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German Pages 230 Year 2009
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Band 3
Menschenrechte und Souveränität Diskutiert anhand der internationalen Strafrechtspflege
Von
Anne Kindt
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Anne Kindt · Menschenrechte und Souveränität
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Herausgegeben von RiLG Prof. Dr. Kai Ambos
Band 3
Menschenrechte und Souveränität Diskutiert anhand der internationalen Strafrechtspflege
Von
Anne Kindt
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Frühjahr 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-12999-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Diese Arbeit wurde im Frühjahr 2008 von der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Anfang April 2008 berücksichtigt. Ganz herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rainer Keller, für die geduldige Betreuung dieser Arbeit, sowie für seine langjährige Unterstützung und Förderung. Vor allem seine feinsinnigen Anmerkungen und seine Kritik haben meinen Horizont erweitert und diese Arbeit zu dem gemacht, was sie ist. Sehr dankbar bin ich zudem Herrn Prof. Dr. Armin Hatje für die fast unglaublich schnelle Erstellung des Zweitgutachtens sowie seine wertvollen Hilfestellungen und Ratschläge. Sein Verständnis und sein Engagement sind stets eine große Bereicherung für mich gewesen. Ich betrachte es als großes Glück, während meiner Studienzeit zwei so großartigen Lehrern begegnet zu sein, deren Türen für mich immer offen standen. Ich habe von diesen Begegnungen sowohl fachlich als auch persönlich sehr profitiert. Dankbar bin ich zudem Herrn Prof. Dr. Kai Ambos und dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe und die damit zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung. Zu großem Dank verpflichtet bin ich weiter meinen Eltern, Herma und Heinz Kindt, für ihre großzügige Unterstützung und ihren Glauben an mich, der mich während der gesamten Ausbildung begleitet hat. Meine Hochachtung gilt meiner Schwester Mareike und meinem Mann Christian, die sich mir zuliebe als Nicht-Juristen immer wieder mit dieser Arbeit befasst haben, um mir mit Anregungen und Kritik zur Seite zu stehen. Ganz besonders dankbar bin ich schließlich meinem Mann Christian, der mit mir die gesamte juristische Ausbildung durchlebt und teilweise auch durchlitten hat und mich mit seiner Geduld, seiner Liebe und seinem Humor immer wieder aufgebaut hat. Ohne seine unermüdliche Unterstützung und seinen Optimismus wäre diese Arbeit nicht entstanden. Hamburg, im November 2008
Anne Kindt
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der internationale Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht contra das Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten . . . . I. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die souveräne Gleichheit von Staaten und das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Volk als Souverän und sein Recht auf Selbstbestimmung . . . . b) Die Reichweite des modernen Konzepts souveräner Gleichheit . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grenzen staatlicher Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Individuen als Subjekte des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Individuum als Träger völkerrechtlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Individuum als Adressat völkerrechtlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . 3. Das Konzept der partiellen Völkerrechtssubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . III. Konzeption und Geschichte des internationalen Rechts der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bestimmung des Konzepts der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die europäisch-christliche Sicht der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . b) Vom ,Rederecht‘ zum allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts . . . 2. Die historische Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Wurzeln des modernen Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . b) Die Entfaltung des internationalen Menschenrechtsschutzes im System der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . bb) Die völkervertragsrechtliche Sicherung der Menschenrechte . . cc) Die Entwicklungen im Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . dd) Menschenrechtsverletzungen als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit im Sinne von Art. 39 UNCharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Definition und Entstehungsgeschichte des Internationalen Strafrechts . . . 1. Eine Definition des internationalen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Spannungsfeld zwischen nationalem Strafrecht und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Internationale Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Wichtige Etappen in der Entstehung des internationalen Strafrechts . . a) Erste Versuche: Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . b) Internationales Strafrecht in der Praxis: Nürnberg, Tokio und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktuelle Entwicklungen: Die Zeit nach dem Kalten Krieg . . . . . . . d) Anmerkungen zu den Entwicklungsetappen und dem aktuellen Stand des ICCs in Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Problem der Selektivität und die Missbrauchsgefahr im internationalen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Militärtribunale von Nürnberg und Tokio . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktuelle Bedenken gegen das internationale Strafrecht . . . . . . . . . . Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. International anerkannte Jurisdiktionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Territorialitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Anwendungsbereich des Weltrechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Völkervertragsrecht und das Prinzip aut dedere aut judicare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip im nationalen Recht . . . . . a) Die Regelung des Weltrechtsprinzips im nationalen Recht . . . . . . . aa) Die Regelung des absoluten Weltrechtsprinzips im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das absolute Weltrechtsprinzip in Deutschland . . . . . . . . . (2) Der belgische „Verzicht“ auf das (absolute) Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erste Anzeichen für eine Abwendung vom absoluten Weltrechtsprinzip in Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das bedingte Weltrechtsprinzip im nationalen Recht . . . . . . . . . b) Einzelne Anwendungsfälle des Weltrechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erste Anfänge: Das Verfahren gegen Adolf Eichmann in Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die (bedeutenden) aktuellen „europäischen“ Verfahren . . . . . . (1) Das Verfahren gegen Abdoulaye Yerodia Ndombasi in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V.
57 59 60 65 65 67 68 70
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Inhaltsverzeichnis (2) Das Verfahren gegen Pinochet in Spanien und Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die akzeptierteren Anwendungsfälle des Weltrechtsprinzips in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfahren in nicht-europäischen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Verfahren gegen Imre Finta in Kanada . . . . . . . . . . . . . (2) Das Verfahren gegen Hissène Habré im Senegal . . . . . . . . c) Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip im Völker(vertrags)recht . . 3. Vorzüge und Schwächen des absoluten Weltrechtsprinzips . . . . . . . . . . a) Strafverfahren in absentia und das Menschenrecht des Angeklagten auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Gefahr des forum shopping und der gesteigerten Ungleichheit zwischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Gefahr politisch beeinflusster Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anmerkungen zur prozessualen Ausgestaltung des absoluten Weltrechtsprinzips in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die prozessuale Einbettung des Weltrechtsprinzips in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Letzte Bemerkungen zur Einstellung der Verfahren gegen Donald Rumsfeld u. a. durch die Bundesanwaltschaft . . . . . . . . . . . cc) Abschließende Stellungnahme zur deutschen Einstellungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einwände gegen das (bedingte) Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Einwand der Intervention in interne Angelegenheiten . . . . . . . . . . 2. Der Grundsatz ne bis in idem (double jeopardy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Einfluss des Rom-Statuts auf das Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Verpflichtung zur Festschreibung des Weltrechtsprinzips . . . . . . 2. Der umfassende Vorrang nationaler Strafgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Komplementarität vs. Vorrang: Die Statute der Ad-hoc-Tribunale vs. das Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die vorrangige Zuständigkeit der Ad-hoc-Tribunale . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entscheidung für Komplementarität und gegen Vorrang im RomStatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Komplementarität und Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Komplementaritätskompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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95 97 99 100 100 102 104 105 106 108 112 114 114 117 118 119 120 121 124 127 128 129 130 133 134 134 136 137 137 139 140
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Inhaltsverzeichnis III. Die Unzuständigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut und ihre Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Laufende staatliche Ermittlungen oder ein laufendes Strafverfahren, Art. 17 Abs. 1a) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Abgeschlossene staatliche Ermittlungen und die Entscheidung, die betreffende Person nicht strafrechtlich zu verfolgen, Art. 17 Abs. 1b) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Ne bis in idem, Art. 17 Abs. 1c) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Mangelnde Schwere, Art. 17 Abs. 1d) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . 145 IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates Ermittlungen oder ein Strafverfahren ernsthaft durchzuführen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Die Feststellung des mangelnden Willens (unwillingness) . . . . . . . . . . . 150 a) Scheinverfahren, Art. 17 Abs. 2a) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung, Art. 17 Abs. 2b) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Kein unparteiisches und unabhängiges Verfahren, Art. 17 Abs. 2c) Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 d) Die Bewertung staatlicher Ermittlungen und Strafverfahren durch den ICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Der Begriff des Unvermögens (inability) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Der völlige oder weitgehende Zusammenbruch des innerstaatlichen Justizsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Die mangelnde Verfügbarkeit des innerstaatlichen Justizsystems . . 159 c) Staatliches Unvermögen in der Praxis des ICCs . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Der Begriff des genuine trial (ernsthaftes Verfahren) . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Begriffsfindung auf der Rom-Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Die Voraussetzungen einer ernsthaften (genuine) Strafverfolgung . . 166 V.
Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Die der Kompetenz-Kompetenz innewohnende Kontrollfunktion . . . . . 170 2. Einwände gegen die Kontrollfunktion des ICCs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Das Recht auf und die Notwendigkeit von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Die Problematik und Legitimität staatlicher Amnestien . . . . . . . . . . 177 aa) Begriffs- und Inhaltsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Die Frage der Anerkennung staatlicher Amnestien de jure durch den ICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (1) Der Fall Norduganda vor dem ICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (2) Abschließende Diskussion der Amnestieproblematik . . . . 183 c) Strafverfahren in Nichtvertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Die Glaubwürdigkeit des Anklägers und der ICC-Richter . . . . . . . . 186
Inhaltsverzeichnis 3. Zur Schwierigkeit fairer, unabhängiger Strafverfahren im Tatortstaat: Das Dujail-Verfahren gegen Saddam Hussein vor dem Iraqi High Tribunal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hintergründe, Grundlagen und Ablauf des Strafverfahrens . . . . . . . aa) Vom Staatspräsidenten zum Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Iraqi High Tribunal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Ablauf des Prozesses von der Eröffnung der Hauptverhandlung bis zur Vollstreckung der Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . b) Reaktionen auf das Verfahren und die Hinrichtung . . . . . . . . . . . . . . c) Ein Fiasko mit guten Ansätzen oder ein völkerstrafrechtliches Verbrechen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Jurisdiktionsverzicht zugunsten des ICCs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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188 188 189 189 192 194 196 202 204
E. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Abkürzungsverzeichnis ACHR AEMR AJIL Anti-Apartheidskonvention Anti-Folterkonvention APuZ Ariz J Int’l & Comp L AVR Banjul-Charta BayObLG BGH Brook J Int’l L BT-Drucksache BU Int’l LJ BVerfG BYU J Pub L Colum J Transnat’l L DePaul Int’l LJ ders. dies. Duke J Comp & Int’l L ebd. EGMR EGV EJIL EMRK EU EUAlÜbK EuGRZ EUV f. ff. FS
American Convention on Human Rights Allgemeine Erklärung der Menschenrechte American Journal of International Law International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment Aus Politik und Zeitgeschichte Arizona Journal of International and Comparative Law Archiv für Völkerrecht African Charter on Human and Peoples’ Rights Bayerisches Oberstes Landesgericht Bundesgerichtshof Brooklyn Journal of International Law Bundestags-Drucksache Boston University International Law Journal Bundesverfassungsgericht Brigham Young University Journal of Public Law Columbia Journal of Transnational Law DePaul International Law Journal derselbe dieselbe Duke Journal of Comparative and International Law ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Journal of International Law Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäische Union Europäisches Auslieferungsübereinkommen Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag über die Europäische Union folgende fort folgende Festschrift
Abkürzungsverzeichnis
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GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Ga J Int’l & Comp L Georgia Journal of International and Comparative Law GG Grundgesetz Harv Hum Rts J Harvard Human Rights Journal Hous J Int’l L Houston Journal of International Law Hrsg. Herausgeber ICC International Criminal Court (! IStGH) ICJ International Court of Justice (! IGH) ICTR International Criminal Tribunal for Rwanda, Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien IGH Internationaler Gerichtshof (! ICJ) IHT Iraqi High Tribunal ILC International Law Commission IMT International Military Tribunal of Nuremberg IMTFE International Military Tribunal for the Far East IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte IST Iraqi Special Tribunal IStGH Internationaler Strafgerichtshof (! ICC) IStGH-Gesetz Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof i.V. m. in Verbindung mit JCL Journal of Criminal Law JICJ Journal of International Criminal Justice Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ Juristen Zeitung KJ Kritische Justiz Law & Contemp Probs Law and Contemporary Problems Man LJ Manitoba Law Journal McGill LJ McGill Law Journal m.w. N. mit weiteren Nachweisen NJ Neue Justiz NJW Neue Juristische Wochenschrift NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht OLG Oberlandesgericht Res. Resolution Rn. Randnummer
14 Rom-Statut SDÜ StGB StIGH StPO Tz. u. a. UN-Charta vgl. Völkermordkonvention vs. VStGB Wm & Mary L Rev W Va L Rev WVK ZaöRV ZIS ZRP ZStW
Abkürzungsverzeichnis Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Schengener Durchführungsübereinkommen Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung Teilziffer und andere Charta der Vereinten Nationen vergleiche Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide versus Völkerstrafgesetzbuch William and Mary Law Review West Virginia Law Review Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdokmatik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
„There can be no peace without justice, no justice without law and no meaningful law without a Court to decide what is just and lawful under any given circumstances.“ Benjamin B. Ferencz, ehemaliger Chefankläger von Nürnberg
A. Einleitung Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) ist als historisches Ereignis im Kampf um die Menschenrechte und als wichtigste Errungenschaft des Völkerrechts seit Gründung der Vereinten Nationen beschrieben worden.1 In diesem Sinne erklärte 1998 auch Kofi Annan, zu diesem Zeitpunkt UN-Generalsekretär, anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Gründung des ICCs, dass in der Aussicht auf einen internationalen Strafgerichtshof das Versprechen universeller Gerechtigkeit liege.2 Diese Wertungen sind charakteristisch für die in den letzten 15 bis 20 Jahren stetig wachsende Anerkennung und Bedeutung des internationalen Strafrechts in der Weltöffentlichkeit. Die Veränderungen im Bereich des internationalen Strafrechts, die sich in der Folge des Genozids in Ruanda und der ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien entwickelt haben, sind erheblich. Nicht nur hat das Konzept der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für internationale Verbrechen wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen weite Akzeptanz erfahren, sondern es existiert auch eine steigende Bereitschaft, die Täter solcher Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. So besitzen strafrechtliche Verfahren gegen Mächtige, wie z. B. die Verfahren gegen Augusto Pinochet, Ariel Sharon, Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein, Abdoulaye Yerodia Ndombasi, Paul Kagame, Laurent Gbagbo und Donald Rumsfeld sowie die Ermittlungen des ICCs in Afrika zeigen, auch wenn es sich (noch) nicht um alltägliche Prozesse handelt, jedenfalls eine größere Normalität als früher.3
1 Statement of Chris Patten on the International Criminal Court (Mitglied der Europäischen Kommission von 1999–2004, zuständig für Außenbeziehungen); Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. ix, 57. 2 „In the prospect of an international criminal court lies the promise of universal justice. That is the simple and soaring hope of this vision. We are close to its realization. We will do our part to see it through till the end. We ask you . . . to do yours in our struggle to ensure that no ruler, no State, no junta and no army anywhere can abuse human rights with impunity. Only then will the innocents of distant wars and conflicts know that they, too, may sleep under the cover of justice; that they, too, have rights, and that those who violate those rights will be punished.“ Die Stellungnahme von Kofi Annan ist verfügbar unter: untreaty.un.org/cod/icc/ge neral/overview.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 3 So auch Neubacher, Frank, NJW 2006, S. 966.
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A. Einleitung
Allerdings sagt die Tatsache allein, dass Ermittlungen oder sogar Strafverfahren durchgeführt werden, noch nichts über deren Qualität oder Effektivität aus. Insoweit weisen etliche der für das internationale Strafrecht bedeutenden Fälle erhebliche Defizite auf bzw. endeten jedenfalls nicht in einer Verurteilung und Bestrafung des Täters. Um nur zwei prominente Beispiele zu nennen: Trotz des Aufsehens, dass das Auslieferungsverfahren um Augusto Pinochet 1998 bis 2000 in der Weltöffentlichkeit erregt hat, ist es letztlich nicht zu einer Verurteilung Pinochets gekommen, da sein Gesundheitszustand die Durchführung eines Verfahrens nicht zuließ. Das Verfahren gegen Saddam Hussein im Irak hat mit der Hinrichtung des ehemaligen Diktators durch Erhängen zwar einen endgültigen Abschluss gefunden, widersprach aber in so fundamentaler Weise den Mindestanforderungen an ein faires, unabhängiges Strafverfahren, dass es im Rahmen des Entwicklungsprozesses des internationalen Strafrechts allenfalls als abschreckendes Beispiel Bedeutung für Fälle erlangen wird, in denen der Tatortstaat nicht willens und in der Lage ist, ein Strafverfahren ernsthaft durchzuführen. Trotz derartiger Bedenken ist die jüngste Entwicklung im internationalen Strafrecht aber weitgehend positiv aufgenommen worden, da die Hoffnung besteht, dass diese zu einem wirksameren Menschenrechtsschutz beitragen könne. So wird sogar konstatiert, das internationale Strafrecht habe einen Reifeprozess von einer gut 50 Jahre zurückliegenden deklaratorischen Ära, über eine überwachende, anklagende Phase bis zu einer modernen Epoche der effizienten Durchsetzung durch individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit durchlaufen.4 Es ist indessen zweifelhaft, ob eine so optimistische Sicht gerechtfertigt ist. Unter Berücksichtigung allein der jüngsten Grausamkeiten etwa im Irak oder in Tschetschenien kann kaum davon ausgegangen werden, dass die Ära der Straffreiheit internationaler Verbrechen bereits vorbei ist. Wenngleich somit die Fortschritte der letzten Jahre auch erheblich sind, so ist ein effektives, durchsetzungsfähiges System internationaler Strafrechtspflege doch allenfalls in der Entwicklung begriffen. In Bezug auf den aktuellen, gewalttätigen Konflikt in Uganda wird zudem eine lebhafte Diskussion darüber geführt, ob die Anstrengungen des ICC-Anklägers, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, nicht den Friedensprozess gefährden.5 Es darf daher nicht vergessen werden, dass es auch andere Wege als gerichtliche Strafverfahren gibt, um internationale Verbrechen aufzuarbeiten – 4
Arbour, Louise, JICJ 1.3 (2003), S. 585–588. Vgl. IRIN, humanitarian news and analysis, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: UGANDA: ICC jeopardising local peace efforts – northern leaders, 25.03.2005, verfügbar unter: http://irinnews.org/report.aspx?reportid=53603, letzter Zugriff am 14.04.2008; Reuters Foundation, Alertnet: UGANDA: ICC jeopardising local peace efforts – northern leaders, 25.03.2005, http://www.alertnet.org/ 5
A. Einleitung
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insoweit sei nur auf die sog. Wahrheits- und Versöhnungskommissionen (Truth and Reconciliation Commissions) sowie die Funktion nationaler Amnestien hingewiesen. Das Argument etwa der ugandischen Stammesfürsten, dass in bestimmten Fällen die strafrechtliche Verfolgung der Täter den Friedensprozess behindern oder sogar vereiteln könne, statt Ruhe und Frieden wieder herzustellen, ist daher jedenfalls beachtlich. Überdies kann allein mit Blick auf strafrechtliche Gerichtsverfahren die Wahl des richtigen Forums, d.h. die Frage, in welchem internationalen oder nationalen Gericht der mutmaßliche Täter zur Verantwortung gezogen werden soll, wie allein der Fall Darfur (Sudan) zeigt, sehr problematisch sein. Trotz der Veränderungen, die das internationale Strafrecht gerade auch im Bewusstsein der Weltgemeinschaft durchlaufen hat, ist dieses Rechtsgebiet somit noch voller Widersprüche und Konflikte. In den letzten Jahren ist das internationale Strafrecht und insbesondere der ICC daher auch Gegenstand unzähliger Differenzen und Diskussionen gewesen. Unrealistische Erwartungen und Hoffnungen wurden dabei genauso gehegt wie unbegründete Ängste und irrationale Befürchtungen. So gibt es kaum ein Gebiet des Völkerrechts, das in den letzten Jahren Anlass zu so vielen starken und emotionalen Reaktionen gegeben hat, wie das internationale Strafrecht: Einerseits sind die Veränderungen im internationalen Strafrecht als bedeutender Fortschritt für den Schutz der Menschenrechte begrüßt worden, andererseits wurden sie aber auch als unkontrollierbare und nicht zu tolerierende Einschränkung staatlicher Souveränität abgelehnt. Internationales Strafrecht ist eine Disziplin, die in dem hoch sensiblen Spannungsfeld zwischen den beiden fundamentalen Grundsätzen eines effektiven Menschenrechtsschutzes einerseits und der souveränen Gleichheit von Staaten andererseits angesiedelt ist. Bedeutend für die zu führende Diskussion ist daher auch die Funktion staatlicher Souveränität als Basis friedlicher Beziehungen zwischen den Staaten sowie das Problem der Selektivität, d.h. das Kreieren von Doppelstandards für reiche und arme Staaten. Die Kritik, dass das internationale Strafrecht nur ein weiteres Mittel für reiche, mächtige Staaten sei, um ärmere, schwächere Staaten zu unterdrücken, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte dieses Rechtsgebiets. Im Zentrum dieser Kritik steht die Befürchtung, dass Staatsangehörige und sogar staatliche Hoheitsträger armer, schwacher Staaten aus politischen Gründen vor fremden (nationalen und internationalen) Strafgerichten bloßgestellt würden, während mächtige Staaten Vergleichbares für ihre eigenen Staatsangehörigen zu verhindern wüssten. Gegenstand dieser Arbeit ist die Auseinandersetzung mit diesen Vorwürfen, Bedenken und Widersprüchen, und damit das Spannungsfeld zwischen Souveräthenews/newsdesk/IRIN/fdee10a55e5c2b32acf00205f0fc698b.htm, letzter Zugriff am 30.03.2005.
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A. Einleitung
nität und Menschenrechten im internationalen Strafrecht. Die Diskussion soll sich dabei auf die Beispiele des Weltrechtsprinzips und des Komplementaritätsprinzips des Rom-Statuts konzentrieren, da es sich bei diesen Prinzipien um derzeit besonders zentrale und umstrittene Probleme des internationalen Strafrechts handelt, für die der genannte Konflikt zudem besonders virulent ist. Beachtet werden soll aber stets auch, dass internationale Verbrechen von Menschen und nicht von abstrakten Einheiten begangen werden.6 Um das derzeitige System internationaler Strafrechtspflege zu verstehen, ist es unverzichtbar, die Rolle des ICCs im Zusammenhang mit der Jurisdiktion nationaler Strafgerichte für internationale Verbrechen zu sehen. Eine Auseinandersetzung mit dem Komplementaritätsprinzip ist daher zwingend geboten, um die wichtige Frage des richtigen Forums für eine strafrechtliche Verfolgung der Täter behandeln zu können. Zudem hat die jüngste Entwicklung im internationalen Strafrecht gerade auch die Art und Weise beeinflusst, in der nationale Strafgerichte ihre Strafgewalt über völkerstrafrechtliche Verbrechen ausüben. Die nationale Strafgewalt ist dabei im Wachstum begriffen, d.h. ihre Reichweite wurde erheblich ausgedehnt, so dass auch die rechtlichen Grundlagen nationaler Strafgewalt über (extraterritoriale) völkerstrafrechtliche Verbrechen – und damit vor allem das Weltrechtsprinzip – ins Zentrum der Diskussion gerückt sind. Ziel dieser Arbeit ist es daher auch, ein besseres Verständnis des derzeitigen Systems internationaler Strafrechtspflege zu vermitteln, indem das Konzept des internationalen Strafrechts in Beziehung zu den fundamentalen Grundsätzen des Respekts der Menschenrechte und der souveränen Gleichheit von Staaten gesetzt wird.
6 United Nations, Rom-Statut, verfügbar unter: http://untreaty.un.org/cod/icc/gen eral/overview.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
B. Der internationale Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht contra das Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten Der internationale Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht sind in vieler Hinsicht miteinander verbunden und verzahnt. Offenkundig stellen völkerstrafrechtliche Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schwere Menschenrechtsverletzungen dar. Zudem haben diese Rechtsgebiete aber auch eine signifikante Beschränkung des Grundsatzes staatlicher Souveränität bewirkt und sind im Kern nur als Reaktionen auf die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts – begangen von Menschen an Menschen – zu verstehen. Vom armenischen zum ruandischen Völkermord, zu Massakern in Osttimor, ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien und Kindesentführungen in Uganda und ganz zu schweigen von den Gräueltaten des Dritten Reichs: Schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen sind während des gesamten 20. Jahrhunderts „alltägliche“ Ereignisse gewesen. Gleichzeitig ist dieses Jahrhundert aber auch das Jahrhundert der Genese des Rechts der Menschenrechte und des internationalen Strafrechts gewesen.1 Obwohl am Anfang des 20. Jahrhunderts das Institut der Menschenrechte quasi nicht existent war, entwickelte es sich – insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Das Prinzip der Menschenwürde als Kernbestandteil jedes Menschenrechtes ist eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Dieses entstand allerdings erst als Reaktion auf die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts. Zudem hörte auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Begehung schwerer, systematischer Menschenrechtsverletzungen nicht auf. In jüngster Zeit haben etwa die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda, Tschetschenien, Uganda, dem Irak, dem Kongo und dem Sudan die internationale Gemeinschaft erschüttert. Allein der Konflikt im Kongo war einer der schwersten dokumentierten Konflikte in der afrikanischen Geschichte: Seit 1998 starben nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen etwa 3 bis 4 Millionen Menschen, mehr als in jedem anderen Konflikt seit dem Zweiten 1 Vgl. Badinter, Robert: International Criminal Justice: From Darkness to Light, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1931.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Weltkrieg,2 von der Weltöffentlichkeit aber weitgehend ignoriert. Zudem lassen sich die Folgen des Irakkrieges erst erahnen. Die Vereinten Nationen gehen seit dem Ende des kalten Krieges durch eine Krise der Redefinition, und ihre Glaubwürdigkeit in Fragen der Sicherheitsund Friedenspolitik hat durch Katastrophen wie in Somalia, Burundi, Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien einen Makel erhalten.3 Aufgrund ihrer beschränkten Handlungsfähigkeit sind die Vereinten Nationen, die über kein effektives Gewaltmonopol verfügen, ja noch nicht einmal ernsthaft Träger eines eigenen Gewaltinstrumentariums sind,4 insbesondere in Fällen von Interventionen auf die Ad-hoc-Unterstützung potenter Mitglieder angewiesen.5 Zudem ist durch den (quasi) Alleingang mächtiger Staaten – wie vor allem den von den USA geführten Angriff auf den Irak – nicht nur das geltende Völkerrecht offen missachtet worden, sondern es hat auch eine offensive Marginalisierung der Vereinten Nationen stattgefunden, die das gesamte bestehende Völkerrechtssystem, das mit den Vereinten Nationen entstanden ist, in Frage stellt.6 Das Dilemma für die Vereinten Nationen nach dem Irak-Krieg besteht insoweit darin, sich auf die neuen hegemonialen Gegebenheiten einzustellen, ohne dabei ihre Grundwerte und Ziele aufzugeben.7 Den Vereinten Nationen droht insoweit sowohl die Gefahr der Marginalisierung als auch die der Instrumentalisierung.8 Schließlich hat die Globalisierung zunehmend auch den Bereich der Gewalt erfasst, wobei neben die Staaten auch neue Gewaltakteure wie Warlords, Guerillagruppen, weltweit operierende Söldnerfirmen und Verbrechersyndikate sowie zuletzt globale Terrornetzwerke wie z. B. al-Qaida getreten sind.9 Trotz der massiven Kriminalität im Bereich schwerster Menschenrechtsverletzungen ist die Straffreiheit der Täter die Regel geblieben. Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der internationalen Gemeinschaft ist somit die Unfähigkeit ihrer kollektiven Institutionen, ihrer Funktion der Prävention und Bestra2 Vgl. Amnesty International: Democratic Republic of Congo: International Criminal Court’s investigation of war crimes and crimes against humanity a major step forward, 24.06.2004, verfügbar unter: http://news.amnesty.org/index/ENGAFR620142004, letzter Zugriff am 14.04.2008; Citizens for Global Solutions: Peace and Security: Democratic Republic of the Congo, 26.07.2005, verfügbar unter: http://oldsite.global solutions.org/programs/peace_security/peace_ops/conflicts/conflicts_drc.html, letzter Zugriff am 14.04.2008; Human Rights First: Democratic Republic of Congo, verfügbar unter: http://www.humanrightsfirst.org/international_justice/regions/drc/drc.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 3 Nagan, Winston P., Duke J Comp & Int’l L 6 (1995–1996), S. 127–165. 4 Oeter, Stefan, KJ 1996, S. 15, 25. 5 Vgl. Habermas, Jürgen: Der gespaltene Westen, S. 106. 6 Ebd., S. 94. 7 Vgl. Bruha, Thomas, AVR 41 (2003), S. 295, 297 f. 8 Bruha, Thomas/Tams, Christian J., APuZ 22 (2005), S. 32, 35 ff. 9 Ebd., S. 32, 35.
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fung schwerster Menschenrechtsverletzungen und somit völkerstrafrechtlicher Verbrechen nachzukommen.10 In Anbetracht der im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda begangenen Gräueltaten unternahm die internationale Gemeinschaft schließlich einen neuen Versuch, ein System zu schaffen, das es ermöglicht, diejenigen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen haben, persönlich zur Verantwortung zu ziehen. Anscheinend verstehen Menschen erst dann die Notwendigkeit, Vermeidungs- und Abhilfemechanismen zu schaffen, wenn das Schlimmste bereits passiert ist. Der weitreichende Umbruch im internationalen Strafrecht, der sich in der Folgezeit des Genozids in Ruanda und der ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien vollzog, führte nicht nur 1993/1994 zur Gründung der internationalen Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR),11 sondern auch 1998 zur Verabschiedung des Rom-Statuts und somit letztlich zur Entstehung des ICCs. Dieser Umbruch bewirkte zudem einen vielleicht noch bedeutenderen Wandel hinsichtlich der Art und Weise, in der sich nationale Strafgerichte mit Menschenrechtsverletzungen befassen, die im Ausland von fremden Staatsangehörigen begangen werden. Zur gleichen Zeit, als die Bereitschaft zunahm, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen, wurden jedoch auch Stimmen laut, die die Legitimität derartiger Aktivitäten in Frage stellten. Das internationale Strafrecht ist ein sehr sensibles Rechtsgebiet, das erheblich mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten korrespondiert. Obwohl im modernen Völkerrecht das Prinzip staatlicher Souveränität nicht mehr als absolut angesehen wird, ist dieses Prinzip immer noch die Basis internationaler Beziehungen. Die Ansicht, dass die Erosion staatlicher Souveränität immer eine Verbesserung des Standes der Menschenrechte darstellt, ist mit Recht als zu eng und einseitig kritisiert worden.12 Während es unzweifelhaft ist, dass eine missbräuchliche Berufung auf das Institut staatlicher Souveränität dazu genutzt werden kann, die Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen vor internationalen Reaktionen zu schützen, muss 10
Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 3. Im Mai 1993 und im November 1994 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dass die Situationen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit darstellten, und gründete unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta das ICTY (Resolution des Sicherheitsrates 827) und das ICTR (Resolution des Sicherheitsrates 955). Sowohl das ICTY als auch das ICTR sind Nebenorgane des Sicherheitsrates im Sinne von Art. 29 UN-Charta. Als solche sind sie sowohl in administrativer als auch in finanzieller Hinsicht abhängig von verschiedenen Organen der Vereinten Nationen; als gerichtliche Institutionen sind sie allerdings unabhängig von allen Staaten und Staatengruppen, inklusive ihres Gründungskörpers, dem Sicherheitsrat (vgl.: ICTY-Bulletin Nr. 9/10, verfügbar unter: http://www.un.org/icty/BL/09art1e.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008). 12 Bennoune, Karima, EJIL 2002, S. 243–262. 11
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
gleichzeitig auch anerkannt werden, dass auch die Erosion oder Verletzung staatlicher Souveränität einen schweren Missbrauch darstellen kann.13 Erst kürzlich ist die sog. ,humanitäre Intervention‘, d.h. die unilaterale Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt durch einen Staat oder eine Staatengruppe ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates gegen einen anderen Staat mit dem Ziel, fremde Staatsangehörige vor gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu schützen, als legitime Ausnahme vom Gewaltverbot bezeichnet worden. Diese Einschätzung ist zumindest problematisch, da auch argumentiert werden kann, dass Krieg – und nichts anderes ist die Anwendung militärischer Gewalt – immer die schlimmste Menschenrechtsverletzung darstellt. Zudem muss jede Diskussion der Idee einer humanitären Intervention immer versuchen, zwei Arten von Menschenrechten miteinander in Einklang zu bringen: die individuellen Rechte der Opfer, die man hofft zu beschützen und das kollektive Menschenrecht eines Volkes auf Selbstbestimmung.14 Ferner ist zu bedenken, dass auch eine humanitäre Intervention selbst die Leben derer in Gefahr bringen kann, die eigentlich gerettet werden sollen. So wird z. B. geschätzt, dass im Kosovo viermal so viele Menschen während der 11-wöchigen Luftangriffe der NATO getötet wurden wie in dem gesamten vorausgegangenen Konflikt zwischen Serben und der UÇK.15 Zudem wurden sechsmal so viele Menschen zu Flüchtlingen.16 Die Beweislage scheint daher die Einschätzung zu stützen, dass zumindest humanitäre Interventionen über den Luftweg, d.h. Interventionen, die allein im Abwerfen von Bomben bestehen, einen Widerspruch in sich darstellen.17 Wenn Staaten nicht bereit sind, Bodentruppen einzusetzen, weil sie ihre eigenen Truppen davor bewahren wollen, verletzt oder getötet zu werden, kann der Wunsch und die Bereitschaft fremde Staatsangehörige zu retten nicht wirklich so stark sein, wie vollmundig verkündet wird. Im Hinblick auf gewaltsame Regimewechsel erscheint es ferner schwierig und zugleich kulturell arrogant zu bestimmen, welche theoretisch möglichen Regierungsformen ein existierendes und funktionierendes Regime ersetzen sollen.18 Oder wie Habermas so treffend formuliert: aus der beschränkten Sicht der eigenen politischen Kultur und des eigenen Welt- und Selbstverständnisses kann auch der bestgesonnenste und gutwilligste Hegemon nicht sicher sein, ob er die Interessenlage und die Situation der übrigen Beteiligten versteht und berücksichtigt.19 Eine Regierung, die im Alleingang über Krieg und Frieden ent13
Ebd., Abstract. Vgl. Brown, Bartram S., Wm & Mary L Rev 41.5 (2000), S. 1683–1741, II. 15 Die Abkürzung UÇK steht für Ushtria Çlirimtare e Kosovës (albanisch). Die UÇK ist auch bekannt unter dem Namen KLA (Kosovo Liberation Army). 16 Vesel, David, BYU J Pub L 18 (2003), S. 1–58, III. F. 3. 17 Ebd. 18 Reisman, Michael W., AJIL 98 (2004), S. 516–525, VI. 19 Habermas, Jürgen: Der gespaltene Westen, S. 102. 14
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scheidet, mag daher noch so umsichtig vorgehen, bei der unvermeidlichen Güterabwägung kann sie niemals sicher sein, ob sie die eigenen nationalen von den verallgemeinerbaren Interessen unterscheidet, die auch von anderen Nationen geteilt werden können – dieses Unvermögen ist eine Frage der Logik praktischer Diskurse, nicht des guten Willens.20 Ein gewaltsamer Regimewechsel ist daher wahrscheinlich das Paradebeispiel für eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes und des Grundsatzes der souveränen Gleichheit von Staaten. Selbst wenn man anerkennt, dass in Ausnahmesituationen die Androhung oder Anwendung von Gewalt selbst durch einzelne und aus eigener Initiative handelnde Staaten gerechtfertigt sein kann, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu stoppen oder zu verhindern, muss man anerkennen, dass insoweit eine große Missbrauchsgefahr besteht, als keine klaren Regeln und Grenzen hinsichtlich der Frage existieren, wann Menschenrechtsverletzungen so schwer wiegen, dass sie den Einsatz von Gewalt rechtfertigen. Es gibt keinen neutralen Spruchkörper, keine neutrale Organisation, die entscheidet, wann diese Grenzlinie überschritten ist, sondern jeder Staat agiert nach seinem eigenem Ermessen. Da bei humanitären Interventionen aber immer auch die Leben Unschuldiger auf dem Spiel stehen, müsste eigentlich die eingreifende Gewalt so engmaschig reglementiert sein, dass vorgebliche Aktionen eines Weltpolizisten ihren vorwandhaften Charakter verlören und als solche weltweit akzeptiert werden könnten;21 dies ist bei unilateralen Aktionen indessen quasi ausgeschlossen. Eigenwillige und selektive Strafkriege dürften jedenfalls kaum im Interesse der Gerechtigkeit sein. Im Hinblick auf den Kosovokrieg wird zwar angemerkt, dass die intervenierende NATO ein Bündnis aus liberalen Staaten sei, das in seinem inneren Aufbau den Prinzipien der UN-Menschenrechtserklärung Rechnung trage und zudem in Erwartung der nachträglichen Billigung durch den Sicherheitsrat die Intervention quasi als Vorgriff auf ein effektives Weltbürgerrecht verstanden habe; die sich aber ebenfalls auf humanitäre Gesichtspunkte berufende ,Koalition der Willigen‘ im Zweiten Irakkrieg umfasste dagegen auch unter Menschenrechtsgesichtspunkten problematischere Staaten wie z. B. Usbekistan.22 Es hat doch etwas Paradoxes, wenn man selbst Staaten ein Recht auf humanitäre Intervention zugestehen wollte, die in ihrem eigenen Land die Menschenrechte systematisch mit Füßen treten. Zu beachten ist schließlich, dass das Instrument der humanitären Intervention eindeutig reiche, mächtige Staaten bevorzugt, da nur wenige Staaten über die militärische und finanzielle Stärke verfügen, um – aus welchem Grund auch immer – erfolgreich andere Staaten anzugreifen. Es wird 20 21 22
Ebd., S. 183. Vgl. ebd., S. 99. Ebd., S. 86.
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daher zu Recht angeführt, dass, obwohl durch die Interventionsrhetorik mächtiger Staaten häufig der Eindruck geschaffen werden soll, dass der Schutz der Menschenrechte das Ziel sei, in Wirklichkeit immer machtpolitische Eigeninteressen darüber entscheiden, ob und wann interveniert wird.23 Insoweit sei nur darauf hingewiesen, dass die Bereitschaft in afrikanischen Krisengebieten wie etwa Uganda, Ruanda, Somalia oder dem Sudan zu intervenieren sehr gering ist, obwohl die dort begangenen Menschenrechtsverletzungen mit Sicherheit jede denkbare Erheblichkeitsschwelle überschritten haben bzw. noch immer überschreiten. Selbst diejenigen, die von der Zulässigkeit humanitärer Interventionen ausgehen, wenn diese eine Antwort auf Taten darstellen, die das moralische Gewissen der Menschheit schockieren, geben zu, dass Beispiele wirklich humanitärer Interventionen kaum zu finden sind, und selbst die wenigen existierenden Beispiele keine ,reinen‘ humanitären Interventionen darstellen, sondern uneinheitliche Fälle, in denen das humanitäre Motiv nur eines unter vielen ist.24 Staaten senden ihre Soldaten nicht allein deshalb in andere Staaten, um Menschenleben zu retten, dafür wiegt das Leben fremder Staatsangehöriger im Rahmen nationaler Entscheidungen offensichtlich immer noch nicht schwer genug.25 Es lässt sich somit trefflich argumentieren, dass ein internationales System, welches Staaten berechtigt, im Namen des Menschenrechtsschutzes mehr oder weniger ungehemmt in die Angelegenheiten anderer Staaten zu intervenieren, in der Versagung fundamentaler Interessen und Rechte schwächerer und ärmerer Staaten resultieren könnte.26 Eingestandenermaßen würde es kein Staatsfunktionär, der bei vollem Verstand ist, wagen, militärische Gewalt einzusetzen, um Menschenrechtsverletzungen etwa in Russland oder China zu stoppen. Selbst wohlhabende westeuropäische Staaten, die sich selbst gerne als starke Verfechter für Menschenrechte und Demokratie porträtieren, sind mehr als zurückhaltend, wenn es darum geht, das Thema von Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern in diplomatischen Gesprächen auch nur anzusprechen. Die Frage ist daher, ob auch das internationale Strafrecht zumindest gefährdet ist, ein weiteres Machtmittel zu werden, welches es reichen und mächtigen Staaten erlaubt, ärmere Länder zu unterdrücken und in deren Angelegenheiten zu intervenieren, oder aber, ob die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten tatsächlich zur Entstehung eines funktionierenden Systems internationaler strafrechtlicher Gerechtigkeit geführt hat oder zumindest führen wird, das jede schwere Menschenrechtsverletzung erfasst, und zwar unabhängig von der Nationalität des Täters und dem Tatort des Verbrechens. 23 24 25 26
Reisman, Michael W., AJIL 98 (2004), S. 516–525, VI. Vgl. Walzer, Michael: Just and Unjust Wars, S. 101, 107. Ebd., S. 101 f. Shen, Jiamming, Brook J Int’l L 26 (2000), S. 417–446, IV.
I. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten
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I. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten ist eines der anerkanntesten Prinzipien des Völkerrechts. Als erster in Art. 2 UN-Charta niedergelegter Grundsatz genießt er die Unterstützung aller Mitglieder der Vereinten Nationen und damit nahezu aller Staaten. Die UN-Generalversammlung hat die grundlegende Bedeutung dieses Prinzips in ihrer Friendly Relations Declaration von 1970 bekräftigt,27 und betont, dass die Ziele der Vereinten Nationen, d.h. insbesondere die Wahrung von Frieden und internationaler Sicherheit, nur erreicht werden können, wenn Staaten souveräne Gleichheit genießen und in vollem Umfang den aus diesem Grundsatz erwachsenden Verpflichtungen in ihren internationalen Beziehungen nachkommen.28 Ohne die wechselseitige Anerkennung staatlicher Souveränität und die zumindest rechtliche Gleichheit aller Staaten wären friedliche internationale Beziehungen unmöglich. Das Prinzip der souveränen Gleichheit ist daher eine der wichtigsten Säulen des modernen Völkerrechts. Indessen ist das moderne Souveränitätskonzept dennoch nicht unumstritten.29 1. Die souveräne Gleichheit von Staaten und das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung Gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 UN-Charta beruhen die Vereinten Nationen auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit ist allerdings nicht erst mit den Vereinten Nationen entstanden, sondern bildet seit Anbeginn des Völkerrechts einen wesentlichen Aspekt dieses Rechtsgebiets. So war die Anerkennung der Souveränität der Reichsstände nicht nur ein entscheidendes Element der westfälischen Friedensverträge, als Konzept bildete der Souveränitätsgrundsatz auch eines der Grundprinzipien internationaler Beziehungen nach 164830 und ist damit zur Basis für die Entstehung des modernen Nationalstaates geworden.31 In seiner post-westfälischen 27 1970 Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance With the Charter of The United Nations (Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen). 28 In Abs. 12 der Erklärung heißt es: „Reaffirming, in accordance with the Charter, the basic importance of sovereign equality and stressing that the purposes of the United Nations can be implemented only if States enjoy sovereign equality and comply fully with the requirements of this principle in their international relations (. . .).“ 29 Vgl. hierzu umfassend Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259–290. 30 Janis, Mark W.: Introduction to International Law, S. 162. 31 Simonovic, Ivan, Ga J Int’l & Comp L 28 (2000), S. 381–404, II.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Konfiguration bedeutete Souveränität in erster Linie die exklusive und unbeschränkte Herrschaft des Souverains innerhalb seiner Grenzen.32 D.h. Souveränität war das Attribut des nach innen wie nach außen keinen Bindungen unterliegenden Herrschers.33 Oder anders ausgedrückt, Souveränität bedeutete die Negation jeder Unterordnung oder Beschränkung des Staates durch eine andere Gewalt.34 Die souveräne Staatsgewalt war daher die Gewalt, die keine höhere über sich kannte und damit die unbeschränkte und unbeschränkbare, unabhängige und höchste Gewalt.35 Souveräne Herrscher waren daher per definitionem niemandem Untertan und unterlagen keiner fremden Beurteilung, d.h. es bestand auch keine Möglichkeit, die Verwerflichkeit von Handlungen geltend zu machen, die von anerkannten staatlichen Stellen oder sonstigen Hoheitsträgern im Rahmen ihrer offiziellen Aufgaben ausgeführt wurden und daher dem Souverän zugerechnet wurden.36 Das Verhalten des Souveräns war moralisch indifferent.37 a) Das Volk als Souverän und sein Recht auf Selbstbestimmung Souveränität wurde zunächst vor allem auf den Monarchen bezogen, d.h. es herrschte die Ansicht vor, dass sich die Staatsgewalt als unabhängige Macht nur bewähren könne, wenn der Fürst im öffentlichen Recht durch nichts gebunden sei, wenn die ganze Staatsordnung zu seiner Disposition stehe.38 Zur Zeit des westfälischen Friedens war daher der Souverän im Wesentlichen identisch mit dem monarchischen Herrscher, der innerhalb seiner Grenzen buchstäblich wie ein König, d.h. im Grunde frei nach seinem Ermessen und Gutdünken, herrschen konnte. Seit dieser Zeit hat sich die Weltordnung fundamental gewandelt. Beginnend mit der französischen Revolution von 1789 hat die Welt einen Prozess andauernder Demokratisierung erlebt, der das Volk in den Mittelpunkt der Macht setzt.39 Der bereits bei den Römern vorherrschende Gedanke, dass das Volk die Quelle aller öffentlichen Gewalt sei, fand zudem ab dem Ende des 17. Jahrhunderts in der Lehre von der denknotwendigen ursprünglichen Volkssouveränität seinen Niederschlag.40 Unabhängig von dem spezifischen Herrschafts32 33
Bennoune, Karima, EJIL 2002, S. 243–262, 2. A. Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259,
264. 34
Jellinek, Georg: Allgemeine Staatsrechtslehre, S. 475. Ebd., S. 475 f. 36 Vgl. Walzer, Michael: Just and Unjust Wars, S. 289. 37 Habermas, Jürgen: Der gespaltene Westen, S. 118. 38 Vgl. Jellinek, Georg: Allgemeine Staatsrechtslehre, S. 455. 39 Vgl. zur gesamten Problematik der Volks-, Fürsten und Staatssouveränität umfassend Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259, 265 ff. 40 Vgl. Jellinek, Georg: Allgemeine Staatsrechtslehre, S. 440, 465 f. 35
I. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten
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system eines Staates wird daher heute das Volk und nicht ein König, eine Regierung oder irgendeine andere Elite als Träger staatlicher Souveränität betrachtet. Das Konzept der (Volks-)Souveränität ist damit eng verbunden mit der Idee der Selbstbestimmung der Völker.41 Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist als Ziel der Vereinten Nationen in Art. 1 Nr. 1 UN-Charta verankert und durch die Friendly Relations Declaration von 1970 zusätzlich bekräftigt worden. So haben nach der Friendly Relations Declaration alle Völker das Recht, frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten; zudem ist jeder Staat verpflichtet, dieses Recht anderer Staaten zu achten.42 Selbst wenn ein Staat von einem Diktator wie etwa Saddam Hussein regiert wird, bleibt daher das Volk Träger der staatlichen Souveränität und hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Es ist die Verantwortung jedes Volkes, sein Zusammenleben selbst zu organisieren, und kein anderes Volk und kein anderer Staat darf in diesen Prozess intervenieren. Selbstbestimmung bedeutet insoweit aber nicht nur, dass ein Volk frei ist, seine internen und externen Angelegenheiten selbst zu regeln und zu organisieren, sondern auch, dass es seine Führung frei und selbstbestimmt wählen kann. Obwohl es sicherlich zynisch wäre zu behaupten, das irakische Volk habe Saddam Hussein 1979 zu seinem Anführer „gewählt“, so muss doch anerkannt werden, dass es in erster Linie sein Recht und seine Verantwortung gewesen wäre, mit ihm fertig zu werden. Eine haltlose Anmaßung ist es daher auch, wenn ein Volk oder ein Staat einem anderen seine Rechtsnormen und -inhalte vorschreiben und etwa fremde Staatsangehörige ohne einen (völker)rechtlich haltbaren Grund seiner Gerichtsbarkeit unterstellen wollte.43 Die berechtigte Individualität aller Rechtsverhältnisse eines Volkes, und insbesondere das Strafrecht und die Strafgerichtsbarkeit, sind der Inbegriff staatlichter Souveränität und des Rechts eines Volkes auf Selbstbestimmung.44 Die Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit gehört zu den essentialia der Selbstbestimmung eines Volkes und muss daher ihm allein überlassen bleiben – zumindest solange dieses willens und in der Lage ist, eine akzeptable Ahndung von Menschenrechtsverletzungen innerhalb seiner Ge41
So auch Oeter, Stefan, ZaöRV 52 (1992), S. 741, 742 f. Die relevante Stelle der Friendly Relations Declaration lautet: By virtue of the principle of equal rights and self-determination of peoples enshrined in the Charter of the United Nations, all peoples have the right freely to determine, without external interference, their political status and to pursue their economic, social and cultural development, and every State has the duty to respect this right in accordance with the provisions of the Charter. 43 Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435, 439. 44 Ebd. 42
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
meinschaft durchzuführen.45 Grundsätzlich ist es daher Aufgabe der nationalen Strafgerichtsbarkeit, Verbrechen, die innerhalb der Grenzen eines Staates oder von eigenen Staatsangehörigen begangen werden, zu verfolgen und zu verurteilen. b) Die Reichweite des modernen Konzepts souveräner Gleichheit Das moderne Konzept souveräner Gleichheit besteht aus einer Vielzahl von Elementen. Durch die Friendly Relations Declaration bekräftigt und somit im Prinzip unstreitig sind insbesondere die folgenden Elemente: Die Staaten sind juristisch gleich. Jeder Staat genießt die der vollen Souveränität innewohnenden Rechte. Jeder Staat hat die Pflicht, die Rechtspersönlichkeit der anderen Staaten zu achten. Die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit eines Staates sind unverletzlich. Jeder Staat hat das Recht, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln. Jeder Staat hat die Pflicht, seine internationalen Verpflichtungen uneingeschränkt und nach Treu und Glauben zu erfüllen und in Frieden zu leben.46 Hervorzuheben ist insoweit, dass nach dem heute vorherrschenden Souveränitätsverständnis Souveränität den Staat nicht von den Bindungen des Völkerrechts ausnimmt, sondern vielmehr im Gegenteil Souveränität heute ein von der Völkerrechtsordnung begründeter, in Inhalt und Schranken vom Völkerrecht definierter Rechtsstatuts ist, dessen Gehalt und Grenzen sich mit der Entwicklung des Völkerrechts verändern.47 Neben den bereits genannten Elementen der souveränen Gleichheit von Staaten sind auch das Recht auf Immunität für in amtlicher Funktion handelnde Staatenvertreter, der Grundsatz, dass Taten staatlicher Hoheitsträger, die diese für den Staat vornehmen, nicht ihnen, sondern dem Staat zuzurechnen sind, sowie das Recht auf Immunität von der Strafgewalt fremder Gerichte für Hand45
Keller, Rainer, in: FS-Lüderssen, S. 425, 433. Die relevante Stelle der Friendly Relations Declaration lautet: All States enjoy sovereign equality. They have equal rights and duties and are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature. In particular, sovereign equality includes the following elements: (a) States are judicially equal; (b) Each State enjoys the rights inherent in full sovereignty; (c) Each State has the duty to respect the personality of other States; (d) The territorial integrity and political independence of the State are inviolable; (e) Each State has the right freely to choose and develop its political, social, economic and cultural systems; (f) Each State has the duty to comply fully and in good faith with its international obligations and to live in peace with other States. 47 Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259, 276. 46
I. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten
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lungen, die dem Staat in seiner Eigenschaft als Souverän zuzurechnen sind, wichtige Bestandteile des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips.48 Der Grundsatz, dass kein Staat über die Handlungen der Judikative, Exekutive und Legislative eines anderen Staates richten darf, geht dabei zurück auf das Diktum von Bartolus aus dem 14. Jahrhundert: par in parem non habet imperium, dass also kein Souverän über die Handlungen eines anderen urteilen darf und das somit festlegt, dass die Handlungen eines Staates nicht vor den Gerichten eines anderen judizierbar sind.49 Das Konzept staatlicher Immunität folgt somit aus dem Grundsatz staatlicher Souveränität und dient der Verwirklichung korrelativer Gleichheit.50 Rechtliche Gleichheit impliziert, dass – zumindest in formeller Hinsicht – kein Mitglied der internationalen Gemeinschaft benachteiligt werden darf, alle müssen nach denselben Regeln handeln und behandelt werden.51 Alle haben die gleichen Rechte und Pflichten und sind ungeachtet wirtschaftlicher, sozialer, politischer und anderer Unterschiede gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft.52 D.h. diesem Grundsatz kommt in Anbetracht der extrem unterschiedlichen Verteilung von Macht und Einfluss in der Staatengemeinschaft eine nicht zu unterschätzende Korrektivfunktion zu.53 c) Zusammenfassung Die internationale rechtliche Ordnung beruht auf dem Grundsatz menschlicher Selbstbestimmung in Gemeinschaften; das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung und das Interventionsverbot in innere Angelegenheiten eines anderen Volkes (eines anderen Staates) sind Resultate dieses Grundsatzes.54 Der Grundsatz staatlicher Souveränität ist folglich eng verbunden mit dem völker48 Cassese, Antonio: International Law, S. 52, umfassend zum völkerrechtlichen Immunitätenrecht S. 98 ff.; vgl. zur Staatenimmunität ferner: Herdegen, Matthias: Völkerrecht, § 37, Rn. 1–11. 49 Bröhmer, Jürgen: State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 18; Dörr, Oliver, AVR 41 (2003), S. 201, 202; Folz, Hans-Ernst/Soppe, Martin, NStZ 1996, S. 576, 577; Hailbronner, Kai: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 157 ff., Rn. 89; Rensmann, Thilo, IPRax 1999, S. 268; Verdross, Alfred/Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, § 1168. 50 Vgl. Doehring, Karl: Völkerrecht, § 657. 51 Cassese, Antonio: International Law, S. 52; Hailbronner, Kai: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 157 ff., Rn. 87 f. 52 Vgl. 1970 Friendly Relations Declaration der UN-Generalversammlung. 53 Vgl. Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259, 281. 54 Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435, 448– 449.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
rechtlichen Selbstbestimmungsrecht. Aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt, dass jedes (Staats-)Volk frei ist, sich eine eigene politische Ordnung zu geben; über den Status der Souveränität wird das so gewählte Herrschaftssystem völkerrechtlich abgesichert.55 Oder vereinfacht ausgedrückt: Souveränität ist das Recht eines in einem staatlichen Gemeinwesen konstituierten Volkes, seine Gemeinschaft eigenständig und unabhängig von Beeinträchtigungen und Beeinflussungen von außen zu organisieren. 2. Die Grenzen staatlicher Souveränität Der Grundsatz staatlicher Souveränität gilt nicht unbegrenzt. Traditionell ergeben sich Beschränkungen staatlicher Souveränität aus den Regeln des Völkergewohnheitsrechts, die in der Regel eine logische Konsequenz der Verpflichtung sind, die Souveränität anderer Staaten zu achten. Das Recht eines Staates auf Souveränität endet somit dort, wo das Recht auf Souveränität eines anderen Staates beginnt. So ist beispielsweise das Prinzip staatlicher Immunität selbst Ausdruck staatlicher Souveränität,56 zugleich aber auch eine Beschränkung dieses Prinzips, da es in Situationen, die eigentlich der Strafgewalt eines Staates unterliegen, vorschreibt, dass dieser Staat seine Jurisdiktion nicht ausüben darf, da er sonst Souveränitätsrechte eines anderen Staates verletzen würde. Neben diesen logischen Beschränkungen staatlicher Souveränität, die sich aus dem wechselseitigen Respekt staatlicher Souveränität und Gleichheit ergeben, haben sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitere Einschränkungen staatlicher Souveränität etabliert. Die enorme Expansion, die der Korpus völkerrechtlicher Regelungen seit 1945 erfahren hat, hat insoweit unweigerlich zu einer Erosion staatlicher Souveränität geführt.57 Diese neuen Begrenzungen staatlicher Souveränität haben die Machtbefugnisse des Souveräns und damit den Spielraum staatlicher Machtentfaltung erheblich verengt. In dieser Hinsicht hat gerade das Erscheinen der Menschenrechte auf der internationalen Bühne für Spannungen und Konflikte zwischen den Staaten gesorgt, da dieses Institut in essentieller Weise das zuvor nahezu unantastbare Prinzip staatlicher Souveränität angeht, indem es Staaten verpflichtet, Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie ihre eigenen Staatsangehörigen behandeln, Recht sprechen, Gefängnisse führen etc.58 Die Überzeugung, dass jeder Staat das Recht hat, seine innenpolitischen Entscheidungen autonom und ohne Ein55
Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259,
286. 56
Vgl. Seidl-Hohenveldern, Ignaz: Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 133. Vgl. Oeter, Stefan, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 259, 285. 58 Cassese, Antonio: International Law, S. 375. 57
I. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten
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wirkung von außen zu treffen, steht im unmittelbaren Konflikt mit der Überzeugung, dass jeder Mensch ein angeborenes und unantastbares Recht auf elementare Freiheiten hat.59 Zudem wird heute Einzelnen auch das Recht zuerkannt, vor völkerrechtlichen Instanzen und Gerichten die Verletzung ihrer eigenen Rechte, ggf. auch gegen ihren eigenen Staat, geltend zu machen.60 Mit der Anerkennung einer Pflicht zur Achtung der Menschenrechte auf internationaler Ebene haben Staaten somit die Befugnis verloren, mit Menschen und folglich sogar mit ihren eigenen Staatsangehörigen nach Belieben zu verfahren. Souveränität ist damit keine absolute Macht mehr, sondern die rechtlich definierte und begrenzte Macht eines Staates als völkerrechtlichem Akteur.61 Schwere Menschenrechtsverletzungen werden nicht länger allein als interne Angelegenheiten eines Staates, sondern als Belange der internationalen Gemeinschaft betrachtet. Sie können eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit im Sinn von Art. 39 UN-Charta begründen und ggf. sogar den Einsatz von militärischer Gewalt rechtfertigen. In diesem Sinne haben etwa die Interventionen in Somalia, Haiti, Ruanda und Bosnien alle eine gewisse Rhetorik humanitärer Belange transportiert.62 Es wird daher auch vertreten, dass zumindest in Fällen schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen auch einzelne Staaten dazu ermächtigt seien, Gewalt gegen einen anderen Staat anzuwenden, um derartige Gräueltaten zu verhindern oder zu stoppen. Obwohl diese Frage äußerst streitig ist und viel dafür spricht, eine Ausnahme vom Gewaltverbot nur zuzulassen, wenn der UN-Sicherheitsrat in einem konkreten Fall eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung feststellt und infolgedessen willige Staaten gem. Art. 39 und Art. 42 UN-Charta zum Einsatz von Gewalt ermächtigt,63 zeigt diese Problematik doch eindrucksvoll, wie mächtig das Institut der Menschenrechte geworden ist, wenn selbst diskutiert wird, ob es eine Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot rechtfertigen könne. Das internationale Strafrecht stellt eine vielleicht sogar noch stärkere Beschränkung staatlicher Souveränität dar. Strafrecht ist traditionell wie kaum ein anderes Rechtsgebiet in der nationalen Kultur verwurzelt und galt deshalb lange Zeit als Inbegriff nationaler Souveränität.64 Die Strafgewalt war immer das Vorrecht des Souveräns. Eine solche Machtbefugnis an einen internationalen Ge59
Petersen, Frederick J., Ariz J Int’l & Comp L 15.3 (1998), S. 871–904, I. Hailbronner, Kai: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 157 ff., Rn. 218. 61 Kor, Gerben: Sovereignty in the Dock, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 73, 76. 62 Petersen, Frederick J., Ariz J Int’l & Comp L 15.3 (1998), S. 871–904, I. 63 Vgl. hierzu etwa: Cassese, Antonio: International Law, S. 373; Vesel, David, BYU J Pub L 18 (2003), S. 1–58, II. A. 64 Vgl. Beulke, Werner: Strafprozessrecht, Rn. 10. 60
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
richtshof zu delegieren oder deren Ausübung durch ein fremdes staatliches Gericht über eigene Staatsangehörige oder im eigenen Land begangene Taten zu akzeptieren, bedeutet daher mehr, als nur ein einfaches Element staatlicher Souveränität abzutreten65 – es berührt vielmehr deren Kernbestand. Zudem sind vermehrt Forderungen laut geworden, staatliche Immunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, d.h. in der Regel völkerstrafrechtlicher Verbrechen, zu beschränken oder aufzuheben. Der Widerspruch zwischen dem Prinzip staatlicher Souveränität und der universellen Natur der Menschenrechte erreicht somit in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen seinen Höhepunkt, da das Recht der Menschenrechte, das internationale Strafrecht und das humanitäre Völkerrecht die Verfolgung derartiger Verbrechen vorgeben, während der Grundsatz staatlicher Souveränität diese Forderung nach Gerechtigkeit den Zufälligkeiten politischer Entscheidungen überlässt.66
II. Individuen als Subjekte des Völkerrechts Mit dem Begriff der Völkerrechtssubjektivität wird die Fähigkeit bezeichnet, Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu sein. In der Regel beinhaltet dies die Fähigkeit, eigene Rechte auf internationaler Ebene geltend zu machen. Traditionell sind allein Staaten Subjekte des Völkerrechts. Das klassische Völkerrecht, das von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges galt, gewährte Individuen keine Rechte. Der Einzelne war auf völkerrechtlicher Ebene weder als Subjekt noch als unmittelbarer Rechtsinhaber anerkannt.67 Aus dem Völkerrecht folgten für den Einzelnen daher aber auch keine Pflichten, d.h. er konnte weder internationales Recht verletzen noch für die Verletzung völkerrechtlicher Regeln zur Verantwortung gezogen werden.68 Der Einzelne existierte nicht unabhängig von seinem Staat, mit welchem er durch seine Nationalität verbunden war.69 Sofern Individuen eine gewisse Relevanz auf internationaler Ebene zukam, war es zumeist als Nutznießer im Rahmen von Handels- und Schifffahrtsverträgen oder von Konventionen über die Behandlung von Fremden oder als Begünstigte diplomatischen oder rechtlichen Schutzes – falls der Heimatstaat sich entschloss, diesen Schutz gegenüber einem 65 Badinter, Robert: International Criminal Justice: From Darkness to Light, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1931, 1932. 66 Ebd. 67 Doehring, Karl: Völkerrecht, Rn. 967. 68 Gornig, Gilbert, NJ 1992, S. 4, 13. 69 Dupuy, Pierre-Marie: International Criminal Responsibility of the Individual and International Responsibility of the State, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1085, 1086; Triffterer, Otto, ZStW 114 (2002), S. 321, 332.
II. Individuen als Subjekte des Völkerrechts
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anderen Staat geltend zu machen.70 Bis zur Entstehung der Vereinten Nationen wurde das Individuum somit nur als Objekt des Völkerrechts in dessen System eingeordnet, d.h. ein Staat besaß zwar wegen der Verletzung der Belange und Interessen seiner Staatsangehörigen ein eigenes Abwehr- oder Wiedergutmachungsrecht, das geschädigte Individuum selbst konnte seine Rechte aber nicht auf internationaler Ebene geltend machen.71 Die Frage, ob internationale Regeln das Individuum direkt oder nur mittels eines dazwischen geschalteten nationalen Rechtssystems erreichen, ist indessen hinsichtlich des Verbrechens der Piraterie erstmalig bereits im 17./18. Jahrhundert gestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt hätte es indessen seltsam angemutet, das Individuum als Subjekt des Völkerrechts anzuerkennen, da dem Einzelnen in diesem Kontext zwar direkte völkerrechtliche Pflichten, aber keinerlei völkerrechtlichen Rechte zuerkannt wurden.72 Selbst nach dem Aufkommen von Verträgen zum Schutz der Menschenrechte war es zunächst weiterhin umstritten, ob der Einzelne als Subjekt des Völkerrechts betrachtet werden könne. So wurde argumentiert, dass selbst wenn Verträge Rechte und Pflichten für den Einzelnen vorsehen, dies nicht bedeute, dass diese Verträge dem Individuum individuelle Rechte zuerkennen, sondern allein, dass sie Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsstaaten hinsichtlich der Behandlung von Individuen begründen.73 1. Das Individuum als Träger völkerrechtlicher Rechte Heute ist allgemein anerkannt, dass völkerrechtliche Regelungen direkte Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen können. Völkergewohnheitsrecht begründet individuelle Rechte insbesondere im Bereich des elementaren Menschenrechtsschutzes, wie z. B. dem Recht auf Leben.74 Inwieweit völkerrechtliche Verträge Rechtspositionen Einzelner begründen, hängt von der Auslegung des jeweiligen Vertrages ab, zu bejahen ist dies zumindest dann, wenn der völkerrechtliche Vertrag dem Einzelnen eine Möglichkeit einräumt, die vertraglichen Rechtspositionen selbst vor einem internationalen Gericht oder einer anderen internationalen Institution geltend zu machen.75
70 Cassese, Antonio: International Law, S. 143–144; vgl. auch Hailbronner, Kai: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 157 ff., Rn. 14 ff. 71 Doehring, Karl: Völkerrecht, Rn. 967. 72 Cassese, Antonio: International Law, S. 144. 73 Vgl. Herdegen, Matthias: Völkerrecht, § 12, Rn. 1. 74 Ebd., § 12, Rn. 2. 75 Ebd.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Hervorzuheben ist insoweit insbesondere das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK) und hier vor allem die Möglichkeit der Individualbeschwerde. Nach Art. 34 EMRK kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) von jeder natürlichen Person oder Personengruppe, die behauptet, durch einen der Vertragsstaaten der EMRK in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein, angerufen werden. Der Antragsteller ist im Verfahren vor dem EGMR eine im Verhältnis zum angeklagten Staat gleichberechtigte Prozesspartei und handelt somit als gleichwertiger Gegner. Eine weitere – wenn auch nicht ganz so effektive – Möglichkeit der Individualbeschwerde besteht nach dem ersten Fakultativprotokoll des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) von 1966 zum Ausschuss für Menschenrechte. Unter Berücksichtigung dieser Entwicklung ist es nur legitim zu argumentieren, dass im Menschenrechtsprinzip, seinem Universalitätsanspruch und seiner Positivierung durch internationale Menschenrechtspakte bis hin zur Etablierung der Individualbeschwerde, der Übergang zur Subjektstellung des Einzelnen im Völkerrecht liegt.76 2. Das Individuum als Adressat völkerrechtlicher Pflichten Im modernen Völkerrecht haben Staaten ihr ehemals ausschließendes Monopol über die Behandlung von Individuen verloren, zudem sind Individuen schrittweise nicht nur als Träger materieller völkerrechtlicher Interessen, sondern auch als potentielle Verletzer universell akzeptierter Werte anerkannt worden.77 Der Einzelne wird nicht mehr nur durch seinen Heimatstaat mediatisiert, sondern kann auch selbst für die Verletzung internationalen Rechts zur Verantwortung gezogen werden. Das grundlegende Prinzip individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für völkerstrafrechtliche Verbrechen ist erstmals in den Urteilen des International Military Tribunal of Nuremberg (IMT) offiziell anerkannt worden. Durch die Betonung, dass internationale Verbrechen von Menschen und nicht von abstrakten Einheiten begangen werden, und dass nur durch die Bestrafung der Verantwortlichen diesen Grundregeln des internationalen Rechts Geltung verschafft werden kann, haben die Richter des IMT den Grundsatz der individuellen (völker-)strafrechtlichen Verantwortlichkeit als einen Grundstein des modernen Völkerrechts etabliert.78
76
Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435, 451. Vgl. Cassese, Antonio: International Law, S. 144. 78 Vgl. United Nations, Rom-Statut, verfügbar unter: http://untreaty.un.org/cod/icc/ general/overview.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 77
II. Individuen als Subjekte des Völkerrechts
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Nach dem Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind 79 der International Law Commission (ILC) von 1996 gilt dieser Grundsatz gleichermaßen für alle natürlichen Personen, auf allen Stufen der Militär- und Regierungshierarchie, und somit unabhängig von einer amtlichen Stellung.80 Entsprechend schreibt Art. 27 Rom-Statut vor, dass das Statut und somit auch der in Art. 25 des Statuts festgesetzte Grundsatz individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit gleichermaßen für alle Personen, ohne jeden Unterschied nach amtlicher Eigenschaft, gilt. Selbst die amtliche Eigenschaft als Staatsoder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung enthebt eine Person nicht von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach dem Rom-Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar.81 Eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen für bestimmte Verbrechen ergibt sich somit unabhängig vom nationalen Recht direkt aus dem Völkerrecht.82 3. Das Konzept der partiellen Völkerrechtssubjektivität Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Individuen nicht mehr nur Objekte des Völkerrechts sind, sondern direkt durch völkerrechtliche Regelungen berechtigt und verpflichtet werden. Während die Menschenrechte den Einzelnen unmittelbar mit eigenen Rechten ausstatten, belegt ihn das internationale Strafrecht mit der korrespondierenden Pflicht, die Menschenrechte anderer nicht zu verletzen. Da das internationale Strafrecht und das internationale Recht der Menschenrechte jedoch die einzigen Bereiche des Völkerrechts sind, die das Individuum unstreitig mit eigenen Rechten und Pflichten belegen, und der Einzelne somit nur in einem eng begrenzten Bereich des Völkerrechts über eigene Rechte und Pflichten verfügt, ist diese begrenzte Rechtsstellung des Einzelnen im Völkerrecht nicht mit der umfassenden Völkerrechtssubjektivität von Staaten gleichzusetzen. Man spricht daher aufgrund des begrenzten locus standi des Einzelnen im Völkerrecht von einer so genannten partiellen Völkerrechtssubjektivität des Individuums. Für diese absolut herrschende Auffassung spricht schließlich auch die Überlegung, dass der Einzelne, welcher mittlerweile in allen zivilisierten staatlichen Rechtsordnungen als Rechtssubjekt anerkannt ist, nicht zum Objekt der Völkerrechtsordnung werden kann, wenn und soweit gerade sein Schutz
79 80
Im Deutschen zumeist übersetzt als „Entwurf eines Völkerstrafgesetzbuches“. Vgl. Art. 2, 5–7 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Man-
kind. 81 82
Art. 27 Abs. 1 S. 2 Rom-Statut. Bassiouni, Cherif M.: Introduction to International Criminal Law, S. 58.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
bzw. sein persönliches Fehlverhalten Regelungsgegenstand des Völkerrechts ist.83
III. Konzeption und Geschichte des internationalen Rechts der Menschenrechte Obwohl der Begriff bzw. das Schlagwort der Menschenrechte in jüngster Zeit ständig in aller Munde gewesen ist, ist dessen inhaltliche Konzeption weitaus unklarer, als man vielleicht annehmen würde. Die Idee der Menschenrechte an sich ist ideologieanfällig, so dass deren Bestimmtheit letztlich nur eine Illusion sein kann, die durch den Blickwinkel der jeweiligen staatlichen und sozialen Verhältnisse bedingt ist.84 Das Problem des kulturellen Relativismus, d.h. das Problem, dass Menschrechte nicht abstrakt von dem jeweiligen sozialen und kulturellen Hintergrund sowie der spezifischen geschichtlichen Entwicklung eines Landes oder Gebietes betrachtet werden können, hat somit einen großen Einfluss auf die Definition und das Verständnis von Menschenrechten. Zudem ist die Idee der Menschenrechte kein statisches Konzept, sondern dauernd in Bewegung begriffen. So ist der (internationale) Schutz der Menschenrechte allein in den vergangenen 60 Jahren weitreichenden Veränderungen unterworfen gewesen und befindet sich auch heute noch in einem Prozess der ständigen Fortentwicklung. Diese Dynamik der Menschenrechte kommt in der Rechtsprechung des EGMR besonders gut zum Ausdruck. So hat der EGMR in seinen Urteilen hinsichtlich der EMRK immer wieder betont: [The Convention is] a living instrument, which should be interpreted according to present-day conditions.85 Menschenrechte müssen somit immer im Zusammenhang mit den aktuellen Veränderungen und Entwicklungen der jeweiligen Gesellschaft und den jeweils aktuell geltenden Werten und Zielen gesehen werden. Zu bedenken ist schließlich, dass der fundamentale Menschenrechtsbestand, der gerade im Rahmen des internationalen Strafrechts von zentraler Bedeutung ist, nicht mit den umfassenden Menschen- und Bürgerrechtskatalogen westlicher Demokratien gleichzusetzen ist. Der Menschenrechtskanon, auf den es im Folgenden ankommt, ist, wie Rawls es treffend ausdrückt, a special class of urgent human rights, wie etwa das Recht auf Freiheit von Sklaverei und Leibeigen83
Vgl. Ipsen, Knut: Völkerrecht, Vor § 48, Rn. 3. Keller, Rainer, in: FS-Lüderssen, S. 425, 433. 85 Siehe z. B. Tyrer v. the United Kingdom, Judgement of 25 April 1978 (5856/72), § 31; Marckx v. Belgium, Judgement of 13 June 1979 (6833/74), § 41; Dudgeon v. the United Kingdom, Judgement of 22 October 1981 (7525/76), § 60; Soering v. the United Kingdom, Judgement of 7 July 1989 (14038/88), § 102; B. v. France, Judgement of 25 March 1992 (13343/87), § 45–48; Salesi v. Italy, Judgement of 26 February 1993 (13623/87), § 19; alle Urteile sind verfügbar unter: http://www. echr.coe.int/echr, letzter Zugriff am 14.04.2008. 84
III. Konzeption und Geschichte des Rechts der Menschenrechte
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schaft, auf grundlegende Gewissensfreiheit und auf Sicherheit ethnischer Gruppen vor Massenmorden und Völkermord.86 1. Die Bestimmung des Konzepts der Menschenrechte Nach einer weithin anerkannten Definition sind Menschenrechte die Rechte, die jedem Menschen bereits mit seiner Geburt und nicht erst durch einen Rechtsakt zustehen.87 Einzige Voraussetzung ist somit das Menschsein an sich. Die entscheidende Idee hinter dieser Definition ist, dass Menschenrechte dem Einzelnen nicht durch einen Staat oder irgendeine andere Autorität verliehen werden, sondern eine natürliche Konsequenz seines Menschseins sind. Menschenrechte stehen somit über dem Staat und seinem Rechtssystem. Diese Idee der Menschenrechte als ,Naturrechte‘ erscheint insoweit überzeugend, als sie das Bild eines Kanons universell gültiger und verbindlicher Menschenrechte kreiert, der alle Menschen überall auf der Welt und zu jeder Zeit beschützt. Dieses Bild ist allerdings in vielerlei Hinsicht trügerisch. a) Die europäisch-christliche Sicht der Menschenrechte Bereits die Idee universeller Menschenrechte ist – wie von Günther detailliert dargelegt – eine speziell europäische Idee, die auf eine lange Geschichte der Missdeutung, der selektiven Interpretation und der falschen Anwendung zurückgeht.88 Die Grundidee der Gleichheit aller Menschen wurde von den Christen auf der Basis eines befangenen Glaubens an einen christlichen Gott, der alle Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat, interpretiert – sie beinhaltete daher von Anfang an eine gewisse Selektivität, da sie sich in erster Linie auf die Menschen bezog, die an einen christlichen Gott glaubten und diejenigen ausschloss, die dies nicht taten.89 Nach der Säkularisierung wurde die Idee der Menschenrechte häufig weiter so interpretiert, dass sie zu einem Ausschluss bestimmter Menschen(-gruppen) vom Geltungsbereich der Menschenrechte führte, d.h. weil ihnen bestimmte Eigenschaften (scheinbar) fehlten, wurden Menschen nicht als vollwertig anerkannt und ihnen ihre Rechte aberkannt.90 Während der gesamten Menschheitsgeschichte gab es somit das, was man als ,Menschen erster und zweiter Klasse‘ bezeichnen könnte. So wurde auf nahezu jede Menschengruppe zu irgendeinem 86
Rawls, John: The Law of Peoples, S. 78 f. Piechowiak, in: Hanski/Suksi (Hrsg.): An Introduction to the International Protection of Human Rights, S. 3. 88 Günther, Klaus, in: Alston (Hrsg.): The EU and Human Rights, S. 117. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 117, 118. 87
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Punkt in der Geschichte herabgeblickt und den jeweils betroffenen Menschen abgesprochen, gleichberechtigte menschliche Wesen zu sein: Arbeiter, Behinderte, Farbige, Frauen, Homosexuelle, Juden, nichteheliche Kinder, Obdachlose, Ureinwohner – die Liste ist endlos. Menschenrechte so interpretiert oder besser missinterpretiert begründen dabei die scheinbare Freiheit, eine Unterscheidung zu machen zwischen Menschen, die sich auf ihre Menschenrechte berufen können, und diesen ,anderen Wesen‘, denen dies verwährt ist.91 Basierend auf dieser Unterscheidung fühlten sich Menschen berechtigt, die entmenschlichten und damit entrechteten Männer, Frauen und Kinder zu diskriminieren, zu enteignen, zu verfolgen, einzusperren, zu foltern, zu vergewaltigen und zu töten.92 Das moderne System des Menschenrechtsschutzes ist damit das Ergebnis einer langen Reihe von Grausamkeiten, begangen von Menschen an Menschen. Positiver könnte man allerdings auch formulieren, dass das aktuelle Verständnis der Menschenrechte gerade die Ablehnung jener Praxis der Entmenschlichung ist, die über eine lange Zeit die Idee der Menschenrechte pervertierte. Oder, um es mit den Worten von Habermas zu sagen, der Diskurs einer zweihundertjährigen Selbstkritik des Westens ist nicht gänzlich ungehört verhallt.93 b) Vom ,Rederecht‘ zum allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts Durch die Berufung auf ein Menschenrecht wird dem Betroffenen nicht nur ein Weg eröffnet, sein Leiden wegen eines Verbrechens oder Unheils zu artikulieren, sondern es entsteht zugleich auch eine Verpflichtung der anderen, diesem Bericht Gehör zu schenken.94 Vismann hat daher argumentiert, dass Menschenrechte keine einklagbaren oder sonst wie zwangsweise durchsetzbaren Rechte im juristischen Sinne, sondern nur ,rhetorische Vorbehalte‘ seien, d.h. im Sinne einer rhetorischen Praxis einen Rahmen für das Opfer schaffen, in dem es die Erfahrung seiner Verletzung aussprechen könne, wenn und wo Recht und Gesetze versagten.95 In den Menschenrechten symbolisiere sich eine Art partieller Ad-hoc-Souveränitätsverzicht des Staates zugunsten des Einzelnen, der sprechen solle, wenn ihm Unrecht durch den Staat widerfahren sei.96 Nach dieser Ansicht sind die Menschenrechte somit ein Konzept, das nicht nur über dem Recht steht, sondern auch nicht von diesem durchgesetzt werden sollte. Im Fall der Menschenrechte definiere das Aussprechen einer Erfahrung unmittelbar Recht und Unrecht, es vermittele aber keinen Anspruch und kein 91 92 93 94 95 96
Ebd. Ebd. Vgl. Habermas, Jürgen: Der gespaltene Westen, S. 109. Günther, Klaus, in: Alston (Hrsg.): The EU and Human Rights, S. 117, 127. Vgl. Vismann, Cornelia, KJ 1996, S. 321, 325 ff. Ebd., S. 321, 325.
