, 784). „Die Frauen — Das ist - Das ist nun doch - Erlauben Sie mir - Weltuntergang — Gethsemane" (GW III, 793). Tucholsky (Anm. 5), 225. Vgl. Kurzke (Anm. 97), 206: Peeperkorn ist „mehr eine Allegorie des Lebens und Leidens als eine lebendige Gestalt, mehr eine Kritik der Lebensphilosophie als eine überzeugende antiintellektuelle Botschaft."
4 Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"?2 9
Die Figur des Jesuiten jüdischer Herkunft Leo Naphta im Zauberberg ist, quellenkritisch betrachtet, ein mixtum compositum: Äußerlich nach Georg Lukäcs gebildet,220 ist sie weltanschaulich beeinflußt vom Typus des revolutionären russischen Juden, wie er Thomas Mann in Leo Trotzki und Eugen Levind vorschwebte, von der Biographie Max Steiners und von den Schriften Johannes Schlafs,222 von Gustav Landauers MarxismusKritik, den Veröffentlichungen Kurt Hildebrandts und des George-Krei219
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Karl Kraus titulierte 1933 in der Dritten Walpurgisnacht die Nationalsozialisten als „Untergangster des Abendlandes", die ihr ideologisches Futteral mit Gedanken Oswald Spenglers füllten. Karl Kraus: Dritte Walpurgisnacht. Frankfurt a. M. 1989 (= Schriften, 12), 78: „Man hat ihm [i. e. Spengler] die Lehrkanzel in Leipzig angeboten. Er versteht die Untergangster der Abendlandes, und sie verstehen ihn." Spengler, ein konservativer Revolutionär, nahm zwar alsbald nach der „Machtergreifung" Abstand von dem neuen Regime; zuvor jedoch hatte er mit seinen Schriften den Aufstieg der Nationalsozialisten intellektuell befördert. „Untergangster des Abendlandes" sind - nach der Paronomasie von Kraus - solche, die den prophezeiten Untergang des Abendlandes gewaltsam und außergesetzlich, eben als „Untergangster", verwirklichten. Vgl. Judith Marcus-Tar: Thomas Mann und Georg Lukäcs. Beziehung, Einfluß und „repräsentative Gegensätzlichkeit". Mit einem Vorwort von Istvän Hermann. Köln, Wien 1982 (= Literatur und Leben, 24), 54-159. Henry Hatfield: Drei Randglossen zu Thomas Manns „Zauberberg". In: Euphorion 56 (1962), 365-372. Antal Midi: Thomas Mann und Georg Lukäcs. In: Thomas Mann-Jahrbuch 1 (1988), 117-132. So nachgewiesen bei Hans Wysling: Probleme der „ Zauberberg "-Interpretation. In: Thomas Mann-Jahrbuch 1 (1988), 12-26, hier 21, bei Herbert Lehneit: Leo Naphta und sein Autor. In: Orbis Litterarum 37 (1982), 47-69 und Eva Wessell: „Der Zauberberg" als Chronik der Dekadenz. In: Interpretationen. Thomas Mann. Romane und Erzählungen. Hrsg. von Volkmar Hansen. Stuttgart 1993, 121-150, hier 138. Dies belegt Hans Wißkirchen: Zeitgeschichte im Roman. Zu Thomas Manns „Zauberberg" und „Doktor Faustus". Bern 1986 (= Thomas Mann-Studien, 6), 56-82. Vgl. auch ders.: „Gegensätze mögen sich reimen. " Quellenkritische und entstehungsgeschichtliche Untersuchungen zu Thomas Manns Naphta-Figur. In: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 29 (1985), 426-484.
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Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"?
ses223 sowie von Georg Brandes Disraeli-Biographie.224 Auch den Münchener Kosmiker Ludwig Derleth, dessen Proklamationen Thomas Mann 1905 in seiner Skizze Beim Propheten ironisierte und der später im Doktor Faustus als Daniel Zur Höhe Gestalt annimmt, hat man in Naphta ausgemacht.225 Die mittelalterlichen Versatzstücke von Naphtas Ideologie kompilierte Mann vor allen Dingen aus der Monographie Heinrich von Eickens.226 Daß diese Zusammenstellung von Gegensätzlichem in einer Person die Paradoxa und Synkretismen der konservativen Revolution figural abbilden sollte, betont die Forschung unisono.227 Naphtas Rodomontaden speisen sich aus dem Anfang der 1920er Jahre virulenten Diskurs der konservativen Revolution. Daß allerdings Spenglers Lehre als repräsentatives Beispiel der konservativen Revolution ebenfalls in Naphtas Traktaten zu finden ist, wurde bisher meistens nur gemutmaßt. Vage Hinweise auf den Untergang des Abendlandes dominieren die entsprechenden Studien, weil, wie Hermann Kurzke resümiert, „ein exakter Zitatnachweis schwierig ist"228. Zwei Ausnahmen sind zu nennen: Zum einen unternahm Toni Tholen den Versuch, Parallelen zwischen Spengler und dem Zauberberg zu belegen. Tholen berücksichtigt allerdings den Untergang des Abendlandes nicht, sondern beschränkt sich auf Preußentum und Sozialismus und betont darüber hinaus besonders den Bezug zu Carl Schmitt.229 Zum anderen verwies Helmut Koopmann in seinem Überblick über den Zau-
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Kurzke (Anm. 97), 203. Steven Cerf: Thomas Manns Leo Naphta echoes of Brandesian intellectual history and biography. In: Seminar 25 (1989), 223-227. Dietmar Kainer: Thomas Mann und Ludwig Derleth unter besonderer Berücksichtigung der Erzählung „ Beim Propheten " und der Dillinger Lebenszeugnisse Ludwig Derleths. In: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen an der Donau 92 (1990), 489-534. So auch schon: Gerhard Loose: Naphta. Über das Verhältnis von Prototyp und dichterischer Gestalt in Thomas Manns „ Zauberberg". In: Ideologiekrititische Studien zur Literatur. Essays I. Frankfurt a. M. 1972,215-250. Heinrich von Eicken: Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung. Stuttgart 1887. Vgl. hierzu Wißkirchen (Anm. 222). Vgl. etwa Anthony Grenville: „ Linke Leute von rechts ": Thomas Mann 's Naphta and the Ideological Confluence of Radical right and Radical Left in the Early Years of the Weimar Republik In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 59 (1985), 651-675. Kurzke (Anm. 97), 203. Eine quellenkritisch nicht untermauerte Analogie zwischen Naphta und Spengler zieht eher beiläufig J. P. Stern: The Rise and Fall of Random Persons. In: Ders.: The Heart of Europe. Essays on Literature and Ideology. Oxford 1992, 123-139. Toni Tholen: Neues vom Dunkelmann Leo Naphta. In: Heinrich-Mann-Jahrbuch 8 (1990), 81-99.
Leo Naphta- ein „Untergangster des Abendlandes"?
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berberg und die Kulturphilosophie der Zeit neben Ernst Bertram, Georg Simmel und Max Scheler auch auf Spengler als Ideenlieferanten für Mann.230 Sinnvoll erweist es sich bei der intertextuellen Analyse, nicht nur auf Ähnlichkeiten des Untergangs des Abendlandes und des Zauberbergs direkt zu achten, sondern vor allem Manns Lektüre mit einzubeziehen. Elemente und Vokabeln seiner essayistischen Spengler-Kritik finden sich wieder in Settembrinis Kritik an Naphta. Settembrini wird so im Zauberberg zum Sprecher Thomas Mannscher Positionen, insofern sie die Auseinandersetzung mit Spengler betreffen. Während Naphta referentiell und kommunikativ Thesen Spenglers im Zauberberg ausspricht, übernimmt Settembrini im Roman die Rolle, die in Naphta verkörperten Positionen Spenglers im Sinne der Dialogizität in Frage zu stellen. Diese vehemente dialogische Distanzierung von Spenglers Überzeugungen bleibt mit Settembrini vornehmlich einer Figur im Roman überlassen. Hans Castorps Lossagung von Naphta nach dem Schneetraum vollzieht sich sehr viel dezenter und weniger lautstark. Auch der Erzähler legt sich nicht endgültig fest. So überläßt der Zauberberg es letztendlich dem Leser, in diesem Weltanschauungskampf zwischen Naphta und Settembrini zu entscheiden. Daß Spengler und Naphta für Thomas Mann Ähnlichkeiten im Habitus aufweisen, wird aus der Einschätzung Manns deutlich, bei Spengler habe man es mit einer „combination of a catholic priest and a german big industrialist" zu tun.231 Selbstgewählten Katholizismus und volkswirtschaftliches Interesse zeichnen auch den Konvertiten Naphta aus. Einen weiteren Hinweis auf die Nähe Naphtas zu Spengler gibt die Beschreibung seines Äußeren unter dem Stigma der Häßlichkeit, die als so außerordentlich gezeichnet wird, daß sie Reaktionen provoziert: Naphta „war ein kleiner, magerer Mann, rasiert und von so scharfer, man möchte sagen: ätzender Häßlichkeit, daß die Vettern sich geradezu wunderten" (GW III, 517). Als ebenso häßlich wird Breisacher im Doktor Faustus von Thomas
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Helmut Koopmann: Der Zauberberg und die Kulturphilosophie der Zeit. In: Sprecher (Anm. 161), 273-297, zu Spengler 278-284. Vgl. auch schon zu dem Themenkomplex ders.: Philosophischer Roman oder romanhafte Philosophie? Zu Thomas Manns lebensphilosophischer Orientierung in den zwanziger Jahren. In: Ders. (Anm. 149), 21-37 und 166-169. Brief Thomas Manns an Harrison Parker vom 9. August 1945. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. III, 171, Nr. 45/354. Zum Kapitalisten Spengler bei Mann vgl. auch Nietzsche's Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947), GW IX, 703.
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Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"?
Mann beschrieben, der eindeutig nach Spengler gestaltet ist.232 Zeitblom stellt „die Person des Privatgelehrten Dr. Chaim Breisacher [vor], eines hochgradig rassigen und geistig fortgeschrittenen, ja waghalsigen Typs von faszinierender Häßlichkeit" (GW VI, 370).
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Fatalistische Apokalyptik
Einen Hinweis darauf, daß Naphta auch mit dem Untergang des Abendlandes in Verbindung zu bringen ist, gibt Hans Castorp: Als Mynheer Peeperkom die Impotenz zur Apokalypse metaphorisiert und als „Weltuntergang" stigmatisiert, kommt Hans Castorp ins Räsonnieren: „Weltuntergang" - wie das Wort ihm [i. e. Peeperkom] zu Gesichte stand! Hans Castorp erinnerte sich nicht, es jemals aussprechen gehört zu haben, außer etwa in der Religionsstunde, und das war kein Zufall, dachte er, denn wem unter allen Menschen, die er kannte, wäre ein solches Donnerwort wohl zugekommen, wer hatte das Format dafür - um die Frage richtig zu stellen? Der kleine Naphta hätte sich seiner wohl bedienen können; doch wäre das Usurpation und scharfes Geschwätz gewesen, während in Peeperkorns Munde das Donnerwort seine ganze schmetternde und posaunenumdröhnte Wucht, kurz biblische Größe gewann. (GW III, 784)
In erlebter Rede wird aus der Perspektive Hans Castorps erwogen, daß der einzige neben der Cäsaren-Karikatur Peeperkom, der legitimiert sei, über den „Weltuntergang" zu philosophieren, Naphta gewesen wäre, allerdings mit der gewichtigen Einschränkung, „doch das wäre Usurpation und scharfes Geschwätz gewesen". Hans Castorp nennt Settembrini und Naphta mit Peeperkorns Worten „Schwätzerchen" (GW III, 796). „Geschwätz" ist Naphtas Bramarbasieren, weil es als rein intellektuelle Reflexion, ohne persönliche Erfahrung oder begleitendes Charisma betrachtet wird. Ähnliches hielt Tucholsky Spengler vor, als er ihn mit Karl May verglich: „Spengler, dieser Karl May der Philosophie. Er hat keine Heldentaten verrichtet, er hat sie nur prahlend aufgeschrieben. May war übrigens bescheidener und schrieb um eine Spur besser."233
232
233
Inwiefern Naphtas und Breisachers „Häßlichkeit" als typisch jüdisch stigmatisiert wird, erläutert Michael Brenner: Beyond Naphta. Thomas Mann's Jews and German-Jewish Writing. In: Dowden (Anm. 202), 141-157. Kurt Tucholsky: Schnipsel (1932). In: Ders. (Anm. 5), Bd. 10, 109. Zur widerspruchsvollen Beziehung des Intellektuellen Spengler zur Politik vgl. Paul Hoser: Ein Philosoph im Irrgarten der Politik Oswald Spenglers Pläne für eine geheime Lenkung der nationalen Presse. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 38 (1990), 435—458.
Fatalistische Apokalyptik
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Spenglers Untergang des Abendlandes wurde von Mann essayistisch genau in diesen Rang des aus teilnahmsloser Wissenschaftlichkeit und freiem Fabulieren zusammengesetzten „scharfen Geschwätzes" eingeordnet, wenn er von der „boshaften Apodiktizität", der „wissenschaftliche[n] Unerbittlichkeit", der „oberlehrerhaften Sympathielosigkeit" und dem „froschkalt-,wissenschaftlichfen]' Verfügen" (GW X, 174) spricht, mit denen Spengler über seine „Intuition" (GW X, 175) philosophiert. Hans Castorp begreift eine solche Haltung als „Usurpation"; der Essayist Thomas Mann bezeichnet Spengler als „Snob" (GW X, 179) und rechnet ihn „zur großen Zahl der modernen Figuren, die unangenehmerweise lehren, was ihnen nicht zukommt" (GW X, 180),234 also eine Art pädagogische Usurpation. Zumindest im Konjunktiv scheint hier eine Nähe zwischen Naphta und dem Spengler des Untergangs, so wie Thomas Mann ihn sieht, gegeben zu sein. Ähnlich klingt der Vorwurf der camouflierten Inkompetenz wieder in einem Schnipsel Tucholskys: „Es gibt in der Kunst ein unumstößliches Gesetz. Was einer auffällig ins Schaufenster legt, das führt er gar nicht: Brecht keine Männlichkeit, Keyserling keine Weisheit und Spengler keine Ewigkeitsperspektiven."235 Weitere Hinweise auf eine an Spengler gemahnende Untergangsdiagnose sind bereits im ersten Gespräch Joachim Ziemßens und Hans Castorps mit Ludovico Settembrini und Leo Naphta gegeben. Nachdem Naphta die Möglichkeit eines Kriegs andeutet, wirft Settembrini ihm „Katastrophenprophetie" (GW III, 527) vor. Daraufhin schwingt sich Naphta zu einer Gegenwartsdiagnose auf, die in ähnlichem Duktus wie Spengler die Endzeit verkündet und gutheißt: „Es handelt sich um letzte, schwächliche Regungen des Restes von Selbsterhaltungsinstinkt, über den ein verurteiltes Weltsystem noch verfügt. Die Katastrophe soll und muß kommen, sie kommt auf allen Wegen und auf alle Weise." (GW III, 528) In anderem Zusammenhang feiert Naphta die Katastrophe als Labsal: „Ein Zwischenfall und Menetekel wie der Untergang des Dampfers »Titanic' wirkte atavistisch, aber wahrhaft erquicklich." (GW III, 959) Katastrophenfreudigkeit und Vergnügen an der Unausweichlichkeit des Untergangs, die Naphta hier äußert, gemahnen an Spenglers Endzeitbegeisterung.236 Leser, die bereits mit Thomas Manns German Letter, seiner 234
235 236
Die letzten Zitate stammen aus Thomas Manns Essay Über die Lehre Spenglers (1924), GW X, 172-180. Tucholsky (Anm. 233), 49. Vgl. etwa Spenglers Haltung zum Untergang, in der sich gleichzeitig Verachtung für die Nostalgie und Rausch am eigenen Heroismus spiegelt: „Es hängt alles davon ab, daß man sich diese Lage, dies Schicksal klar macht und begreift, daß man sich darüber belügen, aber nicht hinwegsetzen kann. Wer sich dies nicht eingesteht, zählt unter den Menschen nicht mit. Er bleibt ein Narr, ein Charlatan oder ein Pedant." (UdA, 62/1 63) Thomas Mann hat diese Stelle markiert. Zu dieser
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Rede Von deutscher Republik oder seinem Essay Über die Lehre Spenglers vertraut waren, konnten im Zauberberg bekannte Positionen von Thomas Manns Spengler-Kritik wiederfinden. Begeisterung für den Untergang hatte Thomas Mann bereits essayistisch bei Spengler moniert, als er sie Naphta vortragen läßt. Thomas Mann markiert so einen intertextuellen Zusammenhang, der zwischen dem Untergang des Abendlandes und dem Zauberberg über Thomas Manns eigene essayistische Auseinandersetzung mit Spengler kommunikativ erschließbar wird. Spengler hatte die kapitalistische Zivilisation als Endstadium der Kultur zum „Schicksal des Abendlandes" (UdA, 53) erklärt. Auch Naphta begreift die von ihm avisierte katastrophische Entwicklung mit derselben Kategorie: „Gewollt wird immer nur das Schicksal. Das kapitalistische Europa will das seine." (GW III, 529) Diese Bejahung des apokalyptischen Schicksals trug Spengler von Mann den Vorwurf des verantwortungslosen Fatalismus ein. Über die Lehre Spenglers resümiert Mann: „Er ist Fatalist." (GW X, 178) Settembrini hält Naphta ähnliches vor, nachdem dieser von der Dummheit als „Werkzeug der Fatalität" geschwärmt hatte: „Ach, gehen Sie mir mit der Fatalität! Die menschliche Vernunft braucht sich nur stärker zu wollen als die Fatalität, und sie ist es!" (GW III, 529) Settembrini bedient sich auch hier wieder Thomas Manns essayistischer Argumentation gegen Spengler. Als Settembrini auf die aufklärerische Idee von einem als „unendlich gedachten Fortschritt der Menschheit" (GW III, 530) aufmerksam macht, repliziert Hans Castorp, mittlerweile im Sog von Naphtas Gedankenwelt: „Alle Bewegung ist aber kreisförmig" (GW III, 530), was sich auf die Jahreszeitenanalogien der Spenglerschen Kulturmorphologie beziehen läßt.237 Naphta vertritt wie Spengler die Vorstellung, daß jede Kultur einen gewissermaßen klassischen Gipfel durchlaufe. Spengler gebrauchte für diesen Sachverhalt unterschiedliche sprachliche Bilder, sei es das lebensalterliche der „Reife" oder das jahreszeitliche des „Sommers". Naphta
237
Katastrophenfreudigkeit vgl. Thomas Koebner: Die Erwartung der Katastrophe. Zur Geschichtsprophetie des „neuen Konservativismus" (Oswald Spengler, Ernst Jünger). In: Ders.: Unbehauste. Zur deutschen Literatur in der Weimarer Republik, im Exil und in der Nachkriegszeit. München 1992, 183-196. Koopmann (Anm. 150), 21 weist daraufhin, daß auch Hans Castorps Im-KreisFahren im Schneesturm eine Anspielung auf Spenglers Kulturkreislehren sein könnte. Das Attribut „vexatorisch", das in Manns Spengler-Kritik immer wieder auftaucht, macht diese Überlegung plausibel: Hans Castorp „beschrieb dabei irgendeinen weiten, albernen Bogen, der in sich selber zurückführte wie der vexatorische Jahreslauf' (GW III, 673). Zu Spenglers Position innerhalb der zyklischen Geschichtstheorien der Moderne vgl. Wolfram Wojtecki: Vom Untergang des Abendlandes. Zyklische, organische und morphologische Geschichtstheorien im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin 2000.
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übernimmt eine solche organische Wachstumstheorie. Den abendländischen Gipfel markiert er im Hoch- und Spätmittelalter und spricht daher vom ,,klassische[n] Mittelalter" (GW III, 520), eine begriffliche Fügung, die Settembrini als paradox zu entlarven versucht. Aber Naphta widerspricht: „Ich bitte um Entschuldigung, aber ich lasse den Begriff des Klassischen statthaben, wo er am Platze ist, das heißt, wo immer eine Idee auf ihren Gipfel kommt. Die Antike war nicht immer klassisch." (GW III, 520) Auch Spengler hat in seinen weltgeschichtlichen Tafeln die Zeit zwischen der Hochscholastik und der Reformation als einen Gipfel markiert.238 Und auch für Spengler ist die Antike „nicht immer klassisch"; den Hellenismus und die römische Antike begreift Spengler als „herbstlichen" Untergang der Antike jenseits der klassisch-„sommerlichen" Phase. Auch ist Naphta mit Spengler einer Meinung, daß es sich bei Antike und Abendland um zwei verschiedene Kulturen handele. Die Trennung der Antike vom Abendland, die Naphta so engagiert vertritt, war Thomas Mann in seiner Spengler-Lektüre als bedenklich aufgefallen, und er hatte sich im Gespräch mit Ernst Bertram vehement gegen eine solche Separierung ausgesprochen. Als Settembrini über Dantes Vergil-Rezeption einen Zusammenhang zwischen römischer Antike und dem Spätmittelalter zu erreichen bestrebt ist, widerspricht Naphta: „Recht vergebens, versetzte Naphta, rufe Herr Settembrini die Einfalt jener morgendlichen Zeiten zu seiner Hilfe auf, - die Siegerin, die ihre Schöpferkraft noch in der Dämonisierung des Überwundenen bewährt habe." (GW III, 718f.) Mit der Tageszeitenmetaphorik der „morgendlichen Zeiten" macht Naphta den Hiat zwischen Antike und Mittelalter deutlich und begreift das Mittelalter nicht als Fortführung der Antike, sondern als eigentlichen, „morgendlichen", Beginn des Abendlandes. Diesen Überlegungen schließt Naphta die Spenglersche Auffassung an, daß „heute [...] wieder ein Zeitalter zu Grabe sinke" (GW III, 719): Der Untergang des Abendlandes steht unmittelbar bevor. Hans Castorp ist nicht bereit, Naphtas Untergangseuphorie zu teilen.239 An zentraler Stelle, nämlich nach dem Schneetraum, als Hans Castorp den Entschluß faßt, „ich will dem Tode keine Herrschaft einräumen über meine Gedanken! Denn darin besteht die Güte und Menschenliebe, und in nichts anderem" (GW III, 685), verabschiedet er sich innerlich auch von Naphta. 240 Und hier fällt noch einmal der „Untergangs"-Begriff, wie
238 239
240
Vgl. UdA, I. Tafel, unpaginiert. Zu Hans Castorps philosophischer Eigenständigkeit vgl. Reinhard Mehring: Thomas Mann. Künstler und Philosoph. München 2001, 90ff. Zur Deutung des Schneetraums als Abgesang auf die Vorkriegswelt und zur Interpretation der Kindsopferung als Verlust der jungen Generation im Ersten
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als Reminiszenz an Spengler, eine kommunikative Markierung der Intertextualität: „Doch will ich's auch mit des kleinen Naphta Teil nicht halten, mit seiner Religion, die nur ein guazzabuglio von Gott und Teufel, Gut und Böse ist, eben recht, damit das Einzelwesen sich kopfüber hineinstürze, zwecks mystischen Unterganges im Allgemeinen." (GW III, 685) Den mystischen Untergang im Allgemeinen beschreibt auch Spengler in seinen Endzeitvisionen, in denen nur noch der einzelne Cäsar aus der Masse der namenlos gewordenen Angehörigen der Fellachenvölker herausragt. Naphta teilt mit Spengler eine Vorliebe für die Gotik. Bei Naphta ist dies gegen Settembrinis Renaissance-Verehrung gerichtet.241 Und auch Spengler muß den Rückbezug der Renaissance auf die Antike ja mindern, will er an seiner Vorstellung von den beiden geschiedenen Kulturen Antike und Abendland festhalten. Das versucht er durch eine Aufwertung der Gotik, der er größere Bedeutung und Popularität als der Renaissance zuspricht. Thomas Mann markierte Spenglers Epochenbewertung: „Die Gotik ergreift das ganze Leben bis in seine geheimsten Winkel. Sie hat einen neuen Menschen, eine neue Welt geschaffen. Sie hat von der Idee des Katholizismus bis zum Staatsgedanken der deutschen Kaiser [...] allem und jedem die Sprache einer einheitlichen Symbolik aufgeprägt. Die Renaissance bemächtigte sich einiger Künste des Bildes und Wortes, und damit war alles getan. Sie hat die Denkweise Westeuropas, das Lebensgefühl in nichts verändert." (UdA, 300/1 333f.) Auch für Naphta beginnt die abendländische Epoche mit dem christlichen Mittelalter, nicht mit ihrem Rückbezug zur heidnischen Antike. So wie Naphta Rousseaus Gesellschaftstheorie als säkularisierte Erbsündenlehre interpretiert (GW III, 531), begreift Spengler die modernen Gesellschaftstheorien als religiöse Projektionen, als „Evangelien" (UdA, 1128). Naphta legitimiert den Krieg aus dem „natürlichen Instinkt" (GW III, 531) der Menschen und preist ihn als das „Mittel gegen alles und für alles" (GW III, 533). „Krieg, Krieg! Er sei einverstanden, und die allgemeine Lüsternheit danach scheine ihm vergleichsweise ehrenwert" (GW III, 959), referiert der Erzähler Naphtas Meinung. Spengler erklärt
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Weltkrieg vgl. Günter Scholdt und Dirk Walter: Sterben für die Republik? Zur Deutung von Thomas Manns „Zauberberg". In: Wirkendes Wort 30 (1980), 108-122. Und zu Hans Castorps Bekenntnis und seine Bedeutung für die Einschätzung Peeperkorns vgl. Katja Wolff: „Dem Tod keine Herrschaft einräumen" - Peeperkorn als Humanist. In: Thomas Mann. Aufsätze zum „Zauberberg". Hrsg. von Rudolf Wolff. Bonn 1988, 91-113. Zu Thomas Manns Gotik-Auffassung vgl. Inge und Walter Jens: „Betrachtungen eines Unpolitischen". Thomas Mann und Friedrich Nietzsche. In: Das Altertum und jedes neue Gute. Für Wolfgang Schadewaldt zum 15. März 1970. Stuttgart 1970, 237-256, hier 245.
