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German Pages [240] Year 2020
Alberto Fragio Martina Philippi Josefa Ros Velasco (Hg.)
Metaphorologie, Anthropologie, Phänomenologie Neue Forschungen zum Nachlass Hans Blumenbergs
ALBER PHILOSOPHIE
https://doi.org/10.5771/9783495820490
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Alberto Fragio Martina Philippi Josefa Ros Velasco (Hg.) Metaphorologie, Anthropologie, Phänomenologie
ALBER PHILOSOPHIE
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Alberto Fragio Martina Philippi Josefa Ros Velasco (Hg.)
Metaphorologie, Anthropologie, Phänomenologie Neue Forschungen zum Nachlass Hans Blumenbergs
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Alberto Fragio / Martina Philippi / Josefa Ros Velasco (Eds.) Metaphorology, Anthropology, Phenomenology New Research on Hans Blumenberg’s Unpublished Manuscripts The ongoing research on Hans Blumenberg’s unpublished manuscripts shows an ever sharper image of a thinker who not only wrote extensive and insightful works on the history of ideas and technology but also influenced the public sphere – among others by his presence on the radio and regular contributions to newspapers such as FAZ and NZZ. This volume is completed with a posthumous manuscript about philosophy of technology, here transcribed and commented for the first time.
The Editors: Alberto Fragio is professor in the Department of Humanities at the Universidad Autónoma Metropolitana, Unidad Cuajimalpa / Mexico City. He is specialized in Hans Blumenberg’s works. Martina Philippi is doctoral candidate in Philosophy at Leipzig University. Her main focus lies on phenomenology, philosophy of technology, and the problem of self-evidence. Josefa Ros Velasco is Teaching Assistant in the Department of Romance Languages and Literatures at Harvard University and Postdoctoral Fellow at Real Colegio Complutense at Harvard. Her main focuses are anthropology and philosophy of boredom.
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Alberto Fragio / Martina Philippi / Josefa Ros Velasco (Hg.) Metaphorologie, Anthropologie, Phänomenologie Neue Forschungen zum Nachlass Hans Blumenbergs Die voranschreitenden Forschungen zum Nachlass Hans Blumenbergs zeichnen ein immer schärferes Bild eines Denkers, der sowohl umfangreiche Arbeiten zur Geistes- und Technikgeschichte vorlegte als auch das öffentliche Denken beeinflusst hat – unter anderem durch Präsenz im Radio und regelmäßige Beiträge zum Feuilleton von FAZ und NZZ. Der Sammelband wird durch ein bisher unveröffentlichtes Forschungsmanuskript Hans Blumenbergs aus dem Themenbereich der Technikphilosophie abgerundet, das für den Band transkribiert und kommentiert wurde.
Die Herausgeber: Alberto Fragio ist Professor am Departamento de Humanidades der Universidad Autónoma Metropolitana, Cuajimalpa/Mexiko und spezialisiert auf das Werk Hans Blumenbergs. Martina Philippi ist Doktorandin am Institut für Philosophie der Universität Leipzig. Ihre Schwerpunkte sind Phänomenologie, Technikphilosophie und die Problematik der Selbstverständlichkeit. Josefa Ros Velasco ist Assoziiertes Mitglied am Department of Romance Languages and Literatures sowie Real Colegio Complutense Fellow an der Harvard University. Ihre Schwerpunkte sind u. a. Anthropologie und Philosophie der Langeweile.
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2019 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-49008-2 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-82049-0
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Inhalt
Alberto Fragio, Martina Philippi und Josefa Ros Velasco Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Teil 1: Neues aus dem Nachlass Alberto Fragio The Young Blumenberg: Philosophical Dialogues and Other Contributions to the Radio, 1949–1955 . . . . . . . . . . . .
25
Alberto Fragio and Josefa Ros Velasco Hans Blumenberg: Philosophy and Literature from 1952 to 1958
49
Nicola Zambon Zwischen Husserl und Heidegger. Der Weg zu einer Beschreibung des Menschen . . . . . . . . .
73
Josefa Ros Velasco Hans Blumenberg’s Philosophical Anthropology of Boredom . .
91
Teil 2: Nachdenken mit Hans Blumenberg Angus Nicholls Applied Blumenberg: Prefiguration and the Case of Brexit
. . . 111
Marco Mauerer Erweiterungen am Provisorium: Hans Blumenbergs Phänomenologie des Mythos im Kontext des publizierten Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128 7
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Inhalt
Martina Philippi Das Selbstverständliche verstehen. Zu Blumenbergs Auseinandersetzung mit Edmund Husserl . . . Sandra Markewitz Das Rätsel des Trostes
146
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Teil 3: Ein Manuskript Rüdiger Zill »Automation«. Die Entstehung der Blumenberg’schen Technikphilosophie anhand eines frühen Vortragsentwurfs . . . . . . .
187
Hans Blumenberg Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214
Zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235
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Alberto Fragio, Martina Philippi, Josefa Ros Velasco
Einleitung
Die Arbeit an der Erschließung und Veröffentlichung von Blumenbergs Nachlass dauert nun schon gut zwei Jahrzehnte an. In dieser Zeit hat sich die Weise, wie wir sein Denken verstehen, signifikant weiterentwickelt. Beschreibung des Menschen (2006) und Theorie der Lebenswelt (2010) haben uns eine frische Perspektive auf philosophische Anthropologie und die Phänomenologie der Lebenswelt eröffnet, die der neue Band Phänomenologische Schriften (1981–1988) nun vertiefen kann; andere postume Werke Blumenbergs, wie Theorie der Unbegrifflichkeit (2007), Quellen, Ströme, Eisberge (2012), Präfiguration (2014) oder Rigorismus der Wahrheit (2015), gewähren neue Einblicke in die Konsequenz und den theoretischen Hintergrund seines Denkens. Die nun publizierten Briefwechsel mit Carl Schmitt und Jacob Taubes und die Editionen von Aufsätzen zu verschiedenen Themen wie Technologie (Schriften zur Technik, 2015) oder Literatur (Der Mann vom Mond: Über Ernst Jünger, 2007; Schriften zur Literatur 1945–1958, 2017) vermitteln uns einen zunehmend vollständigen Eindruck von der interdisziplinären Reichweite und Komplexität von Blumenbergs Werk. Alle diese teils neu erschlossenen, teils weiter als bisher zugänglich gemachten Schauplätze von Blumenbergs Denken bereichern unsere Kenntnis seiner Analysen, ob es nun um die Moderne geht, die umstrittenen Fragen der Säkularisation, die Metaphorologie oder die menschliche Kompensation des ›Absolutismus der Wirklichkeit‹. Blumenberg verknüpft diese Topoi in einer Weise, welche die Vielfalt seines Denkens widerspiegelt. Seine Arbeit an den Begriffen, Metaphern, an der Geistes- und Technikgeschichte erscheint als ein Lebensprojekt, in das alles einfließen kann, was diesen ungeheuer vielseitigen Denker interessiert hat. Sein breites Interesse dient ihm sowohl in der Auswahl seiner Lektüre als auch seiner Arbeitsthemen als Wegweiser und Filter, die ihm zuverlässig die Integration der unterschiedlichsten Themen in sein Werk ermöglichen – anders lässt 9 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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sich dieses Phänomen eines Viellesers, der sowohl seinen In- als auch seinen Output sorgfältig dokumentiert und für sein eigenes Schreiben in systematischer Weise fruchtbar gemacht hat, kaum erklären. Und auch die Vielfalt seiner Darstellungsweisen, die von der umfangreichen, sorgfältig konzipierten Monographie über Vorträge zu einzelnen Problemkreisen bis hin zu eher spielerischen Essays und anregenden Textminiaturen reicht, ermöglichen diese Integration. Blumenbergs Vorgehen unterscheidet ihn von Systementwicklern und macht ihn zum Beobachter und Kommentator, der dennoch selbst große Theoriekomplexe entwickelt hat. Dabei arbeitete Blumenberg nicht als Bewohner eines philosophischen oder geistesgeschichtlichen Elfenbeinturms. Schon als junger, noch unbekannter Philosoph publizierte er regelmäßig Rezensionen und kleine Feuilletons in Tageszeitungen, wohl auch aus finanziellen Gründen und teilweise unter Pseudonym. Gegen Ende seines Lebens nahm er diese Form öffentlicher Wirksamkeit wieder auf und schrieb viel beachtete Beiträge für die Neue Zürcher Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung; 1 und er hielt Vorträge vor Nicht-Fachpublikum (etwa die Vorträge vor der Post-Belegschaft, von denen einer im Beitrag von Rüdiger Zill dokumentiert ist) sowie im Radio. 2 Trotz der Vielzahl von Themen herrscht in Blumenbergs Werk nicht Beliebigkeit; seine Herangehensweise an die Sachen ist durch den Leitgedanken geprägt, die unterschiedlichsten Phänomene als Teil einer menschlichen Welt und Zeugnis menschlicher Weltgestaltung aufzufassen. Jeder dieser Topoi lässt sich ins Zentrum des Redens über Blumenberg stellen, weil sie miteinander verflochten sind. Einer davon ist der Gedanke der Aufklärung, der durch die Aufbereitung des Nachlasses noch an Tiefe gewinnt. Dieser Gedanke zählt unter verschiedenen Aspekten zu den großen Themen Blumenbergs: nicht nur als allgemein historisches Phänomen, sondern auch als ein Typ geistesgeschichtlicher Phänomene, und das ermöglicht die Rede von Aufklärungen im Plural und von Aufklärungsprojekten. Dabei sticht besonders die Kritik an einer Rhetorik hervor, die sich als eine Art Anti-Rhetorik maskiert, also ohne Umwege direkt sagen zu kön-
Zu den späteren Beiträgen gehören diejenigen, die ab 1985 auf der Seite »Geisteswissenschaften« der FAZ unter dem Titel »Begriffe in Geschichten« erschienen und im gleichnamigen Band erneut publiziert worden sind (Hans Blumenberg, Begriffe in Geschichten, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1998). 2 Vgl. den Beitrag von Alberto Fragio in diesem Band. 1
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Einleitung
nen suggeriert, worauf es ankommt, dabei aber instrumentalisierte Metaphern hervorbringt. Im konkreten Fall jenes historischen Phänomens, das wir üblicherweise mit dem Titel Aufklärung verbinden, ist dies vor allem die Metapher des Lichts. 3 Der Bedarf an Aufklärung steht für Blumenberg nicht in Zweifel; die Kritik richtet sich lediglich gegen jene Projekte, die absolute Lösungen versprechen und durchsetzen wollen. Blumenberg selbst strebt Transparenz an, aber nicht im Sinne einer Klärung ein für allemal, sondern als Erschließung von Denkwegen, als Aufklärung über blinde Flecke in der Darstellung von Sachverhalten, auch, aber nicht in erster Linie als Aufklärung über die Sachverhalte selbst. Ein konkreter Fall, in dem solche Transparenz gefordert ist und in dem auch die Aktualität dieser Forderung auf der Hand liegt, ist die für Blumenberg hoch interessante Entwicklung neuer Technologien. 4 Aber noch ein gutes Stück über diese metaphorologischen Aspekte geht Blumenbergs Kritik an einem Theoriekomplex hinaus, der mit einem universalen Aufklärungsanspruch auftritt und an dem er sich lebenslang abgearbeitet hat: das Werk Edmund Husserls, das aus erkenntnistheoretischen und teleologischen Motiven heraus ein sorgfältig erarbeitetes menschliches Selbstverständnis fordert und dieses Programm aus ganz verschiedenen Gründen und trotz mehrerer theoretischer Anläufe nicht einzulösen vermag. 5 Ein kurzer Vergleich mit demjenigen Autor, der Blumenberg vielleicht am stärksten geprägt und zugleich hinsichtlich der Reflexion der eigenen Arbeitsweise, also der Reflexion von Reflexion, am nachhaltigsten beschäftigt hat, liefert eine Folie für Blumenbergs hoch selbstkritische Arbeitspraxis. Denn in Blumenbergs Arbeiten läuft der – für die Arbeit am Nachlass besonders interessante – Gedanke der ›Selbstaufklärung‹ stets mit. Dieser Titel spiegelt die Bemühungen der Husserlschen Phänomenologie um Selbstbesinnung und Selbstkontrolle wider, 6 und Selbstaufklärung ist für Blumenberg auch im Hinblick auf sein eigenes Arbeiten ein wichtiges Anliegen. Die besondere HerausfordeVgl. Alberto Fragio: Hans Blumenberg and the Metaphorology of Enlightenment, in: Cornelius Borck: Hans Blumenberg beobachtet. Wissenschaft, Technik und Philosophie, Freiburg i. Br./München: Alber 2014, 88–107. 4 Vgl. den Beitrag von Rüdiger Zill in diesem Band. 5 Vgl. die Beiträge von Martina Philippi und Nicola Zambon in diesem Band. 6 Vgl. Hans Blumenberg, Zu den Sachen und zurück, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002, S. 17. 3
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rung besteht darin, die eigene Arbeit trotz ihrer Fülle überblickbar und transparent zu halten, und das sowohl im Sinne der Arbeitsprozesse als auch des Werkkorpus. Am Nachlass, der im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrt wird, lassen sich die Methoden nachvollziehen, mit denen Blumenberg die Ergebnisse seines Schaffens sorgfältig unter Kontrolle gehalten hat: Sowohl die in beschrifteten Mappen hinterlassenen Konvolute, als auch die zahlreichen Zettelkasten-Karteikarten – größtenteils in Karteikästen geordnet, teilweise stapelweise in Papier eingeschlagen 7 – wurden von ihm selbst zusammengestellt und gleichsam archiviert. Blumenberg hat gewissermaßen zu Lebzeiten seinen eigenen künftigen Nachlass sortiert und verwaltet. 8 Dieses Vorgehen bildet einen scharfen Kontrast mit demjenigen Husserls. Bereits zu Lebzeiten stellte die Aufbereitung der größtenteils stenographischen Manuskripte für Husserl eine so umfangreiche Aufgabe dar, dass er seine Assistenten zur Verwaltung der zwar meist akribisch übertitelten, aber nur rudimentär geordneten Massen an Manuskripten heranzog. Doch wie die Assistenten das Rohmaterial zur Publikation ausarbeiteten, stimmte nicht immer mit Husserls Intentionen überein; die Arbeit an einer Rekonstruktion der Urfassung von Ideen II und Ideen III auf der Grundlage der Originalmanuskripte, die in der Reihe Husserliana erscheinen wird, eröffnet tiefe Einblicke in diese Problematik. 9 Blumenbergs Selbst-Verwaltung, die ebenfalls dem Zweck des Systematisierens und Vorbereitens seiner Manuskripte zur Publikation dient, steht unter ganz anderen konzeptionellen Voraussetzungen. Die Transparenz, die Husserl für seine eigene Arbeit fehlte und um die Blumenberg sich in seinem Arbeiten gleichsam als sein eigener Archivar gewissenhaft bemühte, verdankt sich nicht nur der Tatsache, dass Blumenberg stets den Überblick über seine Produktivität mit Hilfe von Listen, der Zusammenstellung von Konvoluten und letztlich klar umrissenen Vorhaben behielt, sondern auch dem Anspruch an den eigenen Text. Den Phänomenologen HusDies gilt für die ›abgearbeiteten‹ Karten, die in Texten Verwendung gefunden haben und von Blumenberg nicht mehr benötigt wurden. 8 Vgl. Ulrich von Bülow, Dorit Krusche, Vorläufiges zum Nachlass von Hans Blumenberg, in: Borck, Hans Blumenberg beobachtet (wie Anm. 1), S. 273–288. 9 Zur geplanten Edition siehe Dirk Fonfara, Einleitung des Herausgebers, in: Edmund Husserl, Zur Lehre vom Wesen und zur Methode der eidetischen Variation. Texte aus dem Nachlass (1891–1935), hg. von Dirk Fonfara, Dordrecht etc.: Springer, S. XVII– XLVI, hier: S. XXVIII f., Anm. 8. 7
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Einleitung
serl trieb das Streben nach endgültiger Wahrheit an; diesem Streben fühlte er sich als ein Philosoph verpflichtet, der endlich umsetzt, was sowohl in der Philosophie- als auch in der Menschheitsgeschichte teleologisch angelegt ist und angesichts einer Krise sowohl der Wissenschaften als auch des (bei Husserl: europäischen) menschlichen Selbstverständnisses dringend zur Realisierung kommen muss. 10 Für Blumenberg, der es als Glück beschrieb, ›sagen zu können, was ich sehe‹, 11 war Husserls Anspruch an eine vollständige, allgemein- und überzeitlich gültige Explikation ›der Sachen‹ äußerst fragwürdig. Blumenberg betont die Relativität theoretischer Arbeit, die nicht nur aus der begrenzten Reichweite menschlicher Erkenntnis folgt, sondern aus der Ambiguität jeder Darstellung. Blumenbergs Schreiben steht im Spannungsfeld eines stark appellativen, statuierenden Stils einerseits und – vor allem ab den späten 70er Jahren – eines Anspruchs andererseits, der sich der ›Nachdenklichkeit‹ als ›Anti-Methodologie‹ verschrieben hat 12 und einen recht verspielten Umgang mit Begrifflichkeiten erlaubt. Ein Beispiel hierfür ist die folgende Meta-Metapher: »Der Begriff wird lebendig durch die Erfrischung, die ihm das Bad in neuen Metaphern gewährt.« 13 Diese scheinbare Lässigkeit in der Darstellung bedeutet nicht Sorglosigkeit im Denken und Schreiben; denn in den stilistischen Eigenheiten spiegelt sich, vor allem in Verbindung mit Blumenbergs Texten zu den Grenzen der Begrifflichkeit, die besagte Kritik an irreführender Rhetorik wider und gewinnt eine neue Dimension: Wer gar nicht erst beansprucht, alles ausdrücken zu können, was auszudrücken wünschenswert wäre, kann an diesen Grenzen auch nicht scheitern. Die Herausgabe von Hans Blumenbergs Nachlass stellt vor besondere Herausforderungen. Einerseits ist jede postume Edition einem philologischen Anspruch verpflichtet; andererseits weist ManVgl. Ullrich Melle, Systematischer Überblick über Husserls phänomenologisches Projekt, in: Sebastian Luft/Maren Wehrle (Hrsgg.), Husserl-Handbuch, Stuttgart: Metzler 2017, S. 116–125, hier S. 117: »Husserl sieht sich auf dem Scheitelpunkt der Geschichte nicht nur der Philosophie und Wissenschaft, sondern der Welt- und Menschheitsgeschichte.« 11 So im Fragebogen des FAZ-Magazins: Hans Blumenberg, Fragebogen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Magazin, Ausgabe 118, 4. Juni 1982, S. 25. 12 Vgl. Rüdiger Zill: Auch eine Kritik der reinen Rationalität. Hans Blumenbergs Anti-Methodologie, in: Michael Heidgen, Matthias Koch, Christian Köhler (Hrsgg.): Permanentes Provisorium. Hans Blumenbergs Umwege, S. 53–74. 13 Hans Blumenberg, Begriffe in Geschichten, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998, S. 43. 10
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fred Sommer nicht zu Unrecht darauf hin, dass die stillschweigende Korrektur offensichtlicher Fehler in Interpunktion und Orthographie »so trivial« sei, »daß es in einer Ausgabe, die vor allem gelesen werden will, pedantisch gewesen wäre, dies eigens kenntlich zu machen«. 14 Es zeichnet Blumenbergs Texte aus, kommentarlos für sich zu stehen und in ihrem zuweilen nicht leicht zugänglichen, nahezu apodiktischen Gestus ihre Wirkung zu entfalten. Gerade die bibliophilen Ausgaben aus dem Suhrkamp-Verlag tragen dem literarischen Duktus der Texte Rechnung. Bei einem Autor, der ein so hohes Maß an Aufmerksamkeit und Sorgfalt bei der Umsetzung und Gestaltung seiner zu Lebzeiten publizierten Bücher und bei der Vorbereitung seiner nachgelassenen Texte hatte und der letztere vor allem selbst so sorgfältig aufbereitet hat, wechselt die editorische Arbeit auf eine andere Ebene: Dieses Verhältnis muss dann mit thematisiert werden. Dieser Herausforderung stehen wir umso mehr jetzt gegenüber, da die erste Generation von Editoren, die Blumenberg und seinen Anspruch noch aus persönlichem Erleben gekannt haben, die Arbeit an eine jüngere Generation übergibt, die nicht mehr zum direkten Schülerkreis zählt. Die Vielfalt der Rezipienten Hans Blumenbergs, allen voran der Forscher, die seinen Schriften Jahre ihres Lebens widmen, ist bemerkenswert. Hier sehen wir sowohl Zeitgenossen, ehemalige Schüler, die Blumenbergs Denkweisen in ihre eigenen Forschungsweisen und -gebiete hineingetragen haben, als auch junge Forscher, die Blumenberg ausschließlich aus seinen Texten kennen und diese ihren Qualifikationsarbeiten zugrunde legen. 15 Dass das internationale Interesse an Blumenbergs Nachlass auch fast zwanzig Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen ist und steigt, zeigt die Tatsache, dass sich zahlreiche Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen der Lektüre 14 Manfred Sommer, Editorische Notiz, in: Hans Blumenberg, Theorie der Lebenswelt, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 248; vgl. auch ders., Nachwort des Herausgebers, in: Hans Blumenberg, Beschreibung des Menschen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, S. 905: »Der Verfasser hat seine Texte so sorgfältig ausgearbeitet, daß dem Herausgeber die Gratwanderung zwischen der Vorlage eines lesbaren Buches und der einer getreuen Dokumentation erspart bleibt.« 15 Martin Zerrath, Vollendung und Neuzeit. Transformation der Eschatologie bei Blumenberg und Hirsch, Marburger Theologische Studien, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2011; Rolf Mengert, Hans Blumenbergs interdisziplinär fundierte Anthropologie, Dissertation, Berlin: Freie Universität 2016; Nicola Zambon, Das Nachleuchten der Sterne. Konstellationen der Moderne bei Hans Blumenberg, Paderborn: Wilhelm Fink 2017.
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Einleitung
und Analyse seiner Texte widmen. Dies wird belegt durch eine große Zahl von Monographien nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum, die teilweise aus Qualifikationsarbeiten hervorgegangen sind, 16 sowie von Anthologien, die auf internationale Konferenzen und Forschungsnetzwerke zurückgehen. 17 Außerdem werden Künstler von der Rigorosität und Kühnheit seines Denkens wie von der Zurückgezogenheit seiner Lebensweise beeindruckt, ein Eindruck, der Inspiration und geistiges Material für belletristische wie auch filmische Werke bietet. 18 Zudem ist eine Blumenberg-Gesellschaft gegründet worden und ein Blumenberg-Handbuch in Arbeit, das anlässlich des 100. Geburtstags erscheinen soll. Sowohl die Zahl der aus dem Nachlass publizierten Werke als auch die der Übersetzungen der Schriften Blumenbergs in zahlreiche Sprachen steigt kontinuierlich. Es scheint, als begriffen wir erst heute annähernd das Vermächtnis seines Den16 César González Cantón, La metaforología en Blumenberg, como destino de la analítica existencial, Dissertation, Madrid: Universidad Complutense 2005; Angus Nicholls, Myth and the Human Sciences. Hans Blumenberg’s Theory of Myth, New York: Routledge 2014; Pedro García-Durán, De la Historia a la Antropología. El camino fenomenológico de Hans Blumenberg, Dissertation, Valencia: Universidad de Valencia 2015; Alberto Fragio, Paradigms for a Metaphorology of the Cosmos. Hans Blumenberg and the Contemporary Metaphors of the Universe, Rom: Aracne Editrice 2015. 17 Alberto Fragio, Diego Giordano (Hrsg.), Hans Blumberg. Nuovi paradigmi di analisi, Rom: Aracne Editrice 2010; Denis Trierweiler (Hrsg.), Hans Blumenberg, anthropologie philosophique, Paris: Presses Universitaires de France 2010; Michael Moxter (Hrsg.), Erinnerung an das Humane. Beiträge zur phänomenologischen Anthropologie Hans Blumenbergs, Tübingen: Mohr Siebeck 2011; Cornelius Borck (Hrsg.), Hans Blumenberg beobachtet. Wissenschaft, Technik und Philosophie, Freiburg im Breisgau/München: Verlag Karl Alber 2014; José Luis Villacañas (Hrsg.), Blumenberg: la apuesta por una Ilustración tardía. Barcelona: Anthropos 2014; Robert Buch, Daniel Weidner (Hrsgg.), Blumenberg lesen. Ein Glossar, Berlin: Suhrkamp 2014; Michael Heidgen, Matthias Koch, Christian Köhler (Hrsgg.), Permanentes Provisorium. Hans Blumenbergs Umwege, Paderborn: Fink 2015; Melanie Möller (Hrsg.), Prometheus gibt nicht auf. Antike Welt und modernes Leben in Hans Blumenbergs Philosophie, Paderborn: Fink 2015; Faustino Oncina Coves, Pedro García-Durán (Hrsgg.), Hans Blumenberg. Historia in/conceptual, antropología y modernidad, Valencia: Pre-Textos 2015; Frank Ragutt, Tim Zumhof (Hrsgg.), Hans Blumenberg. Pädagogische Lektüren, Wiesbaden: Springer 2016; Wolfgang Müller-Funk, Matthias Schmidt (Hrsgg.), Blumenbergs Schreibweisen. Methodische und kulturanalytische Perspektiven im Ausgang von Hans Blumenberg, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2019. 18 Etwa der Roman von Sybille Lewitscharoff: Blumenberg, Berlin: Suhrkamp 2011, oder der Film von Christoph Rüter: Hans Blumenberg – Der unsichtbare Philosoph (Premiere am 22. 11. 2018).
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Alberto Fragio, Martina Philippi, Josefa Ros Velasco
kens in seiner ganzen Tragweite, und es gilt, Zeit und Mühe zu investieren, um dieses weitreichende Werk zu analysieren. Die Erschließung, Publikation und Diskussion von Texten aus Blumenbergs Nachlass hat die Wirkmächtigkeit seines Werkes in das 21. Jahrhundert hinübergetragen. Kaum jemand hat wie er dafür gekämpft, das Erbe der Aufklärung zu bewahren, auf ihre Herausforderungen hinzuweisen und einen Weg vorzuschlagen, auch die Kehrseite der Aufklärung zu thematisieren. Blumenberg steht für ein Denken, das seine eigene Tradition revidiert und Sackgassen darin aufzeigt. Der vorliegende Band ist daher mit einer zweifachen Zielsetzung konzipiert: Zum einen gilt es, aus Blumenbergs postum veröffentlichten Büchern einen neuen Zugang zu seinem Denken zu gewinnen; zum anderen, sich einem Überblick über die Forschungslinien anzunähern, die aus seinem Werk hervorgegangen sind und noch hervorgehen können. Den ersten Teil, der neue Forschungen zu eher jungen Editionen von Nachlasstexten und zu unveröffentlichtem Material enthält, eröffnet der Beitrag von Alberto Fragio. Er diskutiert eine frühe Phase von Blumenbergs intellektueller Produktivität, nämlich Radiobeiträge aus dessen Zeit als junger Wissenschaftler ohne dauerhafte Anstellung. Fragio beschreibt Blumenbergs Beiträge von 1949 bis 1955 für den Nordwestdeutschen Rundfunk, dessen Stationen in Hamburg und Köln angesiedelt waren, und den Südwestfunk aus Baden-Baden. Letzterer hatte ein angesehenes Kulturprogramm namens Nachtprogramm, zu dem auch namhafte Autoren wie Alfred Döblin, Karl Jaspers oder Ernst Jünger Beiträge lieferten. Während dieser Jahre fand die komplexe Entwicklung Blumenbergs zu einem Intellektuellen von bundesweitem Einfluss statt, und das in einer Umgebung, die noch stark von den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und dem Naziregime gezeichnet war. In dieser Untersuchungsperiode wird eine intensive Entwicklung der philosophischen Interessen des jungen Blumenberg sichtbar, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Dissertation über mittelalterliche Scholastik und seiner Habilitationsschrift, die eine Analyse von Husserls phänomenologischer Krisis-Diagnose vornimmt. Nach und nach wandte Blumenberg sich der Interpretation der geistigen Situation im Nachkriegsdeutschland auf der Basis der Philosophiegeschichte, der Eindrücke des beginnenden Kalten Krieges und der Gegenwart theologischer Themen in der zeitgenössischen Literatur zu, die sich insbesondere in den Romanen von Graham Greene und Evelyn Waugh zeigt. 16 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Einleitung
Dieser Beschäftigung mit zeitgenössischer Literatur widmet sich der gemeinsame Beitrag von Alberto Fragio und Josefa Ros Velasco. Zwischen vielen weiteren Kurzessays schrieb Blumenberg von 1952 bis 1958 fünf bemerkenswerte philosophische Rezensionen zu literarischen Werken, die in der katholischen Zeitschrift Hochland veröffentlicht wurden. Bislang wurde diesen Rezensionen nur wenig wissenschaftliches Interesse entgegengebracht. Der Beitrag fokussiert Blumenbergs frühe Rezensionen zu Franz Kafka, Evelyn Waugh, Ernest Hemingway, Thomas S. Eliot und William Faulkner. Ihre Texte hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung einiger wiederkehrender Themen in Blumenbergs philosophischem Denken. Zum einen sind sie Teil einer besonderen Phase der intellektuellen Entwicklung in Blumenbergs früher Laufbahn. Zum anderen spiegeln sie verschiedene Wegmarken in Blumenbergs Zeit als junger Wissenschaftler wider: sein Interesse an einer bestimmten Art von Literatur, die Einsichten in die europäische Nachkriegskultur gewährt; sein lebhaftes Interesse an Religion und politischen Themen; und die intellektuelle Motivation, als Mitbegründer an der Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik zu partizipieren. So wird der allgemeine Kontext für Blumenbergs früheste Beiträge zur Literatur und ihre philosophische Bedeutung sichtbar. Im Zentrum von Nicola Zambons Beitrag steht ein frisch publizierter Band von Schriften aus dem Nachlass. Zu seinen Lebzeiten hat Hans Blumenberg einen einzigen Band zur Phänomenologie veröffentlicht, nämlich Lebenszeit und Weltzeit, der 1986 erschien. Dieser ist aber nur das Destillat einer lebenslangen Auseinandersetzung, die bis in die Jahre der Qualifikationsschriften zurückreicht, Anfang der 70er Jahre aber noch mal eine Intensivierung erfährt, als Blumenberg ein Buchprojekt, Der verborgene Gott der Phänomenologie, zu entwerfen beginnt. Darin wird zum ersten Mal die Arbeit an einer phänomenologischen Anthropologie angekündigt, welche die 70er und 80er Jahre durchzieht und sich in Beschreibung des Menschen und den anderen postum veröffentlichten Werken niederschlägt. Der Beitrag rekonstruiert philologisch zum einen die Entstehung von Beschreibung des Menschen und deren Zusammenhang mit Der verborgene Gott der Phänomenologie. Diese Rekonstruktion ist notwendig zum Verständnis von Blumenbergs Arbeit an der Phänomenologie Husserls sowie seines Projekts einer phänomenologischen Anthropologie. Zum anderen wird das Projekt thematisch dargestellt und ausgelegt, und zwar sowohl im Bezug auf Husserl als auch im 17 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Alberto Fragio, Martina Philippi, Josefa Ros Velasco
Hinblick auf das, was Blumenberg Heideggers ›Verformung der Phänomenologie‹ genannt hat. Mit dem Thema der Langeweile in Blumenbergs Werk befasst sich der Beitrag von Josefa Ros Velasco. Sie präsentiert publizierte Schriften und Manuskripte aus dem Nachlass aus einer philosophisch-anthropologischen Perspektive, um sie gegen die zeitgenössische Auffassung von Langeweile als pathologischem persönlichen Charakterzug anzuführen. Langeweile gilt historisch unter zahlreichen Philosophen, Theologen und Literaten als ein beschämendes, sündhaftes und entfremdendes Gefühl und wird gegenwärtig von einigen psychologischen und psychiatrischen Disziplinen als pathologischer Charakterzug betrachtet. Demgegenüber fordert eine alternative anthropologische Perspektive ein andersartiges Verständnis von Langeweile als eine adaptive Emotion, deren Funktion darin liegt, Personen auf Umstände aufmerksam zu machen, die verändert werden sollten. In diesem Kontext erweist sich Hans Blumenbergs Verständnis von Langeweile als bemerkenswert neuartig, auch weil die meisten seiner Schriften zu einer philosophischen Anthropologie der Langeweile bislang nicht veröffentlicht sind. Der Beitrag konzipiert eine anthropologisch-philosophische Theorie der Langeweile, indem zuerst der Begriff der Langeweile innerhalb zeitgenössischer psychologischer und psychiatrischer Paradigmen kontextualisiert und zweitens die philosophische Anthropologie der Langeweile unter Erörterung ihrer Schlüsselbegriffe in Blumenbergs Werk verortet wird. Abschließend wird gezeigt, wie diese Konzeption das vorherrschende Verständnis von Langeweile als pathologischem Zug tangiert. Der zweite Teil des Bandes, Nachdenken mit Hans Blumenberg, beinhaltet Texte, die zentrale Themen des nachgelassenen Werkes aufgreifen und weiterführen und dabei auch über die Art seines Theoretisierens in den zu Lebzeiten unpublizierten Schriften reflektieren. Diese Reflexionsform von ›angewandtem Blumenberg‹ wird durch zwei Texte zu Blumenbergs Theorie des Mythos eröffnet. Der Beitrag von Angus Nicholls zeigt Wege, wie Blumenbergs Überlegungen zum politischen Mythos helfen können, bestimmte Aspekte der Brexit-Kampagne zu verstehen. Nicholls belegt, wie Blumenbergs Theorie von Anfang an als eine latent politische Theorie aufgefasst werden kann, deren politischer Charakter angesichts kürzlich veröffentlichter Nachlassschriften deutlicher zutage tritt: dem Band Präfiguration (2014) und dem Essay zu Freud und Arendt unter dem Titel Moses der Ägypter (2015). Blumenberg versteht Präfiguration 18 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Einleitung
als eine bestimmte Art von Mythos, sie das Auffahren emotional geladener und ›bedeutsamer‹ historischer Beipiele in zeitgenössischen politischen Kontexten thematisiert. Seine Theorie des politischen Mythos und insbesondere das Konzept der Präfiguration werden angewandt, um Boris Johnsons emotionsgeladene Hinweise auf den Zweiten Weltkrieg und auf Churchill im Rahmen der Brexit-Kampagne zu analysieren. Marco Mauerer widmet sich einigen Erkenntnissen, die die Auswertung des bisher publizierten Nachlasses Hans Blumenbergs für die weitere Erforschung seiner Mythosauffassung mit sich bringt. Die einleitende methodische Reflexion über die spezifische Form des Umgangs Blumenbergs mit seinen Themen, die auch eine Reflexion über das Verhältnis von publiziertem Werk und Nachlass beinhaltet, wird im Anschluss selbst in Anwendung gebracht, um anhand der Bereiche Anthropologie, geschichtsphilosophischer Hintergrundsystematik einer Theorie der Lebenswelt und politischer Mythologie die Ergänzungen und Erweiterungen des Mythosbegriffs in den Nachlasstexten aufzuzeigen. Der Text schließt mit einem Vorschlag, wie dieser erweiterte Begriff im Rahmen einer allgemeineren kulturellen Hermeneutik der näheren Gegenwart Verwendung finden kann. Im Kontext der Auseinandersetzung Blumenbergs mit Husserls Phänomenologie steht der Beitrag von Martina Philippi. Sie skizziert zunächst das phänomenologische Projekt Edmund Husserls, um dann zu klären, in welche Richtung Blumenbergs Kritik zielt. Insbesondere der Konflikt zwischen dem programmatischen Anspruch des Projektes und an verschiedenen Aspekten immer wieder erfahrbaren Beschränkungen seiner tatsächlichen Ausführung bietet Blumenberg Anlass, die tragenden Säulen dieses Projektes ins Wanken zu bringen – und das auf der Basis einer tiefen Verbundenheit mit Husserls Interesse an der theoretischen Auseinandersetzung mit der Lebenswelt sowie deren theoretischer Implikationen einerseits und lebensweltlicher Konsequenzen andererseits. Unter dem von Blumenberg selbst verwendeten Programmtitel Das Selbstverständliche verstehen geht es dabei weniger um eine theoretische Erschließung von konkret Selbstverständlichem, sondern um das Phänomen des Selbstverständlichen und die theoretische Auseinandersetzung damit – und vor allem um deren Grenzen, die Husserl selbst im Anspruch einer ›Phänomenologie der Phänomenologie‹ nicht akzeptieren wollte. Der Beitrag von Sandra Markewitz schließlich beschreibt, be19 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Alberto Fragio, Martina Philippi, Josefa Ros Velasco
zogen auf den Text Trostbedürfnis und Untröstlichkeit des Menschen aus dem Nachlassband Beschreibung des Menschen, wie Trostbedürftigkeit und die gleichzeitige Fähigkeit, Trost zu geben, den Menschen nicht nur anthropologisch, sondern auch ontologisch situieren, nämlich als Individuationspunkt einer Seinsstruktur, die um den Tod als semantisierendes Zentrum und vor allem um die Frage kreist, wie dem Menschen angesichts des Faktums des ›Herübergezogenseins ins Dasein‹ Trost zu geben sei. Dem Geborenen, der ohne seine Zustimmung ins Dasein herübergezogen wurde, ist die Personalität seiner Existenz nachträglich zu versichern, d. h. er ist über den initialen Moment des Nichtgefragtwordenseins zu trösten. Die ontologische Dimension scheint zudem auf, wenn man den Trost als Rätsel versteht, das in der Unentscheidbarkeit liegt, ob der Mensch im Trost eine Erleichterung des Lebens empfängt oder dieser ein Heteronomiesignal einer Gesellschaft ist, die sich über den Schmerz ihrer Mitglieder hinwegtäuschen will. Der dritte Teil des Bandes widmet sich einem bislang unveröffentlichten und unerschlossenen Manuskript aus Blumenbergs Nachlass. Im Marbacher Archiv liegt ein Vortrag von Juni 1956, oder zumindest einige Notizen dazu. Sein Titel lautet Automation. Dieses Manuskript ist aus mindestens zwei Gründen interessant. Erstens deutet es einige Probleme an, die im Umgang mit dem Archivmaterial, insbesondere den unpublizierten Texten Blumenbergs aufgeworfen werden: Was bedeutet es, an Blumenbergs Nachlass zu arbeiten, insbesondere mit einem Text, der nicht vollständig ausgearbeitet ist? Können wir nachvollziehen, wovon der ursprüngliche Vortrag gehandelt hat? Was sind die Hinweise darauf? Zweitens wissen wir einiges über Blumenbergs Technikphilosophie ab den 1960er Jahren, etwa die Artikel und Vorträge, die im Band Geistesgeschichte der Technik postum publiziert worden sind. In den 1950ern arbeitete er bereits daran. Doch die geschriebenen und gedruckten Texte befassen sich allein mit der Geistesgeschichte, nicht aber mit Fragen nach Technologie als solcher. »Automation« ist einer der sehr frühen Texte, die exemplarisch zeigen, wie Blumenberg seine Ideen über die Philosophie der Technik in eher systematischer Weise entwickelt hat. Rüdiger Zill hat die Handschrift transkribiert und kommentiert den Text in seinem Beitrag, um aus den ebenfalls als Faksimile abgedruckten zehn Manuskriptseiten die Entstehung von Blumenbergs Technikphilosophie herzuleiten. Der Sammelband ist aus der dreitägigen Tagung »Blumenberg 20 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Einleitung
postum. Vermächtnis und Forschungsprogramme« hervorgegangen, die im April 2017 unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer (Institut für Philosophie) und Prof. Dr. Dirk Quadflieg (Institut für Kulturwissenschaften) an der Universität Leipzig stattgefunden hat. Ihnen beiden danken wir sehr herzlich dafür, diese Tagung ermöglicht zu haben. Ebenso sind wir der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig für die finanzielle Unterstützung bei der Durchführung der Tagung sowie für die Finanzierung des vorliegenden Bandes zu Dank verpflichtet. Die Zitate aus dem Nachlass werden mit der freundlichen Genehmigung von Bettina Blumenberg veröffentlicht, die unsere Tagung mit einem Vortrag zur Arbeit am Nachlass bereichert hat. Auch für ihre Unterstützung bedanken wir uns sehr herzlich.
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Teil 1: Neues aus dem Nachlass
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The Young Blumenberg: Philosophical Dialogues and Other Contributions to the Radio, 1949–1955 1 In this chapter I will discuss an early stage of Hans Blumenberg’s intellectual production, when he was still a young scholar without any permanent position. To this aim, I will try to provide an overview of his contributions between 1949 and 1955 to Nordwestdeutscher Rundfunk radio, venues of which were located in Hamburg and Köln, and Südwestfunk radio, in Baden-Baden. This latter had a prestigious night cultural program, the Nachtprogramm, to which also other distinguished authors such as Alfred Döblin, Karl Jaspers and Ernst Jünger contributed. Along these years, the complex sociogenesis process launching Blumenberg as an intellectual of national reach took place, in an environment still affected by Second World War and the Nazi regime ravages. In the period under investigation, Blumenberg’s philosophical interest underwent intense evolution, transitioning from the topics of his doctoral thesis –medieval scholastic philosophy– and of his habilitation thesis –devoted to the analysis of Husserl’s crisis phenomenology– to more wide audience society-embedded issues. Progressively, Blumenberg turned to the interpretation of the spiritual situation of postwar Germany through the history of philosophy, the incipient Cold War and the presence of theological topics in contemporary literature, particularly in Graham Greene’s and Evelyn Waugh’s novels.
English translation by Marisol Loera, final revision by Tessa Marzotto. I would like also to thank Deutsche Literaturarchiv Marbach for granting me a scholarship to consult Blumenberg’s Nachlass. Moreover, this contribution also benefits from both the research project History of Ecological Economics and Theory of Natural Capital, supported by the Mexican Program of Basic Scientific Research CONACYT/SEP, and a research stage in April 2018 at the Instituto de Historia CCHS-CSIC (Madrid). Hans Blumenberg’s unpublished texts coming from his Nachlass at the Deutsches Literaturarchiv Marbach are hereafter abbreviated ›DLA Marbach‹.
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Contributions to Nordwestdeutscher Rundfunk On the Occasion of the 90th Anniversary of Edmund Husserl’s Birth (1949) To the best of my knowledge, Hans Blumenberg’s first contribution to radio took place on April 6, 1949, on the occasion of the 90th anniversary of Edmund Husserl’s birth (1859–1938). Back then, the entire Schleswig-Holstein region was still occupied by the British – it will not be until May 1949 that the British, French and American areas were united to create the Federal Republic of Germany. 2 In this context, Ludwig Landgrebe encouraged Blumenberg to organize some birth commemoration event in Husserl’s memory. 3 As a result, on January 18, 1949, Blumenberg took the initiative of writing to the Nordwestdeutscher Rundfunk radio, 4 with headquarters in Hamburg and Köln, to propose a special program devoted to Husserl, with the participation of Landgrebe – professor at the University of Kiel and former Husserl’s assistant between 1923–1927 –, the Belgian Franciscan philosopher Herman Leo Van Breda – responsible for the Husserl archive in Lovain –, and Blumenberg himself. At that time, it had been almost two years since Blumenberg earned his doctoral degree – on December 17, 1947 – under the supervision of Landgrebe, with a thesis on medieval scholasticism titled Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie, and he was now developing his habilitation thesis on the crisis of Husserl’s phenomenology, that he would defend on June 28, 1950, with the title Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls, 5 also under the supervision of Landgrebe. 2 Readers could find a biographic outline of Blumenberg in Angus Nicholls, Myth and the Human Sciences. Hans Blumenberg’s Theory of Myth, New York: Routledge 2015, here pp. 11–16. Nicholls has specially insisted on the presence of personalities linked to Nazism on the academic and institutional environment in which Blumenberg developed his career. See also Angus Nicholls, Hans Blumenberg on Political Myth. Recent Publications from the Nachlass, The Jerusalem Philosophical Quarterly 65 (January 2016), 3–33. 3 See Blumenberg’s letter to Landgrebe, with date on February 17, 1949 (DLA Marbach): »Ihrer Anregung, zum 90. Geburtstag Husserls etwas zu unternehmen«. 4 See Monika Boll, Nachtprogramm. Intellektuelle Gründungsdebatten in der Frühen Bundesrepublik, Münster: Lit Verlag 2004, here pp. 56–89. 5 That is how Blumenberg described his university labor history in a curriculum
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The Young Blumenberg
It is worth mentioning that it was thanks to Herman Leo Van Breda that Husserl’s enormous unpublished Nachlass was not lost, since the latter had long been suffering from growing Nazi harassment. Van Breda had visited Husserl in the last months of the philosopher’s life, and agreed to save the manuscripts in the event of his death, which would happen on April 27, 1938. After an enthralling diplomatic adventure, Van Breda finally managed to take them to the Catholic University of Louvain and create the Husserl Archive. Thus, on January 29, 1949, Blumenberg wrote to Van Breda about his intention to organize a special radio program aimed at recovering the memory and importance of Husserl [»Bedeutung Edmund Husserls wieder bewusst zu machen«], not only in view of »the present world significance of Husserl« [»die heutige Weltdeutung Husserls«], 6 but also of the necessary function of justice. 7 For this, he asked for a contribution concerning the Husserl Archive, its creation process and its task. At the same time, he asked for a fragment of the Cartesianischen Meditationen – which was still unpublished in German –, 8 and showed a specific interest in the paper Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die Transzendentale Phänomenologie. 9 In this regard, one should bear in mind that Walter Biemal would publish this text years later, in 1954, as part of the sixth volume of the Husserliana, under the title Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die Transzendentale Phänomenologie. In another letter from Blumenberg to Landgrebe, dated February 17, 1949, he informed his mentor that the radio had accepted the dated February 11, 1958: »Am 1. September 1948 wurde ich zum wissenschaftlichen Assistenten am Philosophischen Seminar der Universität Kiel ernannt. Dort habilitierte ich mich am 28. Juni 1950 mit einer Arbeit über ›Die ontologische Distanz‹ und einer Probevorlesung über ›Die Platokritik des Aristoteles und ihre Bedeutung für das Denken des Mittelalters‹. Am 27. März 1956 wurde mir eine Diätendozentur übertragen. Die Ernennung zum apl. Prof. erfolgte mit Urkunde vom 27. August 1957«. Hans Blumenberg, Lebenslauf (DLA Marbach). 6 Letter from Blumenberg to Herman Leo Van Breda, dated January 29, 1949 (DLA Marbach). 7 »eine Husserl-Sendung kaum irgendwo eine so notwendige Funktion – nicht zuletzt der Gerechtigkeit – darstellt«. Letter from Blumenberg to Herman Leo Van Breda (see note 6). 8 There was, however, a French translation by Emmanuel Lévinas, dated 1930, which Blumenberg cited in his habilitation work. 9 Letter from Blumenberg to Herman Leo Van Breda, dated January 29, 1949 (DLA Marbach).
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proposal of the special program about Husserl, and begged him not to leave him on his own in the organization of the event [»bitte Sie nun herzlich, mich Ihrerseits bei der Durchführung der Aufgabe nicht im Stich zu lassen«]. 10 He also informed Landgrebe that Van Breda was willing to contribute to the program, and recommended him to get everything ready before his upcoming trip to Mendoza (Argentina) where Landgrebe would take part in a philosophy congress. On February 28, 1949, Blumenberg confirmed to his contact at the Köln-based radio station that he had received Van Breda’s original essay on the history of the Husserl Archive of Louvain, along with various materials from Husserl’s manuscripts, including »the fragment of an important and little-known diary of Husserl from the year 1906«, 11 the text Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie, the unpublished Philosophie als menschheitliche Selbstbesinnung, and a lecture given by Husserl in Freiburg entitled Die reine Phänomenologie, ihr Forschungsgebiet und ihre Methode. At the same time, and because of Landgrebe’s trip to Argentina, he warned his contact of a change of plans regarding the initial proposal to include a live dialogue between Landgrebe and Blumenberg as part of the program. With the exception of Landgrebe’s contribution, Blumenberg’s Nachlass preserves all the typed texts that served to outline the radio night program, with a scheduled duration of 89 minutes and the following content: Edmund Husserl Ein Nachtprogramm aus Anlass seines 90. Geburtstages am 8. April 1949 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 2 7 Min. (Dr. Hans Blumenberg) Aus Husserls Tagebuch-Aufzeichnungen . . . . . S. 5 9 Min. (Husserl-Archiv, Löwen) Vortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 8 25 Min. (Prof. Ludwig Landgrebe) Aus den »Cartesianischen Mediationen« . . . . . . S. 9 8 Min. (unveröffentl. deutsche Nachschrift) Letter from Blumenberg to Landgrebe, dated February 17, 1949 (DLA Marbach). »ein wichtiger und bisher unbekannter Tagebuchauszug aus dem Jahre 1906«. Letter from Blumenberg to Carl Linfert, dated February 28, 1949 (DLA Marbach).
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Nachlassmanuskript »das ist gegen Heidegger« . . S. 12 7 Min. (Transkription Prof. Landgrebe) Das Husserl-Archiv in Löwen . . . . . . . . . . . S. 15 13 Min. (Prof. Herman Leo Van Breda, Löwen) Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . S. 20 20 Min. (Husserl-Archiv, Löwen) 89 Min.
The program began with a small introduction text by Blumenberg, in which Husserl was presented as »an intellectual destiny« [»ein geistiges Schicksal«], 12 and his spiritual inheritance as especially decisive at that time, when all certainties had disappeared and called for the necessity of a new beginning [»die Notwendigkeit eines Neuanfanges«]. 13 Blumenberg spelled out for the audience the enormous loss ensuing from the neglect of Husserl’s work, and insisted on Husserl’s profile as that of an author who took upon himself the responsibility of making a new radical beginning possible. The subsequent sections of the program can be here summarized as follows. First, reading is given of one fragment Husserl’s diary, dating back to when he was 47 years old and corresponding to September 25, 1906. The fragment was likely selected as it emphasizes Husserl’s tormented vocation for clarity, his interest in the logic of mathematical thinking and its pressing need to unravel »the strange and inconceivable worlds […] of pure logic and the act of consciousness«. 14 While providing an insight on his approach to work, Husserl claimed to be intensely studying the book Über Annahmen by Alexius Meinong (1853–1920), as well as the Psychologie by William James (1842–1910). »Since the beginning of this month, I am seriously immersed in work«, he wrote. 15 His enterprise was thus to elaborate a critique of logical and practical reason [»eine Kritik der logischen und der praktischen Vernunft«], a »phenomenology of reason« [»eine Hans Blumenberg, Einführung (DLA Marbach). Ibid. 14 »die unbegreiflich fremden Welten: die Welt des rein Logischen und die Welt des Aktbewusstseins«. Husserls Tagebuch-Aufzeichnungen. Hans Blumenberg, Ein Nachtprogramm aus Anlass seines 90. Geburtstages (DLA Marbach). 15 »Seit Anfang dieses Monats habe ich mich in die Arbeit ernstlich vertieft«. Blumenberg, Ein Nachtprogramm (see note 14). 12 13
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Phänomenologie der Vernunft«], 16 although he doubted whether it would live up to the effort and of the great philosophical spirits that preceded him. »Above all, I need the help of heaven. Good working conditions and inner concentration, the intimate unity with the problem«. 17 Husserl also claimed that he felt like Dürer’s knight, obliged to continue his way with serenity despite the stalking of the devil and death: »ich muss leben in Arbeit« [»I must live in work«], he concluded. 18 With regard to the section reserved to Landgrebe’s speech, only a blank sheet with the indication »Hier folgt der Vortrag von Prof. Ludwig Landgrebe« [»Here follows Landgrebe’s conference«] 19 appears in the typed texts. Further on, the reader finds a three-page excerpt from the Cartesianischen Meditationen and a brief text belonging to Husserl’s manuscripts, with the revealing annotation »das ist gegen Heidegger« [»this is against Heidegger«]. 20 In these notes, Husserl contrasted his notion of ›lifeworld‹ [›Lebenswelt‹] to Heidegger’s existential analysis, and advocated a »natural concept of the world« [»einen natürlichen Weltbegriff«]. 21 Two more texts complete the program. The first is Van Breda’s account of the vicissitudes associated with his rescue of Husserl’s Nachlass and the foundation of the Husserl Archive in Louvain. 22 The second text, which concluded the radio program, was one of Husserl’s last lectures, the famous Die Krisis des europäischen Menschentumes und die Philosophie, held in Vienna. According to the newspaper clipping including in the folder preserved in Blumenberg’s Nachlass, the radio program was broadcast on the Nordwestdeutscher Rundfunk on April 6, 1949, from 22:30 to 24:00 hours. Husserls Tagebuch-Aufzeichnungen. Blumenberg, Ein Nachtprogramm (see note 14). 17 »Vor allem bedarf ich der himmlischen Mithilfe. Gute Vorbedingungen der Arbeit und innerer Konzentration, inneres Einssein mit den Problem [sic!]«. Blumenberg, Ein Nachtprogramm (see note 14), p. 7. 18 Ibid., p. 7. 19 Ibid. 20 »Ein Nachlassmanuskript mit dem Vermerk Husserls: ›das ist gegen Heidegger‹.« Ibid., pp. 12–14. 21 Ibid., p. 12. 22 Further details in Herman Leo Van Breda, Die Rettung von Husserls Nachlass und die Gründung des Husserl-Archivs [1959], in: Geschichte des Husserl-Archivs / History of the Husserl-Archives, Dordrecht: Springer 2007, pp. 1–38. 16
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Commemoration of the 300th Anniversary of Descartes’ Death (1950) After the program in commemoration of Husserl’s birthday, more contributions by Blumenberg to radio programs followed. On February 4, 1950, Blumenberg sent a small text to the Nordwestdeutscher Rundfunk, this time on the occasion of the 300th anniversary of Descartes’ death, aimed at highlighting »the importance of the thinker for the contemporary intellectual situation« [»Die Bedeutung des Denkers für die geistige Situation der Gegenwart«]. 23 Among Blumenberg’s manuscripts a copy of a three-page document is preserved under the title »Der Ursprung der Neuzeit. Anlässlich des 300. Todestages des René Descartes am 11. Februar«. The text begins by pointing out the ambiguities of Modernity. Although Modernity and its irreversible features were mainly given for granted, the aspirations of the ›new time‹ [›Neuzeit‹] seemed to hardly withstand philosophical questioning. On the one hand, it has long been considered evident that at some point we have entered Modernity, and to this feeling a pretension of definitive character is attached. On the other hand, such an aspiration no longer seems valid to philosophical reflection. An element of arrogance makes it so that the »new time« describes »the great historical spaces of the past« [»die großen Geschichtsräume der Vergangenheit«], 24 as ›Antiquity‹ or ›Middle Ages‹, imposing a stiff order in the game of perspectives, and impeding an appropriate representation of the future. Never before, Blumenberg argues, the audacity to manage the meaning of the whole of history had come to the fore. As a result, Modernity is said to have introduced a form of historical consciousness full of ambivalences, with no real analogue in the past. Conversely, since the end of Modernity the word ›crisis‹ and subsequent disappointment have become familiar to us, raising the question for the historical moment in which these feelings originated. That is when Descartes appears as a central figure in the modern process. Descartes represents the search for a new certainty on which grounds man may establish himself, through
Letter from Blumenberg to Nordwestdeutscher Rundfunk, dated February 4, 1950 (DLA Marbach). Blumenberg requested to have his little essay broadcast again on the radio program called »Gedanken zur Zeit« [»Thoughts for the time«]. 24 Hans Blumenberg, Der Ursprung der Neuzeit. Anlässlich des 300. Todestages des René Descartes am 11. Februar (DLA Marbach). 23
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reason, and gain legitimacy: »the prototype of this legitimation is called ›science‹« [»der Inbegriff dieser Legitimation heißt ›Wissenschaft‹«]. 25 In this regard, one may have hoped to get rid of »all chaotic past and heavy medieval heritage«, and »to put a radical new beginning in all things« [»in allen Dingen einen radikalen Anfang zu setzen«]. 26 Blumenberg adds: »›Beginning‹ is the key word of the modern spirit, its violent energy, its unthinking readiness for revolution, but also its successful cover-up of the lack of soil«. 27 In this sense, Descartes is the poster child of the modern will to take charge of the whole reality; through the autonomy of reason, the modern man aims to lead the world to full clarity. Even morality is provisional insofar as it is pending its definitive development through reason. Here, says Blumenberg, lies ›the great modern mortgage‹ [›die große Hypothek der Neuzeit‹]. In Blumenberg’s view, what Nietzsche calls ›Nihilism‹ is nothing but the »brutal disappointment that this provisionality is not followed by anything definitive« [»die schonungslose Enthüllung, daß dieser Vorläufigkeit nichts Endgültiges gefolgt ist«], despite what Descartes may have believed. The modern position, as well as the »belief in the progress of the Enlightenment« [»den Fortschrittsglauben der Aufklärung«], 28 contains »the threatening possibility of a catastrophic disappointment« 29 and the uprising »of history against reason« [»der Geschichte gegen die Vernunft«]. Ultimately, »the certainty and power of scientific thought« would be revealed as »the deceitful soil of an epochal construction« [»als trügerischer Boden der epochalen Konstruktion«], 30 as the last opportunity for the return of doubt and despair. Following the same line as Blumenberg’s previous characterization of Husserl, contemporary philosophy is said to seek an analogous position to Descartes’, hence his actuality, answering the need to found a new beginning, a new relationship of trust with reality based on which we are to decide about the future.
Blumenberg, Der Ursprung der Neuzeit (see note 24), p. 2. Ibid., p. 2. 27 »›Anfang‹ ist das Schlüsselwort des modernen Geistes, seiner gewaltigen Energien, seiner bedenkenlosen Bereitschaft zur Revolution, aber auch seiner im Erfolg verschleierten Bodenlosigkeit«. Ibid., p. 2. 28 Ibid., p. 2. 29 Ibid., p. 3. 30 Ibid., p. 3. 25 26
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Thomas Aquinas (1951) In the folder of Blumenberg’s documents where his contributions to the radio Nordwestdeutscher Rundfunk are collected, there are also two long texts typed in the form of a dialogue on Thomas Aquinas, with the respective headings »Über das Weltbild Thomas von Aquins« [»On the Thomas Aquinas’ image of the world«] and »Baumeister des Abendlandes: Thomas von Aquino« [»Western constructor: Thomas Aquinas«]. Attached to the latter, there are also newspaper clippings which report their broadcasting on June 20, 1951, and October 28, 1951. The first of these dialogues addresses the question of whether the Middle Ages were or not »the space of great spiritual decisions« [»die großen geistigen Entscheidungen«]. 31 For the sake of controversy, the first interlocutor of the dialogue invented by Blumenberg argues that in the medieval period none of the above anticipated great spiritual decisions occurred, and that the historical sense of the time should rather be limited to the image of an army of copyist monks working on ancient texts. From this assertion, a discussion unravels as to show that the Middle Ages also had great thinkers [»das Mittelalter hat seine großen Denkergestalten«], 32 even in spite of the presence of strong authorities, hierarchies, inquisitorial forms and lack of freedom. In this regard, after a brief biographical outline, Thomas Aquinas is presented as »the summit and the consequence of the medieval spirit« [»die Höhe und Konsequenz des mittelalterlichen Geistes«], even though admittedly his contributions can not be understood without their reception of ancient Greek philosophy. From this starting point, the discussion is redirected towards the history of the reception of the legacy of great authors, their historical latency and their effects on the intellectual configuration of subsequent eras. 33 In this regard, reference is made to the history of the influence of Plato’s work compared to that of Aristotle. Blumenberg’s dialogue reminds the listener that, while Plato had a decisive influence on the gestation of primitive Christianity, and especially on St. Augustine, Aristotle required the mediation of the Arab world to
Hans Blumenberg, Über das Weltbild Thomas von Aquins (DLA Marbach). Ibid., p. 1. 33 »die Wirkungen großer geistiger Potentiale können eben lange, sehr lange auf sich warten lassen«. Ibid., p. 4. 31 32
33 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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have »an adventurous destiny« [»ein abenteuerliches Schicksal«], 34 notably thanks to the reception of Aristotelian ideas by Thomas Aquinas. Nevertheless, it is made clear that in no case did Aquinas claim for himself »the sovereignty of the spiritual act« [»ohne den Anspruch der Souveränität des geistigen Aktes«], 35 rather he admitted providing a »service to the given order« [»als Dienst an der gegebenen Ordnung«] in his adherence to Christian truth through the speculation of classical Greek philosophy. Emphasis is placed, more specifically, on the fusion performed by Aquinas between the ancient cosmos and medieval theology. As a result, »Christian truth reached a cosmic range« [»die christliche Wahrheit erhielt kosmischen Rang«]. 36 Consequently, Aquinas would come to represent the paradigmatic case of synthesis between »the transcendent Christian spirit« and »the cosmic-logical spirit« [»des christlich-transzendenten und des kosmischlogischen Geistes«], 37 between the Greco-Latin world and the medieval world. In this synthesis, »the internal history of the West« [»kulminiert die innere Geschichte des Abendlandes«], 38 with all its tensions and ambivalences, would be culminated in the dualisms between faith and knowledge, religion and reason, mysticism and science. From this perspective, some of Thomas Aquinas’ major works are discussed in the dialogue, and in particular the Summa theologiae, which is considered in itself as a closed cosmos, in essence a finite order, a limited whole. In this state of things, medieval consciousness, unlike modern consciousness, could not unfold the endless dialectic of questions and answers, but every question had to be essentially solved [»jede einzelne Frage ist grundsätzlich lösbar«], 39 and consequently the possible set of questions was limited, as were the intellectual instruments to solve them. In this way, the Summa not only collected the pretension of totality, but aspired to establish a definitive order of validity. To the aim of illustrating this aspect, the discussion focuses on some passages of the Summa, and analyzes in detail the way it is constructed. It is then suggested that the authority of the Summa would be heir to medieval fascination for the Greek under34 35 36 37 38 39
Ibid., p. 3. Ibid., p. 4. Ibid., p. 4. Ibid., p. 5. Ibid., p. 5. Ibid., p. 6.
34 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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standing of human reason, which instead of considering it as a characteristic of an individual, it shows the participation into a cosmic unitary principle. Hence, authority would have resulted from the immanent relationship of rationality to the cosmic principle, which Hegel would later call the Funktionär of the spirit of the world [»Hegel wird von den Funktionären des Weltgeistes sprechen«]. 40 The dialogue proceeds with a disquisition on Aquinas’ five ways of demonstrating the existence of God, and the question of whether theology could be a science. It then takes a skeptical drift while tackling late Nominalism, according to which human reason is considered inoperative in the enlightenment of the enigmas of the world. In this context, the figure of Descartes is introduced again as the explorer of the very limits of rationality and the founding father of a new beginning from modern science. Aquinas was anyhow decisive, concludes the dialogue, for »the ›baptism of Aristotle‹« [»die ›Taufe des Aristoteles‹«], 41 his inclusion in the foundations of the West and in the modern process. The second dialogue, »Baumeister des Abendlandes: Thomas von Aquino«, emphasizes again the same reason for the key role of Thomas Aquinas in the spiritual genesis of the West. It presents Thomas Aquinas as a central figure in the history of the Church due to his attempt to make Christian dogma a scientific system relying on the Aristotelian conceptualization. As a result, according to Blumenberg’s opinion, Aquinas performed a profound transformation of the medieval Christian doctrine, and the simultaneous christianization of Aristotle. One of the characters in the dialogue repeats the already familiar claim concerning Aquinas performing the baptism of Aristotle. The history of the influence of Aristotle’s work is also mentioned in comparison to his Platonic counterpart, with emphasis on the mediation of the Arab world and the differential reception of the two great thinkers in medieval philosophy and their subsequent impact on the spiritual configuration of the West. Unlike the first one, this second dialogue focuses more on the biographical profile of Thomas Aquinas, 42 with some emphasis on his four-year study period with Alber-
Ibid., p. 10. Ibid., p. 18. 42 »die Lebensregeln eines Mannes, der sein höchstes Glück im Studieren sucht«. Hans Blumenberg, Baumeister des Abendlandes: ›Thomas von Aquino‹ (DLA Marbach). 40 41
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tus Magnus in Köln –one of the cities in the range of the Nordwestdeutscher Rundfunk radio– and in Paris. The French capital is identified as the setting of »the decisive battle over the spiritual future of the West« [»In Paris wurde damals die Entscheidungsschlacht über die geistige Zukunft des Abendlandes gekämpft«] 43 featuring the struggle for the hermeneutic hegemony of the Christian dogma and its reconstruction. There, says one of Blumenberg’s characters, the demand for rationality associated with the reception of Aristotle’s work became more pronounced, which further aggravated the split between faith and knowledge, between religion and science, which was to play a critical role in the later spiritual history of West. The ultimate goal was about to become the production of a scientific truth free from any internal bound to religious truth. Conversely, some of the main tenets of the Christian doctrines, such as the mystery of the Trinity, God as Father, Son and Holy Spirit had always defied rational explanations. Within this scenario, Thomas Aquinas aimed for a harmonious solution provided by the Aristotelian conceptual apparatus, which combined Christian dogmatics and the requirements of rationality. Precisely in this duality, Blumenberg’s dialogue detect the configuration of the fundamental tension inherent to the spiritual history of the West.