III. Konzeption und Geschichte des Rechts der Menschenrechte
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Klagerecht, ziehe kein Urteil nach sich und begründe nicht die Möglichkeit einer Vollstreckung, da all dies bereits im Akt des Sprechens enthalten sei.97 Als ein Beispiel für dieses Verständnis der Menschenrechte wird die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission angeführt, deren Ziel nicht die Verurteilung der Täter oder gar Rache sei, sondern allein dazu diene, dass das vergangene Unrecht in der Öffentlichkeit zur Sprache komme. Wahrscheinlich weil sich der Staat zunächst ausschließlich als unrühmlicher Menschenrechtsverletzer hervorgetan hat, bevor er auch zu deren wichtigstem Beschützter wurde, versuchen alle Annäherungen an das Konzept der Menschenrechte zu demonstrieren, wie und warum Menschenrechte über dem Staat und seiner rechtlich begründeten Gesellschaft stehen.98 So wurden die Menschenrechte zunächst auch vor allem als an den Staat bzw. die Staaten gerichtetes Verbot verstanden, d.h. als Befehlssätze bestimmte rechtliche Standards nicht zu verletzen.99 Indessen anerkennen selbst diejenigen, die sich für einen staatsfreien Bereich der Menschenrechte aussprechen, dass die Ineffektivität der Menschenrechte geradezu darauf dränge, für Instanzen und Institutionen der Durchsetzung zu sorgen.100 Wobei die damit einhergehende Verrechtlichung der Menschenrechte und insbesondere die Gleichsetzung von Menschen und Bürger(rechten), zugleich aber auch sehr kritisch gesehen wird, da den Menschenrechten damit ihre Souveränitätsfunktion, die sie als Instanz oberhalb aller Gesetze einnähmen, genommen würde.101 Zu bedenken ist insoweit allerdings, dass auch wenn Menschenrechte ein Konzept sind, das über dem Staat und seinem Recht steht, es doch immer noch ein von Menschen erdachtes Konzept ist und als solches deren Schutzes bedarf, um seine volle Effektivität zu entfalten. Zudem ist zu bedenken, dass obwohl die Idee der Menschenrechte als unantastbar angesehen sein mag, selbst schwere Menschenrechtsverletzungen noch immer mehr oder weniger ,alltägliche‘ Ereignisse darstellen. Würde man daher den Menschenrechten jede Form nationalen oder internationalen Schutzes sowie entsprechende Durchsetzungsmechanismen verweigern, um sie ,rein‘, d.h. staatsfrei zu halten, so würde man damit auch jede Chance darauf zerstören, dass die Idee der Menschenrechte je zu einem effektiven Mittel gegen menschliches Leiden wird. Das moderne Konzept der Menschenrechte geht daher viel weiter als ein reines Rederecht des Opfers zu begründen.
97
Ebd., S. 321, 326. Günther, Klaus, in: Alston (Hrsg.): The EU and Human Rights, S. 117, 140. 99 Tomuschat, Christian, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 315. 100 Vgl. Vismann, Cornelia, KJ 1996, S. 321, 330 ff. 101 Vgl. ebd. 98
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Beruft sich heute ein Opfer auf seine Menschenrechte, so zielt diese Inanspruchnahme zugleich auf die möglichen Konsequenzen, d.h. die Zuschreibung von Verantwortung auf den Täter, ab.102 Menschenrechte werden nicht länger allein aus der Perspektive des Opfers definiert, sondern geprägt durch die Beziehung zwischen Opfer und Täter.103 Das Opfer soll nicht auf die Opferrolle reduziert werden, sondern durch die Berufung auf die Verletzung seiner Menschenrechte einen Status der gleichberechtigten Teilnahme am Menschenrechtsdiskurs erhalten.104 Die Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen mittels strafgerichtlicher Verfahren oder anderer Durchsetzungsmechanismen ermöglicht es dem Opfer aufzuhören, sich in seinen oft traumatischen Erinnerungen an erlebtes Unrecht zu verlieren, die passive Opferrolle abzustreifen und so ein neues Kräfteverhältnis zwischen Opfer und Täter herzustellen. Menschenrechte sind immer mehr im Begriff vollwertige, einklagbare, erzwingbare Rechten zu werden und haben, bedenkt man nur das Beispiel der EMRK, diesen Status teilweise sogar bereits erreicht. Gleichzeitig haben die Menschenrechte aber auch als objektive Standards und sogar als allgemeine Grundsätze des Völkerrechts eine herausragende Bedeutung erlangt. So ist z. B. ein Aufnahmekriterium für den Beitritt zur Europäischen Union, dass Kandidaten gewisse Menschenrechtsstandards garantieren und auch tatsächlich einhalten, sowie der EMRK beitreten. Menschenrechte setzen damit einen unerlässlichen (wenn auch nicht alleinigen) Maßstab für die Bewertung der Ehrsamkeit politischer Institutionen und Rechtssysteme.105 Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben Staaten zudem allmählich die Verwerflichkeit jedenfalls schwerer Verletzungen fundamentaler Menschenrechte verstanden und anerkannt, dass diese eine Verantwortlichkeit des delinquenten Staats gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft begründen können.106
2. Die historische Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes Der internationale Menschenrechtsschutz beruht auf dem Verständnis von Menschenrechten als Rechten, die dem Einzelnen aufgrund seines Menschseins verliehen sind, und bezweckt, durch die Formulierung rechtlicher Normen ein geeignetes Instrument zum Schutz dieser Rechte und Werte zu schaffen.107 102
Günther, Klaus, in: Alston (Hrsg.): The EU and Human Rights, S. 117, 140. Ebd., S. 117, 141. 104 Ebd. 105 Vgl. Rawls, John: The Law of Peoples, S. 80. 106 Vgl. Cassese, Antonio: International Law, S. 59. 107 Piechowiak, in: Hanski/Suksi (Hrsg.): An Introduction to the International Protection of Human Rights, S. 3, 10 ff. 103
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Grundlegend für das moderne Recht der Menschenrechte ist ferner die Erkenntnis, dass der einzelne Mensch ein eigenständiges Völkerrechtssubjekt, d.h. Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten ist.108 Diese Anerkennung einer partiellen Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen ist indessen wie bereits dargelegt ein relativ neues Phänomen. a) Die Wurzeln des modernen Menschenrechtsschutzes Die Geschichte des internationalen Menschenrechtsschutzes begann – wenn auch sehr zögerlich – noch vor der Evolution des klassischen zum modernen Völkerrecht.109 Die eigentliche Entwicklung setzte indessen erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schlossen Staaten erstmals völkerrechtliche Verträge, durch die sie sich verpflichteten, das ,Menschsein‘ des Menschen zumindest dadurch anzuerkennen, dass dessen Vergegenständlichung als Handelsobjekt ausgeschlossen wurde.110 Zu nennen ist insoweit insbesondere das Übereinkommen über die Sklaverei vom 25. September 1926, durch das ein absolutes Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels etabliert wurde.111 Indessen wurde trotz eines dramatischen Anstiegs des Handels mit Frauen und Kindern zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts diese Form der Sklaverei erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts Gegenstand einer speziellen völkerrechtlichen Vereinbarung.112 Nach dem Ersten Weltkrieg initiierte die International Labour Organisation (ILO) Konventionen zum Schutz der Rechte der Arbeiter. Zudem wurden verschiedene bilaterale Verträge zum Schutz religiöser, ethnischer und sprachlicher Minderheiten geschlossen. Minderheitenrechte finden sich zudem auch in den Friedensverträgen von Paris von 1919. Diese Verträge stellen erste Manifestatio108
Herdegen, Matthias: Völkerrecht, § 12, Rn. 1–2, § 47, Rn. 1. Z. B. das Internationale Übereinkommen zur Gewährung wirksamen Schutzes gegen den Mädchenhandel vom 18.05.1904; das Internationale Übereinkommen zur Bekämfung des Mädchenhandels vom 04.05.1910. 110 Vgl. Ipsen, Knut: Völkerrecht, § 48, Rn. 2. 111 Zu diesen Verträgen zählen zudem etwa die in Fußnote 109 genannten Verträge sowie z. B. die Internationale Übereinkunft zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom 30.09.1921 und das Internationale Übereinkommen zur Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen vom 11.10.1933. 112 So wurde das Protokoll zur Verhütung, Ausmerzung und Bestrafung von Menschenhandel, insbesondere von Frauen und Kindern, das eine Ergänzung der Konvention der Vereinten Nationen gegen transnationale organisierte Kriminalität darstellt, erst am 15.11.2000 verabschiedet und trat erst am 25.12.2003 in Kraft. Vgl. hierzu: Bassiouni, Cherif M.: The History of Universal Jurisdiction and its Place in International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 39, 50. 109
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
nen einer wachsenden Überzeugung dar, dass zumindest bestimmte Menschengruppen eines besonderen Schutzes durch das Völkerrecht bedürfen. Ähnliches gilt für das internationale humanitäre Völkerrecht. Die ersten Verträge des humanitären Völkerrechts wie die umfassenden Haager Abkommen vom 29. Juli 1899 und 18. Oktober 1907 sowie die (zweite) Genfer Rot-Kreuz-Konvention vom 6. Juli 1906 begründen besondere Regeln zum Schutz von Menschen im Krieg. Zum einen verbieten sie, dass Menschen und insbesondere Zivilisten zu Kriegszielen gemacht werden, zum anderen schreiben sie wichtige Regelungen der Fürsorge, Unterstützung und Hilfe für Bedürftige vor.113 Die Wurzeln des internationalen Rechts der Menschenrechte liegen somit in den schon im klassischen Völkerrecht entwickelten Prinzipien über den Schutz des Einzelnen im Kriege, in den Vereinbarungen über den Schutz von Minderheiten im Rahmen der territorialen Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg sowie in den ersten Konventionen zum Schutz der Rechte der Arbeiter.114 Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Menschen aber nicht als Menschen an sich, sondern nur als Mitglieder einer bestimmten Gruppe, die als besonders hilfebedürftig angesehen wurde, geschützt. b) Die Entfaltung des internationalen Menschenrechtsschutzes im System der Vereinten Nationen Die Gräueltaten des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges forderten ein Umdenken bzgl. der Position des Einzelnen im Völkerrecht und verlangten nach einer Stärkung des Prinzips der Menschenwürde. Ein Beispiel für diese neue Sichtwiese ist Art. 1 GG, der nicht nur festschreibt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, und alle staatliche Gewalt verpflichtet, sie zu achten und zu schützen, sondern sich zudem auch zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt. Die besondere Bedeutung, die nach dem GG dem Grundsatz der Menschenwürde zukommt, wird zudem durch seine exponierte Stellung am Anfang der Verfassung bekräftigt. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges verfolgten eine zweiteilige Strategie: Zum einem förderten sie die Entwicklung des internationalen Strafrechts, um die deutschen und japanischen Kriegsverbrecher zu bestrafen, zum anderen arbeiteten sie Menschenrechtsprinzipien aus, die als Richtlinie für die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedstaaten gelten sollten.115 So enthält bereits die Präambel der UN-Charta ein Bekenntnis an die Grundrechte des Menschen sowie 113 114 115
Vgl. hierzu näher: Detter, Ingrid: The Law of War, S. 153. Herdegen, Matthias: Völkerrecht, § 47, Rn. 1. Cassese, Antonio: International Law, S. 377.
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an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit.116 Dieses Bekenntnis wird in den Bestimmungen der UN-Charta weiter bekräftigt und konkretisiert.117 Hervorzuheben ist dabei, dass es nach Art. 1 Nr. 3 UN-Charta eines der Ziele der Vereinten Nationen ist, eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder Religion zu fördern und zu festigen. Obgleich die UN-Charta keine konkreten Pflichten zur Förderung oder zum Schutz der Menschenrechte etabliert,118 ist insoweit allein die Tatsache, dass die UN-Charta und somit ein Vertrag, der geschlossen wurde, als der Krieg in Europa kaum vorbei war und die Kämpfe in Fernost noch andauerten, die Existenz der Idee der Menschenrechte anerkennt und unterstützt, von großer Bedeutung. aa) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Nachdem in der UN-Charta erstmals der Schutz von Menschenrechten ausdrücklich zur Pflicht der Staatengemeinschaft erklärt worden war, war der Weg zu einem umfassenden Menschenrechtsschutz eröffnet.119 Am Beginn der Bemühungen der Kodifizierung der Menschenrechte steht die am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR). Durch die AEMR wurde erstmalig ein weltweit geltendes Instrument geschaffen, das einen grundlegenden Menschenrechtskatalog verkündet. Heute hat sich die AEMR als weltweit anerkannte Definition der Menschenrechte und als entscheidender Interpretationsmaßstab für die Menschenrechtsverpflichtungen der UN-Mitgliedsstaaten etabliert.120 Inhaltlich basiert die Erklärung auf drei wesentlichen Prämissen: Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren (Art. 1 S. 1 AEMR), die in der Erklärung verkündeten Rechte stehen jedem Menschen ohne jedwede Unter116 We the peoples of the United Nations determined to save succeeding generations from the scourge of war, which twice in our lifetime has brought untold sorrow to mankind, and to reaffirm faith in fundamental human rights, in the dignity and worth of the human person, in the equal rights of men and women and of nations large and small, and to establish conditions under which justice and respect for the obligations arising from treaties and other sources of international law can be maintained, and to promote social progress and better standards of life in larger freedom, . . . (Beginn der UN-Charta). 117 Siehe Art. 1 Nr. 3; Art. 55 c) und Art. 76 c) UN-Charta. 118 Vgl. Art. 56 UN-Charta. 119 Doehring, Karl: Völkerrecht, § 976. 120 Weissmann, in: Baehr/Flinterman/Senders (Hrsg.): Innovation and Inspiration: Fifty Years of the Universal Declaration of Human Rights, S. 211.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
scheidung zu (Art. 2 AEMR) und jeder Mensch hat Anspruch auf eine nationale und internationale Ordnung, in welcher diese Rechte verwirklicht werden können (Art. 28 AEMR); die Rechte der AEMR werden somit wesentlich aus der Würde des Menschen hergeleitet.121 Unterschieden werden zwei Kategorien von Rechten: Die bürgerlichen und politischen Rechte einerseits und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte andererseits. Der Katalog der bürgerlichen und politischen Rechte orientiert sich an den Grundrechtskatalogen vieler moderner Verfassungen westlicher Demokratien und ist in Anlehnung an die französische Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen von 1789 und die amerikanische Declaration of Independence von 1776 entstanden, wobei die westlichen Staaten die AEMR ursprünglich auf diese Rechte beschränken wollten.122 Der zweite Komplex der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte wurde auf Drängen der afrikanischen und asiatischen Staaten als gleichberechtigt neben den klassischen staatsbürgerlichen Freiheitsrechten in die AEMR integriert. Obwohl die AEMR kein verbindliches völkerrechtliches Abkommen ist, ist sie ein wichtiges Instrument, das die zentrale normative Grundüberzeugung der internationalen Gemeinschaft über die besondere Bedeutung der Menschenrechte ausdrückt, ohne dass Staaten zu einem direkten Souveränitätsverlust aufgefordert oder gezwungen werden.123 Zudem ist die AEMR heute durch den immer stärkeren Rückgriff der Vereinten Nationen als normative Richtlinie für das Verständnis der Menschenrechte zum maßgeblichen Standard für die Beurteilung staatlichen Verhaltens geworden,124 so beziehen sich alle wichtigen internationalen und regionalen Menschenrechtsverträge in irgendeiner Weise auf die AEMR. Die als Empfehlung ohne Befolgungszwang verabschiedete Deklaration konnte somit zur Bildung einschlägigen Völkergewohnheitsrechts beitragen.125 Praktisch ebenso relevant wie der vielschichtige normative Status, den die AEMR auf rechtlicher und konstitutioneller Ebene erreicht hat, ist aber auch ihr politischer und ideologischer Einfluss; so hat die AEMR das Verlangen der Menschheit nach Menschenrechten und Menschenwürde universell legitim gemacht und dazu beigetragen, dass Menschen heute weltweit in dem Be-
121 Schmidt-Jortzig, Edzard, in: Menschenrechte für alle – 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, S. 7, 8. 122 Schaber, Thomas: Internationale Verrechtlichung der Menschenrechte, S. 146: Buergenthal, Thomas, in: Menschenrechte für alle – 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, S. 19, 23. 123 Vgl. Schaber, Thomas: Internationale Verrechtlichung der Menschenrechte, S. 145 f. 124 Ebd.; Buergenthal, Thomas, in: Menschenrechte für alle – 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, S. 19, 26 ff. 125 Hailbronner, Kai: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 157 ff., Rn. 223.
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wusstsein leben, dass sie Menschenrechte haben und dass es die Aufgabe jeder Regierung ist, diese zu achten und zu schützen.126 bb) Die völkervertragsrechtliche Sicherung der Menschenrechte Die Qualität und Durchsetzbarkeit des internationalen Menschenrechtsschutzes erreichte mit der Verabschiedung verbindlicher völkerrechtlicher Verträge zum Schutz der Menschenrechte und der Schaffung von Sanktionsmechanismen eine neue Stufe. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen universellen und regionalen Menschenrechtsverträgen; des Weiteren wird differenziert zwischen Verträgen mit einer auf Einzelfragen begrenzten Zielsetzung und solchen mit umfassenden Grundrechtskatalogen. Als universelle Verträge mit einem umfassenden Grundrechtskatalog sind die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen von 1966, d.h. der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) von herausragender Bedeutung. Mittlerweile gehören diesen Pakten, die am 16. Dezember 1966 durch die UN-Generalversammlung beschlossen wurden und Anfang 1976 in Kraft getreten sind, 153 (IPbpR) bzw. 149 (IPwskR) Staaten an. Zunächst war beabsichtigt gewesen nur ein einheitliches Dokument mit den klassischen Grundfreiheiten und Bürgerrechten zu schaffen, von östlicher und afrikanischer Seite wurde jedoch die Aufnahme von Anspruchspositionen und Leistungsrechten insbesondere sozialer und kultureller Art gefordert, so dass als Kompromiss der Abschluss von zwei Pakten erfolgte.127 Um dennoch die Zusammengehörigkeit der Verträge und die Gleichwertigkeit von politischen und sozialen Rechten zu betonen, sind die Präambel und Art. 1 in beiden Pakten identisch. Die Pakte sind sowohl hinsichtlich der in ihnen festgeschriebenen Rechte als auch bzgl. ihres geographischen Geltungsbereichs die am weitest reichenden völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge.128 Auf regionaler Ebene sind vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950, die American Convention on Human Rights von 1969 und die African Charter on Human and Peoples’ Rights (Banjul-Charta) von 1981 zu nennen. Insbesondere die Rolle der EMRK für den internationalen Menschenrechtsschutz kann – allein aufgrund der Rechtsprechung des EGMR – gar nicht hoch genug angesetzt werden. 1994 verabschiedete auch der Council of the
126 Buergenthal, Thomas, in: Menschenrechte für alle – 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, S. 19, 29. 127 Vgl. Stern, Klaus/Sachs, Michael: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 63. 128 Vgl. The United Nations Blue Book Series, Volume VII, The United Nations and Human Rights 1945–1995, New York 1995.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Arab League eine arabische Menschenrechtscharta. Eine überarbeitete Version der Arab Charter of Human Rights wurde am 23. März 2004 auf dem arabischen Gipfeltreffen in Tunesien verabschiedet. Zwar wird durch die Arab Charter of Human Rights 2004 erstmals die Gleichheit von Männern und Frauen in der arabischen Welt bekräftigt,129 die größte Schwäche der ersten Version, d.h. das Fehlen effektiver Durchsetzungsmechanismen, wurde aber nicht gelöst.130 Die Arab Charter of Human Rights 2004 tritt in Kraft, wenn sie von sieben Staaten ratifiziert worden ist. Bislang haben Algerien, Ägypten, Saudi-Arabien, Tunesien, der Jemen und Jordanien die Charta zwar unterzeichnet, ratifiziert wurde sie aber nur von Jordanien.131 Die regionalen Menschenrechtsstandards divergieren somit noch erheblich. Zu den zahlreichen auf Einzelfragen begrenzten universellen Menschenrechtsverträgen gehören z. B. die Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Völkermordkonvention) von 1948 und die Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (Anti-Folterkonvention). Die Völkermordkonvention kann dabei als direkte Reaktion auf den Holocaust gewertet werden. In Anbetracht dessen, dass internationale Verträge grundsätzlich erst und nur dann abgeschlossen werden, wenn die Vertragsparteien in der Lebenswirklichkeit einen entsprechenden Regelungsbedarf erkannt haben, ist es aber ein bedenkliches Zeichen, dass die Anti-Folterkonvention erst am 10. Dezember 1984 verabschiedet wurde.132 cc) Die Entwicklungen im Völkergewohnheitsrecht Parallel zur Entwicklung im Völkervertragsrecht entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch im Völkergewohnheitsrecht wichtige Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes. So sind heute z. B. das Recht auf Leben sowie die völkerstrafrechtlichen Verbrechen der Aggression, des Völkermordes, der Kriegsverbrechen, der Piraterie sowie bestimmte Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie vor allem Folter, Leibeigenschaft und Sklaverei ebenso wie die Mindestvoraussetzungen eines fairen, unabhängigen Gerichtsverfahrens grundsätzlich als Normen des jus cogens anerkannt.133 Das Konzept des römischen jus cogens meinte das auf alle und jeden anwendbar Recht; im Völkerrecht werden so die zwingenden Normen bezeichnet, die für alle Völkerrechtssubjekte verbindlich sind.134 129
Art. 3 Nr. 1 Arab Charter of Human Rights 2004. Vgl. hierzu Al-Midani, Mohammed Amin, BU Int’l LJ 24 (2006), S. 147, 149. 131 Vgl. ebd. S. 147, 149. 132 Ipsen, Knut: Völkerrecht, § 48, Rn. 2. 133 Bassiouni, Cherif M., in: Bassiouni/Morris (Hrsg.): Accountability for International Crimes and Serious Violations of Fundamental Human Rights, S. 63–74; Geiger, Rudolf: Grundgesetz und Völkerrecht, S. 397. 130
III. Konzeption und Geschichte des Rechts der Menschenrechte
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Zudem soll zumindest in Fällen schwerer, systematischer Menschenrechtsverletzungen jeder Staat und jede im Bereich des Menschenrechtsschutzes tätige internationale Organisation berechtigt sein, die Beendigung derartiger Menschenrechtsverletzungen zu verlangen.135 Kommt der die Menschenrechte verletzende Staat dieser Aufforderung nicht nach, so soll selbst ein von der Rechtsverletzung nicht unmittelbar betroffener Staat befugt sein, auf diesen in der Menschenrechtsverletzung liegenden Völkerrechtsverstoß mit Retorsionen oder (friedlichen) Repressalien zu reagieren.136 Gerechtfertigt sollen dabei selbst energische Interventionen in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates sein, wie z. B. diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen, und nach einer allerdings wohl zu weitgehenden Ansicht sogar militärische Maßnahmen.137 dd) Menschenrechtsverletzungen als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit im Sinne von Art. 39 UN-Charta In den letzten Jahrzehnten haben sich die Vereinten Nationen und insbesondere der UN-Sicherheitsrat vermehrt mit Menschenrechtsverletzungen befasst, die sich auf interne Krisen in einem Staat beschränkten. Der von einigen Staaten gegen diese ,Einmischung‘ erhobene Einwand staatlicher Souveränität wurde dabei mit der Begründung zurückgewiesen, dass die jeweilige Menschenrechtsverletzung eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit darstelle.138 Mit dieser Qualifikation von schweren Menschenrechtsverletzungen als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit hat sich der Sicherheitsrat zu einem mächtigen Beschützer der Menschenrechte aufgeschwungen und klargestellt, dass er das Institut der Menschenrechte als so wichtig erachtet, dass diesem – zumindest in Extremsituationen – Vorrang vor dem Prinzip staatlicher Souveränität zukomme. Im Falle schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen unterliegen somit selbst interne Situationen in einem Staat nicht mehr uneingeschränkt dem völkerrechtlichen Interventionsverbot.139 134 Bassiouni, Cherif M.: The History of Universal Jurisdiction and Its Place in International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 39, 47. 135 Cassese, Antonio: International Law, S. 394. 136 Vgl. ebd. 137 Vgl. Rawls, John: The Law of Peoples, S. 80. 138 Cassese, Antonio: International Law, S. 383. 139 Für die Vereinten Nationen und ihre Organe ergibt sich die Verpflichtung, sich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen aus Art. 2 Nr. 7 UNCharta; das zwischenstaatliche Interventionsverbot ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und lässt sich zudem aus dem in Art. 2 Nr. 1 UN-Charta festgelegten Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten ableiten; vgl. hierzu Ipsen, Knut: Völkerrecht, § 59, Rn. 50 ff.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
Die Begründungen des Sicherheitsrates lassen aber eine gewisse Vorsicht erkennen, selbst schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen pauschal als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit zu qualifizieren. So stellte der Sicherheitsrat 1991 angesichts der systematischen Unterdrückung der Kurden im Irak in seiner Res. 688 (1991) auf die in die Nachbarländer strömenden kurdischen Flüchtlinge ab und qualifizierte diese als eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit in der Region.140 Desgleichen qualifizierte er in Res. 418 (1977) das Apartheidregime in Südafrika als Gefahr für die Stabilität der gesamten Region und begründete damit eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit.141 Während der Sicherheitsrat in den genannten Fällen einen Umweg über die Destabilisierung der Region bzw. die Auswirkungen von Flüchtlingsströmen genommen hat, zeichnet sich in jüngerer Zeit allerdings eine Tendenz ab, dass auch schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen an sich als Bedrohung des Friedens qualifiziert werden können. So stellte der Sicherheitsrat in Res. 794 (1992) direkt auf das Ausmaß der menschlichen Tragödie in Somalia ab, um eine Bedrohung des Friedens zu bejahen.142 Der argumentative Fokus in dieser Resolution liegt klar auf der desolaten humanitären Situation in Somalia, die gleichzeitig auch bestehende Flüchtlingsproblematik wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. Allerdings betont der Sicherheitsrat zugleich auch den absoluten Ausnahmecharakter der Situation in Somalia. Fraglich ist daher, inwieweit die in Res. 794 (1992) getroffene Einschätzung und Argumentation auf andere Sachverhalte übertragbar ist. Insbesondere stellt sich die Frage, ob auch schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen, die sich auf das Gebiet eines funktionierenden Staates beschränken, eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit darstellen können, oder ob derartige Menschenrechtsverletzungen nur dann eine entsprechende Bedrohung darstellen, wenn sie – wie 140 Die insoweit entscheidenden Stellen der Res. 688 (1991) lauten: . . . Gravely concerned by the repression of the Iraqi civilian population in many parts of Iraq, including most recently in Kurdish populated areas, which led to a massive flow of refugees towards and across international frontiers and to cross-border incursions, which threaten international peace and security in the region, . . . . . . Condemns the repression of the Iraqi civilian population in many parts of Iraq, including most recently in Kurdish populated areas, the consequences of which threaten international peace and security in the region; . . . verfügbar unter: http://www.fas.org/news/un/iraq/sres/sres0688.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 141 Vgl. Res. 418 (1977), verfügbar unter: http://www.un.org/documents/sc/res/ 1977/scres77.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 142 Die insoweit entscheidende Stelle der Resolution 794 (1992) lautet: . . . Determining that the magnitude of the human tragedy caused by the conflict in Somalia, further exacerbated by the obstacles being created to the distribution of humanitarian assistance, constitutes a threat to international peace and security, . . . verfügbar unter: http://www.un.org/documents/sc/res/1992/scres92.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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in Somalia – in einem failed state, d.h. einem Staat ohne effektive Staatsgewalt, begangen werden. Keine eindeutige Antwort auf diese Fragen bieten bislang die jüngsten Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. So stellt der Sicherheitsrat in Res. 918 (1994) hinsichtlich der Begründung einer Bedrohung des Friedens durch die Situation in Ruanda zwar insbesondere auf die unbeschreiblichen Menschenrechtsverletzungen ab, bezieht sich aber auch auf die gewaltigen Flüchtlingsströme in benachbarte Staaten, welche zusammengenommen eine humanitäre Krise enormen Ausmaßes darstellten.143 In gleicher Weise lässt es der UN-Sicherheitsrat in Res. 1590 (2005) offen, ob die Situation in Darfur, Sudan bereits wegen der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht an sich oder erst im Zusammenspiel mit den dadurch verursachten Flüchtlingsströmen eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit darstelle.144 Ein klarer Schwerpunkt im Rahmen der Begründung einer Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit durch die Situation in Darfur liegt allerdings auf der katastrophalen Menschenrechtssituation in diesem Gebiet. Zu beachten ist zudem, dass der Sicherheitsrat am Anfang von Res. 1590 (2005) sein Bekenntnis zu Souveränität, Einheit, Unabhängigkeit und territorialer Integrität des Sudans bekräftigt und sich der Bedeutung der Prinzipien der guten Nachbarschaft, Nicht-Intervention und regionalen Kooperation erinnert.145 Ein genereller Vorrang des Menschenrechtsschutzes gegenüber dem Grundsatz staatlicher Souveränität kann den Resolutionen somit nicht entnommen werden. Soweit es indessen um schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen geht, können Staaten sich auch nicht mehr unbegrenzt hinter dem völkerrechtlichen Interventionsverbot verstecken, da zumindest schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen als Angelegenheit der gesamten internationalen Gemeinschaft betrachtet werden können. Das Konzept der Menschenrechte hat sich somit von einem rein politisch-moralischen Engagement zu einem Grundpfeiler des Völkerrechts entwickelt, das allen Staaten rechtlich verbindliche Pflichten auferlegt und objektive Standards für die Behandlung von Individuen festschreibt.
143 Vgl. Res. 918 (1994), verfügbar unter: http://www.womenwarpeace.org/docs/ res918.pdf, letzter Zugriff am 14.04.2008. 144 Vgl. Res. 1590 (2005), verfügbar unter: http://www.globalpolicy.org/security/ issues/sudan/2005/pkgres1590.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 145 Die entsprechende Stelle der Res. 1590 (2005) lautet: Reaffirming its commitment to the sovereignty, unity, independence and territorial integrity of Sudan, and recalling the importance of the principles of good neighbourliness, non-interference and regional cooperation, . . . verfügbar unter: http://www.globalpolicy.org/security/issues/sudan/2005/pkgres1590. htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
IV. Definition und Entstehungsgeschichte des Internationalen Strafrechts Das internationale Strafrecht ist ein relativ neues Phänomen des Völkerrechts, das größtenteils erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts langsam begonnen hat sich zu entwickeln und insbesondere in den letzten 15 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht hat. Zurzeit scheint das internationale Strafrecht in Bewegung zu sein wie kaum ein anderes Gebiet des Völkerrechts – zumindest hat kein Bereich des internationalen Rechts in den letzten Jahren Anlass zu so vielen starken und emotionalen Reaktionen – positiven wie negativen – von Staaten, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und internationalen Organisationen aus der ganzen Welt gegeben wie das internationale Strafrecht. 1. Eine Definition des internationalen Strafrechts Das internationale Strafrecht ist beschrieben worden als eine Sammlung von internationalen Regeln, geschaffen, um internationale Verbrechen zu ächten und Staaten zu verpflichten oder zumindest zu berechtigen, diese Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen.146 Insbesondere seit 1993/1994 ist zudem das Recht der internationalen Strafgerichtshöfe ein weiterer wichtiger Aspekt des internationalen Strafrechts geworden. Den Kern des internationalen Strafrechts soll dabei die Doktrin bilden, durch die das Völkerrecht dem Einzelnen unmittelbar, d.h. unabhängig von nationalen Regelungen, eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit auferlegt.147 Angemerkt sei zudem, dass in der deutschsprachigen Literatur teilweise noch weiter differenziert wird, indem insbesondere zwischen Völkerstrafrecht und internationalem Strafrecht unterschieden wird, wobei das Völkerstrafrecht nur den Teil des internationalen Strafrechts ausmachen soll, der sich auf die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen bezieht.148 Völkerrechtsverbrechen sollen dabei die internationalen Verbrechen sein, deren Strafbarkeit sich direkt aus dem Völkerrecht ergibt.149 Diese differenzierende Terminologie ist indessen noch wenig gefestigt.150 Zudem findet sie keine Entsprechung in der im internationalen Strafrecht vorherrschenden englischsprachigen Literatur, die nur den Begriff des in146
Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 15. Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court: Between Sovereignty and the Rule of Law, S. 9. 148 So Werle, Gerhard: Völkerstrafrecht, Rn. 109 ff.; ähnlich wohl Ambos, Kai: Internationales Strafrecht, S. 78 nach welchem echtes internationales Strafrecht im Sinne eines völkerrechtlichen (supranationalen) Strafrechts nur das Völkerstrafrecht ist. 149 Werle, Gerhard: Völkerstrafrecht, Rn. 111. 150 Schröder, Meinhard: Verantwortlichkeit, Völkerstrafrecht, Streitbeilegung und Sanktionen, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 577 ff., Rn. 38. 147
IV. Definition und Entstehungsgeschichte des Strafrechts
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ternational criminal law kennt. Die dargestellte Differenzierung zwischen internationalem Strafrecht und Völkerstrafrecht wird daher der vorliegenden Arbeit nicht zugrunde gelegt. Vielmehr werden die Begriffe des internationalen Strafrechts und des Völkerstrafrechts synonym verwendet und für die Zwecke dieser Arbeit eine eigene Eingrenzung und Definition des internationalen Strafrechts gesucht. a) Das Spannungsfeld zwischen nationalem Strafrecht und Völkerrecht Obwohl die eingangs genannten Definitionen eine Idee von den Problemen vermitteln, die im Rahmen des internationalen Strafrechts diskutiert werden, erklären sie nicht die besondere Natur des internationalen Strafrechts als einem Rechtsgebiet, das in dem schwierigen Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Strafrecht angesiedelt ist. Wie nationales Strafrecht beschäftigt sich auch das internationale Strafrecht mit der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit einzelner Individuen. Staaten oder andere rechtliche Einheiten können sich dagegen nicht nach (internationalem) Strafrecht strafbar machen. D.h. im Rahmen des internationalen Strafrechts geht es um Verstöße von Individuen gegen das Völkerrecht bzw. gegen Straftatbestände, die jedenfalls mittelbar auf das Völkerrecht zurückführbar sind.151 Dies ist insofern bemerkenswert als das Völkerrecht – mit Ausnahme des internationalen Rechts der Menschenrechte – nur das Verhältnis zwischen Staaten oder zwischen Staaten und internationalen Organisationen, nicht aber zwischen Individuen regelt. Interessant ist überdies, dass die zentralen Verbrechenstatbestände des internationalen Strafrechts, d.h. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord, Verbrechen sind, die par excellence in einem staatlichen Kontext oder jedenfalls durch eine Gruppe, nicht aber durch eine Einzelperson begangen werden.152 Schließlich werden die meisten Fälle, die für das internationale Strafrecht von Bedeutung sind, von nationalen Strafgerichten entschieden und richten sich mithin nach dem nationalen Straf- und Strafprozessrecht des jeweiligen Staates. Sinn und Zweck des staatlichen Strafverfahrens ist es dabei, den legitimen staatlichen Strafanspruch durchzusetzen. Der Übergang vom internationalen zum nationalen Strafrecht ist somit fließend und eine Differenzierung teilweise schwierig. Dies wirft die Frage auf, was das internationale vom nationalem Strafrecht unterscheidet, oder anders ausgedrückt, was macht ein Verbrechen zu einem internationalen Verbrechen.153 151
Ebd., Rn. 38 ff. Kor, Gerben: Sovereignty in the Dock, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 53, 55. 153 Angemerkt sei hier, dass noch 1993 nicht nur der Begriff der international crimes in seinen Voraussetzungen wie Konsequenzen umstritten war, sondern dass auch noch nicht eindeutig geklärt war, ob es eines solchen Instituts wirklich bedürfe, vgl. insoweit Oeter, Stefan, ZaöRV 53 (1993), S. 1, 31. 152
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
b) Internationale Verbrechen Eine relativ einfache, wenn auch ungenaue Antwort auf die Frage, was ein Verbrechen zu einem internationalen Verbrechen macht, liefert Drumbl, indem er auf das extreme evil of extraordinary crimes against the world community, d.h. das extreme Übel der außergewöhnlichen Verbrechen gegen die Weltgemeinschaft abstellt, und dieses vor allem bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bejaht.154 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Köhler, wenn er darlegt, dass das Völkerstrafrecht im Unterschied zum nationalen Strafrecht ein Rechtsverhältnis der handelnden Person zur Völkerrechtsgemeinschaft und mithin ein darauf bezogenes Verbrechen sowie eine daraus resultierende strafrechtliche Verantwortlichkeit voraussetze.155 Das besondere Übel der Tat liege hier darin, dass nicht nur die unmittelbar betroffene Gemeinschaft, sondern auch die internationale Gemeinschaft durch das Verbrechen verletzt werde. So ist nach Köhler auch das Verbrechen des Völkermordes ein universelles, d.h. internationales Verbrechen par excellence, das alle Völker angeht, da es in fundamentaler Weise die Völkerrechtssubjektivität und damit das Völkerrechtsverhältnis, d.h. die Menschheit als solche negiere.156 Diese Ansätze sind insoweit zutreffend, als sie überzeugend darlegen, dass eine besondere Verbindung zwischen der Weltgemeinschaft, d.h. der internationalen Gemeinschaft, und dem in Frage stehenden Verbrechen bestehen muss, um dieses als internationales oder universelles Verbrechen zu qualifizieren. Besteht eine derartige Verbindung nicht, so unterfällt die Tat allein der nach allgemein anerkannten Prinzipien zuständigen nationalen Strafgewalt. So betrifft zum Beispiel ein Ladendiebstahl und selbst ein ,normaler‘ Mord nicht die internationale Gemeinschaft als solche, sondern allein die Gemeinschaft, in der die Straftat begangen wurde sowie – sofern nicht identisch – die Gemeinschaft aus der der Täter kommt und (vielleicht) noch die des Opfers. Zwar stellt auch die Ermordung eines einzelnen Menschen eine Verletzung universell anerkannter Werte, nämlich des transnationalen Menschenrechts auf Leben dar, durch die Tat – und zwar selbst wenn sie unbestraft bleibt – wird allerdings nicht die universelle Geltung dieses Rechtes in Frage gestellt. Wird beispielsweise in Deutschland der reiche Erbonkel von seinem Lieblingsneffen ermordet, so wird durch diese Rechtsverletzung der Rechtsfrieden in anderen Ländern nicht beeinträchtigt, da das Recht auf Leben durch diese einzelne Tat nicht in Frage gestellt wird. Zudem ist auch eine rein faktische Betroffenheit der internationalen Gemeinschaft durch ein derartiges Verbrechen nicht gegeben. Ganz anders sieht es dagegen etwa bei den durch den Völkermord in 154 155 156
Drumbl, Mark A.: Atrocity, Punishment and International Law, S. 4. Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435. Ebd.
IV. Definition und Entstehungsgeschichte des Strafrechts
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Ruanda begangenen Rechtsverletzungen aus, da hier durch diese Taten die Geltung fundamentaler Werte der internationalen Gemeinschaft selbst in Frage gestellt wird. Die von Köhler vorgeschlagene Abgrenzung ist indessen insoweit zu eng, als nach dieser Ansicht selbst systematische Kriegsverbrechen unterhalb der Schwelle von Vernichtungskriegen grundsätzlich keine universellen Verbrechen darstellen, da sie nicht per se eine universelle Betroffenheit auslösen, sondern zunächst auf das zwischenstaatliche Verhältnis beschränkt seien.157 Während es nicht abzustreiten ist, dass bewaffnete Auseinandersetzungen sowie die in diesen Konflikten begangenen Straftaten zunächst in den Zuständigkeitsbereich der unmittelbar betroffenen Staaten fallen, ist auch zu bedenken, dass insbesondere systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts sowohl einen rechtlichen als auch einen erheblichen faktischen Effekt auf die internationale Gemeinschaft als solche haben können. Beispielsweise können vom Militär eines Staates an Zivilisten eines anderen Staates begangene Kriegsverbrechen aber auch rein interne Konflikte wie blutige Bürgerkriege zu Flüchtlingsströmen in Drittländer führen and damit die Notwendigkeit hervorrufen, sich mit den in dem fraglichen Konflikt begangenen Taten auch in Ländern, die an diesem Konflikt gar nicht beteiligt sind, oder internationalen Institutionen, wie insbesondere den Vereinten Nationen, auseinanderzusetzen. Zu bedenken ist insoweit auch, dass in der heutigen globalisierten Welt Flüchtlingsprobleme nicht mehr das ausschließliche Problem der Anrainerstaaten sind, sondern – zumindest sofern die fragliche Katastrophe ein bestimmtes Ausmaß erreicht hat und längere Zeit andauert – vermehrt auch von anderen Staaten mitgetragen werden. So haben z. B. viele Menschen aus Bosnien, Afghanistan oder Ruanda in verschiedenen EU-Staaten (zeitweilig) Asyl gefunden, obwohl keine unmittelbaren Grenzen bestanden. Dies bedeutet zwar nicht, dass Flüchtlingsströme als solche für die betroffenen Staaten einen Jurisdiktionsgrund darstellen würden. Derartige Bewegungen können Staaten aber rein faktisch zwingen, sich mit den in einem anderen Staat begangenen Verbrechen auseinanderzusetzen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zwischen Belgien und Ruanda bestanden aufgrund der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit besonders enge Beziehungen.158 1994 flohen daher Hunderte – Hutu und Tutsi – nach Belgien, d.h. es kamen sowohl Täter als auch Opfer nach Belgien. Die mutmaßlichen Täter 157
Ebd., S. 435, 458. Die offizielle Aufspaltung der ruandischen Bevölkerung in ethnische Gruppen war in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die belgische Kolonialmacht vorgenommen worden. Zu Beginn des Völkermordes wurden 25 Belgier in Ruanda aufgrund ihrer Nationalität ermordet, unter ihnen Entwicklungshelfer und zehn Mitglieder der UN Peacekeeping Force, vgl. hierzu etwa Vandermeersch, Damien, JICJ 3.2 (2005), S. 400–421; Reydams, Luc, JICJ 1.2 (2003), S. 428–436. 158
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
konnten aufgrund eines fehlenden Auslieferungsabkommens zwischen Belgien und Ruanda nicht an ihren Heimatstaat ausgeliefert werden, so dass Belgien gezwungen war, die Strafverfahren selbst durchzuführen, wenn es nicht hinnehmen wollte, dass für den Völkermord in Ruanda (mit-)verantwortliche Täter in Belgien einen sicheren Zufluchtsort fänden und ihren Lebensabend genössen. Eine vergleichbare Lage und somit eine universelle Betroffenheit ist nun aber nicht nur bei durch einen Völkermord verursachten Flüchtlingsbewegungen, sondern auch bei anderen internen und zwischenstaatlichen Konflikten denkbar. Die internationale Gemeinschaft kann daher sowohl faktisch als auch rechtlich durch zwischenstaatliche und selbst innerstaatliche bewaffnete Konflikte auch dann betroffen sein, wenn es sich nicht um einen Vernichtungskrieg handelt. Für diese Einschätzung spricht auch, dass an der Beendigung zwischenstaatlicher Konflikte und Kriege sowie an dem anschließenden Friedensprozess heute in der Regel nicht mehr allein die kriegführenden Staaten, sondern häufig eine Vielzahl staatlicher und nicht-staatlicher Akteure beteiligt sind. Wie allein das Beispiel des Nahostkonflikts eindrucksvoll zeigt, gibt es unzählige Mediationsversuche nicht nur von Seiten der Vereinten Nationen, sondern auch von einzelnen Staaten oder anderen internationalen Organisation wie etwa der EU. Es erscheint daher vorzugswürdig, internationale Verbrechen als Verbrechen zu definieren, die entweder gegen die Menschheit als solche gerichtet sind oder die internationale Gemeinschaft als ganze betreffen, da sie in irgendeiner Weise entscheidende Auswirkungen auf die internationale Gemeinschaft haben und ihre fundamentalsten Werte in Frage stellen. Im Regelfall sind diese Kriterien bei schweren, systematischen Menschenrechtsverletzungen erfüllt. In diese Richtung argumentiert auch Schröder, nach dem der spezifische Inhalt des (materiellen) Völkerstrafrechts in der Kriminalisierung gravierender Verstöße gegen das friedliche, insbesondere gewalt- und aggressionsfreie Zusammenleben der Staaten und Völker sowie gegen elementare Standards für eine menschenwürdige Behandlung und ein menschenwürdiges Dasein zu sehen ist.159 Abschließend kann das internationale Strafrecht somit als das Recht definiert werden, das sich mit den Tätern schwerer Menschenrechtsverletzungen auseinandersetzt und so als wichtiges Mittel im Kampf um die Durchsetzung der Menschenrechte fungiert. Bemerkenswert ist insoweit allerdings noch, dass es sich unter Zugrundelegung dieser Definition bei internationalen Verbrechen vielfach um eine sog. Staatsdelinquenz handelt. Denn Verbrechen, die durch den Staat selbst begangen oder organisiert werden, fordern häufig ungleich mehr Opfer als die sog. „normale“ Kriminalität,160 so dass schon unter dem Gesichtspunkt der Quantität 159 Schröder, Meinhard: Verantwortlichkeit, Völkerstrafrecht, Streitbeilegung und Sanktionen, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 577 ff., Rn. 45. 160 Vgl. Neubacher, Frank, NJW 2006, S. 966, 967.
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eine besonders schwere Verletzung der Menschenrechte nahe liegt. Zudem liegt das erhöhte destruktive Potenzial dieser besonders gravierenden Verbrechen aber auch darin, dass die entsprechenden Taten nicht, wie bei gewöhnlicher Kriminalität, in Abweichung von den Verhaltenserwartungen des Kollektivs begangen werden, sondern in weitgehender Übereinstimmung mit diesem.161 Obwohl sich somit das internationale Strafrecht vordergründig nur mit der Delinquenz der einzelnen natürlichen Person befasst, geht es de facto in den meisten Fällen auch immer um die Frage der Delinquenz des Staates, für den die natürliche Person agiert hat. 2. Wichtige Etappen in der Entstehung des internationalen Strafrechts Die Macht zu strafen ist als wichtiges Element staatlicher Souveränität immer das Vorrecht des Souveräns gewesen.162 Traditionell wurden Verbrechen daher nur in den Staaten strafrechtlich verfolgt, auf deren Territorium oder von deren Staatsangehörigen sie begangen worden waren. Eine erste Ausnahme bestand aber bereits im 17. Jahrhundert für das Verbrechen der Piraterie. Soweit dieses Verbrechen betroffen war, waren alle Staaten berechtigt, den Täter zu verfolgen und zwar ungeachtet der Nationalität von Opfer und Täter und unabhängig von dem Bestehen eines eigenen direkten Schadens.163 Piraterie ist ein Verbrechen, das häufig auf hoher See begangen wird, d.h. an Orten, an denen kein Staat territoriale Souveränität besitzt. Die Argumentation hinter der universellen Verfolgbarkeit des Verbrechens der Piraterie lag somit in der Unzulänglichkeit normaler nationaler Durchsetzungsmechanismen.164 Die Akzeptanz universeller Jurisdiktion für das Verbrechen der Piraterie ist daher auch weder überraschend noch besonders progressiv, da sie den einzigen Weg darstellt, um einen effektiven Schutz internationaler Handelswege zu erreichen. Zudem wurden Staaten durch diese Regelung nicht gezwungen, Teile ihrer eigenen Souveränität preiszugeben, da fremden Staaten nicht erlaubt wurde, ihre Strafgewalt auf Taten auszudehnen, die auf einem anderen Territorium begangen worden waren, sondern allein auf Sachverhalte, die anderenfalls unbestraft geblieben wären. Der strafende Staat mischte sich somit nicht in die internen Angelegenheiten eines anderen Staates ein, sondern handelte im Interesse aller 161
Ebd. Vgl. Badinter, Robert: International Criminal Justice: From Darkness to Light, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1931, 1932. 163 Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 38; Gärditz, Klaus Ferdinand: Weltrechtspflege, S. 59. 164 Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 156; Gärditz, Klaus Ferdinand: Weltrechtspflege, S. 59. 162
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Staaten, wenn er in einer Art Niemandsland begangene Verbrechen verfolgte, die als schädlich für jedes Mitglied der internationalen Gemeinschaft angesehen wurden. Obwohl das internationale Strafrecht im Kern ein Phänomen des 20. Jahrhunderts ist, reichen seine ersten Anfänge doch mehrere Jahrhunderte zurück. Seit dem 13. Jahrhundert, als 1268 in Neapel Konradin von Hohenstaufen, Herzog von Schwaben und legitimer König von Sizilien und Jerusalem, als Verräter wegen Führens eines ungerechten Krieges hingerichtet wurde, gab es immer wieder vereinzelte Ansätze, Individuen für Taten zur Verantwortung zu ziehen, die heute als internationale Verbrechen bezeichnet würden.165 So wurde z. B. 1474 im Elsass Vogt Peter von Hagenbach aufgrund der von ihm gegen die Bevölkerung begangenen Misshandlungen von einem internationalen Tribunal, bestehend aus Richtern aus dem Elsass, Österreich, Deutschland und der Schweiz wegen Verbrechen gegen das Gesetz Gottes und der Menschheit verurteilt und hingerichtet.166 Indessen blieb es zunächst bei diesen sporadischen Ansätzen. Zudem ist fraglich, inwieweit diese Prozesse tatsächlich im Sinne und Interesse der Gerechtigkeit unternommen worden sind. So wurde etwa die Hinrichtung Konradins von Hohenstaufen von der Mehrzahl seiner Zeitgenossen als ungeheuerliches Verbrechen aufgefasst, und der Prozess gilt heute allgemein als Scheinprozess. Eine konstante Entwicklung des internationalen Strafrechts erfolgte erst im 20. Jahrhundert. a) Erste Versuche: Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Im Versailler Vertrag von 1919 wurde mit der Verankerung der Verantwortlichkeit Kaiser Wilhelm II. und anderer hoher Militärs erstmals eine Einschränkung der Act-of-state-Doktrin vorgenommen.167 Zu einem strafrechtlichen Verfahren gegen den deutschen Monarchen kam es indessen doch nie, da dieser nach Holland floh, und die Niederlande, die nicht Vertragspartei des Versailler Vertrages waren, eine Auslieferung des abgedankten deutschen Kaisers verweigerten. Was die Verfahren gegen deutsche Militärs betrifft, die von den Alliierten beschuldigt worden waren, während des Ersten Weltkrieges Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen humanitäres Recht begangen zu haben, so wurde weder ein internationales Gericht gegründet, noch wurden sie durch Gerichte der Alliierten zur Verantwortung gezogen – letztlich wurden nur 12 eher unbedeutende der ehemals 896 Beschuldigten vor deutsche Gerichte gestellt, von denen zudem sechs freigesprochen wurden.168 Die Zeit zwischen dem Ersten 165 166 167 168
Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 325. Ebd. Triffterer, Otto, ZStW 114 (2002), S. 321, 333. Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 266.
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und dem Zweiten Weltkrieg war zudem geprägt durch das Fiasko des Völkerbundes, so ratifizierte z. B. kein Staat die Konvention gegen Folter, die eine Bestimmung zur Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs beinhaltete.169 Die ersten ernsthaften Versuche, die Entwicklung des internationalen Strafrechts zu fördern, erwiesen sich daher als fruchtlos. b) Internationales Strafrecht in der Praxis: Nürnberg, Tokio und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg begann mit dem IMT und dem International Military Tribunal for the Far East (IMTFE) die Zeit der Praxis des internationalen Strafrechts. Mit der Gründung der beiden Militärtribunale brachen Staaten erstmals mit dem Monopol nationaler Strafgewalt über internationale Verbrechen170 und zeigten, dass der Schleier der Souveränität juristisch durchdrungen werden kann, und Individuen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen haben, persönlich für diese zur Rechenschaft gezogen werden können.171 Am 11. Dezember 1946 verabschiedete die UN-Generalversammlung einstimmig Resolution 95 (I), mit der die durch das Statut des Nürnberger Gerichtshofs anerkannten Grundsätze des Völkerrechts bestätigt wurden.172 Gleichzeitig beauftragte die Generalversammlung die ILC, Pläne für die Formulierung der in dem Statut des Nürnberger Gerichtshofs und in den Urteilen des Gerichtshofs anerkannten Grundsätze im Rahmen einer allgemeinen Kodifikation der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschen oder eines Internationalen Strafgesetzbuches als eine Angelegenheit von vorrangiger Bedeutung zu behandeln. Zwar wurde von diesen Kodifikationsbemühungen in der Zeit des Kalten Krieges wieder Abstand genommen, die sog. Nürnberger Prinzipien sind aber dennoch von großer Bedeutung für die Entwicklung des internationalen Strafrechts und insbesondere die Inhalte der Statute des ICTY und des ICTR sowie später des Rom-Statuts gewesen. Beachtlich ist zudem bereits die Grundentscheidung, die deutschen Täter des Dritten Reichs, d.h. die Täter von Verbrechen von bis dahin ungekannter Grausamkeit, einem ordentlichen Strafverfahren zu unterziehen. In Anbetracht des Ausmaßes und der Intensität der von den Nazis begangenen Verbrechen sowie der Offensichtlichkeit der Schuld der Haupttäter war zunächst auch die Durchführung eines ergebnisoffenen, fairen und unabhängigen Strafverfahrens für
169
Moralez, Cheryl K., 4 DePaul Int’l LJ 135 (2000), II. Cassese, Antonio: International Law, S. 454. 171 Nagan, Winston P., Duke J Comp & Int’l L 6 (1995–1996), S. 127–165, VIII. 172 Res. 95 (I) ist verfügbar unter: http://www.un.org/documents/ga/res/1/ares1. htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 170
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überflüssig gehalten und hinsichtlich der führenden Nazis eine Hinrichtung im Schnellverfahren favorisiert worden.173 Internationales Strafrecht in seiner heutigen Form ist im Kern eine Reaktion auf die schweren Menschenrechtsverletzungen des Dritten Reichs. Während des Zweiten Weltkrieges wurde den Alliierten bewusst, dass einige der schlimmsten von den Nazis begangenen Taten durch das traditionelle Völkerrecht nicht verboten wurden, da das Recht der Kriegsführung nur Übergriffe auf die gegnerische Bevölkerung verbot, während die Nazis aus politischen und vor allem rassistischen Gründen auch unmenschliche Taten gegen ihre eigenen Staatsangehörigen begangen hatten.174 Aufgrund der beispiellosen Grausamkeiten wurden daher 1945 die Konzepte der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verbrechen gegen den Frieden entwickelt, gefolgt 1948 von der ersten offiziellen Definition und Ächtung des Völkermordes durch die Völkermordkonvention. Insbesondere die Schaffung des Konzepts der Verbrechen gegen den Frieden ist bemerkenswert, da bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Krieg als ein allgemein akzeptiertes und legitimes Mittel der Streitbeilegung anerkannt war. Der Souverän hatte als Ausfluss seiner Souveränität das ,Recht zum Krieg‘ (jus ad bellum), eine individuelle Verantwortlichkeit für einen Bruch des Friedens war nicht bekannt.175 Dieser Grundpfeiler des klassischen Völkerrechts wurde mit der Völkerbundsatzung von 1919/1920 und ihrem partiellen Kriegsverbot erstmals in Frage gestellt. Die Ausweitung des partiellen Kriegsverbots zu einem generellen erfolgte erstmalig im Briand-Kellogg-Pakt von 1928. Heute ist ein umfassendes Verbot der Anwendung und Androhung militärischer Gewalt in Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta festgeschrieben und als Norm des jus cogens anerkannt. In jedem Fall war die Möglichkeit einer individuellen Strafbarkeit staatlicher Hoheitsträger wegen Aggression sowohl im nationalen als auch im internationalen Recht bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gänzlich unbekannt. Selbst heute besteht keine allgemein anerkannte Definition des Verbrechens der Aggression, weshalb der ICC seine Strafgewalt über dieses Verbrechen auch (noch) nicht ausüben kann.176
173 Vgl. hierzu Drumbl, Mark A.: Atrocity, Punishment and International Law, S. 3; Brown, Raymond M.: The American Perspective on Nuremberg: A Case of Cascading Ironies, in: Reginbogin/Safferling (Hrsg.): The Nuremberg Trials – International Criminal Law Since 1945, S. 21, 22 ff.; Cesarani, David: The International Military Tribunal at Nuremberg: British Perspectives, in: Reginbogin/Safferling (Hrsg.): The Nuremberg Trials – International Criminal Law Since 1945, S. 31–37. 174 Cassese, Antonio: International Law, S. 439. 175 Gornig, Gilbert, NJ 1992, S. 4, 7. 176 Vgl. Art. 5 Abs. 2 Rom-Statut.
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c) Aktuelle Entwicklungen: Die Zeit nach dem Kalten Krieg Trotz der weit reichenden Veränderungen im Völkerrecht nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Täter internationaler Verbrechen in der Folgezeit kaum zur Rechenschaft gezogen. Die Enttäuschung, die, wie Grewe es beschreibt, in den Jahrzehnten nach Nürnberg dadurch entstand, dass in keinem einzigen Fall die für eine Aggression Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden, wurde noch dadurch verstärkt, dass es auch in keinem einzigen Fall zur völkerstrafrechtlichen Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit kam.177 In einer Atmosphäre des Argwohns und der Obstruktionspolitik, hervorgerufen durch den Kalten Krieg, mussten Versuche zur Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs unweigerlich scheitern; die Durchsetzung des internationalen Strafrechts blieb den nationalen Rechtssystemen überlassen und – erwies sich letztlich als ineffektiv.178 Erst in jüngster Zeit hat die öffentliche Meinung und mit ihr die rechtliche Lage begonnen sich zu wandeln. Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde die fast 50 Jahre dauernde Blockade des UN-Sicherheitsrates erstmalig gelockert. Zudem bauten sich nicht nur die Feindseligkeiten ab, die die internationalen Beziehungen fast ein halbes Jahrhundert lang beherrscht hatten, sondern es entstand auch ein Machtvakuum, da jede der beiden Supermächte in ihrer Einflusssphäre als eine Art Polizist und Garant fungiert hatte, das zu einem beispiellosen Aufblühen des internationalen Strafrechts führte.179 Bedeutend sind in dieser Hinsicht vor allem zwei Entwicklungen: Zum einen häuften sich Anklagen gegen amtierende und ehemalige staatliche Hoheitsträger vor fremdstaatlichen Strafgerichten – so wurden z. B. Verfahren gegen Augusto Pinochet, Ariel Sharon, Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein, Abdoulaye Yerodia Ndombasi, Laurent Gbagbo und Donald Rumsfeld eingeleitet. Damit ist die traditionelle Völkerrechtsregel der Staatenimmunität, die bisher Verfahren gegen ausländische Hoheitsträger entgegenstand, auch in Bezug auf ihre sachliche Reichweite in Bewegung geraten, wobei ein Trend dahingehend zu konstatieren ist, staatliche Immunität dann zu beschränken, wenn es um die Ahndung schwerer internationaler Verbrechen geht.180 Zum anderen hat auch die Idee der Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs, die seit 1948 Gegenstand von Kodifikationsbemühungen im Rahmen der Vereinten Nationen war, neuen Auftrieb erfahren und nicht nur zur Gründung der beiden ad hoc Tribunale, dem
177 Grewe, Wilhelm G.: Rückblick auf Nürnberg, in: Machtprojektionen und Rechtsschranken, S. 292, 301. 178 Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court, S. 64. 179 Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 26. 180 Ambos, Kai, NStZ 1999, S. 404, 405.
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ICTY und dem ICTR, sondern letztlich sogar zur Gründung des ICCs geführt. Hervorzuheben ist weiter die Gründung des Special Court for Sierra Leone (SCSL), des ersten sog. hybriden Gerichts, durch bilateralen Vertrag zwischen Sierra Leone und den Vereinten Nationen vom 16. Januar 2002. Hybride Gerichte stellen die neuste Form internationaler Strafgerichtsbarkeit dar. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie gleichzeitig eine landesrechtliche und eine internationale Rechtsgrundlage besitzen und aus nationalem und internationalem Personal zusammengesetzt sind. Weitere hybride Gerichte finden sich mittlerweile auch im Kosovo, in Osttimor und in Kambodscha. d) Anmerkungen zu den Entwicklungsetappen und dem aktuellen Stand des ICCs in Kürze Das Rom-Statut wurde am 17. Juli 1998 mit 120 zu 7 Stimmen bei 21 Enthaltungen verabschiedet.181 Es trat nicht einmal 4 Jahre später, am 1. Juli 2002, in Kraft, als die für das Inkrafttreten erforderlichen 60 Ratifikationen vorlagen. Deutschland hat das Statut Ende 2000 nach einer Änderung des Art. 16 Abs. 2 GG ratifiziert, welcher bis dahin die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an das Ausland ohne Ausnahmemöglichkeit untersagte. Derzeit haben 139 Staaten das Statut unterzeichnet und es liegen 105 Ratifikationen vor.182 Sowohl die hohe Anzahl der Vertragsstaaten als auch die Schnelligkeit des Inkrafttretens des Statuts sind dabei eindeutige Anhaltspunkte für die hohe Akzeptanz, die der ICC innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft genießt. Die Vereidigung der ersten 18 Richter fand am 11. März 2003 statt. Erster Chefankläger ist der argentinische Staatsangehörige Luis Moreno-Ocampo. Bis heute haben drei Vertragsstaaten des Rom-Statuts Situationen gem. Art. 13 (a), 14 Rom-Statut an den ICC verwiesen: Uganda am 16. Dezember 2003, die demokratische Republik Kongo am 3. März 2004 und die Zentralafrikanische Republik am 7. Januar 2005. Am 31. März 2005 unterbreitete der UN-Sicherheitsrat dem ICC gem. Art. 13 (b) Rom-Statut die Situation in Darfur, Sudan.183 Die unter Berufung auf Kapitel VII UN-Charta verabschiedete Resolution 1593 (2005), mit der die Verweisung der Situation in Darfur an den ICC erfolgte, wurde im Sicherheitsrat mit 181 Da die Abstimmung nicht aufgezeichnet wurde, ist es nicht bekannt, welche Staaten gegen das Statut gestimmt haben, als wahrscheinliche Kandidaten gelten allerdings China, Irak, Israel, Jemen, Libyen, Katar und die USA. 182 Vgl. http://www.icc-cpi.int/asp/statesparties.html (Stand 17.10.2007), letzter Zugriff am 14.04.2008. 183 Vgl. zum Stand der anhängigen Situationen und Fälle die Internetseite des ICCs, verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/cases.html, letzter Zugriff am 14.04. 2008; Res. 1593 (2005) ist verfügbar unter http://www.un.org/News/Press/docs/2005/ sc8351.doc.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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11 Ja-Stimmen, keiner Gegenstimme und 4 Enthaltungen angenommen.184 Im Falle Darfurs war eine Verweisung durch den Sicherheitsrat notwendig, da der Sudan das Rom-Statut zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert hat, und die Gerichtsbarkeit des ICCs über die Situation in Darfur auch nicht ad hoc gem. Art. 12 Abs. 2 Rom-Statut anerkannt hat. Die sudanesische Regierungspartei hatte die Regierung im Gegenteil sogar aufgefordert, die UN-Resolution abzulehnen und keine Verdächtigen aus der Darfur-Region an den ICC auszuliefern.185 Zudem erklärte der sudanesische Kongress, dass er die Haltung des Sicherheitsrates und seine daraus resultierende Resolution entschieden anprangere und nachdrücklich ablehne.186 Bemerkenswert ist allerdings, dass die Verweisung von den zwei größten Rebellengruppen als ,Sieg für die Menschenrechte‘ begrüßt wurde.187 Überdies hat die sudanesische Regierung trotz ihrer entschiedenen Ablehnung der Res. 1593 (2005) mit der Anklagebehörde (teilweise) kooperiert und insbesondere einem Team des ICCs erlaubt, in den Sudan zu reisen und diesem uneingeschränkten Zugang zu den angefragten Amtsträgern gestattet. Auch wurden Fragen der Anklagebehörde schriftlich beantwortet. Die Verabschiedung von Res. 1593 (2005) ist allerdings nicht nur deshalb bedeutend, weil sie die zunehmende Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft offenbart, die Täter schwerer Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, sondern darüber hinaus auch das erste Anzeichen dafür gewesen ist, dass die USA beginnen, ihre offene Feindseligkeit gegenüber dem ICC aufzugeben.188 Obwohl Anne Woods Patterson im Namen der Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat erklärte, dass die USA ihre langjährige, feststehende Ablehnung und Bedenken hinsichtlich des ICCs aufrechterhielten und das Rom-Statut als fehlerhaft bezeichnete, 189 war die Tatsache allein, dass die Vereinigten Staaten nicht ihr Vetorecht einsetzen, um die Verweisung der Situation in Darfur an den ICC zu stoppen, mehr als bemerkenswert. Nach fast zehn Jahren der Feindseligkeit und zahlreichen Versuchen der USA, den ICC zu sabotieren, machten die USA damit den ersten Schritt zumindest in Richtung einer Tolerierung des Gerichts.
184
Algerien, Brasilien, China und die USA enthielten sich. Vgl. BBC News: Darfur War Crimes Vote ,Unjust‘, Meldung vom 01.04.2005, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/africa/4402073.stm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Vgl. zur ursprünglichen Einstellung der USA gegenüber dem ICC beispielsweise Kindt, Anne, KJ 2002, S. 427–440; sowie umfassend Sewall, Sarah B./Kaysen, Carl (Hrsg.): The United States and the International Criminal Court. 189 Vgl. United Nations, http://www.un.org/News/Press/docs/2005/sc8351.doc.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 185
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Natürlich stellt das Verhalten der USA in der Abstimmung einen Kompromiss dar. Für ihre Stimmenthaltung erhielten die USA „als Gegenleistung“ in Res. 1593 (2005) quasi eine Garantie dafür, dass kein US-Amerikaner für irgendeine mit Darfur in Zusammenhang stehende Tat durch den ICC strafrechtlich verfolgt werden kann.190 Ende November 2006 nahm Präsident Bush aber zudem die Ankündigung zurück, die USA würden jede Form der militärischen Unterstützung für Staaten streichen, die kein bilaterales Immunitätsabkommen nach Art. 98 Abs. 2 RomStatut mit den USA abschließen würden; allein gegenüber Irland, Brasilien und Venezuela wurde die Drohung aufrechterhalten. Grund für diese Kehrtwende in der amerikanischen Außenpolitik war, dass China gern bereit war, in den Fällen, in denen amerikanische Militärhilfe versagt wurde, mit dem entsprechenden Betrag einzuspringen.191 Auch wenn somit der derzeitige Zustand der Tolerierung des ICCs durch die USA nicht ganz freiwillig war, ist zu bedenken, dass, obwohl es für den ICC schwer genug sein wird, ohne die Unterstützung der USA zu operieren,192 es für ihn langfristig nahezu unmöglich gewesen wäre, trotz aktiver Feindschaft der USA zu gedeihen. Die derzeitige Tolerierung des ICCs durch die USA ist daher ein wichtiger und notwendiger Fortschritt. Die Einleitung von Ermittlungen wegen der Situation im Irak während und nach dem Irakkrieg wurde vom Ankläger geprüft. Obwohl der Ankläger zu dem Ergebnis kam, dass ein hinreichender Verdacht zu bejahen sei, dass von den britischen Besatzungstruppen Kriegsverbrechen begangen worden seien, leitete er allerdings dennoch keine Ermittlungen ein, da die von den britischen Truppen begangenen Verbrechen nicht schwerwiegend genug gewesen seien, um die Zuständigkeit des ICCs auszulösen.193 Eine Zuständigkeit des Gerichtshofs für 190 Die entsprechende Stelle der Res. 1593 (2005) lautet: . . . Decides that nationals, current or former officials or personnel from a contributing State outside Sudan which is not a party to the Rome Statute of the International Criminal Court shall be subject to the exclusive jurisdiction of that contributing State for all alleged acts or omissions arising out of or related to operations in Sudan established or authorized by the Council or the African Union, unless such exclusive jurisdiction has been expressly waived by that contributing State; . . . 191 Vgl. hierzu Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 31 f. 192 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Res. 1593 (2005) festschreibt, dass alle Kosten der Strafverfahren hinsichtlich der Situation in Dafur von den Vertragsstaaten des Rom-Statuts und nicht von den Vereinten Nationen getragen werden müssen. Der Originaltext lautet insoweit: . . . Recognizes that none of the expenses incurred in connection with the referral, including expenses related to investigations or prosecutions in connection with that referral, shall be borne by the United Nations and that such costs shall be borne by the parties to the Rome Statute and those States that wish to contribute voluntarily . . . 193 Update on Communications Received by the Prosecutor, Iraq response vom 10.02.2006, verfügbar unter http://www.icc-cpi.int/organs/otp/otp_com.html, letzter Zugriff am 14.04.2008.
IV. Definition und Entstehungsgeschichte des Strafrechts
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amerikanische Staatsangehörige bestand nicht, da weder die USA noch der Irak dem Rom-Statut beigetreten sind. Am 6. Mai 2005 beantragte der Ankläger die ersten fünf Haftbefehle im Uganda-Verfahren, die am 18. Mai 2005 erlassen wurden.194 Am 10. Februar 2006 erließ die zuständige Vorverfahrenskammer auf Antrag des Anklägers vom 13. Januar 2006 den ersten Haftbefehl im Kongo-Verfahren195 und am 1. Mai 2007 auf Antrag des Anklägers vom 27. Februar 2007 die ersten beiden Haftbefehle im Darfur-Verfahren.196 Ein weiterer Haftbefehl im Kongo-Verfahren wurde vom Ankläger am 25. Juni 2007 beantragt und am 2. Juli 2007 erlassen.197 Im März 2006 wurde der kongolesische Staatsangehörige Lubanga nach Den Haag ausgeliefert und am 20. März 2006 von der zuständigen Vorverfahrenskammer über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert und über seine Rechte belehrt. Er ist damit der erste Anklagte, der je vor dem ICC erschienen ist. Eine erste Anhörung begann am 9. November 2006. Am 29. Januar 2007 bestätigte die Vorverfahrenskammer die Anklage gegen Lubanga wegen Anwerbung, Einberufung und Einsatz von Kindersoldaten.198 Der ICC hat seine Arbeit damit aufgenommen.199 Inhaltlich geht es bei den derzeit beim ICC anhängigen Verfahren um Kriegsverbrechen sowie um Verbrechen gegen die Menschlichkeit.200 Diese beinhalten 194 Situation in Uganda (ICC-02/04-53), Warrant of Arrest for Joseph Kony Issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005; Situation in Uganda (ICC-02/0454), Warrant of Arrest for Vincent Otti, 08.07.2005; Situation in Uganda (ICC-02/0455), Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, 08.07.2005; Situation in Uganda (ICC-02/ 04-56), Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, 08.07.2005; Situation in Uganda (ICC02/04-57), Warrant of Arrest for Dominic Ohgwen, 08.07.2005. 195 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Warrant of Arrest for Thomas Lubanga Dylio, 10.02.2006. 196 Situation in Darfur, Sudan in the Case of the Prosecutor v. Ahmad Muhammad Harun („Ahmad Harun“) and Ali Muhammad Al Abd-Al-Rahman („Ali Kushayb“) (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ali Kushayb, 27.04. 2007; Situation in Darfur, Sudan in the Case of the Prosecutor v. Ahmad Muhammad Harun („Ahmad Harun“) and Ali Muhammad Al Abd-Al-Rahman („Ali Kushayb“) (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ahmad Harun, 27.04.2007. 197 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Germain Katanga (ICC-01/04-01/07), Warrant of Arrest for Germain Katanga, 02.07.2007. 198 Lubanga (ICC-01/04-01/06), Decison on the confirmation of charges. 199 Vgl. zum Stand der Verfahren die Internetseite des ICCs, http://www.icc-cpi.int/ cases.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 200 Vgl. hierzu die von den Vorverfahrenskammern in den verschiedenen Verfahren erlassenen Haftbefehle: Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Warrant of Arrest for Thomas Lubanga Dylio, 10.02.2006, S. 4; Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Germain Katanga (ICC-01/04-01/07), Warrant of Arrest for Germain Katanga, 02.08.2007, S. 6; Situation in Uganda (ICC-02/04-53), Warrant
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
nach dem Ankläger im Kongo insbesondere ethnische Massaker, Massenhinrichtungen, Verschwindenlassen, Folter, rituelle Ausschlachtungen und gewaltsame Rekrutierung von Kindersoldaten.201 Die Begehung gleicher und vergleichbarer Verbrechen wie z. B. Kindesentführungen, Massenhinrichtungen, Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe, Zwangsarbeit, Verstümmelungen, Mord und Vertreibung, begangen vor allem von Rebellen aber auch von ugandischen Regierungstruppen, wird von Menschenrechtsorganisationen auch hinsichtlich des Konflikts in Uganda seit langem angeprangert.202 Aus der sudanesischen Region Darfur wird berichtet, dass seit Februar 2003 Zehntausende umgekommen und fast 2 Millionen Menschen gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben worden sind, die wegen der andauernden Angriffe, Vergewaltigungen, Plünderungen und Körperverletzungen durch die als Janjaweed bekannten und von der Regierung unterstützten Milizen nicht in ihre Häuser zurückkehren können.203 So rasant die Entstehungsgeschichte des ICCs bis zu diesem Punkt allerdings auch war, so ist doch darauf hinzuweisen, dass bereits jetzt die nach derzeitigem Erkenntnisstand zu erwartende Verfahrensdauer vor dem ICC gerügt wird, die weit hinter dem Potential des Gerichts zurückbleibe.204 In der Tat ist es unverständlich, warum beispielsweise vom Zeitpunkt der Verweisung der Situation in Uganda an den ICC am 16. Dezember 2003 bis zur Beantragung der ersten Haftbefehle am 6. Mai 2005 fast 17 Monate vergehen mussten. Insoweit weist Schabas nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass ein Jurastudent mit Internetzugang die Haftbefehlsanträge aufgrund von NGO-Berichten und sonstigem frei zugänglichen Material bereits im Januar 2004 hätte erstellen können.205 of Arrest for Joseph Kony Issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005, Rn. 42; Situation in Uganda (ICC-02/04-54), Warrant of Arrest for Vincent Otti, 08.07.2005, Rn. 42; Situation in Uganda (ICC-02/04-55), Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, 08.07.2005, Rn. 30; Situation in Uganda (ICC-02/04-56), Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, 08.07.2005, Rn. 32; Situation in Uganda (ICC-02/04-57), Warrant of Arrest for Dominic Ohgwen, 08.07.2005, Rn. 30; Situation in Darfur, Sudan in the Case of the Prosecutor v. Ahmad Muhammad Harun („Ahmad Harun“) and Ali Muhammad Al Abd-Al-Rahman („Ali Kushayb“) (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ali Kushayb, 27.04.2007, S. 6 ff.; Situation in Darfur, Sudan in the Case of the Prosecutor v. Ahmad Muhammad Harun („Ahmad Harun“) and Ali Muhammad Al Abd-Al-Rahman („Ali Kushayb“) (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ahmad Harun, 27.04.2007, S. 6 ff. 201 Vgl. BBC News: Court Examines DR Congo ,Crimes‘, Meldung vom 16.07. 2003, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/3071331.stm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 202 Vgl. Human Rights Watch: ICC: Investigate All Sides in Uganda, Meldung vom 04.02.2004, verfügbar unter: http://www.iccnow.org/documents/02.04.2003-HRWUganda.pdf, letzter Zugriff am 14.01.2006. 203 Vgl. etwa Coalition for the International Criminal Court, verfügbar unter: http:// www.iccnow.org/documents/declarationsresolutions/UN1593.html, letzter Zugriff am 14.01.2006. 204 Vgl. hierzu Cassese, Antonio, JICJ 4.3 (2006), S. 434–441. 205 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 56.
