Memorialkultur im Fußballsport: Medien, Rituale und Praktiken des Erinnerns, Gedenkens und Vergessens 9783170225541, 3170225545

Der Fußball bringt kulturelle Muster und soziale Identitäten hervor, die weit ins Feld der Memorialkultur reichen. So ha

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German Pages 448 Year 2012

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Table of contents :
Titel
Inhalt
Einleitung
Erinnern, Gedenken und Vergessen im Fußballsport / Markwart Herzog
1. Die Memorialkultur des Fußballsports als Forschungsgegenstand
2. „Spielweisen der Erinnerung“
3. Der Kulturkonflikt zwischen „minute’s applause“ und „minute’s silence“
4. Trauertrikots und Fanfriedhöfe
5. Gefallenengedenken: Ehrentafeln – Heldensportfelder – Kriegerdenkmäler
6. Vom Kriegstotengedenken zu einem allgemeinen, zivilen Totengedenken
7. Totenmemoria als politische Investition in der NS-Zeit
8. Negative Erinnerungspolitik: „damnatio memoriae“
9. Die kulturschöpferischen Kräfte heterogener Fußballgemeinschaften
10. Flüchtiges Spielgeschehen – transgenerationale Gemeinschaften
11. Soziales Leben, postmortales Weiterleben und soziales Töten in Fußballclubs
Quellen und Literatur
Tod im Sport oder Tod von Sportlern? / Sven Güldenpfennig
1. Unverträglichkeiten: Zur Programmatik des Themas
2. Erinnern und Vergessen als Aufgabe der Memorialkultur
3. Tod im Sport
4. Tod und ehrendes Erinnern an Sportlerinnen und Sportler
5. Sportgeschichte ist Geschichte des Sports
6. Memorialkultur als Widerstand gegen die Furie des Verschwindens
7. Fazit
Literatur
Vereine und Verbände
„Wer mit dem Adler fliegt – der auch den Tod besiegt“ / Matthias Thoma
1. Der „Eintracht-Lebenslauf“
2. Schriftliche Denkmäler
3. Erinnerung im Spiel
4. Orte der Erinnerung
5. Die Eintracht-Familie wird größer
6. Nachhaltige Erinnerungen
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Protestant – Katalane – Ikone / Christian Eberle
1. Mythos – Sport – Biographie
2. Der Schweizer Fußballpionier
3. Gründung und Anfangsjahre des FC Barcelona
4. Die doppelte Katalanisierung
5. Der Nachteil, Katalane zu sein: Skandalspiel, Verbannung und Tod
6. Gamper als Thema der katalanischen Memorialkultur
7. Resümee
Quellen und Literatur
„Be a part of Ibrox forever“ / Markwart Herzog
1. Die Geschäftsidee: „Stadium Commemorative Bricks“
2. Botschaften auf Klinkersteinen und Granittafeln
3. „Memorial Walls“ als privates und kollektives Gedächtnis
4. Das „Ibrox Disaster Memorial“
5. Namen erinnern – forever?
Quellen und Literatur
Kicker – Manager – Friedensstifter / Christian Koller
1. Die Entwicklung des Genres „Jubiläumsschrift“ und die Festschriften der FIFA
2. Die Narrative der FIFA-Festschriften
3. Die Würdigung markanter Persönlichkeiten
4. Fazit
Quellen und Literatur
Fankulturen
‘The Fields of Anfield Road’ / Anne Eyre
1. Religion and Football: Functionalist Approaches
2. Incorporating Christian Themes in Football Culture
3. Religion and the Churches in Liverpool
4. The History and Development of LFC
5. Charismatic Leaders: Representing Community, Honour and Leadership
6. From Triumph to Disaster: The Tragedies of Heysel and Hillsborough
7. Remembering: The Future
8. Appendix: ‘Fields of Anfield Road’
References
‘The Singing Postman as well as John Lennon’ / John Williams
1. Introduction: Liverpool, football and exceptionalism
2. Histories from below
3. The origins of the ‘Liverpool Way’
4. The Premier League and ‘new’ football
5. The Americans are coming ...
6. Some concluding comments
Abbreviations
References
‘We all agree, name the stand after Shankly’ / Dave Russell
1. Honouring the dead before the 1980s
2. New ways of remembering
3. The cultural needs of modern football
4. The burdens of history
References
Auf ewig unsere Nummer Eins? / Hermann Queckenstedt
1. Die erste Trauer – spontan und überwältigend
2. Die Trauerfeier im Stadion
3. Das Internet als Trauerforum
4. Gedenken in der Presse und deren Onlineforen
5. Die Nationalmannschaft und das Länderspiel gegen die Elfenbeinküste
6. Musik als Teil des Gedenkens
7. Der Verein auf dem Weg in die Normalität
8. Die Erinnerung an Robert Enke im öffentlichen Raum
9. Die Robert-Enke-Stiftung
10. Das erste Jahresgedenken für Robert Enke
11. Fußball und Depression: Hoffnung contra Realität?
12. Fazit
Abkürzungen
Quellen und Literatur
„Soccer Topophilia“: Stadion & Museum
The football stadium and ground as a historical resource / Nicholas Piercey
1. The stadium and memory
2. The stadium and cultural history: Amsterdam and Rotterdam football grounds 1910 to 1920
3. The stadium: a historical research resource
4. Summary: The stadium and cultural history
Abbreviations
References
Stadionarchitektur als Medium sportpolitischer Erinnerung / Claudio Miozzari
1. Entstehung des Foro
2. Die ideologische Botschaft des Foro
3. Umgang mit dem Foro
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Ein Museum für die Eintracht / Matthias Thoma
1. Die Jubiläumsausstellung von 1999
2. Auf dem Weg zum Vereinsarchiv
3. Veranstaltungen im Museum
Quellen und Literatur
In Bronze gegossen und trotzdem vergessen / Markus Jager
1. Der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark
2. Ankauf und Aufstellung der Fußballerstatue
3. Der Fußballsport in der bildenden Kunst
4. Fußball im OEuvre von Mario Moschi
5. 1937 – Berlin und Rotterdam
6. Zusammenfassung
Quellen und Literatur
Politische Vereinnahmung und „memoria damnata“
Von Ehrennadeln und Vereinsrettern / Insa Schlumbohm
1. Der DSC Arminia im Nationalsozialismus
2. Jüdische Bürger als Mitglieder des DSC Arminia Bielefeld
3. Der DSC Arminia im Kontext anderer Fußballvereine
Quellen und Literatur
Inszenierte Erinnerung / Bernd Reichelt
1. Grenz-Fußball: Der elsässische Fußball zwischen Deutschland und Frankreich 1890–1939
2. Zwischen Kollaboration und Resistenz: Der elsässische Fußball während der deutschen Besatzung 1940–1944
3. Abrechnung und Absolution: Die „Säuberungen“ im elsässischen Fußball 1945–1947
4. „On ne peut pas oublier ...“: Der elsässische Widerstand gegen den Anschluss des Saarfußballs an Frankreich 1947–1949
5. Schlussbetrachtung: Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik im elsässischen Fußball
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Aspekte der Memorialkultur des Fußballs in den böhmischen Ländern, der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik / Stefan Zwicker
1. Spezifika des Fußballs in den böhmischen Ländern
2. Vereinsnamen, Symbole und Trikots als Medien der Erinnerung
3. Ein Name, zwei bis drei Vereine dazu und ein Stadion als Ort der Sehnsucht
4. Legendäre Spieler als Personifikationen von Vereinstradition und die Modi der Erinnerung an sie
5. „Damnatio memoriae“ in der Epoche der „Normalisierung“: Adolf Scherer und Josef Kadraba
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Die bewusste Absage an eine eigene Erinnerungs- und Beerdigungskultur / Thomas Oellermann
1. Der ATUS in der sudetendeutschen Arbeiterbewegung
2. Die Prinzipien des Sports und die der Arbeiterbewegung
3. Die Sonderstellung des Fußballs im ATUS
4. Die bewusste Absage an eine proletarische Memorial- und Sepulkralkultur
5. Zusammenfassung
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Der Platz blieb leer / Jutta Braun/Michael Barsuhn
1. Konfliktlinien: Bespitzelung und politischer Dirigismus
2. Kaltgestellt und ausgegrenzt
3. „Die Stasi sagte: Der Kopf muss weg!“
4. Erinnerungskultur und Aufarbeitung
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Autoren
Bildnachweise
Personenregister
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Memorialkultur im Fußballsport: Medien, Rituale und Praktiken des Erinnerns, Gedenkens und Vergessens
 9783170225541, 3170225545

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Herzog.indd 1

17.10.12 13:17

IRSEER DIALOGE Kultur und Wissenschaft interdisziplinär Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker, Schwabenakademie Irsee

Band 17

Herzog.indd 2

17.10.12 13:17

Markwart Herzog (Hrsg.)

Memorialkultur im Fußballsport Medien, Rituale und Praktiken des Erinnerns, Gedenkens und Vergessens

Mit Beiträgen von Michael Barsuhn, Jutta Braun, Christian Eberle, Anne Eyre Sven Güldenpfennig, Markwart Herzog, Markus Jager Christian Koller, Claudio Miozzari, Thomas Oellermann Nicholas Piercey, Hermann Queckenstedt, Bernd Reichelt Dave Russell, Insa Schlumbohm, Matthias Thoma John M. Williams, Stefan Zwicker

Verlag W. Kohlhammer

Herzog.indd 3

17.10.12 13:17

Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Umschlagbild: Anselm Herzog, Würzburg Reproduktionsvorlage: Textwerkstatt Werner Veith & Ines Mergenhagen München Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany ISBN 978-3-17- 022554-1

Herzog.indd 4

17.10.12 13:17

Inhalt

Einleitung Markwart Herzog

Erinnern, Gedenken und Vergessen im Fußballsport: Visuelle und akustische Medien – schriftliche Überlieferung – soziale Praktiken .... 15 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Die Memorialkultur des Fußballsports als Forschungsgegenstand .............. 16 „Spielweisen der Erinnerung“ ...................................................................... 18 Der Kulturkonflikt zwischen „minute’s applause“ und „minute’s silence“.. 22 Trauertrikots und Fanfriedhöfe .................................................................... 29 Gefallenengedenken: Ehrentafeln – Heldensportfelder – Kriegerdenkmäler ........................................................................................ 34 Vom Kriegstotengedenken zu einem allgemeinen, zivilen Totengedenken . 38 Totenmemoria als politische Investition in der NS-Zeit............................... 42 Negative Erinnerungspolitik: „damnatio memoriae“ ................................... 44 Die kulturschöpferischen Kräfte heterogener Fußballgemeinschaften......... 54 Flüchtiges Spielgeschehen – transgenerationale Gemeinschaften................ 56 Soziales Leben, postmortales Weiterleben und soziales Töten in Fußballclubs ................................................................................................ 57

Sven Güldenpfennig

Tod im Sport oder Tod von Sportlern? Über den Gegenstand sportbezogener Memorialkultur ........................................................... 71 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Unverträglichkeiten: Zur Programmatik des Themas .................................... 71 Erinnern und Vergessen als Aufgabe der Memorialkultur ............................. 71 Tod im Sport .................................................................................................. 73 Tod und ehrendes Erinnern an Sportlerinnen und Sportler ............................ 76 Sportgeschichte ist Geschichte des Sports ..................................................... 77 Memorialkultur als Widerstand gegen die Furie des Verschwindens ............ 83 Fazit ............................................................................................................... 86

Inhalt

6

Vereine und Verbände Matthias Thoma

„Wer mit dem Adler fliegt – der auch den Tod besiegt“: Die Gedenk- und Trauerkultur bei Eintracht Frankfurt ............................ 91 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Der „Eintracht-Lebenslauf“ ........................................................................... 91 Schriftliche Denkmäler .................................................................................. 92 Erinnerung im Spiel ..................................................................................... 102 Orte der Erinnerung ..................................................................................... 103 Die Eintracht-Familie wird größer ............................................................... 105 Nachhaltige Erinnerungen............................................................................ 108

Christian Eberle

Protestant – Katalane – Ikone: Joan Gamper: Gründervater des FC Barcelona ................................................................................................. 113 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Mythos – Sport – Biographie ....................................................................... 113 Der Schweizer Fußballpionier...................................................................... 115 Gründung und Anfangsjahre des FC Barcelona........................................... 118 Die doppelte Katalanisierung....................................................................... 122 Der Nachteil, Katalane zu sein: Skandalspiel, Verbannung und Tod........... 124 Gamper als Thema der katalanischen Memorialkultur................................. 127 Resümee....................................................................................................... 130

Markwart Herzog

„Be a part of Ibrox forever“: Clubgeschichten und Fanbiographien in den „commemorative bricks“ und „memorials“ der Fußballclubs Rangers und Celtic ....................................................................................... 133 1. 2. 3. 4. 5.

Die Geschäftsidee: „Stadium Commemorative Bricks“............................... 134 Botschaften auf Klinkersteinen und Granittafeln ......................................... 136 „Memorial Walls“ als privates und kollektives Gedächtnis ......................... 145 Das „Ibrox Disaster Memorial“ ................................................................... 149 Namen erinnern – forever?........................................................................... 151

Inhalt

7

Christian Koller

Kicker – Manager – Friedensstifter: Selbstdarstellung und Erinnerungspolitik der FIFA in ihren Jubiläumsschriften ...................... 157 1. Die Entwicklung des Genres „Jubiläumsschrift“ und die Festschriften der FIFA ................................................................................. 157 2. Die Narrative der FIFA-Festschriften .......................................................... 161 3. Die Würdigung markanter Persönlichkeiten ................................................ 167 4. Fazit ............................................................................................................. 169

Fankulturen Anne Eyre

‘The Fields of Anfield Road’: Understanding the Memorial and Sepulchral Culture of Liverpool FC ........................................................... 173 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Religion and Football: Functionalist Approaches ........................................ 174 Incorporating Christian Themes in Football Culture.................................... 176 Religion and the Churches in Liverpool....................................................... 177 The History and Development of LFC......................................................... 178 Charismatic Leaders: Representing Community, Honour and Leadership .. 179 From Triumph to Disaster: The Tragedies of Heysel and Hillsborough ...... 183 Remembering: The Future ........................................................................... 195 Appendix: ‘Fields of Anfield Road’............................................................. 195

John M. Williams

‘The Singing Postman as well as John Lennon’: The role of fans in the public ‘memorialising’ of Liverpool football club .......................... 199 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Introduction: Liverpool, football and exceptionalism .................................. 199 Histories from below.................................................................................... 202 The origins of the ‘Liverpool Way’ ............................................................. 204 The Premier League and ‘new’ football....................................................... 208 The Americans are coming ... ...................................................................... 211 Some concluding comments ........................................................................ 215

Inhalt

8 Dave Russell

‘We all agree, name the stand after Shankly’: Cultures of commemoration in late twentieth and early twenty-first century English football culture ................................................................................ 223 1. 2. 3. 4.

Honouring the dead before the 1980s .......................................................... 224 New ways of remembering .......................................................................... 227 The cultural needs of modern football ......................................................... 232 The burdens of history ................................................................................. 241

Hermann Queckenstedt

Auf ewig unsere Nummer Eins? Hannover 96 und die Erinnerung an Robert Enke ............................................................................................. 249 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Die erste Trauer – spontan und überwältigend........................................... 250 Die Trauerfeier im Stadion......................................................................... 255 Das Internet als Trauerforum ..................................................................... 259 Gedenken in der Presse und deren Onlineforen ......................................... 260 Die Nationalmannschaft und das Länderspiel gegen die Elfenbeinküste ... 264 Musik als Teil des Gedenkens.................................................................... 265 Der Verein auf dem Weg in die Normalität ............................................... 266 Die Erinnerung an Robert Enke im öffentlichen Raum.............................. 270 Die Robert-Enke-Stiftung .......................................................................... 272 Das erste Jahresgedenken für Robert Enke ................................................ 273 Fußball und Depression: Hoffnung contra Realität? .................................. 278 Fazit ........................................................................................................... 281

„Soccer Topophilia“: Stadion & Museum Nicholas Piercey

The football stadium and ground as a historical resource: Football grounds, memory and cultural history in Amsterdam and Rotterdam from 1910 to 1920 .................................................................... 287 1. The stadium and memory............................................................................. 287 2. The stadium and cultural history: Amsterdam and Rotterdam football grounds 1910 to 1920 ..................................................................... 289

Inhalt

9

3. The stadium: a historical research resource ................................................. 297 4. Summary: The stadium and cultural history ................................................ 305

Claudio Miozzari

Stadionarchitektur als Medium sportpolitischer Erinnerung: Das Foro Mussolini ....................................................................................... 311 1. Entstehung des Foro..................................................................................... 312 2. Die ideologische Botschaft des Foro............................................................ 316 3. Umgang mit dem Foro ................................................................................. 318

Matthias Thoma

Ein Museum für die Eintracht: Planung – Konzept – Exponate – Veranstaltungen ............................................................................................ 327 1. Die Jubiläumsausstellung von 1999............................................................. 327 2. Auf dem Weg zum Vereinsarchiv................................................................ 328 3. Veranstaltungen im Museum ....................................................................... 333

Markus Jager

In Bronze gegossen und trotzdem vergessen: Die Fußballerstatue von Mario Moschi im Prenzlauer Berg ..................................................... 335 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark......................................................... 336 Ankauf und Aufstellung der Fußballerstatue ............................................... 338 Der Fußballsport in der bildenden Kunst ..................................................... 341 Fußball im Œuvre von Mario Moschi .......................................................... 344 1937 – Berlin und Rotterdam....................................................................... 347 Zusammenfassung........................................................................................ 348

Inhalt

10

Politische Vereinnahmung & „memoria damnata“ Insa Schlumbohm

Von Ehrennadeln und Vereinsrettern: Gedenken an jüdische Mitglieder des DSC Arminia Bielefeld ...................................................... 355 1. Der DSC Arminia im Nationalsozialismus .................................................. 356 2. Jüdische Bürger als Mitglieder des DSC Arminia Bielefeld ........................ 358 3. Der DSC Arminia im Kontext anderer Fußballvereine ................................ 363

Bernd Reichelt

Inszenierte Erinnerung: Der elsässische Fußball und seine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit 1945–1950 ......................................................................... 367 1. Grenz-Fußball: Der elsässische Fußball zwischen Deutschland und Frankreich 1890–1939 .......................................................................... 367 2. Zwischen Kollaboration und Resistenz: Der elsässische Fußball während der deutschen Besatzung 1940–1944............................................. 370 3. Abrechnung und Absolution: Die „Säuberungen“ im elsässischen Fußball 1945–1947 ...................................................................................... 374 4. „On ne peut pas oublier ...“: Der elsässische Widerstand gegen den Anschluss des Saarfußballs an Frankreich 1947–1949.......................... 378 5. Schlussbetrachtung: Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik im elsässischen Fußball................................................................................ 382

Stefan Zwicker

Aspekte der Memorialkultur des Fußballs in den böhmischen Ländern, der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik ... 387 1. Spezifika des Fußballs in den böhmischen Ländern .................................... 387 2. Vereinsnamen, Symbole und Trikots als Medien der Erinnerung................ 389 3. Ein Name, zwei bis drei Vereine dazu und ein Stadion als Ort der Sehnsucht ..................................................................................................... 395 4. Legendäre Spieler als Personifikationen von Vereinstradition und die Modi der Erinnerung an sie.......................................................................... 398 5. „Damnatio memoriae“ in der Epoche der „Normalisierung“: Adolf Scherer und Josef Kadraba ................................................................ 403

Inhalt

11

Thomas Oellermann

Die bewusste Absage an eine eigene Erinnerungs- und Beerdigungskultur: Das Fußballspiel im Arbeiter-Turn- und Sportverband (ATUS) der Ersten Tschechoslowakischen Republik ........... 409 1. 2. 3. 4.

Der ATUS in der sudetendeutschen Arbeiterbewegung............................... 409 Die Prinzipien des Sports und die der Arbeiterbewegung............................ 412 Die Sonderstellung des Fußballs im ATUS ................................................. 413 Die bewusste Absage an eine proletarische Memorial- und Sepulkralkultur............................................................................................. 415 5. Zusammenfassung........................................................................................ 418

Jutta Braun/Michael Barsuhn

Der Platz blieb leer: „Kaltstellung“ und „damnatio memoriae“ im Fußball der DDR...................................................................................... 421 1. Konfliktlinien: Bespitzelung und politischer Dirigismus.............................. 421 2. Kaltgestellt und ausgegrenzt ......................................................................... 424 3. „Die Stasi sagte: Der Kopf muss weg!“........................................................ 429 4. Erinnerungskultur und Aufarbeitung ............................................................ 432

Autoren und Herausgeber .......................................................................... 435 Abbildungsnachweise .................................................................................. 437 Personenregister........................................................................................... 439

Einleitung

Markwart Herzog

Erinnern, Gedenken und Vergessen im Fußballsport Visuelle und akustische Medien – schriftliche Überlieferung – soziale Praktiken Die Ursprünge, Traditionen und Annalen der Fußballvereine reichen in Deutschland teilweise, in Großbritannien häufig bis ins 19. Jahrhundert zurück. Große „Traditionsvereine“1 können auf eine Geschichte zurückblicken, die mehrere Generationen umfasst. Angesichts solcher die politischen Epochen und gesellschaftlichen Systeme übergreifenden Kontinuitäten bilden sich zwangsläufig die verschiedensten kulturellen Felder der Erinnerung heraus, die ein kollektives historisches Bewusstsein konstituieren, das die Vereine und Verbände als integralen Bestandteil in ihre „corporate identity“ aufnehmen sowie durch Merchandisingprodukte und die Kommunikation von Emblemen, Logos und Symbolen2 strategisch gezielt vermarkten.3 Auf Seiten der Fans ist dieses kollektive Bewusstsein4 über die Geschichte des eigenen Vereins nicht nur marktstrategisch, sondern auch emotional tief verankert – zumindest gilt dies für jene Anhänger, die über einen längeren Zeitraum ihrem Club anhängen. Häufig stammen sie aus einer Familie, die sich intergenerational mit demselben Fußballverein identifiziert. Vor allem Väter entfachen in ihren Söhnen beim gemeinsamen Gang ins Stadion Begeisterung für den Sport und den eigenen Fußballclub, und in Erzählungen lassen sie die Söhne retrospektiv an Erinnerungen teilhaben, die auf diese Weise von Generation zu Generation weitergetragen werden.5 Insofern haben Fußballclubs „an organic life and a living heritage; it is more than what exists today, or the sum of its material parts.“6

1 2 3

4

5 6

Zum Terminus „Traditionsverein“ vgl. GÖMMEL, Der „Club“, 176. Vgl. Beitrag ZWICKER, in diesem Band S. 389–398; HEBENSTREIT, Torjubel. Kritisch zu einer ausschließlich an kommerziellen und medialen Bedürfnissen orientierten, populistischen Geschichtspolitik, die eine wissenschaftlich verantwortbare Erinnerungskultur vernachlässigt und letztlich in Geschichtsvergessenheit mündet, vgl. KRÜGER, „Gedächtnis“ und „Hall of Fame des deutschen Sports“, 145–149; HEBENSTREIT, Torjubel. Von Einzelnen ausgeübte Risikosportarten spielen in diesem Kontext keine Rolle. – Vgl. dazu MÜLLER, Sport, Tod und Existenz; DERS., Sports and Max Scheler’s Concept of Death; DERS., Sterben, Tod und Unsterblichkeit. Vgl. RUSHDIE, The people’s game, 56f.; HESSE, Frühkindliche Prägung; Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 237f. Beitrag WILLIAMS, in diesem Band S. 216.

16

Markwart Herzog

Fußball ist eine zutiefst und im besten Sinn des Wortes sentimentale und nostalgische Angelegenheit.7 Das gilt insbesondere für den in Verbänden organisierten Vereinsfußball. Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist es sehr zutreffend, dass der Katalog zur ersten kulturhistorischen Ausstellung über den Fußballsport in Deutschland einen Beitrag mit „Spielweisen der Erinnerung: Fußball und Gedächtnis“8 betitelt hat. Am Beginn des vorliegenden Beitrags steht zunächst ein kurzer Überblick zur Memorialkultur des Fußballsports als Forschungsgegenstand (1.). Nach einem Überblick zur Vielfalt der Memorial- und Sepulkralkultur des Vereinsfußballs und definitorischen Klärungen (2.) werden einige Elemente dieser Kultur analysiert, die von der Sportgeschichte bisher wenig beachtet wurden, insbesondere akustische Zeremonien des Totengedenkens im Stadion (3.) und der Einsatz von Vereinstrikots als „temporary memorials“, darüber hinaus die Gründung von Fanfriedhöfen (4.). Die vier sich daran anschließenden Kapitel über das Kriegsgefallenengedenken im bürgerlichen Fußball (5.) und dessen Transformation in ein allgemeines, ziviles Totengedenken (6.), das Gefallenengedenken als „politische Investition“ in der NS-Zeit (7.) sowie die Verweigerung des Totengedenkens durch Namenstilgung und Imagostrafe, den klassischen Mitteln der „damnatio memoriae“ (8.), arbeiten besondere politische Aspekte der Erinnerungskultur des Fußballs heraus. Bemerkungen über die kulturschöpferischen Potenziale des Fußballs (9.), die Konstitution von Fußballclubs als transgenerationale Gemeinschaften (10.) sowie soziales Leben, postmortales Weiterleben und soziales Töten in Fußballclubs (11.) runden diesen Beitrag ab. 1. Die Memorialkultur des Fußballsports als Forschungsgegenstand Der vorliegende Band ging aus der zehnten Konferenz der von der Schwabenakademie Irsee veranstalteten Reihe „Sterben, Tod und Jenseitsglaube“ hervor, die zum ersten Mal überhaupt in der kulturhistorischen Forschung auf einer so breiten Basis von Einzelthemen die Erinnerungskultur des Fußballsports analysierte. Gefördert von der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und unterstützt vom Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, wurde die Tagung in den Medien und der Fachwelt intensiv diskutiert.9 Mit Recht stellte Hans Joachim Teichler im Frühjahr 2012 fest, dass es „noch keine spezifische Untersuchung zur ‚Erinnerungskultur im deutschen Sport‘“ gebe, und er fügte hinzu: „Der Sport organisiert das Heute, plant die Zukunft und 7 8 9

Vgl. MARÍAS, Sie müßten uns hassen, 19–23; MÜLLER, Fußball, 43–47; Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 236f. BORSDORF/GRÜTTER, Spielweisen der Erinnerung, 48–52. Vgl. KISSLER, Erstklassig; FRASCH, Erinnert euch des Ereignisses; FREI, Der Fußball und das Sterben; WILLIAMS, Tackling loss in football; SCHISSLER, Roter Teufel; BOETTCHER, Bestattungen im Stadion; ERHARDT, Sterben & Tod im Fußball.

Erinnern, Gedenken und Vergessen im Fußballsport

17

– so möchte man resignierend hinzufügen – vergisst seine Vergangenheit.“10 Teichler selbst sind bereits mehrere Aufsätze zu dieser Thematik zu verdanken, wobei er den Fokus jedoch auf das unaufrichtige „Erinnerungsverhalten“11 der Vereine, Verbände und Verantwortlichen im Hinblick auf den nationalsozialistischen und staatssozialistischen Sport gerichtet hatte. Deshalb ließ Teichler die breite Palette der Erinnerungskultur des Sports bzw. dessen vielfältigen „Spielweisen der Erinnerung“ außen vor. Zur Memorial- und Sepulkralkultur des (Fußball-)Sports liegen nur einige wenige Aufsätze vor, die seit dem Jahr 2005 erschienen sind.12 Darüber hinaus behandelte die 10. Hoyaer Tagung zur Sportgeschichte im Jahr 2008 verschiedene Aspekte der Memorialkultur des Sports, allerdings legte sie den Schwerpunkt auf die Geschichte der Ausgrenzung und Diskriminierung im Sport, Erinnerung und Erinnerungsauslöschung waren nur Nebenaspekte dieses sehr verdienstvollen Projekts, dessen Ergebnisse mittlerweile publiziert wurden.13 Mitherausgeber Arnd Krüger ging in einem Beitrag dieses Tagungsbandes auf die unterschiedlichen Arten des Vergessens mit lockeren Bezugnahmen auf markante Beispiele der Sportgeschichte ein.14 Ein im Kontext des Wissenschaftsprojekts „Leben und Werk Carl Diems“ erschienener Sammelband ist zwar unter dem Titel „Erinnerungskultur im Sport“ erschienen, jedoch gehen nur drei Beiträge explizit auf die Thematik von „memoria“ und „damnatio memoriae“ ein, die anderen widmen sich weitgehend den Biographien von Künstlern und Sportlern, insbesondere Diem selbst, dem „Vater des deutschen Sports“.15 Und schließlich liegen zwei sehr gut illustrierte Bilderbücher über die Grabstätten und -steine von Fußballspielerlegenden vor,16 deren Textteile allerdings wenig Erkenntnisgewinn bieten. Dagegen sind in Großbritannien in jüngster Zeit mehrere wissenschaftliche Publikationen zur Memorialkultur des (Fußball-)Sports erschienen: zunächst von Graham Sharpe eine Dokumentation ebenso amüsanten wie lehrreichen Materials,17 die unter anderem erstmals eine ausführliche Datensammlung über die Beisetzung durch Ascheverstreuung in britischen Stadien liefert.18 Im Jahr 2006 erschien aus der Feder von Dave Russell eine vorzüglich recherchierte, materialreiche Studie über die Erinnerungskultur im englischen Fußballsport im späten 20. Jahrhundert.19 Neue Horizonte der Kulturgeschichte des Sports erschließen 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

TEICHLER, Erinnerungskultur im deutschen Sport, 121. TEICHLER, Verzögertes Erinnern. Vgl. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale; DERS., Wahre Leidenschaft. Vgl. KRÜGER/WEDEMEYER-KOLWE, Vergessen. Vgl. KRÜGER, Die sieben Arten in Vergessenheit zu geraten. Vgl. KRÜGER, Erinnerungskultur im Sport. Vgl. CARDORFF/BÖTTGER, Der letzte Pass; WANGEN, Gräber der Götter. Vgl. SHARPE, The final whistle. Vgl. SHARPE, The final whistle, 8–18. Vgl. RUSSELL, Cultures of commemoration; in einer erweiterten und mit Recherchen über die memorialkulturellen Tendenzen im englischen Fußball im frühen 21. Jahrhundert aktualisierten Fassung wiederabgedruckt im vorliegenden Band.

Markwart Herzog

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zwei quellengesättigte Spezialstudien von Mike Huggins über die von großen Menschenmassen besuchten Beisetzungen herausragender Persönlichkeiten und die Kommerzialisierung der Sepulkralkultur im britischen Sport des 19. Jahrhunderts. In Großbritannien bedienten bereits zu dieser Zeit verschiedene Unternehmenszweige die kollektive Trauer um „Victorian sporting heroes“ mit memorialkulturellen Angeboten. Vor allem Krüge, Teller und Figurinen, Lithographien, Seidenstickereien sowie Fotoportraits der verstorbenen Stars des Ruder-, Box-, Pferde- und Cricketsports gehörten zu einer bunten Palette von Erinnerungsgegenständen, die an die trauernden Fans verkauft wurden – und heute auf dem Markt der Sportmemorabilien gehandelt und auktioniert werden.20 Die Gedenk- und Begräbnisfeiern dieser Sportler wurden, wenn die Stars in jungen Jahren und noch während einer erfolgreichen Karriere auf tragische Weise verstorben oder verunglückt waren, damals von ähnlich großen Menschenmengen besucht wie heute beispielsweise im Fall des Torhüters Robert Enke.21 2. „Spielweisen der Erinnerung“ Anlässlich von Gründungsjubiläen, Titelgewinnen und anderen Jubeltagen – aber auch von deprimierenden Misserfolgen22 – bieten die Vereine und Verbände in Festschriften chronologisch geordnete Rückblicke, die bedeutende sportliche Ereignisse, große Erfolge und tragische Niederlagen in Erinnerung rufen. Eine andere „Spielweise der Erinnerung“ bieten Statistiken und Tabellen. Sie erfassen die Ergebnisse und Abschlusstabellen der jeweiligen Spielzeiten und halten die Torschützen mit ihren Erfolgen für die Nachwelt fest. Durch die unterschiedlichsten sozialen Praktiken, Kommunikationsformen und visuellen Medien verfestigt sich die Generationen übergreifende Erinnerung im Fußballsport und wird zum kulturellen Gedächtnis – beginnend mit dem Gespräch auf dem Fußballplatz über den Diskurs in der Kneipe und am Arbeitsplatz bis hin zu den Gesprächen der „Alten Herren“ im Vereinsheim, die häufig mit Worten wie „Weißt Du noch damals, Kamerad ...?“ eingeleitet werden. Und nicht zuletzt sind es PR-Agenturen, Archive und Museen der Vereine und Verbände, die der großen Spieler und Funktionsträger in eigens dafür eingerichteten – realen oder virtuellen – „Halls of Fame“ gedenken. Bei den visuellen Medien dominiert im Bereich der reproduzierbaren Bilder, deren Wachstumspotenzial im digitalen Zeitalter noch längst nicht ausgeschöpft ist,23 nach wie vor die Fotografie als Träger von Erinnerung. Vergilbte Fotos, an Pinnwände geheftet und in Alben eingeklebt, veranschaulichen Vereinsgeschichte und verklären sie in nostalgischem Licht. Darüber hinaus machen Medaillen, 20 21 22 23

Vgl. HUGGINS, Death; DERS., Reading the Funeral Rite; ferner METCALFE, Leisure and Recreation, 97, 108f., 176 Anm. 26. Vgl. Beitrag QUECKENSTEDT, in diesem Band S. 255–259; ferner Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 225, 227. Vgl. THOMA/GABRIEL, Das Rostock-Trauma. Vgl. EISENBERG, The finitude of sports performances.

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Abb. 1: Festlicher Aufmarsch zur Enthüllung und Einweihung des Gefallenendenkmals im Stadion Betzenberg, Kaiserslautern, am 21. Juni 1925.

Pokale und Devotionalien der verschiedensten Art vergangene Ereignisse sinnlich-materiell greifbar. Ein veritabler Markt der Nostalgie ist entstanden, auf dem für teilweise immens hohe Summen alte Tickets, Autogrammkarten, Programmhefte, verschwitzte Spielerleibchen, Badeschlappen etc. gehandelt werden.24 Über diese Objekte der materiellen Alltagskultur des Sports hinaus sind es performative Elemente, die Erinnerung wachhalten. Dazu gehören die öffentlichen Aktionen und kollektiven Rituale,25 mit denen die Vereine und Fangruppierungen an bestimmten Tagen ihrer verstorbenen Mitglieder gedenken. Sie setzen Denkmäler, errichten Grabsteine, legen Gedenkstätten an, lassen Memorialtafeln anfertigen, publizieren Nachrufe, schalten Todesanzeigen und benennen ihre Sportstätten nach den Helden von einst. Mit den wahren Geschichten26 und schönen Legenden27 über den Tod und die Bestattung berühmter Sportler kann man ganze Bücher28 füllen. Die feierliche Enthüllung und Einweihung von Gefallenendenkmälern oder die Veranstaltung von Festen und Umzügen anlässlich von 24 25

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27 28

Vgl. dazu HERZOG, Von der ‚Fußlümmelei‘ zur ‚Kunst am Ball‘, 26f. Zu den performativen Elementen zeitgenössischer Memorialkultur im Stadion vgl. HEBENSTREIT, Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot; DERS., Schweigeminute; DERS., Torjubel; Beitrag RUSSEL, in diesem Band S. 224. Zu Matthias Sindelars Leichenfeier vgl. MARSCHIK, Vom Nutzen der Unterhaltung, 147; zu der Hugo Meisls vgl. HAFER/HAFER, Hugo Meisl, 311–313; zu Bestattungen und Leichenzügen für britische Sportstars der Viktorianischen Epoche vgl. HUGGINS, Death, 257–265; DERS., Reading the Funeral Rite, 417f. Zur Medienlegende der angeblichen Mehrfachbestattung des Schalke-Idols Ernst Kuzorra vgl. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 193f. Vgl. POCH, Sportlerschicksale mahnen!

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Todestagen, Jahrestagen und Jubiläen (Abb. 1) und nicht zuletzt die vereinsoffiziellen Gedenkturniere für verstorbene Spieleridole und die subkulturellen Turniere zum Gedenken an Fans, die auf tragische Weise verunglückten,29 darüber hinaus die theatralischen Choreografien30 der Fanclubs in den Stadien und die von den Anhängern mit entblößter Brust stolz zur Schau getragenen Tätowierungen31 bilden ein unüberschaubar buntes und vielfältiges Set der „cultural performances“32 in den zeitgenössischen Fußballkulturen. Es ist dieses weite Feld von Objekten und Handlungen, Erinnerungsformen und Medien, die das „kollektive Gedächtnis“ des in Verbänden organisierten Fußballspiels bilden, das man auf den Sammelbegriff einer „Memorialkultur im Fußballsport“ bringen kann. Wenn wir den Blick nach Großbritannien richten, erweitert sich dieses Feld der Erinnerungskultur im engeren Sinn um neue Formen des Bestattungswesens und ein reiches Panorama von Ritualen des Totengedenkens in den dortigen Fußballclubs und deren Stadien. Sie wurden teilweise auch auf dem Kontinent übernommen, wobei eine echte „culture of remembrance“ sich in den Verbänden des britischen Fußballs erst relativ spät entwickelt hat.33 Dazu gehören die Schweigeminute („minute’s silence“), der Minutenbeifall („minute’s applause“) und das Spielen mit Trauerflor oder Trauerbinde. Spezifisch funeralkulturelle Angebote wie etwa einen durch den „Club Chaplain“ vollzogenen „Service of Remembrance and Thanksgiving“ unterbreitet seinen Fans beispielsweise der Leicester City Football Club im Walker Stadium und im clubeigenen „Supporters’ Garden of Remembrance“.34 Die Beisetzung durch Ascheverstreuung ist in den Sportanlagen zahlreicher britischer Fußballclubs möglich.35 Die Stadien werden zu Nekropolen36 und fallen somit auch in den Bereich der Sepulkralkultur, die von einer Memorial- oder Erinnerungskultur im engeren Sinn zu unterscheiden ist, umfasst „der Wissenschaftsbegriff Sepulkralkultur“ doch „alle kulturellen Erscheinungsformen, die mit der Totenbestattung und dem Totengedenken zu tun haben.“37 29 30 31 32 33 34 35 36

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Vgl. Beitrag EBERLE und Beitrag THOMA, in diesem Band S. 128 und S. 108f.; HEBENTorjubel. – Zu Gedächtnisspielen für Kriegsgefallene vgl. unten S. 35. Vgl. die Beiträge ZWICKER und THOMA, in diesem Band S. 402f. und S. 106–108; HEBENSTREIT, Torjubel. Dazu am Beispiel des Hamburger SV MEYER/MARKHARDT, HSV Tattoos: Fürs Leben gezeichnet. Vgl. SCHECHNER, Essays on Performance Theorie; BROMBERGER, Le match de football, 186–188; DERS., Football as world-view and as ritual. Vgl. Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 224 und S. 227, Zitat 225. Vgl. Website Leicester City Football Club, Foxes Offer Support To Bereaved Fans 24.4. 2007 (8.11.2010). Vgl. dazu HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 196–203; DERS., Wahre Leidenschaft, 173–179. Einen ganz anderen Fall, in dem eine Sportstätte zur Nekropole wurde, bietet das Olympiastadion Sarajewo, das für Bestattungen genutzt werden musste, weil die vielen Tausend Bewohner, die während der vierjährigen serbischen Belagerung (1992–1996) ermordet worden waren, auf den Friedhöfen keinen Platz fanden. – Vgl. Krüger, Goldmedaillen, 3. SÖRRIES, Lexikon, 282, vgl. ebd., 222, zu „memoria“ und „Gedenkkultur“. STREIT,

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Das Bestattungsgewerbe bietet den Fankulturen des Fußballs ein sich immer weiter ausdifferenzierendes Tableau von Angeboten. Dazu gehören beispielsweise Grabsteine und Särge mit Sportvereinsinsignien und die Urne im Design des jeweiligen Fußballclubs, die einen neuen Typ individueller Themenbestattungen38 entstehen ließen. Zur Produktpalette des deutschen Marktes gehören beispielsweise für den Fan von Borussia Dortmund die mit schwarz-gelbem BVBSchal umschlungene Urne in Fußballform,39 für den Schalke-Fan der königsblaue Kirschbaumsarg40 und für den Anhänger des 1. FC Kaiserslautern der Sarg, der im Höllenrot der Roten Teufel vom Betzenberg lackiert ist. In den Niederlanden ist die Zusammenarbeit zwischen Fußballclubs und Bestattungsunternehmen schon erheblich weiter vorangeschritten als in Deutschland. So bietet das Unternehmen Vredehof Uitvaartverzorging den Anhängern des FC Twente umfassende Angebote für Fanbestattungen: von Kondolenzkarten über Blumenschmuck, Grabbeigaben, Sarg und Urne in den Vereinsfarben bis zu dem Gedenkstein in der „Wall of Fame“ und dem Grabstein mit dem Wappen des Clubs. Die diesbezügliche, reich illustrierte Broschüre mit dem Titel „De FC Twente Uitvaart“ (Die FC Twente-Bestattung)41 steht unter dem Motto „you’ll never walk alone“. Und der Fußballverein Roda JC Kerkrade kooperiert bei den Fanbeisetzungen mit dem Bestattungsunternehmen John Venhovens Uitvaartverzorging.42 Dank solcher Angebote werden Urnen, Särge und Gräber im Design des Lieblingsvereins, Beisetzungen mit Vereinshymne und Merchandisingprodukten als Grabbeigaben zu einer letzten Schaubühne der Fans, die bis in den Tod von ihrer lebenslangen Präferenz für einen bestimmten Verein ein öffentliches Treuebekenntnis ablegen. Die meisten der hier genannten Elemente der Erinnerungs- und Bestattungskultur des Fußballsports sind anzutreffen in den professionellen, städtischen Clubs, die in höheren Ligen spielen und durch Fernsehübertragungen ihrer Spiele weit über den lokalen Rahmen hinaus medial präsent sind. Während der Fernsehfußball das Sportinteresse weitgehend absorbiere, bleibe „fürs Lokale [...] nichts mehr übrig“, stellte Manfred Weise pointiert fest.43 Dagegen hatte Michael Prosser am Beispiel der Konzentration des Interesses der regionalen pfälzischen Fanszenen auf den 1. FC Kaiserslautern in der Zeit nach der Gründung der Fußballbundesliga noch eine andere Bilanz gezogen: Die Fußballanhänger aus Frankenthal, Ludwigshafen, Pirmasens oder Worms, „deren Stadtvereine eine Altersgeneration vorher in derselben Spielklasse auftraten wie Kaiserslautern“, 38 39 40 41

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43

Vgl. FISCHER, Neue Inszenierungen des Todes, 134–141. Vgl. Eternity: Fachzeitschrift des Verbands Dienstleistender Thanatologen 11 (Februar 2006), 11. Vgl. HASS, Schalke-Sarg und Fußball-Urne; SHARPE, The Final Whistle, 28f., 53–55. Die Broschüre kann auf folgender Website eingesehen werden: Vredehof Uitvaartverzorging (letzter Zugriff 8.7.2012). – Für diesen Hinweis danke ich Hendrik Lammert Kok, Enschede-Glanerbrug. Vgl. John Venhovens Uitvaartverzorging (letzter Zugriff 8.7.2012). – Für diesen Hinweis danke ich Hendrik Lammert Kok, Enschede-Glanerbrug. WEISE, Lebenslange Vereinstreue.