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den Krieg als „die Urpolitik alles Lebendigen und zwar bis zu dem Grade, daß Kampf und Leben in der Tiefe eins sind und mit dem Kämpfenwollen auch das Sein erlischt" (UdA, 1109). Naphtas „Ausfälle gegen das klassische Bildungsideal" (GW III, 720) als unnötigen Ballast und sein Plädoyer für den Analphabetismus rekurrieren auf Spenglers Empfehlung, sich der „Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik" (UdA, 57) zuzuwenden, über die sich Thomas Mann in seiner Rede Von deutscher Republik so erboste. 242 Auch in einer scharfen Wissenschaftskritik finden Spengler und Naphta zusammen. Für Naphta ist die Wissenschaft „ein Glaube wie jeder andere, nur schlechter und dümmer als jeder andere" (GW III, 960). Spengler hatte, von Thomas Mann markiert, bemerkt: „Der Tod einer Wissenschaft besteht darin, daß sie niemandem mehr Ereignis wird." (UdA, 548/1 633) Für Spengler wie für Naphta ist die Zeit der Wissenschaftlichkeit eine Spätzeit: „Die Tyrannei des Verstandes, die wir nicht empfinden, weil wir selbst ihren Gipfel darstellen, ist in jeder Kultur eine Epoche zwischen Mann und Greis, nicht mehr." (UdA, 547f./1632) Ganz in Naphtas Sinne prophezeit Spengler im Seher-Duktus eine Zeit jenseits der Wissenschaftlichkeit, in der die Religion wieder zu neuer Kraft und Entfaltung strebe. Thomas Mann strich die gesamte Passage deutlich an: Ich sage es voraus: Noch in diesem Jahrhundert, dem des wissenschaftlichkritischen Alexandrinismus, der großen Ernten, der endgültigen Fassungen, wird ein neuer Zug von Innerlichkeit den Willen zum Siege der Wissenschaft überwinden. Die exakte Wissenschaft geht der Selbstvernichtung durch Verfeinerung ihrer Fragestellungen und Methoden entgegen. Man hatte zuerst ihre Mittel geprüft - im 18. Jahrhundert, dann ihre Macht - im 19.; man durchschaut endlich ihre geschichtliche Rolle. Von der Skepsis aber führt ein Weg zur „zweiten Religiosität", die nicht vor, sondern nach einer Kultur kommt. Man verzichtet auf Beweise; man will glauben, nicht zergliedern. Die kritische Forschung hört auf, ein geistiges Ideal zu sein. (UdA, 548/1633)
242
Vgl. Kapitel 2.3.
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4.2 Jesuitischer Sozialismus Naphta wohnt bei dem Damenschneider Lukafek in Davos zur Untermiete in einem Zimmer, das luxuriös in weinroter Seide ausgeschlagen ist und dessen Prunkstück eine Holzplastik darstellt243: Naphtas Pieta, ein Stück rheinischer Gotik aus dem 14. Jahrhundert, „einfältig und wirkungsvoll bis zum Grotesken", „eine im Größenverhältnis primitiv verfehlte Figur" (GW III, 544) erinnert an Spenglers Rubrizierung der Gotik als „elementarer Ausdruck des jungen Weltgefühls: ,Die Primitiven'"(UdA, II. Tafel). Naphtas Beschreibung seiner Pietä244 korrespondiert mit Spenglers Hinweis, daß das gotische Zeitalter nicht nur „den leidenden Erlöser, sondern die leidende Mutter in die Mitte seines Weltbildes gestellt" (UdA, 342) hat. Naphta erläutert die Herkunft dieses Kunstwerks als „anonym und gemeinsam" und betont damit, daß die Persönlichkeit des Künstlers für die gotische Plastik ohne Belang sei. Dieses Kunstwerk „hat keinen wunder wie individuellen Monsieur zum Autor, es ist anonym und gemeinsam" (GW III, 545), eine Überlegung, die Hans Castorp zu denken gibt und die Thomas Mann bei Spengler vorgedacht fand und markierte, wenn dieser Epochen folgendermaßen voneinander trennte: „Es mögen ferner anonyme und persönliche Epochen unterschieden werden, je nach ihrem physiognomischen Typus im Geschichtsbilde." (UdA, 194/1 208) Sowohl Spengler als auch Naphta unterscheiden in der Weltgeschichte gemeinschaftsbetonte und individualistische Epochen. Innonzenz III., auf den Naphta im folgenden zu sprechen kommt (GW III, 546), wird bei Spengler wiederholt mit vergleichbarer Wertschätzung erwähnt (UdA, 184, 256, 432, 444, 1022, 1113). Naphta prophezeit eine „Ehrenrettung der Scholastik" (GW III, 550), und er ist begeistert von ihrem Wissenschaftsverständnis, „daß in der Philosophie nicht wahr sein könne, was vor der Theologie falsch ist" (GW III, 551). Auch dies könnte man als Replik auf Spenglers Begeisterung für die Scholastik sehen, die „das einzige Beispiel einer geistigen Zucht [böte], die über alle Länder hin keine Schrift, keine Rede, keinen Gedanken hervortreten ließ, die der gewollten Einheit widersprachen" (UdA, 1141). Die Mittelalterbegeisterung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Renaissance verbindet Naphta und Spengler. 243
Zu Naphtas Wohnung vgl. Anne-Marie Heintz: Le sang et le soie. La Chambre de Naphta dans „Der Zauberberg" de Thomas Mann. In: Le texte et l'idöe 8
244
„Sie finden da nichts mehr von der Schonung und Beschönigung, mit der noch die romanische Epoche den Gekreuzigten darstellen zu müssen glaubte, keine Königskrone, keinen majestätischen Triumph über Welt und Martertod. Alles ist radikale Verkündigung des Leidens und der Fleischesschwache." (OW III, 546)
(1993/94), 131-153.
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Wenn Naphta den Niedergang der Freiheit verkündet, gebraucht er dafür biologische Verbmetaphern, die ebenfalls aus Spenglers Repertoire kommen: „Das Prinzip der Freiheit hat sich in fünfhundert Jahren erfüllt und überlebt" (GW III, 554), ein Zeitraum, den in etwa auch Spengler für die Entfaltung der Freiheitsidee ansetzt (UdA, III. Tafel). Die Gegenwart ist für Naphta wie für Spengler eine Zeit der veralteten Ideale und der Heraufkunft von etwas Neuem. 245 Dabei strafen Spengler wie Naphta die zum Untergang verurteilte liberale Gesellschaftsordnung gleichermaßen mit Verachtung und interpretieren sie als Ausdruck der Schwäche. Ihr Ende wird als berechtigt und lang ersehnt begriffen. Spengler sieht die eigene Zeit als Epoche der labilen und depravierten Demokratie, die in ihrer Labilität und der Neigung zur Formlosigkeit den Cäsarismus vorbereitet. Naphta formuliert ein ähnliches Bewußtsein eines Epochenwandels hin zu strengeren staatlichen Formationen: Die liberaldemokratischen Ideale „sind tot, sie liegen heute zum mindesten in den letzten Zügen, und die Füße derer, die ihnen den Garaus machen werden, stehen schon vor der Tür" (GW III, 554). Naphta plädiert für die Prügelstrafe und empört sich über den „Menschenwürde-Begriff derer, die das körperliche Zuchtmittel daraus verbannen wollen"; denn jener „Menschenwürde-Begriff wurzele in einem verhaßten „Liberal-Individualismus der bürgerlichen Humanitätsepoche, einem aufgeklärten Absolutismus des Ich, der im Begriffe war abzusterben" (GW III, 631). Dieses Absterben steht aber nicht für sich. Es bleibt nicht beim Untergang, sondern das Abendland macht auch bei Naphta, nicht nur bei Spengler, „neu heraufziehenden, weniger weichlichen Gesellschaftsideen Platz [...], Ideen der Bindung und Beugung, des Zwanges und des Gehorsams, bei denen es ohne heilige Grausamkeit nicht abgehe und die auch die Züchtigung des Kadavers wieder mit anderen Augen werde betrachten lassen" (GW III, 631). Diese Ideen bezeichnen sowohl Spengler als auch Naphta als „Sozialismus", und für beide ist dieser „Sozialismus" „kein System des Mitleids, der Humanität, des Friedens und der Fürsorge, sondern des Willens zur Macht" (UdA, 436/1 528), eine Überzeugung, die Thomas Mann bei Spengler markierte. Aus der Freiheit heraus entsteht nach Naphta eine Gegenbewegung, die kreist „um den absoluten Befehl, die eiserne Bindung, um Disziplin, Opfer, Verleugnung des Ich, Vergewaltigung der Persönlichkeit" (GW III, 554), Begriffe, die Spengler braucht, um zum einen die zukünftige Herrschaftsform des Cäsarismus zu umschreiben als „ungenial, barba-
24S
Vgl. auch Werner Frizen: Zeitenwende. Über theo-politische Grundmotive in Thomas Manns „Zauberberg". In: Internationales Thomas-Mann-Kolloquium 1986 in Lübeck. Bern und München 1987 (= Thomas Mann-Studien, 7), 2 2 9 245.
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risch, diszipliniert, praktisch" (UdA, 36), und zum anderen sein Konzept eines preußischen Sozialismus zu skizzieren: „Armut und Entsagung, römisch im Stolz des Dienens, in der Demut des Befehlens, nicht Rechte von anderen, sondern Pflichten von sich selbst fordernd".245 Naphtas Plädoyer für den christlichen Terror, das auf der behaupteten „Lust zum Gehorsam" fußt, kann sich auf Spenglers historischen Rückblick stützen, der den auf Befehl und Gehorsam bauenden Charakter der mittelalterlichen Kirche entfaltet.247 Thomas Mann markierte Spenglers Überlegung: „In diesem Sinne ist - ein tiefer und noch nie begriffener Vorgang - die Moral Jesu, ein ruhend-geistiges, aus dem magischen Weltgefühl heraus als heilkräftig empfohlenes Verhalten, dessen Kenntnis als eine besondere Gnade verliehen wird, in der gotischen Frühzeit innerlich in eine befehlende umgeprägt worden." (UdA, 438/1488) Naphtas Antikapitalismus kann sich ebenfalls auf Spenglersche Argumente berufen. Naphta empört sich: „Das christliche Mittelalter hat den immanenten Kapitalismus des weltlichen Staates klar erkannt. ,Das Geld wird Kaiser sein',- das ist eine Prophezeiung aus dem elften Jahrhundert. Leugnen Sie, daß das wörtlich eingetroffen und daß die Verteufelung des Lebens damit restlos erreicht ist?" (GW III, 556) Spengler äußert ähnliche Abscheu gegenüber der reinen Geldwirtschaft, wenn sie auch (für ihn) dankenswerterweise zugleich dazu beiträgt, die labile Demokratie zu Fall zu bringen. Thomas Mann markierte folgende Passage, in der neben dem antikapitalistischen Reflex vor allem die Berufung auf die „formvollen Mächte", der exklusiv-aristokratische Gestus und die nahende Errichtung einer Gewaltherrschaft in preußischer Tradition Naphtas Weltanschauung vorbilden248: Durch das Geld vernichtet die Demokratie sich selbst, nachdem das Geld den Geist vernichtet hat. Aber eben weil alle Träume verflogen sind, [...] erwacht endlich eine tiefe Sehnsucht nach allem, was noch von alten, edlen Traditionen lebt. Man ist der Geldwirtschaft müde bis zum Ekel. Man hofft auf eine Erlösung von irgendwoher, auf einen echten Ton von Ehre und Ritterlichkeit, von innerem Adel, von Entsagung und Pflicht. Und nun bricht die Zeit an, wo in der Tiefe die formvollen Mächte des Blutes wieder erwachen [...]. Alles was sich an dynamischer Tradition, an altem Adel für die Zukunft aufgespart
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247
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Oswald Spengler: Preußentum und Sozialismus (Anm. 66), 4 (künftig im Text mit „PuS" abgekürzt). Vgl. Pierre-Paul Sagave: Der Begriff des Terrors im „Zauberberg". In: Dialog. Literatur und Literaturwissenschaft im Zeichen deutsch-französischer Begegnung. Festgabe für Josef Kunz. Hrsg. von Rainer Schönhaar. Berlin 1973, 184— 193. Zur Kapitalismuskritik Naphtas vgl. etwa Thomas Sprecher: Kur-, Kultur- und Kapitalismuskritik im „Zauberberg". In: Ders. (Anm. 161), 185-249, hier235ff.
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hat, an vornehmer, über das Geld erhabener Sitte, alles was stark genug ist, um nach dem Worte Friedrichs des Großen Diener des Staates zu sein in harter, entsagungsvoller Gewalt, alles was ich dem Kapitalismus gegenüber als Sozialismus bezeichnet hatte, alles das wird plötzlich zum Sammelpunkt ungeheurer Lebenskräfte. (UdA, 1143/11582f.)
Settembrini ist entsetzt, als sich der Jesuit Naphta als Sozialist entpuppt, und er bezeichnet dessen Ausführungen als ein „hieratisches Salto-mortale" (GW III, 559). Die Vereinbarkeit von Jesuitismus und Sozialismus, geradezu ihr Zusammenfallen in eins verkündete auch Spengler: In ihrer fanatischen Begeisterungsfahigkeit sowie in ihrem auf absolutem Gehorsam aufbauenden Herrschaftssystem sind für Spengler „Sozialisten und Jesuiten einander völlig gleich" (UdA, 435/1 484), eine Aussage, die Thomas Mann in seinem Exemplar des Untergang des Abendlandes markierte. Naphta und Spengler vereinnahmen beide den Sozialismus-Begriff von rechts und propagieren eine Herrschaft der Extreme. Gerade auch in der Begeisterung für das Extreme ähneln sich Naptha und Spengler. „Ungereimt ist nur das Halbe und Mediokre" (GW III, 560) für Naphta; das Außeralltägliche, aus der Norm Fallende verdient schon allein um seiner Außeralltäglichkeit willen Beachtung. In Naphtas Entwurf eines jesuitischen Sozialismus stehen sowohl Der Untergang des Abendlandes intertextuell Pate als auch Spenglers Preußentian und Sozialismus?*9 Spengler dachte in dieser Schrift die scheinbaren Gegensätze von Preußentum und Sozialismus zusammen, und das gelang durch eine semantische Neubestimmung von „Sozialismus", den er von Marx entkoppelte und als reinen Gesinnungssozialismus der Unterordnung unter die .Volksgemeinschaft' begriff, ein rhetorischer Kniff, den Johann Plenge vor dem Ersten Weltkrieg auf die griffige Formel des cogito ergo sumus gebracht hatte.250 Mit der Forderung nach der Herrschaft des Proletariats haben Plenges und Spenglers Sozialismus nichts mehr zu tun. Der Sozialismus wird domestiziert, antimarxistisch entschärft und verbürgerlicht. Ernst Schulin hat Spenglers Apperzeption des Sozialismus-Begriffs folgendermaßen analysiert: „Hinter dieser verwirrenden Schlagwortumprägung steckt Absicht; der Sozialismus der Linken soll als eine zweifelhafte, jedenfalls undeutsche Spielart eines zeitgemäßen politischen Ziels denunziert werden, für das die Rechten den besseren 249
250
Zu Preußentum und Sozialismus vgl. Feiken (Anm. 2), 95-114 sowie Clemens Vollnhals: Praeceptor Germaniae. Spenglers politische Publizistik. In: Demandt, Farrenkopf (Anm. 2), 171-197, hier 175-179 und Hermann Lübbe: Oswald Spenglers „ Preußentum und Sozialismus " und Ernst Jüngers „ Der Arbeiter ". In: Demandt, Farrenkopf (Anm. 2), 129-151. Johann Plenge: Marx und Hegel. Tübingen 1911, 24: „Cogito ergo sumus [...] Ich denke, also bin ich ein eingeordneter Teil in einer organisierten Gesellschaft."
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Weg anzubieten haben. Die Nationalsozialisten sicherten sich das Schlag251
wort wenig später aus kaum anderen Gründen." Dieser preußische Sozialismus propagierte Treue, Disziplin, Entsagung, Selbstzucht, den Staat als oberste Instanz, und das war insbesondere gegen England und die Prinzipien des Individualismus, des Liberalismus, der Eigenverantwortlichkeit und der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet. Thomas Mann interessierte diese Kombination von militärischer Strenge und Gemeinschaftsemphase nicht nur in Spenglers Schrift Preußentum und Sozialismus, sondern er markierte schon im Untergang des Abendlandes entsprechende Textstellen.252 Die semantische Entkoppelung des Sozialismus von Freiheit und Gleichheit interessiert Mann besonders. Spengler verkörperte einen „neukonservativen Intellektuellen, der national, auch männlich-heroisch gesinnt war und sich die Aristokraten-Attitüde wählte".253 Spengler bemerkt, von Mann markiert, über den exklusiv-elitären Charakter seines Sozialismus folgendes: Der Sozialismus - in seinem höchsten Sinne, nicht in dem der Gasse - ist wie alles Faustische ein exklusives Ideal, das seine Volkstümlichkeit nur einem vollkommenen Mißverständnis auch unter den Wortführern verdankt, daß er nämlich ein Inbegriff von Rechten, nicht von Pflichten, daß er eine Beseitigung, nicht eine Verschärfung des kantischen Imperativs, ein Nachlassen, nicht ein Höherspannen der Richtungsenergie sei. Jene triviale Oberflächentendenz auf Wohlfahrt, „Freiheit", Humanität, das Glück der Meisten enthält nur das Negative der faustischen Ethik, sehr im Gegenteil zum antiken Epikuräismus, dem der glückselige Zustand wirklich Kern und Summe alles Ethischen war. (UdA, 448/1 500)
Auch Naphta spricht zwar von der „Diktatur des Proletariats" (GW III, 559), aber er meint letztendlich eine Tyrannis der Kirche über alle und nicht eine Ermächtigung des vierten Standes. Naphta und Spengler ver251
252
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Emst Schulin: Die Erfassung der modernen sozialen Welt bei Rathenau, Spengler und Jünger. In: Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für Karl Otmar Freiherr von Aretin zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Ralph Melville, Claus Scharf, Martin Vogt und Ulrich Wengenroth. Stuttgart 1988, Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Abteilung Universalgeschichte, 134), 85-97, hier 90. Vgl. etwa UdA, 180/1 195: „Und deshalb ist der Sozialismus - nicht der theoretische von Marx, sondern der praktische, von Friedrich Wilhelm I. begründete des Preußentums, der jenem voraufging und ihn wieder überwinden wird - mit seiner tiefen Verwandtschaft zum Ägyptertum das Gegenstück zum wirtschaftlichen Stoizismus der Antike, ägyptisch in seiner umfassenden Sorge für dauerhafte wirtschaftliche Zusammenhänge, in seiner Erziehung des einzelnen zur Pflicht für das Ganze und in der Heiligung des Fleißes, durch den die Zeit und Zukunft bejaht werden." Thomas Koebner: Oswald Spenglers Phantasien über den Untergang des Abendlandes. In: Ders. (Anm. 236), 167-182, hier 168.
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bindet auch ein elitärer Dünkel. So wie Spengler Sozialismus antiegalitär und exklusiv denkt, so ist auch Naphta „von Instinkt zugleich Revolutionär und Aristokrat; Sozialist - und zugleich besessen von dem Traum, an stolzen und vornehmen, ausschließlichen und gesetzvollen Daseinsformen teilzuhaben." (GW III, 614) Settembrini zeiht Naphta des „Grabesaristokratismus" (GW III, 815), und Naphta nimmt den Vorwurf an und billigt der Kirche einen „unerbittlichen Aristokratismus" (GW III, 816) zu. Sein Ideal „bindungsvollster Gemeinschaft" (GW III, 560) polt sich gegen Settembrinis Leitwert des bürgerlichen Individualismus. Auch die antibritische Wendung Naphtas, wenn er die „ökonomistische Gesellschafitslehre" (GW III, 524) verhöhnt, kann auf Argumente des kriegspropagandistischen „Sozialismus" zurückgreifen, der deutsche Helden und britische Händler opponierte.254 Spengler präsentierte seinen preußischen Sozialismus in einer großbürgerlichen Nonchalance, die die Tat existentialistisch und dezisionistisch um ihrer selbst Willen feierte und gegen die Literatur polemisierte: „Wir wollen keine Sätze mehr, wir wollen uns selbst," (PuS, 4) was wiederum auch nicht mehr als ein Satz war und ihm von Tucholsky die Antonomasie „Heros des Füllfederhalters" eintrug. Tucholsky erklärte diesen literarischen Selbsthaß psychologisch als Geltungsdrang eines kleinen Stubengelehrten [...], dem es nicht vergönnt ist, im praktischen Leben eine Rolle zu spielen, in jenem Leben, das er, eben weil er es nicht meistert, so Uberschätzt. Daher die Unerbittlichkeit, die nichts kostet; die eherne Grausamkeit auf dem Papier, die den Männern der Praxis ein Anlaß sein kann, noch gemeiner zu verfahren, als sie es ohnehin schon tun; daher die Verachtung des eigenen Berufs: der Literatur.255
254
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Vgl. Naphtas Weissagung: „Aber die Engländer erfanden die ökonomistische Gesellschaftslehre, und das wird der Genius der Menschen ihnen niemals verzeihen" (GW III, 524). Am schärfsten ausgeprägt findet sich diese kapitalismuskritisch unterfütterte deutsch-englische Opposition in der Kulturkriegspublizistik von Werner Sombart: Helden und Händler. Patriotische Besinnungen. München, Leipzig 1915. Tucholsky (Anm. 5), 226. Zum literarischen Selbsthaß der zeitgenössischen Schriftsteller, die ihre eigene Intellektualität zivilisationskritisch verurteilten, vgl. auch Tucholsky: Kleiner Vorschlag, ebd., 109f. Dietz Bering: Zwei negative Protagonisten: Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen" - Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes". In: Ders.: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart 1978, 88-93, vergleicht zwar die Intellektuellen- und Literatenkritik bei Mann und Spengler, vernachlässigt aber Preußentum und Sozialismus, das als Quelle für sein Thema noch ergiebiger ist als Der Untergang des Abendlandes. Vgl. zum Verhältnis der Intellektuellen zur Politik im 20. Jahrhundert: Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik Hrsg. von Gangolf Hübinger. Stuttgart 2000.
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Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"?
Weltanschauungskonstruktion als „Inkompetenzkompensationskompetenz"256 läßt sich ebenfalls sowohl für Settembrini als auch für Naphta feststellen, die durch die Krankheit zur Untätigkeit in Davos verdammt sind und mangelnde Taten durch revolutionäre Gedanken zu ersetzen versuchen.