Western Mythology (1952) Further collaboration with Nordwestdeutscher Rundfunk is evidenced by texts like »Entwertete Worte – Entwertete Werte?«, despite not being included in the folder collecting documentation on Blumenberg’s contributions to the radio. There is also evidence of an unsuccessful proposal made by Blumenberg concerning the elaboration of a series of texts on mythology. 44 In this regard, Blumenberg suggested »eine Reihe der Gestalten« [»a series of characters«], under the provisional title »Abendländische Mythologie«, that is, »Western mythology«. In his proposal, Blumenberg outlined some of the thematic myths that he wanted include, for example »Prometheus und Sisyphos«; »Sokrates«; »Julian Apostata und Friedrich II«; »Faust Ibid. See letter from Blumenberg to Ernst Schnabel, dated August 20, 1952 (DLA Marbach).
43 44
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und Robinson«; »Don Quixote und Don Juan«. It seems that this project on Western mythology never got approved, and several decades would have gone by before Blumenberg published his celebrated Arbeit am Mythos [1979].
Contributions to Südwestfunk Baden-Baden On the recommendation of Dr. Werner Wien, a collaborator of the Sudwestfunk Baden-Baden radio, Blumenberg received a letter dated April 26, 1950, from Herbert Bahlinger, editor of the prestigious radio program Nachtprogramm, 45 where he was invited to contribute as an expert in medieval philosophy and modern Catholic theology. 46 In particular, Bahlinger asked for a contribution on the Catholic theologian Erich Przywara (1889–1972), to whom a special radio broadcast was going to be devoted. In his reply of May 2, 1950, Blumenberg accepted the invitation, mentioning the good reputation of the night program in the north of Germany. Nevertheless, no text about Erich Przywara can be found in the folder of the Blumenberg’s Nachlass corresponding to his collaborations with this radio. It is likely that Blumenberg’s first effective –and remunerated– contribution to the Sudwestfunk Baden-Baden came with a small text commemorating the 50th anniversary of Nietzsche’s death. 47 Blumenberg offered a contribution on Nietzsche and nihilism with the objective of »productively clarifying our spiritual situation« [»für die Klärung unserer geistigen Situation ertragreich«]. 48 In his letter of June 29, 1950, the editor of the Nachtprogramm, Bahlinger, accepted Blumenberg’s proposal but asked him to turn the material into a dialogue with an approximate length of six typed pages. However, a few weeks later, in his letter of July 14, 1950, Bahlinger informed Blumenberg that the special program on Nietzsche was undergoing some modifications and that he could transform his dialogue into a monologue. Among Blumenberg’s manuscripts, a copy of the typed text is preserved unFurther details in Boll, Nachtprogramm (see note 4), pp. 120 ss. Letter from Herbert Bahlinger to Hans Blumenberg, dated April 26, 1950 (DLA Marbach). 47 Letter from Hans Blumenberg to Herbert Bahlinger, dated June 10, 1950 (DLA Marbach). 48 Letter from Hans Blumenberg to Herbert Bahlinger, dated May 2, 1950 (DLA Marbach). 45 46
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der the title »Das Ende der provisorischen Moral. Ein Gespräch« [»The end of provisional moral. A conversation«] in the form of a four characters dialogue. According to Blumenberg’s correspondence and a newspaper clipping, the program was broadcast on August 27, 1950, under the title »Zum 50. Todestag von Friedrich Nietzsche«, 49 and not with the initial title Blumenberg had proposed. In his subsequent letter to Bahlinger, dated September 16, 1950, Blumenberg complained of the »painful cut« [»für mich schmerzlichen Kürzungen«] that the final part of his text had suffered, and insisted on keeping to the agreed extension and payment in future contributions. 50
The End of Provisional Moral. A Conversation (1950) The dialogue developed by Blumenberg starts off with the topic of Nietzsche’s negative diagnosis on morality and the specificity of his »destructive pathos« [»zerstörerische Pathos«], that is to say, his will to dissolve traditional morality in some kind of »active Nihilism« [»Aktiven Nihilismus«] in which »the spiritual destiny of the human world« [»des geistigen Geschicks der menschlichen Welt«] 51 is said to be at stake. The dialogue reminds us that, in addition to considering it as the individual act of a subject, Nietzsche saw morality as a historical precipitate of Western culture, especially derived from the Christian heritage. »European Nihilism« [»europäischen Nihilismus«] was then only the ensuing consequence of one given spiritual history on which the thinker had to exercise an »objective function« [»objektive Funktion«] aimed at correcting its being against life. 52 The devaluation of the traditional moral order is then presented as the condition of possibility for the intervention in the spiritual history of the West. In this sense, the active Nihilism proposed by Nietzsche is introduced as »an art of moral emancipation« [»eine Art moralischer EmanzipaAccording to the documentation available, it is possible that it was reproduced again the next day. 50 »Die für mich schmerzlichen Kürzungen am Schluss werden mich veranlassen, bei künftigen Beiträgen den festgesetzten Umfang um jeden Preis einzuhalten«. Letter from Hans Blumenberg to Herbert Bahlinger, dated September 16, 1950 (DLA Marbach). 51 Hans Blumenberg, Das Ende der provisorischen Moral. Ein Gespräch (DLA Marbach). 52 Ibid., pp. 1–2. 49
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tion«], aimed at putting »an end to a whole structure of reality« [»das Ende der ganzen Wirklichkeitsstruktur«]. 53 Nietzsche’s diagnosis of morality is thus equated to a »metaphysical radicalism« [»metaphysischer Radikalität«], whose immediate effect was not only the »evaporation of traditional ideals, values, norms [and] prohibitions« but a »dissolution of its binding force«. 54 The »proper nihilistic process« is said to affect »the world in its character of reality« [»der eigentliche nihilistische Vorgang darin« [affects] »die Welt in ihrem Wirklichkeitscharakter«]. 55 Based on Nietzsche’s perspective, the basic core of modern morality is said to lie in the great falsehood established by Christianity, whose historical efficiency ended up shaping the very face of Western reality. Precisely against this millennial triumph, Nietzsche is said to have directed his critique of European morality and nihilism. At this point, one of the interlocutors of the dialogue objects to Nietzsche that the two millennia following the foundation of Christianity in no way constitute a unitary and homogenous moral tradition. Rather, it is possible to identify –the character claims– radical fractures in its historical development, and more concretely in the passage from the Middle Ages to the Modern Age. This rupture which is at the base of Modernity could be taken as an exemplary nihilistic experience, insofar as »the whole of a world was broken« [»eine Welt als Ganzes bricht zusammen«]. 56 What had long been considered real, true and firm, collapsed, »a universal structure of reality became insignificant« [»eine universale Wirklichkeitsstruktur wird nichtig«]. 57 At the very foundation of Modernity the one interlocutor places the need for creative response to the great collapse of the medieval world. Accordingly, also the Cartesian project of establishing a new beginning based on the certainty of the cogito ergo sum, the production of a methodically insured knowledge, as well as a provisional morality whose later rational development would raise it to definitive morality, is placed within the same framework. It is argued that Descartes tried to connect the certainty of reality anchored in the cogito to the new ethos, which would end up putting his project of Ibid., p. 2. »Denn was sich hier abspielt, ist doch gar nicht so sehr eine Verflüchtigung des Idealen, der Werte, Normen, Gebote an sich selbst, sondern eine Auflösung ihrer Verbindlichkeit«. Ibid., p. 2. 55 Ibid., p. 3. 56 Ibid., p. 4. 57 Ibid., p. 5. 53 54
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radical foundations in serious trouble. The ambition to perfect the definition of what is moral, to give it a definitive binding form, proved an endless endeavor. And within the Cartesian project, traditional Christian morality is said to have had a helping function as part of provisional morality, waiting for it to be replaced by a definitive one. This would ammount to saying that it was functionally analogous to a lie that had to be replaced by true morality. This morale provisoire would itself be a »nihilistic product« [»ein nihilistisches Produkt«], 58 while its subsequent revocation would have a destructive effect. Provisional morality admittedly involved a »latent Nihilism« [»latenten Nihilismus«]. 59 And the end of provisional morality could but signify full-blown Nihilism. The dialogue then concludes that Nietzsche reached the same conclusions on the revocability of traditional Christian morality, as leading to the emergence of Nihilism. Hence, final mention is made of Nietzsche’s outline of a new morality, which nevertheless, did not seek a new beginning as much as to make freedom possible.
Belief in Progress and Fear of Progress (1950) Based on one of Blumenberg’s proposals, the following text broadcast by Südwestfunk Baden-Baden was »Fortschrittsglaube und Fortschrittsangst« [»Belief in progress and fear of progress«]. 60 In this essay, Blumenberg looked at the postwar understanding of the philosophy of history from the viewpoint of one anecdote presented by an unnamed professor at the Collège de France, acording to which in the future human thought would have been controlled by radioactivity [»radioaktiver Strahlen«]. 61 In the same line of reasoning of previous works, Blumenberg attributes to Modernity the belief in progress, as Ibid., p. 6. Ibid., p. 6. 60 In Herbert Bahlinger’s letter to Blumenberg, dated October 21, 1950, he confirmed that they had accepted his text for broadcasting (DLA Marbach). In the clipping of the newspaper in which its emission was announced, the authorship erroneously was attributed to a certain Claus Woldemar Schrempft. It is possible, on the other hand, that Blumenberg also tried to have his essay broadcast on the Nordwestdeutscher Rundfunk, but I have not been able to confirm this. For further details see Blumenberg’s letter to Nordwestdeutscher Rundfunk, dated September 16, 1950 (DLA Marbach). 61 Hans Blumenberg, Fortschrittsglaube und Fortschrittsangst (DLA Marbach). 58 59
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fully reliant on scientific and technical achievements. Even though the future is no longer considered »the sure soil of our historical self-consciousness« [»der sichere Boden unseres geschichtlichen Selbstbewusstseins«], of this idea remained »the representation of the future as internal law of history«], its »and so on« [»und-so-weiter«]. 62 This entails, in Blumenberg’s words, »the tyranny of the representation of progress« [»die Tyrannei der Fortschrittsvorstellung«] 63 and the subsequent multiplication of disappointments and fears. In this way, the utopian tension of belief in progress soon became »fear of progress« [»Fortschrittsangst«]. As he explains it, if »all utopias are utopias of progress« [»alle Utopien sind Fortschrittsutopien«], contemporary utopias, on the contrary, give rise to »overwhelming fears of progress« [»beklemmender Fortschrittsangst«], 64 as the suspicion of »the birth of a utopian future world from the abyss of a new world war« [»die Geburt der utopischen Zukunftswelt aus dem Abgrund eines neuen Weltkrieges«]. This scenario ultimately provides a glimpse of the possible »war of all wars« [»der Krieg aller Kriege«]. 65 Not only is the latent possibility of a new dictatorship perceived in the belief in progress, but also its internal law, »the ›and so on‹ of the future, is the occult dictatorship« [»das Und-so-weiter des Fortschritts ist die geheime Diktatur«]. 66 Blumenberg wonders rhetorically on the sense of the discharge (release) of the fear of progress, 67 and responds that its purpose was only to make us free for hope [»frei für die Hoffnung«], 68 even though we have lost the fundamental meaning of it, and that in any case it can not be confused with optimism anymore. In an unexpected twist in his conceptualization, Blumenberg makes reference to ›guilt‹ [›die Schuld‹] while invoking the medieval imagery of hope and virtue. The mere possibility of guilt unconditionally forces man to responsibility in relation to the future. Fear of progress paralyzes us. However, Blumenberg concludes, »we must once again force freedom for hope if we wish to Ibid. Ibid., p. 2. 64 Ibid., p. 2. 65 Ibid., p. 3. 66 Ibid., p. 3. 67 »Wozu macht uns die Befreiung von der Fortschrittsangst frei?« Ibid., p. 6. 68 »Die Freiheit aber macht die Hoffnung möglich. Nur in der Hoffnung hat der Mensch die Kraft, gegen die Welt und ihren Schein der Zwangsläufigkeit zu leben«. Ibid., p. 6. 62 63
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persist in existence« [»Ihr müssen wir die Freiheit zu Hoffnung und Schuld wieder abringen, wenn wir bestehen wollen«]. 69
Graham Green or the Ambiguity of Grace On March 9, 1951, Blumenberg wrote again to Herbert Bahlinger with one more proposal, entitled »Graham Greene oder die Zweideutigkeit der Gnade« [»Graham Greene or the Ambiguity of Grace«]. 70 In this letter, he assures that multiple reworkings and corrections of the original manuscript had softened his condition of conference text. Several versions of a Graham Greene document of slightly more than a dozen pages are preserved in Blumenberg’s Nachlass. It seems that these groups of texts served as the basis for a lecture on Greene that Blumenberg repeated with variations in Kiel, Flensburg, Bochum and Recklinghausen. In Kiel, Blumenberg gave a lecture entitled »Graham Greene«, in the Studio Mühlau, on December 1, 1950. 71 While in Flensburg, a conference was held in the middle of January 1951 at the Deutsche Kulturgesellschaft, under the title »Graham Greene und der theologische Roman« [»Graham Greene and the theologic novel«]. 72 On this series of interventions, Blumenberg stated that talking about Greene –»a high-ranking literary figure with fascinating Ibid., p. 6. Letter from Blumenberg to Herbert Bahlinger, dated March 9, 1951 (DLA Marbach). A compilation of his early texts on literature can be found in Hans Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958, herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2017. 71 The event was covered by local newspapers. Among Blumenberg’s manuscripts two press clippings are preserved where the event is described. The first of them, with the heading »Aus dem Kieler Kulturleben. Der Christ Graham Greene«, was probably published in the Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung. In the second newspaper clipping, one reads the abbreviation KN, likely referring to the Kieler Nachrichten, and the heading »Graham Greene. Herausforderung an den Leser!«. 72 Blumenberg himself summed up the content of his lecture at Flensburg as follows: »Der Vortrag sucht zu zeigen, dass nach der tödlichen Übersteigerung der Themen und Kunstmittel des psychologischen Romans in den letzten Jahrzehnten, etwa durch James Joyce und Thomas Mann, eine neue Konzeption des Romans Gestalt gewinnt, die den Menschen nicht mehr ohne sein –positives oder negatives– Verhältnis zu Gott darstellen zu können glaubt. Greenes Werk zeigt die ganze Problematik und Fruchtbarkeit dieses neuen Versuches; nach beiden Richtungen will der Vortrag den Zugang erarbeiten«. Letter from Blumenberg to Brodersten, dated November 28, 1950 (DLA Marbach). 69 70
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spiritual brilliance«– 73 had given him great satisfaction, although he was saddened that it had been the main attraction of his lectures program that year. 74 However, despite the interest aroused by his »attempt to value the whole of Greene’s work«, 75 Herbert Bahlinger’s response to the suitability of his text to be broadcast in Südwestfunk Baden-Baden was long in coming. Thus, in the wake of Bahlinger’s silence, Blumenberg had to send several letters to him to ascertain the fate of his text: »Should I remind you what it means for an author to see how his manuscript, in which he put so much effort, lies useless for a long time?« 76 Something more than six months later, on August 18, 1951, Bahlinger apologized for the delay in the response and confirmed the interest of the radio in his contribution. He informed him that they planned to organize a special broadcast on Greene’s Mexican travel diary, and that his essay might be well placed in this framework. At the same time, Bahlinger inquired about the possibility of producing a review, to be broadcast, of the recent German translation of a book by Greene, Der Ausgangspunkt. After several delays, it seems that Blumenberg’s text was broadcasted, under the title »Die Doppeldeutigkeit der Gnade. Betrachtungen zu Graham Greene« (I) & (II), 15 minutes each, on May 23 and 30, 1952, respectively, at 23 hours. For its part, the review on Der Ausgangspunkt was broadcast on September 14, 1952, on a Sunday afternoon. 77
»eine literarische Erscheinung von hohem Rang und faszinierender geistiger Brillanz«, letter from Hans Blumenberg to Ulla Leippe, dated November 2, 1950 (DLA Marbach). 74 »Obwohl ich an dem Greene-Vortrag viele Freude habe, bin ich doch eigentlich ein wenig betrübt, dass er die »Attraktion« meines diesjährigen Vortragsprogramms darstellt«. Letter from Hans Blumenberg to Ulla Leippe (see note 73). 75 »der Versuch einer Würdigung des Gesamtwerkes Greenes«, letter from Hans Blumenberg to Wolfgang Kraus, dated October 4, 1952 (DLA Marbach). 76 »Muss ich Ihnen zu bedenken geben, was es für den Autor bedeutet, ein Manuskript, in dem so umfängliche Vorarbeiten stecken, so lange ungenutzt liegen zu sehen?«, letter from Blumenberg to Bahlinger, dated January 14, 1952 (DLA Marbach). 77 Wolfgang Kraus, of the Viennese publishing house Paul Zsolnay Verlag, wrote a letter to Blumenberg dated September 26, 1952, and approved by the censorship of the allies, in connection with the broadcasting of his review of Greene’s book, published in the same publishing house the previous year (DLA Marbach). In the reply, dated October 4, 1952, Blumenberg indicated that his »very critical appraisal of Ausgangspunktes« had been broadcast on Sunday afternoon, and also gave a detailed account of the double issue on Greene, »Die Doppeldeutigkeit der Gnade«. 73
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In »Graham Greene oder die Zweideutigkeit der Gnade«, Blumenberg comments upon the peculiar dramatic tension in Greene’s novels. It is Blumenberg’s belief that even though Greene is not a philosopher nor a theologian, but a professional writer, the creation of suspense in his novels is not so much the result of the technicalpsychological elaboration of the characters and plot, but it rather ensues from a deliberately ambiguous metaphysical-theological background. In Blumenberg’s view, Greene makes suspense emerge as an intrinsic property of our world. In this regard, Greene’s theological suspense is not based on adventures full of vicissitudes, but results from the ambiguity of grace, which whenever might seem to make an appearance, still leaves it to the reader’s consideration whether or not it is a matter of worldly efficiency of divine intervention. Based on Blumenberg interpretation of Greene, human existence would already be sufficiently charged with spirituality in itself, and there would be no need to invent incredible adventures in original rainforests or in remote places. An example of this could be found in the books Lawless Roads (1939) and The Glory and the Power (1940), to which Blumenberg reserves a substantive part of his exposition. In them, Greene gathers the experiences of his trip to post-revolutionary Mexico, in the years when the Cristero Rebellion broke out, only to discover »that Mexico is just the border post of the great force fields of our time, it is between Rome, New York and Moscow, between belief, the future and atheism« [»Dieses Mexiko liegt genau an der Frontstelle der großen Kraftfelder unserer Gegenwart, en liegt zwischen Rom, New York and Moskau, zwischen Glauben, Fortschritt und Atheismus«]. 78 The Catholic writer could see the effects of president Plutarco Elías Calles’ laicization campaign, considered by many to be a violent forced secularization, and in some cases even an attempt to suppress the Catholic Church. Mexico thus appeared as »one of the great forms of suspense of our present world, of the relation between ideas and power, between belief and violence« [»einer der großen Spannungsformen unserer gegenwärtigen Welt, dem Verhältnis von Idee und Macht, Glauben und Gewalt«]. 79 Greene not only saw in Mexico a cultural or folkloric singularity, but a »space of decision« [»eine Zone der Entscheidung«], 80 a country that was con78 79 80
Blumenberg, Graham Greene oder die Zweideutigkeit der Gnade (DLA Marbach). Ibid., p. 4. Ibid., p. 4.
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structing a new State without God, and for that reason the stage of some sort of spiritual apocalypse, loaded with »nihilistic ambiguity« [»voll nihilistischer Zweideutigkeiten«]. 81 This spiritual apocalypse was at the same time the occasion for an oscillation between »human guilt and divine grace« [»die von menschlicher Schuld und göttlicher Gnade«]. 82 In the case of The Glory and the Power, the ambiguity of grace focuses on the so-called ›Whiskey-priest‹, a religious man from the state of Tabasco, who finds his personal martyrdom in alcoholism. Blumenberg also examines the ambiguity of grace in other novels by Greene, such as Brighton Rock (1938) or The Heart of the Matter (1948). In the first case, a crime novel, the murderous teenager Pinkie Brown offers the opportunity to explore radical dualisms in good and evil. In this regard, Blumenberg points out, Christian theology admits no real opposition between the principle of good and evil. Only God is the source of being, thereby of the good. The devil would just be fallen angel. Differently, in his fascination for the rediscovery of hell and nothingness, Greene plunges in an absolute confrontation. On the other hand, The Heart of the Matter appears to have been constructed as an internalization of dualisms, »the drama between guilt and grace are not divided into two characters, but it is carried to its ultimate consequences in the heart of the sinner« [»das Drama von Schuld und Gnade nicht in zwei Gestalten aufgeteilt, sondern im Herzen des Sünders durchgespielt«] 83 by the protagonist, Henry Scobie, a British intelligence officer who was prominent in an African colony during Second World War. In this second case, Greene does not seek the confrontation of God as the absolute principle of being, with nothingness, but in the internal torment of the figure of the »great sinner« [»großen Sünder«]. 84 Blumenberg’s exposition –much more complex than I can detail here– concludes with the analysis of the moral and dramatic implications of A gun for sale (1936) and Stambul Train (1932). The first one deals with the story of a hitman, Raven, hired to assassinate a politician in London, but who falls in a marked bills set up which helps the police catch him, while he seeks revenge against those who betrayed him. In the second novel, the successful Stambul Train, narrates the vicissitudes of a gallery of characters who 81 82 83 84
Ibid., p. 6. Ibid., p. 6. Ibid., p. 12. Ibid., p. 14.
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travel aboard the train that covers the three-day route from Ostend to Istanbul.
The Starting Point (1952) Der Ausgangspunkt 85 is the German translation of The End of the Affair (1951), another of Greene’s explicitly Catholic novels, this time about a matrimonial infidelity. Blumenberg begins his review alluding to Greene’s collaboration with film director Carol Reed (1906–1976) in the making of the film The Third Man (1949), whose script was published the following year as a novel. Whereas in his previous work, Blumenberg refers to the matter of suspense as to the main literary thread, in this review he takes on the peculiar style of Greene. He wonders if in this novel Greene has succeeded in saying what he intended in the proper style, in a »homogeneous literary unit« [»zu homogener literarischer Einheit«], 86 and if perhaps »Greene’s theology« [»die Greene’sche Theologie«] 87 is in a position to adopt the appropriate literary form. In this novel, Blumenberg claims, Greene falls short of achieving the envisaged synthesis, which is instead obtained in his masterpieces The Heart of the Matter and The Power and the Glory. On the one hand, Greene would have sought »the genuine evidence of the literary character« [»die echte Evidenz der literarischen Gestaltung«] 88 and, on the other hand, »to make the substance of the Christian religion the theme of the novel« [»die Substanz der christlichen Religion zum Thema of Romans zu machen«], without being able to reconcile both purposes. Rather, it would have fallen into two fundamental errors to consider »psychology as the only possible access to human reality« [»die Psychologie als den einzig möglichen Zugang zur Wirklichkeit des Menschen«], 89 and to reduce religion to mere throwback. 90 Hans Blumenberg, Der Ausgangspunkt (DLA Marbach). Ibid., p. 2. 87 Ibid., p. 2. 88 Ibid., p. 3. 89 Ibid., p. 3. 90 »Religion ist, im Jargon der aufgeklärten Bürgerschicht Englands, in der der Roman spielt, ein Atavismus, ein Inbegriff ererbter, mitgeschleppter, aus Unentschlossenheit konservierter, ins Unterbewußtsein abgedrängter Vorstellungen, Konventionen, Ängste«. Ibid., p. 3. 85 86
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Eschatological Irony. About Evelyn Waugh’s Novels Blumenberg’s last contribution to Sudwestfunk Baden-Baden radio, titled »Eschatologische Ironie. Über die Romane Evelyn Waughs« [»Eschatological Irony. About Evelyn Waugh’s Novels«], was dedicated to the British writer Evelyn Waugh (1903–1966). In a letter from Blumenberg to Bahlinger, dated October 11, 1951, in addition to his complaint about the delay in the transmission of his text on Greene, Blumenberg already anticipated his new essay-review on Waugh: »I am currently occupied in the elaboration of a conference on Evelyn Waugh, the third literary figure, along with Eliot and Greene, of the next theological renewal of literature in England, with autonomous and deep problems«. 91 He also indicated that if this work sounded interesting for the radio, he could try to adapt it for a radio broadcast. Blumenberg again insisted on this matter in another letter to Bahlinger dated March 1, 1952: »I could write an analysis similar to that of Greene’s work on another great Christian novelist in England, Evelyn Waugh. Are you interested in this proposal?« 92 Several letters followed in which Blumenberg insisted on it again and again, 93 until finally Bahlinger accepted the proposal in his letter of June 23, 1953, but with the request that he had to abbreviate it, something Blumenberg agreed to do. In spite of all this, it would not be until almost two years after that a very abridged version of Blumenberg’s work on Waugh was finally broadcast on February 3, 1955, at 23:15 hours.
»Zur Zeit bin ich mit der Ausarbeitung eines Vortrages über Evelyn Waugh beschäftigt, neben Eliot und Greene die dritte literarische Gestalt einer vom Theologischen herkommenden Erneuerung der Literatur in England, mit sehr selbständigen und tiefgehenden Problemen. Falls Sie auch an diesem Thema Interesse haben sollten, würde ich von vornherein neben dem Vortragsmanuskript ein mehr rundfunkgemäßes Manuskript zu machen versuchen. Lassen Sie mich auch darüber bitte Ihre Stellungnahme wissen«. Letter from Blumenberg to Bahlinger, dated October 11, 1951 (DLA Marbach). 92 »Eine ähnliche Analyse wie die des Greeneschen Werkes würde ich gern über den anderen großen christlichen Romancier Englands, Evelyn Waugh, schreiben. Findet dieser Vorschlag Ihr Interesse?« Letter from Blumenberg to Bahlinger, dated March 1, de 1952 (DLA Marbach). 93 In the letter from Blumenberg to Bahlinger, dated May 3, the following is added: »Sehr gern würde ich auch einmal einen philosophischen oder theologischen Stoff im engeren Sinne bearbeiten und bitte um Berücksichtigung, wenn Sie ein Thema aus diesem Bereich vergeben«. 91
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An extensive version of it, however, had been published in 1954 in the German Catholic magazine Hochland. 94
Final Considerations In successive years, Blumenberg tried unsuccessfully to relay other works of his own, mostly texts that had served as a basis for lectures, such as his »Technik und Wahrheit«, presented in Brussels at the Eleventh International Congress of Philosophy. 95 At the same time, he would intensify his activity as a lecturer, especially at the Studio Mühlau, a bookstore and cultural house in Kiel, which also had its own publishing house and concert hall. There Blumenberg would speak of authors as varied as Ernst Jünger, Franz Kafka, Paul Claudel or Jean-Paul Sartre. 96 It would also increase his participation in the written press, where Blumenberg would carry out an enormous amount of work as writer of reviews and small articles, mainly for the cultural section of Düsseldorfer Nachrichten. He delivered small texts to this local newspaper, often signed under the pseudonym ›Axel Colly‹, that his friend and colleague Alfons Neukirchen (1908–1993), musical critic and head of Feuilleton, was in charge of publishing. Undoubtedly, all this public activity was decisive in Blumenberg’s sociogenesis process as a thinker, first of a national reach, and then of an international reach, long before his notorious retirement from the media and the university world in the age of maturity. Some of the thematic nuclei of Blumenberg’s contributions to radio persisted in his later academic work, especially in regard to his early contributions to the history of philosophy. However, reader still had to wait until 1960 to see his first major work Paradigmen zu einer Metaphorologie published, which from the point of view of his youthful work involved a profound transformation of his initial philosophical approach and his academic production.
Hans Blumenberg, Eschatologische Ironie. Über die Romane Evelyn Waughs, Hochland, 46, 1953/54, pp. 241–51. For further details see, in this same volume, the chapter »Hans Blumenberg: Philosophy and Literature from 1952 to 1958«, by Alberto Fragio and Josefa Ros Velasco. 95 Letter from Blumenberg to Bahlinger dated July 6, 1955 (DLA Marbach). 96 Further details in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 70). 94
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Hans Blumenberg: Philosophy and Literature from 1952 to 1958 1
Das kennzeichnet mich wiederum als schlechten Philosophen und als einen, der nicht zu seinem Magnum Opus kommt (Hans Blumenberg, February 22, 1954)
From 1952 to 1958, Hans Blumenberg wrote five remarkable philosophical reviews of literature which were published in the Catholic journal Hochland. These reviews have received very little attention by scholars. This chapter focuses on Blumenberg’s early reviews of some works by Franz Kafka, Evelyn Waugh, Ernest Hemingway, Thomas S. Eliot, and William Faulkner, which had a decisive impact on Blumenberg’s philosophical thought. On the one hand, they belong to an outstanding period of intellectual development in Blumenberg’s early career. We are therefore dealing with the first stages of his philosophical production. On the other hand, they illuminate the diverse waypoints on Blumenberg’s path as a young scholar: His interest in a type of literature that provides some insights into postwar Alberto Fragio and Josefa Ros Velasco would like to thank Gerda Henkel Stiftung (Marie Curie Fellowship M4HUMAN programme) and Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) respectively, for granting scholarships to consult Blumenberg’s Nachlass in the Deutsches Literaturarchiv Marbach. Moreover, this chapter also benefits from the research project Historia y filosofía de la experiencia. Elementos objetivos y subjetivos del bienestar en la historia, la cultura y la práctica clínica (FFI2016-78285-R), supported by the Spanish Ministry of Economy, Industry and Competitiveness. Ros Velasco’s contribution also benefits from her belonging to the project Saavedra Fajardo Library of Hispanic Political Thought IV–V (FFI2012-32611FFI2016-75978-R), supported by the Spanish Ministry of Education, Culture and Sports, and has been possible thanks to the award of a Postdoctoral Fellowship granted by Real Colegio Complutense at Harvard and the Department of Romance Languages and Literatures at Harvard University. Unpublished citations from Hans Blumenberg’s Nachlass have been included with the expressed consent of Bettina Blumenberg and the DLA Marbach. 1
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European culture; his curiosity about religion and political issues; and his intellectual motivation to take part in the research group Poetics and Hermeneutics. We also provide, in brief, the general context for Blumenberg’s early contributions on literature and their philosophical meaning.
Introduction In one of his essays on William Faulkner, Jean-Paul Sartre noted that »with the necessary perspective, good novels come to resemble completely natural phenomena; one tends to forget that they have authors, one accepts them as if stones or trees they were, because they are present, because they exist«. 2 The same could be said of the works of the great philosophers, among which it is impossible not to include the publications of Hans Blumenberg. Although we usually consider Blumenberg as the author hidden behind numerous sensational philosophy books, the fact is that it took many attempts for him to reach the standards of his most celebrated works. To this long preparatory period belong the series of philosophical essays that –particularly in the 50’s– Blumenberg devoted to literature, which were published in the Catholic magazine Hochland. 3 These essays played a critical role in shaping some of the recurring topics and arguments of his philosophical corpus. They belong to a period prior to the foundation of Poetics and Hermeneutics in 1963, which explains Blumenberg’s interest in taking part in a research group to which leading linguists and literary theorists such as Wolfgang Iser, Clemens Heselhaus, and Hans Robert Jauß were contributing. 4 Moreover, the study of Blumenberg and literature not only illuminates a very early stage of his philosophical production but also allows us to shed light on postwar Jean-Paul Sartre, William Faulkner’s Sartoris, Yale French Studies 10 (1952), 95–99. See also Jean-Paul Sartre, On The Sound and the Fury: Time in the Work of Faulkner, in Literary and Philosophical Essays, London: Rider 1955, 79–87. 3 A compilation of these and other very early Blumenberg’s texts on literature is in Hans Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958, edited by Alexander Schmitz und Bernd Stiegler (Frankfurt/M.: Suhrkamp 2017). However, for philological and historical reasons we will directly quote from Blumenberg’s Nachlass at the Deutsches Literaturarchiv Marbach, hereafter abbreviated ›DLA Marbach‹. Otherwise indicated, we translated into English all the quotations. 4 Further details in Petra Boden, Rüdiger Zill (eds.), Poetik und Hermeneutik im Rückblick. Interviews mit Beteiligten, Paderborn: Wilhelm Fink 2017. 2
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European culture. Though Blumenberg was conspicuously silent about the political landscape of the time, in these essays we find some of the few references and allusions that he made to the outstanding issues of the era. However, Blumenberg scholars have paid very little attention to this important period of production. 5 Therefore, we consider necessary to present a review of some elements of Blumenberg’s intellectual production in order to gain a better understanding of his philosophy. This book chapter aims to fill the gap in knowledge concerning the relationship between Blumenberg and literature, i. e., his dedication to literature during the 1950s and its importance for his later developmental path. To achieve our goal, we will mainly provide the reader with the following: (1) An exposition of Blumenberg’s context during the 1950s, meaning the early phase of his work on literature; (2) a brief look at the conditions under which Blumenberg came into contact with Hochland; and (3) a systematic analysis of the five essays Blumenberg published in Hochland.
Blumenberg’s First Approach to Literature: Axel Colly In the 1950s, when his shaky career as a university lecturer in Kiel began to settle down, Blumenberg undertook the task of becoming a reviewer for the cultural section of the Düsseldorfer Nachrichten. He wrote small essays for this local newspaper –often submitted under the pseudonym ›Axel Colly‹– which were published by his friend and colleague, the music critic and head of the Feuilleton Alfons Neukirchen. 6 During these years, Blumenberg wrote numerous reviews devoted to books as diverse as Bardo Thodol [The Tibetan Book of the Further details in Alexander Schmitz, Bernd Stiegler, Editorische Notiz, in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3), here pp. 361–8; Joe Paul Kroll, Wilde Palmen, Hans Blumenbergs frühe Feuilletons in der Zeitschrift Hochland, Zeitschrift für Ideengeschichte X, 3 (2016), 107–111. 6 In Blumenberg’s Nachlass we also find a journalistic paper on Neukirchen on the occasion of his 75th birthday: R. K. Aus Liebe zur Sache. Alfons Neukirchen wird heute 75 Jahre, Rheinische Post. Feuilleton, Düsseldorf, March 23, 1983 (DLA Marbach). Blumenberg’s contributions to the Düsseldorfer Nachrichten are reprinted in Hans Blumenberg alias Axel Colly. Frühe Feuilletons (1952–1955), Neue Rundschau 129, 4 (2018). 5
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Dead], José Ortega y Gasset’s Past and Future for the Man of Today or Technik. Eine Geschichte ihrer Probleme [A History of Western Technology] by Friedrich Klemm. During this period he also wrote a few longer reviews, some of which, such as »Keine medizinische Inflation?«, caused a stir among the readers of the Feuilleton. From his correspondence with Alfons Neukirchen, we can verify Blumenberg’s growing interest in literature. In his letters, Blumenberg refers to his reading of Fyodor Dostoevsky, Graham Greene, 7 Theodor Fontane, Hans Carossa, Jules Verne, Samuel Beckett and Marcel Proust, among others. 8 There are also several lists of literary titles [Rezensionswünsche] that Blumenberg wanted to review for the Feuilleton. 9 Of special note in this period of journalistic collaboration is the article that Blumenberg wrote to commemorate the 80th birthday of Thomas Mann, »Thomas Mann 1955 Zauberberg geteilte und Welt« (1955). 10 7 We find some documents in Blumenberg’s Nachlass in which Blumenberg wrote on Dostoyevski and Greene. See especially »Über Dostojewskis Novelle Die Sanfte« and »Graham Greene. Reden und Vorträge« (DLA Marbach). Further details in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3). 8 In particular, see the letters that Blumenberg sent to Neukirchen on July 3, 1954 – »Zur Zeit lese ich Proust; seit langem nicht mehr hatte ich eine Lektüre, in die man so ›versinken‹ kann und die schon durch ihren Widerspruch zu unserem Zeitgefühl, dadurch daß sie uns nicht ›mitreißt‹ sondern retardiert, einen Reiz ausübt. […] Jetzt ist Becketts Roman Molloy im Deutschen erschienen, ein Buch, das umstritten zu werden verspricht«; on March 15, 1955 – »beigefügt sende ich Dir eine kleine Gedenkglosse zum 50. Todestag von Jules Verne am 24. ds. M. Als nächste Arbeit folgt, gewichtiger und etwas umfangreicher, ein Aufsatz zum 60. Geburtstag von Ernst Jünger, wie bereits angekündigt«; on April 2, 1955; August 17, 1957 – »Nun noch mein Buch des Monats: Herr und Hund von Thomas Mann und Maigret nimmt Urlaub von Georges Simenon«; and on January 24, 1958 – »Ich lese Goethe, Jean Paul, Voltaire, und habe immer weniger Lust, den letzten Avantgardisten auf mich los arrivieren zu lassen« (DLA Marbach). 9 Among the books included in these lists are: Fontane, Werke; Wilmenrodt, Es liegt mir auf der Zunge, Scott-Fitzgerald, Der große Gatsby; Rabelais, Gargantua und Pantagruel; James, Eine gewisse Frau Headway; Tolstoi, Anna Karenina; Dr. Samuel Johnson; Sterne, Tristam Shandy; Hardy, Die Rückkehr; Hass, Unter Korallen und Haien; Werner, Lebendige Geographie; Crane, Männer im Boot; Oberländer, Pingo und Pinga; Francoise Sagan, Bonjour tristesse; Hans Carossa, Der Tag des jungen Arztes. 10 Hans Blumenberg, Thomas Mann 1955. Zauberberg und geteilte Welt. Zum 80. Geburtstag von Thomas Mann am 6. Juni, Düsseldorfer Nachrichten, 4. 6. 1955. See also Thomas Mann 1945. Nachspiele. Zwei Glossen zu Thomas Manns Tagebuch 1945, Neue Zürcher Zeitung, 20. 3. 1987. Both were reprinted posthumously in Hans Blumenberg, Lebensthemen, Stuttgart: Reclam 1998, 160–166 and 153–159, respec-
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With regard to Blumenberg’s academic activity at the University of Kiel, we should be careful to highlight the lectures and lessons he devoted to Jean-Paul Sartre’s literary and philosophical works, particularly to the theater piece Les Mouches [The Flies]. 11 Moreover, he published two essays in the Deutscher Forschungsdienst: the first titled »Sartre oder Der Absolutismus der Freiheit« (1951); the second –written to commemorate Sartre’s 50th birthday– titled »Ins Nichts verstrickt. Wird man in zehn Jahren noch von Sartre sprechen?« (1955). 12 Also preserved in Blumenberg’s Nachlass are the typewritten documents and handwritten notes concerning two lectures on literature that Blumenberg gave between 1950 and 1952. The first, »Das Problem des Nihilismus in der deutschen Literatur der Gegenwart« (1950–1951), was delivered as an international summer course at the University of Kiel, on August 9, 1950, and thereafter as a conference in Neumünster, on January 16, 1951. 13 During the lecture, Blumenberg proposed a philosophical and literary reconstruction of the issue of nihilism, taking the theodicy of Leibniz, the Lisbon earthquake (1755), and Voltaire’s philosophical novel Candide as a starting point. Blumenberg also analyzed Nietzsche’s famous statement ›God is
tively. Further details in the letters that Blumenberg sent to Neukirchen on April 16 and 19, 1954, May 31 and June 24, 1955 (DLA Marbach). Among the texts that Blumenberg wanted to review, we also find Hermann Stresau’s book, Thomas Mann und sein Werk. Further details on the relationship between Blumenberg and Mann are available in Ada Kadelbach, ›Missachtung‹ und ›Versöhnungsversuch‹ – Hans Blumenberg und Lübeck, in Cornelius Borck (ed.), Blumenberg beobachtet. Wissenschaft, Technik und Philosophie, Freiburg: Karl Alber 2013, 273–278, and Jürgen Goldstein, Work on Significance: Human Self-affirmations in Hans Blumenberg, Thesis Eleven 104 (2011), 5–19. 11 Hans Blumenberg, Reden und Vorträge. Jean Paul Sartres Die Fliegen, DLA Marbach 1949. See also Hans Blumenberg, Die Philosophie vor den Fragen der Zeit, DLA Marbach 1949, here p. 9. In the same folder there is a typewritten outline about existentialism. 12 Hans Blumenberg, Sartre oder Der Absolutismus der Freiheit, DLA Marbach 1951, and Ins Nichts verstrickt. Wird man in zehn Jahren noch von Sartre sprechen?, Deutscher Forschungsdienst–Zeitschrift Bad Godesberg, DLA Marbach 1955. Both papers have been republished in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3). See also the letters that Blumenberg sent to Neukirchen on May 16 and June 10, 1955 (DLA Marbach). Blumenberg referred widely to Sartre in Höhlenausgänge (Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1989, here p. 416 and pp. 681–685). 13 Included in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3), here pp. 41–56.
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dead‹ [›Gott ist tot‹], as well as Heidegger’s interpretation of the same statement, according to which nihilism is the essence of all metaphysics. As he had previously suggested in Die ontologische Distanz (1950), Blumenberg argued that the Cartesian epistemological problematization of certainty provided a way to avoid the nihilism that had been bequeathed to modern science and its ›concept of reality‹ [›Wirklichkeitsbegriff‹]: The process of nihilism can be described as follows: each period of history rests on a clear and indisputable background of certainty, in which the concept of reality itself is created. However, new irreconcilable experiences with this certainty are being imposed on the consciousness, which eventually leads to a crisis of the idea of reality, so deep as categorical and intense have been the new experiences themselves. This universal and radical crisis of certainty is the nihilism. The current nihilism is the intense crisis of modern consciousness of reality in its ultimate foundations. […] The great intellectual and technical achievements of our time have been carried out starting from there. But terrible and inevitable events have shown the inadequacy of this conception and the need to revise it. 14
Blumenberg’s proposal was to outline a review of nihilism from the concept of reality in contemporary German literature considering the concept »as one of the most important objects in its artistic creation« [»come l’un des objects les plus importants de sa création artistique«]. 15 Along these lines, Blumenberg made reference to authors such as Franz Kafka, Hermann Kasack, Ernst Jünger and Elisabeth
14 Hans Blumenberg, Das Problem des Nihilismus in der deutschen Literatur der Gegenwart (DLA Marbach). The quote comes from the abstracts in French and German that accompany the typewritten text, each of which is slightly different: »Der nihilistische Prozeß läßt sich folgendermaßen beschreiben: Jede geschichtliche Epoche steht auf einem Boden von Gewißheit, der für sie fraglos und selbstverständlich gültig ist und von dem her alles Wirkliche, Echte, Verbindliche als solches seinen Bestand hat. Traten nun aber im Zentrum des Bewußtseins Erfahrungen auf, die sich mit dem bis dahin Fraglosen nicht vereinigen lassen, so kommt es zu einer Krise der fundamentalen Wirklichkeitsgewißheit, und diese Krise wird um so umfassender und akuter sein, je bedrängender und unabweisbarer jene Erfahrungen sind. ›Nihilismus‹ ist der Name der universalen und radikalen Krise der Gewißheit überhaupt. Der Nihilismus der Gegenwart ist die akute Krise des Wirklichkeitsbewußtseins der Neuzeit in seinen letzten Grundlagen. […] Les grandes conquêtes intellectuelles et techniques de notre époque ont été faites en partant de là. Mais des terribles et sans doute inévitables événements ont montré l’insuffisance de cette conception et la nécessité de sa revision«. 15 Ibid.
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Langgässer. 16 »In any case«, he added, »among ourselves, we have not produced anything in the nihilistic range of the ›curses of the universe‹ of Paul Valéry’s Mon Faust, Eliot’s The Waste Land, or Faulkner’s Wendemarke [Pylon]«. 17 Blumenberg will pay close attention to these writers in his essays to Hochland, as well as to those of Evelyn Waugh and Ernest Hemingway. Moreover, Blumenberg devoted his other lecture on literature, in February 1951, to the Goethegesellschaft titled »Die Krise des Faustischen im Werk Franz Kafkas«. Again, Blumenberg took on the issue of epochal crises and the experience of nihilism through a comparative analysis of the works of Goethe and Kafka, specifically of The Castle, which he considered the antithesis of Faust. In his famous drama, Goethe represented the creative and symbolic power of a period through the character of Faust and his pact with the devil. However, in Kafka’s novel that world has fallen into crisis, leading to the ›Faustian‹. Blumenberg defines this shift as »a selection, a filter of the historical understanding of a period from the form created by Goethe«. 18
Blumenberg constructed the following bibliography on nihilism: Franz Kafka: Die Verwandlung; Der Prozeß; Das Schloß; Hermann Kasack: Die Stadt hinter dem Strom; Ernst Jünger: Über den Schmerz; Auf den Marmorklippen; Strahlungen; Heliopolis; Elisabeth Langgässer: Das unauslöschliche Siegel. Ibid. 17 »[…] jedenfalls haben wir bei uns nichts vom Range der nihilistischen ›Verwünschungen des Universums‹ in Paul Valérys Mon Faust, Eliots The waste land oder Faulkners Wendemarke hervorgebracht«. Ibid. 18 »Das ›Faustische‹, das ich apostrophiere, ist eine Selektion, ein Filtrat des geschichtlichen Selbstverständnisses einer Epoche aus der Gestalt, die Goethe geschaffen hat«. Hans Blumenberg, Die Krise des Faustischen im Werk Franz Kafkas, DLA Marbach, here p. 2. In a text belonging to the late 1990s, Blumenberg reviewed Thomas Mann’s reading of The Castle, a ›meeting without results‹. See also Hans Blumenberg, Folgenlose Begegnung mit Kafka (DLA Marbach): »Das Unerwartete, das weder fasziniert noch abstößt – das schlicht ›beschäftigt‹. So: Im Juni und Juli 1935, auf der Fahrt in die USA, liest Thomas Mann des Abends Kafkas ›Schloss‹. Er ist wie erstaunt, dass es das gibt. Und der Leser der unsäglichen Tagebücher ist erstaunt, dass da die unwahrscheinlichste Verbindung der deutschen Literatur entsteht, eine der wenigen bei Thomas Mann, von denen sicher ist, dass sie keine Spur in seinem Werk hinterlassen wird, keine jener zahllosen ›Nutzungen‹, die bei ihm so selbstverständlich sind und wie Stoffwechselvorgänge gelingen. Hier ist kein ›Nachweis‹ fällig. Nur diese exotisch anmutende Verbindung ist zu beobachten, zu rekonstruieren. Herausforderung zur reinen Fiktion: Thomas Mann liest auf der ›Berengaria‹, früher ›Imperator‹, Kafkas ›Schloss‹ – zwischen Dinner und Tilleul. Nicht zu fassen«. 16
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Blumenberg as a Writer of Essays on Literature: Hochland Throughout his life, as a result of his formative years in several Catholic institutions, Blumenberg had a particular familiarity with and interest in the issues and controversies surrounding Christianity and its dogmas. 19 Despite having received his bachelor’s degree with honors from the prestigious Katharineum zu Lübeck, Blumenberg was not able to attend the university of his choice because of his Halbjude status. Instead, Blumenberg was forced to complete his higher education in Catholic schools such as the Academy of Philosophy and Theology in Paderborn and the Higher School of Philosophy and Theology in Frankfurt. His mother, also Jewish, converted to Catholicism at the beginning of the Second World War. 20 According to Fernando Inciarte’s deposition, she was rescued from the Holocaust by Dutch nuns and, for this reason, Blumenberg made donations to the Catholic Church for the rest of his life. 21 It is not surprising, therefore, that Blumenberg decided to publish his first literary essays in a Catholic magazine such as Hochland, of which he had been an assiduous reader since the age of seventeen. Its founder, Karl Muth, conceived the magazine in 1903 as an attempt to renovate and modernize the German Catholic Christianity. 22 Despite its religious orientation, the magazine made no specific doctrinal claims nor declared any political aspirations. 23 It was open to all areas of knowledge, including literature and art. The magazine was pubJean-Claude Monod, Hans Blumenberg, Paris: Berlin 2007, here pp. 116–117. On Blumenberg and religion see Ulrik Houlind Rasmussen, The Memory of God. Hans Blumenberg’s Philosophy of Religion, Doctoral dissertation, Copenhagen: University of Copenhagen 2009. See also Alberto Fragio, La destrucción blumenberguiana de las comprensiones teológicas de la Modernidad, ÉNDOXA: Series Filosóficas 26 (2010), 243–278. 20 Kadelbach, ›Missachtung‹ und ›Versöhnungsversuch‹ (see note 10), here p. 258. 21 César González Cantón, La metaforología de Blumenberg como destino de la analítica existencial, Doctoral dissertation, Madrid: Universidad Complutense de Madrid 2005, here p. 359, footnote 1034. See also Kadelbach, ›Missachtung‹ und ›Versöhnungsversuch‹ (see note 10), here p. 258. 22 Franz Rappmannsberger, Karl Muth und seine Zeitschrift Hochland als Vorkämpfer für die innere Erneuerung Deutschlands, Doctoral dissertation, München: Universität München 1952. 23 For further details on the magazine and its history see Konrad Ackermann, Der Widerstand der Monatsschrift Hochland gegen den Nationalsozialismus, Kösel-Verlag, Doctoral dissertation, Würzburg: Universität Würzburg 1965, and Maria Cristina Giacomin, Zwischen katholischem Milieu und Nation: Literatur und Literaturkritik 19
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lished from 1903 until 1941 when it was banned by the Nazi regime. The magazine was later published again from 1946 to 1971, under the direction of Franz Josef Schöningh. Blumenberg’s essays on literature appeared in this latter period alongside the works of Max Scheler and Carl Schmitt. Blumenberg submitted a series of essays to Hochland on Franz Kafka, Evelyn Waugh, Ernest Hemingway, Thomas S. Eliot, and William Faulkner. Each of them witnessed a sudden change of the times and gave an account of their most famous literary works, including Faulkner’s The Sound and the Fury (1929); Eliot’s The Waste Land (1922); Hemingway’s A Farewell to Arms (1929); and Waugh’s Sword of Honour (1952–1961), among others. The affinities within most of them are quite obvious: 24 The decline of Western civilization; the hopelessness of the postwar period; moral crisis and conservative ideology, and elitism. Authors such as Thomas S. Eliot, Evelyn Waugh, and even William Faulkner could well be described by Bernard Schweizer’s oxymoron as »conservative rebels«. 25
Franz Kafka and the Absolute Father The series of essays that Blumenberg published in Hochland begins with a short text on Kafka entitled »Der Absolute Vater« (1952– 1953). 26 In Das Problem des Nihilismus, Blumenberg introduces the im Hochland (1903–1918), Doctoral dissertation, Würzburg: Universität Würzburg 2007. 24 For example, the title of the Evelyn Waugh’s novel A Handful of Dust (1934) comes from a verse in The Waste Land (1922): »And I will show you something different from either / Your shadow at morning striding behind you / Or your shadow at evening rising to meet you; / I will show you fear in a handful of dust«. For disagreements between Hemingway and Eliot see chapter 12 of A Moveable Feast (1964). Hemingway’s »witty scrutiny« in the first part of Green Hills of Africa (1935), »Pursuit and Conversation«. 25 Bernard Schweizer, Radicals on the Road: The Politics of English Travel Writing in the 1930s, Charlottesville: University of Virginia Press 2001, here p. 38. 26 Hans Blumenberg, Der absolute Vater, Hochland 45 (1952–1953), 282–284 [republished in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3), here pp. 105– 114]. Blumenberg originally conceived this text as a conference and he unsuccessfully attempted to broadcast on Südwestfunk radio in Baden-Baden. Further details on Blumenberg’s contributions to German radio in the book chapter »The Young Blumenberg: Philosophical Dialogues and Other Contributions to the Radio, 1949– 1955«, by Alberto Fragio.
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idea that Kafka was the only writer in the German language before the First World War who was able to foresee the coming ›nihilistic situation‹. 27 In his essay written for Hochland, however, Blumenberg developed an analysis of Kafka’s relationship with his father as a sort of transfiguration of the ›God of Nominalism‹. 28 Blumenberg took up this issue again the following year in his lecture »Kant und die Frage nach dem ›gnädigen Gott‹« (1954). 29 From Blumenberg’s point of view, the understanding of the father figure in Kafka’s work can neither be traced back to the biographical dimension of the Czech author’s ›father experience‹ [›Vatererlebnis‹] nor to speculative answers offered by the psychoanalytic tradition. Rather, it claims its specificity as a theological stance for creating an awareness of transcendence that cannot be derived from any human reality. Kafka’s absolute father –like the God of Nominalism– shows itself to be enigmatic and fearsome in his course of action; »unattainable in his remoteness [and] unavoidable in his presence«. 30 It acquires the status of a mythical ›colossal Man‹ [›riesigen Mann‹] who stands as the ultimate reason and measure of everything, even though »he does almost everything without apparent reason« [»dem der alles ›fast ohne Grund‹ tut«]. 31 According to Blumenberg’s reconstruction, the most important thing is the »concern for self-affirmation« [»die Sorge der Selbstbehauptung«] 32 in relation to this theological instance. It should be a subject of improvement through the self-affirmation of the individual, suddenly immersed »in a new
»[…] unserer Situation, der nihilistischen Situation. […] das erweist sich mehr und mehr als die alles andere verzehrende und vernichtende Übermacht einer Transzendenz, von der ›unsere‹ Welt zu Nichts zerfällt«. Blumenberg, Das Problem (see note 14), here p. 4. 28 We continue the argumentative line suggested by González Cantón, La metaforología de Blumenberg (see note 21), here pp. 111–117, specially p. 112. 29 This lecture was given at an event to commemorate the 150th anniversary of Kant’s death held at the University of Kiel and was published in Hans Blumenberg, Kant und die Frage nach dem ›gnädigen Gott‹, Studium Generale 7 (1954), 554–570. Further details in Blumenberg’s early correspondence with Neukirchen (DLA Marbach). 30 »[…] er ist ein ›absoluter‹ Vater, unerreichbar in seiner Ferne, unentrinnbar in seiner Gegenwärtigkeit«. Blumenberg, Der absolute Vater (see note 26), here p. 282. 31 »Dann haben wir zu fragen, wie es zu dieser Transfiguration des Absoluten kommt und welche Gültigkeit ihr für unsere geistige Situation zuzusprechen ist«. Ibid., p. 283. 32 Ibid., p. 283. 27
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and unique world, completely heaped in its immanence, […] with a terrible loneliness«. 33 Blumenberg emphasizes that Kafka used the same term, father, to refer to the absolute: one used since ancient times referring to God as the »essence of trust in the absolute«. 34 Kafka’s father figure included a way of denying the religious aspect of theological absolutism. Consequently, it resulted in a religion without a God that had to be overcome. Therefore, Kafka’s absolute father is strangely related to Evelyn Waugh’s God, whose ›eschatological irony‹ fills everything and whose frightful providence is shown in the finer details. Blumenberg devoted his second essay in Hochland to this issue, under the title »Eschatological Irony. On Evelyn Waugh Novels« (1953/54). 35
Evelyn Waugh and the Mundane Operativity of Grace In February 1954, Blumenberg sent to Neukirchen a reprint of his essay on Evelyn Waugh, published in Hochland the same year. 36 In response, Neukirchen wrote: »I read your essay on Waugh. I consider it an intellectual achievement, the analysis is excellent. As a music critic, the only thing I would object to is the way of the recitation, I find it too impassive«. 37 Although Neukirchen’s reply was quite com»Kafka beschreibt […] das Neue und Einzigartige einer Welt, die sich in ihrer Immanenz ganz erfüllt und absolut setzt und in der es doch noch in furchtbarer Einsamkeit«. Ibid., p. 284. 34 »Wo sonst die Leere des Absoluten mit politischen, ästhetischen, erotischen Symbolen ›besetzt‹ wird, steht hier der ›riesige Mann‹ als Platzhalter der Transzendenz. Und es ist gewiß nicht von ungefähr, daß eben der Name des ›Vaters‹, der schon in den ältesten Zeiten mit dem Namen Gottes zum Inbegriff des Vertrauens ins Absolute verschmolzen war, nun in der Krise dieses Vertrauens der furchtbaren Anonymität des Nichts zufällt«. Ibid., p. 284. 35 Hans Blumenberg, Eschatologische Ironie. Über die Romane Evelyn Waughs, Hochland 46 (1953–1954), 241–251 [republished in Karlheinz Schmidthüs (ed.), Lob der Schöpfung und Ärgernis der Zeit. Moderne christliche Dichtung in Kritik und Deutung, Freiburg: Herder 1959; and Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945– 1958 (see note 3), here pp. 132–146]. 36 A shortened version was broadcast on the Südwestfunk radio station in BadenBaden, in February 3, 1955. 37 »Deinen Waugh-Aufsatz habe ich gelesen. Ich finde ihn im Denkergebnis und in der Analyse ausgezeichnet, nur ist er mir in der Form, in der Deklamation würde ich als Musikkritiker sagen, viel zu unbewegt«. Letter from Neukirchen to Blumenberg on February 12, 1954 (DLA Marbach). 33
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plimentary, Blumenberg considered his essay as a piece of dilettantism: »I am still seen as the bad philosopher who does not go towards his Magnum Opus«. 38 Soon after, Blumenberg would recall this exchange with Neukirchen, once again taking up the central idea of his essay »Eschatologische Ironie. Über die Romane Evelyn Waughs«, this time with regard to the Confessions of St. Augustine: »on the page about St. Augustine, the man, there was a peculiar western irony: in it were grouped the earliest and later »Confessions«, the beginning and the end of a great tradition. This ironic effect allows me to see clearly which names are under the articles and that most people had no sense of irony«. 39 Similar to St. Augustine, Evelyn Waugh represented a sensational contemporary case of religious conversion, as well as a stylistic continuation of the »Confessions«. Brideshead Revisited: The Sacred and Profane Memories of Captain Charles Ryder (1945) –also included in one of Blumenberg’s Rezensionswünsche– is often considered his most important novel. Not only was it conceived and recognized as a novel about »the operation of Divine Grace on a group of closely connected characters« 40 by its author, but also reported the tortuous and chequered process of conversion to the Catholic faith of his main character, Charles Ryder, Evelyn Waugh’s alter ego. 41 Blumenberg offered the ›eschatological irony‹ as the ultimate interpretative key to the collection of Evelyn Waugh’s novels. 42 As far as Blumenberg was concerned, Waugh’s work is characterized by both the almost complete disappearance of the eschatological horizon and the disbelief and skepticism before the eventual glorious
Letter from Blumenberg to Neukirchen on February 22, 1954 (DLA Marbach). See the letters that Blumenberg wrote to Neukirchen on November 29, 1954 and May 16, 1955 (DLA Marbach): »Die Augustinus-Mann-Seite war von einer geradezu abendländischen Ironie: sie vereinigte die ersten ›Bekenntnisse‹ und die letzten Anfangs- und Endpunkt einer großen Tradition. Dieser ironische Effekt ließ mich übersehen, welche Namen unter den Artikeln standen und daß das wohl Leute ohne Sinn für Ironie waren«. 40 Evelyn Waugh, Brideshead Revisited, UK: Chapman and Hall 1945. 41 Blumenberg found Waugh’s novel to be an »ironic novel of conversion«: »›Brideshead Revisited‹ ist so etwas wie ein ironischer ›Bekehrungsroman‹«. Blumenberg, Eschatologische Ironie (see note 35), here p. 250. 42 An exhaustive overview of Waugh and his work in Carlos Villar Flor, Robert Murray Davis (eds.), Waugh without End. New Trends in Evelyn Waugh Studies, Bern: Peter Lang 2005. 38 39
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advent of the parousia. 43 Waugh’s novels are set in an ›epochal threshold‹. As a result, Waugh could not appeal to the traditional model of religious literature to express the mundane operativity of grace. He instead had to search for new materials for his religious belief within the specificity of the historical and cultural manifestations of his time: The decadence of the English society; the decline of the aristocracy; the elitist marginalization of Catholic Christianity; and the run-up to the war. In this way, Waugh’s novels are not strictly »theological novels«; 44 rather, grace –always triumphant in the end– is shown to be equivocal in its provisions and ambiguous in its results. The ambivalence of the triumph of grace leaves it open to challenge. In Waugh’s novels, divine grace infiltrates the boring and »superficial life of the English society« [»die Untiefen des englischen Gesellschaftslebens«], 45 full of conventions, flirtations, and infidelities. 46 Boredom is an opportunity, as much for the intervention of sin as for grace, to put an end to the repetition ad nauseam of the endless schemes of society. 47 According to Blumenberg, Waugh would have been interested in the »redemption of mediocrity« [»das Heilsschicksal der Mittelmässigkeit«]. 48 As Kafka’s father, the disoriented and mediocre man in Evelyn Waugh’s novels rebels against a God who is shown primarily as an internal enemy that thwarts projects of personal accomplishment. 49 Modern man can only be shaken out of his indifference by becoming a victim of the brutality of divine grace: »the importance of irony to Waugh is based on the belief that modern man’s indifference to his fundamental questions can only be broken by a cruel shock in which his truth is laid bare«. 50 »[…] solcher Verzicht auf den pathetischen Effekt der Parusie des Absoluten möchte bei Waugh als der fundamentale Irrtum des mitlebenden Menschen erscheinen«. Blumenberg, Eschatologische Ironie (see note 35), here p. 246. 44 »Waughs Romane sind alles andere als das, was, in einem letzthin vielberedeten Sinne, ›theologischer Roman‹ genannt werden kann«. Ibid., p. 244. 45 Ibid., p. 241. 46 »[…] von der schläfrigen Konvention zum Flirt, vom Flirt zur Untreue«. Ibid., p. 241. 47 »die potentielle Endlosigkeit des Gesellschaftsgeflechts«. Ibid., p. 241. 48 Ibid., p. 249. 49 »Hier ist das Religiöse nicht das Zentrum, ans dem heraus der Mensch auch dann existiert, wenn er sich gegen Gott als den Feind seines Selbstseins auflehnt«. Ibid., p. 249. 50 »Die Bedeutung, die die Ironie bei Waugh besitzt, beruht auf der Überzeugung, daß 43
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The eschatological irony in Waugh’s novels clearly assumes the presence of an epochal threshold. As a result, grace can no longer be shown as a pure revelation; as a perfect parousia directed towards ready and willing believers. Rather, it is mainly shown as a deprivation, such as the catastrophic eruption of a previously absent truth. In this sense, an eschatological irony is a dramatic event linked to the last imposition of theological truth, whose restorative function is typically associated in Waugh’s work with a disaster of an intimate or personal nature: »religion is acceptable in its destructive role« [»Religion ist annehmbar in ihrer destruktiven Funktion«]. 51 Theological truth, ignored until this point, is revealed suddenly as a catastrophe that restores the lost moral order and makes us aware of »the deprivation resulting from the lack of truth in our world«. 52 Such an unmasking reveals »all in one, irony and tragedy, triumph of truth and catastrophic self-affirmation« [»Ironie und Tragik, Triumph der Wahrheit und Katastrophe der Selbstbehauptung in eins zusammen«]. 53 As a result, the tortuous outcomes of grace resemble a divine punishment caused by the immoral life. The God of Evelyn Waugh operates in a more subtle way than Kafka’s absolute father but is far more terrible in his course of action. Unlike the absconditus deus of Nominalism, Waugh’s God is hidden in order to stalk and attack by surprise as a sort of deus insidiis or ambushing God. The man believes he himself is the owner of his destiny but, in reality, he ends up being the victim of a trap laid by divine grace. In this sense, death is the final and most humiliating ambush of all, one which undermines infinite human pretension and where »all the bitterness of irony« [»die ganze Bitternis der Ironie«] 54 is displayed. 55
die Gleichgültigkeit des modernen Menschen gegenüber seinen Grundfragen nur durch den grausamsten Schock der Entblößung seiner Wahrheit gebrochen werden kann«. Ibid., p. 243. 51 Ibid., p. 246. 52 »die Ironie macht allenfalls noch die Entbehrung spürbar, die durch den Mangel der Wahrheit in unserer Welt entsteht«. Ibid., p. 243. 53 Ibid., p. 245. 54 Ibid., p. 243. 55 »Im Roman Waughs ist der Tod der letzte Hinterhalt, der uns gelegt ist, der absolute Bezugspunkt der Ironie«. Ibid., p. 248.