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konnten „eine Altersgeneration später“, nach der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963, „ohne Identifikationskonflikte am Bundesligaspieltag in roten Farben zum Betzenbergstadion fahren“, um den FCK anzufeuern, und „gegebenenfalls am folgenden Sonntag die Spiele des nunmehr in der Liga eines Amateurbezirks auftretenden Vereins der Wohngemeinde aufsuchen.“44 Heute trifft das nicht mehr zu. Deshalb stellte Weise mit Blick auf die Stadtteilclubs in Bundesligastädten und die höherklassigen Amateurvereine im Einzugsgebiet von Profivereinen dezidiert fest: „Lebenslange Vereinstreue und der Fußballplatz als Ort lokaler Zugehörigkeit – das war einmal.“45 Gerade eine medial ausdifferenzierte und durch Merchandisingangebote gestützte Erinnerungskultur setzt seitens der Vereine finanzielle Spielräume voraus, über die heute nur noch höherklassige Fußballclubs verfügen. 3. Der Kulturkonflikt zwischen „minute’s applause“ und „minute’s silence“ Zahlreiche sepulkralkulturelle Medien und Praktiken der Fußballszenen sind immer noch Desiderate der Forschung. Zu ihnen gehört das oben genannte Ritual der Gedenk-, Trauer- oder Schweigeminute zu Ehren von Verstorbenen. Es ist ein weitgehend unerforschtes Element der Memorialkultur,46 über dessen Rezeption in den Fußballfanszenen immerhin zwei Spezialuntersuchungen von Liam Foster und Kate Woodthorpe sowie Stefan Hebenstreit vorliegen.47 Bei der „minute’s silence“ handelt es sich um ein nationales britisches Zeremoniell. Vorformen des Zeremoniells wurden in zwei Einzelfällen bereits 1910 bzw. 1912 anlässlich des Todes von König Edward VII. bzw. des Sinkens der Titanic abgehalten.48 Als formalisiertes, offiziell angekündigtes, zeitlich mit dem öffentlichen Leben koordiniertes und regelmäßig praktiziertes Ritual, das Gedenken mit Trauer verbindet,49 stammt die Schweigeminute gleichwohl aus der Militärgeschichte. Sie wurde von König George V. eingeführt und sollte Trauer um die vielen im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten des Empire öffentlich bekunden. George V. proklamierte die erste offizielle Schweigeminute am 7. November 1919. Am ersten Jahrestag des Waffenstillstandsvertrags von Compiègne, dem 11. November 1919, wurde die „Two Minutes’ Pause from Work“ erstmals durchgeführt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie vom 11. November, dem „Armistice Day“, auf den Novembersonntag verlegt, der dem „Armistice Day“ am nächsten liegt.50 An diesem Tag, nun „Remembrance Sunday“ genannt, wird seit Kriegsende der Toten beider Weltkriege mit dem zweiminütigen Zere44 45 46 47 48 49 50

PROSSER, Sport und gesellschaftliche Sinnsysteme, 55. WEISE, Lebenslange Vereinstreue. Vgl. GREGORY, The silence of memory; LICHAU, „This moving, awe-inspiring silence“. Vgl. FOSTER/WOODTHORPE, A Golden Silence; HEBENSTREIT, Schweigeminute; ferner CARDORFF/BÖTTGER, Der letzte Pass, 65–68. Vgl. FOSTER/WOODTHORPE, A Golden Silence, 53. Vgl. MCSMITH, A brief history of silence. Vgl. GREGORY, The silence of memory, 184–211, 215–222.

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moniell gedacht.51 Dieses politische Ritual breitete sich über Großbritannien hinaus aus, wurde in die nationalen Memorialkulturen vieler anderer Länder übernommen,52 aber nicht nur für Kriegstote, sondern auch für die Opfer von zivilen Katastrophen und groß dimensionierten Unglücksfällen oder Terrorschlägen. Ergänzt wurde diese Entwicklung durch Schweigeminuten auf der Mikroebene von öffentlichen Einrichtungen wie Ämtern, Behörden und Schulen, Turnvereinen und Fußballclubs. Die „minute’s silence“ wird in den Fußballstadien seit vielen Jahrzehnten praktiziert. In den Kriegsjahren des Nationalsozialismus wurden Halbzeitpausen und Spielunterbrechungen unter anderem für Gedenkminuten genutzt, um gefallene Kameraden zu ehren.53 Heute sind es insbesondere die Minuten vor dem Anpfiff eines Spiels, die für eine Gedenkminute („minute’s silence“) genutzt werden. In den britischen Fußballszenen wird dieses auch in zahllosen anderen Kontexten des Totengedenkens mittlerweile weit verbreitete Ritual zunehmend von der Praxis des Minutenbeifalls („minute’s applause“) abgelöst. Dieser Wandel provozierte in unterschiedlichen Kontexten erregte Kontroversen, beispielsweise zwischen Fußballclubs in Manchester und Glasgow. Ausgerechnet auf den 10. Februar 2008, genau vier Tage nach dem 50. Jahrestag des Flugzeugunglücks, bei dem Manchester United in der Nähe von München 23 Tote zu beklagen hatte, wurde in der englischen Premier League das überaus brisante Derby der Stadtrivalen United und City terminiert. Das UnitedManagement setzte vor dem Beginn dieses Matches eine Gedenkminute für die Verunglückten von 1958 an. Obwohl zu den Unfalltoten auch der frühere CityTorwart Frank Swift gehörte, war der Manchester City Supporters’ Club in Sorge, City-Fans („with strong lungs and weak brains“54) könnten sich unangemessen verhalten, und baten United um die Ersetzung der Gedenkminute durch einen Minutenapplaus. Unter anderem die Erinnerung an die Störung einer Gedenkminute zugunsten des United-Spielers Noel Cantwell bei einem Derby gegen United am 10. September 2005 veranlasste City zu dieser Intervention.55 Aber United als gastgebender Verein bestand auf dem Schweigeritual. Chief executive David Gill erläuterte diese Entscheidung, indem er das im britischen Fußball gebräuchliche Trauerritual des Schweigens mit dem des situationsspezifisch ganz anderen des Applaudierens verglich – beide Formen des Gedenkens wurden bereits damals im United-Stadion Old Trafford praktiziert. So sei der von United zu Ehren von George Best (1946–2005) und dessen Leistungen praktizierte Applaus durchaus angemessen gewesen, komme aber nicht in allen Fällen der Totenmemoria in Frage. Beim Gedenken an die Unfallopfer des tragischen Flug51 52 53 54 55

Vgl. MCSMITH, A brief history of silence. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 100. Vgl. HERZOG, Betze, 58f.; Beitrag THOMA, in diesem Band S. 103. MCSMITH, A brief history of silence. NN, City fear ‚idiots‘; zur Störung der Schweigeminute für George Best (City of Manchester Stadium, November 2005) durch Fans des Liverpool FC vgl. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 57.

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zeugabsturzes verbiete sich „the modern move to applause“56 kategorisch, hier gebe es nichts zu applaudieren. Der United-Kicker und nordirische Nationalspieler Best war im November 2005 eines natürlichen Todes gestorben, der lediglich durch jahrelangen übermäßigen Alkoholkonsum beschleunigt worden war.57 Im Gegensatz dazu waren die nach ihrem Trainer Matt Busby „Busby-Babes“58 genannten jungen Spieler einen „vorzeitigen Tod“ gestorben, der fast die gesamte Mannschaft ausgelöscht hatte. In der Kulturgeschichte des Todes wurde um solche „vorzeitig“ Gestorbenen in aller Regel mit einem besonderen rituellen Aufwand getrauert.59 Häufig waren sie und ihre sterblichen Überreste darüber hinaus Gegenstand magischen Aberglaubens.60 Insbesondere in der Geschichte des Flug- und Automobilsports dienten die Überreste von Verunglückten als Gefahren abwehrende Talismane.61

Den Unterschied in der Trauer um Verstorbene, die nach einem langen Leben eines natürlichen Todes starben, und die Opfer einer erschütternden Tragödie, die Jahrzehnte lang nachwirken kann, wollte United in den Gedenk- und Trauerzeremonien und den von ihr ausgehenden Botschaften angemessen respektiert sehen.62 Trainer Sven-Göran Eriksson und Kapitän Richard Dunne von Manchester City reagierten verständnisvoll. Mit Erfolg beschworen sie die City-Fans, die Trauerminute schweigend zu respektieren.63 Beim „minute’s applause“ handelt es sich in der Tat um einen neuen Trend – den von Gill genannten „modern move“ im Totengedenken des britischen Fußballs, der um das Jahr 200564 eingesetzt haben dürfte. Bei Best hatte der Minutenapplaus angeblich seinem eigenwilligen Charakter entsprechen sollen: „This life-long ‚bad boy‘ would [...] appreciate the rebellion.“65 Die Interpretation des Minutenapplauses als Rebellion versteht sich vor dem Hintergrund, dass diese akustische Inszenierung des Totengedenkens dem Viktorianischem Ideal von „solemnity and soberness“ widerspricht, indem sie emotionale Äußerungen der Trauer aus dem Privaten in die Öffentlichkeit bringt,66 „private grief“ zu einem „public business“ bzw. „public theatre“67 macht.

56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

DAVID GILL, zit. in: OGDEN, United; NN, City fear ‚idiots‘. Vgl. LOVEJOY, Bestie, 200–220. Vgl. dazu auch die Beiträge RUSSELL und QUECKENSTEDT, in diesem Band S. 237 und S. 271 Anm. 72. Vgl. HALLING/FEHLEMANN/VÖGELE, Vorzeitiger Tod. Vgl. HERZOG, Scharfrichterliche Medizin, 328–331. Zu diesem „Sportaberglauben“ vgl. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 192f. Dazu grundsätzlich FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 58. Vgl. OGDEN, United; FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 50f., 56f. Vgl. Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 240. ROBINSON, The place of the stadium, 1021. Vgl. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 58f., Zitat 51. LAWSON, Goals and ghosts.

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Beim Spiel um den Community Shield 2009 verabredeten sich der Chelsea Football Club und Manchester United zum „minute’s applause“, um Sir Bobby Robson zu gedenken. Mit diesem Zeremoniell sollte die Spielerlegende auch in allen Stadien vor den Matches des ersten Spieltags der Premier League-Saison 2009/10 geehrt werden. „The Guardian“ kommentierte dazu: „Football has always been a sentimental game, and also a conservative one, wedded to its rites and customs.“ Und doch sei diese Entwicklung, die der Verfasser missbilligte, nicht aufzuhalten: „The minute’s silence, it seems, is dead. Long live the minute’s applause.“68 In Schottland gingen die Funktionäre der Premier League über das fußballinterne Totengedenken hinaus noch einen Schritt weiter, indem sie es im Jahr 2008 den Clubs freistellten, sich am „Remembrance Sunday“ für das Ritual des Schweigens zu entscheiden oder es durch die Inszenierung von Applaus zu ersetzen – „replacing the traditional silence with cheering“.69 Doch damit erregten die schottischen Fußballverantwortlichen den Zorn der Veteranenverbände, die auf das Einhalten der traditionellen Schweigeminute für die Weltkriegsgefallenen pochten und sich mit ihrer Forderung schließlich durchsetzen. Zur Schweigeminute bekannten sich schließlich alle schottischen Premier League-Clubs, die im Jahr 2008 darüber hinaus mit Nachbildungen roter Mohnblüten auf den Trikots auflaufen wollten. Bei den Mohnblüten, den „poppies“, handelt es sich um ein bedeutungsschweres Symbol für die Fronterlebnisse in Flandern, wo der Mohn im Sommer millionenfach blüht. Roter Mohn wurde darüber hinaus zu einem Zeichen des Gedenkens an die Weltkriegsgefallenen.70 Ihre Imitationen aus Papier, Seide oder Plastik sind darüber hinaus Objekte, die bis heute am „Armistice Day“ bzw. „Remembrance Sunday“ für karitative Zwecke verkauft werden.71

Nur der Celtic Football Club scherte zunächst aus diesem Verbund aus72 und wurde für mangelndes liturgisches Feingefühl kritisiert, weil er sich für den Minutenapplaus entschied: „there is a liturgical difference between staging a rousing applause for one man’s life, and the same act for millions who sacrificed their lives in circumstances which many would argue warrant no applause whatsoever.“73 Aus Furcht vor dem respektlosen Verhalten einer irisch-republikanisch eingestellten politischen Minderheit unter den eigenen Fans hatte Celtic am „Remembrance Sunday“ 2008 einerseits zwar den Minutenapplaus favorisiert, andererseits jedoch an den roten Mohnblüten festgehalten. Während des Spiels gegen den Motherwell Football Club zog an diesem Tag denn auch eine Fangruppe aus Empörung über die roten Mohnblüten auf den Jerseys der Celtic-Spieler aus dem 68 69 70 71 72 73

RONAY, How applause is replacing the minute’s silence. DOW, Scottish Premier League chiefs. Vgl. TAUBER, Schützengraben, 487f. Vgl. GREGORY, The silence of memory, 93–117. DOW, Scottish Premier League chiefs. SPIERS, Celtic wrong; ferner TRAYNOR, Stop the claptrap now.

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Stadion aus, „to stage a noisy demo, singing rebel songs and waving the Irish flag“.74 Die Gruppe hielt eine Versammlung „beside the statue of the club’s founder Brother Walfrid“75 ab, bei der sie überdies gegen den britischen Imperialismus protestierte. Dieser Akt des Gedenkens an den Celtic-Gründer ist ein Beispiel von zahlreichen anderen öffentlichen Memorialpraktiken, die gesellschaftlichen Protest inszenieren und politische Veränderung intendieren.76 Offenkundig ist es schwierig, in religiös und politisch zerklüfteten Fußballkulturen wie denen Glasgows oder bei Derbys wie in Manchester eine durch Schweigen und Bewegungslosigkeit akustisch und emotional geeinte Menschenmenge77 zu synchronisieren. Bei solchen Anlässen ist das Risiko groß, dass das von Cluboffiziellen vorgegebene Programm der Inszenierung einer Gemeinschaft in Trauer und Dankbarkeit gegenüber Verstorbenen in der Praxis scheitert. Dennoch sind in Sheffield und Liverpool einige Fälle von spontanem, öffentlichem Totengedenken überliefert, deren Zeremonien tief verwurzelte Clubrivalitäten momentan außer Kraft setzen und, wenigstens für kurze Zeit, überbrücken konnten.78 Der britische Journalist Barney Ronay brachte die emotionale Wucht der Schweigeminute und zugleich die Gefährdung dieser akustischen Inszenierung in einem von Lärm, Bewegung und Erregung erfüllten Stadion sehr gut auf den Punkt: „A minute’s silence inside a packed and excitable stadium is still an unbearably potent memento mori.“79 Die Furcht vor Störungen der Schweigeminute80 wird jeweils als Hauptmotiv für die Bereitschaft angeführt, den ehrenden Applaus dem Schweigen vorzuziehen. Als beispielsweise die Spielerlegende Johannes „Hannes“ Riedl (1950–2010) des 1. FC Kaiserslautern gestorben war, stand am Tag seiner Urnenbeisetzung am 27. August 2010 ein Heimspiel bei Flutlicht gegen den FC Bayern München an. Vom Stadionsprecher aufgefordert, sich von den Plätzen zu einer Schweigeminute zu erheben, währte die Stille unter den 50.000 Zuschauern nicht lang – johlende und krakeelende Bayern-Fans störten das Zeremoniell von ihrer Kurve aus und wurden nun wiederum von den FCK-Fans für ihr ungehöriges Betragen ausgepfiffen – die „pre-match minute’s silence“ auf dem Betzenberg hatte nur wenige Sekunden gedauert, um in Missklänge überzugehen und schließlich in den Applaus der FCK-Fans für Riedls Lebenswerk umzuschlagen. Dagegen gelang es der Fangruppe Ultras Frankfurt, 74 75 76 77 78 79

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MULHOLLAND, Celtic fans. LEASK, Celtic match. Vgl. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 55f. Zur Phänomenologie solcher Inszenierungen vgl. LICHAU, „This moving, awe-inspiring silence“. Vgl. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 60f., sowie Beitrag EYRE, in diesem Band S. 190f. RONAY, How applause is replacing the minute’s silence; vgl. auch FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 59. – Über „Stille als auditiver Gegensatz zur Normalität des Lärms im Fußballstadion“ vgl. HEBENSTREIT, Schweigeminute. Zu derartigen Vorfällen vgl. auch FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 59f., 63f.; Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 239f.

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im Oktober 2008 eine 180 Sekunden dauernde inoffizielle Schweigeminute bei einem Heimspiel der Eintracht gegen den FC Bayern München frei von akustischem Störfeuer der gegnerischen Fans durchzuführen.81 Zahlreich indes sind die von Fangruppen vorausschauend geplanten und absichtsvoll inszenierten Aktionen, die eine vom gegnerischen Verein angesetzte Schweigeminute zu verhindern oder abzubrechen bezwecken. So hatten sich fünf Jahre vor dem genannten Ereignis auf dem Betzenberg Anhänger des Heart of Midlothian Football Club ebenso respektlos verhalten, als sie in einem Pokalmatch der Hearts gegen den Celtic Football Club im Stadion Hampden Park eine Gedenkminute für Papst Johannes Paul II. scheitern ließen.82 Um das Risiko derartiger „akustischer Ausschreitungen“ zu verringern, können die Schweigeminuten verkürzt werden. Ihre Dauer ist variabel – von wenigen Sekunden bis zu mehreren Minuten kann die „minute’s silence“ dauern. Wegen ihrer Gefährdung in britischen Stadien wird das Schweigezeremoniell häufig auf 30 Sekunden verkürzt.83 In den britischen Fußballstadien wurde die Schweigeminute bereits in den 1930er Jahren praktiziert84 und zunächst nur für ehemalige Spieler und Funktionäre angesetzt, dann aber auch auf andere Personenkreise ausgeweitet, auf „nonfootball related deaths“. Dies wiederum gab Anlass zur Kritik, weil das Ritual durch „silence inflation“85 entwertet werde. Anders als die genuin britische Schweigeminute stammt der Minutenapplaus ursprünglich aus Italien und wird dort, offenkundig nur in den Stadien, zu Ehren von Sportstars praktiziert, „to mark death, and honour life“86 – für Traditionalisten „a ghastly attempt at forced positivity that does not sit easily with the British psyche“.87 Dabei können beide Bräuche zu einer zweistufigen Einheit verknüpft werden: „it tends to start with silence and build to a peak level of applause from about halfway through“.88 Diese unterschiedlichen nationalen Rituale des Totengedenkens können in der Praxis so aufeinander prallen, dass sie auf beiden Seiten Unverständnis und Missstimmung hervorrufen. Als im Viertelfinalhinspiel der Champions League am 5. April 2005 im Stadion Anfield Road erstmals seit der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion der Liverpool FC und Juventus Turin wieder aufeinander trafen, waren verschiedene Zeremonien des Gedenkens für die Opfer, unter

81 82 83 84 85

86 87 88

Vgl. Beitrag THOMA, in diesem Band S. 107f.; HEBENSTREIT, Schweigeminute. Vgl. DOW, Scottish Premier League chiefs. Vgl. RONAY, How applause is replacing the minute’s silence. Vgl. Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 225. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 54, vgl. ebd., 59f.; NN, Public remembrance; MCSMITH, A brief history of silence; vgl. auch die Beiträge RUSSELL und THOMA, in diesem Band S. 223, 236f. und 102. ROBINSON, The place of the stadium, 1022; vgl. auch Beitrag MIOZZARI, in diesem Band S. 311. NN, Public remembrance. RONAY, How applause is replacing the minute’s silence.

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ihnen 32 Juventus-Fans,89 vorgesehen, die am 29. Mai 1985 im Heysel-Stadion in Brüssel beim Europapokalfinale zwischen Liverpool und Turin zu Tode gekommen waren. Darüber hinaus wurden die Fans aufgefordert, sich zu einer Schweigeminute aus Anlass des Todes von Papst Johannes Paul II. zu erheben. Dabei kollidierte der italienische Brauch einer aus Schweigen und Applaus gemischten Gedenkzeremonie mit der Erwartung der britischen Fans, die damals noch reine Schweigeminuten gewohnt waren. „As a result, Juventus fans gave spontaneous applause in the middle of the minute’s silence, and were aggressively booed by the Liverpool followers when the minute ended. Variation in what is regarded as appropriate remembrance at football games can thus be regarded as exemplifying the unspoken rules that exist related to public commemorative behaviour“.90

Anhand mehrerer in England dokumentierter Beispiele zeichnete Jessica S. R. Robinson nach, wie das aus Italien stammende Ritual des Applaudierens von den britischen Fans übernommen wurde, sich schließlich aus den Stadien in andere Lebensbereiche ausgebreitet hat und mittlerweile auch bei Bestattungen inszeniert wird. „The shift from silence to noise as the greatest sign of respect suggests that we may be seeing a transformation in public expressions of solidarity in the face of loss, a marked change in the English rituals of public mourning. [...] Spectatorship has transformed and practices that begin in the stadium have spread out into everyday life.“91

Im britischen und deutschen Fußball kann das Zeremoniell des „minute’s applause“, wie gesagt, bereits in den 1930er Jahren nachgewiesen werden. Im Jahr 1985 galt es dem schottischen Nationaltrainer Jock Stein. Stein starb am 10. September 1985 an den Folgen eines Herzinfarkts, den er während eines Weltmeisterschaftsqualifikationsspiels gegen Wales erlitten hatte, unmittelbar danach im Medizinraum des Stadions Ninian Park in Cardiff. Zu Ehren von Alan Ball (1945–2007), Fußballweltmeister von 1966, wurde nach seinem Tod im April 2007 eine Schweigeminute zwar offiziell angekündigt, dann aber von den Zuschauern in verschiedenen Stadien spontan als Applaus vollzogen.92 Gilt der Minutenapplaus vor allem der Ehrung des Lebenswerks eines verdienstvollen Spielers oder Funktionärs, so wird die Schweigeminute für die „premature deaths“ oder „bad deaths“93 favorisiert – vor allem für die Opfer von Stadionkatastrophen oder anderen tragischen Unglücksfällen. Beide Rituale bezwecken 89 90 91 92

93

Vgl. Beitrag EYRE, in diesem Band S. 184. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 61. ROBINSON, The place of the stadium, 1022f. Dazu und zum Vorhergehenden ROBINSON, The place of the stadium, 1025 Anm. 53. – Zur spontanen Änderung der offiziell vorgeschriebenen Form des Schweigens in Applaus durch die Fans vgl. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 57f. – Dieser „minute’s applause“ zu Ehren Balls ist bei YouToube mehrfach dokumentiert. Vgl. THOMAS, Communicative Commemoration, 27f.

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eine Ehrung der Verstorbenen, aber die in ihnen artikulierten Emotionen und die von ihnen ausgehenden Botschaften sind gänzlich konträr. Applaus und Schweigen sind also keine funktional äquivalente Alternativen, vielmehr antworten sie auf grundsätzlich verschiedene Situationen und Adressaten des Gedenkens und der Trauer. Beide Rituale stehen für „different emotions, a different state of mind.“94 Dennoch gibt es weder in den britischen Premier Leagues noch in der DFL eine offizielle Linie, die den Ablauf der Schweigeminuten vorschreibt.95 Die Kriterien der Abteilung Spielbetrieb in der DFL sind nicht eindeutig. Schweigeminuten und Trauerflor müssen jedoch bei der DFL einerseits angemeldet und von ihr genehmigt werden, andererseits muss die Persönlichkeit, derer gedacht werden soll, „ein Funktionär oder Spieler mit Bedeutung für die Bundesliga gewesen sein“.96 Beide Praktiken des öffentlichen Totengedenkens, die Schweigeminute und der Minutenapplaus, geben in Großbritannien immer wieder Anlass zu Kontroversen – insbesondere im Hinblick auf die Fragen, wer in den Fußballstadien geehrt werden soll und wie das Gedenken zu vollziehen ist. Hochgradig emotionalisiert verliefen die öffentlichen Diskussionen über die Gedenkveranstaltungen bei den 2012 in London ausgetragenen Olympischen Spielen für die Opfer des Attentats, das palästinensische Terroristen bei den Spielen 1972 in München verübt hatten. Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der bereits 2004 bei den Spielen in Athen als erster Chef des IOC an einer Gedenkveranstaltung für die ermordeten Israelis teilgenommen hatte, legte im olympischen Dorf in London eine Schweigeminute ein und nahm an der ebenfalls zu Ehren der Opfer abgehaltenen Gedenkveranstaltung in der Londoner Guildhall teil. Den Witwen der Opfer des Attentats gingen diese Gesten nicht weit genug, sie forderten vom IOC darüber hinaus eine offizielle Schweigeminute bei der Eröffnungsfeier, die ihnen verweigert wurde mit Verweis auf die Verpflichtung des IOC zu politischer Neutralität im Rahmen der Spiele selbst.97 4. Trauertrikots und Fanfriedhöfe Auch die Trikots der Spieler und Fans können als Medium für sepulkralkulturelle Botschaften eingesetzt werden. So erschienen beispielsweise anlässlich der 65. Wiederkehr des Geburtstags von James „Jinky“ Conolly Johnstone (1944– 2006) zahlreiche Fans mit „commemorative shirts“ auf den Rängen des Stadions Celtic Park. Auf ihnen waren der Name und die Lebensdaten der Spielerlegende verbunden mit der Formel „R.I.P.“ zu lesen. Unvergessen sind die unter den 94 95

96 97

BERLINS, Can applause really replace the minute’s silence? Vgl. FOSTER/WOODTHORPE, Golden Silence, 58; Beitrag THOMA, in diesem Band S. 102. – Zu den in deutschen Stadien üblichen Formen des Ablaufs von Schweigeminuten und zu ihren Anlässen vgl. HEBENSTREIT, Schweigeminute. CHRISTIAN GRUBER, 1. FC Kaiserslautern e.V., Pressesprecher/Leiter PR, E-Mail vom 24.5.2012. Vgl. DPA, Harte Vorwürfe gegen das IOC.

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Vereinstrikots getragenen T-Shirts, die Sergio Ramos und Andrés Iniesta mit Trauerbotschaften für verstorbene Kameraden versehen hatten und während des Spiels der Medienöffentlichkeit präsentierten.98 Fußballvereinsgemeinschaften können sich auch ganz spontan, außerhalb des Stadions und ohne Unterstützung des jeweiligen Fußballvereins oder der Fanclubs konstituieren, beispielsweise nach einem Verkehrsunfall (Abb. 2). Nachdem der Celtic-Fan Jai Jolly an der A 75 bei der südwestschottischen Stadt Newton Stewart tödlich verunglückt war,99 wurde an der Unfallstelle kein Kreuz, wie es in Deutschland und vielen anderen Ländern üblich wäre, errichtet. Vielmehr statteten Fans den Todesort mit Celtic-Trikots aus, auf denen Trauerbotschaften zu lesen waren (Abb. 3 und 4). Aber nicht nur Celtic-Fans, sondern auch Anhänger anderer Vereine, beispielsweise des Ferrytoon Football Club oder des Arsenal Football Club, erwiesen sich mit ihren eigenen, signierten Trikots in der gemeinsamen Trauer solidarisch (Abb. 5). Sie bezeugten damit die Zusammengehörigkeit der Fußballclubs, deren Mannschaften an den Spieltagen zwar miteinander konkurrieren, aber gemeinsam in Ligen und Verbänden organisiert sind. Die nationalen und internationalen Verbände fungieren gleichsam als die „Megawahlfamilien“ der einzelnen Vereins- und Verbandsfamilien. Bei diesen Inszenierungen gemeinsamer Trauer geht es nicht um ewiges Leben, um ein Dasein über den Tod hinaus, wie es die Religionen verheißen, sondern um Verbundenheit mit einem Fußballclub, der die Biographie der Fans maßgeblich bestimmt und auf ihrem irdischen Lebensweg zu einem Sinn stiftenden Lebensinhalt werden kann. Mit der Gruppierung von Trikots und Blumen am Straßenrand nehmen die trauernden Fans eine symbolische Aneignung der Orte vor, an denen gleichgesinnte Menschen durch Unfälle zu Tode gekommen sind. Kreuze und Fußballclubtrikots am Straßenrand gehören zu jenen „spontaneous shrines“,100 die den öffentlichen Raum sakralisieren und emotionalisieren. Die für Jolly an der A 75 bei Newton Stewart platzierten Fan-Trikots und -schals und Blumengebinde sind, wenn auch sehr viel kleiner dimensioniert, ebenso ein „temporary memorial“101 wie jener „commemorative shrine“, den Fans im Stadion an der Anfield Road aus Blumen, Schals und Trikots für die Toten der Katastrophe von Hillsborough102 spontan errichtet hatten. Alles andere als spontan gestalten sich die von der Bestattungsbranche und den Fußballclubs ergriffenen Initiativen zur Gründung von Fanfriedhöfen. Im Jahr 2008 wurde mit dem „HSV-Grabfeld“ im Hamburger Hauptfriedhof Altona eine Fannekropole medienwirksam eröffnet.103 Sie liegt in Hörweite zum Stadion des Hamburger Sportvereins und geht auf die Initiative eines Steinmetzen und 98 99 100 101 102 103

Vgl. ZORN, Gesamtkunstwerk; CÁCERES, Tor; DPA, Held. Vgl. NN, Terrible smash toll. Vgl. GRIDER, Spontaneous Shrines; SANTINO, Spontaneous Shrines. Vgl. DOSS, The Emotional Life. Vgl. dazu die Beiträge EYRE und RUSSELL, in diesem Band S. 175, 189f., 229, 233; vgl. ferner Beitrag QUECKENSTEDT, in diesem Band S. 250–253. Vgl. HERZOG, Wahre Leidenschaft, 168–173; EGGERS, Dem HSV treu.

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Abb. 2: Temporäre Gedenkstätte an der A 75, nahe der südwestschottischen Stadt Newton Stewart, wo ein Fan des Celtic FC im Jahr 2008 tödlich verunglückte.

Abb. 3: Blumensträuße und Celtic-Trikot mit Kondolenzaufschrift.

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Abb. 4: Celtic-Trikot mit Kondolenzaufschrift.

Abb. 5: Trikot eines Fan des Arsenal FC mit Kondolenzbrief in Plastikhülle.

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des mit ihm befreundeten Hamburger Friedhofsgärtners Lars Rehder zurück. Bezeichnenderweise ist Rehder Vorsitzender des Werbeausschusses im Bund deutscher Friedhofsgärtner. Die Inschrift auf einer Tafel im „HSV-Grabfeld“ bringt dessen Bestimmung prägnant auf den Punkt: „Hier sollen diejenigen Mitglieder und Fans des Hamburger Sport-Verein e.V. ihre letzte Ruhestätte finden, die auch über das Lebensende hinaus die Nähe zu Verein und Stadion suchen.“

In Amsterdam besteht eine derartige Anlage bereits seit 1996,104 und in Buenos Aires wurde bei den Boca Juniors die Gründung eines privaten Fußballfanfriedhofs realisiert, der bei Bedarf auf bis zu 12.000 Grabstätten erweitert werden kann.105 Das Amsterdamer Beispiel macht Schule, so planen die Fußballvereine FC Twente und Maastrichtse Voetbal Vereniging (MVV) eigene Bestattungsplätze für ihre Anhänger,106 und für Schalke-Fans wurde im Sommer 2012 auf dem Friedhof Beckhausen-Sutum ein stadionförmiges Gemeinschaftsgrabfeld für Urnen- und Reihengräber mit blau-weißem Ziergarten und Blick auf die VeltinsArena in Aussicht gestellt.107 Beisetzungen auf Fanfriedhöfen wollen nicht so sehr dem Individuum als einzigartiger Persönlichkeit ein Denkmal setzen, vielmehr intendieren sie eine Demonstration von Zugehörigkeit, ein Bekenntnis zur „Wahlfamilie“108 eines Fußballclubs. Diese Nekropolen haben historische Vorläufer in den Gemeinschaftsfriedhöfen von Berufsgruppen und religiösen Vereinigungen (Zünfte, Diakonissen, Ordensangehörige, Bruderschaften)109 sowie anderen Sonderfriedhöfen. Die Beisetzungen in den Fannekropolen von Hamburg und Amsterdam oder die Ascheverstreuungen in britischen Stadien liegen voll im Trend einer Pluralisierung der Bestattungsformen in Europa. Sie markieren eine soziokulturelle Standortbestimmung, dienen der Sicherung postmortaler Identität,110 spiegeln den Lebenslauf der Verstorbenen und geben Zeugnis von einer ihr Leben erfüllenden Passion. Sie haben nicht zuletzt auch eine Emigration der Toten aus den kirchlichen und kommunalen Friedhöfen zur Konsequenz und führen die Eigenart von Fußballclubs als transgenerationaler Gemeinschaften eindrucksvoll vor Augen.

104 105 106 107 108 109 110

Vgl. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 194–196. Vgl. NN, Erster Fußballer-Friedhof der Welt; NN, Loyality to Boca Juniors. Vgl. TOL, Na het fluitsignaal; NN, Speciaal grafveld. – Für diese Hinweise danke ich Henk Mees, WE’s-Hertogenbosch. Vgl. LESZINSKI, Fan-Feld auf dem Friedhof. Zur Stilisierung von Fußballclubs als Wahlfamilien vgl. HERZOG, Familie, 168–226. Vgl. SÖRRIES, Alternative Bestattungsformen, 147–155. Vgl. dazu SÖRRIES, Alternative Bestattungsformen, 146f.

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34 5. Gefallenengedenken: Ehrentafeln – Heldensportfelder – Kriegerdenkmäler

Die Fußballclubs haben nur wenige eigene Medien der Erinnerung an vergangene Sportereignisse und des Gedenkens an verstorbene Spieler hervorgebracht. Stattdessen übernahmen sie die Praktiken und Routinen ihres kulturellen Umfeldes, beispielsweise die Gedenktafeln und Gefallenendenkmäler für die Weltkriegstoten.111 Unter dem Eindruck der immensen Verluste auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs entstanden bereits in den Kriegsjahren, wenn auch in geringem Umfang,112 vor allem aber in der Frühzeit der Weimarer Republik, besondere Orte des Gedenkens für die Gefallenen, und zwar nicht nur in den Großund Mittelstädten, sondern auch in den Dörfern der ländlichen Regionen.113 Die erste große Welle der Errichtung von Kriegerdenkmälern verebbte um 1923.114 Kriegerdenkmäler im Zentrum der Ortschaften und Gedenktafeln in den Kirchen mit den Namen der Gefallenen und Vermissten sind in zahllosen Städten und Gemeinden bis heute erhalten geblieben. Das Gedenken an die Kriegsgefallenen nahm die kultischen Züge einer profanen Heiligenverehrung an. Einzelne Betriebe und Behörden, Kirchengemeinden, Synagogen, Schulen und andere Institutionen bemühten sich, das Gedenken an „ihre“ Toten in der Heimat ebenso wachzuhalten wie zahllose Kulturvereine, unter ihnen auch die Turn- und Sportvereine.115 In der Weimarer Zeit entstand eine hochgradig fragmentierte Memorialkultur. Die kulturellen Vereine waren teils lange Jahre vor dem Krieg gegründet worden und verfügten bereits über eine Infrastruktur des Totengedenkens, sodass sie zunächst die von 1918 an aufblühende Gefallenenmemoria dominierten, die dann jedoch von den Kriegsveteranenvereinen usurpiert wurde.116 Dass gerade die Turner und Sportler ein ausgeprägtes, ritualisiertes und öffentliches Totengedenken pflegten, war darin begründet, dass die Aktiven 1914 in großer Zahl dem Ruf zu den Waffen gefolgt waren. Ihr Mobilisierungsgrad war überdurchschnittlich hoch.117 Nach dem Krieg waren sie nicht nur von den Gemeinschaftserfahrungen des Sports, sondern nun auch von denen des Schützengrabens geprägt. Und die Kameraden, die nicht mit ihnen aus dem Feld zurückgekehrt waren, sollten auch weiterhin durch Orte und Rituale des Gedenkens in das lokale Vereinsleben eingebunden bleiben. Deshalb errichteten die Turnvereine und Sportclubs in der Weimarer Zeit zahlreiche Kriegerdenkmäler (Abb. 6) und gedachten „ihrer“ Gefallenen in den vereinseigenen Printmedien.118 Sie übernahmen die zeremoniellen Formen der Totenmemoria, die Symbolsysteme und visuellen Medien des Gedenkens, wie 111 112 113 114 115 116 117 118

Vgl. Beitrag THOMA, in diesem Band S. 95–97, 103–105. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 39. Dazu und zum Folgenden WEIGAND, Kriegerdenkmäler, 213–215 (Lit.). Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 89. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 46, 65, 76, 91. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 44–47, 65–67, 70–72, 76–78, 91f., 105. Vgl. TAUBER, Schützengraben, 27, 64–66; EGGERS, Fußball, 26f. Vgl. TAUBER, Schützengraben, 375–383.

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Abb. 6: Stadion Betzenberg in Kaiserslautern, Zeremonie der Einweihung des noch verhüllten Gefallenendenkmals am 21. Juni 1925, 3.v.r. im Anzug neben den Büschen Karl Wünschel.

sie in den verschiedensten Kulturvereinen weite Verbreitung gefunden hatten: Kriegerdenkmäler und Gedächtnistafeln aus Stein auf den Sportplätzen, Ehrentafeln in den Fest- und Zeitschriften sowie Bilder und Tafeln, die für die individualisierende Beschriftung und den Aushang in den Vereinslokalen vorgefertigt wurden. Spezifisch für die Vereine und Verbände der Leibesübungen waren einerseits die zu Ehren prominenter Kriegstoter gegründeten Wettkämpfe119 und die Ehrung gefallener Mitglieder im Rahmen von Sportveranstaltungen. Eigene „Helden-Spielplätze“ bzw. „Ehrenkampfplätze“ sollten zum Gedenken an die gefallenen und vermissten Sport- und Militärkameraden sowie zur Abhaltung von Sportveranstaltungen und Sängerwettstreiten angelegt werden,120 was aber nur in wenigen Fällen geschehen sein dürfte. Kriegerdenkmäler wurden bisweilen in der Gestalt eines Fußballs in Stein gehauen – berühmt ist das Ehrenmal für die Gefallenen der SpVgg Fürth oder das „Unseren Helden“ gewidmete Kriegerdenkmal des VfR Wormatia 08 Worms.121 Nur unter diesen Rücksichten ist „eine eigenständige Erinnerungskultur“122 in den Turn- und Sportvereinen entstanden, die sich von anderen Kulturvereinen markant unterscheidet.

119

120 121 122

Vgl. beispielsweise die „Kriegserinnerungsspiele“ in Berlin (KOERFER, Hertha, 140f.) oder die „Richard-Buch-Gedächtnisspiele“ in Kaiserslautern (HERZOG, Betze, 44, 246); ferner TAUBER, Schützengraben, 377. Vgl. Stadtarchiv Kaiserslautern, A III, 5300/48. Vgl. dazu HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 185. TAUBER, Schützengraben, 25.

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Was in der Zeit der Weimarer Republik fehlte, war ein gesellschaftlicher Konsens über die Interpretation des Kriegsendes. Ebenso wie der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und dessen Sportgruppen stilisierten die bürgerlichen Turn- und Sportvereine den Weltkriegstod als freiwilliges, heroisches Opfer für das Vaterland – eine Deutung, die von der sozialdemokratischen Erinnerungskultur und Arbeitersportbewegung kritisch bis ablehnend gesehen wurde.123 Auf der anderen Seite war die national-konservative Sicht des zum Opfer überhöhten und sakralisierten Soldatentodes mit dem ganzen Pathos seiner Heroisierung ein Band, das jüdische und nicht jüdische Veteranen bis in die NS-Zeit hinein zu einer Erinnerungsgemeinschaft vereinte.124 Denn die Verbände und Vereine unterschieden beim Weltkriegsgefallenengedenken in aller Regel nicht zwischen jüdischen und nicht jüdischen Kameraden. Nur vereinzelt gab es Akte der Eliminierung der Namen jüdischer Weltkriegsteilnehmer aus bereits vor 1933 bestehenden Denkmälern (siehe dazu unten S. 51). Heute spielt das Gedenken an die Gefallenen der Weltkriege in deutschen Sportvereinen keine besondere Rolle mehr – ganz anders in Großbritannien, beispielsweise in Schottland, wo die Spieler der Fußballclubs am „Remembrance Sunday“ mit einer auf die Trikots aufgestickten roten Mohnblüte auflaufen, eine Schweigeminute oder Minutenapplaus zelebrieren (siehe oben S. 25–29). Beim Heart of Midlothian FC konstituiert das Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs einen essentiellen Teil der kulturellen Identität des Fußballclubs – „its collective heart“.125 Dies hat folgenden Hintergrund: Die Ligamannschaft der Hearts hatte im November 1914 die ersten acht Spiele gewonnen. Sie war souveräner Tabellenführer, als Secretary of State for War, Field-Marshal Rt. Hon. Horatio Herbert, Earl Kitchener of Khartoum zu den Waffen rief.126 Hearts war der einzige britische Fußballclub, dessen komplette erste Mannschaft sich zur Armee meldete. In den Jahren 1915 bis 1917 wurden sieben Spieler auf den Schlachtfeldern Frankreichs und Belgiens getötet, vier von ihnen an der Somme. „Instead of being celebrated for their skills on the football field, it was the battlefields which became their legacy.“127 Über vierhundert Anteilseigner des Clubs und mehr als 1.300 Fans sollen ihren Idolen an die Front gefolgt sein. „Many of those fans died alongside their heroes in the trenches, as C Company of the 16th Battalion of the Royal Scots Guards.“128 Jack Alexander hat die Geschichte dieser Spieler in einem mehrfach nachgedruckten, 320 Seiten umfassenden Buch ausführlich in allen sportlichen und militärischen Details beschrieben.129 Wie beim Liverpool FC die Toten der Stadionkatastrophen von Heysel und Hillsborough in die Sym-

123 124 125 126 127 128 129

Vgl. TAUBER, Schützengraben, 379–383; GRADY, German-Jewish Soldiers, 60–62 u.ö. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers. GORDON, From Tynecastle. Vgl. ALEXANDER, McCrae’s Battalion, 39–41. GORDON, From Tynecastle. GORDON, From Tynecastle. Vgl. ALEXANDER, McCrae’s Battalion.