IV. Definition und Entstehungsgeschichte des Strafrechts
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Ähnlich lange dauerte die Beantragung der Haftbefehle in den Sachen Kongo und Darfur, und zwar im Falle Darfurs sogar obwohl der Ankläger am 7. April 2005 einen Bericht der UN-Untersuchungskommission für Darfur vom UN-Generalsekretär erhalten hatte, in dem auch die Namen von 51 Verdächtigen enthalten waren, gegen die nach Ansicht der Kommission aufgrund des von ihr gesammelten Materials ein hinreichender Tatverdacht wegen internationaler Verbrechen bestand. Selbst im Vergleich mit anderen internationalen Strafgerichtshöfen ist diese Spanne erschreckend lang.206 Obwohl der ICC somit seine Arbeit aufgenommen hat, scheint der Gerichtshof doch noch unter erheblichen Anlaufschwierigkeiten zu leiden, die gerade im Hinblick auf den im Strafrecht geltenden Beschleunigungsgrundsatz nicht unproblematisch sind. 3. Das Problem der Selektivität und die Missbrauchsgefahr im internationalen Strafrecht Die Ausübung von Strafgewalt durch nationale oder internationale Gerichte über fremde Staatsangehörige und insbesondere fremde Hoheitsträger wegen im Ausland begangener Menschenrechtsverletzungen ist trotz der jüngsten Entwicklungen im internationalen Strafrecht noch immer ein höchst sensibles Thema, da es in empfindlicher Weise mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten korrespondiert. Zudem ist umstritten, ob es für die Strafgewalt internationaler Strafgerichtshöfe überhaupt eine legitime, rechtliche Grundlage im Völkerrecht geben kann. a) Die Militärtribunale von Nürnberg und Tokio An der Rechtmäßigkeit der Urteile von Nürnberg und Tokio bestehen deshalb Zweifel, weil diese Gerichtshöfe erst gegründet wurden, als die Verbrechen, die dort abgeurteilt wurden, bereits begangen worden waren. Zudem wiesen die Statute der Militärtribunale anwendbares Recht ex post facto auf, da die Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verbrechen gegen den Frieden erst als Reaktionen auf die von den Nazis begangenen Grausamkeiten entwickelt worden waren.207 Eines der fundamentalsten strafrechtlichen Prinzipien, das in jedem Rechtsstaat gilt und nicht nur in Art. 7 EMRK, sondern auch in Art. 11 Abs. 2 AEMR und Art. 16 IPbpR garantiert wird, ist aber der Grundsatz nullum crimen sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz). Nach diesem Grundsatz muss die gesetzliche Bestimmtheit der Strafbarkeit im Zeitpunkt der
206
Vgl. hierzu ebd., S. 56 f. Vgl. zur Kritik gegen die Urteile von Nürnberg und Tokio zum Beispiel Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 333; Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 248; Detter, Ingrid: The Law of War, S. 424. 207
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Tatbegehung feststehen. Da Klarheit und Nicht-Rückwirkung entscheidende Bestandteile des Legalitätsgrundsatzes sind, ist nullum crimen sine lege eine der grundlegendsten Maximen jeder an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Strafrechtspflege.208 Wie Cassese betont, ist diese Maxime daher auch keine Beschränkung staatlicher Souveränität, sondern ein generelles Gebot der Gerechtigkeit und folglich selbst bei schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen anwendbar.209 Nürnberg und Tokio werden daher nie frei sein vom Vorwurf, diesen wichtigen Grundsatz des Strafrechts verletzt zu haben. Zudem ist konstatiert worden, dass das Nürnberger Militärtribunal mehr einem von den in Deutschland Souveränität ausübenden Regierungen der Siegermächte errichteten örtlichen Gericht als einem internationalen Gericht geglichen habe, da, obwohl kein Staat gegen seine Errichtung protestierte, nur 22 Erklärungen der Unterstützung abgegeben wurden.210 Das IMTFE wurde noch nicht einmal durch einen internationalen Vertrag begründet: General McArthur, der das IMTFE für die Alliierten errichtete, entschied über sein materielles und prozessuales Recht, ernannte den Ankläger und wählte die Richter sowie den Präsidenten aus.211 Zweifellos waren die Prozesse von Nürnberg und Tokio daher eine Form der Siegerjustiz über die Besiegten. Obgleich es wohl aber dennoch im Sinne der Gerechtigkeit war, vor allem die deutschen Kriegsverbrecher für die während des Zweiten Weltkrieges begangenen Grausamkeiten zur Verantwortung zu ziehen, hinterlässt es doch einen schalen Nachgeschmack, dass nicht auch die Handlungen der Alliierten wie z. B. die Bombardierung von Dresden und insbesondere der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki in gleicher Weise in Frage gestellt wurden. Da die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki in erster Linie Angriffe auf die Zivilbevölkerung Japans darstellten, waren sie als solche auch bereits zum Zeitpunkt ihrer Begehung völkerrechtlich pönalisiert. Dagegen war die Bombardierung deutscher Städte, obwohl auch sie enorme Verluste auf Seiten der Zivilbevölkerung forderte, zwar grundsätzlich zulässig, allerdings nur insoweit, als sie das einzige Mittel darstellte, um die deutsche Übermacht zu brechen – wovon aber bzgl. der Bombardierung Dresdens im Februar 1945, d.h. ca. zwei Jahre nach Stalingrad und nur drei Monate vor der deutschen Kapitulation, nicht mehr die Rede sein konnte.212
208
Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court,
S. 26. 209 210 211 212
Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 249. Vgl. Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 333. Vgl. Jeu, Cassandra, Hous J Int’l L 26.2 (2004), S. 411, 414–416. Rawls, John: The Law of Peoples, S. 98 f.
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Gegen die Militärtribunale sprach zudem sehr lange die Befürchtung, dass Nürnberg ein einmaliges, nicht wiederholbares Ereignis der Weltgeschichte bleiben würde.213 Denn in der Zeit nach Nürnberg kam es – jedenfalls bis zur Gründung des ICTY und des ICTR – zunächst zu keiner vergleichbaren strafrechtlichen Aufarbeitung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression. b) Die Internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda Anders als die Gerichtshöfe von Nürnberg und Tokio können das ICTY und das ICTR nicht als Siegerjustiz verurteilt werden, da diese Gerichte nicht von Staaten gegründet wurden, die an den zugrunde liegenden Konflikten beteiligt waren. Es ist aber argumentiert worden, dass das ICTY nur errichtet worden sei, um das diplomatische und politische Versagen der internationalen Gemeinschaft im Vorfeld dieses Konfliktes vergessen zu machen und somit als eine Art ,Feigenblatt‘ fungieren sollte.214 Zudem sind die Mitglieder des Sicherheitsrates beschuldigt worden, mit der Gründung des ICTY und des ICTR eigene politische und strategische Interessen verfolgt zu haben. Schließlich wurde dem Sicherheitsrat vorgeworfen, mit der Errichtung der beiden Ad-hoc-Tribunale als seinen Unterorganen auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta seine Kompetenzen überschritten und sich der Selektivität schuldig gemacht zu haben.215 In der Tat ist die Frage, warum Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda und nicht aber etwa für Tschetschenien, den Kongo oder Somalia eingesetzt wurden, schwer zu beantworten. Zwar stellen die in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien begangen Gräueltaten unbestreitbar schwerste Menschenrechtsverletzungen dar, die bestraft werden sollten, jedoch waren und sind die Situationen in anderen Staaten kaum besser. Indessen ist es verständlich, dass die europäischen Staaten ein besonderes Interesse an der Lage im ehemaligen Jugoslawien gehabt haben, da diese Taten quasi vor ihrer Haustür passierten und böse Erinnerungen an das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg weckten. Demgegenüber mag Ruanda ein Versuch gewesen sein zu zeigen, dass die internationale Gemeinschaft auch Anteil an den Konflikten in Afrika nimmt. In jedem Fall waren die Täter von Ruanda und dem ehemaligen 213 Vgl. Grewe, Wilhelm G.: Rückblick auf Nürnberg, in: Machtprojektionen und Rechtsschranken, S. 292, 300. 214 Cassese, Antonio: From Nuremberg to Rome: From Ad Hoc International Criminal Tribunals to the International Criminal Court, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 3, 13. 215 Vgl. mit weiteren Nachweisen z. B. ebd.; Seidel, Gerd/Stahn, Carsten, Jura 1999, S. 14.
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Jugoslawien nicht die einzigen, die es seit den Prozessen von Nürnberg und Tokio verdient hätten, für die von ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen zu werden. c) Aktuelle Bedenken gegen das internationale Strafrecht Der ICC ist das erste internationale Strafgericht, das durch einen völkerrechtlichen Vertrag gegründet worden ist, mit dem die Vertragsparteien ihre eigenen Staatsangehörigen der Strafgewalt des neu begründeten Gerichts unterstellten, und dessen Jurisdiktion nicht auf ein bestimmtes Gebiet oder einen bestimmten Konflikt beschränkt ist. Dieses Bekenntnis zu internationaler Gerechtigkeit und das damit zum Ausdruck gebrachte Vertrauen der Vertragsstaaten in die Institution des ICCs ist völlig neu in der Geschichte des internationalen Strafrechts und wäre nur wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen. Nichtsdestotrotz ist der ICC als ein ,in and out club‘ bezeichnet worden, der reiche, mächtige Staaten begünstige, da de facto die „zivilisiertesten Staaten der Welt“, d.h. die Mitglieder der Europäischen Union, die USA und andere hochangesehene Staaten, von der Strafgewalt des ICCs ausgenommen seien und somit mit zweierlei Maß gemessen werde, da nur die Staatsangehörigen armer, schwacher Länder vor dem ICC angeklagt werden könnten.216 Tatsächlich ist es angesichts des im Rom-Statut festgeschriebenen Verhältnisses zwischen nationaler Strafgewalt und der des ICCs nahezu ausgeschlossen, dass reiche Staaten mit einem gut funktionierenden Justiz- und Rechtssystem gezwungen sein könnten, die Strafgewalt des ICCs über ihre eigenen Staatsangehörigen gegen ihren Willen zu akzeptieren. Überdies ist noch immer unklar, ob sich die faktisch mächtigsten Staaten der Völkergemeinschaft, d.h. insbesondere die USA, Russland und China, überhaupt je der ständigen internationalen Strafgerichtsbarkeit des ICCs unterwerfen werden, so dass hier ohnedies noch ein rechtliches Zugriffshindernis besteht.217 In ähnlicher Weise argumentierte der sudanesische Delegierte, Elfatih Mohamed Ahmed Erwa, anlässlich der Verabschiedung von Res. 1593 (2005) vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: As long as the Council believed that the scales of justice were based on exceptions and exploitation of crises in developing countries and bargaining among major Powers, it did not settle the question of accountability in Darfur, but exposed the fact that the ICC was intended for developing and weak countries and was a tool to exercise cultural
216
Vicuna, Francisco Orrego, JICJ 2.1 (2004), S. 35–37. Reese, Carolin Hannah: Fünf offene Fragen zum Internationalen Strafgerichtshof – und der Versuch einer Antwort, in: Neubacher/Klein (Hrsg.): Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts?, S. 71, 85. 217
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superiority.218 Weiter warf Erwa dem Sicherheitsrat vor, eine Politik der Doppelstandards zu verfolgen und die Botschaft zu vermitteln, dass Ausnahmen nur für Großmächte bestehen.219 Die zentrale, immer wiederkehrende Kritik gegen internationale Strafgerichtshöfe ist somit die der Doppelstandards und der Selektivität. Oder etwas plakativer ausgedrückt, warum Milosevic wegen ethnischer Säuberungen in Bosnien und im Kosovo anklagen, wenn Putin – ohne Konsequenzen – mehr oder weniger das gleiche in Tschetschenien tut?220 Es sei daher auch völlig lebensfremd, davon auszugehen, der ICC werde frei bleiben von politischer Einflussnahme.221 Diese Kritikpunkte sind auf die Anwendung des Weltrechtsprinzips durch nationale Strafgerichte übertragbar. Nach dem Weltrechtsprinzip ist jeder Staat berechtigt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die bestimmte internationale Verbrechen begangen haben, und zwar unabhängig von dem Tatort des Verbrechens und der Nationalität des Täters und des Opfers.222 Hier besteht die Befürchtung, dass nur die Staatsangehörigen armer, schwacher Staaten Gefahr laufen, in fremden Strafgerichten angeklagt zu werden, während gleichzeitig nur reiche, mächtige Staaten über das erforderliche Justizsystem und die finanziellen Mittel, ganz zu schweigen von dem nötigen Willen und der erforderlichen Macht verfügen, um derartige Verfahren zu veranstalten. Es besteht daher die Befürchtung, dass das internationale Strafrecht nur ein weiteres Instrument reicher, mächtiger Staaten werden wird, um ärmere, schwächere Staaten zu unterdrücken, indem es ihnen ermöglicht, die Staatsangehörigen der armen Staaten abzuurteilen, ohne gleichzeitig die Ausübung fremder Strafgewalt über die eigenen Staatsangehörigen befürchten zu müssen. Der Einwand, dass das Weltrecht und damit auch das internationale Strafrecht nicht mehr sei als ein hegemonial traktiertes Recht, dessen Gerichtsinstitutionen dem politischen Souverän zwar öffentliche Schauplätze zur Siegerjustiz bieten, aber alles andere als unabhängig agieren, ist jedenfalls nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen: Milosevic, Pinochet, Alfredo Astiz – stets waren und sind es scheinbar geschlagene, politisch schwache Nationen wie das zerbrochene Jugoslawien, Chile und Argentinien, deren politische Führungsriegen mit Prozessen konfrontiert werden, während andererseits beispielsweise für das ICTY die 218 Die Stellungnahme ist verfügbar unter http://www.un.org/News/Press/docs/ 2005/sc8351.doc.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 219 Ebd. 220 Garapon, Antoine, JICJ 2.3 (2004), S. 716–726. 221 Reese, Carolin Hannah: Fünf offene Fragen zum Internationalen Strafgerichtshof – und der Versuch einer Antwort, in: Neubacher/Klein (Hrsg.): Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts?, S. 71, 85. 222 Bungenberg, Marc, AVR 39 (2001), S. 170, 172; Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 284; Dolzer, Rudolf, NJW 2000, S. 1700; van den Wyngaert, Christine, in: Dugard/van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, S. 131, 135–136; Weiß, Wolfgang, JZ 2002, S. 696, 697–698.
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Möglichkeit der Verfolgung von Kriegsverbrechen der NATO-Staaten im Kosovo-Konflikt für a priori ausgeschlossen gilt.223 Dieses Argument ist zudem dann besonders stark, wenn man bedenkt, dass selbst (ehemalige) staatliche Hoheitsträger vor dem ICC oder fremden nationalen Strafgerichten zur Verantwortung gezogen werden können, und selbst für Taten, die sie während ihrer Amtszeit oder sogar in amtlicher Funktion begangen haben. In diesen Fällen gibt es nämlich häufig keine klaren Grenzen zwischen der individuellen Tat des Einzelnen und dem staatlichen Handeln an sich, so dass die Gefahr besteht, dass plötzlich nicht mehr nur ein Individuum, sondern ein Staat auf der Anklagebank sitzt. Hiergegen lässt sich zwar einwenden, dass jede Person, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hat, für diese zur Verantwortung gezogen werden sollte. Jemand, der z. B. gefoltert oder einen Völkermord initiiert hat, verdient es, bestraft zu werden. Das Argument, dass ein Täter derartiger Gräueltaten nur deshalb unbestraft bleiben sollte, weil ein anderer auch straffrei geblieben ist, erscheint paradox. Allerdings kann diese Argumentation auch als unzulässige Vereinfachung zurückgewiesen werden. In jedem rechtsstaatlichen Strafrechtssystem gilt das Verbot der Willkür. Erfüllt eine Tat den Straftatbestand eines Verbotsgesetzes, dann muss sie – zumindest in aller Regel – bestraft werden. Würden willkürlich nur einige der Täter zur Verantwortung gezogen, oder wäre es dem Zufall überlassen, wer bestraft wird und wer nicht, so verlöre das Verbot einer bestimmten Handlung seine allgemeine Gültigkeit und damit seine Legitimität. Desgleichen kann auch ein System internationaler Strafrechtspflege nicht als universell gelten, wenn bestimmte Gruppen bewusst ausgenommen werden, oder es völlig arbiträr ist, wer für seine Taten zur Verantwortung gezogen wird und wer nicht. Es ist somit ein höchst heikles Dilemma des internationalen Strafrechts, dass durch jedes Verfahren, das tatsächlich durchgeführt wird, dessen Legitimität in Hinblick auf die zahlreichen Taten, die gerade nicht verfolgt werden, angezweifelt werden kann.224
V. Abschließende Bemerkungen Die Entwicklung des internationalen Strafrechts ist eng verbunden mit der Evolution des internationalen Menschenrechtsschutzes. Beide Rechtsgebiete gehen auf dieselben Wurzeln zurück und teilen in weiten Teilen dieselbe Ge-
223 Vgl. Fischer-Lescano, Andreas, in: Frankfurter Rundschau vom 15.04.2003 = Ambos/Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, S. 73. 224 Reese, Carolin Hannah: Fünf offene Fragen zum Internationalen Strafgerichtshof – und der Versuch einer Antwort, in: Neubacher/Klein (Hrsg.), S. 71, 85.
V. Abschließende Bemerkungen
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schichte, da sich beide als Reaktion auf schwere Menschenrechtsverletzungen entwickelt haben. Zudem hat die duale Entwicklung des internationalen Strafrechts und des internationalen Menschenrechtschutzes begonnen, die Barriere staatlicher Souveränität zu erodieren.225 Jahrhundertelang wurde jedes Ereignis, das innerhalb der Grenzen eines Staates geschah, als rein interne Angelegenheit dieses Staates angesehen, mit der Folge, dass der jeweilige Staat sich niemandem gegenüber verantworten musste.226 In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist dieser Standpunkt (teilweise) verworfen worden. In der Völkerrechtsdoktrin hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die Achtung fundamentaler Menschenrechte nicht mehr dem domaine réservé eines Staates zuzuordnen ist,227 sondern eine Angelegenheit der internationalen Gemeinschaft ist. Die internationale Verpflichtung zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte ist somit real und substantiell geworden.228 Die Evolution und Entwicklung des internationalen Strafrechts und des internationalen Rechts der Menschenrechte ist dabei wesentlich geprägt und gefördert worden durch das Netzwerk der Vereinten Nationen. Mit der Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen 1945 hat sich die Organisation und Kooperation der internationalen Gemeinschaft grundlegend gewandelt. Die Vereinten Nationen haben es geschafft, von einer statischen Menschenrechtskonzeption, erdacht allein um den internationalen Frieden zu realisieren, zu einer dynamischen Menschenrechtsdoktrin zu gelangen, die selbst so weit geht, Konflikte und einen Bruch des Status quo zu fördern, um soziale Gerechtigkeit und die Achtung der Menschenwürde voranzubringen.229 Trotz dieser Entwicklung und obwohl das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UNCharta heute als Grundpfeiler des modernen Völkerrechts gilt, ist die Zeit nach 1945 aber nicht so friedlich gewesen, wie man es vielleicht erwartet hätte. Schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen standen während der gesamten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts genauso als „alltägliche“ Punkte auf der Tagesordnung wie internationale und interne bewaffnete Konflikte – und finden sich dort noch heute. Selbst Europa, das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine Lektion gelernt zu haben schien, ist mit den Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien und vor allem dem Kosovokrieg wieder zum Kriegsschauplatz geworden. Insoweit konstatierte Oeter bereits 1996, dass Europa längst dabei sei, sich wieder an die Herrschaft der Gewalt, an Vertreibungen, Schändungen und Massaker in seinen „Randregionen“ zu gewöhnen, ohne 225
Bassiouni, Cherif M.: Introduction to International Criminal Law, S. 58. Gibney, Mark/Tomasevski, Katarina/Vedsted-Hansen, Jens, Harv Hum Rts J 12 (1999), S. 269–295, I. 227 Ambos, Kai, NStZ 1999, S. 404, 405. 228 Vgl. Rehman, Javaid, JCL 66.6 (2002), S. 510–527 (Conclusion). 229 Cassese, Antonio: International Law, S. 397. 226
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B. Schutz der Menschenrechte und das internationale Strafrecht
seine politische „Normalität“ dadurch wirklich gestört zu sehen.230 Zudem ist die Straffreiheit der Täter die Regel geblieben. Der internationalen Gemeinschaft ist es somit bislang nicht gelungen, ein funktionierendes System internationaler Strafrechtspflege zu schaffen, das in der Lage wäre, jedenfalls schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern oder zumindest die Täter dieser Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Dies wirft die Frage auf, ob die potentiellen Täter derartiger Verbrechen ein weiteres Mal über die Begehung solcher Taten nachdenken würden, wenn ein signifikantes Risiko bestünde, für diese Handlungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Insoweit wird argumentiert, dass eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit in vielerlei Hinsicht wesentlich effektiver sei, um staatliche Hoheitsträger von einer Verletzung des Völkerrechts abzubringen, als eine Verantwortlichkeit des Staates.231 Zu bedenken ist zudem, dass nicht Staaten, sondern Menschen foltern, töten oder in anderer Weise andere Menschen misshandeln. Völkerstrafrechtliche Verbrechen sind nicht wie Naturkatastrophen, die sich (zumindest weitgehend) unabhängig vom menschlichen Verhalten ereignen, sondern vorsätzliche menschliche Handlungen. Wenn das Risiko erwischt und bestraft zu werden niedrig ist, neigen Menschen eher dazu gegen Verbote zu verstoßen, als wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist. Das internationale Strafrecht ist somit ein wichtiges Instrument zur Förderung des internationalen Friedens und des internationalen Menschenrechtsschutzes, da es den Einzelnen abschrecken und davor bewahren kann, völkerstrafrechtliche Verbrechen zu begehen. Gleichwohl ist die Tendenz, jede Einschränkung staatlicher Souveränität als Erfolg für den internationalen Menschenrechtsschutz zu begrüßen, bedenklich. Nur gegenseitiger Respekt für die Integrität, Autonomie und Unabhängigkeit anderer Staaten und Völker kann die Basis friedlicher und freundschaftlicher internationaler Beziehungen sein. Das Recht auf interne Selbstbestimmung eines Volkes/eines Staates ist daher mit Recht das erste und fundamentalste Prinzip des internationalen Friedensrechts.232 Es ist indessen eine unleugbare Tatsache, dass innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft Macht, Reichtum und Einfluss ungleich verteilt sind. Zudem kommt man nicht umhin zu bemerken, dass selbst internationale Standards, die als universell gültig und allgemein verbindlich angesehen werden, kaum in gleicher Weise für reiche, mächtige Nationen wie für arme, schwache Staaten gelten. So scheinen z. B. Menschenrechtsverletzungen in China und Russland jedenfalls tolerierbarer zu sein als etwa im ehemaligen Jugoslawien oder dem Irak. Zudem sei bereits hier angemerkt, dass, obwohl sich die Aktivi230 231 232
Oeter, Stefan, KJ 1996, S. 15, 16. Cassese, Antonio: International Law, S. 272. Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003) S. 435, 453.
V. Abschließende Bemerkungen
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täten der USA im Irak als Kriegsverbrechen und sogar als Aggression qualifizieren lassen,233 nicht mit einer Verurteilung aller Täter zu rechnen ist. Zwar hat sich die Bundesanwaltschaft wegen der Folterhandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib zweimal mit Klagen gegen den (ehemaligen) US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere wichtige amerikanische Hoheitsträger wegen Kriegsverbrechen im Irak befasst, die Strafverfahren sind indessen beide Male eingestellt worden. Dies bedeutet aber nicht, dass nationale und internationale Gerichte es ganz unterlassen sollten, ihre Strafgewalt in Fällen von Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszuüben. Der Zweck des internationalen Strafrechts besteht darin, die Geltung universeller Werte zu stärken und den Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem die Täter dieser Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Es ist wichtig und richtig, diese Ziele zu verfolgen. Gleichzeitig ist es aber auch unabdingbar, dass sich nationale Strafgerichte und der ICC ihrer besonderen Verantwortung sowie der Gefahr bewusst sind, Doppelstandards zu schaffen und somit vor allem Entwicklungsländer zu bevormunden. Die Gefahren, die mit der Erosion und Verletzung staatlicher Souveränität einhergehen, müssen genauso ernst genommen werden wie die Gefahr, dass das Prinzip staatlicher Souveränität als Schutzschild gegen internationale Gerechtigkeit verwendet wird.
233 Vgl. nur Merkel, Reinhard, in: DIE ZEIT, 12/2003 = Ambos/Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, Berlin 2004, S. 26, 28.
C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips Trotz der zunehmenden Akzeptanz und Signifikanz internationaler Strafgerichtshöfe ist die Bedeutung nationaler Strafgewalt über internationale Verbrechen nicht durch die Gründung des ICCs geschmälert worden. Vielmehr scheint es, dass gerade die Entstehung eines allgemeinen internationalen Strafgerichtshofs zu einer Stärkung der nationalen Strafgewalt über (extraterritoriale) Menschenrechtsverletzungen geführt hat.1 Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts verweist in den meisten Fällen auf nationale Bestrebungen, d.h. es etabliert eine Art ,subsidiäre‘ Strafgewalt des ICCs. Nur wenn kein Staat willens und in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft (genuinely) durchzuführen, ist eine Sache beim Gerichtshof zulässig.2 Zudem ist die Strafgewalt des ICCs beschränkt auf Taten, die im Hoheitsgebiet oder von Staatsangehörigen eines Vertragsstaates oder eines Nichtvertragsstaates, der die Strafgewalt des Gerichtshofs für den konkreten Fall explizit anerkannt hat, begangen worden sind.3 Ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt, kann der Gerichtshof seine Strafgewalt nur ausüben, wenn eine Situation vom UN-Sicherheitsrat, handelnd nach Kapitel VII der UNCharta, an den ICC verwiesen wird.4 Überdies ist die Gerichtsbarkeit des ICCs beschränkt auf Verbrechen, die nach Inkrafttreten des Statuts am 1. Juli 2002 begangen wurden.5 Die Strafgewalt des ICCs weist somit erhebliche Lücken auf, so dass die Verfolgung internationaler Verbrechen durch nationale Strafgerichte weiter unverzichtbar ist, wenn das Ziel, die Straffreiheit der Täter zu beenden, je erreicht werden soll.6 Die Bedeutung nationaler Strafgewalt wird weiter verstärkt durch ihre Reichweite, da sich internationale Gerichte nur auf die höchste Ebene der Entscheidungsträger, Planer und Vollstrecker konzentrieren (können), während die nationale Strafverfolgung alle Personen erfasst, die eine strafbare Handlung begangen haben.7 Um ein paar Beispiele zu nennen: Während der berühmten ersten 1 So auch Macedo, Stephen, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 1, 5. 2 Art. 17 Rom-Statut. 3 Art. 12 Rom-Statut. 4 Art. 12 II, III; 13 b) Rom-Statut. 5 Art. 11 I Rom-Statut. 6 Summers, Mark A., BU Int’l LJ 21 (2003), S. 63–99, VIII. 7 Bassiouni, Cherif M.: Introduction to International Criminal Law, S. 712.
I. International anerkannte Jurisdiktionsprinzipien
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Phase der Nürnberger Prozesse wurden lediglich 19 Angeklagte verurteilt. Bis heute sind Verfahren gegen 111 Personen vor dem ICTY abgeschlossen worden, gegen weitere 50 Personen sind noch Verfahren anhängig.8 Das ICTR hat bis April 2007 Verfahren gegen 33 Angeklagte abgeschlossen, gegen weitere 27 Personen laufen noch Verfahren.9 Die meisten Urteile in einem Jahr fällte der ICTR dabei 2003 – gegen 8 Angeklagte. Bedenkt man allein das Ausmaß des Genozids in Ruanda, wo 1994 innerhalb von nur vier Monaten zwischen 800.000 und einer Million Menschen ermordet worden sind, so bedarf es keiner weiteren Ausführungen zum Beleg dafür, dass die Verfahren vor dem ICTR kaum die Spitze des Eisberges erfassen können. Nach Paragraph 9 der Präambel des Rom-Statuts soll schließlich auch der ICC Gerichtsbarkeit (nur) über die schwersten Verbrechen ausüben, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Internationale Strafgerichte können sich somit allenfalls mit den Haupttätern schwerer, systematischer Menschenrechtsverletzungen befassen, wohingegen die überwältigende Mehrheit der Fälle den nationalen Gerichten überlassen bleibt.10 Selbst bzgl. der Kernverbrechen des Rom-Statuts, d.h. Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, werden somit nationale Strafgerichte das Hauptforum strafrechtlicher Verfolgung bleiben. In jüngster Zeit lässt sich denn auch eine zunehmende Ausweitung nationaler Strafgewalt verzeichnen. So haben in den letzten ca. zehn Jahren nationale Strafgerichte vermehrt Verfahren eingeleitet, um die für schwere Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zu bestrafen. Wie bereits erwähnt, wurden sogar Strafverfahren gegen hochrangige (ehemalige) Hoheitsträger eingeleitet. Zugleich sind aber auch vermehrt Bedenken laut geworden, dass nationale Gerichte ihre Macht missbrauchen und fremde Hoheitsträger aus politischen Gründen anklagen und verurteilen könnten. Es verwundert daher nicht, dass die Basis, auf die nationale Strafgerichte ihre Jurisdiktion über extraterritoriale völkerstrafrechtliche Verbrechen begründen können, hoch kontrovers diskutiert wird. Im Zentrum dieser Diskussion steht dabei die Frage des Weltrechtsprinzips (universal jurisdiction) – seiner Auslegung, seiner Reichweite und seiner Zulässigkeit.
I. International anerkannte Jurisdiktionsprinzipien Das Völkerrecht kennt eine Reihe von Prinzipien, auf die Staaten ihre Strafgewalt gründen können. Anerkannt sind vor allem das Territorialitätsprinzip, das (aktive) Personalitätsprinzip sowie das Schutzprinzip. 8 Stand: 04.04.2008, vgl. die Internetseite des ICTY, verfügbar unter: http://www. un.org/icty/glance-e/index.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 9 Stand: April 2007, vgl. die Internetseite des ICTR, verfügbar unter: http://69.94. 11.53/default.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 10 Summers, Mark A., BU Int’l LJ 21 (2003), S. 63–99, I. A.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
1. Das Territorialitätsprinzip Der Grundsatz, dass eine Tat in dem Staat justiziabel ist, auf dessen Territorium sie begangen worden ist, ist weltweit anerkannt und ergibt sich bereits aus dem zentralen Element staatlicher Souveränität eines klar umrissenen und begrenzten Territoriums.11 Zudem folgt auch aus dem Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung, dass die direkt betroffene Gemeinschaft vor Ort berechtigt sein muss, den Frieden in ihrer Mitte wieder herzustellen, da ihre Regeln des Zusammenlebens verletzt worden sind, und häufig auch das Opfer aus ihrer Mitte stammen wird. Die (primäre) Strafgewalt des Tatortstaates ist überdies aber auch eine logische Konsequenz pragmatischer Überlegungen, da sie den Vorteil der unmittelbaren, unverzüglichen Zugänglichkeit von Beweismitteln sowie einer gleichzeitigen Minimalisierung von Aufwand, Kosten und Dauer des Strafverfahrens bietet.12 2. Das Personalitätsprinzip Für die Begründung extraterritorialer Strafgewalt eines Staates ist das Personalitätsprinzip der anerkannteste Grundsatz. Das maßgebliche Verbindungselement zwischen dem im Ausland begangenen Verbrechen und dem die Strafverfolgung betreibenden Staat ist hier das der Staatsangehörigkeit. Ein Staat, der bei schweren Menschenrechtsverletzungen Strafgewalt auf der Grundlage des Personalitätsprinzips ausübt, übernimmt somit Verantwortung für seine Staatsangehörigen und deren Handlungen, da er sie entweder bestraft, wenn sie (internationales) Recht verletzt haben oder sie (durch die Verfolgung der Täter) beschützt, wenn sie Opfer einer solchen Tat im Ausland geworden sind. Nach dem aktiven Personalitätsprinzip haben staatliche Gerichte Jurisdiktion über von den eigenen Staatsangehörigen im Ausland begangene Taten.13 Zudem besteht eine Tendenz, die Reichweite dieses Jurisdiktionsprinzips auch auf Taten anderer (dauerhaft) im Gebiet eines Staates ansässiger Personen auszuweiten.14 Durch das aktive Personalitätsprinzip kann über die staatlichen Grenzen hinaus eine Bindung der eigenen Staatsangehörigen/Einwohner an die nationalen Regeln und Werte erreicht werden. Dabei dürfen nach herrschender Ansicht sogar 11 Cassese, Antonio: International Law, S. 451; Janis, Mark W.: Introduction to International Law, S. 318; Lowe, Vaughan: Jurisdiction, in: Evans (Hrsg.): International Law, S. 335, 342; Oeter, Stefan, ZaöRV 53 (1993), S. 1, 35; Verdross, Alfred/Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, § 1184. 12 Etwa Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 144; Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court, S. 84. 13 Vgl. Bröhmer, Jürgen: State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 36; Verdross, Alfred/Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, § 1184. 14 Vgl. Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 150; Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 282.
I. International anerkannte Jurisdiktionsprinzipien
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Strafnormen für auf fremdem Hoheitsgebiet begangene Handlungen erlassen werden, sofern nicht Handlungen unter Strafe gestellt werden, die im Aufenthaltsstaat gesetzlich vorgeschrieben sind.15 Obwohl das aktive Personalitätsprinzip zunächst nur in Staaten mit einem kontinentaleuropäischem Rechtssystem verbreitet gewesen ist, ist es mittlerweile weltweit weitgehend anerkannt.16 Kraft des passiven Personalitätsprinzips können Staaten ihre Strafgewalt über im Ausland gegen ihre eigenen Staatsangehörigen begangene Taten ausüben.17 Dieses Prinzip beruht auf dem Bedürfnis, die eigenen Staatsangehörigen auch im Ausland zu schützen. Obwohl das passive Personalitätsprinzip in einigen Staaten – wie z. B. Deutschland – seit Jahrzehnten anerkannt ist und in jüngster Zeit vermehrt von Strafgerichten etwa in Belgien, Frankreich und Italien hinsichtlich der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und insbesondere Folter angewendet worden ist, ist dieser Grundsatz weltweit (noch) nicht vollständig anerkannt.18 Insbesondere im angloamerikanischen Rechtsraum wird nur zögerlich von diesem Prinzip Gebrauch gemacht. Grund für diese Zurückhaltung ist die im common law geltende Überzeugung, dass sich ein Verbrechen nicht in erster Linie gegen das Opfer richtet, sondern gegen die Gesellschaft in der es begangen worden ist bzw. ursprünglich gegen den königlichen Frieden.19 Heute wird vielfach vertreten, dass eine Berufung auf das passive Personalitätsprinzip allenfalls als subsidiäre Notlösung in Betracht kommen könne, wenn kein vorrangig zuständiger Staat willens und in der Lage sei, die Strafverfolgung durchzuführen.20
15 Holthausen, Dieter, NStZ 1992, S. 268; vgl. insoweit zur Rechtslage in Deutschland § 5 Nr. 3a (Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates in den Fällen der §§ 89, 90a Abs. 1 und des 90b StGB), Nr. 5b) (Straftaten gegen die Landesverteidigung in den Fällen der §§ 109a, 109d und 109h StGB), Nr. 8 (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung); Nr. 9 (Abbruch der Schwangerschaft); Nr. 11a (bestimmte Fälle des unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern), Nr. 14a (Abgeordnetenbestechung), Nr. 15 (Organhandel) StGB; wobei allerdings in den Fällen der Nr. 3a, 5b, 8a, 9 Voraussetzung ist, dass der Täter nicht nur Deutscher ist, sondern zudem auch seine Lebensgrundlage in Deutschland hat. 16 Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 151–152; van den Wyngart, Christine, in: Dugard/van den Wyngart (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, S. 131, 134. 17 Vgl. z. B. van den Wyngart, Christine, in: Dugard/van den Wyngart (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, S. 131, 135. 18 Vgl. ebd., S. 131, 135; Verdross, Alfred/Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, § 1184. 19 Vgl. Kirby, Michael: Universal Jurisdiction and Judicial Reluctance, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 240, 246. 20 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 284.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
3. Das Schutzprinzip Das Schutzprinzip, nach dem Staaten Strafgewalt über im Ausland von fremden Staatsangehörigen begangene Taten haben, wenn diese wesentliche Interessen oder Rechtsgüter des richtenden Staates gefährden, ist als Ausfluss staatlicher Souveränität allgemein anerkannt.21 Die theoretische Unabhängigkeit eines Staates (eines Volkes) verlöre ihre Bedeutung, wenn es diesem verwehrt wäre, seine fundamentalen Interessen gegen Angriffe von Außen zu verteidigen. Da nationale Parlamente oder andere staatliche Stellen, die das Schutzprinzip anwenden, indessen eine zumindest sehr subjektive Auffassung davon haben können, was schädlich für ihre nationalen Interessen sei, ist die Anwendbarkeit dieses Prinzips auf Fälle begrenzt, in denen ein bedeutendes staatliches Interesse auf dem Spiel steht und die Anwendbarkeit völkerrechtlich unzweifelhaft zulässig ist.22 Im Hinblick auf internationale Verbrechen wird dieses Prinzip daher höchst selten angewandt, da Staaten diese in der Regel nicht als Gefahr für ihre höchsteigenen Interessen ansehen, wenn ein nationaler oder territorialer Anknüpfungspunkt fehlt.23 4. Das Weltrechtsprinzip Ein effektives System internationaler Strafrechtspflege setzt voraus, dass die engen Grenzen der Nationalstaaten überwunden werden.24 Nach dem Weltrechtsprinzip ist jeder Staat berechtigt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die bestimmte internationale Verbrechen begangen haben, und zwar unabhängig von dem Tatort oder der Nationalität des Täters und des Opfers.25 Das Weltrechtsprinzip ist von großer praktischer und noch größerer theoretischer Bedeutung für die strafrechtliche Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen – und daher höchst umstritten. Oder, wie Oxman es mit Blick auf die Geschichte des Weltrechtsprinzips anhand eines chinesischen Sprichwortes so plastisch illustriert hat: Ein trüber Fluss führt in einen trüben See.26
21 Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 154; Lowe, Vaughan: Jurisdiction, in: Evans (Hrsg.): International Law, S. 335, 347. 22 Vgl. hierzu Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 154 f. 23 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 277. 24 Tomuschat, Christian, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 315, 326. 25 Bungenberg, Marc, AVR 39 (2001), S. 170, 172; Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 284; Dolzer, Rudolf, NJW 2000, S. 1700; van den Wyngaert, Christine, in: Dugard/van den Wyngaert (Hrsg.): International Criminal Law and Procedure, S. 131, 135–136; Weiß, Wolfgang, JZ 2002, S. 696, 697–698; Zahar, Alexander/Sluiter, Göran: International Criminal Law, S. 496. 26 Vgl. Oxman, Stephen: The Quest for Clarity, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 64.
I. International anerkannte Jurisdiktionsprinzipien
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Das Weltrechtsprinzip hat erstmalig im 17. Jahrhundert hinsichtlich des Verbrechens der Piraterie Anerkennung gefunden. Zudem gab es zaghafte Versuche einer universellen Verfolgung der Sklavenhändler im 19. Jahrhundert.27 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Weltrechtsprinzip in den Genfer Konventionen zum Schutz der Kriegsopfer von 1949, der Anti-Folterkonvention von 1984 und einer Reihe völkerrechtlicher Verträge zum Terrorismus festgeschrieben. Die Ratio für die Etablierung des Weltrechtsprinzips in diesen Fällen unterscheidet sich aber entscheidend von der im Fall der Piraterie. So wurden Staaten in den späteren Fällen nicht ermächtigt, diesen Grundsatz anzuwenden, um allen Staaten gemeine Interessen zu verteidigen, sondern um im Namen der internationalen Gemeinschaft diejenigen zu verfolgen und zu bestrafen, die sich der Verletzung universeller Werte schuldig gemacht hatten.28 Während das Verbrechen der Piraterie zumindest potentiell schädlich für jedes einzelne Mitglied der internationalen Gemeinschaft ist, grundsätzlich aber an Orten begangen wird, die außerhalb des Geltungsbereichs jeder territorialen Strafgewalt liegen, werden in den anderen Anwendungsfällen die Taten grundsätzlich auf dem Territorium eines Staates verübt, kollidieren aber so vehement mit fundamentalen weltweit anerkannten Werten, dass sie als schädlich für die internationale Gemeinschaft als Ganzes angesehen werden. Der Grund für die Anerkennung des Weltrechtsprinzips beruht hier somit sowohl auf der besonderen Natur und dem Ausmaß der fraglichen Verbrechen, als auch auf der Überzeugung, dass diese eine massive Verletzung grundlegender gemeinsamer Werte darstellen.29 Diese Begründung des Weltrechtsprinzips ist bemerkenswert und wäre ohne die simultane Entwicklung des internationalen Rechts der Menschenrechte undenkbar. Nur mit den Gräueltaten des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs im Hinterkopf ist es verständlich, dass Staaten die Notwendigkeit erkannten, eine legitime rechtliche Möglichkeit zu schaffen, um Kriegsverbrecher und Verantwortliche für schwere Menschenrechtsverletzungen überall auf der Welt strafrechtlich zu verfolgen. Heute genießt das Gebot zum Schutz der Menschenrechte den Status einer bindenden völkerrechtlichen Verpflichtung, die nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedenszeiten Wirkung entfaltet. Infolgedessen hat auch die Idee, dass schwere Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord und Folter überall auf der Welt und unabhängig davon, wo und von wem sie begangen werden, verfolgt werden müssen, erheblichen Auftrieb erlangt. Insbesondere in jüngster Zeit haben vor allem europäische Staaten wie Deutschland, Belgien und Spanien verstärkt begonnen, sich bei der Ausübung ihrer Strafgewalt über
27
Vgl. hierzu Gärditz, Klaus Ferdinand: Weltrechtspflege, S. 61. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 284. 29 Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 156; Roggemann, Herwig: Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 52. 28
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
die Kernstraftatbestände des Rom-Statuts (auch) auf das Weltrechtsprinzip zu berufen.30
II. Der Anwendungsbereich des Weltrechtsprinzips In Anbetracht der weiten extraterritorialen Kompetenz und der damit einhergehenden Machtbefugnisse, die das Weltrechtsprinzip eröffnet, ist es unabdingbar, dass sein Anwendungsbereich eng begrenzt bleibt.31 Das Recht eines Volkes, seine internen Angelegenheiten selbst zu regeln und damit sein Recht auf Souveränität und Selbstbestimmung würde negiert, wenn es jedem Staat gestattet wäre, jedwede auf fremdem Territorium eintretende Situation seiner Strafgewalt zu unterstellen. Die Verbrechen, die in den Anwendungsbereich des Weltrechtsprinzips fallen, müssen daher nicht nur in quasi jedem Staat der Welt strafbar, sondern auch von einer solchen Schwere und einem solchen Ausmaß sein, dass sie als schädlich für die internationale Gemeinschaft als Ganzes angesehen werden können und daher eine universelle Verfolgung rechtfertigen.32 Soweit dagegen gewöhnliche Verbrechen und Vergehen betroffen sind, muss die Ausübung nationaler Strafgewalt auf traditionelle Jurisdiktionsprinzipien, d.h. insbesondere auf das Territorialitäts- und das (aktive) Personalitätsprinzip, beschränkt bleiben.33 Die Verfolgung dieser Taten ist allein Aufgabe der betroffenen Gemeinschaft(en), da nur ihre Werte und Interessen durch den Rechtsbruch verletzt werden und der Wiederherstellung und Bekräftigung bedürfen. 1. Völkergewohnheitsrecht Sowohl die schwere Missachtung universeller Werte als auch der locus commissi einer Tat können völkergewohnheitsrechtlich die Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips begründen.34 Insoweit ist unstreitig, dass zumindest schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und Piraterie dem Weltrechtsprinzip unterfallen.35 Angemerkt sei indessen, dass selbst bzgl. der Anwendung des Weltrechtsprinzips auf Kriegsverbrechen eine allgemeine Übung, d.h. eine einheitliche und beständige Staatenpraxis, nicht besteht, da die wenigen Anwendungsfälle sehr vereinzelt sind und weit auseinander liegen. Die völkergewohn-
30 Für einen umfassenden Überblick über die Festschreibung und Anwendung des Weltrechtsprinzip im nationalen Recht siehe: Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 81–219. 31 Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 156. 32 Cassese, Antonio: JICJ 1.3 (2003), S. 589–595, 2. 33 Vgl. ebd. 34 Bantekas, Ilias/Nash, Susan: International Criminal Law, S. 156–157. 35 Ebd., S. 157.
II. Der Anwendungsbereich des Weltrechtsprinzips
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heitsrechtliche Anerkennung beruht hier daher zu einem ganz wesentlichen Teil auf Stellungnahmen von Wissenschaftlern und Sachverständigen.36 In der 2. Pinochet-Entscheidung des britischen House of Lords ist von Lord Browne-Wilkinson und Lord Millett aber argumentiert worden, dass die Natur eines Verbrechens als jus cogens die Anwendung des Weltrechtsprinzips rechtfertige, solange nur die Verletzung des jus cogens von einer solchen Schwere und einem solchen Ausmaß sei, dass sie als Angriff auf die internationale Rechtssicherheit gewertet werde könne.37 In Übereinstimmung mit dieser Argumentation wird vermehrt vertreten, dass das Weltrechtsprinzip auch auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid und Folter Anwendung finde.38 Die jüngste Praxis einiger Staaten sowie die authoritative opinion einiger IGH-Richter im Fall Congo v. Belgium39 weisen jedenfalls in diese Richtung. Zudem ist seit der Gründung des ICCs eine wachsende Unterstützung für die Anwendbarkeit des (bedingten) Weltrechtsprinzips auf die Kernverbrechen des Rom-Statuts, d.h. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, zu verzeichnen.40 Wie von Keller gezeigt, kann aber auch von einem deutlich begrenzteren Anwendungsbereich ausgegangen werden, da selbst in Frage gestellt werden kann, ob das Verbrechen des Völkermordes einen universell anerkannten Straftatbestand darstellt, da etwa die USA und China den ICC und seine Jurisdiktion über das Verbrechen des Völkermordes ablehnen.41 Zudem brauchte der US36 Bassiouni, Cherif M.: The History of Universal Jurisdiction and Its Place in International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 39, 51. 37 Vgl. Lord Browne-Wilkinson/Lord Millett, 2. Pinochet-Entscheidung des House of Lords vom 24.03.1999, abgedruckt in: Ahlbrecht/Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s), S. 148, 157, 195. 38 Arbour, Louise, JICJ 1.3 (2003), S. 585–588; Cassese, Antonio, JICJ 1.3 (2003), S. 589–595, 2. 39 Siehe Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Entscheidung vom 14.02.2002, verfügbar unter: http://www.icj-cij.org/docket/ index.php?p1=3&p2=2, letzter Zugriff am 14.04.2008. 40 Auf das Problem des Verbrechens der Aggression und seiner Stellung im RomStatut kann hier nicht näher eingegangen werden. Grob umrissen stellt sich die Problematik aber wie folgt dar: Gem. Art. 5 I Rom-Statut erstreckt sich die Gerichtsbarkeit des ICCs auf das Verbrechen des Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Auf der Rom-Konferenz konnte indessen keine Einigung hinsichtlich einer allgemein anerkannten Definition des Verbrechenstatbestandes der Aggression erzielt werden. Als Kompromiss wurde daher das Verbrechen der Aggression in Art. 5 I Rom-Statut zwar aufgenommen und somit festgestellt, dass dieser Tatbestand grundsätzlich der Gerichtsbarkeit des ICCs unterfällt, nach Art. 5 II Rom-Statut übt der Gerichtshof die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression aber erst dann aus, wenn eine Bestimmung angenommen worden ist, die das Verbrechen definiert und die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen festlegt. 41 Keller, Rainer, in: FS-Lüderssen, S. 425.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
Kongress mehr als 40 Jahre, um die Völkermordkonvention zu ratifizieren, und die endgültige Ratifikation beinhaltete vier Interpretationserklärungen (understandings), eine Erklärung (declaration) und zwei Vorbehalte, welche zusammengenommen die amerikanische Unterschrift auf einen mahnenden Ausdruck der Missbilligung dieses Verbrechens reduzieren.42 Nichtsdestotrotz sind die USA aber heute Vertragspartei der Völkermordkonvention. Als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates haben sie und China zudem entscheidend an der Gründung des ICTY und des ICTR und deren Strafgewalt über das Verbrechen des Genozids mitgewirkt. Zudem wird Völkermord häufig als das crime of crimes, d.h. als das schlimmstmögliche Verbrechen bezeichnet, dessen Verbot unzweifelhaft jus-cogens-Charakter zukommt.43 Ganz überwiegend wird daher eine Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips auf Völkermord bejaht.44 So hat auch der EGMR erst 2007 in seiner Entscheidung Jorgic v. Germany festgestellt, dass die Verfolgung des Beschwerdeführers wegen Völkermordes durch die deutsche Justiz auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips nicht gegen das völkerrechtliche Nichteinmischungsverbot verstoße.45 Es lässt sich mithin feststellen, dass das geltende Völkergewohnheitsrecht die Anwendung des Weltrechtsprinzips durch nationale Strafgerichte bei schweren Menschenrechtsverletzungen und schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts zumindest nicht verbietet.46 Zugleich ist aber auch hervorzuheben, dass sich aus dem Völkergewohnheitsrecht keine Verpflichtung ableiten lässt, das Weltrechtsprinzip anzuwenden. Es ist daher vorrangig eine Frage staatlichen Ermessens, ob und für welche Straftatbestände dieser Jurisdiktionsgrund im nationalen Recht Anwendung findet. So sieht etwa das spanische Recht eine Strafgewalt spanischer Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip nur für Völkermord und Terrorismus sowie für alle Verbrechen vor, für die Spanien aufgrund internationaler Verträge eine Pflicht zur strafrechtlichen Verfolgung übernommen hat,47 nicht hingegen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Gegensatz hierzu ist in Deutschland das Weltrechtsprinzip nicht nur hinsichtlich aller Kernverbrechen des Rom-Statuts an42 Vgl. Power, Samantha: The United States and Genocide Law: A History of Ambivalence, in: Sewall/Kaysen (Hrsg.): The United States and the International Criminal Court, S. 165, 166. 43 Safferling, Christoph J. M., JuS 2001, S. 735, 736; Damrosch, Lori F.: Comment: Connecting the Threads in the Fabric of International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 91, 94. 44 Vgl. hierzu Gärditz, Klaus Ferdinand: Weltrechtspflege, S. 299 m. w. N.; Beigbeder, Yves: International Justice against Impunity, S. 52. 45 Jorgic v. Germany, Judgement of 12 July 2007 (74613/01), § 66–72, verfügbar unter: http://www.echr.coe.int/echr, letzter Zugriff am 14.04.2008. 46 Vgl. Kreß, Claus, ZStW 114 (2002), S. 818, 834. 47 Vgl. Art. 23(4) Ley Orgánica del Poder Judicial (Spanisches Justizorganisationsgesetz).
II. Der Anwendungsbereich des Weltrechtsprinzips
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wendbar, sondern überdies auch noch bei einer Reihe anderer Delikte, wie z. B. Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen, Angriffen auf den Luftund Seeverkehr, unbefugtem Vertrieb von Betäubungsmitteln, Subventionsbetrug, Geld- und Wertpapierfälschung sowie in bestimmten Fällen der Verbreitung pornographischer Schriften.48 Der BGH hat insoweit anlässlich der Frage, ob die strafrechtliche Verfolgung eines Niederländers wegen des Verkaufs von Betäubungsmitteln in den Niederlanden an Deutsche zum Weitervertrieb in Deutschland gegen das völkerrechtliche Nichteinmischungsverbot verstoße, auch die Auffassung vertreten, dass es keinen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts gebe, der die Anwendung des Weltrechtsprinzips, außer bei eindeutiger vertraglicher Vereinbarung, verbiete.49 Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass dem Völkergewohnheitsrecht kein klar umgrenzter Anwendungsbereich des Weltrechtsprinzips entnommen werden kann. Unzweifelhaft ist eine Anwendbarkeit für den dargestellten Kernbereich, d.h. bei Kriegsverbrechen und Piraterie, gegeben. Über diesen Bereich hinaus besteht dagegen keine Einigkeit hinsichtlich des Umfangs der Beschränkungen, denen der nationale Gesetzgeber bei der Setzung seiner Strafnormen unterworfen ist.50 Die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Weltrechtsprinzips liegt daher vorrangig im Bereich des Ermessens des jeweiligen nationalstaatlichen Gesetzgebers sowie – wenn auch in begrenzterem Maße – der jeweiligen nationalen Gerichte. 2. Internationales Völkervertragsrecht und das Prinzip aut dedere aut judicare Völkerrechtliche Verträge können die strafrechtliche Verfolgung bestimmter Verbrechen durch nationale Gerichte auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips vorsehen.51 Auf der Ebene des Völkervertragsrechts ist das Weltrechtsprinzip für schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 und das 1. Zusatzprotokoll von 1977, Folter52 und bestimmte Terrorismusakte53 sowie Apart48
Siehe § 6 StGB. BGH NJW 1977, S. 507. 50 Vgl. hierzu auch ebd., S. 507, 508. 51 Vgl. Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans, Buergenthal, IGH, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), 14.02.2002, Tz. 41; verfügbar unter: http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3& p2=3&k=36&case=121&code=cobe&p3=4, letzter Zugriff am 14.04.2008. 52 Art. 7 der Anti-Folterkovention von 1984. 53 Vgl. z. B. Art. 7 der Hague Convention for the suppression of unlawful seizure of aircraft of aviation (sabotage) von 1971; Art. 8 der Convention against the taking of hostages von 1979; Art. 7 der Convention for the suppression of unlawful acts against the safety of maritime navigation von 1988. Eine umfassende Darstellung – auch zur Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips bei Drogenkriminalität – findet sich bei Bas49
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
heid54 anerkannt. Diese völkervertragsrechtlichen Regelungen erschöpfen sich indessen nicht darin, die Vertragsstaaten zu berechtigen, die Täter dieser Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen, sondern verpflichten sie vielmehr dies zu tun oder den mutmaßlichen Täter an einen anderen Staat auszuliefern, der willens und in der Lage ist, das Strafverfahren durchzuführen.55 Abgelehnt für die Völkermordkonvention und noch bei der Verabschiedung der Anti-Folterkonvention hoch umstritten, scheint der Grundsatz aut dedere aut judicare heute eine nahe liegende Formulierung für völkerstrafrechtliche Verträge zu sein.56 Es wird daher sogar vertreten, dass es sich bei diesem Prinzip um eine Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts oder um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handele, da anderenfalls die Bestrafung der Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen zwangsläufig sehr unwahrscheinlich wäre, wenn der Aufenthaltsstaat des Täters nicht Partei des Vertrages wäre, der eine entsprechende Aut-dedere-aut-judicare-Verpflichtung enthält.57 Diese Argumentation ist indessen als reines Wunschdenken zurückzuweisen. Der zugegebenermaßen fromme Wunsch, dass alle Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen bestraft werden sollen, rechtfertigt es nicht, die Unterscheidung zwischen Völkergewohnheits- und Völkervertragsrecht zu ignorieren. Nur weil bestimmte Verträge eine Aut-dedere-aut-judicare-Bestimmung enthalten, bedeutet dies nicht, dass dieses Prinzip bereits Teil des Völkergewohnheitsrechts geworden ist und bei allen völkerstrafrechtlichen Verbrechen Anwendung findet. Es bestehen strenge Kriterien für die Beurteilung, wann eine bestimmte Regelung den Status von Völkergewohnheitsrecht erlangt hat: Zum einen muss eine hinreichende Übung, d.h. eine beständige Staatenpraxis hinsichtlich der in Frage stehenden Regelung gegeben sein, die eine gewisse Dauerhaftigkeit, Einheitlichkeit und Verbreitung aufweist und von der weit überwiegenden Mehrheit der (betroffenen) Staaten geteilt wird. Zum anderen muss eine entsprechende opinio juris, d.h. eine allgemein geteilte und akzeptierte Überzeugung bestehen, dass Staaten rechtlich – und nicht nur moralisch – verpflichtet sind, sich an die fragliche Regelung zu halten. Selbst unter Berücksichtigung der jüngsten Staatenpraxis besteht indessen kein Anhaltspunkt dafür, dass sich tatsächlich die überwiegende Mehrheit der Staaten dazu verpflichtet fühlt, die Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen auch dann entweder strafrechtlich zu verfolgen oder auszuliefern, wenn eine entspresiouni, Cherif M.: The History of Universal Jurisdiction and Its Place in International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 39, 56–61. 54 Art. IV b) und Art. V der Anti-Apartheidskonvention von 1973. 55 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 286. 56 Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 286. 57 Enache-Brown, Colleen/Fried, Ari, McGill LJ 43 (1998), S. 613–633, III.
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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chende völkervertragsrechtliche Verpflichtung nicht besteht. Im Gegenteil hielten etwa im Pinochet-Fall vor dem britischen House of Lords die Mehrheit der Lords der 2. Entscheidung eine Verpflichtung Großbritanniens, General Pinochet entweder strafrechtlich zu verfolgen oder auszuliefern, nur hinsichtlich der Folterhandlungen für gegeben, die nach dem Inkrafttreten der Anti-Folterkonvention – die durch den Criminal Justice Act vom 29. September 1988 in britisches Recht inkorporiert worden ist – am 8. Dezember 1988 begangen worden waren. Ferner besteht in den meisten nationalen Rechtssystemen keine Verpflichtung, fremde Staatsangehörige, die wegen einer im Ausland begangenen Tat eines völkerstrafrechtlichen Verbrechens verdächtig sind, entweder strafrechtlich zu verfolgen oder auszuliefern. Wäre dies der Fall, so wäre die Straffreiheit der Täter die Ausnahme und nicht die Regel. Das Prinzip aut dedere aut judicare ist daher weder eine Norm des Völkergewohnheitsrechts, noch ein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts. Angemerkt sei noch, dass die angesprochenen Verträge keine wirklich universelle Strafgewalt festschreiben können, da durch sie nur die Vertragsstaaten verpflichtet werden, extraterritoriale Jurisdiktion auszuüben.58 Zudem erscheint es zumindest dann, wenn das fragliche Verbrechen nicht unstreitig völkergewohnheitsrechtlich pönalisiert ist oder auf dem Gebiet oder an dem Staatsangehörigen eines Vertragsstaates begangen wird, fraglich, ob sich die durch Verträge angeordnete „universelle“ Strafgewalt überhaupt auf Taten erstrecken kann, die von dem Staatsangehörigen eines Nichtvertragsstaates begangen worden sind.59 Nichtsdestotrotz darf die Bedeutung dieser Verträge aber nicht unterschätzt werden. Sowohl die hohe Zahl der Vertragsstaaten als auch die Tatsache, dass durch diese Verträge unzweifelhaft festgestellt wird, dass Staaten berechtigt sein können, über im Ausland von fremden Staatsangehörigen begangene Taten zu Gericht zu sitzen, verleihen diesen Regelungen eine herausragende Bedeutung.60
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip Bei der Diskussion des Weltrechtsprinzips ist zwischen zwei verschieden weiten Ausprägungen dieses Grundsatzes zu unterscheiden, die unter Verwendung der von Cassese entwickelten Terminologie61 als absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip bezeichnet werden.62 Nach dem absoluten Weltrechtsprinzip muss zwischen dem begangenen Verbrechen und dem Gerichtsstaat keinerlei Verbin58
Cassese, Antonio, JICJ 1.3 (2003), S. 589–595, 2. Ebd. 60 Ebd. 61 Im englischsprachigen Schrifttum sind die Bezeichnungen absolute universal jurisdiction für die weitere Version und conditional universal jurisdiction für die engere Version des Weltrechtsprinzips absolut üblich. 62 Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 285–291. 59
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
dung bestehen, das einzige Kriterium ist der universelle oder internationale Charakter des Verbrechens.63 Im Gegensatz hierzu bedarf es nach dem bedingten Weltrechtsprinzip eines zusätzlichen sinnvollen Anknüpfungs- oder Verbindungspunktes zwischen dem Verbrechen bzw. dem Täter und dem Gerichtsstaat. Insoweit wird zumeist auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Täters im Gerichtsstaat bzw. als Minimalvoraussetzung auf seine dortige Anwesenheit abgestellt. Nach dem bedingten Weltrechtsprinzip kann ein Staat einen Verdächtigen daher grundsätzlich nur dann strafrechtlich verfolgen, wenn sich dieser im Staatsgebiet des Gerichtsstaates aufhält.64 Die Problematik des absoluten Weltrechtsprinzips ist somit im Kern gleichbedeutend mit der Frage, ob Staaten berechtigt sind, Weltrechtspflege in absentia zu betreiben.
1. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip im nationalen Recht Bis heute hat sich nur eine kleine Anzahl von Staaten aktiv an der strafrechtlichen Verfolgung internationaler Verbrechen beteiligt – und noch weniger auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips. Erst in den letzten 10 bis 15 Jahren haben Staaten allmählich begonnen, sich bei der strafrechtlichen Verfolgung extraterritorialer Verbrechen vermehrt (auch) auf diesen Grundsatz zu berufen. Zwar ist im Zuge der Implementierung des Rom-Statuts ein Trend dahingehend zu verzeichnen, dass Staaten ihre Strafgewalt über die Kernverbrechen des RomStatuts ausweiten, in vielen Staaten fehlt aber weiterhin eine Festschreibung des Weltrechtsprinzips im nationalen Recht gänzlich. Zudem bedeutet eine Festschreibung aber auch nicht zwangsläufig, dass von der geschaffenen Möglichkeit auch Gebrauch gemacht wird. In vielen Staaten existieren daher kaum klare Vorstellungen oder Erkenntnisse zum Weltrechtsprinzip.65 Die folgenden Beispiele können mithin nur einen ausschnitthaften Einblick in die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten vermitteln und erheben nicht den Anspruch, ein repräsentatives Bild der internationalen Staatengemeinschaft umfassend wiederzugeben. a) Die Regelung des Weltrechtsprinzips im nationalen Recht Während das bedingte Weltrechtsprinzip sich zunehmender Beliebtheit erfreut und sich etwa in den schweizerischen, österreichischen und britischen Regelungen des Strafprozessrechts findet, ist eine Festschreibung des absoluten Weltrechtsprinzips noch immer eine große Ausnahme. Soweit ersichtlich wurde bis63 64 65
Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 38. Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 285–286. Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 83.
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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lang nur in Deutschland, Spanien und – bis 2003 – auch in Belgien die weite Version des Weltrechtsprinzips angewandt. aa) Die Regelung des absoluten Weltrechtsprinzips im nationalen Recht Die Festschreibung und Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips im nationalen Recht ist sehr rar. Nur in Deutschland, Spanien und Belgien sind offenbar bisher ernsthafte Versuche unternommen worden. Indessen scheint sich selbst in diesen Ländern bereits wieder eine teils freiwillige, teils unfreiwillige Abkehr – jedenfalls der Strafverfolgungsbehörden – von der Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips abzuzeichnen. Es ist daher schwer zu sagen, wo das absolute Weltrechtsprinzip überhaupt noch Geltung in Anspruch nehmen kann. (1) Das absolute Weltrechtsprinzip in Deutschland Im Rahmen des Entstehungsprozesses des Rom-Statuts warb insbesondere Deutschland aktiv für eine Anerkennung des absoluten Weltrechtsprinzips für völkerstrafrechtliche Verbrechen. Dies ist insofern überraschend, als jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt, d.h. bis zur Entstehung des ICCs, von der deutschen Rechtsprechung eine restriktive Handhabung des Weltrechtsprinzips favorisiert und das Erfordernis eines legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes bejaht wurde.66 Diese Auslegung des § 6 Abs. 1 StGB, der bis zum Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches die Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips für deutsche Gerichte abschließend regelte, war indessen im Wortlaut der Vorschrift nicht angelegt und daher in der Literatur umstritten.67 Am 30. Juni 2002 trat in Deutschland das ergänzende Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) in Kraft. Nach § 1 VStGB sind deutsche Gerichte unstreitig für alle aufgezählten Verbrechen, d.h. die Kernverbrechen des Rom-Statuts, selbst dann zuständig, wenn keine besondere Verbindung der Tat oder des Täters zu Deutschland besteht. Ausgehend von diesem Grundsatz obliegt es daher prinzipiell dem Generalbundesanwalt, alle im VStGB aufgeführten Verbrechen zu verfolgen, soweit sie nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen worden sind.68 Indessen scheint sich der Generalbundesanwalt nach wie vor von den 66 Vgl. hierzu: Eser, Albin, in: Schönke/Schröder, § 6 StGB, Rn. 1; Lüder, Sascha Rolf, NJW 2000, S. 2669, 2670; Staudinger, Ilka, NJW 1999, S. 3099, 3100; BGH NStZ 1994, S. 232. 67 Kritisch Eser, Albin, in: Schönke/Schröder, § 6 StGB, Rn. 1; Staudinger, Ilka, NJW 1999, S. 3099, 3100; gegen Lüder, Sascha Rolf, NJW 2000, S. 2669, 2670. 68 Fischer-Lescano, Andreas, KJ 2005, S. 72–93.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
Grundsätzen des bedingten Weltrechtsprinzips leiten zu lassen. Zumindest ist eine Tendenz der Bundesanwaltschaft zu erkennen, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn es an einem zusätzlichen Bezug zu Deutschland fehlt. So wurden sowohl 2005 als auch 2007 trotz entsprechender Strafanzeigen keine Ermittlungsverfahren wegen der Vorgänge im irakischen US-Gefängnis Abu Ghraib und im amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo Bay eingeleitet.69 Ein erstes Verfahren gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere Mitglieder der politischen und militärischen Führung der USA wegen der Foltervorwürfe in Abu Ghraib wurde am 10. Februar 2005 unter Berufung auf die vorrangige Strafgewalt der USA eingestellt.70 Das gleiche Schicksal ereilte im April 2007 die am 14. November 2006 von dem Berliner Rechtsanwalt Kaleck erneut erstattete Strafanzeige gegen den nunmehr ehemaligen Verteidigungsminister Rumsfeld u. a.71 insbesondere wegen Kriegsverbrechen und Verstößen gegen die Anti-Folterkonvention durch die Vorgänge in Abu Ghraib und Guantanamo Bay.72 Die Anzeigenden73 waren zu diesem Zeitpunkt zunächst noch hoffnungsvoll gewesen, dass die zweite Anzeige bessere Erfolgsaussichten haben würde als die erste, da die US-Behörden im Oktober 2006 mit dem Military Commissions Act Folterbeschuldigten nachträglich Immunität gewährt hatten, so dass mit einer Strafverfolgung durch US-Behörden nicht mehr ernsthaft zu rechnen war.74 Indessen entschied sich die Bundesanwaltschaft dennoch erneut gegen die Eröffnung eines formellen Ermittlungsverfahrens und verwies dabei zur Begründung vor allem darauf, dass Ermittlungsverfahren bei Straftaten im Ausland nicht eingeleitet werden müssen, wenn es keinen inländischen Bezug gibt und überdies nicht zu erwarten sei, dass sich die Tatverdächtigen in Deutschland aufhalten werden – was weder bei Rumsfeld noch bei den anderen 13 Ange69 Siehe für die erste Verfahrenseinstellung die Entscheidung des Generalbundesanwalts vom 10.02.2005, keine deutschen Ermittlungen wegen der angezeigten Vorfälle in Abu Ghraib/Irak einzuleiten, JZ 2005, S. 311–312. 70 Ebd. 71 Neben dem nunmehr ehemaligen US-Verteidigungsminister sind auch der ehemalige CIA-Chef George Tenet, Generalleutnant Ricardo Sanchez, der ab 2003 für ein Jahr Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte im Irak gewesen war, sowie andere Politiker und hohe Beamte der Bush-Administration u. a. wegen Kriegsverbrechen und Verstößen gegen die Anti-Folterkonvention angezeigt worden. 72 Die Strafanzeige vom 14.11.2006 gegen Donald Rumsfeld u. a. ist verfügbar unter: http://www.rav.de/rumsfeld2.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 73 Die Strafanzeige gegen Rumsfeld u. a. wurde von rund 30 Menschenrechtsorganisationen, elf irakischen Staatsbürgern sowie Mohamed Al Qahtani aus Saudi-Arabien, der in Guantanamo gefangen gehalten wurde, bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe erstattet. 74 Vgl. hierzu das Interview mit Dietmar Kaleck in der Jungen Welt vom 06.01. 2007, verfügbar unter: http://www.jungewelt.de/2007/01-06/060.php, letzter Zugriff am 14.04.2008.
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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zeigten der Fall sei.75 Zudem sei nicht ersichtlich, dass die in der Anzeige genannten Gefangenen vom Irak oder von Afghanistan aus über die Bundesrepublik als Transitort nach Guantanamo Bay gebracht worden seien.76 Damit berief sich die Bundesanwaltschaft letztlich auf die Voraussetzungen des bedingten Weltrechtsprinzips, indem sie darlegte, dass es an einem besonderen Bezug zu Deutschland fehle. Hervorzuheben ist aber, dass die Bundesanwaltschaft betonte, dass Ermittlungsverfahren bei Straftaten im Ausland nicht eingeleitet werden müssen, wenn es keinen inländischen Bezug gebe, d.h. im Umkehrschluss, dass es ihr aber auch nicht verboten gewesen wäre, trotz des fehlenden Bezugs ein Strafverfahren einzuleiten. Auch wenn sich die Bundesanwaltschaft bei ihren Entscheidungen von den Voraussetzungen des bedingten Weltrechtsprinzips leiten lässt, ist mithin nach der Gesetzeslage in Deutschland die Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips weiterhin möglich. Unabhängig von dieser eher problematischen Begründung77 der Nichteröffnungsentscheidung ist allerdings die Umsetzung des Rom-Statuts durch die Bundesrepublik mittels eines separaten und somit leicht rezipierbaren VStGB über die Grenzen Deutschlands von Bedeutung, da die Möglichkeit besteht, dass kleinere, ressourcenarme Staaten sich an der deutschen Implementierung orientieren könnten.78 Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass weitere Staaten dem deutschen Beispiel folgen und die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung der Kernverbrechen des Rom-Statuts auf der Grundlage des absoluten Weltrechtsprinzips als ultima ratio in ihrem Recht festschreiben könnten. (2) Der belgische „Verzicht“ auf das (absolute) Weltrechtsprinzip Wie in Deutschland zeichnet sich auch in der übrigen Staatenpraxis eine Abwendung vom absoluten Weltrechtsprinzip ab. Offiziell weil das belgische loi relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire von 1993 systematisch von Personen und Organisationen für deren eigene politische Ziele missbraucht worden sei, zugleich aber infolge massiver Proteste seitens der US-Regierung,79 wurde das belgische Recht von 1993/1999 zunächst im April 2003 und dann noch umfassender im August 2003 geändert. Letztlich war es wohl die Drohung der USA, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um das NATO-Hauptquartier aus Brüssel wegzuverlegen, falls Belgien 75 Vgl. sueddeutsche.de: Bundesanwaltschaft verzichtet auf Ermittlungen, Meldung vom 27.04.2007, verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/900/ 111789/, letzter Zugriff am 14.04.2008. 76 Vgl. ebd. 77 Vgl. zur deutschen Einstellungslösung und insbesondere zur Einordnung der Nichteröffnungsentscheidungen vertieft C. III. 3. d). 78 Wirth, Steffen/Harder, Jan C., ZRP 2000, S. 144, 146. 79 Vgl. Reydams, Luc, JICJ 1.3 (2003), S. 679–689, 1.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
seine Haltung zum absoluten Weltrechtsprinzip nicht revidiere, die Belgien in die Knie zwang. Heute ist jede Form des Weltrechtsprinzips aus dem belgischen Recht verschwunden. Bzgl. extraterritorialer Verbrechen besteht nur die Möglichkeit, diese auf der Grundlage des aktiven und passiven Personalitätsprinzips zu verfolgen, wobei aber ein legaler Aufenthalt in Belgien von mindestens 3 Jahren ausreichend ist.80 (3) Erste Anzeichen für eine Abwendung vom absoluten Weltrechtsprinzip in Spanien In Spanien hat eine vergleichbare Gesetzesänderung wie in Belgien nicht stattgefunden. Es zeichnet sich mit der Scilingo-Entscheidung vom 19. April 2005 allerdings zumindest in der spanischen Rechtsprechung eine Abwendung vom absoluten Weltrechtsprinzip, wie es noch im Verfahren gegen Augusto Pinochet vertreten worden ist, ab. In dem Strafverfahren gegen den argentinischen Staatsangehörigen Scilingo vor der Audiencia Nacional wurde dem Angeklagten die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt. Ihm wurde vorgeworfen in Argentinien an zwei so genannten „Todesflügen“ (death flights) beteiligt gewesen zu sein, bei denen ca. 30 Personen, die zuvor betäubt worden waren, vom Flugzeug ins Meer geworfen wurden.81 Die Audiencia Nacional begründete ihre Jurisdiktion dabei vorrangig mit der (freiwilligen) Anwesenheit Scilingos in Spanien und griff damit die zuvor schon vom spanischen Tribunal Supremo im Guatemala-Fall vertretene Auffassung der Anwendbarkeit des bedingten Weltrechtsprinzips auf.82 Bemerkenswert ist zudem aber, dass die Audiencia Nacional überdies von der Notwendigkeit eines weiteren, zusätzlichen Anknüpfungspunktes ausging, welchen sie im Scilingo-Fall darin gegeben sah, dass unter den Opfern der von den argentinischen Behörden begangenen Verbrechen auch spanische Staatsangehörige waren.83 Diese Begründung ist deshalb überraschend und innovativ, weil hinsichtlich der konkreten, von Scilingo begangenen Taten nicht festgestellt werden konnte, ob hier auch spanische Staatsangehörige zu den Opfern zählen.84 Die angeführte Begründung der spanischen Strafgewalt lässt zudem aber auch die Schlussfolgerung zu, dass der Audiencia Nacional selbst die Anwesenheit eines mutmaßlichen Täters in Spanien allein nicht
80 Vgl. Federal Public Service Foreign Affairs Belgium: The Law on Universal Jurisdiction reviewed, verfügbar unter: http://www.diplomatie.be/en/press/homedetails. asp?TEXTID=5943, letzter Zugriff am 14.04.2008. 81 Vgl. etwa Tomuschat, Christian, JICJ 3.5 (2005), S. 1074–1081, 2.–3. 82 Vgl. Pinzauti, Giulia, JICJ 3.5 (2005), S. 092–1105. 83 Ebd. 84 Vgl. etwa Tomuschat, Christian, JICJ 3.5 (2005), S. 1074–1081, 2.–3.