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Ernest Hemingway’s Nihilistic Anthropology The third essay that Blumenberg submitted to Hochland was titled »Die Peripetie des Mannes. Über das Werk Ernest Hemingways«. 56 Here, we can appreciate a drastic thematic change from religion to anthropology. In this essay, Blumenberg outlines what we may call ›Hemingway’s nihilistic anthropology‹, which prefigures a somewhat Blumenbergian anthropology avant la lettre. Through a comprehensive analysis of Hemingway’s most famous novels, Blumenberg raises the central question of how to become a man in »Hemingway’s world« [»Hemingways Welt«]. 57 It is a violent and hazardous world, full of threats and dangers but governed by »rules« [»Spielregeln«] 58 and strict behavioral codes. Blumenberg acknowledges that, at first glance, Hemingway’s work can be a little unpleasant and distasteful, 59 but it is of philosophical interest in so far as it incorporates a specific understanding of reality and man’s place within it. Boxers, bullfighters, partisans, hunters, and smugglers all face critical situations that offer the possibility of self-understanding as if a test must be overcome in order to reveal one’s true nature and become genuine. It was not a transcendent ideal. Hemingway’s anthropological characters define the »way of life necessary in a world that will beat us down and destroy us« [»die notwendige Lebensform in einer Welt, die uns schlägt und uns zerschlaHans Blumenberg, Die Peripetie des Mannes. Über das Werk Ernest Hemingways, Hochland 48 (1955–1956), 220–233 [republished in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3), here pp. 219–238]. Blumenberg first mentioned his essay to Neukirchen, as well as the publication of Hemingway’s book Green Hills of Africa (1935), in a letter dated April 2, 1955: »Habt Ihr schon Hemingways Grüne Hügel Afrikas besprochen? Du könntest das Buch behalten, da ich es von Hochland bekommen habe, für das ich über H. schreibe; ich bräuchte also nur den Auftrag, damit ich weiß, dass Ihr nicht schon disponiert habt. Auf beigefügter Liste mache ich einige Rezensionsvorschläge; die Liste ist mit Absicht umfangreicher, als ich das Material bewältigen kann, da ich einige Kollisionen mit Deinen Rezensionswünschen schon einkalkuliert habe« (DLA Marbach). 57 Ibid. p. 220. 58 Ibid., p. 220. 59 For example, in relation to gender, which is in no way ignored by Blumenberg. Further details on this topic in Josefa Ros Velasco, Hans Blumenberg: A Hidden Interest in the Role of Women, in Feminism. Past, Present and Future Perspectives, Nova Science Publishers: New York 2017, 81–98. See also Gerald Kennedy, Hemingway and gender history, in Scott Donaldson (ed.), The Cambridge Companion to Ernest Hemingway, Cambridge: CUP 1996, 170–196. 56
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gen wird«]. 60 In other words, the »brutal hostility of reality towards man is the ontological condition in Hemingway« [»Die brutale Feindlichkeit der Realität gegenüber dem Menschen ist Hemingways ›ontologische‹ Voraussetzung«]. 61 The ability to overcome injuries and losses caused by the collision with that reality allows us to measure human dignity and raise existence to a normative status. At this point, Blumenberg refers to a sort of »negative anthropology« [»negativer Anthropologie«] 62 in Hemingway’s work. The human beings are plunged from the outset into a permanent state of loss, to the extent that they reach the end of their life »empty handed« [»mit den leeren Händen«]. 63 Hemingway’s ›real‹ man must impose his own normative order as a prerequisite for achieving a dignified and free existence; as part of the process of becoming a man through injuries and losses, in which survival is not a victory itself. It does not matter if he violates the rules of engagement in the world; he must follow his own standards as long as he keeps himself alive, as a »desperate analogue of moral« [»verzweifelten Analogons der Moral«], »the caricature of human autonomy« [»die Karikatur einer Autonomie des Menschen«], Blumenberg adds. 64 Hemingway’s man refuses to see himself as a victim of circumstances. He does everything possible to overcome circumstances, responding in a way to claim absolute responsibility. Moreover, he creates situations from which there is no escape, 65 much like the bullfighter »does not allow destiny to come searching for him, but instead goes to meet it and captures its attention moving the red cloak«. 66 According to Blumenberg, Hemingway’s anthropological characters, i. e., ›Hemingway’s heroes‹ [›Hemingways Helden‹], are always called to action, immersed in crisis situations that are unfamiliar and require an immediate and resounding answer. Blumenberg has referred to the ›negative pathos‹ [›negativen Pathos‹] of Hemingway’s Blumenberg, Die Peripetie des Mannes (see note 56), here p. 221. Ibid., p. 221. 62 Ibid., p. 221. 63 Ibid., p. 221. 64 Ibid., p. 221. 65 »darf es keinen Ausschlupf mehr geben, wenn sich zeigen soll, was an einem ist«. Ibid., p. 223. 66 »der Mann lässt sich von seinem Schicksal nicht suchen, er selbst sucht es auf, macht sich ihm bemerkbar, wie der Torero […] das rote Tuch vor sich schwingt«. Ibid., p. 223. 60 61
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man to express this unfamiliarity with the circumstances and actions in which he is involved, as well as to his lack of conviction in so far as he still retains a sphere of intimacy, a »solipsistic loneliness« [»solipsistische Einsamkeit«] 67 that he has to put on hold while confronting the violent reality of the world. Ultimately, »he is indifferent to the cause for which he fights since he fights for himself« [»im Grund ist es ihm gleichgültig, da er nicht um die Sache, sondern um sich selbst kämpft«]. 68 It is very striking that Blumenberg refers to a rhetorical issue in the context of his review of Hemingway’s man. 69 Blumenberg presents Hemingway’s work as »living literature« [»lebendige Literatur«], a sort of ›voice‹ of experience that makes »Hemingway’s style a fierce protest against rhetoric, it is full of fear towards the ghost of rhetoric« [»Hemingways Stil ist voller Protest gegen Rhetorik, er ist voller Furcht schon vor dem Phantom der Rhetorik«]. 70 However, at the same time, the ›anti-rhetorical affection‹ [›antirhetorischem Affekt‹] in Hemingway’s writing –characterized by concise dialogues and cold and exact descriptions– is the best example of a high capacity for rhetoric, an unexpected application of the rhetoric that produces the paradoxical impression of an »erotic rhetoric« [»erotischer Rhetorik«] 71 in situations of risk. From Blumenberg’s point of view, Hemingway cemented his reputation as a great writer of honesty Ibid., p. 232. Ibid., p. 223. 69 Here, one may identify a prefiguration of the foundational work of Blumenbergian anthropology. Further details in Hans Blumenberg, Approccio antropologico all’attualitá della retorica, Il Verri. Rivista di Letteratura 35/36 (1971), 49–72 [reprinted in Hans Blumenberg, Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik, in Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart: Reclam 1981, 104–136]. Further details in César González Cantón, Absolutism: Blumenberg’s Rhetoric as Ontological Concept, in Alberto Fragio, Diego Giordano (eds.), Hans Blumenberg. Nuovi paradigmi d’analisi, Roma: Aracne Editrice 2010, 103–142. See also Jean-Claude Monod, A Rhetorical Approach of Politics: Blumenberg’s Principle of Insufficient Reason and its Pascalian Consequences, Kronos 2, 25 (2013), 184–199. 70 Blumenberg, Die Peripetie des Mannes (see note 56), here p. 224. 71 Ibid., p. 225. »Aber es ist zugleich das beste Beispiel dafür, wie sich dieser Affekt selbst unversehens in Rhetorik umsetzt. Auch das vielgerühmte ›understatement‹ Hemingways ist des Umschlags in Rhetorik in hohem Maße fähig. Noch der forcierte Gebrauch des Wortes ›Scheiße‹ und anderer einschlägiger Vokabeln kann Rhetorik sein. […] Der Aberglaube, daß das stupend Gewagte der Darstellung dem Leser die kühlste Exaktheit der Deskription geradezu verbürge, führt nur zu oft zu dem Widersinn, daß eben in den gewagtesten Situationen bei Hemingway so viel geredet werden 67 68
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and originality as a result of his anti-rhetorical will and ›absolute consciousness‹ [›absolute Gewissen‹]. Hemingway used a style of prose »›that had been written never before‹« [»›noch niemals geschrieben worden ist‹«] 72 and that a reader could hardly avoid. Blumenberg also refers to religion in Hemingway, which, although it is not the central issue of his short article, is introduced in relation to weakness and cowardice. Hemingway reveals his religious interests through Anselmo –a character in For Whom the Bell Tolls (1940)– who implores God to help him to behave as a man would do in his final hour. 73 Hemingway’s provocative ironic approach to religion is also present in the anthropological figure of ›the old man‹ [›der alte Mann‹]. Blumenberg considers this to be a maturation of Hemingway’s early anthropology, taking shape in a memorable scene in the story The Old Man and the Sea (1951) through the surprising reworking of the topics of crucifixion and Ecce Homo: 74 inside the shack, he leaned the mast against the wall. In the dark, he found a water bottle and took a drink. Then he lay down on the bed. He pulled the blanket over his shoulders and then over his back and legs and he slept face down on the newspapers with his arms out straight and the palms of his hands up.
Thomas S. Eliot and the Time Experience Blumenberg’s uninterrupted annual contributions to Hochland carried on with an essay he was commissioned to write by the magazine in 1956, 75 titled »Rose and Feuer. Lyrik, Kritik und Drama T. S. muß, daß es geradezu eine Art von erotischer Rhetorik bei ihm gibt«. Ibid., p. 224– 225. 72 Ibid., p. 225. 73 »Hilf mir, mein Gott, daß ich mich morgen so benehme, wie ein Mann in seiner letzten Stunde sich zu benehmen hat«; »Die tiefe Ironie entgeht nicht, dass diese Formel – sonst als Befehl des Hemingwayschen ›Mannes‹ an sich selbst gebraucht, die ›Spielregeln‹ einzuhalten – hier, im Munde Anselmos zum Gebet wird«. Ibid., p. 228. 74 Ibid., p. 228. 75 As we can see from his early correspondence with both Franz Josef Schöningh and the editorial team at Suhrkamp Verlag (DLA Marbach), Blumenberg contacted the publisher for the first time in 1954 to obtain bibliographic information for his essay on Eliot, later published in Hochland. Correspondence from Blumenberg »An den Suhrkamp-Verlag«, Bargteheide/Holst., den 26. März 1954: »Sehr geehrte Herren,
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Eliot«. 76 On this occasion, Blumenberg wrote a profile of Eliot highlighting his role as both a writer and a literary critic. According to Blumenberg, the famous collection of poems The Waste Land stands out above all Eliot’s works. Blumenberg emphasizes Eliot’s concern with the experience of time. This was the key feature of all his works including Ash Wednesday in which the experience of time intersects with religion. 77 According to Blumenberg’s overview, the matter of time in Eliot takes shape from 1936 to 1942. This period stretches between the publication of The Waste Land and Eliot’s masterpiece Four Quartets. The significance lies in Eliot’s analysis of his present as »the only dimension of freedom, between the impotence of what is no longer and what is not yet«. 78 Eliot refers to an actuality that allows for a return to the past in order to get rid of it and prevent it from being a burden in the future. He summarized these early reflections in 1943, in a memorable line from Four Quartets: »history may be servitude, history may be freedom«. In line with Blumenberg, Four Quartets is the work in which Eliot most clearly denoted the relationship between religion and time. Eliot’s thinking is considered a Christian metaphysics: as a linear time with a beginning and an end. 79 This non-circular conception of time fits with his findings in Ash Wednesday as, for Eliot, every moment is die Redaktion der Zeitschrift HOCHLAND hat mir einen Beitrag über T. S. ELIOT in Auftrag gegeben. […] Insbesondere wäre es mir um Material über Aufführungen der dramatischen Werke Eliots zu tun. Falls Sie in Ihrem Archiv über derartiges Material (Rezensionen usw.) verfügen …«. 76 Hans Blumenberg, Rose und Feuer. Lyrik, Kritik und Drama T. S. Eliots, Hochland 49 (1956–1957), 109–126 (republished in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945– 1958 (see note 3), here pp. 239–64). 77 Blumenberg uses quotes built into the text to reflect this idea: »Because I know that time is always time / And a place is always and only a place / And what is actual is actual only for one time / And only for one place / I rejoice that things are as they are …«. Ibid., 112. 78 »Gegenwart ist die einzige Dimension der Freiheit zwischen der Ohnmacht des Nicht-mehr und der des Noch-nicht; Gegenwart zu haben ist der Sinn aller Hinwendung zur Vergangenheit«. Ibid., p. 110. 79 »Eliots Zeitverständnis in den ›Vier Quartetten‹ ist beherrscht von dem Grundgedanken, daß Zeit Anfang und Ende hat und daß als darin gleichsam ›enthaltene‹ Mitte Gegenwart entsteht. In dieser fast formalen Deutung ist Eliots wesentliche Affinität zum christlichen Weltverstehen fundiert, das zwischen Schöpfungsbeginn und Gerichtsende Raum gelassen sein läßt für die Gegenwarten der Geschichte«. Ibid., p. 110.
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valid because we are always between a sunrise and a break in time. 80 In Eliot’s work, we often find an ontological polarity between Genesis and Revelation, with a particular emphasis on the eschatological view of time. Eliot’s references to the »Kultur des Endes« 81 are especially abundant. Blumenberg notes Eliot’s fascination with the end. Eliot seems bewitched by the Heideggerian idea of »Sein zum Tode« 82 and the way in which death influences the development of an ontological understanding of the world and existence: one which »always hurries on top of the present to ›the listening in silence of the undeniable sound of the last statement’s bell‹«. 83 If something stands out in Blumenberg’s review it is his interest in Eliot’s reflections on the fragility of the world concerning both its unlikely nature and our existence in it. 84 At this point, Eliot’s understanding of time involves an alternative view to that which predominated during modernity, beyond ›boredom‹ [›Überdruß‹] and ›indifference‹ [›Gleichgültigkeit‹]. 85 Eliot seeks to retrieve those aspects of the mythical ways of the past that may be useful in the present to overcome a pessimistic view of history, especially through the Christian myth in which the end leads us to a new beginning. 86 Eliot’s literary criticism makes sense both in this context and with the use of melancholy as an aesthetic device. Thus, Blumenberg suggests, the reader feels himself as the »subject of the poem« [»Gegenstand des Gedichts«]. 87 Melancholy reveals an immanent eschatology and a subsequent search for gnosis. Both mean that the end of time is not only expected but also desired. Eliot was convinced of the potential preserved in classical myths to offset such an »obsession »Zeit verläuft sich hier nicht im Unendlichen oder rotiert im Zyklischen. Kostbarkeit, Einmaligkeit und Dringlichkeit jedes Augenblicks ist erst zwischen Anbruch und Abbruch der Zeit gewährt«. Ibid., pp. 110–111. 81 Ibid., p. 113. 82 Ibid., p. 114. 83 »Immer hat das Sein den Zenit der Gegenwart schon durcheilt, und in allem ist ›das stumme Horchen nach dem unleugbaren Klang der Glocke der letzten Verkündung‹«. Ibid., p. 113. 84 Ibid., p. 113. 85 Ibid., p. 111. 86 »Eliots Dialektik der Zeit ist vor ihrem eigenen christlichen Anspruch fragwürdig …«. Ibid., p. 115. 87 Ibid., p. 114. 80
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with putrefaction« [»Verwesungsbessenheit«] 88 and man’s subsequent conception as a being who lives thinking constantly about death. He intended to redeem the present with classical culture and put an end to the modern conception of time.
William Faulkner and the Ambiguity of the American Myth Blumenberg wrote to his friend Neukirchen on October 4, 1956: 89 I am systematically reading Faulkner’s complete works, in mid-November I will have to talk about him in Munich. The violence with which I am beaten is beyond all expectations, although my readings are only occasional and sporadic. To be effective, Faulkner should be read with systematic effort, then an extraordinary world opens, in the mythical disasters.
In Blumenberg’s Nachlass there is also a transcript of the Munich lecture delivered at the Amerika-Institute on November 14, 1956, 90 reworked and published in Hochland the next year, titled »Mythos und Ethos Amerikas im Werk William Faulkners« (1957–58). 91 The essay on Faulkner’s work was the last that Blumenberg published in Hochland. We may consider this essay as the earliest approach to the issue of myth by Blumenberg. 92 The same year he wrote on the relationship of myth and metaphor in an essay entitled »Licht
Ibid., p. 112. Letter from Blumenberg to Neukirchen on October 4, 1956: »Stattdessen lese ich zur Zeit systematisch das Gesamtwerk von Faulkner, über den ich ja Mitte November in München reden soll. Die Wucht, mit der ich geschlagen werde, geht über alle Erwartungen, die sich bei nur gelegentlicher und sporadischer Lektüre einstellen. Faulkner muß tatsächlich mit systematischer Anstrengung gelesen werden, dann eröffnet sich eine ungeheuerliche Welt, in der mythische Katastrophen geschehen«. 90 Hans Blumenberg, Über William Faulkner, 11.1956 (DLA Marbach). 91 Hans Blumenberg, Mythos und Ethos Amerikas im Werk William Faulkners, Hochland 50 (1957–1958), 234–250 [republished in Blumenberg, Schriften zur Literatur 1945–1958 (see note 3), here pp. 265–87]. 92 Blumenberg also briefly approached the issue of myth in Die ontologische Distanz (1950) (Zweiter Teil § 1). A few years later, in the summer of 1952, he proposed to Hamburg Radio Nordwestdeutscher Rundfunk a collaboration on »Western mythology«, however, in light of the available historical evidence, it can not be concluded that this project went ahead. Many years later, Blumenberg will be monographically occupied on myth in Arbeit am Mythos (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979). See also the posthumous book Hans Blumenberg, Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos, Berlin: Suhrkamp 2014. 88 89
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als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung« (1957), which is considered to be the foundational text of his metaphorology. Blumenberg faced up to an operational and active myth in his review of Faulkner. American myth was relevant to an understanding of time itself. Faulkner not only elevated »a national matter to an event for all humanity«, thereby making »something unique in the literature of his country«, 93 but also wrote »one of the most important chapters in the history of contemporary European consciousness«. 94 Blumenberg’s essay calls to attention the historical episode of the American occupation of Germany after Second World War. As Blumenberg showed, Faulkner’s work offered a hermeneutic of reality, at once a condensed work of history and myth, a chronicle of the rise and fall of a historical period, and a depository for the keys to understand the present. To Faulkner’s statement that »the past is never dead. It is not even past«, Blumenberg added: »this is the exact formula of myth!«. 95 These are the reasons why »mythical Americanism« [»mythischen Amerikanismus«] 96 in Faulkner’s novels is full of ambiguity and dualisms: American history remains linked to European history, American myth to European myth, America as a European colony, Europe as an American colony. Accordingly, Faulkner’s work not only represents a singular piece of the American mythology but also of the European mythologizing of America. 97 Blumenberg recalled Fontane’s work L’Adultera (1882) 98 in order to illustrate the »F. hat […] etwas Einzigartiges für die Literatur seines Landes getan: er hat in einem nationalen Stoff ein menschheitliches Ereignis sichtbar werden lassen«. Blumenberg, Über William Faulkner (see note 90). 94 »das wäre eines der wichtigsten Kapitel einer Geschichte des europäischen Bewußtseins der Gegenwart«. Blumenberg, Mythos und Ethos (see note 91), here p. 234; »diesem größten Kapitel der amerikanischen Literatur«. Blumenberg, Über William Faulkner (see note 90), here p. 19. 95 »›Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen‹. Das ist genau die Formel des Mythos!«. Blumenberg, Mythos und Ethos (see note 91), here p. 242. 96 Ibid., p. 234. 97 See Kafka’s first novel Der Verschollene (1927). 98 Blumenberg notes: »Fontane führt in seinem Roman »L’Adultera« den jungen Ebenezer Rubehn, der die Ehe der Melanie van der Straaten zerstören wird, mit der Bemerkung ein: »Er hat etwas amerikanisch Sicheres«. Blumenberg, Mythos und Ethos (see note 91), here p. 234. Blumenberg posthumously published a book on Fontane: Hans Blumenberg, Gerade noch Klassiker. Glossen zu Fontane, München: Hanser 1998. It was reprinted later as Hans Blumenberg, Vor allem Fontane, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 2002. 93
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Hans Blumenberg: Philosophy and Literature from 1952 to 1958
European fascination with the American myth and quoted Thielicke’s words: »America lives as we will live tomorrow« [»Amerika lebt, wie wir morgen leben«]. 99 Europeans considered the American horizon as a benchmark of progress, 100 »the man who comes« [»der kommende Mann«], 101 as a utopia that came true. The two sides of the American myth also referred back to the era of the European pioneers that Blumenberg links to a historical experience of guilt. The ›cosmogony of the continent‹ [›Kosmogonie des Kontinents‹] –the American continent– encompasses the generational guilt about the usurpation of the land, the imposition of a new law and a social order based on property. 102 The mythical catastrophe in the Faulknerian epic consists of an explication of the genesis of national glory, i. e., its formation through »anonymous moments in the history of his nation« [»den anonymen Augenblick in der Geschichte seiner Nation«] 103 and its outcome in the Civil War and the split between the North and South, then repeated on the European continent. In Blumenberg’s opinion, the American myth derives from a tension between freedom and the original sin, 104 between ethos and destiny. 105 This is the reason why American fatalism was able to become the »allegory of humanity« [»Menschheitallegorie«], 106 that is to say, to become one »of the paradigms […] for the transposition of the foundations of freedom in History«. 107 Some of Faulkner’s works, such as The Sound and the Fury (1929), Dry September (1931), and Intruder in the Dust (1948), are of the utmost importance for Blumenberg since they allow us to grasp Blumenberg, Mythos und Ethos (see note 91), here p. 234. One dimension of the American myth is the technology that Blumenberg analyzed in Faulkner’s novel Pylon (1935): »Im Grunde sieht Faulkner das Problem der Technik noch biologistisch, als eine Sache der Anpassung, der entselbstenden Symbiose«. See also Blumenberg, Mythos und Ethos (see note 91), here p. 245. 101 Ibid., p. 234. 102 Ibid., p. 235. 103 Blumenberg, Über William Faulkner (see note 90), here pp. 19–20. 104 »auf das Sichtbarwerden der verborgenen Chiffren der Freiheit vor dem mythischen Hintegrund«. Ibid., p. 19. See also Blumenberg, Mythos und Ethos (see note 91), here pp. 234–237. 105 Ibid., pp. 235–237. 106 Ibid., p. 248. 107 »Die Art, wie das epische Werk William Faulkners bei uns gelesen und verstanden wird, ist nur ein Paradigma für solche Verstellung des Blickes auf den Freiheitsgrund der Geschichte«. Ibid., pp. 234–235. 99
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the meaning of Faulkner’s criticism. Particularly noticeable is the strength with which Faulkner denounces the injustices suffered by black people in the South: I only say that injustice is on our side, South. We must expiate and abolish it ourselves, alone, without help, and even without (grateful) advice. […] There are things that should be never borne. […] Not for fame or money; not to get your picture in the newspaper or money in your bank account. One simply refuses to bear them. Understood? 108
Blumenberg’s review also touches on titles such as Requiem for a Nun (1951) or The Unvanquished (1939). Sometimes, as occurs in Requiem for a Nun, it is the scenery itself which represents the formation of the American history from allusions to the courts and prisons. 109 Following Blumenberg, the background of Faulkner’s critique of the American myth lies in actions devoid of sense, or in the man devoid of awareness who behaves unfairly. A Fable (1954) is the work that best represents Faulkner’s critique. It is a sort of ›result‹ of the earlier critical efforts carried out by the American writer: 110 »there is no fight between good and bad, God against Satan, but ultimately only the different measures on reality and the necessary, human tissue and politics […], human against politics«. 111
108 »Ich sage nur, daß das Unrecht auf unserer Seite ist, der Seite des Südens. Wir müssen es selbst sühnen und abschaffen, allein, ohne Hilfe und sogar unter [dankendem] Verzicht auf Ratschläge […] Es gibt Dinge, deren Duldung zu verweigern man nie aufhören darf […] Nicht um Geld und gute Worte, noch für die Photographie in der Zeitung, noch um des Bankkontos willen. Nur sich weigern, sie zu dulden. Verstanden?«. Ibid., p. 236. 109 Ibid., p. 242. Faulkner constantly recounts historical events, but they are not contrasted with actual data or documents: »Es war daher nur von innerer Folgerichtigkeit, daß Faulkner nach dem Ausdruck für die universale Gültigkeit seines Grundthemas suchen würde. Neun Jahre hat er diesem höchsten Zugriff gewidmet«. Ibid., p. 248. 110 »A Fable [Eine Legende 1954] ist reine Konsequenz alles Vorhergehenden«. Ibid., p. 248. 111 »Nicht das Gute und das Böse stehen einander gegenüber, Gott und Satan, sondern im Grunde nur verschiedene Maßeinheiten für das Wirkliche und Notwendige, politisches und humanes Meridiannetz […] das Humane gegen das Politische«. Ibid., p. 249.
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Nicola Zambon
Zwischen Husserl und Heidegger. Der Weg zu einer Beschreibung des Menschen
Zu seinen Lebzeiten hat Hans Blumenberg einen einzigen Band zur Phänomenologie veröffentlicht, nämlich Lebenszeit und Weltzeit, der 1986 erschien. 1 Das ist aber nur das Destillat einer lebenslangen Auseinandersetzung, die bis in die Jahre der Qualifikationsschriften zurückreicht, Anfang der 70er Jahre aber noch einmal eine Intensivierung erfährt, als Blumenberg ein Buchprojekt, Der verborgene Gott der Phänomenologie (VGP), zu entwerfen begann. Darin wird zum ersten Mal die Arbeit einer phänomenologischen Anthropologie angekündigt, die sich dann durch die 70er und 80er Jahre durchzieht und sich in Beschreibung des Menschen und den anderen postum veröffentlichten Werken niederschlägt. 2 In meinem Beitrag möchte ich (1) die Entstehung von Beschreibung des Menschen und deren Zusammenhang mit VGP philologisch rekonstruieren. Diese Rekonstruktion ist notwendig zum Verständnis von Blumenbergs Arbeit an der Phänomenologie Husserls sowie seines Projekts einer phänomenologischen Anthropologie. Dieses Projekt möchte ich thematisch darstellen und auslegen: (2) in Bezug auf Husserl einerseits; (3) im Hinblick auf das, was Blumenberg Heideggers ›Verformung der Phänomenologie‹ genannt hat, andererseits.
I. In den 70er und 80er Jahren wurde Blumenberg durch seine Studien über Metaphern im philosophischen Denken und durch seine gründliche Arbeit am Mythos bekannt. Dabei war offensichtlich, dass es dazu eine anthropologische Fundierung geben musste, eine ErkläHans Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986. Hans Blumenberg, Beschreibung des Menschen, hg. v. Manfred Sommer, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006.
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rung, weswegen Menschen Metaphern und Mythen brauchen und gebrauchen. Den veröffentlichten Texten ließ sich keine Anthropologie abgewinnen, sodass die Lücke erst 2006 durch die postume Publikation von Beschreibung des Menschen geschlossen werden konnte. Das Buch ist von Manfred Sommer nicht bloß ediert, sondern vielmehr komponiert worden. Es handelt sich, um einen Ausdruck aus der Musikwissenschaft zu gebrauchen, um ein Quodlibet: ein Werk, in dem einzelne Stücke kombiniert werden und aus denen heraus sich das Ganze ergibt. Im Nachwort des Herausgebers finden sich einige spärliche Hinweise auf Typoskripte, die aus den Münsteraner Vorlesungen der 70er Jahre entstanden seien, und die Blumenberg zeitgleich mit den metaphorologischen und mythentheoretischen Schriften geschrieben habe. Möchte man die Entstehungsgeschichte der Beschreibung des Menschen rekonstruieren, so muss man Sommers Anmerkungen ergänzen, indem man auf das Buch hinweist, das Blumenberg zwar geplant, beinahe zu Ende geschrieben, allerdings nicht publiziert hat. Das Buch heißt Der verborgene Gott der Phänomenologie (VGP). Im Deutschen Literaturarchiv in Marbach lassen sich diverse Listen von Büchern finden, die Blumenberg im Laufe der Jahre zu schreiben vorhatte. Dabei handelt es sich nicht immer um konkrete Projekte, sondern um Anregungen oder Ideen für Arbeiten à venir. Diese Listen dienten nicht zuletzt der Orientierung in seinem Schreiben, indem sie uns Aufschluss darüber geben, woran Blumenberg in einem bestimmten Jahr arbeitete. 3 Anders verhält es sich aber mit VGP, wie mehrere Indizien, ja Belege nahelegen. Blumenberg war
3 Wenn ich richtig sehe, taucht Der verborgene Gott der Phänomenologie zum ersten Mal als Titel à venir in einer Liste auf, die auf den 6. September 1972 datiert ist. Zum letzten Mal erscheint der Titel in einer Liste, die das Datum 2. Juni 1982 trägt. Der Titel wird dann in der Liste vom 13. Februar 1983 bzw. 1. Januar 1985 durch den Titel Sichtbarkeit. Eine phänomenologische Anthropologie ersetzt, der, wie uns Manfred Sommer im Nachwort erinnert, ursprünglich als Titel von Beschreibung des Menschen gedacht war. Siehe Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 2), S. 897. Von VGP existiert auch ein Inhaltsverzeichnis: 1. An den Menschen ist nicht zu denken. Das systematische Anthropologie-Verbot 2. Husserls Gott. Eine philosophische Kryptotheologie 3. Selbstaufrichtung – Sichtbarkeit – Undurchsichtigkeit. Übergänge zu einer phänomenologischen Anthropologie 4. Eigenleib und Wirklichkeitsbewußtsein
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mit dem Suhrkamp-Verlag im Gespräch, um das Buch im Herbst 1978 publizieren zu lassen, und am 15. März 1978 kündigt er dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld an, das Buch sei fast »druckfertig«. 4 Ob das Werk wirklich publikationsreif war, wissen wir nicht; nach wenigen Tagen zieht Blumenberg die Veröffentlichung zurück, 5 wenngleich das Buchprojekt erst in den 80er Jahren definitiv eingestellt wurde. 6 Von VGP gibt es schließlich einen Ankündigungstext, der im postum erschienenen Band Ein mögliches Selbstverständnis publiziert wurde. Da schreibt Blumenberg: Die am wenigsten metaphysische Philosophie dieses Jahrhunderts, die Phänomenologie, eine an die Beschreibung der ›Sachen selbst‹ programmatisch gebundene Disziplin, hat eine Kryptotheologie. Sie ist zugleich die Verhinderung dessen, daß es eine phänomenologische Anthropologie gegeben hat oder geben darf. Der Gott des Phänomenologen ist zuerst sein Rivale um Erkenntnisgewißheit, dann der Inbegriff derjenigen Subjektivität, die das ›welthafte‹ Subjekt durch phänomenologische ›Meditation‹ selbst zu werden beansprucht. Wenn das so ist, liegt die Chance einer phänomenologischen Anthropologie in der Resistenz gegen kryptotheologische Rivalität. Eine beschreibende Anthropologie, sofern sie, philosophisch zu sein, vorhat, kann nicht alles und jedes beschreiben, was sie einschlägig vorfindet. Es liegt nahe, hört sich aber trivial an, daß ihr Thema vor allem die Beschreibbarkeit selbst ist, sofern sie am Menschen von der der Dinge abweicht. […] Der Mensch ist nicht nur beschreibbar, weil er sichtbar ist, sondern indem diese Sichtbarkeit ihn durch und durch bestimmt bis hin zu ihrer ostentativen Selbstdarstellung. Aber vor allem ist er sichtbar, indem er
4 Hans Blumenberg, Brief an Siegfried Unseld (15. März 1978), DLA Marbach: »Was den ›Verborgenen Gott der Phänomenologie‹ angeht, so bin ich dabei, das Manuskript druckfertig zu machen. Damit würde ich in der ersten Aprilhälfte wohl fertig sein«. 5 Hans Blumenberg, Brief an Siegfried Unseld (21. März 1978), DLA Marbach: »Ich möchte dieses Buch [Der verborgene Gott der Phänomenologie, N. Z.] daraufhin nicht machen. 1971 habe ich ein umfangreiches Typoskript ›Weltmodell und Lebenswelt‹ thesauriert – der SV [Suhrkamp Verlag, N. Z.] war mir verschlossen – und die Verfügung darüber meinen Erben überlassen. Ich werde jetzt auch das neue Typoskript unveröffentlicht lassen«. 6 Es ist schwierig zu datieren, wann Blumenberg auf die Publikation endgültig verzichtet hat. Noch im Frühjahr 1978 kündigt er aber Hans Jonas an, dass bald ein Buch mit dem Titel Der verborgene Gott der Phänomenologie erscheinen und dieses Buch Jonas gewidmet sein werde. Siehe dazu Hans Blumenberg, Brief an Hans Jonas (6. Mai 1978), DLA Marbach. Die Widmung, die Blumenberg im Brief an Jonas beilegt, hat Manfred Sommer dem Nachwort von Beschreibung des Menschen (S. 903) beigefügt.
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undurchsichtig ist. Dieses Ineinander von Visibilität und Opazität macht eine phänomenologische Anthropologie möglich. 7
Dem Text lassen sich die zwei großen Themen abgewinnen, um die Beschreibung des Menschen kreist: zum einen die kritische Arbeit an der Phänomenologie von Edmund Husserl; zum anderen, und aus ihr heraus, die Entwicklung einer phänomenologischen Anthropologie, eine ›Beschreibung des Menschen‹ also, die sich wiederum als eine Untersuchung der Sichtbarkeit des Menschen versteht, als Möglichkeitsbedingung seiner eigenen Beschreibbarkeit – und das heißt: als Möglichkeitsbedingung der Reflexion und des Selbstverständnisses. Beschreibung des Menschen ist also, ich komme zu meiner Hypothese, eine bearbeitete, in einem relevanten Teil auch ergänzte Fassung von VGP. Im Deutschen Literaturarchiv in Marbach lässt sich ein gleichlautendes Konvolut mit drei Mappen finden. Vergleicht man diese Schriften mit denen von Beschreibung des Menschen, so lässt sich leicht sehen, dass die zwei Typoskripte fast textidentisch sind. Daraus kann man allerdings nicht den Schluss ziehen, dass VGP, wie Blumenberg es ursprünglich gedacht hatte, restlos in die Beschreibung des Menschen eingegangen ist. Wir wissen nicht und können auch nicht rekonstruieren, wie das Konvolut ursprünglich aussah. Blumenberg hat im Laufe der Jahrzehnte seine Texte komponiert, umgeschrieben, auseinandergenommen, Typoskripte vom einen ins andere Konvolut geschoben. Beschäftigt man sich zudem lange genug mit seinen unveröffentlichten Schriften, Briefen, Notizen, Zettelkasten, so hat man sehr schnell das Gefühl, dass Blumenberg sehr früh sehr genau wusste, dass sein Nachlass eine breite Leserschaft genießen wird. Sein Archiv, seinen Nachlass hat Blumenberg sehr sorgfältig verwaltet; schnell gewinnt man den Eindruck, dass man in seinem Nachlass nichts findet, was Blumenberg uns unabsichtlich überlassen hat: Es gibt sehr wenig, was wie eine Baustelle oder eine Werkstatt aussähe. Einem so selbstbewussten Autor, der genau wusste, wie er gelesen werden will, muss man freilich mit Vorsicht begegnen. Auch Blumenbergs Nachlass muss interpretiert werden. Wir können daher nicht wissen, ob das in Marbach aufbewahrte Konvolut Der verborgene Gott der Phänomenologie die gesamten Texte noch enthält, die Blumenberg für das ursprüngliche Buchpro7 Hans Blumenberg, Ein mögliches Selbstverständnis, Stuttgart: Reclam 1997, S. 139 f.
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jekt verfasst hatte. 8 Es lässt sich vermuten, dass mehrere Typoskripte verlegt wurden; diejenigen, die sich jedoch noch im Konvolut befinden, bilden – und das ist der interessante Befund – nicht den ersten, sondern den zweiten Teil von Beschreibung des Menschen. Dies ist deswegen von Belang, weil man genau das Gegenteil erwarten würde. Manfred Sommer hat die Beschreibung in zwei Teile, einen phänomenologischen und einen anthropologischen, unterteilt: Phänomenologie und Anthropologie zum einen, Kontingenz und Sichtbarkeit zum anderen, wobei der erste Teil, der phänomenologische also, auf späteren Typoskripten basiert, der zweite auf früheren. Folgt man den Hinweisen des Ankündigungstexts, so ging es in VGP um die Frage nach der Kryptotheologie, der Husserls Phänomenologie verfallen sei. Aber die Kryptotheologie – darauf gehe ich im zweiten Teil dieses Beitrags ein – ist das Thema des ersten Teils der Beschreibung. Der Ankündigungstext deutet thematisch an, was Beschreibung des Menschen sich zum Thema macht – allerdings enthält das VGP-Konvolut Typoskripte, die sich nicht mit dem ersten, phänomenologischen Teil, sondern mit dem zweiten Teil der Beschreibung decken. Daraus scheint zu folgen, dass beide Teile von Beschreibung des Menschen aus unterschiedlichen Entwürfen von VGP hervorgegangen sind, die im Laufe der Jahre bearbeitet und ergänzt wurden. Vor dem Hintergrund dieser Befunde gewinnt Manfred Sommers Entscheidung, Phänomenologie und Anthropologie und Kontingenz und Sichtbarkeit als die eine Beschreibung des Menschen zu publizieren, an Berechtigung. Gerade aufgrund der philologischen Befunde erscheint mir die Komposition des Werks als durchaus berechtigt. Freilich hatte Sommers Anordnung eher philosophische und systematische denn philologische Gründe, sofern er die Quelle von Blumenbergs Anthropologie aufzuzeigen beabsichtigte. Diese ist, wie Phänomenologie und Anthropologie eindeutig belegt, als kritische Auseinandersetzung mit der Phänomenologie Husserls entstanden. Blumenbergs Anthropologie, seine Beschreibung des Menschen, ist eine phänomenologische Anthropologie. Für die phänomenologische Zunft ist eine phänomenologische Anthropologie aber zunächst eine contradictio in adiecto. Husserl verzichtete bewusst darauf, die Frage nach dem Menschen aufzuwerfen; von der Anthropologie und von Martin Heidegger, den er als Auch die Inhaltsverzeichnisse, die gelegentlich einige Indizien dazu enthalten, woraus seine Werke bestehen hätten sollen, sind nicht besonders aufschlussreich.
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Anthropologen liest, witterte er Konkurrenz zu seiner Phänomenologie. Husserls Vorbehalte gegenüber der Anthropologie wurzeln in der Angst, die Philosophie auf die Anthropologie reduziert, d. h. die Gültigkeit der Erkenntnis an die biologische und physiologische, psychologische und kulturelle Konfiguration ›Mensch‹ gebunden zu sehen. Wie bereits die Überwindung des Psychologismus, der das Gründungsbuch der Phänomenologie, die Logischen Untersuchungen, gewidmet ist, so verspreche der Ausschluss der Anthropologie die Möglichkeit, die Frage nach der Gültigkeit der Erkenntnis von der menschlichen Natur zu entkoppeln und damit eine bis dahin unerreichte Universalität zu erlangen. Blumenberg war jedoch der Überzeugung, dass sich Husserls phänomenologische Methode mit anthropologischen Themen durchaus verbinden lässt. Und er ging noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er gegen Husserls Annahme behauptete, dass eine phänomenologische Anthropologie nicht nur möglich, sondern sogar notwendig ist. Das ist der philosophische Impetus, der die Beschreibung des Menschen charakterisiert: Die Phänomenologie muss anthropologisch, die Anthropologie wiederum phänomenologisch werden.
II. Die Phänomenologie ist, wie Blumenberg schreibt, eine »elastische Methode der Beschreibung« 9 und sie ist, eben als deskriptive Disziplin, die »am wenigsten metaphysische Philosophie dieses [zwanzigsten, N. Z.] Jahrhunderts«. 10 Die nötigen Korrektive vorausgesetzt, hat sie also das Zeug, eine gute Theorie des Bewusstseins, der Erfahrung und der Erkenntnis zu sein. Welche Korrektive aber? Das ist es, was Blumenberg meint mit dem Widerstand gegen jene Kryptotheologie, die Husserls Phänomenologie sich eingehandelt habe. Kryptotheologie ist, so lässt sich Blumenbergs Ausgangshypothese darstellen, die Konsequenz der Verführung, der Husserl verfallen sei,
Hans Blumenberg, UNF 307–310. Das Laboratorium, oder: Was wäre eine Phänomenologie der Geschichte?, DLA Marbach, hier S. 308. Abgedruckt in ders., Phänomenologische Schriften (1981–1988), hg. v. Nicola Zambon, Berlin: Suhrkamp 2018, S. 12. 10 Blumenberg, Ein mögliches Selbstverständnis (wie Anm. 7), S. 139. 9
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nämlich, die Phänomenologie als eine universal gültige Theorie der Erfahrung und der Erkenntnis verstanden zu haben. Für Husserl muss die Phänomenologie Anspruch auf eine Wahrheit erheben, die in jeder möglichen Welt gültig zu sein hat: Die Erkenntnis ist für Husserl entweder allgemeingültig, oder sie ist es gar nicht. Daher müssen die phänomenologischen Beschreibungen der Erfahrungsstrukturen für jedes Bewusstsein, in jeder möglichen Welt gelten: »[D]ie Wahrheit ist identisch eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen«, wie es in den Logischen Untersuchungen heißt. 11 Gilt diese Wahrheit »auch für das menschliche Bewusstsein,« so schreibt Husserl, »so ausschließlich deshalb, weil »sie (eben als apriori) für jedes Bewußtsein überhaupt« gilt. 12 Die Erkenntnis und die Wahrheit, nach denen die Phänomenologie als höchste, reifste, vervollkommnete Form der Philosophie zu streben hat, gilt also für jedes Bewusstsein – auch für ein göttliches. Die Kapitel Der Mensch zählt immer und Husserls Gott gehören mit Sicherheit nicht zu den ursprünglichen Entwürfen von VGP. 13 Das eine Kapitel ist erst Mitte der 80er, das zweite Anfang der 80er Jahre geschrieben worden. 14 Husserls Gott ist, wie Blumenberg in diesen zwei Kapiteln der Beschreibung des Menschen darlegt, ein Idealtyp, eine Limesgestalt, ein Gedankenexperiment: Gott ist, wie es im Ankündigungstext von VGP heißt, was der Phänomenologe »durch phänomenologische ›Meditation‹ selbst zu werden beansprucht« 15 – und zugleich nie werden kann. Denn anders als ein Gott, ist der Mensch, a fortiori auch der Phänomenologe, endlich, bedürftig und kontingent. Vom göttlichen Erkenntnisideal sind wir zum Verzweifeln weit entfernt, wie Husserl bereits 1891 schreibt. 16 Edmund Husserl, Logische Untersuchungen. Erster Teil: Prolegomena zur reinen Logik (Husserliana, Bd. XVIII), hg. v. Elmar Holenstein, Den Haag: Martin Nijhoff 1975, S. 125. 12 Edmund Husserl, Brief an William Ernst Hocking (25. Januar 1903), zit. nach ders., Prolegomena zur reinen Logik, S. XLVIII, Anm. 1. 13 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 2), S. 317–377 respektive 378–453. 14 Die Typoskripte von Der Mensch zählt immer stammen aus dem Konvolut PHA (Phänomenologische Arbeit; Mappen PHA I, II), dessen Texte Blumenberg zwischen 1981 und 1988 verfasst hat. Das Konvolut HSG, Husserls Gott, besteht hingegen aus fünf Mappen mit unterschiedlichen Versionen des Textes, der in die Beschreibung des Menschen eingegangen ist, darunter auch UNF 67–80. 15 Blumenberg, Ein mögliches Selbstverständnis (wie Anm. 7), S. 139. 16 Edmund Husserl, Philosophie der Arithmetik (Husserliana, Bd. XII), hg. v. Lothar 11
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Husserls Gott meint den Sollwert, das Erkenntnisideal, dem der Phänomenologe Rechnung zu tragen hat – oder, genauer gesagt: dem der Phänomenologe jeweils Rechnung zu tragen hat. Nicht von Husserls Gott, eher von Husserls ›Göttern‹ sollte die Rede sein. Denn es gibt einen unterschiedlichen Gott für jede Phase der Phänomenologie und jede Wende, die Husserl eingeschlagen hat. 17 So ist der Gott der frühen Philosophie der Arithmetik der ideale Anschauungsgenosse des Phänomenologen, ein unendliches Bewusstsein, das alles auf einen Schlag überschauen soll, was es vor sich hat, während der Mensch aufgrund seines engen Bewusstseins auf Symbolik, Zeichen, Technisierung angewiesen ist. Ganz anders der Gott der späteren transzendentalen Phänomenologie, der mit dem transzendentalen Bewusstsein zusammenfällt: Er ist die intersubjektive Totalität der Monaden, der Egos, die sich welthaft verwirklichen. Eine Gottesvorstellung ist nie Resultat arbiträrer Spekulationen; vielmehr gehen in die Zeichnung dieses Ideals deskriptive Befunde ein, und es führt zu weiteren solcher Befunde: Es ist Projektion oder Postulat, Extrapolation oder Implikation deskriptiver oder deduktiver Prozesse. 18 Dabei bezeichnet die Frage nach dem Gott eines Denkers »de[n] letzte[n] methodisch mögliche[n] Zugriff, den wir auf die Implikation seines Denkens vollziehen können«. 19 Bei Husserl ist Gott entweder Destillat theoretischer Annahmen oder idealisierter Fluchtpunkt phänomenologischer Beschreibungen. Dabei arbeitet Blumenberg mit und an dem, was bereits Husserl selbst ›Limesgestalt‹ nannte. »Die Idee Gott«, so heißt es in den Ideen, »ist ein notwendiger Grenzbegriff in erkenntnistheoretischen Erwägungen, ein Index für die Konstruktion gewisser Grenzbegriffe«. 20 Gemeint ist die Extrapolation von Elementen, die in einer Theorie greifbar sind. Dazu gehört schließlich, was Blumenberg den ›verborgenen Gott‹ der Phänomenologie nennt. Dabei geht es nicht mehr um die Eley, Den Haag: Martin Nijhoff 1970, S. 192: »In Wahrheit sind wir von jenem hypothetischen Idealfall fast um seine ganzen Leistungen entfernt«. 17 Ausführliches dazu in Nicola Zambon, Das Nachleuchten der Sterne. Konstellationen der Moderne bei Hans Blumenberg, Paderborn: Wilhelm Fink 2017, S. 111–151. 18 Siehe dazu auch Manfred Sommer, Husserl und der frühe Positivismus, Frankfurt/ M.: Vittorio Klostermann 1985, S. 17. 19 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 2), S. 380. 20 Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie (Husserliana, Bd. III), hg. v. Walter Biemel, Den Haag: Martin Nijhoff, 1950, S. 191.
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Frage nach dem Sollwert der Erkenntnis: Dieser verborgene Gott ist der Gott von Husserls letztem Werk, der Krisis. 21 Es ist ein Gott, den Husserls Geschichtsphilosophie postulieren muss. Die Phänomenologie gebietet, so lässt sich Blumenbergs Interpretation zusammenfassen, auf die Ökonomie der Selbsterhaltung zu verzichten und alle Symbolik auf den ursprünglichen Boden der Anschauung zurückzuführen, auf dem sie ihren Ausgang gefunden hat. Denn nur so kann die Erkenntnis im Fundament abgesichert sein. Das ist aber eine unendliche Arbeit, der der Mensch nicht gerecht zu werden vermag. Denn wir sind endliche Lebewesen, die sparsam mit ihrer Lebenszeit umgehen müssen und sich auf keine unendliche Arbeit einlassen können. Eine solche Arbeit bedarf eines Wesens, das sich um seine Selbsterhaltung nicht zu sorgen braucht – eines Gottes also. Dieser ›verborgene‹, weil der Geschichtsmetaphysik Husserls eingeschriebene Gott, den die Krisis fordert, ist der bekannte Funktionär der Menschheit, an dessen Ethos Husserl zur Überwindung der Krise des ›europäischen Menschentums‹ appelliert. Der ›Phänomenologe‹ wird dabei, so Blumenberg spöttisch, zum »Berufsdenker«. 22 Er ist ein protestantischer Asket, der auf sein irdisches Glück verzichten muss, um seine Pflicht zu erfüllen. Das der unendlichen Aufgabe der Phänomenologie gemäße Subjekt ist nicht der Mensch, nicht einmal die Menschheit, sondern der Verbund der Berufsdenker, die »zum finalen Bestimmungsstück der absoluten Geschichte geworden« sind. 23 Der ›verborgene Gott‹ der Phänomenologie ist also die Implikation, der Fluchtpunkt von Husserls späterer Philosophie: Husserls Geschichtssubjekt ist ein Konstrukt, »das die sonst rätselhafte Tatsache erklärt, daß Wissenschaft mehr ist als alle Leben, die sich an ihr beteiligen und deren Arbeitsertrag in sie eingeht«. 24 Anders als Heidegger habe Husserl, so kann man Blumenbergs These auf den Punkt bringen, Immanuel Kants wichtigste Lektion ignoriert. 25 Eine ›gute‹, d. h. gut aufgebaute Theorie, wie etwa die Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie (Husserliana, Bd. VI), hg. v. Walter Biemel, Den Haag: Martin Nijhoff 1976. 22 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 2), S. 446. 23 Ebd., S. 444. 24 Ebd., S. 13. 25 Blumenberg, Phänomenologische Schriften (wie Anm. 9), S. 12 f.: »Nicht zufällig ist der Marburger Heidegger auch und immer wieder ein Interpret Kants; vielleicht trotz historischer Unhaltbarkeiten der bedeutendste. Darin hat er das schwerstwie21
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transzendentale Deduktion der Kategorien, muss bescheiden sein; sie muss sich auf Phänomene und Gegenstände der Erfahrung beschränken, ohne das gesamte Feld der möglichen Erfahrung entdecken oder beschreiben zu wollen. 26 Die Philosophen müssen sich »abgewöhnen«, um einen griffigen Satz des frühen Heidegger zu gebrauchen, »uns mit dem lieben Gott zu verwechseln«. 27 Dazu muss die Phänomenologie also deskriptiv im eigentlichen Sinne des Wortes verfahren, indem sie mit dem beginnt und auf das zurückkommt, was dem Menschen am nächsten ist: seine Erfahrung, seine Lebenswelt, das, was ihm selbstverständlich ist. Denn der Mensch ist keine abstrakte Entität, keine Instanz, die existiert, um einem Erkenntnisideal Rechnung zu tragen; vielmehr ist der Mensch zunächst auf seine Selbsterhaltung, auf seine ›Sorge‹ angewiesen. In der Beschreibung hat ›Kryptotheologie‹ zudem eine zusätzliche Bedeutung. Sie meint nämlich auch jene metaphysischen Strandgüter, die die Phänomenologie von Franz Brentanos Neoscholastik hinterrücks assimiliert hat. Die Philosophie von Husserls Lehrer Brentano kennzeichnet sich durch einen realistischen, zugleich aber auch durch einen cartesianischen bzw. psychologisierenden Ansatz: Für Brentano existieren die Gegenstände der Erfahrung unabhängig von der Subjektivität, die sie erfährt; zugleich aber zeigen seine Erklärungen die Tendenz – vor allem in Bezug auf psychische Phänomene und innere Wahrnehmung –, die Erfahrungsgegenstände auf immanente Bewusstseinsgegenstände zu reduzieren. Diese Ambiguität charakterisiert auch die Phänomenologie Husserls, der ein Konflikt zwischen zwei unversöhnbaren Erfahrungsmodellen eingeschrieben ist: Das eine Modell schreibt der empirischen Erfahrung eine apriorische Gültigkeit zu und macht sie zur Möglichkeitsbedingung der Aktivität des Subjekts; das andere Modell cartesianischer Herkunft erklärt hingegen die Gegenstände erst aus bewusstseinsimmanenten Erlebnissen, die das ursprüngliche Material der Erkenntnis bilden. Daher rührt das eigentümliche Janusgesicht der phänomenogende Versäumnis Husserls wettgemacht, das die Phänomenologie sonst nicht hätte verwinden können, Kant – trotz der Jubiläumsrede von 1924 – nur sehr ungenau wahrzunehmen«. 26 Zu den Maßstäben, die zur Konstruktion einer ›guten Theorie‹ führen, siehe Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 2), S. 161 ff. Dazu mehr in Zambon, Das Nachleuchten der Sterne (wie Anm. 17), S. 96 ff., 106–110, 180–183. 27 Martin Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit (Gesamtausgabe, Bd. 21), hg. v. Walter Biemel, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 1976, S. 267
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logischen Methode: Zwar versucht sie die Mannigfaltigkeit und den Reichtum dessen zu beschreiben, was dem Bewusstsein erscheint; doch zielt sie – als idealistische Interpretation ihres eigenen deskriptiven Verhaltens – umgekehrt darauf, jede Alterität, jede Gegenständlichkeit, jede Andersheit radikal auf das Leben des Egos zurückzuführen. Blumenberg ist nicht der erste, der solchen metaphysischen Restbeständen in der Phänomenologie auf die Spur kommt; er ist aber der akribischste, obsessivste Jäger dieser unhinterfragten Voraussetzungen, die in Husserls Methode nachwirken. Gerade solche Überreste haben zusammen mit den deskriptiven Fehlanalysen des Bewusstseins dazu geführt, dass die phänomenologische Methode in jene »alten erkenntnistheoretischen Erklärungsmuster« zurückgefallen ist, wie Blumenberg in Lebenszeit und Weltzeit schreibt, die »ihr deskriptives Prinzip ja gerade habe ausschalten wollen«. 28 Hinter der Frage nach der Kryptotheologie Husserls steht also die Frage danach, wieviel Scholastik, wie viel Metaphysik in seiner Phänomenologie noch wirksam ist. Denn erst die Entlarvung und Überwindung dieser metaphysischen Züge ebenso wie die Korrektur von Husserls Beschreibungsfehlern ermöglicht die Rückführung der Phänomenologie auf ihr deskriptives Prinzip und, in einem zweiten Schritt, die Entwicklung einer phänomenologischen Anthropologie, wie sie Blumenberg im Sinn hat, d. h. einer Beschreibung des Menschen. Kein transzendentales Bewusstsein ist also Gegenstand von Blumenbergs Beschreibung, sondern jenes kontingente Lebewesen, das der Mensch ist. Durch die Verbindung von Phänomenologie und Anthropologie erhofft sich Blumenberg freilich keine Antwort auf die traditionelle Frage nach dem Wesen des Menschen. Nicht die Natur des Menschen ist Gegenstand seiner Beschreibung, denn eine solche ›natürliche Natur‹ gibt es nicht – dafür aber geschichtliche und kulturelle Horizonte, aus denen heraus der Mensch sein Verhältnis zur Wirklichkeit und sein Selbstverständnis artikuliert. Der Mensch bedarf keines natürlichen Wesens, keiner natürlichen Natur, denn er hat Geschichte und Kultur, d. h. die pluralen Wirklichkeiten, in denen er lebt. Wesentliche Aufgabe einer phänomenologischen Anthropologie ist es dabei, die Möglichkeitsbedingungen dieser Kulturwelten zu untersuchen.
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Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit (wie Anm. 1), S. 30.
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Sie und ihre Wandlungen zu beschreiben, ihre Bilder, Metaphern, Mythen, Denkfiguren, ist hingegen – ich wage hier eine Systematisierung – die Aufgabe einer Metaphorologie bzw. einer Theorie der Unbegrifflichkeit, ebenso wie einer Rezeptionstheorie, wie Arbeit am Mythos sie exemplarisch darstellt. Gerade hieraus ergibt sich, was Blumenberg als ›anthropologische Annäherung‹ an die Rhetorik bezeichnet, nämlich die Konvergenz und Komplementarität von phänomenologischer Anthropologie und hermeneutischer Sprachphilosophie, wie sie sich die Metaphorologie zur Aufgabe macht. 29
III. Blumenbergs Phänomenologie erweist sich als ständige Arbeit an der Phänomenologie Husserls, als Korrektur ihrer methodischen Inkonsistenzen und Fehlbeschreibungen, vor allem aber als Wiederaufnahme und Fortsetzung der Bemühungen, die auf dem Holzweg von Heideggers Daseinsanalytik und Seinsgeschichte feststeckten. 30 Von Blumenbergs Beeinflussung durch Heidegger zeugen vor allem seine noch ungedruckten akademischen Qualifikationsschriften. Nach dem Erscheinen der Holzwege 1950 hatte sich Blumenberg vorgenommen, keine Seite von Heidegger mehr zu lesen. Mitte der 70er Jahre wurde er von seinen Mitarbeitern gebeten, im phänomenologischen Kolloquium Sein und Zeit zu besprechen, was ihn dazu gebracht hat, seinen Schwur zu brechen. Ab 1975 erschienen dann aber die Marburger Vorlesungen über die Zeit der Jahre von Sein und Zeit, insbesondere Die Grundprobleme der Phänomenologie (1975), Logik. Die Frage nach der Wahrheit (1976) und vor allem Die Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (1979). 31 Seine Mitarbeiter überredeten ihn, die Phänomenologie-Vorlesungen auf den Stand der erweiterten Heidegger-Kenntnis zu bringen. Blumenberg hat es getan und den
Siehe dazu Hans Blumenberg, Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik [1971], in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. v. Anselm Haverkamp, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001, S. 406–431. 30 Vgl. dazu Manfred Sommer, Heidegger und Hans Blumenberg. Abweisung auf Umwegen, in Dieter Thomä (Hg.), Heidegger-Handbuch, Stuttgart: J. B. Metzler Verlag 2003, S. 403–405. 31 Blumenbergs durchgearbeitete Exemplare der Marburger Vorlesungen sind im DLA Marbach aufbewahrt. 29
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Eidbruch wahrscheinlich auch nicht bereut, wie einige im Nachlass zerstreute Kommentare und Anmerkungen belegen. 32 Die Beschäftigung mit dem ersten Heidegger, den Blumenberg vor allem als Kontrastfolie zu Husserl liest, schlägt sich bereits in Beschreibung des Menschen nieder, in den Typoskripten also, die Blumenberg in der zweiten Hälfte der 70er Jahre verfasst hat. Hier fällt das Verdikt darüber, was Blumenberg ein Jahrzehnt später in Die Sorge geht über den Fluß als ›Verformung der Phänomenologie‹ verwerfen wird. 33 Die These einer Verformung, d. h. einer ›Transformation‹ von Husserls Phänomenologie durch Heidegger ist in der Rezeption der phänomenologischen Methode nichts Neues. Sie wurde nicht zuletzt von Husserls Schüler und Blumenbergs Lehrer Ludwig Landgrebe, 34 am prominentesten aber von Maurice Merleau-Ponty in seiner 1945 erschienenen Phénoménologie de la perception vertreten. 35 Husserls Phänomenologie, so kann man Merleau-Pontys These auf den Punkt bringen, habe sich viele Inkonsistenzen und Widersprüche eingehandelt. Phänomenologie sei Wesensforschung, zugleich aber die Philosophie, die am ehesten Kontingenz und Faktizität gewürdigt habe; sie sei Transzendentalphilosophie, die die unreflektierte Naivität des natürlichen Lebens außer Kraft zu setzen vorhat – zugleich aber zielt sie darauf ab, dem naiven Weltbezug Geltung zu verschaffen; sie ist strenge Wissenschaft, zugleich aber Besinnung über Zeit, Raum und Lebenswelt; sie will genetisch verfahren, zugleich aber spricht Husserl am Ende seines Lebens von einer konstruktiven Phänomenologie. 36 Entzieht man sich jedoch diesen Widersprüchen, indem man sich an Heidegger wendet? Keineswegs, so Merleau-Pontys Antwort, denn Sein und Zeit sei hervorgegangen aus einem Hinweis Husserls – es sei, so Merleau-Ponty weiter, nichts Anderes als »die Auslegung des ›natürlichen Weltbegriffs‹ bzw. der ›Lebenswelt‹, wie sie Husserl selbst am Ende seines Lebens der Phänomenologie als das erste The-
Ich danke Heinrich Niehues-Pröbsting für die Hinweise. Hans Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 220. Heidegger gilt als »markantester Verformer« der Phänomenologie. 34 Siehe Ludwig Landgrebe, Faktizität und Individuation. Studien zu den Grundfragen der Phänomenologie, Hamburg, 1982, S. 109 ff. 35 Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung [1945], übers. v. Rudolph Boehm, Berlin: De Gruyter, 1966. 36 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (wie Anm. 35), S. 5 f. 32 33
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ma setzte«. 37 Merleau-Ponty hat seine These, wenn ich richtig sehe, nicht weiter vertieft. Doch in Anlehnung an diese Lesart formulierte Alphonse de Waelhens als erster explizit die These einer Transformation der Phänomenologie Husserls bei Heidegger. 38 Wie schon Merleau-Ponty und Waehlens 39 geht auch Blumenberg von einer Ablösung der Intentionalität durch die Denkfigur der Sorge aus. Gerade die Ablösung ist es, was Heideggers allmähliche, aber radikale Abwendung von Husserl im Laufe der Zwanziger Jahre markiert. Intentionalität sei ein zu enger Begriff, so Heidegger, um das Wesen des Bewusstseins bzw. das Sein des Menschen zu beschreiben. Sorge ist, wie Heidegger schreibt, »Sein des Daseins«: der Mensch, das Dasein, ist Sorge. 40 Sorge meint den gebrauchenden Umgang des Daseins mit der Welt und bedeutet vor allem, dass der Umgang des Menschen mit seiner Umwelt zunächst nicht theoretischer, sondern praktischer Natur ist: Sie entspringt der ökonomischen Struktur der Selbsterhaltung. 41 Sorge ist zugleich auch Projektion der Interessen des Daseins und seiner Bedürfnisse auf die Welt. Dabei gebrauchte Heidegger den Ausdruck »Reluzenz«, 42 den er aus relucere ableitet, d. h. die Qualität eines Dings zurückzuleuchten, das Licht mit einem Blendungseffekt zurückzuwerfen. Wie Husserl in der Technisierung, in der Symbolik, sogar in der Sprache ein Surrogat der Anschauung dessen sieht, was eigentlich sein sollte, aufgrund unserer Endlichkeit aber leider nicht ist, so sind Sorge, Selbsterhaltung bei Heidegger Uneigentlichkeit, Verdeckung, Blendung. Wie be-
Ebd., S. 6. Alphonse de Waelhens, Die Idee der Intentionalität, in Ludwig van Breda (Hg.), Husserl et la pensée moderne/Husserl und das Denken der Neuzeit, Den Haag: Martin Nijhoff 1956, S. 115–142. 39 Die durchgearbeiteten Exemplare von Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung (sowohl der Originaltext als auch die deutsche Übersetzung) sind in Blumenbergs Bibliothek im DLA Marbach aufbewahrt, ebenso wie diverse Aufsätze von Alphonse de Waehlens, die sich im Konvolut Materialien zur Phänomenologie finden. 40 Martin, Heidegger, Sein und Zeit [1927] (Gesamtausgabe, Bd. 2), hg. v. FriedrichWilhelm von Hermann, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 1977, S. 180 ff. 41 Siehe dazu den Text Bewußtein als Selbstreparaturbetrieb, in: Blumenberg, Phänomenologische Schriften (1981–1988) (wie Anm. 9). 42 Ebd., S. 21. Siehe auch Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles (Gesamtausgabe, Bd. 61), hg. v. Walter Bröcker und Käte Bröcker-Oltmanns, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 1994, S. 119 ff. 37 38
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reits für Husserl, so ist die Endlichkeit auch für Heidegger die Ursünde, der die Subjektivität immer schon verfallen ist. Die ›Uneigentlichkeit‹ des Daseins ist also bei Heidegger ihrer Funktion nach, was bei Husserl ›natürliche Einstellung‹, bei Blumenberg ›Selbstverständlichkeit‹ heißt: Es handelt sich zunächst um einen naiven, inauthentischen oder unreflektierten Umgang mit der Welt, sodann – und davon ausgehend – um den Zustand, dessen Überwindung die Philosophie möglich macht. Diesen Ausgangszuständen ist gemeinsam, dass in ihnen das Bewusstsein der Kontingenz – oder, mit Heidegger: der Faktizität – ausgeschaltet ist. Eigentümlich bei Heidegger ist dafür, dass der Zustand der Uneigentlichkeit ein »Zustand totaler Täuschung über sich selbst und die Welt« ist. 43 Die Philosophie beginnt erst dann, wenn wir den naiven Glauben der natürlichen Einstellung suspendieren, uns der Uneigentlichkeit des Alltäglichen entziehen oder mit Hilfe der Theorie versuchen, das Selbstverständliche der Lebenswelt verständlich zu machen. Um aus der natürlichen Einstellung herauszukommen, hatte sich Husserl die transzendentale Reflexion ausgedacht, vor allem die Reduktion: Der werdende Phänomenologe enthält sich seines Glaubens über die Existenz der Welt, er tut so, als existiere sie nicht. Denn ›Welt‹ ist die Gesamtheit dessen, was der Fall ist: Ihre Existenz, ebenso wie die Existenz aller Gegenstände in ihr, ist kontingent. Die Welt trägt in sich den Grund der eigenen Existenz nicht: Sie ist, und zwar so, wie sie ist, könnte aber auch anders oder gar nicht sein. Eine kontingente Existenz muss der Phänomenologe ausschalten, um die Essenz, die Eidetik als Gesamtfeld der Möglichkeiten der Erfahrung freizulegen. 44 Von Husserls Reduktion hielt Heidegger nichts. Darin besteht nach Blumenberg die ›Verformung‹ : Die Reduktion, den archimedischen Punkt der phänomenologischen Methode, wirft Heidegger über den Haufen, um ausgerechnet das zum »echte[n] und einzige[n] Thema der Philosophie »zu befördern, 45 was Husserl durch die Reduktion ausgeschaltet hatte: das Wesen der Existenz oder, eingehüllt Barbara Merker, Selbsttäuschung und Selbsterkenntnis. Zu Heideggers Transformation der Phänomenologie Husserls, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988, S. 8. 44 Ausführlicheres dazu in Zambon, Das Nachleuchten der Sterne (wie Anm. 17), S. 98 ff. 45 Martin Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie (Gesamtausgabe, Bd. 24), hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 1975, S. 15. 43
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in Heideggers Worte, den Sinn von Sein. Das ist, wie Blumenberg betont, Heideggers »Stichwort der Sezession aus der Phänomenologie«. 46 Zudem liegt aber die Verformung darin, dass Heidegger Motive und Ergebnisse von Husserls Untersuchungen, die seiner eigenen philosophischen Reflexion beständig Anstoß gegeben haben, in seiner von Komposita durchzogenen Sprache verschleiert und verzerrt. In Heideggers Wortschöpfungen sieht Blumenberg die stetige Bemühung, Grundfragen, Probleme und Denkanstöße der Phänomenologie »unter der Wortdecke« verschwinden zu lassen. 47 So ersetzt die ›Sorge‹ als Bestimmung des ›Daseins‹, wie bereits erwähnt, die ›Selbsterhaltung‹ als Reflex des Bewusstseins der Kontingenz oder, wie Heidegger sie scholastisch umbenennt, der ›Faktizität‹, während die ›Selbstverständlichkeit‹ der ›natürlichen Einstellung‹ in die ›Uneigentlichkeit‹ des ›Alltäglichen‹ transformiert wird. Heidegger beabsichtigt eine neue Fundamentalontologie, so kann man Blumenbergs Kritik ergänzen, deren Grund er durch die nötige Destruktion der traditionellen Ontologie freizulegen vorhat. Die Forderung der Destruktion richtet sich auf die Geschichte des Denkens mit seiner Verwechslung des Seins und des Seienden, ebenso wie auf das Endprodukt dieser Geschichte, das nicht primär aus den ›Systemen‹ der Philosophiegeschichte besteht, sondern daraus, dass die Sprache der Metaphysik gleichsam kontaminiert sei. Noch mehr: Sie sei gar nicht mehr imstande, jene Verwechslung von Sein und Seiendem zu vermeiden – ja sie begünstigt dieses Missverständnis vielmehr und zeugt es fort. Mit der Sprache, wie sie ist, lässt sich das Seinsverständnis des Daseins nicht beschreiben oder ausdrücken; sie verhindert das geradezu. Daher ist Sein und Zeit, so lässt sich wohl sagen, auch ein Buch gegen die Sprache, wie sie zur Alltäglichkeit gehört, ja wie sie zum guten Teil diese Alltäglichkeit selbst ist. Die Gegnerschaft zwischen Sprache und Seinsverständnis drückt sich im Idiom von Sein und Zeit aus, das sich dem Leser als ein hochgradiges Artefakt präsentiert. Dabei neigt Heidegger nicht so sehr zu Neubildungen von Wörtern; eher bedient er sich neuartiger Komposita, agglutinierender Bildungen mit durchaus üblichen Mitteln. Ein Ausdruck wie ›In-der-Welt-sein‹ ist nicht durch Verwendung von unverständlichen Vokabeln schwierig, sondern durch die Zuordnung zu 46 47
Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 2), S. 200. Ebd., S. 197.