4.3 Preußischer Katholizismus spanischer Herkunft Naphta bekennt sich zur „Reaktion" (GW III, 561), und auf den Vorwurf Settembrinis, daß er „den Sozialismus bis zur Diktatur" (GW III, 560) treibe, reagiert Naphta gelassen mit einem Plädoyer für sich reimende Gegensätze und dem Ideal „bindungsvollster Gemeinschaft" (GW III, 560). Sein jesuitischer Sozialismus faßt ähnliche Gegensätze zusammen wie der preußische Sozialismus Spenglers. Settembrini protestiert gegen die „vexatorische Alternative von Preußentum und gotischer Reaktion" (GW III, 553), und das Attribut „vexatorisch" stammt dabei aus Thomas Manns essayistischer Spengler-Kritik, in der er höhnte: „Der Mann dieses erquicklichen Ausblicks [i. e. Spengler] ist eine eigentümlich vexatorische Erscheinung." (GW XIII, 270) Auch Settembrinis Warnung vor Naphtas Lehren als ,,intellektuelle[m] Blendwerk" und „halb fanatische[r] und halb boshafte[r] Rabulistik" (GW III, 565) trifft auch auf Manns Einschätzung von Spenglers Werk zu, das er ja als „Geschwätz" kategorisiert, das sich durch „boshaftef.] Apodiktizität" (GW X, 174) auszeichne. Indem Settembrini Naphtas Weltanschauung mit den gleichen Wertungen versieht, die Thomas Mann essayistisch über Spengler äußerte, sind dem Leser deutliche Hinweise auf eine kommunikative Intertextualität gegeben zwischen Spenglers Untergang des Abendlandes und dem Zauberberg. Spenglers Eklektizismus scheint durchzuschimmern, wenn Settembrini Naphtas Trachten nach „neuen Kombinationen, Anpassungen, Anknüpfungen, zeitgemäßen Abwandlungen" (GW III, 568) erläutert. Eklektisch geht Naphta etwa vor in der widerspruchsvollen und aporienreichen Konstruktion eines preußischen Katholizismus spanischer Herkunft, den er zum Vorläufer seines jesuitischen Sozialismus modelliert. Naphtas Changieren zwischen den Extremen, sein Spiel mit dem Paradox verdankt sich auch Spengler. Preußentum und Katholizismus verfügen für Naphta durchaus über ein tertium comparationis, das zum Aus256
Den Begriff übernehme ich von Odo Marquard: Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz in der Philosophie. In: Ders.: Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien. Stuttgart 1981, 23—38.
Preußischer Katholizismus spanischer Herkunft
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druck kommt, als er Hegel zum katholischen Denker erhebt, denn jenseits der konfessionellen Zugehörigkeit Hegels gelte es, ihn als politischen Staatsphilosophen zu betrachten, und der Begriff des Politischen sei mit dem des Katholischen psychologisch verbunden, sie bildeten eine Kategorie, die alles Objektive, Werkhafte, Tätige, Verwirklichende, ins Äußere Wirkende umfasse. Ihr gegenüber stehe die pietistische, aus der Mystik hervorgegangene protestantische Sphäre. Im Jesuitentum, fügte er hinzu, werde das politisch-pädagogische Wesen des Katholizismus evident. (GW III, 613) 257
In Naphtas Überlegungen amalgamieren sich friderizianisch-preußischer Militarismus und jesuitisch-spanischer Katholizismus, „das Exerzierreglement des preußischen Friedrich und des spanischen Loyola, fromm und stramm bis aufs Blut" (GW III, 645). Für Hans Castorp bildet das „Exerzierreglement" von Naphtas Orden, „welcher ja aus Spanien stammte", „eine Art Gegenstück zu dem, welches später der preußische Friedrich für seine Infanterie erlassen" (GW III, 619) hatte. Hans Castorp beschreibt diese spanisch-jesuitische Sphäre Naphtas in Abgrenzung zur russischen der Madame Chauchat: „Hm", überlegt Castorp, Spanien, das liege andererseits ebenso weit von der humanistischen Mitte ab, - nicht nach der weichen, sondern nach der harten Seite; es sei nicht Formlosigkeit, sondern Überform, der Tod als Form, sozusagen, nicht Todesauflösung, sondern Todesstrenge, schwarz, vornehm und blutig, Inquisition, gestärkte Halskrause, Loyola, Eskorial... (GW III, 697) 258
257
258
Dieses Zitat liefert Tholen (Anm. 229) den Grund, um Naphta Nähe zu Carl Schmitt zu attestieren. Ob die bloße Wortübereinstimmung („Begriff des Politischen") in Kombination mit Katholizität schon ausreicht, scheint meines Erachtens, in der sonst so anregenden Studie von Tholen, problematisch, vor allem, wenn man bedenkt, daß Carl Schmitts Studie unter dem Titel Begriff des Politischen erst 1927, also drei Jahre nach Veröffentlichung des Zauberbergs, erschien. Zu Carl Schmitts weltanschaulicher Publizistik in dieser Zeit vgl. Toni Tholen: „Katholische Verschärfung". Zur politischen Philosophie Carl Schmitts. In: Communio 23 (1994), 543-555. Vgl. auch schon Hans Castorps frühere Reflexionen über den Zusammenhang von spanischer Strenge und Priesterlichkeit, bevor er Naphta kennenlernt: „Das spanisch Gottesfürchtige und Demütig-Feierliche und streng Abgezirkelte ist eine sehr würdige Fasson der Menschlichkeit." (GW III, 410) Im Gespräch mit Joachim Ziemßen macht Hans Castorp eine Analogie zwischen spanisch-priesterlichem und militärischem Geist aus: „Und dann habt ihr [i. e. das Militär] die Rangordnung und den Gehorsam und erweist euch umständlich Ehre untereinander, das geschieht in spanischem Geiste, aus Frömmigkeit, ich mag es wohl leiden." (GW III, 410)
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Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"?
Diese spanische Traditionslinie im Preußischen gibt es auch bei Spengler.25 Der spanische Katholizismus wird bei ihm zum weltanschaulichen Ahnen des preußischen Sozialismus erklärt. Der antiindividualistische Vorrang des Dienstes vor dem persönlichen Einzelwohl sowie die militärische Auffassung der Geistlichkeit wird aus dem Spanisch-Katholischen abgeleitet: „Der Spanier fühlt eine große Mission in sich, kein ,Ich', sondern ein ,Es'. Er ist Soldat und Priester" (PuS, 27), heißt es bei Spengler. Auch der Widerstandsgeist vereint bei Spengler Spanien und Preußen: „Das spanische und preußische Volk allein sind gegen Napoleon aufgestanden." (PuS, 27) Für Spengler verkörpert Bismarck Preußen und Spanien in Personalunion, denn Bismarck war der „letzte Staatsmann spanischen Stils" (PuS, 27). Spengler spricht auch vom „spanisch-gotische[n] Stil" (PuS, 27), was Naphtas Wertschätzung der Gotik auch im Spenglerschen Licht deuten läßt. Naphtas Konzept einer militärischen Priesterlichkeit, die nicht beschaulich, sondern aktiv-kämpferisch ist, findet sich bei Spengler vorgebildet im Konzept eines heroischen geistlichen Standes, auf den schon hingewiesen wurde.260 Mönchtum kann für Spengler eindeutig militärisch-heroisches Gepräge haben. Es sei gestattet, folgende Passage aus dem Untergang des Abendlandes ausführlich zu zitieren, weil sie ein heroisch-kämpferisches Mönchtum, wie es Naphta vertritt, detailliert entwirft. Der Bezug zu Raum, Zeit und Tod macht die Passage zur zentralen Quelle für Naphtas Metaphysik des Todes: Um sein Blut zu bezwingen, muß man welches haben. Deshalb gibt es ein Mönchtum großen Stils nur in ritterlichen und kriegerischen Zeiten, und das höchste Symbol für den vollkommenen Sieg des Raumes über die Zeit ist der zum Asketen gewordene Krieger, nicht der geborene Träumer und Schwächling, der von Natur ins Kloster gehört, oder der Gelehrte, der in seiner Stube an einem Moralsystem baut. Man sei doch kein Heuchler - was heute sich Moral nennt, die maßvolle Nächstenliebe und die Betätigung anständiger Gesinnungen oder die Ausübung der Caritas mit dem Hintergedanken der Erwerbung politischer Macht, ist nach dem Maßstabe der Fnihzeit nicht einmal Rittersinn von irgendwelchem Rang. Noch einmal: eine große Moral gibt es nur im Hinblick auf den Tod, aus einer das ganze Wachsein erfüllenden Furcht vor metaphysischen Gründen, aus einer Liebe, die das Leben überwin259
260
Vgl. etwa auch schon im Untergang des Abendlandes die Aneinanderreihung von „spanischen Konquistadoren, [...] preußischen Kurfürsten" (UdA, 445). Vgl. Kapitel 3.1. Inwiefern die Figur des asketischen Priesters auch auf Nietzsche zurückgeht, beleuchtet Michael Hinz: Verfallsanalyse und Utopie. Nietzsche-Rezeption in Thomas Manns „Zauberberg" und in Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften ". St. Ingbert 2000 (= Beiträge zur Robert-Musil-Forschung und zur neueren österreichischen Literatur, 13), 62-65. Erstaunlich ist allerdings, daß sich Hinz nicht mit Josephs wichtiger Arbeit zur Nietzsche-Rezeption im Zauberberg (Anm. 212) auseinandersetzt.
Preußischer Katholizismus spanischer Herkunft
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det, aus dem Bewußtsein, unentrinnbar im Banne eines kausalen Systems heiliger Gebote und Zwecke zu stehen, das man als wahr verehrt und dem man ganz angehören oder entsagen muß. Eine beständige Spannung, Selbstbeobachtung, Selbstprüfung begleitet die Ausübung dieser Moral, die eine Kunst ist und neben der die Welt als Geschichte zu nichts versinkt. Man sei Held oder Heiliger. In der Mitte liegt nicht die Weisheit, sondern die Alltäglichkeit. (UdA, 892f.)
Auch Naphta verachtet die Mäßigung und plädiert für das Extrem; er denkt die Religion vom Tod aus und wurde darob auch schon als „des i Teufels Anwalt" inkriminiert. Religion ist für Naphta eine spezifisch unbürgerliche Angelegenheit, die zum Extrem strebt und das Leben und die Zeit verachtet. Naphta bestärkt Hans Castorp in der Vernachlässigung des Zeitsinnes und fördert dessen Abwendung von der bürgerlichen Alltäglichkeit. All dies findet sich in nuce in der oben zitierten Stelle bei Spengler vorgedacht. Im großen „Kolloquium über Gesundheit und Krankheit, das sich eines Tages, schon stark gegen Weihnachten hin" (GW III, 621) zwischen Settembrini und Naphta entspinnt, erläutert Naphta seine lebensverachtende Religionsauffassung, die sich stark auf Spenglers heroisches Mönchtum bezieht. Religion, so Naphta, habe nichts mit dem Leben zu tun. Das Leben ruhe auf Bedingungen und Grundlagen, die teils der Erkenntnislehre, teils dem moralischen Gebiet angehörten. Die ersteren hießen Zeit, Raum, Kausalität, die letzteren Sittlichkeit und Vernunft. All diese Dinge seien dem religiösen Wesen nicht nur fremd und gleichgültig, sondern sogar feindlich entgegengesetzt; denn sie seien es eben, die das Leben ausmachten, die sogenannte Gesundheit, das heiße: die Erzphilisterei und Urbürgerlichkeit, als deren absolutes, und zwar absolut geniales Gegenteil die religiöse Welt eben zu bestimmen sei. (GW III, 639)
Auch die Zuordnung der „Kausalität" zur Sphäre des ungenialen, zivilisatorischen Lebens verdankt sich Spengler, der die Deszendenz von der Kultur zur Zivilisation spiegelt in der Degeneration der „Schicksalsidee" zum „Kausalitätsprinzip". Spenglers Diktum Schicksal und Kausalität verhalten sich wie Zeit und Raum" (UdA, 155/1 169) hat Mann ebenso markiert wie das Bonmot: „Die Teleologie ist eine Karikatur des Schicksals." (UdA, 157/1 172) Die Figur des Leo Naphta läßt sich nicht auf einen einzigen weltanschaulichen Ahnherren zurückfuhren. In ihr diffundieren zivilisationskritische und konservativ-revolutionäre Zeitströmungen unterschiedlicher Provenienz. Einer dieser ideologischen Stammväter ist Oswald Spengler. Die fatalistische Apokalyptik und der preußisch eingefärbte jesuitische
261
Vgl. Claude David: Naphta, des Teufels Anwalt. In: Thomas Mann 1875-1975. Vorträge in München - Zürich - Lübeck. Hrsg. von Beatrix Bludau, Eckhard Heftrich und Burghard Dedner. Frankfurt a. M. 1977, 250-267.
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Leo Naphta - ein „Untergangster des Abendlandes"?
Sozialismus Naphtas lassen sich auf Spenglers Untergangsforcierung und seinen preußischen Sozialismus zurückfuhren. Leo Naphta mag, wie es Helmut Koopmann ausdrückte, „vieles sein - aber ein wenig ist er auch Spengler".26 Die üppige Spengler-Rezeption im Zauberberg sollte aber nicht dazu verleiten, Thomas Manns Roman des Spenglerismus zu zeihen. Die rein quantitative Belegdichte und Streubreite von Spengler-Bezügen sagt nichts über deren weltanschauliche Aneignung oder Abstoßung aus. Man muß differenzieren, aus welcher Phase der langen Entstehung des Zauberbergs die Spengler-Montagen stammen und wen Thomas Mann sie äußern läßt. Insofern es sich um Figurenrede handelt, können die Spengler-Zitate genauso gut pro- als auch anti-spenglerisch motiviert sein. Ob es sich um eine Hommage an Spengler oder um eine Generalabrechnung mit dem Untergang des Abendlandes handelt, erweist erst der literarische Kontext. Die Quellenkritik bedarf daher der Ergänzung durch eine intertextuelle Analyse. Eine eindeutig affirmative Übernahme Spenglerscher Gedanken findet sich bei den zeitphilosophischen Abschnitten, die Thomas Mann nicht nur Hans Castorp, sondern auch dem Erzähler in den Mund legt. Auch wenn es sich beim Zauberberg oft um einen parodierten Erzähler handelt, der mit seiner eigenen Unzuverlässigkeit ironisch spielt, fügen sich die an Spengler orientierten zeitphilosophischen Passagen jenseits der Ironie konsequent in den Aufbau des Romans.263 Spenglers Reflexionen über das Verhältnis von Raum und Zeit, das Verhältnis zur Ehre und zum Tod, haben Mann tief beeindruckt, und er integriert sie bruchlos in seinen Roman. Mynheer Peeperkorn hingegen ist die Karikatur eines Spenglerschen Cäsaren, mit der Thomas Mann Spenglers diktatorische Größenphantasien ironisiert und „dialogisch" auf sie antwortet. Leo Naphta, in dem sich die politisch unsympathischsten Gedanken Spenglers verdichten, illustriert die politische Gefahr von Spenglers Denken. Daß Naphta bei seinen Untergangsdiagnosen „fast immer recht hat" (GW III, 660), ändert nichts daran. Naphtas Selbstmord könnte auch als ein Hinweis auf die sich selbst richtende Untergangsdiagnose verstanden werden und somit ebenfalls als „dialogisches" Element gelten, mit dem der Zauberberg nicht nur auf den Untergang des Abendlandes referiert, sondern ihn kritisch aufgreift und in Frage stellt. Thomas Mann läßt dabei Settembrini Aspekte seiner eigenen essayistischen Spengler-Kritik formulieren.
262 263
Koopmann (Anm. 230), 283. Zum „parodierten Erzähler" im Zauberberg vgl. Michael Neumann: Thomas Mann. Romane. Berlin 2001 (= Klassiker-Lektüren, 7), 59-62.
Preußischer Katholizismus spanischer Herkunft
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Mit Hans Castorp und Clawdia Chauchat stehen sich in Spenglers Diktion die Kulturen des Abendlandes und Rußlands gegenüber. Thomas Mann übernimmt so von Spengler die weltgeschichtliche Konstellation des untergehenden Abendlandes (Castorp) und der aufziehenden Herrschaft des Ostens (Chauchat). Thomas Mann läßt seinen Helden auch erst einmal der Untergangsversuchung erliegen. Aber schließlich bemüht sich Hans Castorp um Emanzipation und um ein Beharren im Abendländischen. Er löst sich aus den Fängen des russifizierten Zauberbergs, zwar nicht aus eigener Kraft, aber der Krieg eist ihn los. Und hier variiert Thomas Mann Spengler an entscheidender Stelle, der intertextuelle Bezug ist nicht affirmativ, sondern „dialogisch" und kritisch. Hans Castorp läuft nicht zur neuen russischen Kultur über, sondern er verbleibt letztendlich in der untergehenden abendländischen Kultur bis zu seinem eigenen Untergang an der Kriegsfront. Die Untergangsdiagnose des Zauberbergs ist insofern gegen die von Spenglers Untergang des Abendlandes gepolt, als sie nicht wie Spengler den Untergang beschreit, damit er kommt, sondern ihn in einem prophylaktischen Sinne erzählt, damit er „nicht kommt, vorbeugenderweise also, im Sinne geistiger Beschwörung" (GW XI, 841). Der Erzähler des Zauberbergs berichtet als ,,raunende[r] Beschwörer" nicht nur über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sondern in die Diskussionen zwischen Settembrini und Naphta fließt vieles ein, was so erst nach 1918 gedacht wurde.264 Man kann den Zauberberg lesen als einen Abgesang auf das Abendland, aber eben nicht mit triumphalischer Geste ä la Spengler, sondern mit der „melancholischen Ironie", die Thomas Mann bei Spengler zu finden gehofft und dann aber schmerzlich vermißt hatte.265
264
265
Vgl. Raimar Zons: Naphta. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 112 (1993), 231-250. Vgl. Tagebücher (26. Februar 1920), 386f.
5 Schlußbetrachtung
1919/20 war Thomas Mann Spenglerianer. Als Thomas Mann zwischen 1920 und 1922 sukzessive Spenglers Fatalismus und Zivilisationsoptimismus nachvollzog, distanzierte er sich von Spenglers Untergangsforcierung. Bedeutsam für diesen Rezeptionswandel sind neben der Korrespondenz mit Alfred Baeumler und den Diskussionen mit Ernst Bertram, Erich Mareks und Max Weber vor allem das Gespräch mit Georg Merz. Die Schärfe späterer Formulierungen überdeckt aber leicht, daß Mann weiterhin Spenglers Untergang des Abendlandes als großes und bedeutendes Werk schätzte. Mann stritt Spengler nie den literarischen Rang ab, nur die Richtigkeit seiner Prognose. Als Literatur beanspruchte der Untergang des Abendlandes weiterhin Gültigkeit, als wissenschaftliche Studie und Weltanschauungsexaltation lehnte Thomas Mann ihn ab. Der „intellektuale Roman" Spenglers hatte sich wissenschaftlich und politisch, gewissermaßen „intellektual", diskreditiert; seine literarischen Anteile der „Roman" - behielten für Mann an Wert. Als die Buchhandlung Severing & Güldner Thomas Mann 1929 nach den zehn bedeutendsten Büchern der letzten zehn Jahre fragte, nannte Mann den Untergang des Abendlandes an erster Stelle.266 Und noch 1945 machte Thomas Mann deutlich, daß sich für ihn in Spenglers Werk politische Fragwürdigkeit und literarische Faszination vereinen: „I suppose one must count Spengler among the spiritual path-makers of nationalsocialism, admirable through his work ,decline of the occident' is from purely literary viewpoint."267 266
Es folgen Ludwig Klages: Die philosophischen Errungenschaften. Leipzig 1926; Max Scheler: Vom Umsturz der Werte. Leipzig 2 1919; Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionsphilosophie. Leipzig 3 1926; Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Wien 1924—28; Sigmund Freud: Jenseits vom Lustprinzip. Wien 1920; Friedrich Gundolf: Shakespeare. Bd. 1, Berlin 1928; Ernst Bertram: Nietzsche. Berlin "1920; Eugen Dacquö: Urwelt, Sage, Menschheit. München 1924; Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Berlin 1928; Hermann Hesse: Der Steppenwolf. Berlin 1927. Vgl. Brief Thomas Manns an die Buchhandlung Severing & Güldner vom 30. April 1929. In: Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. I, 546f„ Nr. 29/55.
267
Brief Thomas Manns an Harrison Parker vom 9. August 1945 (Anm. 231).
112
Schlußbetrachtung
Trotz der anhaltenden literarischen Faszination war es nach 1933 kaum noch möglich, Spengler nicht primär unter der Perspektive des, sei es nolens oder volens, intellektuellen Wegbereiters des Nationalsozialismus zu betrachten. Manch einer versuchte, ihn sich feixend vom Leib zu schreiben. Leonard Nelson hatte bereits sehr früh eine Parodie auf Spengler verfaßt mit dem ausufernden wie sezierenden Titel: Spuk. Einweihung in das Geheimnis der Wahrsagerkunst Oswald Spenglers und sonnenklarer Beweis der Unwiderlegbarkeit seiner Weissagungen nebst Beiträgen zur Physiognomik des Zeitgeistes. Eine Pflngstgabe für alle Adepten des metaphysischen Schauens.26* Ernst Bloch frotzelte 1935, man brauche Spenglers Kulturphilosophie etwa so notwendig wie in feudalen Zeiten die Hofschranze des „Verwahrers der Schildkröten".269 1945 war vielen Intellektuellen eine solche humoristische Schärfe vergangen. Gottfried Benn ordnete Spengler retrospektiv in dunkel-dräuenden Tönen in jene Untergangsbewegung ein, die Spengler selbst prophezeit hatte, und bestätigte ihn so gleichsam ex post: „Das Zeitalter Goethes hat ausgeleuchtet, von Nietzsche zu Asche verbrannt, von Spengler in die Winde verstreut glimmend und schwelend ist die Luft, aber nicht von Johannis- und Kartoffelfeuern, vielmehr von den brandigen Scheiten der Kulturkreislehre, der eine Kreis versinkt, ein anderer steigt auf, und wir sind die Puppen und Chargenspieler in diesen solaren Stücken."270 Auch in Thomas Manns Leben und Werk blieb Spenglers Einfluß nach dem Zauberberg virulent.271 Gegenüber Paul Valery äußerte sich Mann '770 1931 zu Spenglers Schrift Der Mensch und die Technik. Er mokierte sich über den „Defaitismus" Spenglers und nannte dessen „Nietzsche-Parodie" skandalös.273 An anderer Stelle sprach er von Nietzsches „Verhunzung bei Spengler und Rosenberg".27 Nach 1933 rückte für Thomas Mann Spenglers Verhältnis zum Nationalsozialismus in den Vordergrund 268
269 270
271
272
273
274
Leonard Nelson: Spuk. Einweihung in das Geheimnis der Wahrsagerkunst Oswald Spenglers und sonnenklarer Beweis der Unwiderlegbarkeit seiner Weissagungen nebst Beiträgen zur Physiognomik des Zeitgeistes. Eine Pfingstgabe für alle Adepten metaphysischen Schauens. Leipzig 1921. Bloch (Anm. 169), 322. Gottfried Benn: Soll die Dichtung das Leben bessern? (1955). In: Ders. (Anm. 12), 599f. Helmut Koopmann hat nachgewiesen, inwiefern der Untergang des Abendlandes als negative Folie für den Aufgang des Morgenlandes in Joseph und seine Brüder konstitutiv ist. Vgl. Koopmann (Anm. 21). Vgl. Brief Thomas Manns an Paul Valöry vom 24. Juli 1931. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. 1, 625, Nr. 31/92. Vgl. Briefe Thomas Manns an Gerhard Eschenhagen vom 18. November 1931 und an Wilhelm Emrich vom 20. Juni 1932. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. I, 635, Nr. 31/142 und 663, Nr. 32/98. Tagebücher 1935-1936 (Anm. 27), (8. August 1935), 156.