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bolik, Emblematik und Erinnerungskultur des Fußballclubs eingegangen sind,130 so konstituieren die Weltkriegsgefallenen der Ligamannschaft des Heart of Midlothian FC von 1914 einen wesentlichen Bestandteil der soziokulturellen Identität des schottischen Traditionsvereins. Im Jahr 1922 errichtete der Club in Edinburgh eine Gedenkstätte am Verkehrsknotenpunkt Haymarket, die mit Spenden finanziert worden war. Hier hatte das Armeebüro gelegen, in dem sich die komplette Hearts-Mannschaft zu den Waffen gemeldet hatte und als Rekruten ausheben ließ.131 Seit 1922 versammeln sich Spieler, Funktionäre und Fans am „Armistice Day“ bzw. „Remembrance Sunday“ um 11 Uhr vormittags beim „Haymarket monument“ zu einer Zeremonie des Gedenkens, in deren Verlauf Mohnblütenkränze niedergelegt werden und „the traditional two minutes’ silence“132 auf der Agenda steht. Spieler lesen, begleitet von einer Kapelle der Heilsarmee, aus Soldatenbriefen.133 Im Jahr 2004, 90 Jahre nachdem sich die Spieler hatten rekrutieren lassen, errichtete der McCrae’s Battalion Trust in Contalmaison in der Picardie eine weitere Gedenkstätte134 – in unmittelbarer Nähe zu den Schlachtfeldern an der Somme, auf denen die meisten Hearts-Profispieler ihr Leben gelassen hatten. Indem die Spieler „the ultimate sacrifice“135 „for King and Country“136 erbracht hatten, hatten sie „valour over victory“137 gestellt. Am 11. November 2007 trug die Hearts-Mannschaft beim Premier LeagueMatch gegen den Aberdeen Football Club im Tynecastle Stadium eine rote Mohnblüte auf der Brust und „its collective heart on its sleeve“138 – einen Textilstreifen mit den Namen der sieben gefallenen Spieler, der auf die Ärmel der Trikots gestickt war. Nach dem Match wurden die Textilien auktioniert. Diese Aktion machte so großen Eindruck, dass im Jahr darauf, wie oben geschildert, alle schottischen Erstligamannschaften, „as part of PoppyScotland’s national campaign“,139 am „Remembrance Sunday“ in Trikots mit roter Mohnblüte aufliefen. Und wiederum ein Jahr später, am 7. November 2009, traten die HeartsSpieler in einem „special commemorative jersey“140 im Stadion Tynecastle gegen den Hibernian Football Club Edinburgh an. Auf dieses „commemorative shirt“141 waren das Vereinswappen, eine rote Mohnblüte und eine Abbildung des Hay130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141

Vgl. Beitrag EYRE, in diesem Band S. 174, 192. Vgl. ALEXANDER, McCrae’s Battalion, 72–78. GORDON, From Tynecastle. Vgl. GORDON, Hearts team. Vgl. WALKER, Hearts were first team of heroes. Website Heart of Midlothian Football Club, Hearts ‚remember‘ with commemorative shirt, 21.10.2009. GORDON, From Tynecastle. GORDON, Hearts team. GORDON, From Tynecastle. GORDON, Hearts team. Website Heart of Midlothian Football Club, Hearts ‚remember‘ with commemorative shirt, 21.10.2009. Ebd.

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market „War Memorial“ gestickt. Gleichzeitig wurde über die Fanartikelshops eine limitierte Auflage von Hemden mit Clubwappen, Mohnblüte und einer Ansicht des Kriegerdenkmals von Contalmaison verkauft. Der Erlös wurde zu gleichen Teilen an Erskine, PoppyScotland und McCrae’s Battalion Trust gespendet.142 Umso größer war die Empörung der britischen Fußballverbände, als die FIFA im November 2011 das Tragen von Mohnblütenapplikationen auf den offiziellen Trikots der Ländervertretungen zunächst verboten hatte, um die politische und religiöse Neutralität des Fußballsports zu schützen. Mit Unterstützung des damaligen DFB-Generalsekretärs Wolfgang Niersbach setzten sich die britischen Verbände schließlich insofern durch, als sie bei den Freundschaftsspielen am „Remembrance Sunday“ 2011 mit Mohnblütenapplikationen auf schwarzen Armbinden auflaufen durften.143

Die Beziehungen des Heart of Midlothian Football Club zu den Themen Krieg und Kriegsgefallenengedenken werden nicht nur retrospektiv und vergangenheitsorientiert inszeniert. Vielmehr pflegt der Club eine Kooperation mit der genannten Organisation Erskine, die 1916 gegründet wurde, um ehemalige Angehörige der britischen Armee in Schottland auf vielfältige Weise zu betreuen und ihnen die Rückkehr ins zivile Leben zu erleichtern.144 Damit gelingt es dem Fußballclub, das Gedenken an seine im Ersten Weltkrieg gefallenen Fußballsoldaten mit der Bewältigung der Herausforderungen der aktuellen Kriege und deren Folgen überzeugend zu verbinden. 6. Vom Kriegstotengedenken zu einem allgemeinen, zivilen Totengedenken Manche der nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen Ehrenmale, Totengedenksteine und -tafeln transportierten revanchistische Parolen wie „Und ihr habt doch gesiegt“. Andere Kriegerdenkmäler wie beispielsweise die der Frankfurter Eintracht oder des 1. FC Kaiserslautern wurden ohne politische Botschaften den verstorbenen Mitgliedern gewidmet. Bei dem 1933 eingeweihten EintrachtEhrenmal findet man unter der knappen Inschrift „Unseren Toten“ die Datierung „1914–1918“. In der Festschrift von 1949 erweiterte die Eintracht den Kreis jener Verstorbenen, derer sie gedachte, indem die darin abgedruckte Gedenkseite auch Verstorbene nennt, bei denen es sich nicht um Gefallene handelt – beispielsweise die jüdischen Emigranten Bensemann, Blütenthal und Neumann. Das Ehrenmal der Eintracht indes war durch die symbolische Beigabe des Soldatenhelms und die Jahresangaben eindeutig auf die Toten des Ersten Weltkriegs festgelegt. In der Nachkriegszeit diskutierte die Vereinsführung kontrovers darüber, ob ein damals 142 143 144

Ebd. Vgl. EDWARDS/SALE, Now Germans back us to wear poppies; JONES, Fifa climbs down over poppies ban; FA statement: Remembrance Day, 9.11.2011. Vgl. Erskine Hospital Ltd .

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Abb. 7: Stadion Betzenberg in Kaiserslautern, Einweihung des Gefallenendenkmals im Jahr 1925, Franz Meister mit EK I am schwarzen Gehrock rechts neben dem noch verhüllten Denkmal.

geplanter neuer Gedenkstein die Toten der beiden Weltkriege eigens nennen sollte oder ob es genügte, das Ehrenmal pauschal „Unseren Toten“ zu weihen, was 1955 schließlich geschah.145 In eine ähnliche Richtung lief die Entwicklung beim 1. FC Kaiserslautern. 1925 wurde im Stadion Betzenberg ein 3,60 Meter hohes „Ehrenmal“ im Rahmen der Feierlichkeiten zum 25-jährigen Gründungsjubiläum den 72 gefallenen Mitgliedern des Vereins geweiht (Abb. 7). Eine zwei Meter starke Säule trug die in Sandstein gehauene Figur eines halb knienden, halb sitzenden Trauernden, der die rechte Hand auf den nach vorn gebeugten Kopf legt. Eine zweispaltige, an der Säule angebrachte Metalltafel listete die Namen der Weltkriegsgefallenen des FCK und deren Todesdaten auf. Die Tafel war mit den Worten „Treuer deutscher Helden / 1914 * Ehrentafel * 1918“ überschrieben. Nach 1945 entfernte man mit dem Sockel auch die Namenstafel und damit die auf den Kriegstod hinweisenden Zeichen, statt das Denkmal mit den Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs zu erweitern. Die Figur des Trauernden selbst weist keine militärischen Insignien oder politischen Botschaften auf, sie ist deshalb auch für ein ziviles Totengedenken geeignet. Sie wurde bereits 1925 als Personifikation des Sports gedeutet: „Es trauert der Sport um seine toten Jünger,“146 interpretierte

145 146

Freundliche Mitteilungen von Matthias Thoma; vgl. ferner Beitrag THOMA, in diesem Band S. 104f. FRANZ MEISTER, zit. in: NN, „Das Silber-Jubiläum des F.V.K.“, in: Pfälzer Volksbote: Beilage Sport am Sonntag, 22.6.1925.

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Franz Meister (1888–1962) das Denkmal bei dessen feierlicher Enthüllung und Einweihung (Abb. 8 und 9).

Abb. 8: Das bereits enthüllte Gefallenendenkmal, Stadion Betzenberg zu Kaiserslautern, 21. Juni 1925.

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Abb. 9: Festlicher Aufmarsch zur Enthüllung und Einweihung des Gefallenendenkmals im Stadion Betzenberg am 21. Juni 1925.

Meister, geboren in Winnweiler als Sohn eines Gastwirts, studierte in München und Würzburg Rechts- und Staatswissenschaft. Er verlor 1915 in den Kämpfen bei Arras die rechte Hand, wurde mit einer 1918 publizierten Arbeit über „Die Verträge über religiöse Kindererziehung“ promoviert. Er arbeitete in verschiedenen Positionen und Funktionen bei Gerichten, Landratsämtern und der Regierung der Pfalz. Von 1928 bis 1933 leitete er als Oberregierungsrat das Arbeitsamt Kaiserslautern. Mehrfach war er, was hier nicht im Detail ausgeführt werden kann, in Auseinandersetzungen mit Parteibonzen, „Alten Kämpfern“, Kreis- und Gauleitern der NSDAP verwickelt, da er seine Tätigkeiten im öffentlichen Dienst keinem parteipolitischen Opportunismus unterordnen wollte, sich deshalb den Vorwurf „eines passiven Widerstandes“ einhandelte, 1936 in „Schutzhaft“ genommen und mehrfach strafversetzt wurde. Von 1947 bis 1950 amtierte er als Landrat des Kreises Rockenhausen und konnte einen Anspruch auf Wiedergutmachung des ihm in der NS-Zeit geschehenen Unrechts durchsetzen.147 Meister war Anhänger des FCK. Er war verschwägert mit Karl Wünschel (1884– 1959), einem Gründungsmitglied, Spieler und langjährigen Funktionär des 1. FC Kaiserslautern.148 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es Meister war, der die Festansprache bei der Enthüllung und Einweihung des Kriegsgefallenendenkmals auf dem Betzenberg gehalten hat. Ebenso wie Meister war Wün147

148

Dazu und zum Vorhergehenden: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, MInn 64585; Landesarchiv Speyer, H 14, Nr. 2159; Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 860P Nr. 10715. Für Recherchen und Auskünfte zu Franz Meister danke ich Dr. Paul Warmbrunn, Landesarchiv Speyer; Gerd Rauland und Dieter Kämmer, Stadtarchiv Kaiserslautern; Emmerich Fortenbach, Hamburg. Zu Wünschel vgl. HERZOG, Betze, 15f.

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schel149 kritisch distanziert zur antibürgerlichen und militaristischen Ideologie des Nationalsozialismus eingestellt. Eine politisch indifferente Haltung ist für den DFB-Fußball und seinen sozialen und kulturellen Integrationskurs150 charakteristisch. Sie zeigt sich in Symbolik und Ikonografie des Gefallenendenkmals und in dem politisch neutralen Totengedenken, das der FCK seit der Zeit der Weimarer Republik gepflegt hat,151 ohne sich die revanchistischen Parolen der politischen Rechten („Und ihr habt doch gesiegt!“) oder die pazifistischen Botschaften der Linken („Nie wieder Krieg!“) zu eigen zu machen.

Durch die Beseitigung der Tafeln mit den Namen der im Ersten Weltkrieg umgekommenen Mitglieder wurde die Figur als symbolischer Träger eines allgemeinen, vereinsinternen Totengedenkens brauchbar gemacht, ihre „soziale Reichweite“ auf alle verstorbenen Vereinsmitglieder ausgedehnt. Die Personifikation des trauernden Sports steht heute am Rand eines Nebenplatzes auf einem niedrigen Fundament mit der Inschrift „Unseren Toten“. Anders die Festschrift des FCK aus dem Jahr 1950: Sie führt unter der Überschrift „Unseren Toten der beiden Weltkriege zum Gedächtnis“ die Namen aller Weltkriegsgefallenen in alphabetischer Reihenfolge auf und ist damit noch einem militärischen Vereinstotengedenken verhaftet.152 Die Gefallenendenkmäler der Turn- und Sportvereine sind nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Ihre Embleme und Inschriften, Symbole und Ikonographie geben Auskunft über das Selbstverständnis dieser Vereine als transgenerationale Gemeinschaften, über die Reichweite ihres Totengedenkens und möglicherweise auch die politische Positionierung der jeweiligen Vereinsführung. Sie wären es wert, einmal nicht nur punktuell, sondern auf einer breiteren Datenbasis systematisch untersucht zu werden. Dabei sollten auch die Zeremonien ihrer Einweihung und die Gestaltung der Rituale des vor ihnen jährlich vollzogenen Totengedenkens ebenso einbezogen werden wie der Vergleich der Gefallenendenkmäler der bürgerlichen Sportbewegung mit denen des Arbeitersports.153 7. Totenmemoria als politische Investition in der NS-Zeit In der NS-Zeit, insbesondere in den Kriegsjahren, erlebte der Kult um die Gefallenen und Vermissten des Ersten Weltkriegs – und nun auch der Opfer des neuen

149 150 151 152 153

Vgl. HERZOG, Betze, 15. Vgl. EGGERS, Fußball, 65–68, 90f.; LUH, Fußball als Massenphänomen, 41f.; HAVEMANN, Fußball, 35–38, 64f., 72. Vgl. HERZOG, Vereins-Zeitung, 437f.; DERS., Betze, 58. Dazu und zum Vorherigen HERZOG, Vereins-Zeitung, 437f.; DERS., FCK-Familie, 201– 203; DERS., Trauer- und Bestattungsrituale, 191f. Zu dem Mahnmal eines Arbeiterturnvereins und seinen Einweihungsfeierlichkeiten vgl. SCHÖNBERGER, Das Nie-wieder-Krieg-Mahnmal in Benningen; vgl. auch TAUBER, Schützengraben, 379.

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Krieges – einen neuen Aufschwung.154 Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Strategien der Sportvereine Hertha BSC Berlin und VfB Stuttgart, die das aus der Weimarer Zeit überkommene Gefallenengedenken ganz gezielt in Dienst nahmen, um vereinsinterne krisenhafte Situationen in der Vorkriegszeit des Nationalsozialismus zu meistern. Der Sportverein Hertha BSC Berlin instrumentalisierte die von ihm gepflegte Totenmemoria als politische Investition mit dem Ziel, eine wirtschaftliche Schieflage zu überwinden. Der Verein, der dem Nationalsozialismus eher distanziert gegenüberstand, befand sich 1936/37 in einer bedrohlichen Finanzlage,155 die er bewältigte, indem er sich auf verschiedenen Wegen dem NS-Staat anbiederte. Eine sehr öffentlichkeitswirksame Maßnahme im Rahmen dieser Strategie war ein „Gefallenen-Ehrenmal“, das die Hertha mit den Namen der 38 im Ersten Weltkrieg umgekommenen Vereinsmitglieder errichtete.156 Finanziert wurde die Maßnahme durch Kollekten unter den Mitgliedern. Bei der Einweihung am Karfreitag 1937 strich ein Hertha-Funktionär die vorbildhafte Begeisterung heraus, mit der die Sportjugend im Jahr 1914 bereit war, ihr Leben für Kaiser und Vaterland einzusetzen und zu opfern.157 Diese erinnerungspolitische Investition rentierte sich: Hertha BSC konsolidierte mit der Unterstützung der NSDAP seine Finanzen und kam sogar in den Besitz einer vereinseigenen Sportanlage. Von 1934/35 bis 1937 spielte sich im VfB Stuttgart ein ähnlicher Vorgang ab. Der Verein errichtete zwar kein neues Ehrenmal, mobilisierte aber ein nationalsozialistisch eingefärbtes Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Dem VfB, der im Gegensatz zu Hertha schon vor 1933 der nationalsozialistischen Bewegung mit Sympathie begegnet war, drohte damals der Verlust des von der Stadt gepachteten Spielgeländes auf dem Cannstatter Wasen. In dieser Situation erinnerte „Vereinsführer“ Hans Kiener an die „99 tapferen VfBl’er, die im Weltkriege dem Vaterland freudig ihr Leben opferten“, und verwies auf die Wehrertüchtigung, den gemäß der nationalsozialistischen Ideologie eigentlichen Zweck und das „Endziel“ der sportlichen Betätigung.158 Wie bei Hertha BSC Berlin zahlte sich der Rekurs auf die Totenmemoria als eines von mehreren Instrumenten in einem ganzen Set von Werbemaßnahmen für die Konsolidierung des VfB in jeder Hinsicht aus. Der Verein erhielt ebenfalls eine neue Spielstätte und großzügige finanzielle Unterstützung.159 In diesen beiden Fällen wurde ein politisiertes Totengedenken für die ökonomischen Interessen von Sportvereinen instrumentalisiert – ein Totengedenken finanziell angeschlagener Vereine zugunsten der Weltkriegsgefallenen als ideologisches Investment, mit dem sie gute Rendite verbuchen konnten. Auch der FC St. Pauli plante Mitte der 1930er Jahre die Errichtung eines bereits 1932 ange154 155 156 157 158 159

Vgl. WEIGAND, Kriegerdenkmäler, 215–218 (Lit.). KOERFER, Hertha, 29–33, 52f., 99–101. Vgl. KOERFER, Hertha, 75, 105–108, 113–118. Vgl. KOERFER, Hertha, 118. KIENER, zit. in: HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 218f. Vgl. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 218–221.

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dachten Ehrenmals für die im Weltkrieg gefallenen Vereinsmitglieder in der Sportplatzanlage auf dem Heiligengeistfeld, die aber aus juristischen Gründen nicht realisiert werden konnte.160 Das Weltkriegsgefallenengedenken in der Vorkriegszeit des Nationalsozialismus knüpfte an revanchistisches Gedankengut an, das teilweise bereits in der Weimarer Republik im Umlauf war, und legitimierte die Vorbereitungen eines zweiten Weltkriegs. Während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 diente die Totenmemoria innerhalb wie außerhalb der Vereine ganz unverblümt der Kriegspropaganda.161 Die Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg umgekommenen Mitglieder der Fußballvereine war ebenso eine öffentliche Angelegenheit wie im Nationalsozialismus das Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Die Tagespresse und Vereinspublikationen erinnerten in markigen Worten an jene Verstorbenen, die den „Heldentod“ gestorben waren, und widmeten ihnen Nachrufe. Stadtverwaltungen und NSDAP-Kreisleitungen legten Dokumentationen über die Gefallenen ihrer Verwaltungsgebiete an, die Vereine gedachten ihrer Kriegstoten coram publico durch Trauerflor und Gedenkminuten in eigens dafür anberaumten Spielunterbrechungen.162 Größte Anstrengungen wurden unternommen, um Sterben und Tod der „für Führer, Volk und Vaterland“ Gefallenen für das Gedächtnis der Nachwelt zu erhalten. Dagegen sind die Namen jener jüdischen Vereinsmitglieder, die emigrierten, vertrieben oder heimlich in Konzentrationslagern ermordet wurden, in verschiedenen Turn- und Sportvereinen einer gründlichen „damnatio memoriae“ (Erinnerungsvernichtung) verfallen. 8. Negative Erinnerungspolitik: „damnatio memoriae“ Das soziale Gedächtnis arbeitet immer selektiv, es ist soziokulturell ungleich verteilt und unterliegt vielfältiger Modifikation und dauernder Umarbeitung. Naturgemäß haben nicht alle Ereignisse, hat nicht jeder Verstorbene in ihm Platz. Man muss Geschehenes auslassen, um Geschichte erzählen, man muss vergessen, um erinnern zu können. Nur wer auswählt, kann vergangene Geschehen zu einem Thema bündeln und darstellen.163 Wer eine Geschichte erzählen will, muss die ihm vorliegenden Daten konfigurieren, Schwerpunkte setzen, Episoden auslassen, sich für eine Perspektive entscheiden. Von daher versteht sich Paul Ricœurs Plädoyer, das Vergessen nicht nur für „das Gegenteil, den Feind der Erinnerung zu halten“.164 Dieses ebenso erkenntnistheoretische wie sozial160 161 162 163 164

Vgl. BACKES, FC St. Pauli, 68–72. Vgl. beispielsweise HERZOG, Betze, 56–58; WEIGAND, Kriegerdenkmäler, 215–218 (Lit.). Vgl. dazu beispielsweise HERZOG, Betze, 55–64. Vgl. RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 136–142, sowie Beitrag SCHLUMBOHM, in diesem Band S. 355. RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 131.

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anthropologische Faktum wirkt sich auch auf das kollektive Gedächtnis des Sports aus. So sind zeitlich weit zurückliegende Freundschaftsspiele häufig sehr viel schwerer rekonstruierbar165 als die in Verbänden organisierten Liga- und Cupmatches, denen ein vergleichsweise wichtigerer Rang eingeräumt wurde. Die Erinnerung an bestimmte Persönlichkeiten und ganze Personengruppen überdauert, andere werden vergessen.166 Die Identifizierung selbst wichtiger Persönlichkeiten in der Geschichte eines Fußballclubs erweist sich häufig als schwierige Aufgabe. Für das Verschwinden, Vergessen und Verdrängen von Ereignissen und Personen aus dem kulturellen Gedächtnis können aber auch dezidiert politische Motive den Ausschlag geben. So beispielsweise in Elsass und Lothringen, wo mit den Grenzverschiebungen nach den deutsch-französischen Kriegen jeweils nicht nur Denkmäler geschleift, die Namen von Städten und Sportvereinen gelöscht und durch andere ersetzt, sondern auch Biografien umgeschrieben und ganze Kapitel der Sportgeschichte unter den Teppich gekehrt wurden.167 Weitere markante Beispiele liefern die nationalsozialistische und die staatssozialistische Epoche. Von 1933 an wurden vielfältige Versuche unternommen, jüdische Sportler, lebende wie tote, und ihre Verdienste aus dem Gedächtnis des Fußballs zu tilgen. Gerade bei der Konstruktion kollektiver Identitäten kann man einen manipulativen und „pervertierten Gebrauch der Selektion“168 von Erinnerung beobachten. Bis weit über 1945 hinaus verweigerten der DFB und die DFB-Vereine den ehemaligen jüdischen Kameraden, von denen viele die NS-Zeit nicht überlebten, in ihrer Erinnerungsmatrix den ihnen gebührenden Platz, was jedoch zumeist nicht aus böser Absicht, sondern aus Unkenntnis und Scham geschah. Der generelle „Anspruch des Gedächtnisses“, der Wahrheit „getreu zu sein“,169 wurde hier in besonderem Maß verletzt. Damit wuchs der Fußballhistoriografie die Aufgabe zu, „nicht nur gegen die Vorurteile der kollektiven Erinnerung zu kämpfen, sondern auch gegen die des offiziellen Gedächtnisses“, wie Ricœur „die kritische Funktion der Geschichte in bezug auf das Gedächtnis“170 beschrieb. Dass beispielsweise die Fachzeitschrift „Der Kicker“ mit Walther Bensemann von einem jüdisch-deutschen Fußballpionier ins Leben gerufen wurde, der überdies einen Vorgängerverein der Frankfurter Eintracht mitgegründet hat und zahlreiche andere Fußballclubs aus der Taufe zu heben half, war lange Zeit nur wenigen Spezialisten bekannt. In zahlreichen Monografien über bürgerliche Fußballclubs in der NS-Zeit wurde und wird diese Geschichte der Erinnerungsvernichtung revi165 166 167 168

169 170

So hat sich beispielsweise Javier García ([email protected]) die Statistik und Dokumentation von „British and Irish Clubs – Overseas Tours 1890–1939“ zur Aufgabe gemacht. Vgl. dazu FUCHS-HEINRITZ, Zerbrochene Vase, 128–134. Zu dieser „inszenierten Erinnerung“ vgl. Beitrag REICHELT, in diesem Band S. 368–383. RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 112f.; zur „memoria damnata“ als politischer Praxis im Nationalsozialismus und Stalinismus vgl. MEITZLER, Soziologie der Vergänglichkeit, 268–271. RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 23, vgl. ebd., 40. Dieses Zitat und das vorhergehende in: RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 124f.

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diert, ehemalige jüdische Mitglieder werden in das kollektive Gedächtnis der Vereine zurückgeholt.171 Die NSDAP wollte das jüdische Erbe auch des deutschen Fußballs im Orkus des Vergessens verschwinden lassen, die Erinnerung an jüdische Sportler vereiteln, ihre Namen und Verdienste aus den Annalen tilgen. Gleichwohl ist eine offizielle schriftliche Anordnung, die in diese Richtung zielte, bisher nicht bekannt geworden. Bei genauerer Betrachtung bietet der bürgerliche Vereinsfußball jedoch ein sehr uneinheitliches und in sich widersprüchliches Bild. Denn es lassen sich instruktive Beispiele sowohl für den erfolgreichen Vollzug als auch für das partielle Scheitern der „damnatio memoriae“ finden. Die Auslöschung jüdischer Sportler aus verschiedenen Medien, die eine „Lokalisierung von Erinnerung“172 bezweckten, ist in einigen Fällen gescheitert, in anderen indes gelungen. Einen markanten Fall liefert ein Bildband des Verlags „Der Kicker“ (Druck F. Willmy, Nürnberg), das unter dem Namen „Bilderwerk: Die deutschen Nationalspieler“ im Jahr 1939 erschienen ist.173 Es enthält eine alphabetisch in Wort und Bild (die meisten Porträts mit Autogrammen) aufbereitete Ahnengalerie jener Männer, die, wie das „Vorwort zum Bilderwerk“ feststellt, „einst das Trikot der deutschen Nationalmannschaft in Ehren getragen haben“.174 Gleichwohl sucht man auf den Seiten 26 und 35 nach zwei Namen vergeblich: nach Gottfried Fuchs, geboren 1889, und Julius „Juller“ Hirsch, geboren 1892. Es sind die einzigen deutsch-jüdischen Fußballnationalspieler. Beide fehlen in der Ahnengalerie also nicht zufällig. Aber ganz so einfach war es nicht, Hirsch und Fuchs zu vergessen, die Erinnerung an sie vollständig zu tilgen. Beide waren in der Kaiserzeit ungemein beliebte Spieler, deren Namen man häufig in der Presse lesen konnte. Fuchs hatte mit zehn Toren in einem Länderspiel (16:0 gegen Russland bei den Olympischen Spielen 1912) einen bis heute bestehenden nationalen Rekord aufgestellt. Nie wieder erzielte ein deutscher Nationalspieler so viele Tore in einem einzigen Match. Fuchs konnte sich 1937 durch Emigration nach Kanada retten, Hirsch indessen wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Die Unterschlagung von Fuchs und Hirsch aus dem „Bilderwerk“ war ein politisch motivierter Fall von Erinnerungsvernichtung. Derartige „abolitio memoriae“ oder „memoria damnata“ hat große Tradition. In der Politik- und Rechtsgeschichte geht sie bis in die römische Kaiserzeit und das alte Mesopotamien 171

172 173 174

Vgl. die im Beitrag SCHLUMBOHM zum DSC Armina Bielefeld, in diesem Band S. 363f., zitierte Literatur, sowie PEIFFER/WAHLIG, Juden im Sport, 55–407, oder die Biografien über Julius Hirsch: TÖNNIHSEN, Julius Hirsch; SCHOLLMEYER, Julius „Juller“ Hirsch; SKRENTNY, Julius Hirsch. RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 22. MÜLLENBACH/BECKER, Bilderwerk. Ebd., Vorwort. – In dieses Vorwort schleicht sich als Bezeichnung für die Nationalspieler der Begriff die „Internationalen“ ein, der nach dem Willen des „Völkischen Beobachters“ aus der Sportsprache eigentlich längst verbannt sein sollte. – Vgl. Völkischer Beobachter (Norddeutsche Ausgabe), 23.6.1933 und 20.10.1933; STRICKNER, Die geschichtliche Entwicklung, 65; HERZOG, „Eigenwelt“ Fußball, 24.

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zurück. Staatsverbrecher wurden damals nicht einfach nur hingerichtet und getötet. Vielmehr löschte man auch ihre Bildnisse und Namen aus den Annalen, Dokumenten und sonstigen kulturellen Zeugnissen. Nichts sollte von ihnen übrig bleiben, auch keine noch so kleinen Anhaltspunkte, die sie ins Gedächtnis zurückrufen könnten.175 Beide Techniken des Vergessenmachens der Antike wurden in dem „Bilderwerk“ auf die jüdischen Nationalspieler angewendet: die Namenstilgung und die Imagostrafe. Denn der Bildband verschweigt nicht nur die Namen und Kurzbiografien von Hirsch und Fuchs, sondern er unterschlägt auch ihre Abbildungen und Autogramme. In diesem Fall begegnen wir also unter den verschiedenen Varianten des Vergessens „dem unerbittlichen Vergessen“, das nicht nur das Abrufen von Erinnerung verhindern will, sondern, um wiederum Ricœur zu zitieren, darauf abzielt, „die Spur dessen, was man gelernt oder gelebt hat, auszulöschen. Es greift die Eingravierung der Erinnerung selbst an“, wobei „die Spur auszulöschen heißt, sie in Staub und Asche zu verwandeln.“176 Diese „damnatio memoriae“ von Fuchs und Hirsch hatte Jahrzehnte später noch eine bemerkenswerte Nachgeschichte. Denn im Jahr 1988 stellte die Kölner Firma „Sport & Buch Strauss: Fachbuchhandlung für Sport – Sport-Antiquariat – Verlag“ einen Reprint dieses Erinnerungswerks her, erschienen als Band 1 der Reihe „Sport und Buch Fußball-Reprints“, herausgegeben von Rudolf Strauß. Und wieder fehlten, sicher ohne bösen Vorsatz, die beiden jüdischen Nationalspieler. Durchaus absichtsvoll indessen sparte der Herausgeber jene beiden Seiten aus, die in der Originalausgabe den „Führer“ Adolf Hitler und den „Reichssportführer“ Hans von Tschammer und Osten glorifizierten, und wies im Impressum eigens darauf hin: „Die Seiten 3. und 4. (‚Der Führer und sein Reichssportführer‘/‚Der Führer empfängt National- und Meisterspieler‘) wurden nicht in diesen Nachdruck aufgenommen.“ Gleichwohl entfernte der Herausgeber Seite 7 nicht aus dem Reprint, obwohl sie einen Text mit der Überschrift „Einheitlich ausgerichtet“ enthält, der die von Hans von Tschammer und Osten „im Jahre 1933 durchgeführte straffe Organisation“ des Sports rühmt und den Reichssportführer auf einem Foto in SA-Uniform unter Nationalspielern zeigt. Insofern wurde die Absicht, das Andenken an Nazigrößen und die nationalsozialistische Sportpolitik zu verhindern, in diesem Reprint nur halbherzig umgesetzt. Ein ähnlicher Fall von Erinnerungsunterbindung widerfuhr dem HSV-Spieler, Nationalspieler und SS-Untersturmführer Otto Fritz „Tull“ Harder, der sich als KZ-Aufseher aktiv an den Verbrechen des NS-Staats beteiligt hatte und deshalb zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Dennoch wurde er nicht nur 1956 im Beisein von Vereinsoffiziellen mit HSV-Fahne auf dem Sarg beigesetzt, sondern auch 1974 in einer anlässlich der Fußball-WM vom Hamburger Senat publizierten Broschüre anerkennend in Erinnerung gerufen. Um einen Skandal zu vermeiden, wurde die ihm gewidmete Seite jedoch nachträglich aus allen Heften entfernt.177 175 176 177

Vgl. RIES, Damnatio memoriae, 238–246. RICŒUR, Das Rätsel der Vergangenheit, 131f. Vgl. MEYER, Sonderausstellung, 27f.

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Der nationalsozialistische Vorsatz, alles Jüdische aus den Annalen des Fußballsports zu tilgen, wurde nur unvollständig eingelöst. Wenn man die zeitgenössische Sportfachpresse oder den Sportteil der Tageszeitungen auswertet, stößt man immer wieder auf die genannten jüdischen Nationalspieler – zunächst auf Mannschaftsfotos und in Mannschaftsaufstellungen, aus denen man sie kaum unbemerkt hätte löschen können, zu derartigen plumpen Manipulationen griff erst die SED-Diktatur; sodann in Statistiken und Berichterstattung, so beispielsweise 1934 in einer „Ehrentafel“ der Nationalmannschaft178 oder 1939 in einem Bericht über „Jubiläumstorschüsse“179 oder 1941 in einem Rückblick180 auf die 50-jährige Geschichte des Karlsruher Fußball-Vereins. Sogar im Kriegsjahr 1942 erwähnte eine Nazi-Zeitung Gottfried Fuchs namentlich in einem Artikel über „Deutschlands beste Mittelstürmer“.181 Dass dies keine Einzelfälle sind, dokumentieren andere Beispiele. Sie belegen, dass die Medien die Namen jüdischer Sportler nicht immer konsequent eliminierten: Der Leichtathlet Willi Major (1890–1931), im Kugelstoßen beim VfR Mannheim süddeutscher Meister und im Fußball-Verein Kaiserslautern (FVK) Rhein-Main-Saar-Verbandsmeister, wurde im Juli 1940 in einer Chronik zum 40-jährigen Clubjubiläum in den Statistiken der Leichtathletikabteilung des 1. FC Kaiserslautern genannt.182 Auch Karl Maas wurde in der Sportfachpresse der NS-Zeit erwähnt: Noch 1939 lobte ihn „Der Kicker“, das amtliche Organ des NSRL, als einen der „verantwortlichen Männer“ der „fruchtbaren Vereinsperiode“183 des FVK in der Kaiserzeit. Der jüdische Jurist Maas war in Kaiserslautern Amtsrichter, er zog in der NS-Zeit nach Frankfurt, wo er sich unter anderem als Totengräber verdingen musste. Obwohl er zwei Mal in Konzentrationslager verschleppt wurde, überlebte er.184 Ein weiteres Beispiel für inkonsequent praktizierte „memoria damnata“ bietet die gebürtige Königsbergerin Lilli Henoch (1899–1942), die in der Nähe von Riga ermordet wurde. Sie war eine überaus erfolgreiche Leichtathletin, Handball- und Hockeyspielerin des Berliner Sport-Clubs (BSC). Wegen ihrer jüdischen Abstammung wurde sie ein Opfer der „Arisierung“ des öffentlichen Lebens. In der Ausgabe vom 1. August 1933 findet man ihren Namen in den „Clubnachrichten des BSC“ unter der Rubrik „Austritte bzw. Streichungen“. Eigentlich sollte sie damit aus den Annalen des Vereins definitiv verschwunden sein, dennoch wurde sie noch 1936 in einer offiziellen Auflistung der Clubrekor178 179 180 181

182 183 184

Ehrentafel der deutschen Fußballer: Die Spieler und die Anzahl ihrer Länder-Kämpfe, in: Der Kicker, Nr. 10, 6.3.1934, 10. Fußball – Illustrierte Sportzeitung, Nr. 40, 3.10.1939, 9. Vgl. ZÖLLER, 50 Jahre KFV. NN, Deutschlands beste Mittelstürmer, in: NSZ Westmark, 7.4.1942; zu der Hirsch und Fuchs geltenden „damnatio memoriae“ und zu ihrer lückenhaften Umsetzung vgl. auch SKRENTNY, Julius Hirsch, 252–258. Vgl. HERZOG, Betze, 16. ERICH MENZEL, zit. in: HERZOG, Betze, 35. Dazu und zum Vorherigen HERZOG, Betze, 32–36; THOMA, Eintracht Frankfurt, 200, 212.

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de des BSC im Zusammenhang mit Laufwettbewerben vier Mal namentlich genannt.185 Dagegen lässt sich in anderen Fällen die Eliminierung der Namen jüdischer Sportler en détail nachweisen. So waren die jüdischen Mitglieder aus dem 1. FC Nürnberg schon längst ausgeschlossen (1933), als die Vereinsführung im Jahr 1940 auch die Tilgung ihrer Namen auf die Agenda setzte. Den Anlass dazu bot die 76 Seiten starke Festschrift, die zum 40. Gründungsjubiläum gedruckt wurde. Die Namen von jüdischen Persönlichkeiten186 wie Dr. Leopold Neuburger, Siegfried Prager, Ernst Felix, Julius Limmer und Stefan Wangersheim, die sich in Sport und Jugendpflege, Publizistik und Verwaltung um den FCN verdient gemacht hatten, sucht man indes vergebens. Sie wurden, teilweise posthum, aus der „Ehrentafel“ der Inhaber des „silbernen Ehrenzeichens“ gestrichen. Zehn Jahre später, in der Festschrift zum 50-jährigen Gründungsjubiläum, wurden sie gleichwohl wieder aufgenommen.187 Die Geschichte von Eintracht Frankfurt liefert ebenfalls einen gut dokumentierten Fall von „damnatio memoriae“, den Matthias Thoma präzise recherchiert hat. Seit langem ist bekannt, dass die Geschichte dieses Vereins ohne jüdische Sportler, Funktionäre und Mäzene undenkbar ist. Deshalb gab Thoma seiner Studie über die Eintracht in der NS-Zeit den Titel: „Wir waren die Juddebube“. Die Spitznamen der Eintracht, „Juddeclub“ oder „Schlappekicker“, erinnern an jene jüdischen Mäzene, die sich bis 1933 um den Verein verdient gemacht hatten. Vor allem aktive Kicker wurden von jüdischen Unternehmern, insbesondere von (Haus-)Schuhfabrikanten („Schlappeschneidern“), die der Eintracht anhingen, angestellt und für Training und Wettkämpfe freigestellt. Fast die komplette Mannschaft, die 1932 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft dem FC Bayern München 0:2 unterlegen war, stand damals auf der Lohnliste der von jüdischen Geschäftsleuten geführten Hausschuhfabrik J. & C. A. Schneider.188 Nach 1933 wurde diese Allianz zwischen Sport und jüdischem Mäzenatentum nicht nur faktisch beendet, vielmehr bemühte sich die Eintracht darüber hinaus, auch das Gedächtnis an ihre jüdische Tradition zu tilgen. Diese Politik der „abolitio memoriae“ kann man in den Festschriften zu Gründungsjubiläen der 1920er und 1930er Jahre sehr gut nachvollziehen. In der Festschrift von 1939 zum 40. Gründungsjubiläum, es handelt sich um eine Sonderausgabe der „VereinsNachrichten“, fehlen im historischen Rückblick die Namen aller verdienstvollen jüdischen Vereinsmitglieder. Zu ihnen gehörten insbesondere Walther Bensemann, der berühmte, anglophile Sportjournalist, Gründer der Fachzeitschrift „Der Kicker“ und Mitgründer der Frankfurter Kickers 1899, eines Vorgängervereins der Eintracht; Bensemann starb 1934 im Schweizer Exil. Sodann Walter Neumann, ein stiller Teilhaber der Firma Adler & Neumann, der die Eintracht nicht nur finanziell unterstützte, son185 186 187 188

Vgl. EHLERT, Lilli Henoch, 68. Vgl. JOCHEM, Ruhmreiche Zeiten?, 280–282, 285–289. Vgl. SIEGLER, Fahrkarte, 28–32. Vgl. THOMA, Eintracht Frankfurt, 33.

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dern auch sichere Arbeitsplätze mit flexiblen Arbeitszeiten für die Sportler anbot. Er emigrierte nach England, betätigte sich wie in Frankfurt so auch in Blackburn, nun aber unter dem Namen Newman, als Schuhfabrikant. Ferner Hugo Reiss, von Beruf Einkaufschef, Betriebsleiter und Prokurist der Hausschuhfabrik Adler & Neumann; in der Eintracht trug er im Vorstand und als Schatzmeister Verantwortung, war als Schwimmer und Leichtathlet aktiv und floh vor der Shoa über Italien nach Chile, wo er zum erfolgreichen Geschäftsmann aufstieg. Und nicht zuletzt der Rechtsanwalt Dr. Paul Blüthenthal, ein beliebter Förderer und Leiter der Leichtathletikabteilung; er emigrierte mit seiner Familie 1939 ebenfalls nach Chile. Mit den Brüdern Fritz und Lothar Adler wurden in der 1939er Festschrift weitere wichtige jüdische Mäzene verschwiegen, und mit Arthur Cahn sogar der ehemalige Vorsitzende eines Vorgängervereins der Eintracht, der Frankfurter Kickers.189

Das Andenken an die Verdienste der jüdischen Förderer, Mäzene, Sportpioniere und Funktionäre sollte ebenso ausgelöscht werden wie ihre physische Existenz. Aber nicht nur dies. Die Tilgung der Namen wurde teilweise bis in die Listen der im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Vereinsmitglieder durchgesetzt. Diese Praxis gleicht der oben genannten Eliminierung der jüdischen Träger des für besondere Verdienste vergebenen „silbernen Ehrenzeichens“ aus der Ehrentafel des FCN. In der Festschrift von 1929 und in der mit „Unsere im Weltkriege 1914–1918 Gefallenen!“ überschriebenen Liste in den „Vereins-Nachrichten“ vom August 1933190 trauerte die Eintracht um 56 gefallene und vermisste Mitglieder, im Jahr 1939 waren es in der mit „Zum Gedenken“ betitelten Seite drei weniger.191 Es fehlen die Juden Walter Bendix, Hermann Levita und Alfred Rothschild, die gestrichen worden waren.192 Dies ist umso bemerkenswerter, als die Eintracht im Jahr 1935 aus anderen Vereinen verstoßene Juden aufgenommen hatte und noch 1938, also zu einem relativ späten Zeitpunkt, jüdischen Mitgliedern eine sportliche Heimat gab.193 Dennoch investierte die Eintracht 1939 größte Sorgfalt, um die Vereinspublizistik bis in die kleinsten Verästelungen hinein von den Spuren ihres jüdischen Erbes zu „reinigen“. Leider wurde der Umgang mit jüdischen Sportlern in den Gefallenenlisten der Turn- und Sportvereine bisher noch nicht systematisch untersucht. Eintracht Frankfurt und der 1. FC Nürnberg gehören zu den ganz wenigen Beispielen, die unter dieser Themenstellung punktuell erforscht wurden. Diese von Fußballvereinen geübte Praxis lässt sich mit der Behandlung der Namen jüdischer Bürger auf Denkmälern vergleichen, die für die Gefallenen und Vermissten des Ersten Weltkriegs errichtet wurden. Adolf Hitler und Joseph Goebbels hatten angeordnet, die Namen jüdischer Weltkriegsteilnehmer auf den 189 190 191 192 193

Dazu und zum Vorherigen THOMA, Eintracht Frankfurt, 140f. Vgl. Vereins-Nachrichten Frankfurter Sportgemeinde Eintracht e.V., Jg. 7, Nr. 8, August 1933, 1. Vgl. NN, Eintracht kämpfte in aller Welt, 1939, 11. Vgl. THOMA, Eintracht Frankfurt, 141f. Vgl. THOMA, Eintracht Frankfurt, 89f., 128.

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bereits bestehenden Denkmälern zu belassen, verboten jedoch ihre Eintragung auf neu errichteten Memorialstätten.194 Nur in ganz wenigen Fällen versuchten rassistische Fanatiker, in Heilbronn mit Erfolg, die Namen jüdischer Gefallener von den bis 1933 errichteten Denkmälern zu entfernen, wobei sie jedoch auf den Widerstand national-konservativer Patrioten stoßen konnten.195 Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich vor allem in lokalen Kontexten eine Erinnerungskultur tief verwurzelt, die „pre-existing religious boundaries“ überbrückte, die Kultur einer „overlapping remembrance“ hervorbrachte und „all sections of German society“ einschloss. Es war keine Memorialkultur der Exklusion und des Antisemitismus, sondern eine von „interactions and continued relations.“ Sogar in der NS-Zeit behielten deutsche Juden, zumindest in lokalen Erinnerungskulturen, „a presence in public remembrance activity“.196 In diesen Bereichen hielten sich die Interpretationen der Weltkriegserfahrungen, wie sie national-konservative Kreise pflegten, die Patriotismus und Militarismus hochhielten und das sozial inklusive Opfer für Kaiser und Vaterland heroisierten. Dieses Gedenken an und die Trauer um die Weltkriegsgefallenen hielt, was bislang kaum beachtet wurde, bis weit in die NS-Zeit hinein ein kulturelles Handlungsfeld und einen rituell-kommemorativen Sinnraum offen, an dem Juden wie Nichtjuden gleichermaßen teilhatten. Die Trauerkultur der Veteranenverbände entfaltete „the continuing power of more inclusive, conservative narratives of national sacrifice“, die in Symbolen und Ritualen „helped to construct relations between Jews and non-Jews at a time when rising anti-Semitism was also forcing them apart“.197 Im Gegensatz zu dieser konservativen, bürgerlichen Memorialkultur setzte, wie Tim Grady eindrucksvoll herausgearbeitet hat, die den Weltkriegstoten geltende nationalsozialistische Erinnerungspolitik auf aggressiven Revanchismus, die Vorbereitung eines neuen Krieges und völkisch-rassistischen Fanatismus.198 Aufgrund der von Hitler und Goebbels getroffenen Anordnungen konnten auch die bis 1933 von den Turn- und Sportvereinen errichteten Denkmäler unangetastet bleiben, selbst wenn sie die Namen jüdischer Weltkriegsgefallener enthielten. Wenn die Gedenkseiten für die Weltkriegsgefallenen in den nach 1933 publizierten Printmedien der Vereine die Namen jüdischer Mitglieder nicht mehr enthielten, entsprach dies genau den Bestimmungen, die Hitler und Goebbels generell für die Kriegerdenkmäler erlassen hatten. Michael Steinbrecher, ein ehemaliger Redakteur der Fachzeitschrift „Der Kicker“ und an der Gestaltung des oben genannten „Bilderwerk: Die deutschen Nationalspieler“ beteiligt, erinnerte sich in einem Interview, dass Goebbels selbst die Eliminierung der jüdischen Spieler aus dem Album angeordnet habe.199 An194 195 196 197 198 199

Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 139. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 139f., 149. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate in: GRADY, German-Jewish Soldiers, 42, 76, 81, 132. GRADY, German-Jewish Soldiers, 134, 49. Vgl. GRADY, German-Jewish Soldiers, 129–136. Vgl. FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler, 69, 200f.