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einem Feld ähnlicher Bildungen, deren Grenzfall geradezu darin bestehen könnte, dass sie alle zu einem durch Bindestriche koalierten Wörtermuster vereinigt werden könnten – und darin immer noch unbeantwortet lassen würde, was die Daseinsanalytik auszulegen vorhatte: den Sinn des Seins. Der ontologischen Destruktion korrespondiert das, was der späte Husserl lebensweltliche Rede, Blumenberg dann Rhetorik genannt hat. Nicht nur die Metaphysik, sondern auch die Tradition, a fortiori die Rezeption: all das ist für Heidegger Konstrukt, Konstruktion, die den Boden verbaut hat, in dem die Philosophie ihren eigentlichen Ursprung gefunden hat und auf den sie zurückgeführt werden muss. Dabei gilt es, diesen Boden von der traditionellen Metaphysik freizulegen, um die Frage nach dem ›Sinn von Sein‹ erneut zu stellen. Auch darin sieht man, wie Sommer zu Recht hervorgehoben hat, wie sehr Blumenberg gegen Heidegger »insgesamt« philosophiert. 48 Denn was Blumenberg Rezeption nennt, ist gerade Gegenprogramm zu Heideggers Destruktion: Gegen Heideggers Auffassung der westlichen Philosophie als einer Verfallsgeschichte ist jedes Werk von Blumenberg ein Lobgesang auf den Reichtum der Rezeption, der Wirklichkeiten, die der Mensch in seiner Geschichte erschaffen hat. Die Ausbildung einer eigenen ›Kunstprosa‹ ist Heidegger misslungen. Auch ohne die Behauptung, dass Sein und Zeit an dieser Folge von Destruktion und Konstruktion gescheitert sei, lässt sich doch leicht sehen, dass Heideggers sogenannte ›Kehre‹ sich als Preisgabe der konstruktiven Sprachpraxis und dann auch Sprachauffassung zu erkennen gibt. Die Sprache wird nach der Kehre zum »Haus des Seins«, in dessen »Behausung« der Mensch wohnt 49 – wobei dieser Genitiv in Zweideutigkeit verharrt, ob die Sprache das Sein beherberge, oder ob das Sein gleichsam Eigentümer dieses Hauses war. Der Heidegger der Seinsgeschichte und des Andenkens wird zum Typus der Frömmigkeit, ja der Hörigkeit werden. Wer sich zu den daseinsanalytischen und seinsgeschichtlichen Hyperbeln immer noch bekennen zu können glaubt, muss sich darüber klarwerden, ob das ohne ›Erlebnisse‹, ohne ›Konversionen‹ von der legitimen Befragung des Daseins nach dem ›Sinn von Sein‹ hinauf oder hinab in Sommer, Heidegger und Hans Blumenberg (wie Anm. 30), S. 403. Martin Heidegger, Brief über den Humanismus [1946], in ders., Wegmarken (Gesamtausgabe, Bd. 9), hg. v. Friedrich Wilhelm von Hermann, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 1976, S. 313–364, hier S. 361.
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jenes ›Haus des Seins‹ vollziehbar ist. Denn offenbar handelt es sich nicht darum, was erlernt werden kann; was Zugang zum Sinn von Sein verschaffen soll, sind nur Grunderlebnisse, die eine solche Bekehrung einleiten können. Es ist nicht etwas, wozu der Mensch sich rational und autonom entscheiden kann – sondern bloß etwas, was er zu ›erleben‹ vermag. Wem nicht in unverfügbaren Erlebnissen der Angst die Gnade der Eigentlichkeit zuteil wurde, ist ausgeschlossen aus dem Kreis der Auserwählten. Die Exklusivität der Konversionsgeschichte sorgt für die Ausgrenzung derjenigen, die andere Geschichten haben, aus der Philosophie. 50
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Siehe dazu Merker, Selbsttäuschung und Selbsterkenntnis (wie Anm. 43).
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The phenomenon of boredom is of the utmost importance today and so was in the past centuries. Historically, it has been addressed by a number of philosophers, theologians, and literati who understood it as a shameful, sinful, and alienating emotion. At present, boredom is seen as a pathological personality trait from psychological and psychiatric disciplines. However, an alternative, anthropological point of view claims another understanding of boredom as an adaptive emotion whose role is to make people aware of a circumstantial situation that should be changed. In this context, Hans Blumenberg’s understanding of boredom is of notable novelty, as most of his writings on the philosophical anthropology of boredom have not been published yet. In this chapter, I present a tentative anthropological-philosophical theory of boredom by Hans Blumenberg, taking into account his published works and the manuscripts on boredom from his Nachlass. This chapter addresses the key points of Hans Blumenberg’s philosophical anthropology of boredom presented in my doctoral dissertation Boredom as a selective pressure in Hans Blumenberg (Complutense University of Madrid), which will be published in 2019 under the title The Disease of Boredom. The Way towards Medicalization and its Alternatives. Further development of sections 1 and 3 can be found in the chapter »Boredom: humanizing or dehumanizing treatment« (in: João G. Pereira, Jorge Gonçalves, Valeria Bizzari, The Neurobiology-Psychotherapy-Pharmacology Intervention Triangle: The need for common sense in 21st century mental health, Wilmington: Vernon Press, 2018, pp. 251–266). I would like to express my gratitude to the DAAD and the Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA) for the award of scholarships to do research on Blumenberg’s Nachlass at DLA. Moreover, I thank the Spanish Ministry for having granted me an FPU scholarship to finance my predoctoral research. This research has also benefited from the project Saavedra Fajardo Library of Hispanic Political Thought IV–V (FFI2012-32611-FFI2016–75978R). The wording of this chapter has been possible thanks to the award of a Postdoctoral Fellowship by Real Colegio Complutense at Harvard to join the Department of Romance Languages and Literatures at Harvard University. Quotes from Blumenberg’s Nachlass have been used with Bettina Blumenberg’s consent and translated into English by the author. 1
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To this end, I will first contextualize his conception of boredom within the contemporary psychological and psychiatric paradigm. Second, I will contextualize his philosophical anthropology of boredom within his oeuvre and explain its key points. Finally, I will disclose how the Blumenbergian philosophical anthropology of boredom affects the prevailing understanding of boredom as a pathological personality trait.
The current understanding of boredom and the anthropological approach Since the late 20th century, the phenomenon of boredom has been mainly addressed by specialists in psychology and psychiatry who have understood it as a pathological personality trait as if a mental disorder it were. The psychological discipline came into play gradually in an attempt to offer a first examination of the introspective capacity of the bored. Some specialists focused on defending the existence of a circumstantial proneness to boredom experienced by the intensification of work and new time trends. However, most researchers understood boredom as a pathological personality trait. Perhaps one of the first works on boredom in this context was L’ennui: Étude Psychologique (1913) by Émile Tardieu, in which boredom was considered a pain of psychological origin. In the same period, the German philosopher Theodor Lipps proposed one of the earliest psychodynamic definitions of boredom in Leitfaden der Psychologie (1909), describing it as a pain induced by the conflict between the inner need of mental activity and the inability to stimulate it by oneself. To him, boredom was not a cultural but an individual, physical problem. By the mid-twentieth century, boredom attracted the attention of psychiatrists who understood it »as an experience without qualities […] that […] deserve[d] the same degree of research interest […] that the given to ›more conventional pathologies‹ such as depression and stress«. 2 For instead, Edmund Bergler explained that boredom played a definitive role within psychotic disorders due to its neurotic impliNick Butler, Lena Olaison, Martyna Sliwa, Bent Meier Sørensen, Sverre Spoelstra, Work, play and boredom, Ephemera 11, 4 (2011), 329–335, here pp. 334–335. See also Avner Bergstein, On Boredom: A close encounter with encapsulated parts of the psyche, International Journal of Psychoanalysis 90 (2009), 613–631.
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cations. Bergler relied on finding a cure for boredom by intervening its genetic location at a neurological level. 3 Prior to him, Joseph Ephraim Barmack conducted some experiments on physiological effects of antihypnotic drugs on boredom, i. e., on how different environments and temperatures affected the bored, and applied doses of benzedrine sulphate and ephedrine hydrochloride to the bored. 4 At the beginning of the twenty-first century, the multiple psychological and psychiatric disciplines interested in boredom are unable to come to terms with regard to its nature and origin. In spite of this, most specialists agree that boredom is some kind of individual disorder, treatable through therapies and drugs. Nowadays, boredom is understood as a mental disease that appears inside the subject affecting their individual and social development. 5 On these terms, boredom is caused by a conflict situation between the subjects’ internal need of mental activity and their inability to stimulate themselves. 6 According to experts, boredom is a consequence of a disconnection between the patient and their environment that persists despite changing external conditions.
Edmund Bergler, On the disease-entity boredom (»alyosis«) and its psychopathology, Psychiatric Quarterly 19, 1 (1945), 38–51, here pp. 39–40. 4 Joseph Ephraim Barmack, The effect of benzedrine sulphate upon the report of boredom and other factors, Journal of Psychology 5 (1938), 125–133; A definition of boredom: A reply to Mr. Berman, American Journal of Psychology 52 (1939), 467– 471; Studies on the psychophysiology of boredom: Part I. The effects of 15mgs of benzedrine sulphate and 5mgs of ephedrine hydrochloride on blood pressure, report on boredom, and other factors, Journal of Experimental Psychology 25 (1939), 494– 505; Studies on the psychophysiology of boredom: Part II. The effect of lowered room temperature and an added incentive on blood pressure, report of boredom and other factors, Journal of Experimental Psychology 25 (1939), 634–642. 5 John D. Eastwood, Alexandra Frischen, Mark J. Fenske, Daniel Smilek, The Unengaged Mind: Defining Boredom in Terms of Attention, Perspectives on Psychological Science 7, 5 (2012), 482–495; Danielle German, Carl A. Latkin, Boredom, depressive symptoms, and HIV risk behaviors among urban injection drug users, AIDS Behavior 16, 8 (2012), 2244–2250; James A. Danckert, Ava-Ann A. Allman, Time flies when you’re having fun: Temporal estimation and the experience of boredom, Brain and Cognition 59, 3 (2005), 236–245; Collen Merrifield, Toward a Model of Boredom: Investigating the Psychophysiological, Cognitive, and Neural Correlates of Boredom, Doctoral dissertation, Waterloo: University of Waterloo 2014. 6 Robert Jean Campbell, Psychiatric Dictionary, New York: Oxford University Press 1996; Warren R. Rule, Unsqueezing the Soul: Expanding Choices by Reframing and Redirecting Boredom, Journal of Contemporary Psychotherapy 28, 3 (1998), 327– 336. 3
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Researchers on boredom as a mental issue concern about the consequences of this pathological personality trait. 7 Not only is boredom associated with the range of mental disorders but with dysfunctional behaviors stemming from the efforts of the patients themselves to relieve its symptoms. Thus, boredom is considered responsible for depressions, anxieties, drug, sex and gambling addictions, reckless driving, states of despair and loneliness, hostile and aggressive behaviors, sleep disorders, criminal actions, school deviations, suicidal tendencies, low self-esteem, lack of social affiliation, and eating disorders, among others. 8 As a result, the research on boredom is mainly driven by the need to learn more about the phenomenon to predict deviant behaviors and avoid them. The understanding of boredom as a pathological trait that results in deviant behaviors makes researchers acknowledge that there is some kind of driving force in boredom. Harvey London, Daniel Washburn and Daniel Schubert’s experiments have shown that when individuals are bored autonomic arouse response ›wakes up‹ avoiding excessive adaptation. 9 In other words, cortical arousal decrease caused by boredom results in an increase of autonomic arousal. Daniel Berlyne also pointed out that »the inactivation of the cortex that results from monotonous stimulation release the reticular activating system (RAS) from this restraint and allows arousal to flare up again«. 10 In the same vein, Damrad-Frye and Laird explained that »when the pattern of external stimulation is very low, high internal arousal devel-
Wijnand A. P. van Tilburg, Eric R. Igou, On boredom: Lack of challenge and meaning as distinct boredom experiences, Motivation and Emotion 36, 2 (2011), 181–194; On boredom and Social Identity: A Programmatic Meaning-Regulation Approach, Personality and Social Psychology Bulletin 37, 12 (2011), 1679–1691; Marion Martin, Gaynor Sadlo, Graham Stew, The phenomenon of boredom, Qualitative Research in Psychology 3 (2006), 193–211; Stephen J. Vodanovich, John D. Watt, The relationship between time structure and boredom proneness: An investigation within two cultures, The Journal of Social Psychology 139, 2 (1999), 143–152. 8 Ibid. 9 Harvey London, Daniel Washburn, Daniel S. P. Schubert, Increase of Autonomic Arousal by Boredom, Journal of Abnormal Psychology 80, 1 (1972), 29–36. 10 Daniel E. Berlyne, Conflict, arousal and curiosity, Nueva York: McGraw-Hill 1960, here p. 189, quoted in Rachel E. Perkins, The nature and origins of boredom, unpublished doctoral thesis, Keele: University of Keele 1981, here p. 17. See also Daniel E. Berlyne, Motivational problems raised by exploratory and epistemic behavior, in Sigmund Koch, Psychology: A study of a science, 5, New York: McGraw-Hill 1963, 284– 364. 7
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ops to compensate for the external environment«. 11 Following from the above, boredom promotes both introspective and physical activity. 12 Nevertheless, research on boredom as a driving force has been carried out from psychology and psychiatric disciplines which assume that its consequences depend only on the individuals’ mental health status. Few researchers have focused on the consequences of boredom not depending on the individuals’ personality but on the environment. While it is true that boredom may be a pathological issue in individuals with dysfunctional autonomic arousal systems, almost all the time boredom persists due to a dysfunctional situational context. In this sense, some thinkers have understood boredom not as a pathological personality trait but as an emotion capable of making individuals aware of such situational contexts in order to promote change, novelty, and creativity. Leaving behind truly pathological personalities and socio-cultural contexts in which the search for novelty is impracticable –for instead, those marked by predictability, in which pre-planned responses rule–, the potential of boredom is inherently positive. As an experience that triggers anxiety and agitation 13 and even something like nervousness, 14 boredom leads to innovation. Boredom makes us feel dissatisfied with a certain situation because »when we are bored there is something of the context that we are rejecting«, 15 and, thereupon, drives us to seek new opportunities as a reaction to the environment. Berlyne, Conflict, arousal and curiosity (see note 10), quoted in Robin DamradFrye, James D. Laird, The experience of Boredom: The role of the Self-Perception of Attention, Journal of Personality and Social Psychology 57, 2 (1989), 315–320, here p. 316. 12 Christian Parreño Roldán, Aburrimiento y Espacio: Experiencia, Modernidad e Historia, Revista de la Escuela de Arquitectura de la Universidad de Costa Rica 2, 3 (2013), 1–15; Marc Pilisuk, Paul Skolnick, Kenneth Thomas, Reuben Chapman, Boredom vs. cognitive reappraisal in the development of cooperative strategy, Conflict Resolution 11, 1 (1967), 110–116; Joran van Aart, Christoph Bartneck, Jun Hu, Matthias Rauterberg, Ben Salem, How to behave as Alice in Wonderland – about boredom and curiosity, Entertainment Computing 1 (2010), 125–137. 13 Van Tilburg/Igou, On boredom (see note 7); id., On boredom and Social Identity (see note 7). 14 Otto Fenichel, On the psychology of boredom, in David Rapaport, Organization and pathology of thought: Selected sources, New York: Columbia University Press 1951, 349–361. 15 Camilo Retana, Consideraciones acerca del aburrimiento como emoción moral, Káñina 35, 2 (2011), 179–190. 11
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Josefa Ros Velasco
It is a symptom that instigates moments of experimentation, 16 including a critical element, an expression of deep dissatisfaction. 17 Boredom prevents stillness due to its capability to bring novelty. According to Ernest Rossi: »Your symptom or problem is your friend! Your symptom is a signal that a creative change is needed in your life«. 18 For this reason, some researchers agree that boredom is an adaptive emotion, as it plays a key role in our development as individuals and society. Professor Peter Toohey is one of the pioneers in stating that boredom serves an adaptive function in a true Darwinian sense. 19 In arriving at this idea, Toohey was inspired by Emotion: Theory, Research and Experience (1980), by psychologists Robert Plutchik and Henry Kellerman. They understood that negative emotions served in its adaptive role to help individuals to cope with survival problems and keep them away from harm. Including boredom within these emotions, it represents an elusive kind of action designed to protect against signs of disease. Its function, in short, is to signal the individual’s relationship with the environment forcing them to develop a strategy to explore and discover innovations. 20 As Plutchik and Kellerman, neurologist Antonio Damasio suggests, in The Feeling of What Happens (1999) and Looking for Spinoza (2003), that negative emotions directly influence the regulation of life foreseeing dangers, constituting an advantage and an opportunity for individuals. As Toohey, Hans Blumenberg has explained the phenomenon of boredom in these terms. According to him, boredom meets an adaptive role in stimulating change that keeps our interest and forces us to constantly change. Blumenberg does not hesitate to point out that if boredom does not appear at the moment we are fully adapted, forcing us to be in constant motion, we would be unable to adapt to future major changes. That is why boredom was selected: to allow future adaptations.
Parreño Roldán, Aburrimiento y Espacio (see note 12); Alberto Moravia, La noia, Milan: Bompiani 1960. 17 Lars Svendsen, Kjedsomhetens filosofi, Oslo: Universitetsforlaget 1999. 18 Ernst Rossi, The psychobiology of mind-body healing, New York: W. W. Norton 1986, quoted in Rule, Unsqueezing the Soul (see note 6), here p. 330. 19 Peter Toohey, Boredom. A Lively History, New Haven: Yale University Press 2011. 20 McWelling Todman, Psychopathology and Boredom: A Neglected Association, in Kostas Andrea Fanti, Psychological Science: Research, Theory and Future Directions, Athens: Atiner Press 2007. 16
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Hans Blumenberg’s Philosophical Anthropology of Boredom
Hans Blumenberg’s anthropological understanding of boredom Blumenberg’s philosophical anthropology of boredom appears for the first time in his posthumous Beschreibung des Menschen (2006). In this work, Blumenberg begins thinking of boredom as an annoying emotion our ancestors had to avoid during high-adaptation periods by introducing the novelty into their lives. However, most of his writings on boredom are unpublished and we can only find them at the Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA). In these manuscripts, Blumenberg gives special importance to boredom as an adaptive emotion from an evolutionary framework. From his point of view, boredom is a driving force that promoted creative behaviors in our predecessors. These reflections, along with those of Beschreibung des Menschen, are an argument against the understanding of boredom as a pathological personality trait, since they demonstrate that boredom is an adaptive emotion whose role is to set individuals in motion when they are trapped in certain situational contexts. Before arriving at this point, Blumenberg’s writings and reflections on boredom should be presented and reviewed. Blumenberg claims, in the first place, that the emotion of boredom has been often trivialized: 21 »Boredom is the least important among complaints of pain, suffering, and discomfort« [»Von allen Beschwerden über Schmerz, Leiden und Unbehagen gilt die über Langeweile als ungewichtigste«]. 22 As he states, no one takes seriously somebody claiming to be bored, even if he or she says to be ›dead of boredom‹. 23 However, boredom cannot be trivialized because of two main reasons. First of all, because individuals experience an unpleasant sensation when they are bored. Whereas one is bored, time passes slowly. Boredom makes us feel an irritation caused by an impasse self-awareness. According to Blumenberg, boredom can be experienced as a stillness similar to death, following his metaphor of the ›tödliche Langeweile‹. 24 Blumenberg asks himself »What can be said about the lethality of boredom?« [»Was sich über die Tödlichkeit
21 22 23 24
Hans Blumenberg, Beschreibung des Menschen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006. Hans Blumenberg, UNF 373–375. Tödliche Langeweile, DLA Marbach. Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). Blumenberg, UNF 373–375 (see note 22).
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der Langeweile sagen lässt?«]. 25 In line with Kant, 26 he answers that boredom is a pain that causes horror in human beings. 27 The second reason why boredom cannot be taken lightly is that it belongs to »the strongest driving forces of human beings« [»den stärksten Antriebskräften des Menschen«]. 28 Boredom is, at the beginning, like a crippling force that then results in »a force of violent repulsion« [»eine Kraft heftigster Abstoßung.«] 29 In other words, boredom is »a state in which one do ›anything‹ just to escape of it« [»sie ist ein Zustand, in dem man ›irgendetwas‹ tut, nur um eben ihm zu entkommen«]. 30 In this sense, boredom encourages us to move, to expand life by attracting novelty and breaking the stillness. As Blumenberg says, boredom activates a mechanism that makes us wake up to then experience the pleasure of falling asleep again. 31 Blumenberg understood the driving force of boredom similarly, from the point of view of its adaptive function. He acknowledged that boredom appears when men achieved an excessive adaptation or comfort to which all species naturally tend. 32 Also, Blumenberg stated we try to reduce the ›Mußzeit‹ in favor of the ›Kannzeit‹. According to him, comfort inevitably results in boredom and, as a matter of fact, boredom cannot be avoided completely, as it is the consequence of our natural tendency to seek the optimum adaptability stage. Herein lies the driving force of boredom: each time we are adapted boredom appears to break our environment making us reoccupy a new one to keep moving among broken things and built ones according to the self-preservation principle. 33 Ibid. To explore the parallelism between Blumenberg and Kant see Josefa Ros Velasco, El diagnóstico kantiano sobre la pareja »aburrimiento e hipocondría« y su recepción en la filosofía de Hans Blumenberg, in Juan Manuel Navarro Cordón, Rafael Valeriano Órden Jiménez, Rogelio Rovira Madrid, Nuevas perspectivas sobre la filosofía de Kant, Madrid: Escolar y Mayo 2016, 315–322. 27 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Stuttgart: Reclams 1983. See also Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). 28 Hans Blumenberg, Karteikarte ohne Titel, in Zettelkasten 26 U-Welt, DLA Marbach. 29 Ibid. 30 Hans Blumenberg, Langeweile, Kurzweil, in Konvolut Text und Materialsammlung Langeweile, DLA Marbach. 31 See also Damir Barbarić, Die Langeweile. 32 Hans Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986. 33 Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1966. See also Theorie der Lebenswelt, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010. 25 26
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Boredom results from an unstimulating environment that the subject must fill. In this sense, the anthropologist Rudolf Bilz –whose oeuvre was truly known by Blumenberg– claimed that this non-stimulating environment results in an active subject. 34 It is a fact that human beings are removed from their comfort zone having to reoccupy one another as part of their nomadic being. Even when we seem to be in a vegetative state, boredom drives us to action by opening, as Blumenberg wrote, the door to all that is not in order but contrary to the system. 35 Too much stability results in a discomfort translated into boredom which activates imbalance and throws us at the shipwreck just to break with the stillness of the sea. To clarify this idea, Blumenberg returns to the myth of blasphemous art, according to which God made the world because he was bored with his own eternity. 36 By the same token, »also the end of the world may be motivated by the same reason, the boredom with the creation« [»auch das Ende der Welt könnte dieselbe Motivation haben: Langeweile an ihr [der Schöpfung«], 37 Blumenberg states. According to this argument, it is not possible to alleviate boredom definitively; in fact, it is not even desirable. Alleviating boredom is like answering the great questions of human beings, 38 in a similar manner as described by Blumenberg in Die Legitimität der Neuzeit (1966): 39 it would work for some time, but then we would have to look for new answers. As the poet Gottfried Benn wrote to the surrealist painter Richard Oelze in his letter of February 25, 1952, »one must always saw off the branch on which he is sitting, just to transcend and Rudolf Bilz, Die unbewältigte Vergangenheit des Menschengeschlechts, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1967. See also Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). 35 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). 36 Ibid.; see also UNF 2461. Umkehrung eines Mythos, DLA Marbach: »That God created the world because he was bored with his own eternity is a mith of blasphemous art of an almost venerable longevity. The creation came from nothing because of the unbearable nature of nothingness« [»Dass Gott die Welt aus Langeweile, aus Überdruß an seiner Ewigkeit geschaffen habe, ist ein blasphemischer Kunstmythos von fast schon ehrwürdiger Langlebigkeit. Die Schöpfung aus dem Nichts infolge der Unerträglichkeit des Nichts«]. This idea comes from Kierkegaard’s work Either/Or (Kierkegaard’s Writing, III, Part I, Princeton: Princeton University Press 1987), and we can also find a similar one in Nietzsche’s Der Antichrist (Munich: Goldmann 1999). 37 Blumenberg, UNF 2461 (see note 36). 38 Hans Blumenberg, UNF 3256. Die Langeweile und die unbeantworteten Fragen, DLA Marbach. 39 Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (see note 33). 34
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be less bored than before« [»man muß immer wieder den Ast absägen, auf dem man sitzt, nur dann kommt man weiter, nur dann wird man sich weniger langweilig als man es an sich schon in hohem Maße ist«]. 40 To sum up, boredom »is the main tension spring that promotes work« [»ist eine Hauptspannfeder, die zur Arbeit zwingt«]. 41 The driving force of boredom meets an adaptive function, according to Blumenberg, because it promotes the change that keeps our interest and makes us readjust. In other words, boredom relives our attention and predisposition to search for novelties to remove horror vacui. 42 In our attempt to put boredom aside we introduce imbalances in our context that put our adaptive mechanism to the test. Painful emotions such as boredom are clear signals for us: they tell us if we should change something in our situational context, Blumenberg explains. 43 Boredom makes us know what are our needs, and this is precisely the reason why it was selected in our evolutionary race. Boredom is not an essential emotion, 44 but a gained one by our ancestors since it is functional for self-preservation. Boredom promoted novelty in our ancestors when they experienced it as a sort of evolutionary problem. Blumenberg anticipated in his posthumous Beschreibung des Menschen that boredom began being experienced when the Homo sapiens’ relatives were adapted enough, likely when they felt themselves safe and confident inside the caves. Inside the grottos, our ancestors may focus on inconceivable aspects outdoors. Continuous monitoring was no longer necessary, giving way to relaxation, deep sleep, and boredom, which enabled new and complex operative structures to flourish. At some point between 1968 and 1988, Blumenberg figured that some of the Homo sapiens’ predecessors took refuge inside the caves in which they relaxed and were bored. Those who had more time to be bored were the weakest, who remained unfit for physical tasks: Gottfried Benn, Briefe an F. W. Oelze, Munich: Wiesbaden 1979, quoted in Hans Blumenberg, UNF 2919–2920. Macht es Spaß, kein Bürger zu sein?, DLA Marbach. 41 Hans Blumenberg, Karteikarte 019424. Musil, Tagebücher Heft 30: etwa März 1929 bis November 1941 und später, in Zettelkasten 01: Anthropologie, DLA Marbach. 42 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). 43 »Man is the being capable of discomfort. Pain and pleasure are clear signals« [»Der Mensch ist das Wesen, das des Unbehagens fähig ist. Schmerz und Lust sind eindeutige Signale«]. Blumenberg, Karteikarte 019424 (see note 41). 44 Hans Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). 40
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mothers, children, elders, and wounded. All of them experienced the peace of staying »at the homey cave« [»in der heimischen Höhle«]: 45 »Hunters and warriors went out, mothers with the children and the hidden weak stayed in the shelter of the caves and huts […] They thought that for which the others had neither time nor will – they made life worthwhile beyond survival« [»Die Jäger & Krieger zogen aus, die Mütter mit den Kleinen, unter ihnen verborgen die Schwächlichen, blieben im Schutz der Höhlen und Hütten. […] sie dachten aus, wozu die anderen nicht Zeit & Neigung hatten – sie wurden die die das Leben neben dem Überleben noch lohnend machten«]. 46 The weak, who experienced boredom firstly, were forced to alleviate this painful emotion by introducing novelties in their context. In doing so, they started to communicate among themselves and create stories, which were the starting point of the culture of myths. In Blumenberg’s words, they »brought a powerful joy by alleviating the boredom of the dark nights« [»dachten sich aus, was den Starken Freude brachte, die Langeweile der dunklen Nächte vertrieb«]. 47 Following from the above, not only did boredom promote novelty but it also put an end to »the big problem of humanity« [»das Grundproblem der Menschheitsgeschichte«], 48 the division of the peoples into ›the weak and the strong‹. According to Blumenberg, thanks to hunting »the powerful and the wily benefited from their position in the group to took distributive advantage over the others« [»der Starke und Listige seine Stellung in der Gruppe ausnutzte, um Verteilungsvorteile gegenüber den anderen Mitgliedern der Gruppe zu erlangen«]. 49 However, the bored-weak found the way to be as important as the hunters when they »sought others’ affection, [when] they began to sing and spin« [»suchten dennoch die Zuneigung der anderen, sie fingen an zu singen & zu spinnen«]. 50 The Hans Blumenberg, Karteikarte 17829, in Zettelkasten 01: Anthropologie, DLA Marbach 1968–1988. 46 Hans Blumenberg, Karteikarte 021606. Die Koalition der Schwachen und die Sklaverei der Eliten, in Zettelkasten 03: Deutsche Aufklärer, A-E (Entwicklung), DLA Marbach. 47 Ibid. 48 Ibid. 49 Hans Blumenberg, Karteikarte 019592. Alle Tierpopulationen haben Ökologien, nur die menschlichen Populationen haben Ökonomie, in Zettelkasten 01: Anthropologie, DLA Marbach 1968–1988. This card [Karteikarte] is also listed in the Katalog Kallías with the number 018584. 50 Blumenberg, Karteikarte 021606 (see note 46). 45
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bored-weak showed to be the »essence and soil of every culture« [»Wesen & Boden jeder Kultur«]. 51 The physical weakness was compensated since boredom promoted other qualities such as communication and storytelling inside the cave or, following Tiger and Fox, the »abstract or technical systems« [»abstraktes oder technisches System«]. 52 The bored-weak developed certain skills in their effort to avoid boredom inside the cave »which allow them to win preference in the selection« [»die es in der Zuchtwahl Vorzug gewinnen lassen«]. 53 Following once again Blumenberg, while »hominization had always favored the upper half of the population variation curve; the cultural evolution indirectly favored the lower half of this variation curve through protection« [»Hominisation hat immer die obere Hälfte der Variationskurve der Population Mensch begünstigt; die kulturelle Evolution begünstigt indirekt durch Abschirmung die untere Hälfte dieser Variationenkurve«]. 54 Boredom alerted the weak of the need to break »the protection offered by a stable way of life« [»indem er die Deckung verläßt, die eine stabilisierte Lebensform bietet«]. 55 Determined to cut off boredom caused by ›the always identical‹, they ran the risk of taking a step on their own even if the elites called them ›madmen‹. 56 As Blumenberg points out, for the weak, »the big, mortal boredom is spreading, pushing the new ›madmen‹ into random positions as only formally simulated elites« [»die große, tödliche Langeweile macht sich breit, sie treibt neue ›Verrückte‹ in wahllos vermutete Außenseiterpositionen als nur formal simulierte Eliten«]. 57 There was no longer a preference for physical privileges. 58 Ibid. Hans Blumenberg, Tiger-Fox, 238, in Zettelkasten 03: Deutsche Aufklärer, DLA Marbach. 53 Hans Blumenberg, Karteikarte 0219685. Ist der »Kampf ums Dasein« eine Metapher?, in Zettelkasten 03: Deutsche Aufklärer, DLA Marbach. 54 Hans Blumenberg, Karteikarte 019232, in Zettelkasten 03: Deutsche Aufklärer, DLA Marbach. 55 Hans Blumenberg, UNF 320–322. Todestrieb der Eliten, DLA Marbach. 56 Ibid. 57 Ibid. 58 Hans Blumenberg, Karteikarte 020142. Weibliches Zuchtwahlverhalten und überleben d [sic!] Schwachen als Kulturträger, in Zettelkasten 03: Deutsche Aufklärer, A–E (Entwicklung), DLA Marbach. This idea is also summarized in the Blumenbergian manuscript Die Lieblinge der Mütter in den Höhlen (UNF 162, DLA Marbach), which was reworked then in Höhlenausgänge (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989). 51 52
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In this context, the emotion of boredom served as a pressure that made our ancestors do anything to alleviate it. It was the driving force for our ancestors to search for novelty and gain a new environment in doing so. Its adaptive function was to prevent excessive stillness and keep moving, and precisely because of that boredom was selected as a common emotion human beings would experience forever. Blumenberg encourages us to think of boredom as a failure that allows other benefits. In the past, it may contribute to the pre-sapiens’ survival by promoting the improvement of our ancestors’ skills. Blumenberg agrees with Toohey when he states that boredom »is a normal, useful, and an incredibly common part of human experience […] is one of the keys to the understanding of how it is that humans are able to feel that they are human«. 59 It may be understood as a functional, positive, life balancer indicator. 60
The Blumenbergian criticism to institutionalized boredom Blumenberg advocates the benefits of boredom but he also recognizes that certain socio-cultural factors have sometimes made boredom results in concerns. This happens when the context does not offer enough possibilities to explore change and novelty. However, from the Blumenbergian point of view, we cannot blame boredom itself for being responsible for the world’s evils, as Kierkegaard did 61 and also psychologists and psychiatrists at the present. According to him, it is the context of modernity which does not allow the beneficial outputs of boredom. From the beginning of the modern era we have built institutions to regulate boredom, explains Blumenberg, 62 in an attempt to »reToohey, Boredom (see note 19), p. 185. Hans Blumenberg, Unbehagen I, in Zettelkasten 13/2 Terminologie, DLA Marbach. In this short essay [Kurzessay] Blumenberg is following Arnold Gehlen’s chapter »Die Öffentlichkeit und ihr Gegenteil« (1973), in which the anthropologist explains that boredom should be received with joy (in Einblicke, Frankfurt/M.: Klostermann, 336–347). 61 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21); Kierkegaard, Either/Or (see note 36). Kierkegaard told us that after God’s creation »peoples were bored massively. They altogether built a tower to get to heaven, an idea as boring as the tower itself. Boredom won. The world was from bad to worse, its ill increased and boredom was the sole responsible« (here p. 286). 62 Hans Blumenberg, UNF 2348. Die Indifferenzen der Langeweile, DLA Marbach. 59 60
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cover the lost paradise« [»das verlorene Paradies wiederherzustellen«]. 63 As a matter of fact, the cultural institution was forced to generate novelties constantly 64 to cope with a new phenomenon, the leisure one, which caused a level of accommodation never seen before. Although it may seem the perfect context in which boredom would be able to promote changes, it was not so as our responses to boredom were mediated by the institution in charge of alleviating our annoyance. According to Blumenberg, in this kind of context there is a risk that boredom results in deviant behaviors: »The risk grows in the population as it loses or reveals its regular time ›administration‹« [»Deren Risiko wächst im Maße, wie sie die reguläre ›Verwaltung‹ der Zeit ihrer Mitglieder verliert oder preisgibt«]. 65 The experience of boredom, then, drives us to play with danger as a late struggle for existence. 66 In this paradigm, boredom promotes compulsive action: »It is a form of paralysis, probably most of the indecision between possibilities […]. This leads to artificial situations, such as those of the spirit of adventure and actionisms« [»Sie ist eine Form der Lähmung, wohl zumeist der Unentschiedenheit zwischen Möglichkeiten […]. Dies führt in künstliche Situationen, etwa solche der Abenteuerlust und des Aktionismus …«]. 67 Boredom is seen as a ›lack‹ that must be compensated by an amplification: 68 »Boredom seems to be some kind of willingness to be able to do anything« [»Langeweile sieht aus wie eine Art von Bereitschaft, zu allem anderen verfügbar zu sein«]. 69 In such a context in which we are not able to escape boredom because of the institutions
Hans Blumenberg, UNF 648–650. Mangel an Bildern vom Glück, DLA Marbach. That happened even when nobody asked the exiled Adam if he wanted to come back to paradise. Likely, Adam and Eve were bored in paradise until they made the decision to not to be bored never again. Running the risk of being expelled and condemned to mortality they decided to follow the wrong track because »there are no good reasons to think that the alternative would be worse« [»gibt es keine guten Gründe dafür, daß auch die Folgen schlimmer wären«] than boredom itself. 64 Blumenberg, Karteikarte 0219685 (see note 53). 65 Blumenberg, UNF 2348 (see note 62). 66 Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). 67 Hans Blumenberg, Karteikarte 019297–019298. Zeitgewinn und Langeweile, in Konvolut Text und Materialsammlung Langeweile, DLA Marbach 1992–1993. 68 Hans Blumenberg, Unbehagen: Land der Langeweile, in Konvolut Text und Materialsammlung Langeweile, DLA Marbach 1992–1993. 69 Hans Blumenberg, UNF 820–821. Hohe Ziele und mindere Zwecke, DLA Marbach. 63
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that supposedly were built to entertain us, boredom puts on the table our more intimate desires of death. 70 As an example, Blumenberg notes in his short essay [Kurzessay] Tödliche Langeweile how Hebbel asked himself »Why should not a man commit murder just to avoid boredom?« [»Warum sollte ein Mensch nicht einen Mord verüben können, bloß um der Langeweile zu entgehen?«]. 71 Moreover, Blumenberg notes in Die Indifferenzen der Langeweile that Berthold Feuchtwanger, who was an IWW decorated combatant, confessed to having taken part in many battles to kill boredom: »He said he did it because of boredom« [»Er sagte, er hätte es aus purer Langeweile getan«]. 72 In the same manuscript, Blumenberg states that in such a rationalized society »Boredom has caused more victims than hatred« [»Die Langeweile hat vermutlich mehr Opfer gekostet als der Hass«]. 73 Even in his posthumous work, Blumenberg links boredom to terrorism. 74 In such a context, boredom becomes a business. Mass media makes use of boredom as a ›sales concept‹ as well as to justify why people were conducting themselves in a counterproductive way. Blumenberg collected in his folder [Schuber] Langeweile (1992–1993) advertising spots and newspaper clippings whose slogans were ›The best against boredom‹ or ›Because of boredom‹. As he recognizes, no nineteenth-century journalist talked about boredom. 75 However, after the transformation of the world in ›the administratively managed‹, 76 it was a matter of time that boredom was used as an excuse to sell ›adventure‹ and ›entertainment‹. 77 This phenomenon leads Blumenberg to think that boredom has reached the status of a plague as »cholera and pest, leprosy and smallpox« [»Cholera und Pest, Aussatz und Pocken«]. 78 As Benjamin wrote, »boredom began to be considered an epidemic in the 1940s« [»Die Langeweile begann in den vierziger Jahren epidemisch empfun-
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Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). Blumenberg, UNF 373–375 (see note 22). Blumenberg, UNF 2348 (see note 62). Ibid. Blumenberg, Beschreibung des Menschen (see note 21). Hans Blumenberg, UNF 166–167. Diesseits der Langeweile, DLA Marbach. Hans Blumenberg, UNF 3502–3503: Der Lumpensammler, DLA Marbach. Blumenberg, Langeweile, Kurzweil (see note 30). Blumenberg, UNF 166–167 (see note 75).
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den zu werden«]. 79 Instead of looking for the causes of the epidemic itself, Blumenberg’s contemporaries wanted to figure out how to avoid its symptoms. 80 In these terms, the disease itself became something with which filling empty time. 81 World and boredom became one to Blumenberg: »The world will be always bored; the world and boredom will be the same« [»der Welt immer langweiliger wird, schließlich Welt und Langeweile eins sein werden«]. 82 Nowadays, boredom is understood as a pathological personality trait, an evolutionary failure, perhaps because health is defined in our society as the complete physical, mental and social well-being by the WHO, as Blumenberg points out in Beschreibung des Menschen. According to this definition, everything becomes a disease and, consequently, the need for treatment is a permanent issue. Today, another administration is in charge of dealing with boredom: the health institution one. Boredom is an annoyance from which health professionals can earn a living. Definitely, Blumenberg states, we are facing a diagnosis with promising future. However, Blumenberg remembers us that even though boredom resembles the pathological because of being one of those phenomena that orientate the body-consciousness relationship, it does not involve the need for a therapy. According to the Blumenbergian diagnosis, perhaps reversion is still possible. Boredom may still be understood as some kind of deviation, not necessarily pathological but beneficial. The review of his manuscripts teaches us that boredom, as a sort of selective pressures simulator, promoted men upraising: they »overcame boredom and mental powers were increased« [»die Langeweile vertreiben und die Geisteskräfte erhöhen«]. 83 From boredom pressure may emerge beneficial consequences, as long as individuals are in situational contexts that allow creativity. In this regard, Blumenberg states that »unhappiness [caused by boredom] not only makes [life] interesting, but it is Walter Benjamin, Gesammelte Schriften: Das Passagen-Werk, Stuttgart: Suhrkamp 1982, here p. 165. 80 Hans Blumenberg, UNF 2321. Das Letzte aller Kultopfer: die Langeweile, DLA Marbach. 81 Hans Blumenberg, Hysterie – Ein fragwürdiger Begriff, in Konvolut Materialsammlung Anthropologie 3/3, DLA Marbach. 82 Hans Blumenberg, Die Langeweile der Zukunft, in Konvolut Text und Materialsammlung Langeweile, DLA Marbach 1992–1993. 83 Hans Blumenberg, Karteikarte 021851, in Zettelkasten 01: Anthropologie, DLA Marbach 1968–1988. 79
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the only one« [»Unzufriedenheit [wegen der Langeweile] macht [Leben] nicht nur interessant, sie ist es allein«]. 84 Herein lies the Blumenbergian criticism to the understanding of boredom as pathological, as health professionals are coping with the symptom and not the disease –which is the institutionalization of time and responses– when, in fact, the symptomatic boredom is only meeting its function of alerting us of something in our context that is not going well.
Hans Blumenberg, UNF 1528–1529. Die eigene Zufriedenheit als Indiz für die Unzufriedenheit der anderen, DLA Marbach.
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Teil 2: Nachdenken mit Hans Blumenberg
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Introduction: On the Question of ›Pure‹ and ›Applied‹ Blumenberg The title of this paper –›applied Blumenberg‹– suggests that one might be able to deal with two Blumenbergs: pure and applied. Under this scenario, ›pure‹ Blumenberg would refer to research on the nature and historical contexts of Blumenberg’s writings, in other words, to Blumenberg philology. This philology would aim to uncover a ›true‹ Blumenberg in the sense of an exegesis of his works and their historical contexts. ›Applied‹ Blumenberg, by contrast, would investigate the relevance of Blumenberg’s ideas to contemporary culture, in this instance, to contemporary political events. It may be the case, however, that from Blumenberg’s own point of view, this distinction between pure and applied is meaningless. This is so because Blumenberg himself was a thorough-going historicist. A historicist sees any cultural artefact as being contingent upon both the historical context from which it emerged and the historical position from which it is observed. So, for example, Goethe’s Prometheus poem of 1773, discussed at length by Blumenberg in Work on Myth, made crucial changes to the ancient Prometheus story so that it could speak to the interests of Goethe’s age, thereby sparking off the pantheism controversy. Goethe’s poem reinterprets the theft of fire as the prize of human artistic creativity in defiance of God –a new scenario in which Zeus seems to have been transformed into the Christian monotheistic deity. Crucially, in Goethe’s version, the fire has already been stolen, because stealing fire was no longer significant to a culture which had possessed and controlled fire and other technologies for millennia. 1 Here we already see that Goethe’s 1 See Hans Blumenberg, Work on Myth [1979], trans. Robert M. Wallace, Cambridge, MA: MIT Press 1985, pp. 403–16; For further context see Angus Nicholls,
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treatment of the Prometheus story collapses the pure/applied distinction. The old Prometheus story has been selected by Goethe neither because of its philological history, nor due to the supposed ›purity‹ of the original version, but because of the way it can be reinterpreted to speak to the interests of Goethe’s age. In Work on Myth, Blumenberg makes it clear that there is no ›pure‹ or master version of a myth –there are only ›applied‹ versions that are selected, activated and made significant by new historical contexts. The original or ›pure‹ version of the story does not exist because we can never go back to the beginning and hear the first version, as Blumenberg observes: »however certain it is that myths were made up […] we know no one who did it and no moment at which it was done«. 2 Because myths like the Prometheus story originally circulated as oral narratives before having been written down, each performance of the story was a reception of earlier versions. The rhapsode would thus interpret the story in accordance with the cultural context of the audience. 3 No ›pure‹ or original version of the story could be relied upon because the story had already been passed down through history via its various receptions. Now one might pause here and conclude that Blumenberg only undermines the distinction between ›pure‹ and ›applied‹ with respect to myth, and not in relation to theory or philosophy. This, however, cannot be the case because Blumenberg makes no absolute distinction between myth and theory. Blumenberg resembles other theorists of myth such as Edward Burnett Tylor and James George Frazer when he claims that the original function of myth was a logical and a theoretical one: that of naming and therefore of ›dealing‹ with threatening aspects of reality, or (especially in the case of Frazer), of putting measures into place that were thought to secure certain outcomes. 4 If you could give names and personalities to the thunder and the lightning, then you could begin to cope with them by understanding them in Myth and the Human Sciences: Hans Blumenberg’s Theory of Myth, London and New York: Routledge 2015, pp. 158–66. 2 Blumenberg, Work on Myth (see note 1), here p. 266. 3 Ibid., p. 155. 4 Edward Burnett Tylor, Primitive Culture: Researches into the Development of Mythology, Philosophy, Religion, Art and Custom, 2 vols., London: John Murray 1871; James George Frazer, The Golden Bough: A Study in Magic and Religion [1890], 8th ed., 8 vols. in 12, New York: Macmillan 1935, vol. 1, pp. 220–22. See the discussion in Nicholls, Myth and the Human Sciences (see note 1), pp. 59–63.
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narrative terms and by integrating their foreignness into what Blumenberg, following Husserl, calls the Lebenswelt or lifeworld. 5 Here Blumenberg’s theory of myth displays similarities with pragmatism: the logos of mythos lies in its usefulness. If it helps the human being to cope with a real or perceived situation of crisis, then the myth is functionally effective or what Blumenberg calls leistungsfähig. And Blumenberg extends this argument to philosophy in general when he states that »philosophy is essentially constituted by claims that can neither be proven nor refuted, and which are selected from the point of view of their functional effectiveness [Leistungsfähigkeit]«. 6 For certain types of pragmatists –for example, for William James– functionally effective means ›true‹ in the sense of helping us »to deal, whether practically or intellectually, with either the reality or its belongings«. 7 In a similar way to James, Blumenberg questions the ideal of absolute or ›pure‹ truth. In so doing, he also revises the West’s mythos to logos narrative, according to which human thought progressed from wholly non-rational myth to purely rational theory or science. For Blumenberg mythos was always already a form of logos: The classical ›disinformation‹ that is contained in the formula from mythos to logos […] is complete where the philosopher recognizes in myth only the identity of the objects for which he believes he has found the definitive mode of treatment. The mischief of that obvious historical formula lies in the fact that it does not permit one to recognize in myth itself one of the modes of accomplishment of logos. 8
Here Blumenberg is not claiming that myth and science, or mythos and logos, are interchangeable; science, or ›theory‹, as he calls it, proved, in the long run, to be better at answering questions, because its answers could be tested and refined by being subjected to the trials of experience. 9 Science offers what Blumenberg calls a ›controlled re-
Blumenberg, Work on Myth (see note 1), here pp. 42–43. On the notion of myth integrating phenomena into the lifeworld, see Blumenberg, Theorie der Lebenswelt, ed. by Manfred Sommer, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010, here p. 136. 6 Hans Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1989, here p. 22 (author translation). 7 William James, Pragmatism: A New Name for Some Old Ways of Thinking, New York: Longmans, Green and Co. 1907, here p. 213. 8 Blumenberg, Work on Myth (see note 1), here pp. 33–34. 9 Ibid., p. 26. 5
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lation between question and answer‹, whereas myth does not. 10 Rather, he merely claims that both myth and science are at root means of dealing with the challenges of reality by answering –or in the case of myth, at least assuaging– questions about reality. When seen in this way, the distinction between ›pure‹ and ›applied‹ theory or science becomes just as questionable as the distinction between the ›pure‹ and ›applied‹ version of a myth. The distinction that we still use today between ›pure‹ and ›applied‹ science is one that goes back to Kant’s Metaphysical Foundations of Natural Science (1786). For Kant, pure science is true deductively or a priori, such as in the cases of mathematics and geometry. Applied science is associated by Kant with what he calls ›mere experience‹ [bloße Erfahrung], which is why he even denies it the name science, preferring to call it or ›applied rational cognition‹ [angewandte Vernunfterkenntis]. Chemistry, for example, is regarded by Kant as applied rational cognition because it arises from experiments rather than being deducible a priori. 11 One might gauge Blumenberg’s attitude to this distinction by looking at his writings on Kant. Here there is only space to mention one such text: Paradigms for a Metaphorology (1960). According to Blumenberg in this text, Kant’s system was required to gesture beyond its rational limits in order for so-called ›pure‹ theory to orient action within the world. When Blumenberg discusses Kant’s treatment of the symbolic in § 59 of the third Critique, he shows the extent to which the ideas of pure reason require the use of symbols, or what Blumenberg calls ›absolute metaphors‹, for them to be practically useful in the sense of guiding action. If, for example, we understand the world to be a like a giant organism, or like a machine, then that symbolic or metaphorical understanding enables pure theory to be applied, in that it could, for example, inform a programme of scientific research.In Blumenberg’s words, and here he quotes from Kant’s third Critique directly, »metaphor is clearly characterized as a model invested with a pragmatic function, from which a ›rule of reflection‹ can be gleaned that may ›be applied‹ in the use of the idea of Blumenberg, Notiz zur Diskussion um »Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos«, in Hans Blumenberg and Jacob Taubes, Briefwechsel 1961–1981, ed. Herbert Kopp-Oberstebrink and Martin Treml, Berlin: Suhrkamp 2013, 255–57, here p. 256 (author translation). 11 Immanuel Kant, Metaphysical Foundations of Natural Science [1786], trans. Michael Friedman, Cambridge: Cambridge University Press 2004, p. 4. 10
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reason«. 12 In other words: metaphors have a pragmatic function designed for Anwendung or use. The notion that the world is like a grand organism or like a machine cannot be said to match up with any single cognition of reality, but this idea of reason nonetheless has the advantage of offering up a world-picture that can inform action. Now because of its very tendency to collapse or at least call into question the distinction between ›pure‹ and ›applied‹ knowledge, Blumenberg’s thought itself calls for application to the contemporary world. Thus, a true Blumenberg philology would examine not only the genesis and meaning of the works but also the applicability of his ideas to contemporary phenomena. It would consciously interpret Blumenberg from the position of our own historicity, with ›contemporary phenomena‹ meaning, at least in this instance, contemporary politics. This sense of an applied Blumenberg has recently been intensified by the emergence from the Nachlass of texts which are explicitly political in their claims, namely the text Präfiguration and more recently the essay on Freud and Arendt, »Moses the Egyptian« [»Moses der Ägypter«]. The publication of these texts is timely. Politics in the Western world currently appears to be undergoing a major transformation, in which the distinction between rational and non-rational political discourse is becoming increasingly difficult to determine. In this context, Blumenberg’s ideas about political myth gain a striking contemporary relevance. While these ideas have been explored in several recent publications, 13 the focus here will be on how one specific theoretical aspect of Blumenberg’s theory of myth –namely the idea of Präfiguration– may offer a useful theoretical lens through which to view the Leave campaign during the recent Brexit referendum in the United Kingdom.
Hans Blumenberg, Paradigms for a Metaphorology [1960], trans. Robert Savage, Ithaca, NY: Cornell University Press, 2010, p. 4 13 See Nicholls, Myth and the Human Sciences (see note 1); Angus Nicholls, Hans Blumenberg on Political Myth: Recent Publications from the Nachlass, Iyyun: The Jerusalem Philosophical Quarterly 65, (January 2016), 3–33; Felix Heidenreich, Political Aspects in Hans Blumenberg’s Philosophy, Revista de Filosofia Aurora 27, 41 (2015), 521–37; Martin Jay, Against Rigor: Hans Blumenberg on Freud and Arendt, New German Critique 44, 3 (2017), 123–44. 12
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Blumenberg as a Theorist of Political Myth The political relevance of Blumenberg’s theory of myth was already recognised a decade ago by Chiara Bottici in her Philosophy of Political Myth (2007). Because, argues Bottici, Blumenberg’s theory is historicist –focusing on the ›significance‹ [Bedeutsamkeit] of certain mythical figures within particular historical and cultural contexts– it could show how myths may help to mobilise political action. 14 While the German reception of Work on Myth often focused on Blumenberg’s purported neglect of political questions, even accusing him of a dangerous rehabilitation of myth, 15 the discovery of Präfiguration, a text thought to be the missing political chapter of Work on Myth, placed political questions at the heart of Blumenberg’s theory of myth. As the editorial »Nachwort« to Präfiguration demonstrates, 16 Blumenberg was already, in works published during his lifetime, a latent theorist of political myth. Recent publications from the Nachlass have now transformed that mostly latent political theory into an explicit one. Three important features of Blumenberg’s theory of political myth are identifiable dating back to the 1960s, while also finding their expression both in Work on Myth, and in the texts recently published from the Nachlass. The first of these is the idea that because myth is primarily oral and polytheistic, it is also inherently tolerant. Blumenberg already makes this claim in a paper written for a meeting of the Poetics and Hermeneutics group in 1968. »The negation of the attribute ›omnipotence‹ is«, argues Blumenberg in this essay, »of outstanding importance for myth and its reception […] every polytheism can be understood in terms of the immanent intention of rendering finite the powers that it represents«. 17 For Blumenberg, mythic polytheism brings into effect what he would later call, in Work on Myth, Chiara Bottici, A Philosophy of Political Myth, Cambridge: Cambridge University Press 2007, pp. 7–8, 14. 15 See the overview of the reception of Work on Myth in Nicholls, Myth and the Human Sciences (see note 1), pp. 196–204. A characteristic review is that offered by Götz Müller in the Zeitschriftfür Deutsche Philologie 100 (1981), 314–18. This review and Blumenberg’s response to it appear in Hans Blumenberg, Präfiguration: Arbeit am politischen Mythos, ed. Angus Nicholls and Felix Heidenreich, Berlin: Suhrkamp 2014, pp. 61–78. 16 Angus Nicholls and Felix Heidenreich, Nachwort der Herausgeber, in Blumenberg, Präfiguration (see note 15), 83–146, here: pp. 84–122. 17 Hans Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos, in 14
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»separation of powers« [»Gewaltenteilung«], something which he describes as the »structural principle of myth«. 18 Telling stories about many gods enables those gods to become entangled in battles with one another, thereby limiting their powers. Of course, the notions that myth enacts a separation of powers and that mythic polytheism is more tolerant than monotheism were not invented by Blumenberg: David Hume makes precisely these arguments in his Natural History of Religion (1757). 19 But Blumenberg’s preference for polytheism has a more contemporary reference: namely as a counter-argument to the monotheism of Carl Schmitt’s Political Theology (1922) and Political Theology II (1970). This explains the lengths to which Blumenberg goes, in Work on Myth, to refute Schmitt’s claim that Goethe’s famous saying in Poetry and Truth [Dichtung und Wahrheit] –nemo contra deum nisi deus ipse (no one can stand against a god but a god himself)– is monotheistic and ›Christological‹ rather than polytheistic. 20 Indeed, Blumenberg claimed to have written Work on Myth specifically to engage with Schmitt’s monotheistic interpretation of that saying. 21 The second key feature of Blumenberg’s theory of political myth is its anti-Platonism and its turn to rhetoric as the primary means of political action. This argument is made in detail in Work on Myth, where Blumenberg undertakes an extended reading of Plato’s Protagoras, siding with the sophist Protagoras against Socrates in valorising rhetoric over philosophy. 22 The purported victory of philosophy over rhetoric was, argues Blumenberg, itself made via rhetorical means, through the contentious elaboration of the theory of forms, which we will revisit below. 23 This position in favour of rhetoric can Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption, ed. Manfred Fuhrmann (Poetik und Hermeneutik IV), Munich: Fink,1971, 11–63, here p. 43 (author translation). 18 Blumenberg, Work on Myth (see note 1), p. 538. 19 David Hume, The Natural History of Religion [1757], in Dialogues and Natural History of Religion, ed. J. C. A. Gaskin, Oxford: Oxford University Press 2008, pp. 143, 195. 20 Blumenberg, Work on Myth (see note 1), pp. 531, 538. See also Carl Schmitt, Political Theology II: The Myth of the Closure of Any Political Theology [1970], trans. Michael Hoelzl and Graham Ward, Cambridge: Polity 2008, p. 122. For context see Nicholls, Myth and the Human Sciences (see note 1), pp. 205–10. 21 Hans Blumenberg to Ulrich Thoemmes, 3 February 1984, DLA Marbach, quoted in Nicholls, Myth and the Human Sciences (see note 1), pp. 206, 223. 22 Blumenberg, Work on Myth (see note 1), pp. 328–35. 23 Ibid., p. 331.
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already be found in Blumenberg’s well-known essay of 1971 on anthropology and rhetoric, where he simply declares that the ideal forms of Plato and his Philosopher Kings are inaccessible to human beings, and can therefore offer no basis for a normative theory of the political. 24 The third important feature of Blumenberg’s theory of political myth is intimately related to his critique of political Platonism. Blumenberg’s theory of the political is a sceptical and post-Enlightenment theory, in that he questions the very possibility that rational political discourse will ever have the power to overcome the forces of rhetoric and of political myth. This is partly, of course, because for Blumenberg so-called ›rational discourse‹ is itself dependent on rhetoric as a primary means of persuasion and communication. This aspect places Blumenberg rather close to Nietzsche, whose theory of metaphor in the essay »On Truth and Lie in an Extra-Moral Sense« significantly presages Blumenberg’s own theory of metaphor in Paradigms for a Metaphorology. 25 But the primary evidence for the postEnlightenment tenor of Blumenberg’s political thought is to be found in what is perhaps his most explicitly political essay: »The Concept of Reality and the Theory of the State« [»Wirklichkeitsbegriff und Staatstheorie«] (1968). This essay is, among other things, a vehement critique of the Enlightenment political theory of Ernst Cassirer. As the title of this essay suggests, Blumenberg regards theories of reality as informing theories of the state. Thus, because Plato regards the forms as the basis of the good, his whole political theory as outlined in the Republic presupposes that the good is accessible to the Philosopher Kings and can be implemented by them as political policy. This involves, to cite just one notorious example (Republic 605b), censorship of those kinds of poetry or myth which are not seen to be in the service of the good. As a post-war German political philosopher, Blumenberg would have seen the totalitarian potential of such a theory. The sceptical alternative is to renounce all grand political theories of the good – whether those of the left or the right– and to rely on a polytheistic Hans Blumenberg, An Anthropological Approach to the Contemporary Significance of Rhetoric [1971], trans. Robert M. Wallace, After Philosophy: End or Transformation? ed. Kenneth Baynes, Cambridge, MA: MIT Press 1987, pp. 429–58, here p. 432. 25 See the discussion in Nicholls, Myth and the Human Sciences (see note 1), pp. 141, 148. 24
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(which is to say liberal) political system in which different actors or ›gods‹ engage in rhetorical battles with one another, within the context of a constitutionally guaranteed separation of powers (in other words: the German ›Basic Law‹ or Grundgesetz). But in The Myth of the State (1946), a book that Cassirer wrote in American exile during 1944 and 1945, he effectively defended political Platonism. For Cassirer the idea of the good and the idea of the political should always be intimately interconnected: Plato and his followers had tried to give a theory of the Legal State; Machiavelli was the first to introduce a theory that suppressed or minimized this specific feature. His art of politics was destined and equally fit for the illegal and the legal state. 26
In Cassirer’s history of Western political thought, it was Machiavelli who had violently torn the good away from the political, allowing political propaganda to run free. In this regard Cassirer sees Machiavelli as the forerunner to the use of political myth under National Socialism. In Work on Myth, Blumenberg criticises Cassirer’s theory of myth –outlined in Mythical Thought [Das mythische Denken] (1925) volume two of the Philosophy of Symbolic Forms– for presuming that myth belongs to a ›primitive‹ phase in Western thought which the Enlightenment had overcome. 27 In Blumenberg’s opinion, Cassirer thereby underestimated the staying power of myth. It is for similar reasons that Blumenberg undertakes, in the essay »The Concept of Reality and the Theory of the State«, a rehabilitation of Machiavelli which sees him as the most important proponent of a political rhetoric that has –for solid reasons of political realism– been divorced from ethics. For Blumenberg, Machiavelli’s separation of ethics and politics […] has come to be seen as dubious […]. But this type of political technics is not only applicable to the praxis of poison and dagger, rather it also allows one to recognize the development of that kind of rationality which is satisfied with certain actions being refrained from, prevented or simulated. 28
Ernst Cassirer, The Myth of the State, New Haven, CT: Yale University Press 1946, p. 155. 27 Blumenberg, Work on Myth (see note 1), p. 168. 28 Hans Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Staatstheorie, Schweizer Monatshefte 48 (1968–9), 121–46, here p. 138 (author translation). 26
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In Blumenberg’s view, political Platonism is the worst of all possible worlds, because it would imply that political actors believe themselves to be in definitive possession of a good –a good which they would in turn be prepared to enforce through military actions. Political rhetoric, by contrast, would amount to a form of political technics which is less certain of our access to the good and therefore less inclined to proceed directly to such action. Through dialogue and exchange, political rhetoric would deescalate political situations, and here we need to remember the Cold War context of Blumenberg’s essay, which appeared just six years after the Cuban missile crisis. We are now able to summarise Blumenberg’s views on political myth. For Blumenberg, just as there can be no complete separation between mythos and logos, so too is it impossible to remove myth, or the non-rational use of political images and narratives, from politics. Blumenberg’s sceptical rehabilitation of Machiavelli amounts to the acceptance that the Enlightenment will never be able to surmount the role played by rhetoric and propaganda in the political sphere. Political myths will always play some role in providing human beings with narratives through which they come to understand themselves as members of a group. To imagine that rational critique could overcome the power of myth would itself be to indulge in political fantasy or what Blumenberg calls, in the essay »Moses the Egyptian«, the ›rigourism‹ of truth. How else are we to understand Blumenberg’s claim in that essay that Adolf Eichmann functioned as the ›negative national hero‹ and ›state founder‹ of Israel, and that Hannah Arendt’s critique of the Eichmann trial failed to understand that trial as a form of national myth making? 29 In that essay Blumenberg seems to claim that in situations of crisis, resorting to political myth may be unavoidable, if not quite legitimate. Given recent political events in the United Kingdom and the United States, the view that non-rational elements such as political myth continue to play a role in driving political change is certainly looking plausible.