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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(mehr) genügen könnte, wenn darüber hinaus eine weitere Verbindung zwischen Spanien und dem fraglichen Verbrechen fehlt. Sollte sich dieser Wandel in der spanischen Rechtsprechung durchsetzen, so wäre Deutschland nach derzeitigem Erkenntnisstand der einzige Staat, der das absolute Weltrechtsprinzip noch postuliert. Indessen ist zu berücksichtigen, dass nach der zweiten Rumsfeld-Entscheidung der Bundesanwaltschaft auch in Deutschland zumindest eine Tendenz der Strafverfolgungsbehörden erkennbar ist, wieder zum bedingten Weltrechtsprinzip zurückzukehren. Das absolute Weltrechtsprinzip könnte somit auch in Deutschland nur noch eine rein theoretische Möglichkeit, nicht aber einen ernstzunehmenden Jurisdiktionsgrund darstellen. Problematisch ist insoweit allerdings, dass, sollte sich diese Vermutung bewahrheiten, diese Entscheidung allein von der Bundesanwaltschaft und nicht vom Gesetzgeber oder den Gerichten getroffen worden wäre. bb) Das bedingte Weltrechtsprinzip im nationalen Recht Obwohl eine Abwendung vom absoluten Weltrechtsprinzip zu verzeichnen ist, scheint das Weltrechtsprinzip an sich zunehmend an Akzeptanz zu gewinnen. Trotz ihrer entschiedenen Ablehnung der belgischen Anwendungspraxis des Weltrechtsprinzips sind selbst die USA auf der Grundlage eben dieses Prinzips gegen Luftpiraten vorgegangen und haben sogar andere Staaten massiv dahingehend zu beeinflussen versucht, das Weltrechtsprinzip in Fällen wie denen von Pol Pot und Saddam Hussein anzuwenden.85 Zudem haben andere Commonlaw-Staaten wie Australien und Kanada im Zuge der Implementierung des Rom-Statuts den Grundsatz all crimes are local überwunden und mit dem Australian International Criminal Court Act 2002 und dem umfassenden kanadischen Crimes Against Humanity and War Crimes Act 2000,86 das Weltrechtsprinzip für die Kernstraftatbestände des Rom-Statuts in ihrem nationalen Recht etabliert; dies ist umso bemerkenswerter, als mit Ausnahme der schweren Verstöße gegen die Genfer Konventionen keine vertragliche Verpflichtung zu diesem Schritt bestanden hat und im Falle des Völkermordes sogar eine anderweitige Jurisdiktionsregelung in der Völkermordkonvention zu finden ist.87 Voraussetzung für die Strafgewalt kanadischer Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip ist aber, dass sich der mutmaßliche Täter freiwillig in Kanada aufhält, und auch
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Vgl. Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 219. Der volle Titel des Gesetzes lautet: An Act respecting genocide, crimes against humanity and war crimes and to implement the Rome Statute of the International Criminal Court, and to make consequential amendments to other Acts, 2000. Die verwendete Kurzbezeichnung wurde von Luc Reydams, Universal Jurisdiction, dort S. 122, übernommen. 87 Vgl. Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 88, 124. 86
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
das australische Recht bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Prozesse in absentia geführt werden könnten.88 Andere Staaten wie Frankreich und die Niederlande sind allerdings noch immer sehr zurückhaltend, wenn es um die Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips geht, und begründen diese nur, wenn sie durch einen völkerrechtlichen Vertrag dazu verpflichtet werden.89 So ist in Frankreich nur für das Verbrechen der Folter die Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips explizit vorgesehen.90 Das britische Recht sieht zwar die Verfolgung bestimmter Straftaten auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips vor, bisher wurde indessen noch von keiner Strafverfolgung auf dieser Basis berichtet.91 b) Einzelne Anwendungsfälle des Weltrechtsprinzips Die Anwendungspraxis des Weltrechtsprinzips ist, wie bereits angesprochen, noch sehr spärlich.92 Bis zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es nur vereinzelte Ausnahmefälle, die angesichts ihrer Singularität zudem nur bedingt geeignet sind, allgemein gültige Aussagen zu etablieren. Auch die Staatenpraxis seit Beginn der 90er ist Jahre noch zögerlich und zudem sehr uneinheitlich, so dass die hier geschilderten Fälle nur als erste Beispiele für eine beginnende Praxis stehen können. aa) Erste Anfänge: Das Verfahren gegen Adolf Eichmann in Israel Die Singularität der ersten Anwendungsfälle des Weltrechtsprinzips zeigt sich sehr eindrücklich am Verfahren gegen Adolf Eichmann in Israel 1960/1961, das sowohl in Anbetracht der Aufsehen erregenden und unter Souveränitätsgesichtspunkten höchst problematischen Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst,93 als auch in Anbetracht des Ausmaßes der von den Nazis wäh88
Ebd., S. 88 f., 123. Vgl. ebd., S. 140, 178–179. 90 Butler, Hays: The Growing Support for Universal Jurisdiction in National Legislation, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 67, 74. 91 Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 210. 92 Hierzu umfassend und mit einer guten Zusammenstellung von Fällen: Bassiouni, Cherif M.: The History of Universal Jurisdiction and Its Place in International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 39, 44, dort insbesondere Fn. 25 (S. 276, 277). 93 Die Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst in Argentinien wurde wegen der Verletzung der territorialen Integrität Argentiniens vom UN-Sicherheitsrat sogar als Bedrohung des Friedens qualifiziert; vgl. hierzu: Damrosch, Lori F.: Comment: Connecting the Threads in the Fabric of International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 91, 92. 89
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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rend des Dritten Reichs begangenen Gräueltaten eigentlich als zu außergewöhnlich anzusehen ist, um im Rahmen des Rechts der Gerichtsstände als Präzedenzfall zu dienen.94 So gab es kaum einen Israeli europäischer Abstammung, der keine Angehörigen durch die Nazis verloren hatte, weshalb Eichmann interessanterweise auch nicht nur wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern vor allem wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk verurteilt wurde.95 In Ermangelung anderer (besser) geeigneter Präzedenzfälle hat aber selbst das ICTY bereits auf die israelische Eichmann-Entscheidung Bezug genommen.96 Bemerkenswert ist weiter, dass Israel zum Zeitpunkt der durch Eichmann begangenen Verbrechen als Staat noch gar nicht existiert hat – ein Umstand, der vor allem unter Rückwirkungserwägungen bedenklich ist. Es ist fraglich, wie israelische Gerichte berechtigt gewesen sein können, gegenüber Eichmann Gesetze durchzusetzen, die erst 1950 verabschiedet wurden.97 Indessen ist zu beachten, dass der Staat mit vorrangiger Gerichtsbarkeit, d.h. die Bundesrepublik Deutschland, dem Verfahren gegen Eichmann in Israel nie widersprochen und auch kein Auslieferungsersuchen gestellt hat.98 Vielmehr war es sogar der damalige hessische Generalstaatsanwalt, Fritz Bauer, der Israel über Eichmanns Aufenthalt in Argentinien informierte, weil er befürchtete, Eichmann könne im Falle eines Tätigwerdens der deutschen Behörden gewarnt werden.99 Eine Befürchtung, die, wie der Fall Josef Mengele kurze Zeit zuvor gezeigt hatte, nicht unbegründet war. Mengele, der bis 1959 unter eigenem Namen in Buenos Aires lebte, verschwand, nachdem die Bundesrepublik Deutschland ein Auslieferungsersuchen gestellte hatte, plötzlich nach Paraguay, bevor über das deutsche Ersuchen entschieden werden konnte.100 bb) Die (bedeutenden) aktuellen „europäischen“ Verfahren In der letzten Zeit haben vor allem die Verfahren gegen Augusto Pinochet in Spanien und Abdoulaye Yerodia Ndombasi in Belgien für großes Aufsehen gesorgt. In beiden Fällen handelt es sich um Verfahren, die nur auf der Grundlage 94 Vgl. Bass, Gary J.: The Adolf Eichmann Case: Universal and National Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 77 f. 95 Ebd., S. 77, 83. 96 Ebd., S. 77, 78. 97 Kirby, Michael: Universal Jurisdiction and Judicial Reluctance, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 240, 249. 98 Bass, Gary J.: The Adolf Eichmann Case: Universal and National Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 77, 80. 99 Ebd. 100 Ebd., S. 77, 87.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
des absoluten Weltrechtsprinzips zulässig waren, da sich der mutmaßliche Täter in keinem dieser Fälle in dem jeweiligen Gerichtsstaat aufhielt. Während im ersten Fall die strafrechtliche Verfolgung Pinochets durch die spanische Justiz und insbesondere das Auslieferungsverfahren vor dem britischen House of Lords mit großer Zustimmung begrüßt worden ist, ist der zweite Fall wegen der problematischen Entscheidung des vom Kongo angerufenen IGH in dieser Sache weitaus schwieriger zu bewerten. Vergessen werden darf allerdings nicht, dass es neben diesen besonders umstrittenen und viel diskutierten Anwendungsfällen des Weltrechtsprinzips auch Fälle gibt, die weitaus weniger für Aufsehen und Kritik gesorgt haben. Insoweit soll hier beispielhaft auf die Verfahren gegen serbische Kriegsverbrecher in Deutschland sowie gegen ruandische Völkermörder in Belgien eingegangen werden.
(1) Das Verfahren gegen Abdoulaye Yerodia Ndombasi in Belgien Am 11. April 2000 erließ ein belgischer Untersuchungsrichter des tribunal de première instance de Bruxelles einen Haftbefehl in absentia gegen den zu diesem Zeitpunkt amtierenden Außenminister des Kongo, Abdoulaye Yerodia Ndombasi, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Yerodia wurde zur Last gelegt, zu einer Zeit, als er Oberster Privatsekretär des kongolesischen Präsidenten Laurent Kabila gewesen war, in mehreren Rundfunkansprachen zur Hatz auf die in der Hauptstadt Kinshasa lebenden TutsiMinderheiten aufgerufen zu haben, von denen in der Folgezeit Hunderte ermordet wurden. Ein Anknüpfungspunkt zu Belgien bestand nicht, insbesondere gab es keine belgischen oder in Belgien lebenden Opfer. Der Kongo reagierte mit einer Klage zum IGH, wobei er sowohl die Verletzung des völkerrechtlichen Immunitätenrechts durch den belgischen Haftbefehl als auch die Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips durch Belgien rügte. Nach Einreichung der Klage beim IGH wurde Yerodia aufgrund einer Regierungsneubildung zunächst Bildungsminister; noch vor Erlass des IGH-Urteils schied er jedoch auch aus diesem Amt aus und bekleidete nach seinem Ausscheiden auch kein anderes staatliches Amt mehr. Das Verfahren gegen Yerodia in Belgien unterscheidet sich im Prinzip nicht wesentlich von anderen Verfahren, die während der Geltung des loi relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire von 1993 an in Belgien anhängig gewesen und nie zu einem Abschluss gekommen sind. Die Bedeutung gerade dieses Falls für das internationale Strafrecht folgt aber aus der Entscheidung des IGH im Fall Congo v. Belgium. Der IGH stellte in dieser Entscheidung fest, dass die Ausstellung und internationale Verbreitung des Haftbefehls gegen Yerodia Ndombasi durch Belgien die völkerrechtliche Immunität
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des amtierenden Außenministers des Kongo verletze und Belgien daher verpflichtet sei, den Haftbefehl aufzuheben.101 Diese Entscheidung des IGH wird indessen nicht gerade als Sternstunde des Völkerrechts gewertet. Vielmehr ist das Urteil in der wissenschaftlichen Diskussion – zumindest hinsichtlich der vom IGH für seine Entscheidung zugunsten des Kongos gewählten Begründung – vielfach scharf kritisiert worden.102 Die Kritik beruht dabei vor allem darauf, dass die Mehrheit der IGH-Richter die hier gegebene Chance zu einer Diskussion des Weltrechtsprinzips in ihrer Entscheidung nicht genutzt, sondern sich nur mit der Frage befasst hat, ob Abdoulaye Yerodia Ndombasi als Außenminister Immunität genieße; und dies auch noch ungeachtet der Tatsache, dass Yerodia zum Zeitpunkt der IGH-Entscheidung weder dieses noch ein anderes staatliches Amt innehatte. (2) Das Verfahren gegen Pinochet in Spanien und Großbritannien Beachtlich ist die vielfach positive Aufnahme der Initiative der spanischen Justiz, ein Verfahren gegen Augusto Pinochet in Spanien anzustrengen. Im Gegensatz zur Nazidiktatur herrschte hinsichtlich der Militärdiktatur Pinochets – zumindest bis zu diesem Zeitpunkt – kein moralischer oder politischer Konsens, Pinochet war vielmehr als Anti-Kommunist mit Unterstützung Washingtons an die Macht gekommen und dort gehalten worden.103 Mit dem Pinochet-Verfahren wurde erstmalig ein Staatsoberhaupt, das zudem der Gewinnerseite des kalten Krieges angehörte und freiwillig seine Macht aufgegeben hatte, angeklagt, um für während seiner Amtszeit in öffentlicher Funktion begangene Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden.104 Die Regierungszeit Pinochets war geprägt von zahlreichen schweren Menschenrechtsverletzungen. Insbesondere wegen der Folterung Gefangener wurde die chilenische Regierung mehrfach von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen verurteilt. 1978, d.h. zwölf Jahre vor dem Ende der Militär101 Siehe Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), verfügbar unter: http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=2, letzter Zugriff am 14.04.2008. 102 Aus der reichhaltigen Kommentierung zum Congo v. Belgium Case siehe z. B.: Cassese, Antonio, EJIL 2002, S. 853–875; Dörr, Oliver, AVR 41 (2003), S. 201–219; Fischer-Lescano, Andreas/Teubner, Gunther: Regime-Kollisionen, S. 119 f.; Kreß, Claus, GA 2003, S. 25–43; ders, ZStW 114 (2002), S. 818–849; Maierhöfer, Christian, EuGRZ 2003, S. 545–554; Schultz, Nikolaus, ZaöRV 62 (2002), S. 703–758; Weiß, Wolfgang, JZ 2002, S. 696–704; Wirth, Steffen, EJIL 2002, S. 877–893; Zeichen, Sigrid/Hebenstreit, Johannes, AVR 41 (2003), S. 182–200. 103 Vgl. Falk, Richard A.: Assessing the Pinochet Litigation: Whiter Universal Jurisdiction?, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 97, 98. 104 Vgl. ebd.
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junta, erließ die chilenische Regierung für alle Mitglieder des Militärs und der Sicherheitskräfte eine nationale (Selbst-)Amnestie für die vom 11. September 1973 bis zum 10. März 1978 begangenen Straftaten. Im Oktober 1998 begab sich Pinochet nach Großbritannien, um sich dort einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Etwa zur selben Zeit, am 14. Oktober 1998, beantragte der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón – gegen den ausdrücklichen Wunsch der spanischen Regierung – gem. Art. 16 EuAlÜbk die vorläufige Auslieferungshaft und schließlich am 25. November 1998 die Auslieferung Pinochets bei den britischen Behörden, woraufhin Pinochet in London festgenommen und unter Hausarrest gestellt wurde. Dies zog eine Welle von Strafanzeigen gegen Pinochet in etlichen europäischen Staaten, unter anderem auch in Belgien und Deutschland, nach sich.105 Während des folgenden, über ein Jahr währenden Hausarrests Pinochets in England war das House of Lords dreimal mit dem Fall Pinochet befasst, wobei sich die Richter aber auch in diesem Fall schwerpunktmäßig mit Fragen der Immunität Pinochets auseinandersetzten. Die erste Entscheidung des House of Lords vom 25. November 1998, in der eine Immunität des früheren chilenischen Staatsoberhauptes abgelehnt worden war, wurde durch Bescheid vom 17. Dezember 1998 wegen der Besorgnis der Befangenheit eines bei der ersten Entscheidung beteiligten Richters aufgehoben,106 da dieser seine Verbindungen zur Menschenrechtsorganisation Amnesty International verschwiegen hatte, welche ihrerseits als aktive Beteiligte in dem Berufungsverfahren zugelassen war. In der zweiten Sachentscheidung des House of Lords vom 24. März 1999 wurde eine Immunität des Ex-Diktators erneut verneint, allerdings schloss das House of Lords die Mehrzahl der Pinochet zur Last gelegten Straftaten als Grundlage für das Auslieferungsbegehren aus; zugelassen wurden nur die Fälle von Folter und Verschwörung zur Folter, die nach dem 8. Dezember 1988, d.h. dem Inkrafttreten der Anti-Folterkonvention in Großbritannien, begangen worden waren. Zu einer Auslieferung Pinochets an Spanien kam es indessen dennoch nicht, da diesem von englischen Medizinern Verhandlungsunfähigkeit attestiert worden war. Nach Pinochets Rückkehr nach Chile wurde zwar die nationale Amnestie aufgehoben und Pinochet im Januar 2001 von dem Untersuchungsrichter Juan Guzmán wegen der so genannten „Todeskarawane“, einer Sondereinheit des Heeres, die Ende 1973, d.h. unmittelbar nach dem Militärputsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, durch Chile gezogen war und gezielt Linksaktivisten aus den Gefängnissen geholt und ermordet hatte, angeklagt. Das 105 In Deutschland wurde am 03.11.1998 Strafanzeige gegen Pinochet erstattet, eine Zuständigkeit ergab sich dabei gem. § 7 I StGB aus dem passiven Personalitätsprinzip. 106 Aufhebungsbescheid des House of Lords vom 17.12.1998, abgedruckt in: Ahlbrecht/Ambos: Der Fall Pinochet(s), S. 139 ff.
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Strafverfahren wurde aber bereits im Juli 2001 und, nach einer erfolglosen Berufung, endgültig am 2. Juli 2002 eingestellt, da der damals 86-Jährige geistig nicht mehr in der Lage war, an einem Prozess teilzunehmen.107 Es ist bezeichnend für die Probleme des internationalen Strafrechts, dass selbst einer der bekanntesten und wichtigsten Fälle dieses Rechtsgebietes nicht in einer Verurteilung geendet hat. Gerade bei staatsbezogener Delinquenz entsteht vielfach erst dann eine Bereitschaft, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn das fraglich Herrschaftssystem – auf welche Art auch immer – zu einem Ende gekommen ist. Dies ist problematisch, weil die Täter dann häufig sehr alt sein werden und vielfach das Ende des Verfahrens entweder nicht mehr erleben oder bereits zu Beginn gesundheitlich nicht in der Lage sein werden, dem Prozess zu folgen. Es hat aber auch etwas Skurriles, derartige Verfahren gegen altersschwache oder gar demente Greise zu führen. Überdies wird die Zeit auch an den Opfern und sonstigen Zeugen nicht spurlos vorbeigegangen sein, so dass auch insoweit nur von einem Wettlauf gegen die Zeit gesprochen werden kann. Zu bedenken ist allerdings, dass selbst Verfahren gegen alte und kranke Täter aus Opferschutzgesichtspunkten sinnvoll sein können. Denn durch den Schuldspruch des Täters wird dem Opfer attestiert, dass ihm nicht ein zeitgeschichtliches Unglück widerfahren, sondern dass ihm Unrecht angetan worden ist.108 Der Schuldspruch – wenn es denn zu einem solchen kommt – kann somit auch dann eine Bedeutung haben, wenn der Täter die Strafe nicht verbüßen muss, etwa weil er zu alt oder zu krank ist.109 Zu bedenken ist des weiteren aber auch, dass, wenn Strafverfahren häufig erst nach dem Machtverlust der Täter eingeleitet werden, Täter aus Staaten mit einem stabilen, d.h. nicht radikal wechselnden Herrschaftssystem, weitaus seltener zur Verantwortung gezogen werden können. Um beim Beispiel Pinochet zu bleiben: Eine strafrechtliche Verfolgung der am Sturz der Regierung Allende beteiligten Mitglieder der CIA wegen Anstiftung oder Beihilfe zu den von Pinochet in diesem Zusammenhang begangenen Taten erscheint – auch wegen der stabilen Verhältnisse in den USA – zumindest äußerst unwahrscheinlich. (3) Die akzeptierteren Anwendungsfälle des Weltrechtsprinzips in Europa Andere Anwendungsfälle des Weltrechtsprinzips haben nicht in gleicher Weise für Furore und/oder Kritik gesorgt, wie die Verfahren gegen Pinochet 107 FAZ.NET: Verfahren gegen Ex-Diktator Pinochet endgültig eingestellt, Meldung vom 02.07.2002; verfügbar unter: http://www.faz.net/s/homepage.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 108 Neubacher, Frank, NJW 2006, S. 966, 969. 109 Ebd.
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und Yerodia. Es wäre daher falsch anzunehmen, dass die strafrechtliche Verfolgung fremder Staatsangehöriger auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips immer oder zumindest typischerweise als unerwünschte Einmischung in fremde Angelegenheiten verstanden würde.110 So sind beispielsweise die Verurteilungen serbischer Kriegsverbrecher durch deutsche Gerichte sowie die Verfahren gegen ruandische Flüchtlinge wegen im Rahmen des Genozids in Ruanda begangener Verbrechen vor belgischen Gerichten weltweit auf große Zustimmung gestoßen.111 Ruanda, Ghana, Togo, Tansania und Frankreich ließen sogar belgische Ermittlungen auf ihrem Territorium zu,112 um die Durchführung der Strafverfahren in Belgien zu erleichtern. Zu beachten ist indessen, dass es sich bei diesen Fällen vorrangig um Verfahren handelt, die auch nach dem bedingten Weltrechtsprinzip zulässig gewesen sind, da sich die jeweiligen Täter freiwillig in dem entsprechenden Gerichtsstaat aufgehalten haben. Zudem kooperierten Belgien und Deutschland uneingeschränkt mit dem ICTR bzw. ICTY und achteten deren primäre Zuständigkeit, indem sie auf Verlangen Verdächtige an das jeweilige Ad-hoc-Tribunal auslieferten. Außerdem ist es einsichtig, dass es etwa den deutschen Ermittlungsbehörden zugestanden werden muss, gegen mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn bekannt geworden ist, dass diese sich von ihren Kriegseinsätzen bei serbischen Landsleuten in Deutschland erholen.113 Kein Staat darf gezwungen sein, fremde Kriegsverbrecher zu beherbergen, ohne die Möglichkeit zu haben, diese wegen ihrer Taten zur Verantwortung zu ziehen. Überdies ist zu betonen, dass die deutschen Gerichte bis zur Einführung des VStGB ausschließlich das bedingte Weltrechtsprinzip angewendet haben. So wurde in jedem Einzelfall unter dem Blickwinkel des Nichteinmischungsgebots geprüft, ob die Anknüpfungspunkte ausreichend waren und völkerrechtliche Hindernisse gegen die Erstreckung des nationalen Strafrechts auf die von einem Ausländer im Ausland begangenen Straftaten nicht bestanden.114 Entsprechendes gilt im Wesentlichen für die belgischen Strafverfahren wegen Massakern in Ruanda, da fast ausschließlich Taten angeklagt wurden, bei denen sich der mutmaßliche Täter in Belgien aufhielt oder das Opfer Belgier war.115 110 Macedo, Stephen (Einleitung), in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 1, 3. 111 Zustimmung hat die Verfolgung jugoslawischer Völkermörder auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfahren, vgl. Jorgic v. Germany, Judgement of 12 July 2007 (74613/01), insbesondere § 66–72, verfügbar unter: http://www. echr.coe.int/echr, letzter Zugriff am 14.04.2008. 112 Reydams, Luc, JICJ 1.2 (2003), S. 428–436. 113 Roggemann, Herwig, NJW 1994, S 1436. 114 Vgl. nur: BayObLG NJW 1998, S. 392 (Anwendbarkeit deutschen Rechts auf Mord in Jugoslawien). 115 Vandermeersch, Damien, JICJ 3.2 (2005), S. 400–421.
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Die Beziehungen zwischen Belgien und Ruanda waren zudem aufgrund der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit besonders eng und vielschichtig.116 Viele in Belgien lebende ruandische und belgische Staatsangehörige hatten Verwandte und Freunde in Ruanda. 1994 flohen Hunderte – Hutu und Tutsi – nach Belgien, d.h. vielfach waren sowohl Täter als auch Opfer und damit Zeugen in Belgien anwesend. Zudem konnten die mutmaßlichen Täter aufgrund eines fehlenden Auslieferungsvertrages zwischen Belgien und Ruanda nicht an ihren Heimatstaat ausgeliefert werden, so dass Belgien nur die Möglichkeit blieb, die Strafverfahren selbst durchzuführen, wenn es die Straflosigkeit der Täter nicht hinnehmen wollte. Interessant ist indessen, dass zumindest in dem ersten und bekanntesten belgischen Verfahren wegen des Völkermordes in Ruanda keiner der vier Täter wegen Völkermordes oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern alle Täter nur wegen der eindeutiger gegebenen Kriegsverbrechen verurteilt worden sind.117 Angemerkt sei an dieser Stelle schließlich, dass problematischere Entscheidungen als die eben genannten wie etwa die der spanischen Audiencia Nacional im Fall Scilingo nicht wegen der Anwendung des Weltrechtsprinzips an sich, sondern vor allem wegen der Art und Weise, wie dies getan wurde, kritisiert worden sind.118 So lag etwa das Problem im Scilingo-Fall insbesondere darin, dass eine Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips im spanischen Recht nur für Genozid und Terrorismus sowie für alle anderen Verbrechen, für die Spanien aufgrund internationaler Verträge eine Pflicht zur strafrechtlichen Verfolgung übernommen hat, explizit vorgesehen ist, Scilingo aber die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt wurde.119 cc) Verfahren in nicht-europäischen Gerichten Auf anderen Kontinenten ist die Anwendungspraxis des Weltrechtsprinzips bislang noch wesentlich restriktiver als in Europa. Bei den im Folgenden dargestellten Beispielen handelt es sich daher auch um noch wenig aussagekräftige Einzelfälle, die allenfalls als erste Ansätze bezeichnet werden können. Indessen ist festzuhalten, dass das Verfahren gegen Hissène Habré im Senegal zumindest 116 Die offizielle Aufspaltung der ruandischen Bevölkerung in ethnische Gruppen war in den 30er Jahren durch die belgische Kolonialmacht vorgenommen worden. Zu Beginn des Völkermordes wurden 25 Belgier in Ruanda aufgrund ihrer Nationalität ermordet, unter ihnen Entwicklungshelfer und zehn Mitglieder der UN Peacekeeping Force, vgl. hierzu etwa Vandermeersch, Damien, JICJ 3.2 (2005), S. 400–421; Reydams, Luc, JICJ 1.2 (2003), S. 428–436. 117 Ebd. 118 Vgl. zu den Schwächen der Scilingo-Entscheidung etwa: Gil Gil, Alicia, JICJ 3.5 (2005), S. 1082–1091; Pinzauti, Giulia, JICJ 3.5 (2005), S. 1092–1105; Tomuschat, Christian, JICJ 3.5 (2005), S. 1074–1081. 119 Vgl. hierzu etwa Tomuschat, Christian, JICJ 3.5 (2005), S. 1074–1081, 2.–3.
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das Potential hat, zu einer wegweisenden Entscheidung, nicht nur für die Anwendungspraxis des Weltrechtsprinzips in Afrika, sondern für das gesamte internationale Strafrecht zu werden. (1) Das Verfahren gegen Imre Finta in Kanada In den mittlerweile fast 20 Jahren, in denen in Kanada eine strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips möglich ist, gab es noch nicht eine Verurteilung. 1992 wurde in Kanada allerdings Imre Finta, ein kanadischer Staatsangehöriger ungarischer Abstammung, wegen seiner Beteiligung an der Deportation ungarischer Juden während des Dritten Reiches angeklagt, aber vom kanadischen Supreme Court mit der Begründung freigesprochen, dass der Anklage der Nachweis, dass die von Finta begangenen Verbrechen zum Tatzeitpunkt sowohl nach internationalem als auch nach ungarischem Recht strafbar gewesen seien, nicht geglückt sei.120 Finta hatte angeführt, dass er sich strikt an ein ungarisches Gesetz gehalten habe, das die Deportation ungarischer Juden vorgeschrieben habe.121 Zudem konnte nach der Überzeugung des kanadischen Supreme Court nicht nachgewiesen werden, dass Finta gewusst habe, dass seine Handlungen objektiv im Licht der Tatsachen und Umstände betrachtet als inhuman angesehen würden.122 Diese Entscheidung des kanadischen Supreme Court zeigt sehr schmerzlich, zu welchen Ergebnissen eine konsequente Anwendung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und damit des Grundsatzes nulla poena sine lege führen kann. Es gehört zu den schwierigsten Konflikten insbesondere der frühen Fälle des internationalen Strafrechts, dass eine gerechte Entscheidung kaum auf gerechte Weise herbeigeführt werden kann. (2) Das Verfahren gegen Hissène Habré im Senegal Hinsichtlich relevanter Fälle in Afrika verdient das Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten des Tschad, Hissène Habré, im Senegal besondere Beachtung. Wie auch Pinochet war Hissène Habré nicht nur mit Hilfe der CIA an die Macht gekommen, sondern wurde auch während seiner Amtszeit von 1982 bis 1990 kontinuierlich von westlichen Staaten, insbesondere den USA und 120 Kirby, Michael: Universal Jurisdiction and Judicial Reluctance, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 240, 262. 121 Ebd. 122 Slaughter, Anne-Marie: Defining the Limits: Universal Jurisdiction and National Courts, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 168, 174.
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Frankreich, protegiert, die in ihm ein Bollwerk gegen Libyens Muammar alGaddafi sahen. Die Diktatur Habrés war gekennzeichnet von umfassenden Gräueltaten. Habré ging dabei periodisch gezielt gegen verschiedene ethnische Gruppen, wie etwa die Sara (1984), die Hajerai (1987) und die Zaghawa (1989) vor.123 Hierbei kam es wiederholt vor allem zu Massenhinrichtungen, Folter und Verschleppung ganzer Gruppen, wenn Habré befürchtete, dass die Anführer der jeweiligen Gruppen für ihn eine Gefahr darstellten.124 Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt, allgemein wird von etwa 40.000 politischen Morden und systematischen Folterungen ausgegangen.125 Nach dem Sturz seiner Regierung 1990 floh Habré nach Dakar (Senegal), wo er sich als „besonderer Gast der Regierung“ mit seinen drei Frauen niederließ und in Immobilien und andere Unternehmen investierte.126 1999 strengten nationale und internationale NGOs ein Verfahren gegen Habré im Senegal an. Die Antragsteller dokumentierten 97 Fälle politischer Morde, 142 Fälle von Folter, 100 Fälle von Verschwindenlassen und 736 willkürliche Festnahmen.127 Am 3. Februar 2000 stellte der Untersuchungsrichter Demba Kandji Habré unter Hausarrest und eröffnete ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Mittäterschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter.128 Kurz darauf entzog der senegalesische Präsident, Abdoulaye Wade, Richter Kandji aber das Verfahren und das Gericht erklärte seine Unzuständigkeit für extraterritoriale Folterfälle, da eine entsprechende Regelung im nationalen Recht fehle, weil die Anti-Folterkonvention nicht in senegalesisches Recht transformiert worden sei und die Normen der Anti-Folterkonvention nicht selfexecuting seien.129 Der senegalesische Supreme Court bestätigte diese Entscheidung vom 4. Juli 2000 am 20. März 2003.130 Noch vor Beginn des Verfahrens gegen Habré im Senegal hatte aber eine andere Gruppe von Opfern in Belgien Klage gegen Habré erhoben. Aufgrund politischen Drucks gab der Senegal daher einem UN-Ersuchen statt, Habré in der Zeit eines rechtshängigen Auslieferungsverfahrens festzuhalten.131 Ein bel123 Human Rights Watch: The Case against Hissène Habré, an ,African Pinochet‘, verfügbar unter: http://hrw.org/justice/habre/, letzter Zugriff am 14.04.2008. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 Vgl. Marks, Stephen P.: The Hissène Habré Case: The Law and Politics of Universal Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 131, 135. 127 Ebd. 128 Ebd. 129 Vgl. umfassend und kritisch hierzu: ebd., S. 131 ff. 130 Ebd. 131 Vgl. Human Rights Watch: Hintergrund zu Hissène Habré, verfügbar unter: http://hrw.org/german/docs/2005/07/11/chad11311.htm, letzter Zugriff am 14.04. 2008.
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gischer Richter und ein Polizeiteam reisten im Jahr 2002 in den Tschad, wo sie Opfer und Amtsträger der Habré-Jahre befragten, frühere Gefängnisse besuchten und die von Human Rights Watch entdeckten Unterlagen von Habrés gefürchteter politischer Polizei entgegennahmen.132 Die Rechtssache wurde nicht durch die Abschaffung des Weltrechtsprinzips in Belgien 2003 berührt, da die Ermittlungen bereits begonnen hatten und überdies drei Kläger belgische Staatsangehörige waren, so dass eine Zuständigkeit der belgischen Gerichte auch nach der neuen Gesetzeslage gegeben war. Am 19. September 2005 erließ der ermittelnde Richter des Amtsgerichts Brüssel, Daniel Fransen, einen internationalen Haftbefehl gegen Habré wegen Menschenrechtsverletzungen und beantragte seine Auslieferung.133 Im Mai 2006 stellten die Vereinten Nationen dem Senegal ein Ultimatum zur Auslieferung Habrés an Belgien, woraufhin der Vorsitzende der Afrikanischen Union, der nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo, dem der Senegal die Entscheidungsbefugnis übertragen hatte, im Juli 2006 entschied, dass Habré im Senegal vor Gericht gestellt werden solle. 2007 wurde im Senegal die Gründung eines Sondergerichts für das Verfahren gegen Hissène Habré beschlossen, das mit französischer sowie möglicherweise weiterer internationaler Hilfe aufgebaut werden soll. Die Vorzeichen für ein unabhängiges, faires und ergebnisoffenes Verfahren könnten sicherlich besser sein. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass dies Afrikas erster bedeutender Fall der Anwendung des Weltrechtsprinzips werden könnte. So wird Habré auch bereits als „Pinochet Afrikas“ bezeichnet.134 Indessen wird der Senegal sich anstrengen müssen, um seinem guten Ruf als Unterstützer des ICCs und als Staat mit einem der unabhängigsten Rechtssysteme im postkolonialen Afrika (wieder) gerecht zu werden.135 c) Schlussbemerkungen Abschließend ist festzuhalten, dass die Staatenpraxis weiterhin sehr ambivalent und noch in einem Entwicklungsprozess begriffen ist. Zwar ist im Zuge des Implementierungsprozesses des Rom-Statuts eine zunehmende Unterstützung für das bedingte Weltrechtsprinzip zu verzeichnen, das absolute Weltrechtsprinzip scheint indessen bereits wieder im Rückzug begriffen zu sein. 132
Ebd. Amnesty International: Hissène Habré muss an Belgien ausgeliefert werden!, verfügbar unter: http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/0/286ae4b71e967b7fc125 70bb003ad017?OpenDocument, letzter Zugriff am 14.04.2008. 134 Vgl. etwa Human Rights Watch: The Case Against Hissène Habré, an ,African Pinochet‘, verfügbar unter: http://hrw.org/justice/habre/, letzter Zugriff am 14.04. 2008. 135 Marks, Stephen P.: The Hissène Habré Case: The Law and Politics of Universal Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 131, 160. 133
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Überdies sind Staaten selbst bei der Anwendung des bedingten Weltrechtsprinzips noch sehr zurückhaltend und die wenigen Anwendungsfälle sorgen daher vielfach noch immer für großes Aufsehen. Die Zurückhaltung nationaler Gerichte ist indessen verständlich. Nicht nur standen und stehen der Weltrechtspflege vielfach Souveränitätserwägungen entgegen, das Betreiben von Strafrechtspflege auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips ist für den agierenden Staat oft auch mit erheblichen politischen – aber auch finanziellen – Kosten verbunden. Die Weltrechtspflege bringt häufig diplomatische Spannungen bis hin zur Konfrontation mit sich, das eigene Rechtssystem wird mit „fremden“, häufig hoch komplexen und problematischen Fällen be- oder sogar überlastet und führt überdies vielfach zu nationalen Kontroversen.136 So können Strafverfahren wegen in fernen Ländern begangenen Taten allein aufgrund der ggf. anfallenden Reisekosten, benötigten Übersetzungen und Sicherheitsproblemen extrem schwierig und teuer sein.137 Wie komplex und umfangreich solche Verfahren sein können, zeigt bereits das Ausmaß der Strafanzeige gegen Donald Rumsfeld u. a. in Deutschland, die fast 400 Seiten umfasst. Zudem sind die außenpolitischen Folgen derartiger Strafverfahren kaum absehbar. Staaten sind daher besonders zurückhaltend, wenn sie ihre Strafgewalt nur auf das Weltrechtsprinzip stützen können und berufen sich nur äußerst selten ausschließlich auf diesen Grundsatz. Einige Fälle, die häufig im Rahmen des Weltrechtsprinzips diskutiert werden, wie z. B. das Verfahren gegen Pinochet in Spanien oder der Prozess gegen Eichmann in Israel, sind daher auch unter dem Gesichtspunkt des passiven Personalitätsprinzips von Bedeutung. So begann etwa das spanische Auslieferungsersuchen mit einer Berufung auf das passive Personalitätsprinzip, und auch nach der Konkretisierung und Erweiterung der Anklage wurde der Umstand, dass unter den Opfern Pinochets auch spanische Staatsangehörige waren, weiter als Begründung für ein legitimes Interesse Spaniens an der Strafverfolgung des ExDiktators angeführt.138 Im Verfahren gegen Eichmann in Israel ging es zudem genauso um nationale wie um internationale Gerechtigkeit.139 Hinzu kommen weitere Faktoren, die ein Strafverfahren gegen fremde Staatsangehörige wegen extraterritorialer Menschenrechtsverletzungen wenig attraktiv machen. Insoweit sei nur noch einmal darauf hingewiesen, dass der Angeklagte häufig (wenn auch nicht immer) alt sein wird, die Verbrechen vielfach vor lan136
Ebd. Tomuschat, Christian, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS-Steinberger, S. 315, 333. 138 Vgl. hierzu: De Greiff, Pablo: Comment: Universal Jurisdiction and Transitions to Democracy, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 121, 122. 139 Ebd. 137
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
ger Zeit und weit weg geschehen und die Opfer fremde Staatsangehörige sein werden, die mit der Gerichtssprache und den Verfahrensabläufen wenig oder gar nicht vertraut sind.140 Die Verfolgung internationaler Verbrechen auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips erfordert somit neben einer großen Bereitschaft, sich etwaigem politischen Druck zu stellen und das eigene Justizsystem auf dem Prüfstand zu sehen, vor allem auch erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen seitens des die Weltrechtspflege betreibenden Staates. 2. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip im Völker(vertrags)recht Hinsichtlich der Strafverfolgung von Piraten ist das bedingte Weltrechtsprinzip seit Jahrhunderten völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Jeder Staat, der eines Piraten habhaft wurde, hat das Recht gehabt, diesen vor Gericht zu stellen.141 Überdies beschränken sich völkerrechtliche Verträge, die eine Aut-dedere-aut-judicare-Bestimmung enthalten, nicht darauf, ein Recht zur Anwendung des Weltrechtsprinzips festzuschreiben, sondern etablieren zugleich eine Verpflichtung, dies zu tun, oder den mutmaßlichen Täter an einen anderen Staat auszuliefern, der willens und in der Lage ist, das Strafverfahren durchzuführen. Das bedingte Weltrechtsprinzip ist somit – zumindest für bestimmte Verbrechen – als Basis nationaler Strafgewalt völkerrechtlich allgemein anerkannt. Dagegen lässt sich weder dem Völkergewohnheitsrecht noch dem einschlägigen Völkervertragsrecht entnehmen, ob das Völkerrecht auch Strafverfahren in absentia auf der Grundlage des absoluten Weltrechtsprinzips gestattet. So kann jedenfalls aus der Verpflichtung, einen mutmaßlichen Täter strafrechtlich zu verfolgen, sofern sich dieser im eigenen Staatsgebiet aufhält (der Grundsatz aut dedere aut judicare) nicht abgeleitet werden, dass im Fall der Abwesenheit des mutmaßlichen Täters kein Recht bestehe, ein Verfahren einzuleiten.142 Diese Einschätzung wird gestützt durch das Sondervotum von drei IGH-Richtern im Fall Congo v. Belgium, die in ihrer abweichenden Stellungnahme die Ansicht vertreten haben, dass die Tatsache, dass das Völkerrecht die Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips nicht explizit verbietet, zu der Schlussfolgerung führe, dass es Staaten freistehe, diese Version des Weltrechtsprinzips anzuwenden.143
140 Kirby, Michael: Universal Jurisdiction and Judicial Reluctance, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 240, 150. 141 Cassese, Antonio, EJIL 2002, S. 853, 857–868. 142 Kreß, Claus, ZStW 114 (2002), S. 818, 831, 840. 143 Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans, Buergenthal, IGH, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), 14.02.2002,
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Als Argument für diese Ansicht verweisen die IGH-Richter auf die berühmte Lotus-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (StIGH).144 Im Lotus-Fall von 1927 ging es dabei um einen Streit zwischen der Türkei und Frankreich über die Frage der Strafgewalt über auf hoher See begangener Verbrechen. Der StIGH postulierte in dieser berühmten Entscheidung im Hinblick auf die Grenzen nationaler Jurisdiktion, dass ein Staat nur nicht berechtigt sei, seine Macht auf dem Territorium eines anderen Staates auszuüben, darüber hinaus beständen keine festen Grenzen. Es sei indessen angemerkt, dass eine andere Argumentation als die vom StIGH im Lotus-Fall geführte erforderlich ist, wenn – wie etwa von Seiten des Kongos im IGH-Fall Congo v. Belgium angeführt – die Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips fundamentale Prinzipien des Völkerrechts verletzt. Diese Frage soll daher im Rahmen des folgenden Abschnitts Berücksichtigung finden. 3. Vorzüge und Schwächen des absoluten Weltrechtsprinzips Die Vorzüge des absoluten Weltrechtsprinzips liegen klar auf der Hand: Wenn jeder Staat das Recht hat, alle (mutmaßlichen) Täter bestimmter internationaler Verbrechen unabhängig von dem Vorliegen weiterer Voraussetzungen strafrechtlich zu verfolgen, so ist kein Täter vor einer Verurteilung und letztlich Bestrafung sicher. Das absolute Weltrechtsprinzip kann somit ein hoch effizientes und effektives Mittel im Kampf gegen die Straffreiheit der Täter internationaler Verbrechen sein. So hat auch Mary Robinson, United Nations High Commissioner for Human Rights von 1997 bis 2002, die besondere Bedeutung des Weltrechtsprinzips für den internationalen Menschenrechtsschutz hervorgehoben und dieses als essentielles Mittel zur Beendigung der Straffreiheit in Fällen schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen gewürdigt.145 Zugleich verleiht das absolute Weltrechtsprinzip dem die Weltrechtspflege betreibenden Staat aber auch eine immense Machtfülle, denn es autorisiert ihn, seine Strafgewalt – bzgl. bestimmter internationaler Verbrechen – über jede Person und jede Situation auf der Welt auszuüben, und zwar ohne dass auch nur der geringste Anknüpfungspunkt zwischen der Tat bzw. dem Täter und dem Gerichtsstaat bestehen muss. Obwohl argumentiert werden kann, dass gerade dies der größte Vorteil des absoluten Weltrechtsprinzips sei, ist es zugleich aber auch seine größte Schwäche. Denn nur sehr wenige Staaten verfügen über das erforderliche starke Rechts- und Justizsystem, ganz zu schweigen von den benötigten Tz. 46; verfügbar unter: http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=3&k=36& case=121&code=cobe&p3=4, letzter Zugriff am 14.04.2008. 144 Ebd., Tz. 49. 145 Robinson, Mary, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 15.
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finanziellen, personellen und institutionellen Ressourcen, um ein Strafverfahren, das keinen Bezug zum eigenen Land aufweist, durchzuführen. Die zentrale Befürchtung ist daher, dass das absolute Weltrechtsprinzip die Ungleichheit zwischen Staaten noch steigern und einem Missbrauch aus politischen Gründen Tür und Tor öffnen könnte. Zudem wird vertreten, dass das absolute Weltrechtsprinzip das Menschenrecht auf ein faires, unabhängiges Strafverfahren verletzen würde. a) Strafverfahren in absentia und das Menschenrecht des Angeklagten auf ein faires Verfahren Wie spätestens die internationalen Reaktionen auf den Eichmann-Fall gezeigt haben, kann die Entführung eines Verdächtigen in einem fremden Staat kein geeignetes Mittel zur Begründung von Strafgewalt sein,146 sondern verstößt eklatant gegen das völkerrechtliche Prinzip der territorialen Souveränität. Es stellt sich daher die Frage, ob Strafverfahren in einem Staat dann zulässig sein können, wenn sich der mutmaßliche Täter nicht in diesem Staat aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. Insbesondere von US-amerikanischen Autoren wird vertreten, dass Strafverfahren in absentia eine schwere Verletzung des Menschenrechts auf ein faires Strafverfahren darstellten. Nach dem nationalen Recht vieler Staaten mit kontinentaleuropäischem Rechtssystem – wie z. B. Frankreich und Belgien – sind Strafverfahren in absentia dagegen generell zulässig. Grund für diese Regelung ist, dass dem Angeklagten nicht die Möglichkeit gegeben werden soll, die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit zu vereiteln, indem er sich entscheidet zu fliehen, anstelle sich dem Strafverfahren zu stellen.147 Zudem wird der Angeklagte in Staaten, in denen auch die für den Angeklagten sprechenden Beweise von Ermittlungsrichtern oder der Staatsanwaltschaft gesammelt werden müssen, durch eine Weiterführung des Verfahren in absentia – zumindest dem Prinzip nach – auch nicht benachteiligt.148 Das Verbot von Strafverfahren in absentia ist somit jedenfalls kein universell anerkanntes Element des fair trial. In Deutschland darf indessen gem. § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung grundsätzlich nur gegen einen anwesenden Angeklagten durchgeführt werden. Eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist nur in wenigen Ausnahmefällen zulässig,149 von denen in der Praxis überdies nur selten 146 Damrosch, Lori F.: Comment: Connecting the Threads in the Fabric of International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 91, 96. 147 Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 401. 148 Ebd. 149 Siehe insbesondere §§ 231 II, 231a, 231b, 232, 247 StPO.
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Gebrauch gemacht wird.150 Das Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung wird dabei als ein aus Art. 103 Abs. 1 GG fließendes, essentielles Recht, das unverzichtbar zu einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren gehört, angesehen und die Ausnahmen deshalb eng ausgelegt.151 Es soll daher auch hier von der Prämisse ausgegangen werden, dass die Anwesenheit des Angeklagten vor Gericht ein sinnvolles und notwendiges Element eines fairen Verfahrens ist. Selbst unter Zugrundelegung dieser Prämisse ist indessen zu beachten, dass ein Prozess in absentia nicht gleichbedeutend ist mit der Strafgewalt in absentia basisierend auf dem absoluten Weltrechtsprinzip.152 Denn im zweiten Fall ist nicht zwangsläufig auch das Recht impliziert, den Angeklagten in absentia zu verurteilen, sondern nur die Möglichkeit, ein Strafverfahren einzuleiten, obwohl sich der Angeklagte nicht auf dem Territorium des Gerichtsstaates befindet.153 Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Einleitung eines Strafverfahrens, und vor allem das Sammeln von Beweisen sowie ggf. die Beantragung und der Erlass eines Haftbefehls trotz Abwesenheit des Verdächtigen ein nachfolgendes Gerichtsverfahren überhaupt erst ermöglichen kann.154 Zudem würde hier auch das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit bei der Hauptverhandlung nicht verletzt, da dieses Recht sowieso nie einen Anspruch darauf vermittelt, an allen (Eingangs- und Vorbereitungs-) Phasen des Strafverfahrens beteiligt zu sein. Bedenklich bleibt indessen, dass, sofern man gerichtliche Strafprozesse in absentia für unzulässig erachtet und der Angeklagte nie das Territorium des gegen ihn ermittelnden Staates betritt, höchstwahrscheinlich eine Situation eintreten wird, in der Staatsanwälte und Richter Hunderte oder gar Tausende von Fällen untersuchen, die nie zu einer Verurteilung führen werden,155 und dies häufig sogar von Anfang an wissen. Die Vorstellung, dass Gerichte überall auf der Welt mit Strafverfahren befasst sein könnten, die niemals das Stadium der Hauptverhandlung erreichen werden, stellt – zumindest von einem pragmatischen Standpunkt aus – eine unglaubliche Verschwendung finanzieller und personeller Ressourcen dar. Zudem beinhaltet ein solches Szenario aber auch die Gefahr, dass andere Strafverfahren verzögert werden, weil Richter und Staatsanwälte mit Verfahren überlastet sind, die nie zu einer Verurteilung führen werden. Dies ist nicht nur problematisch, weil ein verzögertes Strafverfahren un150
Haller, Klaus/Conzen, Klaus: Das Strafverfahren, S. 105. Vgl. Beulke, Werner: Strafprozessrecht, Rn. 122. 152 Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans, Buergenthal, IGH, Arrest Warrant of 1 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), 14.02.2002, Tz. 66; verfügbar unter: http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=3&k=36& case=121&code=cobe&p3=4, letzter Zugriff am 14.04.2008; Schultz, Nikolaus, ZaöRV 62 (2002), S. 703, 728. 153 Ebd. 154 Cassese, Antonio, EJIL 2002, S. 853, 858. 155 Ders.: International Criminal Law, S. 290. 151
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zweifelhaft einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf ein faires Strafverfahren darstellen kann, sondern auch deshalb, weil das Vertrauen in ein Justizsystem beschädigt oder gar erschüttert werden kann, wenn die Strafverfolgungsbehören und insbesondere die Gerichte in zunehmendem Maße mit mehr oder weniger hypothetischen Fällen befasst und gleichzeitig gezwungen sind, ihre eigentlichen innerstaatlichen Aufgaben zu vernachlässigen. Im Ergebnis lässt sich somit sagen, dass, auch wenn das absolute Weltrechtsprinzip nicht per se das Recht eines Angeklagten auf ein faires Verfahren verletzt, dieses Prinzip doch – zumindest aus pragmatischen Erwägungen – nicht der beste und effektivste Weg zur Bekämpfung der Straffreiheit der Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen sein kann, da die Beendigung der Straffreiheit mutmaßlicher Täter nicht nur bedeutet, dass Strafverfahren eingeleitet werden, sondern auch, dass die Täter, sofern denn ihre Schuld festgestellt wird, verurteilt und bestraft werden. b) Die Gefahr des forum shopping und der gesteigerten Ungleichheit zwischen Staaten Ein zweites Argument gegen das absolute Weltrechtsprinzip hat unter dem Begriff des forum shopping große Aufmerksamkeit erregt. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Befürchtung, dass durch die Etablierung des absoluten Weltrechtsprinzips in einigen wenigen Staaten Opfer angezogen und dazu veranlasst werden könnten, dort Strafanzeige zu erstatten.156 Die Gefahr bei diesem Szenario liegt in einer gesteigerten Ungleichheit zwischen Staaten, die anderen ihre Regeln und Gesetze aufzwingen und womöglich zugleich Ausnahmen für sich in Anspruch nehmen, und Staaten, die diesen Regeln unterworfen sind, ohne selbst die politischen, rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zu haben, diesen Respekt auch von anderen einzufordern.157 D.h. es besteht die Besorgnis, dass das absolute Weltrechtsprinzip als Basis für eine Art hegemonistische Strafgewalt verstanden werden könnte, die es einigen wenigen westlichen Staaten ermögliche, über Menschen aus Entwicklungsländern zu richten,158 während für die Staatsangehörigen westlicher Staaten kein vergleichbares Risiko bestände. Die Argumentation, die unter dem Begriff des forum shopping zusammengefasst wird, ist somit im Kern nichts anderes als der bekannte Einwand gegen das internationale Strafrecht, Doppelstandards für die Staatsangehörigen reicher und armer Staaten zu kreieren.
156
Ebd., S. 289–290. Delmas-Marty, Mirelle: The ICC and the Interaction of International and National Legal Systems, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1915, 1922. 158 Summers, Mark A., BU Int’l LJ 21 (2003), S. 63–99, VI. B. 157
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Wie die Flut von Anzeigen, die Anfang der 90er Jahre in Belgien gegen nicht-belgische Staatsangehörige erstattet wurden, gezeigt hat, kann die Festschreibung des absoluten Weltrechtsprinzips in der Tat Opfer anziehen und so zu einer massiv gesteigerten Zahl von Strafverfahren gegen fremde Staatsangehörige und vor allem fremde Hoheitsträger führen. Zudem ist es offensichtlich, dass Entwicklungsländer, die häufig kaum in der Lage sind, schwere Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land strafrechtlich zu verfolgen, grundsätzlich nicht im Stande sein werden, Strafverfahren gegen im Ausland befindliche fremde Staatsangehörige durchzuführen, die verdächtigt werden, dort völkerstrafrechtliche Verbrechen begangen zu haben. Es ist daher zutreffend, dass arme Staaten und ihre Staatsangehörigen in der Regel immer die sein werden, über die gerichtet wird, und nie die, die richten. Dies ist bedenklich, da es impliziert, dass die Anerkennung des absoluten Weltrechtsprinzips in der Tat zwei Arten von Staaten kreiert: Die, die Urteile über alle Situationen fällen (können), die auf der Welt passieren, und jene, die dies nicht können. Das belgische Beispiel scheint indessen zumindest die zweite Vermutung zu widerlegen, dass die Staatsangehörigen westlicher Staaten nie auf der Grundlage des Universalitätsprinzips vor fremden staatlichen Gerichten angeklagt werden würden, da in Belgien Strafverfahren auch und gerade gegen (ehemalige) hochrangige Hoheitsträger westlicher Staaten und selbst gegen amtierende Hoheitsträger der letzten verbleibenden Supermacht, den USA, eingeleitet wurden.159 Indessen hat auch die umgekehrte Argumentation ihre Berechtigung, da die USA Belgien nicht nur dazu gezwungen haben, die eingeleiteten Verfahren einzustellen, sondern zudem auch das Recht, das zu strafrechtlichen Verfahren gegen die höchsten US-Würdenträger hätte führen können, abzuschaffen. Allerdings musste auch der belgische Haftbefehl gegen den ehemaligen Außenminister des Kongos, Abdoulaye Yerodia Ndombasi, nach der Entscheidung des IGH aufgehoben werden. Belgien führte sogar an, dass die Yerodia-Entscheidung des IGH inter alia ein Grund für die Rechtsänderung gewesen sei, da nach dieser Entscheidung die Änderung nötig gewesen sei, um Belgiens Festhalten an den fundamentalen internationalen Rechtsgrundsätzen über die amtliche Funktion bestimmter Individuen zu bekräftigen.160 Das belgische Beispiel ist daher nicht das Beste, um die Annahme der Etablierung von Doppelstandards für arme und reiche Staaten durch das absolute Weltrechtsprinzip zu stützen. Indessen kann die Gefahr, dass andere Staaten sich auf die in Entwick-
159 In Belgien wurden z. B. Strafverfahren eingeleitet gegen George Bush senior, George W. Bush, US-Vizepräsident Dick Cheney, US-Außenminister Colin Powell und die US-Generäle Schwarzkopf und Tommy Franks. 160 Vgl. Federal Public Service Foreign Affairs Belgium: The Law on Universal Jurisdiction reviewed, verfügbar unter: http://www.diplomatie.be/en/press/homedetails. asp?TEXTID=5943, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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lungsländern begangenen Verbrechen konzentrieren könnten, nicht geleugnet werden. Das belgische Beispiel ist aber auch insofern ungewöhnlich, als keine vergleichbare Flut von Anzeigen in anderen Staaten mit einer Festschreibung des absoluten Weltrechtsprinzips wie Spanien und Deutschland zu verzeichnen ist. Grund für diese unterschiedliche Entwicklung mag z. T. sein, dass die Normierung des absoluten Weltrechtsprinzips in diesen Staaten nicht denselben Bekanntheitsgrad erlangt hat wie die belgische Regelung. Entscheidend für die Entwicklung in Deutschland ist aber vor allem, dass hier extraterritoriale Verbrechen, die von einem Ausländer begangen werden und keinen Bezug zur Bundesrepublik aufweisen, nach dem Opportunitätsprinzip eingestellt werden können.161 Diese Einstellungsmöglichkeit sowie ihre Handhabung sind zwar, wie die Einstellungen der Verfahren gegen den (ehemaligen) Verteidigungsminister der USA Rumsfeld gezeigt haben, nicht unumstritten.162 Zu bedenken ist aber, dass diese Regelung deutsche Gerichte jedenfalls vor belgischen Verhältnissen schützt. Die Einschätzung, dass die Art und Weise, in der das absolute Weltrechtsprinzip in Belgien angewendet worden ist, schlicht exzessiv gewesen ist, ist zumindest schwer zu widerlegen. Kein Staat in der Welt hat ein Justizsystem, das stark genug wäre, um jede (schwere) Menschenrechtsverletzung, begangen irgendwo auf der Welt, zu verfolgen und zu verurteilen. Es ist daher nicht überraschend, dass, wie Reydams treffend dargelegt hat, eine deutliche Diskrepanz zwischen dem von der belgischen Legislative verfolgten Ziel und den offensichtlich fehlenden Kapazitäten im Bereich des belgischen Justizsystems bestanden hat, die letztlich sogar zu nicht zu rechtfertigenden Verzögerungen im Rahmen von Strafverfahren gegen bekannte und in Belgien anwesende ruandische Völkermörder geführt hat.163 Dieses Beispiel zeigt sehr schmerzhaft, dass die Festschreibung des absoluten Weltrechtsprinzips sogar zu der Straffreiheit von internationalen Verbrechen führen kann, die durch sie eigentlich verhindert werden sollte. Natürlich kann auch argumentiert werden, dass das belgische Vorgehen zu ambitioniert gewesen sei, und dass andere Staaten und ihre Strafverfolgungsorgane bei der Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips restriktiver vorgehen könnten. Dies wirft indessen die Frage auf, wie in Staaten, in denen trotz 161
Vgl. § 153f StPO. Siehe zur ersten Verfahrenseinstellung durch die Bundesanwaltschaft etwa Bothe, Michael/Fischer-Lescano, Andreas: Grenzenlos – Ein deutscher Prozess gegen US-Verantwortliche in Abu-Ghraib?, verfügbar unter: http://www.rav.de/infobrief95/ Bothe.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008; Fischer-Lescano, Andreas, KJ 2005, S. 72– 93. 163 Reydams, Luc: Universal Jurisdiction, S. 118. 162
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einer Festschreibung des absoluten Weltrechtsprinzips nicht bei jeder von Opfern erstatteten Strafanzeige ein entsprechendes Verfahren eingeleitet werden soll, die Fälle ausgewählt werden sollten, in denen Verfahren durchgeführt werden. Weder eine willkürliche Auswahl noch eine Selektion nach politischen Gesichtspunkten wäre im Interesse der Gerechtigkeit. Insoweit wird vertreten, dass Selektivität vermieden werden könne, wenn die staatlichen Strafverfolgungsorgane vollständige Unabhängigkeit von der jeweiligen staatlichen Exekutive erhalten würden.164 Dies mag zutreffen, zu bedenken ist indessen, dass durch einen Ausschluss der Selektivität noch nicht das Kapazitätsproblem gelöst wäre. Da aber, wie das belgische Beispiel deutlich gezeigt hat, kein Staat in der Lage ist, alle an ihn herangetragenen Verbrechen zu verfolgen, wären auch unabhängige staatliche Strafverfolgungsorgane vielfach gezwungen, in irgendeiner Weise eine Auswahl zu treffen. Auch die deutsche Regelung bietet dafür keine überzeugende Lösung, zumal hier auch hinsichtlich einer evident erforderlichen Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden Bedenken bestehen, da das deutsche Recht in § 147 GVG Weisungen des Justizministers an den Generalbundesanwalt zulässt, die dessen Ermessensentscheidung über die Verfolgung von Völkerrechtsdelikten betreffen, und deren Gegenstand die Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik sein kann.165 Politische Einflussnahme auf Ermittlungen ist daher auch in Deutschland keine rein theoretische Gefahr.166 Selbst wenn die deutschen Strafverfolgungsorgane indessen völlig unabhängig wären, so wird durch die deutsche Regelung doch nur festgelegt, dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren insbesondere dann einstellen soll, wenn die Tat außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der StPO und nicht gegen einen Deutschen begangen wurde und sich der (nicht-deutsche) Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist und die Tat vor einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird. Völlig offen gelassen wird dagegen, ob und wann in allen anderen Fällen eine Einstellung erfolgen sollte. Auch unabhängige Strafverfolgungsorgane müssten somit vielfach eine eigene Entscheidung treffen. Nach welchen Kriterien wird aber vom deutschen Gesetzgeber nicht gesagt. Zu bedenken ist schließlich auch, dass durch diese Regelung – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – das bedingte Weltrechtsprinzip quasi durch die Hintertür wieder eingeführt worden ist, da letztlich vielfach doch wieder der Aufenthalt des Täters oder zumindest dessen bevorstehende Möglichkeit entscheidend sein wird. 164 165 166
Keller, Rainer, GA 2006, S. 25. Vgl. hierzu auch ebd. S. 34. So auch Haller, Klaus/Conzen, Klaus: Das Strafverfahren, S. 56.
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Fraglich ist daher letztlich, ob das absolute Weltrechtsprinzip überhaupt funktionieren kann. Das Erfordernis eines legitimierenden Anknüpfungspunktes zwischen dem die Strafverfolgung betreibenden Staat und dem mutmaßlichen Täter bzw. seiner Tat, wie es nach dem bedingten Weltrechtsprinzip der Fall ist, begründet dagegen ein sinnvolles und vor allem auch objektives Kriterium zur Begründung von Strafgewalt. c) Die Gefahr politisch beeinflusster Richter In der Diskussion um einen möglichen Missbrauch des absoluten Weltrechtsprinzips ist insbesondere die Befugnis nationaler Strafrichter, Haftbefehle selbst gegen hochrangige Hoheitsträger fremder Staaten erlassen zu können, mit Besorgnis betrachtet worden.167 Federführender Gedanke ist die Befürchtung, dass Staaten durch politisch beeinflusste Richter unter Verletzung des Nichteinmischungsgrundsatzes in die internen Angelegenheiten anderer – in der Regel ärmerer und schwächerer – Staaten intervenieren könnten. Dieser Argumentationslinie ist zuzugestehen, dass es in der Tat hieße, die Augen vor der Realität zu verschließen, wenn man postulieren wollte, dass Gerichte überall auf der Welt unabhängig und unparteiisch seien, und selbst unabhängige Richter aus der sog. westlichen Welt sind in Fällen mit einem politischen Zwischenton häufig nicht gefeit vor national beeinflussten Gefühlen.168 Zudem kann nicht geleugnet werden, dass das Weltrechtsprinzip dazu geeignet wäre, die Weltordnung zu stören, wenn es aus politischen Gründen oder einfach um die Staatsoberhäupter oder sonstige Hoheitsträger fremder Staaten zu belästigen und zu drangsalieren, angewendet würde.169 Diese Argumentation greift allerdings nur, wenn der mutmaßliche Täter auch tatsächlich eine hochrangige Stellung innerhalb der Regierung, des Militärs etc. innehat, nicht aber bei rangniedrigen Militärs, untergeordneten Staatenvertretern oder gar Zivilisten.170 Zudem ist zu berücksichtigen, dass, solange Richter das internationale Immunitätenrecht achten, grundsätzlich kein Verfahren gegen amtierende staatliche Hoheitsträger wegen in öffentlicher Funktion begangener Taten eröffnet werden kann. Es ist daher wichtig, sauber zwischen der Strafgewalt eines Staates und der Zulässigkeit eines konkreten Verfahrens im Einzelfall zu unterscheiden. Die Möglichkeit eines politischen Missbrauchs kann somit durch adäquate Vorsorgemechanismen, wie einer vorbehaltlosen Garantie der richter167
Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 290. Tomuschat, Christian, JICJ 3.5 (2005), S. 1074–1081, 3. 169 Bassiouni, Cherif M.: The History of Universal Jurisdiction and Its Place in International Law, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 39. 170 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 291. 168
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lichen Unabhängigkeit, der unbedingten Achtung völkerrechtlicher Immunitätsregeln und der Gewährung des Vorrangs der auf dem Territorialitäts- und dem (aktiven) Personalitätsprinzip beruhenden Strafgewalt, minimiert werden.171 Allerdings ist das Vorliegen derartiger Vorsorgemechanismen zumindest bislang allenfalls in Ausnahmefällen gegeben. Als Beispiel einer offenen politischen Intervention der Exekutive in die richterliche Unabhängigkeit sei nur auf das Verfahren gegen Hissène Habré im Senegal verwiesen.172 Nachdenklich stimmt zudem die Einschätzung, dass selbst das deutsche Rechtssystem den hohen Anforderungen, die an eine vollständige Unabhängigkeit der die Weltrechtspflege betreibenden Amtsträger von Weisungen und Kontrollen der Exekutive zu stellen sind, nicht vollständig gerecht wird.173 Wenn nationale Gerichte aber nicht freigehalten werden können von nahe liegenden politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen der Exekutive, erübrigt sich die Frage, ob die Gefahr eines aus nationalen Gründen bedingt voreingenommenen oder zumindest beeinflussten Richters hingenommen werden könnte, um der Straffreiheit schwerer Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen. Denn eine von der Exekutive beeinflusste Selektion der Fälle, die vor den nationalen Gerichten verhandelt werden sollen, kann nie im Interesse der Gerechtigkeit sein. Zudem wird durch die Forderung nach einem unabhängigen Rechts- und Justizsystem sowie der Achtung des internationalen Immunitätenrechts etc. auch nicht die Frage beantwortet, wer diese Vorsorgemechanismen überwachen, durchsetzen und kontrollieren sollte. Wie der Fall Congo v. Belgium gezeigt hat, kann ein gewisses Maß an Schutz durch den IGH gewährt werden. Insoweit ist aber zu bedenken, dass weniger als ein Drittel aller Staaten eine obligatorische Gerichtsbarkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut anerkannt haben. Zudem haben viele Staaten ihre Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut mit unzähligen Vorbehalten und Einschränkungen versehen. Der IGH wird somit in den wenigsten Fällen je (wieder) eine Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten. Die einzige Autorität, die stets in der Lage wäre, die Implementierung entsprechender Vorsorgemechanismen zu betreiben und deren Einhaltung durch nationale Gerichte zu überwachen und durchzusetzen, ist somit der jeweilige Staat selbst, was indessen kaum als hinreichende Absicherung gegen politischen Missbrauch gewertet werden kann.
171
Schultz, Nikolaus, ZaöRV 62 (2002), S. 703, 734. Vgl. Marks, Stephen P.: The Hissène Habré Case: The Law and Politics of Universal Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 131, 144 f. 173 Vgl. hierzu umfassend: Keller, Rainer, GA 2006, S. 25, 37. 172
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d) Anmerkungen zur prozessualen Ausgestaltung des absoluten Weltrechtsprinzips in Deutschland Wie bereits dargestellt, haben deutsche Gerichte trotz der Aufnahme des absoluten Weltrechtsprinzips in § 1 VStGB nicht mit einer – der Situation in Belgien vergleichbaren – Flut von Strafanzeigen zu kämpfen gehabt. Grund für diese unterschiedliche Entwicklung in Belgien und Deutschland sind vor allem die prozessualen Regelungen, die in Deutschland die Einführung des absoluten Weltrechtsprinzips begleitet haben. aa) Die prozessuale Einbettung des Weltrechtsprinzips in Deutschland Grundsätzlich gilt in Deutschland für Taten, die außerhalb des Geltungsbereichs der StPO begangen werden § 153c StPO. Nach § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO steht es bei Auslandsstraftaten im Ermessen der Staatsanwaltschaft einzustellen oder anzuklagen. Für Taten, die nach dem VStGB strafbar sind, wird diese Regelung gem. § 153c Abs. 1 S. 2 StPO durch den neu eingefügten § 153f StPO modifiziert. Nach dieser Vorschrift besteht eine Ermittlungs- und Verfolgungspflicht auch für im Ausland begangene Völkerrechtsverbrechen, wenn sich der Beschuldigte im Inland aufhält oder ein solcher Aufenthalt zumindest zu erwarten ist.174 Ein Aufenthalt im Inland ist dabei bereits dann gegeben, wenn sich der Beschuldigte – freiwillig oder unfreiwillig – nur auf der Durchreise in Deutschland befindet,175 d.h. der Verdächtige muss hier weder seinen Lebensmittelpunkt haben noch sonst in einer näheren Beziehung zu Deutschland stehen; ausreichend ist allein die rein physische Anwesenheit des Verdächtigen. Für Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt somit, anders als sonst bei Auslandstaten, zumindest teilweise das Legalitätsprinzip, d.h. die Staatsanwaltschaft muss grundsätzlich ermitteln, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen.176 Ist die Staatsanwaltschaft dagegen überzeugt, dass der Täter nie das deutsche Staatsgebiet betreten wird, so ist sie gem. § 153f Abs. 1 StPO zur strafrechtlichen Verfolgung extraterritorialer Taten nur verpflichtet, wenn der Täter Deutscher ist und zudem nicht bereits von einem internationalen Gericht oder durch einen anderen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird. In allen anderen Fällen kann das 174 Vgl. Plöd, Johann M., in: Heintschel-Heinegg/Stöckel (Hrsg.): KMR Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 4. 175 Ebd. § 153f StPO, Rn. 8; Schoreit, Armin, in: Pfeiffer (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 5. 176 Bothe, Michael/Fischer-Lescano, Andreas: Grenzenlos – Ein deutscher Prozess gegen US-Verantwortliche in Abu-Ghraib?, verfügbar unter: http://www.rav.de/info brief95/Bothe.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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Verfahren eingestellt werden und zwar gem. § 153f Abs. 3 StPO selbst nach Eröffnung des Hauptverfahrens. § 15 Abs. 2 StPO legt bestimmte Kriterien fest, bei deren Vorliegen „insbesondere“ von der Verfolgung abgesehen werden „kann“. Darin soll – sprachlich unklar – zum Ausdruck kommen, dass in diesen Fällen aufgrund des Subsidiaritätsprinzips regelmäßig von einer deutschen Strafverfolgung abzusehen ist, sofern nicht Ausnahmesituationen vorliegen.177 Der Regierungsentwurf ging insoweit von einer „Soll-Verpflichtung“ aus, die Ersetzung von „soll“ durch „kann insbesondere“ dient lediglich der Klarstellung, dass vom Legalitätsprinzip keine Abstriche gemacht werden sollten.178 Von der Verfolgung soll somit gem. § 153f Abs. 2 S. 1 abgesehen werden, wenn a) kein Tatverdacht gegen einen Deutschen besteht (§ 153f Abs. 2 Nr. 1 StPO), b) die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde (§ 153f Abs. 2 Nr. 2 StPO), c) sich kein Tatverdächtiger im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist (§ 153f Abs. 2 Nr. 3 StPO) und d) die Tat von einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird (§ 153f Abs. 2 Nr. 4 StPO). Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.179 Dasselbe gilt gem. § 153f Abs. 2 S. 2 StPO zudem, wenn sich ein wegen einer im Ausland begangenen Tat beschuldigter Ausländer im Inland aufhält, aber die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 2 und 4 erfüllt sind, also die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde und von einem internationalen Gerichtshof oder einem nationalen Gericht mit vorrangiger Strafgewalt verfolgt wird, und die Überstellung an das internationale Gericht bzw. den die Strafverfolgung betreibenden Staat zulässig und beabsichtigt ist. Nach der Konzeption des § 153f StPO soll ein Verfahren somit grundsätzlich zumindest dann eingestellt werden, wenn sichergestellt ist, dass die Tat von einem anderen (internationalen oder nationalen) Gericht verfolgt wird und keinerlei Bezug zur Bundesrepublik aufweist. Sinn und Zweck der in § 153f Abs. 2 StPO getroffenen Regelung ist es, die Gefahr einer Überlastung der deutschen Strafverfolgungsorgane dadurch zu vermeiden, dass in weiten Bereichen, d.h. bei Fällen, die keinen Bezug zur BRD aufweisen, die deutschen Strafverfolgungsbehörden gehalten sind, ausländischen oder internationalen Strafverfolgungsbehörden den Vortritt zu lassen, während für Fälle mit Inlandsbezug an
177 Schoreit, Armin, in: Pfeiffer (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 5. 178 BT-Drucksache 14/8892. 179 Plöd, Johann M., in: Heintschel-Heinegg/Stöckel: KMR Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 12.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
der prinzipiellen Verfolgungspflicht nach dem Legalitätsprinzip festgehalten wird.180 Problematisch ist insoweit allerdings, dass nach dem Wortlaut des § 153f Abs. 2 Nr. 4 StPO die Einstellung unter anderem von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, dass ein Verfahren beim ICC durchgeführt wird, der Gerichtshof seine Strafgewalt nach Art. 17 Rom-Statut aber gerade nicht ausüben kann, wenn ein Staat ein Ermittlungsverfahren führt.181 Um eine gegenseitige Blockade zu vermeiden, soll es daher für die Einstellung nach § 153f StPO genügen, wenn die zuständigen nationalen Behörden, d.h. vor allem das Justizministerium und das Auswärtige Amt, gem. § 68 Abs. 2 Nr. 1 IStGH-Gesetz i.V. m. Art. 14 Rom-Statut den ICC ersuchen, den Fall zu übernehmen.182 Ob ein solcher Jurisdiktionsverzicht zugunsten des ICCs indessen im Einklang mit dem Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts steht, nach dem der ICC seine Strafgewalt grundsätzlich nur dann ausüben soll, wenn ein nationales Forum nicht zur Verfügung steht, erscheint zumindest dann zweifelhaft, wenn ein Ermittlungsverfahren oder gar ein Hauptverfahren bereits eingeleitet worden ist. Zudem könnte die Exekutive durch eine entsprechende Verweisung die Ermessensausübung des gem. § 120 Abs. 1 Nr. 8 i.V. m. § 142a Abs. 1 GVG zuständigen Generalbundesanwalts erheblich beeinflussen und damit ggf. sogar ein ungeliebtes Verfahren in Deutschland stoppen oder verhindern. Offen gelassen ist schließlich, wie die Fälle zu behandeln sind, die weder einen Bezug zur Bundesrepublik aufweisen, noch von anderen Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden. Nach § 153f Abs. 1 S. 1 StPO stehen diese im freien Ermessen der Staatsanwaltschaft. Das absolute Weltrechtsprinzip gilt in Deutschland somit nur bedingt, da nur in Fällen, in denen eine Zuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsorgane auch nach dem bedingten Weltrechtsprinzip bestünde oder zumindest eine Aussicht darauf gegeben wäre, für die deutschen Strafverfolgungsbehörden auch eine Verfolgungspflicht besteht. Die Festschreibung des absoluten Weltrechtsprinzips im deutschen Recht hat daher auch nicht dazu geführt, dass die Befassung der deutschen Strafverfolgungsbehörden mit einer angezeigten Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch in allen Fällen erzwungen werden kann, sondern es besteht nur die Möglichkeit der Verfolgung. Positiv formuliert nimmt das staatsanwaltliche Ermessen damit dem absoluten Weltrechtsprinzip aber auch – wie Zahar und Sluiter es ausdrücken – „seine scharfen Kanten“.183
180 OLG Stuttgart, NStZ 2006, S. 117, 118 f.; Meyer-Goßner, Lutz: StPO, § 153f StPO, Rn. 1; Schoreit, Armin, in: Pfeiffer (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 3. 181 Weßlau, Edda, in: Systematischer Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 14. 182 Ebd. 183 Zahar, Alexander/Sluiter, Göran: International Criminal Law, S. 502.