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ders als bei den Kriegerdenkmälern konnte für die Sportpublizistik allerdings noch keine offizielle, schriftliche Anordnung in den Archiven gefunden werden, die den Umgang mit den Namen jüdischer Sportler geregelt hatte. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde die Geschichte der Eintracht noch ein zweites Mal umgeschrieben. In die Festschrift, die zum 50. Gründungsjubiläum erschien, kehrten die Namen der ehemaligen jüdischen Mitglieder wieder in das Vereinsgedächtnis zurück. Bensemann, Blütenthal und Neumann wurden darüber hinaus in die mit „Unsere [sic] Toten“ betitelte Gedenkseite aufgenommen, und auch die Namen der drei jüdischen Opfer des Ersten Weltkriegs sind in der Totenliste dieser Festschrift zu finden. Mit Recht spricht Thoma von einer „Rückkehr der Erinnerung“.200 Über die Totenliste hinaus ist auf dieser Gedenkseite ein Foto zu sehen, das eine Kranzniederlegung vor einem Kriegerdenkmal zeigt. Die Schauseite dieses Ehrenmals trägt eine Tafel, die einen Stahlhelm zeigt und darunter die Inschrift „Unseren Toten“.201 Wenn man genau hinsieht, wirkt das Foto teilweise unscharf. Dieser Eindruck wird durch handwerklich schlecht gemachte Retuschen verursacht, handelt es sich bei diesem Foto doch um die historische Aufnahme von einer Kranzniederlegung aus dem Jahr 1933 anlässlich der Einweihung des Denkmals – wiederverwendet in der Festschrift von 1949. Für diesen Zweck wollte man, ebenso wie in dem Reprint des oben genannten „Bilderwerk: Die deutschen Nationalspieler“, alle Hinweise auf den Nationalsozialismus beseitigen:202 Die Männer der SA- und SS-Standarten und die Hoheitszeichen der Partei, die bei der Einweihung anwesend waren, wurden aus dem Foto retouchiert. Auch bei dieser Bildbearbeitung handelt es sich um eine Löschung visueller Erinnerung, nun aber im Zeichen eines demokratischen Neuanfangs, der sich der Relikte der NS-Zeit entledigen will. Dass sich die Herausgeber der Festschrift von 1949 keines aktuellen Fotos bedienten, sondern sich die Mühe machten, eine historische Aufnahme von 1933 zu fälschen,203 hängt vermutlich damit zusammen, dass alle Denkmäler für die Kriegsgefallenen im Stadion Riederwald durch Bomben zerstört worden waren. Die Jahresangabe „1914–1918“, die auf der mit „Unseren Toten“ beschrifteten Tafel auf dem historischen Foto zu sehen war, musste entfernt werden, um es für den Abdruck auf einer Gedenkseite brauchbar zu machen, die der Ehrung aller verstorbenen Vereinsmitglieder, nicht nur der Weltkriegsgefallenen, gewidmet war. Dass man allerdings den Stahlhelm nicht ebenfalls aus dem Foto des Ehrenmals entfernte, ist eine Inkonsequenz in dem Bemühen der Frankfurter 200

201 202

203

THOMA, Eintracht Frankfurt, 201; zu derartiger „restitutio memoriae“ jüdischer Vereinsmitglieder des HSV vgl. MEYER, Sonderausstellung, 20–22, sowie des SV Werder Bremen vgl. KLINGEBIEL, Jüdische Sportler, und des DSC Arminia Bielefeld vgl. Beitrag SCHLUMBOHM, in diesem Band S. 358–362. THOMA, Eintracht Frankfurt, 202. Von der Einweihung des Ehrenmals wurden mehrere Fotos gemacht. Ein historisches Foto der Serie und die Fälschung eines anderen, das in der Festschrift verwendet wurde, sind abgebildet in: Beitrag THOMA in diesem Band S. 95, 97. Dazu und zum Vorherigen THOMA, Eintracht Frankfurt, 56f.

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Eintracht (siehe oben S. 38f.), die frühere, weltkriegsbezogene Memoria in einem zivilen, allgemeinen Totengedenken aufgehen zu lassen. In allen diesen Fällen wird der Konstruktionscharakter von Geschichtsbildern deutlich. Angesichts derartiger Geschichtspolitik der Verbände und Vereine unter politischen Unrechtsregimen wächst dem Historiker eine Rolle zu, die geradezu kriminalistische Züge trägt. Denn seine rekonstruktive Arbeit geht mit Indizienbeweisen in eine Tatbestandsaufnahme über, die ihn gleichsam zum Untersuchungsrichter über offizielle Geschichtsdarstellungen werden lässt oder aber zum Detektiv einer von ihm aufzuklärenden verbrecherischen Vergangenheit.204 Im Unterschied zur nationalsozialistischen Medienpolitik ergriff die staatssozialistische ungleich radikalere Maßnahmen, um das Andenken an unangepasste Sportler auszumerzen. Sie nahm sogar Fälschungen von Mannschaftsfotos vor, die nicht unentdeckt bleiben konnten, und im Fall des „republikflüchtigen“ Lutz Eigendorf setzte die Stasi einen „Informellen Mitarbeiter“ auf dessen in der DDR verbliebene Ehefrau an, der die Ehe mit ihr schloss, damit der Namen Eigendorf auch aus den Telefonbüchern gelöscht werden konnte.205 Und dass man es in der DDR schließlich nicht mehr wagen wollte, die eigene Sportgeschichte zu schreiben, weil man damit das Risiko einging, noch lebende Personen zu nennen, die später einmal „Republikflucht“ begehen könnten, zeigt die ebenso inhumanen wie bizarren Folgen einer der „damnatio memoriae“ verpflichteten Geschichtspolitik.206 Die Löschung von Namen oder der Auftritt von Sportlern im Stadion unter falschem Namen kann gleichwohl auch von den Betroffenen selbst, also reflexiv207 vollzogen werden. Als es für Fußballstars in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus nicht mehr opportun war, als Sportler auf dem grünen Rasen statt als Soldaten an der Front gesehen zu werden, konnten sie, wie beispielsweise Fritz Walter, unter falschem Namen auftreten, um ihre Identität zu verbergen. In Wien verschwieg die Presse ganze Mannschaftsaufstellungen oder gab falsche Namen an, um das Auflaufen prominenter Spieler zu verschleiern, die bei ihren militärischen Vorgesetzten offiziell verletzt und dienstunfähig gemeldet waren.208 Namen im Sport selbstbestimmt zu verschweigen kann auch ideologisch begründet sein, beispielsweise in der Geschichte der sozialdemokratisch orientier204

205 206 207

208

Zu den stukturellen Ähnlichkeiten zwischen historiografischen und kriminalistischen Erzählungen, im Anschluss unter anderem an Johann Gustav Droysen (Historiker als Richter) und Robin George Collingwood (Historiker als Detektiv), vgl. SAUPE, Der Historiker als Detektiv, 46f., 118 u.ö. Vgl. dazu Beitrag BRAUN/BARSUHN, in diesem Band S. 430–432. Vgl. Beitrag BRAUN/BARSUHN, in diesem Band S. 432. Zur selbstbestimmten Erinnerungsverhinderung von Seiten der Betroffenen beispielsweise durch anonyme Bestattung, früher als postmortale Strafe verhängt, heute als Element moderner Bestattungskultur weit verbreitet, vgl. MEITZLER, Soziologie der Vergänglichkeit, 268. Dazu und zum Vorherigen HERZOG, Betze, 177, 181; DERS., Sportliche Soldatenkämpfer, 107; MARSCHIK, Vom Nutzen der Unterhaltung, 199–201.

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ten Arbeitersportbewegung, die den bürgerlichen Personenkult unterbinden und so dem Individualismus vorbeugen wollte. Denn nur das Kollektiv war in dieser Sportkultur von Bedeutung und Wert. Deshalb unterließ die (Sport-)Presse der politischen Linken beispielsweise die namentliche Dokumentation von Mannschaftsaufstellungen, auch die Torschützen der Fußballspiele wurden häufig verschwiegen.209 Diese Verweigerung der Dokumentation individuell zurechenbarer Leistung und damit auch der Erinnerung an sie resultierte aus keinem von außen auferlegten Zwang, sondern wurde aufgrund eines kollektivistischen Menschenbildes210 bewusst vollzogen – ein Akt reflexiver, also nicht fremdbestimmter „damnatio memoriae“. Ein ganz anderer Fall selbstbestimmt vollzogener „abolitio memoriae“ ist in der Sportgeschichte mit dem österreichischen KZ-Arzt und SS-Sturmbannführer Aribert Heim überliefert, einem der meistgesuchten NS-Verbrecher. Er war ein sehr erfolgreicher Eishockeyspieler – 1939 deutscher Meister mit dem Wiener Eissport-Klub Engelmann E.K.E. und 1948 deutscher Vizemeister mit dem VfL Bad Nauheim.211 Heim beging in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Buchenwald und Mauthausen schlimmste Verbrechen, die juristisch nie gesühnt werden konnten. Kriminaltechnische Untersuchungen des Landeskriminalamts Stuttgart deckten auf, dass Heims Kopf aus einem Mannschaftsfoto in einer Festschrift des VfL Bad Nauheim durch den eines anderen Mannes ersetzt wurde. Heim soll alle Fototermine gemieden haben, wie er überhaupt „fast alle bebilderten Spuren seines Lebens vor 1962 vernichtet“ zu haben scheint.212 Das Verschweigen und Auslöschen von Namen kann ebenso unterschiedliche Ursachen haben wie die Annahme eines falschen Namens bei Sportwettbewerben. 9. Die kulturschöpferischen Kräfte heterogener Fußballgemeinschaften Die „commemorative bricks“, die aus Anlass von Stadionkatastrophen errichteten Denkmäler oder die zum Andenken an Gründungsväter gestifteten Memorials213 sowie die spezifischen Rituale der Sepulkralkultur der Vereine und Fans bieten beeindruckende Beispiele für die kulturschöpferischen Kräfte des bürgerlichen Vereinsfußballs, der Gemeinschaften hervorbringt, die mit politologischen, religiösen, weltanschaulichen und ideologischen Kategorien, mit sozialhistorischen, ökonomischen oder biographischen Methoden nur unzureichend analysiert werden können. Die Fangemeinschaften des in der FIFA und im DFB organisierten Fußballs transzendieren politische Lagerbildungen ebenso wie religiöse Identitäten und ideologische Orientierungen, sie blenden weltanschauliche Differenzen aus und vermögen es deshalb, die Angehörigen der verschiedensten gesellschaftlichen 209 210 211 212 213

Vgl. Beitrag OELLERMANN, in diesem Band S. 415–418. Vgl. MARSCHIK, Arbeiterfußball, 159–164. Vgl. KLEMP, KZ-Arzt, 16, 22, 72f., 79f., 88–94, 98. KLEMP, KZ-Arzt, 88. – Tabellarischer Lebenslauf ebd., 329–333. Vgl. Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 149–152.

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Schichten zu vereinen.214 Es sind spezifisch kulturelle Manifestationen. Als populärkulturelles Massenphänomen hat der organisierte Fußballsport eigene Vergemeinschaftungsformen hervorgebracht, die keinen spezifischen sozialen Schichten oder politischen Milieus zu- oder untergeordnet werden können. Der dem sozioökonomischen Lager der Arbeiterklasse ideologisch dienstbar gemachte sozialistische Fußball des ATSB und anderer Parteisportorganisationen des politisch linken Lagers ist deshalb ebenso auf der Strecke geblieben wie der Sport der Verbände des kirchlich-konfessionellen Milieus. Für Arbeiter und Arbeiterjugendliche waren bürgerliche Vereine attraktiver als der sozialistische bzw. kommunistische Fußball des Klassenkampfs der SPD bzw. der KPD. Ähnliches gilt für den konfessionellen Sport der kirchlichen Verbände, in denen die Leibesübungen ebenfalls ideologischen Zwecken untergeordnet wurden, hier insbesondere während der Weimarer Republik. Insofern bilden die Fußballclubs Rangers und Celtic, ebenso wie verschiedene nordirische Fußballvereine, markante Gegenbeispiele zum Selbstbild des bürgerlichen Sports mit seiner Verpflichtung zu politischer, religiöser und weltanschaulicher Neutralität, weil sich ihre Fans nach wie vor kirchlich-konfessionell voneinander abgrenzen. Einen weiteren Sonderfall stellt der FC Barcelona mit seiner politischen Mission des Katalanismus dar.215 Gleichwohl verlaufen auch in den genannten britischen Vereinen und dem FC Barcelona die Vergemeinschaftungsprozesse quer zur beruflichen Stellung, gesellschaftlichen Positionierung und wirtschaftlichen Situierung ihrer Mitglieder und sprengen deshalb das kategoriale Raster der traditionellen Sozialgeschichte. Vielleicht ist diese soziale und politische Neutralität des bürgerlichen Fußballs einer der Gründe, weshalb im fünften Band der „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ von Hans Ulrich Wehler das „Wunder von Bern“ fehlt, eine Leerstelle, die der Literaturwissenschaftler und Sportphilosoph Hans Ulrich Gumbrecht zu Recht kritisiert hat.216 Darüber hinaus vollbringt der bürgerliche Fußball eine weitere Integrationsleistung, und zwar in temporaler Hinsicht. Denn über Generationen hinweg konstituiert er Gemeinschaften, die ihre Geschichte in einem kollektiven Gedächtnis festhalten und verarbeiten, für die Nachwelt in Protokollbüchern, Festschriften und Bildbänden dokumentieren und in Museen und „Halls of Fame“ oder auf „commemorative bricks“ präsentieren. Und wenn Fußballclubs aus ihren traditionsreichen Stadien in neue Arenen umziehen,217 sind es die neu errichteten „commemorative walls“, auf denen die früheren Kapitel in der Geschichte des Clubs gleichsam mitgenommen werden, um wenigstens symbolisch eine Brücke zu Ursprung und Herkunft zu schlagen.

214 215 216 217

Vgl. EISENBERG/LANFRANCHI/MASON/WAHL, FIFA, 271–293; Beitrag KOLLER, in diesem Band S. 161–163. Vgl. Beitrag EBERLE, in diesem Band S. 122–130. Vgl. GUMBRECHT, Wie objektiv ist Wehler? Vgl. HERZOG, Wahre Leidenschaft, 177f.; DERS., Trauer- und Bestattungsrituale, 202f.

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10. Flüchtiges Spielgeschehen – transgenerationale Gemeinschaften Der eigentliche, Sinn stiftende Kern im Leben der Wahlfamilie eines Fußballclubs ist der Sport selbst. Viele Clubmitglieder haben selbst Sport getrieben, an Wettbewerben teilgenommen, Erfolge erzielt und Niederlagen weggesteckt. Grundsätzlich ist deshalb mit Sven Güldenpfennig festzuhalten: Die Basis jedweder Erinnerungskultur im Sport sind die Wettkämpfe, deren Verläufe und Ergebnisse, die dokumentiert und überliefert werden.218 Die Selbstvergewisserung von Sport treibenden Gemeinschaften, eingetragenen Vereinen und Verbänden, ihre geschichtsbezogenen Inszenierungen und identitätsstiftenden Rituale sind aus der Perspektive dieses sportereignisbezogenen Purismus in der Tat sekundärer Natur. Damit überhaupt eine Erinnerungskultur des Fußballs entstehen konnte, mussten jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die alles andere als selbstverständlich sind: ein kontinuierlicher, überörtlicher Spielbetrieb mit einem Minimum an professionellem Management, organisierte Spielpläne und Spielzeiten, ein einheitliches Regelwerk, das von allen Parteien anerkannt wird, und nicht zuletzt die Medien. Vor allem die Fachpresse des Fußballs und das Nachrichtenwesen der Sportwettenanbieter hielten bereits im 19. Jahrhundert das flüchtige Spielgeschehen für die Nachwelt fest, zumindest dokumentierten sie die Resultate und überliefern im Fußball die Torschützen.219 Unorganisierter Sport – wie beispielsweise Straßen- und Kneipenfußball oder andere aus der Sicht der Verbände „wilde Spiele“ – ist normalerweise kein Thema der Medien. An ihn erinnern sich allenfalls einzelne Individuen, aber keine Gemeinschaften. Die historische Erforschung dieses Segments der Sportgeschichte ist ein hartes Brot; denn in aller Regel werden solche Erinnerungen nicht schriftlich festgehalten und tradiert. Einer der wenigen, die sich wissenschaftlich mit dieser Materie befassen, ist der Schweizer (Fußball-)Historiker Fabian Brändle.220 Die „wilden Spiele“ der Straßen- und Kneipenmannschaften bringen gewöhnlich keine über mehr oder weniger spontane Kicks hinausgehenden Kollektive hervor, geschweige denn Vergemeinschaftungsformen, die über Generationen hinweg bestehen und diese zu einer transgenerationalen Gemeinschaft verbinden.221 Deshalb waren beispielsweise die Matches deutscher Soldatenfußballmannschaften im Zweiten Weltkrieg, die zur Truppenbetreuung und Unterhaltung der Massen organisiert wurden, zwar Gegenstand einer ausführlichen Berichterstattung in den zeitgenössischen Medien, sind danach jedoch in Vergessenheit geraten und allenfalls ein Thema der sport- und militärhistorischen Forschung,222 obwohl diese Spiele teils überaus spektakulär verlaufen sind und vor großem Publikum stattfanden. 218 219 220 221 222

Vgl. GÜLDENPFENNIG, Sportgeschichte. Vgl. WERRON, Der Weltsport und sein Publikum, 247–382. Vgl. BRÄNDLE, Der andere Fußball, 23–35. Vgl. WOOD/GABIE, Football Ground, 1188–1200; vgl. auch die Beiträge EBERLE, WILLIAMS, ZWICKER und EYRE, in diesem Band S. 114, 193, 205, 219, 403. Vgl. HERZOG, Betze, 190–206; DERS., Sportliche Soldatenkämpfer, 69–122; SKRENTNY, Luftwaffen-SV Groß-Hamburg.

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Das Sportgeschehen besteht in der Tat aus überaus flüchtigen Ereignissen, die dem Gedächtnis der Zuschauer schnell entschwinden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie überliefert werden, steigt aber, wenn sie in soziale Gemeinschaften eingebunden stattfanden, die sehr viel länger bestehen als beispielsweise die Soldatenfußballmannschaften des Zweiten Weltkriegs, die maximal drei Jahre lang aktiv waren. Das kollektive Gedächtnis von Sport treibenden Gemeinschaften und deren Medien der Erinnerung bildet demzufolge eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das flüchtige Geschehen von Sportereignissen festgehalten, dokumentiert und tradiert wird. Die Memoria des Fußballs setzt eben nicht nur allgemein anerkannte Regeln voraus, sondern auch die Kontinuität eines über einen längeren Zeitraum organisierten Spielbetriebs sowie ein Minimum an Medialisierung und Kommerzialisierung223 und nicht zuletzt das kollektive Gedächtnis organisierter Fangemeinschaften. Deshalb ist Timo Frasch zuzustimmen, wenn er darauf insistiert, dass „es doch gerade die Fans mit ihren lokalen Identifikationsbedürfnissen“ sind, die „dafür Sorge tragen, dass nicht nur jener Akteure gedacht wird, auf die sich überall alle einigen können“; darüber hinaus seien gerade sie es, „die den Sport zum Ereignis“ machen, „deren Mannschaften nicht die besten Ergebnisse erzielen.“224 Wie das Ritual der Schweigeminute heute in vielen Fällen nicht nur herausragenden Fußballfunktionären und -spielern, sondern auch allen möglichen anderen Persönlichkeiten gilt, so weisen die zeitgenössischen Choreografien der Fans in vielen Fällen über das Sportgeschehen auf dem Platz hinaus. Ein markantes Beispiel liefern die imposanten, selbstreferentiellen Inszenierungen der Ultras von Eintracht Frankfurt (siehe unten S. 60f.) für verstorbene Fans, die bei Fußballhistorikern wie John Williams oder Sportphilosophen wie Sven Güldenpfennig auf Befremden stoßen, weil sie, „not connected to the pitch“,225 das Geschehen „auf dem Platz“ überlagern und damit den Eigensinn des Kulturphänomens Sport aus den Augen verlieren.226 11. Soziales Leben, postmortales Weiterleben und soziales Töten in Fußballclubs Der Imperativ „be a part of Ibrox forever“ greift ebenso wie der Slogan „Fußball ist unser Leben“ oder die Werbekampagne „Wahre Leidenschaft kennt keinen Abpfiff“ emotionale Verfassungen der Fans und Memorialisierungstendenzen im Vereinssport auf. Diesen und ähnlichen sozialen Praktiken und Identifikations223 224 225

226

Grundsätzlich dazu und zum Vorhergehenden WERRON, Der Weltsport und sein Publikum. FRASCH, Erinnert euch des Ereignisses; vgl. HEBENSTREIT, Torjubel. JOHN WILLIAMS, Diskussionsbeitrag im Rahmen der Tagung „Die Memorial- und Sepulkralkultur des Fußballsports: Internationale Konferenz der Schwabenakademie Irsee in Kooperation mit dem Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster“, Schwabenakademie Irsee, 13.11.2010. Vgl. dazu den Beitrag GÜLDENPFENNIG, in diesem Band S. 75–86.

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prozessen liegt nicht die Hoffnung zu Grunde, ewig zu leben und in ein herrliches Paradies zu gelangen, sondern der durchaus irdisch-diesseitige Wunsch, mit einem Fußballclub, dem bereits Vater und Großvater angehört haben, ewig verbunden zu bleiben. Schon Kurt Tucholsky kannte diese Sehnsucht und goss sie 1927 in seinem Gedicht „Das Mitglied“ in folgende Verse: „Hier lebe ich. Und will auch einst begraben sein in mein’ Verein.“227

Die in dem vorliegenden Beitrag geschilderten Formen intensiver Identifikation mit einem Fußballclub und dessen Fangemeinschaften, die sich bis in die Gestaltung von Trauerfeiern und Beisetzungen hinein auswirken, belegen die hochgradige Emotionalisierung des aktiv ausgeübten und des passiv gelebten Sports der Moderne. Wie kaum ein anderer hat Hans Ulrich Gumbrecht diesem dionysischen Aspekt des Sport(er)lebens wissenschaftliche Weihen verliehen.228 Ausgeklügeltes „Neuromarketing“, „emotional economics“ oder „Briconomics“229 bieten den Fußballclubs Beratung und Expertisen, mit denen sie sich auf den Massenmärkten des Konsums positionieren, indem sie auf die Handlungsmacht der Emotionen setzen230 – auf Mobilisierungsstrategien, die Markenbindungen und das Engagement der Konsumenten, Fans und Sponsoren aktivieren.231 Neuromarketing ist bereits ein Thema in der Erforschung der Ökonomie des Sports. Die Memorial-, Funeral- und Sepulkralkultur spielt in diesem Kontext eine immer wichtigere Rolle. Der generelle Trend zu alternativen Gemeinschaftsgrabstätten, wie sie die Fanfriedhöfe bieten, und zu neuen Erinnerungsritualen, die sich in Choreographien und dem „minute’s applause“ manifestieren, stehen für Aufbrüche, die in der europäischen Sepulkralkultur neue Horizonte öffnen. Die kulturellen Veränderungen des Sports, die durch Fanartikelvermarktung gestützte Intensivierung der emotionalen Bindung der Anhänger an einen Verein und die öffentliche, theatralische Inszenierung dieser Loyalitäten im Verbund mit deren Kommerzialisierung durch Bestattungsunternehmen bilden ein Konglomerat von Motiven und Interessen, das bisher unbekannte Allianzen der Akteure in der Fußball- und Sepulkralkultur hervorbringt. Dabei ist die traditionelle Erinnerungskultur retrospektiv und vergangenheitsorientiert, im besten Fall gelingt es ihr, bis in die ersten Anfänge der Gründungsgeschichte des jeweiligen Vereins oder Verbandes vorzudringen. Die neuen sepulkralkulturellen Angebote von Vereinsfriedhöfen und Fanbestattungen indes antizipieren die Wünsche der Fans nach einer Erinnerungsvorsorge, die über den Tod hinausgeht. Galt früher die sprichwörtlich verbreitete Parole „Fußball ist unser Leben!“, so wird heute auch an die Zeit nach dem fußballbegeisterten Leben der Fans ge227 228 229 230 231

TUCHOLSKY, Das Mitglied, 84. Vgl. GUMBRECHT, Lob des Sports. Vgl. Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 135. Vgl. KNUR, Neuromarketing und Sportmarketing; Beitrag RUSSELL, in diesem Band S. 233, 238. Vgl. ADELMANN/KEILBACH/STAUFF, „So viel Gefühle kann’s nicht geben!“.

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dacht. Für vereinsspezifische „individuelle Themenbestattungen“ werden besondere Orte (Fanfriedhöfe, „memorial gardens“) entwickelt, Requisiten (Särge, Urnen, Grabsteine) kreiert und Rituale (Schweigeminute, Minutenapplaus, Choreografien) praktiziert. Aufs Ganze gesehen, bleiben diese Formen der Memorial- und Sepulkralkultur den christlich-bürgerlichen Bräuchen stark verhaftet (Denkmalsetzungen, Festumzüge, Stolpersteine, „commemorative bricks“), jedenfalls in solchen Ländern, in denen Friedhofszwang für die Beisetzung durch Ascheverstreuung festgeschrieben ist. Dagegen sind in Ländern mit weniger restriktiven Gesetzen wie Großbritannien und den Niederlanden größere Chancen für Veränderung und Wandel von Konvention und Tradition gegeben. Die heute vergleichsweise größeren funeral- und sepulkralkulturellen Handlungsspielräume und ihnen entsprechende Individualisierungstendenzen bieten allen an dieser Entwicklung beteiligten Akteuren neue Möglichkeiten, attraktive Horizonte und lukrative Märkte postmortaler Erinnerungsvorsorge. Für die Fans ergeben sich willkommene Perspektiven der sozialen Standortbestimmung, der postmortalen Daseinsvorsorge und symbolischen Identitätssicherung sowie der Partizipation an der Vereinsgemeinschaft. Die im Vereinsfußball gepflegten kulturschöpferischen Traditionen eines intensiv gelebten Zusammenhalts werden um zahlreiche neue Perspektiven erweitert, die auch die Trauer um verstorbene Clubkameraden und ihre Bewältigung sowie Abschiedsfeiern und Beisetzungen umfassen. Den Clubs ihrerseits erschließen sich geldwerte Strategien der Einbindung ihrer Anhänger in ihre „Wahlfamilie“. Damit können die Fans vielfältige Chancen nutzen, sich mit ihrer gesamten Biographie, von der Wiege bis zur Bahre, in die Geschichte ihres Fußballclubs einzubetten. Ermöglichen es diese kulturellen Praktiken, eine Integration in die Gemeinschaftskontexte des Fußballs zu leben, so bewirkten die unter der nationalsozialistischen und der staatssozialistischen Diktatur auch im Sport eingesetzten Herrschaftstechniken der „memoria damnata“ eine prä- und postmortale Exklusion, die in den Gesellschaftswissenschaften als „soziales Sterben“ bzw. „soziales Töten“ bezeichnet wird. Denn wem ein individualisierendes Gedenken verweigert wird, indem man seinen Namen aus dem Gedächtnis und seine Erfolge aus den Annalen tilgt, der stirbt einen „sozialen Tod“. Erik Eggers hat diesen Vorgang an zwei markanten Beispielen der deutschen Sportgeschichte nachgezeichnet. So spricht Eggers mit Recht von einer Mehrzahl von Toden, die der deutschjüdische Nationalspieler Julius Hirsch gestorben sei: 1933 verließ er unter dem Druck des um sich greifenden Antisemitismus den Karlsruher FV, dem Hirsch Jahrzehnte lang angehört hatte und der an ihm als Mitglied eigentlich festhalten wollte, 1939 verschwand sein Name, wie oben dargestellt, aus einem Bildband über deutsche Nationalspieler und 1943 wurde er in Auschwitz ermordet, um 1988 ein weiteres Mal einen „sozialen Tod“ zu sterben, indem man ihm auch im Reprint des Bildbandes das Andenken an seinen Namen verweigerte.232 Ein Opfer derartiger „sozialer Tötung“ wurde auch der DDR-Handballstar Wolfgang Böhme. Als sein Verhalten nicht mehr politisch vorbildlich im Sinn des SED232

Vgl. EGGERS, Die drei Tode; DERS., Ausgemerzte Erinnerungen, 89f.

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Sozialismus erschien und man ihm eine Neigung zur „Republikflucht“ unterstellte, wurde er vom Training suspendiert und aus der Nationalmannschaft „ausdelegiert“. Hallenverbot und Kontaktsperren wurden erlassen, ehemalige Sportkameraden behandelten ihn wie einen Aussätzigen, mieden seinen Blick und wechselten die Straßenseite, wenn sie ihm begegneten. Der Name Böhmes wurde ebenso planmäßig aus der Sportgeschichte der DDR getilgt wie das visuelle Gedächtnis an ihn aus den Fotoarchiven gelöscht, wobei die Zensoren seinen Kopf aus Mannschaftsfotos entfernten und durch den eines Anderen ersetzten. Als Leistungshandballspieler des SC Empor Rostock existierte er fortan nicht mehr, und auch als Nationalspieler war er gestorben.233 Berufsverbot und Lizenzentzug verwiesen die betroffenen Sportler in einen Pariastatus, Bildmanipulation und Namenstilgung machten sie für die Öffentlichkeit unsichtbar, entzogen ihnen soziale Anerkennung und einen Platz im kollektiven Gedächtnis des Sports, Stadionverbote234 beraubten sie ihrer sportlichen Heimat, Kontaktsperren sollten sie in den „psychischen Tod“235 von Isolation und Depression stürzen, sie wurden aus eingespielten Rollen und Positionen verdrängt und büßten ihren gesellschaftlichen Status ein. Diese Strategien der Kaltstellung und Ausbootung, der Exklusion und Marginalisierung, der Reduktion von ökonomischen und politischen Funktionen und sozialen Partizipationschancen sind Akte eines modernen prämortalen „sozialen Tötens“ und für die Betroffenen selbst „quasi-death experiences“.236 Da der aktiv ausgeübte Sport ebenso wie der Zuschauersport der Fans zum alles erfüllenden Lebensinhalt werden kann, wird der fremdbestimmte Ausschluss aus dieser Kultur zwangsläufig als besonders schmerzhafte Sinn- und Daseinskrise empfunden. Auf eindrucksvolle Weise demonstrierte dagegen eine Choreografie (Titel: „Schaut in euer Herz und seht, dass wahre Liebe niemals vergeht!“) der „Ultras Frankfurt 1997“ aus dem Jahr 2012 (Abb. 10)237 das emotionale Gewicht der Zugehörigkeit zur Wahlfamilie eines Fußballclubs. Die Performance zeigte die Biografie des Eintracht-Anhängers idealtypisch vom pränatalen Stadium des Ungeborenen (in dem ein Herz schlägt, dem bereits das Eintracht-Logo eingeschrieben ist) über die weiteren Stationen und Übergangsrituale des bürgerlichen Lebenslaufschemas und ließ sie in die sicher nicht ganz ohne Ironie visualisierte „Vereinseschatologie“ münden: in den Paradiesgarten der Eintracht, in dem alle, Spieler und Fans, sich am Ende in geflügelte Engel verwandelt wiedersehen werden.238 Indem Fußballclubs soziale Identitäten konstituieren, die Individuen durch alle Lebensstadien hindurch integrieren, erfüllen sie Funktionen, für die 233 234 235 236 237 238

Dazu und zum Vorhergehenden EGGERS, Böhme, 195–210. Vgl. die Beiträge SCHLUMBOHM sowie BRAUN/BARSUHN, in diesem Band S. 358–360, 424–429. Vgl. FELDMANN, Sterben und Tod, 41–46. Dazu und zum Vorhergehenden FELDMANN, Tod und Gesellschaft, 132–139, 220f., Zitate 220 und 133. Vgl. Beitrag THOMA, in diesem Band S. 109f. Zu den hinter dieser Ikonographie stehenden theologischen und populärreligiösen Vorstellungen vgl. HERZOG, Aneignung, 5f. (Lit.).

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Abb. 10: Choreografie der Fangruppe „Ultras Frankfurt 1997“ beim Heimspiel von Eintracht Frankfurt gegen den FC Erzgebirge Aue, 14. April 2012.

traditionell die Religionen zuständig waren. Gleichwohl bieten die Kirchen bereichsspezifische Leistungen an, auf die auch Fußballclubs angewiesen zu sein scheinen, wenn es – beispielsweise angesichts von Stadionkatastrophen mit zahlreichen Toten – darum geht, „the ultimate questions about the meaning of life and life after death“239 zu klären und zu beantworten. Jedoch erbringen, abgesehen von theologischen Antworten auf solche „letzten Fragen“, die Traditionsvereine des Fußballs zahlreiche substanzielle Leistungen, die auch von Kirchen und Religionsgemeinschaften abgedeckt werden. Die Frage, ob und inwieweit der in den meisten Ländern der Welt überaus populäre Sport Fußball – als Veranstaltungsformat und soziale Organisationsform – im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts den Kurs eingeschlagen hat, sich zu einer Religion zu entwickeln und deshalb mit den Kirchen zu konkurrieren, wird in der Forschung kontrovers diskutiert240 und sprengt den Rahmen dieser Untersuchung. Tatsächlich sprechen zahlreiche Beobachtungen insbesondere aus dem Themenfeld der Memorial-, Funeral- und Sepulkralkultur dafür, dass Hans Seifferts ironisch formulierte Vision vom Sport als „Weltreligion des 20. Jahrhunderts“241 im Folgejahrhundert zu einer gesellschaftlichen Realität werden könnte. Die Erosion der Bindekräfte der traditionellen Milieus und der sozialen Basis der Kirchen ist ganz offenkundig so weit vorangeschritten,242 dass alternative Institutionen mit ihren Orientierung und Sinn stiftenden und kulturschöpferischen Potentialen an ihre Stelle treten könnten.

239

240 241

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Beitrag EYRE, in diesem Band S. 176, vgl. dazu ebd., 174–178; Beitrag QUECKENSTEDT, in diesem Band S. 253–255, sowie HERZOG, Von der ‚Fußlümmelei‘ zur ‚Kunst am Ball‘, 23–32. Vgl. dazu die diesbezüglichen Beiträge z.B. in: GUGUTZER/BÖTTCHER, Körper, Sport und Religion; HERZOG, Fußball als Kulturphänomen. Vgl. HANS SEIFFERT, Weltreligion des 20. Jahrhunderts: Aus einem Werk des 120. Jahrhunderts, in: Der Querschnitt 12 (1932), Nr. 6, 385–387, ausführlich zit. in FLEIG, Körperkultur und Moderne, 131f. Vgl. PYTA, Beitrag, 25–30.

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Quellen und Literatur Archive Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt (VAEF) –: Vereins-Nachrichten Frankfurter Sportgemeinde Eintracht e.V., Jg. 7, Nr. 8, August 1933, VAEF, Best. 5. –: Eintracht kämpfte in aller Welt, Frankfurt a.M. 1939 (Festschrift), VAEF, Best. 5. Stadtarchiv Kaiserslautern –: Akten III, 5300/48. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München –: MInn 64585: Personalakte Franz Meister. Landesarchiv Speyer –: H 14, Nr. 2159: Personalakte Franz Meister. Landeshauptarchiv Koblenz –: Best. 860P Nr. 10715: Personalakte Franz Meister.

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Sven Güldenpfennig

Tod im Sport oder Tod von Sportlern? Über den Gegenstand sportbezogener Memorialkultur

1. Unverträglichkeiten: Zur Programmatik des Themas Die Ankündigung der Veranstaltung, die diesem Band zu Grunde liegt, hebt an mit folgenden programmatischen Feststellungen: „Der Fußballsport bringt kulturelle Muster und soziale Identitäten hervor, die weit ins Feld der Memorialkultur reichen. So hat sich in Großbritannien eine sehr differenzierte Sepulkralkultur herausgebildet, die sogar Bestattungen in den Stadien vorsieht. Traditionsvereine können auf eine mehrere Generationen übergreifende Geschichte zurückblicken. Die kulturschöpferischen Potenziale des Fußballs überschneiden sich mit den verschiedensten Feldern der Erinnerungskultur und -politik.“1

Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass diese Erwartungen zu optimistisch, weil zu harmonistisch formuliert sind. Denn sie übersehen das erhebliche Spannungspotential, welches sich grundsätzlich zwischen kulturellem Schöpfertum und sozialen Identitäten auftut. Es beginnt schon damit, dass der Fußball wie jeder Sport zwar tatsächlich kulturelle Muster hervorbringen kann, die in ihm virulenten sozialen Identitäten hingegen, die ihm gern zugeschrieben werden, außerhalb des Sports generiert und an ihn nur von außen herangetragen werden. Kulturschöpferische Potentiale sowie Erinnerungskultur und -politik im Sport überschneiden sich folglich auch nicht einfach und reibungslos. Sie konkurrieren und konfligieren vielmehr heftig miteinander. Sie bedürfen daher permanenter „Schlichtungsverhandlungen“, damit sie sich nicht gegenseitig ihre je für sich gesehen legitimen Ansprüche bestreiten und beeinträchtigen. Nur so können sie einen modus vivendi miteinander finden, der sich keineswegs reibungslos und von selbst einstellen kann. 2. Erinnern und Vergessen als Aufgabe der Memorialkultur Im Titel dieses Bandes und in der ihm zugrunde liegenden Tagung ist von Memorial- und Sepulkral-Kultur im Sport die Rede. Zur Sepulkral-Kultur nur so viel. Sie kann zwei Zielrichtungen verfolgen: traditionell mit Blick auf die Toten und mit dem Ziel, deren jenseitiges Leben zu erleichtern und zu bereichern; heute, und so auch im Sport, mit Blick auf die (Über-)Lebenden und mit dem Ziel, 1

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für sie das Gedächtnis der Toten zu bewahren, in Ehren zu halten und für die Gemeinschaft und zur Bereicherung von deren kulturellem Erbe unsterblich zu machen. Die folgenden Überlegungen werden sich auf Fragen der Memorial-Kultur konzentrieren. Erinnerungskultur allerdings, das muss jede Beschäftigung mit einem entsprechenden Thema voraussetzen, steht sowohl beim individuellprivaten als auch beim kollektiv-öffentlichen oder halböffentlichen Erinnern stets in einem Spannungsfeld zwischen Erinnern und Vergessen. Zum einen spontan aufgrund natürlicher Gegebenheiten: der begrenzten Speicherfähigkeit, ja schon Wahrnehmungsfähigkeit des Gehirns des individuellen Menschen ebenso wie seiner sozialen Archive. Das, was man sowohl als psychologische wie als soziologische „Hygiene“ bezeichnen könnte, ist folglich menschengerecht nur dann möglich, wenn hierzu permanent Auswahlentscheidungen getroffen werden. Nicht nur das individuelle, sondern auch das kollektive Gedächtnis sind zu einer Totalwahrnehmung außerstande und natürlich erst recht zu einer Totalerinnerung alles dessen, was sich in deren Erfahrungsraum abspielt. Hinzu kommt zum anderen ein absichtsvolles moralisches Moment: Selbst bei solchen erinnerungswürdigen Ereignissen oder Personen, bei denen es zu schwerem Unrecht aufgrund zurechnungsfähiger Schuld gekommen ist, muss eben diese Abwägung vorgenommen werden. Der Althistoriker Christian Meier hat erst kürzlich in einem hoch umstrittenen Diskussionsbeitrag daran erinnert, dass selbst in solchen Fällen durchaus auch Wege zu „Versöhnen und Vergessen“2 bzw. zum Versöhnen durch bewusstes Vergessen unter dem Ziel des inneren oder äußeren Friedens von Gesellschaften geboten sein können. Als aktuelles Beispiel wäre hier, passend zu unserem Thema, der Umgang mit der zweiten deutschen Vergangenheitsbewältigung im Sport etwa im Hinblick auf die StasiFrage aufschlussreich: Kann es richtig sein, dass seinerzeit kleine Stasi-Zuträger innerhalb der DDR-Diktatur auch 20 Jahre nach der deutschen Vereinigung unter dem Damoklesschwert der „Enttarnung“ und daraus folgenden Sanktionen leben?3 Selbstverständlich kann man möglichen Opfern hier kein Vergessen ihres persönlichen Schicksals abverlangen. Auch kann Vergessen nicht Tabuisierung von dauerhafter wissenschaftlicher oder archivarischer Aufarbeitung einschließen. Aber das vorsätzliche „Vergessen“ als Form des offiziellen Verzichts auf dauerhaft praxiswirksame Sanktionierung und sühnenden Ausschluss aus öffentlicher Verantwortung schon. Schließlich darf hier auch der Hinweis auf eine dritte, eine politischkriminelle Variante des Vergessens nicht fehlen: das zielgerichtete VergessenMachen durch Unrechtsregime, die ihre illegitime Macht einsetzen zur damnatio 2 3

MEIER, Versöhnen und vergessen, 124–127. Zu diesem Problemfeld vgl. GÜLDENPFENNIG, Denkwege nach Olympia, Kap. 4 („Olympische Steuerpolitik“); DERS., Sport verstehen und verantworten, Kap. 2 („Über die zweite deutsche Vergangenheitsbewältigung: Anmerkungen zur historischen und aktuellen Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit im DDR-Spitzensport“).