Hans Blumenberg, Moses der Ägypter, Rigorismus der Wahrheit, ed. Ahlrich Meyer, Berlin: Suhrkamp 2015, pp. 9–21, here pp. 14, 17. See also the discussion in Nicholls, Hans Blumenberg on Political Myth (see note 13), pp. 25–31, and in Jay, Against Rigor (see note 13), pp. 128, 135–40.
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Prefiguration and the Brexit Campaign Blumenberg’s theory of prefiguration [Präfiguration] combines anthropological arguments with precepts taken from Biblical hermeneutics. The anthropological elements of this theory can be found both in Präfiguration and in other texts by Blumenberg, first and foremost in the Nachlass volume Theory of Non-Conceptuality [Theorie der Unbegrifflichkeit] (2007), based on texts written in the mid-1970s. There Blumenberg uses several terms that carry the prefix prä as part of his argument that the ›concept‹ [›Begriff‹] serves not just a mnemonic function, but also has the task of anticipating what may arise in the future. Because concepts refer to a general class of possible things rather than to one particular thing, they are geared towards ›prevention‹ [›Prävention‹] and towards being ›prepared‹ [›präpariert‹] for that which may emerge on the horizon. Future possible actions are thereby seen as being ›prefigured‹ [›präfiguriert‹] by typical measures taken in the past. 30 Arguing in a similar vein in Präfiguration, Blumenberg observes that invoking earlier precedents is seen to endow highly contingent and questionable decisions about the future with ›legitimacy‹. 31 Blumenberg refers to the Biblical sense of prefiguration when he quotes the Gospel of Luke 21:22: »all things which are written may be fulfilled«. 32 According to this view, events or characters in the Old Testament may prefigure those in the New Testament, with the New Testament bringing those earlier events to a kind of fruition or fulfilment. As Erich Auerbach writes in his authoritative essay on the subject, »figural interpretation establishes a connection between two events or persons, the first of which signifies not only itself but also the second, while the second encompasses or fulfils the first«. 33 So, for example, Adam in the Old Testament prefigures Christ in the New (1 Corinthians, 15:21). Here Blumenberg makes an important distinction when he argues that prefiguration does not merely suggest that Hans Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit, ed. Anselm Haverkamp, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007, p. 12. 31 Blumenberg, Präfiguration (see note 15), p. 10. 32 The Bible, Authorized King James Version with Apocrypha, introd. Robert Carroll and Stephen Prickett, Oxford: Oxford University Press 2008, p. 107. See also Blumenberg, Präfiguration (see note 15), p. 11. 33 Erich Auerbach, Figura, in Scenes from the Drama of European Life, trans. Ralph Mannheim, New York: Meridian 1959, pp. 11–76, here p. 53. 30
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history ›will be repeated‹; rather, the implicit claim is that history ›will repeat itself‹, suggesting a higher cosmic rhythm or theological order in history itself which is being invoked. 34 An aspect of Präfiguration that is not investigated in the editorial Nachwort to that volume is the Platonic heritage that Blumenberg ascribes to this thought pattern. Here this aspect of Blumenberg’s ideas about prefiguration can usefully be related to his suspicion towards political Platonism. For this reason, Blumenberg’s ideas on this subject –namely the Platonic theory of forms and its relation to prefiguration– must be quoted here at length: If it has already been accepted as an ontological archaism that Plato’s ideas also exhibit relations as actual circumstances which exist independently within the world of things, and whose concepts lead back to ideas, for this very reason it has been overlooked as an unimportant error in the reasoning of an important thinker that these ideas of Plato become primordial images [Urbilder] not principally by virtue of the relations created by their copies and that this does constitute them at all, their repeatability and imitability does not give rise to any real predicate in them, rather they are through and through, and as ideas, that which begs for repetition, even before they are imitated, indeed without being imitated. They are primordial images on their own terms, not by virtue of their actual relations to their copies. Only on this basis, through the way in which Plato deals with them in the artificial myth [Kunstmythos] of the demiurgic origin of the world of appearances, and in the way in which Plato, so to speak, places the demiurge under pressure to act, do we learn indirectly and by the by about what implicitly lies within the theory of ideas and what constitutes this theory’s affinity with artificial myth, its non-coincidental capacity for presentation through artificial myth. 35
Blumenberg’s claim is that we normally think of Plato’s theory of forms incorrectly. The standard approach to them is to suggest that things in the physical world ›participate‹ in the ideal forms, in that the chair on which I am sitting ›participates‹ in the ideal form of ›chair‹. This sense of participation is what Plato terms methexis (see, for example, Parmenides 132d). But Blumenberg’s point in this passage is that the participation of physical objects in the forms contributes nothing to the status of these forms as ›primordial images‹ [›Urbilder‹].
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Blumenberg, Präfiguration (see note 15), p. 32. Ibid., pp.12–13.
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According to Plato’s creation story in the Timaeus, the forms preceded the physical world of appearances, which was shaped by the demiurge, and which has the status of being fallen and corruptible simply because it was not possible to copy an Urbild or an ideal form exactly (37d). For Blumenberg, the Platonic forms are Urbilder for no other reason than the fact that they are Urbilder, they come first, they have the power of being the one and only precedent. They do not need the things of the physical world to ›participate‹ in them, because for them to need anything would be to diminish their absolute power, priority and autonomy. Now Blumenberg, with his suspicion of origins, of course sees the whole Platonic theory of forms as a being a species of myth. He deems the story of the demiurge to be a Kunstmythos or artificial myth because it is designed to serve conscious theoretical purposes: namely, the dubious victory of philosophy over rhetoric. Real myths or fundamental myths, for Blumenberg, tell significant stories which are adjusted over millennia to new historical and cultural contexts. They have no consciously formulated theoretical purpose but rather evolve by way of cultural selection, which is what gives them their power. Precisely because cultural selection over millennia is impossible to control, it is very difficult to instrumentalise these genuine myths, such as Prometheus. 36 Artificial myths, by contrast, are geared towards achieving distinct theoretical, aesthetic or ideological ends –one might call them instrumental myths, and one such myth is Plato’s account of the demiurge in Timaeus, which is designed to substantiate Plato’s theory of forms. Blumenberg’s claim, then, in Präfiguration, is that the so-called ›prefigurate‹ [›Präfigurat‹] –the prior model which is invoked to justify political action– must have an unquestionable status, even if this status is based upon nothing more than rhetoric. The power of the prefigurate exists in nothing other than it having already occurred, combined with its sacred status within the history of the surrounding culture. It serves as a precedent because of the ›significance‹ [›Bedeutsamkeit‹] associated with it, which is why Blumenberg regards Präfiguration as a species of myth. 37 So, for example, Blumenberg claims that during the Yom Kippur war of 1973, the Egyptian and Syrian armies decided to invade Israel 36 37
Blumenberg, Work on Myth (see note 1), pp. 174–76. Blumenberg, Präfiguration (see note 15), p. 14.
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on the tenth day of Ramadan because Mohammed allegedly chose the same day on which to begin the Battle of Badr in 623. 38 This is an example of positive prefiguration in which the prior model is repeated to justify action. But negative prefigurations are also possible. At the centre of Blumenberg’s essay there stands the idea that Hitler’s catastrophic decision to invade Stalingrad was prefigured by the failed Russian campaigns of Charles of Sweden in 1709 and Napoleon in 1812. Those defeats, according to Blumenberg, functioned as negative prefigurates which Hitler aimed to reverse at Stalingrad. 39 If prefiguration involves justifying highly questionable and precarious political decisions through invoking emotionally laden precedents, then how might this theory help us to understand the recent decision of the United Kingdom to leave the European Union (EU)? Regardless of one’s political orientation, there can be no doubt about the precariousness of this decision both for the economy of the United Kingdom and indeed for its future as a political union. If Brexit means departing from the European Single Market, as it appears likely to do at the time of writing (December 2017), then the United Kingdom will lose its favourable relationship with its largest trading partner. Further to this, Brexit may also mean creating a European land border between Northern Ireland and the Irish Republic, potentially inflaming old sectarian tensions there. Given the generally pro-European sentiment in Scotland (with 62 % voting to remain in the EU), it may also lead to a Scottish referendum to leave the United Kingdom, with the eventual aim being that of Scotland re-joining the EU as an independent nation. In short: Brexit has the potential not only to destabilise the British economy, but also to break up the United Kingdom. How, then, was it possible for the British people to take such a risky decision? Research on Brexit is still in its infancy. Some of the reasons offered for the referendum result include a rejection of globalised capitalism by the less well educated and the economically ›left behind‹ sectors of the British population, 40 the role played by social media in polarising the electorate and in simplifying the issues at stake in a Ibid., pp. 10–11. Ibid., pp. 31–32. 40 Matthew J. Goodwin, Oliver Heath, The 2016 Referendum, Brexit and the Left Behind: An Aggregate-Level Analysis of the Result, The Political Quarterly 87, 3 (2016), 323–32; Sarah B. Hobolt, The Brexit Vote: A Divided Nation, A Divided Continent, Journal of European Public Policy 23, 9 (2016), 1259–77. 38 39
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Applied Blumenberg: Prefiguration and the Case of Brexit
misleading way, 41and the perceived threat to British (and especially English) identity posed by cultural pluralism or multiculturalism. 42 Within this context, and despite the overwhelming economic evidence in favour of remaining in the EU, it is generally accepted that the Leave campaign won on the basis of its emotional appeal to ›Take Back Control‹ of British borders and by implication of British national identity. Here commentators agree that the decisive figure in making such appeals was the former mayor of London and the current British Prime Minister, Boris Johnson, the de facto leader of the Leave campaign. 43 Johnson is a skilled propagandist who understands the power of prefiguration. In the British political imagination, there is no more powerful prefigurate than the Second World War, embodied in the person of Britain’s wartime leader, Winston Churchill. In the EU referendum, Johnson published a biography of Churchill entitled The Churchill Factor. In that book he already showed a high degree of awareness concerning how Churchill could be used as a powerful prefigurate in the debate on Europe: It is a measure of Churchill’s prophetic numen that people will still try to invoke him as the arbiter of various modern political dilemmas. Out of his voluminous sayings a text will be found to legitimate some opinion or validate some course of action – and that text will be brandished in a semireligious way, as though the project had been posthumously hallowed by Churchill the sage and wartime leader. 44
In this quotation, Johnson hits directly upon many of the key features of prefiguration. The prefigurate, he observes, confers legitimacy on whatever action is being proposed, and should ideally have a quality of sacredness which is beyond criticism. Johnson’s book includes a chapter on Europe in which he weighs up Churchill’s various statements on this subject, especially those following the Second World War. He even cites Churchill’s famous 1946 speech in Zurich, in which he proposed a ›United States of Europe‹ as a means of avoiding Jean Seaton, Brexit and the Media, The Political Quarterly 87, 3 (2016), 333–37. Richard Ashcroft, Mark Bevir, Pluralism, National Identity and Citizenship: Britain after Brexit, The Political Quarterly 87, 3 (2016), 355–59. 43 See Anand Menon, John-Paul Salter, Brexit: Initial Reflections, International Affairs 92, 6 (2016), 1297–1318, here p. 1312; Hobolt, The Brexit Vote (see note 40), p. 1261. 44 Boris Johnson, The Churchill Factor: How One Man Made History, London: Hodder 2015, p. 295. 41 42
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Angus Nicholls
future conflicts, only to conclude that although Churchill promoted the idea of a European Union, he also saw the UK as ultimately being separate from that Union. 45 Johnson’s pro-Brexit media campaign was consciously based on prefiguration, drawing implicit analogies between himself and Churchill and –scandalously and mendaciously– between the EU and Nazi Germany. In a 2016 interview with the national newspaper The Telegraph entitled »The EU Wants a Superstate Just as Hitler Did«, he observed: The truth is that the history of the last couple of thousand years has been broadly repeated attempts by various people or institutions –in a Freudian way– to rediscover the lost childhood of Europe, this golden age of peace and prosperity under the Romans, by trying to unify it. Napoleon, Hitler, various people tried this out, and it ends tragically […] The EU is an attempt to do this by different methods […] It’s pretty clear to me that his [i. e. Churchill’s] vision for Britain was not subsumed within a European superstate. He saw the UK as being supportive of the marriage but not a participant in the marriage – that is the crucial thing […] This is an act of economic takeover. The euro has become a means by which superior German productivity is able to gain an absolutely unbeatable advantage over the whole Eurozone territory. 46
Here Johnson invokes the prefigurate which combines Churchill and the Second World War. Just as Plato’s Urbilder or forms display their authority regardless of whether the things of the material world imitate or participate in them, so too in this example is the resemblance between Churchill and Johnson, and between Nazi Germany and the contemporary EU, scarcely relevant to the argument being made. In other words, the rhetorical force lies in the emotional significance of the prefigurate itself, not in its relation to the contemporary example being invoked. That relation need only be vaguely plausible, or capable of creating powerful associations in the minds of voters. In this case, the analogy drawn by Johnson does not stand up to any rational analysis, but here rational analysis did not matter. During the Brexit campaign, Britain was not remotely at war with either the EU or with Germany, and Johnson’s statements provoked outrage from informed Ibid., pp. 302–10. Boris Johnson, The EU Wants a Superstate Just as Hitler Did, interview in The Telegraph [London], 14 May 2016, online [http://www.telegraph.co.uk/news/2016/ 05/14/boris-johnson-the-eu-wants-a-superstate-just-as-hitler-did/] accessed 14 December 2017.
45 46
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Applied Blumenberg: Prefiguration and the Case of Brexit
political commentators in Britain, including Tory party members, who correctly pointed out that the EU was created precisely to prevent any one nation achieving hegemony within Europe. 47 But what turned out to be more important was the emotional significance of the prefigurate being invoked.The success of the Brexit campaign was, at least in part, a stunning example of the power of the non-rational in politics, the power of political myth. In his criticism of Hannah Arendt’s Eichmann in Jerusalem, Blumenberg points out that no amount of rational analysis could explain away the mythic power of Eichmann: the way in which a single figure could have sufficient concreteness and vividness [Anschaulichkeit] to capture the public mind. In response to Arendt, Blumenberg states: »one cannot have both at the same time: the analysis and the myth«. 48 While Arendt offered a sociological analysis of the Eichmann trial, Blumenberg saw it as demonstrating, for better or worse, the power of political myth. This insight raises important questions for contemporary political discourse that cannot be addressed here, but which need, in conclusion, nonetheless to be posed. How effective can rational analysis ever be in countering political myth? And can one powerful political myth only ever be defeated through the creation of a counter-myth? Finally, does the European Union need its own unifying myth?
Rowena Mason, Tories Divided by Boris Johnson’s EU-Hitler Comparison, The Guardian [London], 16 May 2016, online [https://www.theguardian.com/politics/ 2016/may/16/tories-divided-by-boris-johnsons-eu-hitler-comparison] accessed 14 December 2017. 48 Hans Blumenberg, Moses der Ägypter (see note 29), pp. 17–18 47
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Erweiterungen am Provisorium: Hans Blumenbergs Phänomenologie des Mythos im Kontext des publizierten Nachlasses I.
Interpretative Folgen der formalen Gestaltung
Hans Blumenberg war keiner der systematisch vorgehenden Autoren, deren Themen ausschließlich innerhalb der einzelnen monographischen Studien überwiegend an so etwas wie ›klassischen Orten‹ aufbewahrt sind. Das ist für philosophische Werke keinesfalls selbstverständlich. Auch wenn sich das Kant’sche Moralgesetz beispielsweise immer auch vor dem Hintergrund seiner theoretischen Philosophie interpretieren lässt, so wissen wir ganz genau, wo wir nachsehen müssen, wenn wir etwas über den kategorischen Imperativ lernen wollen. Wo aber sehen wir nach, wenn wir nach bestimmten Aspekten der Mythosauffassung Hans Blumenbergs gefragt werden? Nun, selbstverständlich zunächst in der Arbeit am Mythos, in den Höhlenausgängen, oder aber in dem einzigartigen Beitrag Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos für die »Poetik und Hermeneutik«-Gruppe, der im Werk als prägnanter programmatischer Auftakt zu den Mythosüberlegungen gelten darf. Fragen wir aber etwas tiefer in die Materie hinein, so werden wir feststellen, dass die das Thema Mythos bei Blumenberg konstituierenden Topoi in ihrer Darstellung weit auch in das Gesamtwerk ausgreifen. So zeigt sich: Die der Phänomenologie abgeschaute Verfahrensweise der variierenden Beschreibung macht weder vor Kapitelgrenzen, noch vor Buchdeckelgrenzen Halt. Für den uns hier vor allem interessierenden Kontext muss man dann hinzufügen: Er macht eben auch am zu Lebzeiten publizierten Werk nicht Halt, und der Nachlass wird mehr und mehr zu einem Ort, an dem wir uns zur weiteren Vertiefung umsehen und orientieren können. Blumenberg war auch nicht der Autor klar formulierter Definitionen. Die durch ihn untersuchten Begriffe werden gerade nicht einmal und an einem Ort abschließend bestimmt, sondern an verschiedenen Orten und vor allem in unterschiedlichen Kontexten beleuchtet, erprobt, vorläufig umrissen und 128 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Erweiterungen am Provisorium
erst später an anderer Stelle – wenn überhaupt – verdeutlicht. Dass dies bei einem Denker, der das Prinzip der Umwege und des Provisoriums in inhaltlicher Hinsicht derart stark betont hat, eben auch einen Niederschlag in formaler Hinsicht findet, ist vielleicht auch nicht weiter verwunderlich, und nur rigorose Analytiker mögen es beklagen und gar als antiphilosophisch empfinden, wenn man noch hinzufügt, dass diese Umwege auch nicht immer unbedingt darauf angelegt sind, ein endgültiges Ziel zu finden. Diese beschreibende und narrativ-variierende Methodik hat klare Auswirkungen auf den Umgang mit den zu erörternden Begriffen. Blumenberg selbst hat ja in verschiedenen Texten, die sich sowohl im publizierten als auch im nachgelassenen Bereich befinden, eine methodische Reflexion immer wieder selbst angestellt: Philosophische Begriffe, so formuliert er in Anlehnung an Kant, unterliegen nicht dem Zwang, sie zu Beginn des Nachdenkens über gewisse Sachverhalte in definitorischer Strenge einzuführen – vielmehr verdeutlichen sie sich Schritt für Schritt im Prozess ihrer Erörterung. Damit soll natürlich keinem Obskurantismus das Wort geredet werden – es darf keine Lizenz für Unklarheit und Unbestimmtheit geben, wohl aber lässt sich über so etwas wie eine Tugend der verminderten Strenge sprechen. Es gibt »[…] so etwas wie ein experimentelles Stadium des Begriffsgebrauchs in der Philosophie, in dem es um die Bewährung der Leistungsfähigkeit von Begriffen, nicht um die Verifikation oder Falsifikation von Hypothesen geht«. 1 Der hier verwendete Begriff Leistungsfähigkeit erinnert natürlich auch an die etwas provokante Definition, die Blumenberg in den Höhlenausgängen einer allzu wissenschaftlichen Herangehensweise an seine eigene Disziplin entgegenhält: »Philosophie«, so steht es dort zu lesen, »ist der Inbegriff von unbeweisbaren und unwiderlegbaren Behauptungen, die unter dem Gesichtspunkt ihrer Leistungsfähigkeit ausgewählt worden sind«. 2 Leistungsfähigkeit aber muss sich in diesem Sinne dann durch wiederholte Verwendung und kontextuell-situative Erprobung herstellen lassen. Das betrifft, wie schon die Einleitung zum »Poetik und Hermeneutik«-Aufsatz zeigt, auch den Begriff des Mythos. Die Frage, der ich im Rahmen meiner Ausführungen versuchen möchte nachzugehen, ist die nach den Bereicherungen und Verdeutlichungen im Umfeld der Erörterung des Mythos, wie sie sich aus 1 2
Hans Blumenberg, Theorie der Lebenswelt, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 11. Hans Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989, S. 22.
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dem bisher publizierten Nachlass ergeben. Hierbei geht es eben weniger um abschließende Aussagen über sensationelle Neuerkenntnisse, sondern eher um Vorschläge, die man, wie mir scheint, aufgrund dieser Erweiterungen des Bezugsrahmens der Blumenberg-Forschung in Sachen Mythos machen kann. Dem Nachlass – das ist der Eindruck bisher – kam zu und wird zukommen vor allem die Rolle der anhaltenden Präzisierung des in den zu Lebzeiten publizierten Werken Gesagten, der Vertiefung von Beobachtungen, der weiteren Variation, letztlich eben der Erweiterung, aber auch Eingrenzung der Leistungsfähigkeit des Mythosbegriffs.
II.
Anthropologische und geschichtsphilosophische Paradigmen
Als erste Stichworte für diesen erweiterten und vertieften begrifflichen Rahmen, der sich in den Nachlasstexten um das Thema des Mythos herum anlagert, wären einleitend zu nennen: das Repertoire sämtlicher anthropologischer Kernbegriffe, weiterhin Metapher und Unbegrifflichkeit sowie die strukturelle Erweiterung des mythischen Rezidivs zum Modell der Präfiguration. Aber auch der Versuch zu einer Theorie der Lebenswelt darf uns in der Behandlung, die Blumenberg diesem Thema zukommen lässt, als Ansatzpunkt für weitere Verdeutlichungen am Mythosbegriff gelten. Doch zunächst einen Schritt zurück. Die erste Nachlasspublikation von elementarer Bedeutung für die Mythostheorie war die 2006 erschienene Beschreibung des Menschen. Dieses Werk hatte natürlich zunächst die lang vermisste ausgearbeitete Konkretisierung des anthropologischen Fundaments der ganzen Philosophie Blumenbergs im Allgemeinen und in Folge dessen auch der Mythostheorie im Speziellen mit sich gebracht. Beide großen Werke über den Mythos, also die Arbeit am Mythos und die Höhlenausgänge, wurden ja jeweils von einer impliziten anthropologischen Grundatmosphäre begleitet, die aber dennoch immer noch grundlegende Fragen offengelassen und den Wunsch nach weiterer Verdeutlichung geweckt hatte. Als ein Beispiel hierfür darf uns die dezidierte Betonung der Rationalität des zunächst von Gehlen hergenommenen Grundgedankens des Menschen als Mängelwesen gelten. Der Mensch ist kein selbstverständliches ›Urfaktum‹, und die Bedingungen seines Überlebens in Form von Kultur werden kompensatorisch verstanden. Die substan130 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Erweiterungen am Provisorium
tialistische Frage ›Was ist der Mensch‹ wurde in die funktionalistische Frage ›Wie ist der Mensch möglich‹ überführt. Die von Blumenberg in diesem Sinne entwickelte anthropologische Fundierung seines Systems hatte also eine rational begründete Notwendigkeit erhalten, die Spekulationen über die Anthropogenese genau in diesem Lichte zu betrachten und zumindest modellhaft in einen Modus der besseren Verstehbarkeit zu überführen. Dadurch wurde aber auch die Genese des Mythos auf einer tieferen Ebene verankert und vor allem der Aspekt seiner Funktionalität für das menschliche Überleben hervorgehoben. Doch auch in diesem Zusammenhang hatte Blumenberg noch mehr zu sagen. In der Theorie der Unbegrifflichkeit folgt auf eine kurze Rekapitulation der eben genannten Anerkennung der Rationalität des Gehlen’schen Grundgedankens und seines Umkreisens der Prinzipien von Entlastung und Prävention eine Erweiterung. Konstruktiv kritisierend schreibt Blumenberg: Ich meine, der Grundbegriff der Prävention führt weiter. Denn zur bloßen Entlastung tritt hier der Sachverhalt, daß das Weniger-wahrnehmen-Müssen ganz in den Dienst des Mehr-wahrnehmen-Könnens tritt, das selbst die Prävention ist, aber zugleich die Wurzel einer weitergehenden Einlassung auf das, was dabei freigestellt zugänglich wird. 3
Der Entlastung von der archaischen Furcht folgt die Freiheit, die so gewonnene Distanz auch in ein luxurierendes Verhalten des Genusses umzusetzen: Als Paradefall erscheint mir der Mythos: seiner Funktion nach gehört er ursprünglich ganz in den Zweckzusammenhang der Befreiung von Furcht; am Ende ist er aber zugleich ein unerschöpfliches Reservoir für die Grundfiguren dessen, was schon in überständigen Ritualen und deren ästhetischem Reiz, in der Dichtung, in der Tragödie nur noch genossen werden kann«. 4
Vom Genuss, den der Mythos den Griechen verschaffen konnte, hatte Blumenberg schon im Programmaufsatz für die »Poetik und Hermeneutik«-Gruppe gesprochen, aber hier haben wir nun so etwas wie die anthropologische Bedingung der Möglichkeit, dieses Verhältnis zum Mythos besser nachvollziehen zu können. Ein erstes Beispiel dafür
3 Hans Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007, S. 26. 4 Ebd., S. 27.
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also, wie eine Gedankenlinie, die ihren Ausgang in einem zu Lebzeiten publizierten Text nimmt, im Nachlass weitergeführt wird. Damit ist der Mehrwert dieser Nachlasspassage aus der Theorie der Unbegrifflichkeit aber noch nicht erschöpft: Die Leistung des Begriffs als abstrakte actio per distans, als Handlung an abwesenden Gegenständen, steht zwar zunächst auch noch ganz im programmatischen Zeichen von Entlastung und Prävention, doch das eben beschriebene Genussverhalten gegenüber dem Mythos, welches aus dieser Entlastung hervorgeht, steht auch schon wieder unter dem Zeichen der Rückkehr zu einer bewusst aufgesuchten Anschauung. Diese Leistung, so Blumenberg, »wäre dann nicht etwas Letztes und für sich Werthaltiges«. Und er fügt hinzu: »[D]ie Abkehr von der Anschauung steht ganz im Dienst der Rückkehr zur Anschauung«. Diese Aussage ließe sich auf ein unromantisches geschichtsphilosophisches Muster erweitern, das trotzdem gerade auch die anhaltende Möglichkeit des Rezidivs mythischer Denkmuster verstehbar macht. 5 Diese sich aus sich selbst ergebende Kontrastierung von Begriff und Anschauung, auch als Aspekt einer Phänomenologie der Geschichte, war uns bereits in der Arbeit am Mythos begegnet. Blickt man auf das Kapitel über den gnostischen Grundmythos und das sich an ihm formierende theologische Dogma im Mittelalter, dann wird deutlich, wie bis in die Hochscholastik hinein auch gegen deren Programmatik das Bedürfnis nach Anschaulichkeit immer wieder zum Vorschein gekommen ist, und hatte nicht Blumenberg in seiner Analyse der Bedeutsamkeit selbst dezidiert betont, dass der Abbau derselben ein immer wieder erneuertes Bedürfnis nach ihr hervortreibt? Nun gibt uns hier ein Text aus dem Nachlass die Möglichkeit, diesen geschichtlichen Vorgang weiterhin anthropologisch-systematisch zu grundieren. Dass jedenfalls Remythisierung in den Augen Blumenbergs immer auch etwas mit dem Rezidiv von Programmatiken der Anschauung zu tun haben kann, davon konnten wir zuletzt auch wieder im Band über die Präfiguration lesen. 6 Was sich hier mehr und mehr beginnt herauszuschälen, ist so etwas wie eine auch an der sich historisch durchhaltenden Affinität zum mythischen Denken abzulesende Systematik der Geschichte. Im
Ebd. Hans Blumenberg, Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos, Berlin: Suhrkamp 2014, S. 20.
5 6
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Erweiterungen am Provisorium
Hinblick auf die zukünftig in diesem Zusammenhang noch präziser zu erörternde Geschichtsphilosophie Blumenbergs könnte nicht zuletzt die Theorie der Lebenswelt einige wertvolle Informationen über die Genese und Abfolge der Wirklichkeitsbegriffe und Weltmodelle liefern. Eine solche genetische Geschichtstheorie wäre dann zwar eben nicht der klassisch teleologischen Richtung zuzuordnen, sondern bewegte sich wahrscheinlich mehr in Richtung einer Abfolge von kontrastierenden Wirklichkeitsauffassungen, die eher dem anthropologisch motivierten Kreisschlussmodell einer auf das Movens der Selbsterhaltung hin fokussierten immanenten Teleologie zuzuordnen ist. Dazu gehört dann eben auch der thematische Komplex der Möglichkeit mythischer Rezidive. Was lässt sich also über das Verhältnis von Mythos und Geschichtsphilosophie sagen und welche Rolle kommt innerhalb dieses Fragekomplexes dem Nachlass zu? Um diesem Zusammenhang nachzugehen, empfiehlt sich eine synoptische Lektüre der Legitimität der Neuzeit mit der Arbeit am Mythos und schließlich der Theorie der Lebenswelt, um derart zumindest einmal die Frage nach der genetischen Dimension des Mythos präzisieren zu können. Eine der großen Unklarheiten, die jede den Mythos als authentische Lebensform ernst nehmende historische Phänomenologie ja immer wieder aufs Neue provoziert, ist zunächst einmal die nach seiner Ablösung durch andere Formen der Wirklichkeitsbewältigung. Warum wurde der Mythos, der ja bei Blumenberg vor allem in seiner Lebensdienlichkeit dargestellt wird, als Wirklichkeitsprinzip zwar nicht vollständig überwunden, aber dennoch in seiner Hegemonialstellung überhaupt angefochten? Blumenberg führt in diesem Zusammenhang die geschichtliche Observation eines allgemeinen Verfalls des antiken Weltbildes und seiner geistigen Verfassung ins Feld. Die daraus resultierende Dämonisierung der Kosmosvorstellung durch die gnostischen Strömungen bleibt zwar im gnostischen Grundmythos noch einer allgemein narrativen Verfahrensweise verhaftet, liefert aber genau die strukturellen Voraussetzungen für das sich gegen diesen formierende Dogma der christlichen Kirche und seiner Mythosfeindlichkeit. Trotzdem wäre es über diese Beschreibung der spätantiken Lebenssituation hinaus für ein profunderes historisches Verständnis interessant, danach zu fragen, ob es allein die Miserabilität der äußeren Lebenssituation war, welche die Disposition für die Attraktivität der Ablösung des Mythos schuf, oder ob sich auch innerhalb des mythischen Weltbildes gewisse Verfallserscheinungen ausmachen las133 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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sen, die die externen Angriffe überhaupt erst auf fruchtbaren Boden fallen ließen. Nun ist die von Blumenberg sehr profund analysierte Dogmatisierung der christlichen Theologie aber schon die rezeptive Umformung eines Prozesses, der sich historisch zuerst in Gestalt der Philosophie und ihres Erkenntniswillens gezeigt hat. Über diesen fiktiven Moment des Hervortretens der Philosophie gibt es einen bemerkenswerten Satz in der Legitimität der Neuzeit: Die Philosophie entsteht mit der Entdeckung des Hiatus von Erscheinung und Sein, von Wahrnehmung und Denken, und sie trennt schon bei Heraklit und Parmenides die Menschen in die unreflektiert der Erscheinung und Wahrnehmung Hingegebenen und die auf das dahinterstehende eigentlich Wahre Durchdringenden, die nicht einmal aus eigenem Vermögen den Zugang zur Wahrheit finden, sondern der Einweihung wie in ein Mysterium bedürftig sind. 7
Wenn wir nun nicht wie Blumenberg selbst im Anschluss an Husserl von so etwas wie einer ›Urzeugung‹ der Wissenschaft ausgehen wollen, bleibt natürlich auch angesichts einer solchen Observation die Frage übrig, was überhaupt zur Entdeckung dieses Hiatus von Sein und Erscheinung geführt hat. Es bleibt also die Frage nach dem Beginn und der Notwendigkeit des Fragens überhaupt. »Die Philosophie hat gegen den Mythos vor allem das rastlose Nachfragen in die Welt gebracht und ihre ›Vernünftigkeit‹ darin proklamiert, vor keiner weiteren Frage und keiner Konsequenz möglicher Antworten zurückzuschrecken«, 8 schreibt Blumenberg in der Arbeit am Mythos, und dass dieses Fragen sich auch seiner Ansicht nach explizit als Konkurrenzangebot zum Mythos versteht, dafür steht in der Beschreibung des Menschen exemplarisch der Satz: »Die Philosophie ist, angestrengt sich dem Mythos entwindend, gegen die Götter entstanden und hat nicht viel von ihnen übriggelassen«. 9 Da es dem mythischen Weltbild durch eine Bestreitung seines Wirklichkeitsverständnisses hier erstmals an den Kragen geht, muss es den Historiker des Mythos natürlich interessieren, ob sich nicht auch dieser Vorgang zur Sprache bringen lassen kann. Ernst Cassirer hatte 7 Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1966, S. 279. 8 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, S. 286. 9 Hans Blumenberg, Beschreibung des Menschen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, S. 378.
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aus dieser Notwendigkeit heraus dem Mythosband seiner Philosophie der symbolischen Formen eine ›Dialektik des mythischen Bewusstseins‹ integriert, doch bei Blumenberg blieb dieser Prozess eines Bewusstseinswandels eigenartiger Weise recht unterbestimmt, wo man ihn eigentlich mit einem gewissen legitimen Recht erwarten hätte können. Dass es sich bei ihm aber keinesfalls um einen dialektischen oder teleologisch gerichteten Gang der Dinge handeln kann, wird sowohl aus seiner – ob in der Sache berechtigten, sei dahin gestellt – Kritik eben am Ansatz Cassirers als auch an seiner generellen Skepsis jeder Form von derart konzipierten Geschichtsphilosophien deutlich. Dazu gibt es über das Werk verteilt genügend Hinweise. Worauf könnten wir also unseren Blick richten, wenn wir die Ablösung des Mythos aus dem Werk Blumenbergs heraus verstehen wollen? Hier kommt nun, wie ich vorschlagen möchte, der Nachlass in Form der Theorie der Lebenswelt zu Hilfe, denn im Zuge der dort vorgenommenen Untersuchung des Entstehens und Vergehens von Lebenswelten treten, wenn schon keine letztgültigen Erklärungen, so zumindest einige Verdeutlichungen geschichtsphilosophischer Art, die sich auch auf den Mythos beziehen lassen, zu Tage. Dass das mythische Weltbild deutliche Züge einer lebensweltlichen Verfasstheit trägt, wurde ja beispielsweise bereits an den Beschreibungen der Horizontabschirmungen durch die Leistungsstruktur der mythischen Verfahrensordnungen in der Arbeit am Mythos erklärt. 10 Fassen wir zunächst noch einmal die äußere Fraktur einer Ablösung des Mythos ins Auge, dann finden wir im vierten Kapitel der Theorie der Lebenswelt den Hinweis, dass die Veränderungen spezifischer Lebenswelten grundsätzlich auch von handfesten externen Faktoren bestimmt sein können. Analog zu den von Blumenberg im Rahmen seiner anthropologischen Ausführungen vorgenommenen Beschreibungen des archaischen Biotopwechsels, der neue Anpassungsleistungen des entstehenden menschlichen Bewusstseins herbeigeführt hat, wird auch hier der Tatsache Rechnung getragen, dass unbekannte Invasoren – und dies einmal nicht nur als Metapher für Unbekanntes verstanden – in lebensweltliche Horizonte, die eben
Ich möchte keinesfalls den Fehler begehen, die Lebenswelt ausschließlich als historische Formation zu verstehen, doch hatte Blumenberg hier selbst – ganz im Sinne eines experimentierenden Begriffsgebrauchs – Spielräume von Verständnisweisen offengelassen, die eine solche Herangehensweise auch versuchsweise legitimieren können. Siehe dazu: Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 225 ff.
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immer nur Teilhorizonte sind, von außen eindringen können. Im einfachsten Fall als Völkerbewegung: »Extreme Seßhaftigkeit schützt nicht davor, daß andere und anderes nicht seßhaft sind«. 11 Dem entspricht strukturell im Fall der gerade genannten Anthropogenese die klimatisch bedingte Horizontveränderung. Das gibt zumindest für den Fall der politisch turbulenten Spätantike und des damit verbundenen Verfalls der antiken Weltordnung einen ersten Hinweis darauf, warum die Selbstverständlichkeiten einer bisher stabilen und unhinterfragten Lebenswelt Gegenstand neuer Befragungen werden konnten, zeigt aber auch ein Stück handfesten Realismus, den Blumenberg sich beispielsweise gegen die reine Bewusstseinstheorie von Cassirer leisten möchte. Damit ist aber natürlich noch lange nicht ausreichend geklärt, welche endogenen Motivationen am Werk waren, als sich auf einer zeitlich früheren Stufe die Philosophie mit ihrem Anspruch auf Erkenntnis gegen den Mythos formiert hatte. Sollte es darauf überhaupt zumindest den Ansatz einer Antwort geben, so ist er bei Blumenberg im Zusammenhang mit einer seiner zentralen Thesen zur Lebenswelt zu sehen, die in der grundsätzlichen Aussage besteht, dass lebensweltliche Selbstverständlichkeit immer bereits auch den Impuls zur Selbstzerstörung in sich trägt. Der Prozess des beginnenden Erkenntnisstrebens als Beginn der Philosophie wird in der Theorie der Lebenswelt ausdrücklich aufgegriffen und als Destruktion einer vorgängigen Lebenswelt akzentuiert: »Denn nicht in einer Lebenswelt verweilen zu können und um Erkenntnis besorgt zu sein, das sind nur zwei verschiedenen Aspekte ein und desselben Sachverhalts: einer Ungenauigkeit der Einpassung in die Realität«. 12 Blumenberg greift in diesem Zusammenhang auf seine Kritik sämtlicher Nullpunktfiktionen und prätendierter Dezisionismen zurück und hat dabei wohl den historistisch motivierten Grundgedanken seiner Geschichtsphilosophie in Form der ›Umbesetzung‹ in der Hinterhand. Der Übergang von der Lebenswelt zur Theorie, oder eben vom Mythos zur Philosophie, muss in diesem Sinne einsichtig zu machen sein, wenn man nicht gewillt ist, das Husserl’sche Theorem von einer ›Urzeugung‹ anzuerkennen. Und so kritisiert Blumenberg diesen Ansatz in der Theorie der Lebenswelt auch ganz explizit:
11 12
Ebd., S. 55. Ebd., S. 52.
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Erweiterungen am Provisorium
Die Stellung des Themas Lebenswelt in der letzten großen Abhandlung Husserls wird bestimmt durch das Desinteresse an dem, was dem freien Akt der Zuwendung zur theoretischen Einstellung vorausgeht. Auf dieses Vorausgehende kommt es eben überhaupt nicht an, wenn der Akt frei ist und wenn er sogar frei sein soll. […] Was auch immer der Grund sein mag für die Abblendung jener archaischen Lebenswelt, verfehlt wird dadurch das Verständnis für die Rationalität dieses Hervorgehens der Theorie aus der Lebenswelt. Die eine wird nicht aus der anderen begreiflich, weder das Spätere aus dem Früheren noch das Frühere aus dem Späteren. 13
Es muss also nach den Merkmalen geforscht werden, die sich diesseits und jenseits des Übergangs vom Mythos zur Philosophie zumindest als Stellenum- oder Neubesetzung denken lassen, um so eben auch diesen Vorgang nicht selbst der Mythisierung auszuliefern. Es geht nicht um Anfänge als absolute, über die Blumenberg ja selbst gesagt hat, dass sie uns sprachlos machen – nicht um Urzeugungen, sondern zumindest um den Versuch der Beschreibbarkeit dieses Wandels. Wenn der immer wieder erneuerbare terminus a quo des Mythos die Bekämpfung der Angst ist, so könnte man also für die hier gemeinte Situation seiner Ablösung fragen, wie sich sein terminus ad quem bestimmen lässt. Der Satz des Thales über die Götterfülle könnte in diesem Zusammenhang zumindest als Sinnbild fungieren und auf die Erschöpfung einer Denkform hinweisen. Es ist die Frage von Symptom und Ursache. Symptom ist das Absterben der mythischen Welterklärung als alleinigem Deutungsmuster und das Aufleben der Philosophie – worin liegt aber die Ursache für diesen Vorgang? Befragen wir die Theorie der Lebenswelt also weiter. Ein Bestimmungsmerkmal der Lebenswelt sei es, »die Rationalität von Begründungslosigkeit zu denken«, und diese »kann nur gerechtfertigt werden durch Funktionssicherheit«. Zu verstehen wäre also ein »Konzept von Funktionstüchtigkeit des Unbedürfnisses nach Fragen«. 14 Überträgt man nun diese Hypothese einer rationalen Begründungslosigkeit auf den Mythos als einer Ausprägung von Lebenswelt, so verdeutlicht sich das, was u. a. in der Arbeit am Mythos immer wieder als genuines Funktionsmerkmal der mythischen Verfahrensordnungen beschrieben wird. Was man vielleicht unter dem Titel eines Frage-Antwort-Theorems fassen könnte, weist auf das die Angst an den Rändern des Lebenswelthorizontes abschirmende Vor13 14
Ebd., S. 78. Ebd., S. 90.
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gehen hin, die falschen Fragen erst gar nicht zu stellen, sondern durch das Erzählen von Geschichten das Fragebedürfnis bereits im Ansatz stillzulegen. Aus der rückwärtsgewandten Perspektive des wissenschaftlichen Geschichtsverständnisses besteht das Problem natürlich darin, die Unterstellung aufzugeben, dass es menschheitsgeschichtlich schon immer ein konstantes Fragebedürfnis gegeben hat und dass im Mythos Antworten stets immer nur mit unzureichenden, weil primitiven Mitteln gegeben werden konnten. Diese archaische Vorgeschichte der neuen Rationalität hätte dann nur darauf gewartet aus ihrem unbefriedigenden Stadium befreit zu werden. Damit wird aber eine teleologische Zusatzannahme getätigt, die Blumenberg so mitzumachen nicht bereit war. Wenn es sich dann aber so verhält, dass die Philosophie, wie wir in der Arbeit am Mythos lesen konnten, »gegen den Mythos vor allem das rastlose Nachfragen in die Welt gebracht« 15 hat, erneuert sich auch in diesem Zusammenhang wieder die Frage nach der eben aus der Lebenswelt selbst hervorgehenden Notwendigkeit, sich mit den alten Antworten und Geschichten nicht zufrieden zu geben. Aufzugeben – und das ist genau der Einsatzpunkt, an dem wir Blumenbergs Verteidigung der Rationalität des Mythos mit seiner Verteidigung der Rationalität der lebensweltlichen Begründungslosigkeit zusammenführen können, also das offizielle Werk mit dem Nachlass – ist die pejorative Abwertung dessen, was Blumenberg im Kontext von Prämodalität und Selbstverständlichkeit als immer schon vorhandene Erklärung oder als Vorurteil bezeichnet. Es gibt hier keine Latenz von verhinderter und durch den Mythos lediglich unterdrückter Wissenschaftlichkeit. Statt dessen anzuerkennen, und darin zeigt sich die Ergiebigkeit der elaborierteren Theorie der Lebenswelt in Bezug auf das Verständnis des autokatalytischen Schwundes der mythischen Weltsicht, ist der Modus der Selbstzerstörung von Lebenswelten durch die stetige Verfeinerung ihrer eigenen Selbststabilisierungsmittel. Irgendwann ist dann im Fall des Mythos alles voller Götter, und genau hier beginnt er sich langsam selbst ad absurdum zu führen. Dann wäre die Folgeformation Philosophie aber eben keine aus dem Schlaf der Vernunft erweckte Konstante, sondern eher eine Notwendigkeit ex negativo: »Wenn Thales hätte begründen wollen, weshalb der Mythos nicht mehr genüge, sofern Götterfülle sein Resultat sei, wäre die von ihm angeführte Philosophie nicht destruktiv in die Vollkräftigkeit des Mythos hineinge15
Blumenberg, Arbeit am Mythos (wie Anm. 8), S. 286.
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stoßen, sondern kraft eben der Feststellung seiner Funktionserfüllung fällig gewesen« 16 und die schon erwähnten problematischen äußeren Lebensumstände mögen dann das ihrige hinzugetan haben. Etwas abstrakter formuliert und wieder aus der Theorie der Lebenswelt: »Die destruktive Tendenz des Lebens ist die iterative Anwendung seines Prinzips auf seine Resultate«. 17 Die Lebenswelt des Mythos unterliegt also einem fragilen Gleichgewicht. Einerseits schafft sie durch Integration des an ihrer Grenze immer auftauchenden Unbekannten Stabilität, andererseits trägt diese permanente Integrationsleistung immer schon die Tendenz in sich, sich durch Erfüllung ihrer Funktion selbst aufzuheben. Die immanente Prozessualität dieses Vorgangs hat Blumenberg paradigmatisch in einem Text aus der Theorie der Lebenswelt dargestellt. Dort rekapituliert er vor diesem Hintergrund beispielsweise die in der Arbeit am Mythos schon recht extensiv beschriebene Strategie der Integration des am Rande des lebensweltlichen Horizonts mit Angst besetzten Unbekannten und Unbenannten durch den Akt der Namensgebung – kontextualisiert diese Bewältigungsmaßnahme aber diesmal explizit vor dem Hintergrund der Genese einer Lebenswelt. Im Zuge ihrer zunehmenden Stabilisierung gilt: »Magie und Mythos sind solche Versuche, an der Peripherie der Lebenswelt die Stoßrichtung des Vordringens umzudrehen«. 18 Als wichtiges funktionales Mittel erweist sich hierbei die Metapher, welche dazu dient, durch das lebensweltlich Bekannte das lebensweltlich Unbekannte zu integrieren: »Erklärung erfolgt also durch den Rückgriff auf die Sphäre der Prämodalität, des Selbstverständlichen, als dessen, was lebensweltlich integriert und unauffällig vorhanden ist«. 19 Ist also die archaische Angst durch erst spontane, dann wiederholte Benennungen depotenziert, beginnt das metaphorisch unterstützte Erzählen von Geschichten über die unbekannten Mächte, an deren Ende das polyEbd., S. 32. Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 16. Für den Mythos gibt es dafür übrigens ein schönes Modell, das selbst aus der Mythologie stammt. In den homerischen Hymnen schlägt Zeus Aphrodite mit Leidenschaft für Anchises, damit sie selbst das Schicksal erleidet, das sie leichtfertig anderen zufügt. Hermann Fränkel schreibt dazu: Die Erzählung »zeigt, wie sich die Göttin, Siegerin und Besiegte in einem, in der lockenden Betörung verfängt deren Urkraft sie ist, und wie sich ihre Allgewalt an ihr selbst bewährt«. Siehe: Hermann Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, München: Beck 1962, S. 287. 18 Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 136. 19 Ebd., S. 137. 16 17
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theistische Pantheon der Götter steht. In diesen Prozess der Anreicherung der Lebenswelt mit Bekanntheit tritt nun aber wiederum auch eine gegenläufige Tendenz ein: Metaphorik tendiert auf Hypostasierung. Sie ist eine Form der immanenten Anreicherung und Selbststabilisierung dessen, was zunächst nur aus der Sphäre dessen lebendig ist, woher es seine Vorstellbarkeit nimmt. Anders ausgedrückt: die zunächst metaphorische Besetzung des außerweltlichen Lebensraums verselbständigt sich und gewinnt ihre eigene Logik. In der Gewaltenteilung der mythischen Götter bleibt nie die systematische Frage aus, wer denn der Höchste und Mächtigste sei, wer die letzte Wendung in den dynastischen Umstürzen vollzogen habe und welche Aussicht ihm zukomme, diese zu behaupten. Das ist nur ein Beispiel für immanente Logik für Systembildung. Am Ende […] steht die Gleichgültigkeit der Unterlegenen […]. 20
Wir haben hier also am Präparat des Mythos den Versuch der Beschreibung vor uns, wie der Eintritt in eine lebensweltliche Sphäre gleichzeitig schon wieder den Austritt aus ihr vorbereitet. In äußerst konziser Form kommt Blumenberg dann auf den folgenden Seiten über das Prinzip des so zumindest vorbereiteten Monotheismus zur sich daraus ergebenden Möglichkeit des Menschen zum Selbstvergleich, aus dem dann wiederum durch Exzentrizität der Position ein zuvor nicht mögliches Zuschauerverhalten entsteht, welches beginnt, ehemalige Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen: »Nur Exzentrizität führt an die Nicht-Selbstverständlichkeit heran«. 21 Neue Erfahrungen der »Ausweitungen des Wahrnehmungshorizontes« führen »mit dem Übergang von einer Welt der Wahrnehmungen zu einer Welt der Beobachtung, der gezielten, unter Fragen stehenden Selektion von Wahrnehmungsmöglichkeiten«. 22 Am Ende stehen dann hier zunächst Intersubjektivität und schließlich Objektivität. Das anthropologisch fundierte Theorem vom Selbstvergleich besitzt hier aber noch eine ungleich tiefere Ebene. In der Arbeit am Mythos hatte Blumenberg den Übergang von der Theriomorphie zur Anthropomorphie der Götter als funktionale Distanzierung zur Unheimlichkeit der Tiergestalten und Ermöglichung der Bezugsfähigkeit qua Typisierung dargestellt. Im Nachlasstext nun sieht Blumenberg die Anthropomorphisierung im Ungenügen am nur zwi20 21 22
Ebd., S. 140. Ebd., S. 143. Ebd., S. 142.
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schenmenschlichen Selbstvergleich begründet, welches dann zum Selbstvergleich mit den nun vermenschlichten Göttern führt: Das Pantheon war die Möglichkeit, die wunschbesetzten Eigenschaften des menschlichen Selbstverständnisses in vitro fortzuzüchten, um sich nur gegenüber dem zu demütigen, was das Ziel der eigenen Entwicklung, der eigenen Erwartung, sein sollte, und um diese Fortzüchtung unter den Druck der Selbstbehauptung zu setzen. 23
Doch gerade die Selbstbehauptung – die wir ja bei Blumenberg als das Leitprinzip der geschichtlichen Dynamik verstehen dürfen – führt in diesem Zusammenhang zu einer Diskontinuität in diesem langen Prozess. Wo, wie am Beginn der Neuzeit, die Selbstbehauptung mit aller Macht ergriffen wird, führt der Selbstvergleich mit dem nun überflüssigen Gott in den Atheismus – der Erfolg, so Blumenberg, »fällt mit der Zerstörung seiner Voraussetzungen« 24 zusammen. Das Muster der sich zerstörenden Lebenswelt darf also auch in diesem Zusammenhang als strukturelles Paradigma gesehen werden – was als Erfolg des Mythos beginnt, zerstört sich am Ende durch sich selbst. Zugleich zeigt die eben zitierte Passage, wie Blumenberg durch das Neuarrangement von Begriffen in neuen Kontexten die Perspektive auf den Mythos zu erweitern vermag, auch an vielleicht zunächst unerwarteter Stelle.
III. Politische Aspekte des Mythos und Präfiguration Unerwartet war in jedem Fall auch die Verwendung des Mythosbegriffes in Blumenbergs Aufsatz über Hannah Arendts EichmannBuch, der uns unter dem Titel Rigorismus der Wahrheit seit einigen Jahren zugänglich ist. Die Verurteilung Eichmanns in Israel, gegen die Arendt sich wendete, bezeichnet Blumenberg dort als legitim und sieht sie als den mit mythischer Notwendigkeit ausgestatteten Gründungsmythos des Staates Israel an. 25 Das war nun für Blumenberg, bei dem man stets den Eindruck hatte, dass er den Mythosbegriff von allem Pathos bemüht freihalten wollte, ein echtes Novum.
Ebd., S. 144. Ebd. 25 Hans Blumenberg, Rigorismus der Wahrheit, Berlin: Suhrkamp 2015, S. 14 und 17. 23 24
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Dass die politischen Implikationen des Mythos im zwanzigsten Jahrhundert unter dem Vorzeichen einer erzwungenen Remythisierung von Blumenberg als höchst problematisch eingestuft wurden, zeigen nicht zuletzt die jüngst zugänglich gewordenen Reflexionen über das Muster der Präfiguration. Dass man den Mythos nicht handstreichartig einführen dürfe, weil es keine Eindeutigkeit seiner ethischen Implikationen geben kann, darauf hatte Blumenberg schon in der Arbeit am Mythos hingewiesen. Umso besorgter beobachtet er deshalb im Rückblick, mit welcher fatalen Konsequenz die Nationalsozialisten unter Berufung auf historische Vorprägungen ihre historische Mission als geschichtlich präfiguriert in Inszenierung gebracht hatten. Präfiguration, als Teil einer Remythisierung in geschichtlichen Späthorizonten, besteht darin, dem eigenen Handeln durch Rückbezug auf bedeutsame Muster eine unwiderlegbare Legitimität zu verleihen. Dies soll hier nicht noch einmal gesondert rekapituliert, vielmehr soll eine kurze Überlegung darüber angestellt werden, in welcher Art und Weise sich der Gedanke der Präfiguration strukturell an die Arbeit am Mythos anschließen lässt. Als Teil der Konturierung des Oberthemas Bedeutsamkeit ist die Präfiguration eine Erweiterung dessen, was Blumenberg dort unter dem Begriff des Rezidivs abhandelt, nur mit dem Zusatz einer intentionalen Bezugnahme. Es zeigt sich eine Verbindung zu Blumenbergs Beschreibungen der Gnosis. Die nun vorliegende Verdeutlichung des Prinzips Präfiguration im Kontext des Politischen weist uns den Weg dahin, die Rezidive des gnostischen Dualismusprinzips auch in Zusammenhängen zu erkennen, die seinerzeit nur angedeutet worden sind, denn es gab auch in der Arbeit am Mythos bereits latente Anspielungen, worin Blumenberg die jedem gnostisch gemeinten Dualismus implizite Fatalität einer Tendenz zur Fronteröffnung gesehen hat. Über die Wiederauflagen des als wesentlich für den strukturellen Grundmythos der Gnosis konstitutiven Widerstreits zweier sich feindlich gegenüberstehenden Parteien schrieb er dort: Deshalb enthält auch jedes gnostische Rezidiv die von seinen Parteigängern geschätzte Lizenz, für den Endzweck jedes Mittel zuzulassen. Von Strategien darf dann gesprochen werden, auch von doppelten, und die Bedenkenlosigkeit hinsichtlich der Mittel schließt Alternativen hinsichtlich der Zwecke, deren Realisierung erst ihre Funktionäre rechtfertigen kann, aus. Dazu gehört, daß die Evidenz der Zwecke nur in dem Maße einleuchtet, in dem
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der intermediäre Prozeß das Pessimum seiner Unerträglichkeit erreicht oder erreichen kann […]. 26
Es scheint nach den nun vorliegenden Konkretisierungen des Präfigurationsbandes keineswegs mehr absurd, hier u. a. eine Anspielung auf die Endlösung der Nationalsozialisten in Bezug auf die europäischen Juden zu sehen. Doch auch die post- und neomarxistischen Philosophien der sechziger und siebziger Jahre im Umfeld der Studentenbewegung, die ja an einigen Stellen der Arbeit am Mythos von Blumenberg auch nicht gerade mit Lob bedacht wurden, können wir hier als Adressaten dieses Kommentars annehmen. 27 Die Wiederauflage der bei Marx präfigurierten Front zwischen Proletariat und Bürgertum könnte in den Augen Hans Blumenbergs als Rezidiv eines konstruierten Dualismus, der zu seiner gewaltsamen Beseitigung aufruft, gelten. Die Berufung der radikalen intellektuellen Aktivisten jeglicher Couleur auf die Unhintergehbarkeit des Geschichtsgesetzes und des damit reaktualisierten Aufrufs zur gewaltsamen Initiative lässt sich unschwer auch als Fall einer Präfiguration verstehen. So kommen wir durch einen Nachlasstext abermals zu weiteren Interpretationsmöglichkeiten des ursprünglich vorliegenden Textkorpus. Ich schließe mit einem Vorschlag, wie man den Gedanken der Präfiguration vielleicht auch in etwas positiverer Hinsicht in Anwendung bringen kann. Das Prinzip der Präfiguration gibt uns auch ein ergiebiges kulturhermeneutisches Instrument an die Hand, mit dem sich u. a. einige Phänomene in der Kultur der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in ihrem spezifischen Wirkungspotential und Motivationsgrund analysieren lassen könnten. Abseits fatal-politischer Implikationen lässt sich beispielsweise in der Popularmusikgeschichte seit den frühen sechziger Jahren durch den starken Rückbezug auf traditionelle Spielarten amerikanischer Folk-Musik ein prägnantes Beispiel für das bewusste Ergreifen einer Präfiguration aufweisen. All diese Formen, am wirkungsmächtigsten in Gestalt des Blues, beziehen ihre besondere Anziehungskraft, ihre quasi-mythische Dignität, nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sie – und hier wäre eine strukturelle Analogie zu den Beschreibungen des Mythos bei Blumenberg, Arbeit am Mythos (wie Anm. 8), S. 199. Zu Blumenbergs versteckten Zeitkommentaren siehe Marco Mauerer, Lebendige Distanz. Hans Blumenberg als Philosoph in seiner Zeit, in: Manfred Eickhölter (Hg.), Der Wagen 2016. Lübecker Beiträge zur Kultur und Gesellschaft, Lübeck: Hansisches Verlagskontor, S. 143–166.
26 27
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Blumenberg hergestellt – der Kontingenz durch einen konkreten Urheber enthoben sind und ihre Stile und Stoffe in einem uns für immer verborgen gebliebenen selektiven Prozess der mündlich-performativen Prägnanzverdichtung entwickeln konnten. Was im Falle des Mythos der kontingente Umschlagspunkt in die erstmalige schriftliche Fixierung war, entspricht im hier gemeinten Fall der ersten Aufzeichnung auf Tonträger. Blickt man nun auf die ästhetische Programmatik der beginnenden sechziger Jahre, so wird ganz deutlich, dass sich ein Großteil der Spielarten dessen, was man fortan im weitesten Sinne unter den unzureichenden Begriff der Rockmusik gebracht hat, sowohl im Hinblick auf die musikalische Form, als auch in Bezug auf die Selbststilisierung ihrer Protagonisten, als bewusstes Ergreifen einer Präfiguration verstehen lässt. Hier hat nichts anderes stattgefunden als eine rezeptive Arbeit am Mythos dessen, was der Musikforscher Greil Marcus einstmals als das ›alte, unheimliche Amerika‹ bezeichnet hat. 28 Dass auch Blumenberg die Existenz eines Mythos dieses Landes anerkennen konnte, zeigt uns ein kurzer Text aus dem Jahre 1958, dem der paradigmatische Titel »Mythos und Ethos Amerikas im Werk William Faulkners« bereits die inhaltliche Richtung wies. 29 Die damals als tief human empfundenen gesungenen Erzählungen über universale Themen, welche uns ebenfalls aus den ältesten Mythologien der Welt vertraut sind, boten nicht nur einer verunsicherten Nachkriegsgeneration das Versprechen einer authentischeren Art zu leben, sondern auch einer neuen kreativen Elite ein unvergleichliches ästhetisches Muster. Wenn sich der Rolling Stones-Gitarrist Keith Richards noch im vierten Jahrzehnt seiner Karriere in der nachgestellten Pose des Bluessängers Robert Johnson – in dem man durchaus so etwas wie den Homer des Genres erblicken darf – ablichten lässt, dann bekommt man vielleicht einen Eindruck davon, wie stark nicht nur der musikalische, sondern auch der persönliche Rückbezug auf das bedeutsame Präfigurat geblieben ist. Einen deutlicheren inhaltlichen Hinweis auf die Faszination und Anziehungskraft dieser musikalischen Mythen hat im Rückblick der Literaturnobelpreisträger Bob Dylan gegeben, als er sich 1997 in einem von ihm verfassten Begleittext für ein Sammelalbum des Sängers Greil Marcus, Invisible Republic: Bob Dylan’s Basement Tapes, New York: Henry Holt, 1997. 29 Jetzt zugänglich in: Hans Blumenberg, Schriften zur Literatur, Berlin: Suhrkamp 2017, S. 265–286. 28
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Jimmie Rodgers über dessen Lieder geäußert hat. Dort betont Dylan an Rodgers weniger das individuelle Moment seiner Leistung, sondern das Sprechen einer uralten anonymen kollektiven Stimme, welche durch seine Texte vernehmbar wird. Bedeutsam wird diese Kanalisierung durch ihren anthropologischen Hintergrund: »He gets somehow into the mystery of life and death without saying too much … Times change and don’t change. The nature of humanity has stayed the same«. 30 Überträgt man diese Aussage auf den Korpus der Bluesmusik im Ganzen, so erhält man einen Eindruck davon, welche Faszination im Ergreifen und Bearbeiten dieser bedeutsamen Musikform als Präfigurat gelegen haben muss, und vielleicht auch davon, warum dieser Vorgang eine der wirkungsmächtigsten ästhetischen Richtungen der letzten Jahrzehnte in Gang setzen konnte. Dass sich in der neuen performativen Form des Rockkonzertes auch so etwas wie ein Stück Wagner’sche Evidenzherbeizwingung verborgen hatte, mag als ein weiterer Hinweis auf die mythische Affinität dieses Vorgangs zu deuten sein. Dass wir uns noch immer im Auslauf dieses Prozesses befinden, zeigt sich vielleicht gerade am Spätwerk Bob Dylans, in welchem er das Prinzip der Collage aus präfigurierten Materialien, diesmal aber bis auf antike Vorbilder erweitert, zur neuen Kunstform erhoben hat. 31 Wenn Blumenberg damit recht hat, dass das Ergreifen von Präfiguration auch Sicherheit in Situationen von Ratlosigkeit bietet, dann hat Bob Dylan geahnt, dass in Zeiten allgemeiner kultureller Unsicherheit der Rückbezug auf mythische Muster wieder legitim werden kann. Die älteste Leistung des Mythos in Form eines Stücks Weltvertrautheit tritt so wieder in ihr angestammtes Recht ein. Das ist vielleicht auch ein Stück angewandte Phänomenologie des Mythos, auf die uns die Lektüre eines Nachlasstextes von Hans Blumenberg aufmerksam machen kann.
30 Zitiert nach: Heinrich Detering, Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele, München: Beck 2016, S. 18. 31 Siehe dazu: ebd., passim.