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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Insoweit sei aber darauf hingewiesen, dass in der Kommentierung zu § 153f StPO die Ansicht vertreten wird, dass geschichtliche oder anderweitig begründete besondere Ressentiments nach den Grundsätzen der Güterabwägung mit wichtigen Anliegen der Außenpolitik zu Verfahrenshindernissen führen können, die ggf. jeder Strafverfolgung entgegenstehen, wobei in einem solchen Fall sogar erforderlichenfalls eine Stellungnahme der Bundesregierung einzuholen sollen sei.184 Von einer unabhängigen Entscheidung der Strafverfolgungsorgane kann dann wohl kaum noch die Rede sein. bb) Letzte Bemerkungen zur Einstellung der Verfahren gegen Donald Rumsfeld u. a. durch die Bundesanwaltschaft Realistisch gesehen kann die Einstellung der Verfahren gegen Donald Rumsfeld u. a. im Februar 2005 und April 2007 kaum als unabhängige und frei von politischen Erwägungen getroffene Entscheidung der deutschen Strafverfolgungsorgane gesehen werden. Wohl auch weil nach dem belgischen Präzedenzfall absehbar gewesen ist, wie eine Konfrontation mit den USA voraussichtlich verlaufen wäre, und damit welche politischen Kosten mit einem solchen Strafverfahren verbunden gewesen wären, wird die Entscheidung, keine öffentliche Anklage gegen den (ehemaligen) Verteidigungsminister der USA zu erheben, daher auch als völlig verständlich angesehen.185 Auch wenn gut vertretbar ist, dass die erste Einstellung im Ergebnis – insbesondere aus Immunitätserwägungen – nicht zu beanstanden ist, so kann doch die vordergründige Berufung auf die Subsidiarität der deutschen Gerichtsbarkeit nicht überzeugen.186 Der Generalbundesanwalt hat es sich insofern bzgl. der Frage, ob eine Strafverfolgung in den USA gesichert sei, zumindest zu leicht gemacht.187 Der spezifische Vorwurf gegen Rumsfeld etc. bestand in der strafbaren Verletzung der Verantwortlichkeit von Befehlshabern, nicht in der Verletzung des Folterverbotes durch Subalterne; dass sich indessen die amerikanische Justiz hinsichtlich der Vorfälle in Abu Ghraib ernsthaft um die strafrechtliche Verantwortlichkeit höherer Befehlshaber gekümmert hätte, war auch zum Zeit184 Schoreit, Armin, in: Pfeiffer (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153f StPO, Rn. 3. 185 Zahar, Alexander/Sluiter, Göran: International Criminal Law, S. 502. 186 Vgl. die Entscheidung des Generalbundesanwalts vom 10.02.2005 keine deutschen Ermittlungen wegen der angezeigten Vorfälle in Abu Ghraib/Irak einzuleiten, JZ 2005, S. 311–312. 187 So bereits: Bothe, Michael/Fischer-Lescano, Andreas: Grenzenlos – Ein deutscher Prozess gegen US-Verantwortliche in Abu-Ghraib?, verfügbar unter: http:// www.rav.de/infobrief95/Bothe.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008; vgl. zur Kritik gegen die Entscheidung des Generalbundesanwalts vom 10.02.2005 und dem nachfolgenden Beschluss des OLG Stuttgart im Klageerzwingungsverfahren vom 13.09.2005 – S Ws 109/05 zudem Singelnstein, Tobias/Stolle, Peer, ZIS 2006, S. 118–122.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
punkt der ersten Einstellungsentscheidung nicht (ohne weiteres) ersichtlich, so dass jedenfalls eine nähere Begründung erforderlich gewesen wäre.188 Überdies ist auch die persönliche Immunität eines Verteidigungsministers nach der Entscheidung des IGHs im Fall Congo v. Belgium zumindest keine Selbstverständlichkeit, da in dieser Entscheidung nur zur persönlichen Immunität von Außenministern Stellung bezogen worden ist, so dass auch insofern weitere Ausführungen notwendig gewesen wären. Hinsichtlich der zweiten Einstellungsentscheidung vom April 2007 war eine entsprechend eindeutige, rechtliche Begründung der Einstellungsentscheidung wegen des Ausscheidens Rumsfelds aus dem Amt des Verteidigungsministers im Dezember 2006 und dem Erlass des Military Commissions Act im Oktober 2006, mit dem Folterbeschuldigten nachträglich Immunität gewährt worden war, ohnedies kaum noch möglich. Es ist daher auch bezeichnend, dass die Bundesanwaltschaft bei der zweiten Einstellungsentscheidung nur darauf verwiesen hat, dass aufgrund eines fehlenden Bezugs der angezeigten Taten zu Deutschland ein Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet werden müsse. Dies ist in Anbetracht der Regelung des § 153f StPO zwar nicht falsch, eine fundierte Ermessensentscheidung sieht indessen anders aus. Letztlich ist damit die Bundesanwaltschaft eine Begründung ihrer Entscheidung, kein Ermittlungsverfahren gegen Rumsfeld u. a. einzuleiten, im zweiten Fall schuldig geblieben. Das stimmt nachdenklich. cc) Abschließende Stellungnahme zur deutschen Einstellungslösung Abschließend ist festzuhalten, dass sowohl einer Gefahr des forum shopping als auch einer Überlastung der deutschen Justiz und insbesondere der Gerichte durch die getroffene Regelung wirksam entgegen getreten worden ist. Zu belgischen Verhältnissen wird es in Deutschland daher nicht kommen. Zu belgischen Verhältnissen wird es allerdings auch insofern nicht kommen, als politisch brisantere Verfahren, d.h. insbesondere Verfahren gegen (ehemalige) staatliche Hoheitsträger reicher und mächtiger Staaten, relativ unproblematisch auf der Grundlage eben dieser Regelung eingestellt werden können. Zu derartigen Verfahren wird es daher in Deutschland voraussichtlich nicht kommen. Dies ist problematisch und wirft die Frage auf, ob der Vorteil der deutschen Regelung, d.h. die Möglichkeit, Strafverfahren auch dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des bedingten Weltrechtsprinzips nicht gegeben sind, nicht durch die zugleich bestehenden Nachteile, d.h. insbesondere die Möglichkeit der politischen Einflussnahme auf die Einstellungsentscheidungen sowie die 188 Bothe, Michael/Fischer-Lescano, Andreas: Grenzenlos – Ein deutscher Prozess gegen US-Verantwortliche in Abu-Ghraib?, verfügbar unter: http://www.rav.de/info brief95/Bothe.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
III. Absolutes und bedingtes Weltrechtsprinzip
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Unklarheit, auf welche Kriterien diese Entscheidungen gestützt werden sollten, übertroffen wird. Dies gilt umso mehr, als nach der deutschen Regelung sowie der bisher erkennbaren Praxis sowieso zumindest eine Tendenz besteht einzustellen, wenn weder die Voraussetzungen des bedingten Weltrechtsprinzips noch des passiven Personalitätsprinzips erfüllt sind. e) Schlussbemerkungen Die Befürchtung, dass durch das absolute Weltrechtsprinzip die Entstehung von Doppelstandards für arme und reiche Staaten zumindest begünstigt wird, hat ihre Berechtigung. Das wahrscheinlichste Szenario ist immer noch, dass Strafgerichte reicher, mächtiger Staaten über die Staatsangehörigen und selbst (ehemalige) Hoheitsträger armer, schwacher Staaten zu Gericht sitzen, während das ungekehrte Bild – um nur das Mindeste zu sagen – höchst unwahrscheinlich ist. Dieses Ergebnis ist problematisch, zumal wenn man bedenkt, dass der die Weltrechtspflege in absentia betreibende Staat in keiner Verbindung zu der begangenen Tat und dem Täter stehen muss. Er kann daher auch nicht einmal – wie beim bedingten Weltrechtsprinzip – anführen, dass es für ihn angesichts der Anwesenheit des mutmaßlichen Täters auf seinem Territorium unerträglich wäre, das Strafverfahren nicht zu betreiben, da noch nicht einmal die Möglichkeit bestehen muss, dass der Verdächtige je das Territorium des Gerichtsstaates betritt. In Anbetracht der Tatsache, dass kein Staat der Welt in der Lage ist, alle schweren Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, besteht bei der Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips zudem die Gefahr einer willkürlichen Auswahl oder einer Selektion von Fällen nach politischen Erwägungen. Denn ein die Strafverfolgung auf der Basis des absoluten Universalitätsprinzips betreibender Staat muss auch sicherstellen, dass die Funktionsfähigkeit seines Justizsystems erhalten bleibt und nicht mit Fällen überlastetet wird, die nie zu einer Verurteilung führen werden. Zu bedenken ist weiter, dass selbst Strafverfahren gegen ehemalige hochrangige Hoheitsträger wegen in amtlicher Funktion begangener Taten politisch hoch sensibel sein können.189 Ein Staat, der in einem derartigen Fall Strafgewalt ausübt, befasst sich nicht nur mit individuellen Straftaten, sondern zugleich mit staatlichen Akten. So ist es denkbar, dass gerade die Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips die Grenzen zwischen der strafrechtlichen Verfolgung individueller Täter und der Be- und Verurteilung fremden staatlichen Handelns überschreiten könnte. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die strafrechtliche Verfolgung (ehemaliger) hochrangiger Staatenvertreter eine Einmi-
189
Maierhöfer, Christian, EuGRZ 2003, S. 545, 553.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
schung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates und somit einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot darstellen könnte. Das absolute Universalitätsprinzip zeigt somit signifikante Defizite. Nicht nur besteht die Gefahr eines politisch motivierten Missbrauchs und die Möglichkeit der Entstehung von Doppelstandards für arme und reiche Staaten, sondern auch an der Funktionsfähigkeit dieses Prinzips an sich lässt sich aus pragmatischen Erwägungen zweifeln. Trotz dieser prominenten Schwächen des absoluten Weltrechtsprinzips wäre es allerdings falsch, dieses per se für völkerrechtswidrig zu halten, da es im Fall einer garantierten und absoluten Unabhängigkeit der Strafverfolgungsorgane sowie einer vorsichtigen und mit dem Immunitätenrecht im Einklang stehenden Anwendung funktionieren könnte; was sich in der Praxis allerdings erst noch erweisen muss. Derzeit erscheint das bedingte Weltrechtsprinzip jedenfalls (noch) vorzugswürdig.190 Es gewährleistet in höherem Maße die souveräne Gleichheit von Staaten und ist nicht im gleichen Maße offen für politischen Missbrauch und die Gefahr der Entstehung von Doppelstandards. Mit dem Erfordernis der Anwesenheit des Verdächtigen im Gerichtsstaat ist ein objektives und eindeutiges Kriterium dafür gegeben, wann ein Staat ein Verfahren durchführen darf und wann eben nicht. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass zumindest Staaten mit einem stabilen Rechts- und Justizsystem in der Lage sein werden, die Taten aller auf ihrem Territorium befindlichen Verdächtigen zu verfolgen, so dass auch die Gefahr einer Überlastung der Gerichte und die damit einhergehende Problematik der Auswahl der zu verfolgenden Fälle ausgeschlossen wird.
IV. Einwände gegen das (bedingte) Weltrechtsprinzip Neben der spezifischen Problematik des absoluten Weltrechtsprinzips gibt es Einwände, die sowohl gegen das absolute als auch gegen das bedingte Weltrechtsprinzip erhoben werden können. Insoweit sei aber angemerkt, dass in der Diskussion des Weltrechtsprinzips kaum je zwischen den beiden Varianten dieses Grundsatzes unterschieden wird, was es teilweise schwierig macht, den Einwänden angemessen zu begegnen. Denn vielfach greifen berechtigte Argumente gegen das absolute Weltrechtsprinzip hinsichtlich des bedingten Weltrechtsprinzips nicht oder jedenfalls nicht in gleicher Weise. Die beiden im Weiteren diskutierten Argumente können allerdings sowohl gegen das absolute als auch gegen das bedingte Weltrechtsprinzip eingewandt werden. Es wird aber auch hier im Rahmen der Diskussion notwendig sein, an einigen Stellen zwischen den beiden Varianten zu unterscheiden bzw. ergänzende Anmerkungen zu machen.
190
So etwa auch Wirth, Steffen/Harder, Jan C., ZRP 2000, S. 144, 147.
IV. Einwände gegen das (bedingte) Weltrechtsprinzip
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Der erste Einwand betrifft die bereits erwähnte Gefahr, dass Staaten, deren Gerichte Strafgewalt auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips ausüben, völkerrechtswidrig in die internen Angelegenheiten eines anderen Staates intervenieren könnten.191 Der zweite Einwand fußt auf der Befürchtung, dass die Anwendung des Weltrechtsprinzips den prozessualen Grundsatz ne bis in idem (double jeopardy) und den Vorrang der enger verbundenen Strafgewalt verletzen könnte. 1. Der Einwand der Intervention in interne Angelegenheiten Wie bereits dargestellt, gebietet einer der elementarsten Grundsätze des Völkerrechts, der auf das Diktum von Bartolus aus dem 14. Jahrhundert, par in parem non habet imperium, zurückgeht und ein wichtiges Element der souveränen Gleichheit von Staaten ist, dass kein Staat über die Handlungen der Judikative, Exekutive und Legislative eines anderen Staates richten darf, und somit festlegt, dass die Handlungen eines Staates nicht vor den Gerichten eines anderen judizierbar sind.192 Das Weltrechtsprinzip ist daher vor allem dann kritisiert worden, wenn Strafverfahren gegen (ehemalige) fremde Hoheitsträger eingeleitet wurden. In diesen Fällen kann es schwer sein, zwischen der individuellen Tat und dem (illegalen) staatlichen Handeln zu unterscheiden. Zudem ist es zunächst das Recht und die Aufgabe eines jeden Volkes, sein Zusammenleben selbst zu organisieren, und somit auch die Verbrechen zu bestrafen, die innerhalb seiner Gemeinschaft begangen werden. Einer der wichtigsten immer wiederkehrenden Kritikpunkte gegen das Weltrechtsprinzip ist somit der Vorwurf, dass Staaten, die auf dieser Grundlage Strafgewalt ausüben, gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot verstößen. Diese Argumentation wurde etwa von Chile in einem Memorandum an Großbritannien hinsichtlich einer möglichen Auslieferung Pinochets an Spanien vorgebracht.193 Um diesen Vorwürfen angemessen begegnen zu können, ist es unerlässlich, die Entwicklung der internationalen (Staaten-)Gemeinschaft in den letzten 60 Jahren zu berücksichtigen. Während im klassischen Völkerrecht internationale Beziehungen und internationale Kooperation auf ein Minimum beschränkt waren, sind die Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg enger zusammengerückt, um eine Wiederholung der Ereignisse zu verhindern. Heute gibt es kaum einen Lebensbereich, der nicht Gegenstand internationaler Kooperations- und Kodifika191
Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 292. Bröhmer, Jürgen: State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 18; Dörr, Oliver, AVR 41 (2003), S. 201, 202; Folz, Hans-Ernst/Soppe, Martin, NStZ 1996, S. 576, 577; Hailbronner, Kai: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 157 ff., Rn. 89; Rensmann, Thilo, IPRax 1999, S. 268; Verdross, Alfred/Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, § 1168. 193 Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 292. 192
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
tionsbemühungen wäre. Von traditionellen Bereichen des Völkerrechts, wie dem internationalen Handelsrecht und insbesondere dem Recht der WTO, zu progressiveren Rechtsgebieten, wie etwa dem Umweltvölkerrecht und insbesondere dem Kyoto-Protokoll von 1997, sind in allen Bereichen des Völkerrechts in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte erzielt worden. Zudem zeigen insbesondere internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und supranationale Organisationen wie die Europäische Union, dass Staaten mittlerweile die Notwendigkeit zur Kooperation und zur Koordinierung ihres korrelativen Strebens und ihrer gegenseitigen Existenz erkannt haben und ernst nehmen. Selbst die mächtigsten Staaten der Welt können sich eine strikte Isolationspolitik heute nicht mehr leisten. Staaten sind somit in einem nie zuvor dagewesenen Maße von einander abhängig und darauf angewiesen zu kooperieren. Die Notwendigkeit zur Kooperation wird dabei teilweise sogar als so wichtig erachtet, dass Staaten selbst Teile ihrer eigenen Souveränität auf internationale Organisationen übertragen, um die internationale Kooperation zu optimieren. Obwohl das Prinzip der souveränen Gleichheit noch immer ein wichtiger Grundpfeiler des Völkerrechts ist, sind Staaten heute somit nicht mehr so unabhängig und losgelöst, wie sie es in der Zeit des klassischen Völkerrechts waren. Im Rahmen dieses Prozesses der Internationalisierung und Globalisierung hat die internationale Gemeinschaft begonnen, sich von einer bloßen Zweckgemeinschaft zu einer auf einem Katalog gemeinsamer Werte- und Grundvorstellungen – wie insbesondere auch dem Menschenrechtsschutz – beruhenden Wertegemeinschaft zu entwickeln. Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes wurde bereits eingehend diskutiert und soll hier nicht wiederholt werden; es sei aber noch einmal betont, dass die Achtung der Menschenrechte heute eines der grundlegendsten die internationalen Beziehungen bestimmenden Prinzipien ist. Nur wenn man diese fundamentale Bedeutung des Konzepts der Menschenrechte und der Menschenwürde als Basis internationaler Beziehungen versteht, wird es verständlich, dass schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen nicht mehr als Teil des domaine réservé eines Staates angesehen werden können, sondern die gesamte internationale Gemeinschaft als solche betreffen. Denn hier sind es nicht mehr allein die Opfer, denen durch eine gravierende Verletzung der Menschenrechte Unrecht angetan wird, sondern alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, da auch ihre Regeln und Werte verletzt werden. Natürlich bedeutet dies nicht, dass das vorrangige Recht eines Staates/eines Volkes, die Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen, die auf seinem Territorium oder in seiner Gemeinschaft begangen worden sind, keine Gültigkeit mehr hat. Da der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker weiterhin zu den wichtigsten Grundlagen des Völ-
IV. Einwände gegen das (bedingte) Weltrechtsprinzip
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kerrechts gehören, sollte die Ausübung von Strafgewalt im Idealfall immer auf traditionellen Jurisdiktionsprinzipien wie Territorialität oder Nationalität beruhen. Wenn allerdings keiner dieser Staaten von seinem vorrangigen Recht Gebrauch macht, die Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen und damit die verletzten universellen Rechte zu verteidigen, müssen andere Mitglieder der internationalen Gemeinschaft das Recht haben, einzuschreiten und die Strafverfolgung zu übernehmen. Ein nationales Strafgericht, das für einen säumigen Staat einspringt und Entscheidungen hinsichtlich internationaler Verbrechen liefert, die von fremden Staatsangehörigen gegen fremde Staatsangehörige im Ausland begangen worden sind, verteidigt damit fundamentale, von der gesamten internationalen Gemeinschaft anerkannte Werte.194 Das universelle Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Tat transzendiert somit das nationale Interesse des Staates mit vorrangiger Jurisdiktion, der es unterlassen hat, ein Strafverfahren durchzuführen.195 Die Universalität bestimmter Werte, die durch völkerstrafrechtliche Verbrechen verletzt werden, hebt diese Taten somit von der nationalen auf die internationale Ebene. Dass die Anwendung des Weltrechtsprinzips zugleich auch offen für Missbrauch sein und die Ungleichheit zwischen Staaten fördern kann, ist bereits hinreichend diskutiert worden. Im Hinblick auf das bedingte Weltrechtsprinzip wiegen diese Risiken indessen nicht so schwer wie die anderenfalls unvermeidbare Konsequenz der fortgesetzten Straffreiheit der Täter internationaler Verbrechen wie Völkermord und Folter. Die Verantwortlichen für völkerstrafrechtliche Verbrechen müssen sich einer realen Gefahr ausgesetzt sehen, für ihre Handlungen bestraft zu werden, damit ein effektiver Menschenrechtsschutz und damit ein Schutz universell anerkannter Werte möglich wird. Staaten, die dieses Jurisdiktionsprinzip anwenden, verstoßen daher nicht gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot, sondern verteidigen als Repräsentanten und im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft deren fundamentalste Werte. Überdies ist ein die Strafverfolgung auf der Grundlage des bedingten Weltrechtsprinzips betreibender Staat auch nicht völlig losgelöst von dem mutmaßlichen Täter und dem in Frage stehenden Verbrechen, da immer eine gewisse legitimierende Verbindung zwischen beiden bestehen muss. Ein Staat kann daher mit der strafrechtlichen Verfolgung eines mutmaßlichen Täters auch dann originäre eigene Interessen verfolgen, wenn er seine Strafgewalt nur auf das bedingte Weltrechtsprinzip stützen kann. Überzeugend hat insoweit bereits das BayObLG dargelegt, dass es auf Unverständnis stoßen müsste, wenn der Täter eines von der Völkergemeinschaft geächteten Verbrechens auch dann unbehelligt bleiben oder in einen offensichtlich nicht verfolgungswilligen Tatortstaat abgeschoben werden müsste, wenn sich dieser auf fremdes Territorium begeben 194 195
Ebd. Kreß, Claus, ZStW 114 (2002), S. 818, 837.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
habe.196 Die Verfolgung eines Ausländers wegen im Ausland begangener Straftaten entspricht daher auch dem legitimen Interesse des Aufenthalts- oder Wohnortstaates, nicht zum Zufluchtsort für Verbrecher zu werden, die Taten begangen haben, die die Völkergemeinschaft gewohnheitsrechtlich und vertragsmäßig unterbinden will.197 Dies gilt umso mehr, als insoweit auch die Gefahr besteht, dass in den Augen des Bürgers die Nichtverfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen unter dem Gedanken des Rechtsbewährungsprinzips die Geltungskraft verbindlicher Normen erschüttern könnte.198 2. Der Grundsatz ne bis in idem (double jeopardy) Das Weltrechtsprinzip ist von Fletcher kritisiert worden, sowohl unklug als auch ungerecht zu sein, da in einem System internationaler Strafrechtspflege der weltweit anerkannte Grundsatz ne bis in idem (double jeopardy) – der den Angeklagten vor wiederholten Strafverfahren wegen derselben Tat schützt – nicht mehr garantiert werden könne.199 Überdies sei auch selbst dann keine angemessene Abhilfe geschaffen, wenn die Anwendung des Weltrechtsprinzips dem Grundsatz ne bis in idem unterstellt würde, da es für andere Gerichte mit einer engeren Verbindung zu Täter und/oder Tat unmöglich sei, die Entscheidung eines Gerichts zu akzeptieren, dass seine Strafgewalt nur auf das Weltrechtsprinzip gründe.200 Zudem verletze das Weltrechtsprinzip den Grundsatz des keeping trials close to home, der in den USA Verfassungsrang genieße und der lokalen Gemeinschaft das Vorrecht einräume, dem Verbrechen, das in ihrer Mitte begangen wurde, entgegenzutreten und eine Lösung zu finden, die ihr Bedürfnis nach Wiederherstellung von Frieden, Recht und Gerechtigkeit angemessen befriedige.201 Diese Argumentation kann nicht überzeugen. Zunächst ist festzuhalten, dass aus dem Umstand, dass ein Recht in der US-amerikanischen Verfassung garantiert wird, nicht geschlossen werden kann, dass es sich um ein universell anerkanntes Element eines fairen Strafverfahrens handelt. So ist z. B. auch das Recht auf einen Juryprozess in der amerikanischen Verfassung verankert, aber unbekannt in den meisten Staaten mit kontinentaleuropäischem Rechtsystem; und man kann schwerlich behaupten, dass alle Strafverfahren in den meisten europäischen Staaten unfair seien, nur weil hier ein Juryprozess eher als Hindernis denn als zentrales Element eines fairen Verfahrens gesehen wird. 196 197 198 199 200 201
BayObLG NJW 1998, S. 392, 395. Ebd. Ebd. Fletcher, Georg P., JICJ 1.3 (2002), S. 580–584. Vgl. ebd. Ebd.
IV. Einwände gegen das (bedingte) Weltrechtsprinzip
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Im Hinblick auf das vorliegende Beispiel ist indessen anzuerkennen, dass der Staat, auf dessen Territorium die Tat begangen worden ist, grundsätzlich am besten platziert ist, um das Strafverfahren durchzuführen, da er am nächsten zum Tatort, den Beweisen und Zeugen ist. Zudem ist es aber auch ein wichtiges Element staatlicher Souveränität und der inneren Selbstbestimmtheit eines Volkes, dass Taten, die auf dem Gebiet eines Staates begangen werden, vorrangig auch in diesem Staat und dessen Gemeinschaft justiziabel sind. Strafverfahren in dem direkt betroffenen Staat können zudem besser geeignet sein, die Gesundung der verletzten Gesellschaft nach der Begehung von Massengräueltaten zu beschleunigen, als ein fernes Verfahren vor einem fremden Gericht.202 Verkannt wird bei dieser Argumentation aber, dass es sich vorliegend nicht um ein Problem der Rangfolge oder Priorität der verschiedenen zuständigen Gerichte handelt, sondern um die Frage der Verfügbarkeit eines solchen Gerichts, d.h. im Idealfalle eines Gerichts des Tatortstaates oder als zweitbeste Lösung des Heimatstaates des Täters oder (als Ausweichlösung) des Heimatstaates des Opfers.203 Kritiker des Weltrechtsprinzips scheinen häufig davon auszugehen, dass stets mehr als eine Gemeinschaft daran interessiert sei, Strafgewalt auszuüben. Der Fokus der Argumentation wird daher in der Regel auf die Frage gelegt, was in einer solchen Situation angemessen und richtig sei. Auszugehen ist aber von der umgekehrten Situation. Die traurige Realität ist nämlich, dass selbst – oder vielleicht auch gerade – der Staat des Tatortes es häufig versäumt, schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen.204 Um nur ein Beispiel zu nennen: Als 1979 Pol Pot, der berüchtigte Anführer der Khmer Rouge von 1975 bis 1979, aufgrund einer internen Rebellion innerhalb der Khmer Rouge für ein Strafverfahren zur Verfügung stand, war weder ein kambodschanisches noch ein internationales Gericht bereit und in der Lage, das Verfahren zu übernehmen, noch begehrte ein anderer Staat die Auslieferung Pol Pots.205 Es ist daher weitaus wahrscheinlicher, dass kein Staat interessiert ist, die strafrechtliche Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, als dass sich zwei oder mehr Staaten darum reißen. Die richtige Frage lautet daher: Was ist zu tun, wenn kein Staat mit vorrangiger Strafgewalt willens und in der Lage ist, ein Strafverfahren durchzuführen? 202 Vgl. Orentlicher, Diane F.: The Future of Universal Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 214, 236. 203 Abi-Saab, Georges, JICJ 1.3 (2003), S. 596–602. 204 Robinson, Mary, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 15, 16. 205 Vgl. Orentlicher, Diane F.: The Future of Universal Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 214, 220.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
Das Weltrechtsprinzip ist insoweit nur als eine Art Notlösung gedacht für Fälle, in denen kein Staat mit vorrangiger Strafgewalt den Konflikt lösen und ein Verfahren durchführen kann und will. D.h. es darf nur als Surrogat für traditionelle Jurisdiktionsformen angewendet werden. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass die Vorstellung von einem unbedingten Beharren auf strafrechtlicher Verfolgung im Tatortstaat auch unrealistisch sein kann, bedenkt man, dass der Tatortstaat insbesondere bei sog. Staatsdelinquenz häufig in die Verbrechen verwickelt sein oder Absprachen mit den Verbrechern getroffen haben wird, die diese von ihrer Verantwortlichkeit entbinden und ihnen Straffreiheit gewähren.206 Die auf das Weltrechtsprinzip begründete Strafgewalt ist folglich in essence eine Jurisdiktion des letzten Auswegs, eine Ausfallsicherung, hervorgerufen durch Dringlichkeit und Notwendigkeit, da anderenfalls fundamentale Werte der internationalen Gemeinschaft ungeschützt blieben.207 Da das Weltrechtsprinzip somit aber nur als subsidiäre Absicherung universeller Werte fungiert, wird der Vorrang nationaler Interessen auch nicht ignoriert. Unterstellt man daher die Anwendung des Weltrechtsprinzips dem Prinzip ne bis in idem, so ist nicht ersichtlich, warum das Weltrechtsprinzip per se eine Verletzung dieses Grundsatzes darstellen sollte. In diesem Sinne sehen insbesondere auch die Princeton Principles on Universal Jurisdiction die Geltung des Grundsatzes ne bis in idem hinsichtlich der Anwendung des Weltrechtsprinzips explizit vor.208 Einzuräumen ist allerdings, dass die internationale zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem noch nicht gesichert ist, d.h. es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die eine nochmalige Verfolgung durch einen anderen Staat verbieten würde.209 Aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen gilt der Grundsatz ne bis in idem aber zumindest im Verhältnis zu ausländischen Urteilen oder anderen ausländischen Gerichtsentscheidungen der jeweiligen Vertragsparteien, so z. B. gem. Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) für die Vertragsparteien des SDÜ untereinander. Im Falle einer Verurteilung gilt ne bis in idem nach Art. 54 SDÜ allerdings auch hier nur, wenn eine Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.210 206 Kirby, Michael: Universal Jurisdiction and Judicial Reluctance, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 240, 256. 207 Abi-Saab, Georges, JICJ 1.3 (2003), S. 596–602. 208 Principle 9 – ne bis in idem/double jeopardy; die Princton Principles sind abgedruckt in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 21–25. 209 Vgl. hierzu etwa BVerfG NJW 1987, S. 2155, 2158 ff. m.w. N.; Gärditz, Klaus Ferdinand: Weltrechtspflege, S. 425, sowie umfassend Scheschonka, Eva: Der Grundsatz „ne bis in idem“ im Völkerstrafrecht. 210 Vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen: Haller, Klaus/Conzen, Klaus: Das Strafverfahren, S. 18.
V. Der Einfluss des Rom-Statuts auf das Weltrechtsprinzip
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Das theoretische Problem, dass ein Staat das Urteil eines fremden nationalen Strafgerichts nicht akzeptieren und trotz des bereits abgeschlossenen Verfahrens im Ausland ein neues Strafverfahren einleiten könnte, ist schließlich aber auch kein spezifisches Problem des Weltrechtsprinzips, sondern kann in jedem Fall mit einem transnationalen Element auftreten. Da nach der hier vertretenen Meinung das Weltrechtsprinzip überdies sowieso nur angewendet werden sollte, wenn der mutmaßliche Täter zumindest bei der Gerichtsverhandlung anwesend ist, besteht auch keine zusätzliche spezifische Gefahr des Weltrechtsprinzips dergestalt, dass mehr als ein nationales Strafgericht zur selben Zeit ein Strafverfahren wegen ein und derselben Tat durchführen könnte.
V. Der Einfluss des Rom-Statuts auf das Weltrechtsprinzip Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Gründung des ICCs Staaten dazu ermutigt hat, ihre Strafgewalt über die Kernverbrechen des Rom-Statuts auszuweiten und z. T. sogar das Weltrechtsprinzip im nationalen Recht festzuschreiben. Diese Entwicklung ist auf den ersten Blick überraschend: Warum sollte die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs, dessen Zweck es ja gerade ist, die Täter von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen, Staaten dazu veranlassen, ihre nationale Strafgewalt auszuweiten? Wäre es nicht logischer gewesen, wenn Staaten ihre nationale Strafgewalt über derartige Verbrechen eingeschränkt und begrenzt hätten, als sie es endlich geschafft hatten, eine internationale Organisation zu gründen, um genau diese Aufgabe zu übernehmen? Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig zu verstehen, wie der neu gegründete ICC und nationale Strafgerichte bei der Verfolgung der ICC-Kernverbrechen interagieren. Die Jurisdiktion des ICCs ist treffend als „Säumnisjurisdiktion“ beschrieben worden, die nur dann aktiviert wird, wenn nationale Strafgerichte es versäumen, Straftaten, die unter ihre mit der Jurisdiktion des ICCs überlappende Strafgewalt fallen, zu verfolgen.211 Diese Funktion des ICCs als einer Art „Auffanggerichtsbarkeit“ findet sich auch in den Bestimmungen des Rom-Statuts. So wird bereits in der Präambel nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der ICC die innerstaatliche Gerichtsbarkeit (nur) ergänzt.212 Weiter ausformuliert und konkretisiert wird diese quasi ,subsidiäre‘ Strafgewalt des ICCs durch die Zulässigkeitsregelungen, nach welchen eine Sache nur dann beim ICC zulässig ist, wenn kein Staat willens und in der Lage ist, die Ermittlung oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen.213 Das vorrangige Recht und die Hauptverantwortung, die Täter von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbre211 212 213
Arbour, Louise, JICJ 1.3 (2003), S. 585–588. Paragraph 10 der Präambel des Rom-Statuts. Art. 17–19 Rom-Statut.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
chen zur Verantwortung zu ziehen, liegt somit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen staatlicher Souveränität und dem Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung nach wie vor bei den nationalen Autoritäten. 1. Keine Verpflichtung zur Festschreibung des Weltrechtsprinzips Ein interessanter Punkt ist mit der Frage aufgeworfen worden, ob Staaten mit dem Beitritt zum Rom-Statut eine Verpflichtung eingehen, das Weltrechtsprinzip für alle Kernverbrechen des Rom-Statuts, für die nicht ohnedies bereits eine entsprechende Verpflichtung aufgrund bestehender völkerrechtlicher Verträge besteht, in ihrem nationalen Recht festzuschreiben und anzuwenden.214 Die einzige Bestimmung des Rom-Statuts, die diese Überlegung stützt, ist Paragraph 6 der Präambel, in dem die Vertragsstaaten daran erinnern, dass es die Pflicht eines jeden Staates ist, seine Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben. Diese Bestimmung lässt sich dahingehend interpretieren, dass im Hinblick auf die ICC-Kernverbrechen alle Vertragsstaaten verpflichtet seien, von ihrer eigenen Strafgewalt im größtmöglichen Umfang Gebrauch zu machen.215 Da die nationale Strafgewalt aber nur dann umfassend ausgeschöpft wird, wenn die nationalen Strafverfolgungsbehörden auch auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips tätig werden (können), könnte damit eine Verpflichtung begründet sein, das Weltrechtsprinzip im nationalen Recht zu etablieren und anzuwenden. Nach anderer Ansicht ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung zwar nicht aus dem Rom-Statut, aber aus Gewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsprinzipien.216 Diese These wird gestützt durch die Tatsache, dass einige Staaten wie Deutschland, Kanada und Australien im Zuge der Implementierung des RomStatuts nationale Bestimmungen verabschiedet haben, durch die das Weltrechtsprinzip für die Kernverbrechen des Rom-Statuts im nationalen Recht festgeschrieben wird. Indessen haben nur wenige Vertragsstaaten des Rom-Statuts ihr nationales Recht zugunsten des Weltrechtsprinzips geändert. Von einer gewohnheitsrechtlichen Pflicht oder einem allgemeinen Rechtsprinzip, das Weltrechtsprinzip festzuschreiben, kann daher keine Rede sein. Zudem haben die Gründungsmitglieder des Rom-Statuts zwar festgelegt, dass es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht aller Staaten sei, internationale Verbrechen zu bestrafen, wieweit diese Verpflichtung indessen gehen soll, ist dieser Erklärung nicht zu entnehmen. Insofern ist auch zu bedenken, dass nach dem Wortlaut des Paragraphen 6 214 Arbour, Louise, JICJ 1.3 (2003), S. 585–588; Wirth, Steffen/Harder, Jan C., ZRP 2000, S. 144, 146. 215 Ebd. 216 Wirth, Steffen/Harder, Jan C., ZRP 2000, S. 144, 146.
V. Der Einfluss des Rom-Statuts auf das Weltrechtsprinzip
129
der Präambel Staaten nur verpflichtet sind, ihre Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben. Diese Formulierung kann kaum so verstanden werden, dass sie eine Verpflichtung beinhalte, das nationale Recht im Hinblick auf eine Festschreibung des Weltrechtsprinzips zu ändern, sondern nur, die nach dem jeweiligen nationalen Recht bereits bestehenden Möglichkeiten für eine strafrechtliche Verfolgung internationaler Verbrechen zu nutzen. Solange das nationale Recht somit irgendeine Möglichkeit eröffnet, die Kernverbrechen des Rom-Statuts zu verfolgen, können Staaten aufgrund dieser Regelung nicht gezwungen sein, ihr nationales Recht zu ändern, d.h. das Weltrechtsprinzip festzuschreiben. Überdies erscheint es zweifelhaft, ob Paragraph 6 der Präambel überhaupt als konkrete Handlungsanweisung verstanden werden kann. Spezifische Pflichten werden so gut wie nie in der Präambel eines völkerrechtlichen Vertrages etabliert. Wie allein schon die verwendete kunstvolle und z. T. fast blumig anmutende Sprachwahl zeigt, ist es Sinn und Zweck einer Präambel, die grundlegenden übergreifenden Ziele des Vertrages sowie seine Einordnung und Stellung im Völkerrecht festzuhalten, nicht aber konkrete Pflichten zu schaffen. Paragraph 6 der Präambel kann daher allenfalls als eine Aufforderung an die Vertragsstaaten verstanden werden, alle Möglichkeiten des nationalen Rechtssystems zu nutzen, um die Täter der Kernbrechen des Rom-Statuts zur Verantwortung zu ziehen. Eine Verpflichtung zur Einführung des Weltrechtsprinzips kann dieser Bestimmung dagegen nicht entnommen werden. Es lässt sich daher allenfalls vertreten, dass Paragraph 6 der Präambel eine Aufforderung an die Vertragsstaaten enthalte, das Weltrechtsprinzip anzuwenden – aber nur, sofern dies nach nationalem Recht möglich ist. 2. Der umfassende Vorrang nationaler Strafgewalt Es wird vertreten, dass nationale Gerichte nur dann vorrangig für die strafrechtliche Verfolgung internationaler Verbrechen zuständig seien, wenn ihre Strafgewalt auf traditionelle Jurisdiktionsprinzipien, d.h. eben gerade nicht auf das Weltrechtsprinzip, begründet sei; anderenfalls gehe die internationale Strafgewalt des ICCs vor.217 Grund für diese Unterscheidung ist die Überlegung, dass ein Staat bei der Anwendung des Weltrechtsprinzips nicht uti singulus im eigenen Namen handele, sondern im Namen der internationalen Gemeinschaft; wenn diese nun aber spezielle internationale Institutionen schaffe, um genau diese Aufgabe zu übernehmen, so müsse diesen auch Vorrang vor den singulären Aktionen eines einzelnen Staates zukommen.218
217 218
Abi-Saab, Georges, JICJ 1.3 (2003), S. 596–602. Ebd.
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C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
Diese Argumentation hat viel für sich. Sie steht allerdings weder in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Rolle internationaler Strafgerichte noch mit dem Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts. Wie bereits dargestellt, werden internationale Strafgerichte nur gegründet, um die schlimmsten und schwersten internationalen Verbrechen zu ahnden. Überdies können in der Regel nur hochrangige Entscheidungsträger, Planer und Vollstrecker vor diesen Gerichten angeklagt werden. Dem ICC könnte somit schon aus Kapazitätsgründen nur hinsichtlich der schwersten Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren und auch insoweit nur bzgl. der ranghöchsten Haupttäter Vorrang vor den nationalen Strafgerichten, die Strafgewalt auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips ausüben, zukommen. Indessen wird selbst eine so eng begrenzte Vorrangstellung des ICCs nicht vom Rom-Statut getragen. Wie sich aus Art. 17 Rom-Statut entnehmen lässt, stellt der ICC eine Ergänzung zur nationalen Strafgerichtsbarkeit dar und hat keinerlei Vorrang vor nationalen Gerichten.219 Auf der Rom-Konferenz bestand Einigkeit dahingehend, dass der ICC nicht danach streben dürfe, die nationale Strafgewalt zu untergraben oder diese zu schmälern, sondern nur dann seine Strafgewalt ausüben solle, wenn kein Staat willens und in der Lage sei, dies nach Treu und Glauben zu tun.220 Solang somit nationale Gerichte, auf welcher Grundlage auch immer, für die Verfolgung internationaler Verbrechen zuständig sind und von dieser Zuständigkeit auch Gebrauch machen, ist die Strafgewalt des ICCs gesperrt. Für eine wie auch immer geartete und begrenzte Subsidiarität der nationalen Strafgerichtsbarkeit gegenüber der Gerichtsbarkeit des ICCs ist angesichts dieser klaren und eindeutigen Entscheidung im Rom-Statut kein Raum.
VI. Abschließende Bemerkungen Das Weltrechtsprinzip ist eine wichtige und mächtige Waffe im Kampf gegen die Straffreiheit der Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen. Es wird von einzelnen Staaten im Namen der internationalen Gemeinschaft zum Schutz universeller Werte und insbesondere der Menschenrechte eingesetzt. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Anwendung des Weltrechtsprinzips ist heute zumindest in Bezug auf Genozid, Folter und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht weltweit weitestgehend anerkannt. Obwohl das Weltrechtsprinzip an sich ein fester Bestandteil des Völkerrechts geworden ist, besteht hinsichtlich seiner Ausgestaltung, Voraussetzungen und Reichweite allerdings noch viel Streit und Unsicherheit. Staaten vermeiden es daher nach Möglichkeit, sich bei der strafrechtlichen Verfolgung extraterritoria219 Vgl. Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 31. 220 Ebd.
VI. Abschließende Bemerkungen
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ler Taten allein auf diesen Grundsatz zu stützen, und versuchen, ihre Strafgewalt stattdessen auf so viele Jurisdiktionsprinzipien wie möglich zu gründen.221 Das Völkerrecht ist allerdings kein statisches Konzept. Akzeptanz und Anwendung des Weltrechtsprinzips könnten sich daher in Zukunft und möglicherweise bereits in den nächsten Jahren ändern. Insoweit wird die Entwicklung des Weltrechtsprinzips entscheidend von der Übung der Staaten abhängen, die dieses Prinzip bereits heute anwenden, sowie von der Praxis des ICCs. Bis heute ist die strafrechtliche Verfolgung der Täter internationaler Verbrechen – und insbesondere staatlicher Hoheitsträger – durch fremde Strafgerichte ein hochsensibles Thema. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit und das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung verlangen, dass die Staaten und Gemeinschaften, die durch ein Verbrechen am meisten betroffen sind, ein Vorrecht darauf haben, dieses zu bewältigen und Frieden, Recht und Gerechtigkeit wiederherzustellen. Es wird aber immer wieder Situationen geben, in denen die Gerichte der direkt betroffenen Staaten nicht willens oder in der Lage sind, ein ernsthaftes Strafverfahren gegen die Täter internationaler Verbrechen durchzuführen, so dass die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit von anderen internationalen, vor allem aber nationalen Gerichten abhängen wird. Von Gerechtigkeit kann aber gerade dann nicht mehr die Rede sein, wenn letztlich allein Gerichte reicher, mächtiger (westlicher) Staaten Urteile über Situationen und Staatsangehörige aus Entwicklungsländern fällen, während gleichzeitig vergleichbare Verbrechen, begangen von Staatsangehörigen und vor allem von Hoheitsträgern reicher, mächtiger Staaten, weiterhin nur der Strafgewalt ihres Heimatstaates unterfallen, d.h. im Zweifel unbestraft bleiben. Es ist eine unleugbare Tatsache, dass nur sehr wenige Staaten über die finanziellen und institutionellen Ressourcen verfügen, um Verfahren gegen fremde Staatsangehörige wegen im Ausland begangener internationaler Verbrechen durchzuführen. Nationale Strafgerichte, die derartige Verfahren führen, müssen sich daher der großen Verantwortung bewusst sein, die ihnen durch das Weltrechtsprinzip zuteil wird und besondere Vor- und Umsicht bei der Strafverfolgung walten lassen. Einwände gegen das Weltrechtsprinzip basieren zu einem großen Teil auf der Befürchtung, dass dieses Jurisdiktionsprinzip nicht in Einklang mit dem Grundsatz von Treu und Glauben und in Übereinstimmung mit den internationalen Grundsätzen eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens (due process) angewendet werden könnte.222 Es ist gut nachvollziehbar, dass Staaten es nicht schätzen, wenn ihr Staatsoberhaupt oder ihre Minister aus politischen Gründen in fremden Staaten strafrechtlich verfolgt werden. Es ist daher unabdingbar, dass nationale Strafverfolgungsorgane, die auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips und
221 222
Strapatsas, Nicolaos, Man LJ 29 (2002), S. 1–31, VII. Marks, Jonathan H., Colum J Transnat’l L 42 (2004), S. 445–490, II.
132
C. Die Problematik des Weltrechtsprinzips
vor allem des absoluten Weltrechtsprinzips tätig werden, vollständige Unabhängigkeit von der Exekutiven genießen und zudem mit besonderer Umsichtigkeit bei der Durchführung derartiger Verfahren agieren sowie sich streng an die Regeln des internationalen Immunitätenrechts halten. Während die Mitgliedsstaaten des Rom-Statuts für Verfahren vor dem ICC ausdrücklich auf Immunität verzichtet haben (Art. 27 Rom-Statut), müssen nationale Gerichte diese nach wie vor beachten.223 Welch weitreichende Maßnahmen im Einzelfall nötig sein können, um ein faires Verfahren zu garantieren, zeigt insbesondere der Eichmann-Fall sehr eindrucksvoll: Obwohl vor dem Prozess gegen Eichmann die – angesichts der Stimmung in Israel – nicht unbegründete Befürchtung bestanden hat, dass Verfahren könnte zu einem Schauprozess verkommen, kann dieses Verfahren nur als fair bezeichnet werden. So wurde etwa eine Gesetzesänderung vorgenommen, um zu ermöglichen, dass auch nicht-israelische Staatsangehörige vor Gericht auftreten können, damit Eichmann seinem Wunsch entsprechend von dem Kölner Rechtsanwalt Robert Servatius vertreten werden konnte, der bereits andere Nazigrößen bei den Nürnberger Prozessen verteidigt hatte.224 Zudem übernahm Israel die Anwaltskosten für Eichmann, die sich letztlich auf etwa 30.000 US-Dollar beliefen.225 Noch entscheidender ist indessen, dass zudem der eigentlich zuständige Präsident des Jerusalemer district court das Verfahren nicht leiten durfte, da er Eichmann als Teufel bezeichnet hatte.226 Israel war somit sehr bemüht, trotz des mit der Entführung Eichmanns eher schlechten Auftakts ein faires Verfahren zu führen. Die Notwendigkeit zu einer besonderen Vor- und Umsicht bei der Anwendung des Weltrechtsprinzips ist besonders evident mit Blick auf das absolute Weltrechtsprinzip. Während das bedingte Weltrechtsprinzip aufgrund des Erfordernisses eines legitimierenden Anknüpfungspunktes zwischen dem fraglichen Verbrechen bzw. dem Täter und dem die Strafverfolgung betreibenden Staat weniger offen für Missbrauch ist, birgt das absolute Weltrechtsprinzip vielerlei Risiken. Es besteht die unleugbare Möglichkeit des politisch motivierten Missbrauchs sowie einer willkürlichen Auswahl von Fällen. Zudem bestehen aber auch pragmatische Bedenken dergestalt, dass nationale Justizsysteme mit Fällen überflutet und überlastet werden könnten, die absehbar nie zu einer Verurteilung führen werden. Die Idee, ein Gericht habe Strafgewalt über jedes internationale Verbrechen, ganz gleich wo, von wem und gegen wen es begangen wird und wo sich der mutmaßliche Täter aufhält, hat jedenfalls etwas Größenwahnsinniges. 223
Wirth, Steffen/Harder, Jan C., ZRP 2000, S. 144, 147. Bass, Gary J.: The Adolf Eichmann Case: Universal and National Jurisdiction, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 77, 89. 225 Ebd. 226 Ebd. 224
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts Die Regelungen, die unter dem Schlagwort des Komplementaritätsprinzips zusammengefasst werden, betreffen das Verhältnis des ICCs zu nationalen Strafgerichten. Da die Gründung internationaler Strafgerichtshöfe stets im Widerspruch zu den Grundsätzen staatlicher Souveränität und dem Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung steht, ist die Frage, welche Befugnisse dem ICC im Verhältnis zu nationalen Strafgerichten zukommen, von besonderer Bedeutung. Der Weg, den das Rom Statut mit dem Komplementaritätsprinzip beschritten hat, ist daher auch als tragende Säule des Statuts beschrieben worden, ohne welche eine Einigung unmöglich gewesen wäre.1 Obwohl das Komplementaritätsprinzip als zentrales Element des Rom-Statuts gilt, bedeutet dies aber nicht, dass ein allgemeines Verständnis über die Bedeutung dieses Instituts bestünde. Die im Rom-Statut festgesetzten Regelungen sind vielmehr noch immer Gegenstand vieler Meinungsstreits und deutlicher Kritik. Die Auseinandersetzung konzentriert sich dabei vor allem auf die KompetenzKompetenz des ICCs, d.h. seine Rolle, als „Schiedsrichter“ seiner eigenen Jurisdiktion fungieren zu können, und damit letztlich auf die Problematik, ob bzw. inwieweit der ICC die Ausübung nationaler Strafgewalt über die Kernverbrechen des Rom-Statuts überwachen und kontrollieren darf. Ziel dieses Kapitels ist es daher etwas mehr Licht auf dieses noch immer sehr unklare und umstrittene Prinzip zu werfen, sowie einen Überblick darüber zu vermitteln, wie der ICC und nationale Strafgerichte in einem gemeinsamen System internationaler Strafrechtspflege zusammenarbeiten (sollen). Bei der Untersuchung des Komplementaritätsprinzips soll dabei die Frage, ob und wie die im Rom-Statut gewählte Lösung mit dem Grundsatz staatlicher Souveränität sowie dem Selbstbestimmungsrecht der Völker im Einklang steht, besonders berücksichtigt werden.
1 Vgl. Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary of the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 20; The Board of Editors: The Rome Statute: A Tentative Assessment, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1901, 1906.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
I. Komplementarität vs. Vorrang: Die Statute der Ad-hoc-Tribunale vs. das Rom-Statut Um die Neuartigkeit und die Besonderheiten des Komplementaritätsprinzips besser einordnen, verstehen und bewerten zu können, bietet sich ein kurzer, vergleichender Blick auf die entsprechenden Regelungen der Statute der nur wenige Jahre vor dem ICC gegründeten Ad-hoc-Tribunale, des ICTY und des ICTR, an. 1. Die vorrangige Zuständigkeit der Ad-hoc-Tribunale Nach den Statuten der beiden Ad-hoc-Tribunale haben das ICTY bzw. das ICTR und nationale Strafgerichte im Bereich schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht eine konkurrierende Zuständigkeit.2 Zugleich sehen die Statute aber auch vor, dass das jeweilige Ad-hoc-Tribunal Vorrang vor den einzelstaatlichen Gerichten hat.3 D.h. in jedem Stadium des Verfahrens kann das Ad-hoc-Tribunal die einzelstaatlichen Gerichte förmlich ersuchen, ihre Zuständigkeit in einem bestimmten Verfahren an das Tribunal abzutreten.4 Der ersuchte Staat ist dann verpflichtet, diesem Ersuchen nachzukommen, da die Statute der Ad-hoc-Tribunale als Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates für alle UN-Mitglieder verbindlich sind.5 Im Fall eines Zuständigkeitskonflikts zwischen nationalem Strafgericht und Ad-hoc-Tribunal liegt die Entscheidung, wo der mutmaßliche Täter zur Verantwortung gezogen werden soll, somit allein beim Ad-hoc-Tribunal. Diese Regelung mag auf den ersten Blick überraschen oder gar bedenklich erscheinen, da hiermit selbst der Gemeinschaft, die durch das fragliche Verbrechen am stärksten betroffen ist, das Recht genommen wird, sich mit der in ihrer Mitte begangenen Tat auseinanderzusetzen. Die beschriebene Befugnis der Adhoc-Tribunale ist indessen besser verständlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Ad-hoc-Tribunale Kreationen des UN-Sicherheitsrates – handelnd nach Kapitel VII der UN-Charta – sind, und alle UN-Mitglieder gem. Art. 25 UN-Charta verpflichtet sind, derartige Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen.6 Zudem war der Sicherheitsrat zum Zeitpunkt der Errichtung der Tribunale damit konfrontiert, dass im ehemaligen Jugoslawien ein offener Widerwille bestand, die dort begangenen Verbrechen zu untersuchen und 2
Art. 9 I ICTY-Statut, Art. 8 I ICTR-Statut. Art. 9 II ICTY-Statut, Art. 8 II ICTR-Statut. 4 Ebd. 5 Vgl. Art. 25 UN-Charta. 6 Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 31. 3
I. Die Statute der Ad-hoc-Tribunale vs. das Rom-Statut
135
die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen und ggf. zu bestrafen, und in Ruanda ein Unvermögen, entsprechendes zu tun, offensichtlich war.7 Die vorrangige Strafgewalt der Ad-hoc-Tribunale war daher erforderlich, um sicherzustellen, dass zumindest die Hauptverantwortlichen der schwersten, in diesen beiden Konflikten begangenen völkerstrafrechtlichen Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. D.h. der Sicherheitsrat musste der Strafgewalt der Ad-hoc-Tribunale Vorrang einräumen, da diese anderenfalls ineffektiv oder gar umsonst gewesen wären. Zudem ist zu berücksichtigen, dass, da die Statute der Ad-hoc-Tribunale nicht festlegen, wie die Tribunale den Vorrang ihrer Strafgewalt auszuüben haben, die Richter des ICTY ein Regelungssystem entwickelten, das keinen absoluten Vorrang der Strafgewalt des ICTY vorsieht, sondern einen Mechanismus etabliert, der es erlaubt, einen Fall an ein nationales Gericht zurückzuverweisen bzw. diesem den Vorrang einzuräumen, wenn dies sachgerecht und zweckdienlich erscheint.8 Die Rules of Procedure and Evidence des ICTY sehen insoweit vor, dass im Fall einer konkurrierenden Zuständigkeit des ICTY und nationaler Strafgerichte das Tribunal einen Fall abgeben kann, wenn es der Auffassung ist, dass dieser sinnvoller vor einem nationalen Gericht verhandelt werden sollte.9 Diese Regelung wurde später vom ICTR übernommen. In der Praxis haben die Ad-hoc-Tribunale zudem nur selten von ihrer vorrangigen Zuständigkeit Gebrauch gemacht. Einer der bekanntesten Fälle ist der Fall Tadic´: Dusˇko Tadic´ wurde am 13. Februar 1994 in München verhaftet und nach Anklageerhebung am 13. Februar 1995 durch das ICTY am 24. April 1995 von Deutschland nach Den Haag überstellt.10 Anzumerken ist insoweit aber, dass hier Deutschland, d.h. der die Strafverfolgung betreibende Staat, nicht direkt von den von Verbrechen betroffen gewesen ist, da weder Tadic´ noch seine Opfer deutsche Staatsangehörige waren und die fraglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch nicht auf deutschem Staatsgebiet begangen worden waren. Das Ersuchen, das Strafverfahren gegen Tadic´ an das ICTY abzutreten, beeinträchtigte daher keine deutschen Souveränitätsbelange. Es lässt sich daher sagen, dass, obwohl die Ad-hoc-Tribunale vom Sicherheitsrat mit einer beachtlichen Machtfülle ausgestattet worden sind, sie von diesen Befugnissen nur zurückhaltend und umsichtig Gebrauch gemacht haben.
7 Homes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 669. 8 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 349. 9 ICTY Rules of Procedure and Evidence, Rule 11 bis. 10 Vgl. Tadic Case (IT-94-1) „Prijedor“, verfügbar unter: http://www.un.org/icty/ cases-e/index-e.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
136
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
2. Die Entscheidung für Komplementarität und gegen Vorrang im Rom-Statut Anders als beim ICTY und ICTR kommt der Zuständigkeit des ICCs kein Vorrang vor der Strafgewalt nationaler Strafgerichte zu, vielmehr komplementiert der ICC nur das System der Zuständigkeit nationaler Strafgerichte. Die Entscheidung für Komplementarität und gegen Vorrang beruht dabei auf einer Vielzahl unterschiedlicher Gründe. Zum einen ist das Rom-Statut anders als die Statute des ICTY und des ICTR nicht das Produkt eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates, sondern ein völkerrechtlicher Vertrag und daher das Ergebnis intensiver multilateraler Verhandlungen, bestimmt von diversen politischen Bestrebungen sowie den unterschiedlichsten nationalen Interessen.11 Jede Vorschrift des Rom-Statuts ist somit das Ergebnis eines politischen Tauziehens, ein Kompromiss zwischen Staaten, die einen starken und effektiven ICC wollten, und Staaten, die im Wesentlichen von Souveränitätsbedenken getrieben waren. Zum anderen ist zu bedenken, dass die Strafgewalt des ICCs nicht auf eine bestimmte abgeschlossene Situation, d.h. einen konkreten, in der Vergangenheit liegenden Konflikt beschränkt ist, sondern – zumindest theoretisch – weltweit für jeden Fall von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, begangen nach dem Inkrafttreten des Rom-Statuts am 1. Juli 2002, besteht. Von Seiten vieler Staaten wurde daher die Befürchtung geäußert, dass der ICC mit Fällen aus der ganzen Welt überflutet werden und deshalb nicht mehr in der Lage sein könnte, sich mit einer repräsentativen Auswahl von Fällen zu befassen.12 Dieselbe Argumentation, die stichhaltig vor allem gegen das absolute Universalitätsprinzip eingewendet wird, d.h. dass kein Gericht der Welt in der Lage ist, sich mit allen (schweren) Menschenrechtsverletzungen der Welt zu befassen, wird somit auch im Hinblick auf die Zuständigkeit des ICCs angeführt. In diesem Licht erscheint der uneingeschränkte Zuständigkeitsanspruch, der von Staaten mit der Anwendung des absoluten Weltrechtsprinzips erhoben wird, sogar noch abstruser, da ein nationales Strafgericht, welches das Weltrechtsprinzip anwendet, einen noch deutlich weiteren Zuständigkeitsbereich für sich in Anspruch nimmt als der ICC, da nationale Strafgerichte nicht auf die Verurteilung der Hauptverantwortlichen für die schwersten Menschenrechtsverletzungen beschränkt sind. Schließlich steht die Entscheidung, der Zuständigkeit der nationalen Strafgerichte Vorrang vor der Zuständigkeit des ICCs einzuräumen, auch im Einklang mit den Grundsätzen staatlicher Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts 11 Vgl. Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 31. 12 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 351.
II. Begriffsbestimmung
137
der Völker. Obwohl völkerstrafrechtliche Verbrechen wie die Kernverbrechen des Rom-Statuts universelle Werte verletzen und daher als Anliegen der gesamten internationalen (Staaten-)Gemeinschaft beschrieben werden können, fügen diese doch in erster Linie den Gemeinschaften Schaden zu, in denen sie begangen werden. Es ist daher das natürliche Vorrecht dieser Gemeinschaften, die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen. Dennoch waren Souveränitätsbedenken das zentrale Problem im Gründungsprozess des ICCs, da die Vertragsstaaten des Rom-Statuts ihre eigenen Staatsangehörigen der Strafgewalt des ICCs aussetzen. Infolgedessen versuchten zumindest einige Staaten vehement, ihre staatliche Souveränität gegen die eingreifenden Befugnisse einer internationalen Organisation zu verteidigen. Es ist noch immer umstritten, ob diesen Bedenken in adäquater Weise im Rom-Statut Rechnung getragen worden ist, da dem ICC eine Art Überwachungsfunktion über die Ausübung nationaler Strafgewalt hinsichtlich der Kernverbrechen des Rom-Statuts zukommt. Insoweit wird zudem argumentiert, dass durch das Rom-Statut bereits endgültig die Entscheidung getroffen worden sei, dass auf völkerstrafrechtliche Verbrechen mit einem Strafverfahren und, sofern die Schuld des Angeklagten festgestellt wird, mit Strafe reagiert werden müsse.13 Folglich sind Staaten nach dieser Ansicht nicht mehr frei in ihrer Entscheidung, andere Wege zur Bewältigung von schweren Menschenrechtsverletzungen wie etwa Amnestien oder Wahrheitskommissionen zu wählen, da das Rom-Statut eine Verpflichtung zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter etabliert, deren Einhaltung durch den ICC überwacht wird.14
II. Begriffsbestimmung Der Begriff Komplementarität ist soweit ersichtlich sowohl im nationalen als auch im internationalen Recht ohne Präzedenz. Es handelt sich somit um einen Begriff, dem bis zur Verabschiedung des Rom-Statuts keine feststehende rechtliche Bedeutung zugekommen ist. Fraglich ist daher, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, und warum sich die Verfasser des Rom-Statuts für die Verwendung eines neuen und damit unbesetzten Begriffs entschieden haben, statt auf bekannte und bewährte Prinzipien zurückzugreifen. 1. Komplementarität und Subsidiarität Es wird darauf verwiesen, dass das Komplementaritätsprinzip einiges mit dem Subsidiaritätsprinzip gemein habe, da sowohl Komplementarität als auch 13
Vgl. Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435,
445. 14
Vgl. ebd.
138
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Subsidiarität in einem System öffentlicher Funktionen der niedrigeren Ebene den Vorrang einräumen.15 Das Subsidiaritätsprinzip ist ein allgemeines gesellschaftliches und politisches Prinzip, das besagt, dass die kleinere, nähere Einheit handeln soll, und dass die nächst höhere Einheit erst eingreifen soll, soweit die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist.16 Im Europarecht regelt das Subsidiaritätsprinzip das Verhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten. Die EG wird danach in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur dann tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.17 Das europarechtliche Subsidiaritätsprinzip stellt mithin wie das Komplementaritätsprinzip eine Begrenzung (gemeinschaftlicher) Kompetenzausübung dar, d.h. das Subsidiaritätsprinzip regelt die Frage der Zulässigkeit der Kompetenzausübung der EG im Hinblick auf durch die Gemeinschaftsverträge bereits verteilte und damit vorgegebene Kompetenzen.18 Subsidiarität ist zudem aber auch ein klassisches Prinzip des Staatsrechts föderaler Staaten, wie z. B. Deutschland und der Schweiz.19 So ist etwa im deutschen Recht nach Art. 30 GG die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit das GG keine andere Regelung trifft oder zulässt. Auch insoweit wird also der kleinen Einheit, d.h. hier den einzelnen Bundesländern, ein grundsätzlicher Kompetenzausübungsvorrang eingeräumt. Das Subsidiaritätsprinzip ist somit mit der durch das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts aufgestellten Struktur vergleichbar, da beide Prinzipien den grundsätzlichen Vorrang der kleineren Ebene, d.h. etwa der nationalen vorsehen, und eine Zuständigkeit der größeren – z. B. der europäischen oder der internationalen – Ebene erst dann zulassen, wenn die Aktionen der kleineren Ebene nicht ausreichend sind. Der Vergleich mit dem europa- bzw. staatsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip zeigt somit, dass zumindest die grobe Struktur des Komplementaritätsprinzips nicht ohne Präzedenz ist. Es bestehen allerdings auch fundamentale Unterschiede. So ist etwa zu berücksichtigen, dass z. B. im 15 Crawford, James: The Work of the International Law Commission, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 23, 44; Fassbender, Bardo, zu Kor, Gerben: Sovereignty in the Dock, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 73. 16 Vedder, Christoph, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.): Europäischer Verfassungsvertrag, Art. I-11, Rn. 15. 17 Art. 5 II EGV. 18 Calliess, Christian, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 2. 19 Fassbender, Bardo, zu Kor, Gerben: Sovereignty in the Dock, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 73.
II. Begriffsbestimmung
139
Falle eines Tätigwerdens der EG immer noch eine Beteiligung der Mitgliedstaaten innerhalb der Organe der EG gewährleistet ist, während im Falle eines Tätigwerdens des ICCs die nationalen Regierungen keinerlei Einfluss mehr nehmen können. Die Verfasser des Rom-Statuts haben daher auch bewusst nicht den Begriff der Subsidiarität, sondern den unbesetzten Begriff der Komplementarität gewählt, um klarzustellen, dass diese Begriffe nicht als Synonyme gebraucht werden können. Eine genaue Begriffsbestimmung kann somit durch den Vergleich zum Subsidiaritätsprinzip nicht erreicht werden, da diese lediglich verwandte Prinzipien darstellen. 2. Der Komplementaritätskompromiss Das Rom-Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der auf einer internationalen Konferenz von Delegierten aus ca. 160 Ländern verabschiedet worden ist. Beteiligt waren somit Delegationen aus den verschiedensten Rechtskreisen und mit den unterschiedlichsten politischen Hintergründen. Um als völkerrechtlicher Vertrag praktikabel, realisierbar und vor allem Erfolg versprechend zu sein, musste das Statut daher seine Stärke aus einer Kombination aus einigermaßen starken und effektiven Regelungen und einer möglichst starken Unterstützung durch so viele Staaten wie möglich herleiten.20 Das Komplementaritätsprinzip ist daher das Ergebnis einer Vielzahl von Zugeständnissen und Kompromissen. Bedenkt man die Brisanz und Empfindlichkeit der betroffenen Themen, so ist es indessen erstaunlich genug, dass überhaupt eine Einigung erfolgt ist. Der von der Völkerrechtskommission (ILC) in der Sitzungsperiode 1993/ 1994 erstellte Entwurf für das Statut eines internationalen Strafgerichtshofes enthielt bereits eine Prioritätsvermutung zugunsten nationaler Strafgewalt, behielt sich aber in einigen begrenzten Situationen einen „Restvorrang“ zugunsten des ICCs vor.21 Die Voraussetzungen, unter denen der ICC nach dem Entwurf der ILC berechtigt sein sollte, den Vorrang der nationalen Strafgewalt zu usurpieren, waren dabei aber sehr vage,22 so dass der ICC sich theoretisch in vielen Fällen für vorrangig zuständig hätte erklären können.23 Der theoretische Vorrang nationaler Strafgewalt wurde somit durch einen weiten Entscheidungsspiel20 Vgl. Board of Editors: The Rome Statute: A Tentative Assessment, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1901, 1902. 21 Draft Statute for an International Criminal Court, Report of the ILC on the work of its forty-sixth session, 2 May–22 July 1994, GA, official records, forty-ninth session, supplement Nr. 10 (A/49/10), Absatz 42-91, S. 29–161. 22 Verwendet wurden z. B. die folgenden Formulierungen: ,apparently well founded‘ sowie ,no reason for the Court to take any further action‘. 23 Vgl. Homes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 671.
140
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
raum des ICCs hinsichtlich der Ausnahmesituationen relativiert. Obwohl der grundsätzliche Vorrang nationaler Strafgewalt gegenüber der Zuständigkeit des ICCs im Einklang mit den Souveränitätsbedenken vieler Staaten stand, traf dies auf den dargestellten Bewertungs- und Abwägungsspielraum des ICCs nicht zu. Die von Souveränitätsinteressen getragenen Bedenken vieler Staaten bzgl. einer unabhängigen internationalen Strafrechtspflege waren eines der beherrschenden Themen der Rom-Konferenz, so dass eine angemessene Balance zwischen dem ICC und nationalen Autoritäten gefunden werden musste, um das Statut für eine große Anzahl von Staaten akzeptierbar zu machen.24 Einige Staaten wie etwa Frankreich, Großbritannien und die USA waren der Ansicht, dass der ICC nicht als Superrevisionsinstanz fungieren und die Entscheidungen nationaler Strafgerichte überprüfen sollte, während sich andere Staaten dafür einsetzten, den ICC mit Kompetenzen auszustatten, um sich für zuständig zu erklären, wenn und sobald sich nationale Bemühungen als ineffektiv erwiesen.25 Ein Konsens wurde schließlich dahingehend erreicht, dass der ICC seine Strafgewalt nur dann ausüben kann, wenn kein Staat mit Strafgewalt über die fragliche Tat willens und in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen. Diese Regelung spiegelt die Gründe wieder, die bei der Gründung der Ad-hoc-Tribunale dazu geführt haben, dem ICTY bzw. dem ICTR Vorrang vor der nationalen Strafgewalt einzuräumen, da es zum Zeitpunkt der Gründung der Tribunale bereits offensichtlich gewesen ist, dass die Strafverfolgungsbehörden im ehemaligen Jugoslawien jedenfalls nicht willens und in Ruanda eindeutig nicht in der Lage waren, die Hauptverantwortlichen für die im jeweiligen Konflikt begangenen Taten zur Verantwortung zu ziehen. 3. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts Das Komplementaritätsprinzip ist in Paragraph 10 der Präambel sowie in Art. 1 S. 2 des Rom-Statuts festgeschrieben,26 und vor allem in Art. 17, 18 und 19 weiter ausgestaltet. Art. 18 und 19 Rom-Statut regeln das Verfahren, während Art. 17 die materiellen Kriterien darlegt. Diese Vorschriften sehen vor, dass es grundsätzlich Aufgabe der nationalen Strafverfolgungsbehörden ist, völ24 Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 1, 9. 25 Vgl. ebd., Rn. 12. 26 Paragraph 10 der Präambel des Rom-Statuts: Emphasizing that the International Criminal Court established under this Statute shall be complementary to national criminal jurisdiction. Nachdrücklich darauf hinweisend, dass der auf Grund dieses Statuts errichtete Internationale Strafgerichtshof die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit ergänzt. Art. 1 S. 2 Rom-Statut (am Ende): (. . .) and shall be complementary to national criminal jurisdiction. (. . .) er ergänzt die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit.
II. Begriffsbestimmung
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kerstrafrechtliche Verbrechen zu verfolgen. Der ICC soll als eine Art gerichtliche Notfalllösung fungieren, d.h. nur wenn kein anderes Gericht zur Verfügung steht, um die der Begehung von ICC-Kernverbrechen Verdächtigen zur Verantwortung zu ziehen, kann der ICC seine Strafgewalt ausüben. Die Grundidee des Komplementaritätsprinzips besteht also darin, dass, solange Staaten effektiv von ihrer Strafgewalt über die Kernverbrechen Gebrauch machen, der ICC den Vorrang der nationalen Strafgewalt achtet und die betreffende Sache für unzulässig erklärt. Insoweit ist festzuhalten, dass es im Rahmen des Komplementaritätsprinzips nicht um die Frage geht, ob der Gerichtshof Strafgewalt über ein Verbrechen hat, sondern darum, ob er diese Strafgewalt auch ausüben darf. Wurde das in Frage stehende Verbrechen bereits vor dem 1. Juli 2002 oder nicht auf dem Gebiet eines Vertragsstaates und nicht durch den Angehörigen eines Vertragsstaates begangen bzw. fehlt es an einer Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat oder an einer Ad-hoc-Anerkennung der Gerichtsbarkeit des ICCs durch einen nach dem Territorialitätsprinzip oder dem aktiven Personalitätsprinzip zuständigen Staat, so hat der ICC bereits keine Jurisdiktion und das Problem der Komplementarität stellt sich gar nicht. Das Rom-Statut unterscheidet somit zwischen der Jurisdiktion des Gerichtshofs, d.h. der zeitlichen Strafgewalt (Jurisdiktion ratione temporis), der örtlichen Strafgewalt (Jurisdiktion ratione loci), und der Strafgewalt über bestimmte Personen (Jurisdiktion ratione personae), und der Frage, ob eine Sache, über die der ICC Strafgewalt hat, auch vor diesem verhandelt werden soll.27 Es gibt wie bereits dargestellt eine Vielzahl von Argumenten, die für den Vorrang nationaler Strafgewalt sprechen. Hinsichtlich der auf traditionelle Jurisdiktionsprinzipien begründeten Strafgewalt ist bereits dargestellt worden, dass nationale Gerichte grundsätzlich am besten in der Lage sind, die auf ihrem Staatsgebiet oder von ihren Staatsangehörigen begangenen Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen, da sie in der Regel den besten Zugang zu Beweisen, Zeugen sowie den mutmaßlichen Tätern haben. Zudem ist die nationale Strafgewalt über völkerstrafrechtliche Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit deutlich weiter als die Strafgewalt des ICCs, da sie etwa auch vereinzelte, isolierte Taten erfasst, die nicht Teil eines systematischen oder umfassenden Vorgehens sind.28 Schließlich steht ein Vorrang nationaler Strafgewalt im Einklang mit den Grundsätzen staatlicher Souveränität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, da es das Vorrecht der betroffenen Gemeinschaften achtet, mit Situationen die in ihrer Mitte auftauchen umzugehen, und ihre gerichtliche Integrität unbe-
27 28
Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 172. Vgl. Cassese, Antonio, EJIL 1999, S. 144, 158.
142
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
rührt lässt. Obgleich der ICC eine notwendige Ergänzung zu einem funktionierenden System internationaler Strafrechtspflege darstellt, sollten die Souveränitätsrechte von Staaten nicht unnötig beschränkt werden. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit ist eines der elementarsten Prinzipien des internationalen Friedensrechts, das insbesondere schwächere, ärmere Staaten gegen Eingriffe und Einmischung von außen schützt. Folglich sollte dieses Prinzip nur beschränkt werden, um andere fundamentale Werte gleichen Ranges und gleicher Bedeutung zu schützen, und auch dann nur soweit unbedingt notwendig, da anderenfalls grundlos Nachteile für ärmere und schwächere Staaten geschaffen werden könnten. Allerdings sind die Strafverfolgungsbehörden eines Staates, in dem womöglich seit Jahrzehnten schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung gewesen sind bzw. noch immer sind, häufig nicht in der Lage, so umfangreiche und häufig mit dem staatlichen Tun eng verbundene Verbrechen zu verfolgen. Überdies kann gerade bei staatlicher Delinquenz häufig eine vollständige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Strafverfolgungsbehörden fehlen oder die Sicherheit des Prozesses aufgrund der politischen Brisanz insbesondere im Tatortstaat schwer oder gar nicht zu gewährleisten sein. Es gibt daher – und zwar gerade in Bezug auf die ICC-Kernverbrechen – immer wieder Situationen, in denen trotz der grundsätzlichen Vorzüge staatlicher Strafverfahren in den betroffenen Staaten kein angemessenes Forum für die Durchführung eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens zur Verfügung steht, so dass ein Bedürfnis für die Ausübung von Strafgewalt durch den ICC besteht, um die Straffreiheit der Täter zu beenden.