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memoriae, dem kommunikativen Pendant zur physischen Vernichtung von Menschen, die man zu Feinden, zu Unpersonen, für unliebsam und lebensunwert erklärt und aus der öffentlichen Erinnerung sowie aus allen Archiven löscht, verschwinden macht, nachdem man sie leibhaftig hat verschwinden lassen, ihr Leben kaltblütig gewaltsam ausgelöscht hat. 3. Tod im Sport In den folgenden Ausführungen werde ich allerdings diese Ebene der moralischen, der politischen und erst recht der kriminellen Kultur nicht ansteuern. Es wird vielmehr um solche gleichsam positiven Auswahlentscheidungen und um solche Fragen gehen, welche sich auf uneingeschränkt erinnerungswürdige und nachhaltig erinnerte Personen und Ereignisse beziehen. Bei der Thematik dieses Bandes insgesamt jedenfalls haben wir es mit einem engeren Problemspektrum zu tun, nämlich mit Fragen des Umgangs mit dem Verhältnis zwischen Sport und Tod sowie des ehrenden Umgangs mit den Toten des Sports. Hier ergibt sich jedoch sogleich eine weitere grundlegende Schwierigkeit: Auf der Ebene des sportpraktischen Geschehens und seiner kulturellen Sinngebung – also in dem, was ich die Text-Ebene nenne – schließen Sport und Tod einander aus. Bekanntlich kommt es empirisch innerhalb oder infolge des Sportgeschehens immer wieder zu Todesfällen. Berühmte Doping-, Schlagwirkungs- oder Geschwindigkeitsopfer – darunter Athletinnen und Athleten wie Tom Simpson, Florence Griffith-Joyner, Marco Pantani, Bernd Rosemeyer, Wolfgang Graf Berghe von Trips, Jochen Rindt, Ayrton Senna, Régine Cavagnoud oder Ulrike Maier sowie die zahlreichen Todesfälle im Boxring4 – haben sich dauerhaft in das Gedächtnis der weltweiten Sportgemeinde eingebrannt. Und eine Sportphilosophie, welche mehr auf den spektakulären Effekt setzt als auf ihre eigentliche Aufgabe, die logisch stringente Rekonstruktion und Deutung des tatsächlichen Sportgeschehens, möchte hier gern ein begriffliches Kontinuum sehen nach dem Muster: „Sport – Eros – Tod“5. Ein solches Deutungskonstrukt kann jedoch nur durch begriffliche Ungenauigkeit entstehen. Denn logisch sind solche wie die genannten Athletinnen und Athleten gar keine Opfer des Sports. Sie sind vielmehr Opfer der Verletzung von Grenzen des sportlichen Sinnraums. Sport und Tod schließen sich nämlich nicht nur aufgrund der Vitalitäts- und Jugendlich4

5

Der erste nachgewiesene Todesfall im Boxsport ereignete sich bereits im Jahr 1833 mit dem Iren Simon Byrne (nach damals allerdings noch möglichen drei Stunden Kampfzeit). Aber auch nach Einführung von risikobegrenzenden Regeln gab es beispielsweise noch im Zeitraum von 1945 bis 1979 335 Todesfälle im Berufsboxring. Seit 1990 sind selbst durch strikte sportärztliche Überwachung der Kämpfe und der Kämpfer noch immer 140 Todesfälle bekannt (jetzt unter Einrechnung der Trainingsunfälle), darunter auch Weltmeister verschiedener Gewichtsklassen. Quelle: Internet, Wikipedia, Art. „Boxen“, Kapitel „Profiboxen“ (letzter Zugriff 1.11.2010). HORTLEDER/GEBAUER, Sport – Eros – Tod; vgl. dazu GÜLDENPFENNIG, Besprechung, 452–455.

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keitsmessage des Sports aus, sondern vor allem durch ein konstitutives Sinnelement: Sinngerechter Sport bedeutet nicht grenzenlose Immer-weiter-Steigerung menschlichen Strebens. Sport bedeutet vielmehr einen spezifischen Umgang mit Grenzen. Zu seinen Regeln zählt folglich eine klare Unterscheidung zwischen dem Prinzip Sport, das auch im Höchstleistungswettbewerb die Gewährleistung eines hohen Grades an persönlicher Sicherheit der Akteure fordert, und dem Prinzip Risiko, das selbst in verwandten Bereichen wie dem Extremalpinismus diese Gewähr nicht bieten kann.6 Der aufgrund entsprechender aktueller Trends beliebt gewordene Hybridbegriff „Risikosportarten“ ist somit eine logisch ähnlich strukturierte contradictio in adiecto wie „Fun-“, „Erholungs-“ oder „Gesundheitssport“ am Gegenpol der Begriffsskala. Risiko als Gefahr für Leib und Leben ist mithin nicht etwa konstitutiver Teil, sondern Opponent des Sports. „Risiko-“ am einen Pol wie „Funsport“ am anderen verweisen hinaus aus dem Sport in extrasportive Sinnräume. Sport und Tod schließen einander deshalb aus, weil Sport im engen Sinne sich weder mit unbeherrschbarem Risiko noch mit Verfall und Hinfälligkeit verträgt. Die Paralympics, die „Olympischen Spiele“ für Menschen mit Behinderungen, stehen dazu entgegen dem ersten Augenschein keineswegs in Widerspruch. Aber: Wo mit überzogenen Risiken und/oder unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen in der Gestaltung von Wettbewerben durch Veranstalter sowie aufgrund von Selbstüberschätzung der Akteure selbst Todesgefahr heraufbeschworen wird, wird der Sinn- und Handlungsraum des Sports willentlich, vorsätzlich oder auch unbedacht verlassen. Wenn Akteure psychophysisch hinfällig werden, verlassen sie diesen Raum freiwillig und mit Bedacht oder sogar notgedrungen. Insofern sind solche bekannten und beliebten Redensarten, welche den Sport rhetorisch in Verbindung mit dem Tod bringen, nicht wirklich ernstzunehmen: Die Klage „Sport ist Mord“ will nicht wirklich den Infarkt-Teufel an die Wand malen, sondern verweist lediglich auf die befremdlichen, weil dem Alltagsleben fremden Strapazen, denen sich sportliche Akteure freiwillig aussetzen. In der Schlussphase von Ausdauerwettbewerben wird eifrig „gestorben“ – wobei man aber fünf Minuten nach der Zielpassage wieder quicklebendig ist. Und Bill Shanklys Bonmot „Football is not just a matter of life and death – it’s much more important than that“ will besonders kunstvoll die herausragende Bedeutung herausstellen, welche viele unmittelbar und insbesondere mittelbar involvierte Menschen dem sportlichen Geschehen zumessen. All dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich um rhetorische Übertreibungen, bestenfalls metaphorische Umschreibungen, nicht aber um die sinngerechte Wiedergabe der Sportidee handelt. Entgegen der ewig wiederkehrenden Dramatisierung von Betroffenen und Beobachtern, es gehe in einem Spiel um Alles oder Nichts, geht es bei einem sinngerechten Sportgeschehen stets nur um Alles und Nichts im Sinn eines AlsOb, nämlich um ein gesellschaftliches Nichts, um das so gekämpft wird, als ob es um ein Alles ginge. 6

Vgl. GÜLDENPFENNIG, Olympische Spiele als Weltkulturerbe, Kap. 4 („Kern der Olympischen Idee: ein kulturtheoretisch begründeter Sportbegriff“).

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Trotz dieser logisch strengen Unterscheidungen aber bleibt der Umgang mit der empirischen Tatsache des Todes im Spitzensport selbstverständlich eine wichtige menschlich-moralische Herausforderung. Und allein die Umstände, mögen sie auch noch so sportwidrig und folglich kritikwürdig gewesen sein, können nicht hinreichen, den Betreffenden jegliche Erinnerung oder gar die Trauer um den menschlichen und auch sportlichen Verlust zu verweigern. Denn die Sinnstruktur des Sports erzeugt in Bereichen seiner Spitzenleistungen für die Athletinnen und Athleten so starke Versuchungen zur Grenzüberschreitung, dass deutlich wird, wie kurz (und deshalb „verständlich“) der Schritt zum Verrat an der Sportidee sein kann und wie hoch die moralische Leistung derjenigen zu bewerten ist, die der Versuchung widerstehen. Denn der Anspruch auf Respekt, den sie als Sportler durch ihre Grenzüberschreitung verspielt haben, bleibt ihnen als Menschen selbstverständlich auch im Fall des Todes als Folge ihrer Grenzüberschreitung erhalten. Für seine Zuschauer wie für seine Verantwortlichen allerdings erzeugt der Tod im Spitzensport auch Versuchungen zu einer Heldenverehrung, welche sich um die Verteidigung des kulturellen Eigensinns des Sports wenig schert. Die Popularität, welche der mutmaßlich an den Folgen jahrelangen Dopings und späteren Drogenabusus verstorbene Marco Pantani in seiner Heimat ungebrochen genießt und ihm fast den Status eines Heiligen verleiht, böte einen exemplarischen Studienfall für diese Diskussion. Eine solche Studie müsste allerdings zweierlei zeigen: Erstens dass und warum das Prinzip „right or wrong – my country (my club, my hero, my sport)!“ mit dem Sportsinn nicht verträglich ist. Könnten wir es bei der ritualisierten Verehrung und Anbetung „ihrer“ Klubs, von deren Symbolen und lebenden oder verblichenen Protagonisten durch die Fans vielleicht mit einer späten Variante archaischer Traditionen des Ahnenkults zu tun haben, wie sie Nigel Spivey am Beispiel der australischen Aborigines schildert? Die Analogien sind so auffällig, dass sich eine solche Deutung förmlich aufdrängt: „Ahnen waren nicht nur die Schöpfer aller Landschaften, Pflanzen, Tier und Menschen, sondern hatten auch verbindliche Lebensregeln hinterlassen – Zeremonien, Rituale, Sprache, Zusammengehörigkeitsgefühl und ökologisches Wissen. Nachdem sie die Menschen darüber belehrt hatten, wie sie mit dem Land leben sollten, ließen sich die traumzeitlichen Vorfahren an bestimmten, von ihnen selbst geschaffenen Orten nieder. Dort blieben sie, und dort mussten sie verehrt werden. Sollte man sie stören oder erzürnen, würden sie reagieren.“7

„Mein“ bzw. „unser“ Klub, „unser“ Stadion, „unser“ Team mithin als heiliger Traumort, hervorgegangen aus mythischen Ursprüngen der Traumzeit? Und deshalb ausgestattet mit einem Status der Unantastbarkeit? – Ein Fall für Ethnologen und Anthropologen.

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Vgl. SPIVEY, Kunst, 128.

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Zweitens dass eine entsprechende Memorialkultur nicht in verklärender Erinnerung an die verstorbenen Helden aufgehen kann, sondern das In-Ehren-Halten mit kritischen Nachfragen verbinden muss. Dieser Herausforderung muss sich allerdings jegliches kollektive und öffentliche Erinnern grundsätzlich viel selbstverständlicher stellen als bisher. Die würdigende Benennung von öffentlichen Räumen, Einrichtungen und Wettbewerben nach Persönlichkeiten, die Herausragendes für die Gemeinschaft geleistet haben, muss ausdrücklich in dem Bewusstsein erfolgen, dass man es dabei stets zugleich mit fehlbaren Menschen und nicht mit unfehlbaren Übermenschen zu tun hat – und dass man folglich auch nicht auf jede neue Entdeckung von solchen Verfehlungen mit Kampagnen zur Umbenennung und dem Entzug der Würdigung antworten muss, solange der politisch-moralische Grad der nachträglich aufgedeckten Verfehlungen nicht ein vertretbares Maß überschreitet.8 4. Tod und ehrendes Erinnern an Sportlerinnen und Sportler Wirklich sinngerecht kann sich die Frage nach dem Tod im Sport trotz allem folglich nur in Bereichen stellen, welche das gesellschaftliche Umfeld des sportlichen Geschehens ausmachen, also in dem, was ich die Kontext-Ebene des Sports nenne. Eben dort ist folgerichtig die Diskussion angesiedelt, die sich dieser Band hauptsächlich zum Thema macht. Sportlerinnen und Sportler sterben, auch wenn es innerhalb ihrer Sportkarriere sportgerecht zugegangen ist und sie aufgrund ihrer sportlichen Tätigkeit selbst nicht ernsthaft zu Schaden gekommen sind. Denn auch sie sind Menschen, und als solche sterblich. Es geht somit bei unserem Thema nicht primär um den Tod im Sport, das heißt im Vollzug und als Folge des Sports. Es geht vielmehr um den Umgang mit prominenten Sportlern nach ihrem Ableben aufgrund sportlich neutraler Ursachen. Und hier nun reiht sich der Sport gleichsam bescheiden ein in die Normalität, dass in allen gesellschaftlichen Feldern generell geübte oder auch je spezifische Trauer-, Bestattungs- und Erinnerungsrituale gepflegt werden. Also unabhängig von den Todesursachen im engeren Sinn, welche, wie oben angedeutet, auf der Text-Ebene des Sports eine besondere Rolle spielen. Gleichwohl gelten und wirken auch auf dieser Ebene wichtige Besonderheiten des Sports. Sportlerinnen und Sportler als Menschen sterben eines natürlichen Todes, aus Altersgründen, an Unfällen, Krankheiten, im Krieg oder als Opfer von Mord und Totschlag. Eben so wie du und ich. Ihrer wird familiär oder öffentlich, bei hinreichender Berühmtheit oder Popularität als herausragenden, stilbildenden und vorbildhaften Sportakteuren gedacht. Die posthume Helden- (selten Heldinnen)Verehrung durch Anhänger geht selbstverständlich ihre eigenen und oft auch 8

Näheres hierzu am Beispiel des Streits um Carl Diem als eine der herausragenden Führungsfiguren des Sports in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. in: GÜLDENPFENNIG, Olympische Spiele, 239–246 („Carl Diem – ‚Ein Leben für den Sport‘? Ein veränderter Deutungsrahmen für die Weiterführung der Diem-Debatte“).

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eigenwilligen Wege, die bis zum Kult reichen können. Gleiches gilt für die postmortale Demonstration der Anhänglichkeit von Fans an „ihren“ Verein durch besondere eigene Bestattungsformen und -orte. Aus Sport-Sicht ausschlaggebend aber sind Erinnerungs- und verstetigende Gedächtnisformen, welche sich auf das sportliche Werk, auf die Ereignisse, auf deren Dramaturgie, dramatis personae, Ausgänge, Folgen und Rezeptionen in der lokalen, nationalen und weltweiten Öffentlichkeit richten – sowie insbesondere auch auf Legendenund Mythenbildung, die sich daran anschließt. Dort ergeben sich dann grundsätzlich ähnliche Konstellationen zum Verhältnis von verlebendigender und vergegenwärtigender Künstler- (sprich hier: Sportler-)Biographie und nacherzählender Werkbiographie, wie sie exemplarisch von Martin Geck zur Figur des Johann Sebastian Bach angedeutet werden: „Ohnehin geht es bei den größten Geistern definitiv niemals um das Leben, sondern immer um das Werk […]: Wo es ein erzählenswertes Leben gibt, verschmilzt dieses unversehens mit dem Werk, das seinerseits stets ein erzählendes ist, zu einem Gesamtmythos. Ein solcher aber erscheint uns näher, greifbarer, menschlicher als der Mythos des selbstbezüglichen Werks. […] Die Frage ‚Was wissen wir über Bach?‘ führt alsbald zu der anderen ‚Was wissen wir über den Künstler und sein Werk?‘.“9

Hier tut sich eine fundamentale Spannung innerhalb der verschiedenen Gedächtnissorte auf, welche üblicherweise eher als eine ungeschiedene Einheit wahrgenommen werden: nämlich zwischen dem, was man ein performatives, also auf den dramatischen Verlauf der sportlichen Aufführung bezogenes Gedächtnis, und dem, was man ein soziales, also auf die Umstände, den Ort, die Akteure und den Ausgang der sportlichen Aufführung bezogenes Gedächtnis nennen könnte. 5. Sportgeschichte ist Geschichte des Sports Weit über das Identifikations- und Nachfolge- bzw. Gefolgschaftsbedürfnis von Anhängern hinaus erfordert eine gehaltvolle Ausformung dieser Sichtweise eine sachgerechte Geschichts- und Zeitgeschichtsforschung, welche ihren Blick sportgerecht fokussiert: Sportgeschichte – das mag klingen wie ein Pleonasmus, der sie nicht ist, – ist primär Geschichte des Sports. Und das heißt vor allem10: Aufgabe der Sporthistorik ist es, den Grad an Angemessenheit und Zukunftsfähigkeit, das Entwicklungspotential eines sportbezogenen Handelns kenntlich zu machen. Gescheiterte Varianten des Sportdiskurses verschwanden deshalb im Orkus der Geschichte, weil sie den kulturellen Eigensinn des Sports ignorierten, mithin schlecht begründet waren und folgerichtig an der Widerständigkeit dieses Eigensinns abgeprallt und zerschellt sind, wie immer wirkungsmächtig sie auch kurzfristig interveniert haben mögen. Nach den mit Niklas Luhmann ermöglichten Einsichten ist daran nichts Überraschendes. Sie erklären überzeugend, warum 9 10

GECK, Bach, 15f. Weiterführendes vgl. in: GÜLDENPFENNIG, Sportgeschichte, 330–343.

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es gar nicht anders sein konnte. Nur ist die Botschaft in der fachhistorischen Diskussion weithin noch immer nicht angekommen. Noch immer gilt vielen Beobachtern eine bewusste und begründete Zurückweisung sportunverträglicher politischer Zumutungen an das Sportgeschehen als naiv oder politically incorrect. Als ein Beispiel für ein solches unzureichend reflektiertes Verdikt kann die verbreitete Unduldsamkeit gegen Äußerungen von Sportlern gelten, die auch unter politisch zugespitzten Pressionen von Unrechtsregimes „einfach nur ihren Sport verteidigen“ wollten, ohne die schon implizit gegebene Widerständigkeit dieses Sportengagements zugleich mit frontalem politischem Widerstand gegen das Unrecht selbst zu verknüpfen. Etwa nach dem Muster von Fritz Walters Selbstbeschreibung seiner Sportlerexistenz im nationalsozialistischen Deutschland, wie sein Chronist Markwart Herzog sie in Erinnerung ruft: „‚Wir fragten nicht nach den Hintergründen. Wir waren glücklich, wenn wir spielen durften‘. Walters Bücher beschränken sich weitgehend auf das ‚Eigenleben‘ des Sports, auf Spielverläufe, Mannschaftsaufstellungen, Torfolgen und Torschützen.“11

Eben darum muss es unter nahezu allen Umständen primär gehen! Allerdings ist hier zugleich einzuräumen, dass bei der historischen Nachzeichnung von extremen außersportlich-politischen Bedingungen, in welchen die sinngerechte liberale Autonomie von Handlungsbereichen wie dem Sport durch die politisch kriminellen herrschenden Mächte gewaltsam außer Kraft gesetzt oder deformiert worden ist, eine solche Abstinenz bzw. Prioritätensetzung nicht strikt durchgehalten werden kann, weil die beobachtete historische Realität selbst dies nicht hergibt. Das zitierte Beispiel des 1. FC Kaiserslautern im Krieg zeigt eindringlich, wie sehr und unumgänglich trotz des eisernen sportlichen Durchhaltewillens, mit dem der Spielbetrieb aufrecht erhalten werden sollte, das sportliche Geschehen eben doch von den politisch zu schaffenden Vorbedingungen abhängig ist. Wobei solche Überformungen des sportlich-kulturellen Geschehens durch politische Intentionen natürlich nicht nur durch Interventionen von außen erfolgen. Eine wichtige Vermittlungsrolle, gleichsam die Rolle eines Relais, spielt vielmehr stets auch die interne Verantwortung von Sportinstitutionen mit ihren Führungsorganen und -personen. Aber selbst hier wäre es unangemessen, den Blick nur noch auf die außer- bzw. vorsportlichen historisch-politischen Scharmützel zwischen Humanität und Barbarei zu richten und den sportlichen Eigensinn in diesem Getümmel gänzlich zu vergessen. Jene hier diskutierten heroischen „Durchhalteparolen“ umfassten zugleich eine politisch-propagandistische und eine sportlich-kulturelle Seite. Aber letztere hat sich schlussendlich oft doch als die praktisch ausschlaggebend treibende Kraft erwiesen. Und Reichstrainer Josef „Sepp“ Herberger, der erklärte Intimfreund des FCK, hat zu jenen „Wehrkraftzersetzern“ gehört, welche die Eigen- und Widerständigkeit der Sportidee gegen die absolutistische Herrschaft der politisch-militärischen Macht 11

HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 12.

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auszuspielen und gegen den Trend der Zeitumstände zu behaupten versucht haben – und zwar mit nicht geringem Erfolg, wenn auch auf Kosten ständiger moralisch zwiespältiger Zugeständnisse und Arrangements mit der NS-Macht. Die Interpretation und zustimmende Wertung des hier zitierten Autors zu Herbergers Spagat zwischen rhetorisch-ideologischem Konformismus gegenüber dem verbrecherischen politischen Regime auf der einen Seite und dem praktischen „Soldatenklau“12 auf der anderen wird für eine moralisierende Geschichtswissenschaft kaum fassbar sein. Ein solcher Befund allerdings spricht weniger gegen jene differenziert abwägende Interpretation und Wertung als gegen habituelle Pauschalisierungen einer moralisierenden Geschichtswissenschaft. Allgemein gilt deshalb: Solche Richtungen der Sportinterpretation, welche hauptsächlich auf soziale oder politische Kontextbezüge und -erwartungen des Sportgeschehens fokussiert sind, verkennen den fehlenden Respekt ihrer allgemeinen Referenzansätze vor dem kulturellen Autonomieanspruch des Sinnsystems Sport. Referenzen auf politische, ökonomische oder militärische Kultur haben im Sinnsystem des Sports stets nur kurzlebige Zeitgeisteffekte hervorgebracht. Nachhaltigkeit hat die Sportentwicklung allein unter Referenz auf diejenige Seite des Sports gewinnen können, die ihn als Teil der ästhetischen Kultur ausweisen. Es geht also um einen radikalen Wechsel des Referenzsystems historischer Beobachtung: weg von der Referenz auf soziale Einheiten (Staaten, Nationen, Kommunen, Klassen, Ethnien usw.), hin zur Referenz auf kulturelle Einheiten (Sinnsysteme). Beide heben sich zwar nicht gegenseitig auf, sondern ergänzen einander. Gleichwohl gilt hier ein prinzipielles Primat eben der kulturellen Seite. Notwendig sind folglich ein Perspektiven-, Blick-, ja Paradigmenwechsel in der Sporthistorik und eine Neuinterpretation der historischen Sportgenese. Selbstverständlich ist anzuerkennen, dass die Geschichte des Sports sich innerhalb von außersportlich-gesellschaftlichen Kontexten abspielt. Aber deren potentielle oder manifeste Rückwirkungen auf die Sportentwicklung sollten streng selektiv nur dann und insoweit ergänzend herangezogen werden, als es aus der Perspektive des Sports zur Erklärung seiner inneren Entwicklung mit guten Gründen geboten erscheint, nicht aber als sportindifferent-allgemeines Präludium, nach dessen Verklingen irgendwann auch die Frage „Und der Sport?“ angehängt wird. Die historische Genese des Sportgeschehens im engeren Sinne rückt mit dieser Sicht also von der Peripherie allgemeinhistorischer Entwicklungen in das Zentrum des Interesses und der Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Beobachtung. Sportgeschichte als Geschichte des Sports kann nicht weiterhin nachklappen hinter der politisch-ökonomischen Geschichte als deren bloßer Wurmfortsatz. Sie ist vielmehr ernstzunehmen als eine Geschichte kraft eigener kultureller Macht, zu deren Entfaltung sie zwar auf politische und ökonomische Ressourcen angewiesen ist, aber gleichermaßen auf politik- und ökonomieskeptische Abwehrpotenzen. 12

Zu allen in diesem Absatz zitierten Beobachtungen vgl. HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 155–162, 162f., 182, 179f., 192f. u.ö.

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Erst wenn diese Emanzipation glückt, bzw. in dem Maß, in dem sie glückt, wird die eigentliche gesellschaftliche Funktion und Verpflichtung – die wirkliche historische Mission – des Sports sichtbar und erfüllbar: die Hervorbringung des Überwältigenden und Faszinierenden einer unaustauschbaren ästhetischen Erfahrung und Leidenschaft „by playing the game and by playing it well“, verbunden mit einer Abwehr aller darüber hinausgehenden instrumentellen Zumutungen, die diesem autotelischen ästhetischen Geschehen von außen zu oktroyieren versucht werden. Die vornehmste Aufgabe der Sportgeschichtsschreibung bestünde folglich darin, die zunächst überaus spärlichen und langsam, diskontinuierlich zunehmenden Spuren ausfindig zu machen, welche dieser Emanzipationsprozess im historischen Verlauf hinterlassen hat, nicht aber sich auf jene Momente zu konzentrieren, welche den Sport in sinnfremden Herkunftsbindungen festzuhalten versuchten. Diese Einschätzungen zur geschichtswissenschaftlichen Erforschung des Sports gelten sinngemäß natürlich auch für die außerwissenschaftliche Erinnerungskultur. Zu beachten ist eine weitere Facette dieses Problemfeldes: Die Sportbeobachtung unterliegt einer weit verbreiteten, geradezu klassischen Fehlsichtigkeit. Das Hilfsmittel eines gelingenden Sportereignisses, der wechselseitige Kampf um den Sieg, wird überhöht zum eigentlichen Ziel und damit zum Hauptattraktor der Aufmerksamkeit. Diese sportwidrige Perspektiven- und Wertungsverschiebung gegenüber dem je aktuellen Ereignis setzt sich üblicherweise fort in der Erinnerungskultur: Die grandiosen Siege und Sieger, weniger die grandiosen Dramenaufführungen haften im Gedächtnis und werden in Chroniken festgehalten. Eine solche Ausrichtung des Blicks setzt eine Beobachtungshaltung voraus, welche generell in den Kunstwissenschaften der „immanenten Interpretation“, der Selbstreferenz sowie den Fragen der schöpferischen Formgestaltung und ihres Gelingens – also der „absoluten Kunst“ – den Vorrang, das Primat beim Zugang zu ästhetischen Werken und Ereignissen sowie deren Protagonisten einräumt vor allen externen Umweltreferenzen, denen erst durch den „Filter“ des ästhetischen Primats Zugang zum Geschehen gewährt wird. Das heißt, dass zum Beispiel in einer neuen Biographie zu Matthias Sindelar, dem „Papierenen“, dem österreichischen Wunderspieler, dessen vorweggenommener „spanischer“ Fußballstil im Vordergrund der Würdigung steht, und damit seine spielimmanente, also politisch gesehen nur quasi-oppositionelle Widerstandshaltung gegen die nationalsozialistischen Übergriffsversuche auf den österreichischen Fußball der 1930er Jahre. Und es heißt, dass bei einer historischen Darstellung des Futbol Club Barcelona ebenfalls die Fußballrevolution, welche dieser Klub seit den Zeiten eines Johan Cruyff in den 1970er Jahren ausgelöst hat, im Zentrum der Betrachtung steht, weniger aber seine Bedeutung für das katalanisch-separatistische Nationalbewusstsein innerhalb Spaniens.13 Wie wenig selbstverständlich, wie wenig beim Fußballpublikum angekommen und verbreitet diese Sichtweise noch immer ist, zeigt sich vor allem darin, dass man nach dem Ende der Fußball-WM 13

Vgl. DREIER, Der Papierene; SCHULZE-MARMELING, Barça; zu Letzterem vgl. GÜLDENPFENNIG, Rez. SCHULZE-MARMELING, Barça.

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in Südafrika ein weiteres Mal vergeblich auf Fanfarenstöße und Jubelrufe auf der Straße, auf den Fanmeilen und in den Stadien warten musste, die sich nicht auf ein Tor der je „eigenen“ Mannschaft bezogen, sondern auf einen sportlich besonders gelungenen Spielzug, egal welche Mannschaft ihn jeweils vorgetragen hat. Diese kurzen Notizen verweisen zurück auf die Thematik dieses Bandes und grundieren sie: Auch die Memorialkultur im Sport insgesamt und besonders im Fußballsport ist aus der Sicht des sportlich-kulturellen Eigensinns weithin zu stark reduktionistisch gebunden an die lokalen, regionalen oder nationalen – also primär sozialen bzw. quasi-politischen – Identifikationsbedürfnisse der Sportanhänger, während die Erinnerung an die ästhetisch-kulturellen Gehalte und Höhepunkte der sportlichen Entwicklung unterbelichtet, oft sogar unbeachtet bleibt. Memorialkultur bietet hier oft zu wenig Memorial der Kultur, der kulturellen Seite ihres Gegenstandes. Unter dem Schulaufsatz würde stehen „Thema verfehlt“. Das heißt allgemein: Der Charakter einer Memorialkultur gibt zu wesentlichen Teilen ein Spiegelbild der aktuellen Sichtweise, welche die jeweilige Erinnerungsgemeinschaft von dem Grundcharakter und der gesellschaftlichen Bedeutung ihres Erinnerungsgegenstandes sowie von dessen Protagonisten, also personellen und institutionellen Trägern hat und pflegt. Wie auch immer diese Sichtweise jeweils akzentuiert sein mag: Jedenfalls hängt jegliche Memorialkultur maßgeblich an der Fähigkeit ihrer Erinnerungsobjekte und deren „Kraft, Mythos zu bilden“, wie sie Martin Geck anschaulich am schon zitierten Beispiel Bach vorgeführt hat.14 Einen maßgeblichen Unterschied dabei macht allerdings die Frage, ob die Protagonisten primär als Repräsentanten ihrer Sozialgemeinschaft erinnert werden und das von ihnen geschaffene ästhetische Werk dahinter zurücktritt, oder primär als Repräsentanten ihrer Kunst, womit zugleich auch diese selbst als würdiger Gegenstand der Erinnerung geehrt würde. So wie zum Beispiel die Begeisterung selbst seiner Landsleute für einen Weltstar wie Dietrich Fischer-Dieskau sich nicht primär darauf bezieht, dass er sie als Deutscher in der Welt der Kunstmusik repräsentiert, sondern daran, dass er seine Kunst auf so extraordinärer Weise in der Welt repräsentiert hat. Von einem solchen Perspektivenwechsel ist die Welt des Sports beim Umgang mit ihrem eigenen und eigensinnigen Gegenstand noch immer allzu weit entfernt. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Erinnerungskultur, und in deren Rahmen ebenso für die Trauerkultur und ihren Umgang mit ihren prominenten Toten. Wichtige Vorarbeiten zu dieser Thematik hat Markwart Herzog geleistet in einem Beitrag, in dem er im Jahr 2005 unter den Stichworten Totenmemoria, Ahnenbiographien, Stadionbegräbnis und Performance den Stand der Diskussion zu Trauer- und Bestattungsritualen der Fußballvereinskultur bilanziert15 und 201116 weiter vertieft hat. Dabei hat er die Aspekte der Trauerkultur und der Bestattungsbräuche in den Mittelpunkt gestellt und am Beispiel des Fußballsports 14 15 16

GECK, Bach, 26. Vgl. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale. Vgl. HERZOG, Wahre Leidenschaft.

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erörtert. Der Sport reiht sich demnach mit eigenen Akzenten ein in die aktuellen Tendenzen zu grundlegenden Veränderungen in der Bestattungskultur. Der Spiegel hat kürzlich unter dem sprechenden Titel „Das Friedhofssterben“ ein eindrucksvolles Porträt dieses Wandels gezeichnet: „Gestorben wird in Deutschland öffentlicher denn je, in vielen Büchern wird der Tod thematisiert, Robert Enke wurde im Stadion betrauert. Doch die meisten Deutschen lassen sich anonym beerdigen, der Umgang mit der Trauer hat sich grundlegend gewandelt.“17

Eine weitere „exotisch“ anmutende Facette, die gleichwohl nur den realen Reichtum dieses Feldes illustriert, trägt Bartholomäus Grill bei in seinem Porträt des afrikanischen Fußballs aus Anlass der WM 2010, in welchem er zeigt, wie hier der Ahnenkult noch immer spannungsreich bis in das aktuelle Sportgeschehen hineinreicht. So wurde nach dem Ableben des Asantehene, des Königs des Volks der Ashanti in Ghana, „erbittert darüber gestritten, ob in einer solchen Zeit nicht auch der Ball ruhen müsse. Der Asantehene ist zwar der Schirmherr von Asante Kotoko, nun aber geht er heim zu den Ahnen. Trotzdem störte der Club King Faisal Babes gestern die Totenruhe und trug ein Heimspiel gegen die Dawu Youngstars aus! Das Stadion war fast leer, niemand wollte die Begegnung sehen. [...] Die Ahnen sind mächtig in Afrika, die Lebenden müssen sich gut mit ihnen stellen. [...] Es gibt Orte in Afrika, da spüren auch wir europäischen Vernunftsmenschen die Macht der Ahnen. Einer dieser Orte liegt in Lusaka, der Hauptstadt Sambias [...]. Heroe’s Acre, ‚Heldenfriedhof‘, nennen die Fans diesen Platz. Hier ruhen die Spieler, die sie angebetet haben. Einige gehörten zu jenem Team, das es bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul zu weltweitem Ruhm brachte, als es unter der Führung von Kapitän Kalusha Bwalya das Star-Ensemble von Italien 4:0 demütigte. Sie wurden zu einer gefürchteten Fußballmacht in Afrika und galten als eines der besten Teams, das der Kontinent jemals hervorgebracht hat [...]: Aber dann kam dieser unselige Tag im Jahr 1993, [...] stürzte das Flugzeug fünfhundert Meter vor der Küste in den Atlantik. Die fabelhafte Mannschaft war mit einem Schlag ausgelöscht. [...] Die sterblichen Überreste der Spieler sollten vor dem Independence Stadium beerdigt werden, aber einige Familien wollten die Leichen ihrer Angehörigen nicht freigeben. Am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, denn die Toten wurden quasi zum Volkseigentum deklariert – und gemeinsam beigesetzt. ‚Sie spielen mit. Seit sie da liegen, haben wir noch kein Heimspiel verloren‘, beteuert der Taxifahrer. Die Helden sind verstorben, aber sie sind nicht tot.“18

So gehaltvoll und spannend dieses Thema auch ist, werde ich ihm hier dennoch nicht weiter nachgehen. Auf der Kontext-Ebene hat die Sepulkral-Kultur ihren Stellenwert innerhalb der Traditionsbildung im Rahmen von sozialintegrativen Bindungswirkungen, 17 18

FICHTNER, Das Friedhofssterben, 50. GRILL, Laduuuuuma!, 43–45.

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welche Sportvereine und -verbände zu Mitträgern des lokalen, regionalen oder nationalen Gemeinschaftslebens machen. Hier treten sie jedoch kaum als ein kulturstiftender Faktor in Erscheinung. Dies ist im Unterschied zu einer im Sport gängigen unpräzisen Denk- und Sprechweise keineswegs dasselbe. Im Unterschied dazu wäre es sinnvoll, hier deutlich zu differenzieren: in Sport als der Kernkultur dieses Sinnraumes, sowie in Gemeinschaftsbildung, sozialintegrative und politisch-rechtliche Aspekte der Sportorganisationen als Kontextkultur. Auch letztere ist selbstverständlich wichtig und beachtenswert. Aber sie geht nicht auf in ersterer, und umgekehrt. 6. Memorialkultur als Widerstand gegen die Furie des Verschwindens Die Pflege von Memorialkultur bedeutet einen aktiven Widerspruch gegen Hegels Horrorvision von der „Furie des Verschwindens“.19 Genau dieses kulturgeschichtliche Schreckensszenario aber ist gerade im Sport so virulent wie in anderen performativen Künsten. Ein wichtiges Moment in der sportbezogenen Erinnerungskultur ist folglich – und zwar keineswegs zuletzt – ein sachgerechter Umgang mit der Flüchtigkeit der sportlichen Kunstwerke. Wie eine Theateroder Ballettaufführung oder ein Konzert ist mit dem Verklingen des letzten Wortes oder Tones und mit dem Vollzug der letzten Mimik, Gestik oder tänzerischen Bewegung auch das Drama des sportlichen Wettkampfs mit dem letzten Abpfiff des Schiedsrichters oder mit dem letzten Gong am Boxring definitiv vorbei und – verschwunden. Aufbewahrt wird es von nun an allenfalls noch in dem immer mehr verschwimmenden Gedächtnis unmittelbarer Beobachter, in archivierten Berichten von schreibenden Reportern oder in der Aufzeichnung von technischen Medien. Von dem Kulturhistoriker und Politikwissenschaftler Edward W. Said, der auch ein hervorragender Musikkenner war, wird berichtet, dass er sich durch den frühen Tod des Pianisten-Genies Glenn Gould dazu habe inspirieren lassen, „der Flüchtigkeit der Zeitkunst Musik und der Interpretation das dauerhafte Asyl der Worte zu öffnen und in ihnen die Geheimnisse der Kunst zu reflektieren“20 – und fortan neben der wissenschaftlichen Beobachtung der politischen Welt Musikkritiken zu schreiben. Der eigentliche Schatz von Fußball wie jeglichem Sport ist aber eben gerade in der Spielkunst aufgehoben, ebenso verborgen wie öffentlich vorgeführt, jedenfalls aber ungemein vergänglich. Noch vergänglicher als andere Kulturgüter, von denen aus natürlichen Gründen oder aufgrund von Vernachlässigung, Gewalteinwirkung und gezielt barbarischem Kulturfrevel ebenfalls der größte Teil auf immer verloren ist.21 Die Sportwerke hinterlassen wie die Werke aller performativen Künste keine den Dramentexten, den Notaten von Ballettchoreographien, den Partituren von 19 20 21

HEGEL, Phänomenologie, 436. GOERTZ, Im Asyl der Worte. Vgl. SCHWARTZ, Kunst will Ewigkeit.

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Musikkompositionen, den Filmrollen oder den Hinterlassenschaften der bildenden Künste adäquaten materiellen Substrate. Auch Künstlerinnen und Künstler mit „haltbaren“ Hinterlassenschaften leben in ihren Biographien, in „Künstlermuseen“22 oder Ähnlichem weiter – aber eben doch vor allem in ihren Werken. Dieser Weg zur Unsterblichkeit in der Erinnerung ihrer Zeitgenossen und Nachfahren ist den performativen Künstlern weitgehend versperrt. In diesem Sachverhalt liegt sicherlich ein Grund für das Ausweichen der sportbezogenen Memorialkultur zum einen auf die großen Namen Einzelner, bei denen sich die überragenden Auftritte und Triumphe so ins Gedächtnis einer großen Fangemeinde eingebrannt haben, dass man zumindest noch weiß, dass, aber nicht unbedingt, wie im einzelnen sie ihre extraordinären Leistungen erbracht haben; sowie zum anderen auf die verfestigten, geronnenen Erinnerungen in Gestalt „meines“ Vereins als dem Mittelpunkt der Welt. Eine solche Neuorientierung wäre natürlich angewiesen auf Vorleistungen einer neuartigen Ausrichtung des geschichtswissenschaftlichen Blicks und entsprechender Verfahren auf das sportpraktische Geschehen. Diese innovative Forschungsstrategie müsste beispielsweise eine neue Form von Quellenkritik entwerfen. Sie müsste sich in neuer Weise auf das eben umrissene methodologische Grundproblem speziell der Sport-Geschichte bzw. der Geschichte aller performativen Ereignisse einstellen: Sportpraktisches Geschehen ist ein im Wesentlichen non-verbales, zudem überaus flüchtiges Geschehen und hinterlässt allenfalls schriftlose Quellen. Diese sprechen gleichwohl keine eindeutige Sprache über Sinn und Regeln des untersuchten Geschehens, sind folglich als eindeutig interpretierbare Zeugnisse für die nachträgliche sporthistorische Auswertung nur unter großen Vorbehalten brauchbar. Die Forschung müsste folglich ersatzweise auf sekundäre schriftliche Quellen zurückgreifen, welche aber ebenfalls der systematischen Tendenz unterliegen, das praktische Geschehen mehr oder weniger realitätsnah zu ideologisieren und spekulativen Deutungen zu öffnen, ja auszuliefern. Die Notwendigkeit entsprechender Verfahrens- und Deutungsrevisionen ist natürlich aus anderen Künsten längst bekannt und wäre entsprechend auch für unser Feld fruchtbar zu machen. Um solche fruchtbaren Revisionen an nur einem einzigen Beispiel zu veranschaulichen, welches zunächst abgelegen erscheinen mag, bei genauerem Hinsehen aber strukturelle Verwandtschaften zu dem notwendig veränderten Blick auch auf das Sportgeschehen und dessen Bewahrung in der Erinnerungskultur erkennbar werden lässt. Eine Studie von Roberto Calasso regt in einer neuen „Lektüre“ von Giambattista Tiepolos Gemälden und Fresken Korrekturen am traditionellen Bild seines Werks an: „Calasso liest die Bilder im Widerspruch zu einem historisierenden oder auf das Formale verpflichteten Expertentum, das an Tiepolo vor allem das Dekorative, Ornamentale und Gefällige wahrnimmt. So bringt er, nicht ohne Groll gegen die moderne Kunst, Tiepolos Bilder als Erinnerung an all das zur Geltung, was die 22

Vgl. BEAUCAMP, Denn darum wissen wir.

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‚monologisierenden‘ Modernen nicht mehr wissen. Enthusiastisch wird ein Reichtum an Bezüglichkeit ausgebreitet, der schließlich auf eine kulturkritische Lektion in Lebenskunst hinausläuft. Am Blick des angeblich oberflächlichen Venezianers arbeitet Calasso in der Aufwertung der kleinen Wahrnehmung eine Haltung zur Sichtbarkeit der Welt heraus, die der Kultur des Multitasking und der Zerstreuung zu ihrem Schaden abhanden gekommen ist.“23

Die Sporthistoriographie steht zumindest gegenüber weiter zurückliegenden Epochen somit vor einer ähnlichen Lage und Herausforderung wie die Kulturanthropologie oder Ethnographie gegenüber vorindustriellen, nichtstaatlichen, schriftlosen und entsprechend geschichtslosen Gesellschaften. Der bisherige Stand der Forschung aber reflektiert dieses Problem noch nicht einmal. Er ist deshalb völlig unbefriedigend, weil bislang ein überzeugendes und gemeinsames Suchsystem fehlt, eine wohlbegründete selektive Forschungsperspektive, unter deren Führung man die Kulturgeschichte systematisch nach Spuren einer sich durch die Menschheitsentwicklung ziehenden Evolution des Sinnsystems Sport im engeren Sinn verfolgen könnte. Dieses methodologische Problem von Quellenlage und Quellenkritik der Sporthistoriographie ist verbunden mit einem weiteren Verfahrensproblem. Sportgeschichtsschreibung hat die Aufgabe, im Nacherzählen der jeweils historisch realisierten auch auf einige bedenkenswerte der unausgeführt gebliebenen alternativen historischen Möglichkeiten hinzuweisen. Das hieße: Markieren von Weggabelungen, an denen die historische Entwicklung durch Abwägen zwischen verschiedenen möglichen Wegen sich für einen Weg entschieden hat, der in der historischen Rückbetrachtung aber nun relativierend beurteilt wird. Sporthistorik ginge damit nicht länger auf in bloßem historistischem Nachvollzug dessen, was unter der Herrschaft der zeitgenössischen Umstände geschehen ist. Sie ermöglichte vielmehr Perspektivierung als eine Art von latentem, insistierendem Vorbehalt. Durch ein solches Verfahren werden, obwohl sie bereits unabänderliche realhistorische Gestalt angenommen haben, gleichwohl das Geschehen und seine Akteure in einen historischen Konjunktiv eingerückt. Es wird erkennbar, wie selbst das reale historische Geschehen seinerzeit erst als Ergebnis und Entscheidung zwischen alternativen Möglichkeiten tatsächlich zustande gekommen ist. Diese allgemeine Grundkonstellation lässt sich ohne weiteres auch auf das kleine und überschaubare Feld des Sports übertragen und für eine gehaltvollere Sportgeschichtsschreibung fruchtbar machen. Es wäre dann beispielsweise zu erkennen, dass die Akteure des sportgeschichtlichen Geschehens möglicherweise weithin unter der Wirkung einer multiplen Verblendung über den Gegenstand ihres Handelns und Entscheidens gestanden haben. Verursacht durch die monopolistische Stellung von diskursiven Stereotypen, welche sie außerstande gesetzt haben könnten, objektiv gegebene sinngerechte Alternativen überhaupt zu sehen. Sie hätten daraufhin eventuell ihren gegebenen Beurteilungs-, Entscheidungsund Handlungsspielraum für weitaus kleiner gehalten, als er tatsächlich war. Und 23

APEL, Ein Nachruf.