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Das Selbstverständliche verstehen. Zu Blumenbergs Auseinandersetzung mit Edmund Husserl
Einleitung Eins der großen Themen in Hans Blumenbergs Lebenswerk ist ohne Zweifel die Phänomenologie. In Lebenszeit und Weltzeit, vor allem aber in den postum veröffentlichten Werken Beschreibung des Menschen, Zu den Sachen und zurück, Theorie der Lebenswelt und Phänomenologische Schriften (1981–1988) 1 widmet er sich umfangreich den Studien Husserls und beleuchtet dabei sowohl inhaltliche und methodische Aspekte als auch die zwei großen Kontexte, in denen die Phänomenologie sich verorten muss: die Wissenschaft und die Lebenswelt. Dabei fächern sich vielfältige Fragen und Kritikpunkte auf: Blumenberg hinterfragt die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer ›Theorie der Lebenswelt‹ und macht auf die Probleme des phänomenologischen Anspruchs auf Voraussetzungslosigkeit und allgemeingültigen wissenschaftlichen Lehrgehalt 2 aufmerksam; er thematisiert die zahlreichen Husserlschen Selbstkorrekturen, die aus den Schwierigkeiten der phänomenologischen Selbstbeobachtung hervorgehen und der Gefahr Rechnung tragen, nicht »genau genug hingesehen« zu haben, 3 und ebenso Husserls Neigung, das phänomenologische Programm immer wieder neu einzuleiten und zu rechtfertigen; und nicht zuletzt deutet er das phänomenologische BerufsHans Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001; ders., Beschreibung des Menschen; ders., Zu den Sachen und zurück, hg. v. Manfred Sommer, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007; ders., Theorie der Lebenswelt, hg. v. Manfred Sommer, Berlin: Suhrkamp 2010; ders., Phänomenologische Schriften (1981–1988), hg. v. Nicola Zambon, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2018. 2 Husserls Phrase ›objektiv begründeter theoretischer Lehrinhalt‹ als Titel für die Gesamtheit wissenschaftlicher Erkenntnis, wie die Phänomenologie als strenge Wissenschaft sie liefern soll, zeigt die Tragweite dieses Anspruchs: Edmund Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft, in: Logos 1 (1910–11), S. 289–341, hier S. 290. 3 Vgl. Blumenberg, Zu den Sachen und zurück (wie Anm. 1), S. 70. 1
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Das Selbstverständliche verstehen
risiko an, der Destruktion des ungestörten Lebensvollzugs nicht gewachsen zu sein, die mit der phänomenologischen Arbeit einhergeht. Für Blumenbergs Untersuchungen und Kommentare zur Phänomenologie spielt der Titel ›Selbstverständlichkeit‹ eine wesentliche Rolle. Gerne zitiert er Husserls Bestimmung der Phänomenologie als »Überführung von Selbstverständlichkeiten in Verständlichkeiten«. 4 Diese Phrase beinhaltet das Begreifen des alltäglich Selbstverständlichen unter den Aspekten der Bewusstseinsanalyse ebenso wie jene Bewusstwerdung, mit der das philosophische und insbesondere phänomenologische Fragen überhaupt seinen Anfang nimmt: In der Philosophie wird erst sichtbar, dass es im anscheinend Selbstverständlichen überhaupt etwas Rätselhaftes gibt, das erst noch verstanden werden muss, ja dass lebensweltliche und wissenschaftliche Praxis geprägt sind von einem Vertrauen auf unhinterfragte Vorannahmen, die Sicherheit und Selbstbewusstsein spenden, aber kein reflektiertes Selbst- und Weltverständnis gewährleisten und einem solchen Verständnis unter Umständen sogar im Weg stehen. In meinem Beitrag möchte ich darlegen, dass Blumenbergs Betonung des Selbstverständlichen nicht nur provokante Rhetorik ist, sondern auf diese Weise die Schwierigkeiten, die die Phänomenologie mit ihrem eigenen Anspruch hat, an der Wurzel packt. Der Fokus auf die Problematik des Selbstverständlichen zeigt, wie stark nicht nur jede positive Wissenschaft, sondern vor allem die Phänomenologie in die Lebenswelt eingebettet ist – und dass sie unter allen Wissenschaften diejenige ist, die durch ihren Anspruch auf weitestmögliche Voraussetzungslosigkeit und Transparenz in ihrer Forschungspraxis der Lebenswelt am meisten verhaftet bleibt. Denn die Problematik der Selbstverständlichkeit bringt dabei besondere methodische und existenzielle Herausforderungen mit sich, denen sich ›objektive‹ Wissenschaften in dieser Form nicht stellen müssen. Sie durchzieht, wie Blumenberg zeigt, die Phänomenologie inhaltlich wie methodisch; 5 Vgl. Blumenberg, Zu den Sachen und zurück (wie Anm. 1), S. 30; derselbe, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 107; Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, Husserliana 6, hg. v. Walter Biemel, Haag: Nijhoff 1954, S. 183 f.: »Von vornherein lebt der Phänomenologe in der Paradoxie, das Selbstverständliche als fraglich, als rätselhaft ansehen zu müssen und hinfort kein anderes wissenschaftliches Thema haben zu können als dieses: die universale Selbstverständlichkeit des Seins der Welt […] in eine Verständlichkeit zu verwandeln.« 5 Vgl. Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 106: In Blumenbergs 4
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Martina Philippi
darüber hinaus wirft sie Fragen auf, die bei Husserl nicht zureichend bearbeitet werden. Insbesondere vor deren Hintergrund gilt es außerdem zu zeigen, welche Anforderungen Blumenbergs immer wieder durchbrechende Husserl-Kritik an einen kritischen Rezipienten stellt und wie man diesen Anforderungen durch eine Systematisierung der Kritikpunkte begegnen kann.
Phänomenologie als Wissenschaft vom Selbstverständlichen Was ist Phänomenologie in Husserls Sinne? Und was hat sie mit Selbstverständlichkeit zu tun? Mögliche Antworten benennen, je nach persönlichem Interesse des Antwortenden, unterschiedliche Aspekte des Projekts: Phänomenologie ist die Wissenschaft von den Phänomenen; Phänomenologie ist Bewusstseinsanalyse; Phänomenologie ist Wissenschaftskritik; Phänomenologie ist aber auch die Wissenschaft von der Lebenswelt, der Sphäre der Bedeutsamkeit und des alltäglich Selbstverständlichen. Der Grundgedanke der Phänomenologie Husserls und seiner Nachfolger besagt, dass die Dinge immer Dinge für uns sind, gegeben in unserer Wahrnehmung, also Phänomene. Die Gegenstände unserer Wahrnehmung erscheinen uns, daher können wir sinnvoll nur von diesen Erscheinungen sprechen, nicht etwa von ›Dingen an sich‹. Damit geht einher, dass diese Gegenstände immer im Kontext von Welt erscheinen, die wiederum von uns konstituiert wird. Phänomenologie als Bewusstseinsanalyse fragt sowohl nach der Seinsweise dieser Phänomene, als auch nach den Bewusstseinsakten, die an der Wahrnehmung, dem Urteilen, der Konstitution von Welt und sogar dem Entwickeln von Gewohnheiten beteiligt sind. Insbesondere die späte Phänomenologie ist außerdem Wissenschaftskritik, genauer: eine Kritik der prosperierenden Wissenschaften, die ihre »Lebensbedeutsamkeit« und die philosophisch zentralen Fragen nach Sinn und Verantwortung aus den Augen verloren haben – so Husserl in der Krisisschrift. 6 Dort kritisiert er ein Husserl-Lesart ist Selbstverständlichkeit »einerseits die Signatur aller phänomenologischen Gegenstände, andererseits die Auszeichnung eines von ihr entdeckten und daher ihr schlechthin adäquaten besonderen Gegenstandsfeldes«. 6 Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 3 f. Aspekte der Werkentwicklung, etwa der Übergang von statischer zu genetischer Phänomenologie, müssen hier vernachlässigt werden. Siehe hierzu Sebastian Luft / Maren Wehrle (Hrsgg.), Husserl-Handbuch, Stuttgart: Metzler 2017.
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Das Selbstverständliche verstehen
fehlgeleitetes wissenschaftliches Selbstverständnis, das die Lebenswelt mit dem »Ideenkleid« verwechselt, welches die Wissenschaften ihr zugemessen haben. 7 Die nicht-phänomenologische Wissenschaft präsupponiert die sogenannte »Generalthesis der natürlichen Einstellung«; 8 das bedeutet, sie geht stillschweigend davon aus, dass die Gegenstände unserer Wahrnehmung und sogar ›die Welt‹ so existieren, wie sie uns erscheinen. Die Phänomenologie bestreitet das nicht – sie ist weder Skeptizismus noch Solipsismus –, aber sie macht darauf aufmerksam, dass die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis nicht geklärt ist. Diese kantische Formel thematisiert, wie der Geist etwas erkennen kann, was ihm nicht immanent, sondern transzendent ist – daher spricht Husserl von transzendentaler Phänomenologie. Positive Wissenschaft muss sich diese Frage nicht stellen, um Ergebnisse verzeichnen zu können, doch die Frage ist relevant, um diese Ergebnisse und die wissenschaftliche Praxis unter Aspekten wie »Lebensbedeutsamkeit«, Historizität und Verantwortung einschätzen zu können. Die erste Herausforderung für den Phänomenologen besteht nun darin, selbst den Blick auf ›die Sachen‹ freizubekommen von lebensweltlichen und wissenschaftlichen Vorurteilen, also vom pragmatischen Blick des Alltags und vorschnellen Modellierungen mit Berufung auf positivwissenschaftliche Erkenntnis. Hierfür setzt Husserl das Instrument der Epoché ein. Es ist jedem Husserl-Kenner vertraut: Im Rahmen der phänomenologischen Reduktion findet eine »Einklammerung« 9 statt; eingeklammert wird die Geltung von allem, was wir üblicherweise unhinterfragt annehmen. Der Inhalt dieser Annahmen wird nicht negiert – die Phänomenologie ist wie gesagt weder Skeptizismus noch Solipsismus –, sondern als etwas, das üblicherweise unhinterfragt gilt, schlicht zur Kenntnis genommen. Dieser Schritt markiert den Übergang von der natürlichen zur phänomenologischen Einstellung. 10 Husserl untergräbt auf diese Weise die traditionelle Unterscheidung von wissenschaftlich gerechtfertigtem episteme-Wissen und nur praktisch bewährtem doxa-Wissen: Auch
Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 51 f. Vgl. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, Husserliana 3–1, hg. v. Karl Schuhmann, Den Haag: Nijhoff 1976, S. 60 f. 9 Husserl, Ideen (wie Anm. 8), S. 61–64. 10 Vgl. ebd., S. 107. 7 8
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alle nicht-phänomenologischen Wissenschaften bewegen sich in der ›naiven‹ natürlichen Einstellung, die sich selbst nicht durchsichtig ist. Die zweite – und möglicherweise größere – Herausforderung besteht deswegen darin, die phänomenologischen Themen für diejenigen überhaupt erst sichtbar zu machen, die sie noch gar nicht bemerkt haben und daher auch nicht als problematisch ansehen. Zu dieser Herausforderung gehört, den (Noch-)Nicht-Phänomenologen für die phänomenologischen Kernprobleme und die Notwendigkeit eines Einstellungswechsels zu sensibilisieren. Ein grundsätzliches Problem dessen, was Husserl das (vermeintlich) Selbstverständliche nennt, ist die Verbindung von Verborgenheit und Verstellung; dort prallen die Eigenheiten des Selbstverständlichen als praktisches Erfordernis einerseits und erkenntnistheoretisches Hindernis andererseits zusammen. Um ein Beispiel zu geben: Im Kontext des positivwissenschaftlichen Forschens ist »die universale Selbstverständlichkeit des Seins der Welt«, die für den Phänomenologen »das größte aller Rätsel« darstellt, 11 unverzichtbar, würde die Wissenschaft doch keinen Schritt vorankommen, wenn sie die Klärung erkenntnistheoretischer Grundlagenfragen ihren eigentlichen Forschungsinteressen voranstellte. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Annahme nicht außerhalb dieses Kontextes fragwürdig und klärungsbedürftig ist; der große Irrtum des Alltagsdenkens und ebenso der positiven Wissenschaften liegt mit anderen Worten darin, kontextuell Fragloses als absolut Fragloses zu betrachten. Das bedeutet, dass man für fraglos hält, was man faktisch nie hinterfragt; das Hinterfragen verbietet sich förmlich, weil ja schon alles klar ist. 12 Da dieser Vorgang selbst unbewusst ist, es für ihn also kein Problembewusstsein gibt, kommt es zum Phänomen der Verdeckung von Problemen. Heidegger hat die hartnäckige Verborgenheit, ja die Selbst-Immunisierung des scheinbar Selbstverständlichen für das lebensweltliche und sogar wissenschaftliche Denken dargestellt, allerdings zu Ungunsten der positiven, d. h. praktisch und existenziell unverzicht-
Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 184. Wolfgang Blankenburg hat diese seltsame normative Komponente des Frageverbots ausführlich beschrieben: ders., Der Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit. Zur Psychopathologie symptomarmer Schizophrenien, Berlin: Parodos 2012, S. 93–97. Vgl. auch Martina Philippi, Der ›Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit‹ in Phänomenologie und Psychopathologie, InterCultural Philosophy 1 (2018), S. 58–82.
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baren Aspekte lebensweltlicher Selbstverständlichkeit. 13 In Sein und Zeit benennt er als Phänomene, die zur Herausbildung von Selbstverständlichkeit(en) führen, das ›Man-selbst‹, das ›Gerede‹, die ›Neugier‹ und die ›Zweideutigkeit‹. 14 Heidegger wertet dabei die Sicherheit, die durch das Ausblenden ›philosophischer‹ Fragen im Alltag gegeben ist, als Ignoranz und ›Uneigentlichkeit‹ ab. 15 Eine solche »Dämonisierung des Vordergründigen« 16 findet bei Husserl nicht statt. Husserl stellt die Eigendynamik des Selbstverständlichen weitgehend implizit dar, so in der historischen Skizze der Wissenschaftsentwicklung nach Galilei im § 9 der Krisisschrift; der Verweis auf die praktische Notwendigkeit von Selbstverständlichkeit, in dem ihre Ambivalenz wurzelt, 17 beschränkt sich auf die Notwendigkeit innerhalb der positivwissenschaftlichen Forschungspraxis. 18 Husserl thematisiert das Problem der Verstellung weniger inhaltlich (als Phänomen) als programmatisch (als Hindernis, das die Methode zu überwinden hat). Er weist darauf hin, dass die unreflektierte Annahme der Objektivität des Wahrgenommenen gerade den Blick auf das Wesen dieser Gegenstände verstellt, nämlich als Phänomene unserer Wahrnehmung, eingebettet in den Horizont der vom Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer 192006, S. 167–175; vgl. auch Martina Philippi, Die Sprache der Selbstverständlichkeit und die Grenzen der Theorie. Das Schweigen in der phänomenologischen Methode, in: Sandra Markewitz (Hrsg.), Jenseits des beredten Schweigens. Neue Perspektiven auf den sprachlosen Augenblick, Bielefeld: Aisthesis 2013, S. 121–149. 14 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit (wie Anm. 13), S. 126–130 und 167–175; Martina Philippi, Phänomenologie als methodische Kritik von Selbstverständlichkeit, in: Tobias Keiling (Hg.), Heideggers Marburger Zeit. Themen, Argumente, Konstellationen, Reihe Heidegger Forum, Frankfurt/M.: Klostermann 2013. 15 Vgl. zur pejorativen Darstellung des Alltäglichen bei Heidegger Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 106 f. 16 Ebd., S. 107. 17 Vgl. Philippi, Die Sprache der Selbstverständlichkeit (wie Anm. 13), S. 147 f. 18 Hier schließt Blumenberg mit existenziellen Fragen an: Vgl. Blumenberg, Zu den Sachen und zurück (wie Anm. 1), S. 304. Husserl thematisiert jedoch auch nicht die praktische bzw. lebensweltliche Notwendigkeit von Selbstverständlichkeit, die etwa beim Psychopathologen Wolfgang Blankenburg im Vordergrund steht. Dieser wendet Husserls Analysen des Denkens in der natürlichen Einstellung auf die Psychopathologien sogenannter symptomarmer Schizophrenien an – d. h. solchen, die keine Wahnsymptome, aber eine ›Grundstörung‹ aufweisen, eine bestimmte Art existenzieller Unsicherheit. Diese Grundstörung muss ein ›gesundes‹ Pendant haben, nämlich die ›natürliche Selbstverständlichkeit‹, die uns in der Regel vor dem Abgleiten in existenzielle Zweifel oder unangemessenes zwischenmenschliches Misstrauen bewahrt. Vgl. Blankenburg, Verlust (wie Anm. 12). 13
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Bewusstsein subjektiv und intersubjektiv konstituierten Welt. Der phänomenologische Schlachtruf Zu den Sachen! bedeutet daher vor allem, den Modellcharakter wissenschaftlich-objektiver Erkenntnis zu berücksichtigen und die Gegenstände der Wahrnehmung vorurteilsfrei zu betrachten, das heißt frei von den Vorannahmen der natürlichen Einstellung, in der wissenschaftliche Forschung und Alltagsdenken stattfinden. Dazu bedarf es eines bewussten Entschlusses, diese Vorurteile für eine bestimmte Zeit methodisch außer Geltung zu setzen. Phänomenologie steht vor der Herausforderung, Möglichkeiten zu entwickeln, das vermeintlich Selbstverständliche in seiner eigentlichen Rätselhaftigkeit aufzuspüren, aufzudecken und zur Sprache zu bringen. Bevor der Phänomenologe sich der Aufgabe widmen kann, Selbstverständlichkeiten in Verständlichkeiten zu überführen, also das Selbstverständliche systematisch verständlich zu machen, gilt es, dieses seiner Natur nach Unauffällige überhaupt erst zu sehen und dann einen systematischen Zugang zu ihm zu finden. Im zweiten Band der Ersten Philosophie beklagt Husserl die phänomenologischen Kernprobleme als von der positiven Wissenschaft »ungesehen, untheoretisiert, unverstanden«. 19 Umgekehrt repräsentiert die Trias aus Sehen, Theoretisieren und Verstehen das phänomenologische Programm sehr gut. Phänomenologie kann als ein Aufklärungsprojekt im zweifachen Sinne verstanden werden: als Aufklärung sowohl von seit Jahrhunderten ungeklärten wichtigen Fragen als auch darüber, dass es notwendig ist, diese Fragen zu bemerken, als wissenschaftlich und philosophisch relevant anzuerkennen und sie systematisch in Angriff zu nehmen. Das phänomenologische Fragen nach Selbstverständlichkeit kreist um die eingangs erwähnte Grundannahme, dass die Dinge immer Dinge für uns, dass Welt immer Welt für uns ist; dass unser Bewusstsein in der Lage ist, Bedeutsamkeit zu erzeugen und umgekehrt jeder vermeintliche Verzicht auf Bedeutsamkeit im Rahmen objektivistischer Forschung zu oberflächlichen Abstraktionen führt. Seinen großen Auftritt hat der Titel ›Selbstverständlichkeit‹ in Husserls Krisisschrift, wo von den Denkvoraussetzungen der tradiVgl. Edmund Husserl, Erste Philosophie (1923/24). Zweiter Teil. Theorie der phänomenologischen Reduktion, Husserliana 8, hg. v. Rudolf Boehm, Haag: Nijhoff 1959, S. 27: »Jede positive Wissenschaft ist danach von einer abstrakten Einseitigkeit, dadurch daß in ihr das transzendentale Leben und Leisten des erfahrenden, denkenden, forschenden und begründenden Bewußtseins anonym bleibt, ungesehen, untheoretisiert, unverstanden.«
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tionellen Wissenschaften sowie dem ›Geradedahinleben‹ des Alltags als den ›selbstverständlichsten Selbstverständlichkeiten‹ die Rede ist. 20 Doch schon vor der Betonung des Titels ›Selbstverständlichkeit‹ durchzieht die Problematik bereits die früheren Schriften, etwa im Kontext der bereits erwähnten ›Generalthesis der natürlichen Einstellung‹ oder allgemein der unhinterfragten Denkgewohnheiten des Alltags und der traditionellen Wissenschaften. Dabei ist es keine triviale Aufgabe, systematisch über Selbstverständlichkeit zu sprechen. Die direkte Frage ›Was ist eine Selbstverständlichkeit?‹ führt eher in die Irre als zum Erfolg, insofern es mit Beispielen für konkrete Selbstverständlichkeiten nicht getan ist; um zum Wesen dieses Phänomens vorzudringen, muss zunächst, um einen Terminus Husserls zu verwenden, über Geltungsmodi gesprochen werden. Husserls Trennung von Geltungsinhalt und Geltungsvollzug 21 ermöglicht ein logisch fundiertes Verständnis von Präsuppositionen: Wie bereits erwähnt, werden im Zuge der Epoché, der phänomenologischen Urteilsenthaltung, Geltungsinhalte eingeklammert, also lediglich zur Kenntnis genommen, ihr Geltungsanspruch aber außer Kraft gesetzt; die Geltungsinhalte bleiben als Fakta der Wahrnehmung im Fokus, doch es findet kein Vollzug ihrer Geltung statt. So wird klar, warum erst durch die Trennung von Geltungsinhalt und Geltungsvollzug in der phänomenologischen Einstellung Selbstverständlichkeiten als solche thematisiert und verhandelt werden können: In der natürlichen Einstellung ist eine problematisierte Selbstverständlichkeit einfach keine Selbstverständlichkeit mehr, in der phänomenologischen hingegen kann untersucht werden, dass uns etwas als selbstverständlich gilt und wie diese Geltung zustande kommt und Bestand hat. 22 Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 112: »Natürlich, das sind die selbstverständlichsten Selbstverständlichkeiten. Muß man über dergleichen, und so umständlich, sprechen? Im Leben gewiß nicht. Aber auch nicht als Philosoph? Eröffnet sich hier nicht ein Reich, ja ein unendliches Reich immer bereiter und verfügbarer, aber nie befragter Seinsgeltungen, und sind es nicht beständige Voraussetzungen des wissenschaftlichen und zuhöchst des philosophischen Denkens? Aber nicht, als ob es sich darum handeln würde und je könnte, diese Seinsgeltungen in ihrer objektiven Wahrheit auszuwerten.« 21 Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 151–154; Edmund Husserl, Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik, hg. v. Ludwig Landgrebe, Hamburg: Meiner 1999, S. 93–112. 22 ›Selbstverständlichkeit‹ selbst stellt eine Art zweistufige Modalität dar, nämlich die von nur vermeintlicher Gewissheit. Die Modalität der Gewissheit in einem nachprüf20
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Husserls Phänomenologie stellt Methoden für die Analyse dieser Geltungen in unserem Bewusstsein und unserer intersubjektiv konstituierten Welt bereit und ermöglicht so – mithilfe von Begriffen wie Horizont, Habitualisierung, Sedimentierung, Gewohnheit – auch eine Genealogie von Selbstverständlichkeit. Damit ist eine Denksphäre geschaffen, in der thematisiert werden kann, was sonst verdeckt bleibt, ohne der Sache nach problematisiert zu werden: Der Bestand der Wissenschaften kann thematisiert werden, ohne einzelne Ergebnisse in Frage zu stellen; und erstmals kann auch das alltägliche Leben, das der Wissenschaft vorangeht, unvoreingenommen betrachtet werden. Die phänomenologische Bewusstseinsanalyse teilt sich daher in zwei Projekte, denen die Methode gemeinsam ist und die bei Husserl eigentümlich verwoben sind, zeitweise zusammenzufallen, zeitweise zu divergieren scheinen und in deren Zentrum die Problematik des Selbstverständlichen steht: Zum einen Bewusstseinsanalyse in der Gestalt einer radikalen Erkenntnistheorie, die historische Wissenschaftstheorie in Ansätzen beinhaltet, aber darüber hinausgeht; hier geht es um die Aufdeckung, Erschließung und eben »Überführung von Selbstverständlichkeiten in Verständlichkeiten«, also in apodiktisch gerechtfertigte, evidente Wahrheiten. Zum anderen beinhaltet die Spezialisierung der Phänomenologie auf jene Bewusstseinsleistungen, die den Alltag prägen, vermeintliche Selbstverständlichkeit und ihre Genese auch als Thema. Dieser Verschränkung entspricht die Verwobenheit von Wissenschaft und Alltagswelt, die traditionell und missverständlich als getrennte Sphären gelten. Diese Trennung hebt Husserl auf und begründet daraus in der Krisisschrift den Bedarf an einer »Wissenschaft von der Lebenswelt«. 23 Wissenschaft im Sinne der Einzeldisziplinen ist blind für die »unbedenkliche Naivität des Lebens« 24, da sie ja auf regionale Ontologien abzielt und nicht auf die Totalität, in der lebensweltliche Struk-
baren, objektiven Sinne von wahr, falsch etc. ist in diesem Modus vermeintlicher Gewissheit noch nicht entschieden (vgl. Husserl, Erfahrung und Urteil, wie Anm. 21, S. 105–108). Damit im Einklang, spricht Blumenberg von Prämodalität: »Was ich die tendenzielle Bestandsträgheit der Lebenswelt genannt habe und in anderem Zusammenhang ihre Prämodalität nenne, ist von Husserl immer wieder mit dem Ausdruck Selbstverständlichkeit belegt worden.« Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 105 f. 23 Vgl. Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 126–138. 24 Ebd., S. 135.
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turen erst deutbar und begreiflich werden. Aus diesem Grund bleiben diese Strukturen sowohl den positiven Wissenschaften verborgen, als auch der Lebenswelt selbst: Nicht umsonst tragen die Grundlagen der Praxis den Titel ›Selbstverständlichkeiten‹, gelten also als dasjenige, ›was sich von selbst versteht‹, was keiner Nachfrage bedarf. Die geforderte »Wissenschaft von der Lebenswelt« stellt einen Angriff auf die Selbstverständlichkeit der lebensweltlichen und wissenschaftlichen Denkgewohnheiten dar. 25 Den Bedarf an einer ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹ gibt es dabei nur in der Phänomenologie und weder auf der einen, noch auf der anderen Seite der beliebten Dichotomie von (traditioneller) Wissenschaft und Lebenswelt. Dass man eine solche Wissenschaft innerhalb der Lebenswelt nicht braucht, stellt Blumenberg in Lebenszeit und Weltzeit plausibel fest. 26 Innerhalb der Wissenschaft braucht man sie, wie gesagt, auch nicht, denn dort genügen die Beobachtungen, die man aus ihr gezogen hat und zieht; die Reflexion über die Lebenswelt kann ohnehin keine im traditionellen Sinne objektive Wissenschaft leisten, erstens, weil die Lebenswelt eine Totalität darstellt und somit unzugänglich ist für die Einzelwissenschaften, und zweitens, weil das ›Subjektiv-Relative‹, das die Lebenswelt ausmacht, aus Sicht der ›objektiven‹ Wissenschaft den minderwertigen Status des doxa-Wissens innehat. 27 Erst vor dem radikalen erkenntnistheoretischen Anspruch, die Ergebnisse der Wissenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung für die forschende Menschheit zu verstehen, erklärt sich der ›Verlust der Lebensbedeutsamkeit‹, der in jener von Husserl diagnostizierten Krisis der Wissenschaften spürbar wird. Dieser geht einher mit »rätselhaften, unauflöslichen Unverständlichkeiten der modernen, selbst der mathematischen Wissenschaften« und steht in Verbindung mit dem »Auftauchen einer Art von ›Welträtseln‹, die den früheren Zeiten fremd waren« und »auf das Rätsel der Subjektivität zurück[führen]«. 28 Diesem Rätsel war die Wissenschaft bislang nur in Form der Psychologie begegnet
Vgl. Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 126–138. »Die Lebenswelttheorie dient, so ruppig sich dies ausnehmen mag, nicht dem Verständnis der Lebenswelt. Ihre Definition schließt das aus: Sie ist es, die sich von selbst versteht. Sie bedarf keiner Nachhilfen und gibt keine. Sie ist nichts für eine Avantgarde der Bewußtseinsbildung.« Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit (wie Anm. 1), S. 22. 27 Vgl. Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 127 f. 28 Ebd., S. 3. 25 26
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– und dies aus einer eingeschränkten Perspektive mit unzureichend gerechtfertigten Voraussetzungen. 29 Soviel zur programmatischen Einführung dieser phänomenologischen Unterdisziplin. Der Status der ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹ ist bei Husserl schwer zu bestimmen: Ist sie eine Neuformulierung der Phänomenologie im Spätwerk? Ist sie bei Husserl im Wesentlichen ein Desiderat geblieben, das nur formal eine erkenntnistheoretische Leerstelle besetzt, den Titel ›Lebenswelt‹ also vorrangig zur Abgrenzung gegen die dogmatischen objektiven Wissenschaften verwendet? Oder kann Husserls Vision einer nicht nur an der Tatsache ihres Bestandes orientierten, sondern inhaltlich auf sie konzentrierten Wissenschaft tatsächlich als Forschungsprojekt im positiven Sinne realisiert werden? In der Krisisschrift wird die ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹ programmatisch gefordert, nicht in Angriff genommen; und obwohl Husserl mit der Epoché auch die Analyse lebensweltlicher Einzelphänomene vorbereitet hat, wendet er sich solchen fast ausschließlich und gleichsam experimentell in Vorlesungen und Forschungsmanuskripten zu. Sie erfahren dort trotz ihrer Brisanz und ihrer thematischen Vielfalt noch keine systematische Darstellung, die etwa mit den Analysen des inneren Zeitbewusstseins 30 oder denen der Wahrnehmungsmodalitäten in Erfahrung und Urteil 31 vergleichbar wären. In diesen programmatischen Hauptwerken dienen lebensweltliche – im Sinne von alltäglichen – Erfahrungen lediglich als Beispiele für ›reine‹ Bewusstseinsphänomene, Erfahrungen, die wesensmäßig zum Bewusstsein gehören, aber eben nicht zu einer Lebenswelt, in der es neben den Erlebnissen reiner Intentionalität auch Phänomene höherer Bewusstseinsstufen gibt, Kulturleistungen, individuelle Ausprägungen von Welten, Vertrautheit, Heimwelt oder die Auseinandersetzung mit Anomalität. 32
Ebd., S. 206 f. Edmund Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917), Husserliana 19, hg. v. Rudolf Boehm, Haag: Nijhoff 1969. 31 Dort dient das bekannte Beispiel mit der irrtümlich für einen Menschen gehaltenen Puppe als Veranschaulichung: Husserl, Erfahrung und Urteil (wie Anm. 21), S. 99– 101. Das geht nicht über einen situativen Ausschnitt aus der lebensweltlichen Erfahrung hinaus. 32 Vgl. die Skizzen hierzu in Edmund Husserl, Die Lebenswelt. Auslegungen der vorgegebenen Welt und ihrer Konstitution. Texte aus dem Nachlass (1916–1937), Husserliana 39, hg. v. Rochus Sowa, Dordrecht: Springer 2008. 29 30
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Herausforderungen von Blumenbergs Husserl-Kritik Für Blumenberg schließlich ist die ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹ der Ort, wo Theorie und Lebenswelt mit ihren unterschiedlichen Einstellungen, Ansprüchen und praktischen Erfordernissen aufeinanderprallen; und gerade dieser Themenbereich ist es, der ihn so intensiv beschäftigt hat, dass Phänomenologie im Zentrum eines Großteils seiner Produktion steht und in Spuren auch Texte zu anderen Themenkomplexen wie Mythos und Metapher durchzieht. Um die Bedeutung dieses Spannungsfeldes sichtbar zu machen, gilt es zunächst einige Bemerkungen zur Besonderheit seines Umgangs mit dem Husserlschen Erbe anzuführen. Der wissenschaftliche Umgang mit Blumenbergs bisher publizierten Nachlasstexten zur Phänomenologie ist aus verschiedenen Gründen schwierig, und eine gewisse Immunisierung durch seine brillante Rhetorik, die man den Texten in ihrem apodiktischen Duktus nicht absprechen kann, 33 ist davon noch der einfachste. In diesen Texten findet eine Abtastung der faktisch realisierten und konsequent weitergedachten Phänomenologie 34 in verschiedensten Details unter Heranziehung unterschiedlichster Quellen statt, die nicht immer in direktem Bezug zur Phänomenologie stehen, aber dem Denken über lebensweltliche Totalität neue Facetten hinzufügen. Dabei spricht aus ihnen ein durchgängiges Misstrauen gegen Husserls Vision einer umfassenden und alles explizierenden Wissenschaft, die Blumenbergs Grundüberzeugungen zuwiderläuft, 35 darunter die Historizität Sichtbar an bestimmten Formeln – ein auch von Blumenberg verwendeter Ausdruck (vgl. Blumenberg, Theorie der Lebenswelt, wie Anm. 1, S. 80) –, die ebenso dicht wie zur Interpretation einladend sind: »Lebenswelt als ein Reservat von Ungenauigkeit« (ebd., S. 13), als eine »Sphäre von Unverlegenheit«, als »ein System der Verteidigungsfähigkeit ihrer Selbstverständlichkeit« (ebd., S. 82). 34 Vgl. ebd., S. 119: »Es mag sein, daß ich die Motive Husserls für seinen Weg zur Thematik der Lebenswelt nicht erschöpfend genannt und umrissen habe. Ich möchte aber diesen Katalog nicht schließen, ohne auf zwei Motivationen hinzuweisen, von denen ich nicht sicher bin, ob sie für Husserl bestimmende Bedeutung hatten, von denen ich aber behaupten möchte, daß sie Bedeutung hätten haben müssen. Es ist also der Versuch, die Konsequenzen der Phänomenologie als durch Husserls faktischen Lebensgang noch nicht ausgeschöpfte wenigstens anzudeuten.« 35 Und weitere grundsätzliche Vorbehalte gegenüber Husserl, etwa bezüglich seines Darstellungsgeschicks: »einem eher unbeholfenen und weithin glücklosen Begriffsbildner« (Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, wie Anm. 1, S. 10), »sprachlichen Schwäche ihres Urhebers« (ders., Theorie der Lebenswelt, wie Anm. 1, S. 227). 33
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nicht nur des Menschen, sondern auch der Wissenschaft, das historische Faktum der Überwindung einer vorprädikativ geprägten Biologie durch ein sich entwickelndes Bewusstsein und dessen Bedarf an Kulturleistungen und ›nachbiologischen Umwelt-Surrogaten‹ 36 sowie die Beschränkungen des menschlichen Bewusstseins (etwa hinsichtlich seiner Aufmerksamkeitsspanne und der Fähigkeit, Abwesendes zu vergegenwärtigen) 37 und die Ungefügigkeit sprachlicher Darstellung. Man kann sagen: Blumenberg und Husserl stoßen in den Punkten zusammen, die ihnen jeweils evident scheinen. Husserl setzt die Notwendigkeit und Möglichkeit einer neuen radikalen Erkenntnistheorie, die durch die Gewinnung wahrer Sätze aus reiner Anschauung in überzeitlicher und universaler Gültigkeit bestehen soll, mit dem Anspruch an hohe wissenschaftliche Strenge als grundlegende Evidenz in einen riesigen Theoriekomplex ein, der universelle Gültigkeit beansprucht, nämlich die Phänomenologie; 38 Blumenberg meldet auf der Basis seiner Überzeugungen Zweifel an, ob das alles so möglich ist, wie Husserl es sich vorstellt. Dazu zählt die Frage, ob etwa reine Anschauung zwischen Subjekten transferierbar ist, ob Sprache diesen Transfer leisten kann und ob die menschliche Aufmerksamkeitskapazität den Anforderungen an das phänomenologische ›reine Bewusstsein‹, also das ausführende Subjekt der Epoché, 39 gewachsen ist. 40 Blumenbergs Zweifel am phänomenologischen Fundament – das Gelingen der Epoché, die Eignung der Sprache, die Möglichkeit des ›reinen Bewusstseins‹ – wirken dabei schon intuitiv plausibel. Das Ziel reiner Anschauung ist schließlich extrem hoch gesteckt; jeder, der schreibt, weiß, wie Texte sich zuweilen sträuben, das Intendierte wiederzugeben, und Ambivalenz und Eigendynamik entwickeln; und das ›reine Bewusstsein‹ hat keine Superkräfte: In seiner Haut steckt noch immer das vormals mundane Subjekt, nur – die
Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 15. Vgl. Blumenberg, Zu den Sachen und zurück (wie Anm. 1), S. 111 und 182–206. 38 Ebd., S. 119: »Husserls programmatische Erwartung der ›Philosophie als strenger Wissenschaft‹ war gewesen, es könne im Durchgang der Begrifflichkeit durch die Anschaulichkeit wiederum zur Begrifflichkeit diese kritisch reduziert und zureichend fundiert endgültig in theoretischen Gebrauch genommen werden. Darauf beruht die heimliche Zusatzannahme, die Arbeit des Phänomenologen ließe sich doch ein für allemal und als die des einen für alle leisten.« 39 Vgl. Husserl, Ideen (wie Anm. 8), S. 68. 40 Vgl. vor allem Blumenberg, Zu den Sachen und zurück (wie Anm. 1). 36 37
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Wirksamkeit der Methode vorausgesetzt – ohne die Naivität der natürlichen Einstellung. Doch die Diskussion dieser gewagten, wenngleich nicht abwegigen Hypothesen zur Kritik an Husserl ist schwierig. Der häufig unverbindlich-essayistische Duktus der Texte des Viellesers und Kommentators Blumenberg ist sicherlich ein Grund für die Eleganz und Attraktivität seiner Texte, erschwert jedoch die kritische Rezeption. Die Texte haben eine Sonderstellung zwischen den in den Geisteswissenschaften üblichen Formen Primär- und Sekundärliteratur inne. Blumenberg schreibt entlang der Husserlschen Texte, aber freilich – abgesehen von den Qualifikationsarbeiten – ohne akademische Sekundärliteratur zu liefern mit ihrem Anspruch an möglichst leichte argumentative und philologische Nachvollziehbarkeit und an Einordnung von Kritikpunkten in bestehende Diskurse. 41 Seine Texte setzen sich so intensiv mit einem fremden Denken auseinander, dass die Theoriestücke, die er dabei vorlegt, eine kaum zu überblickende Komplexität erhalten. Seine Kritikpunkte sind nicht alle neu; bereits Dilthey kritisierte Husserls Einschätzung der Leistungsfähigkeit natürlicher Sprache, Heidegger den Einsatz der phänomenologischen Reduktion. Doch im Gegensatz zur traditionellen Kritik an Husserl, die meist aus nur einer Richtung kommt, nur eine bestimmte fundamentale Voraussetzung angreift, ist es hier eine ganze Konzeption vom Menschen und seiner erkenntnistheoretischen Reichweite, aus der Blumenberg die einzelnen Kritikpunkte schöpft und zu Folgerungen zusammenschließt, die das Gelingen des phänomenologischen Programms in Frage stellen. Seine Form von Theorie ist Metatheorie am Beispiel Husserls, seine Arbeit an der Phänomenologie gleichzeitig eine Arbeit an einer Anthropologie, speziell am Phänomen des menschlichen Theoretisierens und an der Einschätzung der Grenzen des menschlichen Verstandes, und das gleichsam parallel zu Husserl. Blumenberg selbst bekleidet dabei das Amt eines Chronisten und Blumenbergs akademisch-diskursive Auseinandersetzung mit Heidegger und Husserl liegt in Gestalt seiner bislang unpublizierten Qualifikationsschriften im DLA Marbach: Die Dissertation »Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie«, 1947, sowie »Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls«, 1950, beide eingereicht in Kiel bei Ludwig Landgrebe. Zu einer Analyse von Blumenbergs Husserl- und Heidegger-Rezeption vor dem Hintergrund dieser Schriften vgl. Kurt Flasch, Hans Blumenberg. Philosoph in Deutschland: Die Jahre 1945 bis 1966, Frankfurt/M.: Klostermann 2017.
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Kommentators von Husserls Arbeit und Arbeiten. 42 Seine Kritik an Husserl ist in höchstem Maße anregend und zugleich als Autorität im geisteswissenschaftlichen Zitieralltag wenig brauchbar: Soll es als systematische Kritik an der Phänomenologie fruchtbar gemacht werden, müssen die einzelnen Aspekte sorgfältig rekonstruiert und argumentativ aufbereitet werden. Was dabei verloren geht, ist freilich enorm. Gerade Blumenbergs Gedanken gehen allenfalls zu einem Bruchteil in einem transportablen ›Lehrgehalt‹ auf, in einer Zusammenfassung des Lebenswerkes eines Theoretikers, wie sie in Philosophiegeschichten angeboten werden. Sein Werk ist mehr als Theorie, denn es gibt keinen Bruch zwischen verschiedenen Darstellungsformen; Blumenberg ist kein Theoretiker, der nebenbei auch Glossen schreibt. Er erträgt im Arbeiten den Widerspruch zwischen der Einsicht in Unbegrifflichkeit und begriffliche Unbestimmtheit und dem schier unermüdlichen Drang, Gedanken zu artikulieren, also zu theoretisieren. Seine Arbeit an der Theorie trägt daher demonstrative, performative Züge. 43 Die im Band Theorie der Lebenswelt abgedruckten Manuskripte können als Exempel dienen: In Texten wie »Leben« – ein unbestimmter Begriff oder Konstruktive Beschreibung des Uneinsehbaren zeichnen sich philologisch und wissenschafts- wie literaturhistorisch gestützte Reflexionen zu den zahlreichen wechselseitigen Bezügen zwischen Theorie und Lebenswelt ab, auch experimenteller und spekulativer, aber nie banaler Art, und so dokumentiert Blumenberg ein schreibendes Nachdenken über seine Lebensthemen: Theorie und Darstellung, menschliches Theoretisieren allgemein und am Beispiel des historischen Phänomens der Phänomenologie. Dennoch bieten die Editionen dieser Textkonvolute nicht nur einen erhellenden und häufig originellen Einblick in Blumenbergs Arbeit, sondern darüber hinaus für die Husserl-Forschung eine erfrischende Fundgrube an möglichen Kritikpunkten, deren besonderer Reiz gerade in Blumenbergs speziellem Zugang sowohl zu den Details Vgl. Martina Philippi, Phänomenologische Beschreibung der Phänomenologie? Blumenbergs Perspektivenwechsel, in: Michael Heidgen, Matthias Koch, Christian Köhler (Hrsgg.), Permanentes Provisorium. Hans Blumenbergs Umwege, Paderborn: Fink 2015, S. 173–188. 43 Vgl. Martina Philippi, Ein Spiel mit Selbstverständlichkeit(en). Formal-inhaltliche Übergänge in Blumenbergs philosophischen Miniaturen, in: Alberto Fragio/Diego Giordano (Hrsgg.), Hans Blumenberg. Nuovi paradigmi d’analisi, Rom: Aracne Editrice 2010. 42
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als auch zum Programm der Phänomenologie als solchem liegt. Eine diesbezügliche Aufarbeitung von Blumenbergs Nachlasstexten zur Phänomenologie steht dabei vor der vielfältigen Aufgabe, auf der Basis einer soliden Kenntnis von Husserls Werk (einschließlich der erst in den letzten Jahrzehnten veröffentlichten Husserliana-Bände, da Blumenberg auch mit Nachlassmaterial gearbeitet hat) Blumenbergs Husserl-Kritik nachzuvollziehen und auf allen Ebenen zu prüfen: die Stimmigkeit seiner Husserl-Darstellung; die theoretische Haltbarkeit seiner eigenen Präsuppositionen; und zuletzt die Rechtfertigung seiner Schlüsse – beispielsweise der für die Phänomenologie fatalen Feststellung, dass die »Massen geleisteter Beschreibung […] kein stetig verfügbares Resultat« bildeten. 44 Eine angemessene Beurteilung des phänomenologischen Programms mit Blumenberg bedarf zunächst einer Systematisierung der Kritikpunkte, die er anführt. Andernfalls erscheinen diese allzu leicht als eine umfangreiche Sammlung von Symptomen, die darauf hinweisen, dass die Phänomenologie ihrem Anspruch strengster Wissenschaft nicht gerecht wird, ja vielleicht nicht einmal die absolut verbindliche Bewusstseinsanalyse leisten kann, die ihr zentrales Anliegen darstellt. Eine grobe Systematisierung der bereits angedeuteten Aspekte ergibt folgende drei Gruppen: Erstens die Anwendbarkeit der Methode: Hierzu gehört die Kritik an der Durchführbarkeit der Epoché, an der Möglichkeit des faktischen Bewusstseins, als reines Bewusstsein zu fungieren, und der Gewinnung reiner Anschauung. Davon zu trennen ist zweitens die Frage nach Husserls Anspruch, die phänomenologischen Ergebnisse zu transferieren: Die Leistungsfähigkeit der Sprache ist hier das Thema, und zwar hinsichtlich der Möglichkeit und den Beschränkungen, sie zur Artikulation phänomenologischer Erkenntnis ›zuzurichten‹. 45 Drittens sind schließlich die Probleme der Legitimierung Blumenberg, Zu den Sachen und zurück (wie Anm. 1), S. 110. Ebd., S. 66: »Das alles habe ich nur vorausgeschickt, um die Besonderheit zu verdeutlichen, die darin besteht, die Tätigkeit des Phänomenologen zu beschreiben. Er hat diese Schwierigkeit selbst erzeugt durch die Methode, die zu befolgen er angekündigt hat: nichts anderes als die Beschreibung von Phänomenen zu geben und dies auf der Grundlage der Anschauung und ihrer Evidenz. Da wird man von vornherein verstehen können, wenn er Schwierigkeiten mit der Sprache hat, um seine Anschauung in Beschreibung umzusetzen. Denn dafür ist diese Sprache nicht gemacht; dazu muß sie erst zugerichtet werden.« Pointierte Bemerkungen zu Husserls Sprache, die auf der Basis ihrer theoretischen Implikationen fruchtbar gemacht werden können, finden sich auch in ders., Ein mögliches Selbstverständnis. Aus dem Nachlaß, Stuttgart: Reclam, 1997, etwa diese: »In einem gewissen Sinne gilt, daß seine Sprache seine
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von Programm und Methode zu nennen, einschließlich der Probleme mit Selbstbezüglichkeit, die aus zwei phänomenologischen Eigenheiten resultieren: aus dem Anspruch der Phänomenologie, die Erkenntniskritik auf sich selbst anzuwenden, zum einen und zum anderen aus der Tatsache, dass auch die Bewusstseinsleistungen des Theoretisierens Thema der Phänomenologie sein können und müssen. Die ersten beiden Problembereiche sind eher praktischer Natur und werden vor allem in Zu den Sachen und zurück breit thematisiert. Sie betreffen insbesondere die Möglichkeit des von Husserl geforderten Lehrgehaltes, der losgelöst vom Urheber prinzipiell nachvollziehbar und in jedem Fall absolut zuverlässig sein muss, so dass auch von nachfolgenden Generationen darauf aufgebaut werden kann. Zum dritten gehört eine Frage, die von Husserl eher dogmatisch behandelt wird, bei Blumenberg umso mehr Interesse weckt und folgendermaßen formuliert werden kann: Wie kommt das Subjekt zur Theorie? Husserl bemüht sich, den Anfang des phänomenologischen Forschens als »Urstiftung« zu erklären, und stellt fest: »Niemand kann in die Phänomenologie hineingeraten.« 46 Es gibt, etwa in der Krisisschrift oder im zweiten Teil der Ersten Philosophie, tatsächlich phänomenologische Beschreibungen der phänomenologischen Berufseinstellung, der Rückkehr aus der phänomenologischen in die natürliche Einstellung und das Einströmen der phänomenologisch gewonnenen Erkenntnis in die Lebenswelt, das bewirkt, dass die gewohnte Naivität nicht aufrechterhalten werden kann; 47 doch sie erklären nicht die Initialzündung der phänomenologischen Idee. Statt das Phänomen dieser Initialzündung zu klären, stellt Husserl es ins Zentrum seiner Programmatik; in ihrem Rahmen leitet er das phänomenologische Projekt immer wieder neu und verändert ein und präPhilosophie gar nicht enthält. Sie liefert die Rezeptur, sich etwas zu verschaffen, was in seinen Sätzen – und schon gar in denen seiner veröffentlichten Werke – nicht vorkommt. Das ist auch immanent ganz stimmig mit seinem Programm.« (Ebd., S. 90) 46 Husserl, Erste Philosophie II (wie Anm. 19), S. 19. Diese Feststellung ist insofern dogmatisch, als sie allenfalls in dem Sinne zutrifft, dass niemand innerhalb des Alltagsdenkens hineingeraten kann, wohl aber, wenn er aus diesem herausfällt. Es bedarf natürlich eines Entschlusses, dann auch tatsächlich wissenschaftliche Philosophie zu betreiben. Aber der Entschluss ist nicht das Erste: Es muss vorher die Erkenntnis der Unzulänglichkeit der traditionellen Wissenschaften gegeben haben – oder eben ein Befremdungserlebnis, das ein ähnliches Interesse am alltäglich Fraglosen, philosophisch aber Rätselhaften wecken kann. 47 Husserl, Krisis (wie Anm. 4), S. 139 f. Vgl. auch ders., Erste Philosophie II (wie Anm. 19), S. 98–106.
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sentiert diese Variationen als alternative ›Wege in die Phänomenologie‹. 48 Die ständige Neuauflage einer Begründung der Phänomenologie und einer didaktischen Einführung in sie läuft parallel zur Ausarbeitung konkreter Analysen. Husserls Bemühungen, für die Phänomenologie zu werben, sie zu begründen und sie zu vermitteln, bewegen sich dabei auf einer anderen Ebene als die faktisch durchgeführten phänomenologischen Untersuchungen; und gerade die Frage nach dem phänomenologischen Anfang, die zugleich Baustein der Programmatik und potentielles phänomenologisches Thema ist, kann als missing link zwischen Programm und Analyse betrachtet werden. Diese Option realisiert Blumenberg. Für ihn ist der Anfang der Theorie der zentrale Aspekt der phänomenologischen ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹. Im Band Theorie der Lebenswelt schätzt er den Zusammenhang folgendermaßen ein: Auf der Suche nach der Totalität des Vorurteils, in der die lebenslange Arbeit an der Verfeinerung der phänomenologischen Reduktion für Husserl steht, ist die Thematik der Lebenswelt nicht nur die einer archaischen, vorzeitlichen Formation von Unmittelbarkeit und Primordialität, sondern auch die Reflexion auf die Selbstverständlichkeitsbedingungen des eigenen phänomenologischen Anfangs, der professionellen Lebenswelt, in der um die Jahrhundertwende die Idee der Phänomenologie entsteht. 49
Das bedeutet konkret: Mit dem Thema ›Lebenswelt‹ hat sich die Phänomenologie die Frage nach dem Anfang des Philosophierens neu gestellt, und zwar unter Eliminierung derjenigen Selbstverständlichkeiten, die sie zuvor bei dieser Frage in Geltung gelassen hatte: der Existenz von Wissenschaft oder wenigstens des Strebens nach Erkenntnis und vor allem des nachcartesischen Ausgangspunktes von Philosophie […]. Der Anfang der Philosophie – das heißt jetzt: das Herausfinden aus der Lebenswelt mit deren authentischen Antrieben und Mitteln […]. Woher nimmt die Phänomenologie den Leitfaden für die Bearbeitung dieses Themas? […] Die Geschichte der Phänomenologie selbst ist das Modell ihrer Phänomenologie der Geschichte. 50
Die prominentesten sind der ›cartesianische Weg‹ in den Ideen sowie die Wege über die Psychologie bzw. über die Lebenswelt in der Krisisschrift. Vgl. Hans Friedrich Fulda: Husserls Wege zum Anfang einer transzendentalen Phänomenologie, in: Ute Guzzoni (Hrsg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg: Meiner 1976, S. 147–165. 49 Blumenberg, Theorie der Lebenswelt (wie Anm. 1), S. 127. 50 Ebd., S. 167. 48
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Martina Philippi
Angesichts der Komplexität ihrer Bezüge wirken diese Gedanken noch experimentell, weisen aber deutlich auf die Divergenz zwischen der Selbstbegründung und den Forschungsinteressen der Phänomenologie bezüglich des theoretischen Anfangs hin, die sich in der Lebensweltthematik zuspitzt. Man kann sagen: Bei Husserl liegt der Verdacht nahe, dass der Prozess der Befremdung von scheinbar Selbstverständlichem schon da ist und erst nachträglich als Methode legitimiert wird. Für Blumenberg ist dies ein unzulässiges Verfahren: »Die Evidenzbedürfnisse der Theorie dürfen nicht aus faktischen historischen Situationen, Krisenlagen, Zweifelsbedrängnissen hergeleitet werden. Als solche unterliegen sie selbst der Anfechtung durch den Historismus […].« 51 Es gilt also, den faktischen Anfang des Theoretisierens, der immer konkret ist, zu trennen von den systematischen ›Wegen in die Phänomenologie‹ – ob in der Funktion als Anleitung oder als Selbstbegründung. Dies ist eines der ergiebigsten Themen in Blumenbergs Nachlasstexten zu Husserl, vor allem in Zu den Sachen und zurück und Theorie der Lebenswelt. 52 Insbesondere bietet es sich als Ansatzpunkt für eine Kritik an Husserl an, die Blumenbergs besonderen Blick und seine Einwände ernstnimmt und in Richtung einer Modifikation des phänomenologischen Projekts weiterdenkt. Denn auch wenn man mit Blumenberg die Phänomenologie unter dem Hauptaspekt der Problematik des Selbstverständlichen liest, muss man die Probleme der Phänomenologie mit dem Selbstverständlichen nicht als Indiz für ein Scheitern des Programms am eigenen Anspruch nehmen. Stattdessen gilt es Möglichkeiten auszuloten, wie weit das phänomenologische Projekt von seiner Programmatik gelöst werden muss, die durchwoben ist vom Anspruch der Voraussetzungslosigkeit und darauf, der einzig mögliche Ansatz einer Metawissenschaft zu sein; und es gilt die Reichweite der Analyse von Bewusstseinsleistungen höheren Niveaus im Rahmen von Husserls ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹ zu erforschen. 53 Letztlich kann Blumenbergs kritischer Blick, der sich Ebd., S. 131. Und nicht nur dort: Vgl. Hans Blumenberg, Der Prozess der theoretischen Neugierde, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1973; ders., Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987. 53 Beide Fragerichtungen erhellen die Möglichkeiten der Selbstkritik, zu der die Phänomenologie sich verpflichtet hat. Vgl. hierzu Sebastian Luft, Phänomenologie der Phänomenologie. Systematik und Methodologie der Phänomenologie in der Auseinandersetzung zwischen Husserl und Fink, Dordrecht usw.: Kluwer 2002. 51 52
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Das Selbstverständliche verstehen
ebenso auf Details wie auf das Programm richtet, einen Weg weisen, welche Selbstbegründungsansprüche zumindest abgeschwächt werden müssen, damit für das Projekt der Phänomenologie Konsistenz gewährleistet ist.
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Sandra Markewitz
Das Rätsel des Trostes
Die Möglichkeit des Trostes ist anthropologisch einschlägig. Kafka wusste, dass es mehr als Trost sei, Waffen zu haben, 1 der Bedürftige, dem Trost Waffe ist, hat nicht Teil an jenem universellen Trostzusammenhang, den Blumenberg befragt. Trost, so Blumenberg, sei reaktiv, damit der Typisierung nah 2 (im Verhalten gegenüber Weinenden, noch den Fremdesten) und mitnichten so elaboriert, wie die aufklärerische Emphase glauben machte, die sich als Selbstgesetzgebung in mannigfaltigen Zusammenhängen legitimierender Kraft begriff.
Trost und Typisierung Nach Blumenberg ist der Trost einer, der Typisierungen freisetzt. Was bedeutet diese Typisierung in der tröstenden Geste? Der Typus tötet Möglichkeit durch auf Dauer gestellte Wirklichkeit. Wie kann es sein, dass der Trost, die Hinwendung zum leidenden Menschen, dem Charakter nach freisetzt, was totalitär in Anschlag gebracht werden kann, wenn das Besondere des trostbedürftigen Menschen durch die allgemeine und das Allgemeine repräsentierende Geste des Trostes beantwortet wird? Verliert der Trost nicht seine Funktion, den in die Gemeinschaft der Menschen aufzunehmen und dieser zu versichern, der durch Leiden aus ihr herausgefallen war? 1 Franz Kafka, Tagebücher 1914–1923, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1994, hier: S. 236: »Der Trost wäre nur: es geschieht ob Du willst oder nicht. Und was Du willst, hilft nur unmerklich wenig. Mehr als Trost ist: Auch Du hast Waffen.« Im Gegensatz zur Reziprozität der Trost-Anordnung ist die Waffe deutlich in ihrer gerichteten handelnden Kraft und zerschlägt die bindende Wechselseitigkeit, in der die beruhigende Seite des Trostes festgestellt war. 2 Hans Blumenberg, Beschreibung des Menschen, aus dem Nachlaß herausgegeben von Manfred Sommer, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, darin: Kap. IX, Trostbedürfnis und Untröstlichkeit des Menschen, S. 623–655, hier: S. 624.
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Das Rätsel des Trostes
Wenn Trost und Trostbedürftigkeit korrelieren, enthält bereits die Bitte um Trost eine Selbstverpflichtung: diesen Trost auch zu geben. Im Gewand der Gegenseitigkeit scheint die Typisierung auf. Was mein Schmerz mir ermöglicht, mich zum anderen zu wenden, wird im reziproken Zusammenhang gebrochen: Der Schmerz, der den Weg zum anderen öffnete, ist Teil einer Reziprozitätsanordnung von Aktion und Reaktion und damit – unfrei. Wie nicht jede Reaktion unfrei ist, die innerhalb eines freiheitlich bestimmten Zusammenhangs geschehen kann, ist nicht jedes Erbitten der elementaren Reaktion des Trostes eine Retardation des autonomen Subjekts. Die Heteronomie des gesellschaftlichen Zusammenhangs gewinnt vielmehr eine Kontur, wenn sie durch das Trostbedürfnis auf die Probe gestellt wird, die sie vorher nicht hatte: Es kommen Momente jener Intimität hinzu, die entsteht, wenn für einen kurzen Moment im Augenblick des Trostes ein Gleichgewicht entsteht, das den Trostgebenden an das Bedürfnis erinnern kann, das er einmal hatte und haben wird. Auch wenn derjenige, an den sich der Wunsch nach Trost richtet, nicht genau denjenigen um Trost bitten wird, der ihn gebeten hat, wird doch in der Begegnung, die durch die Bitte um Trost und das signifizierende Zentrum des Trostes entstanden ist, Rollenvarietät möglich. Diese ist auch Freiheitsorgan.
Gewolltsein und Trost Ein weiterer Aspekt, der im Text »Trostbedürfnis und Untröstlichkeit des Menschen« ins Auge fällt, ist folgende Aussage: »Der Mensch ist das Wesen, das sich dessen bewußt ist oder bewußt werden kann, ob es gewollt worden ist.« 3 Was bedeutet dies für das Faktum des Trostes? Kann nur der gewollte Mensch Trost empfangen oder, mehr noch, Trost geben? Gibt es eine Mimikry des Trostgebens, die den sorgend erscheinen lässt, der zur Gesellschaftssphäre nicht gehört? Trost kann ein Prüfstein für Gesundheit sein. Der gesunde Mensch, sein Phantasma, kann im Vollbesitz aller Kräfte Trost geben. Trost impliziert Stärke, das ist Zeichen seiner Heteronomie. Kann der Schwache keinen Trost geben oder würde sein Trost angenommen? Manchmal kann er gerade Trost geben, weil der Schwache den Schwachen kennt und sich nicht über ihn erheben muss. Das Gleich3
Ebd., S. 639.
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Sandra Markewitz
gewicht, das der Trost herbeiführen oder implizieren kann, ist hier sozial sichtbar. Wenn der, den die Gesellschaft stark nennt, dem hilft, den sie schwach nennt, potenziert sich Ungleichheit, denn das Gleichgewicht des Trostes kann sich nicht oder nur als zeitweilige Fiktion einstellen, wird aber durch die Wirklichkeit konterkariert. Dann, wenn sie Macht nur abbildet und nicht ändert (zum imaginierten Gleichgewicht hin), läuft die Trostgeste ohne Equilibrium leer. Der leere Trost ist vielleicht die Fortsetzung des ungewollten Menschen, er muss sich mit dem leeren Trost begnügen, da er initial nicht gewollt wurde. Gewollt worden zu sein wäre die Sicherheit, die die Kontingenz aufhebt, auch die Kontingenz des Trostes, der mir dann in genau der Individuierungsform zukommt, in der ich gewollt worden bin. Der Einwand der Reziprozität als Heteronomiesignal bleibt – die Gegenseitigkeit ist nicht das schöne Gleichgewicht, das der Trost impliziert, sondern zunächst der Rat, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und nur dem Mühe zu schenken, der sie sich selber gibt. Etwas, das durch das Trostgeben angesprochen wird, ist die Anerkennung. Nicht als Diskurs oder offensichtlicher Zweck, sondern als Bedingung des Menschseins zurückgehend auf den an-archic event of natality, wie Birmingham in Rekurs auf Arendt sagte. 4 Der event der Natalität macht zum Ereignis, was kontingent ist, entzieht es der Kontingenz, weil das Geborensein eine Konstituente des Lebens ist. Das Gewolltwerden und Gewolltwerdenwollen ist zugleich die Bejahung einer Ätiologie der Kindheit: Die Zone des Irrealen wird verlassen, wenn die Gesetze des Staates an die Stelle der Ordnungsstruktur des Wunderbaren treten. 5 Die Gedanken, ob ich gewollt worden bin, kommen, wenn ich schon gewollt worden war. Der Einsatz des Zweifels beruht auf dem Gelingen der Geburt, das Blumenberg mit einer Aufgabe zusammenbringt, die Menschenkraft fast übersteigt und daher formt:
Vgl. Peg Birmingham, The An-archic Event of Natality and the Right to have Rights, in: Hannah Arendt. Verborgene Tradition – Unzeitgemäße Aktualität? Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderband 16, Berlin: De Gruyter 2007, S. 269–278. 5 Dass die Ordnungsstrukturen des Staates hier zugleich in ihrer elementaren Verneinung erlebt werden können, ist im Kontext des Anarchismusdiskurses nachweisbar, vgl. Sandra Markewitz, Grenzenlosigkeit. Anarchismus und Empfindung, in: Detlev Kopp, Sandra Markewitz (Hrsgg.), Anarchismus in Vor- und Nachmärz, Jahrbuch des Forum Vormärz Forschung 22 (2016), Bielefeld: Aisthesis 2017, S. 101–130. 4
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Seitdem die ungewollte Erzeugung von Nachkommenschaft zuverlässig und mit zumutbaren Mitteln ausgeschlossen werden kann, gibt es ein Menschenrecht darauf, nicht ungewollt zu existieren: der Wille der Erzeugenden ist ihre vorherige Einwilligung in den Anspruch der Erzeugten darauf, zum Einverständnis mit ihrem Dasein geführt zu werden. 6
Trost und die Anderen Die Fähigkeit zum Trost besteht darin, trostbedürftig zu sein, weil man tröstungsfähig ist. Wenn jemand weint und ein anderer sagt: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll!«, zerschneidet dies das Band der Gegenseitigkeit, das durch Geburt, nicht durch Ideologie (Idee des Warentauschs) bestand. Wer den Trost verweigert, zugibt, ihn nicht geben zu können (nicht, ihn nicht geben zu wollen) begreift sich außerhalb der Gemeinschaft. Nun ist Gemeinschaft auch der Ort, aus dem Totalitarismen und Unrecht kommen können, doch das Bild der freudigen Festgesellschaft, ohne das der Hof nicht leben konnte, ist noch in der nachfeudalen Gegenseitigkeit des Trostes als Merkmal von Vergesellschaftung mitgedacht. Der vergesellschaftete Mensch ist der, der Trost schätzt und braucht, das Tier sondert sich zum Tode ab, vielleicht aus einem höheren Gemeinschaftsverständnis heraus, das die anderen nicht stören will. Trost, der auf Schmerz folgt, ist bei den Menschen nicht gesellschaftsverneinend, sondern gesellschaftsbejahend. Das Individuelle, die Trost-Geste, tritt nicht gegen die ungerechte Gesellschaft ein, als sei das Besondere dem Allgemeinen sui generis überlegen, da es auf das Faktum der Natalität verweist. Trost ist auch Funktion der Gesellschaft, denn er sagt: Ich stelle den vorherigen Zustand her, als du noch keinen Schmerz hattest, nicht: Ich ändere, was dir Schmerz bereitete. Die Beharrungskraft des Schmerzes ist die des Trostes. Beides bleibt, wenn Menschen die Öffentlichkeit etwa des Schmerzbenehmens (Wittgenstein) 7 lernen. Dass dieses Lernen konfrontativ ist, 8 Blumenberg, Beschreibung (wie Anm. 2), S. 649 f. Zum Zusammenhang von Blumenberg und Wittgenstein, besonders in Bezug auf den Grammatikbegriff, vgl. Sandra Markewitz, Umwege der Grammatik. Über Blumenberg und Wittgenstein, in: Michael Heidgen, Matthias Koch, Christian Köhler (Hrsgg.), Permanentes Provisorium. Hans Blumenbergs Umwege, Paderborn: Fink 2015, S. 145–158. 8 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Werkausgabe, Band 1, 6 7
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Sandra Markewitz
sagt etwas über die Natur des Trostes: Er öffnet nicht neue Wege, sondern ist zunächst das, was wir als Trost gelernt haben – so verhalte ich mich – analog zur Bewegung der Selbstbehauptung, 9 wenn jemand Schmerz hat. Ich ignoriere den Schmerz nicht, sondern antworte ihm (durch Trost). Ein Sprachphilosoph schrieb, man würde wütend, wenn der Trost nicht fruchte. Das ist die heteronome Seite des Trostes, der Menschen Machtausweis ist. Die Ungeduld des Tröstenden konterkariert den Trost, den er zu geben versucht, denn als Erinnerung an das Geburtsfaktum ist er Geduld. Er richtet sich nach dem Schmerz. Dieser kann lange dauern, und der Trost wieder und wieder ansetzen. Die Garantie der Schmerzlosigkeit wäre Karikatur des Trostes, denn er ist ein relatives Vermögen. Ohne den Schmerz, der ihn hervorrief, und die Unwahrscheinlichkeit seines Gelingens ist er nicht. Rätsel des Trostes ist, dass nicht entscheidbar ist, ob er die schlechte Gesellschaft stützt oder die kommende in ihm aufscheint. Beides hängt zusammen in der Tätigkeit des Trostes, des Trostgebens gegen den, der den Schmerz verursachte. Für den, der den Schmerz leidet, ist Trost ein Scharnier zwischen schlechter Wirklichkeit und dem, was sein könnte. Utopisch ist Trost, wenn er überrascht, wenn Schmerz Schmerz hervorruft. Das ist etwas anderes als die Meinung, dass Mitleid schlecht sei, Mitgefühl gut, da nur bei Letzterem Handlung möglich sei. Interessant ist die Konkurrenzanordnung von Mitleid und Mitgefühl: Als könne man eines haben, aber nicht beides. Wenn das Mitleiden aber fehlt, fehlt das Faktum der Geburt, das im Schmerz verbindet. Der Lebensweg als passio, nicht das Mitgefühl als Handlungsindikator. Das ist der Trost, der Kafka nicht reichte, und von dem er, an die Gewaltqualität des Aktiven anschließend, auf die Waffen kam, die mehr seien als Trost. Ist der Mensch, der Trost empfängt, entwaffnet? Er zeigt, dass die Gesellschaft schlecht ist, dass man jetzt nicht leben kann. Aufgerufen ist Blumenbergs an Freud anschließende Einsicht: Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, hier: S. 239, PU 5: »Solche primitiven Formen der Sprache verwendet das Kind, wenn es sprechen lernt. Das Lernen der Sprache ist hier kein Erklären, sondern ein Abrichten.« Dass die Erinnerung an das Konfrontative der ersten Lernprozesse nicht schwarzpädagogisch ist, sondern in ein gegebenes Zeichenrepertoire einführt im Sinne der Instituierung des Kindes in den gesellschaftlichen Zusammenhang, ist zu betonen. 9 Vgl. Jürgen Goldstein, Selbstbehauptung, in: Blumenberg lesen. Ein Glossar, hrsg. von Robert Buch und Daniel Weidner, Berlin: Suhrkamp 2014, S. 260–275.