113
Schlußbetrachtung
des Interesses. Spenglers Jahre der Entscheidung erschien Mann fälschlicherweise als Bekenntnis zum Nationalsozialismus, und er riet Klaus Mann, diese Schrift zu rezensieren: „Jede Zeile von ihm, sagt er, seit 1918 habe dazu dienen sollen und hoffentlich dazu gedient, die Republik 275
zu stürzen. Ja, so war mir auch schon immer." Als Karl Wolfskehl gegenüber Thomas Mann im Juli 1934 Spenglers kritische Haltung gegenüber dem Dritten Reich lobte, „er [i. e. Spengler] stehe ganz allein und beschimpft in Deutschland da", protestierte Thomas Mann noch: Spenglers „Teilhaberschaft an der philosophischen Verrohung vergißt er [i. e. Wolfskehl] darüber"276. Erich Knoche erzählte Thomas Mann im September 1934 von Spenglers Vermutung, daß der „Zusammenbruch des Regimes im Laufe dieses Winters" bevorstehe, was Thomas Mann „Eindruck" machte.277 Hier wurde für Thomas Mann die Distanznahme Spenglers zum Dritten Reich bei gleichzeitiger Sympathie für den italienischen Faschismus einsichtig.278 Deutlich wird auch, daß Mann trotz der Empörung über Spenglers Liebäugeln mit dem Faschismus dessen Geistesschärfe weiter schätzte, wenn er Spengler beschrieb als jemanden, „der gewiß nicht dumm ist". In seinem Tagebuch hielt Mann Knoches Erzählung von Spenglers Begegnungen mit Hitler und Mussolini fest.279 Mit Hans Reisiger unterhielt sich Thomas Mann im Dezember 1934 „über den Abstieg Europas, das Phänomen der Verhunzung ehemaliger Geistes- und Geschichtsphänomene, wie es sich etwa in dem Verhältnis Spenglers zu Nietzsche und Schopenhauer, des Nationalsozialismus zur Reformation erweist", wobei letzterer Vergleich nicht nur gewagt und hi275
276
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279
Brief Thomas Manns an Klaus Mann vom 24. August 1933. In: Klaus Mann: Briefe und Antworten. Bd. 1: 1922-1937. Hrsg. von Martin-Gregor Dellin. München 1975,124f. Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1977, (9. Juli 1934), 465. Tagebücher 1933-1934 (Anm. 276), (1. September 1934), 518f. Spengler nannte Hitler nach 1933 abfällig einen „Fellachenhäuptling". Vgl. Kraft (Anm. 100), 66. „Spengler war vor einiger Zeit ad audiendum verbum bei Hitler. Er war auch bei Mussolini gewesen und verglich. Der Italiener empfängt, sagt im Stehen ein paar freundliche Worte, lädt dann zum Sitzen ein und sagt: .Bitte, äußern Sie sich! Sie können deutsch sprechen!' (Er ist Triestiner.) Hitler läßt den Besucher, einen Mann immerhin wie Sp., überhaupt nicht zu Worte kommen, sondern redet selbst eine Stunde lang ununterbrochen. Dabei hat man das Gefühl, sagen zu müssen: ,Gehen Sie jetzt, junger Mann, und holen Sie Ihren Chef!'- Spengler erzählt: Hitler übt Einfluß auf die Seinen hauptsächlich durch Selbstmord-Drohungen" {Tagebücher 1933-1934 [Anm. 276], [1. September 1934], 519). Diese TagebuchPassage hat Thomas Mann 1935 in Achtung, Europa! (GW XII, 765) eingewirkt; vgl. Kapitel 2, Einleitung.
114
Schlußbetrachtung
storisch schief erscheint, sondern bereits auf den Doktor Fanstus verweist, in dem Thomas Mann die Reformation in eine lange Vorgeschichte des Nationalsozialismus einzugliedern bemüht ist. Spengler verkörpert für Mann den Verfall, den er beschreibt. Bei ihm handelt es sich „nicht mehr um echte Geschichte, sondern um humbughafte und verderbte Nachspiele und Nachahmungen [...], um Schwindelgeschichte." Darüber hinaus enthält aber Spengler für Mann 1934 auch etwas spezifisch Neues, was er noch 1924 in seinem Spengler-Essay heftig bestritten hatte. Damals hatte Spenglers Untergangsdiagnose für Mann „nichts als neunzehntes Jahrhundert, völlig vieux jeu bourgeois durch und durch" (GW X, 179) bedeutet. 1934 erkennt Mann nun das spezifisch Neue an Spenglers Weltanschauung jenseits seines Eklektizismus: „Was, soviel ich sehe, noch nicht da war und keine Nachahmung ist, ist das bewußte Über Bord werfen menschlicher Errungenschaften und das Zurückgehen auf frühere Zustände, der moralische Anachronismus aus Haß auf Vernunft und Fortschritt."280 Dieses Paradox einer atavistischen Neuheit jenseits des Fortschritts, die Mann für Spengler konstatiert, wird konstitutiv für die Figur des Dr. Chaim Breisacher im Doktor Faustus. Die Gespräche mit Wolfskehl, Knoche und Reisiger wirkten nach. Spenglers Distanz zum Dritten Reich (und die Distanz der offiziellen Stellen zu ihm) zeigte sich Thomas Mann eindrücklich bei Spenglers Tod, als Mann 1936 ins Tagebuch notierte: „Unterdessen ist Spengler gestorben, von der deutschen Presse in 10 Zeilen auf der 7. Seite betrauert."281 Im August 1936 las Thomas Mann in der Neuen Rundschau eine Studie über Spengler von Fred Carus und rekapitulierte anläßlich dieses Artikels seine Haltung zu Spengler.282 Die Faszination, die Spenglers „Sinn für den .Verfall'" auf ihn ausgeübt hatte, reflektierte er ebenso wie dessen politische Fragwürdigkeiten. In ehrlicher Introspektion räumte Thomas Mann ein, daß das, „was ihn mir [...] so widerwärtig machte, [...] gerade eine gewisse Verwandtschaft der Herkunft und geistigen Neigungen zwischen uns" war. Analogien der „Herkunft" bildeten die jeweilige Orientierung an Goethe, Nietzsche und Schopenhauer; Gemeinsamkeiten der „geistigen Neigungen" ließen sich in der Faszination des Verfalls ausmachen. Aber neben der Anerkennung einer gemeinsamen literarischen Tradition und ähnlicher weltanschaulicher Tendenzen stand deutlich auch die Abgrenzung von Spenglers Fatalismus und politischen Sympathien mit dem Totalitarismus. Seiner kulturellen Kadaverbegeisterung wegen nann280
281 282
Die letzten Zitate bis auf das von 1924 in: Tagebücher 1933-1934 (Anm. 276), (30. Dezember 1934), 596f. Tagebücher 1935-1936 (Anm. 27), (13. Mai 1936), 300. Fred Carus: Skeptiker und Prophet. Zum Bilde Oswald Spenglers. In: Die neue Rundschau 47/2 (1936), 855-871.
Adornos Spengler
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te Mann Spengler eine „Geschichtshyäne, und wirklich hat seine tiergeistige Person mehr Ähnlichkeit mit einer Hyäne als mit einem Löwen". Spenglers .kraftmeierische' Sprache und Untergangsforcierung rubrizierte Mann als „umgekehrte (und als ungekehrte nicht weniger läppische) Romantik". Mann erinnerte sich an Spenglers „falsche Mißachtung der menschlichen Freiheit", die auch für Leo Naphta im Zauberberg kennzeichnend war. Seine späte Distanzierung von den Nationalsozialisten relativierte für Thomas Mann keineswegs Spenglers Bedeutung als ihr intellektueller Wegbereiter: Spengler „ist früh gestorben, in Gram und Leid, wie ich glaube. Aber er hat gräßlich vorgearbeitet und stieß früh in das Horn, das heute tönt."283 Ernst Bloch schärfte diesen Gedanken 1936 noch weiter zu, als er zum Tod Spenglers anmerkte: „Ein verhinderter Täter ist tot. [...] Ein verhinderter Nero ging dahin, ein Antiquar wider Willen und ein Prophet, der mit sich reden ließ."284
5.1 Adornos Spengler Im Frühjahr 1943 begann Thomas Mann im kalifornischen Exil mit der Arbeit am Doktor Faustus. Im Juli 1943 machte Thomas Mann die Bekanntschaft von Theodor W. Adorno. Wie wichtig Adorno für die musiktheoretischen Passagen des Doktor Faustus geworden ist und wieviel Streit es um diesen Einfluß zwischen den beiden empfindlichen Narzißten Mann und Adorno gab, ist bekannt.285 Katia Mann empörte sich, daß 283
284 285
Die vorigen Zitate alle in: Tagebücher 1935-1936 (Anm. 27), (1. August 1936), 343. Bloch (Anm. 185), 61 und 66. Aus der neueren Literatur seien nur genannt: Mark Ryan Goodale: Music and musical analyses in Thomas Mann's „Doktor Faustus". In: Compar(a)ison 2 (1997), 25-34. Volker Scherliess: Zur Musik im „ Doktor Faustus ". In: „Und was werden die Deutschen sagen??" Thomas Manns Roman „Doktor Faustus". Hrsg. von Hans Wißkirchen und Thomas Sprecher. Lübeck 1997, 113-151. Peter V. Brinkmeyer: Spiegel & Echo. Intermedialität und Musikphilosophie im „Doktor Faustus". Wilrzburg 1997. John-Thomas Siehoff: Thomas Manns „Doktor Faustus ". Studien zur Ästhetik der kritischen Theorie im Exil und Adornos Beitrag zur Kunsttheorie im Roman. Ann Arbour 1995 (=Microfilm). Ulrike Hermanns: Thomas Manns Roman „ Doktor Faustus " im Lichte von Quellen und Kontexten. Frankfurt a. M. 1994. Theodor Göllner: „Wiesengrund". Schönbergs Kritik an Thomas Manns Arietta-Textierungen in Beethovens op. 111. In: Festschrift für Horst Leuchtmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Stephan Hörner und Bernhold Schmid. Tutzing 1993, 161-178. Dietmar und Ruth Strauß: „Sprache eines unbekannten Sterns". Adorno und die Musik im „Doktor Faustus". Saarbrücken 1993. Rolf Tiedemann: „Mitdichtende Einfiihlung". Adornos Beiträge zum
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Schlußbetrachtung
Adorno „doch zuweilen wie närrisch vor Anspruch und Blasiertheit" gewesen war, aber Adorno konnte auch zu recht einigen Anspruch erheben.286 Thomas Mann fühlte sich genötigt, Die Entstehung des „Doktor Faustus", in der er seine unterschiedlichen Quellen partiell offenlegt, zu schreiben, „durch die moralische Notwendigkeit, dem Dr. Adorno Credit zu geben [...] für das, was ich dreist von ihm genommen habe und was er mir, am Musikalischen mitarbeitend, gegeben."287 Der Beethoven-Vortrag Kretzschmars über die Klaviersonate op. 111 im VIII. Kapitel ist beeinflußt von Adornos Schrift über den Spätstil Beethovens-, im XXII. Kapitel entwickelt Leverkühn im freundschaftlichen Gespräch mit Zeitblom seine Theorie der Musik als einen „strengen Satz" (GW VI, 252), die sich an Adornos Analyse der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs anlehnt;289 im XXV. Kapitel ist es der Teufel in der Maske Adornos, „ein Intelligenzler, der über Kunst, über Musik, für die gemeinen Zeitungen schreibt, ein Theoretiker und Kritiker, der selbst komponiert, soweit eben das Denken es ihm erlaubt" (GW VI, 317), der Teile aus Adornos Philosophie der neuen Musik vorträgt, zentriert um die Behauptung, daß die geschichtliche Entwicklung der musikalischen Mittel sich gegen die Idee des Werks selbst gerichtet habe; Leverkühns letztes Werk, die Kantate „Doktor Fausti Weheklag", die Zurücknahme der neunten Symphonie Beethovens, gestaltete Thomas Mann gemeinsam mit Ador„Doktor Faustus" - noch einmal. In: Frankfurter Adorno-Blätter 1 (1992), 9-33. Ehrhard Bahr: Art desires non-art. The dialectics of art in Thomas Mann 's „ Doctor Faustus" in the light of Theodor W. Adorno's „Aestetic theory". In: Thomas Mann's „Doctor Faustus". A novel at the margin of modernism. Edited by Herbert Lehnert and Peter C. Pfeiffer. Columbia 1991 (= Studies in German literature, linguistics, and culture, 45), 145-160. Hans-Rudolf Vaget: Amazing grace. Thomas Mann, Adorno, and the Faust myth. In: Our „Faust"? Roots and ramifications of a German myth. Edited by Reinhold Grimm and Jost Hermand. Madison 1987, 168-189. 286
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Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren. Frankfürt a. M. 1974, 147. Während Georg Lukäcs: Thomas Mann. Berlin 1949, 75, noch behauptete, „die Musik Leverkühns ist selbstverständlich die originelle Schöpfung Thomas Manns", entgegnete Hansjörg Dörr: Thomas Mann und Adorno. Ein Beitrag zur Entstehung des „Doktor Faustus". In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der GörresGesellschaft 11 (1970), 285-322, hier 288, Adorno sei „nicht nur Berater, sondern Wegbereiter, ja Mitautor des .Doktor Faustus'". Brief Thomas Manns an A.M. Frey vom 19. Januar 1952. In: Thomas Mann: Briefe 1948-1965. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1965, 240. Theodor W. Adorno: Spätstil Beethovens. In: Ders.: Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928-1962. Frankfürt a. M. 1964,13-17. Übernahmen aus: Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik Frankfürt a. M. 1958. Und: Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner. In: Ders.: Die musikalischen Monographien. Frankfürt a. M. 1986, 7-148, der Thomas Mann seit Ende Juni 1944 vorlag.
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no. Adorno erinnerte sich, daß er Mann überzeugt habe, daß Leverkühn, „wenn er schon wahnsinnig wird, das Faust-Oratorium zu Ende schreiben darf - bei Mann war es ursprünglich als Fragment geplant".290 Dem Einfluß des ,,teilnehmende[n] Instruktor[s]" (GW XI, 171) Adorno ist es zu verdanken, daß Thomas Mann, dem die atonale Musik zeitlebens fremd blieb, Adrian Leverkühn die Zwölftonmusik erfinden läßt. Wie fern Mann der Klang der unaufgelösten Dissonanz blieb, illustriert ein Brief Manns 1946 an den Dirigenten Bruno Walter, in dem Mann gesteht: „Zum Musiker geboren hätte ich komponiert wie Cesar Franck." 91 Aber Adorno war nicht nur von musikphilosophischer Bedeutung für Mann, sondern vertiefte auch dessen Spengler-Verständnis. Bereits im Dezember 1941 hatte Mann einen „Aufsatz von Adorno über Spengler in Horkheimers Revue" wahrgenommen.292 Nach der Bekanntschaft der beiden übermittelte Adorno Mann 1944 die englische Fassung dieses Aufsatzes, Spengler today, den Mann am 5. Dezember 1944 las und für den er sich am 13. Dezember 1944 bei Adorno bedankte: Es handele sich um eine „eine kluge, erkenntnisvolle Arbeit", lediglich hätte Adorno „die oft alberne Nietzsche-Parodie und die kindische Romantik der Raubtier2Q3 bewunderung" bei Spengler noch stärker kritisieren können. Adornos Aufsatz beruht auf einem Vortrag von 1938, wurde auf englisch 1941 in den Studies in Philosophy and Social Science und auf deutsch 1950 im Monat publiziert.294 Adornos Spengler-Studie ist wichtig für Thomas Manns erneuter Beschäftigung mit dem Untergang des Abendlandes in den 1940er Jahren. Adorno beginnt seine Studie mit einem Rückblick auf den kurzen und meteorhaften Erfolg von Spenglers Untergang des Abendlandes, der schon beim Erscheinen des zweiten Bandes 1922 im Abklingen begriffen gewesen sei. Heidegger erscheint bei Adorno polemisch als Spenglers veredelter Nachfolger, der den Gedanken an Zeit, Tod und Untergang „in 290
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Theodor W. Adorno: Zu einem Porträt von Thomas Mann. In: Ders.: Noten zur Literatur III. Frankfurt a. M. 1965, 19-29, hier 26. Brief Thomas Manns an Bruno Walter vom 15. September 1946. In: Thomas Mann: Briefe 1937-1947. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1963, 504. C6sar Franck kann hier als Metonymie für schwelgerisch blühende Melodik und dunkel gebeizte Romantik diesseits der Atonalität gelten. Thomas Mann: Tagebücher 1940-1943. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1982, (2. Dezember 1941), 355. Thomas Mann: Tagebücher 1944-1.4.1946. Hrsg. von Inge Jens. Frankfurt a. M. 1986, (5. Dezember 1944), 131. Brief Thomas Manns an Theodor W. Adorno vom 13. Dezember 1944. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. III, 99, Nr. 44/489. Zitiert wird im folgenden die deutsche Fassung: Theodor W. Adorno: Spengler nach dem Untergang. In: Ders.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1976, 51-81. Im folgenden abgekürzt: SU.
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Schlußbetrachtung
ein akademisches Betriebsgeheimnis zu verwandeln" (SU, 51 f.) wußte. Gegen die abnehmende Unpopularität stellt Adorno die Frage, ob Spengler nicht möglicherweise doch recht habe, ob die Zeitgeschichte nicht Spenglers Abstiegs-These vollzöge und ob die „Machtergreifung" der Nationalsozialisten nicht einen Untergang des Abendlandes bedeute: „Je mehr aber die Welt nach seinem [i. e. Spenglers] Rhythmus marschierte, um so dringlicher wäre es, dem Sinn jener Sätze sich zu stellen, die ein Schicksal der Menschheit proklamiert haben, das mit dem Mord an Millionen noch die düstere Prophezeiung seiner selbst überboten hat." (SU, 53) Spenglers Cäsarismus-Vorhersage durchleuchtet Adorno, und er zeigt sich von ihrem politischen Gehalt, daß nämlich „gewisse Tendenzen der Demokratie [beständen], aus sich heraus in Diktatur umzuschlagen" (SU, 54), beeindruckt. Gleichzeitig mokiert sich Adorno aber über die ökonomische Unbedarftheit von Spenglers Theorie, die so fasziniert ist von der Symbolkraft des Geldes, „daß er darüber das Symbol zur Sache selbst macht" (SU, 74). Ein solches Bramarbasieren ist für Adorno dilettantisch und vergleichbar dem Ton, „in dem ein kleinbürgerlicher Agitator gegen die Weltverschwörung der Börse loszieht" (SU, 74). Zivilisation bedeutet auch Urbanisierung, oder wie Spengler es formuliert: „Der Steinkoloß , Weltstadt' steht am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur. [...] Zivilisation [ist] der Sieg der Stadt" (UdA, 673 und 684). Diese Verstädterungsdiagnose, die mit Bedauern über Entfremdung verknüpft wird, bringt Adorno in Verbindung mit Werner Sombarts Broschüre Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?195 Den Städtebewohner als neuen Nomaden einzuordnen, reflektiert die Migrationsbewegungen der Moderne und illustriert für Adorno die Angst vor Entfremdung und Geschichtslosigkeit. Sehr hellsichtig erscheint Adorno, wie Spengler den Umgang der städtischen Massen mit ihrer neu erworbenen Freizeit beschreibt.296 Auch die Rolle der Medien in einem diktatorialen System scheint Adorno von Spengler luzide erfaßt: „Es ließe sich sagen, daß er an der Presse Züge gewahrte, die erst das Radio völlig ausgebildet hat." (SU, 56) Die Manipulation der Massen in der Diktatur durch Presse und Propaganda sei von Spengler richtig vorhergesagt worden; und Adorno gipfelt: „Spengler hat Goebbels prophezeit." (SU, 58) Die Planung der Kriegsbereitschaft könne man bei Spengler nachlesen, und auch die Degeneration der Partei zur Gefolgschaft in der Diktatur sei von Spengler richtig analysiert worden, wobei Adorno hier Spengler von 295
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Werner Sombart: Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus? Tübingen 1906 (= Durchgesehener Abdruck aus dem 21. Band des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik). Vgl. Kapitel 3, Einleitung.
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Robert Michels inspiriert sieht.297 Adorno relativiert Spenglers Originalität, indem er ihn mit anderen zyklischen Geschichtstheorien vergleicht und Machiavelli dagegensetzt. Der Abscheu vor der Intellektualität läßt Spengler nicht nur deren Niedergang verkünden, sondern auch ein Verdikt über sie sprechen. Der Abstiegsfeststellung folgt ein Gebot, den Abstieg zu beschleunigen. Sein und Sollen vermischen sich in Spenglers kulturgeschichtlichem Abriß: „Die Prognose vom Absterben der Denkkraft kulminiert im Denkverbot, das sich mit der Unausweichlichkeit des Geschichtsverlaufs zu legitimieren trachtet." (SU, 63) Adorno kreidet Spengler an, daß sich seine Niedergangstheorie nicht nur auf Kulturen beschränke, sondern daß er sie auch, methodologisch unscharf, auf den menschlichen Charakter ausdehne: Menschenkenntnis bedeute für Spengler Menschenverachtung. Adorno entsetzt sich über Spenglers „unverhohlene Freude an den tatsächlichen Menschenopfern" (SU, 64). Sozialdarwinistisches Schwärmen von der Herrschaft der großen Einzelnen ordnet Adorno in eine pervertierte idealistische Traditionslinie ein. Die Interdisziplinarität Spenglers sieht Adorno zugleich als dessen Stärke und Schwäche, als Stärke, weil nur sie ihm den großen Wurf einer epochen- und länderübergreifenden Darstellung ermöglicht, und als Schwäche, weil er einzelwissenschaftlich und en detail den Nachweis seiner Theorie schuldig bleibt. Es bleibt bei einer überdimensionalen Hypothese: Zeigt Spengler einer detaillistischen Einzelwissenschaft sich überlegen durch Perspektive und Großzügigkeit der Kategorien, so ist er unterlegen zugleich durch eben diese Großzügigkeit, die erreicht wird, indem er die Dialektik von Begriff und Einzelheit niemals ehrlich austrägt, sondern umgeht durch einen Schematismus, der sich der .Tatsache' generell und ideologisch zur Niederschmetterung des Gedankens bedient, ohne ihr jemals mehr als den ersten zuordnenden Blick zu widmen. (SU, 65)
Adorno kennzeichnet diese Argumentationstaktik als „Ostentation und Aufgeblasenheit" (SU, 65), und er bemängelt Spenglers fehlenden Blick für das Besondere, die historische Einzelheit, die die Kategorien verifizieren oder falsifizieren sollte. Diese kulturhistorische Umschiffung der Ausnahme und des Details rubriziert Adorno als totalitären Zug. Gleich-
297
Vgl. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Leipzig 1911 (= Philosophisch-soziologische Bücherei, 21). Hierzu Timm Genett: Vom Zivilisierungsagenten zur Gefolgschaft. Die Masse im politischen Denken Robert Michels. In: Masse - Macht - Emotionen. Zu einer politischen Soziologie der Emotionen. Hrsg. von Ansgar Klein und Frank Nullmeier. Opladen 1999, 116-136.
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Schlußbetrachtung
zeitig ist Spengler im Umgang mit den einzelnen Wissenschaften jener Eklektizismus vorzuwerfen, den er als Stigma der zivilisatorischen Endzeit beschreibt. Der Untergang des Abendlandes wäre somit nicht nur eine Beschreibung, sondern auch ein Produkt eben diesen Untergangs. „Wollte man Spengler selbst in der Formensprache der von ihm denunzierten Zivilisation und in seiner Manier benennen, so müßte man den ,Untergang des Abendlandes' einem Warenhaus vergleichen, wo die getrockneten Lesefrüchte feilgeboten werden, die der intellektuelle Disponent von der Konkursmasse der Kultur billig zusammengerafft hat." (SU, 67) Adorno ordnet dies sozialgeschichtlich als Verunsicherung eines „mittelständlerischen deutschen Gelehrten" (SU, 67) ein, der seine schwindende Kompetenz beobachtet und ängstlich darum bemüht ist, neue Orientierung und Sinnstiftungspotentiale zu finden. Die Selbstanklage des Intellektuellen als Intellektuellen hatte bereits Tucholsky bei Spengler als Heuchelei erzürnt: „Dieser Dschingis Khan z. D. wäre ja nicht einmal imstande, eine kleine Klosettfabrik anständig zu leiten, denkt aber in Äonen und Kontinenten und will uns weismachen, rücksichtsloses Geschreibe sei Feldherrenenergie und Tatwille."298 Adorno analysiert diese literarische Selbstkasteiung als eine Suche nach neuen Betätigungsfeldern für abgehalfterte Intellektuelle im 20. Jahrhundert, die sich bemühen, vom Geist zur Macht überzuwechseln: Die Erkenntnis von der Hilflosigkeit der liberalen Intellektuellen unterm Schatten der heraufziehenden totalitären Macht läßt ihn zum Überläufer werden. Durch Selbstdenunziation macht der Geist sich tauglich, antiideologische Ideologien zu liefern. Hinter der Spenglerschen Proklamation des Untergangs der Kultur steht der Wunsch als Vater des Gedankens. Der Geist, der sich verneint und auf die Seite der Gewalt stellt, hofft auf Pardon. (SU, 67)
Adorno vermutet hinter dem Programm der kulturellen Selbstvernichtung, hinter Spenglers Empfehlung an die Jugend, sich von den schönen Künsten ab- und Militär und Technik zuzuwenden, stehe die Angst, daß Kultur in der Diktatur ihre schmückende Funktion verlöre und zum Bollwerk gegen das Regime avancieren könne. Ob Spengler wirklich so vorausschauend dachte und in seinem Kulturverdikt bereits auf Diktaturschutz erpicht war, wie das Adorno mutmaßt, bleibt fraglich. Spenglers Kult der Faktizität und seine Begeisterung für die Tatsachen gegenüber den bloßen Ideen hatte schon Fred Carus 1936 in der Neuen Rundschau kritisch beleuchtet.299 Adorno macht in diesem Zusammenhang auf ein Mißverhältnis aufmerksam: Auf der einen Seite steht bei Spengler die nonchalant großspurige Vernachlässigung der Tatsache als 298 299
Tucholsky (Anm. 5), 226. Carus (Anm. 282), 858-862.