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sie hätten sich für weniger sportgerechte Lösungen entschieden, als dies seinerzeit schon möglich, zumindest denkbar gewesen wäre. Solche Perspektivierungen einzuführen, wäre also eine weitere wichtige Aufgabe einer gehaltvollen Memorialkultur des Sports. 7. Fazit Man spricht heute zu Recht von Erinnerungs-Arbeit. Für eine sich als aufgeklärt verstehende Gesellschaft kann es auch in der Kultur der Erinnerung nicht mehr hinreichen, dass ihre Bürger sich ohne Selbstprüfung darauf zurückziehen, ihren spontanen Regungen und Bedürfnissen im Umgang mit Vergangenheit, Gegenwart und dem Gedenken an bedeutsame Entwicklungsstationen ihres Umfeldes freien Lauf lassen. Erinnerungs-Arbeit bedeutet vielmehr, dass solche Regungen und Bedürfnisse auch vor begründeten allgemeinen Maßstäben gerechtfertigt werden können. Daran aber hapert es zu unserem Thema noch immer allzu oft. Um abschließend einer möglichen Fehldeutung entgegenzutreten, welche aus meiner Argumentation als scheinbar naheliegend abgeleitet werden könnte: Selbstverständlich ist es gerechtfertigt, ja unverzichtbar, dass soziale Gemeinschaften (und damit auch Sportvereine und ähnliche Organisationen) sich der Loyalität, Zustimmung und Kooperationsbereitschaft – also der Identifikation durch ihre Angehörigen – versichern. Und ebenso selbstverständlich ist es legitim, dass eine Sportgemeinschaft in ihrer Erinnerungskultur eine subjektive Perspektive einnimmt und den Blick selektiv auf diejenigen Spuren fokussiert, welche „die Unseren“ im Sportgeschehen hinterlassen haben. Es geht ja hier um ihre Geschichte und nicht um irgendeine, derer man sich dabei vergewissern und dauerhaft erinnern will. Gleichwohl sollte auch dieser subjektiv-selektive Blick nicht zu sehr verengt werden. Auch hier sollte er primär auf die erinnerungswürdigen sportlichen Dramen gerichtet sein, welche „die Unseren“ mitgeschaffen haben, nicht aber primär oder gar ausschließlich auf die Erfolge der Unseren. Jene Legitimation gilt also nur unter zwei Bedingungen: Zum einen müssen in Verbindung mit dem Sport die allgemeinen Ziele, Organisationsstrukturen und Handlungen dieser Gemeinschaften mit universal geltenden menschlichen Normen vereinbar sein. Zum anderen müssen die direkt sportbezogenen Praktiken dieser Gemeinschaften mit den partikular geltenden sportlichen Normen vereinbar sein. Beide Bedingungen aber sind häufig nicht erfüllt. Und zwar sowohl im Hinblick auf das aktuelle Geschehen als auch im Hinblick auf die Memorialkultur – also beim Gedenken an „heilige“ Orte, an „historische“ Ereignisse und ihre „außerirdischen“ Helden, oder an „unsterbliche“ Vereinigungen, zusammengenommen also an sportinduzierte Ausnahmezustände. Insbesondere auf diese Legitimationslücke beziehen sich die skeptischen Nachfragen und Anmerkungen, die der vorliegende Beitrag an das Projekt einer Erforschung der „Memorial- und Sepulkralkultur des Fußballsports“ richtet. Bereits die sportbezogene Memorialkultur der griechischen Antike übrigens war erfolgs-, nicht ereignis-bezogen: Den Olympiasiegern wurden in Olympia

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als Siegern, nicht als Mitwirkenden einer sportlichen Aufführung in Analogie zu den zeitgenössischen griechischen Tragödien, Erinnerungsstelen errichtet. Von dieser archaischen, ja atavistischen Praxis, welche den sportlichen Wettbewerb noch immer eher in der Nähe des Realkampfes als in der Nähe der performativen Kunst ansiedelt und daher dem winning den Vorrang vor der gelingenden performance zuspricht, hat sich die sportbezogene Beobachtungs- und Memorialkultur bis heute nicht emanzipiert. Wird es nicht Zeit, auch die sportlich-dramatischen Bühnenwerke, ihre Protagonistinnen und Protagonisten und deren institutionelle Träger endlich in jene zivilisierte Freiheit des ästhetischen Schaffens zu entlassen, welche bereits die griechische Antike ihren literarisch-dramatischen Bühnenwerken und deren Schöpfern gewährt hat? Literatur APEL, FRIEDMAR: Ein Nachruf auf die Sichtbarkeit der Welt: Roberto Calasso wirft Licht auf die dunklen Seiten von Tiepolos Kunst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.9.2010. BEAUCAMP, EDUARD: Denn darum wissen wir, wie sie lebten. Künstlermuseen, allüberall: Eine Hommage an die wichtigen Erinnerungsstätten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.10.2010. DREIER, SASCHA: Der Papierene: Das Leben des Fußballstars Matthias Sindelar, Wien 2009. FICHTNER, ULLRICH: Das Friedhofssterben, in: Der Spiegel, 28.12.2009, 50–54. GECK, MARTIN: Bach: Leben und Werk, Reinbek 2000. GOERTZ, WOLFRAM: Im Asyl der Worte: Edward W. Saids Musikkritiken sind eine hinreißende Lektüre, in: Die Zeit, 30.9.2010. GRILL, BARTHOLOMÄUS: Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert, Hamburg 2009. GÜLDENPFENNIG, SVEN: Rez. HORTLEDER/GEBAUER, Sport – Eros – Tod, in: Sportwissenschaft, Heft 4, 1989, 452–455. –: Olympische Spiele als Weltkulturerbe: Zur Neubegründung der Olympischen Idee, Sankt Augustin 2004. –: Denkwege nach Olympia: Kulturtheoretische Zugänge zu großen Sportereignissen, Sankt Augustin 2006. –: Sport verstehen und verantworten: Sportsinn als Herausforderung für Wissenschaft und Politik, Sankt Augustin 2007. –: Sportgeschichte ist Geschichte des Sports: Zur Stellung der Sportgeschichte innerhalb der Sportwissenschaft. Eine geschichtsphilosophische Betrachtung, in: Sportwissenschaft, Heft 3, 2008, 330–343. –: Rez. SCHULZE-MARMELING, Barça, in: SportZeiten: Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 10 (2010), Nr. 3, 95–97. HEGEL, GEORG WILHELM FRIEDRICH: Phänomenologie des Geistes (Werke in zwanzig Bänden, Red. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Bd. 3), Frankfurt a.M. 1970. HERZOG, MARKWART: Trauer- und Bestattungsrituale in der Fußballvereinskultur. Totenmemoria – Ahnenbiographien – Stadionbegräbnis – Performance, in: NORBERT FISCHER/MARKWART HERZOG (Hrsg.), Nekropolis: Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden, Stuttgart 2005. –: Der „Betze“ unterm Hakenkreuz: Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus, Göttingen 2006.

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–: „Wahre Leidenschaft kennt keinen Abpfiff“: Postmortale Inszenierung, Memorialisierung und Verewigung in Fangemeinschaften des Vereinsfußballs, in: DOMINIK GROSS/BRIGITTE TAG/CHRISTOPH SCHWEIKARDT (Hrsg.), Who wants to live forever? Postmoderne Formen des Weiterwirkens nach dem Tod, Frankfurt a.M./New York 2011, 163–188. HORTLEDER, GERD/GEBAUER, GUNTER (Hrsg.): Sport – Eros – Tod, Frankfurt a.M 1986. MEIER, CHRISTIAN: Versöhnen und vergessen: Über Vergangenheitsbewältigung, Gedenkkultur und das Ritual der Erinnerung an kollektives Unrecht in der Geschichte, in: Der Spiegel, 26.7.2010, 124–127. SCHULZE-MARMELING, DIETRICH: Barça oder: Die Kunst des schönen Spiels, Göttingen 2010. SCHWARTZ, GARY: Denn alle Kunst will Ewigkeit. Und doch ist sie sterblich wie der Mensch: Erhaltung des Kunstschatzes ist nicht die Regel, sondern der Ausnahmefall, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.8.1996. SPIVEY, NIGEL: Wie Kunst die Welt erschuf, Stuttgart 2006.

Vereine und Verbände

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„Wer mit dem Adler fliegt – der auch den Tod besiegt“ Die Gedenk- und Trauerkultur bei Eintracht Frankfurt Wie die Trauer um verstorbene Mitglieder von Fußballvereinen, das Gedenken an Tote, die Ehrung der Helden von einst und die Bestattungspraktiken in den Fanszenen vollzogen wird, gehört zu den Desideraten der Kulturgeschichte des Sports. Diese Thematik ist aufs engste mit anderen Zeremonien und Ritualen der Fußballfans verbunden. Eintracht Frankfurt bietet ein besonders aussagekräftiges Beispiel für die Memorialkultur des deutschen Vereinssports. 1. Der „Eintracht-Lebenslauf“ Seit 2007 gibt es im Frankfurter Stadion eine „Kirche in der Arena“. Manche Eltern kommen zu der Erkenntnis, dass die Kapelle im Stadion wohl der schönste Ort für die Taufe ihres Kindes sei. So fanden in der Kirche im Stadion mittlerweile mehr als 30 „Eintracht-Taufen“ statt. Auch den Bund der Ehe kann man ganz nah bei der Eintracht, in der Kirche im Stadion schließen. Die Braut genießt das Privileg, das Hochzeitskleid in der Umkleidekabine der Eintracht anziehen zu dürfen. Taufen und Eheschließungen werden in der „Kirche in der Arena“ aber nur von evangelischen Christen begangen, die katholische Kirche verweist Fans an die Katholische Kirchengemeinde in Niederrad. An Spieltagen ist die Kirche im Stadion nicht zu nutzen. Sie liegt direkt im VIP-Bereich, daher ist ein Besuch an Spieltagen aus Sicherheitsgründen nicht möglich.1 Als Abschiedsort für Trauerfälle wurde die Kirche noch nicht genutzt. Die Eintracht Frankfurt Fußball AG sträubt sich gegen die Vermischung von Sport und Konfession, auch die oben angesprochenen Taufen und Hochzeiten werden lediglich zwischen den Beteiligten, dem Stadionbetreiber und dem Stadionpfarrer arrangiert. Als im Frühjahr 2009 ein Frankfurter Bestattungsunternehmen Eintracht-Särge und Eintracht-Urnen anbot, wurde ihm das von der Rechtsabteilung des Vereins schriftlich untersagt.2 „Wir wollen weder Marketing noch Kommerz mit dem Tod machen“, so die offizielle Stellungnahme der Eintracht.3 Während es in Hamburg einen Fanfriedhof gibt,4 ist in Frankfurt dergleichen nicht geplant. Auch wenn der Tod bei der Eintracht nicht „vermarktet“ wird, gibt 1 2 3 4

Vgl. Frankfurter Neue Presse, 2.8.2007, 14. Vgl. Der Bestatter, 1/2009, 17. Frankfurter Rundschau, 5.2.2009, 34. Vgl. dazu HERZOG, Wahre Leidenschaft, 168–173.

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es immer wieder Todesfälle, die den Verein betreffen und vom Verein verarbeitet werden. Die Eintracht ist bis heute ein expandierender Verein, jedes Jahr steigt die Mitgliederzahl, derzeit gibt es 15.600 Mitglieder. Jedes Jahr sterben Mitglieder, in den letzten zehn Jahren waren es durchschnittlich mehr als 40 Vereinstote pro Jahr. Der „bürokratische“ Umgang mit den Verstorbenen verläuft ganz unterschiedlich und reicht von Kondolenzschreiben bis zu Trauerreden auf der Beerdigung. Darüber hinaus werden verstorbene Mitglieder auf verschiedene Weise geehrt. 2. Schriftliche Denkmäler 2.1. Nachrufe in Vereinsorganen

Schon die Vorgängervereine der Eintracht, die Kickers Frankfurt, Victoria Frankfurt und der Frankfurter Fußballverein nutzten ihre eigenen kleinen Publikationen, um verstorbene Vereinsangehörige zu würdigen. 1920 fusionierte der Frankfurter Fußballverein mit der Turngemeinde von 1861, der neue Verein erhielt den Namen Turn- und Sportgemeinde Eintracht von 1861.5 Im gleichen Jahr wurden erstmals die „Mitteilungen der Frankfurter Turn- und Sportgemeinde Eintracht“, später „Vereins-Nachrichten“ genannt, herausgegeben, eine in der Regel monatlich erscheinende Zeitschrift, die die Mitglieder über vereinsinterne Neuigkeiten informierte. Schnell etablierte sich eine Rubrik „Aus der VereinsFamilie“, in der neben Kartengrüßen und Glückwünschen auch Todesfälle bekannt gemacht wurden. Verdiente Mitglieder wurden in kleinen Texten gewürdigt, wobei die Verdienste um den Verein im Vordergrund standen.6 Auch Mitgliedern, die nahe Verwandte wie Eltern oder Ehefrau verloren hatten, wurde in der Vereinszeitung kondoliert. „Der Schwiegervater unseres Ligaspielers Willy Tiefel ist plötzlich verschieden. Auch an dieser Stelle der ganzen Familie innigste Teilnahme“.7 Da die „Vereins-Nachrichten“ vor 1945 in der Regel nur ein Bild auf der Titelseite enthielten, waren die Nachrufe meist ohne Foto. In seltenen Ausnahmefällen platzierte man neben dem Nachruf ein kleines Bild. Außergewöhnliche Todesfälle wurden auf der Titelseite kommuniziert, was aber nicht mit großen sportlichen bzw. vereinspolitischen Erfolgen zusammenhängen musste. Der überraschende Tod des Vereinsführers Egon Graf von Beroldingen im Oktober 1933 war natürlich Titelthema der „Vereins-Nachrichten“, im Heft wurden dem Verstorbenen vier Seiten gewidmet.8 Aber auch als im Sommer 1935 Albert Mayer, der Sohn des späteren Vereinswirts, nach einer Kieferoperation überraschend verstarb, würdigte die Eintracht den so jung Verstorbenen auf der 5 6 7 8

Vgl. MATHEJA, Schlappekicker, 15. Vgl. Vereins-Nachrichten 1/1936, 10. – Hier werden verstorbene Mitglieder mit wenigen, persönlichen Worten verabschiedet. Vereins-Nachrichten 9/1934, 12. Vgl. Vereins-Nachrichten 11/1933, 1, 3–5.

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Titelseite mit Foto und dem Kurztext „Albert Mayer jun., so wie wir ihn alle kannten“; das Heft enthält allerdings keinen weiteren Nachruf.9 Nach Kriegsende dauerte es bis 1950, ehe die Eintracht eine neue Mitgliederzeitung produzieren konnte. Die „EintrachtHefte“ erschienen wieder monatlich, die Rubrik, in der Todesfälle in der Regel bekannt gegeben wurden, änderte ihren Titel in „Aus der Eintracht-Familie“. Durch ein verbessertes Druckverfahren war man mittlerweile in der Lage, bei Nachrufen auf verstorbene Mitglieder auch auf Fotos zurückzugreifen. Nachrufe konnten kurze Zweizeiler sein: „Mit Wilhelm Heßler wurde ein alter Eintracht-Leichtathlet Abb. 1: zu Grabe getragen“10. Sie Eintracht-Hefte 10/1956 mit Nachruf auf Oberbürgerkonnten aber auch über meister Walter Kolb. mehrere Spalten laufen, mit Bild und sportlichen Erfolgen versehen werden, wie beim Tod des ehemaligen Spitzenleichtathleten Emil Bedarff.11 Ebenso bediente man sich der Form einer Todesanzeige, die mehrspaltig mit der Erwähnung von Vereinsauszeichnungen abgedruckt werden konnte. Gemäß dem Titel „Aus der EintrachtFamilie“ wurden auch weiterhin Todesfälle in Familien bekannter Eintrachtler bekannt gegeben.12 In den „Eintracht-Heften“ zwischen 1950 und 1967 wurden fünf Verstorbene auf der Titelseite gewürdigt, es handelte sich jeweils um langjährige Vereinsmitglieder: Im April 1955 galt die Trauer dem ehemaligen Fußballnationalspieler Franz Schütz, im Juni 1956 dem Frankfurter Oberbürgermeis9 10 11 12

Vereins-Nachrichten, 9/1935, 1. Eintracht-Hefte 10/1959, 11. Vgl. Eintracht-Hefte 7/8/1960, 11. Vgl. Eintracht-Hefte 9/1960, 13: „Unser Ehrenspielführer Karl Ehmer trauert um den Tod seines Vaters Otto Ehmer. Er wurde 88 Jahre alt.“

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ter Walter Kolb, im Juni 1957 dem Journalisten Valentin Reisdorf, der nach dem Krieg beim Aufbau der Eintracht mitgeholfen hatte, im Oktober 1957 wurde um Anton Gentil, den „Vater“ der Tennisabteilung, und im Mai 1964 um den ehemaligen Ligaspieler und Herausgeber der „Eintracht-Hefte“, Paul Imke, getrauert.13 In einem Fall verdrängte die Mitteilung eines Todesfalls sogar die Feier des sportlichen Erfolgs: Der Nachruf auf Anton Gentil verdrängte das Siegerfoto der Ligamannschaft nach dem Gewinn des 1. Deutschen Flutlichtpokals auf Seite 5.14 Die auf der Titelseite gewürdigten Eintrachtler waren allesamt „Ehrenmitglieder“ bzw. „Ehrenspielführer“, Walter Kolb war darüber hinaus eine der zentralen Figuren des Wiederaufbaus in Frankfurt, Freund der Eintracht und Mitglied in der Turnabteilung (Abb. 1). Nun bedeuteten Auszeichnungen durch den Verein nicht automatisch, dass man nach dem Ableben in den Vereinszeitungen geehrt wurde. Willi Pfeiffer beispielsweise, der 700 Spiele für die Eintracht absolviert hatte, Ehrenmitglied und Ehrenspielführer war und nach dem Krieg im Ältestenrat saß, wurde nach seinem Tod 1965 von den „Vereins-Nachrichten“ überhaupt nicht erwähnt. Ende 1967 wurden die Publikation der monatlich erscheinenden „EintrachtHefte“ eingestellt, Neuigkeiten aus dem Verein fortan über die zu jedem Heimspiel erscheinende Stadionzeitung kommuniziert. Auch hier finden sich Nachrufe auf verstorbene Eintrachtler, allerdings blieb die Titelseite von nun an und bis heute sportlichen Ereignissen vorbehalten. Darüber hinaus war die Würdigung verstorbener Angehöriger von verdienten Vereinsmitgliedern seit Einstellung der monatlichen „Eintracht-Hefte“ kein Thema mehr. Im Lauf der Jahre hat die Stadionzeitung als Informationsbroschüre über das jeweilige Bundesligaspiel die Aufgabe der Kommunikation über das Vereinsleben eingebüßt. Daher werden Todesfälle aus den Abteilungen nur gelegentlich und am Rande behandelt. Der Umgang mit Todesfällen in der Fußball-Abteilung von Eintracht Frankfurt hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Wurde in den 1990er Jahren nur kurz über solche Todesfälle berichtet, stellt das heutige „Offizielle Stadionmagazin der Eintracht Frankfurt Fußball AG“ die Verstorbenen ausführlich vor und berichtet sogar über die Trauerfeiern. Neben der Stadionzeitung gibt es, mit einigen Unterbrechungen, seit 1980 wieder ein regelmäßig publiziertes „Eintracht-Magazin“, das an Vereinsmitglieder versandt wird. Es erscheint derzeit alle vier Monate und enthält die Rubrik „Eintracht Frankfurt trauert um ...“, die Verstorbene aller Abteilungen würdigt, die Besonderes für den Verein geleistet haben. 2.2. Totenehrungen in Festschriften

Festschriften sind besonders aussagekräftige Zeugnisse der Kulturgeschichte von Fußballvereinen und -verbänden.15 In den Jahren 1929, 1939, 1949 und 1959 und 13 14 15

Vgl. Eintracht-Hefte 4/1955, 10/1956, 6/1957, 10/1957, 5/1964. Vgl. Eintracht-Hefte 10/1957, 5. Zu dieser Literaturgattung vgl. Beitrag KOLLER in diesem Band.

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1974 veröffentlichte der Verein Jubiläumsbroschüren mit einem Umfang von ca. 80 Seiten. Zu einzelnen Jubiläen brachten auch verschiedene Abteilungen Festschriften heraus, so beispielsweise die Hockeyabteilung zu ihrem 50. und 60. Geburtstag, die Turnabteilung zu ihrem 100. und 125. Geburtstag und die Tennisabteilung zu ihrem 40. und 60. Geburtstag. Zum 100. Geburtstag der Eintracht im Jahr 1999 entschloss man sich, die Jubiläumsschrift in fremde Hände zu geben und beauftragte den Frankfurter Societätsverlag mit einer gebundenen Festschrift. Die erste Festschrift von 1929, die aus Anlass des 30. Geburtstags der Eintracht erschien, gedachte – an hervorgehobener Stelle unmittelbar nach dem Vorwort auf Seite 5 – der Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Unter der Überschrift „Unseren Gefallenen und den im Weltkrieg an ihren Wunden oder an im Felde erworbenen Krankheiten in treuer Pflichterfüllung verstorbenen Mitgliedern geweiht in treuem Gedenken“ wird an die Eintrachtler erinnert, die in den Schützengräben ihr Leben lassen mussten.16 Auch in der Festschrift von 1939 wurde lediglich der Kriegstoten des Ersten Weltkriegs gedacht.17

Abb. 2: Kranzniederlegung am Ehrenmal, Foto 1933.

Diese Form der Erinnerung änderte sich in der Nachkriegszeit. Bereits in der Festschrift „50 Jahre Eintracht“ von 1949 wurden die Toten der beiden Weltkriege nicht mehr explizit erwähnt. Auf Seite 14 werden unter der Überschrift „Unseren Toten“ verschiedene Namen beispielhaft genannt: „Es ist nicht möglich eine vollzählige Namensnennung durchzuführen, daher nur einige unvergessliche Namen“. Es folgen 37 Namen von ehemaligen Spielern, Funktionären und Mäzenen. Darunter sind mit Willi Lindner, Ludwig Schmitt, August Möbs und Hugo Mantel auch Eintrachtler zu finden, die im Zweiten Weltkrieg ihr Le16 17

Festschrift „30 Jahre Eintracht“, 1929, 3. Vgl. Festschrift „Eintracht kämpfte in aller Welt“, 1939, 4.

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ben gelassen hatten. Die unvollständige Aufzählung erinnert auch an drei Eintrachtler jüdischen Glaubens, die im Exil verstorben sind: Walther Bensemann, Dr. Paul Blütenthal und Walter Neumann.18 Ein Bezug zu Krieg und Verfolgung wird nicht hergestellt. Gleichwohl ist auf dieser Seite ein aus der NSZeit stammendes Foto einer Kranzniederlegung am Ehrenmal zu sehen (Abb. 2), das für die Wiederverwendung retuschiert wurde. Die Zeremonie hatte im August 1933 im Beisein von Vertretern der SA und der SS stattgefunden, hinter dem Ehrenmal hingen Hakenkreuzfahnen. In der Festschrift von 1949 sieht man neben Eintrachtfahnen nur noch zwei Jugendliche bei der Totenwache, der Rest des Hintergrunds besteht aus unscharfen Bäumen und Sträuchern (Abb. 3).19 In der Dokumentation „Der Eintracht-Report“ von 1974 fehlt ein allgemeines Totengedenken. Statt dessen gibt es auf den Seiten 71 bis 80 ein Kapitel mit dem Titel „Namen aus der Vereins-Geschichte von Eintracht Frankfurt“, das Spieler, Funktionäre und Freunde der Eintracht vorstellt, unter anderem gefallene Spieler sowie jüdische Funktionäre, unter anderem der ehemalige Schatzmeister Hugo Reiss, in der Festschrift fälschlicherweise „Emil Reiss“, und der ehemalige Förderer Walter Neumann. Beiden Eintrachtlern gelang während der NS-Zeit die Flucht, über ihr Schicksal wird in der Dokumentation aber nichts Näheres berichtet.20 Das vom Verein in Auftrag gegebene Buch „Eintracht Frankfurt – 100 Jahre Fußball und mehr“, dass 1999 anlässlich des 100. Geburtstags herausgebracht wurde, erinnert nicht an die Toten des Vereins. In dem knapp 200 Seiten umfassenden Werk wird die Vereinsgeschichte auf knapp 30 Seiten abgehandelt, ein offizieller Teil des Vereins fehlt vollkommen. Stattdessen enthält die Festschrift zahlreiche Portraits aktueller Fußballer.21 Erinnerungen an tote Vereinsmitglieder findet man gleichwohl immer wieder in den Festschriften der Abteilungen: Die Hockeyabteilung erinnert in der Festschrift zu ihrem 50. Geburtstag im Jahr 1956 unter dem Titel „Unseren Toten zum Gedenken“ mit dem Gedicht „Am Grabe“ von Theodor Körner, auch zehn Jahre später beginnt die Festschrift wieder mit einer Seite, die „Unseren Toten zum steten Andenken“ gewidmet ist. Die Turnabteilung gedenkt anlässlich des 100. und des 125. Geburtstags mit einem Zitat von Max Schwarze „unserer Toten“.22 2.3. Der Umgang mit Kriegsgefallenen

Während der beiden Weltkriege hatte die Eintracht zahlreiche Kriegsgefallene zu beklagen. Da mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Herausgabe von Vereinszeitungen eingestellt wurde, suchte 18 19 20 21 22

Vgl. Festschrift „50 Jahre Eintracht Frankfurt“, 1949, 14. Vgl. THOMA, Juddebube, 201f. Vgl. Festschrift „Der Eintracht-Report“, 1974, 71–73. Vgl. KUSS, Eintracht. Vgl. Sammlung Festschriften: VAEF, Best. 5.

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Abb. 3: Totengedenken in der Festschrift anlässlich des 50. Vereinsjubiläums 1949: Die Hakenkreuzfahne und die Uniformierten im Hintergrund sind wegretuschiert.

man andere Möglichkeiten, die verstorbenen Mitglieder zu würdigen. In beiden Kriegen produzierte die Eintracht sogenannte Feldpostbriefe, die an Mitglieder verschickt wurden und in denen „Von der Front zur Heimat“ berichtet wurde. Aus der Zeit von 1914 bis 1918 sind im Vereinsarchiv der Eintracht nur wenige Feldpostbriefe erhalten. Sie versuchten, den Kontakt zwischen Front und

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Heimat aufrecht zu erhalten, machten Todesfälle an der Front bekannt, meist verbunden mit sehr persönlichen Nachrufen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden die Toten des Vereins in Vereinspublikationen mehrfach namentlich erwähnt, so beispielsweise die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in den Ausgaben der „Vereins-Nachrichten“ vom Juni 1929 und Juni 1939.

Abb. 4: Beileidsbrief an die Angehörigen von Albrecht Bechtold, 1943.

Während des Zweiten Weltkriegs gab es noch bis Mai 1941 die monatlich erscheinenden „Vereins-Nachrichten“ mit der Rubrik „Von der Front zur Heimat ...“ als festem Bestandteil. Erstmals berichtete die Eintracht im September 1940 von zwei gefallenen Mitgliedern. In Todesanzeigen beklagten die Vereinsverantwortlichen, dass die Unteroffiziere Kuno Foerg und Helmut Grabke für „Führer, Volk und Vaterland“ gefallen seien.23 In den folgenden Monaten würdigten 23

Vgl. Vereins-Nachrichten 9/1940, 14.

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die „Vereins-Nachrichten“ weitere gefallene Eintrachtler stets mit der Formulierung „Führer, Volk und Vaterland“. Zusätzlich zur öffentlichen Würdigung in der Vereinspublikation versandte die Eintracht vom Riederwald aus Kondolenzschreiben, von denen 27 aus den Jahren 1941 bis 1944 erhalten sind. Die Sprachregelung ist in 26 der überlieferten Briefe streng neutral, nach einigen persönlichen Worten schließen die Briefe stets mit der Aussage „Wir werden Ihrem Sohn ein ehrendes Andenken bewahren“ bzw. „In stiller Anteilnahme“. Lediglich der Brief an die Witwe des prominenten Eintracht-Stars Hugo Mantel verwandte die Formulierung „Heldentod für Führer, Volk und Vaterland“. Mit „Heil Hitler“ wird kein einziger dieser Briefe beendet (Abb. 4).24 Nach Einstellung der Vereinsnachrichten behalf man sich vom Sommer 1941 an wieder mit Feldpostbriefen, von denen zwei erhalten sind. Auch hier werden Kriegstote beklagt und mit kleinen Nachrufen gewürdigt. Nicht nur der Gesamtverein, auch einzelne Abteilungen schickten Feldpostbriefe an ihre Mitglieder. Im Vereinsarchiv der Eintracht lagern die kompletten Feldpostbriefe der Rugbyabteilung, es sind mehr als 80 Nummern, die über 800 Seiten umfassen.25 Diese Abteilung nahm in Feldpostbriefen Abschied von treuen Vereinsmitgliedern: Helmut Grabke, so berichtet die Feldpost Nr. 25 auf der Frontseite, starb „nach wiederholten – mit unvergleichlichem Mut und höchster Todesverachtung ausgeführten – Flügen nach England am 26. Juli 1940 für Führer und Volk den Heldentod.“ Grabke war der erste, aber bei weitem nicht der letzte aus dem Kreis der Rugby-Spieler, der in diesem Krieg sein Leben lassen musste.26 2.4. Damnatio memoriae

Damnatio memoriae, eine bis in die Antike zurück reichende Praxis der völligen Auslöschung des Andenkens an eine Person, lässt sich während der NS-Zeit auch im Sport, unter anderem bei der Eintracht nachweisen. So wurden jüdische Funktionäre in der Festschrift zum 40. Geburtstag des Vereins nicht mehr genannt. Walther Bensemann, ein Mitbegründer des Eintracht-Vorgängers Kickers Frankfurt, Hugo Reiss, ein ehemaliger Schatzmeister, Dr. Paul Blütenthal, ein ehemaliger Leiter der Leichtathletikabteilung und einige andere Namen sucht man in der Festschrift von 1939 vergeblich. Auch die Namenliste über die Toten des Ersten Weltkriegs wurde von jüdischen Vereinsmitgliedern „gesäubert“. Trauerte der Verein 1929 noch um 56 Tote des Ersten Weltkriegs, waren es zehn Jahre später drei weniger: Walter Bendix, Hermann Levita und Alfred Rothschild fehlen in der Aufzählung von 1939.27

24 25 26 27

Vgl. Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt, Abt. 3, Bd. 32: Traueranzeigen, Nachrufe und Beileidsbekundungen für gefallene Mitglieder der Eintracht. Vgl. dazu LEUNIG, Ruggers. Vgl. LEUNIG, Ruggers, 40. Vgl. THOMA, Juddebube, 140–142.

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2.5. Zurück ins Gedächtnis: Stolpersteinverlegungen

Das Schicksal der vielen jüdischen Eintrachtler in der Zeit des Nationalsozialismus wurde vom Verein jahrzehntelang verschwiegen und tabuisiert. Zu einigen emigrierten Mitgliedern hielt die Eintracht über persönliche Verbindungen Kontakt und nach deren Tod wurden auch vereinstypische Erinnerungsrituale durchgeführt. Als Arthur Cahn, ein ehemaliger Spieler, Vorsitzender und Pressewart, Anfang 1952 in Chile verstarb, lief die Mannschaft zu dem auf den Todestag folgenden Oberligaspiel gegen den TSV München von 1860 mit Trauerflor auf. Die „Eintracht-Hefte“ widmeten Cahn einen ausführlichen Nachruf mit Bild. Was fehlte, war die Begründung für den überraschenden Wegzug des bekennenden Frankfurters in den 1930er Jahren. Lediglich die Aussage, dass Cahn „ein schweres Schicksal ereilte“, lässt Rückschlüsse auf seinen jüdischen Glauben vermuten.28 Für die Zeit außergewöhnlich offen berichtet 1961 Otto Scheuerle in der Jubiläumsschrift der Turnabteilung über ein Mitglied, dass im KZ umkam: „Der leidige Arierparagraph bedrückte uns. Einige Mitglieder haben wir durchgebracht. Um so schmerzlicher ist es mir, wenn ich an Emil Stelzer denke. Sein Vater wanderte nach dem Krieg im hohen Alter nach Amerika aus, ein altes treues Mitglied war er. Turnbruder Emil Stelzer, der in allen Abteilungen aktiv war, hatte eine jüdische Frau und trat selbst zum jüdischen Glauben über. Er kam in ein KZ. Nach seiner Entlassung leitete er unsere Kinderabteilung. Dann wurde er wieder abgeholt und starb im KZ.“29

Scheuerles Bericht ist der einzige schriftliche Beleg, dass viele Mitglieder auch in den 1960er Jahren noch wussten, welches Unrecht jüdischen Eintrachtlern während der NS-Zeit angetan wurde. Erst Ende der 1990er Jahre wurden erstmals nähere Informationen über die Eintracht während der NS-Zeit veröffentlicht. In seinem Buch „Schlappekicker und Himmelsstürmer“ berichtete Ulrich Matheja 1997 über jüdische Vereinsmitglieder, die den Verein verlassen mussten. In der Ausstellung „Frankfurt am Ball“ erzählte der Historiker Dr. Thomas Bauer 1999 von dem jüdischen Eintrachtler Jule Lehmann und dokumentierte Bruchstücke seiner Geschichte in dem Buch „Frankfurt am Ball“. 2007 erschien mit dem Buch „Wir waren die Juddebube“ erstmals eine umfangreiche Dokumentation zur Geschichte der Eintracht während der NS-Zeit. Im Rahmen der Buchvorstellung äußerte sich Axel Hellmann, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Eintracht, zur Verantwortung des Vereins und kündigte an, die Eintracht werde für ermordete jüdische Mitglieder Stolpersteine verlegen. Im Frühjahr 2008 war es so weit: 63 Jahre nach Kriegsende wurden im Beisein von Präsident Peter Fischer und zahlreichen Mitgliedern der Vereinsgremien in der Finkenhofstraße die ersten beiden Stolpersteine verlegt. Sie erinnern an Emil und Else Stelzer. Zum zweiten Mal beteiligte sich die Eintracht im Frühjahr 2010 an einer Stolpersteinverlegung. Diesmal 28 29

Vgl. Eintracht-Hefte, März 1953, 11. Festschrift der Turnabteilung, 1961, 28.

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erinnerte man an den Jugendfußballspieler David Rosenbaum und dessen Eltern, die 1942 ermordet wurden. Im Juni 2011 verlegte der Verein Stolpersteine für den ehemaligen Schatzmeister Hugo Reiss und dessen Eltern Max Moses und Jette. Während Hugo die Flucht ins chilenische Exil gelang, wurden Max und Jette 1941 aus Frankfurt nach Lodz deportiert und kamen dort um. Beeindruckend war die Entwicklung der Resonanz auf die Stolpersteinverlegungen. Die erste Verlegung 2008 wurde von ca. 35 Eintrachtlern besucht, zur zweiten kamen schon mehr als 50. Als 2011 die Stolpersteine für Hugo Reiss und dessen Eltern verlegt wurden, drängten sich fast 100 Eintrachtler in der Wolfgangstraße, darunter Präsident Peter Fischer, Dieter Lindner von der Meistermannschaft 1959 und Johnny Klinke, der Chef des Frankfurter Tigerpalastes (Abb. 5).

Abb. 5: Stolpersteine für den Eintracht-Turner Emil Stelzer und dessen Frau.

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3. Erinnerung im Spiel Beim Tod von bekannten und erfolgreichen Spielern und Funktionären der Eintracht wird die Würdigung und Erinnerung auch im Rahmen von Bundesligabegegnungen im Stadion begangen. Die Vereinssatzungen sehen dafür keine festen Regeln vor, vielmehr handeln die Verantwortlichen ganz individuell nach „Fingerspitzengefühl“. Der vom Verein verliehene Titel des „Ehrenspielführers“ kann aber an die Stelle einer außerordentlichen Verabschiedung treten. Grundsätzlich gilt: Findet die Verabschiedung im Rahmenprogramm eines Spiels statt, kann der Verein dies selbstständig organisieren. Wenn eine Schweigeminute geplant ist oder die Mannschaft mit Trauerflor spielt, wird dies der DFL gemeldet. Weder in der Lizenz- noch in der Spielordnung oder anderen Richtlinien der DFL sind Schweigeminute oder Trauerflor geregelt. Der Trauerflor als solches stellt kein Problem dar, selbst wenn dadurch Werbung auf den Trikotärmeln verdeckt wird. Die DFL bittet lediglich darum, die Schweigeminuten unmittelbar vor den Anpfiff zu legen. Die Mannschaften kommen dann eine Minute früher auf den Platz, damit das Match pünktlich und fernsehfreundlich um 15.30 Uhr angepfiffen werden kann. Schweigeminuten werden von der DFL bei ehemaligen Nationalspielern, verdienten Mitgliedern und ehemaligen Funktionären befürwortet. Bei tragischen regionalen Ereignissen versucht die DFL dagegen, Schweigeminuten zu verhindern. Nur bei großen Katastrophen von nationaler bzw. internationaler Bedeutung, selbst wenn diese keinen direkten Bezug zum Fußball haben, empfiehlt die DFL den angeschlossenen Vereinen, eine Gedenkminute abzuhalten – so geschehen in jüngster Vergangenheit am Spieltag nach dem 11. September 2001, nach dem verheerenden Tsunami 2006 und nach Robert Enkes Freitod im Jahr 2009. Rahmenprogramm – Die einfachste Möglichkeit, an einen Verstorbenen zu erinnern, ist die Erwähnung im Rahmenprogramm. Je näher der Anpfiff der Partie rückt, desto mehr Besucher halten sich im Stadion auf. Traditionell wird vor dem Verlesen der Mannschaftsaufstellungen die Vereinshymne „Im Herzen von Europa“ gespielt. In der Regel sind die Fans zu diesem Zeitpunkt, ca. sieben Minuten vor Anpfiff, zu großen Teilen bereits auf den Rängen. Verstorbene, für die weder die Schweigeminute vorgesehen ist, noch die Mannschaft mit Trauerflor spielt, werden bei der Eintracht wie folgt gewürdigt: Vor dem Abspielen der Vereinshymne spricht der Stadionsprecher einige Sätze über den Verstorbenen und leitet sodann zu dem Lied „In Erinnerung an ...“ über. Auf dem Videowürfel wird ein Bild, eine Bilderserie oder der Name des Verstorbenen eingeblendet. Trauerflor – Eine besondere Art der Ehrerbietung vor dem Verstorbenen ist das Auflaufen der Mannschaft mit Trauerflor. Bei außergewöhnlichen Trauerfällen, die nicht nur einen einzelnen Verein betreffen, kann die DFL das Tragen von Trauerflor empfehlen. Bei der Eintracht gab es schon zahlreiche Spiele, bei denen die Spieler mit Trauerflor aufliefen. Aus Vereinstrauer spielte die Eintracht zuletzt nach dem Tod des Ehrenspielführers Alfred Pfaff mit Trauerflor. Auch am Spieltag nach dem Tod des Nationaltorhüters Robert Enke liefen die Eintrachtspieler ebenso wie alle Bundesligaspieler mit Trauerflor auf.

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Schweigeminute – Die vielleicht tiefste Verneigung vor einem verstorbenen Vereinsmitglied ist die Schweigeminute. Bei der Eintracht gab es Schweigeminuten nach dem Tod des Ehrenpräsidenten Rudi Gramlich und der großen Spieler Richard Kress, Hermann Höfer und Alfred Pfaff. In den 1940er Jahren wurden zahlreiche Spiele mit Schweigeminuten für gefallene Vereinsmitglieder eröffnet, so beispielsweise nach dem Tod von Albrecht Bechtold am 1. August 1943. Nach dem Freitod des Torhüters Robert Enke fand am 21. November 2009 in allen Bundesligastadien eine Schweigeminute statt. In Frankfurt wurde sie um einen regionalen Trauerfall erweitert: In der Nacht vom Freitag auf den Samstag verstarb Ute Hering, die langjährige Referentin des Präsidiums. Hering hatte mehr als 20 Jahre für die Frankfurter Eintracht gearbeitet und war in der Eintracht-Familie bekannt und äußerst beliebt. Kurzfristig entschlossen sich die Verantwortlichen der Spieltagsorganisation, die Gedenkminute zu erweitern. Der Stadionsprecher erinnerte im offiziellen Text der DFL zunächst an Robert Enke und erwähnte danach die Trauer der Eintracht um Ute Hering. Während des stillen Gedenkens wurde ein Foto von Hering auf dem Videowürfel gezeigt. Mitgliederversammlung – Im letzten Quartal eines jeden Jahres findet die Mitgliederversammlung von Eintracht Frankfurt e.V. statt. Zu Beginn der Mitgliederversammlung führt der Versammlungsleiter die Totenehrung durch. Die Mitglieder und das Präsidium erheben sich von ihren Sitzen und die Namen der im vergangenen Jahr verstorbenen Mitglieder werden verlesen. Erste Hinweise auf dieses Ritual finden sich in den monatlichen Mitteilungen der Eintracht Anfang der 1920er Jahre, als die Mitglieder sich zu Beginn der Hauptversammlung von ihren Sitzen erhoben und der Gefallenen des Ersten Weltkriegs gedachten. Dabei wurden die Namen der Verstorbenen einzeln verlesen.30 4. Orte der Erinnerung Verstorbene Mitglieder werden vom Verein zur Beerdigung mit einem Gesteck geehrt. Zu Beerdigungen von Mitgliedern, die sich besondere Verdienste um den Verein erworben haben, sind offizielle Vereinsvertreter anwesend, die eine Trauerrede halten. Aber immer wieder hatte die Eintracht auch besondere Orte, an denen der Verstorbenen des Vereins gedacht wurde. Gedenktafel – Im Februar 1922 weihte die Eintracht in der Turnhalle im Oeder Weg eine Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs ein. Die Tafel wurde direkt in der Halle installiert, die in der Vereinszeitschrift wie folgt gedeutet wurde: „Es kann nach Jahren der Tag kommen, an dem der letzte, der ihnen noch die Treue des Erinnerns hält, nicht mehr ist. Um darum ihre Namen auch für die späteren Vereinsgenerationen lebendig zu halten und den Dank für sie nicht mit den heute Lebenden sterben zu lassen, hat die Eintracht ihnen in ihrer Turnhalle ein 30

Vgl. Mitteilungen der Frankfurter Turn- und Sporgemeinde Eintracht, Oktober 1922, 1.