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»Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns«. 10 Den Kindern aus Liebe zu ihnen (Thales von Milet) das Leben zu ersparen, ist Konsequenz. 11 Er, der Trost braucht, hat keine Waffen.
Geborensein und Chance Gleichwohl hat Montesquieu nicht Recht, der sagte, man müsse die Menschen bei ihrer Geburt beweinen, nicht bei ihrem Tod, 12 da das Faktum der Natalität auf diese Weise ignoriert wird. Das il faut pleurer les hommes à leur naissance (Lettre Persanes) verkennt die Geburt als Einsetzung in das, was gut werden kann, sie setzt die Beschwerde über das Leben voraus – auch dies eine Waffe, die den Trost verhindern kann. Das nachträgliche Ja zur Person konstituiert, so Blumenberg, die Personalität, in der die Utopie des Trostes aufscheint als das, was Menschen einander sein könnten. Kann der »Abgrund der Trostbedürftigkeit« geschlossen werden? 13 Blumenberg stellt die Frage im Rahmen der Diskussion von Kant: Wie der wechselseitige Gebrauch der Geschlechtseigenschaften zunächst die Personalität derer, die sich als Sache betrachten müssen, zerstört, durch die Ehe diese jedoch wiederherstellt, »müssen die Eltern die Personalität ihrer Nachkommen wiederherstellen, die sie im Akt der Begründung ihrer Existenz unvermeidlich und ideell verletzt haben«. 14 Der Abgrund der Trostbedürftigkeit ist zudem spezifisch modern. Baudelaire sagte, der Abgrund dürste immer, le gouffre a toujours soif. 15 Der menschliche Abgrund ist, mit dem grundlegenden Zeitbewusstsein der Menschen zusammenhängend, durch Trost nicht zu schließen, denn er riss auf mit dem Geborensein, dem Faktum der Natalität. Dass jeder Mensch seinen Abgrund hat, klingt existentialistisch. Der Abgrund, der sich nicht schließen lässt, ist aber auch jene nicht-metaphysische Unendlichkeit, die durch die Variation der Sprachformen ausgedacht wird. Symbolisches Medium und Trostbedürfnis bedingen sich in der Moderne so, dass der Trost nicht Blumenberg, Beschreibung (wie Anm. 2), S. 643. Ebd., S. 648. 12 Ebd., S. 643. 13 Ebd., S. 649. 14 Ebd., S. 648. 15 Charles Baudelaire, Les Fleurs du Mal/Die Blumen des Bösen, Sämtliche Werke/ Briefe, Band 3, hrsg. Friedhelm Kemp und Claude Pichois, München: dtv 1975, S. 216. 10 11
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Sandra Markewitz
heilt und immer gebraucht wird, da die durch das symbolische Medium zugefügten Verletzungen weitergehen und die Gewalt durch Sprache, jenseits ihrer thematischen Adressierung, so selbstverständlich ist wie die von den Eltern zu erbringende Versöhnungsleistung angesichts des ins Leben gerufenen Kindes. 16 Wie Blumenberg betont, konnte Kant nicht wissen, dass Kinder das Gewolltsein voraussetzten wie etwas, das ihnen zustand. Er zitiert Becketts »Fin de partie«, als eine Figur sagt: Ich konnte nicht wissen, dass du es würdest. 17 Die Gewalttätigkeit des Satzes ist endgültig. Aber was geschieht? Der so Benannte lebt weiter. Er gleicht sich der Diagnose, die ihn nicht wollte, nicht an, sondern atmet, atmet weiter. Wollen, was man ist, ist nicht nur Bejahung der eigenen Individuation, sondern auch Einsicht in jene in der Moderne hervortretenden Zufallsstrukturen der Existenz, in denen sich Entscheidungen treffen lassen. Dass Unterscheidung Negation ist, ist nicht der Punkt, sie ist unter Kontingenzstrukturen 18 auch Bejahung. Es ist möglich, das Leben zu bejahen, das jemand nicht geben wollte. Durch den Vollzug erscheint das Leben gewollt, der Schein der gewollten Leben löst sich mit dem Tod auf.
Die Rhetorik des Trostes Die Trostfunktionen der bürgerlichen Gesellschaft erhalten, was schadet, aber sie erhalten, was das Subjekt entwarf. In diesem Sinne ist der Trost des Bürgers Spiegel seiner Errungenschaften, der getröstete Bürger (als Teilnehmer eines Staatswesens, das auch für ihn Rechte bereithält), findet im Trost, dass er tröstenswert ist. Man neigt sich ihm zu und lässt ihn am Trost partizipieren und versichert ihn Die gewalthafte Qualität der Sprache ist neben der tatsächlich durch sie zugefügten Verletzung psychophysisch wie die in sprachlicher Verletzung scheinbar verneinte Körperdimension; Richard Hönigswald hat dies im Kontext der Diskussion der ›Ursprungs‹-Frage, die sich auch im Falle des Trostes stellt, thematisiert, Richard Hönigswald, Philosophie und Sprache. Problemkritik und System, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1970, hier: S. 12. 17 Blumenberg, Beschreibung (wie Anm. 2), S. 650. Das Que ce serait toi ist die Antwort, die den Abgrund schließen könnte, wäre er anders beschaffen – so wirkt der Satz als immer erwarteter mit an der Heraufkunft des Todes, die das Natalitätsversprechen an den Gelingensnachweis bindet und die Eltern individuell legitimieren lässt, was kollektiv unausdenkbar ist. 18 Ebd., S. 634. 16
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der Erfolge, die die säkulare, Gleichberechtigung wenigstens als Wert kennende Gesellschaft gebracht hat. In Blumenbergs Hinweis, die Mittel des Trostes seien vielleicht nur rhetorisch, 19 steckt hierüber ein Aufschluss: Der Trost, der gewährt wird, kann persuasiv sein, er kann überreden zu einem Weltbild, das den Trost nicht verdient, aber nahelegt, dass er zu geben sei. Wie die Begriffe der Theorie sich in der actio per distans bilden, dem Handeln auf räumliche und zeitliche Entfernung, kennt der reflexhafte Trost diese Distanznahme nicht, er plädiert für den Zusammenhang der Gesellschaft, in der das Schlechte geschah. Der Trostbedürftige sagt: Hier ist etwas nicht in der Ordnung, die die Gesellschaft wollte. Ich brauche etwas, was der Zusammenhang staatlicher Macht- und Ordnungsfragen nicht geben kann. Rhetorisch ist der Trost, der eher das trostgebende Subjekt beglaubigt, das jemanden trösten kann, nicht aber die Stärke des tröstenden Subjekts als Problem sieht, da es ist, als beträfe ihn die schlechte Gesellschaft, in der Trost ausgeübt wird, nicht. Rhetorisch ist der Trost, der reflexhaft erscheint, weil er ganz an die Tatsache des Schmerzes gebunden bleibt und diese beglaubigt, nicht aber die Ursache des Schmerzes, den Grund des Symptoms, in Frage stellt. Denn das ist Trost nicht, das In-Frage-Stellen der Ursache der Trostnotwendigkeit. Wie Denken Antworten heißt, mit lang aufgerufener hermeneutischer Tradition und der Situation des Dialogs – Wechselwirkung – als Perspektive, fragt der Trost, der gelingt, nicht, sondern antwortet auf den Schmerz. Das Es-ist-doch-nicht-so-schlimm ist indes nicht der Modus des wirklichen Trostes. Vielmehr ist es schlimm, der Trost sieht es und sagt es als Mitleiden der passio, des Lebensweges als säkularer Abfolge objektivierender Zeichen, die das Subjekt durchläuft und die es gesellschaftlich erhalten. Wenn der Trost sich von der rhetorischen, gesellschaftserhaltenden Funktion entfernt, könnte ein neuer Aspekt des Gesellschaftlichen aufleuchten, mit Wittgenstein, der zeigt, was man vergessen hatte: dass der Trost zugleich die Aporie des Trostes ist, etwas aufweist, das nicht gezeigt werden kann (wie der Satz im Frühwerk die logische Form der Wirklichkeit 20). Trost angesichts der schlechten Welt, als die sie im Moment des Schmerzes erscheint, verneint diesen (er soll nicht sein) und bejaht ihn zugleich, wenn Trost dazu führt, dass die Gesellschaft als Ort des Ebd., S. 652. Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe, Band 1, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, hier: S. 33, TLP 4.121.
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Schmerzes weiterbesteht. Der Trost, in seinem Dilemma, verweist auf etwas Anderes. So ist der Trost durch jene Gesellschaftsform mit Bedeutung versehen, in der er auf einen Schmerz antwortet. Diese Antwort ist heteronom und doch tröstlich in dem Sinne, dass eine Reaktion dem gegeben wird, der Schmerz hat. Das Besondere des Schmerzes wird an der Elle des Trostes gemessen, die ihn wieder in den Raum der allgemeinen Messbar- und Verstehbarkeit führt: Ein Quantum Trost, nicht: Behebung der Ursache, der Schmerzstruktur. Als Strukturphänomen ist der Trost unfrei, wie der Schmerz Einspruch ist gegen eine Struktur, die dauert. Der Einspruch verfehlt, wenn er gegen den konkreten Schmerz geht und als solcher in privater Interaktion erfahren wird, den kollektiven Zusammenhang, in dem der Schmerz aufkam, das ist Dilemma und unkritisches Moment von Trost. Doch die Gesellschaft ohne Trost wäre nicht die Gesellschaft der Getrösteten (immer schon Getrösteten), sondern die, in der der Trost fehlte. Ohne an den Kafkaschen Überbietungszusammenhang zu denken, in dem Waffen mehr sind als Trost, ist der Trost ein Komplement des Lebens in Bezug auf die Situation des Geborenseins, die Natalität; er erinnert daran, dass Lebenlernen nicht Sterbenlernen ist, sondern das Leiden eine Reaktion erfährt, die ein Einspruch ist: gegen das konkrete Leiden, gegen den Gipfelpunkt des Leidens im Ende, das sein wird, und gegen die Gesellschaft, die das Leiden braucht, um es zu befrieden und die individuellen Existenzen auf Dauer zu stellen, wobei die Dauerhaftigkeit die Denkbarkeit der Existenzen verbürgt.
Die vermeintliche Messbarkeit von Trost Neben der existentiellen Tönung, die die ›Schreie der Menschen‹ (Beckett) als Selbstverständlichkeit erscheinen lässt, da die Zeit, die in der schmalen Zone zwischen Mutterleib und Grabesstatt bleibt, so gering ist, dass ein Bleiben nicht ist und vita-brevis-est kaum Topos zu werden vermag, gibt es eine weitere Dimension des Trostes, die noch nicht genannt wurde, aber gerade im Blick auf Blumenbergs Werkkontext aufschlussreich ist: Der Trost, der gegeben wird, hat sich immer zu dem Maß seiner Quantifizierung zu verhalten, d. h. es scheint gerade diese Quantifizierung zu sein, die den Trost verdächtig macht, etwas anderes zu sein, als er ist, Verlängerung, nicht Sprengung des schlechten Gesellschaftszusammenhangs. Messbarkeit hatte 174 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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den Zweck, Vergleichbarkeit herzustellen, um in deren Folge Verlässlichkeit der Ergebnisse und prognostischen Elemente und Prognosen zu erreichen. Es ist aber eine Verlässlichkeit, die bezahlt werden musste mit Verzicht auf Inkonsistenz, den Eindruck des Störenden, das, was von dem, was gemessen wird, abweicht. Anders gesagt: Die Angemessenheit des Trostes ist die, die sich nicht messen lässt. Damit paradoxiert sich der Anspruch des Trostes selbst, aber dies war ihm, wie wir gesehen haben, Grundbedingung. Stellen wir uns für einen Moment den nichtgemessenen Trost vor. Ist er denkbar? Jenseits der Paradoxierung wird man nicht von vornherein wissen, wie viel Trost in einer Situation nötig ist, um Trost zu geben. Damit wäre schon der Beginn des Trostgebens in concreto nicht von einer quantifizierenden Absicht begleitet. Damit der Trost gelingt, kann jedoch nur der oder die Maßstab sein, auf den oder die sich Trost richtet. Dies ist aber eine offene Intentionalität, eine Bereitschaft, den Trost zu lassen, wenn er sich erübrigt hat, und den Moment, in dem dies stattfindet, ganz der Seite des zu Tröstenden zu überlassen. Auch wenn Trostgeben und Trostnehmen anthropologisch verschwistert sind, ist die übergeordnete Rolle dessen, der den Trost empfängt, zentral, um so etwas wie eine Gerechtigkeit des Trostes herzustellen oder zumindest zu imaginieren. Wenn Trost neben der initialen Bedürftigeit der unbefragten Existenz des Menschen ein Thema ist, das ebenso wächst wie die Lebenszeit zunimmt und sich dem Ende nähert, rührt die Kontinuität des Themas neben dem Punkt der grundsätzlichen anthropologischen Konstante an die Frage nach der Iterativität des Trostes, seiner notwendigen Wiederholbarkeit. Es wird, wenn die »Mittel dieses Trostes« 21 nicht gesammelt zur Verfügung stehen, da die Gelegenheiten, an denen er nötig scheint, sich unvorhersehbar vor uns auftun, ein Trostrepertoire verlangt, um leben zu können. Diese allgemeine Annahme bedeutet nicht, dass Trost immer das individuell Gewollte ist, das der Trostbedürftige auf den Begriff bringen kann. Nur eine ideale Welt kennte mit den Trostgründen die -mittel. Die Schwierigkeit, auf der lebensweltlichen Ebene das Trostgeben immer wieder zu versuchen, obwohl wir wissen, dass der Zustand der getrösteten Welt nie am Horizont aufscheinen wird, begleitet die Reflexion des Trostes. Wir haben zunächst kein Bild des Trostes, das uns symbolisch unsere Verhältnisse repräsentierend die Aufgabe des Trostes so erklärte, dass 21
Vgl. Blumenberg, Beschreibung (wie Anm. 2), S. 655.
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wir sie lösen könnten. Die Unlösbarkeit scheint damit in der Art und Weise zu liegen, wie Trost sich uns auf der phänomenalen Ebene darstellt und von uns dargestellt wird (darstellbar ist). Eine wichtige kriteriale Bestimmung des Trostes, die meist im Dunkeln bleibt, ist aber das Faktum, dass wir wissen, nur in seltenen Fällen den Trost zu erhalten, der unserer Lage angemessen wäre. Angemessenheit rekurriert nämlich hier nicht auf ein Ideal der Messbarkeit (das etwa in der Differenzierung der Natur- und der Geisteswissenschaften relevant war), sondern ist begründet in der flüchtigen, doch nachdrücklichen Erfahrung, dass ein Trost unzureichend war und bleiben wird. Nicht nur, weil der Trost zu geringe Quantität besaß, sonst aber richtig war, sondern weil das gesellschaftlich schematisierte Bild des Trostes (das Ideal der schönen Getrösteten) den Erfolg des Trostes zumeist mitdenkt, um ihn zu beschreiben. Der Trost ist der Trost der Getrösteten, nicht der Ungetrösteten. Die gesellschaftliche Zwangslage besteht darin, den Trostbedürftigen einzugeben, sie hätten sich als Getröstete zu imaginieren; nur dann könnten sie des Trostes teilhaftig werden (das Repertoire des Trostes auf sich beziehen). Tatsächlich werden die Tröstungen von Ungetrösteten imaginiert. Der Imaginationsraum, in dem Vorstellungen des Trostes sich öffnen, entsteht aus dem Mangel; damit wird die Situation der Trostbedürftigkeit als mangelhafte wiederholt. Was heißt es genauer, dass die Trostbedürftigen sich als Getröstete zu imaginieren haben, um den Trost denkbar werden zu lassen? Es heißt, dass der Trostbedürftige auf die Norm des Trostes verwiesen ist, auf jene Trostformen, die wir als gewöhnlich und gangbar erachten. Damit entsprechen die Sicht auf die Mittel des Trostes und die als möglich vorgestellten Mittel des Trostes selbst nicht der idealiter angenommenen Ausnahmesituation, die uns dazu bringt, uns als Trostbedürftige zu denken (sieht man von indizierten Situationen ab, in denen dauerhafte Trostbedürftigkeit besteht). Mit der Vorstellung des Trostes als nur punktuell eingreifend, geschieht der ideologisierte und ideologisierende Trost vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass in einem gewöhnlichen Zustand der Trost abwesend sei, dass er zum Einsatz komme, wenn sich Umstände unglücklich verdichten. Diese präphilosophisch-optimistische Sicht steht Blumenbergs Erkenntnis, dass wir die trostbedürftigen Wesen bleiben, 22 entgegen. Sie entspricht erst dem Zustand des Hinein- und Herübergezogenseins ins Dasein sowie der Einsicht in die Situation 22
Ebd., S. 655. Vgl. zur utopischen Qualität des Trostes: Sandra Markewitz, Zur Ord-
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des Schmerzes: Für die angebotenen Trostformen, die nach Marktlogik Passung von Symptom und Behandlung voraussetzen müssen, ist er zu groß und er ist auch etwas anderes. Der Trostbedürftigkeit als anthropologischer Konstante wird in der Marktlogik mit dürftigen Mitteln zu antworten versucht; Psychologie in ihrer standardisierten Form behandelt Krankheitsbilder, die den Trostbedürftigen ins Bild feststellen. Dass die Trostangebote damit Reparaturen von Bildern sind (Übermalungen von scheinbar Misslungenem), entspricht dem affirmativen Charakter der akzeptierten Trostgesten. Nicht nur sind nachweisbare Erkrankungen Herausforderungen, denen gesellschaftlich mit einer scheinbar individuellen Auswahl des Trostes geantwortet wird. Das Standardisierte des Trostes zeigt auch, dass er als Normalisierungsprogramm verstanden wird, das für die Feinheiten und nuancierten Ausprägungen von Schmerzformen ebenso blind ist, wie für deren ontologischen Charakter. Welche Trostgesten sind gemeint? Das Normalisierungsprogramm seit Freud, dem Lieben und Arbeiten als Belege des Gelingens gelten: Es gilt dann als erfolgreich. Da Schmerz als Krankheit, die an Symptomen gemessen wird, wieder jene Messbarkeit des Trostes wie des Schmerzes impliziert, die im Diskurs der Aufklärung eine tragende Rolle spielte, ist er in der Schematisierung seines Ursprungs diesem und der unwiederholbaren Erfahrung des Einzelnen, als die er auftritt, entrissen. Auf wen das Normprogramm nicht passt, kann nicht gesund werden, d. h. dem wird Gesundheit nicht zugeschrieben. Der Schmerz, auf den ein standardisierter Trost folgt, kann seine eigene sinnbildende actio per distans nicht mehr vollziehen. Anders gesagt: Wo Trost standardisiert ist wie ein Zuschnappen oder ein Einrasten der Mechanik, gerät aus dem Blick, dass jede Form des Schmerzes ihre eigene Form des Trostes braucht. Nur diese, eine Form der Entsprechung, die im Prinzip, aber nicht im Fall das Allgemeine berücksichtigt und damit im üblichen Sinn keine Entsprechung ist, kann dem Schmerz entsprechen und heilen. Dabei ist zu sehen, dass der Trost zunächst per se ein solcher ist, der nicht reicht, da er dadurch, dass es ihn in der Standardisierung geben muss, aus einer Perspektive des Mangels spricht und diese durch sein Eintretenmüssen plausibilisiert. Der standardisierte Trost reicht nicht, weil er einer ist, der reichen soll, normativ abgesichert wirken soll. Vergessen wird nungsform der Utopie: Zwischen Ermächtigungs- und Trostfunktion, Berliner Debatte Initial 27 (2016), 2, Die Lücke der Utopie, S. 39–49.
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dabei zum einen, dass nur, wer den Schmerz fühlt in einer einmaligen Lage, ahnt, was helfen könnte, und zum anderen, dass die Trostfunktion etwas Utopisches hat, das von der Standardisierung unterschlagen wird: Als Blochsches Hoffnungsprinzip (Wiedereinsetzung der Hoffnung, wenn ein Trost gelang und alles leicht wird), aber auch als plötzliche Einsicht, in der Schmerzsituation, genauer betrachtet, eine Ahnung davon zu haben, was Trost hier wäre. Dabei schließt der Leidende an Glück an, das er kannte, hofft aber manchmal auf eine situative Änderung, die den Trost bringen könnte, von der er nicht ganz weiß, ob sie diesem Glück entspricht. In jedem Fall sind umfassendere Welt- und Erfahrungsbezüge aufgerufen, als sie die normierte Reaktion auf den Schmerz zu tragen vermag. Wenn die Reaktion auf den Schmerz normiert ist, limitiert dies zugleich das Ausdrucksverhalten des Trostbedürftigen selbst: Jenseits der Adaequatio-Idee ist das Verhältnis von Schmerz bzw. einer trostbedürftigen Lage nicht symmetrisch, keines der Entsprechung. Der zum Symptom verkleinerte und linearisierte Schmerz, der Trost nur als einrastende mechanische Trostfunktion kennt, impliziert die Lösbarkeit des Schmerzes und scheint das Gelingen des Trostes sicherzustellen. Es gibt aber keine Taxonomie des Trostes. Dass kein einheitliches Verfahren den Schmerz, der so heterogen ist wie seine erträumte Heilung, befriedet, wissen die Apologeten der Taxonomie. Wie im Prokrustesbett der Begriffe, das wir zu unserer Sicherheit benutzen (Begriffskonstanz, um Sinn zu verstehen), wird des Trostbedürftigen Anspruch so verkleinert, dass sich eine Passung zu ergeben scheint. Dass zugleich gewusst werden kann, dass die Passung eine scheinbare ist, zeigt die Qualität der Entsprechung von Schmerz und Trost: Trost ist das enttäuschte Bedürfnis der Sozialität, d. h. es wird so lange getröstet, bis das Bedürfnis nach Wahrheit, das im Schmerz aufbricht, wieder durch das Bedürfnis nach dem, was die Welt scheinbar nur geben kann, ersetzt ist. Damit zeugen sich die Bedürfnisse in ihrer Begrenzung fort.
Ein Musterrezept des Trostes? Eine weitere Möglichkeit, die Herkunft des falschen Trostes zu betrachten (in der Hoffnung, den Umfang der Behauptung einer Entsprechung von Trost und Trostbedürftigkeit zu verstehen), liegt in einem Thema, das auf die Genese der Troststruktur verweist. Trost 178 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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wird meist gerade nicht als etwas verstanden, das jedem Lebenden geschuldet ist, da er lebt und leben muss (die Abkehr vom Leben einen aktiven Entschluss voraussetzt). Vielmehr wird die Einübung der Verwendung des symbolischen Mediums der Sprache, das nur in seiner positiven Prägung aufscheinen darf, dem die infelicity (Austin) Ausnahme ist, als Einübung jener Muster und Repertoires gesehen, die Sinnerfahrung an Vollständigkeit binden. Zunächst impliziert das Verwenden von Sprache Vollständigkeit als Norm, weil es, neben anderen Vorschlägen, als auf Musterbildung rekurrierender und von dieser Musterbildung Bedeutung recht eigentlich beziehender Prozess gedacht wird. 23 Das ›Musterrezept‹ ist nun, im Licht des falschen Trostdiskurses, der Symmetrie von Trostbedürftigkeit und Trost impliziert, obwohl dies der präsentisch-unverfügbaren Natur des Schmerzes widerspricht, nicht gänzlich abzulehnen. Es stellt sich nur die Frage, ob eine der Bedeutungsgenese sinnvoll zugrundeliegende folgenreiche Form der Wahrnehmung, die letztlich sprachliche Bedeutung erklärt, als Vorbild für den Umgang mit Phänomenen der Personalität taugt. War die Referenz der astronoetischen Glossen Blumenbergs ein Verstehen dessen, der x auch haben will (SputnikSchock), liegt der Wettbewerbscharakter im Bereich sprachlicher Sinnangebote zunächst im Hintergrund (wäre etwa soziologisch aufzurufen als Einsicht in die stratifikatorisch gebundene, mehr oder weniger etwas versprechende façon de parler). Analog zu dem Versuch, in der philosophischen Ästhetik Kunst nicht nur von ihrer Wirkung auf das Subjekt her, sondern in Bezug auf ein Objektives hin zu denken, 24 behält die Sicht auf die Troststruktur als ideologisch im Blick, dass nicht allein von der Wirkung des Trostes auf den Trostbedürftigen auszugehen ist, sondern dass es eine Objektivität des Trostes in dem Sinne gibt, dass wir wissen können, was das Beste an Trost wäre. D. h. es gibt eine Einsicht in unsere Bedürfnisstruktur, die unbestimmt ist, aber den Mangel anmeldet. In der Kontur des Mangels ist Erfüllung – aus den bekannten Quellen von Trost und Glück, die wir haben – denkbar, zumal diese ersten Vorstellungen, im Zustand des Schmerzes getan, ein Bewusstsein des Mangels behalten, d. h. über sich hinausweisen. Die fehlende tatVgl. nur Eike v. Savigny, Wittgensteins »Philosophische Untersuchungen«. Ein Kommentar für Leser, Band 1: Abschnitte 1–315, Frankfurt/M.: Klostermann 1988. 24 Vgl. Theodor W. Adorno, Ästhetik (1958/59), hrsg. von Eberhard Ortland, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009, S. 13 ff. 23
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sächliche Passung von Trostbedürfnis und Trost erinnert daran, dass behauptete Symmetrien auf Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft verweisen, die auf Individuen verteilt (ihnen als gängige Ausdrucks- und Reaktionsformen nahegelegt) werden, so dass als individuelles Ausdrucksbedürfnis erscheint, was in die gelegen kommende Nomenklatur überführt worden war und als Repertoire der Trostformen vermittelt wird. So zeigt sich das tatsächliche Trostbedürfnis nur im Mangel. Das Problem, an das Blumenberg erinnert, hat – ontologisiert und als Anthropologem – seinen Abschluss nicht gefunden. Es ist das unabschließbare Problem des unabschließbaren Bewusstseins. Wie oben gesagt ist in der trostgebenden Handlung ebenso eine musterbildende Operation zu sehen wie in dem mit der Entstehung (sprachlicher) Bedeutung wesentlichen Musterrezept, das v. Savigny beschreibt. Musterbildung spielt mit Erweiterbarkeit und Rekombinierbarkeit von Zeichenrepertoires; aus der Menge der Zeichen wählt man nicht, was man möchte, sondern womit sich eine positiv sanktionierte Vervollständigung erreichen lässt. In diesem Zusammenhang ist das Element der Deutung verallgemeinert, schwach, die Intentionen des Subjekts sind die, von denen eine kollektive Deutung möglich ist, die aber gewöhnlich nicht selbst deuten. Das heißt nicht, dass der individuelle Fall ganz unwichtig würde; er ist nur in so einer initialen Weise (Spracherwerb als Mustererwerb) an die Aneignung bereits geltender Deutungen gebunden, dass die individuelle Äußerung von Schmerz und die Erwartung von Trost sozial konnotiert und damit an die Idee der Vergleichbarkeit gebunden sind. Vergleichbar ist nicht nur das, was ohnehin schon gleich ist, könnte man meinen – aber dem Vergleich zu unterliegen, verändert Größen und Entitäten, weil sie überhaupt nur als potentiell vergleichbare in den Blick kommen und kommen sollen. So wird die gewollte Eindimensionalität (hier: des Trostes, der gegeben wird) selbsterfüllende Prophezeiung. Deutlich wird, dass das Kriterium der Messbarkeit des Trostes, das durch die Idee der Vergleichbarkeit von Trost (vom individuellen Trost zu Trostformen) nahegelegt wird, diesen Trost verarmen lässt, diese Verarmung aber gewollt ist, sofern die Logik der Entsprechung für Ordnung steht. 25 Wie Maihofer betonte, finden wir Ordnung in
Vgl. nur Werner Maihofer, Vom Sinn menschlicher Ordnung, Frankfurt/M.: Klostermann 1956.
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Entsprechungsverhältnissen (gerade im Recht leitet die Waage der Justitia), doch bis dieser Eindruck (unsere Gewöhnung an diese Ordnungsform) gelang, musste schon viel vorbereitet sein: In der Sprache (mit Wittgenstein, PU 257 26) und in der Art, wie wir von anderen Menschen und states of affairs in der Welt denken. Der Vergleich des Trostgebens mit der Kunstbetrachtung (nicht nur nach Wirkungen fragen, sondern nach etwas Objektivem) hatte nicht den Zweck, einen Objektivismus des Trostes oder eine Konstanz der Trostformen anzunehmen, die metaphysisch gerechtfertigt wäre. Die Frage nach der Trostform, die nicht in erster Linie von einer Wirkung des Trostes im Subjekt ausgeht, hat den Sinn, von diesen Reaktionen des Subjekts insofern abzurücken, als es falsche Reaktionsformen sind, von der Gesellschaft schon eingefärbt, d. h. Formen des Sich-Begnügens. Wie der Mensch sich mit der unbefragten Existenz nicht begnügt, in die er hineingeworfen wurde (buchstäblich, noch vor der philosophischen Richtung des Existentialismus kommend, auch wenn es Berührungspunkte gibt), zieht er aus der dauernden Konfrontation mit falschem Trost keine Befriedigung. Dieser verlängert die unbefragte Situation, ist nicht etwa Antwort, sondern Fortführung des Sich-Begnügens. Der sich-begnügende Mensch lernt aber mit der Zeit nicht nur, die falschen Trostformen zu akzeptieren, sondern den Blick auf den eigenen Schmerz zu verändern: Dies wird es hierfür geben, diese Trostformen habe ich zu erwarten, diese sind unwahrscheinlich, diese wünsche ich mir (von diesen wüsste ich, dass sie helfen), diese sind ungewiss. So wird mit der Zeit eine Kenntnis der Trostformen zu einem Abfinden mit diesen einzig verfügbaren. Dass der Schmerz auf das Unverfügbare weist, ist sein Zeichen; auf das Anders-sein-Können der Lebensumstände, tatsächliche Kontingenz. Die Wahl ist schon keine Kontingenz mehr (verweist nicht auf diese), nur das, wovon man weiß, dass es durch die üblichen Trostformen nicht getröstet werden wird, weist den Weg zu dem, was möglich wäre, auf der Welt, im Leben, nicht dem entfernten Punkt des als utopisch fast abgeschriebenen Ideals.
Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (wie Anm. 8), S. 361, PU 257 (im Kontext der Diskussion des Schmerzbenehmens): »Wenn man sagt ›Er hat der Empfindung einen Namen gegeben‹, so vergißt man, daß schon viel in der Sprache vorbereitet sein muß, damit das bloße Benennen einen Sinn hat.«
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Standardisierter Trost und zugelassener Schmerz Es ist an der Zeit, die Wirkungsweisen der standardisierten Trostformen als Geschwister des zugelassenen Schmerzes zu sehen, dieser ist einer, der auf seine Überwindung verweist und verspricht, dass es bald besser geht. So ist der Schmerz, wie das Schweigen, Agent des Vergessens: 27 Die Unbefragtheit des Trostes bleibt und mündet in den zweiten Trost der Amnesie (doch der erste, gewollte, ist es nicht). Kann man zu diesem Ersten, das als wahrer Trost imaginiert würde, zurückkehren, oder bleibt es die unvollständige Kontur einer Hoffnung, die sich nicht erfüllen wird? Wer ist für die Erfüllung der Hoffnung zuständig? Kann jeder Akteur seiner Hoffnung sein oder ist das, was wir hoffen, fremdes Gebiet, sind auch dies nicht wir selbst, weil die Strukturen der Hoffnung uns von denen eingegeben wurden, die uns bekämpfen und deren Struktur wir bekämpfen müssten, um zur Wahrheit zu gelangen? Dass Wahrheit als Substanzbegriff ausgedient hat, heißt nicht, dass die Idee, im Wahren (dans le vrai) zu sein, nicht weiter besteht. Es ist aber schwieriger, etwas zu erreichen, was an den Zustand der Wahrheit erinnert, da mit Absage an Substanz und Essenz (und die Bewegungen, die diese Größen restituieren wollen) die Grundlage dessen nicht mehr ist, was Trost immer sein sollte: ein ruhiges Zurückgeben des Schmerzes an den Ort, von dem er ausging, um dort Heilung zu finden. Dass Trost noch nicht Heilung ist, davon sollen die letzten Überlegungen handeln. Heilung ist ein Zustand, in dem Schmerz nicht mehr besteht, genauer: ein Prozess, in dem er weniger wird. Es ist eine Verringerung dessen, was Schmerzen brachte. Damit wäre die Heilung an den Gedanken der Quantifizierung von Lebenswelt angeschlossen. Dass Heilung das ist, was auch über die Welt nicht hinauskann, ist ihr Geheimnis. Oft wird sie als allmähliche Ersetzung (Substitution) eines schlechten Zustands durch einen besseren verstanden; das ist nicht alles allein. Vielmehr ruft die Heilung, die wir suchen können, eine Wahl auf. Unter diesen Trostformen zu wählen (und dass Trost noch nicht Heilung ist, sondern sie vorschlägt, ist eine andere Frage), heißt nicht zu wissen, aber zu ahnen, welche gewählte Trostform Heilung bringen könnte. Soll der Trost den Schmerz nicht nur überVgl. Christine Abbt, Vergessen. Jenseits der Sprache? In: Sandra Markewitz (Hrsg.), Jenseits des beredten Schweigens. Neue Perspektiven auf den sprachlosen Augenblick, Bielefeld: Aisthesis 2013, S. 101–120.
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decken, bedeutet dies zu begreifen, dass, im Sinne der vorangegangenen Überlegung, die zu wählenden Trostformen eingeschränkt sind. Damit wird dann, rekursiv, der Schmerz eingeschränkt, d. h. er ist, worauf dieser Trost nur zurückweist. Die standardisierte Trostform standardisiert den Schmerz, auf den sie antwortet. Das ist eine Verkleinerung des Schmerzes insofern er Schmerzevidenz ist und in ontologisierender Perspektive nicht im ›Schmerzbenehmen‹ aufgeht, das bei Wittgenstein im Privatsprachenargument der Philosophischen Untersuchungen auf den engen Zusammenhang von Ausdrucks- und Reaktionsverhalten verweist. Der Schmerz geht nicht im Schmerzbenehmen auf, weil dieses nur in seltenen Fällen auf den trifft, der versteht, dass mehr zu verstehen und zu erkennen ist als ein erlerntes Muster, das Schmerz signalisiert. Heilung ist nicht Signal und antwortet nicht auf dieses, sondern Prozess, nicht nur, weil das Signal zu punktuell wäre, sondern Erstere ein anderes Hören des Schmerzes fordert, als das Einrasten der Trostreaktion, die dem Schmerz mechanisch antwortet. Um zu verstehen, dass der Mensch homo dolorosus ist, wie er ins Leben geworfen wird ohne Frage um Zustimmung, ist zu verstehen, dass er nicht nur Körper ist, auch Geist. Die Materialität des Schmerzes ist das, was sich schon zeigen und worüber ich sprechen kann; die Perzeption des Schmerzes, auf dessen Wahrnehmung der Trostwunsch folgt, ist aber auch von einem Wunsch nach Heilung begleitet, der so umfassend ist, dass er sich in dieser Radikalität nur andeuten kann. Was der, der Trost wünscht, also wirklich verlangt, entzieht sich ebenso der Rede wie das Bemerken, in das Leben ungefragt hineingestellt zu sein, dem Lebenden zunächst nicht auffällt. Erst allmählich wird bemerkt, dass das Leben zu schwer für uns ist, erst allmählich tritt die mangelhafte, nur behauptete Entsprechung von Schmerz- und Trostform ins Bewusstsein, die gerade deshalb so schwer zu erkennen ist, weil sie im Muster der Entsprechung auftritt und dieses – als geistesgeschichtlich bewährte Größe – weiterführt. Das Rätsel des Trostes bleibt dabei ungelöst; dass es als Rätsel erscheinen kann, dass es auffallen kann als etwas nicht glatt Gelöstes und Lösbares, macht das Denken von Trost und Schmerz zu einem Existential, das gerade in der subjektiven Perspektive des Ungetrösteten, der weiß, dass die Trostformen nicht heilen, nur aufschieben, solange sie standardisiert sind, und damit recht eigentlich den Schmerz befördern, dauerhafter Punkt der Kritik ist. Wäre die Kritik so neutral, wie Kant es in der Untersuchung der Erkenntnisvermögen 183 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Sandra Markewitz
bezweckte, könnte der Begriff des Trostes in jenen sichern Gang gebracht werden, der die Erkenntnisvermögen bis zur Kopernikanischen Wende nicht beförderte. Da der Neutralismus der Kritik hier durch die Schmerzevidenz immer wieder gebrochen wird, kommt als Weg, die Standardisierung von Schmerz und Trost aufzubrechen, in den Sinn, die Spuren des wahren, versprechenden Trostes zu lesen, wie der Satz, wie oben erwähnt, die logische Form der Sprache aufweist und zu finden aufgibt; 28 eine Suche, die sich im Körperlichen nicht erschöpft, das uns fraglos gegeben wurde.
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Wittgenstein, Tractatus (wie Anm. 20), S. 33, TLP 4.121.
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Teil 3: Ein Manuskript
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Rüdiger Zill
»Automation« Die Entstehung der Blumenberg’schen Technikphilosophie anhand eines frühen Vortragsentwurfs
Vom Umgang mit unveröffentlichten Vortragsmanuskripten von Hans Blumenberg Als Hans Blumenberg im März 1996 starb, war es wahrscheinlich nur wenigen Eingeweihten klar, dass der postum zu publizierende Anteil seines Werks den schon veröffentlichten um ein Vielfaches übertraf. Aus dem Nachlass, der zunächst von dem jüngsten Sohn Tobias betreut wurde, 2002 dann aber größtenteils ans Deutsche Literaturarchiv Marbach ging, 1 wurden im Laufe der nächsten Zeit eine Vielzahl von Büchern ediert, fast Jahr für Jahr erschien mindestens ein Band, ein Ende ist immer noch nicht abzusehen. Bisher wurden vor allem Konvolute publiziert, die Blumenberg selbst mehr oder weniger als geschlossene Corpora hinterlassen hat, nur in Ausnahmefällen Briefwechsel, 2 Vorlesungsnotizen 3 oder thematisch nachträglich zusammengestellte Sammlungen von Zeitungsartikeln und Glossen. 4 Die Textgrundlage waren dabei meist Typoskripte, die Blumenbergs Sekretärin nach von ihm besprochenen Stenoretten-Kassetten getippt hat und die der Autor in der Regel selbst noch einmal überarbeitet hat: Sei es, dass er handschriftlich Änderungen vornahm, sei Vgl. Ulrich von Bülow, Dorit Krusche: Vorläufiges zum Nachlass von Hans Blumenberg, in: Cornelius Borck (Hrsg.), Blumenberg beobachtet. Wissenschaft, Technik und Philosophie, Freiburg i. Br./München: Karl Alber 2013, S. 273–287. 2 Vgl. Hans Blumenberg – Carl Schmitt: Briefwechsel 1971–1978 und weitere Materialien, hrsg. und mit einem Nachwort v. Alexander Schmitz und Marcel Lepper, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007, und Hans Blumenberg – Jacob Taubes: Briefwechsel 1961–1981 und weitere Materialien, hrsg. v. Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml, mit einem Nachwort von Herbert Kopp-Oberstebrink, Berlin: Suhrkamp 2013. 3 Vgl. Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit, hrsg. von Anselm Haverkamp, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 4 Vgl. Hans Blumenberg: Der Mann vom Mond. Über Ernst Jünger, hrsg. und mit einem Nachwort von Alexander Schmitz und Marcel Lepper, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 1
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es, dass er mit seiner eigenen Schreibmaschine (erkennbar an der kleineren Type) Ergänzungen zwischen die Zeilen oder an den Rand schrieb oder sogar neue Seiten einschob. Die Zusammengehörigkeit der Konvolute wurde auch durch Siglen gewährleistet, mit denen Blumenberg jeweils die Seite paginierte. Zusätzlich eingeschobene Seiten erhielten eine ergänzende Buchstaben-Paginierung (auf S. 13 folgten etwa die neu verfassten Seiten 13 a, 13 b, 13 c und so weiter). Manchmal hat Blumenberg auch Konvolute mit unterschiedlichen Siglen zusammengefügt. Aber jedes Gesamtmanuskript wurde in einer Mappe aufbewahrt, auf deren Deckel ein Titel und die Sigle (oder die Siglen) vermerkt sind. Häufig findet sich darin auch ein Inhaltsverzeichnis, das darüber Auskunft gibt, wie die Zusammenstellung gedacht war, das heißt, welche Texte darin in welcher Reihenfolge erscheinen sollten. Das ist vor allem dann aufschlussreich, wenn die Texte nicht unmittelbar als Manuskript in der jeweiligen Mappe liegen, sondern erst aus dem Gesamtkonvolut Unerlaubte Fragmente oder aus einem anderen Sammelmanuskript herausgesucht werden müssen. Auf den ersten Blick ist die Absicht des Autors also klar nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick verwirren sich diese Intentionen aber oft wieder, weil sich Blumenbergs Arbeit im Zustand permanenter Revolution befand. Selten war ein Typoskript für ihn definitiv abgeschlossen, zumal wenn es sich dabei um die Sammlung unterschiedlicher Glossen handelt, wie es vor allem bei den späten Konvoluten meist der Fall ist. Immer wieder gruppierte er die Texte anders, oft ordnete er einen Text auch verschiedenen Mappen zu, was dadurch erleichtert wurde, dass es von fast allen Texten mehrere Durchschläge gibt. So geht es nicht immer auf die Entscheidung der Herausgeber zurück, wenn heute einige Texte in zwei Bänden vertreten sind. Mit solchen Mehrfachkombinationen hat Blumenberg selbst gespielt, aber wahrscheinlich hätte er sich für eine der Optionen entschieden, wenn diese Bände von ihm selbst veröffentlicht worden wären. Nur ist das im Nachhinein nicht mehr eindeutig feststellbar, weil der Autor hier eben selbst noch keine definitive Wahl getroffen hatte. Immerhin verdeutlicht uns diese Tatsache, wie sehr sich die Sammlungen überschneiden und wie stark sie auch miteinander korrespondieren. Wenigstens ist der Text in diesen Fällen selbst eindeutig, weil auch bei Überarbeitungen immer klar wird, wie der Autor den Satz und die Abschnitte konzipiert hat. Anders liegt der Fall natürlich bei Notizen, die als Stichworte zu Vorträgen gedacht waren. Hier ist es schwieriger, den Gedankengang zu rekonstruieren, zumal wenn die 188 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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Notizen, wie das gerade bei Stichworten aus den fünfziger Jahren der Fall ist, nur handschriftlich vorliegen, also schon Probleme der Entzifferung auftreten können. Blumenbergs Handschrift ist nicht immer einfach zu lesen, nicht zuletzt weil sich die Buchstaben e, m, n und u zum Beispiel sehr ähnlich sehen. Kann man hier die Worte in einem Fließtext häufig durch den Kontext rekonstruieren, so ist das bei Stichworten schwieriger. Zu dem rein transkriptorischen Problem kommt darüber hinaus ein hermeneutisches: Welcher Gedankengang versteckt sich hinter den Stichworten, die zum Teil nur aus einem Wort bestehen? Hier kann man gelegentlich den Umweg über publizierte oder wenigstens schon ausgeschriebene Texte gehen, in denen der Gedankengang ebenfalls auftaucht. Allerdings ist auch das unter Umständen irreführend, weil Blumenberg häufig dieselben Beispiele in unterschiedlichen argumentativen Kontexten verwendet. Eine gewisse Vorsicht vor zu schnellen Schlüssen ist hier also angebracht; am Ende muss man die Entscheidungen, die am plausibelsten erscheinen, von Fall zu Fall treffen. Ein Musterbeispiel für all diese Schwierigkeiten stellt ein technikphilosophisches Manuskript aus den fünfziger Jahren dar. Das soll hier im Folgenden untersucht, sein Gedankengang so weit wie möglich rekonstruiert werden.
Datierungsprobleme Wir kennen Hans Blumenbergs philosophiehistorische, aber auch systematische Gedanken zu einer Philosophie der Technik vor allem durch Vorträge und Artikel aus den 1960er Jahren (heute publiziert in dem Sammelband Geistesgeschichte der Technik). Viele Beiträge aus den 50er Jahren, veröffentlicht vor allem in Studium Generale, setzen sich aber schon mit der Entwicklung der Produktions- und damit auch der Technikvorstellungen in der Geschichte der Philosophie auseinander. Dennoch sind Blumenbergs Vorstellungen zu einer systematischen Einschätzung der Technik in dieser Zeit allenfalls auf Umwegen über die historischen Schriften zu erschließen. 5 Ausführlicher zu dieser Entwicklung: Rüdiger Zill, Von der Atommoral zum Zeitgewinn: Transformationen eines Lebensthemas. Hans Blumenbergs Projekt einer Geistesgeschichte der Technik, in: Jahrbuch Technikphilosophie III (2017), BadenBaden: Nomos 2016, S. 291–313.
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Im Marbacher Archiv liegt allerdings eine interessante Ausnahme, ein Vortragsmanuskript, das den Titel »Automation« trägt und sich erstaunlich explizit mit technikgeschichtlichen und -philosophischen Fragestellungen auseinandersetzt. 6 Es ist von Blumenberg selbst auf Juni 1956 datiert und besteht aus zehn DIN A5-Blättern, teils mit ausformulierten Thesen, teils aber auch nur mit Stichworten. Auf ihnen entfalten sich Ansätze einer eigenständigen Technikphilosophie. Der Vortrag ist einer aus einer ganzen Reihe, die Blumenberg in den fünfziger Jahren bei den Fortbildungslehrgängen für Beamte des gehobenen Dienstes der Oberpostdirektion im Schleswig-Holsteinischen Bargteheide gehalten hat. Um seine wachsende Familie zu ernähren, verdiente er sich zu seinem schmalen Assistentengehalt an der Universität Kiel etwas dazu, indem er nicht nur Feuilletons für Tageszeitungen schrieb, sondern auch Vorträge für ein allgemeines Publikum hielt. 7 Dazu wählte er Themen, von denen auch ein breites öffentliches Interesse zu erwarten war, etwa solche, die sich mit der Entwicklung der Technik und ihrer philosophischen Einschätzung auseinandersetzten. 8 Bei genauerer Betrachtung der überlieferten Materialien ergibt sich aber ein Datierungsproblem. Blumenberg hat sämtliche Vortragsverzeichnisse der Kurse an der Lehrstätte der Oberpostdirektion in Bargteheide, an denen er selbst beteiligt war, aufbewahrt. Aus ihnen geht hervor, dass er im Jahr 1956 keinen Vortrag zur Automation oder zu irgendeinem anderen technikphilosophischen Thema gehalten hat, auch nicht in den Jahren davor oder unmittelbar da-
Hans Blumenberg: Automation, bislang unveröffentlichtes Manuskript, DLA Marbach, A: Blumenberg. Der Text wird hier im Anhang sowohl faksimiliert als auch transkribiert wiedergegeben. Für die freundliche Erlaubnis danke ich sehr herzlich Bettina Blumenberg und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. 7 Vgl. dazu auch den Beitrag von Alberto Fragio in diesem Band. 8 Die Korrespondenz mit der Oberpostdirektion Hamburg beginnt bereits 1954; auch wenn Blumenbergs Auftraggeber die Vorträge zunächst kritisch sah, weil er ihren Duktus für zu kompliziert hielt, verstetigte sich im Folgenden die Zusammenarbeit. Andere Themen, über die Blumenberg referierte, waren »Einführungen in die Ethik / Ethische Grundhaltungen / Die vier Kardinaltugenden«, »Verantwortliches und richtiges Denken« bzw. »Richtiges Denken« und »Menschenbild und gegenwärtige Lebensordnung«. Zu diesen Vorträgen generell vgl. Dorit Krusche: »Was hat die Deutsche Post von der Philosophie?«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 7. 2010. 6
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nach. 9 Erst im Mai 1960 referierte er über »Die moderne Technik vom Standpunkt der Philosophie«. Da der Vermerk »Juni 1956« aber mit einem anderen Stift vorgenommen worden ist und die Schrift auch leicht zittrig erscheint, könnte es sich um eine nachträgliche Datierung handeln. Hat sich Blumenberg bei der Ordnung seines Nachlasses falsch erinnert? Ist das Manuskript doch später entstanden? Dagegen spricht, dass sich eine Reihe von Karteikarten finden lässt, die thematisch klar in das Umfeld »Automation« gehören und die auf der Rückseite oben links mit einer kleinen Notiz »6/56« versehen sind. 10 Das machte Blumenberg immer dann, wenn er die Karte für einen Text benutzt hat. Im Juni 1956 scheint in der Tat ein Vortrag oder Aufsatz zum Thema »Automation« entstanden zu sein. Gab es dafür vielleicht einen anderen Anlass, und ist das Manuskript dann nur versehentlich in das Bargteheider Konvolut geraten? 11 Dagegen spricht aber zunächst ein weiteres unstimmiges Detail. Im Manuskript selbst gibt es einen unmissverständlichen Bezug auf einen Aufsatz von Hans Jonas, der erst 1961 im Druck erschienen ist, auf: »Homo pictor und die differentia des Menschen«. 12 Dass Blumenberg eine Version dieses Textes schon früher kannte, lässt sich deswegen belegen, weil aus seiner Korrespondenz mit Hans Jonas deutlich wird, dass der sehr geschätzte Kollege im Januar 1960 auf Vermittlung von Blumenberg nach Hamburg und Kiel eingeladen war und an beiden Orten über den Homo pictor sprach. Aus Jonas’ Briefen geht auch hervor, dass er davon ausging, dass Blumenberg seine Überlegungen zu diesem Thema noch nicht kennen konnte. 13 Für den Hinweis auf den zeitlichen Widerspruch zwischen der Datierung auf dem Manuskript und den Vorlesungsverzeichnissen danke ich Dorit Krusche. 10 Vgl. etwa die Karteikarten 2884, 2885, 2886 und 3031, DLA Marbach, Karteikarten zu »Technik«. 11 In Blumenbergs Liste gehaltener Vorträge erscheint solch ein Vortrag allerdings nicht. Das muss aber nichts bedeuten, da sie nicht vollständig sein kann, so ist zum Beispiel von den Bargteheider Vorträgen nur der erste im Juli 1954 (»Richtiges Denken«) verzeichnet. 12 Hans Jonas: Homo pictor und die differentia des Menschen, Zeitschrift für philosophische Forschung 15,2 (1961), im Folgenden zitiert nach: ders., Das Prinzip Leben. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 265– 302. 13 Vgl. Hans Jonas: Briefe an Hans Blumenberg vom 29. 12. 1959 bzw. an Günther Gawlick vom 8. 1. 1960. Das schließt aus, dass Jonas etwa Blumenberg schon früher sein Manuskript zugeschickt haben könnte, denn ursprünglich ist der Text für die Fest9
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Nun ist es aber ausgesprochen plausibel, dass Blumenberg den Begriff und die mit ihm verbundene Argumentation von Jonas im Januar 1960 gehört und sie dann vier Monate später als mögliche Position in seinenVortrag mit aufgenommen hat. Diese Beobachtungen lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass es in der Tat schon im Juni 1956 eine Version dieses Textes gab, sie dann für den Bargteheider Lehrgang aber noch einmal überarbeitet worden ist – und uns schriftlich nun nur noch diese Variante vorliegt. Der Kern dieser Argumentation wäre dann schon Mitte der fünfziger Jahre erarbeitet, konkrete Details aber erst 1960 nachgetragen worden.
Blumenbergs Technikphilosophie im Kontext zeitgenössischer Debatten Inhaltlich stößt der Vortrag, der sich explizit mit solch technikphilosophischen Fragen beschäftigt, direkt ins Zentrum der damaligen Diskussion vor. Zwei technische Entwicklungen waren in den fünfziger Jahren neu und damit der Gegenstand erhöhter Aufmerksamkeit: die Atomenergie, speziell die Atombombe, und die Automatisierung der Produktion. 14 Über die Atombombe hat Blumenberg schon 1946 einen Aufsatz geschrieben und zur Veröffentlichung angeboten, allerdings vergeblich – der Text konnte dann erst postum erscheinen. 15 Die eng mit der aufkommenden Kybernetik verbundene Automatisierung von Arbeitsabläufen, die so genannte »zweite indusschrift zu Leo Strauss’ 60. Geburtstag 1959 entstanden, der Band ist allerdings nie erschienen (vgl. das editorische Nachwort zu Kritische Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas, Bd. I/1. Freiburg i. Br. usw.: Rombach 2010, S. 606). Die früheste Version dieses Texts ist laut Katalog des Hans Jonas Archivs an der Universität Konstanz von 1957 und trägt den Titel »The Differentia of Man. An Experiment in Philosophical Anthropology« (diesen Hinweis verdanke ich Hannes Bajohr, von dem auch der Fund stammt, dass Jonas den ersten Entwurf seines Briefs an Blumenberg vom 14. 7. 1960 auf der Rückseite eines Blatts aus dem Homo pictor-Manuskript geschrieben hat). 14 Vgl. Rüdiger Zill: Im Wendekreis des Sputnik. Technikdiskurse in der Bundesrepublik Deutschland der 50er Jahre, in: Irmela Schneider, Peter M. Spangenberg (Hrsg.) Medienkultur der 50er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 1, Wiesbaden: VS 2002, S. 25–49. 15 Hans Blumenberg: Atommoral. Ein Gegenstück zur Atomstrategie, in: Helga Raulff, Strahlungen. Atom und Literatur, Marbach: marbachermagazin 123/124 2008, S. 125–136.
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trielle Revolution«, war nicht nur Gegenstand konservativer Technikkritik, 16 sondern beunruhigte auch die Öffentlichkeit. Denn nachdem die weitgehend in Trümmern liegende westdeutsche Industrie in den ersten Jahren nach dem Krieg damit beschäftigt war, das Zerstörte wieder aufzubauen und dafür auch eine große Zahl von Arbeitskräften benötigte, war in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre das Wirtschaftswunder so weit fortgeschritten, dass nun auch technische Innovationen zum Zuge kommen konnten, auch solche, die die Arbeit rationalisierten und durch Automatisierung Arbeitskräfte wieder freisetzten. Nun begann man eine »Revolution der Roboter« 17 zu befürchten, ökonomische Umstrukturierungen, die den Menschen überflüssig zu machen scheinen. Theoretisch wurde diese Debatte vor allem von Norbert Wiener inspiriert, 18 kritisch setzte sich aber auch schon die Frankfurter Schule mit dem Phänomen ›Automatisierung‹ auseinander. 19 Aber jenseits der prominenten, zum Teil heute noch bekannten Autoren, entwickelte sich auch in Zeitungen und Zeitschriften eine breite Debatte über den Charakter und die Auswirkungen der Automatisierung. Wie sehr dieses Thema die Zeit beherrschte, ist heute kaum noch bekannt, weil die Autoren jener weit gestreuten Diskussion inzwischen meist vergessen sind. Aus der Lektüre dieser Beiträge bezog Hans Blumenberg aber einen Großteil seines Wissens über technische Innovationen. Das wird vor allem durch die Einträge in seiner Leseliste deutlich, zum Teil aber auch durch Exzerpte, die er sich auf Karteikarten notiert hat. Sieht man sich diese Zeitschriftenaufsätze näher an, fällt auf, dass auch sie sich im Hinblick auf das Wissen über neuste technische Entwicklungen wieder auf andere Literatur, oft aus den Vereinigten Staaten, verlassen haben. 20 Es handelt sich also um einen öffentlichen Diskurs, der Vgl. pars pro toto: Hans Freyer: Die Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart: DVA 1955, S. 36 (auf Blumenbergs Leseliste erscheint der Band erst spät: 7. 6. 1970, allerdings schickt er schon am 21. 9. 1955 eine kurze Rezension, kaum mehr als eine Notiz, an Alfons Neukirchen, den Feuilleton-Redakteur der Düsseldorfer Nachrichten; ob sie je erschienen ist bleibt unklar, vgl. DLA Marbach, A: Blumenberg, Briefwechsel mit Alfons Neukirchen). 17 So z. B. ein Titelthema des Spiegel 31/1955. 18 Vgl. Nobert Wiener: Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft, Frankfurt/M.: Metzner 1952. 19 Vgl. z. B. Friedrich Pollock: Automation. Materialien zur Beurteilung ihrer ökonomischen und sozialen Folgen, Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt 1956 (völlig überarbeitete Neuausgabe 1964). 20 Am deutlichsten z. B. Helmut Schelsky: Zukunftsaspekte der industriellen Gesell16
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aus einem System sich in mehreren Stufen gegenseitig verarbeitender Literatur besteht. Als Teil dieser Debatte muss man auch Blumenbergs Vortrag sehen.
Definitionen: »Unterschied Mechanisierung – Automatisierung« Die ersten beiden Seiten der uns überlieferten Notizen wollen zunächst das untersuchte Phänomen begrifflich klären; vor allem unterscheiden sie die Automatisierung von der ihr vorausgehenden Mechanisierung. Die Mechanisierung bedeutet: »starrer Ablauf einer Einstellung«, 21 das Arbeitsergebnis muss im Nachhinein auf seine Korrektheit untersucht werden. Solche Produktionsweisen sind im großen Stil spätestens seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bekannt. Das neue an der Automatisierung sind nun Rückkoppelungseffekte (»feedback«): Die Kontrolle des Arbeitsresultats geht also direkt in den Arbeitsprozess mit ein, Auftragsfolgen können vorab festgelegt, d. h. programmiert werden, damit ist ein und dieselbe Maschine auch nacheinander für unterschiedliche Produktionsprozesse einsetzbar. 22 Aber Automatisierung heißt nicht zwangsläufig nur »Konzentration von Arbeitsgängen in einer Maschine«. Sie geht gleichzeitig auch darüber hinaus: »Automatisierung ist nicht notwendig an die ›Maschine‹ im engeren Sinne gebunden: ihre reinste Ausprägung findet man in der chemischen Industrie, z. B. Ölraffinerie«. Das hatte schon Norbert Wiener in Mensch und Menschmaschine betont. Wiener hatte zwar generell die automatische Fabrik im Blick, schreibt aber explizit: Kann man einen Produktionsablauf im Voraus ausarbeiten, so kann man ihn auch in ein Programm übertragen, das den vorgesehenen Ablauf in schaft, Merkur 71 (1954), S. 13–28. Dieser Aufsatz erscheint mehrmals auf Blumenbergs Karteikarten und hallt auch in seiner inhaltlichen Argumentation durchaus gelegentlich nach. Zu anderen Beispielen s. u. 21 Ich gehe im Folgenden interpretierend durch den Text. Zitate ohne anderslautenden Nachweis beziehen sich also auf ihn. Der besseren Lesbarkeit halber mache ich dabei Ergänzungen, v. a. von Wortteilen, die ich vorgenommen habe, nicht noch einmal kenntlich. Vgl. hierzu das Transkript im Anhang. 22 Vgl. so auch z. B. Robert Bendiner: Das neue Zeitalter der Roboter. Was heißt und zu welchem Ende führt die Automation?, Der Monat 93 (1956), S. 18–26, hier 19; auf Blumenbergs Leseliste ist der Artikel am 11. 6. 1956 verzeichnet.
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Übereinstimmung mit den Ablesungen der Anlage steuern wird. Mit anderen Worten, solche Fabriken sollten unter einem Kommandosystem stehen, das dem des Eisenbahnstellwerks mit seinen Signalen und Weichen ähnelt. Ein solches System besteht schon in Ölraffinerien, ebenso in manchen anderen chemischen Werken und bei der Verarbeitung derjenigen gefährlichen Stoffe, die bei der Ausbeutung der Atomenergie auftreten. 23
Die Ölraffinerie ist überhaupt das Standardwerk für automatisierte Produktion in der Literatur der Zeit. 24
»Anwendung« Auf der zweiten Seite setzt sich Blumenberg dann mit der Anwendung der Automatisierung auseinander und diagnostiziert: »Verschiebung des Akzents von der Produktion auf die Verwaltung, aber nur höherer Stufe. Niedere Verwaltungsarbeiten (entscheidungsfreie Tätigkeiten) lassen sich automatisieren«. War also von der Mechanisierung bisher vor allem der eigentliche Produktionsprozess betroffen, greift die Automatisierung nun auf Bereiche über, für die bislang der Einsatz menschlicher Arbeitskraft unersetzlich war: die Verwaltung. Auch sie lässt sich nun maschinisieren, allerdings nur dort, wo es nicht um wirkliche Entscheidungen geht, also nur bei den niederen Verwaltungsarbeiten. Menschliche Arbeit wird dementsprechend nur noch bei höheren Verwaltungstätigkeiten wichtig, damit verschiebt sich der Akzent ihrer Bedeutung für die Verwaltung. Wie steht es aber mit dem eigentlichen Produktionsprozess? Lässt er sich nicht viel eher automatisieren? Das gibt Blumenberg durchaus zu, er bringt es sogar auf eine verallgemeinerbare Diagnose: »Was in elementare Phasen aufgelöst werden kann, lässt sich automatisieren.« (Ganz so, wie es bei Wiener hieß: »Kann man einen Pro-
Wiener: Mensch und Menschmaschine, zitiert nach Friedrich Klemm: Technik. Eine Geschichte ihrer Probleme, Freiburg i. Br./München: Alber 1954, S. 393 f. Klemm war Bibliotheksleiter des Deutschen Museums, München; sein Band ist selbst eine Art Museum in Buchform, denn es repräsentiert die Geschichte der Technik vor allem durch eine Reihe längerer Zitate bzw. Reprints, u.a, eine mehrseitige Passage auch aus Wieners Buch. Blumenberg kannte das Buch und hat es im April 1955 sogar für die Düsseldorfer Nachrichten positiv, wenn auch nur sehr kurz rezensiert (allerdings ist unklar, ob die Rezension je erschienen ist, vgl. die Wiedergabe des Texts in Zill, »Von der Atommoral zum Zeitgewinn« (wie Anm. 5), S. 297). 24 Vgl. Bendiner, Das neue Zeitalter der Roboter (wie Anm. 22), S. 19. 23
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duktionsablauf im Voraus ausarbeiten, so kann man ihn auch in ein Programm übertragen …«.) Aber die Möglichkeit von Automatisierung erzwingt noch nicht ihre Realisierung, denn: »Der Automatisierungsanreiz hängt vom Kostenwert der Arbeit ab.« Das bedeutet: Die eigentlichen (schon mechanisierten) Produktionsprozesse könnten weiter automatisiert werden, werden es aber de facto erst, wenn die ersparten Lohnkosten höher sind als die Kosten der Automatisierung selbst. Das ist in diesem Stadium der Entwicklung offensichtlich in der Regel noch nicht der Fall. 25 Die beiden Absätze der zweiten Seite sind ein überblicksartiger Auftakt, die im Folgenden nun weiter vertieft werden. Und zwar unterscheidet Blumenberg in diesem Zusammenhang drei Punkte.
Von der Wissenschaft zur Technik Die dritte Seite beginnt mit der Frage: »Woran würde ein aus dem Weltraum kommendes vernünftiges Wesen erkennen, dass es auf der Erde vernünftige Wesen gibt?« Das ist im Kern die Frage nach der Definition des Menschen, wenn auch distanzierter betrachtet, buchstäblich aus der Distanz einer von außen kommenden Intelligenz, die sich mit ihrem Raumschiff der Erde nähert. Damit nimmt Blumenberg spielerisch schon die spätere astronoetische Perspektive ein, allerdings noch ohne die Pointe, dass die unermessliche Größe des Raums solche Besuche gerade unmöglich macht, wir uns also im Blick auf die Erde von außen gerade der situativen Einzigartigkeit bewusst werden müssen. Aber das ist für die hier gestellte Frage nach der differentia specifica des Menschen als intelligentem Wesen natürlich noch nicht relevant. Die traditionelle Antwort auf diese Frage ist entweder, dass man diese gesuchte Differenz im Werkzeuggebrauch erkenne oder dass sie in der Sprachfähigkeit erscheine. Blumenberg wird später in seiner unter dem Titel Beschreibung des Menschen publizierten Vorlesung eine Fülle von spielerischen, halb ironisch gemeinten Definitionsver-
Auch diese Punkte, den Ersatz der menschlichen Buchhaltung durch die Rechenmaschine und die Abhängigkeit der realen Automatisierung von den Kosten der Arbeit, die sie ersetzt, hat schon Norbert Wiener herausgestellt, siehe Klemm, Technik (wie Anm. 23), S. 394 f. bzw. 397.