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historische Einzelheit, insofern sie Spenglers Kategoriengebäude torpediert. Auf der anderen Seite betreibt Spengler aber einen wahren Tatsachenkult und verweist Wünschbarkeiten des weltgeschichtlichen Platzes. Mit Hegels Diktum („Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig"300) hat das für Adorno nichts mehr zu tun: „Das Hegeische Pathos des sinnvollen Wirklichen und der Spott gegen den Weltverbesserer wird festgehalten, während zugleich das nackte Herrschaftsdenken der Wirklichkeit den Anspruch auf Sinn und Vernunft raubt, in dem das Hegeische Pathos allein gründet. Vernunft und Unvernunft der Geschichte sind für Spengler das gleiche, reine Herrschaft, und Tatsache ist, worin diese sich manifestiert." (SU, 70) Deutlich wird, wie sehr Adorno bemüht ist, Spenglers Untergangsthese mit seiner Vorstellung von einer Dialektik der Aufklärung in Einklang zu bringen.301 Bei aller Kritik konzediert Adorno, daß Spengler zu jenen „Theoretikern der extremen Reaktion [zählt], deren Kritik des Liberalismus der progressiven sich in vielen Stücken überlegen zeigte" (SU, 70f.), weil Spengler nicht genötigt war, an Grundwerten des Liberalismus festzuhalten. Die linke Liberalismus-Kritik, so Adorno, habe weiter die Ideen der Menschlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit proklamiert, nur nicht geglaubt, daß die bürgerliche Gesellschaft ihr eigentlicher Träger sei. Dabei habe sie aber die Dialektik der Aufklärung mißachtet und die Möglichkeit eines Rückfalls in die Barbarei vernachlässigt. Spengler hingegen konnte kompromißlos gegen den Liberalismus ins rhetorische Feld ziehen, ohne weltanschauliche Restbestände sichern zu müssen. Damit wird Spengler für Adorno nicht nur zum vagen Künder des dialektischen Umschlags der Aufklärung in ihr Gegenteil, sondern zu einem ihrer erfolgreichsten Betreiber, zu ihrem intellektuellen Wegbereiter. Sein Anteil an diesem Umschlag ist aktiv zu bewerten: „Spengler und seinesgleichen sind weniger die Propheten des Zuges, den der Weltgeist nimmt, als seine beflissenen Agenten." (SU, 72) Um ihn des alttestamentarischen Nimbus zu entkleiden, degradiert Adorno Spengler vom religiösen Propheten zum profanen Wahrsager und holt ihn wieder aus der überzeitlichen SeherPose in die sozialgeschichtliche Realität: „Er ist mehr ein Wahrsager als ein Prophet. In der gigantischen und destruktiven Wahrsagerei triumphiert der Kleinbürger."302 (SU, 72) 300
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Mit Hegels eigenhändigen Randbemerkungen in seinem Handexemplar der Rechtsphilosophie. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg 4 1955, 14. „Spengler sieht etwas vom Doppelcharakter der Aufklärung im Zeitalter universaler Herrschaft." (SU, 57) Adorno assoziiert zu Spenglers kleinbürgerlichem Ansinnen die Graphologie von Ludwig Klages: „Im Wunsch des Kleinbürgers, aus der Handschrift, dem Vergangenen und den Karten sein Schicksal sich vorhersagen zu lassen, steckt eben,
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Schlußbetrachtung
E i n i g e M ü h e verwendet A d o r n o a u f Spenglers D e u t u n g als Positivist oder Metaphysiker. S e i n Kult der Tatsache läßt ihn positivistisch erscheinen, z u g l e i c h taucht aber seine Schicksalsverblasenheit sein D e n k g e b ä u de in m e t a p h y s i s c h e s Dunkel. 3 0 3 U n d z u d i e s e m Schicksalsglauben tritt n o c h „Spenglers A u f f a s s u n g v o n der b e w e g e n d e n Kraft der Geschichte, v o m , S e e l e n t u m ' : v o n der rätselhaften, durchaus innerlichen, unerklärlich j e w e i l s in die G e s c h i c h t e eintretenden B e s c h a f f e n h e i t eines besonderen Typus M e n s c h oder, w i e Spengler e s gelegentlich nennt, einer , R a s s e ' " ( S U , 7 3 ) . Spengler w i d m e t e der Darstellung der „apollinischen, faustis c h e n und m a g i s c h e n S e e l e " ( U d A , 2 3 4 - 2 8 1 ) und der Explikation der „Form der S e e l e " ( U d A , 3 8 1 - 4 3 3 ) überhaupt viel Platz. 3 0 4 E i n e s o l c h e Metaphysik der pflanzenhaft sich entfaltenden und absterbenden Kollektivseele rückt Spengler für A d o r n o in die N ä h e der Lebensphilosophie v o n G e o r g S i m m e l und Henri Bergson. 3 0 5 A d o r n o wirft Spengler eine Ä s thetisierung der Weltgeschichte vor, die den „Anteil der Lebensnot an der G e s c h i c h t e " ( S U , 7 4 ) verkenne. Universalgeschichte v e r k o m m e bei ihm
was Spengler den Opfern hämisch ankreidet: der Verzicht auf bewußte Selbstbestimmung." (SU, 72f.) Vgl. Ludwig Klages: Graphologie. Leipzig 4 1949. Ders.: Was die Graphologie nicht kann. Ein Brief. Zürich 1949. Hierzu etwa: Esther M. Dosch: Die Entwicklung des Seelebegriffs und seine Auswirkung auf die Graphologie der ersten Jahrhunderthälfte. In: Zeitschrift für Menschenkunde 59 (1995), 206-218. Franz Tenigl: Einige Erläuterungen zur Graphologie von Ludwig Klages. In: Zeitschrift für Menschenkunde 54 (1990), 38-46. Ursula Av6-Lallement (Hrsg.): Die vier deutschen Schulen der Graphologie. Klages, Pophal, Heiss, Pulver. München 1989. Thomas Behnke: Naturhermeneutik und physiognomisches Weltbild. Die Naturphilosophie von Ludwig Klages. Regensburg 1999 (= Theorie und Forschung, 632; Philosophie, 37). 303
304
305
„Positivistisch ist seine Metaphysik im Sich-Bescheiden bei dem, was nun einmal so und nicht anders ist; im Abschneiden der Möglichkeit, im Haß gegen ein Denken, dem es mit dem Möglichen gegen das Wirkliche ernst sein könnte." (SU, 73) Zum Begriff des Magischen vgl. zeitgenössisch Carl H. Becker: Spenglers Magische Kultur. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 2 (1923), 255-271. Vgl. Georg Simmel: Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Eine erkenntnistheoretische Studie. Leipzig 1892. Ders: Vom Wesen des historischen Verstehens. Berlin 1918 (= Geschichtliche Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, 5). Hierzu: Uwe Barrelmeyer: Geschichtliche Wirklichkeit als Problem. Untersuchungen zu geschichtstheoretischen Begründungen historischen Wissens bei Johann Gustav Droysen, Georg Simmel und Max Weber. Münster 1997 (= Beiträge zur Geschichte der Soziologie, 9). Thomas Jatzkowski: Die Theorie kulturell-historischen Verstehens bei Wilhelm Dilthey und Georg Simmel. Herdecke 1998. Henri Bergson: L'evolution creatrice. Paris 4 1908. Hierzu: Yvette Conry: L'evolution creatrice d'Henri Bergson. Investigations critiques. Paris 2000 (= Epistömologie et philosophie des sciences).
Adornos Spengler
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zur Stilgeschichte: „Die historischen Schicksale der Menschheit sind [bei Spengler] so sehr das Produkt ihrer Innerlichkeit wie die Kunstwerke." (SU, 74) Wirtschaftliche Verfaßtheiten schrumpfen bei Spengler zu bloßen Ausdrucksformen eines seelischen Zustandes. Adorno mokiert sich darüber, daß bei Spengler sich „alles Auswendige zum Bild des Inwendigen" (SU, 75) verwandelt. Aber dieser inwendige Zustand ist bei Spengler nicht die Folge einer freien menschlichen Entscheidung, sondern wieder nur Produkt einer überindividuellen Kulturseele. Adorno zitiert Karl Joels Spengler-Kritik und betont, daß eine solche Verinnerlichung die Geschichte dennoch entmenschliche, weil es eine willen- und freiheitslose Verinnerlichung sei.306 Geschichte ist nicht mehr das Feld freier menschlicher Entscheidungen, sondern sie wird gleichsam naturalisiert, sie verwandelt sich „in zweite Natur, blind, auswegslos und verhängnisvoll wie nur je das vegetabilische Leben" (SU, 76). Eine solche freiheitslose, naturalisierte Verinnerlichung leistet aber, nach Adorno, einer reinen Machtphilosophie Vorschub, die reale Geschichte „ideologisch zu Seelengeschichte" (SU, 77) verklärt. Immer wenn Spengler vom Schicksal rede, meine er die „Unterwerfung einer Gruppe von Menschen durch andere" (SU, 78). Das Konzept der seelischen Verinnerlichung verbrämt für Adorno nur Spenglers machtstaatlichen Sozialdarwinismus: „Die Seelenmetaphysik tritt zum Positivismus hinzu, um das Prinzip der unablässig sich reproduzierenden Herrschaft als ewig und unausweichlich zu hypostasieren. Die Unausweichlichkeit des Schicksals ist in Wahrheit definiert durch Herrschaft und Ungerechtigkeit selber, und das vertuscht Spenglers Weltordnung." (SU, 78) Der Untergang, den Spengler prognostiziert, ist für Adorno verhinderbar, wenn man die herrschaftlichen und die wirtschaftlichen Verhältnisse rechtzeitig ändert. Hier übernimmt Adorno James Shotwells SpenglerKritik. Daß Kultur vergänglich ist, daran habe Spengler zu recht gemahnt. Deshalb sei blauäugiger Optimismus das falscheste Mittel gegen Spengler. Es genüge nicht, „die Barbarei zu diffamieren und auf die Gesundheit der Kultur sich zu verlassen - eine Vertrauensseligkeit, in deren Angesicht Spengler hohnlachen könnte" (SU, 80). Für Adorno muß man der Dialektik der Aufklärung gewärtig sein und „das Element der Barbarei an der Kultur selber [...] durchdringen." (SU, 80) Zu dementieren, daß ein solches barbarisches Element der Kultur inhärent sei, sich auf die Kultur „verlassen und den Untergang verleugnen, heißt nur ihrer tödlichen Ver306
Karl Joel: Die Philosophie in Spenglers „ Untergang des Abendlandes". In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur 9 (1920/21), 135-170. Ders.: Zum zweiten Band Spenglers. Kritik an seinen Begriffen. In: Wissen und Leben 16 (1923), 561-575.
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strickung um so tiefer verfallen" (SU, 81). Gegen das bloße Dementi setzt Adorno das aktive Aufbegehren. „Die ohnmächtig, nach Spenglers Gebot, von Geschichte beiseite geworfen und vernichtet werden, verkörpern negativ in der Negativität dieser Kultur, was deren Diktat zu brechen und dem Grauen der Vorgeschichte sein Ende zu bereiten wie schwach auch immer verheißt." (SU, 81) Dialektisch erkennt Adorno im Untergang antithetische Möglichkeiten zu dessen Überwindung: „Gegen den Untergang des Abendlandes steht nicht die auferstandene Kultur, sondern die Utopie, die im Bilde der untergehenden wortlos fragend beschlossen liegt." (SU, 81)
5.2 Spengler im Doktor Faustus Thomas Mann bedurfte selbstverständlich nicht Spenglers zur Vermittlung des Faust-Stoffes. Aber Spengler präsentierte Thomas Mann den Faust-Stoff in eigentümlicher Verknüpfung mit nationaler Überheblichkeit einerseits und mit einer kulturgeschichtlichen Untergangstheorie andererseits. Und dies barg einigen Quellenwert für den DeutschlandRoman Manns. In Spenglers Untergang des Abendlandes präsentierte sich das Faustische bereits hoch ideologisiert, zum Barbarischen disponiert und den eigenen Abstieg prophezeiend. So wie die Antike von der „apollinischen Seele" bestimmt worden sei, walte, nach Spengler, im Abendland die ,,faustische Seele, deren Ursymbol der reine grenzenlose Raum und deren ,Leib' die abendländische Kultur ist, wie sie mit der Geburt des romanischen Stils im 10. Jahrhundert in den nordischen Ebenen zwischen Elbe und Tajo aufblühte" (UdA, 234). Faustisch ist für Spengler die Kunst der Fuge, „die Dynamik Galileis, die katholisch-protestantische Dogmatik, die großen Dynastien der Barockzeit mit ihrer Kabinettspolitik, das Schicksal Lears und das Ideal der Madonna von Dantes Beatrice bis zum Schlüsse des zweiten Faust" (UdA, 235). Faustisch ist für Spengler auch eine Selbstbespiegelung, wie sie Zeitblom vornehmen wird, „ein Dasein, das mit tiefster Bewußtheit geführt wird, das sich selbst zusieht, eine entschlossen persönliche Kultur der Memoiren, Reflexionen, der Rück- und Ausblicke und des Gewissens" (UdA, 235). Seinen preußischen Sozialismus bezeichnete Spengler ebenfalls als faustisch. Hier wurde die Ideologisierung am deutlichsten in der Disposition zum Geistesaristokratismus, zur Verachtung der Massen und zur Propagierung einer strikten Unterordnung des Einzelnen unter
307
Vgl. Dabezies (Anm. 22).
Spengler im Doktor Faustus
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seine Pflicht für die Gemeinschaft.308 Sozialismus ist für Spengler das „irreligiös gewordene faustische Lebensgefühl" (UdA, 459/1, 521). Was für Thomas Manns Konzeption des Doktor Faustus nun aber entscheidend sein dürfte, ist die Verbindung des Faustischen mit der Musik.309 Sie erscheint bei Spengler als die eigentliche der abendländischen Ausdrucksformen: „Damit beherrscht die faustische Musik alle andern Künste." (UdA, 298) Die faustische Musik gibt sich aristokratisch und exklusiv, so wie auch Leverkühns Musik später äußerst unpopulär erscheint: „Eine faustische Kunst ist nicht für alle" (UdA, 314/1, 347), ein Diktum, das Thomas Mann in seinem Exemplar des Untergang des Abendlandes markierte. Die Musik ist für Spengler der „letzte, herbsthaft sonnige, vollkommene Ausdruck großen Stils der abendländischen Seele." (UdA, 299) Das 19. Jahrhundert begreift Spengler bereits als Ausklang abendländischen Kompositionsvermögens. Wagners Chromatik bildet den Abschluß des abendländischen Komponierens. Mann strich Spenglers Wagner-Kommentar an: „Im .Tristan' stirbt die letzte der faustischen Künste. Dies Werk ist der riesenhafte Schlußstein der abendländischen Musik." (UdA, 374/1, 409) Hier wird Adrian Leverkühn einsetzen, wenn er erkennt, daß die bisherigen musikalischen Techniken erschöpft sind und wenn er dementsprechend nicht versucht, die Verfeinerung weiterzutreiben, sondern auf einen vorharmonischen Anfang zurückzugehen. - Jenseits dieser Analogie über das Faustische im Großen finden sich im Doktor Faustus aber noch sehr viel konkretere Verbindungen zu Spenglers Untergang des Abendlandes.
5.2.1
Breisacher als Agent des Untergangs
Im XXVIII. Kapitel des Doktor Faustus erscheint kurz vor dem Ersten Weltkrieg im Münchener Salon der Frau Schlaginhaufen der Privatgelehrte Dr. Chaim Breisacher. Er hält dort konservativ-revolutionäre Rodomontaden avant la lettre und bringt mit diesen den altkonservativen Generalintendanten Exzellenz von Riedesel derart aus dem weltanschaulichen Gleichgewicht, „daß er sogar sein Monokel aus dem Auge nahm, wodurch sein Gesicht jedes Schimmers von Intelligenz beraubt war" (GW VI, 374). Breisacher stellt einen Jungkonservatismus vor, „bei dem es
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„Der Sozialismus - in seinem höheren Sinne, nicht in dem der Gasse - ist wie alles Faustische ein exklusives Ideal, das seine Volkstümlichkeit nur einem vollkommenen Mißverständnis auch unter den Wortführern verdankt, daß er nämlich ein Inbegriff von Rechten, nicht von Pflichten, daß er eine Beseitigung, nicht eine Verschärfung des kantischen Imperativs, ein Nachlassen, nicht ein Höherspannen der Richtungsenergie sei" (UdA, 448/1, 500, von Mann markiert). Vgl. Koopmann (Anm. 21).
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Schlußbetrachtung
sich nicht sowohl um ein ,Noch' als um ein , Schon wieder' handelte, einen nach- und gegenrevolutionären Konservativismus, ein Frondieren gegen bürgerlich-liberale Wertsetzungen von der anderen Seite, nicht von vorher, sondern von nachher" (GW VI, 370). Breisacher philosophiert aus dem Stegreif äußerst aggressiv über Malerei, Musik und jüdische Religion und wirbelt dabei virtuos die herkömmlichen Begriffe von „konservativ" und „fortschrittlich" durcheinander. Er gibt sich als agent provocateur der „Barbarei" und plädiert für den Atavismus und das Weitertreiben der ausdifferenzierten Moderne in eine Regression als den wahren Konservatismus. Das Paradox ist die Breisacher gemäße Ausdrucksform: Frau Schlaginhaufen schätzt Breisachers „dialektische Redefertigkeit, die übrigens stark pfalzerisch getönt war, und seine Paradoxaliät, die die Damen mit einer Art von prüdem Jubel die Hände über den Kopf zusammenschlagen ließ" (GW VI, 370f.). Zeitblom mag Breisacher hingegen „nicht im mindesten, sah immer einen intellektuellen Quertreiber in ihm" (GW VI, 371). Wie Leverkühn zu Breisacher steht, bleibt erst einmal offen. Zeitblom mutmaßt zwar, „daß er auch Adrianen widerwärtig war", aber es kommt „niemals zu einem näheren Austausch zwischen uns über Breisacher" (GW VI, 371). Als Zeitblom einläßlich eines musikphilosophischen Brouillons von Breisacher „nach Adrians Augen bei diesen ärgerlichen Reden sucht", weicht Leverkühn aus und gewährt „mir nicht seinen Blick" (GW VI, 373). Zeitblom sucht mit dem Blick Leverkühns Zustimmung gegen Breisacher, findet sie aber nicht. Die Frage, ob für den jüdischen, konservativen Revolutionär Dr. Chaim Breisacher im Doktor Faustus Oskar Goldberg, Theodor Lessing oder Oswald Spengler intertextuell Pate stand, ist ein beliebtes Tummelfeld für Germanisten im „archivalischen Gewühle". Steht Heinz Sauereßig mit seinem Plädoyer für Theodor Lessing als Vorbild Breisachers recht allein an der quellenkritischen Front,310 plädieren für Spengler als Vorlage Helmut Jendreieck, Terence J. Reed, Johannes Krey und Helmut Koopmann.311 Dagegen bringen Stephane Moses, Manfred Voigt, und jüngst mit einiger Vehemenz Christian Hülshörster, den Orientalisten Oskar Goldberg ins argumentative Feld.312 Eckhard Heftrich vermittelt über310
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312
Heinz Sauereßig: Die Welt des Doktor Faustus. Personen und Landschaften in Thomas Manns Roman. In: Die Lesestunde 13 (1964), 72-75, hier 74. Helmut Jendreieck: Thomas Mann. Der demokratische Roman. Düsseldorf 1977, 429 und 468. Terence J. Reed: Thomas Mann. The Uses of Tradition. Oxford 1974, 378. Krey (Anm. 147), 312. Koopmann (Anm. 21). St£phane Mosös: Thomas Mann und der Mythos des Hebräertums. In: Ders.: Spuren der Schrift. Von Goethe bis Celan. Frankfurt a. M. 1987, 111-133. Manfred Voigts: Oskar Goldberg und Thomas Mann. Die Revision eines Fehlurteils. In: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur. Interdisziplinäres Symposion der Werner-Reimers-Stiftung Bad Homburg. Hrsg.
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127
zeugend zwischen den Positionen und betont eine „Grundsubstanz Goldberg" mit einem „Schuß Spengler". 313 Daß Goldberg und Spengler in einem Zusammenhang des Duktus, des Themas und der ideologischen Stoßrichtung stehen und somit eine doppelte weltanschauliche Verwandtschaft mit Breisacher durchaus denkbar ist, erläutert ein Tagebucheintrag Thomas Manns vom 14. August 1945: „In Goldbergs .Hebräern' - aus Widerwillen. Er hat die Arroganz und Süffisanz Spenglers, ohne im entferntesten schreiben zu können, wie er. Seine Abkanzelung Salomos, Davids und der Propheten sehr komisch." 314 „Komisch" erscheint Breisacher nur bedingt (bis vielleicht auf seinen Pfälzer Dialekt, der nicht so recht zu seiner weltanschaulichen Unerbittlichkeit zu passen scheint),315 aber er redet des langen und breiten über das Judentum, über Salomo und die Propheten. Diese Passagen zur jüdischen Religion sind aus Oskar Goldbergs Studie Die Wirklichkeit der Hebräer von 1925 montiert.316 Der sich für mystische Esoterik und die Kabbala begeisternde Goldberg nannte die Hebräer ein „metaphysisches Volk" mit dem „biologischen Zentrum" ihres Gottes. Das spätere Judentum habe die magische Macht der Hebräer verloren. Goldberg beschreibt die Entwicklung vom hebräischen Ritual zur jüdischen Religion als eine dekadente Universalisierung und Abstrahierung. Religionsgeschichte ist für Goldberg Abstiegsgeschichte, wie für von Hans Otto Horch und Horst Denkler. Bd. 3. Tübingen 1993, 363-379. Ders.: Oskar Goldberg. Der mythische Experimentalwissenschaftler. Ein verdrängtes Kapitel jüdischer Geschichte. Berlin 1992. Christian Hülshörster: Thomas Mann und Oskar Goldbergs „Wirklichkeit der Hebräer". Frankfurt a. M. 1999 (= Thomas Mann-Studien, 21). 313
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Vgl. Eckhard Heftrich: Joseph und seine Brüder. In: Koopmann (Anm. 156), 447-474, hier 457. Vgl. auch ders.: Vom Verfall zur Apokalypse. Über Thomas Mann. Bd. 2. Frankfurt a. M. 1982 (= Das Abendland, N.F. 14), 229. Tagebücher 1944-1.4.1946 {Anm. 293), (14. August 1945), 241. Komisch ist hingegen die Auseinandersetzung des eloquenten Breisachers mit dem leicht trotteligen Riedesel, der nicht weiß, wie ihm geschieht, als er in seiner Konservativst Uberholt wird. Thomas Mann bekennt, es sei für ihn unwiderstehlich gewesen, Breisachers Jungkonservatismus „mit dem alten, echten, braven, blöden Konservativismus einer Excellenz von Riedesel zu konfrontieren. Das ergab Komik, die diesem Buch bitter nottat." (Brief Thomas Manns an Jonas Lesser vom 10. Februar 1952. In: Dichter über ihre Dichtungen, Bd. 14/111: Thomas Mann. Hrsg. von Hans Wysling unter Mitwirkung von Marianne Fischer. München und Frankfurt a. M. 1981, 270). Oskar Goldberg: Die Wirklichkeit der Hebräer. Einleitung in das System des Pentateuch. Berlin 1925. Vgl. Hülshörster (Anm. 312), 247-259. Den Einfluß Goldbergs auf Joseph und seine Brüder beleuchtet Helmut Koopmann: Ein „Mystiker und Faschist" als Ideenlieferant für Thomas Manns Josephs-Romane. Thomas Mann und Oskar Goldberg. In: Thomas Mann-Jahrbuch 6 (1993), 7 1 92.