III. Die Unzuständigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut und ihre Ausnahmen Die vier Fälle, in denen der ICC gezwungen ist, sich für unzuständig zu erklären, sind in Art. 17 Abs. 1 Rom-Statut niedergelegt. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Zulässigkeit einer Sache nach der Systematik des Rom-Statuts grundsätzlich vermutet wird.29 Eine Sache ist somit nur dann ausnahmsweise nicht zulässig, wenn: a) in der Sache von einem Staat, der Gerichtsbarkeit darüber hat, Ermittlungen oder eine Strafverfolgung durchgeführt werden; b) in der Sache von einem Staat, der Gerichtsbarkeit darüber hat, Ermittlungen durchgeführt worden sind und der Staat entschieden hat, die betreffende Person nicht strafrechtlich zu verfolgen; 29 Cárdenas Aravena, Claudia: The Admissibility Test Before the International Criminal Court Under Special Consideration of Amnesties and Truth Commissions, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 115, 116.
III. Die Unzuständigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut
143
c) die betreffende Person wegen des Verhaltens, das Gegenstand des Tatvorwurfs ist, bereits gerichtlich belangt worden ist und die Sache nach Artikel 20 Absatz 3 nicht beim Gerichtshof anhängig gemacht werden kann; d) die Sache nicht schwerwiegend genug ist, um weitere Maßnahmen des Gerichtshofs zu rechtfertigen.
1. Laufende staatliche Ermittlungen oder ein laufendes Strafverfahren, Art. 17 Abs. 1a) Rom-Statut Da eine Sache nur dann vor dem ICC verhandelt werden soll, wenn ein entsprechendes staatliches Forum nicht zur Verfügung steht, kann der Gerichtshof seine Strafgewalt nicht ausüben, wenn in einem Fall bereits staatliche Ermittlungen durchgeführt werden oder in einem Staat ein Strafverfahren anhängig ist. Da aber auch nicht jede staatliche Ermittlung und jedes staatliche Strafverfahren, unabhängig von dessen Qualität und der dahinter stehenden Intention, die Strafgewalt des ICCs sperren darf, wenn das Ziel, der Straffreiheit der Täter schwerster Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen, erreicht werden soll, ist im Fall des Art. 17 Abs. 1a) Rom-Statut eine Unzulässigkeit dann nicht gegeben, wenn der fragliche Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen. Hier werden wiederum die Sachlagen aufgegriffen, mit denen der Sicherheitsrat in den Fällen Ruandas und des ehemaligen Jugoslawiens konfrontiert gewesen ist, d.h. Umstände, in denen die nationalen Strafgerichte keine Garantie mehr dafür bieten (können), dass die für völkerstrafrechtliche Verbrechen verantwortlichen Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Da die Frage, wann ein Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen, ein zentrales Problem des Rom-Statuts darstellt, wird der Diskussion dieser Begriffe ein eigener Abschnitt gewidmet. Festzuhalten ist daher an dieser Stelle nur, dass im Falle laufender staatlicher Ermittlungen oder eines laufenden Strafverfahrens die Strafgewalt des ICCs für den betreffenden Fall in der Regel gesperrt ist, da hier grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der die Ermittlungen bzw. das Strafverfahren durchführende Staat bereits alles tut, um den Sachverhalt aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. 2. Abgeschlossene staatliche Ermittlungen und die Entscheidung, die betreffende Person nicht strafrechtlich zu verfolgen, Art. 17 Abs. 1b) Rom-Statut Das Ergebnis staatlicher Ermittlungen kann nicht nur darin bestehen, dass eine Tatbegehung durch den Verdächtigen wahrscheinlich nachweisbar ist, sondern es kann sich am Ende der Ermittlungen auch herausstellen, dass sich ein
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten gerade nicht begründen lässt oder vielleicht sogar dessen Unschuld erwiesen ist. Der ICC hat daher grundsätzlich auch die nach Abschluss der Ermittlungen getroffene staatliche Entscheidung, ein Strafverfahren gegen die betreffende Person nicht durchzuführen, zu respektieren. Denn es ist nicht Aufgabe des Gerichtshofs, Fälle, in denen bereits ein Staat durch die Durchführung von Ermittlungen aktiv geworden ist, um den Sachverhalt aufzuklären, nachträglich an sich zu ziehen. Wie bereits oben bzgl. des Falles laufender staatlicher Ermittlungen dargestellt, kann indessen nicht jede staatliche Ermittlung, unabhängig von ihrer Qualität und der dahinter stehenden Intention, die Strafgewalt des Gerichtshofs sperren. Die Entscheidung, das Verfahren gegen eine bestimmte Person einzustellen, stellt daher für den Gerichtshof dann kein Hindernis dar, wenn diese das Ergebnis des mangelnden Willens oder des Unvermögens des Staates [ist], eine Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen. Auf die Frage, wann von einem entsprechenden mangelnden Willen bzw. einem staatlichen Unvermögen auszugehen ist, wird im Folgenden umfassend eingegangen. 3. Ne bis in idem, Art. 17 Abs. 1c) Rom-Statut Der dritte Unzulässigkeitsgrund, der die Zuständigkeit des ICCs sperrt, ist eine Normierung des bereits besprochenen Ne-bis-in-idem- oder Double-jeopardy-Grundsatzes. Dieser Grundsatz ist für den ICC in Art. 20 Rom-Statut näher ausnormiert. Zu beachten ist, dass nach Art. 20 Abs. 3 Rom-Statut ein Verdächtiger, der bereits wegen eines nach Art. 6, 7 oder 8 Rom-Statut verbotenen Verhaltens vor ein nationales Strafgericht gestellt worden ist, dennoch vom ICC für dasselbe Verhalten belangt werden darf, wenn das Verfahren vor dem anderen Gericht dem Zweck diente, ihn vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen zu schützen, oder in sonstiger Hinsicht nicht unabhängig oder unparteiisch entsprechend den völkerrechtlich anerkannten Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Verfahrens war und in einer Weise geführt wurde, die unter den gegebenen Umständen mit der Absicht, die betreffende Person vor Gericht zu stellen, unvereinbar war.30 Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass Scheinprozesse, die von nationalen Gerichten geführt werden, um Täter vor der Strafgewalt des ICCs zu schützen, auch dann keinen effektiven Schutz bieten sollen, wenn das Strafverfahren bereits abgeschlossen ist. Die Regelung des Art. 20 Abs. 3 Rom-Statut stimmt damit jedenfalls im Grundsatz mit dem Konzept des mangelnden Willens in Art. 17 Rom-Statut überein.31 30 31
Art. 17 I c) i.V. m. Art. 20 III Rom-Statut. Vgl. Art. 17 II Rom-Statut.
III. Die Unzuständigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut
145
Es gibt allerdings, wie Cárdenas zutreffend hervorhebt, Bezugspunkte für die Bestimmung der Schutzabsicht, die besonders bei abgeschlossenen Verfahren von Bedeutung sind, wie insbesondere die Schwere der Strafe bzw. vielmehr gerade das Fehlen einer solchen.32 Besonders interessant ist zudem die Problematik von Begnadigungen. Entscheidend ist insoweit, ob das Vollstreckungsverfahren noch als Teil des Verfahrens im Sinne des Art. 20 Abs. 3 Rom-Statut angesehen werden kann. Insbesondere im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm, staatlichen Schutz für Völkerrechtsverbrecher zu verhindern, ist dies mit Cárdenas zu bejahen.33 Mithin kann nach dieser Ansicht auch eine nationale Begnadigung derjenigen, die schwerwiegende internationale Verbrechen begangen haben, ein Grund für eine erneute Verfolgung durch den ICC sein.34 4. Mangelnde Schwere, Art. 17 Abs. 1d) Rom-Statut Gem. Art. 17 Abs. 1d) Rom-Statut ist eine Sache vor dem ICC unzulässig, wenn sie nicht schwerwiegend genug ist, um weitere Maßnahmen des Gerichtshofs zu rechtfertigen. Diese Regel steht im Einklang mit der Funktion internationaler Strafgerichtshöfe als Institutionen, die sich auf die hochrangigsten Entscheidungsträger, Planer und Vollstrecker konzentrieren, d.h. auf die für die schwersten internationalen Verbrechen Hauptverantwortlichen. Zudem dient diese Regelung der Wahrung staatlicher Souveränität, da sie sicherstellt, dass die Bewältigung von Taten, die kein dringliches Anliegen der internationalen Gemeinschaft sind, Aufgabe der nationalen Autoritäten bleibt. Es kann aber bereits gemutmaßt werden, dass dieser auf den ersten Blick recht klare und einleuchtende Unzulässigkeitsgrund in der Rechtsprechung des ICCs zu einem zentralen Element der Zulässigkeitsprüfung werden könnte. So ist nach der Vorverfahrenskammer I im Fall Lubanga (Kongo) die Zulässigkeitsprüfung immer zweiteilig: Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob nationale Ermittlungen oder eine Strafverfolgung im fraglichen Fall stattgefunden hat, da eine Zulässigkeit nur dann gegeben ist, wenn der Staat mit Strafgewalt inaktiv bleibt oder nicht willens oder in der Lage im Sinn des Rom-Statuts ist; auf der zweiten Stufe ist dann die hinreichende Schwere des Falles zu prüfen.35 Die Schwere, die für die Zulässigkeit einer Sache gem. Art. 17 Abs. 1d) Rom-Statut erforderlich ist, muss dabei nicht nur über das hinausgehen, was ein 32 Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 139. 33 Vgl. ebd. S. 140. 34 Vgl. insoweit umfassend ebd. 35 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr Thomas Lubanga Dylio (ICC-01/04-01/06), Rn. 29, 41 ff.
146
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Verbrechen zu einem internationalen Verbrechen macht,36 sondern es muss sich um einen Fall handeln, der hinsichtlich seiner Schwere noch über das hinausgeht, was nach den Tatbeständen des Rom-Statuts ohnedies erforderlich ist.37 Dies ist von besonderer Bedeutung, da die materielle Strafgewalt des ICCs nach dem Rom-Statut bereits auf besonders schwere internationale Verbrechen beschränkt ist. So können nur die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangenen in Art. 7 Rom-Statut aufgelisteten Begehungsweisen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinn des Rom-Statuts darstellen. Zudem hat nach Art. 8 Rom-Statut der Gerichtshof Gerichtsbarkeit in Bezug auf Kriegsverbrechen, insbesondere wenn diese als Teil eines Planes oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem Umfang verübt werden, d.h. nicht alle Kriegsverbrechen fallen per se in die Jurisdiktion des ICCs, sondern es muss sich um einen besonders gravierenden Fall handeln. Für den Völkermordtatbestand ergibt sich die besondere Schwere bereits aus dem Tatbestand selbst, d.h. vor allem aus der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten. Allein nach den Tatbeständen des Rom-Statuts sind somit besonders schwere internationale Verbrechen erforderlich, um die materielle Strafgewalt des ICCs auszulösen. Dennoch kann der Gerichtshof zusätzlich in der Ausübung seiner Strafgewalt gesperrt sein, wenn die Sache nicht schwerwiegend genug im Sinn des Art. 17 Abs. 1d) ist. Die Prüfung erfolgt damit zweistufig, zunächst muss es sich um ein Verbrechen im Sinn des Rom-Statuts handeln, sodann ist noch einmal die besondere Schwere der Tat zu prüfen. In Anbetracht der besonderen Natur des Verbrechens des Völkermordes erscheint es aber fraglich, ob eine solche zweiteilige Prüfung auch hier sinnvoll und erforderlich ist. Besonders zu berücksichtigen ist nach der Vorverfahrenskammer I dabei erstens, ob das Tatgeschehen Teil eines systematischen Verhaltens oder eines Geschehens besonders großen Ausmaßes ist, sowie zweitens, welchen social alarm das Verhalten in der internationalen Gemeinschaft auslöst.38 Interessant ist insoweit, dass die Vorverfahrenskammer I in der weiteren Begründung der Zulässigkeit des Falls Lubanga vorrangig auf den social alarm, d.h. auf die Reaktionen in der internationalen Gemeinschaft auf die in Frage stehenden Verbrechen ab36 Cárdenas Aravena, Claudia: The Admissibility Test Before the International Criminal Court Under Special Consideration of Amnesties and Truth Commissions, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 115, 120. 37 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr Thomas Lubanga Dylio (ICC-01/04-01/06), Rn. 41 ff., insbesondere Rn. 46. 38 Ebd. Rn. 48, 63.
III. Die Unzuständigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut
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gestellt hat und diese dabei als besonders bedeutend eingestuft hat, da Lubanga Kinder unter 15 Jahren als Soldaten angeworben, zwangsverpflichtet und eingesetzt habe.39 Darüber hinaus sei entscheidend, welche Stellung der Angeklagte (im Staat, im Militär, in der Rebellenbewegung etc.) innegehabt habe und welche Rolle er innerhalb der staatlichen Organisation etc. sowie bei der Begehung der Taten (durch Tun oder Unterlassen) gespielt habe, wobei nur die höchsten Führer (most senior leaders) und diejenigen, die verdächtig sind, die größte Verantwortung zu tragen (those suspected of being most responsible) in die Zuständigkeit des ICCs fallen.40 Allerdings hat weder die mit der Situation in Uganda befasste Vorverfahrenskammer II noch die Vorverfahrenskammer I in ihren Entscheidungen zur Situation in Darfur vergleichbare Ausführungen zur Frage der hinreichenden oder mangelnden Schwere gemacht. So geht die Vorverfahrenskammer II überhaupt nicht auf die Frage der hinreichenden Schwere ein, und die Vorverfahrenskammer I äußert sich in der Darfur-Sache hinsichtlich der Komplementaritätskriterien des Art. 17 Rom-Statut allein zur Stellung der Angeklagten in der Stammes- bzw. Staatshierarchie und zu ihrer Rolle bei der Begehung der fraglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit,41 weder der Begriff der sufficient gravity, d.h. die Frage, ob die Taten schwerwiegend genug sind, noch Art. 17 Rom-Statut werden dagegen genannt. Dies mag aber auch daran liegen, dass im Falle Darfurs die Sache vom UN-Sicherheitsrat an den ICC verwiesen worden ist, wodurch eine hinreichende Schwere bereits impliziert sein dürfte. Interessant ist zudem, dass der ICC-Ankläger bereits die Einleitung von Ermittlungen wegen der Situation im Irak während und nach dem Irakkrieg unter Hinweis darauf abgelehnt hat, dass die von britischen Truppen begangenen Taten nicht schwerwiegend genug seien.42 So hat der Ankläger zwar das Vorliegen hinreichender Verdachtsgründe für die Begehung von Kriegsverbrechen durch britische Besatzungstruppen bejaht, aber in Anbetracht der geringen Zahl der Opfer,43 insbesondere im Vergleich mit Situationen wie in Uganda, dem Kongo und Darfur, die nach dem Rom-Statut erforderliche Schwere der begangenen
39
Ebd., Rn. 46. Ebd., Rn. 51 ff., 63. 41 Vgl. Situation in Darfur, Sudan (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ahmad Harun, 27.04.2007, S. 5 f.; Situation in Darfur, Sudan (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ali Kushayb, 27.04.2007, S. 5 f. 42 Da im Gegensatz zu Großbritannien weder der Irak noch die USA Vertragsstaaten des Rom-Statuts sind bzw. die Strafgewalt des ICCs für die im Rahmen des Irakkriegs begangenen Straftaten anerkannt haben, hat der Gerichtshof keine Strafgewalt über die von amerikanischen Soldaten begangenen Taten. 43 Die Rede ist von 4–12 Opfern. 40
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Straftaten verneint.44 Zwar nahm der Ankläger insoweit nicht auf Art. 17 RomStatut Bezug, wohl aber auf Art. 53 Abs. 1b) Rom-Statut,45 der seinerseits wiederum auf die Zulässigkeitskriterien des Art. 17 Rom-Statut verweist. Dieses Abstellen des Anklägers auf rein quantitative Kriterien, namentlich die Zahl der Opfer, ist indessen bereits auf Kritik gestoßen. So hat Schabas in Bezug auf die Taten britischer Soldaten im Irak dargelegt, dass auch die Tatsache, dass sich die britischen Truppen aufgrund eines Aktes der Aggression, d.h. eines Verstoßes gegen das fundamentale völkerrechtliche Gewaltverbot, im Irak befunden, und zudem versucht hatten, diese Intervention vor der Welt unter Behauptung falscher Tatsachen zu rechtfertigen, Berücksichtigung hätte finden sollen.46 Zwar könne der ICC seine Strafgewalt über das Verbrechen der Aggression noch nicht ausüben, Kriegsverbrechen, die von Truppen aufgrund eines vorangegangenen Aktes der Aggression begangen werden, erhielten hierdurch indessen ein zusätzliches qualitatives Element der Schwere.47 Diese Argumentation überzeugt. Zwar hat der Ankläger in seiner Erklärung zur Nichteröffnung von Ermittlungen wegen der Situation im Irak auch angeführt, dass nach den von der Anklagebehörde gesammelten Informationen ohnedies nationale Strafverfahren wegen jeder der infrage stehenden Taten britischer Soldaten im Irak eingeleitet worden seien,48 ein Verfahren wegen der fraglichen Vorfälle hätte vor dem ICC somit ohnehin nicht stattfinden können. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, das Nichteinleiten von Ermittlungen zentral auf diesen Umstand und nicht auf die mangelnde Schwere von Taten zu stützen, die in der Weltöffentlichkeit einen Aufschrei hervorgerufen haben, und ohne die gesamte Lage im Irak auch nur in Erwägung zu ziehen. Dies gilt umso mehr, als die Situation im Irak wohl zu den schwierigsten und gefährlichsten Konflikten zählt, mit denen sich die Welt derzeit zu befassen hat.
44 Update on Communications Received by the Prosecutor, Iraq response vom 10.02.2006, verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/organs/otp/otp_com.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 45 Ebd., S. 8. 46 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 190; vgl. zur Qualifikation des Irak-Kriegs als Aggression auch Merkel, Reinhard, in: DIE ZEIT, 12/2003 = Ambos/Arnold: Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, S. 26, 28. 47 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 191. 48 Update on Communications Received by the Prosecutor, Iraq response vom 10.02.2006, verfügbar unter http://www.icc-cpi.int/organs/otp/otp_com.html, letzter Zugriff am 14.04.2008.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates Ermittlungen oder ein Strafverfahren ernsthaft durchzuführen Verbrechen wie Genozid, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden oft unter Mitwirkung, im Einverständnis oder mit der Duldung der nationalen Autoritäten begangen.49 Insbesondere ausgedehnte, systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Rom-Statuts darstellen, sowie Kriegsverbrechen, die als Teil eines Planes oder einer Politik oder in großem Umfang verübt werden,50 weisen oft ein staatsbezogenes Element auf. In diesen Fällen besteht die Gefahr, dass das Komplementaritätsprinzip dazu missbraucht wird, die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit dadurch zu vereiteln, dass staatliche Ermittlungen oder ein Strafverfahren nur vorgetäuscht werden, um zu verhindern, dass die Täter durch den ICC zur Verantwortung gezogen werden.51 Zudem sind die nationalen Strafverfolgungsbehörden in Staaten, die gerade Schauplatz eines gewalttätigen Konflikts (gewesen) sind, häufig nicht in der Lage, effektiv gegen die Täter internationaler Verbrechen vorzugehen. Eine Sache ist daher vor dem ICC auch dann zulässig, obwohl in dieser bereits staatliche Ermittlungen erfolgt sind bzw. noch laufen oder sogar ein Strafverfahren anhängig ist, wenn der betreffende Staat dennoch nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Strafverfolgung ernsthaft zu betreiben. Die Kriterien, die der ICC insoweit bei der Feststellung des mangelnden Willens bzw. des Unvermögens eines Staates, ein Strafverfahren ernsthaft durchzuführen, zu berücksichtigen hat, sind in Art. 17 Abs. 2 und 3 Rom-Statut näher dargelegt. Der ICC übt damit eine gewisse Aufsichts- oder Überwachungsfunktion über die Adäquanz nationaler Strafverfahren aus und bestimmt somit für die Vertragsstaaten die äußeren Grenzen der Implementierung und Verfolgung der Kernverbrechen des Rom-Statuts.52 Die Frage, ob diese Befugnis des ICCs im Einklang mit den Grundsätzen staatlicher Souveränität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker steht, wird im Folgenden noch zu behandeln sein. Zunächst ist indessen die Bedeutung der Begriffe Unvermögen (inability) und mangelnder Wille (unwillingness) sowie vor allem des Begriffs ernsthaft (genuine), die für die Interpretation des Art. 17 Rom-Statut entscheidend sind, zu klären.
49 50 51 52
Cassese, Antonio, EJIL 1999, S. 144, 159. Vgl. Art. 7, 8 Rom-Statut. Vgl. Cassese, Antonio, EJIL 1999, S. 144, 159. Kleffner, Jann K., JICJ 1.1 (2003), S. 86, 87.
150
D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
1. Die Feststellung des mangelnden Willens (unwillingness) Der ICC darf das Vorliegen eines mangelnden Willens nur dann feststellen, wenn jedenfalls eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist: a) Das Verfahren wurde oder wird geführt oder die staatliche Entscheidung wurde getroffen, um die betreffende Person vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die in Artikel 5 bezeichneten, der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen zu schützen; b) in dem Verfahren gab es eine nicht gerechtfertigte Verzögerung, die unter den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar ist, die betreffende Person vor Gericht zu stellen; c) das Verfahren war oder ist nicht unabhängig oder unparteiisch und wurde oder wird in einer Weise geführt, die unter den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar ist, die betreffende Person vor Gericht zu stellen.53
Diese Aufzählung ist abschließend.54 Der ICC muss sich daher immer auf einen der genannten Gründe beziehen, um den mangelnden Willen eines Staates festzustellen. Das Kriterium des mangelnden Willens betrifft den Grund, aus dem ein Strafverfahren durchgeführt wird, d.h. die Motivation oder Intention des Staates zur Durchführung des Strafverfahrens oder der Ermittlungen.55 Die Feststellung des mangelnden Willens beinhaltet daher immer die Einschätzung und Bewertung subjektiver Motive.56 Dies ist insofern problematisch, als das Vorliegen subjektiver Elemente ohnedies immer schwieriger darzulegen und zu beweisen ist, als das Vorliegen objektiver Merkmale. So kann beispielsweise nur der Täter sicher wissen, warum er die Tat begangen, oder was er bei deren Begehung gedacht hat. Steht der Täter als Beweismittel nicht zur Verfügung bzw. ist seine Einlassung unglaubhaft, so kann die Bestimmung der subjektiven Merkmale schwierig sein. Viel hängt dann von der die Bewertung vornehmenden Person ab. So hat der erkennende Richter in Bezug auf die Feststellung subjektiver Tatbestandsmerkmale stets einen größeren Bewertungsspielraum als bei objektiven Tatbestandsmerkmalen. Um das Verfahren dennoch so objektiv wie möglich zu gestalten, werden subjektive Elemente häufig aus objektiven Elementen abgeleitet. D.h. wenn das Vorliegen bestimmter objektiver Tatsachen erwiesen ist, besteht eine Ver53
Art. 17 II Rom-Statut. Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 26; so auch Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 133; a. A. Razesberger, Florian: The International Criminal Court – The Principle of Complementarity, S. 42 f., 57. 55 Kleffner, Jann K., JICJ 1.1 (2003), S. 86, 87. 56 Ebd. 54
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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mutung, dass auch bestimmte subjektive Elemente gegeben sind. So kann z. B. aus der besonderen Gefährlichkeit einer Handlung, wie etwa einem gezielten Messerstich in den Hals des Opfers, auf das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes geschlossen werden. Die Feststellung subjektiver Motive eines Staates ist zudem noch weitaus komplexer und schwieriger als die Feststellung subjektiver Motive eines einzelnen Täters. Denn die Intention eines Staates kann nur anhand der Handlungen und Äußerungen einer Vielzahl von Entscheidungs- und Hoheitsträgern ermittelt werden und daher auch weitaus vielschichtiger und heterogener sein als die Motivation einer einzelnen Person. Hinsichtlich der Ausarbeitung einer Definition für den Begriff des mangelnden Willens konzentrierten sich die Verhandlungen auf der Rom-Konferenz daher auf die Frage, wie objektiv oder subjektiv die vom ICC anzuwendenden Kriterien sein sollten.57 Die schließlich ins Rom-Statut aufgenommene Definition des mangelnden Willens, vermittels derer der ICC die hinter einem Strafverfahren stehende Motivation eines Staates bewerten soll, legt objektive Anknüpfungspunkte fest, indem Situationen beschrieben werden, in denen ein mangelnder Wille mit größter Wahrscheinlichkeit vorliegen wird. Das Rom-Statut gibt damit den Rahmen vor, in dem sich die Argumentation der ICC-Richter bewegen muss. Die genaue Interpretation dieser Kriterien sowie natürlich die Bewertung konkreter Strafverfahren bleibt aber Aufgabe des ICCs. a) Scheinverfahren, Art. 17 Abs. 2a) Rom-Statut Die erste Situation betrifft die Sorge, dass ein Staat sich zwar an den Wortlaut, nicht aber an den Sinn und Zweck des Statuts halten könnte, indem er zwar Ermittlungen oder sogar ein Strafverfahren durchführt, allerdings nicht um den Täter zur Verantwortung zu ziehen, sondern vielmehr nur zum Schein strafrechtlich vorgeht, um die Verantwortlichen zu schützen.58 Die Konzeption des Schützens vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist sehr weit, so dass vertreten wird, dass die in Art. 17 Abs. 2 Nr. b) und c) Rom-Statut beschriebenen Situationen, d.h. namentlich der Fall einer nicht gerechtfertigten Verzögerung, die unter den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar ist, die betreffende Person vor Gericht zu stellen, sowie der Fall eines nicht unabhängigen oder parteiischen Verfahrens, nur Unterfälle dieses Konzeptes seien.59 Für diese 57 Vgl. Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 676. 58 Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 27. 59 Holmes, John T.: The Principle of Complementarity, in: Lee (Hrsg.): The International Criminal Court – The Making of the Rome Statute, S. 41, 49.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Ansicht spricht, dass die erste Alternative vorrangig auf subjektive Kriterien abstellt und daher den Begriff des mangelnden Willens nur allgemein näher beschreibt, während die beiden anderen Alternativen präziser bestimmte Situationen beschreiben, in denen das Vorliegen eines mangelnden Willens besonders nahe liegt, d.h. mehr auf objektive Kriterien abstellen als die erste Alternative. Es wird daher auf jeden Fall Überschneidungen zwischen dem ersten Fall und den beiden anderen Fällen des mangelnden Willens geben. b) Nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung, Art. 17 Abs. 2b) Rom-Statut Das zweite Kriterium einer nicht gerechtfertigten Verfahrensverzögerung (unjustified delay) war auf der Rom-Konferenz im Prinzip weitgehend anerkannt. Umstritten war nur die genaue Formulierung. Dem lag die Befürchtung zugrunde, dass ein Staat außer Stande sein könnte, den ICC daran zu hindern, ein Verfahren unberechtigter Weise an sich zu ziehen, wenn der Gerichtshof eine erhebliche Verzögerung im nationalen Strafverfahren feststellte.60 Aus diesem Grund wurde der Begriff der nicht gerechtfertigten Verzögerung (unjustified delay) anstelle des zunächst diskutierten Begriffs der unangemessenen Verzögerung (undue delay) gewählt, da die Ansicht vorherrschte, dass ersterer eine höhere Hürde für den ICC darstelle, da die Formulierung nicht gerechtfertigte Verzögerung impliziere, dass ein Staat das Rechte habe, eine etwaige Verfahrensverzögerung zu erklären, bevor der ICC ein Verfahren an sich ziehen könne.61 Interessant ist, dass die Formulierung unangemessene Verzögerung (undue delay) als zu eng angesehen wurde, obwohl die meisten völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge und sogar Art. 67 Abs. 1c) Rom-Statut eben diesen Begriff der unangemessen Verzögerung bzw. der angemessenen Frist verwenden, um das grundlegende Element eines fairen Verfahrens, das strafrechtliche Beschleunigungsgebot, zu beschreiben.62 Der Grund, von dieser ansonsten weltweit anerkannten und akzeptieren Formulierung abzuweichen, liegt wiederum in der besonderen Befugnis des ICCs, die hinter einem Strafverfahren stehenden Absichten eines Staates zu bewerten. Viele Staaten waren nur bereit diese Befugnis des Gerichtshofs zu akzeptieren, 60 Vgl. Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 676. 61 Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 17. 62 Vgl. für Festschreibungen des Beschleunigungsgebots: Art. 14 III c) IPbpR, Art. 7 I Banjul-Charta, Art. 8 I ACHR, Art. 6 EMRK, Art. 20 IV c) ICTR-Statut; Art. 21 IV c) ICTY-Statut und Art. 67 I c) Rom-Statut.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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wenn ihnen ein Recht garantiert würde, zu erklären, warum ein Verfahren so lange dauere, bevor der ICC die nationale Vorrangstellung usurpieren und die Sache für zulässig erklären könne. Hier wird wieder deutlich, wie außergewöhnlich die Befugnisse des ICCs im Vergleich zur bisherigen Völkerrechtspraxis sind. Obwohl die meisten völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge bindend sind, sind ihre Durchsetzungsmechanismen – wohl mit Ausnahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – äußerst schwach, in der Regel kommt ihnen nur eine politische Wirkung zu, da es Staaten grundsätzlich nicht schätzen, als notorische, unverbesserliche Menschenrechtsverletzer porträtiert zu werden und daher unter Umständen geneigt sind, freiwillig bestimmte Praktiken zu ändern. Art. 17 Abs. 2b) Rom-Statut enthält mehrere Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen. Zunächst muss eine Verzögerung des Strafverfahrens vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Dauer des Verfahrens länger ist als die Durchschnittsdauer von Verfahren ähnlicher Komplexität und vergleichbaren Umfangs im betreffenden Staat.63 Zudem muss die Verzögerung ungerechtfertigt sein, d.h. es muss den fraglichen Staatsorganen bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt möglich gewesen sein, die Verzögerung zu vermeiden, was indessen unterlassen wurde.64 Schließlich muss die Verzögerung unter den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar sein, die betreffende Person vor Gericht zu stellen. Eine ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung allein ist folglich nicht ausreichend, sondern es muss wegen der Verfahrensverzögerung darauf geschlossen werden können, dass die betreffende Person nicht zur Verantwortung gezogen werden soll. Diese Einschränkung ist wichtig, da es wie insbesondere die Rechtsprechung des EGMR eindrucksvoll zeigt, immer wieder zu (rechtsstaatswidrigen) Verfahrensverzögerungen kommt, etwa weil die Justiz überlastet ist, oder ein einzelner Richter einen Fehler macht, ohne dass dies indessen bedeutet, dass das Strafverfahren nicht ernsthaft betrieben würde. Eine ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung muss daher nicht zwangsläufig auf einem mangelnden Willen beruhen, den Täter zur Verantwortung zu ziehen. c) Kein unparteiisches und unabhängiges Verfahren, Art. 17 Abs. 2c) Rom-Statut Die letzte, in Art. 17 Abs. 2c) Rom-Statut genannte Voraussetzung für einen mangelnden Willen betont die Notwendigkeit der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit strafrechtlicher Verfahren. Ein mangelnder Wille darf allerdings nur 63 Vgl. Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 676. 64 Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 119 f.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
angenommen werden, wenn zusätzlich zu einem Mangel an Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit das Verfahren in einer Weise geführt wird oder wurde, die unter den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar ist, die betreffende Person vor Gericht zu stellen.65 Offensichtlich besteht die Möglichkeit des Überlappens zwischen diesem Kriterium und dem ersten, da ein Verfahren, dass geführt wird, um die betreffende Person vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen, nicht als unparteiisch bezeichnet werden kann.66 Die Tatsache, dass das Kriterium der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit strafrechtlicher Verfahren als eigenständiger Grund für einen mangelnden Willen aufgeführt worden ist, zeigt aber die herausragende Bedeutung, die diesen Grundsätzen im Rahmen eines fairen Strafverfahrens zugemessen wird. Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sind Grundvoraussetzungen für Gerechtigkeit durch strafrechtliche Verfahren. Nur wenn das Ergebnis eines Verfahrens offen ist, wenn das Verfahren beginnt, kann der Gerechtigkeit genüge getan werden. Weder eine Verurteilung noch ein Freispruch, der zuvor festgelegt worden ist, kann im Interesse der Gerechtigkeit liegen. Zudem kann argumentiert werden, dass das dritte Kriterium deshalb extra aufgelistet wurde, da es ein Paradebeispiel für eine Situation darstellt, in der ein Staat nicht willens ist, die Täter internationaler Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen und zur Verantwortung zu ziehen. Parteilichkeit ist gegeben, wenn das agierende Organ seine Entscheidung nicht objektiv nach der Lage des Verfahrens trifft, sondern unter Berücksichtigung der Interessen einer der Parteien.67 An Unabhängigkeit fehlt es dem Verfahren dagegen, wenn das agierende Organ in seiner Entscheidung nicht nur an das Recht gebunden ist, sondern auch an Direktiven übergeordneter Stellen oder Personen.68 Bei Strafverfahren wird durch einen Mangel an Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit das Fehlen der Absicht, die Person eines fairen Verfahrens zu unterziehen, in der Regel impliziert sein.69 Da indessen während der Ermittlungsphase andere – nicht so strenge – Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der die Ermittlungen leitenden staatlichen Stellen zu stellen sind, erscheint es überzeugend, dass – wie Cárdenas vorschlägt – in diesen Fällen das Fehlen der Absicht in jedem Fall separat festgestellt werden muss.70
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Vgl. Art. 17 Abs. 2c) Rom-Statut. Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 676. 67 Vgl. Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 121. 68 Ebd., S. 121 f. 69 So auch ebd., S. 125. 70 Ebd., S. 122 ff. 66
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d) Die Bewertung staatlicher Ermittlungen und Strafverfahren durch den ICC Bei der Bewertung, ob eine der in Abs. 2 genannten Voraussetzungen vorliegt, hat der ICC die Durchführung früherer Ermittlungen und Strafverfahren in dem fraglichen Staat in vergleichbaren Umständen zu berücksichtigen.71 Ein weiterer Faktor, der erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Legitimität nationaler Strafgewaltsausübung hervorrufen kann, sind Abweichungen von der ordentlichen Strafprozessordnung des betroffenen Staates, wie etwa die Verweisung eines Falls an ein (geheimes) Sondergericht.72 In Deutschland verbietet daher auch Art. 101 GG ausdrücklich Ausnahmegerichte und garantiert den Anspruch auf den gesetzlichen Richter, um der Gefahr vorzubeugen, dass die Justiz durch Manipulation sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird.73 Der ICC hat allerdings die lokalen Besonderheiten und Eigenheiten eines nationalen Rechts- und Justizsystems sowie die grundlegenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtskreisen der Welt zu respektieren. Es ist ein wichtiges Element staatlicher Souveränität und der Selbstbestimmtheit eines Volkes, ein eigenes Rechts- und Justizsystem zu etablieren. Es kann daher auch nicht erwartet werden, dass alle Staaten ein Strafrechtspflegesystem etablieren, das uneingeschränkt westlichen Standards entspricht oder mit dem System des Rom-Statuts identisch wäre. Zumal selbst die westliche Strafrechtspflege, nicht zuletzt aufgrund der grundlegenden Unterschiede zwischen dem kontinentaleuropäischen und dem angloamerikanischen Rechtssystem, sehr unterschiedlich ausgestaltet ist. Der ICC wird sich daher auf die Frage konzentrieren müssen, ob das fragliche Verfahren im Vergleich mit anderen strafrechtlichen Verfahren in dem betroffenen Staat eine Intention erkennen lässt, die betreffende Person vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen, oder nach den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar ist, die betreffende Person vor Gericht zu stellen. Denn es kann nicht Aufgabe des ICCs sein, die nationale Strafjustiz zu kolonialisieren. Zudem ist anzunehmen, dass der ICC eindeutige Beweise benötigt, bevor eine Sache gegen den ausdrücklichen Willen des betroffenen Vertragsstaates für zulässig erklärt wird.74 Interessant wird in nächster Zeit insbesondere sein, ob der Sudan die Zulässigkeit der Verfahren vor dem ICC wegen der Situation in Darfur ernsthaft mit der Begründung angreifen wird, dass er willens und in der Lage sei, die Straf71 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 675. 72 Ebd. 73 Haller, Klaus/Conzen, Klaus: Das Strafverfahren, S. 3. 74 Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court, S. 90.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
verfahren durchzuführen. Die sudanesische Antwort auf den Bericht des Anklägers an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über den Fortgang der Ermittlungen in Darfur, in welcher nachdrücklich die unternommenen Bemühungen betont und dargestellt werden, die Verantwortlichen für die Situation in Darfur zur Rechenschaft zu ziehen, zeugen jedenfalls von einer derartigen Intention des Sudans, durch eigene Maßnahmen die Verfahren vor dem ICC zu stoppen.75 Die Vorverfahrenskammer I ist in ihrer Begründung der Haftbefehle gegen die ersten sudanesischen Verdächtigen Ahmad Harun und Ali Kushayb vom 27. April 2007 allerdings überhaupt nicht auf diese Bemühungen des Sudans eingegangen. Hinsichtlich der Komplementaritätskriterien des Art. 17 Rom-Statut finden sich allein Ausführungen zur Stellung der Angeklagten in der Stammes- bzw. Staatshierarchie und zu ihrer Rolle bei der Begehung der fraglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit,76 welche indessen allenfalls als Ausführungen zur Schwere der Tat im Sinn des Art. 17 Abs. 1d) Rom-Statut gewertet werden können. 2. Der Begriff des Unvermögens (inability) Zur Feststellung, ob die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht in der Lage sind, Ermittlungen oder ein Strafverfahren ernsthaft durchzuführen, prüft der Gerichtshof, ob der Staat wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs oder der mangelnden Verfügbarkeit seines innerstaatlichen Justizsystems nicht in der Lage ist, des Beschuldigten habhaft zu werden oder die erforderlichen Beweismittel und Zeugenaussagen zu erlangen, oder aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, ein Verfahren durchzuführen.77
Es ist berichtet worden, dass die Verhandlungen auf der Rom-Konferenz zu Abs. 3 deutlich weniger umstritten waren als die Verhandlungen zum Konzept des mangelnden Willens. Der Grund für diese unterschiedliche Handhabung wird dabei vor allem darin gesehen, dass die Idee des Unvermögens ein sachlicherer, mehr von objektiven Faktoren bestimmter Begriff ist als der des mangelnden Willens, da etwa das Fehlen eines funktionierenden Justizsystems eine Tatsache ist, die entweder zutrifft oder eben nicht und daher einer subjektiven Interpretation weitaus weniger zugänglich ist.78 75 Vgl. UN Doc. S/PV.5450, S. 5–6, auszugsweise abgedruckt bei Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 176. 76 Vgl. Situation in Dafur, Sudan (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ahmad Harun, 27.04.2007, S. 5 f.; Situation in Dafur, Sudan (ICC-02/05-01/07), Warrant of Arrest for Ali Kushayb, 27.04.2007, S. 5 f. 77 Art. 17 Abs. 3 Rom-Statut. 78 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 678.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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Sowohl von kongolesischer als auch von ugandischer Seite wurde bei der Verweisung der jeweiligen Situationen an den ICC explizit erklärt, dass das nationale Justizsystem nicht in der Lage sei, die Strafverfahren durchzuführen.79 Problematisch ist indessen, dass sich die ugandische Regierung in ihrem ,Letter of Jurisdiction‘ vom 28. Mai 2004 nicht darauf beschränkt hat, darzulegen, dass sie nicht in der Lage sei, die Personen festzunehmen, die die größte Verantwortung tragen, sondern zudem auch erklärt hat, dass der ICC „the most appropriate and effective forum for the investigation and prosecution of those bearing the greatest responsibility“ sei, und die ugandische Regierung auch aus diesem Grunde keine Ermittlungen hinsichtlich der Hauptverantwortlichen durchgeführt habe und dies auch nicht beabsichtige.80 Nach dem Rom-Statut ist es aber die Pflicht jedes Vertragsstaates, seine Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben.81 Eine vorrangige Strafgewalt des ICCs, weil er ein Verfahren besser oder effektiver führen könnte, ist dem RomStatut fremd. Angesichts der von der ugandischen Regierung abgegebenen Erklärung lässt sich aber daran zweifeln, ob hier wirklich nur ein Fall des Unvermögens oder darüber hinaus auch ein mangelnder Wille vorliegt bzw. ob es sich nicht eigentlich um einen Jurisdiktionsverzicht Ugandas zugunsten des ICCs handelt. Hinsichtlich der Situation in Darfur hat der Gerichtshof zudem überhaupt nicht zur Frage des Unvermögens Stellung genommen, was angesichts der neusten sudanesischen Bemühungen bedenklich erscheint. a) Der völlige oder weitgehende Zusammenbruch des innerstaatlichen Justizsystems Art. 17 Abs. 3 Rom-Statut nennt sowohl den Fall des völligen als auch des weitgehenden (substantial) Zusammenbruchs des innerstaatlichen Justizsystems. 79 Vgl. Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr Thomas Lubanga Dylio (ICC-01/04-01/06), Rn. 34; Situation in Uganda (ICC-02/04-53), Warrant of Arrest for Joseph Kony Issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005, Rn. 37; Situation in Uganda (ICC-02/04-54), Warrant of Arrest for Vincent Otti, 08.07.2005, Rn. 37; Situation in Uganda (ICC-02/04-55), Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, 08.07.2005, Rn. 25; Situation in Uganda (ICC02/04-56), Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, 08.07.2005, Rn. 27; Situation in Uganda (ICC-02/04-57), Warrant of Arrest for Dominic Ohgwen, 08.07.2005, Rn. 25. 80 Vgl. Situation in Uganda (ICC-02/04-53), Warrant of Arrest for Joseph Kony Issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005, Rn. 37; Situation in Uganda (ICC-02/04-54), Warrant of Arrest for Vincent Otti, 08.07.2005, Rn. 37; Situation in Uganda (ICC-02/04-55), Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, 08.07.2005, Rn. 25; Situation in Uganda (ICC-02/04-56), Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, 08.07.2005, Rn. 27; Situation in Uganda (ICC-02/04-57), Warrant of Arrest for Dominic Ohgwen, 08.07.2005, Rn. 25. 81 Vgl. Präambel Abs. 6 Rom-Statut.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Bis zur Rom-Konferenz wurde dabei der Begriff partial anstelle von substantial verwendet. Einige Delegationen argumentierten aber, dass ein partieller Zusammenbruch des innerstaatlichen Justizsystems eines Staates nicht notwendig bedeute, dass Ermittlungen oder ein Strafverfahren nicht nach den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (in good faith) durchgeführt werden könnten.82 Denn ein partieller Zusammenbruch bedeutet eben auch immer ein noch teilweises Bestehen des Justizsystems, das insofern – zumindest im Hinblick auf einzelne Verfahren – auch noch funktionstüchtig sein kann. Aus diesem Grund wurde im endgültigen Vertragspaket der Text zugunsten der Formulierung des weitgehenden (substantial) Zusammenbruchs geändert.83 Bei der Bestimmung, was einen völligen oder weitgehenden Zusammenbruch darstellt, muss der ICC erwägen, ob der Staat nicht in der Lage ist, des Beschuldigten habhaft zu werden oder die erforderlichen Beweismittel und Zeugenaussagen zu erlangen, oder aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, ein Verfahren durchzuführen. Diese Kriterien sind im Wesentlichen objektiv bestimmbare Tatsachen, die entweder vorliegen oder nicht, so dass der Spielraum für subjektive Interpretation durch den ICC beschränkt ist, wenngleich auch durch das dritte Kriterium der anderen Gründe eine gewisse Freiheit eröffnet wird, die Zulässigkeit zu bejahen, wenn unvorhersehbare Umstände nationale Strafverfahren hindern.84 Gedacht war vor allem an Situationen sog. failed states wie Somalia und Ruanda ohne zentrale Staatsgewalt.85 D.h. anvisiert waren Staaten in einem Zustand des völligen und nicht nur kurzzeitigen Chaos, in denen entweder das gesamte oder zumindest der wesentliche Teil des Justizsystems zusammengebrochen ist. Die Frage, ob ein weitgehender Zusammenbruch vorliegt, kann allerdings im Einzelfall schwierig zu beantworten sein. Nach Cárdenas soll ein weitgehender Zusammenbruch grundsätzlich erst dann in Betracht kommen, wenn die staatliche Strafrechtspflege Mängel aufweist, die das System als Ganzes beeinträchtigen.86 Für diese Interpretation spricht, dass anderenfalls eine Vergleichbarkeit mit der anderen Alternative des vollständigen Zusammenbruchs nicht gegeben wäre. Überdies ist ein Zusammenbruch des Justizsystems – sei es nun ein völliger oder ein weitgehender – immer eine Situation, die eine Betroffenheit des 82 Vgl. Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 17. 83 Vgl. ebd. 84 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.), S. 667, 678. 85 Seidel, Gerd/Stahn, Carsten, Jura 1999, S. 14, 16; Stahn, Carsten, EuGRZ 1998, S. 577, 589; Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 30. 86 Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 132.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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Justizsystems weit über den konkreten Fall hinaus voraussetzt. Mithin muss auch hinsichtlich der Frage, ob ein weitgehender Zusammenbruch vorliegt, auf das Justizsystem als Ganzes abgestellt werden. Schließlich spricht für diese Interpretation auch die dargestellte historische Entwicklung der Norm und insbesondere die bewusste Verwendung der Formulierung substantial collapse statt der zunächst favorisierten Variante eines partial collapse. b) Die mangelnde Verfügbarkeit des innerstaatlichen Justizsystems Nach Art. 17 Abs. 3 Rom-Statut hat der ICC im Rahmen des Unvermögens nicht nur einen Zusammenbruch, sondern auch eine mangelnde Verfügbarkeit des innerstaatlichen Justizsystems zu beachten. Umstritten ist insoweit vor allem, ob eine mangelnde Verfügbarkeit des Justizsystems auch auf dem Nichtvorhandensein bzw. den Unzulänglichkeiten des materiellen oder sogar prozessualen nationalen Rechts beruhen kann.87 Bejaht man dies, so müssten Staaten, um ihr vorrangiges Recht auf Strafverfolgung zu sichern, alle rechtlichen Vorkehrungen treffen, die es ihren Strafverfolgungsbehörden ermöglichten, die Kernverbrechen des Rom-Statuts genauso effektiv als solche zu verfolgen wie der ICC.88 Staaten könnten daher z. B. nicht nur verpflichtet sein sicherzustellen, dass ihr nationales Recht die Strafbarkeit und Verfolgbarkeit von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorsieht, sondern es müsste eine totale Deckungsgleichheit mit den Straftatbeständen und vielleicht sogar allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Rom-Statuts bestehen.89 Folglich könnte selbst ein Staat mit einem an sich gut funktionierenden Justizsystem – zumindest in Einzelfällen – nicht in der Lage sein, die strafrechtliche Verfolgung zu übernehmen, wenn beispielsweise das nationale Rechte eine im Rom-Statut vorgesehene Begehungsform der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht als solche unter Strafe stellt. Dieses Ergebnis erscheint problematisch. Zunächst ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kommentatoren der Verhandlungen in Rom der Alternative der mangelnden Verfügbarkeit des nationalen Justizsystems nur sehr wenig Beachtung geschenkt haben und insbesondere in der Regel nicht zwischen Zusammenbruch und mangelnder Verfügbarkeit trennen.90 Wenn aber der Begriff der 87 Bejahend insoweit Kleffner, Jann K., JICJ 1.1 (2003), S. 86, 88–89; so auch Gioia, Federica, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 105, 107; Razesberger, Florian: The International Criminal Court – The Principle of Complementarity, S. 49 f.: The most evident scenario is a State lacking the necessary legislation at all. 88 Kleffner, Jann K., JICJ 1.1 (2003), S. 86, 88. 89 Vgl. hierzu ebd., S. 86, 95, 101. 90 Vgl. etwa Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17, Rn. 30.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
mangelnden Verfügbarkeit so zu interpretieren wäre, wie gerade dargestellt, wäre diesem sicherlich mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Eine historische Auslegung des Begriffs der mangelnden Verfügbarkeit lässt es daher überzeugender erscheinen, dass diese nur in Situationen vorliegt, in denen das innerstaatliche Justizsystem – etwa aufgrund einer Naturkatastrophe großen Ausmaßes, wie z. B. einem Tsunami – temporär nicht zur Verfügung steht. Der Unterschied zum Fall des Zusammenbruchs läge dann darin, dass in letzterem das innerstaatliche Justizsystem für einen längerfristigen, unübersehbaren Zeitraum aufgehört hat zu existieren und nicht nur wie im Fall der Unverfügbarkeit temporär ausgefallen ist. Sieht man zudem den Begriff der mangelnden Verfügbarkeit im Zusammenhang mit dem klareren Konzept eines völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs, so ist es auch aus systematischen Gründen überzeugender, im Hinblick auf die Unverfügbarkeit eines nationalen Justizsystems ähnlich schwerwiegende Situationen als Voraussetzung für das Unvermögen eines Staates zu verlangen, wie dies im Rahmen der ersten Alternative unstreitig vorausgesetzt wird. Wenn aber hinsichtlich eines Zusammenbruchs des nationalen Justizsystems an die Situation eines failed state gedacht worden ist, so muss in Bezug auf die mangelnde Verfügbarkeit eines nationalen Rechtssystems eine vergleichbar schwere, besorgniserregende Situation der Zerstörung, Vernichtung und des Chaos eingetreten sein, die ein nationales Justizsystem im Wesentlichen aushebelt. Beachtlich erscheint schließlich auch die Argumentation, dass in Fällen, in denen das Unvermögen eines Staates durch eine Gesetzesänderung behoben werden könnte, eigentlich gar kein echter Fall des Unvermögens vorliegt, da es hier für den betroffenen Staat ja gerade möglich wäre, durch eine entsprechenden Rechtsänderung das Hindernis zu beseitigen.91 Unter Zugrundelegung dieser Argumentation würde somit allenfalls ein mangelnder Willen, keinesfalls aber ein Unvermögen in Betracht kommen. Cárdenas verweist zudem überzeugend auf den Wortlaut der spanischen Fassung des Rom-Statuts, welcher gem. Art. 33 Abs. 3 WVK für die Auslegung des Statuts genauso von Bedeutung ist, wie die anderen verbindlichen Fassungen. Wobei nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der spanischen Fassung der Begriff des Unvermögens nur so verstanden werden könne, dass ein Justizsystem nur dann unverfügbar sei, wenn es nicht vorhanden ist, d.h. in dem fraglichen Staat keine Strafjustiz mehr existiert.92 In jedem Fall erscheint die Forderung, dass Staaten gezwungen sein sollten ihr innerstaatliches Rechtssystem vollständig mit den Tatbeständen und Grundsätzen des Rom-Statuts gleichzuschalten, sowohl unrealistisch als auch wenig 91 Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 126. 92 Ebd., S. 128, 132.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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wünschenswert. Obwohl es zutreffend ist, dass das Rom-Statut Staaten dazu ermutigt, ihre nationale Strafgewalt über die Kernverbrechen des Rom-Statuts auszuüben,93 und obwohl man legitimer Weise argumentieren kann, dass die Vertragsstaaten des Rom-Statuts verpflichtet sind, in ihrem nationalen Rechtssystem eine Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgbarkeit der ICC-Kernverbrechen zu etablieren, bedeutet dies nicht, dass das nationale Recht identisch mit den Bestimmungen des Rom-Statuts sein muss. Selbst Deutschland, das bei der Implementierung des Rom-Statuts erhebliche Änderungen des nationalen Rechts vorgenommen und sogar das absolute Weltrechtsprinzip für die Kernverbrechen des Rom-Statuts eingeführt hat, hat die Verbrechenstatbestände, wie sie im Rom-Statut definiert sind, nicht uneingeschränkt übernommen. Zudem wurden auch die Bestimmungen des Allgemeinen Teils des StGB nicht an die Regelungen des Rom-Statuts angepasst und insoweit sogar Abweichungen bewusst in Kauf genommen, wenn eine Übernahme der Regelung des Statuts zu gravierenden Friktionen mit Grundprinzipien des deutschen Straf- und Verfassungsrechts geführt hätte.94 Das Hauptproblem bei der gesetzgeberischen Arbeit bestand dabei darin, dass, obwohl man bestrebt war, die rechtlichen Vorgaben des Rom-Statuts möglichst detailgetreu abzubilden, das Rom-Statut – von Übersetzungsproblemen ganz abgesehen – weder nach seiner Gesetzgebungstechnik, noch nach dem Grad der Tatbestandsbestimmtheit, noch im Hinblick auf die Grundsätze strafrechtlicher Verantwortlichkeit dem entspricht, was im deutschen Strafrecht üblich ist.95 Andere Staaten werden bei der Implementierung des Rom-Statuts auf vergleichbare Probleme stoßen bzw. gestoßen sein. Überdies ist die anfangs dargestellte Interpretation des Rom-Statuts nicht vereinbar mit dem Grundsatz staatlicher Souveränität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Zwar sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, von ihnen unterzeichnete völkerrechtliche Verträge in ihr nationales Recht umzusetzen, allerdings steht es ihnen frei, dies in einer Weise zu tun, die sich mit ihrem nationalen (Rechts-)System verträgt. Es würde dagegen über jede völkervertragliche Verpflichtung hinausgehen, wenn Staaten verpflichtet wären, ihr nationales Recht selbst den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages vollständig gleichzuschalten, die keine direkten Pflichten für die Vertragsstaaten enthalten. Überdies ist der ICC verpflichtet, die bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Staaten und den unterschiedlichen Rechts- und Justizsystemen zu achten. Der Sinn und Zweck des ICCs liegt nicht darin, diese Unterschiede aus93
Vgl. nur: Paragraph 6 der Präambel des Rom-Statuts. Weigend, Thomas: Das Völkerstrafgesetzbuch – nationale Kodifikation internationalen Rechts, in: Neubacher/Klein (Hrsg.): Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts?, S. 117, 125 f. 95 Ebd., S. 117, 123. 94
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
zumerzen, sondern sicherzustellen, dass die Täter der Kernverbrechen nicht unbestraft bleiben. Jedenfalls solange es sich nicht um besonders gravierende Defizite handelt, die sich auf das ganze Rechts- und Justizsystem auswirken, kann hier folglich nicht von einer mangelnden Verfügbarkeit des nationalen Justizsystems gesprochen werden. Allenfalls in Fällen, in denen das gesamte Straf- und Strafprozessrecht so gestaltet ist, dass umfangreichste Gesetzesänderungen sowohl im materiellen als auch im prozessualen Recht erforderlich wären, um eine effektive Verfolgbarkeit der Kernverbrechen des Rom-Statuts zu ermöglichen, kann ein staatliches Unvermögen in Betracht kommen. c) Staatliches Unvermögen in der Praxis des ICCs In der Praxis des ICCs ist soweit ersichtlich bislang nicht zwischen den beiden Alternativen staatlichen Unvermögens, d.h. einem Zusammenbruch und einer mangelnden Verfügbarkeit des innerstaatlichen Justizsystems, unterschieden worden. Am Beispiel des Kongo lässt sich zudem überzeugend darstellen, dass ein Zusammenbruch bzw. eine mangelnde Verfügbarkeit des nationalen Justizsystems sowohl auf rein faktischen wie auch auf rechtlichen Umständen beruhen kann, die sich gegenseitig bedingen. So wird der Zustand des Justizsystems im Kongo von NGOs als unzulänglich und in einem Zustand des fortschreitenden Verfalls begriffen beschrieben: Das viel zu knapp bemessene Personal lebe und arbeite unter miserablen Bedingungen; die Ausbildung sei vielfach schlecht und bereite nicht hinreichend darauf vor, aktuelle Probleme in Rechts- und Justizwesen anzugehen; Korruption, Tribalismus und Nepotismus seien omnipräsent.96 Zudem stehen wohl zahlreiche noch immer anwendbare kongolesische Gesetze, ehemals übernommen aus den Systemen der Kolonialherren, im Widerspruch zu den später übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der demokratischen Republik Kongo: So sei z. B. das kongolesische Strafgesetzbuch von 1886 zuletzt 1940 überarbeitet worden, und die Strafprozessordnung von 1959 sei ebenfalls noch auf einem Stand vor Verabschiedung und Inkrafttreten der internationalen Menschenrechtsverträge.97 Unabhängig davon, ob man hier einen Fall des Zusammenbruchs oder der Nichtverfügbarkeit des nationalen Justizsystems annehmen will, zeigt diese Beschreibung des nationalen Justizsystems im Kongo sehr eindeutig, dass sich hier die faktischen und rechtlichen Missstände nicht auf einzelne, trennbare
96 Vgl. zur Lage in der demokratischen Republik Kongo zum Zeitpunkt der Verweisung an den ICC: Open Society, www.justiceinitiative.org/db/resource2/fsl?file_id= 15284, letzter Zugriff am 01.04.2005. 97 Vgl. ebd.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
163
Umstände, wie etwa eine Tatbestandsalternative beziehen, sondern auf das gesamte Justizsystem übergreifen. Zudem hat auch die International Commission of Inquiry on Violations of International Humanitarian Law in Darfur in ihrem Bericht an den UN-Sicherheitsrat, in welchem sie darlegte, dass das sudanesische Justizsystem weder in der Lage noch willens sei, die Situation in Darfur zu untersuchen, explizit darauf hingewiesen, dass die geltenden Gesetze im Sudan im Widerspruch zu fundamentalen Menschenrechtsstandards stehen, eine adäquate Strafbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie in Darfur begangen würden, nicht bestehe und zudem das Strafprozessrecht Bestimmungen enthalte, die eine effektive Verfolgung der genannten Verbrechen verhinderten.98 Auch wenn in diesem Bericht nicht zwischen mangelndem Willen und Unvermögen unterschieden wird, so ist ihm doch zu entnehmen, dass in Fällen, in denen das gesamte Straf- und Strafprozessrecht so gestaltet ist, dass umfangreichste Gesetzesänderungen sowohl im materiellen als auch im prozessualen Recht notwendig wären, um eine effektive Verfolgbarkeit der Kernverbrechen zu ermöglichen, nicht nur ein mangelnder Wille, sondern auch ein Unvermögen in Betracht kommen kann. Für eine noch weiter gehende Interpretation des Begriffs der mangelnden Verfügbarkeit eines innerstaatlichen Justizsystems spricht schließlich die Entscheidung der Vorverfahrenskammer I im Fall Lubanga: Im März 2005 wurden im Kongo wegen verschiedener Verbrechen, darunter nach der Vorverfahrenskammer I auch einige möglicherweise unter die Jurisdiktion des ICCs fallende Verbrechen, zwei Haftbefehle gegen Lubanga erlassen und dieser ab dem 19. März 2005 im Centre pénitentiaire et de rééducation des Kinshasa, Kongo festgehalten. Zu den Taten, wegen derer ein Verfahren gegen Lubanga im Kongo vorbereitet wurde, sollen dabei auch Akte des Genozids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehört haben.99 Dennoch vertrat die Vorverfahrenskammer I die Ansicht, dass das Verfahren vor dem ICC weiterhin zulässig sei, da sich diese Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden nicht auf die Taten und Tatbestände bezögen, deretwegen das Verfahren gegen Lubanga vor dem ICC eingeleitet worden war.100
98 Vgl. Report of the International Commission of Inquiry on Violations of International Humanitarian Law and Human Rights Law in Dafur, UN Doc. S/2005/60, Paragraph 568, auszugsweise abgedruckt bei Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 176. 99 Vgl. Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 182. 100 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr Thomas Lubanga Dylio (ICC-01/04-01/06), Rn. 37 ff.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Diese Entscheidung der Vorverfahrenskammer ist als unglücklich wenn nicht bedenklich zu bewerten. Wenn ein Angeklagter durch nationale Strafverfolgungsbehörden verfolgt wird, erscheint es unzulässig, die Entscheidung der Zulässigkeit auf einen rein mechanischen Vergleich der angeklagten Taten bzw. der in Betracht kommenden nationalen und internationalen Verbrechenstatbestände zu reduzieren.101 Vorzugswürdig ist es, wie auch Schabas fordert, auf die Schwere der von den nationalen Strafverfolgungsbehörden angeklagten Verbrechen im Vergleich zu den international verfolgten Verbrechen abzustellen.102 Insoweit sollte selbst die Verfolgung wegen „normaler“ Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung ausreichend sein, wenn mit einer vergleichbaren Strafe zu rechnen ist.103 Ziel des Rom-Statuts ist es nämlich, der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen, und nicht eine Art strafrechtliche Missionsarbeit zu betreiben. Wie bereits dargestellt wird kaum ein Staat einen Straftatenkatalog haben, der in Bezug auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in jedem Detail mit dem des Rom-Statuts identisch ist. Wohl aber werden die Taten, die Verbrechenstatbeststände nach dem Rom-Statut erfüllen, in aller Regel auch nach nationalem Recht als „normale“ Verbrechen strafbar sein. Überdies ist zu berücksichtigen, dass es aus Sicht der nationalen Strafverfolgungsbehörden auch dann Sinn machen kann, gegen einen mutmaßlichen Täter wegen „normaler“ Verbrechenstatbestände vorzugehen, wenn wegen der gleichen Handlung auch internationale Verbrechenstatbestände in Betracht kommen, da etwa ein Verfahren wegen Mordes weitaus leichter, schneller und damit effektiver zu führen sein kann, als ein Verfahren wegen Völkermordes.104 Ist in beiden Fällen aber eine mit Blick auf die begangene Tat angemessene und vergleichbar schwere Strafe zu erwarten, so sollte den nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht die Möglichkeit genommen werden, selbst zu entscheiden, wegen welcher Tatbestände das Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt werden soll. 3. Der Begriff des genuine trial (ernsthaftes Verfahren) Das Ergebnis des mangelnden Willens bzw. des Unvermögens muss darin bestehen, dass der fragliche Staat die staatlichen Ermittlungen bzw. das Strafverfahren nicht mehr ernsthaft (genuinely) durchführt. Durch den Begriff ernsthaft 101 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 182. 102 Ebd. 103 Jedenfalls für den Fall der Gleichwertigkeit von nationaler und internationaler Strafe insoweit zustimmend: Razesberger, Florian: The International Criminal Court – The Principle of Complementarity, S. 57. 104 Vgl. Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 184.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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(genuine) werden somit besondere Anforderungen an die Art und Weise der staatlichen Strafverfolgung gestellt. a) Begriffsfindung auf der Rom-Konferenz Die zentralen Bedenken auf der Rom-Konferenz in der Diskussion um die Formulierung der Anforderungen, die an die staatliche Verfahrensführung zu stellen seien, lagen darin, dass befürchtet wurde, der ICC könne den Standpunkt einnehmen, dass er die Aufgabe der Strafverfolgung besser erfüllen könne als nationale Gerichte, was durch die Verwendung von Begriffen wie effectively hätte impliziert werden können.105 Es bestand Einigkeit, dass das entscheidende Kriterium darin liegen solle, ob ein Mangel in der Vorgehensweise des fraglichen Staates bestünde, der zwangsläufig in einer gerichtlichen Farce, einer Verhöhnung der Gerechtigkeit resultieren würde.106 Da aber eine gewisse Subjektivität seitens des ICCs als unvermeidbar und zudem auch notwendig angesehen wurde, wurde schließlich der Begriff genuine verwendet, da dieser, zumindest im Vergleich zu den anderen diskutierten Begriffen wie effectively, diligently oder in good faith, als am wenigsten zu beanstandende Formulierung erachtet wurde.107 Es ist hervorzuheben, dass im Gegensatz zu den Begriffen des Unvermögens und des mangelnden Willens eine Definition des Begriffs genuine (ernsthaft) im Rom-Statut nicht gegeben wird. Zudem ist dieser Begriff ebenso wie der der Komplementarität weder im nationalen Recht, noch im Völkerrecht geläufig. Obwohl diese Formulierung damit für viele Delegationen weniger klar war, als andere diskutierte Begriffe, wurde sie schließlich gewählt, um einen möglichst breiten Konsens unter den Delegationen zu erreichen.108 Die teilweise unklare, unbestimmte Bedeutung des Wortes genuine wurde somit mehr oder weniger bewusst genutzt, um eine möglichst breite Zustimmung zu erreichen. Zudem erscheint es vertretbar anzunehmen, dass durch die Verwendung dieses offenen Begriffes ganz bewusst die Aufgabe seiner Gestaltung und damit letztlich die Formung des Komplementaritätsprinzips den Richtern des ICCs übertragen wurde. Allerdings ist der Begriff genuine nicht jeder Interpretation uneingeschränkt zugängig. Nach den Kommentatoren der Verhandlungen in Rom ist der Begriff 105 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 674. 106 Ebd. 107 Ebd.; Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17 Rn. 22. 108 Holmes, John T.: The Principle of Complementarity, in: Lee (Hrsg.): The International Criminal Court – The Making of the Rome Statute, S. 41, 50.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
genuine eng verbunden mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (principle of good faith).109 Die Formulierung in good faith wurde indessen auf der Rom Konferenz verworfen, da argumentiert wurde, dass ein Staat Ermittlungen oder ein Strafverfahren nach Treu und Glauben betreiben könne, zugleich aber für Außenstehende offensichtlich sein könne, dass ein objektives Ergebnis nicht erzielt werden könne, nicht infolge eines Mangels an gutem Glauben, sondern aufgrund anderer, objektiverer Faktoren wie eines partiellen Unvermögens des nationalen Systems.110 Es ist zu bedenken, dass obgleich der Begriff genuine vor allem bzgl. der Feststellung des mangelnden Willens diskutiert worden ist, er in gleichem Maße für die Definition des staatlichen Unvermögens von Bedeutung ist,111 einem Konzept, das wesentlich stärker von Tatsachen bestimmt ist, als das des mangelnden Willens. Der Begriff genuine ist daher auch aus diesem Grunde dem des good faith vorzuziehen, da er objektiver ist und nicht nur auf die subjektiven Ziele und Motive des die Strafverfolgung betreibenden Staates abstellt. b) Die Voraussetzungen einer ernsthaften (genuine) Strafverfolgung Als Ausgangspunkt für eine Interpretation des Terminus genuine (ernsthaft) ist von der Prämisse auszugehen, dass staatliche Ermittlungen und Strafverfahren nur dann als ernsthaft bezeichnet werden können, wenn sie geeignet sind, der Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit zu dienen. Dies kann für strafrechtliche Verfahren dann bejaht werden, wenn sie in Übereinstimmung mit den Grundsätzen eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens geführt werden. Gerechtigkeit kann es nicht um jeden Preis geben, das prozessordnungsmäßige Zustandekommen der Entscheidung ist deshalb eine Aufgabe des Strafverfahrensrechts, die gleichberechtigt neben dem Erfordernis einer effektiven Strafverfolgung steht.112 Entsprechendes muss im Prinzip auch für staatliche Ermittlungen gelten, wobei insoweit allerdings die grundsätzlichen Unterschiede zwischen bloßen Ermittlungen und einem formellen Strafverfahren zu berücksichtigen sind. So sind beispielsweise an die Unabhängigkeit von Ermittlungsbehörden in 109 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 674; Williams, Sharon A., in: Triffterer (Hrsg.): Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 17 Rn. 22. 110 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 674. 111 Art. 17 I a) Rom-Statut lautet: . . ., unless the State is unwilling or unable genuinely to carry out the investigation or prosecution; und entsprechend Art. 17 I b) Rom-Statut: . . ., unless the decision resulted from the unwillingness or inability of the state genuinely to prosecute. 112 Vgl. für das deutsche Strafverfahrensrecht: Beulke, Werner: Strafprozessrecht, Rn. 5.
IV. Der mangelnde Wille und das Unvermögen eines Staates
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der Regel nicht so hohe Ansprüche zu stellen wie an die der erkennenden Richter. Zudem muss nach dem Rom-Statut der Begriff genuine – zumindest hinsichtlich des mangelnden Willens – in Verbindung gesehen werden mit der Obligation des ICCs, die völkerrechtlich anerkannten Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens zu berücksichtigen.113 Die Frage, ob die staatliche Strafverfolgung ernsthaft im Sinn des Rom-Statuts ist, lässt sich folglich darauf konkretisieren, ob das Verfahren in Einklang mit den völkerrechtlichen Grundsätzen eines fairen und unabhängigen Strafverfahrens steht. Es ist aber zu berücksichtigen, dass jedes (staatliche) Rechts- und Justizsystem seine Eigenheiten hat, und daher auch unterschiedliche Anforderungen an ein faires und unabhängiges Strafverfahren stellt. Wie bereits angesprochen sind allein im Hinblick auf westliche Staaten die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem angloamerikanischen common law und den kontinentaleuropäischen Rechtssystem fundamental. Während im angloamerikanischen Recht das Strafverfahren als adversatorisches Verfahren geführt wird, in welchem Verteidigung und Anklage als gegnerische Parteien auftreten, wird im kontinentaleuropäischen Rechtssystem das Strafverfahren als inquisitorisches Verfahren geführt, d.h. dass die Anklage auch entlastende Umstände zu berücksichtigen und zu ermitteln hat und das Gericht zusätzlich Beweismittel fordern kann und nicht an das Parteivorbringen gebunden ist.114 Bereits aus dieser unterschiedlichen Stellung von Richter und Anklagebehörde in den verschiedenen Rechtskreisen ergeben sich zwangsläufig andere Voraussetzungen für ein faires und unabhängiges Strafverfahren. Überdies liegt es auf der Hand, dass sich die Art und Weise, in der Strafverfahren in einem europäischen Staat geführt werden, grundlegend von der Praxis in z. B. einem afrikanischen oder asiatischen Staat unterscheiden. Diese Vielfalt des nationalen Strafprozessrechts und der nationalen Praxis muss berücksichtigt werden. Es ist Bestandteil des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips und der inneren Selbstbestimmtheit eines Volkes, dass jeder Staat berechtigt ist, das Prozessrecht einzuführen und anzuwenden, das er für richtig hält; zumindest solange dies im Einklang mit den völkerrechtlichen Mindeststandards eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens steht. Ohne die Achtung der grundlegendsten Prinzipien eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens wie etwa der Unschuldsvermutung und dem Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter kann der Gerechtigkeit aber auch ganz unabhängig von den Eigenarten des jeweiligen Rechts- und Justizsystems nicht gedient werden. Hinsichtlich des Rechts auf einen unabhängigen und un113 114
Vgl. Art. 17 II Rom-Statut. Vgl. Beulke, Werner: Strafprozessrecht, Rn. 11b.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
parteiischen Richter wird dies bereits durch die Regelungen des Komplementaritätsprinzips anerkannt, da der ICC das Vorliegen eines mangelnden Willens insbesondere auch dann feststellen kann, wenn das Verfahren nicht unabhängig oder unparteiisch ist.115 Mithin ist ein Staat, wenn er die fundamentalsten Prinzipien eines fairen und unabhängigen Verfahrens nicht achtet, entweder nicht Willens oder nicht in der Lage das Verfahren ernsthaft zu betreiben. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt wohl auch Jensen mittels einer Analyse der Entstehungsgeschichte des Art. 17 Rom-Statut, nach dessen Ansicht durch den Begriff genuine ein Mindeststandard für Staaten festgesetzt werden sollte, der bei der Durchführung von Ermittlungen und Strafverfahren wegen der Kernverbrechen des Rom-Statuts einzuhalten sei.116 Zu bedenken ist aber wiederum, dass nach dem Grundgedanken des Komplementaritätsprinzips der ICC grundsätzlich nicht in nationale Ermittlungen oder Strafverfahren intervenieren soll – ausgenommen in den offensichtlichsten Fällen der Notwendigkeit seines Eingreifens.117 Der ICC sollte sich daher nur bei besonders gravierenden Verstößen gegen die Grundsätze eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens, die Anhaltspunkte dafür liefern, dass der betroffene Staat offensichtlich nicht in der Lage ist, die Strafverfolgung durchzuführen oder diese ganz bewusst betreibt, um die betroffene Person vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen, oder aus anderen Gründen mit der Absicht unvereinbar ist, die Person vor Gericht zu stellen, für zuständig erklären. Es ist unerlässlich, dass der ICC besondere Vorsicht walten lässt, wenn er die Fairness und damit die Qualität nationaler Strafverfahren beurteilt. Obwohl die Garantien eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens und insbesondere die Rechte des Beschuldigten bzw. des Angeklagten, wie sie vom Rom-Statut und der Verfahrensordnung des ICCs118 gewährleistet werden, einen sehr hohen Standard aufweisen, ist es nicht Aufgabe des ICCs diese Standards in nationalen Justizsystemen durchzusetzen. Der ICC ist gegründet worden, um der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen.119 Es ist nicht seine Aufgabe, nationale Strafverfahren in Einklang mit internationalen Fair-trial-Standards zu bringen. Der ICC muss daher seine 115
Vgl. Art. 17 II c) Rom-Statut. Jensen, Rod: Complementarity, ,Genuinely‘ and Article 17: Assessing the Boundaries of an Effective ICC, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 147, 156. 117 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 675. 118 Vgl. ICC Rules of Procedure and Evidence, verabschiedet von der Vertragsstaatenkonferenz in ihrer ersten Session in New York vom 3.–10.09.2002, Official Records ICC-ASP/1/3. 119 Paragraph 5 der Präambel des Rom-Statuts. 116
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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Befugnis, nationale strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfahren zu bewerten und ggf. zu verwerfen, restriktiv ausüben, da er sonst ungerechtfertigt in die internen Angelegenheiten des betroffenen Staates intervenieren würde. Könnte der ICC einen mangelnden Willen bzw. ein Unvermögen im Sinn des Rom-Statuts in jedem Fall feststellen, in dem die Grundsätze eines fairen und unabhängigen Verfahrens verletzt sind, so würde dies zudem höchstwahrscheinlich die Ungleichheit zwischen den Staaten verstärken, da die Standards eines fairen und unabhängigen Strafverfahrens in Entwicklungsländern häufig deutlich niedriger sind als in reichen westlichen Staaten. Obwohl insoweit eingewandt werden kann, dass diese Standards in jedem Land der Welt gleich hoch sein sollten, heißt das nicht, dass die Tatsache, dass dies (noch) nicht der Fall ist, ignoriert werden kann. Natürlich muss die Menschenrechtssituation in Entwicklungsländern verbessert werden, dies darf aber nicht unter unnötiger Missachtung ihrer Souveränität und ihres Rechtes auf Selbstbestimmung geschehen.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs Nach Art. 19 Abs. 1 Rom-Statut vergewissert sich der Gerichtshofs, dass er in jeder bei ihm anhängig gemachten Sache Gerichtsbarkeit hat. Er kann aus eigener Initiative über die Zulässigkeit einer Sache nach Artikel 17 entscheiden. Gem. Art. 17 Abs. 1 Rom-Statut entscheidet der Gerichtshof, dass eine Sache nicht zulässig ist. Diese Vorschriften sowie die Tatsache, dass das Rom-Statut keine andere Autorität mit dieser Befugnis betraut, zeigen, dass nach dem RomStatut die Befugnis, Fragen der Strafgewalt und Zulässigkeit zu entscheiden, dem ICC übertragen ist.120 Dem ICC kommt damit eine Kompetenz-Kompetenz hinsichtlich seiner eigenen Strafgewalt zu. D.h. er ist in dem durch das RomStatut vorgegebenen Rahmen befugt, seine eigene Zuständigkeit festzulegen, oder anders ausgedrückt, er ist ,Schiedsrichter‘ seiner eigenen Strafgewalt. Der ICC ist bei seiner Entscheidung zwar an die Bestimmungen des RomStatuts gebunden und kann daher die dort gesetzten Grenzen nicht überschreiten. Im Hinblick auf Strafgewalt- und Zulässigkeitsaspekte, denen ein gewisses Interpretationspotential innewohnt, obliegt es aber dem Gerichtshof, die jeweilige Norm auszulegen und basierend auf dieser Auslegung seine Entscheidung zu treffen.121 So darf der ICC beispielsweise seine Strafgewalt nicht auf Straftatbestände ausdehnen, die, wie etwa Terrorismusakte, nicht in Art. 5 Rom-Statut aufgeführt sind. Insoweit ist die Auflistung der Tatbestände in Art. 5 RomStatut nämlich eindeutig und daher nicht erweiterungsfähig. Dagegen kommt 120 Holmes, John T.: Complementarity: National Courts versus the ICC, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 667, 672. 121 Ebd.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
dem ICC bei der Frage, ob ein bestimmter Akt von Genozid, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit schwerwiegend genug im Sinn des Art. 17 Abs. 1d) Rom-Statut ist, ein eigener Entscheidungsspielraum zu. Hier obliegt es mithin dem ICC, eigene Kriterien für die seine Strafgewalt auslösende Schwere zu entwickeln und auf dieser Grundlage seine Zulässigkeitsentscheidungen zu treffen. Der ICC kann aufgrund dieser Befugnis viel zur künftigen Entwicklung des internationalen Strafrechts beitragen, da seine Auslegung des Rom-Statuts nicht nur für Fragen seiner Strafgewalt und Zulässigkeit von Bedeutung sein wird, sondern auch die Ausübung nationaler Strafgewalt über die Kernverbrechen erheblich beeinflussen wird. So ist etwa zu erwarten, dass die vom ICC zu entwickelnde Interpretation und Auslegung der Kernverbrechen einen klärenden Einfluss auf die Definition dieser Tatbestände im gesamten (inter-)nationalen Strafrecht haben und daher auch die Anwendung dieser Tatbestände durch nationale Strafgerichte bedeutend mitbestimmen wird. 1. Die der Kompetenz-Kompetenz innewohnende Kontrollfunktion Wie im Rahmen der Diskussion der Begriffe unwillingness, inability und genuine festgestellt, ist insbesondere das Komplementaritätsprinzip weitenteils noch unklar und daher auslegungs- und interpretationsbedürftig. Es ist folglich auch Aufgabe des ICCs zu entscheiden, ob ein Staat etwa nicht Willens oder nicht in der Lage ist, Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen, und somit, ob der ICC nationale Strafverfolgungsmaßnahmen verwerfen darf. Dem Gerichtshof kommt damit aber auch eine gewisse Überwachungsoder Kontrollfunktion über die Ausübung nationaler Strafgewalt über die ICCKernverbrechen zu. Wie von Kommentatoren der Verhandlungen in Rom berichtet, war diese logische Folge der Kompetenz-Kompetenz des ICCs eines der zentralen Themen in der Diskussion um das Komplementaritätsprinzip. 122 Obwohl nach dem Ansatz des Rom-Statuts in Bezug auf Fragen der Gerichtsbarkeit und Zulässigkeit ein starker Gerichtshof mit eigenen Entscheidungsbefugnissen gewollt war, lassen die Bestimmungen des Rom-Statuts auch ein Bestreben erkennen, die dem ICC eröffneten Entscheidungsspielräume klar und so eng wie möglich zu begrenzen. Diese Vorsicht zeigt, dass, obwohl dem ICC nach den Verfassern des Rom-Statuts eine Kompetenz-Kompetenz zukommen sollte, die damit zwangsweise verbundene Kontrollfunktion des ICCs über die Ausübung nationaler Strafgewalt auch auf Bedenken stieß.