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suchen erproben. 26 Schon in einem der anderen Vorträge für die Oberpostdirektion notiert er diese Definitionsvielfalt, darunter auch die von Benjamin Franklin, der Mensch sei ein »toolmaking animal«. 27 Nun wäre es naheliegend, wenn Blumenberg gerade in einer technikphilosophischen Reflexion auf diese Bestimmung des Menschen zurückgriffe, schließlich sind die ersten Werkzeuge rudimentäre Technik. Er bemerkt aber ganz im Gegenteil: »Werkzeuge würden nicht genügen.« Hier muss offenbleiben, warum sie nicht genügen, ob er diese Zurückweisung im mündlichen Vortrag näher begründet hat. Im Vortragstext folgt stattdessen eine Formulierung, die man wohl als Alternative zum Werkzeuggebrauch verstehen darf: »Bilder: homo pictor«. Der Terminus »homo pictor« ist heute eng mit dem Denken von Hans Jonas verbunden. Denn für Jonas ist die Fähigkeit des Bildens wenn auch kein ausschließliches, so doch das bevorzugte Definitionsmerkmal des Menschen. Zwar lässt Jonas auch das Vorkommen von Werkzeugen, Gräbern und Feuerstätten als Definiens zu, aber: Ein gewisser hermeneutischer Vorzug, dessen wir uns versichern wollen, liegt in der relativen Einfachheit der Natur des Bildens – verglichen etwa mit der des Sprechens. Dieses ist wohl das menschlich konstitutivere und zentralere, aber in seiner Vielschichtigkeit auch schwerer faßbare Phänomen und jedenfalls in seiner Deutung weit mehr vorbelastet und umstritten. 28
Bilder sind für Jonas also das heuristisch beste Mittel, das Wesen des Menschen zu bestimmen. Was aber sind Bilder? Vor allem duplizieren sie nicht einfach das, worauf sie sich beziehen. Sie sind ihm ähnlich, das heißt sie teilen viele Merkmale mit dem Abgebildeten, einige aber auch nicht. Teilten sie alle Merkmale, wären sie keine Bilder, sondern bloße Duplikate. Bilder sind auch immer durch eine gewisse Differenz zu dem Abgebildeten ausgezeichnet. Dieses Kriterium ist 26 Hans Blumenberg: Beschreibung des Menschen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, S. 312–316 27 Vgl. Hans Blumenberg: »Menschenbild und gegenwärtige Lebensordnung«, unveröffentlichtes Typoskript, DLA Marbach, A: Blumenberg (vgl. Anm. 12). 28 Hans Jonas, Homo pictor (wie Anm. 12), S. 268. Zentrale Details in beider Denken korrespondieren miteinander, so z. B. auch das Gedankenexperiment der extraterrestrischen Begegnung, nur mit umgekehrter Reiserichtung; bei Jonas ist es der Mensch, der auf fremden Planeten eine Lebensform findet, von der er sich fragt, ob sie menschlich sei bzw. nach welchem Kriterium man das entscheiden könne. Ebd., S. 267.
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nun auch Blumenberg wichtig: »Bilder sind nicht reproduktiv: entscheidend ist das Weglassenkönnen. Der Mensch lässt weg, verkürzt dort, wo es nicht um seine eigene Ausdruckswelt geht.« Dieser Prozess des Weglassenkönnens kann aber fortgesetzt, weitergetrieben werden: »Bilder werden zu Zeichen: Schrift.« Der Übergang vom Bild zur Schrift ist einer, in dem der einzelne Mensch von seinen partikularen Empfindungen absieht und stattdessen verallgemeinert, abstrahiert – im Zeichen, in der Schrift. Doch während für Jonas die grundsätzliche Leistung des Bildens das Wichtigste ist, geht es Blumenberg viel mehr um den Prozess, der daran anschließt, die weitere Abstraktion. So hat er denn später schon an der Stelle, an der er mit der Bemerkung »homo pictor« den Gedankengang beginnt, einen Nachtrag gemacht – erkennbar an der Verwendung eines anderen Stifts und der eingezwängten Position –, der nun schon vorwegnimmt, was die nächsten Zeilen erst explizit machen: Das ist – Bild Das soll sein – Zeichen
Bevor er diese Überlegungen aber weiterentwickelt, schweift er scheinbar ab und beginnt einen ganz anderen Gedankengang: »Der Mensch betreibt Selektion auf dem Felde des Notwendigen, rafft Zeit, um seine Umwege auf dem Gebiet des Überflüssigen machen zu können.« Diese Wendung ist Lesern des späteren Blumenberg nun vertraut. In seinen anthropologischen Texten aus den siebziger und achtziger Jahren bringt er ihn auf die Formel »Zeitgewinn für Zeitvertreib«: Ein technisches Instrument dient »dem Menschen nur zur Freisetzung von Energie für andere, nicht-technische Zuwendungen«. 29 Technik befreit uns von mühseligen Arbeiten, zu denen wir gezwungen sind, weil wir überleben wollen. So bezeichnet er dann auch »Zeitgewinn als Antrieb des technischen Willens«. 30 Dennoch soll natürlich die so gewonnene Zeit nicht leer bleiben, soll nicht in Langeweile enden, sie soll uns vielmehr Gelegenheit für selbstgewählte, frei mit Sinn zu füllende Aufgaben geben: Die Lebenszeit darf nicht »in der Ausschließlichkeit von Mußzeit« aufgehen. Die mancher Kulturkritik ärgerliche Paarung von Zeitgewinn und Zeitvertreib wurzelt in diesem Zusammenhang. Sucht man nach einer Definition 29 30
Blumenberg, Beschreibung des Menschen (wie Anm. 26), S. 616. Hans Blumenberg: Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 147
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für Fortschritt, die nicht ausschließlich auf das Anwachsen objektiver Verfügbarkeiten abgestellt ist, wird man keinen Fehlgriff tun mit dem Versuch zu sagen, in der Verschiebung des Verhältnisses von Mußzeit auf Kannzeit liege der menschheitliche Fortschritt, wenn auch nicht immer der Wirklichkeit, so doch seiner Möglichkeit nach. 31
Und noch ein anderes Motiv, das für den späteren Blumenberg wichtig wird, klingt hier schon an: das des Umwegs. 32 Seine Dankesrede zur Verleihung des Sigmund-Freud-Preises der Gesellschaft für deutsche Sprache und Dichtung war zum Beispiel eine Feier des Umwegs. Und einige Jahre später heißt es dann emphatisch: »Nur wenn wir Umwege einschlagen, können wir existieren.« 33 Das Fazit dieser Überlegung, die selbst eine Art Umweg in der Entwicklung seines Gedankens darstellt, ist also: »Der Mensch entlastet sich ständig, um selbstgeschaffene Lasten auf sich zu nehmen.« 34 Dann aber kehrt Blumenberg zu seinem ursprünglichen Thema, der Bedeutung von Zeichen, zurück: »Die Sprache; die Mathematik; die Wissenschaft sind Reduktionen der leibhaftigen Wirklichkeit.« Sprache, Mathematik und Wissenschaft treten hier auf den ersten Blick gleichberechtigt nebeneinander auf. Die Mathematik ist jedoch zunächst eine Steigerung der Abstraktionsleistung gegenüber der Sprache. Beide aber sind Voraussetzungen und die zentralen Mittel der Wissenschaft. Sie alle sind nicht die Wirklichkeit unmittelbar, sie ersetzen diese Wirklichkeit vielmehr, indem sie sie darstellen, indem sie sie reduzieren. Dadurch sind sie eine Art Umweg zur Wirklichkeit, der sie gleichzeitig auf Distanz bringt, handhabbar macht.
Ebd., S. 291 f. Vgl. dazu ausführlicher: Rüdiger Zill: Auch eine Kritik der reinen Rationalität. Hans Blumenbergs Anti-Methodologie«, in: Michael Heidgen, Matthias Koch, Christian Köhler (Hrsg.), Permanentes Provisorium. Hans Blumenbergs Umwege, Paderborn: Wilhelm Fink 2015, S. 53–74, und ders., Nachdenklichkeit, antik – und modern. Sokrates als Urbild narrativer Philosophie, in: Melanie Möller (Hrsg.), Prometheus gibt nicht auf. Antike Welt und modernes Leben in Hans Blumenbergs Philosophie, Paderborn: Wilhelm Fink 2015, S. 219–238. 33 Hans Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 137 34 Ich übergehe hier eine Einfügung, die über der Zeile steht und vermutlich »am Wahrscheinlichen« heißt, aber schlecht lesbar ist. 31 32
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Formalisierung als Ideal der Reduktion Dieser Gedanke wird nun auf dem vierten Blatt konkretisiert, und damit kommt Blumenberg auch wieder zur Technik zurück. Sein Umweg hat ihn treffsicher zum Ziel geführt. Das Blatt beginnt mit der Bemerkung »Formalisierung als Ideal der Reduktion«. Man kann die besondere Form der Reduktion, die die Formalisierung darstellt, aber auch als ihre am weitesten durchgeführte, konsequente Gestalt betrachten: »Geometrie ! Arithmetik ! Algebra ! formale Logik« sind Stufen fortschreitender Formalisierung. Von dieser theoretischen Überlegung kommt Blumenberg sofort zu ihren praktischen Konsequenzen: »Was man formalisieren kann, kann man mechanisieren; was man mechanisieren kann, kann man automatisieren. Die Technik schlummert in der Theorie.« Nach dieser Folge von Schlüssen steckt die Praxis also in der Theorie. Dazu passt, dass er schon 1951 in dem Aufsatz »Das Verhältnis von Natur und Technik als philosophisches Problem« schreibt, die Technik habe »sich historisch als angewandte Naturwissenschaft konstituiert«. 35 Der nächste Absatz beginnt scheinbar positiv: »Automation ist vollkommene Entlastung des Menschen«, macht dann aber auch sofort die Kehrseite davon auf: »Rechenmaschinenresultate sind praktisch nicht mehr nachrechenbar.« Der Mensch wird also nicht nur entlastet, hier wird schon angedeutet, dass in dieser Erleichterung auch ein Stück Entmündigung steckt. Blumenberg kommt nach dieser kleinen Abschweifung wieder auf die Formalisierung zurück und fasst sie noch einmal in einer starken These zusammen: »Schon im Zeichen steckt die Maschine.« Was Blumenberg bis hierhin referiert, findet sich in der Literatur der Zeit öfter als Diagnose. Blumenbergs originärer Beitrag beginnt nun, wenn er die technikgeschichtliche Empirie mit einigen philosophischen Überlegungen verbindet. Allerdings bleibt das daran Anschließende nun besonders stichpunktartig: »Husserl: Verstand – Vernunft / Aufgabe der Philosophie: den Verstand zur Vernunft zu bringen / Wir sollen wissen, was wir tun / Klingelknopf«. Hier hilft zum Glück ein Blick in einen etwa zeitgleichen Aufsatz Hans Blumenberg: Das Verhältnis von Natur und Technik als philosophisches Problem, ursprünglich in Studium generale IV (1951), S. 461–467, hier zitiert nach: ders., Schriften zur Technik, Berlin: Suhrkamp 2015, S. 17.
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von Blumenberg. 1963 erscheint »Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie« im Druck, als Vortrag schon 1959 gehalten. 36 Der Ausgangspunkt dieses Texts ist Husserls KrisisSchrift; Blumenberg setzt hier etwas anders an: Naturwissenschaft ist nun nicht mehr unbedingt die Voraussetzung der Technik, im Gegenteil: In der Verwissenschaftlichung steckt schon ein Stück Technisierung. Auch die Mathematik hat lebensweltliche Voraussetzungen, beginnt sie aber spätestens mit Galilei zu verdecken. Die Menschen der frühen Neuzeit haben die Technisierung nicht sehenden Auges betrieben, sondern unbewusst. »Technisierung ist ›Verwandlung ursprünglich lebendiger Sinnbildung‹ zur Methode, die sich weitergeben läßt, ohne ihren ›Urstiftungssinn‹ mitzuführen, die ihre ›Sinnesentwicklung‹ abgestreift hat und im Genügen an der bloßen Funktion nicht mehr erkennen lassen will«. 37 Die Phänomenologie muss sie wieder sichtbar machen, und auch, dass sie kein unvermeidbarer Prozess ist. Die Rekonstruktion der historischen Entwicklung dessen, was man auch Verdinglichung nennen könnte, zeigt vor allem, dass sie keiner teleologischen Zwangsläufigkeit unterworfen war. Was verdeckt worden ist, kann auch wieder aufgedeckt werden. Und hier kommt der Unterschied von Verstand und Vernunft ins Spiel: Technisierung ist für Husserl der Verlust der Einsicht in lebensweltliche Vollzüge. In der Technisierung beschränkt sich der Mensch auf die Möglichkeiten des Verstandes und entzieht sich dem Anspruch der Vernunft. Diese kantische Begriffsdifferenz hat Husserl auf die Intentionalität des Bewußtseins bezogen: Vernunft ist erfüllte Intention, vollendeter Besitz des Gegenstandes in der Fülle seiner Aspekte oder doch zumindest das Sich-Offenhalten für diese Fülle. Verstand ist der Umgang mit leeren Intentionen, mit Vermeinungen, die für die Sache selbst genommen werden … Hans Blumenberg: Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie, ursprünglich in Filosofia 14 (1963), S. 855–884, auch in: ders., Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart: Reclam 1981, S. 7–54; im Folgenden zitiert nach ders., Schriften zur Technik (wie Anm. 35), S. 163–202. Der Text geht auf einen im Februar 1959 am Husserl-Archiv Köln und im Dezember desselben Jahres bei der Philosophischen Gesellschaft Basel gehaltenen Vortrag zurück. Auf den Bezug zwischen diesem Aufsatz und dem Manuskript »Automation« weist auch Birgit Recki: Technik und Moral bei Hans Blumenberg, in: Borck, Hans Blumenberg beobachtet (wie Anm. 1), S. 64–87, hier S. 66 f., hin. 37 Blumenberg, Lebenswelt und Technisierung (wie Anm. 36), S. 185 (die im Zitat selbst zitierten Passagen stammen aus Husserliana VI, S. 57–59). 36
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Das Bewusstsein muss dabei den Verstand immer wieder zur Vernunft bringen, Technisierung durchbricht aber diesen Prozess, verhindert ihn, übt Herrschaft aus »ohne Rücksicht auf deren Legitimität«. 38 Blumenberg verdeutlicht das an einem Beispiel – der Türklingel. Herkömmliche Zug- oder Drehklingeln leisten Widerstand, wenn wir sie benutzen; wir spüren, was wir tun. Wir merken, welchen Effekt wir ausüben und wie wir ihn hervorbringen. Denn wir erzeugen ihn aus eigener Kraft. Anders bei der elektrischen Klingel: »wir erzeugen den Effekt nicht mehr, sondern lösen ihn nur noch aus«. 39 Er steckt vorgefertigt in der Apparatur und muss nur noch freigesetzt werden. Und er ist auch durch andere Sinne wie das Sehen nicht mehr nachvollziehbar: Sein Mechanismus ist unserem Blick hinter den Verkleidungen der Klingel verborgen. Diese Abkoppelung der Wirkung von der Sinnlichkeit heißt auch, dass wir nicht mehr im Voraus wissen, was wir durch den Knopfdruck auslösen: die Klingel vielleicht oder das Flurlicht? Im Ideal des ›Druckes auf den Knopf‹ feiert der Entzug der Einsicht (im wörtlichen Sinne des Hineinsehens!) sich selbst: Befehl und Effekt, Order und Produkt, Wille und Werk sind auf die kürzeste Distanz aneinandergerückt, so mühelos gekoppelt wie im heimlichen Ideal aller nachchristlichen Produktivität, dem göttlichen ›Es werde!‹ des Anfanges der Bibel. 40
Husserl wollte den Prozess therapieren, indem er seine Genesis wieder bewusst macht und die Fülle der lebensweltlichen Möglichkeiten wieder sichtbar, die Frage nach dem Urstiftungssinn wieder hörbar macht; er wollte den Prozess aber weder umkehren, noch zum Stillstand bringen. Blumenberg rekonstruiert in seinem Aufsatz über »Lebenswelt und Technisierung« Husserls Gedankengang jedoch aus anderen Gründen: Der Frage einer notwendigen Therapierbarkeit gegenüber bleibt er skeptisch, er betrachtet seine Analyse eher als »immanente Kritik«, denn Husserls Einsicht bleibt für ihn, »daß Technisierung, im Sinne einer Einbuße an Selbstverständnis und Selbstverantwortung, eine im Schoße des theoretischen Gesamtprozesses entspringende Transformation ist«. 41 Der positive Bezug auf Husserl verdankt sich aber der beiden gemeinsamen Grundannahme, 38 39 40 41
Ebd., S. 188. Ebd., S. 188. Ebd., S. 189. Ebd., S. 192.
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dass die verlorene menschliche Selbstbestimmung und Selbstbehauptung zurückgewonnen werden muss, indem die Transformationsprozesse wieder sichtbar und damit auch verstehbar gemacht werden. Die Parallelen zwischen dem Vortragsmanuskript zur Automation und dem Aufsatz zu Lebenswelt und Technisierung sind also augenfällig, und obwohl man nun rekonstruieren kann, welcher Gedanke sich zum Beispiel hinter einem lapidaren Wort wie ›Klingel‹ verbirgt, muss man sich hier doch vor einem schnellen Analogieschluss hüten. Die Stichworte und das Beispiel stehen doch in einem anderen Kontext und müssen daher nicht dasselbe bedeuten. Denn im Bargteheider Vortrag hat die Überlegung weniger Gewicht; sie ist lediglich ein verdeutlichender Exkurs, um den Prozess der Automation zu illustrieren, vor allem auch als einem, der aus der Mathematisierung entstanden ist. Er ist also zunächst eine Erläuterung der These, die Technikentwicklung entspringe der Fähigkeit intellektueller Abstraktion, also aus der Wissenschaft. Wo das Bedingungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Technik umgekehrt gesehen wird, kommt auch dem Beispiel eine andere Funktion zu. Auf der fünften Seite steht ein nur verhältnismäßig kurzes Notat: »Alle Mechanismen sind auf Dehnung unserer Endlichkeit gerichtet. Widerspruch von Einsicht & Leistung, Reflexion & Fortschritt«. Es nimmt im Grunde die Überlegung von S. 3 wieder auf, nach der uns Technik vom Notwendigen entlasten solle, um für das Überflüssige Zeit zu gewinnen. Der größte Teil der Seite bleibt unbeschrieben, so als hätten hier noch Ergänzungen vorgenommen werden sollen.
Der Mensch in der automatisierten Welt: Ein Zuwachs an Freiheit Auf Seite 6 beginnt der dritte Teil des Manuskripts. Nach Fragen des definitorischen Unterschieds zwischen bloßer Mechanisierung und avancierter Automatisierung (Teil 1, S. 1) und der praktischen Anwendung der Automation bzw. ihrer theoretischen Voraussetzungen (Teil 2, S. 2–5), beschäftigt sich dieser Teil nun mit den Auswirkungen der automatisierten Welt auf den Menschen und beginnt mit der Notiz »Der Schein der Versklavung durch die Technik«. Blumenberg nimmt hier ein weit verbreitetes Urteil der technikkritischen Debatte seiner Zeit auf, nach der aus dem Herrn der Technik, der der Mensch 203 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
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ursprünglich sein sollte, inzwischen ihr Knecht geworden ist. So schreibt Friedrich Georg Jünger zum Beispiel 1944 in Die Perfektion der Technik: Die mechanischen Arbeitsvorgänge haben an Zahl und Umfang unermeßlich zugenommen. Können sie zunehmen, ohne daß etwas anderes zunimmt, die Abhängigkeit des Menschen vom Automaten? Nein, es versteht sich, daß der Automatismus, der vom Menschen beherrscht und bedient wird, Rückwirkungen auf den Menschen ausübt. Die Macht, die er durch ihn gewinnt, gewinnt ihrerseits Macht über ihn. Er wird gezwungen seine Bewegungen, seine Aufmerksamkeit, sein Denken ihm zuzuwenden. Seine Arbeit, die mit der Maschine verbunden ist, wird mechanisch und wiederholt sich mit mechanischer Gleichförmigkeit. Der Automatismus ergreift ihn nun selbst und gibt ihn nicht mehr frei. 42
Um diesen Standpunkt zunächst einzuführen, zitiert Blumenberg jedoch nicht aus der technikphilosophischen Literatur seiner Zeit – er hätte hier nicht auf Jünger zurückgreifen müssen, sondern hätte mühelos auch andere Beispiele finden können –, stattdessen verdichtet er ihn in einem Bild, nämlich der Fließbandszene am Beginn von Charlie Chaplins Klassiker Modern Times von 1936. Der Film hatte seine deutsche Erstaufführung am 31. März 1956. Blumenberg wird ihn also gerade erst gesehen haben und kann die frische Kenntnis des Films auch bei seinem Publikum voraussetzen. Doch selbst wer den Film nie gesehen hat, kennt heute die ikonisch gewordene Szene, in der Chaplin an einem Fließband steht und mit zwei Schraubenschlüsseln in endloser Folge Muttern, die an ihm vorüberlaufen, festziehen muss, wobei das Band sogar nach und nach immer schneller wird. Am Ende kommt er nicht mehr hinterher und wird von dem Band mitgezogen. Er verschwindet durch eine Öffnung in den Untergrund, der aus verschiedenen großen Zahnrädern besteht: Chaplin kommt buchstäblich zwischen die Räder. Zum Glück entkommt er dem Schicksal, das Jünger dem Menschen an sich metaphorisch zuschreibt: Der Mechanismus gibt ihn doch wieder frei, weil ein Vorarbeiter die Maschinerie rückwärts laufen lässt. Chaplin übersteht diese Zahnradmühle auf wundersame Weise ohne Blessuren, nicht aber den Arbeitsprozess selbst, denn er trägt eine Art Hospitalismusschaden davon: Auch als er das Band längst verlassen hat, arbeiten seine Hände weiter und 42 Georg Friedrich Jünger: Die Perfektion der Technik (1939, 1946), Frankfurt/M.: Klostermann 82010, S. 39. Blumenberg kannte Jünger; seine Leselisten verzeichnen Jüngers technikphilosophisches Hauptwerk für den 23. 9. 1948.
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versuchen pausenlos Muttern festzuschrauben, nicht zuletzt die Knöpfe am Kleid einer Sekretärin. 43 Doch so eindrücklich die Szene, so überzeugend die Beschreibung der Wirklichkeit sein mag (Blumenberg hat immerhin in den letzten Kriegsjahren in der kaufmännischen Abteilung der DrägerWerke, einer Lübecker Fabrik, gearbeitet und wird dabei auch unmittelbar einiges von den Produktionsprozessen erlebt haben), Blumenberg bezeichnet das Urteil als Vorurteil, als »Schein der Versklavung«, denn was »als Mangel der Technik erscheint, erweist sich als Mangel an Technik«. Mit der darauf folgenden Bemerkung »Fließband: ›Symbol der technischen Unvollkommenheit‹ (D. Brinkmann)« verweist er auf den Artikel »Kollektivismus und Technik« des Schweizer Psychologen und Philosophen Donald Brinkmann, 44 erschienen 1951 in der Zeitschrift Studium generale und schon am 22. Juli 1952 auf Blumenbergs Leseliste. 45 Brinkmann geht es in diesem Artikel im Wesentlichen darum, die These zu widerlegen, dass eine zunehmende Technisierung mit einer zwangsläufigen Kollektivierung einhergehe. Dass dies auch eine Erwiderung auf Tendenzen der sowjetischen Ökonomie ist, wird nicht nur beiläufig deutlich. Brinkmanns Diagnose ist: Das, was zunächst zur Kollektivierung dränge, schlage ab einem bestimmten technischen Niveau auch wieder um und gebe Spielräume für eine durch Technik ermöglichte Individualisierung frei. Dort heißt es dann auch unter anderem: Das Fließband, an dem Hunderte und Tausende von Arbeitern tagaus tagein denselben Handgriff ausführen, dieses Symbol einer kollektivistischen Technik, vermag einer kritischen Betrachtung ebenfalls nicht standzuhalten. Wir haben keinen Grund in ihm den Höhe- oder gar Endpunkt technischer Vollendung zu sehen, wie es von oberflächlichen Beobachtern ohne Sachkenntnis oft behauptet wurde. Das Fließband ist geradezu ein Symbol technischer Unvollkommenheit. Wenn der Arbeiter immer nur wieder den gleichen elementaren Handgriff auszuführen hat, so befindet sich die EntAuch sonst war das Beispiel beliebt in der Technikphilosophie, vgl. pars pro toto: Hans Freyer: Die Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart: DVA 1955, S. 36 (auf Blumenbergs Leseliste allerdings erst spät: 7. 6. 1970). Blumenberg benutzt das Beispiel auch später, u. a. in Blumenberg, Lebenswelt und Technisierung (wie Anm. 36), S. 166. 44 Brinkmann (1909–1963) promovierte 1934 in Zürich und wurde später dort Titularprofessor. 1946 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel Mensch und Technik. 45 D[onald] Brinkmann: Kollektivismus und Technik, Studium generale IV/1 (Januar 1951), S. 53–59. 43
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wicklung der Ingenieurtechnik noch in einem Stadium, das überwunden werden muß. Ein stets sich wiederholender Handgriff kann durch eine Maschine oder einen Apparat viel zuverlässiger und rationeller ausgeführt werden als durch den Menschen. Der übliche Fließbandbetrieb hat dann auch schon weitgehend einem vollautomatischem Fabrikationsprozeß weichen müssen, der nur eine Handvoll hochqualifizierter Arbeitskräfte benötigt, um riesige Werke von einem zentralen Kontrollraum aus zu steuern. 46
Deshalb ist auch die scheinbare Versklavung des Menschen nicht ein Mangel der Technik, sondern ein Mangel an Technik. Auf einer Karteikarte vom Januar 1953 findet sich hierzu schon eine längere Überlegung in Blumenbergs eigenen Worten, die die Grundtendenz bestätigen: 47 Die Tendenz von der Handarbeit zur Kopfarbeit, von der Werktätigkeit zur Verwaltungstätigkeit ist nicht nur eine soziale Tendenz, die sich im Aufstieg des Arbeiters zum Angestellten ausdrückt, sie ist eine immanente Tendenz der industriellen Maschinenwelt selbst. Unser landläufiges Bild von der Geschichte der menschlichen Arbeit im letzten Jahrhundert wird bestimmt durch den Weg von der handwerklichen Arbeit zur Fliessbandarbeit, wobei allgemein unterstellt zu werden pflegt, das sei der arbeitstechnischen Weisheit letzter Schluss, die maximale Konsequenz des ganzen Prozesses. Und von hier aus formt sich das Bild vom Arbeiter als dem zwischen Maschinen eingezwängten Roboter, der unter der rücksichtslosen Diktatur des Fliessbandes und durch die Atomisierung des Arbeitsvorganges in elementare Phasen selbst zum entpersönlichten, austauschbaren Mechanismus wird. – Aber gerade diese Deutung der Entwicklung müsste den Schluss nahelegen, dass mit dem Fliessbandroboter erst ein Zwischenstadium des ganzen Prozesses erreicht ist. Das Fliessband demonstriert, dass fast jeder komplexe Arbeitsvorgang in elementare Phasen aufgelöst werden kann, die mechanisch – also ohne Einschaltung planender Übersicht und bewusster Bewältigung – durchgeführt werden können. Das aber heisst: die neuere Tendenz geht hier nicht auf die Mechanisierung des Arbeiters, sondern auf die Ausschaltung des arbeitenden Menschen überhaupt. Eins lässt sich sagen: überall, wo der Mensch als ›mechanisierter‹ Arbeitsfaktor erscheint, wo er ›mit‹ der Maschine in einer ›organischen Konstruktion‹ (Jünger) 48 steht, da ist die Brinkmann, Kollektivismus und Technik (wie Anm. 45), S. 57. Chaplin ist also hier längst überholt. Im Übrigen verweist auch Brinkmann u. a. auf Modern Times als einer prominenten Position der Technikkritik (S. 53). 47 Karteikarten 2884/85/86, unter Hans Blumenberg: Karteikarten »Technik«, DLA Marbach, A. Blumenberg. Die Karten sind am Ende datiert mit »Jan. 1953« (offensichtlich das Entstehungsdatum) und auch hier wieder auf der Rückseite oben links mit »6/56« (offensichtlich das Datum der Verwendung in einem Text). 48 An dieser Stelle ist natürlich nicht Friedrich Georg, sondern Ernst Jünger gemeint, 46
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Konsequenz des technischen Prozesses noch nicht erreicht. Diese Konsequenz heißt ›Vollmechanisierung‹, Freisetzung des Menschen aus aller Arbeit, die in elementare mechanische Phasen aufgelöst werden kann. –
Bis hierhin schließt sich Blumenberg also Brinkmanns Thesen an. Der auf der ersten Seite des Vortrags betonte Unterschied von Mechanisierung und Automatisierung hat durchaus unterschiedliche moralisch-psychologische Konsequenzen. Dann aber fragt er nach den ökonomischen und sozialen Folgen: Bedeutet das aber nicht Arbeitslosigkeit? Zunächst bedeutet es Übergang von der Handarbeit zur Verwaltungsarbeit im weitesten Sinne. Der Arbeiter, der nur noch die Maschine ingang setzt und wieder anhält, ihren Lauf kontrolliert, das Produktionsergebnis registriert und weitermeldet, ist im Grunde schon ein Verwaltungsfunktionär, der vorwiegend bewusste, intellektuelle Tätigkeit ausübt und sich die Hände nicht mehr schmutzig macht. Sozial gesehen ist er ein Angestellter, dessen Lebensstandard potentiell der Differenz zwischen dem Nutzeffekt seiner Handarbeit und dem des Maschinenausstosses entsprechend gesteigert worden ist. – Bedeutet aber das nicht: Anwachsen der Bürokratie, die wir nicht weniger fürchten als die Technokratie? Es besteht ein Unterschied zwischen dem gezeigten Prozess des Aufstieges des Arbeiters in die Verwaltung und der ›Bürokratie‹. Die Bürokratie ist eine illegitime Form der Herrschaft, weil ihr Verwaltungsaufwand nicht dem verwalteten Gegenstand kongruiert. Die Bürokratie ist eine Erscheinung des Zu-wenig an technischer Produktionskraft; sie verwaltet die Armut, und sie beherrscht den Menschen, der in den Sog des Mangels geraten ist, weil die Befriedigung seiner Bedürfnisse in dieser Situation zu einem Akt der Gnade, der Herablassung wird. Der Arbeiter aber, der von der Maschine freigesetzt wird und in die Verwaltung des Produktionspotentials aufrückt, lässt nicht Mangel, sondern Steigerung der Erzeugung entstehen, d. h. er wird ›Bürokrat‹ nicht in dem Sinne, dass er die durch Mangel abhängigen Menschen beherrscht, sondern dass er vom Büro her die mechanische Güterproduktion lenkt, schaltet, verwaltet.
Und nun wird vollends sichtbar, dass der Unterschied von Mechanisierung und Automatisierung einer ums Ganze ist. In diesem Sinne ist die ›Bürokratie‹ aber die Ablösung des Zwischenstadiums der ›Technokratie‹, der Mechanisierung des Menschen selbst – und damit ein Beitrag zur Befreiung des Menschen, der für seine eigentliche, wesensmässige Qualifikation eingesetzt wird, nämlich für die bewusste, geistige Tätigkeit, für die Beherrschung der Dinge. Nicht der totale
der den Begriff ›organische Konstruktion‹ in Der Arbeiter prägt (Leseliste: 16. 3. 1947 und dort mit einer I ausgezeichnet).
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Robotermechanismus der Fabrik, sondern die totale Umwandlung der menschlichen Arbeit in ›Verwaltung‹ im weitesten Sinne stellt sich als die potentielle Integration des Gesamtprozesses der Technisierung dar.
Allerdings wird auch auf den Karteikarten schon auf die ökonomischen Rahmenbedingungen hingewiesen, die dann auf S. 2 des Vortrags wieder diskutiert werden. Dieses ideale Schema hat einen idealen Verlauf seiner Realisierung: das Wachstum der Verwaltung muss in einem angemessenen, genauen Verhältnis zum Wachstum der verwalteten Produktion stehen. Die Mechanisierung der Produktion, die Bedingung dieses Wachstums, ist letztenendes eine Investitionsfrage, sie erfordert für den totalen Endeffekt einen ungeheuren Kapitalaufwand. Die Gefahr, vor der wir heute stehen, ist die, dass die Möglichkeiten der Aufbringung dieses Kapitals dadurch abgewürgt werden, dass der Arbeiter durch eine forcierte und der Steigerung der Produktion vorauseilende Erhöhung seines Realeinkommens und Lebensstandards »so tut, als sei er schon Verwaltungsfunktionär, während er doch gerade die Substanz aufzehrt, aus der das Potential allein stammen kann, das ihm diesen Übergang ermöglicht.«
Karteikarten und Vortrag unterscheiden sich aber in einem entscheidenden Punkt. Im Vortrag macht Blumenberg geradezu auf eine dem auf den Karteikarten Vermerkten gegenläufige Tendenz aufmerksam: Nicht dass die qualifizierte Arbeitskraft zu teuer wird, behindert die Automatisierung, sondern dass die unqualifizierte Arbeit zu billig ist. Denn so zutreffend es sein mag, dass gerade die niederen Tätigkeiten der Theorie nach mechanisiert werden können, so wird dies praktisch nicht gemacht, weil der Einsatz unausgebildeter menschlicher Arbeitskräfte billiger ist als die Mechanisierung. Was wirklich entwertet wird, d. h. was so kostenintensiv ist, dass eine Mechanisierung lohnt, ist die mittlere Arbeitsstufe: »die untere Stufe lohnt die Automatisierung nicht, die höhere lässt sich nicht automatisieren.« Bleiben die Arbeitskräfte der mittleren Stufe, die wegrationalisiert werden können – und zwar offensichtlich ohne dass man sie dem Arbeitsmarkt wieder in einer anderen Funktion zuführen muss: »Das Sozialprodukt reicht aus, um die mittlere Kategorie zu ›pensionieren‹ …« Nur stellt sich Blumenberg dann die Frage: »aber welche Folgen« hat das?
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Kritik der automatischen Welt? Damit hat er eine Überleitung zu seinem nächsten Teil geschaffen, der nun die letzten vier Seiten seines Konzepts einnimmt. Er steht unter dem Titel »4. Kritik der automatischen Welt« und gliedert sich in fünf Unterpunkte. Die meisten dieser Unterpunkte sind recht weit ausformuliert und benötigen daher weniger Rekonstruktion als die vorangegangen Teile. Thematisch nimmt Blumenberg hier vor allem ökonomische und soziologische Kritikfiguren auf, zunächst die rein ökonomische, dass das technisch Mögliche weit über die wirtschaftlichen Erforderlichkeiten hinauswächst. Denn der Einsatz einer Maschine lohnt sich erst ab einer mit ihr produzierten Stückzahl. Das ist genau genommen noch keine Frage der Kritik, sondern ein betriebswirtschaftliches Problem, das den nächsten – schon kritischeren – Punkt vorbereitet. Denn wenn die Technik mehr produzieren kann und aus ökonomischen Gründen sogar soll, als real benötigt wird, muss sie bzw. ihr Anwender versuchen, den Bedarf künstlich zu erhöhen: Nicht länger richtet sich das Angebot nach der Nachfrage, die Nachfrage soll nun vielmehr dem Angebot folgen. Das Mittel zu dieser Verkehrung der Verhältnisse ist die Erregung eines künstlichen Bedarfs durch die Reklame: »Die Technik der Anpassung der Bedürfnisse an die Erzeugung (Reklame) wird zum wichtigsten wirtschaftlich-soziologischen Faktor. Dagegen Rückgang der Qualitätskriterien.« Ist damit die Güte der durch Massenproduktion erzeugten Waren gemeint? Wohl nicht nur: Das künstlich erzeugte Bedürfnis scheint selbst eines minderer Güte zu sein: Das Entstandene sind vielmehr Pseudo-Bedürfnisse: »Der vom Fliessband befreite Mensch gerät in die Knechtschaft der Suggestionen, die unter Benutzung seiner Langeweile erzeugt werden …« Das Gewonnene, das, was später Kannzeit heißen wird, gerät selbst wieder unter das Diktat der Musszeit, und zwar durch das falsche Vorbild dessen, was bei anderen »Kulturindustrie« heißt: »kein Zeitvertreib ohne wertende Infiltration (indirekte Werbung: der Star trägt …, tut …, isst …).« Die Kritik an der Werbung und der damit verbundenen Unterhaltungs- und Populärkultur ist in den späten fünfziger Jahren weit verbreitet, die prominentesten Beispiele sind Günther Anders’ Abschnitt »Die Welt als Phantom und Matrize« aus dem ersten Band von Die An-
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tiquiertheit des Menschen 49 und Vance Packards The Hidden Persuaders. 50 Blumenberg zieht daraus den allgemeinen Schluss: »Gibt es überhaupt ›freie Zeit‹ ? Gesetz: keiner hat mehr ›freie‹ Zeit, als er autonom auszufüllen vermag. Alle übrige Zeit ist der Infiltration ausgesetzt.« Im Gegensatz zu Günther Anders scheint Blumenberg die Möglichkeit menschlicher Autonomie damit noch nicht aufgegeben zu haben. 51 Der dritte Kritikpunkt ist nun eine weitere »Steigerung der Dynamik des soziologischen ›Drucks‹ der technischen Wirtschaft«, und man beachte, dass Blumenberg »Druck« hier in Anführungsstriche setzt und so relativiert, also einmal mehr die Möglichkeiten der Autonomie stärker hervorhebt. Innere & äussere Politik wird mehr & mehr eine Funktion technisch-wirtschaftlicher Sachverhalte. Interessenpolitik (›Lobbyismus‹). Anstelle des politischen und militärischen Krieges tritt der Wirtschaftskrieg, wobei der technische Standard das entscheidende Potential sein wird.
Was psychologisch also auf die Seele des Verbrauchers einwirkt, hat sein politisches Pendant in den Erfordernissen der Staatsführung, in der Innenpolitik, die parlamentarische Entscheidungen zu Erfüllungsgehilfen der Industrie macht, in der Außenpolitik, die auch die internationalen Beziehungen lediglich als Fortsetzung der Wirtschaftsinteressen sieht. Der nächste Ansatz für eine Kritik bezieht sich auf eine bildungsökonomische Frage und ist eher die Skizze eines Problems denn 49 In Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: C.H. Beck 1956, das Kapitel wurde aber schon 1955 im Merkur vorabgedruckt und Blumenberg notiert es am 29. 7. 1955 in seiner Leseliste. 50 Vance Packard: The Hidden Persuaders, New York: D. McKay Co 1957, dt.: Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unterbewussten in jedermann, Düsseldorf: Econ Verlag 1958. 51 Die durch die Automatisierung sich vermehrende freie Zeit problematisiert zum Beispiel auch schon Helmut Schelsky. Für ihn führt die Tendenz aber weniger zu einer Steigerung des Bildungsniveaus, sondern eher zu einer »Reader’s Digest Kultur«: »Der Weg, eine verinnerlichende, schöpferische, kulturelle Aktivität der Person für eine größere Anzahl von Menschen zu bewahren oder anzuregen, weist eher in die Richtung einer Intensivierung der Liebhaberbeschäftigungen, der Hobbies, also gerade der Ablehnung universaler Bildungsbestrebungen …« Schelsky, Zukunftsaspekte einer industriellen Gesellschaft (wie Anm. 20), S. 23; Leseliste: 16. 3. 1954 und dort durchaus positiv mit II bewertet.
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wirklich eine Kritik an den Folgen der Technik. Wenn Arbeitskräfte nämlich, wie schon erwähnt wurde, kaum noch in den mittleren Verwaltungsebenen benötigt werden, dafür aber nach wie vor in den bloß angelernten und vermehrt in den qualifizierteren, dann ergibt sich eine »Inkongruenz zwischen den Diagrammen des Intelligenzbedarfs & des Intelligenzbestandes«. Blumenberg skizziert diese beiden Diagramme. Das erste, das den Bedarf symbolisiert, ähnelt einer Sanduhr, steht also auf breiter Basis, verjüngt sich dann und wird nach oben hin wieder breiter. Damit ist deutlich der ausgedünnte Bedarf in den mittleren Qualifikationsebenen gezeigt. Für den Bestand zeichnet Blumenberg zunächst ein gleichseitiges Dreieck: Viele Arbeitskräfte verfügen über wenig Bildung, mit zunehmendem Ausbildungsniveau nimmt die Breite der verfügbaren Kräfte stetig ab. Dieses Diagramm streicht Blumenberg aber wieder durch und ersetzt es durch eine Raute. Danach ist gerade die mittlere Bildung am weitesten verbreitet. Durch diese Ersetzung der Graphik wird natürlich der Kontrast zwischen Bedarf und Bestand noch dramatischer; er hat nun an keiner Stelle eine adäquate Entsprechung. Allerdings ist dies kein technikimmanentes Problem, Blumenberg kann sofort einen »Ausweg« notieren: »Differenzierung von Bildungsgang für spezialisierbare Intelligenzfunktionen & Inititiativfunktionen. Prinzip der geistigen Arbeitsteilung«. Die zu erwartende Notlage lässt sich also durch eine Bildungsoffensive, die im Schulund Hochschulsystem differenzierter wird, lösen. Es muss einfach bedarfsgerechter mit Blick auf die intellektuellen Notwendigkeiten und »Initiativfunktionen«, wohl »Leitungsebene«, ausgebildet werden. 52 Schließlich gibt es als fünften Kritikpunkt noch »das ästhetische Gestaltungsproblem«. »Kultur (Sachkultur) fängt immer erst dort an, wo die Herstellungs- & Funktionsprobleme voll beherrscht werden.« Die Klammer in diesem Satz ist entscheidend. Mit »Ästhetik« und »Kultur« sind nicht die Auswirkungen der Technik auf die Hochkultur, also etwa Literatur oder Musik, gemeint, sondern »Sachkultur«, das heißt vor allem auch die Gestaltung von Alltagsdingen. Für sie gilt: »Souveränität gibt den Spiel-Raum für die Gestaltung.« Wenn ein Ding seine optimale Nutzbarkeit erreicht hat, lässt sich auch über Im allgemeinen Bewusstsein ist immer nur der späte Blumenberg, der Nachdenklichkeitstheoretiker, der jedes bürokratische Ansinnen weit von sich wies und sich an den Schreibtisch zurückzog. Noch Mitte der 60er Jahre aber war er ein aktiver Teilnehmer der Bildungsreform, z. B. im Gründungsausschuss der Universität Bielefeld.
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seine Schönheit nachdenken. Was so aber als ästhetischer Überschuss erscheint, wird dann gleich auch zur ökonomischen Notwendigkeit: »Die abgeschlossene technische Perfektion zwingt geradezu zur Erfindung ästhetischer Differenzierungen (Auto, Radio usw.). Amerika: ›industrial design‹.« Wenn es zwischen den Funktionen zweier Automarken keinen Unterschied mehr gibt, wonach soll man sich dann beim Kauf entscheiden, wenn nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten? Wenn alle Radios gut klingen und leicht handhabbar sind, dann müssen sie durch Eleganz punkten. »Rationalismus der Konstruktion« paart sich also mit einem »Irrationalismus der Form, des Gehäuses (Zweckvertuschung)«, der Motor des Autos verschwindet unter weitausschwingenden Chassis. Man wird hier an die Klingel erinnert, bei der die Gestalt des Knopfs nicht mehr zeigt oder spüren lässt, was er tut, sondern dessen Funktion nur verbirgt: »(der illusionäre Fortschritt)« ist einer, den die Mode diktiert – ein Anklang an die Kritik der Kulturindustrie, aber gewiss keiner von der Schärfe Max Horkheimers und Theodor W. Adornos. 53
Fazit: Eine kritische Verteidigung der Technik Es ist vermutlich kein Mangel an Technik, sondern ein unvermeidlicher der Technik, wenn noch keine Zeitmaschine erfunden worden ist, die uns ins Bargteheide des Jahres 1960 zurückreisen lassen könnte. Es ist unmöglich, uns unter die Hamburger Postbeamten des gehobenen Dienst zu mischen und dem vor kurzem erst zu einer Professur gelangten Hans Blumenberg zuzuhören, um herausfinden zu können, was er wirklich gesagt und gemeint, ob er sich überhaupt ans Manuskript gehalten hat. Seine Stimme ist verklungen. Wir können Offen bleibt nach wie vor die Frage, ob Blumenberg die Dialektik der Aufklärung gekannt hat. Anders etwa als im Fall der Negativen Dialektik ist das nicht mit letzter Sicherheit nachweisbar (etwa durch die Leselisten oder ein von ihm benutztes Exemplar). Christian Voller ist dennoch überzeugt davon und stützt sich dabei auf die Tatsache, dass sich im Nachlass eine Karteikarte findet, auf der ein Zitat aus der Dialektik der Aufklärung notiert ist (KK 9447 mit dem Titel »Formalisierung als konservative Tendenz«). Voller selbst datiert die Notiz anhand der Kartennummer auf 1965, also in die Zeit nach der Abfassung des hier interessierenden Texts. Möglich ist auch, dass Blumenberg dieses vereinzelte Zitat in einem anderen Text gefunden und von dort übernommen hat. Vgl. Christian Voller: Kommunikation verweigert. Schwierige Beziehungen zwischen Blumenberg und Adorno, in Zeitschrift für Kulturphilosophie 7 (2013) 2, S. 381–405, hier S. 397.
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nur versuchen, seine Spuren zu lesen. Das ist vielleicht nicht in jedem Detail hundertprozentig gelungen. Immerhin mag man einen Eindruck erhalten, was Blumenberg zu dieser Zeit umtrieb und wie er dazu stand. Man sieht immerhin, wie sehr Blumenbergs Überlegungen in den Diskurs der Zeit verwoben waren und wo seine eigenen originären philosophischen Gedanken ansetzen. Es wird auch klarer erkennbar, worauf sich seine immanente Ablehnung der unter seinen Kollegen herrschenden konservativen Technikkritik stützt (z. B. bei der Vorstellung von der Mechanisierung). Deutlich wird aber auch, wo er den Diskurs ausblendet. Helmut Schelsky hat zum Beispiel schon auf die Konsequenzen der Automatisierung für die Kriegsführung hingewiesen, gerade auf das Problem, dass sie durch automatisierte Waffen die Soldaten und ihre Opfer soweit voneinander distanziert, dass die moralischen Konsequenzen eines ausgelösten Knopfs nicht mehr sichtbar werden. 54 Indem er aber meint, der Wirtschaftskrieg habe den realen ersetzt, übergeht Blumenberg genau diese Konsequenz. Insgesamt aber scheint sich mir zu bestätigen, dass Blumenberg auch in diesem Vortrag versucht hat, eine große Zahl von Argumenten und Einwänden aufzunehmen und zu bedenken, dabei gerade nicht geistesgeschichtlich argumentierend, sondern auf der Basis einer reichen technisch-soziologischen Sachkenntnis. Er ist nicht blind gegenüber den Schwierigkeiten, die die technische Entwicklung bringt. Dennoch lässt ihn die Perfektion der Technik keineswegs den Untergang des Abendlands befürchten. Der Liebhaber schneller Autos scheint auch der Automatisierung eher positiv gegenüber gestanden zu haben. Ganz sicher aber gilt, was er schon Jahre zuvor in den Düsseldorfer Nachrichten schrieb. Es kommt nicht mehr darauf an – kann gar nicht mehr darauf ankommen –, für oder gegen die Technik Stellung zu nehmen; ganz gleich, wie man sich dabei entscheidet – es ist absurd, hier überhaupt noch von einer möglichen und uns überlassenen Entscheidung zu sprechen. Wenn wir noch eine Aufgabe sehen wollen, kann sie nur darin liegen, das Verhältnis des Menschen zur Technik aus seiner Unsicherheit und Unstimmigkeit herauszuführen und ihm die Genauigkeit zu geben, die bei technischen Dingen nun mal unerläßlich ist. 55 Vgl. Schelsky: Zukunftsaspekte der industriellen Gesellschaft (wie Anm. 20), S. 25 f. Axel Colly (Hans Blumenberg Pseudonym): Die Rechnung ohne den Wirt. Von der Unsicherheit im Umgang mit der Technik, in Düsseldorfer Nachrichten, 18. 4. 1953, jetzt auch in Blumenberg, Schriften zur Technik (wie Anm. 35), S. 38–41, hier 41.
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Automation Juni 56 1. Unterschied: Mechanisierung – Automatisierung. M[echanisierung] starrer Ablauf e[iner] »Einstellung« Trennung von Herstellung & Kontrolle A[utomatisierung] Identität v[on] Arbeitsprozess & Kontrolle Selbstregulation anhand des Auftrages (›feedback‹) Speicherung von Auftragsfolgen, dadurch Konzentration von Arbeitsgängen in einer Maschine A[utomatisierung] ist nicht notw[endig] an d[ie] »Maschine« im engeren Sinne gebunden: ihre reinste Ausprägung findet man in d[er] chem[ischen] Industrie, z. B. Ölraffinerie
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2. Anwendung Verschiebung des Akzents von der Produktion auf die Verwaltung, aber nur höherer Stufe. Niedere Verwaltungsarbeiten (entscheidungsfreie Tätigkeiten) lassen sich automatisieren. Was in elementare Phasen aufgelöst werden kann, lässt sich automatisieren. Der Automatisierungsanreiz hängt vom Kostenwert der Arbeit ab.
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1. Woran würde ein aus dem Weltraum kommendes vernünftiges Wesen erk[ennen], dass es auf der Erde vernünftige Wesen gibt? Werkzeuge würden nicht genügen. Bilder: homo pictor. Das ist – Bild Das soll sein – Zeichen Bilder sind nicht reproduktiv: entscheidend ist das Weglassenkönnen. Der Mensch lässt weg, verkürzt dort, wo es nicht um seine eig[ene] Ausdruckswelt geht. Bilder werden zu Zeichen: Schrift. Der Mensch betreibt Selektion auf dem Felde des Notwendigen, rafft Zeit, um seine Umwege auf dem Gebiet des Überflüssigen machen zu können. Der Mensch entlastet sich [Einfügung: am Wahrscheinlichen?] ständig, um selbstgeschaffene Lasten auf sich zu nehmen. Die Sprache; die Mathematik; die Wissenschaft sind Reduktionen d[er] leibhaftigen Wirklichkeit.
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2. Formalisierung als Ideal d[ie]s[er] Reduktion. Geometrie → Arithmetik → Algebra → formale Logik Was man formalisieren kann, kann man mechanisieren; was man mechanisieren kann, kann man automatisieren. Die Technik schlummert in d[er] Theorie. Automation ist vollk[ommene] Entlastung d[es] Menschen. Rechenmaschinenresultate sind prakt[isch] nicht mehr nachrechenbar. Schon im Zeichen steckt die Maschine. Husserl: Verstand – Vernunft Aufgabe d[er] Philosophie: den Verstand zur Vernunft zu bringen. Wir sollen wissen, was wir tun. Klingelknopf.
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3. Alle Mechanismen sind auf Dehnung unserer Endlichkeit gerichtet. Widerspruch v[on] Einsicht & Leistung, Reflexion & Fortschritt.
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3. Der Mensch in der automatisierten Welt. Der Schein der Versklavung durch die Technik. Beisp[iel]: das Fliessband (›Modern Times‹). Was als Mangel der Technik erscheint, erweist sich als ein Mangel an Technik. Fliessband: »Symbol der techn[ischen] Unvollkommenheit« (D. Brinkmann) Das Gesetz der Aufwertung der Hand: die Automaten letzter Stufe erfordern e[ine] in ihrem Wert ständig steigende Handarbeit. John v[on] Neumann Das Gesetz der Entwertung der mittleren Arbeitsstufe: die untere Stufe lohnt die A[utomatisierung] nicht, die höhere Stufe lässt sich nicht automatisieren. Das Sozialprodukt reicht aus, um die mittl[ere] Kategorie zu »pensionieren«; aber welche Folgen?
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4. Kritik der automatischen Welt a) Missverhältnis zwischen techn[ischen] und wirtschaftlichen Notwendigkeiten (Mengenoptimum) wächst ständig b) Die Technik der Anpassung d[er] Bedürfnisse an die Erzeugung (Reklame) wird zum wichtigsten wirtschaftl[ich]-soziolog[ischen] Faktor. Dagegen Rückgang der Qualitätskriterien. Der vom Fliessband befreite Mensch gerät in die Knechtschaft der Suggestionen, die unter Benutzung seiner Langeweile erzeugt werden: kein Zeitvertreib ohne wertende Infiltration (indirekte Werbung: der Star trägt …, tut …, isst …). Gibt es überhaupt »freie Zeit«? Gesetz: keiner hat mehr »freie« Zeit, als er autonom auszufüllen vermag. Alle übrige Zeit ist der Infiltration ausgesetzt.
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c) Steigerung der Dynamik, des soziologischen »Drucks« der technisierten Wirtschaft. Innere & äussere Politik wird mehr & mehr eine Funktion technisch-wirtschaftl[icher] Sachverhalte. Interessenpolitik (»Lobbyismus«). Anstelle des polit[ischen] und milit[ärischen] Krieges tritt der Wirtschaftskrieg, wobei der techn[ische] Standard das entscheidende Potential sein wird. Ungeahnte Möglichkeiten des ›Dumpings‹ entspr[echen] der techn[ischen] Variabilität d[er] Herstellungskosten. Verbindung mit den neuen Aspekten des Energieproblems. Die internationale »Moral«.
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d) A[utomatisierung] und Bildung. Inkongruenz zwischen den Diagrammen des Intelligenzbedarfes & des Intelligenzbestandes: Ausweg: Differenzierung von Bildungsgang für spezialisierbare Intelligenzfunktionen & Inititiativfunktionen. Prinzip d[er] geistigen Arbeitsteilung.
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e) das ästhetische Gestaltungsproblem. Kultur (Sachkultur) fängt immer erst dort an, wo die Herstellungs- & Funktionsprobleme voll beherrscht werden. Souveränität gibt den Spielraum f[ür] d[ie] Gestaltung. Die abgeschlossene technische Perfektion zwingt geradezu zur Erfindung ästhetischer Differenzierungen (Auto, Radio usw.). Amerika: ›industrial design‹. Rationalismus der Konstruktion Irrationalismus der Form, des Gehäuses (Zweckvertuschung) (der illusionäre Fortschritt) Technik unter soziologischem Diktat (als Projektionssphäre neuer Klassifizierungen, offene Klassen)
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Zu den Autoren
Alberto Fragio (Universidad Autónoma Metropolitana – Mexico City) is professor in the Department of Humanities at the Universidad Autónoma Metropolitana, Unidad Cuajimalpa. He earned his PhD in Philosophy (2007) from the Universidad Autónoma de Madrid (Spain), and in Cultural Science (2011) from Scuola Internazionale di Alti Studi di Modena (Italy). He has been holder of a Swiss Government Scholarship at Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) – Chair for Science Studies (Switzerland), and a Gerda Henkel Stiftung postdoctoral fellowship (Marie Curie Fellowship – M4HUMAN programme) at the Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck (Germany). He is a member of the Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung (ZKFL Lübeck), and the research group HIST-EX »History and Philosophy of Experience« at the CCHS-CSIC (Madrid). Among his latest publications are Paradigms for a Metaphorology of the Cosmos. Hans Blumenberg and the Contemporary Metaphors of the Universe (Roma 2015), and Metaphors of Subjectivity in 19th Century Psychology, and other Essays (Roma 2015). He has also co-edited Hans Blumenberg. Nuovi paradigmi d’analisi (Roma 2010), and Contemporary Approaches in Philosophical and Humanistic Thought (Roma 2017). Sandra Markewitz (Universität Vechta), Dr. phil., ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Vechta (Philosophie). Arbeitsschwerpunkte sind die Philosophie Ludwig Wittgensteins, Philosophie der Sprache, Schweigen, Subjektivität und Grammatik, Ethik, Kulturphilosophie. Gegenwärtig Arbeit an einem Habilitationsprojekt zur Philosophie der Sprache im Vormärz. Aufenthalte am Wittgenstein-Archiv der Universität Bergen (Norwegen) und zuletzt an der Universität Gadjah Mada, Yogyakarta (Indonesien). Publikationen (Auswahl): (als Hg.) (mit Kopp, Detlev): Anarchismus 235 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Zu den Autoren
in Vor- und Nachmärz. Jahrbuch des Forum Vormärz Forschung 22 (2016), Bielefeld 2017; (als Hg.): Philosophie der Sprache im Vormärz, Reihe: Vormärz-Studien, Bielefeld 2015; Sprache und Bedeutung im 19. Jahrhundert. Überlegungen mit Otto Friedrich Gruppe und Conrad Hermann. In: Archiv für Begriffsgeschichte 56 (2014), hrsg. von Bermes, Christian, Dierse, Ulrich und Erler, Michael, Hamburg 2015, S. 107–130; Zur Ordnungsform der Utopie: Zwischen Ermächtigungs- und Trostfunktion. In: Berliner Debatte Initial 27 (2016) 2, Die Lücke der Utopie, S. 39–49. Marco Mauerer (Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck) hat an der Universität Hamburg Philosophie, Historische Musikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert und dort seine Magisterarbeit zum Thema »Zwischen Indifferenz und Dogma. Die anthropologische Funktion des Mythos bei Hans Blumenberg« verfasst. Er war Stipendiat des Zentrums für kulturwissenschaftliche Forschung in Lübeck (ZKFL) und arbeitet derzeit an einer Dissertation zur Theorie des Mythos bei Hans Blumenberg. Aufsätze: Geschichten über das Humane. Hans Blumenbergs anthropologische Perspektive auf den Mythos. In: Hans Blumenberg: Historia In/Conceptual, Antropologia y Modernidad (Faustino Oncina Coves Pedro García-Durán, Hg.), Valencia: Pre-Textos, 2015; Lebendige Distanz. Hans Blumenberg als Philosoph in seiner Zeit, in: Manfred Eickhölter (Hg.), Der Wagen 2016. Lübecker Beiträge zur Kultur und Gesellschaft, Lübeck: Hansisches Verlagskontor 2016; Absolutismus und Selbstbehauptung. Überlegungen zum Problem der Freiheit in Hans Blumenbergs Die Legitimität der Neuzeit. In: Kultur. Freiheit. Technik. (Heiko Puls, Michael Schramm, Stefan Waller Hg.), Münster: mentis 2017. Angus Nicholls (Queen Mary University of London) is Chair of the Department of Comparative Literature, Queen Mary University of London. Monographs: Myth and the Human Sciences: Hans Blumenberg’s Theory of Myth (London and New York: Routledge, 2015); Goethe’s Concept of the Daemonic: After the Ancients (Rochester, NY: Camden House, 2006). Critical Editions: (with Felix Heidenreich), Hans Blumenberg, Präfiguration: Arbeit am politischen Mythos (Berlin: Suhrkamp, 2014). Edited Volumes (selection): (with John Davis), Friedrich Max Müller and the Role of Philology in Victorian Thought (London: Routledge, 2017) (with Martin Lieb236 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Zu den Autoren
scher), Thinking the Unconscious: Nineteenth-Centrury German Thought (Cambridge: Cambridge University Press, 2010). Journal Editorships: Publications of the English Goethe Society (Routledge); History of the Human Sciences (Sage) Martina Philippi (Universität Leipzig) hat Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Leipzig und Jena studiert. Ihre Magisterarbeit trug den Titel Der Begriff der Lebenswelt – zwischen Selbstverständlichkeit und Kontingenz. Sie ist Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Universität Leipzig sowie Stipendiatin der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und promoviert unter der Betreuung von Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie. Der Titel ihrer Dissertation lautet: Selbstverständlichkeit und Problematisierung: Husserls Programm der Phänomenologie. Neben zahlreichen Gast- und Tagungsvorträgen im internationalen und interdisziplinären Kontext hat sie einige Aufsätze zu Heidegger, Husserl und Blumenberg publiziert. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Phänomenologie, dem Verhältnis von Theorie und Lebenswelt, der Problematik der Selbstverständlichkeit sowie in der Philosophie der Informatik. Auswahl von Publikationen: »Phänomenologie als methodische Kritik von Selbstverständlichkeit«, in: Tobias Keiling (Hg.), Heideggers Marburger Zeit. Themen, Argumente, Konstellationen, Reihe Heidegger Forum, Frankfurt/M.: Klostermann, 2013; »Der ›Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit‹ in Phänomenologie und Psychopathologie«, in: InterCultural Philosophy 1 (2018), S. 58–82. Josefa Ros Velasco (Harvard University) is Teaching Assistant in the Department of Romance Languages and Literatures at Harvard University and Postdoctoral Fellow at Real Colegio Complutense at Harvard. She is conducting a multidisciplinary research on the evolution of the concept of boredom as a pathological personality trait through philosophy, literature, and theology. She holds a Ph.D. in Philosophy with International Mention at the Excellent Program of Doctorate in Philosophy at Universidad Complutense de Madrid as an FPU (University Faculty Training program) scholar, with a work entitled Boredom as a Selective Pressure in Hans Blumenberg, with which she got the Extraordinary Doctorate Award (2016–2017); M.A. in Contemporary Thought; and M.A. in Teachers Training. She 237 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Zu den Autoren
was visiting researcher at Zentrum für Kultur und Technikforschung at Stuttgart Universität (Germany) as a DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) scholar, and at DLA (Deutsches LiteraturArchiv Marbach) as a DLA fellow. She is a member of the Research Groups Saavedra Fajardo Library for Hispanic Political Thought at UCM; History and Video Games at the University of Murcia; and History and Philosophy of Emotions at CCHS-CSIC. She is editor and the author of the books: Feminism. Past, Present, and Future Perspectives (Nova Science, 2017); Contemporary Approaches in Philosophical and Humanistic Thought (Aracne, 2017); and Hans Blumenberg. Literatura, estética y nihilismo (Trotta, 2016), and academic papers such as ›Boredom: humanising or dehumanising treatment‹ (Vernon, 2018); or ›Boredom: A Comprehensive Study of the State of Affairs‹ (Thémata, 2017). She is currently working on her next books: La enfermedad del aburrimiento. El camino de la medicalización y sus alternativas (2019), and Boredom is in your mind (Springer, 2019). Nicola Zambon (Freie Universität Berlin) studierte Philosophie in Bologna, Mainz (Erasmus) und am Husserl-Archiv in Freiburg i. B. (Stipendiat der Università di Bologna). Von 2010 bis 2014 war er Doktorand (zuerst als Inhaber einer Qualifikationsstelle der Exzellenzinitiative, dann als Stipendiat des Graduate Center) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von September 2011 bis April 2012 war Zambon Gastforscher an der Ecole Normale Supérieure in Paris. 2015–2017 war er Stipendiat an den Archives-Husserl in Paris (zuerst mit einem Stipendium der Fondation Maison des Sciences de l’Homme/DAAD, sodann mit einem Forschungsstipendium der DFG) mit einem Forschungsprojekt zur »Rhetorik (in) der Phänomenologie. Zum Rede- und Sprachverständnis bei Edmund Husserl und im Frühwerk Martin Heideggers«. Seit April 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in Berlin. Seine Forschungsfelder und -interessen umfassen die Phänomenologie (v. a. Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty und Blumenberg), die Philosophie der Neuzeit (v. a. Vico, Spinoza und Kant), die Rhetorik und die Mythentheorie. Bücher: (Hg. mit Jean-Claude Monod): Langages de la phénoménologie, Paris, Éditions Hermann, erscheint im Herbs 2019; Das Nachleuchten der Sterne. Konstellationen der Moderne bei Hans Blumenberg, Paderborn, Fink, 2017. Editionen: Hans Blumenberg: Phänomenologische Schriften (1981–1988), hg. v. Nicola Zambon, Frankfurt/M., Suhrkamp 2018. 238 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .
Zu den Autoren
Rüdiger Zill (Einstein Forum – Potsdam): Geb. 1958 in Berlin, studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie in Berlin und London. 1994 Promotion an der FU Berlin mit der Arbeit Meßkünstler und Rossebändiger. Zur Funktion von Modellen und Metaphern in philosophischen Affekttheorien. 1994–1997 Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Technischen Universität Dresden. Seit 1997 Wissenschaftlicher Referent am Einstein Forum, Potsdam. Publikationen u. a.: Hinter den Spiegeln. Zur Philosophie Richard Rortys (MitHrsg. 2001); Ganz Anders? Philosophie zwischen akademischem Jargon und Alltagssprache (Hrsg. 2007); Metapherngeschichten. Perspektiven einer Theorie der Unbegrifflichkeit (Mit-Hrsg. 2011); Werner Herzog – An den Grenzen (Mit-Hrsg. 2015); Poetik und Hermeneutik im Rückblick. Interviews mit Beteiligten (hrsg. zus. mit Petra Boden, 2016); Future Worlds. Science · Fiction · Film (Mit-Hrsg. 2017) sowie zahlreiche Aufsätze zu Hans Blumenberg.
239 https://doi.org/10.5771/9783495820490 .