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Schlußbetrachtung
Spengler Kulturgeschichte Verfallsgeschichte bedeutet. Franz Rosenzweig hielt Goldbergs Buch für „im großen Stil furchtbar", betonte aber zugleich, daß „in einer Schale von Wahnsinn viele gute exegetische Kerne" verblieben.317 Zur Zeit der Josephs-Romane hatte Mann sich noch positiv über Goldberg geäußert. Im kalifornischen Exil erschien ihm Goldberg allerdings ganz als intellektueller Zuarbeiter des Nationalsozialismus. Gegenüber Ludwig Lewisohn erklärte Thomas Mann 1948 in einem Brief: „Breisacher ist der jüdische Faschist wie er im Buche steht, der jüdische Diener der faschistischen Epoche, wie Leben und Literatur ihn mir oft genug gezeigt haben. Vieles, was er sagt, steht in Goldbergs »Wirklichkeit der Hebräer'."318 „Vieles", aber eben nicht alles. Retrospektiv nannte Thomas Mann Breisacher 1952 „nichts als eine Karikatur der .Konservativen Revolution', die in Goldberg einen ihrer jüdischen Vertreter hatte".319 Inwiefern diese „Karikatur der ,Konservativen Revolution'" auch Äußerungen Spenglers einbezieht, sei im folgenden dargelegt.320 Zeitblom attestiert Breisacher ein „verwirrend antipathisches Gepräge" (GW VI, 15) und „Snobismus" (GW VI, 371), so wie Thomas Mann Spengler eine „vexatorische Erscheinung" (GW X, 178) zugesprochen und ihn einen „Snob" (GW X, 179) genannt hatte. Breisacher wird keineswegs als Orientalist oder Religionswissenschaftler eingeführt, was die Verbindung zu Goldberg untermauern würde, sondern als „Polyhistor" (GW VI, 371), was die intertextuelle Durchlässigkeit zu Spenglers Morphologie der Weltgeschichte verdeutlicht. Breisachers Werk wird allgemein kulturgeschichtlich gekennzeichnet und nicht etwa von Anfang an auf die Religionsgeschichte perspektiviert. Die folgende Charakterisie317
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Brief Franz Rosenzweigs an Benno Jacob vom 2. Mai 1927. In: Ders: Briefe. Unter Mitwirkung von Ernst Simon ausgewählt und hrsg. von Edith Rosenzweig. Berlin 1935, 585. Brief Thomas Manns an Ludwig Lewisohn vom 19. April 1948. In: Dichter über ihre Dichtungen (Anm. 315), 158. Brief Thomas Manns an Jonas Lesser vom 10. Februar 1952. In: Dichter über ihre Dichtungen (Anm. 315), 269f. Zur Integration des Jüdischen im Deutschen bzw. zur Separierung des Jüdischen vom Deutschen bei Thomas Mann vgl. Yahya A. Elsaghe: Die imaginäre Nation. Thomas Mann und das „Deutsche". München 2000. Daß neben Goldberg und Spengler auch noch Anklänge an Hans Blühers Männerbündlerei, Arthur Moeller van den Brucks „Drittes Reich", Eugen Dacqu£s Eschatologie, Georges Sorels Reflexions sur la violence, Alfred Baeumlers und Johann Jakob Bachofens Mythos-Auffassung in Breisacher virulent sind, skizziert Thomas Klugkist: Sehnsuchtskosmogonie. Thomas Manns „Doktor Faustus" im Umkreis seiner Schopenhauer-, Nietzsche- und Wagner-Rezeption. Würzburg 2000 (= Epistemata, Würzburger wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft, 284), 241 ff.
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rang Breisachers ist in der Kulturverneinung, Verfallsemphase und dem interdisziplinären Zugriff ganz auf Spengler zugeschnitten: Breisacher ist ein „Polyhistor, der über alles und jedes zu reden wußte, ein Kulturphilosoph, dessen Gesinnung aber insofern gegen die Kultur gerichtet war, als er in ihrer ganzen Geschichte nichts als einen Verfallsprozeß zu sehen vorgab" (GW VI, 371). Geschichte als Verfall und Kulturgeschichte in zivilisatorischer Absicht waren die zentralen Punkte, um die Thomas Manns essayistische Bemühungen zu Spengler gekreist waren. Breisachers Ausfuhrungen kommentiert Zeitblom mit dem Attribut „boshaft" (GW VI, 370), das auch aus Manns Spengler-Kritik stammt, wenn Mann von der „boshaften Apodiktizität" (GW X, 174) Spenglers sprach. Auch die Kommentierung von Breisachers Redestil als „unerbittlich" und getragen von „Hohn" (GW VI, 377) kann zurückgeführt werden auf Thomas Manns Entsetzen über Spenglers „süffisante Unerbittlichkeiten" und seine „Verhöhnung des Geistes" (GW X, 179). Aber nicht nur in der Charakterisierung von Stil und Gestus rekurriert Breisacher auf Spengler. Auch die Themen ihrer Kulturkritik ähneln sich. Breisachers Wut gilt dem Fortschritt: „Die verächtlichste Vokabel in seinem Munde war das Wort .Fortschritt'; er hatte eine vernichtende Art, es auszusprechen" (GW VI, 371). „Fortschritt" erscheint auch bei Spengler stets in Anfuhrungszeichen (UdA, 437 und 450), um das Zweideutige dieses Begriffs zu betonen. In wertender Absicht unterscheidet Spengler ein positiv konnotiertes faustisches „Vordringen" von einem bloß zivilisatorischen „Fortschritt", der in Wirklichkeit einen Abstieg bedeute: „Faustisch überhaupt ist die Leidenschaft des Vordringens, sozialistisch im besonderen der mechanische Rest, der .Fortschritt'." (UdA, 463/1 527) Thomas Mann markierte auch folgende Überlegung Spenglers zur Entwicklungsidee zwischen Kultur und Zivilisation: „Bei Goethe ist sie [i. e. die Entwicklungsidee] erhaben, bei Darwin flach, bei Goethe organisch, bei Darwin mechanisch, bei jenem Erlebnis und Sinnbild, bei diesem Erkenntnis und Gesetz. Dort heißt sie innere Vollendung, hier Fortschritt'." (UdA, 475/1 540) Fortschritt wird bei Spengler wie bei Breisacher zum Paradox, weil es sich bei ihm zwar um ein Weiterschreiten, nicht aber um ein positives Voranschreiten, sondern vielmehr um einen unaufhaltsamen Abstieg handelt. Dieser „Fortschritt-als-Rückschritt"-Konzeption entsprechend, stellt Breisacher den „Fortschritt der Malerei von der primitiv flächenhaften zur perspektivischen Darstellung" (GW VI, 371) als einen Abstieg dar: „Die Ablehnung der perspektivischen Augentäuschung durch die vor-perspektivische Kunst für Unfähigkeit, für Hilflosigkeit, eben für linkischen Primitivismus zu halten und wohl gar mitleidig die Achseln darüber zu zukken, das war es, was er für einen Gipfel alberner neuzeitlicher Arroganz erklärte." (GW VI, 371) Schon Naphta hatte, spenglerisch inspiriert, das
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Schlußbetrachtung
Primitive an seiner rheinisch-gotischen Pieta zu schätzen gewußt.321 Breisacher und Naphta, die sich in ihrer jüdisch stigmatisierten „faszinierend e ^ ] Häßlichkeit" (GW VI, 370) respektive ,,ätzende[n] Häßlichkeit" (GW III, 517) ähneln, können sich hier auf Spenglers Warnung stützen, die malerische Perspektivenlosigkeit nicht für Unvermögen zu halten und in ihrer abendländischen Spezifität zu erkennen:322 Man kann im Gemälde die einzelnen Dinge unorganisch über-, neben-, hintereinander stellen, ohne Perspektive und wechselseitiges Verhältnis, das heißt, ohne die Abhängigkeit ihrer Wirklichkeit von der Struktur des Raumes zu betonen, womit nicht gesagt ist, daß man sie leugnet. So zeichnen Naturmenschen und Kinder, bevor das Tiefenerlebnis die sinnlichen Welteindrücke einer tieferen Ordnung unterwirft. Aber diese Ordnung ist dem Ursymbol gemäß in jeder Kultur eine andere. Die uns selbstverständliche Art perspektivischer Zusammenfassung ist ein Einzelfall und von der Malerei anderer Kulturen weder anerkannt noch gewollt. (UdA, 314f.)
Auch Breisacher relativiert die abendländische Perspektivierung der Malerei als Sonderfall und bewertet ihn als populistisches Verfallselement: „Ablehnung, Verzicht, Geringschätzung seien nicht Unvermögen, Unbelehrtheit, kein Armutszeugnis. Als ob nicht die Illusion das allerniedrigste, dem Pöbel gerechteste Prinzip der Kunst, als ob es nicht einfach ein Zeichen noblen Geschmacks sei, nichts von ihr wissen zu wollen! Von gewissen Dingen nichts wissen zu wollen, diese Fähigkeit, der Weisheit sehr nahestehend oder vielmehr ein Teil von ihr, sei leider abhanden gekommen, und die ordinäre Naseweisheit heiße sich Fortschritt." (GW VI, 371 f.) Dieses Plädoyer für die bewußte Unwissenheit erinnert an Naphtas kulturkritische Rehabilitierung des Analphabetismus, der wiederum durch Spenglers Bildungsverdikt inspiriert war. Gemeinsam ist Spengler, Naphta und Breisacher auch der Aristokratismus, wenn Breisacher seinen „noblen Geschmack" betont, Naphta „zugleich Revolutionär und Aristokrat" (GW III, 614) zu sein versucht und Spengler seinen Sozialismus als „exklusives Ideal" (UdA, 448/1 500) anpreist. Breisacher äußert sich auch zur Musik, Goldberg nicht. Hülshörster ordnet diese musiktheoretische Passage in Breisachers Elaborationen ein als „verkürzte und zugespitzte Rekapitulation der in den Vorträgen Wendeil Kretzschmars formulierten These von der Rückneigung der Musik zu archaisch-elementaren Primitivstadien"324. Damit wären diese musikphilosophischen Überlegungen also Adorno geschuldet, der Kretzschmars 321 322
323 324
Vgl. Kapitel 4.2. Zur Ästhetik Spenglers vgl. Marie-Elisabeth Parent: Recherches sur les elements d'une conception esthetique dans l'ceuvre d 'Oswald Spengler. Frankfurt a. M. 1981, 84-196. Vgl. Kapitel 4.1. Hülshörster (Anm. 312), 238.
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Beethoven-Vorträge angeregt hatte.325 Aber auch Spengler hat sich im Sinne Breisachers zur Musikgeschichte dargetan. Breisacher erläutert das Verhältnis von Ein- und Mehrstimmigkeit in der Musikgeschichte. Er setzt in der Antike ein, die ganz von der Monodie beherrscht gewesen wäre: „Die Ursprünge der mehrstimmigen Musik, das heißt des Gesanges in Quinten- oder Quartenzusammenklängen", so Breisacher, „liegen weitab vom Zentrum der musikalischen Zivilisation, von Rom, wo die schöne Stimme und ihr Kultus zu Hause war." (GW VI, 372) Die Rubrizierung Roms zur Zivilisation paßt ganz in Spenglers kulturhistorisches Konzept, in dem die römische Antike das zivilisatorische Endstadium der gesamten Antike bedeutete. Zur römischen Musik bemerkt Spengler: „Aber die antike Musik höheren Stils war nichts als eine Plastik fürs Ohr. Die Viertongruppen, die Chromatik und Enharmonik haben tektonische, nicht harmonische Bedeutung: das ist aber der Unterschied von Körper und Raum. Diese Musik ist einstimmig." (UdA, 293) Die Geburt der Polyphonie aus dem Geist der Barbarei verortet Breisacher „im raukehligen Norden [...] England und Frankreich, namentlich im wilden Britannien" (GW VI, 372). Dies war auch bei Spengler nachzulesen, der die Entstehung der Polyphonie mit der , nordischen Architektur der Gotik' verknüpfte: Die Entwicklung des strengen Tonsatzes von der Motette zur vierstimmigen Messe durch Dunstaple, Binchois und Dufay (um 1430) bleibt an den Bannkreis der gotischen Architektur gebunden. [...] Lorenzo de' Medici mußte Dufay an den Dom berufen, weil in Florenz sich niemand auf den strengen Stil verstand. Und während hier Lionardo und Raffael malten, erhoben im Norden Ockeghem ( t 1495) und seine Schule [...] die mehrstimmige Polyphonie auf den Gipfel ihrer formalen Vollendung. (UdA, 296)
Der Gipfel der abendländischen Polyphonie liegt für Spengler wie für Breisacher im christlichen Mittelalter. Während ein laienhaftes Musikverständnis das 16. bis 18. Jahrhundert als Vorbereitung der Wiener Klassik betrachtete, ist der musikalische Barock für Spengler und Breisacher bereits jenseits des Zeniths abendländischer Musik angesiedelt. Spengler resümiert: „Die Wendung zur Spätzeit kündigt sich in Rom und Venedig an. Mit dem Barock geht die Führung der Musik an Italien über [...]. Um 1560 geht mit dem A-cappella-Stil Palestrinas und Orlando di Lassos (beide f 1594) die Herrschaft der menschlichen Stimme zu Ende." (UdA, 296) Ganz ähnlich, nur noch etwas zugespitzter in der Wertung, klingt es bei Breisacher: „Die Erweichung, Verweichlichung und Verfälschung, die Umdeutung der alten und echten, als Ineinanderklingen verschiedener Stimmen empfundene Polyphonie ins Harmonisch-Akkordische habe schon im sechzehnten Jahrhundert begonnen, und Leute wie Palestrina, 325
Vgl. Adorno (Anm. 288).
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Schlußbetrachtung
die beiden Gabrieli und unser braver Orlando di Lasso hier auf dem Platz hätten bereits schimpflich daran teilgehabt."326 (GW VI, 373) Bachs Musik ist für Spengler wie für Breisacher ein Endpunkt. „In diesen Verfall gehöre der große Bach aus Eisenach" (GW VI, 373), weiß Breisacher den konsternierten Riedesel zu düpieren. Auch Spengler hält für Bach fest: „Mit dieser Musik [...] ist das Ziel erreicht. Eine reine Symbolik von mathematischer Strenge ist möglich geworden." Bach leistet für Spengler „das Äußerste und Letzte an Deutlichkeit und Intensität der reinen Form" (UdA, 364). Spengler und Breisacher eignet eine Begabung, herkömmliche Rubrizierungen und Wertungen zu brüskieren und paradox zu verkehren. Zeitblom mäkelt über Breisacher: „Offenbar war ihm nicht wohl, solange noch irgend jemand wußte, was er denken sollte." (GW VI, 372) Dementsprechend ist der altkonservative Riedesel, eher von schlichtem Gemüte, „die Beute völliger Konfusion" (GW VI, 373). 327 Ähnlich geht es Hans Castorp anläßlich des weltanschaulichen Extempores von Naphta: „Hans Castorp grub gesenkten Hauptes mit dem Stocke im Schnee und bedachte die große Konfusion." (GW III, 647)
5.2.2
Spenglersche Herrenabende bei Kridwiß
Nach dem Ersten Weltkrieg, den Zeitblom ganz nach der Kulturkriegspublizistik Johann Plenges beschreibt,328 taucht Breisacher wieder im kon326 327
328
Gabrieli wird auch bei Spengler erwähnt. Vgl. UdA, 292. Vgl. auch Spenglers Brüskierung der Altkonservativen, dargestellt etwa bei Joachim Petzold: Ideologische Wegbereiter des Faschismus. In: Leitbilder des deutschen Konservatismus. Schopenhauer, Nietzsche, Spengler, Heidegger, Schelsky, Rohrmoser, Kaltenbrunner u.a. Hrsg. von Ludwig Elm. Köln 1984, 136-181, hier 155: Argumente für den „Sozialismus" „aus konservativer Feder wirkten gleichermaßen irritierend wie provozierend. Viele Altkonservative waren schokkiert." Die Deutschen, so Zeitblom, seien im Ersten Weltkrieg in der Gewißheit gewesen, „daß das zwanzigste Jahrhundert uns gehöre und nach Ablauf der von einigen hundertzwanzig Jahren inaugurierten bürgerlichen Epoche die Welt im Zeichen des Deutschen, im Zeichen eines nicht ganz zu Ende definierten militaristischen Sozialismus also, sich zu erneuern habe." (GW VI, 401) Johann Plenge ließ durch seine Kulturkriegsschriften leitmotivisch den Ausruf ziehen: „In uns ist das 20. Jahrhundert" (Johann Plenge: Der Krieg und die Volkswirtschaft. Münster 1915 (= Kriegsvorträge der Universität Münster, 11/12), 188). Den Leitworten von 1789 „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" hielt Plenge schlagwortartige Imperative entgegen: „,Schaffe mit' ist die Freiheit der Tat! .Gliedere Dich ein' die Gleichheit des Dienstes! ,Lebe im Ganzen' die Brüderlichkeit des Sozialismus!" (Plenge [Anm. 70], 90) Dieser Kriegssozialismus Plenges zentriert sich um das numinose Wort von der „Organisation", das nie wirklich definiert wird. Wirtschaftlich ist dieser Sozialismus recht unspektakulär und tastet das Ei-
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servativ-revolutionären Kridwiß-Kreis auf. In der geistigen Ortsbestimmung dieses Zirkels rekapituliert Zeitblom die eigene Befindlichkeit um 1919. Wie er die Situation nach der Kriegsniederlage nicht nur als zeitgeschichtlichen Einschnitt, sondern vor allem auch als epochalen Hiat beschreibt, trägt deutlich Spenglersche Züge; denn die Zeit, um die es geht, umfaßt exakt Spenglers Dimensionierung des Abendlandes zwischen Mittelalter und Imperialismus. Der klassische Philologe Zeitblom läßt die Antike bei dieser Bestimmung außen vor, und das darf als Reverenz an Spengler verstanden werden: Das Gefühl, das eine Epoche sich endigte, die nicht nur das neunzehnte Jahrhundert umfaßte, sondern zurückreichte bis zum Ausgang des Mittelalters, bis zur Sprengung scholastischer Bindungen, zur Emanzipation des Individuums, der Geburt der Freiheit f...]; - das Gefühl, sage ich, daß ihre Stunde geschlagen hatte, eine Mutation des Lebens sich vollziehen, die Welt in ein neues, noch namenloses Sternenzeichen treten wollte, - dieses zu höchstem Aufhorchen anhaltende Gefühl war zwar nicht erst das Erzeugnis des Kriegsendes, es war schon das seines Ausbruchs, vierzehn Jahre nach der Jahrhundertwende, gewesen und hatte der Erschütterung, der Schicksalsergriffenheit zum Grunde gelegen, die meinesgleichen damals erfahren hatte. (GW VI, 469)
In der Schwabinger Wohnung von Sixtus Kridwiß gesellt sich zu der Untergangsatmosphäre in „verworrenen Diskussionsabende[n]" „viel Neues, Verstörendes und Beängstigendes" (GW VI, 469). Bei diesen „diskursive[n] Herrenabende[n]" (GW VI, 481) versammelt Thomas Mann mehr oder weniger verschlüsselte Figuren der Weimarer Republik, die diese konservativ-revolutionär torpedierten. Der rheinhessisch sprechende Hausherr Sixtus Kridwiß, „Graphiker, Buchschmuck-Künstler und Sammler ostasiatischer Farbenholzschnitte und Keramik" (GW VI, 481), gestaltet sich nach dem Präsidenten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste Emil Preetorius. Der Literaturhistoriker Professor Georg Vogler läßt sich mit seiner „Geschichte des deutschen Schrifttums unter dem Gesichtspunkt der Stammeszugehörigkeit" (GW VI, 482) auf Josef Nadler und seine Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften zurückfuhren. 32 Der Dürer-Forscher Professor Gilgen Holz-
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gentum nicht an. Seine Brisanz zieht der Sozialismus Plenges aus seinen politischen Implikationen, die sich totalitären Horizonten öffnen und als Gesinnungssozialismus der Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze begreifen. Dies wird aber stets euphemistisch ummantelt und „nicht ganz zu Ende definiert". Josef Nadler: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. 3 Bde. Regensburg 1912-1918. Zu der Figurenentschlüsselung und den Quellen im Doktor Faustus vgl. immer noch unverzichtbar: Liselotte Voss: Die Entstehung von Thomas Manns Roman „ Doktor Faustus ". Dargestellt anhand von unveröffentlichten Vorarbeiten. Tübingen 1975 (= Studien zur deutschen Literatur, 39). Und: Gunilla Bergsten: Thomas Manns „Doktor Faustus". Untersuchungen
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Schlußbetrachtung
schuher ist nach Wilhelm Waetzoldt disponiert, dessen Dürer-Monographie Mann mit Stoff für den Doktor Faustus versorgt hatte.330 Daniel zur Höhe mit dem „Raubvogel-Profil" ist in seinem „schwelgerischen Terrorismus" (GW VI, 483) leicht identifizierbar mit dem Münchener Kosmiker Ludwig Derleth, dessen Proklamationen Thomas Mann bereits 1905 in seiner Novelle Beim Propheten ironisiert hatte.331 Diese Personen - Kridwiß, Vogler, Holzschuher, zur Höhe und Breisacher - verhandeln weltanschauliche Fragen, die der Rheinhesse Kridwiß als „scho' enorm wischtisch" (GW VI, 484) einordnet. Der Erste Weltkrieg ist für den Kridwiß-Kreis keineswegs die Ursache der apokalyptischen Empfindsamkeit, sondern im Spenglerschen Sinn ist man sich einig, die Untergangsgefühligkeit größer und damit epochal zu deuten: „Man ließ sich nicht täuschen: wie in mancher Hinsicht hatte auch hier der Krieg nur vollendet [•••], was längst vorher sich angebahnt, einem neuen Lebensgefühl sich zugrunde gelegt hatte." (GW VI, 484) Der Umgang mit dieser Erkenntnis entspricht der Spenglerschen Forderung nach Kälte, Sachlichkeit und Heroismus. Die Untergangsdiagnose ist für das Weltanschauungs-Kränzchen „keine Sache des Lobes oder Tadels, sondern eine solche der sachlichen Wahrnehmung und Feststellung", gekennzeichnet von der „leidenschaftslosen Erkenntnis des Wirklichen, der Freude an der Erkenntnis" (GW VI, 484). Dies läßt sich als ein versteckter Seitenhieb auf Spenglers Tatsachen-Fetischismus und Sachlichkeitsbeteuerung verstehen. Spengler suggerierte ebenfalls Objektivität: Der Untergang sei, „was gesehen werden will, nicht mit den Augen des Parteimannes, des Ideologen, des zeitgemäßen Moralisten, aus dem Winkel irgendeines , Standpunktes' heraus, sondern aus zeitloser Höhe" (UdA, 47/1 47f.), eine Aussage, die Mann mit „Irrtum" glossierte in seiner Ausgabe des Untergang des Abendlandes. Auch Zeitblom traut der behaupteten Objektivität der Herrenabende nicht und fragt, ob nicht immer in diesem Beschwören der Faktizität auch „etwas von Gutheißung liegt" (GW VI, 484f.). Thomas Mann läßt hier Zeitblom seine eigene Spengler-Kritik der 1920er Jahre rekapitulieren. Zeitblom steht, wie Mann 1922, erst einmal ratlos vor dem „vexatorischen" Changieren zwischen Optimismus und Pessimismus, zwischen Fortschritt und Konservatismus. Wie der Kridwiß-Kreis die verkündete Katastrophe bewertet, bleibt Zeitblom erst einmal unklar. Und Zeitblom
330 331
zu den Quellen und zur Struktur des Romans. Lund 1963 (= Studia Litterarum Upsaliensia, 3). Wilhelm Waetzoldt: Dürer und seine Zeit. Wien 3 1936. Ludwig Derleth: Proklamationen. In: Ders.: Das Werk. Hrsg. von Dominik Jost in Verbindung mit Christine Derleth. Bd. 1. Bellnhausen 1971, 4 3 - 8 9 . Zu Thomas Manns Poetisierung der Proklamationen in seiner Novelle Beim Propheten vgl. Beßlich (Anm. 68), 133-145.