122 Vgl. Kirsch, Philippe/Robinson, QC and Darryl: Reaching Agreement at the Rome Conference, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 67, 81–82.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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In der wissenschaftlichen Diskussion ist hinsichtlich dieser Befugnis des Gerichtshofs eine große Meinungsbreite vertreten. Während in der dem ICC grundsätzlich positiv gegenüberstehenden Literatur die Kompetenz-Kompetenz des ICCs als unverzichtbare Voraussetzung eines effektiven und unabhängigen Gerichtshofs gesehen wird, melden andere Autoren erhebliche Bedenken an. Für die im Rom-Statut getroffene Regelung wird angeführt, dass durch die Kompetenz-Kompetenz des ICCs und die ihr innewohnende Kontrollfunktion auf der einen Seite und den grundsätzlichen Vorrang nationaler Strafgewalt auf der anderen Seite Komplementarität weder die völlige Autonomie nationaler und internationaler Strafgewalt bedeute, noch die strikte Unterordnung der einen unter die andere.123 Während nach dieser Ansicht ein fairer Ausgleich zwischen staatlicher Souveränität und internationaler Strafrechtspflege und damit dem Schutz der Menschenrechte geschaffen worden ist, betrachten andere Kommentatoren diese Befugnis des ICCs mit deutlich mehr Skepsis und teilweise sogar Feindlichkeit. Selbst wenn man die auf speziellen nationalen Interessen beruhenden Einwände beiseite lässt, so können doch die auf der Überlegung beruhenden Bedenken, dass diese Kontrollfunktion des ICCs im Widerspruch zur inneren Selbstbestimmtheit eines Volkes und dem Grundsatz staatlicher Souveränität stehe, nicht so leicht entkräftet werden. Die folgende Diskussion konzentriert sich daher auf diese Einwände, wobei versucht wird, die bereits im Zusammenhang mit der Diskussion der Begriffe unwillingness, inability und genuine dargelegten Punkte nicht unnötig zu wiederholen. Angemerkt sei schließlich noch, dass die Prägung dieser Begriffe nicht nur den Richtern des ICCs obliegt, sondern auch dem Ankläger. Gem. Art. 53 Abs. 1 S. 3 b) Rom-Statut hat der Ankläger bei der Frage, ob er Ermittlungen einleitet, nämlich auch zu prüfen, ob die Sache nach Art. 17 Rom-Statut zulässig ist oder wäre. Eine erste Entscheidung, ob die Voraussetzungen eines der Unzulässigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut vorliegen, und damit eine Auslegung der genannten Begriffe liegt somit bereits beim Ankläger. 2. Einwände gegen die Kontrollfunktion des ICCs Gegen die Kontrollfunktion des ICCs wird eingewandt, dass ein Staat, der z. B. Schauplatz eines Bürgerkrieges oder einer gewalttätigen Diktatur gewesen ist, in dessen bzw. deren Zuge etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen im Sinne des Rom-Statuts begangen worden sind, das Rechte haben müsse, Ruhe und Frieden wiederherzustellen, und zwar nicht nur durch 123 Delmas-Marty, Mireille: The ICC and the Interaction of International and National Legal Systems, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1915.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
die Durchführung von Strafverfahren, sondern mit jedem Mittel, das er für notwendig oder vorzugswürdig erachte.124 Die innerstaatliche Krisenbewältigung – und sei es durch weit reichende Amnestien – wird dabei als konstitutives Element der inneren Selbstbestimmung eines Volkes/eines Staates begriffen.125 So hat auch die sudanesische Regierung vor dem UN-Sicherheitsrat argumentiert, dass Resolution 1593 (2005), mit der die Situation in Darfur an den ICC verwiesen wurde, nur die Aussicht auf eine Befriedung der Lage in Darfur schwäche und die ohnedies bereits komplexe, vielschichtige Lage weiter verkompliziere.126 Überdies sind im Umgang mit schweren, systematischen Menschenrechtsverletzungen immer auch die Grenzen des faktisch Möglichen zu beachten.127 Sowohl bei Verbrechen großen Ausmaßes sowie bei Taten, die über einen langen Zeitraum begangen werden, kann die Zahl der Einzeltaten und damit der Täter und Opfer so groß sein, dass das nationale Justizsystem nicht in der Lage ist, sich mit allen Vorfällen innerhalb einer auch nur halbwegs angemessenen Zeit zu befassen. Zudem kann die nicht-strafrechtliche Aufarbeitung wünschenswert sein, da das Systemunrecht ein komplexes gesellschaftliches Phänomen darstellt, bei dem unterschiedliche Verarbeitungsansätze möglich und notwendig sind; wobei hier auch Aspekte außerhalb des Strafrechts zu berücksichtigen sind, wie etwa die Traumata der Gesellschaft als Ganzes und das Leiden der Opfer, aber auch Faktoren wie die Personalbesetzung des öffentlichen Dienstes.128 Schließlich müssen, um einen internationalen oder nationalen Konflikt zu beenden, oft gerade auch Verhandlungen mit denjenigen geführt werden, die für die Begehung von internationalen Verbrechen verantwortlich sind. Das Bestehen auf strafrechtlicher Aufarbeitung kann daher einen Konflikt sogar noch verlängern oder gar verschärfen und damit zu mehr Tod, Zerstörung und menschlichem Leiden führen.129 Also genau das verursachen, was durch das internationale Strafrecht eigentlich verhindert werden soll. Selbst für die Beendigung von Feindseligkeiten in zwischenstaatlichen Konflikten kann es insoweit notwendig sein, dass die Konfliktparteien frei sind zu entscheiden, wie mit Kriegsverbrechern etc. verfahren werden soll, wobei im Rahmen des Friedensschlusses die 124 Vgl. Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435, 445, ähnlich Tomuschat, Christian, in: Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FSSteinberger, S. 315, 347. 125 Ebd. 126 Die von Elfatih Mohamed Ahmed Erwa für den Sudan abgegebene Stellungnahme ist verfügbar im Press Release SC/8351, http://www.un.org/News/Press/docs/ 2005/sc8351.doc.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 127 Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 151. 128 Ebd. 129 Scharf, Michael P.: Justice versus Peace, in: Sewall/Kaysen (Hrsg.): The United States and the International Criminal Court, S. 179.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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Bestrafung genauso in Betracht kommen können muss wie der Erlass von einseitigen oder beiderseitigen Amnestien.130 Zumindest im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die nicht als Handlungen eines Vernichtungskriegs zu qualifizieren sind, nicht aber bei Völkermord, soll daher nach dieser Ansicht das Krisenmanagement die alleinige Aufgabe der betroffenen nationalen Stellen sein.131 Gerade die Anwendung eines Amnestiegesetzes ist allerdings ein Paradebeispiel für einen Staat, der im Sinn des Art. 17 Abs. 2a) Rom-Statut nicht willens ist, Ermittlungen oder ein Strafverfahren ernsthaft durchzuführen, sondern agiert, um die fragliche Person vor staatlicher Verfolgung zu schützten.132 Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Verurteilung der Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen auch dazu beiträgt, von der Begehung zukünftiger Menschenrechtsverletzungen abzuschrecken, Selbstjustiz zu verhindern, und den Glauben an das Recht sowie ggf. eine neue Regierung wiederherzustellen.133 Wenn den Tätern völkerstrafrechtlicher Verbrechen ein friedlicher Ruhestand gewährt wird, während ihre Opfer weiter mit dem Erlebten kämpfen, wird der ,normale‘ Bürger nie zu der Überzeugung gelangen, dass die Rechtsstaatlichkeit eine fundamentale Notwendigkeit eines demokratischen Staates ist.134 Gerade für die Herstellung eines stabilen und vor allem dauerhaften Friedens ist daher die gründliche Aufarbeitung der begangenen völkerstrafrechtlichen Verbrechen von besonderer Bedeutung. Das komplizierte und empfindliche Thema der Amnestien wurde im RomStatut mehr oder weniger bewusst nicht geregelt, da ein Konsens nicht erreicht werden konnte.135 Die Schwierigkeit bestand insbesondere darin, eine Bestimmung zu kreieren, die die südafrikanische Wahrheitskommission und die von ihr erlassenen Amnestien legitimieren und zugleich Amnestien wie die umfassende chilenische Selbstamnestie des ehemaligen chilenischen Präsidenten Augusto Pinochet verdammen würde.136
130
Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435, 446. Ebd., S. 435, 445–446. 132 Vgl. Cárdenas Aravena, Claudia: The Admissibility Test Before the International Criminal Court Under Special Consideration of Amnesties and Truth Commissions, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 115, 130; noch detaillierter dies., Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 155 ff. 133 Scharf, Michael P.: Justice versus Peace, in: Sewall/Kaysen (Hrsg.): The United States and the International Criminal Court, S. 179, 182. 134 Ebd., S. 179, 183. 135 Vgl. hierzu näher Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 156. 136 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 185. 131
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
a) Das Recht auf und die Notwendigkeit von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen Ein essentielles Element der inneren Selbstbestimmtheit eines Volkes und ein wichtiger Bestandteil staatlicher Souveränität ist das Vorrecht nationaler Autoritäten, die in ihrer Gesellschaft begangenen Verbrechen zu bewältigen. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zumindest in bestimmten Fällen bessere und effektivere Wege geben kann, mit internationalen Verbrechen umzugehen, um Ruhe, Frieden und Stabilität wiederherzustellen, als strafrechtliche Verfahren. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Zuge des ruandischen Völkermordes von 1994 wurden innerhalb von nur vier Monaten zwischen 800.000 und einer Million Menschen von ihren Nachbarn, Bekannten, Freunden und sogar Familienangehörigen ermordet. Dieses menschliche Desaster sticht nicht nur wegen der enormen Zahl der Opfer, sondern auch wegen der monströsen Zahl der Täter aus der Masse der menschlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts heraus. In einem derartigen Fall, zumal wenn das Rechts- und Justizsystem zusammengebrochen ist, ist es unmöglich, alle Täter in einer angemessenen Zeit strafrechtlich zu belangen. Als Ausweg wurde nach südafrikanischem Vorbild eine ruandische Wahrheitskommission (Unity and Reconciliation Commission) geschaffen, um den Opfern ein Forum zu geben, über ihr Leiden zu sprechen und damit Wunden zu schließen und den Frieden in Ruanda wiederherzustellen. Nicht umsonst sind daher Wahrheitskommissionen, d.h. nicht-gerichtliche Institutionen zur Rekonstruktion eines Geschehens in einer bestimmten Periode mit dem Ziel der Aufklärung, die weltweit wahrscheinlich anerkannteste Form der nichtstrafrechtlichen Aufarbeitung von Systemunrecht.137 So ist auch speziell für den Fall Südafrikas die dortige Wahrheits- und Versöhnungskommission überwiegend als optimale Lösung zur Aufarbeitung des Systemunrechts der Apartheid gewürdigt worden.138 Eine Wahrheitskommission kann allerdings grundsätzlich nicht das geeignete Forum sein, um sich mit den Haupttätern der schwersten internationalen Verbrechen, d.h. der vom Rom-Statut anvisierten Tätergruppe, zu befassen. Diese sollten für ihre Taten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. So werden etwa auch die Hauptverantwortlichen des ruandischen Völkermords nicht in der Wahrheitskommission, sondern durch den ICTR oder nationale Gerichte zur Rechenschaft gezogen. Das ruandische Beispiel zeigt damit aber auch, dass das Bestehen eines internationalen Strafgerichtshofs – und sogar eines mit vorrangiger Strafgewalt – 137 138
Ebd., S. 166 f. Vgl. ebd., S. 171.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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wie dem ICTR, nicht dazu führen muss, dass das Vorrecht eines Staates, mit Tätern völkerstrafrechtlicher Verbrechen auf andere Weise als mittels strafrechtlicher Verfahren zu verfahren, negiert wird. Desgleichen hat auch der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1593 (2005), mit der er die Situation in Darfur, Sudan an den ICC übermittelte, die Notwendigkeit betont, Heilung und Versöhnung, sowie die Gründung von Institutionen, die alle Sektoren der sudanesischen Gesellschaft einbeziehen, wie insbesondere Wahrheitskommissionen, zu fördern, um die gerichtlichen Verfahren zu komplementieren und damit die Bemühungen um einen langandauernden Frieden zu stützen.139 Die Vermutung, dass die Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs Staaten grundsätzlich ihres Rechtes beraubt, interne Konflikte eigenverantwortlich zu lösen, und sich mit den Tätern internationaler Verbrechen nach eigenem Ermessen auch auf anderem Wege als durch gerichtliche Verfahren zu befassen, ist daher nur in begrenztem Maße valide. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine der zentralsten Aufgaben von Wahrheitskommissionen darin besteht, ein bis dahin oft verleugnetes Gesamtgeschehen historisch aufzuklären und die Ursachen dieses Geschehens, seine Eigendynamik und seine Folgen zu rekonstruieren, während Schwerpunkt des Strafverfahrens zwangsläufig nur die Einzeltaten des mutmaßlichen Täters, also gerade nicht das Gesamtgeschehen, sein können.140 Zwar lässt sich überlegen, ob jedenfalls Strafverfahren gegen die Hauptverantwortlichen internationaler Verbrechen nicht auch das Gesamtbild im Blick haben müssen. Indessen ist, selbst wenn man dies bejahen wollte, durch eine Wahrheitskommission immer eine noch umfassendere und einheitlichere Aufarbeitung langwieriger, komplexer Ereignisse möglich, als dies durch einzelne Strafverfahren erreicht werden kann. Auch kann die Rolle der Opfer in einer Wahrheitskommission deutlich stärker sein als in einem Strafverfahren, dessen Hauptgestalt zwangsläufig der Angeklagte ist. Funktioniert eine Wahrheitskommission daher und ist das Personal unparteiisch und frei von unzulässiger Einflussnahme und führt die Kommission eine systematische Untersuchung der Tatsachen und Verantwortlichkeiten durch, so lässt sich vertreten, dass das Verfahren vor der Wahrheitskommission als Ermittlung im Sinn des Art. 17 Abs. 1a) und b) Rom-Statuts zu werten ist, zumindest, wenn jedenfalls die Möglichkeit einer sich anschließenden strafrechtlichen Aufarbeitung besteht.141 So wurden z. B. auch Ergebnisse der chilenischen Wahr139 UN-Sicherheitsrat, Press Release SC/8351, http://www.un.org/News/Press/docs/ 2005/sc8351.doc.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 140 Vgl. Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 173. 141 Cárdenas Aravena, Claudia: The Admissibility Test Before the International Criminal Court Under Special Consideration of Amnesties and Truth Commissions, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 115, 135 ff.;
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
heitskommission von 1994 an die Strafjustiz weitergeleitet. Dieser Interpretation steht jedenfalls der Wortlaut des Rom-Statuts nicht entgegen, da nach dessen Abs. 2 und 3 nur staatliche „Verfahren“ vorausgesetzt sind, so dass neben der Strafverfolgung auch andere Ermittlungen einbezogen sein könnten.142 Es ist indessen fraglich, ob sich eine derartige Interpretation des Rom-Statuts noch mit dessen Systematik sowie mit dessen Sinn und Zweck vereinbaren lässt, da Gegenstand des Rom-Statut und damit auch des Art. 17 Rom-Statut nur strafrechtliche Verfahren und Ermittlungen sind. Dies ergibt sich insbesondere aus Art. 17 Abs. 3 Rom-Statut, der ausschließlich auf den Zusammenbruch bzw. die mangelnde Verfügbarkeit des innerstaatlichen Justizsystems abstellt, was die Vermutung nahe legt, dass es sich auch bei den angesprochenen „Verfahren“ um Strafverfahren handeln müsste. In jedem Fall macht der dargestellte Ansatz nur Sinn, wenn es nicht um die Hauptverantwortlichen geht, da diese vor einer Wahrheitskommission sowieso grundsätzlich falsch sind; allerdings fallen andere Täter ohnedies nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Zuzustimmen ist aber der Einschätzung von Cárdenas, dass bei der Arbeit von Wahrheitskommissionen eine Schutzabsicht im Sinne des Art. 17 Abs. 2a) Rom-Statut, d.h. eine Absicht den Beschuldigten vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen, in der Regel nicht vorliegen wird.143 Jedenfalls das zusätzliche Bestehen einer Wahrheitskommission wird durch das Rom-Statut somit nicht ausgeschlossen. Allerdings kann bei Bestehen einer Wahrheitskommission, der eine zu lange First für die Erfüllung ihres Mandates eingeräumt wird, der Unzulässigkeitsgrund des Art. 17 Abs. 2b) Rom-Statut einer ungerechtfertigten Verzögerung gegeben sein, wenn das Strafverfahren erst nach Abschluss der Arbeit der Wahrheitskommission eingeleitet werden kann.144 Erforderlich ist daher eine Prüfung der Arbeit und Entscheidung der jeweiligen Wahrheitskommission im Einzelfall, wobei aber auch zu ermitteln sein wird, ob sich diese mit den Taten des einzelnen Täters oder nur mit dem Gesamtgeschehen befasst hat. Eine generelle Entscheidung, eine unbestimmte Gruppe von Tätern nicht zu verfolgen, ist dabei in ihrer Wirkung Amnestiegesetzen gleichzustellen, so dass die Sache trotz der Arbeit der Wahrheitskommission grundsätzlich beim ICC zulässig sein wird.145
Robinson, Darryl, in: Kleffner/Kor (Hrsg.): Complementary Views on Complementarity, S. 141, 144; Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 185 f.; ähnlich Razesberger, Florian: The International Criminal Court – The Principle of Complementarity, S. 179 f. 142 So jedenfalls Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 175, 177. 143 Ebd., S. 178. 144 Ebd., S. 179. 145 Ebd., S. 184.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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Abschließend ist festzuhalten, dass sich Strafverfolgung und Wahrheitskommissionen nicht per se ausschließen, so dass davon auszugehen ist, dass der ICC bei Bestehen einer funktionierenden und den geschilderten Standards entsprechenden Wahrheitskommission zumindest auf deren Arbeit Rücksicht nehmen wird, da auch diese einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des völkerstrafrechtlich relevanten Geschehens liefert. Dies ist insbesondere deshalb von großer Bedeutung, weil der Ankläger gem. Art. 15 Rom-Statut auch aus eigener Initiative Ermittlungen einleiten kann, sofern die Verbrechen der Gerichtsbarkeit des Gerichtshof unterliegen. b) Die Problematik und Legitimität staatlicher Amnestien In Hinblick auf staatliche Amnestien für internationale Verbrechen wie vor allem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird der Konflikt zwischen staatlicher Souveränität und effektivem Menschenrechtsschutz besonders virulent. aa) Begriffs- und Inhaltsbestimmung Eine Amnestie oder Massenabolition ist die Gewährung von Straffreiheit für eine unbestimmte Vielzahl von Straftaten, in der Regel durch Straffreiheitsgesetz; die Amnestie stellt damit sowohl einen materiell-rechtlichen Strafaufhebungsgrund als auch ein Verfahrenshindernis dar.146 Der entscheidende Unterschied zwischen einer Amnestie und einer Begnadigung besteht darin, dass es sich bei Begnadigungen um eine personenbezogene Einzelfallentscheidung handelt, in deren Rahmen die individuelle Gnadenwürdigkeit des zu Begünstigenden im Vordergrund steht, während sich die Amnestie auf eine grundsätzliche Entscheidung über die Strafverfolgung einer Vielzahl pönalisierter Handlungen stützt.147 Zwar können auch im Rahmen von Amnestien Faktoren wie die Täterpersönlichkeit, die Tat, das Nachtatverhalten etc. Bedeutung finden, etwa wenn die Entscheidung, welche Personen von einer Amnestie profitieren sollen, von einer Wahrheitskommission im Einzelfall getroffen wird, insoweit handelt es sich indessen eher um Ausnahmefälle. Zudem stellt sich auch in derartigen Fällen die Frage, welche Einzelpersonen durch eine Amnestie begünstigt werden sollen, formaljuristisch erst, wenn für eine bestimmte Kategorie von strafrechtlich relevanten Fällen die grundsätzliche Entscheidung für eine Amnestierung bereits getroffen worden ist, so dass sich auch hier die Begünstigung im Kern nicht auf individualbezogene Kriterien stützt.148 146 147 148
Beulke, Werner: Strafprozessrecht, Rn. 282. Hammel, Frank Achim: Innerstaatliche Amnestien, S. 7 Ebd.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Amnestien schaffen somit Straffreiheit für strafbare Handlungen, in der Regel im Namen der Förderung friedlicher Beziehungen der an der Verabschiedung beteiligten Parteien.149 Da eine Amnestie nicht mit der individuellen Gnadenwürdigkeit des Begünstigten begründet werden kann, bedarf sie immer einer besonderen Legitimation.150 Amnestien, die von dem Zweck bestimmt sind, den Übergang von einer Krisensituation zu einem Friedenszustand zu vollziehen, werden zudem in der Regel mit Auflagen, wie etwa die Gewalttätigkeiten endgültig einzustellen, verbunden.151 Ob Amnestien aber tatsächlich in der Lage sind, Frieden und Versöhnung auch auf längere Sicht zu fördern und zu sichern, oder vielmehr (potentielle) Täter ermuntern, weitere Straftaten zu begehen, ist umstritten.152 So hat Mary Robinson, United Nations High Commissioner for Human Rights von 1997 bis 2002, betont, dass bestimmte schwere Menschenrechtsverletzungen sowie entsprechende Verletzungen des humanitären Völkerrechts nie Gegenstand von Amnestien sein sollten. Zudem haben die Vereinten Nationen bei der Unterzeichnung der Friedensvereinbarung für Sierra Leone festgelegt, dass die Amnestien- und Begnadigungsbestimmungen nicht auf Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts anwendbar seien.153 In Bezug auf die Zeitspanne, die Verbrechen oder die Tätergruppen, die sie umfassen, können Amnestien mehr oder weniger begrenzt sein.154 Unterschieden wird zudem zwischen Amnestien de facto und de jure, wobei der Unterschied darin besteht, dass es sich bei ersteren um ein reines Unterlassen der Strafgewalt handelt, d.h. es besteht eine rein faktische Straflosigkeit ohne rechtliche Grundlage, während Amnestien de jure auf einer, wie auch immer ausgestalteten, rechtlichen Grundlage beruhen.155 Dass de facto Amnestien vom ICC nicht anerkannt werden können, ist offensichtlich. Selbst unter Berufung auf die Förderung und Sicherung friedlicher Beziehungen kann eine faktische Straflosigkeit nie gerechtfertigt sein, da sie eine totale Vermeidung der Auseinandersetzung mit der Tat und damit letztlich ein Leugnen der Tat darstellt. In diesen Fällen ist es streng genommen aber bereits unerheblich, ob einer der Unzulässigkeitsgründe des Art. 17 Rom-Statut greift, da es schon an einem nationalen Strafverfahren bzw. staatlichen Ermittlungen fehlt, so dass eine Zuständigkeit 149 Vgl. Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court, S. 93. 150 Vgl. Hammel, Frank Achim: Innerstaatliche Amnestien, S. 13. 151 Ebd., S. 19. 152 Kritisch insoweit Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 154 f. 153 Robinson, Mary, in: Macedo (Hrsg.): National Courts and the Prosecution of Serious Crimes under International Law, S. 15, 17. 154 Cárdenas, Claudia: Die Zulässigkeitsprüfung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, S. 152. 155 Vgl. ebd.
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des ICCs ohnedies gegeben ist. Die weitere Diskussion ist daher auf die Behandlung der Amnestien de jure beschränkt. bb) Die Frage der Anerkennung staatlicher Amnestien de jure durch den ICC Viele Staaten haben an bestimmten Punkten ihrer Geschichte gesetzliche Amnestien für während einer bestimmten Periode begangene Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen.156 Begründet werden diese Amnestien damit, dass es in einer Zeit nach einer Epoche des Chaos und der Gewalt wie etwa einem Krieg, einem Bürgerkrieg oder einer Revolution, am besten sei, die Wunden durch das Vergessen der vorangegangenen Untaten zu heilen und daher die von allen Seiten begangenen Verbrechen zu tilgen.157 Insbesondere dort, wo zwei Gruppen auch zukünftig in einer Gesellschaft zusammenleben müssen, und wo Ressourcen für Bestrafung und Versöhnung spärlich sind, seien Amnestien die einzige vernünftige Lösung; jedenfalls solange das Bedürfnis nach Entschädigung und die Würde der Opfer geachtet würden.158 (1) Der Fall Norduganda vor dem ICC Diese Argumentation wird auch von Seiten religiöser, kultureller und lokaler Autoritäten Nordugandas gegen die Bemühungen des ICCs, die Verantwortlichen für die in Norduganda begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen, vorgebracht. Die Bestrebungen des ICCs gefährdeten den Friedensprozess, die Reihenfolge solle daher sein „Frieden zuerst und Gerechtigkeit später“.159 So besuchte im März 2005 156 Beispiele: Frankreich und Italien erließen Amnestien für alle ihre Staatsangehörigen, die im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft hatten. Italien erließ zudem Amnestien für Faschisten und Kollaborateure. Im Juni 1966 verabschiedete das französische Parlament ein Amnestiegesetz für alle im Krieg in Algerien und Indochina begangenen Verbrechen. Chile und Argentinien erließen Amnestien für alle Verbrechen, die in der Post-Allende-Zeit begangen wurden. Andere Staaten wie etwa Peru und Uruguay verabschiedeten entsprechende Amnestiegesetze für schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Quelle: Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 312–313). 157 Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 312–313. 158 Broomhall, Bruce: International Justice and the International Criminal Court, S. 99. 159 IRIN, humanitarian news and analysis, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: UGANDA: ICC jeopardising local peace efforts – northern leaders, 25.03.2005, verfügbar unter: http://irinnews.org/report.aspx?reportid=53603, letzter Zugriff am 14.04.2008; Reuters Foundation, Alertnet: UGANDA: ICC jeopardising local peace efforts – northern leaders, 25.03.2005, http://www.alertnet.org/ thenews/newsdesk/IRIN/fdee10a55e5c2b32acf00205f0fc698b.htm, letzter Zugriff am 30.03.2005; BBC News: Ugandans Ask ICC to Spare Rebels, Meldung vom 16.03.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
eine Delegation aus Norduganda den ICC, da sie befürchtete, dass Haftbefehle aus Den Haag Kommandeure der Lord’s Resistance Army (LRA) davon abhalten könnten, eine staatliche Amnestie zu akzeptieren, und daher eine schnelle, friedliche Lösung des Konflikts in Norduganda behindern würden.160 Im Anschluss an dieses Treffen erklärte der Ankläger, dass er nach dem Rom-Statut die Verantwortung habe, internationale Verbrechen zu untersuchen und zu verfolgen, und dabei die Interessen der Opfer und der Gerechtigkeit zu beachten. Er sei aber aufmerksam gegenüber traditionellen Rechts- und Versöhnungsprozessen und achte besonders die Bemühungen der ugandischen Autoritäten, den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren des Friedensprozesses zu fördern. Zudem betonte er, dass der Ankläger sich nur auf diejenigen konzentriere, die die größte Verantwortung für die begangenen Gräueltaten tragen, und unterstrich, dass er die entscheidende Rolle der nationalen und lokalen Autoritäten bei der Herstellung von Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung anerkenne.161 Der Ankläger sicherte aber nicht zu, was von den nordugandischen Delegierten angestrebt worden war, dass, wer auch immer bereits von einer Amnestie profitiert habe, nicht durch den ICC verfolgt und angeklagt werde.162 Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die ugandische Rebellenarmee LRA in dem mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Konflikt etliche Tausende ugandische Zivilisten, insbesondere auch Kinder entführt, hingerichtet, gefoltert, verstümmelt, vergewaltigt und sonstwie sexuell genötigt.163 Allein in den zwei Jahren zwischen 2003 und 2005 hat die LRA nach Schätzungen von Human Rights Watch etwa 12.000 2005, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/4352901.stm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 160 BBC News: Ugandans Ask ICC to Spare Rebels, Meldung vom 16.03.2005, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/4352901.stm, letzter Zugriff am 14.04. 2008. 161 Under the Rome Statute, the Prosecutor has the responsibility to investigate and prosecute serious international crimes, taking into account the interests of victims and justice. I am mindful of traditional justice and reconciliation processes and sensitive to the leaders’ efforts to promote dialogue between different actors in order to achieve peace. The Prosecutor has a clear policy to focus on those who bear the greatest responsibility for the atrocities committed. I also recognize the vital role to be played by national and local leaders to achieve peace, justice and reconciliation. Die Stellungnahmen des ICC-Anklägers und der nordugandischen Delegation vom März 2005 sind verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/press/pressreleases/96.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 162 Ebd. 163 Human Rights Watch: ICC’s Uganda Probe Must Protect Witnesses – Court Needs to Investigate Crimes by All Sides in Northern Uganda’s Conflict, Meldung vom 29.07.2005, verfügbar unter: http://hrw.org/english/docs/2004/07/28/uganda9162. htm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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Kinder zur Verwendung als Soldaten, Zwangsarbeiter und Sexsklaven gekidnappt,164 andere Menschenrechtsorganisationen sprechen von bis zu 20.000 entführten Kindern.165 Trotz des Ausmaßes und der Schwere dieser Taten beinhalten die laufenden Friedensbemühungen in Uganda eine Pauschalamnestie, die von der ugandischen Regierung auf alle kapitulierenden Mitglieder der LRA ausgedehnt worden ist; selbst den zum innersten Kern gehörenden Rebellenkommandeuren wird im Falle einer friedlichen Kapitulation eine umfassende Amnestierung angeboten.166 Nach einem erneuten Eskalieren der Gewalt kündigte der Chefankläger zunächst an, er werde eventuell die strafrechtliche Verfolgung der Rebellen aussetzen.167 Bereits am 6. Mai 2005 beantragte er allerdings die ersten fünf Haftbefehle gegen Verdächtige wegen der Situation in Uganda,168 die am 8. Juli 2005 erlassen und am 13. Oktober auf Antrag des Anklägers vom 9. September 2005 öffentlich bekannt gegeben wurden.169 Zu einer Vollstreckung der Haftbefehle kam es indessen vor allem wegen der mangelnden staatlichen Kooperation vorerst nicht. Im Februar 2006 wurden UN-Peacekeeping-Truppen bei einem erfolglosen Festnahmeversuch im Ostkongo getötet. Im Mai 2006 fanden erneut Friedensverhandlungen statt, die zu einer Beendigung der Gewalttätigkeiten im August 2006 führten. Nach Angabe des ugandischen Ministers für Sicherheitsfragen, Amama Mbabazi, sowie des UN-Koordinators für Nothilfe, Jan Egeland, sollen die Haftbefehle des ICCs dazu beigetragen haben, die Führer der Lord’s Resistance Army an den Verhandlungstisch
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Ebd. Vgl. BBC News: Ugandans Ask ICC to Spare Rebels, Meldung vom 16.03. 2005, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/4352901.stm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 166 Vgl. IRIN, humanitarian news and analysis, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: UGANDA: ICC jeopardising local peace efforts – northern leaders, 25.03.2005, verfügbar unter: http://irinnews.org/report.aspx?reportid=53603, letzter Zugriff am 14.04.2008; Reuters Foundation, Alertnet: UGANDA: ICC jeopardising local peace efforts – northern leaders, 25.03.2005, http://www.alertnet.org/ thenews/newsdesk/IRIN/fdee10a55e5c2b32acf00205f0fc698b.htm, letzter Zugriff am 30.03.2005. 167 BBC News: Ugandans Rebels Take More Children, Meldung vom 18.03.2005, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/africa/4361115.stm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 168 Situation in Uganda (ICC-02/04-53), Warrant of Arrest for Joseph Kony Issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005; Situation in Uganda (ICC-02/0454), Warrant of Arrest for Vincent Otti, 08.07.2005; Situation in Uganda (ICC-02/0455), Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, 08.07.2005; Situation in Uganda (ICC-02/ 04-56), Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, 08.07.2005; Situation in Uganda (ICC02/04-57), Warrant of Arrest for Dominic Ohgwen, 08.07.2005. 169 Situation in Uganda (ICC-02/04-01/05-52), Decision on the Prosecutor’s Application for Unsealing of the Warrants of Arrest, 13.10.2005. 165
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
zurückzubringen.170 Die Aktivitäten des ICCs, d.h. insbesondere der Erlass der Haftbefehle, haben daher zur vorläufigen Konfliktlösung in Uganda in nicht unerheblichem Umfang beigetragen.171 Allerdings stellen diese Aktivitäten des ICCs auch einen entscheidenden Konfliktpunkt in den Friedensverhandlungen dar, da die Rebellenführer – wenig überraschend – auf der Aufhebung der Haftbefehle bestehen.172 Der ugandische Präsident Yoweri Museveni, der die Situation in Uganda ca. zwei Jahre zuvor an den ICC verwiesen hatte, bat daher erneut den Ankläger, die Haftbefehle zurückzunehmen und versprach den Verdächtigen und Angeklagten, dass es nicht zu Festnahmen in Uganda kommen werde.173 Wohl auch mit dieser Entwicklung in Uganda im Hinterkopf ist daher vorgeschlagen worden, dass der ICC in Situationen wie Uganda als effektives Druckmittel gegen Kriegsverbrecher eingesetzt werden könne, um die Gewalttätigkeiten zu stoppen: Entweder die Täter stimmen dem Friedensprozess zu und der ICC akzeptiere die Amnestie oder die Täter werden strafrechtlich verfolgt und ggf. bestraft.174 Dies mag vielleicht unter pragmatischen Gesichtspunkten überzeugen, hinterlässt allerdings einen schalen Nachgeschmack, da die beschriebene Vorgehensweise weder dazu beiträgt, den Opfern gerecht zu werden, noch der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen. Im Gegenteil würden hier sogar die internationalen Strafverfolgungsorgane die Entscheidung treffen, gegen genau die vom Rom-Statut anvisierten Haupttäter nicht vorzugehen. Ein zeitweiliger Ausweg aus diesem Konflikt könnte ein Ersuchen des Sicherheitsrates nach Art. 16 Rom-Statut an den ICC sein, die Ermittlungen bzw. das Strafverfahren aufzuschieben, was jedenfalls den Vorteil hätte, dass die letztlich politische Entscheidung, das Strafverfahren aus den genannten Gründen auszusetzen, nicht von den Strafverfolgungsbehörden getroffen werden müsste.175 Ob ein derartiger Weg indessen politisch gangbar ist, ist noch offen. Anzeichen dafür, dass der Sicherheitsrat ein entsprechendes Vorgehen in Erwägung zieht, sind jedenfalls nicht ersichtlich. Überdies ist auch fraglich, ob dies aus Sicht der ugandischen Rebellen überhaupt ausreichend wäre. Denn das Aussetzen eines Strafverfahrens ist eben keine endgültige Einstellung.
170
Vgl. Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court,
S. 39. 171
Ebd. Ebd., S. 40. 173 Vgl. ebd. 174 Razesberger, Florian: The International Criminal Court – The Principle of Complementarity, S. 188. 175 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 40 f. 172
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(2) Abschließende Diskussion der Amnestieproblematik Die dargestellte Diskussion um den Friedensprozess in Uganda zeigt sehr eindrücklich, wie schwierig die Entscheidung zwischen internationaler strafrechtlicher Gerechtigkeit und der Möglichkeit eines – jedenfalls zeitweisen – Friedens im Einzelfall sein kann. Welcher Weg der bessere ist, lässt sich wohl allenfalls im Nachhinein beantworten. Das Argument des Menschenrechtsschutzes kann hier zumindest sowohl für als auch gegen die Anerkennung der ugandischen Amnestien durch den ICC angeführt werden. Selbst Menschenrechtsorganisationen, die die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen der Situation in Uganda durch den ICC zunächst begrüßt hatten, drängten den Ankläger später wegen der Gefahr möglicher Vergeltungsmaßnahmen gegen die Opfer, die einem Eingreifen des ICCs in Uganda folgen könnten, besondere Vorsicht walten zu lassen, da die ugandische Regierung nicht in der Lage sei, die Opfer zu schützen.176 Jedenfalls in Situationen, in denen anders als in Uganda aber nicht die Gefahr einer erneuten, sofortigen Eskalation besteht, ist es indessen fraglich, ob staatliche Amnestien der Versöhnung dienen können, wenn, wie etwa im Fall Pinochets, amtierende militärische und politische Führer Amnestien erlassen, um sich selbst vor zukünftiger Strafverfolgung zu schützen. Die Wahl zwischen Gerechtigkeit und Vergessen sollte jedenfalls nicht Aufgabe der Haupttäter schwerster Menschenrechtsverletzungen sein. In vielen Fällen haben internationale Institutionen wie der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nation aber auch nationale Gerichte daher Amnestiegesetze für unvereinbar mit den völkerrechtlichen Menschenrechtsbestimmungen erklärt.177 So wurde auch bzgl. des Pinochet-Falls argumentiert, dass eine umfassende Selbstamnestie wie die chilenische der weltweiten Verfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen zuwiderlaufe und daher einen Völkerrechtsverstoß darstelle.178 Das chilenische Amnestiegesetz wurde daher auch weder vom britischen House of Lords noch vom befassten spanischen Gericht, das um die Auslieferung Pinochets nach Spanien ersucht hatte, anerkannt. Zudem wurde eine strafrechtliche Verfolgung Pinochets in Spanien nicht als Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem gewertet, da die Anwendung der chilenischen Amnestie nur als eine Art nachträgliche Dekriminalisierung und nicht als ein reales Straf-
176 FIDH (Fédération internationale des ligues des droites de l’Homme): ICC/ Uganda – Security and protection of victims must guide the Prosecutor’s intervention, Meldung vom 29.07.2004, verfügbar unter: http://www.fidh.org/spip.php?article1689, letzter Zugriff am 14.04.2008. 177 Vgl. Cassese, Antonio: International Criminal Law, S. 313. 178 Vgl. Ambos, Kai, JZ 1999, S. 16, 19.
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verfahren, das von anderen Gerichten zu beachten gewesen wäre, gesehen wurde.179 Zumindest in den Fällen, in denen militärische und politische Führer Amnestien erlassen, um sich selbst vor strafrechtlichen Verfahren nach ihrem Amtsende zu schützen, kann dieser Machtmissbrauch somit grundsätzlich nicht als akzeptables Mittel gesehen werden, um Hass und Animositäten in der Folgezeit schwerer Menschenrechtsverletzung zu stoppen. Jedenfalls blanket amnesties, d.h. Pauschal- sowie Selbstamnestien werden daher vom ICC kaum zu akzeptieren sein.180 In diesen Fällen ist die Nichtanerkennung staatlicher Amnestien daher auch keine Verletzung staatlicher Souveränität. Betrachtet man dagegen die Situation in Uganda, so kann man nur etwas hilflos darauf hinweisen, dass zumindest im Falle eines anhaltenden gewalttätigen Konflikts nationale und internationale Strafgerichte mit besonderer Vorsicht agieren müssen, wenn sie die Entscheidung zu treffen haben, ob sie ein staatliches Amnestiegesetz anerkennen oder nicht, da die Beendigung der aktuellen Gewalttaten stets das erste und vorrangige Ziel sein sollte. Überdies wird im Einzelfall zu berücksichtigen sein, ob und inwieweit den Opfern trotz des erlassenen Amnestiegesetzes die Möglichkeit der öffentlichen Aufarbeitung des Geschehen gegeben wird, und ob ggf. gegen die Täter jedenfalls andere als strafrechtliche Sanktionen wie etwa Geldbußen, Amtsenthebung, Rangverlust oder Verlust staatlicher oder militärischer Pensionen verhängt werden können.181 Abschließend kann nur festgehalten werden, dass bei Amnestien allein eine Einzelfallentscheidung der jeweiligen Sachlage gerecht werden kann. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, durch wen und zu welchem Zweck die Amnestie erlassen worden ist, ob diese Teil eines größeren Prozesses ist, ob vor Erlass der Amnestie Ermittlungen durchgeführt worden sind, was der Begünstige hat tun müssen, um die Amnestie zu erhalten, und wie und ob die Rechte der Opfer auf Teilhabe und Entschädigung berücksichtigt worden sind. Unabhängig von diesen auf die Amnestie selbst konzentrierten Erwägungen ist allerdings auch immer die tatsächliche Lage in dem betroffenen Amnestiegebiet zu bedenken. Besteht die Möglichkeit, durch Amnestien die Begehung weiterer schwerer Menschenrechtsverletzungen, und sei es nur vorübergehend, zu stoppen, so darf diese Möglichkeit durch einen pauschalen Verweis auf die Unzulässigkeit der fraglichen Amnestie nicht leichtfertig ausgeschlossen, sondern muss umsichtig abgewogen werden. 179 International Commission of Jurists: Crimes Against Humanity/Pinochet Faces Justice, Chenôve, France 1999, S. 34. 180 So auch Razesberger, Florian: The International Criminal Court – The Principle of Complementarity, S. 183. 181 Scharf, Michael P.: Justice versus Peace, in: Sewall/Kaysen (Hrsg.): The United States and the International Criminal Court, S. 179, 189.
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c) Strafverfahren in Nichtvertragsstaaten Die Vertragsstaaten des Rom-Statuts haben durch die Ratifizierung des Statuts die Kompetenz-Kompetenz des ICCs und damit auch dessen Kontrollbefugnis über die Ausübung nationaler Strafgewalt über die ICC-Kernverbrechen anerkannt. Hinsichtlich der Nichtvertragsstaaten greift diese Argumentation dagegen nicht. Es ist daher fraglich, ob der ICC überhaupt befugt sein kann, Verfahren in Nichtvertragsstaaten zu verwerfen. Insoweit ist zunächst zu bedenken, dass der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur dann ausüben kann, wenn das fragliche Verhalten auf dem Staatsgebiet oder durch den Staatsangehörigen eines Vertragsstaates oder eines Staates, der die Gerichtsbarkeit des ICCs in Bezug auf die fragliche Situation formell anerkannt hat, begangen wurde.182 Rein interne Situationen in einem Nichtvertragsstaat und damit auch die diesbezüglichen Verfahren sind der Zuständigkeit des Gerichtshofs dagegen entzogen, sofern nicht eine Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat erfolgt ist. Der ICC kann nationale Strafverfahren in einem Nichtvertragsstaat daher in der Regel nur dann verwerfen, wenn der fragliche Fall ein transnationales Element aufweist, d.h. insbesondere wenn das in Frage stehende Verbrechen von dem Staatsangehörigen oder auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates begangen wurde. Derartige Fälle stellen allerdings bereits keine rein internen Angelegenheiten des betroffenen Nichtvertragsstaates dar, da hier ohnedies mehr als ein Staat Strafgewalt über das fragliche Verbrechen hat. Es muss betont werden, dass die bloße Möglichkeit, dass ein Staatsangehöriger eines Staates in einem anderen Staat vor Gericht gestellt wird oder vor einem internationalen Gericht zur Verantwortung gezogen wird, dem sein Heimatstaat nicht beigetreten ist, nicht per se die Souveränitätsrechte des Heimatstaates des Beschuldigten verletzt, sondern vielmehr eine zwingende oder doch logische Folge verschiedener Jurisdiktionsgründe ist. Der ICC würde daher durch die Verwerfung eines nationalen Strafverfahrens in einem derartigen Fall auch nicht die Selbstbestimmtheit dieses Volkes oder seine staatlichen Souveränitätsrechte verletzen, da er sich mit dem Fall aufgrund einer Ermächtigung durch einen anderen Staat befasst, der einen zumindest gleichwertigen Anspruch auf die Ausübung seiner Strafgewalt über das fragliche Verbrechen hat. Schließlich ist zu beachten, dass der ICC seine Gerichtsbarkeit über Situationen, die auf das Staatsgebiet und die Staatsangehörigen eines Nichtvertragsstaats begrenzt sind, nur dann ausüben kann, wenn der UN-Sicherheitsrat eine Situation gem. Art. 13 b) Rom-Statut an den ICC verweist. Da Voraussetzung für eine entsprechende Verweisung aber die Feststellung einer Bedrohung oder 182
Vgl. Art. 12 II, III Rom-Statut.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
eines Bruchs des Friedens oder der internationalen Sicherheit gem. Art. 39 UNCharta ist, ist eine entsprechende Situation aber trotz dieser Begrenztheit keine rein interne Angelegenheit des betroffenen Staates. Zudem ist der betroffene Nichtvertragsstaat als Mitglied der Vereinten Nationen183 auch verpflichtet, die durch den Sicherheitsrat begründete Strafgewalt des ICCs zu akzeptieren. Diese Pflicht folgt aus Art. 25 UN-Charta, nach dem alle UN-Mitglieder verpflichtet sind, die Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen. Der Sicherheitsrat ist unabhängig von den Bestimmungen des Rom-Statuts, das für Nichtvertragsstaaten ja gerade keine Rechtsquelle darstellt, auch befugt eine Situation an den ICC zu verweisen, da er sogar berechtigt wäre, Sondergerichte für die strafrechtliche Aufarbeitung einer speziellen Situationen zu gründen, so dass er auch zu der letztlich weniger einschneidenden Maßnahme befugt sein muss, eine bestehende spezialisierte internationale Organisation mit dieser Aufgabe zu betrauen. d) Die Glaubwürdigkeit des Anklägers und der ICC-Richter Abschließend, und obwohl dies kein rechtliches, sondern ein rein praktisches Argument ist, sei angemerkt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Ankläger oder die Richter des ICCs von ihrer Kontrollfunktion leichtsinnig extensiven Gebrauch machen könnten, sehr gering ist. Zunächst hat insbesondere die Praxis des IGH eindrucksvoll gezeigt, dass die Richter internationaler Gerichtshöfe ihre Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit sehr ernst nehmen und in der Regel weder Anzeichen für eine Parteilichkeit gegenüber ihrem Heimatstaat, noch eine Tendenz zeigen, politisch beeinflusste Entscheidungen zu treffen. Zudem muss der Ankläger von der absoluten Mehrheit der Mitglieder der Vertragsstaatenkonferenz gewählt werden.184 Die Richter des ICCs werden durch die Vertragsstaatenkonferenz mit mindestens Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Vertragsstaaten gewählt.185 Ein Kandidat, der vermutlich nicht frei von Parteilichkeit und politischer Voreingenommenheit ist, wird daher wahrscheinlich nie die erforderliche Stimmenmehrheit für seine Wahl auf sich vereinen können. Die Wahl der ersten 18 Richter des ICCs fand vom 5. bis 7. Februar 2003 statt. Der Ankläger wurde auf der Vertragsstaatenkonferenz vom 21. bis 23. April 2003 gewählt. Diese Wahlen gehören zu den wichtigsten Entscheidungen,
183 Von einer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ist auszugehen, da von den 193 anerkannten souveränen Staaten der Welt 192 Staaten den Vereinten Nationen beigetreten sind und der einzige Staat, der nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, die Vatikanstadt ist. 184 Art. 42 IV 1 Rom-Statut. 185 Art. 36 IV a) Rom-Statut.
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die bei der Aufstellung des ICCs zu treffen waren, da die ersten Richter zusammen mit dem Ankläger entscheidend für den langfristigen Erfolg des Gerichtshof sein werden. Es war daher entscheidend für die Glaubwürdigkeit des ICCs, dass Richter mit höchster Qualifikation und Reputation aus allen Teilen der Welt gewählt wurden.186 Insoweit ist aber allgemein anerkannt, dass die gewählten Richter unzweifelhaft diese Kriterien erfüllen. Selbst die USA, die noch immer zu befürchten scheinen, dass die Richter des ICCs sich parteiisch verhalten könnten, haben die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit keines einzigen dieser 18 Richter in Frage gestellt. Es spricht für sich selbst, dass selbst die stärksten Kritiker des ICCs keine konkreten Bedenken hinsichtlich der gewählten Richter geäußert haben. Angemerkt sei an dieser Stelle indessen, dass von den 2003 gewählten Richtern bereits drei zurückgetreten sind.187 Eine zweite Richterwahl, um die entstandenen Lücken aufzufüllen, fand auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz vom 30. November bis 14. Dezember 2007 in New York statt. Auch insoweit sind indessen keinerlei Bedenken bzgl. der Qualifikation, Unparteilichkeit etc. der (neu)gewählten Richter ersichtlich. Entsprechendes ist für den ersten Ankläger des ICCs, Luis Moreno-Ocampo, zu sagen. Moreno-Ocampo hat sich insbesondere durch seine Rolle als Staatsanwalt in den Verfahren gegen führende Mitglieder der argentinischen Militärjunta einen Namen gemacht und war zum Zeitpunkt seiner Wahl Gastprofessor an der Harvard Law School. Seine Wahl wurde daher auch z. B. von Human Rights Watch als ein weiterer Beweis dafür gewertet, dass der ICC eine ernsthafte, verantwortungsvolle und effektive Institution sei.188 Die ganze Welt beobachtet genaustens, wie der ICC seine Kompetenz-Kompetenz und vor allem seine Kontrollfunktion über nationale Strafverfahren ausübt. Es ist daher zu erwarten, dass von dieser Befugnis nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden wird, um die Glaubwürdigkeit des ICCs nicht zu gefährden. So hat auch der Ankläger betont, dass es die grundsätzliche Politik der Anklagebehörde sei, nur dann Anklage zu erheben, wenn ein klarer Fall eines Nichteingreifens des betroffenen Staates vorliege.189 186 Die Kriterien, die die Richter des ICCs erfüllen müssen, sind in Art. 36 III Rom-Statut dargelegt. 187 Maureen Harding Clark (Irland) trat am 10.12.2006 zurück, Karl T. HudsonPhillips (Trinidad und Tobago) am 30.09.2007 und Claude Jorda (Frankreich) am 12.08.2007. 188 Human Rights Watch: Erster IStGH Ankläger gewählt, Meldung vom 21.04. 2003, verfügbar unter: http://www.hrw.org/german/press/2003/icc042103de.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 189 Vgl. Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, S. 5, verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/otp/otp_policy.html, letzter Zugriff am 14.04. 2008.
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Nichtsdestotrotz sei angemerkt, dass es bereits Stimmen gibt, die fragen, ob der ICC nicht sowohl in den Kongo- als auch in den Uganda-Verfahren mehr darauf hätte bestehen sollen, dass die betroffenen Staaten ihrer Verantwortung, der Straffreiheit der Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen ein Ende zu setzen, selbst nachkommen, anstatt dem ICC quasi den Vortritt zu lassen.190 Wobei zugleich aber auch die teilweise schon fast übervorsichtige Einstellung des Anklägers auf Kritik gestoßen ist, die insbesondere mit Blick auf ein effektives und schnelles Strafverfahren bedenklich sei.191
3. Zur Schwierigkeit fairer, unabhängiger Strafverfahren im Tatortstaat: Das Dujail-Verfahren gegen Saddam Hussein vor dem Iraqi High Tribunal Eine Zuständigkeit des ICCs für das Dujail-Verfahren gegen Saddam Hussein bestand bereits aufgrund der temporalen Reichweite seiner Jurisdiktion nicht. Die Gerichtsbarkeit des ICCs erstreckt sich gem. Art. 11 Abs. 1 Rom-Statut nämlich nur auf Verbrechen, die nach dem Inkrafttreten des Statuts am 1. Juli 2002 begangen worden sind. Gegenstand des Dujail-Verfahrens waren aber Reaktionen des Regimes Saddam Husseins auf einen Attentatversuch auf den damaligen irakischen Diktator bei dessen Besuch des schiitischen Dorfes Dujail im Jahre 1982, d.h. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die 20 Jahre vor dem Inkrafttreten des Rom-Statuts begangen worden waren. Wie wichtig die Kontrollfunktion des ICCs aber für zukünftige Verfahren werden könnte, lässt sich dennoch eindrucksvoll am Beispiel des Dujail-Verfahrens gegen Saddam Hussein zeigen. Insoweit ist zu hoffen, dass das Verfahren grundlegend anders gelaufen wäre, wenn eine Zuständigkeit des ICCs für das Verfahren bestanden hätte. In jedem Fall offenbart das Dujail-Verfahren aber auch die Schwierigkeit fairer, unabhängiger Strafverfahren gegen die Hauptverantwortlichen schwerster Menschenrechtsverletzungen im Tatortstaat. a) Hintergründe, Grundlagen und Ablauf des Strafverfahrens Über die Hinrichtung Saddam Husseins wurde weltweit in allen Medien ausführlich berichtet. Bedauerlich ist aber, dass dem Verfahren und insbesondere dem speziell für den Prozess gegen Saddam gegründeten Sondergericht nicht die gleiche Beachtung geschenkt worden ist, da eine stärkere Medienpräsenz dem Verfahren sicher gut getan hätte.
190 191
Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 51. Cassese, Antonio, JICJ 4.3 (2006), S. 434.
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aa) Vom Staatspräsidenten zum Angeklagten Die Baath-Partei kam 1968 durch einen mit der Armee geführten Staatsstreich an die Macht. Saddam Hussein bekleidete in der neuen Regierung zunächst die Ämter des stellvertretenden Generalsekretärs des Revolutionären Kommandorates sowie des Chefs des Ministeriums für Staatssicherheit und des Propagandaministeriums. 1969 wurde er Vizepräsident, und 1979 Generalsekretär der Baath-Partei und Staatspräsident des Iraks. Am 20. März 2003 marschierten alliierte Truppen unter der Führung der USA in den Irak ein. Am 13. Dezember 2003 wurde Saddam Hussein von den Besatzungstruppen festgenommen und am 30. Juni 2004, zwei Tage nach der offiziellen Machtübergabe der USA an die irakische Übergangsregierung, zusammen mit sieben anderen Regierungsmitgliedern, Offizieren und Baath-Partei-Mitgliedern formell der irakischen Justiz übergeben. Ein erster Kontakt zu seinen Anwälten wurde Saddam Hussein ca. ein Jahr nach seiner Festnahme erstmalig eingeräumt, wobei das Gericht mehrmals versuchte, Saddam und den anderen Angeklagten ihre Verteidiger vorzuschreiben.192 bb) Das Iraqi High Tribunal Das Strafverfahren gegen Saddam Hussein fand vor einem eigens für den Prozess gegen ihn und seine Mitangeklagten errichteten Sondertribunal, dem Iraqi High Tribunal (IHT), teilweise auch übersetzt als Iraqi Higher Criminal Court statt, da angenommen wurde, dass die ordentlichen irakischen Gerichte mit dem Verfahren überfordert wären.193 Ähnlich wie beim IMT nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Zuständigkeit des IHT aber nicht auf das eine Verfahren gegen Saddam Hussein beschränkt. Vorgänger des IHT war das am 10. Dezember 2003 von dem Provisorischen Regierungsrat des Irak gegründete Iraqi Special Tribunal (IST), das am 9. Oktober 2005, d.h. nur wenige Tage vor Beginn des Hauptverfahrens gegen Saddam Hussein und seine Mitangeklagten, vom irakischen Übergangsparlament zum IHT reformiert worden war. Die Gründung eines internationalen Ad-hoc-Tribunals durch den UN-Sicherheitsrat war nicht möglich, da Frankreich, Russland und China bereits im Vorfeld deutlich signalisiert hatten, dass sie gegen die Gründung eines solchen Gerichtes von ihrem Vetorecht Gebrauch machen würden, da sie die Invasion des Irak durch die USA und ihre Verbündeten für völkerrechtswidrig hielten. Zudem hatte die UN-Führung ihren Angestellten, Richtern und Staatsanwälten in192 Vgl. Amnesty International: Amnesty International kritisiert Urteil gegen Saddam, verfügbar unter: http://www.amnesty.ch/de/aktuell/news/2006/amnesty-interna tional-kritisiert-urteil-gegen-saddam-hussein, letzter Zugriff am 14.04.2008. 193 Vgl. Scharf, Michael P., JICJ 5.2 (2007), S. 258, 261.
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ternationaler Gerichtshöfe eingeschlossen, aus dem gleichen Grund jede Hilfestellung im Strafverfahren gegen Saddam Hussein untersagt. Gleichzeitig ist aber auch davon auszugehen, dass auch die USA der Gründung eines internationalen Tribunals ihr Veto im Sicherheitsrat entgegengesetzt hätten,194 wohl in erster Linie, um ihre eigenen Truppen nicht der Gefahr einer Anklage auszusetzen. Schließlich wurde auch von irakischer Seite ein Prozess im eigenen Land einem langwierigen Verfahren im Ausland, bestimmt durch ausländische Richter und Anwälte wie im Miloseˇvic-Verfahren, vorgezogenen. Es ist insoweit wenig verwunderlich, dass die irakische Bevölkerung nach dem Irakkrieg internationaler Einflussnahme skeptisch gegenüber stand und daher wenig bereit war, Kompromisse einzugehen. Das Statut195 sowie das Verfahrensrecht des IHT sind in Anlehnung an die Statute und das Verfahrensrecht der Ad-hoc-Tribunale (ICTY, ICTR sowie das Sondergericht für Sierra Leone) gestaltet.196 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger dem IST ist der IHT allerdings erheblich stärker „irakisiert“; d.h. während das Statut des IST noch sehr den Statuten internationaler Strafgerichtshöfe geglichen hat, handelt es sich bei dem IHT-Statut sowohl in materieller als auch in prozessualer Hinsicht um eine Mischung aus internationalem und irakischem Recht.197 Der IHT ist daher auch treffend als internationalisiertes nationales Gericht (internationalized domestic tribunal) charakterisiert worden.198 Sitz des IHT ist Bagdad.199 Die Beteiligung nicht-irakischer Staatsangehöriger ist stark eingeschränkt. Anders als noch nach dem IST-Statut können grundsätzlich nur Iraker Richter und Ankläger sein.200 Nach Art. 3 Abs. 5 IHT-Statut besteht zwar die Möglichkeit, dass der Ministerrat des Iraks auf Vorschlag des Präsidenten des IHT einen Nicht-Iraker zum Richter ernennt,201 diese Möglichkeit gilt – soweit ersichtlich – aber nur für Fälle, in denen ein anderer Staat 194
Bertodano, Sylvia de, JICJ 5.2 (2007), S. 294, 297. Das IHT-Statut ist ebenso wie die Rules of Procedure and Evidence in englischer Übersetzung verfügbar unter http://www.law.case.edu/saddamtrial, letzter Zugriff am 14.04.2008. 196 Ebd. 197 Vgl. hierzu Mettraux, Guénaël, JICJ 5.2 (2007), S. 287, 288 ff. 198 Scharf, Michael P., JICJ 5.2 (2007), S. 258. 199 Art. 2 IHT-Statut. 200 Art. 28 IHT-Statut. 201 Art. 3 V IHT-Statut lautet in der englischen Übersetzung: The Council of Ministers may, if deemed necessary, based upon a proposal by a President of the Court, appoint non-Iraqi judges who have experience in conducting criminal trials stipulated in this law, and who are of very high moral character, honest and virtuous to work in the Court, in the event that a State is one of the parties in a complaint, and the judges shall be commissioned with the help oft the International Community and the United Nations. 195
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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Partei des Verfahrens ist.202 Wann dies in einem Strafverfahren der Fall sein soll, ist allerdings unklar und auch dem Statut nicht zu entnehmen. In jedem Fall ist von dieser Möglichkeit im Verfahren gegen Saddam Hussein kein Gebrauch gemacht worden. Der Angeklagte hat zwar ein Recht auf einen nichtirakischen Verteidiger, der Hauptverteidiger muss aber Iraker sein.203 Schließlich kann der Präsident des Gerichts aber nicht-irakische Experten zur Beratung des Gerichts berufen.204 Das gleiche Recht steht auch dem Chef-Ermittlungsrichter205 sowie dem Chefankläger206 jeweils nach Rücksprache mit dem Präsidenten des IHT zu. Der IHT hat Jurisdiktion über Iraker und im Irak wohnhafte Ausländer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord, begangen im Zeitraum vom 17. Juli 1968 bis 1. Mai 2003 und zwar unabhängig vom Tatort des Verbrechens,207 wobei zur Auslegung und wohl auch zur Ergänzung der im IHT-Statut aufgeführten Definitionen dieser Verbrechen gem. Art. 14 Abs. 4 IHT-Statut auch nationales und internationales Strafrecht herangezogen werden kann, das zur Zeit der Begehung der Tat in kraft war.208 Zudem kann der IHT bei der Interpretation dieser Tatbestände auf die relevante Rechtsprechung internationaler Strafgerichtshöfe zurückgreifen.209 Neben den genannten internationalen Verbrechen besteht eine Strafbarkeit nach dem IHT-Statut für bestimmte Verstöße gegen irakisches Recht.210 Bei den irakischen Verbrechen handelt sich um politische Straftaten wie etwa (versuchte) Justizbeeinflussung, Verschwendung nationaler Ressourcen, Amtsmissbrauch und die Verfolgung einer Politik, die zur Gefahr eines Kriegs oder dem Einsatz von Waffen gegen einen anderen arabischen Staat führt.211 Zudem richten sich auch die zu verhängenden Strafen im Wesentlichen nach dem irakischen Strafgesetzbuch, wobei für die internationalen Verbrechenstatbestände, für die es keine Entsprechung im irakischen Recht gibt, aber die Schwere des Ver202 Vgl. Art. 3 V IHT-Statut . . ., in the event that a State is one of the parties of a complaint, . . . 203 Art. 19 IV IHT-Statut. 204 Art. 7 II IHT-Statut. 205 Art. 8 IX IHT-Statut. 206 Art. 9 VII IHT-Statut. 207 Art. 1 II IHT-Statut, die Verbrechenstatbestände sind in Art. 11–13 IHT-Statut definiert. 208 Der Wortlaut des Art. 14 IV IHT-Statut lautet in der englischen Übersetzung: If the court finds a default in the elements of any of the crimes stipulated in Articles 11, 12, 13 of this law, and it is proved to the Court that the act constitutes a crime punishable by the penal law or any other criminal law at the time of its commitment, then the court shall have jurisdiction to adjudicate this case. 209 Art. 17 II IHT-Statut. 210 Vgl. Art. 14 IHT-Statut. 211 Art. 14 I–III IHT-Statut.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
brechens sowie die individuellen Umstände der verurteilten Person zu berücksichtigen sind.212 Auch hierbei soll sich der IHT von den Präzedenzfällen sowie der Strafzumessungspraxis internationaler Strafgerichtshöfe leiten lassen.213 Dies ist insofern überraschend, als sowohl nach den Statuten des ICTY und des ICTR als auch nach dem Rom-Statut die zu verhängenden Strafen auf Freiheitsentziehung beschränkt sind,214 d.h. als Höchststrafe nur die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht aber die Todesstrafe in Betracht kommt. cc) Der Ablauf des Prozesses von der Eröffnung der Hauptverhandlung bis zur Vollstreckung der Todesstrafe Der Prozess begann am 19. Oktober 2005, wobei die äußeren Bedingungen für das Verfahren, nicht zuletzt in Anbetracht der prekären Sicherheitslage im Irak, alles andere als optimal waren. Bereits einen Tag nach dem Beginn des Prozesses wurde einer der Verteidiger Saddam Husseins entführt und ermordet; zwei weitere Verteidiger wurden in den folgenden Monaten getötet.215 Zudem wurden zwei Ermittlungsrichter sowie Familienmitglieder eines dritten Richters ermordet. Die Sicherheit der Zeugenopfer konnte nicht hinreichend gewährleistet werden, so dass viele Opfer zu verängstigt waren um auszusagen. Zudem konnten ausländische Experten und Verteidiger aufgrund der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen nicht in den Irak einreisen bzw. dort bleiben. Überdies machten führende irakische Politiker, unter ihnen selbst der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki, sehr deutlich, dass sie vom IHT nicht nur einen Schuldspruch, sondern ein Todesurteil erwarteten.216 Der erste Vorsitzende Richter, Rizgar Amin, trat nach einigen Monaten zurück, nachdem ihm von der Politik bedeutet worden war, er gehe zu lax mit den Angeklagten um.217 Andere Richter wurden vom irakischen Präsidialrat auf Veranlassung des Ministerrats abgezogen oder durch Drohungen, insbesondere seitens der DeBaathification Commission zum Rücktritt gedrängt bzw. zogen sich, auch wegen der desolaten Sicherheitslage, zurück. Letztlich blieb nur einer von fünf Richtern der anfänglichen Besetzung bis zum vollständigen Abschluss des Verfahrens.218 Wiederholt wurde während des Prozesses zudem Beweismaterial von der Anklage eingebracht, das die Verteidigung nicht vorher erhalten hatte.219 212
Vgl. Art. 24 I–V IHT-Statut. Art. 24 V IHT-Statut. 214 Vgl. Art. 24 I 1 ICTY-Statut, Art. 23 I 1 ICTR-Statut, Art. 77 I Rom-Statut. 215 tagesschau.de: Keine westlichen Standards im Saddam-Prozess, Meldung vom 05.11.2006, verfügbar unter: http://www.tagesschau.de/ausland/meldung90894.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 216 Ebd. 217 Ebd. 218 Vgl. Sissons, Miranda/Bassin, Ari S., JICJ 5.2 (2007) S. 272, 278 f. 213
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Am 5. November 2006 wurde Saddam Hussein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tod durch den Strang verurteilt. Gegenstand der Verurteilung waren die Reaktionen des Regimes Saddam Husseins auf einen Attentatversuch auf den damaligen irakischen Diktator bei dessen Besuch des schiitischen Dorfes Dujail im Jahre 1982. Nach der Überzeugung des Gerichts stand fest, dass auf Befehl des damaligen irakischen Diktators bzw. mit dessen Duldung 148 Menschen im Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet, und zudem etwa 600 Frauen und Kinder jahrelang in Camps in der Wüste interniert und die überwiegend bäuerlichen Lebensgrundlagen der betroffenen Familien zerstört oder konfisziert worden waren.220 Mit Saddam Hussein wurden zwei weitere Angeklagte, der damalige Geheimdienstchef, Saddam Husseins Halbbruder Barzan Ibrahim al-Tikriti, und der damalige Vorsitzende des Revolutionsgerichts, Awad Hamad al-Bandar, zum Tode verurteilt; vier weitere Angeklagte erhielten hohe Haftstrafen, ein Angeklagter wurde freigesprochen.221 Die Urteilsgründe wurden der Verteidigung am 22. November zugängig gemacht. Am 3. Dezember legte die Verteidigung Revision ein, und am 17. Dezember wurden die letzten Rechtsmittelbegründungen der Verteidigung vom Gericht angenommen. Die Revisionskammer bestätige das erstinstanzliche Urteil am 26. Dezember 2006 im Wesentlichen, hob aber die Verurteilung des Vizepräsidenten Taha Yassin Ramadan zu lebenslanger Freiheitsstrafe auf und verwies die Sache insoweit zurück an die Spruchkammer, die daraufhin die Todesstrafe verhängte. Ein Verbot der reformatio in peius ist im IHT-Statut nicht vorgesehen. Zudem ist eine Begnadigung oder Milderung der Strafe für die vom IHT Verurteilten durch das IHT-Statut explizit ausgeschlossen.222 Die Strafe muss vielmehr binnen 30 Tagen nach Rechtskraft des Urteils vollstreckt werden.223 Das Todesurteil gegen Saddam Hussein wurde am 30. Dezember 2006, dem Tag des islamischen Opferfestes, d.h. dem wichtigsten islamischen Feiertag, vollstreckt. Die Hinrichtung wurde von den irakischen Behörden gefilmt und auf Fotos festgehalten. Entsprechende Aufnahmen, die die letzten Minuten des irakischen Ex-Diktators, nicht aber den unmittelbaren Moment des Erhängens, zeigen, wurden an die Medien weitergegeben. Zudem tauchte ein Amateurvideo der Hinrichtung im Internet auf, das die gesamte Hinrichtung zeigt. Am 219 tagesschau.de: Keine westlichen Standards im Saddam-Prozess, Meldung vom 05.11.2006, verfügbar unter: http://www.tagesschau.de/ausland/meldung90894.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 220 Vgl. Ambos, Kai/Pirmurat, Said, JZ 2007, S. 822 ff. 221 tagesschau.de: Tod durch den Strang für Saddam, Meldung vom 06.11.2006, verfügbar unter: http://www.tagesschau.de/ausland/meldung90946.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 222 Art. 27 II 1 IHT-Statut. 223 Art. 27 II 2 IHT-Statut.