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schlichtes, würdiges Denkmal gesetzt: eine schwarze, weiß geränderte Tafel aus Lahnmarmor, die in Goldschrift die Namen der toten Freunde trägt.“31

Die Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs umfasst 105 Namen der Toten der 1920 fusionierten Vereine Frankfurter Fußballverein und Turngemeinde von 1861. Überschrieben ist sie mit dem Text „1914 – 1918 Im Kampfe für das Vaterland fielen die Mitglieder …“ Unter den in vier Spalten aufgelisteten Namen findet sich ein Vers aus der Rede vom Fruchtbringen, die Jesus zu seien Jüngern gehalten hat: „Niemand hat grössere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“32 Vor wenigen Jahren fanden Mitarbeiter der Turnabteilung die Tafel im Keller der Halle, wo sie rückseitig als Tisch diente. Mittlerweile ist sie im Treppenhaus der Turnhalle wieder befestigt. Ehrenmal – 1929 wurde auch am Riederwald eine „Ehrentafel“ für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs angebracht. Auf ihr waren die mehr als 50 Toten der Sportgemeinde Eintracht namentlich erwähnt. Am 7. August 1933 weihte der Verein, ebenfalls am Riederwald, ein Ehrenmal ein. Zur Weihe waren neben Vereinsvertretern der Eintracht, des FSV und der Offenbacher Kickers auch Abordnungen der Stadt, der Wehrverbände, der SA, SS und des Stahlhelms am Riederwald, der mit den „Fahnen der Erhebung“ geschmückt war. Auf dem Ehrenmal war ein Relief mit Stahlhelm und der Text „Unseren Toten 1914 – 1918“ angebracht.33 Totenmal – Auch nach 1945 wurde bei der Eintracht der Verstorbenen gedacht, gleichwohl wurden die Toten der beiden Weltkriege fortan nicht mehr gesondert erwähnt. Der alte Riederwald und mit ihm die Ehrentafel sowie das Ehrenmal von 1933 waren durch Bomben zerstört, die Eintracht bezog 1952 ein neues Vereinsgelände, den „Neuen Riederwald“. Im Herbst 1955 wurde hier ein Totenmal errichtet und mit einer kleinen Gedenkfeier eingeweiht. Die Aufschrift auf dem Stein lautete schlicht „Unseren Toten“. In den „Vereins-Nachrichten“ wurde unter dem Titel „Die Toten leben in uns“ wie folg berichtet: „Vorsitzender Dr. Keller sprach die Worte des schönen Gedenkens: Das Wort ‚Sportgemeinde‘ schließt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft in sich. Die Toten, deren wir gedenken, arbeiteten mit am Bau des Sports, dem wir heute verpflichtet sind; sie formten ihr Leben in einer sportlichen Gesinnung. Und diese Gesinnung soll in der Jugend der Eintracht weiterleben.“34

Das Totenmal wurde später vom Eingangsbereich des Riederwalds versetzt, mittlerweile findet man es zwischen dem neugebauten Leistungszentrum und den Tennisplätzen. In den vergangenen Jahren wurde es durch Vandalismus beschädigt und befindet sich derzeit in einem trostlosen, ungepflegten Zustand. Einige Buchstaben der Worte „Unseren Toten“ wurden abmontiert, zeitweise war nur noch der Text „Unser Tot“ zu lesen. Im Rahmen der Umbauarbeiten am Rieder31 32 33 34

Mitteilungen der Frankfurter Turn- und Sportgemeinde Eintracht, Februar 1922, 2. Johannes-Evangelium, Kap. 15, 13. Vgl. THOMA, Juddebube, 56. Vgl. Eintracht-Hefte, 11/1955, 2.

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wald soll aber auch das Totenmal von 1955 wieder instand gesetzt und zukünftig gepflegt werden (Abb. 6).

Abb. 6: Einweihung des Totenmals am Riederwald, Foto 1955.

5. Die Eintracht-Familie wird größer Neben der Trauer um verstorbene Vereinsmitglieder hält auch der Abschied von langjährigen Fans immer häufiger Einzug in das Stadion und die Vereinsmedien. Außerdem sorgt die gute Vernetzung innerhalb der Fanszene, der Ideenreichtum und das Organisationstalent der Ultras für beeindruckende Abschiedschoreographien, die die vereinsoffiziellen Zeremonien untermalen und bekräftigen. Dabei arbeiten die Aktivisten der Fankurve oft mit den Vereinsverantwortlichen eng zusammen, um den Abschied von verdienten Eintrachtlern würdig zu gestalten. Während das Verhältnis der Ultras zum Verein in vielen Punkten immer wieder angespannt ist, läuft die Zusammenarbeit in Todesfällen bestens. Trauerrituale in der Fankurve – Seit den 1990er Jahren ist in den Fanszenen die Ausbildung eines historischen Bewusstseins zu erkennen. Die Anstöße für erste Vereinsmuseen in Deutschland kamen fast durchweg aus der Fanszene, in Hamburg, Bremen, Schalke und Frankfurt haben Fans ganz maßgeblich an den Museumsprojekten mitgearbeitet. In Zeiten der totalen Vermarktung und des Kommerzes besinnen sich die Anhänger auf die traditionellen Werte des Vereins und dessen nicht veräußerbare Geschichte. In ihrem Selbstverständnis sind viele Fanclubs und die Ultragruppierungen traditionsbewusst, würdigen das Markenzeichen „Traditionsverein“, das eine positive Abgrenzung gegenüber den finanz-

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stärkeren, aber „traditionslosen Retortenclubs“ bietet. Ein sensibler Umgang mit der Vereinsgeschichte gehört zum Selbstverständnis vieler Anhänger. Als Fred Schaub im Jahr 2003 verstarb, erinnerten die Eintrachtfans in der Nordwestkurve mit einem großen Plakat und Portrait an den Torschützen des UEFA-Cup-Finales von 1980. Der Tod von Alfred Pfaff im Dezember 2008 sorgte innerhalb der Fanszene für zahlreiche Aktionen. Einige Fans malten ein Plakat mit dem Titel „DonAlfredo-unvergessen“, das bis heute bei den Spielen im Stadion hängt. Zum Spiel gegen den 1. FC Köln, bei dem sich die Eintracht von ihrem Ehrenspielführer verabschiedete, organisierten die Ultras eine große Choreographie. Während der Gedenkminute wurde die Nordwestkurve mit hochgehaltenen Pappen in eine schwarze Fläche verwandelt, lediglich das Konterfei von Alfred Pfaff war zu erkennen. Vom Oberrang hing ein 50 Meter langes Transparent mit der Aufschrift „Wer mit dem Adler fliegt, der auch den Tod besiegt. Ruhe in Frieden, Don Alfredo“ (Abb. 7).

Abb. 7: Fanchoreographie nach dem Tod von Alfred Pfaff, Foto 2009.

„Flieg alter Adler, hinaus in die Freiheit“ – Nicht nur ehemalige Spieler werden von der Fankurve mit großen Choreographien verabschiedet, auch an verstorbene Fans wird mit großem Aufwand erinnert. Wilmar Gawrisch, ein Urgestein der Frankfurter Fanszene, verstarb im Mai 2003. Ihm zu Ehren wurde in der Eintrachtkurve eine Choreographie organisiert. Im Oberrang hielten die Fans Papptafeln in die Höhe, deren Anordnung den Spitznamen „Gaff“ sichtbar machte. Vom Oberrang herab wurde eine Fahne gespannt, auf der zu Lesen stand: „Flieg

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alter Adler, hinaus in die Freiheit“. Ein großes Portrait von „Gaff“ wurde im Unterrang gezeigt (Abb. 8).

Abb. 8: Fanchoreographie nach dem Tod des Eintracht-Fans Wilmar „Gaff“ Gawrisch, Foto 2003.

Ein tragischer Todesfall in der Fanszene wurde im November 2008 vor dem Spiel gegen den FC Bayern München mit einer bewegenden Abschiedsinszenierung gewürdigt. Carsten, ein langjähriger Fan, der auch in der Fan-, Ultra- und Hooliganszene der Eintracht bekannt und beliebt war, wurde Opfer eines Verbrechens. In Zusammenarbeit mit dem Verein sorgten die Ultras dafür, dass die Gedenkminute diesmal von der Fankurve ausging. Nach dem Einlaufen der Mannschaft zur Lieblingsmusik von Carsten blieb es in den ersten drei Minuten der Begegnung gegen die Bayern vollkommen still im Stadion. Auf dem Videowürfel war in diesen Minuten nur das Portrait von Carsten zu sehen. In der Eintrachtkurve erinnerte ein großes Banner mit der Aufschrift „... geblieben ist die Leere und der Platz neben mir ...“ an den Verstorbenen. Erst nach drei Minuten startete die Fankurve ihre Anfeuerung mit dem Schlachtruf „Wir sind alles Frankfurter Jungs“. Es kommt immer wieder vor, dass Gedenkminuten von gegnerischen Fans gestört werden. Um solche Misstöne zu verhindern, empfiehlt es sich, die Fanszene des gegnerischen Vereins in die Organisation einzubinden und zu informieren. Bei aller Rivalität sind die führenden Köpfe der Fanszenen gut vernetzt und die Bitte um Respektierung einer Gedenkminute wird in der Regel befolgt, wenn sie von anerkannten Fanorganisationen ausgesprochen wird. Im Fall des verstorbenen Carsten hatte die Frankfurter Fanszene die Anhänger des Gegners FC Bayern – trotz erheblicher Spannungen zwischen beiden Gruppierungen – frühzeitig

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informiert. Die bevorstehende Gedenkminute wurde auch in der Fanszene der Bayern kommuniziert, darüber hinaus hängten Frankfurter Fans Hinweisschilder vor der Gästefankurve auf. Die mehr als 6000 Fans der Münchner Bayern verhielten sich während der Gedenkminute vollkommen still. Ein virtuelles Kondolenzbuch – Trauer um verstorbene Spieler und Fans wird immer wieder auch im Internetforum auf der Homepage von Eintracht Frankfurt bekundet. So entsteht ein virtuelles Kondolenzbuch, in dem Fans ihre Gefühle ausdrücken, Erinnerungen dokumentieren oder einfach nur ihr Beileid bekunden. Der Internet-Thread „Eintracht Frankfurt trauert um Alfred Pfaff“ wurde seit seinem Tod im Jahr 2008 mehr als 30.000 Mal angeklickt, über 200 User haben sich zum Tod des Ehrenspielführers geäußert. Die Veröffentlichung über den Tod des Eintracht-Fan Carsten wurde 89.000 Mal angeklickt, 275 Personen äußerten sich zum Tod des Anhängers.35 Das im Thread zum Tod von Fan Carsten mehr Klicks und mehr Kommentare zu verzeichnen sind als beim Ehrenspielführer Alfred Pfaff, hat zwei Gründe: Zum einen gab es direkt nach dem Tod von Carsten eine große Unsicherheit über die Todesursache und das Forum wurde zeitweise genutzt, um Informationen auszutauschen. Zum anderen machte die Überschrift „Eintracht Fan ermordet“ die User natürlich neugierig. Jeder Fan kennt eine ganze Menge Mitfans und das Interesse, ob man den Verstorbenen vom Sehen oder persönlich kannte, war groß. 6. Nachhaltige Erinnerungen Die persönliche Erinnerung an verstorbene Mitglieder auf Vereinsebene endet in der Regel mit dem Verlesen der Namen der Verstorbenen auf der Jahreshauptversammlung. Besondere Verdienste und besondere persönliche Verbundenheit sorgen bisweilen dafür, dass der Name mancher Eintrachtler nachhaltig im Gedächtnis bleibt, wie vier Beispiele zeigen sollen. Ein Raum für Ernst Winter – Ernst Winter war ein großer Turner bei der Frankfurter Eintracht. 1934 wurde Winter in Prag Weltmeister am Barren, auch bei den Olympischen Spielen 1936 gehörte er im Mannschaftswettbewerb zu den Goldmedaillengewinnern. Winter fiel im Winter 1942 bei Stalingrad. In der Nachkriegszeit widmete die Turnabteilung dem größten Turner Frankfurts im zweiten Stock der Vereinsturnhalle im Oeder Weg einen Raum, der fortan „Ernst-Winter-Kolleg“ genannt wurde. Bis heute finden Treffen der Turner im „Ernst-Winter-Kolleg“ statt, der Name ist jedem Eintrachtler ein Begriff. Allerdings gibt es außer einem großen Schild über der Eingangstür keine öffentlichen Informationen über Ernst Winter, so dass Interessierte im Internet recherchieren oder sich bei Mitarbeitern der Turnabteilung schlau machen müssen. Gedächtnisturniere – Wie im Fall Winter gedenken auch andere Abteilungen ihrer herausragenden Sportler, Funktionäre oder Mäzene. In den 1950er Jahren lud die Hockeyabteilung jährlich zum „Gebrüder-Enz-Gedächtnisturnier“. Die 35

(Zugriff am 3.11.2010).

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Brüder Robert und Hans Enz waren maßgeblich an der Gründung der Hockeyabteilung beteiligt, Hans Enz leitete die Abteilung fast ein Jahrzehnt. Mit dem Gedächtnisturnier setzte man den Vätern der Hockeyabteilung ein bleibendes Denkmal, das nach einem Generationswechsel in der – Ende der 1960er Jahre am Boden liegenden – Abteilung in Vergessenheit geriet. In der Rugbyabteilung ist es Rudolf „Studde“ Studzinski, an den bis heute regelmäßig erinnert wird. Geboren 1915, wurde „Studde“ im Jahr 1934 Mitglied der Ruggers, von 1955 bis

Abb. 9: Choreografie der Fangruppe „Ultras Frankfurt“ beim Heimspiel der Eintracht am 14. April 2012 gegen den FC Erzgebirge Aue mit dem Titel „Schaut in euer Herz und seht, dass wahre Liebe niemals vergeht!“. Die Fahnen präsentieren von links nach rechts folgende Stationen im Lebenslauf eines Eintracht-Fans, der jeweils mit einem in das Organ eines Herzens eingebetteten Eintracht-Adler ausgestattet ist: Ungeborenes im Mutterleib, Kind mit Familie im Stadion, Jugendlicher mit Trommel, Jugendlicher als wilder Ultra, Erwachsener mit Kind im Stadion, älterer Mann mit erwachsenem Sohn im Stadion, Greis im Krankenhaus an Infusionsflaschen sowie Himmelfahrt des Eintracht-Fans.

zu seinem Tod 1984 war er Leiter der Abteilung. Studzinski wurde an der Atlantikküste beerdigt. Zu seinem Gedenken fahren die Aktiven der Rugbyabteilung bis heute nach Andernos, um Matches „in memorian studde“ gegen Andernos abzuhalten. Der Verein ehrte Studzinski für seine Verdienste um die Rugbyabteilung „post mortem“ mit der Ehrenspielerwürde.36 36

Vgl. Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt, Sammlung Hans Kasprzyk: VAEF, Best. 4.

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Carsten – Der oben erwähnte gewaltsame Tod des Eintracht-Fans Carsten hat bis heute viele Aktionen der Fanszene nach sich gezogen. Zu Jahrestagen erinnern die Ultras auf ihrer Homepage an Carsten, regelmäßig werden Konzerte, Fußballturniere und Feiern in Erinnerung an den Verstorbenen veranstaltet. Verbunden werden diese Gedenkveranstaltungen stets mit Spendenaktionen, um vor allem die Tochter von Carsten zu unterstützen.

Abb. 10: Himmelfahrt des verstorbenen Fans, der als schwarzer Totenschatten mit Nummer „12“ auf dem Rücken mehrere Stufen auf das Tor des Eintracht-Paradieses zuschreitet, wobei Alfred Pfaff (links) und Fan-Urgestein Wilmar „Gaff“ Gawrisch als nackte, geflügelte Engel mit Lendenschurz die Torflügel öffnen, um ihn in Empfang zu nehmen.

Die Melone auf der Anzeigetafel – In der Rückrunde der Saison 2008/2009 wunderte sich mancher Fußballfan über die Melone, eine typisch englische Kopfbedeckung des frühen 20. Jahrhunderts, auf der Anzeigetafel des Frankfurter Stadions. Zu jedem Spiel der Rückrunde erschien der Hut im linken unteren Eck des Videowürfels. Die Melone erinnerte an Alfred Pfaff, den Ehrenspielführer der Eintracht, der im Dezember 2008 verstarb (Abb. 9 und 10). Pfaff war 1960 europaweit bekannt geworden, als er vom Manager des Rangers FC nach dem Sieg der Eintracht im Halbfinale in Glasgow dessen „Koks“ auf einem Silbertablett präsentiert bekam. Bis zu seinem Tod blieb der Hut ein Symbol für Alfred Pfaff, bei allen Jubiläen und Feiern holte der Weltmeister von 1954 den „Koks“ aus dem Schrank und posierte mit ihm für Erinnerungsfotos. Heute befindet sich der Hut im Eintracht Frankfurt Museum in der Haupttribüne des Stadions. Nach seinem Tod erinnerte die Eintracht mit dem kleinen Koks auf der Anzeigetafel während der gesamten Rückrunde an „Don Alfredo“. Der Koks wurde zu einem Symbol für Pfaff und den erfolgreichen Fußball der Eintracht Ende der 1950er Jahre. Die Fans übernahmen das Bild. Heute gibt es unter den vielen hundert

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Aufklebermotiven, die in der Fanszene kursieren, einen kleinen, viereckigen Aufkleber mit dem Koks. Zurück ins Gedächtnis: Friedhofsrundgänge – Im November 2010 veranstaltete das Eintracht Frankfurt Museum erstmals einen Friedhofsrundgang. Unter dem Titel „Auf den Spuren großer Eintrachtler“ trafen sich auf dem Frankfurter Hauptfriedhof fast 40 Besucher, um die Gräber verstorbener Vereinsmitglieder zu besuchen. Zum ersten Friedhofsrundgang hatten die Organisatoren die Grabstätten von sechs Persönlichkeiten ausgemacht. Neben dem Vereinsgründer Albert Pohlenk wurde unter anderem an den ersten Frankfurter Nationalspieler Fritz Becker, den ehemaligen Oberbürgermeister Walter Kolb und die Deutschen Meister Hermann Höfer und Richard Kress erinnert. An jedem Grab wurden Geschichten zu den Verstorbenen erzählt, danach ein kleines Blumengesteck niedergelegt. Die Resonanz auf den historischen Friedhofsrundgang war äußerst positiv. Im Mai 2011 folgte mit dem Besuch des Sachsenhausener Südfriedhofs bereits der zweite Friedhofsrundgang, im Herbst 2011 beteiligt sich das Eintracht Frankfurt Museum erstmals am „Tag des Friedhofs“. Mittlerweile haben engagierte Mitarbeiter des Museums begonnen, neben den Sterbedaten ehemaliger Eintrachtler auch deren letzte Ruhestätte zu ermitteln und zu erfassen. Gleichzeitig werden Fans gesucht, die „Grabpatenschaften“ übernehmen, um die Gräber verdienter Eintrachtler über den von der Friedhofsverwaltung festgelegten Erhaltungszeitraum hinaus zu sichern. Abkürzungen DFB DFL VAEF

Deutscher Fußball-Bund Deutsche Fußballliga Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt

Quellen und Literatur Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt Bestand 1 Verwaltung und Gremien des Vereins (1945–1994). Bestand 2 Presseausschnitte (1962–2008). Bestand 3 Sachthematische Sammlungen (1899–2010). Bestand 4 Personenbezogene Sammlungen. Bestand 5 Druckschriften (1919–2010).

Zeitschriften und Zeitungen Der Bestatter, hrsg. vom Deutschen Institut für Bestattungskultur, Wettenberg. Eintracht-Hefte: VAEF, Best. 5. Eintracht-Magazin: VAEF, Best. 5. Frankfurter Neue Presse. Frankfurter Rundschau. Mitteilungen der Frankfurter Turn- und Sportgemeinde Eintracht: VAEF, Best. 5. Vereins-Nachrichten: VAEF, Best. 5.

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Festschriften 30 Jahre Eintracht, Frankfurt a.M. 1929: VAEF, Best. 5. Eintracht kämpfte in aller Welt, Frankfurt a.M. 1939: VAEF, Best. 5. 50 Jahre Eintracht Frankfurt, Frankfurt a.M. 1949: VAEF, Best. 5. Festschrift der Turnabteilung, Frankfurt a.M. 1961: VAEF, Best. 5. Der Eintracht-Report, Frankfurt a.M. 1974: VAEF, Best. 5.

Internet www.eintracht.de/forum/unsereEintracht

Literatur HERZOG, MARKWART: „Wahre Leidenschaft kennt keinen Abpfiff“: Postmortale Inszenierung, Memorialisierung und Verewigung in Fangemeinschaften des Vereinsfußballs, in: DOMINIK GROSS/BRIGITTE TAG/CHRISTOPH SCHWEIKARDT (Hrsg.), Who wants to live forever? Postmoderne Formen des Weiterwirkens nach dem Tod, Frankfurt a.M./New York 2011, 163–188. KUSS, STEPHAN: Eintracht Frankfurt: 100 Jahre Fußball und mehr, Frankfurt a.M. 1999. MATHEJA, ULRICH: Schlappekicker und Himmelsstürmer, Göttingen 2004. LEUNIG, MANFRED: Die Ruggers der Eintracht – Front und Frankfurt im Spiegel der Feldpost 1939–1946, Norderstedt 2007. THOMA, MATTHIAS: Wir waren die Juddebube: Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit, Göttingen 2007.

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Protestant – Katalane – Ikone Joan Gamper: Gründervater des FC Barcelona Aufgrund seiner sportlichen Erfolge liegen zahllose Publikationen über den Futbol Club Barcelona vor.1 Der hier vorgelegte Beitrag beschränkt sich jedoch auf den Gründungsvater des FC Barcelona, Joan Gamper, und die auf ihn gerichtete Erinnerungskultur. Der als Hans-Max Gamper geborene Schweizer prägte die Vereinsgeschichte in den ersten drei Jahrzehnten wie kein anderer, sei es als Spieler oder während seiner fünfmaligen Präsidentschaft. Er steht am Anfang der Geschichte einer Vereinigung von Sporttreibenden, die zum zweitgrößten Fußballverein Europas aufsteigen sollte.2 Mit 177.246 Mitgliedern (Stand: 22.9.2011)3 wird der FC Barcelona nur von Benfica Lissabon übertroffen. Gamper werden mirakulöse Züge zugeschrieben, die ihn zu einer Legende, zu einem wahren Mythos überhöhen, dessen Konstruktionsverlauf im Folgenden ebenso beschrieben werden soll wie sein Wahrheitsgehalt. 1. Mythos – Sport – Biographie Der diesem Beitrag zugrunde gelegte Begriff des Mythos orientiert sich an den von Jan und Aleida Assmann erarbeiteten Analysen.4 Speziell für den Mythos des Gründervaters ist eine unklare Quellenlage in Verbindung mit mentalitätsspezifischen Leitbildern charakteristisch.5 Gamper galt und gilt als Leitbild für den (Fußball-)Sport und den Katalanismus, den katalanischen Nationalismus. Dass eine Persönlichkeit des Fußballs zu einer soziopolitischen Ikone stilisiert wird, zeugt nicht zuletzt auch von der Etablierung des Fußballsports als kulturelles Phänomen und seiner steigenden Einflussnahme in weite Bereiche des Alltags, die bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts deutlich zu erkennen war.6 Die Pluralisierung und Differenzierung der sozialen und kulturellen Milieus, Lebenswelten, Subkulturen und Lebensstile mit ihren eigenen Symboliken und

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Vgl. exemplarisch SANTACANA, Barça; SCHULZE-MARMELING, Barça. Vgl. SPORT+MARKT Football Top 20 2010. Auszüge aus der Pressekonferenz vom 9.9.2010 . Vgl. . Vgl. ASSMANN/ASSMANN, Mythos, 179. Vgl. ASSMANN/ASSMANN, Mythos, 180. Vgl. dazu die Beiträge in: HERZOG, Fußball als Kulturphänomen.

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Erzählungen führten zu einer explosionsartigen Vermehrung von Mythen.7 In diesem Sinn ist Florian Labitschs Aussage zu verstehen, dass gewisse Sportarten, allen voran der Fußball, als populäres Massenphänomen Räume des Symbolischen eröffnen und mythische Bedeutungen schaffen.8 Sie produzieren und reproduzieren ein „Wissen über die Welt, kreieren oder verändern Wertvorstellungen und prägen oder relativieren Normensysteme.“9 Die Einbettung des Fußballs in gesamtgesellschaftliche, politische und ökonomische Zusammenhänge führte zunehmend auch zu einer Anerkennung seiner wissenschaftlichen Relevanz als „Segment der Populärkultur, um das sich Mythen und massenmediale Diskurse ranken“.10 Fußballsport als konstitutiver Teil eines massenkulturellen Interesses mit sinn- und identitätstiftenden Funktionen bildet hierbei ein besonderes Forschungsfeld, dessen sich im deutschsprachigen Raum österreichische Forscher wie Roman Horak, Wolfgang Maderthaner, Matthias Marschik, Wolfgang Reiter schon sehr früh angenommen haben.11 Der Werdegang des Fußballs von einer Randerscheinung, die wegen ihrer angeblich fehlenden Ästhetik belächelt oder sogar bekämpft wurde, hin zu einem anerkannten Kulturgut wurde von Markwart Herzog eindrucksvoll skizziert.12 Dabei hob Herzog hervor, dass bedeutende Ereignisse im Bewusstsein der Fans sinnstiftend haften bleiben und so zum Inhalt eines die Generationen übergreifenden kollektiven Gedächtnisses werden können.13 Die darin aufgespeicherten Erinnerungen beschränken sich also nicht auf das individuelle Gedenken im Rahmen der Alltagsinteraktion (das Assmansche kommunikative Gedächtnis),14 sondern bilden den Fundus des kollektiven Gedächtnisses beispielsweise eines Vereins und seiner Anhängerschaft. Jedes kollektive Gedächtnis ist geprägt von schicksalhaften Ereignissen der Vergangenheit, deren Erinnerung wachgehalten wird, um eine Gruppe im Bewusstsein ihrer Einheit und Eigenart zu stützen.15 Dass zahllose Fußballclubs bereits seit mehreren Generationen bestehen, bringt eine breite Erinnerungskultur mit Gedenkorten, Jubiläumsjahren und Memorabiliensammlungen hervor, die es verständlich macht, dass sich „im Kontext einer derart intensiv gelebten Tradition mit der Frage nach den Ursprüngen der Clubs und Vereine immer auch die nach ihren Gründern und ihren verstorbenen Mitgliedern stellt.“16 Die Beschäftigung mit einem „Traditionsverein“ wie dem

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Vgl. BIZEUL, Politische Mythen, 28. Vgl. LABITSCH, Die Narrischen, 37. Vgl. MARSCHIK, Sport als „leerer Signifikant“, 36, zit. in: LABITSCH, Die Narrischen, 37. HORAK/PENZ, Sport und Cultural Studies, 106. Vgl. HORAK/PENZ, Sport und Cultural Studies, 121. Exemplarisch zu nennen wären etwa HORAK/REITER, Die Kanten des runden Leders; HORAK/MADERTHANER, Mehr als ein Spiel. Vgl. HERZOG, Fußlümmelei. Vgl. HERZOG, Fußlümmelei, 18. Vgl. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 180f. Vgl. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 12f. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 184.

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FC Barcelona führt unweigerlich zur Frage nach dem Gründungsmythos um Joan Gamper. Wenn das kollektive Gedächtnis eines Vereins auch das einer politischen Region umfasst, wofür der FC Barcelona und Katalonien ein Musterbeispiel sind, muss in Anlehnung an Benedict Andersons „imagined communities“17 Folgendes angemerkt werden: Ein kollektives bzw. nationales Gedächtnis ist stets das Resultat geschichtlicher Narrative, die Fakten und Wahrheiten nicht nur wiedergeben, sondern auch unterdrücken oder auslassen, um ein Wir-Gefühl zu erzeugen.18 Nicht nur aufgrund der lückenhaften Quellenlage zur Frühgeschichte des FC Barcelona sowie zu Gampers Vita ist deshalb Quellenkritik erforderlich. Sich mit Gampers Vita zu beschäftigen, heißt auch, auf eine Literaturgattung zurückzugreifen, die unter Historikern bis vor kurzem nicht unumstritten war, sich gleichwohl zunehmende Anerkennung verschafft, und das auch in der Sportgeschichte19 – die Biografie. Mit Vorsicht zu genießen sind Biografien als Quellen vor allem dann, wenn sie nicht methodisch historiographisch erarbeitet sind, sondern populäre Bedürfnisse befriedigen und zwischen Fiktionalität und Faktizität, Imagination und Konstruktion changieren.20 Nun ragt unter den Gamper-Biographien insbesondere die 2008 erschienene Publikation „De Hans a Joan Gamper: Una biografía emocional“ hervor, verfasst von Emma Gamper Soriano, der Enkelin des Schweizer Fußballpioniers. Quellenkritisch ausgewertet, liefert sie Informationen über Gampers Freundschaften, Partnerschaften, Ehe und Familie,21 die aus keiner anderen Quelle geschöpft werden könnten. 2. Der Schweizer Fußballpionier Bereits im Geburtsdatum Hans(-Max) Gampers, 22. November 1877, mag der im Sinne eines vaticinium ex eventu denkende „Mythenjünger“ eine fußballerische Prädestination erkennen. In besonderer Schreibweise sind Geburtstag, Geburtsmonat und Geburtsjahr (77) Vielfache der im Fußball so bedeutsamen Zahl elf. Worauf Emma Gamper Soriano explizit hinweist,22 soll als Beispiel zeigen, inwiefern historische Fakten durch retrospektive Interpretationen geleitet werden können. Wäre Gamper nur wenige Stunden früher oder später geboren, erübrigte sich jeder Hinweis auf ungewöhnliche Zahlenkombinationen. Auf über fünfzig Seiten beschäftigt sich die Enkelin des in Winterthur im Schweizer Kanton Zürich geborenen Fußballpioniers mit dessen Genealogie. 17 18 19

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Vgl. ANDERSON, Die Erfindung der Nation. Vgl. MOSE, Regionaler Nationalismus, 168. Vgl. Bios: Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 18 (2005), Heft 2: Schwerpunkt „Biographie und Sportgeschichte“; KRÜGER, Erinnerungskultur im Sport. Vgl. NÜNNING, Fiktionalität, 21; FETZ, Biographisches Erzählen, 54f. Vgl. VON ZIMMERMANN, Biographie, 68. Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 60.

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Dabei weist sie einerseits auf die in Gampers väterlicher Abstammungslinie ausgeübten Berufe hin, die eine gewisse Flexibilität und individuelle Freiheit voraussetzen: Lehrer, Hofmeister, Schuhmacher, Fleischermeister, Hospitalschef, Kaufmann oder auch Bürgermeister.23 Seine Vorfahren gehörten also nicht der Bauern- und Arbeiterschicht, sondern dem Bürgertum an, für das der Glaube an den Erfolg individuellen Strebens nach Glück charakteristisch ist. Andererseits kontrastiert Emma Gamper die mütterliche Linie der Familie Hässig als konservativen Gegenpol, der sich durch Moral, Sittenstrenge und Frömmigkeit auszeichnete. Protestantische Bildungsideale führten die Nachkommenschaft der Hässigs in frankophone Kantone. In diesem Kontext erwarb Gamper die Fähigkeiten, Fremdsprachen zu lernen und in der Öffentlichkeit überzeugend aufzutreten.24 Neben die väterlichen und mütterlichen Eigenschaften tritt die Schweizer Herkunft Gampers als nationale Komponente seiner Persönlichkeit. Die Schweiz war im 19. Jahrhundert aufgrund ihrer lange währenden Neutralität und der damit verbundenen Verschonung von Kriegswirren eine prosperierende Nation. Namhafte Unternehmen der Schwerindustrie (Sulzer), Uhrenherstellung (FavreLeuba), Chocolaterie (Lindt & Sprüngli) oder Pharmaindustrie (Sandoz, Hoffmann-LaRoche) waren nicht nur Garant für den ökonomischen Aufschwung, sondern auch Säulen einer bis heute währenden helvetischen Identität. Das wirtschaftsliberale Potential der Industrialisierung im Widerspiel zu den traditionellen Wertevorstellungen einer streng religiösen, reformierten Gesellschaft charakterisierte nicht nur die spätneuzeitliche Schweiz, sondern bildete den Grundstock für den folgenden beruflichen und sportlichen Werdegang Gampers. Der kurze Exkurs in die Schweizer Wirtschaftsgeschichte ist Teil des von Gamper Soriano bewusst klischeehaft gezeichneten Schweizbildes, in welches sich auch der Vergleich Joan Gampers mit (Jean-)Henri Dunant einfügt.25 So profilierten sich sowohl der Gründer der Hilfsorganisation Rotes Kreuz als auch der spätere FCB-Gründer durch Respekt und Toleranz in einer multikonfessionellen, multikulturellen und multinationalen Gesellschaft. Die Schweiz war für die sich Ende des 19. Jahrhunderts formierende katalanische Nationalbewegung insofern wichtig, als sie der helvetischen Gemeinschaft in punkto demokratischen Strukturen und Unabhängigkeit nacheiferte. Ebenso war der in den 1970er Jahren entstandene „Mythos Johan Cruyff“26 mit der Sehnsucht nach Freiheit und ihrer Verwirklichung in dem niederländischen Ausnahmefußballer verbunden. Aufgrund der dezidiert katalanischen Identität des FC Barcelona wird verständlich, warum die offiziellen Vereinschroniken des Rivalen Real Madrid die Herkunft seiner Gründer verschweigen, handelt es sich bei Juan und Carlos Padrós, den Fußballpionieren des Madrid Football Club, des Vorgängervereins 23 24 25 26

Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 18. Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 39. Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 26f. Vgl. BIK, Mythos Cruyff, 153–161.

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des heutigen Real Madrid Club de Fútbol, doch um ein katalanisches Brüderpaar.27 Gampers Jugend war geprägt von steter Unruhe, dem wechselhaften beruflichen Erfolg seines Vaters, des Börsenkaufmanns August Gamper, und häufigen Wohnortwechseln. Der frühe Tod seiner Mutter, Rosa Hässig, machte Hans mit acht Jahren zum Halbwaisen. Durch das Fehlen einer Mutterfigur und das Desinteresse eines um wirtschaftlichen Aufstieg kämpfenden Vaters wuchs Hans eine verantwortungsvolle Führungsrolle für seine beiden jüngeren Geschwister Clärli und Freddy zu. Die retrospektive Biografie sah bereits in dieser Funktion markante Charakterzüge angelegt, die ihn als späteren Kapitän seiner Fußballmannschaft auszeichnen sollten.28 Innerfamiliärer Zusammenhalt zwischen den Geschwistern war eine Stütze in Gampers Jugend, der Sport entwickelte sich zur zweiten. Die in der Schweiz fortgeschrittene Reformpädagogik setzte sich in Anlehnung an Pestalozzi (1746–1827)29 eine ganzheitliche, geistig-intellektuelle, soziale und praktisch-physische Ausbildung zur Aufgabe, in der dem Sport eine tragende Rolle zukam. Gamper wurde aktiver Turner und Leichtathlet, der im Sport persönliche Sicherheit und Kameradschaft fand. „Sport entwickelte sich von einer Freizeitbeschäftigung zu einem essentiellen Bedürfnis.“30 Aufgrund seines Talents stellten sich alsbald erste Erfolge ein. Nachdem er im Alter von zwölf Jahren am 2. Oktober 1889 mit einem zweiten Platz beim Lauf von Zürich nach Zug sein offizielles sportliches Debüt gegeben und in den Folgejahren auch als Radfahrer und Turner gute Platzierungen vorzuweisen hatte, wurde er im Alter von 16 als einer der besten Läufer der Schweiz klassifiziert.31 1893 begann Gamper gemeinsam mit seinem Bruder Freddy bei Excelsior Zürich Fußball zu spielen. Wie in vielen anderen europäischen Ländern war der Fußballsport durch Engländer in die Schweiz gekommen.32 Als Stürmer von Excelsior Zürich überzeugte Gamper durch Athletik, Schnelligkeit und die Fähigkeit, ein Spiel zu lesen.33 Drei Jahre später trug sich der gebürtige Winterthurer auch als Mitglied des FC Basel ein. Fußballspiele hatten den Charakter gesellschaftlicher Treffen, bei denen die Teilnehmer gesellige Kontakte knüpften. Vor allem das gemeinsame Essen nach den Wochenendpartien wurde zur sozialen Institution. Hans fühlte sich im Kreise der Sportsmen wohl und wurde ob seines Gerechtigkeitssinns, seiner Menschlichkeit und seines Verständnisses von Freundschaft hoch geschätzt. Diesen positiven Charakterzü-

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Vgl. CÁCERES, Fútbol, 22; . Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 88. Vgl. TRÖHLER, Pestalozzi, 8. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 120. Vgl. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 13. Vgl. WERZ, Fußball in der Schweiz, 101; EISENBERG, FIFA 1904–2004, 40. Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 164.

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gen stellte Emma Gamper Soriano negative Eigenschaften, wie Besessenheit oder Störrigkeit gegenüber.34 Kurz nachdem Hans Gamper 1896 von der Stadt Zürich die „Meistermütze“ für Verdienste im Sport verliehen bekommen hatte, gehörte er zu den Gründern eines neuen Fussballclubs. Meinungsverschiedenheiten im FC Excelsior hatten eine Abspaltung junger Dissidenten zur Folge. Gemeinsam mit anderen Unzufriedenen wie etwa Henry Escher traten die Brüder Gamper aus ihrem ersten Fußballclub aus und gründeten mit Spielern des FC Turicum, einem Züricher Fußballverein, der den lateinischen Namen der Stadt trug, und des FC Viktoria Zürich am 1. August 1896 den FC Zürich. Mit dem gezielt auf den Schweizer Nationalfeiertag gelegten Gründungsdatum bediente der Fußballclub helvetischen Patriotismus und profilierte sich mit den Vereinsfarben Hellblau und Weiß, den Farben sowohl der Stadt als auch des Kantons Zürich, als Stadtklub. Eine ähnliche Strategie verfolgte Gamper später in der Gründungs- und Konsolidierungsphase des FC Barcelona. Der FCZ galt von Anfang an als moderat sozialistischer Klub, der die Nähe zur Bevölkerung suchte, Jugendliche aus den Arbeitervierteln fernab des Zentrums von Zürich anzog und in Opposition zum bourgeoisen Grasshopper Club stand.35 Gamper bekleidete mit 18 Jahren das Amt des Mannschaftskapitäns, der erste FCZ-Präsident, Hans Enderli, war erst 17 Jahre alt.36 Gamper zog im Rahmen seiner kaufmännischen Ausbildung am 30. August 1897 nach Lyon, wo er sich bei Union Athlétique de Lyon für Rugby, Leichtathletik und Fußball einschrieb.37 Der FC Zürich verlor damit „schon nach kurzer Zeit einen seiner tatkräftigsten Führer“.38 Nach elf Monaten kehrte er in seine Heimat zurück und arbeitete vorübergehend als Fußballberichterstatter für das „Schweizer Sportblatt“. Sein Vater, dessen finanzielle Entscheidungen nicht immer die glücklichsten waren, überzeugte ihn schließlich, seine Kaufmannskarriere im Ausland fortzusetzen und sich im Import von Genussmitteln aus spanischen Kolonialgebieten nach Barcelona zu versuchen. Nach einem letzten sportlichen Erfolg auf Schweizer Boden, Sieg im Rennen über eine Meile beim Sportfest in Basel am 2. Oktober 1898, verließ Gamper am 1. November 1898 die Schweiz gen Barcelona.39 3. Gründung und Anfangsjahre des FC Barcelona Anfangs war Gamper als Buchhalter bei der katalanischen Eisenbahn (Ferrocarils de Catalunya) beschäftigt. In der für ihn überraschend desorganisierten Kultur fühlte er sich verloren und litt in den ersten Monaten unter einer steten, durch 34 35 36 37 38 39

Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 188. Vgl. . Zur Geschichte des FC Zürich vgl. LÜTSCHER, Eine Stadt, ein Verein, eine Geschichte. Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 197. NN, 25 Jahre FC Zürich, 3. Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 207.

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Sportabstinenz bedingten Langeweile. Gamper begann, sich einigen Jugendlichen anzuschließen, die regelmäßig auf den Tibidabo, den Hausberg im Norden Barcelonas, liefen, aber erst im Fußball fand er wieder sein Gleichgewicht.40 Auf der Fahrt nach Sarrià erspähte Gamper Jugendliche, die mit einem eigenhändig fabrizierten Spielgerät ihrer Leidenschaft nachgingen. Als er mitspielte und mit seinen kräftigen Tritten den „Ball“ zerstört hatte, importierte er zwei Bälle aus seiner Heimat.41 Diese Anekdote über die Beschaffung einiger der ersten Fußbälle in Barcelona macht die geringe Bedeutung des neuartigen Sports in der Hauptstadt Kataloniens deutlich. Mit der Zeit gelang es Gamper, Fußballbegeisterte um sich zu scharen und mit diesen dem gemeinsamen Hobby nachzugehen. Zu ihnen gehörte der Engländer Walter Wild, den er beruflich kannte, sein in Barcelona wohnhafter Verwandter Emil Gaissert, zwei weitere Schweizer namens Otto Kunzle und Eugler und der Katalane Carles Comamala.42 Man traf sich regelmäßig im Stadtviertel Sant Gervasi und spielte auf Straßen, privaten Baugrundstücken und öffentlichen Flächen.43 Einige Male kamen die Fußballer in Kontakt mit bereits bestehenden Sportvereinigungen, wie etwa dem Gimnàs Tolosa. Diese Begegnung ist insofern von Bedeutung, da sie kontroverse Grundsatzdiskussionen nach sich zog. Die katalanischen Sporttreibenden begegneten, wie die Quellen einmütig belegen, den großteils ausländischen Sportlern mit Ablehnung. Sie gaben Gamper zu verstehen, dass sie nicht mit Ausländern Fußball spielen wollten.44 Da zu den Sporttreibenden bereits damals katholische Schotten gehörten und in den Kaderlisten der ersten Spiele des FC Català, des in der Folgezeit eingetragenen Fußballvereins des Gimnàs Tolosa, die Namen schottischer Spieler auftauchten, ist zu vermuten, dass konfessionelle Motive den Ausschlag gegeben hatten. Besonders der gläubige Protestant Agustí Rodes i Català legte in seiner Biographie „Joan Gamper: Una vida entregada al FC Barcelona“45 (Joan Gamper: Ein Leben für den FC Barcelona) großen Wert auf diese religiöse Komponente, die in den Folgejahren noch einmal zum zentralen Thema werden sollte. Die ambitionierten Fußballer mussten sich, gleich aus welchen Motiven, ein neues Areal suchen und profitierten dabei von Walter Wilds Kontakten zum Gimnàs Solé und seinem Begründer Manuel Solé, der den Sportlern schließlich die Nutzung seiner Anlagen und Einrichtungen erlaubte. Was folgte, war die vielleicht berühmteste Kurzanzeige einer Sportzeitung, erschienen am 22. Oktober 1899 in „Los Deportes“, geschaltet von dessen Mitarbeiter Hans Gamper. „Nuestro amigo y compañero Mr. Kans Kamper, de la Sección de Foot-Vall de la ‚Sociedad Los Deportes‘ y antiguo campeón suizo, deseoso de poder organizar algunos partidos en Barcelona, ruega a cuantos sientan aficiones por el referido 40 41 42 43 44 45

Vgl. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 211. Vgl. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 16. Vgl. RODES I CATALÀ, Els fundadors del FCB, 40. Vgl. PUJADAS, Els origens de l’esport, 17. Vgl. RODES I CATALÀ, Els fundadors del FCB, 40. RODES I CATALÀ, Joan Gamper.