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entschließt sich dann, wie Thomas Mann sich entschloß, diese angebliche Sachlichkeit und Nüchternheit nicht für voll zu nehmen, sondern vielmehr als einen Euphemismus für die Untergangsbejahung zu sehen. Zeitblom zeiht den Kridwiß-Kreis der Unehrlichkeit über seine Motivation, wenn der Kridwiß-Kreis seine Untergangs-Verkündung als Sache der unparteiischen Erkenntnisfreude ausgibt: „Es war aber ein Schwindel mit der Freude an der Erkenntnis; sie sympathisierten mit dem, was sie erkannten und was sie, ohne diese Sympathie, wohl gar nicht erkannt hätten, das war die Sache" (GW VI, 493). In dieser Gestaltung von Zeitbloms Argumentation lehnt sich Thomas Mann auch an Adornos Charakterisierung von Spengler als aktiven „Agenten" und nicht nur als passiv vorausschauenden „Propheten" oder gar unbestechlichen „Seismographen" des Untergangs an.332 Der Kridwiß-Kreis diagnostiziert nicht den Untergang, sondern er propagiert ihn. Der Freiheit wird vom Kridwiß-Kreis das „Schicksal" des Umschlags in ihr Gegenteil zugesprochen (GW VI, 485). In diese Interpretation der Freiheitsidee in einem dialektischen Sinne, in der aus der „Freiheit die Diktatur ihrer Partei" (GW VI, 485) erwächst, flicht sich Adornos Spengler-Kritik im Sinne seiner Dialektik der Aufklärung ein. Der Begriff des „Schicksals" verweist auf Spenglers Fatalismus, der den Niedergang des Liberalismus und der Demokratie als unumstößlich verkündet. Es hänge alles davon ab, so Spengler, daß man sich „dies Schicksal klar macht und begreift, daß man sich darüber belügen, aber nicht hinwegsetzen kann" (UdA, 62/1 62), ein Diktum, das Mann deutlich anstrich. Diese Entwicklung begrüßt der Kridwiß-Kreis mit Enthusiasmus, wobei für Zeitbloms Geschmack „etwas mehr Bangen und Grauen" statt ,,heitere[r] Genugtuung" angebracht gewesen wäre (GW VI, 486). Zeitblom resigniert kopfschüttelnd darüber, wie diese Münchener Apokalyptiker „und dazu Breisacher sich an einer Sachlage ergötzten, die für mich so viel Schreckhaftes hatte, und die sie entweder schon als vollendet, oder doch als notwendig kommend betrachteten" (GW VI, 487). 333 Hier greift Zeitblom Thomas Manns Reflexion über Spengler in der Rede Von deutscher Republik auf, inwiefern man eine Katastrophe nur prophylaktisch prophe332
Vgl. Schlußbetrachtung, 5.1. Ebenfalls in Adornos Sinn ist die Degradierung der Mitglieder des Kridwiß-Kreises von religiösen Propheten zu profanen und berechenbaren Wahrsagern, die ihren Erfolg lediglich ihrer Geschicklichkeit und nicht etwa einer Sehergabe verdanken: Zeitblom analysiert, „daß sie mit anerkennenswerter Fühlsamkeit die Finger am Pulse der Zeit hatten und nach diesem Pulse wahr-sagten" (GW VI, 492).
333
Der Begriff „notwendig" kann wie zuvor der des „Schicksals" wieder auf Spengler bezogen werden, der die endzeitlichen Zivilisationen begreift als ein ,JEnde, unwiderruflich, aber sie sind mit innerster Notwendigkeit immer wieder erreicht worden." (UdA, 43/144, von Mann markiert)
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Schlußbetrachtung
zeien dürfe, „nicht damit sie kommt, sondern damit sie nicht kommt, im Sinne geistiger Beschwörung" (GW XI, 841). Das Zeitgeist-Kränzchen hätte nach Zeitbloms Wunsch als Kassandra fungieren sollen, betätigt sich aber als stolzes Fanal und Triumphmarsch der Katastrophe.334 Der Kridwiß-Kreis macht dem Abendland den Prozeß: Seine Mitglieder laben sich daran, „eine Gerichtsverhandlung zu imaginieren, in welcher eine jener dem politischen Antrieb, der Unterwühlung der bürgerlichen Geschäftsordnung dienenden Massenmythen zur Diskussion stand" (GW VI, 487). Dabei gehen sie mit enormem wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch vor, obwohl sie gleichzeitig die Gültigkeit von Wissenschaft als zivilisatorisches Alexandrinertum in Frage stellen: „Das Groteske war", nach Zeitbloms Ansicht, der gewaltige Apparat wissenschaftlicher Zeugenschaft, den man aufgeboten hatte, um den Humbug als Humbug, als skandalösen Affront gegen die Wahrheit zu erweisen, da doch der dynamisch-geschichtsschöpferischen Fiktion, der sogenannten Fälschung, das hieß: dem gemeinschaftsbildenden Glauben von dieser Seite gar nicht beizukommen war und ihre Verfechter desto höhnisch-überlegenere Gesichter machten, je emsiger man sich mühte, sie auf ganz fremder und irrelevanter Ebene, der wissenschaftlichen nämlich, der Ebene der biederen, objektiven Wahrheit zu widerlegen. (GW VI, 487)
In Zeitbloms Analyse dieser sich wissenschaftlich gebenden Generalabrechnung mit der Wissenschaft schimmert auch die Problematik von Spenglers „intellektualem Roman" durch, der sich einerseits über die Wissenschaft erhob und diese als Spätzeit-Produkt historisierte, aber zugleich mit seiner Theorie überzeitliche und auch wissenschaftliche Geltung beanspruchte.335 So wie sie gegen die Wissenschaft losziehen - „Du lieber Gott, die Wissenschaft, die Wahrheit!" (GW VI, 487) - , attackieren die Mitglieder des Kridwiß-Kreises auch generell die Bildung. Schon im Salon der Frau Schlaginhaufen hatte Breisacher vor dem Ersten Weltkrieg dem Bil-
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335
Zeitblom erwartet, daß „sie selber etwas erschrockener über ihre Befunde gewesen wären und ihnen ein wenig moralische Kritik entgegengesetzt hätten" (GW VI, 492). Er empfiehlt ganz im Sinne von Thomas Manns Spengler-Passage in der Rede Von deutscher Republik, daß die Mitglieder des Kridwiß-Kreises warnend und vorbeugend „hätten sagen mögen: ,Unglücklicherweise hat es ganz den Anschein, als wollten die Dinge den und den Lauf nehmen. Folglich muß man sich ins Mittel legen, vor dem Kommenden warnen und das seine tun, es am Kommenden zu hindern.' Was sie aber, sozusagen sagten, war: ,Das kommt, das kommt, und wenn es da ist, wird es uns auf der Höhe der Zeit finden. Es ist interessant, es ist sogar gut - einfach dadurch, daß es das Kommende ist, und es zu erkennen ist sowohl die Leistung wie des Vergnügens genug. Es ist nicht unsere Sache, auch noch etwas dagegen zu tun.'" (GW VI, 493) Vgl. Kapitel 2.1.
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dungsverzicht das Wort geredet. Bei Kridwiß nach dem Ersten Weltkrieg steigert sich dies zur Kritik der ästhetischen Tradition schlechthin, die sich „notwendig gegen herkömmliche Kunstformen und -gattungen, zum Beispiel gegen das ästhetische Theater kehren müsse" (GW VI, 493). „Zurück zum Konkreten, weg von jeglicher Abstraktion", scheint die Parole für das Gespinst zu sein, „ein Abkommen von der abstrakt-universellen, sprachlich nicht gebundenen Buchstabenschrift, gewissermaßen die Rückkehr zu den Wortschriften der Urvölker" (GW VI, 490) zu betreiben. Zeitblom übersteigert dies in ablehnendem Sarkasmus zum Vorschlag, warum man dann nicht gleich den Analphabetismus propagiere. War dies als eine Brüskierung gemeint, greifen die konservativen Revolutionäre dies doch dankbar und ernsthaft auf und projektieren, „sogenannte kulturelle Errungenschaften kurzerhand fallenzulassen, um einer notwendig und zeitgegeben empfundenen Vereinfachung willen, die man, wenn man wollte, als intentioneile Re-Barbarisierung bezeichnen konnte" (GW VI, 491). In diesem Zusammenhang sei es noch einmal erlaubt, an Spenglers Empfehlung zu erinnern, „sich der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik" (UdA, 57) zuzuwenden, um den intertextuellen Zusammenhang zum Bildungs-Verdikt des Kridwiß-Kreises plastisch zu machen. All diese weltanschaulichen Aufwallungen versucht Zeitblom, hilflos in sein veraltetes politisches Begriffsraster einzuordnen. Er beschreibt wortreich die Paradoxa der konservativen Revolution als eine „alt-neue, eine revolutionär rückschlägige Welt" (GW VI, 489). Diese neuen kulturkritischen Theorien entstanden „nicht etwa auf eine reaktionäre, gestrige oder vorgestrige Weise, sondern so, daß es der neuigkeitsvollen Rückversetzung der Menschheit in theokratisch-mittelalterliche Zustände und Bedingungen gleichkam" (GW VI, 489). Das alles bedeutete zugleich „Rückschritt und Fortschritt, das Alte und Neue, Vergangenheit und Zukunft wurden eins, und das politische Rechts fiel mehr und mehr mit dem Links zusammen" (GW VI, 489), wobei das „Rechte" gleichwohl präponderant blieb und das „Linke" oft nur rhetorischen Schmuck und salonsozialistisches Gehabe bedeutete. Aber dies wird Zeitblom nicht wirklich einsichtig. Möglich wurde ein solches Changieren zwischen den Extremen durch eine zyklische Geschichtstheorie, die Zeitblom zitiert und die man als Anspielung auf Spengler lesen kann. Die Ideologie des KridwißKreises war „sowenig reaktionär", meint Zeitblom, „wie man den Weg um eine Kugel, der natürlich herum-, das heißt zurückführt, als rückschrittlich bezeichnen kann" (GW VI, 489). Bei Spengler bedeutete der Untergang des Abendlandes ein FormlosWerden im Zustand des „Fellachenvolkes", das gleichwohl in seiner Formlosigkeit wieder .Material' bieten konnte für das Heranwachsen ei-
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Schlußbetrachtung
ner formbewußten Nation aus einem formlosen „Urvolk" heraus.336 Der Untergang des Abendlandes in die Formlosigkeit hinein war die Bedingung für den „Aufgang" des Ostens aus der Formlosigkeit heraus. Thomas Mann hatte diese Gleichzeitigkeit von formlosem Urvolk und formlosem Fellachenzustand im Zauberberg figural vorgeführt an Clawdia Chauchat als Vertreterin des russischen „Urvolkes" und Hans Castorp als Repräsentanten des zum Untergang bestimmten, sich in Formlosigkeit verlierenden Abendlandes. Auch dem Kridwiß-Kreis ist diese Spenglersche Argumentation geläufig. Seine Theoretiker begreifen die eigene Zeit als einen ebensolchen Übergang, der in Spenglers Sinn gekennzeichnet ist durch das „Zeitalter der Riesenkämpfe" (UdA, 1081) hin zum Cäsarismus.338 Sie parallelisieren dabei den Untergang des Abendlandes mit dem Untergang der Antike. Es handelt sich für den Kridwiß-Kreis gegenwärtig „um ein instinktives Sich-in-Form-Bringen der Menschheit für harte und finstere, der Humanität spottende Läufte, für ein Zeitalter umfassender Kriege und Revolutionen, das wohl hinter die christliche Zivilisation des Mittelalters weit zurückführen und eher die dunkle Epoche vor deren Entstehung, nach dem Zusammenbruch der antiken Kultur zurückbringen werde" (GW VI, 492).
5.2.3
Apocalipsis cum flguris als musikalischer Untergang des Abendlandes
Adrian Leverkühn komponiert sein erstes Hauptwerk, das Oratorium Apocalipsis cum flguris, nicht nur in der Zeit der Weltanschauungs-Herrenabende bei Kridwiß, sondern auch unter ihrem deutlichen Einfluß. Zeitblom setzt Apocalipsis cum flguris bewußt in direkte Beziehung zu den weltanschaulichen Experimenten im Kridwiß-Kreis, schafft also eine Verbindung zwischen Breisachers an Spengler orientierter Untergangsbegeisterung und Leverkühns Oratorium.339 Die Diskussionen im Kridwiß-Kreis bilden den „kaltschnäuzig-intellektuellen Kommentar" (GW VI, 493) zu Leverkühns Komposition. Diese steht mit dem „bei Kridwiß Gehörten in eigentümlicher Korrespondenz, im Verhältnis geistiger Ent336 337 338
339
Vgl. Kapitel 1.1. Vgl. Kapitel 3.4. „Kein Zeitalter zeigt so deutlich wie das der kämpfenden Staaten die weltgeschichtliche Alternative: große Form oder große Einzelgewalten."' (UdA, 1083) Vgl. auch die Darstellung des Spenglerschen Cäsarismus in Kapitel 3.5. Zeitblom nimmt sich vor, Apocalipsis cum flguris zu erörtern „im Zusammenhang mit jenen abstrakten Zumutungen [...], denen ich bei den schon kurz berührten Diskussionen in der Wohnung des Herrn Sixtus Kridwiß ausgesetzt war" (GW VI, 480).
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sprechung" (GW VI, 493). Apocalipsis cum flguris läßt sich, auch über den beziehungsreichen Titel hinaus, verstehen als die Transformation von Spenglers Lehre in ein musikalisches „Resume aller Verkündigungen des Endes" (GW VI, 475). Daß es sich dabei um fiktionale, erdichtete Musik handelt, die wiederum nur sprachlich vermittelt wird, verkompliziert den Transformationsprozeß von Spenglers Text in ein musikalisches Werk, das dem Leser lediglich durch die sprachliche Vermittlung Zeitbloms zugänglich gemacht wird. Die religiöse Überformung in Leverkühns Werk verdichtet sich „zum Gruppen- und Szenenaufbau des Jüngsten Gerichts" (GW VI, 476). Auch Spengler dimensioniert seine Endzeitgeschichte auf den letzten Seiten apokalyptisch: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht." (UdA, 1194) Leverkühns musikalischer Untergang des Abendlandes geht auch in seiner Quellenwahl ähnlich eklektisch vor wie Spenglers Werk.340 Wie Breisacher mit Spengler das Verdikt über die abendländische Bildungstradition spricht, bricht Leverkühn in seinem Oratorium mit den spätabendländischen, musikalischen Traditionen einer „harmonischen Subjektivität", wie es Kretzschmar mit Adorno ausgedrückt hatte, und auferlegt sich „die fromme Fessel prä-klassisch strenger Formen" mit dem Ziel, durch ein „neuigkeitsvolles Zurückgehen über Bachs und Händeis bereits harmonische Kunst hinaus in die tiefere Vergangenheit echter Mehrstimmigkeit" (GW VI, 494) vorzudringen. Solche Formulierungen sind selbstverständlich auch Adorno geschuldet, gerade auch in ihrem Rückbezug auf Kretzschmars Beethoven-Vorträge,341 aber in ihrer kulturgeschichtlichen Einbettung scheint Spengler allemal durch. Den „Weg um die Kugel, von dem in den quälend gescheiten Unterhaltungen bei Kridwiß die Rede gewesen war, dieser Weg, in dem Rückschritt und Fortschritt, das Alte und Neue, Vergangenheit und Zukunft eins wurden" (GW VI, 494), sieht Zeitblom in Leverkühns musikalischer Apokalypse exemplifiziert.342 Diese Beziehung von alt und neu, Rückschritt und Fortschritt läßt sich antithetisch auf Adornos Dialektik der Aufklärung beziehen, aber im Verweis auf den „Weg um die Kugel" wirkt auch vor allem Spenglers Kulturkreislehre fort. In Adornos Spengler-Aufsatz hatte Thomas Mann eine solche dialektische Interpretation Spenglers vorexerziert bekommen. 340
341
342
In Leverkühns Komposition verbinden sich die „Jenseitsvorstellungen früher, schamanenhafter Stufen und die von Antike und Christentum bis zu Dante entwickelten" (GW VI, 476) Höllenbilder. Daß darüber hinaus auch die musikgeschichtlichen Passagen im Untergang des Abendlandes als mögliche Quelle eine Rolle spielen, wurde bereits erläutert (vgl. Schlußbetrachtung, 5.2.1). In Leverkühns Werk erkennt Zeitblom die „Krümmung der Welt, die im Spätesten das Früheste wiederkehren läßt" (GW VI, 499).
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Schlußbetrachtung
Die Reduktion der Sprachlichkeit, über die im Kridwiß-Kreis als „intentioneile Re-Barbarisierung" diskutiert wurde und die sich auch Spenglers Bildungsvorbehalt verdankt, setzt Leverkühn in Apocalipsis cum figuris um durch die Entmenschlichung der Stimme zum Naturlaut, in der „Anwendung des Glissando auf die menschliche Stimme, die doch das erste Objekt der Tonordnung und der Befreiung aus dem Urzustände des durch die Stufen gezogenen Heulens war, - die Rückkehr also in diesen Urständ" (GW VI, 497) vollzieht der Chor in Leverkühns Oratorium. Und auch die Läufe des Koloratursporans gehen zuweilen „mit flötenhafter Wirkung in den Orchesterklang ein" (GW VI, 498). Spengler näherte die Menschen im „Urvolk" wie im „Fellachenvolk" an die vormenschliche Kreatur bis zur Ununterscheidbarkeit und sogar bis „zum Anorganischen" (UdA, 45) an. Dies spiegelt sich in Apocalipsis cum figuris in der eigentümlichen „Klangvertauschung, die oft zwischen dem Vokal- und dem Instrumental-Part" (GW VI, 498) stattfindet. Während sich die menschliche Stimme dem Instrumentalklang annähert, übernehmen die Instrumente die menschliche Stimmführung. Der Chor ist „instrumentalisiert, das Orchester vokalisiert" bis zu der Intensität, „daß tatsächlich die Grenze zwischen Mensch und Ding verrückt erscheint" (GW VI, 498). Die mit „Bewußtsein betriebene Trottelei" (UdA, 678) einer sinnentleerten Beschäftigung der Fellachen mit sich selbst, die Spengler für die zivilisatorische Endzeit skizzierte, hatte Thomas Mann bereits im Zauberberg als den „großen Stumpfsinn" dämonische Gestalt annehmen lassen. 343 In Leverkühns Oratorium musikalisiert sie sich in der Parodie popularisierter Klassik und Unterhaltungsmusik, die in ihrer Bedeutungslosigkeit als „mit Bewußtsein betriebene Trottelei" vorgeführt wird: „Klänge des französischen Impressionismus, ins Lächerliche gezogen, bürgerliche Salonmusik, Tschaikowski, Music Hall, die Synkopen und rhythmischen Purzelbäume des Jazz - wie ein Ringel stechen geht das bunt glitzernd rundum." (GW VI, 499) Spengler hatte die Zivilisation unter dem Lemma der gefühlskalten „Unfruchtbarkeit" abgehandelt, die einen neuen Menschentyp zeitige. Dieser Spenglersche „reine traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, unfruchtbar" (UdA, 45/1, 45), scheint die Anleitung abgegeben zu haben für die Tenor-Besetzung in Leverkühns Oratorium, die Zeitblom als zugleich unheimlich und gelungen empfindet. Die Partie des Johannes, also des Zeugen und Erzählers der Apokalypse, ist „traditionsgemäß einem Tenor, diesmal aber einem solchen von fast kastratenhafter Höhe zugeschrieben [...], dessen kaltes Krähen, sachlich, reporterhaft, in schauerlichem Gegensatz zu dem Inhalt seiner katastrophalen Mitteilungen steht" (GW VI, 500). Die tenorale 343
Vgl. Kapitel 3, Einleitung.
Spengler im Doktor Faustus
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Höhe ist nicht mehr Zeichen für Virilität, sondern changiert zu Impotenz und Frigidität. Der Heldentenor wird zum asexuellen Berichterstatter. Der Erzähler des Untergangs befleißigt sich bei Leverkühn wie bei Spengler eines bewußt eingenommenen „Pathos der Kälte und Sachlichkeit", das Thomas Mann 1922 bei Spengler als die „kalte ,Naturgesetzliche' Teufelsfaust" (GW XI, 841) verdammt hatte.344 Bei der Uraufführung der Leverkühnschen Apokalypse 1926 „wurde der äußerst schwierige Part [des Johannes] mit Meisterschaft von einem Tenoristen eunuchalen Typs namens Erbe gesungen, dessen durchdringende Ansagen sich tatsächlich wie ,neueste Berichte vom Weltuntergang' ausnahmen" (GW VI, 500). Spenglers Gestus der schnoddrigen Sachlichkeit schimmert in dem als „reporterhaft" gekennzeichneten Ton durch. Es ist der im Kridwiß-Kreis geübte Gestus der „reinen Erkenntnisfreude" am Untergang. Der sprechende Name des Tenors und die Kennzeichnung seines Timbres als „eunuchal" verweisen auf die Leblosigkeit im zivilisatorischen Endstadium, das unter der Last des kulturellen Erbes verblüht. Die Gleichzeitigkeit von mythologischer Rückkehr aus der Geschichte und zivilisatorischer Hochentwicklung, von Urängsten und spätzeitlichen Errungenschaften, die sich Spengler für das Endstadium einer Kultur vorstellt, greift Leverkühn auf, wenn er sich musikalisch des „technischen Komforts im Entsetzen" (GW VI, 501) annimmt. Die technische Novität von „LautsprecherWirkungen" montiert Leverkühn in das Oratorium mit testamentarischem Inhalt und düpiert damit die hausbackenen Hörgewohnheiten Zeitbloms, der dies als „explodierende Altertümlichkeit" (GW VI, 501) bewertet. Am Ende des ersten Teils von Apocalipsis cum figuris steht das „Pandämonium des Lachens, das Höllengelächter" (GW VI, 501), vor dem es Zeitblom schaudert. 50 expressive Takte artikulieren den Spott der Hölle über die Angst der Menschen vor dem jüngsten Gericht, in einem mit dem Gekicher einer Einzelstimme beginnenden und rapide um sich greifenden, Chor und Orchester erfassenden, unter rhythmischen Umstürzen und Konterkarierungen zum Tutti-Fortissimo grauenhaft anschwellenden, überbordenden, sardonischen Gaudium Gehennas, dieser aus Johlen, Kläffen, Kreischen, Meckern, Röhren, Heulen und Wiehern schauderhaft gemischten Salve von Hohn- und Triumphgelächter der Hölle. (GW VI, 502)
Das Höllengelächter rekapituliert Spenglers und Breisachers „boshafte Apodiktizität" und ihre „Verhöhnung des Geistes". Es musikalisiert die Untergangsbewertung Spenglers, Breisachers und des Kridwiß-Kreises. Ihre Katastrophenfreudigkeit und ihren Spott über die nostalgischen Abendländer dämonisiert Leverkühn zu mephistophelischem Hohn. Aber der Abendländer Zeitblom verteidigt Leverkühns Werk dennoch, weil der Kinderchor zu Beginn des zweiten Teils der Apocalipsis cum figuris mit 344
Vgl. Kapitel 2.3.
142
Schlußbetrachtung
seiner das „Herz mit Sehnsucht ohne Hoffnung erfüllenden Lieblichkeit des Klanges" (GW VI, 502) dem Höllengelächter entgegentrete. So sagt er; ob der Kinderchor aber wirklich als positives Gegengewicht zum Höllengelächter gedacht ist oder ob es sich dabei nur um eine Wunschprojektion Zeitbloms handelt, vermag der Leser nicht zu ermitteln, da ihm all dies nur aus der Erzählperspektive Zeitbloms präsentiert wird. Es wäre immerhin möglich, daß Zeitbloms konservativer Wunsch, „die Sehnsucht ohne Hoffnung" in Leverkühns Werk hören zu wollen, analog geformt ist zu Thomas Mann Wunsch 1919, in Spengler einen Geistesverwandten zu erkennen. Thomas Mann hatte auch noch gegen die Einwände von Freunden und Bekannten eine konservative Ehrenrettung Spenglers versucht: „Der Spenglersche Fatalismus mag kühl anmuten, aber er ist im Grunde eine Maske, die Maske eines pessimistischen Konservativen", beteuerte Mann gegenüber Franz Boll. 4 5 Und auch Manns gegenüber Alfred Baeumler geäußerte Meinung über Spengler antizipiert Zeitbloms Bemühen, Leverkühns Werk von dem Ruch der Katastrophenfeier zu reinigen: „Man hält ihn für einen Verherrlicher und Propheten der ,Civilisation', während sich doch diese ganze Anordnung der Dinge nur in einem konservativen Kopfe herstellt und seine Kulturdiagnose - für mich unzweifelhaft - nichts als Melancholie, Resignation und unterirdische Polemik bedeutet."346 Aber Leverkühn wie Spengler erweisen sich nicht als melancholische Betrauerer, sondern als aggressive Betreiber des Untergangs des Abendlandes.
345
346
Brief Thomas Manns an Franz Boll vom 2. November 1919. In: Die Briefe Thomas Manns, Bd. I, 277 Nr. 19/108. Brief Thomas Manns an Alfred Baeumler vom 7. März 1920. In: Thomas Mann und Alfred Baeumler, 93. Vgl. auch Kapitel 2.3.
6 Quellen und Literatur
6.1
Ungedruckte Quellen
Generallandesarchiv Karlsruhe: Nachlaß Willy Andreas. Thomas Mann-Archiv Zürich: Thomas Mann: Gedanken zu Spenglers „Untergang des Abendlandes" Mp. VII/93 grün).