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15. Januar 2007 wurden zwei weitere und am 20. März 2007 der vierte der im Dujail-Verfahren zum Tode Verurteilten hingerichtet. Ein zweiter Prozess gegen Saddam Hussein und andere wegen Völkermordes an Kurden im Jahre 1988, der sog. „Anfal-Prozess“,224 wurde nach der Hinrichtung des ehemaligen Diktators ohne diesen – und von der internationalen Öffentlichkeit nahezu unbemerkt – zu Ende gebracht. b) Reaktionen auf das Verfahren und die Hinrichtung Das Urteil gegen Saddam Hussein ist ein Politikum, und zwar nicht nur für den Irak und die USA,225 sondern für die ganze Welt. Seit dem Ende des Dritten Reichs ist kaum ein Diktator so sehr das Symbol schwerster Gräueltaten und massiver, systematischer Menschenrechtsverletzungen gewesen wie Saddam Hussein. Es ist daher wenig verwunderlich, dass das Urteil weltweit für großes Aufsehen gesorgt hat. Überraschender ist allerdings, dass die Reaktionen auf das Urteil trotz des wenigstens in der westlichen Welt sehr einheitlichen, negativen Bildes von Saddam Hussein, eher verhalten gewesen sind. Begrüßt wurde das Urteil aber von den USA, Großbritannien und dem Irak, für die das Verfahren und vor allem die Verurteilung politisch besonders interessant waren. Welche herausragende politische Bedeutung die Verurteilung Saddam Husseins gerade in den USA gehabt hat, zeigt, wenn man den Verteidigern des ehemaligen Diktators Glauben schenken mag, bereits die Wahl des Verkündungstermins des Todesurteils am 5. November 2006, der gezielt gewählt worden sei, um Präsident Bush bei den Kongresswahlen am 7. November 2006 zu unterstützen.226 Diese Einschätzung bzgl. des Verkündungstermins wird auch von Amnesty International geteilt.227 In der Tat ist die zeitliche Nähe zwischen dem Verkündungstermin und den Kongresswahlen frappierend. Zudem hatte George W. Bush angesichts der steigenden Zahl amerikanischer Opfer im Irak, den fast täglichen Meldungen über Selbstmordattentate sowie den Befürchtungen, dass die USA die Kontrolle im Irak verlieren könnten, stark an Zustimmung bei den amerikanischen Wählern verloren. Der Irakkrieg war insoweit jedenfalls eines der Wahl entscheidenden Themen. 224 Der Begriff „Anfal“ bezeichnet eine Vernichtungskampagne der irkaischen Armee, in deren Verlauf nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen 1988 zwischen 50.000 und 100.000 Kurden im Nordirak ermordet wurden. Der Name „Anfal“ gründet sich auf die Bezeichnung einer Sure des Korans und bedeutet „Beute“. Die kurdische Bevölkerung hatte sich während des Iran-Irak Krieges auf die Seite Teherans gestellt. 225 Ebd. 226 Ebd. 227 Amnesty International: Amnesty International kritisiert Urteil gegen Saddam, verfügbar unter: http://www.amnesty.ch/de/aktuell/news/2006/amnesty-internationalkritisiert-urteil-gegen-saddam-hussein, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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George W. Bush nahm die Urteile gegen den irakischen Ex-Diktator auch mit großer Zustimmung auf und beschrieb diese in seinen Wahlkampfreden 2006 u. a. als „Meilenstein“ für die „junge Demokratie“ im Irak.228 Die Opfer Saddams hätten ein Maß an Gerechtigkeit erfahren, von dem viele nie geglaubt hätten, dass sie es je erhalten würden.229 Zur Qualität des Verfahrens sagte Bush, Saddam Hussein seien Verfahrens- und Rechtsmittelrechte zuteil geworden, die dieser dem irakischen Volk verweigert hätte.230 Auch Großbritannien begrüßte das Urteil, wenngleich auch nicht ganz so blumig. Außenministerin Margaret Beckett erklärte, sie begrüße, dass Saddam Hussein und die anderen Angeklagten für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden seien.231 Iraks Ministerpräsident Nouri al-Maliki nannte das Urteil gegen Saddam Hussein „eine Lektion für alle Verbrecher und Terroristen“. In Bagdad waren nach der Urteilsverkündung Freudenschüsse zu hören, während in Saddams Heimatstadt Tikrit trotz einer Ausgangssperre Hunderte gegen das Todesurteil demonstrierten und Rache androhten. Kritik äußerten vor allem Menschenrechtsorganisationen sowie der Vatikan. So kritisierte etwa Amnesty International den Prozess gegen Saddam Hussein als unfair und führte unter anderem am: Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts sei durch politische Einflussnahmen in Frage gestellt worden. Zudem habe es das Gericht versäumt, wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz von Zeugen und der Verteidiger zu erlassen. Saddam Hussein sei im ersten Jahr nach seiner Festnahme Rechtsbeistand verweigert und Beschwerden seiner Verteidiger während des Prozesses seien vom Gericht nicht korrekt behandelt worden. Schließlich verstoße die Todesstrafe gegen das Menschenrecht auf Leben.232 Desgleichen erklärte der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern, Leandro Despouy, der Prozess habe nicht den internationalen Menschenrechtsstandards, insbesondere dem Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht entsprochen, Saddam Hussein müsse daher vor ein internationales Gericht gestellt werden, das ihm alle Garantien entsprechend den
228 USA today: Bush Praises Saddam Verdict, Meldung vom 06.11.2006, verfügbar unter: http://www.usatoday.com/news/washington/2006-11-05-US-Saddam_x.htm, letzter Zugriff am 14.04.2008. 229 Ebd. 230 Ebd. 231 DIE ZEIT online: Kritik am Todesurteil, Meldung vom April 2006, verfügbar unter: http://images.zeit.de/text/online/2006/45/Saddam-Urteil-Reaktionen, letzter Zugriff am 14.04.2008. 232 Vgl. mit mehr Details und Argumenten: Amnesty International: Amnesty International kritisiert Urteil gegen Saddam, verfügbar unter: http://www.amnesty.ch/de/ aktuell/news/2006/amnesty-international-kritisiert-urteil-gegen-saddam-hussein, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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Grundsätzen der Vereinten Nationen gewähre.233 Diese Kritik wurde z. T. auch in den Medien aufgegriffen, so wurde der Prozess in der deutschen Tagesschau nicht als Sieg der Justiz, oder als Triumph des Rechts über das Unrecht, sondern als Spektakel beschrieben.234 Die Europäische Union sowie die Mehrheit der europäischen Staaten konnten oder mochten sich dagegen weder der entschiedenen Kritik noch der Lobpreisung des Urteils anschließen. (Einziger) zentraler Kritikpunkt gegen das Verfahren blieb die Verhängung der Todesstrafe durch das Gericht. Die finnische EURatspräsidentschaft erklärte, die EU lehne die Todesstrafe grundsätzlich und deshalb auch im Fall Saddams ab, und forderte, auf die Vollstreckung des Urteils zu verzichten.235 Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verwies auf die Linie der EU bezüglich der Todesstrafe; dass aber die gerichtliche Aufarbeitung von Saddam Husseins Taten geschehen sei, sei richtig und wichtig.236 Ähnlich äußersten sich auch der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende und Italiens Ministerpräsident Romano Prodi, wobei insbesondere Prodi die Verhängung der Todesstrafe besonders entschieden ablehnte. c) Ein Fiasko mit guten Ansätzen oder ein völkerstrafrechtliches Verbrechen? Michael P. Scharf, Mitglied des Teams der International Bar Association, das versucht hatte, die Richter des IHT auf ihre Aufgabe vorzubereiten, hat den Verlauf des Verfahrens als ruiniert durch die Ermordung von drei Verteidigern, den Rücktritt des Vorsitzenden Richters, die Boykottierung der Verteidigung, die Störungen der Angeklagten und schließlich eine Hinrichtung, die nach allgemeiner Ansicht ein absolutes Fiasko war, beschrieben.237 In Anbetracht alldessen was schief gelaufen sei, sei eine objektive Würdigung des IHT wie am Abend des 14. April 1865 zu fragen: „Aber abgesehen davon, hat Ihnen die Vorstellung gefallen, Mr. Lincoln?“238 Dem ist nicht viel hinzufügen. Nach allem, was über das Verfahren bekannt geworden ist, ist dieses von den internationalen
233 Vgl. Spiegel online: Uno-Beauftragter kritisiert Sondergericht scharf, Meldung vom 07.11.2006, verfügbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,446 857,00.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 234 tagesschau.de: Keine westlichen Standards im Saddam-Prozess, Meldung vom 05.11.2006, verfügbar unter, http://www.tagesschau.de/ausland/meldung90894.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 235 Vgl. stern.de: Geteiltes Echo auf Todesurteil, Meldung vom 06.11.2006, verfügbar unter, http://www.stern.de/politik/ausland/575623.html, letzter Zugriff am 14.04. 2008. 236 Ebd. 237 Scharf, Michael P., JICJ 5.2 (2007), S. 258, 259. 238 Ebd.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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Mindeststandards eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens weit entfernt gewesen. Erstaunlicher Weise sieht Scharf aber dennoch in dem Dujail-Verfahren letztlich nur einen „bumpy start“ für den IHT und findet noch lobenswertes, wie z. B. die 298 Seiten lange Urteilsbegründung vom 22. November 2006.239 Gerade die Urteilsbegründung240 wird aber wiederum von anderen Autoren scharf kritisiert.241 Insoweit wird bemängelt, dass vor allem die Beweiswürdigung nicht überzeugen könne, da sich das Gericht nicht hinreichend mit der Verteidigung Saddam Husseins auseinandergesetzt habe, sondern z. B. wie selbstverständlich davon ausging, dass es eine wie auch immer geartete Anweisung Saddams zu den Tötungen gegeben haben müsse, obwohl dies von Saddam ausdrücklich bestritten wurde und es an anderen eindeutigen Beweisen fehlte.242 Überdies werde die Frage des Verhältnisses von Vorgesetztenverantwortlichkeit und anderen Beteiligungsformen aufgrund aktiven Tuns wie der Anordnung vom Gericht ignoriert.243 Bei unvoreingenommener Lektüre des Urteils entstehe daher der Eindruck, dass der Ausgang des Verfahrens vorherbestimmt gewesen und entsprechend ergebnisorientiert argumentiert worden sei.244 Diese auf den Urteilsgründen fußende These wird durch den Ablauf des Verfahrens nur gestützt. Ein ergebnisoffenes Verfahren sieht jedenfalls anders aus. Andere Kommentatoren erwähnen aber positiv, dass das Dujail-Verfahren vor dem IHT zumindest besser gewesen sei als andere Verfahren vor irakischen Gerichten waren (und sind).245 Dem ist hinsichtlich der berüchtigten irakischen Revolutionsgerichte, in denen politische Straftaten abgeurteilt wurden, zuzustimmen. Ob dies indessen auch auf die ordentliche irakische Justiz zutrifft, erscheint zweifelhaft. Anzuerkennen ist aber jedenfalls, dass das Verfahren gegen Saddam Hussein ursprünglich tatsächlich dazu bestimmt gewesen ist, neue Standards für die irakische Justiz zu setzen. Das Verfahren sollte sowohl verfahrensrechtlich als auch materiellrechtlich deutlich fairer sein, als die Verfahren die unter Saddam an der Tagesordnung waren.246 Diese löblichen Vorsätze sind indessen im Laufe des Verfahrens völlig abhanden gekommen, so dass nur zu hoffen ist, dass sich die irakische Justiz das Dujail-Verfahren nicht zum Vorbild nehmen wird. 239
Ebd., S. 258, 260 ff. Die erstinstanzliche „Dujail-Entscheidung“ ist ebenso wie die Revisionsentscheidung in englischer Übersetzung verfügbar unter http://www.law.case.edu/saddamtrial, letzter Zugriff am 14.04.2008. 241 Ambos, Kai/Pirmurat, Said, JZ 2007, S. 822–828. 242 Vgl. ebd., S. 822, 825. 243 Vgl. ebd. 244 Ebd., S. 822, 828. 245 Sissons, Miranda/Bassin, Ari S., JICJ 5.2 (2007), S. 272, 273. 246 Vgl. ebd., S. 272, 275. 240
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Nach Auffassung von Curtis F. J. Doebbler, einem amerikanischen Anwalt Saddams, war das Dujail-Verfahren zudem nicht nur unfair und parteiisch, sondern stellt selbst eine schwere Verletzung der Menschenrechte auf Leben und ein faires Verfahren sowie des Verbotes unmenschlicher oder erniedrigender Strafen dar.247 Doebbler fordert daher auch konsequent, diejenigen, die das Verfahren manipuliert und sabotiert hätten, für diese Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu belangen.248 Die USA und die irakischen Machthaber hätten, so Doebbler, ein unfaires Verfahren geführt, obwohl sie wussten, dass nach den Genfer Konventionen der Entzug des Rechts auf ein ordentliches, unparteiisches und faires Strafverfahren ein Kriegsverbrechen darstellt,249 und zwar unabhängig von der Frage, ob Saddam als Kriegsgefangener oder als Zivilperson anzusehen sei.250 Zudem sei die Errichtung und Arbeitsweise des IHT ein integraler Bestandteil des Angriffs und der Besetzung des Iraks, denen das gemeinsame Ziel zugrunde liege, den rechtmäßigen Präsidenten des Irak zu beseitigen.251 Die hier gestellte Forderung nach strafrechtlicher Aufarbeitung der Handlungen nicht nur der Verlierer, sondern auch der – wenn man sie denn im Falle des Irakkriegs so nennen will – Gewinner ist, wie dargestellt, eines der zentralen Probleme des internationalen Strafrechts. Die Legitimität strafrechtlicher Verfahren ist schwer zu begründen, wenn eine konsequente Rechtsanwendung, unabhängig von der Nationalität der Täter und Opfer, nicht gewährleistet werden kann. Uneingeschränkt zuzustimmen ist jedenfalls der Einschätzung von Sissons und Bassin, dass das Dujail-Verfahren eine verpasste Gelegenheit in der Suche nach Gerechtigkeit im Irak darstellt.252 Trotz des großen persönlichen Risikos, dass die Richter des IHT eingingen, um nach neuen ambitionierten Standards Recht im Irak zu sprechen, war das Verfahren durch politische Einflussnahme schwer beeinträchtigt, schwere Verstöße gegen den Fair-trial-Grundsatz bestimmten sowohl das erstinstanzliche Hauptverfahren als auch die Rechtsmittelinstanz.253 Wie beschränkt die Unabhängigkeit der Richter gewesen ist, zeigt sich dabei bereits an der ständig wechselnden Besetzung des Gerichts. Erschreckend sind zudem die Verstöße gegen den Grundsatz der Waffengleichheit. Die Anklage blieb weit hinter der erforderlichen Umgrenzungs- und Informationsfunktion zurück, der Zugang zu wichtigen Beweismitteln war be247
Doebbler, Curtis F. J., JICJ 5.2 (2007), S. 264. Ebd., S. 264, 265. 249 Vgl. hierzu Art. 130 des Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen (Genfer Abkommen III) und Art. 147 des Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (Genfer Abkommen IV). 250 Doebbler, Curtis F. J., JICJ 5.2 (2007), S. 264. 251 Ebd., S. 264, 267. 252 Sissons, Miranda/Bassin, Ari S., JICJ 5.2 (2007), S. 272, 273. 253 Ebd. 248
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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schränkt und erfolgte häufig erst mit erheblicher Verspätung, zudem wurde die Möglichkeit, belastendes Beweismaterial zu hinterfragen, nur unzureichend eröffnet.254 Eine formale Anklageschrift wurde erst im Mai 2006 präsentiert, und zudem später noch um weitere Anklagepunkte ergänzt.255 Die Namen von Belastungszeugen wurden der Verteidigung – wenn überhaupt – oft erst Stunden vor der Vernehmung bekannt gegeben, so dass eine effektive Vorbereitung der Verteidigung in der Regel nicht mehr möglich war.256 Diese schweren Verfahrensfehler wurden auch in der Rechtsmittelinstanz nicht revidiert, so brauchte die Berufungsinstanz gerade einmal 9 Tage, um das Urteil der ersten Instanz zu bestätigen. Dass überdies die Todesstrafe in einem Verfahren verhängt worden ist, das ganz offensichtlich unfair und nicht rechtsstaatlich war, ist, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Todesstrafe bereits an sich eine Menschenrechtsverletzung darstellt, besonders problematisch. Das gleiche gilt für den expliziten Ausschluss einer Begnadigung oder Milderung der Strafe nach dem IHT-Statut,257 da nach Art. 6 Abs. 4 IPbpR jeder zum Tode Verurteilte das Recht hat, um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe zu bitten, und der Irak den IPbpR bereits 1969 unterzeichnet und 1971 ratifiziert hat. Unabhängig von den evidenten prozessualen Mängeln ist das Dujail-Verfahren und insbesondere die Hinrichtung Saddam Husseins aber vor allem deshalb so enttäuschend, weil damit eine große Chance verspielt worden ist, die während seiner Regierungszeit begangenen Verbrechen juristisch aufzuarbeiten. Denn das Schiiten-Massaker im Jahre 1982 ist nur eines von vielen Verbrechen gewesen, die dem ehemaligen Diktator zur Last gelegt werden. So machen die Vereinten Nationen Saddam Hussein z. B. für den von 1980 bis 1988 dauernden Iran-Irak-Krieg verantwortlich, in dessen Verlauf ca. eine Million Menschen starben; die iranische Regierung hatte insoweit sogar bereits Völkermord-Anklage gegen Saddam Hussein erhoben.258 Zudem sollen 1983 irakische Truppen unter Befehl des Diktators etwa 8.000 Mitglieder des kurdischen Barsani-Volksstammes in der Wüste zusammengetrieben und ermordet haben.259 Des Weiteren kommen etwa Verbrechen im Rahmen der illegalen Annexion Kuwaits 1990/1991 sowie die blutige Beendigung des Schiiten-Aufstands nach der iraki-
254
Vgl. ebd., S. 272, 280. Vgl. ebd., S. 272, 281. 256 Vgl. ebd., S. 272, 283. 257 Art. 27 II 1 IHT-Statut: No Authority, including the President of the Republic, may grant a pardon or mitigate the punishment issued by the Court. 258 Vgl. tagesschau.de: Weitere Vorwürfe gegen Saddam Hussein im Überblick, Meldung vom 29.12.2006, verfügbar unter: http://www.tagesschau.de/ausland/mel dung72376.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 259 Ebd. 255
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
schen Niederlage im Golfkrieg, bei der Zehntausende starben, in Betracht.260 Überdies wurden unter Saddam Hussein Regierungsgegner systematisch gefoltert und hingerichtet. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Taten nach dem Tode des ehemaligen Diktators je juristisch aufgearbeitet werden. Auch die noch lebenden Opfer und ihre Angehörigen haben damit eine große Möglichkeit verloren, sich im Rahmen eines Strafverfahrens Gehör zu verschaffen. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, dass das Dujail-Verfahren zur Förderung von Ruhe und Frieden im Irak beitragen wird. Zumal durch die fast öffentliche Hinrichtung auch noch das Bild Saddam Husseins als Märtyrer, der um des Glaubens und der Überzeugung willen gefasst in den Tod geht, gestärkt wurde. Es überrascht daher nicht, dass die Monate nach der Hinrichtung des irakischen Diktators die blutigsten seit der Invasion 2003 gewesen sind.261 Es sei betont, dass es unter Souveränitäts- und Demokratiegesichtspunkten zu begrüßen ist, wenn nationalen Autoritäten Priorität eingeräumt wird, dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn diese auch in der Lage sind, die ihnen eröffneten Befugnisse angemessen auszuüben. So kann gerade bei hochpolitischen Verfahren in einer anfälligen, instabilen Gesellschaft die Anwesenheit internationaler Richter oder anderer internationaler Helfer ein wichtiger Mechanismus sein, um das Vertrauen in die nationale Justiz und das nationale Rechtssystem wieder herzustellen und dieses wiederaufzubauen.262 Um das Vertrauen einer Gesellschaft in Justiz und Recht wiederherzustellen, ist es weitaus wichtiger, dass die Richter unparteiisch und unabhängig sind und die Mindeststandards eines fairen Verfahrens eingehalten werden, als aus welchem Land der einzelne Richter kommt. Überdies ist zu bedenken, dass das Dujail-Verfahren kein autonomer irakischer Justizakt, sondern eine in weiten Teilen von Washington inszenierte, gesteuerte oder jedenfalls erheblich beeinflusste Veranstaltung gewesen ist, die mit autonomer Selbstbestimmung wohl ebenso wenig zu tun hatte, wie mit Recht und Gerechtigkeit. Es ist daher auch argumentiert worden, dass ein durch bilateralen Vertrag zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen gegründetes internationalisiertes Sondergericht, nach dem Vorbild des Sondertribunals für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone, SCSL), die beste Lösung gewesen wäre.263 In der Tat hätte ein solches Gericht den Vorteil gehabt, einerseits die Souveränitätsrechte des Iraks zu achten und durch die Einbindung irakischer Richter die Akzeptanz des Gerichtes in der Bevölkerung zu stärken, andererseits aber auch die Möglichkeit eröffnet, erfahrene internationale Experten in das Gericht ein-
260 261 262 263
Ebd. Scharf, Michael P., JICJ 5.2 (2007), S. 258, 261. Vgl. Mettraux, Guénaël, JICJ 5.2 (2007), S. 287, 288. Bertodano, Sylvia de, JICJ 5.2 (2007), S. 294, 298.
V. Die Kompetenz-Kompetenz des ICCs
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zubinden.264 Zudem hätte bei einem derartigen Gericht vertraglich auch die Möglichkeit etabliert werden können, politisch besonders brisante Verfahren, wie eben gerade das Verfahren gegen Saddam Hussein, ins Ausland zu verlegen, wenn die Sicherheit im Inland nicht gewährleistet werden kann. So hat auch der SCSL das Verfahren gegen den ehemaligen libyschen Präsidenten Charles Taylor in die Räumlichkeit des ICCs nach Den Haag verlegt, da die Sicherheit der Verfahrensbeteiligten in Sierra Leone nicht gewährleistet werden konnte.265 Eine entsprechende Relokalisierung hätte unzweifelhaft auch der Fairness des Verfahrens gegen Saddam Hussein gut getan. Überdies hätte ein Gericht auf der Basis eines bilateralen Vertrages zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen den Vorteil gehabt, dass die Todesstrafe ausgeschlossen worden wäre, da anders eine Zustimmung der Vereinten Nationen mit Sicherheit nicht erfolgt wäre. Leider stellt dies aber auch wieder einen der entscheidenden Gründe dar, warum ein solches Gericht, unabhängig von der ablehnenden Einstellung der USA zu einem derartigen Projekt, keine Chance auf Entstehung gehabt hat, da von irakischer Seite die Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe ein zentrales Anliegen war.266 Realistisch gesehen bestand somit wohl keine andere oder jedenfalls keine bessere Möglichkeit als der IHT. Die Vorbedingungen im Irak waren überdies nicht so schlecht, wie man es nach dem Dujail-Verfahren vielleicht vermuten würde. Zwar wurden unter der Herrschaft Saddams politische Verfahren vor geheimen Revolutionstribunalen abgeurteilt, für normale Verbrechen bestand dagegen ein auf eine lange Tradition zurückgehendes, weitgehend unabhängiges, ordentliches Gerichtssystem.267 Es standen daher im Prinzip ausreichend erfahrene, unabhängige irakische Richter und Anwälte zur Verfügung, die allerdings über keine Erfahrung in der Aburteilung internationaler Verbrechen verfügten und daher insoweit internationaler Hilfe bedurft hätten,268 welche aber wegen der besonderen Situation im Irak nach dem Irakkrieg nicht zur Verfügung stand. Abschließend bleibt nur zu hoffen, dass künftig eine solche Pattsituation, in der ein angemessenes Forum für die Aburteilung der Haupttäter schwerster völkerstrafrechtlicher Verbrechen nicht zur Verfügung steht, durch den ICC verhindert werden kann. Das Dujail-Verfahren gegen Saddam Hussein zeigt jedenfalls eindrücklich, wie lückenhaft das System internationaler Strafrechtspflege ohne den ICC sein kann, wenn die nationalen Autoritäten nicht willens oder in der Lage sind, ein faires, unabhängiges und rechtsstaatliches Verfahrens zu garantieren. 264 265 266 267 268
Ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 294, 298 f. Ebd., S. 294, 299. Ebd., S. 294, 299 f.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
VI. Jurisdiktionsverzicht zugunsten des ICCs? Da ein wesentlicher Grund für die Entwicklung des Komplementaritätsprinzips in dem Bestreben der Sicherung staatlicher Souveränität bestanden hat, wird vertreten, dass Staaten das Recht hätten, zugunsten des ICCs auf die Ausübung ihrer Strafgewalt zu verzichten.269 Zumindest in Bezug auf die auf traditionellen Jurisdiktionsprinzipien beruhende Strafgewalt, d.h. die auf dem Territorialitäts- oder dem (aktiven) Personalitätsprinzip fußende Strafgewalt, erscheint diese Auffassung indessen problematisch. Zunächst ist zu fragen, ob das Recht zur Ausübung von Strafgewalt über die in der eigenen Gemeinschaft begangenen (völkerstrafrechtlichen) Verbrechen überhaupt zur freien Disposition des betroffenen Staates steht,270 oder ob nicht vielmehr eine korrespondierende Pflicht besteht, die eigene Strafgewalt auch auszuüben. Gegen eine Disponibilität der staatlichen Strafgewalt und für eine Verfolgungspflicht spricht vor allem das staatliche Gewaltmonopol. Verzichten die Angehörigen eines Gemeinwesens zugunsten des Staates darauf, Gewalt, d.h. insbesondere auch Selbstjustiz, auszuüben, so müssen sie sich darauf verlassen können, dass ihre Rechte und Ansprüche durch die staatlichen Justizund Exekutivorgane geschützt und durchgesetzt werden. D.h. der Staat muss die ihm übertragene (Straf-)Gewalt auch ausüben und kann diese Befugnis nicht nach eigenem Gutdünken an andere Institutionen übertragen. Zudem steht die Idee eines Jurisdiktionsverzichts zugunsten des ICCs aber auch nicht im Einklang mit der Funktion des Gerichtshofs als einer Art „juristischem Sicherheitsnetz“. Es ist gerade nicht Aufgabe des ICCs, die Ausübung nationaler Strafgewalt einzuschränken, sondern vielmehr die Ausübung staatlicher Strafgewalt über die Kernverbrechen zu fördern. Der vom Rom-Statut anvisierte Idealfall ist nicht ein ICC, der Strafverfahren wegen aller auf der Welt begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen betreibt, sondern ein Gerichtshof, für den keine Notwendigkeit besteht, seine Strafgewalt auszuüben, da in jedem Fall von ICC-Kernverbrechen nationale Strafgerichte zur Verfügung stehen, die willens und in der Lage sind, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. In diesem Sinne hat auch der ICC-Ankläger erklärt, dass der Erfolg des ICCs nicht an der Zahl der Fälle gemessen werden solle, die den Gerichtshof erreichen, sondern dass vielmehr das Ausbleiben von Verfahren vor dem ICC ein großer Erfolg wäre, wenn es das Ergebnis eines effektiv funktionierenden Systems staatlicher Strafrechtspflege wäre.271
269 Vgl. Seidel, Gerd/Stahn, Carsten, Jura 1999, S. 14, 16; Ambos, Kai: Möglichkeiten und Grenzen völkerstrafrechtlichen Rechtsgüterschutzes, in: Neubacher/Klein (Hrsg.): Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts?, S. 111, 113. 270 Gegen eine Disponibilität der Strafgewalt insoweit Köhler, Michael, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 11 (2003), S. 435, 449.
VI. Jurisdiktionsverzicht zugunsten des ICCs?
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Diese Ansicht scheint – zumindest teilweise – auch von den Richtern des ICCs geteilt zu werden. So hat die Vorverfahrenskammer I im Fall Lubanga trotz der Verweisung der Situation im Kongo an den ICC durch den Kongo selbst geprüft, ob die Voraussetzungen des Art. 17 Rom-Statut erfüllt sind, und dabei sogar die Entwicklung im Kongo nach der Verweisung im Rahmen der Frage berücksichtigt, ob die kongolesische Justiz nicht in der Lage sei, das Verfahren gegen Lubanga durchzuführen.272 Indessen hat die Vorverfahrenskammer II nur auf die Verweisung der Situation in Uganda durch Uganda Bezug genommen und keine weitere Prüfung vorgenommen, sondern nur festgestellt, dass der Fall zulässig zu sein scheine.273 Ob aus diesen unterschiedlichen Ansätzen bereits der Schluss gezogen werden kann, dass ein Jurisdiktionsverzicht nach der Auffassung der Vorverfahrenskammer I unzulässig, nach Ansicht der Verfahrenskammer II dagegen zulässig ist, ist zwar nicht zwingend, eine erste Auswertung der genannten Entscheidungen legt aber jedenfalls eine grundverschiedene Einstellung der ICC-Richter hinsichtlich der Möglichkeit eines Jurisdiktionsverzichtes nahe.274 Zudem beinhaltet die Idee eines freiwilligen Verzichts auf die eigene Strafgewalt aber auch die Gefahr des Missbrauchs. So steht zu befürchten, dass mächtige Staaten versuchen könnten, schwächere Staaten derart ,zu überzeugen‘, auf die Ausübung ihrer Strafgewalt zu verzichten, dass von Freiwilligkeit kaum noch die Rede sein könnte. Schließlich wirft die Möglichkeit eines Jurisdiktionsverzichts aber auch die Frage auf, welche Staaten auf die Ausübung ihrer Strafgewalt verzichten könnten bzw. müssten, um eine Zuständigkeit des ICCs zu begründen: Nur der Tatortstaat oder auch der Heimatstaat des Täters und/oder des Opfers, oder sogar jeder Staat, der aufgrund des Weltrechtsprinzips zur Ausübung nationaler Strafgewalt berechtigt wäre? Die Idee eines Verzichts wirft daher mehr Fragen und Probleme auf, als sie löst. 271 Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, S. 4, verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/otp/otp_policy.html, letzter Zugriff am 14.04.2008. 272 Situation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Decision concerning Pre-Trial Chamber I’s Decision of 10 February 2006 and the Incorporation of Documents into the Record of the Case against Mr Thomas Lubanga Dylio (ICC-01/04-01/06), Rn. 29 ff., insbesondere Rn. 36. 273 Vgl. Situation in Uganda (ICC-02/04-53), Warrant of Arrest for Joseph Kony Issued on 8 July 2005 as Amended on 27 September 2005, Rn. 33 und 37, 38; Situation in Uganda (ICC-02/04-54), Warrant of Arrest for Vincent Otti, 08.07.2005, Rn. 37, 38; Situation in Uganda (ICC-02/04-55), Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, 08.07.2005, Rn. 25, 26; Situation in Uganda (ICC-02/04-56), Warrant of Arrest for Okot Odhiambo, 08.07.2005, Rn. 27, 28; Situation in Uganda (ICC-02/04-57), Warrant of Arrest for Dominic Ohgwen, 08.07.2005, Rn. 25, 26. 274 Schabas, William A.: An Introduction to the International Criminal Court, S. 180.
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
VII. Abschließende Bemerkungen Die quasi ununterbrochene Kette schwerster Menschenrechtsverletzungen im 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass nationale Gerichte allein nicht in der Lage sind, die (Haupt-)Verantwortlichen dieser Taten strafrechtlich zu verfolgen. (Zu) lange ist daher die Straffreiheit der Täter von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen die Regel gewesen. Das internationale Strafrechtspflegesystem hat sich deshalb ändern müssen, um eine ähnlich katastrophale Bilanz für das 21. Jahrhundert zu verhindern. Die momentan verfolgte Lösung besteht in der Schaffung eines Systems, das neben den nationalen Gerichten sowie internationalisierten und hybriden Straftribunalen eine ständige internationale Institution etabliert, die (subsidiär) für die strafrechtliche Verfolgung der schwersten internationalen Verbrechen zuständig ist – den ICC. Internationale Strafrechtspflege kann aber nicht singulär durch eine einzelne Institution definiert werden, sondern setzt eine Kommunikation zwischen nationalen und internationalen Ebenen voraus.275 Internationale Strafgerichtshöfe können sich allenfalls mit der Spitze des Eisberges befassen, während die überwältigende Mehrheit der Fälle den nationalen Strafgerichten überlassen bleiben muss. Zudem folgt bereits aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, dass den von einem (völkerstrafrechtlichen) Verbrechen am stärksten betroffenen Gemeinschaften ein vorrangiges Bewältigungsrecht und somit eine vorrangige Strafgewalt einzuräumen ist. Zu dem gleichen Ergebnis führen grundsätzlich auch rein pragmatische Erwägungen, da die Strafverfolgungsbehörden vor Ort in der Regel am besten in der Lage sind, die in ihrer Mitte begangenen Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen. Zugleich ist aber auch zu berücksichtigen, dass Staaten, die sich z. B. wegen eines blutigen Bürgerkrieges noch immer in einem Zustand des Chaos befinden oder nach dem Ende einer langjährigen Diktatur ihr nationales Justizsystem erst wiederbeleben müssen, oft weder willens noch in der Lage sind, komplexe Strafverfahren wegen, womöglich noch in staatlicher Funktion begangener, schwerster Menschenrechtsverletzungen zu führen. Wie katastrophal Prozesse in solchen Situationen verlaufen können, hat nicht zuletzt das Verfahren gegen Saddam Hussein vor dem IHT eindrucksvoll bewiesen. Zudem besteht aber insbesondere bei sog. Staatsdelinquenz immer auch die Gefahr, dass Verfahren – wenn überhaupt – nur zum Schein geführt werden bzw. die den Prozess führenden Richter parteiisch sind oder von staatlichen Stellen beeinflusst werden. Verfahren, in denen nicht einmal die absoluten Mindeststandards eines fairen und unabhängigen Strafverfahrens eingehalten werden, sind aber der Festigung
275
Garapon, Antoine, JICJ 2.3 (2004), S. 716–726.
VII. Abschließende Bemerkungen
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von Recht und Gerechtigkeit nahezu so (un)zuträglich wie eine Lynchjustiz. In einem Rechtsstaat haben auch Personen, die der schlimmsten Verbrechen angeklagt sind, ein Recht auf ein faires Verfahren. Werden diese Mindestvoraussetzungen nicht eingehalten, so begehen die Urteilenden selbst Unrecht. Unabhängig von dem Verfahrensausgang vertieft ein unfaires Verfahren somit nur das durch die Tat hervorgerufene Unrecht. Die Lösung, die von den Verfassern des Rom-Statuts für das Verhältnis zwischen nationalen Gerichten und dem ICC gefunden werden musste, hatte alle diese Aspekte zu berücksichtigen. D.h. sie musste sowohl den grundsätzlichen Vorrang nationaler Strafgewalt erhalten, als auch durch die Inkorporierung des ICCs in das bestehende System ein neues effektiveres System internationaler Strafrechtspflege schaffen. Insoweit war es notwendig, dem ICC eine gewisse Kontrollbefugnis über die Ausübung nationaler Strafgewalt zu geben, da anderenfalls Staaten – z. B. durch Scheinprozesse – in der Lage gewesen wären, ihre Staatsangehörigen vor strafrechtlicher Verfolgung durch den ICC zu schützen. Die so eröffnete Machtbefugnis des ICCs musste allerdings wiederum durch möglichst objektive Zulässigkeitskriterien begrenzt werden, um den legitimen Souveränitätsbedenken vieler Staaten gerecht zu werden und das Statut allgemein zustimmungsfähig zu machen. Bedenkt man diesen Spagat zwischen staatlicher Souveränität und einem möglichst effektiven Menschenrechtsschutz, so kann die mit dem Komplementaritätsprinzip getroffene Lösung dieses Konflikts nur als Erfolg gewertet werden. Das Komplementaritätsprinzip ist allerdings trotz bzw. auch wegen der hitzigen Debatte in Rom nicht eindeutig definiert und daher offen für eine Ausgestaltung durch den ICC. 10 Jahre nach Rom sind zwar bereits einige Anstrengungen unternommen worden, die Feinheiten dieses Prinzips zu ergründen, wie das Komplementaritätsprinzip in der Praxis des ICCs aussehen wird, ist indessen, auch in Anbetracht der unterschiedlichen Ansätze der beiden Vorverfahrenskammern, noch immer schwer abzuschätzen. Solange aber der ICC seine Kompetenz-Kompetenz und damit seine Kontrollfunktion mit Respekt für die Unterschiede in nationalen Strafverfahren ausübt und dabei auch die jeweilige Lage in dem betroffenen Staat sowie ggf. nationale Friedensbemühungen und nicht-strafrechtliche Bewältigungsmechanismen angemessen berücksichtigt, stellt diese Befugnis des ICCs keine Verletzung staatlicher Souveränität dar. Ein besonderer Respekt für die Unterschiede im Strafprozessrecht und in der Strafrechtspraxis der verschiedenen Staaten und Rechtssysteme ist aber unverzichtbar, um zu verhindern, dass der Gerichtshof die Ungleichheit zwischen Staaten weiter vergrößert, indem er insbesondere Strafverfahren in Entwicklungsländern nicht anerkannt, die nicht den westlichen Standards eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens entsprechen. Achtet der ICC aber diese Unterschiede und berücksichtigt zudem, dass ein übergeordnetes
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D. Das Komplementaritätsprinzip des Rom-Statuts
Ziel immer die Beendigung der Gewalttaten sein muss, so nimmt er keine Strafgewalt „above that of all nations“ in Anspruch, wie es von Kritikern behauptet worden ist,276 sondern hilft nur, die Lücken in der Strafverfolgung der schwersten internationalen Verbrechen zu schließen. Zudem ist das Komplementaritätsprinzip ein nicht zu unterschätzendes Mittel, um zu gewährleisten, dass alle Staaten ihre Verantwortung zur Ahndung der Kernverbrechen des Rom-Statuts ernst nehmen und ggf. sogar die notwendigen gesetzlichen Änderungen vornehmen, um eine aktivere Rolle in der Verfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen zu spielen.277 Und sei es nur, damit die eigenen Staatsangehörigen nicht vor dem ICC, sondern vor den eigenen nationalen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden. Abschließend ein letztes Wort: Der ICC ist durch einen völkerrechtlichen Vertrag gegründet worden, der von ca. 160 Nationen ausgehandelt wurde und daher notgedrungen einen Kompromiss zwischen den beiden legitimen Forderungen nach staatlicher Souveränität und einem effektiven Menschenrechtsschutz darstellt. Nun ist es immer leicht, Mängel in einem Kompromiss zu finden, da es in der Natur der Sache liegt, dass keine Seite ihren Standpunkt voll verwirklichen kann. Dieses Paket an gegenseitigen Zugeständnissen wieder in Frage zu stellen,278 wäre aber weder klug noch sinnvoll, sondern könnte die derzeit einzige Hoffnung, das bestehende System internationaler Strafrechtspflege zu verbessern, zunichte machen. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere Änderungen zu einer größeren Akzeptanz des Rom-Statuts führen würden und etwa die Meinung derer ändern könnten, die derzeit (noch) die US-amerikanische Politik bestimmen.279 Schließlich sieht das Rom-Statut selbst eine Überprüfung und ggf. Änderung des Statuts 7 Jahre nach dessen Inkrafttreten vor.280 Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Frage, wie der ICC aussehen soll, aber mit dem Inkrafttreten des Statuts am 1. Juli 2002 beantwortet worden. Die Tatsache allein, dass 139 Staaten bereit gewesen sind, das Statut zu unterzeichen,281 ist außergewöhnlich genug. Die Aufgabe besteht daher zu276
Walker, Andrew J., W Va L Rev 106 (2004), S. 245–304. The Board of Editors: The Rome Statute: A Tentative Assessment, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Hrsg.): The Rome Statute of the International Criminal Court, S. 1901, 1906. 278 Vgl. z. B. Walker, Andrew J., W Va L Rev 106 (2004), S. 245–304. 279 Vgl. Wald, Patricia M., JICJ 2.1 (2004), S. 19–25. 280 Art. 23 I Rom-Statut. 281 Zwei Staaten, die USA und Israel, zogen allerdings später ihre Unterschrift wieder zurück: In einer Mitteilung, empfangen am 06.05.2002, informierte die Regierung der Vereinigten Staaten den UN-Generalsekretär wie folgt: „This is to inform you, in connection with the Rome Statute of the International Criminal Court adopted on July 17, 1998, that the United States does not intend to become a party to the treaty. Accordingly, the United States has no legal obligations arising from its signature on Decem277
VII. Abschließende Bemerkungen
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nächst darin, mit dem zu arbeiten was wir haben, und nicht darüber zu sinnieren, was wir gerne gehabt hätten. Dies vorausgeschickt, darf der Juli 2009 natürlich mit Spannung erwartet werden.
ber 31, 2000. The United States requests that its intention not to become a party, as expressed in this letter, be reflected in the depositary’s status lists relating to this treaty.“ Am 28.08.2002, erhielt der Generalsekretär eine entsprechende Mitteilung von der israelischen Regierung: „. . . in connection with the Rome Statute of the International Criminal Court adopted on 17 July 1998, [. . .] Israel does not intend to become a party to the treaty. Accordingly, Israel has no legal obligations arising from its signature on 31 December 2000. Israel requests that its intention not to become a party, as expressed in this letter, be reflected in the depositary’s status lists relating to this treaty.“ Verfügbar unter: http://untreaty.un.org/ENGLISH/bible/englishinternetbible/partI/ chapterXVIII/treaty11.asp, letzter Zugriff am 14.04.2008.
E. Schlusswort Abschließend stellt sich die Frage, wie das be- bzw. entstehende System internationaler Strafrechtspflege zu bewerten ist: Ist es zutreffend, dass alle (Haupt)Verantwortlichen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unabhängig von der Nationalität des Täters und des Opfers und dem Tatort des Verbrechens ein vergleichbares Risiko eingehen, später durch nationale Strafgerichte oder den ICC verfolgt und letztlich bestraft zu werden? Oder ist es zutreffend, dass so etwas wie eine internationale strafrechtliche Gerechtigkeit nicht besteht, und es letztlich nur eine Frage der Selektivität, der Auswahl aus politischen Gründen und letztlich der Macht ist, wer für die Begehung derartiger Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird und wer eben nicht? Wie so häufig liegt die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Ausübung von Strafgewalt über internationale Verbrechen häufig beeinflusst ist von den Interessen und der Politik mächtiger Staaten. Zudem ist gerade die Frage, wer nicht bestraft wird, in erster Linie eine Frage der Macht. D.h., dass vor allem Taten, die von Staatsangehörigen mächtiger Staaten in amtlicher Funktion oder zumindest im Zusammenhang mit einem staatlichen Tun begangen werden, wahrscheinlich nicht Gegenstand eines Strafverfahrens sein werden. Andererseits gibt es aber auch nur wenige Fälle, in denen Täter offensichtlich allein aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt wurden und daher politische Interessen und nicht die individuelle Tat im Zentrum des Strafverfahrens standen. Bedenkliche Ansätze finden sich insoweit aber im Strafverfahren gegen Saddam Hussein vor dem IHT. Die Tatsache, dass die Macht zwischen den verschiedenen Ländern der Welt ungleich verteilt ist, ist indessen keine Offenbarung und keine Besonderheit des internationalen Strafrechts. Es ist daher zu fragen, ob die derzeit durch den ICC und das Weltrechtsprinzip bestehende Chance, die Täter internationaler Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, aufgegeben werden sollte, weil eine vollständige Gleichheit (jedenfalls noch) nicht gewährleistet werden kann. Entscheidend ist insofern zunächst, wie willkürlich oder selektiv die mit der Strafverfolgung befassten Gerichte agieren. Zudem darf kein System internationaler Strafrechtspflege geschaffen werden, in dem ausschließlich die Staatsangehörigen von Entwicklungsländern Gefahr laufen, durch westliche Gerichte bestraft zu werden. Üben allerdings nationale Strafgerichte und der ICC ihre Strafgewalt mit Vorsicht und Respekt aus und achten vor allem die Souveränitätsrechte schwächerer, ärmerer Staaten, so wird ein solches Schreckensbild auszuschließen sein.
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Eine entsprechende Vorsicht bei der strafrechtlichen Verfolgung der ICCKernverbrechen ist indessen unerlässlich, wenn das im Entstehen begriffene System internationaler Strafrechtspflege funktionieren soll. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass internationale Ereignisse in der Regel sehr komplex und in sich verwoben sind. Zudem sollte die strafrechtliche Verfolgung eines Täters eigentlich immer auch die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Mittäter, Anstifter und Gehilfen nach sich ziehen. So wäre z. B. im Fall Pinochets die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der beteiligten CIA-Mitarbeiter als Anstifter und Gehilfen der im Zusammenhang mit dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung Allendes begangenen Verbrechen zu klären gewesen. Zudem könnte etwa an eine Strafverfolgung der für das Misslingen des Verfahrens gegen Saddam Hussein Verantwortlichen wegen Kriegsverbrechen zu denken sein. Bedenkt man überdies allein die Ereignisse des Irakkriegs, so muss man letztlich doch eingestehen, dass auch die Täter schwerster Menschenrechtsverletzungen (noch) nicht gleich behandelt werden. Da somit eine konsequente Anwendung des Prinzips der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit (noch) nicht real ist, ist eine besondere Vorsicht bei der Verfolgung derartiger Taten unverzichtbar, um zu verhindern, dass durch die Ausübung von Strafgewalt die Ungleichheit zwischen Staaten weiter gesteigert wird. Ersten Anlass zur Hoffnung bietet aber die Ankündigung des ICC-Anklägers, auch die finanziellen Bezüge zu internationalen Verbrechen untersuchen zu wollen. So soll die Untersuchung finanzieller Transaktionen etwa für den Kauf von Waffen, die bei Morden verwendet werden, durchaus Beweise für die Begehung von Gräueltaten liefern.1 Es bleibt also zu hoffen, dass in Zukunft jedenfalls die Frage nach den Hintermännern doch irgendwann die Aufmerksamkeit erhalten wird, der sie eigentlich bedürfte. Indessen ist auch anzuerkennen, dass ein effektives System internationaler Strafrechtspflege nicht schlagartig in perfekter Form entstehen kann, sondern sich im Laufe der Zeit entwickeln und etablieren muss. In diesem Sinne kann der ICC als bedeutender Schritt zu einer objektiveren und vor allem gleicheren Verfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen gesehen werden. Zum ersten Mal in der Geschichte ist eine ständige, unabhängige internationale Organisation verantwortlich für die strafrechtliche Verfolgung der schwersten völkerstrafrechtlichen Verbrechen. D.h. eine Organisation, die selbst keine eigenen Interessen an dem Ausgang der fraglichen Verfahren hat und daher nicht so leicht wie ein staatliches Gericht bzw. ein einzelner Staat durch nationale Interessen aber auch Einschüchterungsversuche mächtiger Staaten beeinflusst werden kann.
1 Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, S. 5, verfügbar unter: http://www.icc-cpi.int/otp/otp_policy.html, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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Eine optimistische Einschätzung ist daher, dass, obwohl es in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten weiterhin vor allem zu Verfahren gegen Staatsangehörige von Entwicklungsländern und kaum zu Verfahren gegen Staatsangehörige von Staaten wie China, Russland und den USA kommen wird, der ICC zu einem neuen System internationaler Strafrechtspflege beitragen kann, das irgendwann nicht mehr danach differenziert, wo oder von wem eine Tat begangen wird. Zwar klingt dies noch utopisch, zu bedenken ist aber, dass auch die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs vor nur 15 bis 20 Jahren noch beinahe ebenso utopisch geklungen hat. So urteilte etwa Grewe noch 1989 in einem Rückblick auf die Nürnberger Prozesse, dass es wenig sinnvoll erscheine, sich immer noch an die gescheiterten Ansätze zu klammern und sich der Hoffnung hinzugeben, dass man eines Tages doch noch zu einem umfassenden Völkerstrafrecht, angewandt von einem Internationalen Gerichtshof, kommen werde.2 Berücksichtigt man zudem die erstaunliche Entwicklung des internationalen Rechts der Menschenrechte in den letzten 60 Jahren, so ist eine solche Entwicklung jedenfalls nicht auszuschließen. Das internationale Strafrecht hat damit das Potential, zu einem wichtigen Faktor im internationalen Menschenrechtsschutz zu werden, da davon ausgegangen werden kann, dass, wenn alle Täter internationaler Verbrechen einer substantiellen Gefahr ausgesetzt wären, an jedem Ort der Welt strafrechtlich verfolgt zu werden, anstatt wie bisher für ihre Taten mit Straffreiheit belohnt zu werden, weniger potentielle Täter dieses Risiko eingingen. Der Grundsatz staatlicher Souveränität muss daher ein Stück weichen, um einer weltweiten Strafverfolgung internationaler Verbrechen und damit einem besseren Schutz der Menschenrechte durch internationales Strafrecht mehr Raum zu geben. Vergessen werden darf aber nicht, dass die Aufweichung staatlicher Souveränität nicht immer einen Sieg für die Menschenrechte bedeutet, sondern dass der Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten auch ein wichtiger Faktor im Schutz der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist. So verdient und berechtigt etwa das Verfahren gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet in Großbritannien und Spanien gewesen ist, so ist doch der zu beobachtende Missbrauch der Menschenrechte als carte blanche, d.h. als nahezu unbegrenzt anwendbarer Rechtfertigungsgrund für quasi jede Handlung, fragwürdig. Insoweit sei nur daran erinnert, dass am 24. März 1999 nicht nur das zweite Pinochet-Urteil des britischen House of Lords gefällt wurde, sondern auch die Bombenangriffe der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien begannen. Die Idee, eine Menschenrechtsverletzung durch eine vielleicht noch schlimmere zu beenden, stellte dabei in den Augen der Verantwortlichen der fraglichen NATO-Staaten keinen fragwürdigen Widerspruch dar. 2 Grewe, Wilhelm G.: Rückblick auf Nürnberg, in: Machtprojektionen und Rechtsschranken, S. 292, 309.
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Die Ereignisse des 24. März 1999 zeigen daher sehr eindrücklich die positiven aber auch die bedenklichen Folgen der Aufweichung staatlicher Souveränität im Namen des Menschenrechtsschutzes. Eine Bewertung der dargestellten Probleme ist schließlich auch deshalb besonders schwierig, weil der eigentliche Entstehungsprozess des internationalen Strafrechts noch andauert.3 Zwar liegt es in der Natur allen (Völker)Rechts, sich in einem ständigen Prozess der Entwicklung zu befinden, diese Dynamik ist derzeit im internationalen Strafrecht aber besonders stark. Der ICC hat seine Arbeit gerade erst aufgenommen, und die Staaten, die das (absolute) Weltrechtsprinzip in ihr nationales Recht aufgenommen haben, sind noch dabei herauszufinden, wie sie es anwenden und handhaben wollen. Es erübrigt sich daher festzustellen, dass noch ein weiter Weg bis zu einem funktionierenden System internationaler Strafrechtspflege zu gehen ist. Die Frage ist vielmehr: Was erwarten wir von der Zukunft und wie sehen wir die ersten Versuche, die Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen? Viel wird von der Arbeit des ICCs und der Frage abhängen, ob es ihm gelingen wird, eine internationale Organisation zu werden, der, wie etwa dem IGH, weltweite Anerkennung zu Teil wird. Der Erfolg des ICCs wird dabei nicht nur davon abhängen, wie die Richter des ICCs ihre Strafgewalt ausüben, sondern auch davon, inwieweit Staaten bereit sind, mit dem ICC zu kooperieren. Die Kooperation nationaler Autoritäten ist deshalb unerlässlich, weil der ICC über keine eigenen polizeilichen Befugnisse, ganz zu schweigen von entsprechenden Einsatzkräften und zudem nur über begrenzte Mittel und Ressourcen für Ermittlungen und Strafverfolgungen verfügt.4 Besonders wichtig ist insoweit vor allem die Verpflichtung zur Überstellung von Personen an den ICC,5 aber auch die Verpflichtung zu anderen Formen der Zusammenarbeit, wie etwa der Beweisaufnahme, der Zustellung von Unterlagen, der Durchführung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen, dem Schutz von Opfern und Zeugen und der Sicherstellung von Beweismitteln.6 Wie hoch die Bereitschaft zur Kooperation in den einzelnen Staaten sein wird, wird wahrscheinlich sowohl von Fall zu Fall als auch von Staat zu Staat 3 Nach Schröder, Meinhard: Verantwortlichkeit, Völkerstrafrecht, Streitbeilegung und Sanktionen, in: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, S. 577 ff., Rn. 57 ist es für eine abschließende Bewertung der Entwicklung des Völkerstrafrechts sogar noch generell zu früh. 4 Die Verpflichtungen der Vertragsstaaten, bei den Ermittlungen des ICCs sowie bei der strafrechtlichen Verfolgung der Kernverbrechen mit dem Gerichtshof zusammenzuarbeiten, sind im Teil 9, Art. 86–102 Rom-Statut niedergelegt. Die allgemeine Verpflichtung zur Zusammenarbeit findet sich in Art. 86 Rom-Statut, und wird in den weiteren Bestimmungen des Teil 9 weiter spezifiziert und ausformuliert. 5 Art. 89 Rom-Statut. 6 Vgl. im Einzelnen Art. 93 I Rom-Statut.
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und von Regierung zu Regierung variieren. Insoweit mag daran erinnert werden, dass, während Pinochet 1999 unter Hausarrest in Großbritannien stand und auf die Entscheidung über das spanische Auslieferungsersuchen durch das House of Lords wartete, die ehemalige britische Premierministerin, Margaret Thatcher, für seine Freilassung kämpfte, wiederholt den ehemaligen Diktator besuchte und ihrem alten Freund für seine Unterstützung während des Falkland-Krieges 1982 sowie für die Einführung der Demokratie in Chile dankte.7 Obwohl sich die britische Einstellung gegenüber dem internationalen Strafrecht nach dem Regierungswechsel von den Conservatives zu New Labour positiv gewandelt hat, ist die Tatsache, dass sich die ehemalige Regierungschefin eines demokratischen Staates mit hohen Menschenrechtsstandards wie Großbritannien noch 1999 für die Freilassung und Straffreiheit eines notorischen Menschenrechtsverletzers wie Pinochet eingesetzt und diesen sogar als bedeutenden Demokraten gewürdigt hat, doch bezeichnend. Abschließend kann nur festgestellt werden, dass die Anfänge für ein effektiveres System einer gerechteren internationalen Strafrechtspflege gemacht worden sind, dieses aber noch in seinen Kinderschuhen steckt. Es sind noch viele Faktoren offen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden werden. Nach der hier vertretenen Ansicht bieten die Entwicklungen der letzten Jahre zwar Grund zur Hoffnung, dass eine umsichtige Ausübung (internationaler) Strafgewalt durch nationale Strafgerichte und den ICC zu mehr Gerechtigkeit und weniger Leiden in der Welt führen könnte. Ob diese Hoffnung indessen gerechtfertigt ist, vermag nur die Zukunft zu zeigen. Man darf gespannt sein.
7 BBC News: UK Thatcher stands by Pinochet, Meldung vom 26.03.1999, verfügbar unter: http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk/304516.stm, letzter Zugriff am 14.04.2008.
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Personen- und Sachverzeichnis Abschreckungsfunktion des internationalen Strafrechts 173 Abu Ghraib 73, 88 f., 117 Ad-hoc-Tribunal 21, 59, 134 f., 189 f. adversatorisches Verfahren 167 AEMR siehe Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Afghanistan 53 African Charter on Human and Peoples’ Rights siehe Banjul-Charta Aggression 46, 58, 59, 67, 73, 81 (Fn. 40), 148 Al-Bandar, Awad Hamad 193 Al-Gaddafi, Muammar 15, 59, 101 Allende, Salvador 96 f., 209 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 23, 43 ff. Al-Maliki, Nuri 192, 195 Al-Qaida 20 Al-Tikriti, Barzan Ibrahim 193 American Convention on Human Rights 45 Amin, Rizgar 192 Amnestien 96, 137, 172 f., 177 ff. – Anerkennung durch den ICC 173, 179 ff. Amnesty International 96, 194 f. amtliche Funktion 26, 28, 35, 70, 95, 112, 119, 208 Amtsträger siehe Hoheitsträger Anfal-Prozess 194 angloamerikanisches Rechtssystem 77, 155, 167 Ankläger 16, 60, 147 f., 156, 171, 177, 180 ff., 186 ff., 202, 209 – Wahl 186 f. Annan, Kofi 15 Anrainerstaaten 53
Anti-Folterkonvention 46, 79, 84 f., 88, 96, 101 Anwesenheitsrecht des Angeklagten 106 f., 127 Apartheid 48, 83, 174 Arab Charter of Human Rights 45 f. Argentinien 69 Astiz, Alfredo 69 Asyl 53 Atombomben 66 Audiencia Nacional 90 Aufarbeitung völkerstrafrechtlicher Verbrechen 16 f., 171 ff., 174, 177, 199 f., 205 Auslieferung 16, 54, 94 ff., 99, 101 f., 121, 183 Ausnahmegericht siehe Sondergericht Außenminister 94, 118 Australian International Criminal Court Act 2002 91 Australien 91 f., 128 aut dedere aut judicare 83 ff., 104 Baath-Partei 189 Balkenende, Jan Peter 196 Banjul-Charta 45 Bartolus 29, 121 Bauer, Fritz 93 Beckett, Margaret 195 Bedrohung oder Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit 31, 185 f. Befehlshaber 117 Begnadigung 145, 177, 193, 199 Belgien 53 f., 77, 79, 87, 89 f., 93 ff., 98 ff., 101 f., 106, 109 ff. Beschleunigungsgrundsatz 65, 152, 188
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Personen- und Sachverzeichnis
Briand-Kellogg-Pakt 58 Bundesanwaltschaft 73, 87 ff., 91, 116 ff. Bundesgerichtshof 83 Bürgerkrieg 53 Burundi 20 Bush, George W. 62, 194 f. Canadian Crimes against Humanity and War Crimes Act 2000 91 Chile 69, 95 ff., 121, 183 (siehe auch Pinochet) China 24, 68, 72, 81 f., 210 CIA 97, 100, 209 Congo v. Belgium (IGH-Entscheidung) 81, 94 f., 104 f., 109 f., 113, 118 Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment siehe Anti-Folterkonvention Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide siehe Völkermordkonvention Criminal Justice Act (GB) 85 Darfur siehe Sudan De-Baathification Commission 192 Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen 44 Declaration of Independence 44 Dekriminalisierung 183 Demokratisierung 26 f. Despouy, Leandro 195 Deutschland 77, 79, 82 f., 87 ff., 91, 94, 98 f., 110 f., 113, 128, 135, 161 domaine réservé siehe interne Angelegenheiten eines Staates Doppelstandards 17, 68 f., 72 f., 108 ff., 119 f., 131, 198, 209 f. double jeopardy siehe ne bis in idem Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind 35 Draft Statute for an International Criminal Court 139 f. Dresden 66
Drittes Reich 19, 57 f., 79, 92 f., 100 due process 131 Dujail-Verfahren 188 ff. Egeland, Jan 181 EGMR siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Eichmann, Adolf 92 f., 103, 106, 132 Einstellung von Strafverfahren 110, 114 ff., 143 f. EMRK siehe Europäische Menschenrechtskonvention Entschädigung 179 Entwurf eines Völkerstrafgesetzbuchs siehe Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind Ermessen 115 f., 118 Ermittlungsverfahren 154, 166, 175 ernsthaft (Begriffsbestimmung) 165 f. ernsthaftes Verfahren 164 ff. Erwa, Elfatih Mohamed Ahmed 68 f. ethnische Säuberungen 15, 19, 21 Europäische Gemeinschaft 138 f. Europäische Menschenrechtskonvention 34, 36, 40, 45 f. Europäische Union 40, 54, 122, 196 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 34, 36, 45 f., 82, 153 Europäisches Auslieferungsübereinkommen 96 Europarecht 138 Ex-officio-Befugnis des Anklägers 177 failed state 49, 158, 160 fair trial 106 ff., 124, 132, 142, 154, 166 ff., 188, 195 ff., 198, 200 – Mindestanforderungen an ein faires und unabhängiges Strafverfahren 16, 46, 167, 196 ff., 204 f. Ferencz, Benjamin B. 15 Finta, Imre 100 Flüchtlinge 48 f., 53 Föderalismus 138
Personen- und Sachverzeichnis Folter 46, 64, 73, 79, 81, 83, 88, 95 f., 101, 117, 130, 200 forum shopping 108 ff. Frankreich 77, 92, 101 f., 106, 140 Fransen, Daniel 102 Französische Revolution 26 Friedensprozess 16 f., 54 Friedensverträge von Paris 41 Friendly Relations Declaration 25, 27 f. Garzón, Baltasar 96 Gbagbo, Laurent 15, 59 Generalbundesanwalt siehe Bundesanwaltschaft Generalversammlung der Vereinten Nationen 25, 57 Genfer Konventionen 42, 79, 83, 198 Genozid siehe Völkermord genuine siehe ernsthaft genuine trial siehe ernsthaftes Verfahren gesetzlicher Richter 155 Gewaltmonopol 20, 202 Gewaltverbot 58, 71 – Ausnahme 31 – partielles Kriegsverbot 58 Gleichheit, rechtliche 29 Globalisierung 122 Gnadenwürdigkeit 177 Golfkrieg 200 good faith, principle of siehe Treu und Glauben-Grundsatz Großbritannien 62, 92, 95 ff., 121, 140, 147, 194 f. Grundgesetz 42 Grundrechtskataloge 44 Guantanamo Bay 88 f. Guzmán, Juan 96 Haager Abkommen 42 Habré, Hissène 99, 100 ff., 113 Haftbefehl 63 ff., 94, 102, 107, 112, 181 ff. Hagenbach, Peter von 56
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Haiti 31 Harun, Ahmad 156 Hauptverantwortliche 74 f., 127, 130, 135, 136, 145, 147, 174 ff., 183, 188, 201, 204, 208 Hausarrest 96, 101, 212 hinreichender Tatverdacht 144 Hinrichtung 16 Hiroshima und Nagasaki 66 Hohe See 55, 105 Hoheitsträger 17, 26, 28, 35, 58 f., 61, 65, 70, 75, 109, 112, 118 f., 121, 131 Hohenstaufen, Konradin von 56 Holocaust 19, 46, 100 House of Lords 81, 85, 94 ff., 183, 210, 212 Human Rights Watch 102, 180, 187 humanitäre Intervention 22 ff., 31, 47 Humanitäres Völkerrecht 42, 80 Hussein, Saddam 15 f., 27, 59, 91, 188 ff., 204, 208 f. Hutu 53, 99 hybride Strafgerichte 60, 200 f., 204 ICC siehe Internationaler Strafgerichtshof ICTR siehe Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda ICTY siehe Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien IGH siehe Internationaler Gerichtshof ILC siehe International Law Commission ILO siehe International Labour Organisation Immunität 28 ff., 59, 94 ff., 109, 112 f., 117 f., 120, 132 Immunitätsabkommen, bilateral 62 IMT siehe International Military Tribunal of Nuremberg in absentia – Haftbefehl 94 – Prozess 92, 107 – Strafverfahren 106 ff. – Weltrechtspflege 86, 92, 104, 107, 119
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Personen- und Sachverzeichnis
inability siehe Unvermögen Individualbeschwerde 31, 33 f., 40 individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit 15 f., 34 f., 50 f., 58, 72, 121, 209 Individuen im Völkerrecht 32 ff. – als Adressaten völkerrechtlicher Pflichten 34 f. – als Träger völkerrechtlicher Rechte 33 f. inquisitorisches Strafverfahren 167 International Bar Association 196 International Commission of Inquiry on Violations of International Humanitarian Law in Darfur 163 International Labour Organisation 41 International Law Commission 35, 57, 139 International Military Tribunal for the Far East 57, 65 ff., 189 International Military Tribunal of Nuremberg 34, 57, 65 ff. internationale Gemeinschaft 52 internationale Strafgerichtshöfe 50, 130, 145 internationale Verbrechen 32, 46, 51, 52 ff., 146 Internationaler Gerichtshof 94, 109 f., 113, 186, 211 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 34, 45, 199 – erstes Fakultativprotokoll 34 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 45 Internationaler Strafgerichtshof – Gründung 15, 21, 60, 74, 137 – Strafgewalt 58, 68, 74 f., 127 ff., 130, 136 f., 141, 145 ff., 169 f., 185 f., 188 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien 21, 57, 60, 67 f., 75, 98, 134 ff., 190, 192 Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda 21, 57, 60, 67 f., 75, 98, 134 ff., 174 f., 190, 192
internationales Strafrecht 15 ff., 31, 50 ff. – Anerkennung und Bedeutung 15 ff. – Definition 50 ff. – Defizite 16, 103 – Entwicklung 16, 19 – Geschichte 55 ff. – Missbrauchsgefahr 65 ff. – und nationales Strafrecht 51 f. Internationalisierung 122 interne Angelegenheiten eines Staates 24, 31, 71, 119 f., 121 ff., 168 f., 185 interne Konflikte 47 ff., 53 f. Intervention 24, 31, 47, 121 ff. Interventionsverbot 29 f., 47, 82 f., 98, 112 f., 120, 123 IPbpR siehe Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPwskR siehe Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Irak 48, 62 f., 72, 147 f., 188 ff., 194 f., 198, 201 Irakkrieg 16, 19 f., 23, 62 f., 72 f., 147 f., 189 f., 194, 209 Iran-Irak-Krieg 199 Iraqi High Tribunal 188 ff., 197, 204, 208 – Jurisdiktion 191 Iraqi Higher Criminal Court siehe Iraqi High Tribunal Iraqi Special Tribunal 189 f. Israel 92 f., 132 IStGH siehe Internationaler Strafgerichtshof Italien 77 Janjaweed 64 Jorgic v. Germany (EGMR-Entscheidung) 82, 98 (Fn. 111) Jugoslawien 19 ff., 53, 69, 71 f., 134 f., 140, 143, 210
Personen- und Sachverzeichnis Jugoslawien-Tribunal siehe Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Jurisdiktion siehe Strafgewalt Jurisdiktionsprinzipien 75 ff., 185, 202 Jurisdiktionsverzicht 116, 157, 188, 202 f. Juryprozess 124 jus ad bellum 58 jus cogens 46, 58, 81 f. Kabila, Laurent 94 Kagame, Paul 15 Kaiser Wilhelm II 56 Kalter Krieg 20, 59 Kambodscha 60 f., 125 Kanada 91 f., 100, 128 Kandji, Demba 101 Kapazitätsgrenzen 110 f., 132 Kernverbrechen des Rom-Statuts 75, 80, 81 ff., 86, 127 ff., 133, 141, 146, 159, 169 f. Khmer Rouge 125 Kindersoldaten 63, 146 f., 180 f. KLA (Kosovo Liberation Army) siehe UÇK Klassisches Völkerrecht 121 f. Koalition der Willigen 23 koloniale Vergangenheit 99 Kompetenz-Kompetenz 133, 169 ff., 185, 187 f., 205 Komplementarität 137 ff. Komplementaritätsprinzip 18, 74 ff., 116, 130, 133 ff., 165, 202, 205 f. Kongo 19 f., 60, 63 ff., 67, 94 f., 145 ff., 157, 162 f., 188, 203 konkurrierende Zuständigkeit 134 f. (siehe auch Strafgewalt) kontinentaleuropäisches Rechtssystem 77, 155, 167 Kontrollfunktion des ICCs 149, 170 ff., 185, 187 f., 205 Konvention gegen Folter 57
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Kooperation – internationale 121 ff. – mit internationalen Strafgerichten 61, 98, 181, 211 f. Kosovo 60, 69 Kosovokrieg 22 f., 31, 69 f., 71 f., 210 Krieg 22 Kriegsverbrechen 15, 19, 46, 51, 52 f., 59, 62, 63, 67, 73, 80, 83, 88, 94, 146, 149, 198 Krisenbewältigung 171 ff. kultureller Relativismus 36 Kushayb, Ali 156 Kuwait 199 Leben, Recht auf 33, 46, 52, 195, 198 Legalitätsprinzip 66, 114 ff. Legitimität strafrechtlicher Verfahren 21, 70, 198 loi relative à la répression des violations graves du droit international humanitaire 89, 94 Lord’s Resistance Army 179 ff. Lotus-Entscheidung des StIGH 105 Lubanga Dyilo, Thomas 63, 145 ff., 163, 203 Luftangriffe 22, 66 Luftpiraten 91 mangelnde Schwere 145 mangelnde Verfügbarkeit des innerstaatlichen Justizsystems 159 ff. mangelnder Wille 149, 150 ff. Massenabolition siehe Amnestien Mbabazi, Amama 181 Mediatisierung 32, 34 Mengele, Josef 93 Menschenhandel 41 Menschenrechte 18 f., 30 f., 36 ff., 79, 210 – allgemeine Grundsätze des Völkerrechts 40, 49, 122 – als Grenzen staatlicher Souveränität 30 f., 38
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Personen- und Sachverzeichnis
– bürgerliche und politische Rechte 36, 39, 44 f. – effektiver Menschenrechtsschutz (Durchsetzung) 16 f., 33, 45, 71, 123 – einklagbare, erzwingbare Rechte 40 – elementare 33, 36, 46 – europäisch-christliches Verständnis 37 – Geschichte 19, 40 ff. – „Klassengesellschaft“ 37 f. – kollektive 22 – Konzeption 36 ff. – Leistungsrechte 44 f. – Naturrechte 37 – Rederecht 38 – regionale Standards 45 f. – Verletzungen als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit 47 ff. – Verträge 33, 45 f. – Völkergewohnheitsrecht 44, 46 f. – wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 44 f. Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen 34, 183 Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen 95 Menschenrechtsverletzungen 19, 31 f., 47 ff., 54, 71, 122, 137, 142 Menschenwürde 19, 42 ff., 71, 122 Merkel, Angela 196 Militärtribunale siehe International Military Tribunal of Nuremberg und International Military Tribunal for the Far East Military Commissions Act (US) 88, 118 Milosˇevic´, Slobodan 69, 190 Minderheitenschutz 41 Mindestanforderungen an ein faires und unabhängiges Strafverfahren siehe fair trial Missbrauchsgefahr 106, 132 Monarch 26 Moreno-Ocampo, Luis 60, 187 Museveni, Yoweri 182
nationale Rechtssysteme 155, 159, 161 f., 167, 205 nationale Strafgerichte 18 nationales Strafrecht 31 Nationalstaaten, moderne 25 NATO 22 f., 69 f., 210 ne bis in idem 124 ff., 144 f., 183 f. NGO siehe Nicht-Regierungsorganisationen Nichteinmischungsgebot siehe Interventionsverbot Nicht-Regierungsorganisationen 50, 101 Nichtvertragsstaaten (des Rom-Statuts) 85, 185 f. Niederlande 92 nulla poena sine lege, nullum crimen sine lege, 65 f., 93, 100 Nürnberger Prinzipien 57 Nürnberger Prozesse 74 f., 132, 210 Nürnberger Tribunal siehe International Military Tribunal of Nuremberg Obasanjo, Olusegun 102 Opfer, Stellung und Rolle 40, 73, 175, 179 ff., 183 f., 200 Opferschutz 97 opinio juris 84 f. Opportunitätsprinzip 110 Osttimor 19, 60 par in parem non habet imperium 29, 121 Pauschalamnestie 181, 184 Personalitätsprinzip 76, 80, 90, 113, 123, 202 – aktives 76 f. – passives 77, 103 Pinochet, Augusto 15 f., 59, 69, 81, 85, 93 f., 95 ff., 103, 121, 173, 183, 209 ff. Piraterie 33, 46, 55 f., 79 f., 83, 104 politische Einflussnahme 111 ff., 119 f., 132, 204 politische Kosten 103, 117 Pot, Pol 91, 125
Personen- und Sachverzeichnis Princeton Principles on Universal Jurisdiction 126 Prodi, Romano 196 Prozessfähigkeit 97 f. Putin, Wladimir 69 Ramada, Taha Yassin 193 Recht ex post facto 65 Rechtsfrieden 52 reformatio in peius 193 Regimewechsel 22 f. Reichsstände 25 Repressalie 47 Ressourcen (-grenzen) 104 ff., 107, 109, 131, 179 Retorsion 47 Revolutionsgerichte, irakische 197, 201 Richter des ICC 60, 165, 171, 186 ff., 211 – Wahl 186 f. Robinson, Mary 105, 178 Rom-Konferenz 81 (Fn. 40), 139 f., 151, 152, 156, 159 f., 165 f., 170, 205 f. Rom-Statut 21, 57, 60, 102, 127 ff., 136 ff., 164, 169 f., 175 f., 192, 206 f. – Implementierung 86, 89, 128, 161 Ruanda (siehe auch Völkermord) 15, 19 ff., 24, 31, 49, 52 ff., 75, 94, 98 f., 110, 135, 140, 143, 158, 174 Ruanda-Tribunal siehe Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Rückwirkungsverbot 93, 100 Rules of Procedure and Evidence des ICTY 135 Rumsfeld, Donald 15, 59 – Strafanzeigen 73, 88 f., 91, 103, 110, 117 f. Rundfunk 94 Russland 24, 68, 72, 210 Säkularisierung 37 Schauprozess 132 Scheinprozess 56, 144, 149, 151 f., 204 f.
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Schengener Durchführungsübereinkommen 126 Schutzprinzip 78 Schwere (der Tat/en) 62, 145 ff., 156 Scilingo, Adolfo 90, 99 Selbstamnestie 96, 173, 183 f. Selbstbestimmungsrecht eines Volkes 22 f., 27, 29 f., 72, 76, 80, 122, 125, 131, 133, 136, 141, 161, 167, 174, 210 Selektivität 17, 65 ff., 111, 113, 119, 208 Senegal 99, 100 ff., 113 serbische Staatsangehörige, Verfahren gegen 94, 98 Servatius, Robert 132 Sharon, Ariel 15, 59 Sicherheitsprobleme 142, 192, 201 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 23, 47 ff., 59, 60 f., 67, 74, 82, 134 f., 147, 156, 175, 182, 185 f., 189 f. Siegerjustiz 66, 69 Siegermächte 42 Sierra Leone 178, 201 (siehe auch Special Court for Sierra Leone) Sklaverei 41, 46, 79 social alarm 146 Somalia 20, 24, 31, 48 f., 67, 158 Sondergericht 102, 155, 188 f. Souverän 25 f. Souveränität 17, 25 ff., 49, 125, 145, 161, 174, 210 f. – Erosion 21 f., 71 f., 210 f. – Grenzen staatlicher Souveränität 30 ff., 38 – Grundsatz der souveränen Gleichheit von Staaten 17, 21, 23, 25 ff., 65, 120, 121 f., 131, 133, 136, 141 f., 167, 210 – territoriale 28, 49, 76, 106 Souveränitätsbedenken 136 f., 140, 205 Spanien 79, 82, 87, 90 f., 93 f., 95 ff., 110 Special Court for Sierra Leone 60, 190, 200 staatliche Ermittlungen 175 f. – abgeschlossene 143 f.
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Personen- und Sachverzeichnis
– laufende 143 Staatsdelinquenz 51, 54 f., 70, 97, 121, 126, 142, 149, 204 Strafaufhebungsgrund 177 Straffreiheit 20, 59, 72, 99, 123, 130, 142, 178, 204 Strafgewalt – der Ad-hoc-Tribunale 134 f. – des ICC 58, 68, 74 f., 127 ff., 130, 136 f., 141, 145 ff., 169 f., 185 f., 188 – extraterritoriale 85 – nationale 18, 21, 28, 31 f., 51, 52, 55, 68, 74 f., 80, 86, 101, 104, 127 ff., 129 ff., 133, 136, 202, 204 f. Strafverfahren – abgeschlossenes 143 f. – faires und unabhängiges Verfahren siehe fair trial – Kosten und Schwierigkeiten 103 f. – laufendes 143 – Qualität und Effektivität 16 Strafzumessung 35, 192 subjektive Tatbestandsmerkmale 150 f. Subsidiaritätsprinzip 137 ff. Sudan 17, 19, 24, 49, 60 f., 63 ff., 68, 147, 155 ff., 163, 172, 175 Superrevisionsinstanz 140 System internationaler Strafrechtspflege 16, 24, 72, 78, 142, 201, 204 ff., 208 ff. Systemunrecht 172, 174 Tadic´, Dusˇko 135 Tatortstaat 76, 125, 142, 188 Taylor, Charles 201 Territorialitätsprinzip 76, 80, 113, 123, 202 Terrorismus 20, 79, 82 f., 169 Thatcher, Margaret 212 Todesstrafe 192, 195 f., 199, 201 Tokioter Tribunal siehe International Military Tribunal for the Far East Treu und Glauben-Grundsatz 166
tribunal de première instance de Bruxelles 94 Truth and Reconciliation Commissions siehe Wahrheits- und Versöhnungskommissionen Tschetschenien 16, 19, 67, 69 Tutsi 53, 94, 99 Überlastung der Justiz 103, 107 f., 110, 115, 118 f., 132, 136 Übung 84 UÇK 22 Uganda 16, 19, 24, 60, 63 ff., 147, 157, 179 ff., 188, 203 Umgrenzungs- und Informationsfunktion der Anklage 198 UN-Charta 25, 42 f. Ungleichheit zwischen Staaten 106, 108 ff., 131, 142, 169, 204 f., 208 ff. unilaterale Aktionen 23 Universalitätsprinzip siehe Weltrechtsprinzip universelle Werte 73, 79, 122 f., 130 Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden/des Strafverfahrens 111, 112 f., 120, 132, 142, 151, 153 f., 166 ff., 195, 198, 200, 204 f. Unschuldsvermutung 167 Unvermögen 149, 156 ff., 162 unwillingness siehe mangelnder Wille Unzuständigkeitsgründe 142 ff. USA 61 f., 68, 73, 81 f., 91, 100 f., 109, 117, 140, 187, 189, 194 f., 198, 210 Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafen 198 Verbrechen gegen das jüdische Volk 93 Verbrechen gegen den Frieden 57 f., 65 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 15, 19, 46, 51, 52, 57 f., 59, 63 f., 65, 67, 73, 81, 94, 146, 149
Personen- und Sachverzeichnis Vereinte Nationen 20, 25, 42 ff., 47, 54, 71, 122, 186 Verfahrensaussetzung 182 Verfahrensdauer 64 f. Verfahrensfehler 199 Verfahrenshindernis 177 Verfahrensverzögerung 107, 110, 151 ff., 176 – nicht gerechtfertigte 151 ff. – unangemessene 152 f. Verfolgbarkeit der Kernverbrechen 159 ff. Verfolgungspflicht siehe Legalitätsprinzip Versailler Vertrag 56 Verteidigungsminister 118 Vertragsstaatenkonferenz 186 f. Verweisung von Situationen an den ICC 60 f., 74, 157, 172, 175, 185 f. Verwerfungskompetenz 170 ff., 185 Vetorecht 189 f. Volk 26 f. Völkerbund 56 ff. Völkergewohnheitsrecht 44, 46 f., 80 ff., 84 f., 104 Völkermord 15, 19, 46, 51, 52, 58, 67, 73, 79, 81 f., 130, 146, 149 (zum Völkermord in Ruanda siehe auch Ruanda) Völkermordkonvention 46, 58, 81 f., 84, 91 Völkerrechtsordnung 28, 31 Völkerrechtssubjektivität 31, 32 ff., 41 – partielle 35 f., 41 Völkerrechtsverbrechen 50 Völkerstrafgesetzbuch 87 ff., 114 Völkerstrafrecht 50 f. (siehe auch internationales Strafrecht) völkerstrafrechtliche Verbrechen siehe internationale Verbrechen Völkervertragsrecht 83 ff., 104 Volkssouveränität 26 f. Vollstreckungsverfahren 145
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Vorrang nationaler Strafgewalt 76, 129 ff., 137, 141 f., 174 f., 204 f. Vorverfahrenskammer 63, 145 ff., 156, 163 ff., 203 Wade, Abdoulaye 101 Waffengleichheit 192, 198 Wahrheits- und Versöhnungskommissionen 17, 137, 174 ff. – chilenische 175 f. – ruandische 174 – südafrikanische 39, 173 f. Warlords 20 Weltgemeinschaft 17, 121 ff. Weltpolizei 23, 59 Weltrechtsprinzip 18, 55, 69, 74 ff., 78 ff., 102 – absolutes und bedingtes 85 ff., 91, 98 – Anwendungsbereich 80 ff. – Einfluss des Rom-Statuts 127 ff. – Einwände gegen das bedingte Weltrechtsprinzip 120 ff. – prozessuale Ausgestaltung in Deutschland 114 ff. – Vorzüge und Schwächen des absoluten Weltrechtsprinzip 105 ff., 120 Wertegemeinschaft 122 Westfälische Friedensverträge 25 f. Wiener Vertragsrechtskonvention 160 Willkür 111, 119, 132, 208 Willkürverbot 70 Yerodia Ndombasi, Abdoulaye 15, 59, 93, 94 f., 109 Zentralafrikanische Republik 60 Zufluchtsort (safe haven) 54, 124 Zusammenbruch des innerstaatlichen Justizsystems 157 ff., 160 Zweiter Weltkrieg 19, 58, 79, 179 (Fn. 156)