(1 BL,
Thomas Mann: Brief aus Deutschland für eine italienische Zeitschrift über Oswald Spenglers „ Untergang des Abendlandes" (10 Bl., Mp. VII/96-2 grün). Thomas Manns Exemplare (mit handschriftlichen Anstreichungen und Notizen) von Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Erster Band: Gestalt und Wirklichkeit, Wien und Leipzig 1918. Zweiter Band: Welthistorische Perspektiven. 16.-30. Auflage, München 1922.
Geheimes Staatsarchiv PK Dahlem: Nachlaß Friedrich Meinecke.
6.2 Gedruckte Quellen 6.2.1
Thomas Mann
Werke Thomas Mann: Gesammelte Werke in 13 Bänden. Frankfurt a. M. 2 1974. Thomas Mann: Essays, Bd. 3: Schriften über Musik und Philosophie. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Hermann Kurzke. Frankfurt a. M. 1988. Thomas Mann: „Geist und Kunst". Thomas Manns Notizen zu einem „Literatur"Essay. In: Paul Scherrer, Hans Wysling: Quellenkritische Studien zum Werk Thomas Manns. Bern und München 1967 (= Thomas-Mann-Studien, 1), 123-233.
144
Quellen und Literatur
James F. White: The Yale „Zauberberg"-Manuscript. Rejected Sheets Once Part of Thomas Mann 's Novel. Bern und München (= Thomas Mann-Studien, 4).
Briefe und Dokumentationen Thomas Mann: Briefe 1889-1936. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1961. Thomas Mann: Briefe 1937-1947. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1963. Thomas Mann: Briefe 1948-1965. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1965. Thomas Mann: Briefe an Otto Grauttoff 1894-1901 und Ida Boy-Ed Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1975.
1902-1927.
Thomas Mann: Briefwechsel mit Autoren. Hrsg. von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1988. Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. I, Die Briefe von 1889-1933. Bearbeitet und hrsg. unter Mitarbeit von Yvonne Schmidlin (Thomas Mann-Archiv Zürich) von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer, mit einem Vorwort von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1976. Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. III, Die Briefe von 1944 bis 1950. Bearbeitet und hrsg. unter Mitarbeit von Yvonne Schmidlin (Thomas MannArchiv Zürich) von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer. Frankfurt a. M. 1982. Dichter über ihre Dichtungen, Bd. 14/111: Thomas Mann. Hrsg. von Hans Wysling unter Mitwirkung von Marianne Fischer. München und Frankfurt a. M. 1981.
Tagebücher Thomas Mann: Tagebücher 1918-1921. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1979. Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1977. Thomas Mann: Tagebücher 1935-1936. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1978. Thomas Mann: Tagebücher 1940-1943. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1982. Thomas Mann: Tagebücher 1944-1.4.1946. 1986.
Hrsg. von Inge Jens. Frankfurt a. M.
Gedruckte Quellen
6.2.2
145
Oswald Spengler
Werke Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. I. Teil: Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung. München 1933. Oswald Spengler: Der Mensch und die Technik Beitrag zu einer Philosophie des Lebens. München 1931. Oswald Spengler: Pessimismus? In: Preußische Jahrbücher 184 (1921), 73-84. Oswald Spengler: Preußentum und Sozialismus. München 1919. Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Erster Band: Gestalt und Wirklichkeit. Wien und Leipzig (Wilhelm Braumüller) 1918 [=1 ], Zweiter Band: Welthistorische Perspektiven. 16.-30. Auflage, München (C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck) 1922 [=H]. Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Ungekürzte Sonderausgabe in einem Band, 209.-223. Tausend des ersten bzw. 188.-202. Tausend des zweiten Bandes der Gesamtauflage, München 1981.
Briefe Oswald Spengler: Briefe 1913-1936. In Zusammenarbeit mit Manfred Schröter hrsg. von Anton M. Koktanek. München 1963. Der Briefivechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. Groeger über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen. Hrsg. von Xenia Werner. Hamburg 1987.
6.2.3
Sonstige
Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik Frankfurt a. M. 1958. Theodor W. Adorno: Zu einem Porträt von Thomas Mann. In: Ders.: Noten zur Literatur III. Frankfurt a. M. 1965, 19-29. Theodor W. Adomo: Spätstil Beethovens. In: Ders.: Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928-1962. Frankfurt a. M. 1964, 13-17. Theodor W. Adomo: Spengler nach dem Untergang. In: Ders.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1976, 51-81. Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner. In: Ders.: Musikalische Monographien. Frankfurt a. M. 1986, 1-148. Herman Bahr: Kriegssegen. München 1915. Hermann Bahr: 1919. Leipzig, Wien, Zürich 1920.
146
Quellen und Literatur
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In: Historische Vier-
Kurt Breysig: Der Prophet des Unterganges. Oswald Spengler. In: Velhagen & Klasing's Monatshefte 35 (1921), 261-270. Hermann Broch: Briefe 1 (1913-1938). Dokumente und Kommentare zu Leben und Werk Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a. M. 1981 (= Kommentierte Werkausgabe, 13/1). Fred Carus: Skeptiker und Prophet. Zum Bilde Oswald Spenglers. In: Die neue Rundschau 47/2 (1936), 855-871. Eugen Dacquö: Urwelt, Sage, Menschheit. München 1924. Ludwig Derleth: Proklamationen. In: Ders.: Das Werk. Hrsg. von Dominik Jost in Verbindung mit Christine Derleth. Bd. 1. Bellnhausen 1971, 43-89. Heinrich von Eicken: Geschichte und System der mittelalterlichen Stuttgart 1887.
Weltanschauung.
Theodor Fontane: Briefe, Bd. 4: 1890-1898. Hrsg. von Otto Drude und Helmuth Nürnberger. München 1982 (= Werke, Schriften und Briefe IV,4). Sigmund Freud: Jenseits vom Lustprinzip. Wien 1920. Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Wien 1924-28. Oskar Goldberg: Die Wirklichkeit der Hebräer. Einleitung in das System des Pentateuch. Berlin 1925. E. Günter Gründel: Jahre der Überwindung. Umfassende Abrechnung mit dem „ Untergangs "-Magier - Aufgabe der deutschen Intellektuellen - Weltgeschichtliche Sinndeutung des Nationalsozialismus. Breslau 1934. Friedrich Gundolf: Shakespeare. Bd. 1, Berlin 1928.
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Gilbert Merlio: Ernst Jünger et Oswald Spengler. In: Etudes germaniques 51 (1996), 657-676. Gilbert Merlio: Jünger und Spengler. In: Die großen Jagden des Mythos. Emst Jünger in Frankreich. Hrsg. von Peter Koslowski. München 1996, 41-60. Gilbert Merlio: Oswald Spengler. Temoin de son temps. 2 Bde., Stuttgart 1982 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, 114). Gilbert Merlio: Oswald Spengler ä Munich au debut du siecle. In: München 1900 als Ort der Moderne. Hrsg. von Gilbert Merlio und Nicole Pelletier. Frankfurt a. M. 1998 (= Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Kongressberichte, 47), 261-276. Gilbert Merlio: Über Spenglers Modernität. In: Der Fall Spengler. Eine kritische Bilanz. Hrsg. von Alexander Demandt und John Farrenkopf. Köln, Weimar 1994, 115-127. J. G. Merquior: Georges Sorel und Max Weber. In: Max Weber und seine Zeitgenossen. Hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. Göttingen, Zürich 1988 (= Publications of the German Historical Institute London, 21), 2 4 2 256. Karl H. Metz: Faust und Chronos. Das Problem der Technik in der Zivilisationstheorie Oswald Spenglers. In: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), 153-170. Stephane Moses: Thomas Mann und der Mythos des Hebräertums. In: Ders.: Spuren der Schrift. Von Goethe bis Cdlan. Frankfurt a. M. 1987, 111-133. Jürgen Naeher: Oswald Spengler mit Selbstzeugnissen 1984.
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Reinbek
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Rankerenaissance.
159
Darstellungen
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Metaphysik
esthetique
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Konstrukt.
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Studie über Os-
Ernst Schulin: Die Erfassung der modernen sozialen Welt bei Rathenau, Spengler und Jünger. In: Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für Karl Otmar Freiherr von Aretin zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Ralph Melville, Claus Scharf, Martin Vogt und Ulrich Wengenroth. Stuttgart 1988, Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, 134), 85-97.
160
Quellen und Literatur
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Philosophie
Carl
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161
Darstellungen
Gary L. Ulmen: Metaphysik des Wissens. Spengler über Rußland. In: Spengler heute. Sechs Essays. Hrsg. von Peter Christian Ludz. München 1980, 123-173. Hans Rudolf Vaget: Der Dilettant. Eine Skizze der Wort- und Bedeutungsgeschichte. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 14 (1970), 131-158. Hans Rudolf Vaget: Amazing grace. Thomas Mann, Adorno, and the Faust myth. In: Our „Faust"? Roots and ramifications of a German myth. Edited by Reinhold Grimm and Jost Hermand. Madison 1987, 168-189. Michel Vanhelleputte: Engagement, Formgefühl, Humanität. Ausgewählte literaturwissenschaftliche Studien. Hrsg. von Monique Boussart. Frankfurt a. M. 1997. Michel Vanhelleputte: Thomas Mann et „Le Declin de l'Occident" (1919-1924). In: Revue de l'Universitö de Bruxelles, N.S. 18,5 (1966), 450-465. Ludwig Völker: Ein Mißverständnis und seine Folgen: placet experiri als Wahlspruch Petrarcas in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg". In: Euphorion 67 (1973), 383-385. Manfred Voigts: Oskar Goldberg. Der mythische Experimentalwissenschaftler. verdrängtes Kapitel jüdischer Geschichte. Berlin 1992.
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Eva Wessell: „Der Zauberberg" als Chronik der Dekadenz. In: Interpretationen. Thomas Mann. Romane und Erzählungen. Hrsg. von Volkmar Hansen. Stuttgart 1993, 121-150. Werner Wienand: Größe und Gnade. Grundlage einer Entfaltung des Gnadenbegriffs bei Thomas Mann. Würzburg 2001 (= Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, 15).
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Quellen und Literatur
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Hans Wysling: Der Zauberberg. In: Thomas-Mann-Handbuch. Hrsg. von Helmut Koopmann. Stuttgart 1990, 397-^22. Raimar Zons: Naphta. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 112 (1993), 231-250.
7 Siglen und Abkürzungen
Briefe 1889-1936
Thomas Mann: Briefe 18891936. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt a. M. 1961.
Briefwechsel mit Autoren
Thomas Mann: Briefwechsel mit Autoren. Hrsg. von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1988.
Die Briefe Thomas Manns
Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register. Bd. I: Die Briefe von 1889 bis 1933. Bd. III: Die Briefe von 1944 bis 1950. Bearbeitet und hrsg. unter Mitarbeit von Yvonne Schmidlin (Thomas Mann-Archiv) von Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer, mit einem Vorwort von Hans Wysling. Frankfurt a. M. 1976-1982.
GW
Thomas Mann: Gesammelte Werke in 13 Bänden. Frankfurt a. M. 1974.
PuS
Oswald Spengler: Preußentum und Sozialismus. München 1920.
SU
Theodor W. Adorno: Spengler nach dem Untergang. In: Ders.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1976, 5181.
164
Siglen und Abkürzungen
Tagebücher
Thomas Mann: Tagebücher 1918-1921. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt a. M. 1979.
Thomas Mann und Alfred Baeumler
Marianne Baeumler, Hubert Brunträger und Hermann Kurzke: Thomas Mann und Alfred Baeumler. Eine Dokumentation. Würzburg 1989.
UdA
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Ungekürzte Sonderausgabe in einem Band, 209.-223. Tausend des ersten bzw. 1 8 8 202. Tausend des zweiten Bandes der Gesamtauflage. München 1981.
Personenregister
Kursive Zahlen verweisen auf die Anmerkungen der jeweiligen Seite.
Adorno, Theodor W. 16, 115— 124, 130f„ 135,139 Aischylos 69 Aksakow, Iwan 74 Alexander der Große 26 Alexander I., Zar von Rußland 75 Allesch, Ea von 41 Andreas, Willy 30 Andreas-Salomö, Lou 40f. Attila, König der Hunnen 8 Bach, Johann Sebastian 124, 132, 139 Bachofen, Johann Jakob 128 Baeumler, Alfred 17, 43, 44f., 51, 111,128, 142 Bahr, Hermann 28, 32f., 44 Becker, Carl H. 122 Becking, Gustav 40, 72 Beethoven, Ludwig van 87, 115, 116,131, 139 Benjamin, Walter 39 Benn, Gottfried 10f., 112 Bergson, Henri 122 Bernhard von Clairvaux 70 Bernstein, Else (Pseudonym: Rosmer, Ernst) 28 Bernstein, Max 28 Bertram, Ernst 26, 35, 40, 50, 51, 91, 111
Binchois, Gilles 131 Bismarck, Otto von 106 Bloch, Ernst 8, 63f„ 73, 76f., 79, 82, 112, 115 Blüher, Hans 13,33,725 Blume, Gustav 44f. Boll, Franz 27,44, 142 Boy-Ed, Ida 22f„ 36 Brandenburg, Erich 39 Brandes, Georg 90 Brecht, Bertolt 93 Breysig, Kurt 39 Broch, Hermann 41 Buddha 79 Burckhardt, Jacob 52 Burke, Edmund 13 Caesar, Gaius Julius 8, 48, 82, 87 Carus, Fred 114,120 Celan, Paul 126 Chamberlain, Houston Stewart 12, 37, 49 Croce, Benedetto 47 Curtius, Ludwig 40 Dacque, Edgar 111,128 Dante Alighieri 95,124,139 Darwin, Charles 22, 85, 119, 129 David, König Israels 127 Derleth, Ludwig 90, 134
166 Dilthey, Wilhelm 122 Diogenes von Sinope 69 Disraeli, Benjamin 90 Dostojewski, Fjodor 74 Droysen, Johann Gustav 122 Dschingis Khan 120 Dufay, Guillaume 131 Dunstable, Johannes 131 Eicken, Heinrich von 90 Emrich, Wilhelm 112 Epikur 102 Eschenhagen, Gerhard 112 Eucken, Rudolf 12, 28 Fichte, Johann Gottlieb 37 Fischer, Samuel 81 Förster-Nietzsche, Elisabeth 23 Fontane, Theodor 35, 37, 38 Franck, Cesar 117 Franck, Erich 40 Frank, Bruno 27 Franz von Assisi 70 Freud, Sigmund 36,111 Frey, A. M. 116 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 69, 75, 101, 105 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 102
Personenverzeichnis
Gründel, Günter 11 f. Händel, Georg Friedrich 139 Hauptmann, Gerhart 80, 81, 87 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 37,101, 105, 121 Heidegger, Martin 40, 61, Uli, 132 Heine, Heinrich 42,48 Heiß, Robert 122 Hesse, Hermann I I I Heuss, Theodor 7,20 Hildebrandt, Kurt 89 Hintze, Hedwig 39 Hintze, Otto 39f. Hitler, Adolf 1,11,36, 72, 113 Hoffmann, Adolf 37 Horkheimer, Max 117 Ignatius von Loyola 105 Innozenz III., Papst 98 Jacob, Benno 128 Jaffe, Heinrich 27 Jahn, Friedrich Ludwig 37 Jesus 82, 84, 98, 100 Joel, Karl 40, 123 Johannes von Patmos 140f. Joseph II., Deutscher Kaiser 75 Jünger, Ernst 69, 94, lOlf. Jung, Carl Gustav 28, 36
Gabrieli, Andrea 132 Gabrieli, Giovanni 132 Galilei, Galileo 124 George, Stefan 12, 26, 33, 43, 89f. Gobineau, Arthur de 49 Goebbels, Joseph 11, 118 Goethe, Johann Wolfgang 7, 27, 29, 32, 40, 48, 52, 69, 87, 112, 114, 124,126, 129 Goldberg, Oskar 126ff., 130 Gundolf, Friedrich 23, 35,40,111
Kafka, Franz 41 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus 132 Kant, Immanuel 102,125 Katharina II. (die Große), Zarin von Rußland 75 Keyserling, Hermann Graf 12, 23, 28, 29f„ 35, 40, 44, 51, 63, 93 Klages, Ludwig 36,111,121 f . Klöres, Hans 48 Knoche, Erich 113 f.
Groeger, Wolfgang E. 75
Koellreutter, Otto 29
Personenverzeichnis
Konfuzius 48 Kraus, Karl 89 Lagarde, Paul de 12, 24f. Lamprecht, Karl 30, 31 Landauer, Gustav 89 Leonardo da Vinci 131 Leopardi, Giacomo 86 Lesser, Jonas 127f. Lessing, Theodor 29f., 49, 126 Levine, Eugen 89 Lewisohn, Ludwig 128 Lukäcs, Georg 89,116 Luther, Martin 30
167 Nietzsche, Friedrich 7, 10, 12ff., 17, 221, 26, 29f., 31, 36, 37, 38, 40, 42, 49, 52, 56, 83/., 91, 96,106,112ff., 128,132 Novalis 13 Ockeghem, Johannes 131 Ohler, Adalbert 23 Orlando di Lasso 131 Palestrina, Giovanni 131 Pannwitz, Rudolf 31, 35, 43 Parker, Harrison 91,111 Peter I. (der Große), Zar von Rußland 74f. Petrarca, Francesco 57 Philipp II., König von Spanien 31 Plenge, Johann 28,101, 132 Ponten, Josef 55 Pophal, Rudolf 122 Preetorius, Emil 133 Pulver, Max 122
Machiavelli, Niccolö 119 Mann, Heinrich 22,25 Mann, Katia 115f. Mann, Klaus 113 Mann, Michael 31 Mannheim, Karl 63 Mareks, Erich 15,30f.,44,111 Martens, Hugo 12 Marx, Karl 8,29,51f„ 101,102 May, Karl 92 Medici, Lorenzo di 131 Meinecke, Friedrich 30, 40 Merz, Georg 15, 31 f., 46, 50, 51, 73, 111 Meyer, Eduard 26 Mezger, Edmund 40 Michels, Robert 119 Moeller van den Bruck, Arthur 12,128 Musil, Robert 41,106 Mussolini, Benito 11, 36, 113
Radbruch, Gustav 48 Raffael 131 Ranke, Leopold von 29, 31, 39 Rathenau, Walther 35,102 Reisiger, Hans 113f. Rhodes, Cecil 45f. Rilke, Rainer Maria 40f. Rohrmoser, Günther 132 Rosenberg, Alfred 112 Rosenzweig, Franz 128 Rosmer, Ernst (Pseudonym für Bernstein, Else) 28 Rousseau, Jean-Jacques 76, 96
Nadler, Josef 63, 133 Napoleon I., Französischer Kaiser 8, 26, 69, 106 Nelson, Leonard 112 Nero 115 Neurath, Otto 49
Salomo, König Israels 127 Schack, Herbert 12 Scheler, Max 91,7/7 Schelsky, Helmut 132 Schiller, Friedrich 42 Schlaf, Johannes 89
168
Schmitt, Carl 24, 37, 90,105 Schönberg, Arnold 115, 116 Schopenhauer, Arthur 14, 20, 27, 38, 50, 55,52, 72f., 113f., 128, 132 Schwartz, Eduard 40 Scott, Walter 39 Shakespeare, William 124 Shaw, George Bernhard 22 Shotwell, James 123 Simmel, Georg 91, 122 Sombart, Werner 103, 118 Sorel, Georges 29,128 Spiegelberg, Wilhelm 40 Steiner, Max 89 Strauß, Johann 82 Sybel, Heinrich von 37 Tolstoi, Leo 42, 62, 74, 76, 78 Treitschke, Heinrich von 37 Troeltsch, Ernst 30, 40 Trotzki, Leo 89 Tschaikowski, Peter 140 Tucholsky, Kurt 8, 9, 65, 87, 92f., 103, 120 Vaihinger, Hans 23 Valery, Paul 112 Vergil 95 Voltaire, Franfois Marie Arouet 76 Waetzoldt, Wilhelm 134 Wagner, Richard \2, 26, 37, l\l, 81, 54,116, 125,128 Walter, Bruno 117 Wandrey, Conrad 33 Wassermann, Jacob 111 Weber, Marianne 28 Weber, Max 15, 28f., 44, 48, 69, 82, 86, 111,722 Westphal, Otto 30 Whitman, Walt 13
Personenverzeichnis
Witkop, Philipp 19 Wittgenstein, Ludwig 40 Wolfskehl, Karl 9ff., 113f.
Werkregister Thomas Manns
Kursive Zahlen verweisen auf die Anmerkungen der jeweiligen Seite.
Achtung, Europa! 36,113 Anzeige eines Fontane-Buchs 35, 38 Betrachtungen eines Unpolitischen 14, 20, 25f., 43, 52, 55f, 69, 78, 96,103 Briefwechsel und Adressaten - Adorno, Theodor W. 117 - Baeumler, Alfred 17, 43ff., 51 f., 111, 142 - Blume, Gustav 45 - Boll, Franz 27,44, 142 - Boy-Ed, Ida 22f., 36 - Emrich, Wilhelm 112 - Eschenhagen, Gerhard 112 - Förster-Nietzsche, Elisabeth 23 - Frey, A.M. 116 - Keyserling, Hermann Graf 12, 28, 30, 44 - Lesser, Jonas 127f. - Lewisohn, Ludwig 128 - Mann, Klaus 113 - Martens, Hugo 12 - Pannwitz, Rudolf 31 - Parker, Harrison 91, 111 - Ponten, Josef 55f. - Ohler, Adalbert 23 - Severing & Güldner 111
- Valery, Paul 112 - Walter, Bruno 117 - Witkop, Philipp 19 Buddenbrooks 14, 20, 43, 65, 69, 71 Von deutscher Republik 14, 35ff., 46f, 49f, 60, 94, 97, 108f., 135f., 141 Deutschland 12,37 Doktor Faustus 13, 16, 89, 90ff., 114-117,124-142 Die Entstehung des „Doktor Faustus" 116 Friedrich und die große Koalition 56 Gedanken im Kriege 43, 56 Geist und Kunst 42f. German Letter 17, 35-38, 47, 50, 93f., 104, 108, 134 Joseph und seine Brüder 13, 112, 127f. Der Künstler und der Literat 42 Über die Lehre Spenglers 17, 14,
170 36ff., 40, 47-52, 57, 73, 93f., 104, 108, 114, 128f. Nietzsche's Philosophie im Lichte unserer Erfahrung 83, 91 Beim Propheten 90,134 Die Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte 36 Tagebücher 14, 17, 19-23, 26ff., 30f„ 33, 44, 46, 56, 60f., 63, 77, 109, 112-115, 117, 127 Der Tod in Venedig 42, 55f. Tristan 71 Wälsungenblut 71 f. Der Zauberberg 14-17, 20f., 37f., 50f., 55-109, 112, 129f„ 132, 138, 140
Werkregister Thomas Manns
Danksagung
Vorliegende Studie entstand aus einem Vortrag über Thomas Manns Spengler-Rezeption, den ich im Herbst 2000 in Straßburg gehalten habe bei einem von Professor Dr. Wolfgang Eßbach (Freiburg) und Professor Dr. Thomas Keller (Aix-en-Provence) veranstalteten Kolloquium zu „Geschichtsphilosophien in der Zwischenkriegszeit". Während eines Forschungsaufenthalts im Thomas Mann-Archiv in Zürich und bei der Arbeit mit Thomas Manns Marginalien in seinem Exemplar des Untergang des Abendlandes stellte sich heraus, daß das Thema ausbaufähig war. Cornelia Bernini (Zürich) und Dr. Thomas Sprecher (Zürich) vom Thomas Mann-Archiv bin ich für ihre freundliche Hilfe und das Interesse an meinem Projekt verbunden. Für Diskussion und Kritik danke ich Dr. Bernd Hamacher (Hamburg), Malte Herwig (Oxford), Dr. Jens Nordalm (Berlin/Eichstätt) und Dr. Toni Tholen (Frankfurt am Main). Professor Dr. Manfred Dierks (Oldenburg) und Professor Dr. Eckhard Heftrich (Münster) schulde ich Dank für bibliographische Hinweise. Professor Dr. Stefan Breuer (Hamburg) danke ich, daß er mir seine damals noch nicht veröffentlichten Studien zu Thomas Mann als Typoskript zur Verfügung gestellt hat. Für intensive kritische Lektüre meines Manuskripts bin ich Professor Dr. Achim Aurnhammer (Freiburg), Malte Graßhof (Karlsruhe) und Harald Haury (Tübingen) verbunden. Ihnen und vor allem meiner Mutter gilt mein besonderer Dank.
Freiburg, im Sommer 2002
Barbara Beßlich