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deporte se sirvan ponerse en relación con él, dirigiéndose al efecto pasar por esta redacción los martes y viernes por la noche de 9 a 11“.46

Der Anzeige folgten zwölf Sportler: Gamper, sein Schweizer Landsmann Otto Kunzle, Walter Wild und die Brüder John und William Parsons aus England, der Deutsche Otto Maier und die sechs Katalanen Lluís d’Ossó, Bartomeu Terradas, Enric Ducal, Pere Cabot, Carles Pujol und Josep Llobet,47 die sich knapp fünf Wochen später, am 29. November 1899, im Gimnàs Solé trafen und die Gründung des FC Barcelona beschlossen. Dabei standen sechs Protestanten ebenso vielen Katholiken gegenüber. Während Gamper es vorzog, die Funktion des Kapitäns, statt des mancherorts fälschlich angeführten Präsidenten,48 auszufüllen, wurde diese Ehre Wild (katalanisch Gualteri Wild) zuteil. Als Vereinswappen wurde das Wappen der Stadt Barcelona gewählt, als Klubfarben blau-granatrot. Diese Farbkombination war Gegenstand einer heftigen Diskussion, deren Details aufgrund lückenhafter Quellen nicht mehr geklärt werden können. Um die Frage nach dem ersten Fußballverein Barcelonas entbrannte eine prestigeträchtige Kontroverse. Dieses Privileg machte ausgerechnet der FC Català, der aus Gimnàs Tolosa hervorgegangen und ausländischen Sportlern gegenüber feindselig eingestellt war, dem FC Barcelona streitig. Am 16. August 1903 erklärte Gamper öffentlich, bei einem Besuch im Velòdrom de la Bonanova, dem Tolosa-Treffpunkt, hätten die dort Anwesenden bestritten, ein Fußballverein zu sein, vielmehr seien sie eine Vereinigung junger Turner, die diesen Sport nur zur Freizeitgestaltung ausübten.49 Möglicherweise lässt sich die nationale Namensgebung des FC Català als Reaktion auf den Ausländeranteil des FC Barcelona erklären.50 Damit war dem FCB ein erster großer Rivale entstanden. Nachdem das erste Spiel der Vereinsgeschichte am 8. Dezember 1899 mit 0:1 gegen eine Auswahl englischer Bewohner Barcelonas verloren gegangen war, gelang 16 Tage später der erste Sieg. „Der intelligente Schweizer Meister Hans Gamper“51 führte seine Mannschaft zu einem 3:1-Triumph über den FC Català. Im Kader standen die Brüder Witty, Nachkommen des erfolgreichen Geschäftsmanns Frederick Witty, der später zum britischen Vizekonsul aufsteigen sollte. Ernest und Arthur Witty, zwei „sportsmen“ mit den Mitgliedsnummern 2 und 3 des FCB, Gamper wurde am 27. Dezember 1900 zum Ehrenmitglied des Vereins mit der Mitgliedsnummer 1 ernannt, waren 1899 auch an der Gründung des 46

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„Unser Freund und Kollege, Mr. Kans Kamper [sic], der Sektion Fußball der Gesellschaft Los Deportes und ehemaliger Schweizer Meister ist begierig, einige Partien in Barcelona organisieren zu können, und erbittet jene, die sich für den genannten Sport begeistern, mit ihm in Beziehung zu treten, sich an die Redaktion zu wenden, oder Dienstag und Freitag nachts von 21 bis 23 Uhr vorbeizuschauen.“ – Los Deportes, 29.10.1899, zit. in: CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 15. FINESTRES MARTÍNEZ, Universal Barça, 70. Vgl. WERZ, Fußball in der Schweiz, 101. Los Deportes, 16.8.1903, zit. in: CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 23. RODES I CATALÀ, Els fundadors del FCB, 40. SERRA, Match á football, 6.

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Lawn Tennis Club Barcelona, dem heutigen Real Club de Tenis Barcelona, beteiligt. Mit dem Familienunternehmen Witty S.A. waren sie eine wichtige ökonomische Stütze im Hintergrund des FCB.52 Die Partizipation der Wittys, einer erfolgreichen englischen Immigrantenfamilie, nährte Spekulationen über den protestantischen Charakter des FC Barcelona. Gamper selbst untersagte protestantische Glaubensbezeugungen im Rahmen des Sports, um den Vorwurf einer antikatholischen Konspiration zu entkräften. Den katholischen Mitspielern indes waren derartige Akte gestattet.53 Sein protestantisches Antlitz blieb dem FC Barcelona aber zumindest bis zu Gampers Rücktritt als Spieler, nach dem ersten internationalen Auswärtsspiel gegen Olympique Toulouse am 26. Dezember 1904, erhalten. Gamper hatte in 51 Spielen 120 Tore erzielt. Im Jahr 1902 gründeten die Vereine FC Barcelona, Español, FC Català, Hispània, Universitari, Irish, Catalònia, Ibèria, La Salut, Rowing, Cataluña und Internacional54 die Associació Catalana de Football (ACF), heute Federació Catalana de Futbol, eine Institution, die sich die Organisation einer katalanischen Fußballmeisterschaft zur Aufgabe setzte. Da sich die ACF als unersetzlich für den katalanischen Fußball erwies, sah sich der FC Barcelona mit etlichen Hindernissen konfrontiert, denn im neuen Dachverband herrschte ein selbst für anerkannte Sportexperten zur Frühgeschichte des katalanischen Fußballs unerklärlicher, latenter Anti-Barcelonismus. So wurden dem FCB Punkte abgezogen, da zwei Spieler eine ungültige Sportausrüstung getragen hatten.55 Diese Diskriminierung untergrub die Freude über den Gewinn der ersten katalanischen Meisterschaft im Jahr 1905 und führte zu einer sportlichen Talfahrt, die 1908 in einer substanziellen Krise gipfelte. Paralell zu den Misserfolgen auf dem Fußballfeld hatte der Rücktritt einiger Spieler und Funktionäre der Anfangsjahre einen Prestigeverlust, eine schwindende Mitgliederzahl und finanzielle Engpässe zur Folge. Hatte der Verein 1903 circa 250 zahlende Mitglieder, so sank die Zahl 1907 auf 163, ehe sie im Jahr 1908 mit 38 ihren historischen Tiefpunkt erreichte. Der FC Barcelona stand vor der Auflösung und „bedurfte zum erfolgreichen Fortbestand einer völligen Restrukturierung.“56 Nun begann die Ära, in der Gamper als Funktionär in Erscheinung trat und seinen Mythos als Retter des Vereins begründete. Zwar sprechen einzelne Quellen auch von den Anstrengungen Lluís d’Ossós, den FC Barcelona zu „katholisieren“ und so für die katalanisch-katholische Elite zu öffnen,57 doch wird dieses Verdienst zumeist Gamper zugesprochen. Bei offiziellen Empfängen führte er persönlich Gespräche mit Stadtpolitikern und versuchte, sie von der Bedeutung 52 53 54 55 56 57

Vgl. RODES I CATALÀ, Una vida entregada, 37. Vgl. RODES I CATALÀ, Una vida entregada, 21. Vgl. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 29. Vgl. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 33. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 34. Vgl. GERBER, FCB – Barcelona.

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des Fußballvereins zu überzeugen. Zudem besaß Gamper als Geschäftsmann die nötigen Kontakte, um die finanziellen Mittel aufzutreiben, die den Fortbestand des Vereins sicherten.58 4. Die doppelte Katalanisierung Gamper, der seit nunmehr einer Dekade in Barcelona lebte, hatte sich in den Jahren seit seinem Rücktritt als aktiver Fußballer im Jahr 1904 aus persönlichen Gründen vom Club zurückziehen müssen. Einerseits war er als Geschäftsmann mit dem Aufbau seiner Importgesellschaft beschäftigt, andererseits heiratete er am 30. November 1907. Er vermählte sich in Aachen mit Emma Piloud, einer frankophonen Schweizerin aus Fribourg, die zudem gläubige Katholikin war. Emma Gamper Soriano bezeichnete diesen Schritt ihres Großvaters als „Demokratisierung des Glaubens“.59 Hans hatte verstanden, dass es in Barcelona von Vorteil war, wenn man dem Katholizismus nahesteht. Diese Erkenntnis aus seinem Privatleben wandte er erfolgreich auf seinen Club an, was dessen Rettung bedeutete. Gemeinsam mit dem Deutschen Udo Steinberg und dem Briten Charles Wallace wollte er die Beziehung des FC Barcelona zur Stadt stärken, die bereits im Klubnamen verankert war. „Der Klub wurde mehr und mehr in eins gesetzt mit den Verhältnissen und Ereignissen, die ihm seinen Charakter und seine Einzigartigkeit geschenkt haben.“60 Barcelona war damals das Zentrum einer katalanischen Nationalbewegung, deren Kampf um Autonomie 1914 mit der Konstituierung der Mancomunitat de Catalunya, einem politischen Zusammenschluss der vier Provinzialregierungen Barcelona, Tarragona, Girona und Lleida, zu einem ersten Erfolg geführt hatte. In den sechs Jahren, die zwischen dem Tiefststand an Mitgliedern und der Gründung der Mancomunitat lagen, hatte sich der FC Barcelona unter der Ägide des Präsidenten Hans Gamper, der dem Verein, mit Ausnahme des Intervalls vom 14. Oktober 1909 bis 17. November 1910, von 1908 bis 1913 vorstand, vollends konsolidiert und katalanisiert. Hierbei sind vor allem die Parallelen zwischen Gampers Privatleben und der Vereinschronik beachtenswert. So wie Gamper, fortan nur noch Joan genannt, seine Kinder Marcel Jorge María (cat.: Marcel Jordi María, geb. 14.3.1909) und Juan Ricardo (cat.: Joan Ricard, geb. 10.5.1912) katholisch erzog und mit ihnen ausschließlich „català“ sprach, so wurde das Katalanische offizielle Amtssprache des Vereins. 1910 wurde ein eigenes Vereinswappen eingeführt, entworfen von Carles Comamala, einem Spieler der ersten Stunde, das mit geringen Modifikationen bis heute besteht. Das rote Kreuz des heiligen Georg (Sant Jordi) wurde aus dem Stadtwappen übernommen. Rechts neben dem Georgkreuz verlaufen in der oberen Wappenhälfte 58 59 60

Vgl. KING, FC Barcelona, 23. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 215. GONZÁLEZ AJA, Fußball und Regionale Identität, 138.

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des Vereinswappens die Katalonien repräsentierenden vier senkrechten roten Streifen im gelben Feld. In der unteren Wappenhälfte prangen die ebenfalls senkrecht verlaufenden Streifen in Blau und Granatrot, den Farben des Vereins. Heraldisch betrachtet steht der Verein unter der Schirmherrschaft von Stadt und Region, für die er seinerseits einen eminent wichtigen Identifikationsfaktor darstellt. 1910 war die Krise bereits überwunden: sportlich, da mit der Copa del Rey der erste nationale Titel errungen wurde, und sozial, da mit einer Mitgliederzahl von knapp 400 sogar der bislang höchste Wert aus dem Jahr 1903 übertroffen wurde. Nach der erfolgreichen Konsolidierung trat Gamper, mit besonderen Ehren verabschiedet, in die zweite Reihe zurück. Am 29. Juni 1913 veranstaltete der Verein den ersten „Homenatge“, eine Ehrbezeugung und Huldigung für Joan Gamper. Leichtathletikwettbewerbe, Musikstücke der städtischen Kapelle, eine Blumenspende an Emma Gamper und ein Freundschaftsspiel, geleitet von Gamper als Schiedsrichter, bildeten den Rahmen für die Verleihung eines Schmuckstückes mit den eingravierten Daten der Präsidentschaft als Dank „für die außerordentliche Arbeit in einer schwierigen Zeit.“61 Im ersten Jahr der Mancomunitat de Catalunya, 1914, hatte der FC Barcelona bereits beachtliche 1.263 Mitglieder,62 die gemeinsam mit ihren parlamentarischen Vertretern für eine Ausweitung der Befugnisse der Mancomunitat und ein eigenes Autonomiestatut eintraten. Während Mitteleuropa durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erschüttert wurde, profilierte sich der neutrale spanische Staat als Exporteur notwendiger Ressourcen für die kriegführenden Staaten. Einer der größten Profiteure war die vorwiegend in Katalonien konzentrierte Textilindustrie, was den politischen Forderungen ökonomischen Nachdruck verlieh. Im Jahr 1917 wurde der spanische Staat, abgesehen von dem antizentralistischen, katalanischen Nationalismus, mit Unruhen innerhalb des Militärs konfrontiert, iberische Offiziere wetterten gegen die Privilegien der als Afrikanisten bezeichneten, im marokkanischen Rif-Gebiet stationierten Offiziere. Darüber hinaus sorgten die mächtigen Gewerkschaften und eine von der Revolution in Russland gestärkte Arbeiterschaft für Unruhe. Eine Spaltung des Katalanismus in einen konservativ-bürgerlichen und einen links-revolutionären Block war die Folge. Trotz dieser Krise behielt der FC Barcelona seine bisherige politische Position bei. Auch die dritte Amtszeit Joan Gampers als Vereinspräsident, sie dauerte vom 17. Juni 1917 bis 19. Juni 1919, war von einer prekären Situation geprägt. In einem symbolträchtigen Akt wurde Joan Ventosa zum Ehrenmitglied des Vereins erklärt, dessen politische Partei Lliga Regionalista aufgrund der Vorrangstellung sowohl in der Mancomunitat de Catalunya als auch im Ajuntament de Barcelona (Stadtrat Barcelonas) die Kampagne zur Ausweitung der Selbstverwaltung vorantrieb.63 1918 schloss sich der FCB offiziell der Autonomiepetition 61 62 63

CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper 50. ARTELLS, Barça, Barça, Barça, 55. Vgl. SOBREQUÉS I CALLICÓ, FC Barcelona, 257.

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an, was die Zeitung „La Veu de Catalunya“ wie folgt kommentierte: „D’un club de Catalunya ha passat el FC Barcelona, a ésser el club de Catalunya“.64 Der FC Barcelona engagierte sich abseits des sportlichen Terrains und wurde zu einem katalanischen Symbol. Dies wurde durchaus positiv aufgenommen, wie die Verdreifachung der Mitgliederzahlen im Zeitraum von 1913 bis 1919 beweist. Obwohl er lediglich zwei Titel in der regionalen katalanischen Meisterschaft gewonnen hatte, zählte der FC Barcelona 1919 schon über 3.000 Mitglieder.65 In diesem Jahr befand sich der Fußballclub erstmals unter den Teilnehmern der traditionellen Blumenspende (ofrena floral) am katalanischen Nationalfeiertag (La Diada), dem 11. September. Traditionell wird an diesem Tag, der an die Kapitulation Barcelonas als letzter Bastion des Widerstands gegen die Truppen Philips V. 1714 erinnert, ein Blumengesteck bei dem 1888 für Rafael Casanova, den damaligen Vorsitzenden der Stadtregierung Consell de Cent, errichteten Denkmal gelegt. Die Verbindung zu einem der bedeutendsten katalanischen Erinnerungsorte66 war aufgrund der politischen Situation in Spanien von Anbeginn ein brisantes Unterfangen, das die offen zur Schau gestellte Vereinsideologie unterstreicht. Joan Josep Artells beschrieb den symbiotischen Prozess zwischen dem FC Barcelona und der katalanischen Gesellschaft folgendermaßen: „Nach der Krise von 1908 zeigte der FC Barcelona, Gamper folgend, große Sympathie für die politische Bewegung des Katalanismus. Man kann sagen, dass unbewusst, obwohl manchmal natürlich sehr bewusst, dieser Fußballklub zur Ausbildung einer katalanischen Identität wesentlich beitrug. Diese Einstellung, die von dem Gründer des FC Barcelona während seiner Präsidentschaft nachdrücklich vertreten wurde, gewann in der Zeit zwischen 1917 und 1925 eine besondere Bedeutung.“67

Die von Artells im Jahr 1925 gesetzte Zäsur erklärt sich aus den Ereignissen in diesem Jahr, die den FC Barcelona in die nächste Existenzkrise stürzten. 5. Der Nachteil, Katalane zu sein: Skandalspiel, Verbannung und Tod Die 1920er Jahre stellten für den FC Barcelona eine erste Blütezeit der Vereinsgeschichte dar. Mit den gebürtigen Barcelonesen Josep Samitier und Ricardo Zamora spielten die besten spanischen Fußballer der Vorkriegszeit gemeinsam in einem Team. Das Zuschauerinteresse war so groß, dass ein für damalige Verhältnisse kolossales Stadion in Auftrag gegeben wurde. Der Camp de Les Corts, Grundsteinlegung 1922, konnte zunächst 30.000 Zuseher fassen und wurde zu

64 65 66 67

„Der FC Barcelona hat sich von einem Club Kataloniens zu dem Club Kataloniens gewandelt“. – SANTACANA, Pensant l’esport, 32. AIRA, Barça i estatut, 45. Vgl. BALCELLS, Llocs de memòria, 85–161. JOAN JOSEP ARTELLS, zit. in: COLOME, Fußball und nationale Identität in Katalonien, 121.

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einer „Kathedrale des Fußballs und einem Treffpunkt des Katalanismus.“68 Die Mitgliederzahl wuchs ebenso wie das Selbstvertrauen der Sportfunktionäre und ihr katalanisches Sendungsbewusstsein. Der Sport als klassenübergreifendes Element der Modernisierung und der körperlichen und sozialen Regeneration sollte auf die Zukunft Kataloniens projiziert werden.69 Gemäß der Ideologie des Regeneracionismo, einer intellektuellen und politischen Bewegung im Spanien des frühen 20. Jahrhunderts, wäre die Veranstaltung Olympischer Spiele die willkommene Demonstration eines modernen, mit Europa verbundenen Kataloniens. Gamper entwickelte sich zu einem renommierten Verfechter des katalanischen Olympismus, dessen Ursprünge sich bis Oktober 1913 zurückverfolgen lassen, als Josep Elias i Juncosa, ein Bewunderer und Bekannter Pierre de Coubertins, den Vorsitz des inoffiziellen Katalanischen Olympischen Komitees (Comitè Olímpic Català) inne hatte.70 Gemeinsam mit Elias und weiteren Mitgliedern des Komitees reiste Gamper 1920 zu den Olympischen Spielen nach Antwerpen und präsentierte de Coubertin, dem Vorsitzenden des IOC, die Kandidatur Barcelonas für die Spiele 1924. Trotz der vollen Unterstützung der Mancomunitat de Catalunya scheiterte die Bewerbung an der oppositionellen Haltung des Comité Olímpico Español, der zentralistischen Politik Madrids und schließlich an der Präferenz de Coubertins für seine Heimatstadt Paris.71 Der Widerstand Madrids gegen das Prestigeprojekt Olympischer Spiele in Barcelona verstärkte sich nach Einsetzung der Militärdiktatur von Miguel Primo de Rivera ganz entscheidend. Gewerkschaften und politische Parteien wurden verboten, zudem begann die Verfolgung des politischen und kulturellen Katalanismus. Dies bekam auch der FC Barcelona zu spüren. Auslöser war ein Benefizspiel des FC Barcelona im Stadion Les Corts gegen den katalanischen Club Esportiu Jupiter am 14. Juni 1925 zu Ehren des Orfeó Català, eines 1891 gegründeten Chors, der als katalanisches Kulturbanner ein Identitätsträger nationaler Musik war. Primo de Rivera hatte nicht nur offizielle Ehrungen des Chors untersagt, sondern auch die Verwendung des Katalanischen in Predigten oder öffentliche Aufführungen der Sardana, des traditionellen katalanischen Volkstanzes, und beraubte die Mancomunitat ihrer bescheidenen Befugnisse in Bildung und Kultur.72 Der Unmut über die Restriktionen der vergangenen Monate entlud sich zu Beginn des Spiels, als traditionell die spanische Hymne (Marcha Real) erklang. Vor den Augen und Ohren des Chorgründers Lluis Millet i Pagès, katalanischer Politiker und Repräsentanten der Militärdiktatur pfiff das Publikum dermaßen laut, dass die aus Großbritannien stammende Kapelle gezwungen war, ihre Darbietung abzubrechen. Beim Abspielen der briti-

68 69 70 71 72

. Vgl. SANTACANA, Pensant l’esport, 35. Vgl. CASANOVAS, Catalunya i els jocs olímpics, 49. Vgl. CASANOVAS, Catalunya i els jocs olímpics, 51f. Vgl. MARÍ I MAYANS, Die katalanischen Länder, 142.

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schen Hymne „God save the King“, Regent des britischen Empire war zu dieser Zeit George V., brandete Beifall auf. Joaquim Milans del Bosch, Zivilgouverneur und höchste militärische Autorität in Barcelona, reagierte auf die Tatsache, „dass es im Verein Individuen gibt, deren Gesinnung mit Ideen gegen das Wohl des Heimatlandes erfüllt ist“,73 mit harten Sanktionen. Dem FC Barcelona wurde jegliche Betätigung für sechs Monate untersagt und eine hohe Geldstrafe auferlegt; sowohl das Stadion Les Corts als auch der Musikpalast des Orfeó Català blieben für ein halbes Jahr geschlossen, und Gamper, 1925 in seiner mittlerweile fünften Amtszeit als Präsident tätig, wurde genötigt, zurückzutreten und Katalonien für geraume Zeit zu verlassen. Was für viele Vereine das Ende oder zumindest den finanziellen Kollaps bedeutet hätte, einte den FC Barcelona als katalanischen Fahnenträger umso mehr. Nicht ein einziger der mittlerweile über 12.000 Mitglieder versäumte die Einzahlung seines Mitgliedsbeitrags, was zur Folge hatte, dass der Verein zum Jahresende mit einem finanziellen Überschuss abschließen konnte.74 Diese gegen die Existenz des FCB gerichteten Maßnahmen gingen in das kollektive Bewusstsein der Vereinsmitglieder ein, stärkten die antizentralistische und antimonarchische Stimmung, waren aber nur ein Vorspiel dessen, was dem Klub in den Jahren des Franquismus widerfahren sollte. Konservative Kreise gaben Gamper die Schuld für die antizentralistische und antimonarchische Haltung der beiden katalanischen Kulturträger, sie kritisierten ihn wegen seines protestantischen Glaubens und seiner angeblichen Verbindungen zu klandestinen Freimaurerkreisen und des separatistischen Katalanismus, so wie sie ihn bereits während des Ersten Weltkriegs der Germanophilie bezichtigt hatten. Gamper musste Katalonien für einige Zeit verlassen und fand sich isoliert von seiner Heimat im Exil wieder. „Etwas in ihm war für immer zerbrochen.“75 Gamper stürzte in eine Daseinskrise, die sich aufgrund der geopolitischen Ereignisse und deren Auswirkungen auf seinen Beruf als Kaufmann gravierend verschlimmerte. Seine Gesellschaft Gamper i Mir kontrollierte in den 1920er Jahren fast 80 Prozent des katalanischen Marktes bei den Importprodukten Kaffee, Kakao, Vanille, Zucker und Zimt.76 Umso heftiger traf ihn 1929 der Preisverfall während der Weltwirtschaftskrise, seine Investitionen und Anlagen wurden in kürzester Zeit wertlos. Finanzieller Niedergang und sportliche Zwangsabstinenz wuchsen zu einer profunden Depression, aus der Gamper, mittlerweile 52 Jahre alt, keinen Ausweg sah. Gemeinsam mit einem Freund wählte er am 30. Juli 1930 den Freitod, nur drei Monate nachdem Miguel Primo de Rivera, der die Verbannung Gampers befohlen hatte, in Paris verstorben war.

73 74 75 76

SOBREQUÉS I CALLICÓ, Cent anys, 258. Vgl. CÁCERES, Fútbol, 103. GAMPER SORIANO, De Hans a Joan, 219. RODES I CATALÁ, Una vida entregada, 17.

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6. Gamper als Thema der katalanischen Memorialkultur Nach seinem Tod wurde Gamper zu einem wichtigen Faktor in der katalanischen Geschichte und Memorialkultur. Objektiv gesehen dürfte die missliche finanzielle Lage des Geschäftsmanns den Suizid motiviert haben. Gleichwohl war der Verein stets bemüht, so in der Darstellung der Vita Gampers im Vereinsmuseum, die Wunden zu betonen, die bereits die Affäre rund um den Orfeo Català in der Seele des Präsidenten hinterlassen hatten, das tragische Ende Gampers dadurch zu erklären, dass der bereits angeschlagene Gründungsvater des Vereins durch weitere Schicksalsschläge endgültig gebrochen worden sei. Gamper wird auf diese Weise zu einem ersten Todesopfer der Unterdrückung des FC Barcelona und zu einem „Märtyrer des Katalanismus“. Ein opferzentriertes Geschichtsbewusstsein mit seiner identitätsstiftenden Kraft, über die in der Wissenschaft Konsens besteht,77 lässt sich somit schon vor der franquistischen Unterdrückung des FCB mit der Erinnerung an den Mythos Gamper erkennen. Mit Joan Gamper starb ein erfolgreicher Fußballpionier. „Gamper fue el jugador más popular de sus tiempos, no sólo por su figura simpática y atrayente, su gracejo al hablar y su juego, el mejor a los que conocieron los barceloneses que comenzaban a interesarse por el fútbol, sino también por su carácter emprendedor pródigo en iniciativas, que no conocía obstáculos y que sabía convertir en realidades los más fantásticos proyectos.“78

Und mit ihm starb ein außerordentlicher Funktionär katalanischer Prägung. „Té un alt sentit de dignificació ciutadana i una eficacia encoratjadora. Estranger per la naixença, us haven compenetrat amb els sentiments i ideals del nostre poble i per això els Catalans us estimen com un fill de la nostra terra“.79 „El FC Barcelona perd la seva millor glòria; Catalunya perd un dels seus més legitims amics. [...] Va ser un entusiasta propagador i plantador del futbol, amb amor per Barcelona y Catalunya.“80 77 78

79

80

Vgl. SABROW, Das Unbehagen, 20. „Gamper war der populärste Spieler seiner Zeit, nicht nur aufgrund seiner sympathischen und anziehenden Gestalt, seiner Eloquenz und seines Spiels, das beste, das die Barcelonesen, die sich für den Fußball zu interessieren begannen, kannten, sondern auch wegen seines draufgängerischen Charakters, verschwenderisch an Initiativen, der keine Hindernisse kannte und die fantastischsten Projekte in Realität umzuwandeln vermochte.“ – CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper 32. „Er hat einen hohen Sinn für die Würde der Stadt und besitzt eine ermutigende Wirkkraft. Ausländer von Geburt her, ist er durchdrungen von Gefühlen und Idealen unseres Volkes und deshalb lieben die Katalanen ihn wie einen Sohn unserer Erde.“ – Auszug aus der Rede Josep Puig i Cadafalchs, Präsident der Mancomunitat de Catalunya, anlässlich der zweiten Homenatge an Joan Gamper vom 25.2.1923; vgl. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 74f. „Der FC Barcelona verliert seinen höchsten Glanz, Katalonien verliert einen seiner rechtschaffensten Freunde. [...] Er war ein enthusiastischer Verfechter und Verbreiter des Fußballs, voll Liebe zu Barcelona und Katalonien.“ – La Publicitat (katalanische Zeitung der Jahre 1922–1939), 31.7.1930; vgl. CASAUS/VILLAROYA, Joan Gamper, 92f.

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Verantwortliche und Mitglieder des FC Barcelona wussten bereits zu dessen Lebzeiten um die Exzeptionalität Gampers, was die obenan erwähnten offiziellen Ehrungen (Homenatges) unterstreichen. Die Beerdigung des gebürtigen Schweizers glich einem Staatsbegräbnis und verdeutlichte die Bande, die zwischen Sport und Politik geschlagen worden waren. Hohe Vertreter beider Lager erwiesen Gamper die letzte Ehre und geleiteten den von der ältesten Clubfahne bedeckten und von ehemaligen Spielern getragenen Sarg zu seinem Grab. Die Erinnerung an Gamper wurde auf den unterschiedlichsten Ebenen inszeniert. Die Mitgliedsnummer 1 des FC Barcelona behielt er sein Leben lang, sie wurde ihm nach seinem Tod für ewig zugestanden. Bereits 1933 zierte sein Name eine Straße im Areal des Camp de Les Corts. Barcelona stand zu dieser Zeit unter der autonomen Führung der Regionalregierung (Generalitat de Catalunya), was die Ehrung einer außerhalb Kataloniens umstrittenen Persönlichkeit wesentlich erleichterte. Im Zuge des politischen Wandels und der Machtergreifung Francos trug der Carrer de Joan Gamper von 1939 an den neutralen Namen Chrysanthemen-Straße (Calle de los Crisantemos), ehe er auf Ansuchen des damaligen FCB-Präsidenten Augustí Montal i Galobart 1946 wieder umbenannt wurde (Abb. 1).81 Die politische Brisanz der Namensgebung erfuhren die Vereinsoffiziellen mehr als zwanzig Jahre später. Der Wunsch, das Nachfolgestadion des Camp de Les Corts nach dem Vereinsgründer zu nennen, scheiterte am Veto der franquistischen Delegierten, da Gamper „Ausländer, Protestant, Katalanist und Selbstmörder“82 gewesen sei. Nichts einzuwenden hatte das Regime jedoch Mitte der 1960er Jahre gegen die Einführung eines jährlich im August veranstalteten Blitzturniers um eine Gamper gewidmete Trophäe (Torneig Joan Gamper). Es stammt aus einer Zeit, in der sich Sommerturniere großer Beliebtheit erfreuten.83 Drei eingeladene Fußballmannschaften maßen sich mit dem FC Barcelona um die Joan-Gamper-Trophäe. 1997 wurde der Wettbewerb aufgrund von Terminkollisionen mit den früh beginnenden Meisterschaften auf einen Gegner reduziert. Die Spieler des FC Barcelona erwiesen dem sportlichen Ahnen Respekt, indem sie seit dem Premierenturnier am 31. August 1966 den Pokal 33 mal gewannen. Am Tag dieses prestigeträchtigen sportlichen Kräftemessens legt der amtierende Präsident des FC Barcelona eine Blumenspende auf das Grab Gampers am Friedhof des Montjuïc. Dass das Familiengrab anstatt eines Ehrengrabes zur letzten Ruhestätte wurde, lag an der Bescheidenheit Gampers, der von den Katalanen stets als „einer von uns“84 gesehen wurde. Während das Stadion heute immer noch den Namen Camp Nou trägt, wurde dem wenige Kilometer nordwestlich von Barcelona in Sant Joan Despí gelegenen Trainingsgelände bei seiner Eröffnung am 1. Juni 2006 der klingende Name „Ciutat Esportiva Joan Gamper“ (Sportstadt Joan Gamper) verliehen.

81 82 83 84

Vgl. SABARTÉS, F.C. Barcelona, 34. BALCELLS, Llocs de Memòria, 374. Vgl. CASTEL, Història del futbol català, 395. BALCELLS, Llocs de Memòria, 374.

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Abb. 1: Straßenschild in Barcelona, das als Erinnerungsplakette in Marmor für Joan Gamper errichtet wurde.

Auch in der Schweiz hat man Gamper nicht vergessen. So eröffnete der FC Basel, für den Gamper immerhin zwei Spiele bestritten hat, 2010 eine Ausstellung im vereinseigenen Museum über sein ehemaliges Mitglied. „Hans Gamper – Der rotblaue Fussballpionier“ beschäftigte sich mit den verschiedenen Stationen seines Lebens unter besonderer Hervorhebung der „Spuren, die Gamper in der Region Basel hinterliess.“85 Dabei konnte das FC Basel 1893 Museum auf Objekte aus dem Museu FC Barcelona President Nuñez zurückgreifen. Das Vereinsmuseum des FCB, das auf eine Idee Gampers aus den 1920er Jahren zurückgeht, erinnerte 2008 bis 2010 an den gebürtigen Schweizer in der Col·lecio Joan Gamper. Der traditionell musealen Sammlungs- und Ausstellungsmethodik folgend, verschmolzen verschiedenste Artefakte und Utensilien, Möbel und Kleidungsstücke aus dem Leben und der Zeit Gampers zu einer historisch-szenischen Komposition.86 Auch nach der 2010 erfolgten Modernisierung geht das Museum in verschiedenen Installationen auf die besondere Rolle Gampers ein. Diese lebendige Memorialkultur ruft den Amtsträgern, Mitgliedern und Fans des Vereins von heute den fünfmaligen Präsidenten Gamper in Erinnerung, der zu einem katalanischen Nationalhelden wurde und den Verein zum Träger nationaler Ideen machte.

85 86

. Vgl. FLÜGEL, Einführung in die Museologie, 107.

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7. Resümee Das Beispiel des FC Barcelona verdeutlicht, wie „Sport als politisches Symbol, als Träger und Repräsentation politischer Bedeutungen“87 inszeniert werden kann. Sport und Politik waren in Barcelona lange vor der für die Vereinsidentität essentiellen franquistischen Repression ein Bündnis eingegangen. Diese Symbiose verdichtet und personalisiert sich im Mythos Gamper. Gamper lebt in der Erinnerung nicht nur als Schweizer Sportpionier, der den Fußball in der Hauptstadt Kataloniens populär gemacht hat, und als Gründervater des FC Barcelona, eines der größten Sportvereine der heutigen Zeit, weiter, sondern auch als Vorkämpfer eines Katalanismus, der für das Selbstverständnis des FCB so wichtig ist. Der FC Barcelona steht heute nicht nur für eine hohe Spielkultur, sondern vor allem für eine Sonderstellung, die ihn von unzähligen Sportvereinen weltweit unterscheidet. Der FCB ist mehr als ein Club. „Més que un club“, das Motto, das von den Sitzen des Camp Nou prangt und ein Alleinstellungsmerkmal artikuliert, das aus einem Fußballverein einen politischen Akteur gemacht hat. Die Entscheidung, diesen katalanischen Weg zu gehen, wurde von Joan Gamper getroffen, ihr sind die Vereinsoffiziellen bis heute treu geblieben. Dieses Bekenntnis zur katalanischen Nation ist das vielleicht größte und wirkmächtigste Vermächtnis Gampers, das den FC Barcelona zu einem Identitätsträger und Symbol Kataloniens gemacht hat. Quellen und Literatur Literatur AIRA, ANTONI: Barça i estatut, in: Barça: Revista Oficial FC Barcelona 14 (2005), 44–49. ANDERSON, BENEDICT: Die Erfindung der Nation: Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, zweite Auflage, Frankfurt a.M. 2005. ARTELLS, JOAN JOSEP: Barça, Barça: El FC Barcelona, esport i ciutadania, Barcelona 1972. ASSMANN, ALEIDA/ASSMANN JAN: Mythos, in: HUBERT CANCIK u.a. (Hrsg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1998, 179–200. ASSMANN, JAN: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: JAN ASSMANN/TONIO HÖLSCHER (Hrsg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1988, 9–19. BALCELLS, ALBERT: Llocs de memòria dels catalans, Barcelona 2008. BIK, JOEP M.: Mythos Cruyff, in: NORBERT SEITZ (Hrsg.), Doppelpässe: Fußball & Politik, Frankfurt a.M. 1997, 153–161. Bios: Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 18 (2005), Heft 2: Schwerpunkt „Biographie und Sportgeschichte“. BYZEUL, YVES: Politische Mythen im Zeitalter der „Globalisierung“, in: KNABEL, Nationale Mythen, 17–36. CÁCERES, JAVIER: Fútbol: Spaniens Leidenschaft, Köln 2006. CASANOVAS, JOSEP: Catalunya i els jocs olímpics, in: SANTACANA, L’esport, 45–58. CASAUS, NICOLAU/VILLAROYA, JOAN: Joan Gamper: La colleció del centenari 1899–1999, Barcelona 1998. 87

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Webseiten . . . . .

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„Be a part of Ibrox forever“ Clubgeschichten und Fanbiographien in den „commemorative bricks“ und „memorials“ der Fußballclubs Rangers und Celtic In Großbritannien hat sich aufgrund eines vergleichsweise liberalen Friedhofsund Bestattungsrechts eine sehr differenzierte Sepulkralkultur herausgebildet.1 Sie macht eine Bestattung verstorbener Vereinsmitglieder durch Beisetzung ihrer Asche in Urnen neben dem Spielplatz oder durch Verstreuung auf dem Stadionrasen möglich.2 Allerdings versuchen zahlreiche Fußballclubs, diese Möglichkeit einzuschränken, so beispielsweise der in Glasgow beheimatete Rangers FC. Nach Auskunft von Colin Stewart, Director of Operations (Rangers FC Development Fund, Rangers Lotteries Ltd, Rangers Enterprises Ltd), wurde eine in früheren Jahren für einen eingeschränkten Personenkreis grundsätzlich bestehende Erlaubnis zur Ascheverstreuung im Stadion fast vollständig rückgängig gemacht. „We did offer the scattering of ashes but our grounds people confirmed that the ashes were affecting the health of the grass so this was stopped. […] The scattering of ashes was limited to a select few such as prominent Rangers people i.e. ex players/Directors etc. In some cases well known fans were also permitted. The ashes were scattered in various places but mostly the goalmouth areas. We have recently permitted the scattering of the ashes of a prominent ex player and this occurred behind the goals so not on the pitch itself. I do not think this practice will be allowed now as we have this season re-laid our pitch at great expense.“3

Darüber hinaus gibt es noch weitere Angebote an die Fans für die Befriedigung ihres Wunsches nach Verewigung im Stadion „ihres“ Clubs. Im Folgenden wird ein relativ neues Medium der Erinnerung, des Totengedenkens und der Selbstdarstellung von Fangemeinschaften vorgestellt: Erinnerungssteine, die vor allem, aber nicht ausschließlich, von britischen Fußballclubs Gewinn bringend vermarktet werden. Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen – neben Statuen und einem „disaster memorial“ – insbesondere die „commemorative bricks“ und „memorial walls“ in den Stadien der Fußballclubs Rangers und Celtic in Glasgow.

1 2 3

Vgl. HERZOG, Wahre Leidenschaft, 173–179. Vgl. HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 196–203. STEWART, E-Mail, 6.10.2008.

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1. Die Geschäftsidee: „Stadium Commemorative Bricks“ Ein sehr instruktives Beispiel dafür, wie memoria und oeconomia, Vergemeinschaftung und Geschäftssinn sich verbünden können, liefern die „memorial bricks“ oder „commemorative bricks“ in britischen Fußballstadien. Vor allem bei Neubauten und Renovierungen von Stadien und Tribünen oder solchen Sportstätten zugeordneten Gebäuden werden derartige Gedenksteine vermarktet – wie die Angebote auf den Webseiten beispielsweise des Dundee United FC, Chesterfield FC, Ollerton Town FC, Shrewsbury Town FC oder des Adelaide City Women’s FC verraten. Ob und inwieweit die von US-amerikanischen Baseballclubs in deren Stadien und von Kriegsveteranenverbänden in „War Memorials“ angebrachten „commemorative bricks“ Vorbild waren, konnte bei den Recherchen für diese Studie nicht geklärt werden. Der in Glasgow im Stadtteil Ibrox angesiedelte Rangers FC gehörte zu den ersten Fußballvereinen, die dieses Angebot in die Palette ihrer Merchandisingprodukte aufgenommen haben. An den allgemein zugänglichen Außenwänden des Stadions Ibrox Park findet man ca. 30.000 solcher „memorial bricks“ aufbetoniert. Der große Stadtrivale Celtic FC, beheimatet im Stadtteil Parkhead, kopierte dieses Produkt. Colin Stewart wurde von mehreren Clubs nach der von Rangers Lotteries Ltd entwickelten Geschäftsidee gefragt: „Newcastle United and Celtic have certainly followed our lead with many others having asked me how we operate. Tottenham Hotspur recently asked me for details as did Hearts in Scotland.“4

Als Heart of Midlothian FC nach der Jahrtausendwende mit den Millionen eines Unternehmers aus Litauen einen Stadionneubau angedacht hatte, sollten zu dessen Finanzierung unter anderem auch „commemorative bricks“ vermarktet werden. Bei den „commemorative bricks“ handelt sich um Ziegelsteine von einer Größe, wie sie im Hausbau üblich ist. Sie werden an die Wandflächen des Stadions auf- und in die Höhe betoniert. Vierzig britische Pfund kostet ein solcher Stein beim Rangers FC. Das Angebot ist für jeden erschwinglich, beträgt der Preis pro Stein doch in etwa so viel wie das Ticket für einen guten Sitzplatz in einem Spitzenspiel oder ein Trikot mit den jeweiligen Clubemblemen. Für den Club sind die „commemorative bricks“ aufgrund der massenhaften Vertriebsmöglichkeit ein einträgliches Geschäft. Den Fans bieten sie eine Möglichkeit, sich mit dem geliebten Club und seinem Stadion zu identifizieren: „Commercial gain would be the main reason together with providing a service to our fans which would allow them to share a piece of their beloved stadium.“5 Offensichtlich gibt es nur eine kleine Zahl von Firmen, die in der Lage sind, solche Steine herzustellen:

4 5

STEWART, E-Mail, 6.10.2008. STEWART, E-Mail, 6.10.2008.

„Be a part of Ibrox forever“

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„The bricks are made by a company called Ibstock [Bricks Ltd] in Bristol, England. The machine used to engrave the bricks is a specialized piece of equipment and only a very few number of companies are able to produce these engraved bricks. Once an order is taken by our sales staff it takes about 4 weeks for the actual brick to arrive ready to go onto the wall.“6

Ein anderer Anbieter ist die Firma Briconomics, die ihre Firmenphilosophie („Bricology“) unter das Motto „Fundraising brick by brick“ und die Devise „Build a better bond with your supporters“7 stellt. Briconomics liefert Granitsteine in verschiedenen Farben für „walkways“, entwickelt „commemorative walls“ und produziert „commemorative bricks“ aus gebranntem Lehm. Zu den Kunden gehören The National Trust for Scotland, Schulen, karitative Einrichtungen und Sportclubs, darunter zahlreiche Fußballclubs wie beispielsweise Crystal Palace FC, Hull City, Blackburn Rovers FC, Leyton Orient, Norwich City FC, Preston North End, der SK Rapid Wien, Union Berlin, der Hamburger SV und etliche andere mehr.8 Rangers Lotteries Ltd vertrieb die Ibstock-Terrakottasteine von 1999 bis 2010. Ihr Verkauf unterlag erheblichen Schwankungen. Als sich in Ermangelung freier Stadionwände ein Ende des Verkaufs abzeichnete, wurden folgende Absätze erzielt: „On a typical month we will sell an average of 200 although at Christmas we will sell up to 2000 per week.“9 Als nach einem Jahrzehnt alle für die Steine vorgesehenen Wände am Copland Road Stand, Govan Stand und Broomloan Road Stand belegt waren, begann Rangers Lotteries Ltd eine neue Variante dieser „commemorative bricks“ zu planen, da der unter Denkmalschutz stehende Mainstand am Edmiston Drive (Abb. 1) aus konservatorischen Gründen nicht zur Verfügung steht. „The walls of Ibrox Stadium are now full and I am introducing a new style Brick which will go on the floor of the external concourses surrounding the stadium. There will be over 100,000 bricks for sale at £50 each and I am confident we will sell them all.“10

Im Jahr 2012 wurde dieses Produkt neuer „stadium bricks“ auf den Markt gebracht: „Proudly take your place in Rangers History ...“,11 werden die Fans zum Kauf animiert. Einen „Rangers paving brick“ kann man für 50 BTP erwerben. Die dabei erzielten Erlöse fließen in die Jugendarbeit des Rangers FC: „All Rangers Lotto profits fund our youth teams. Your valuable support will help us to

6 7 8 9 10 11

STEWART, E-Mail, 6.10.2008. Briconomics . Briconomics – Clients . STEWART, E-Mail, 6.10.2008. STEWART, E-Mail, 7.5.2010. Proudly take your place in Rangers History … .

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Abb. 1: Der unter Denkmalschutz stehende Teil des Stadions Ibrox Park des Rangers FC in Glasgow.

provide the funds for our future.“12 Der Celtic FC folgte diesem Beispiel und bietet im Jahr 2012 ebenfalls „Paving stones“ an.13 2. Botschaften auf Klinkersteinen und Granittafeln In die Schauseite der gebrannten Klinkersteine sind kurze Texte in Großbuchstaben eingearbeitet. Der Celtic FC lässt die Texte in Kleinbuchstaben setzen und mit schwarzer Farbe hervorheben. Maximal zwei Zeilen mit je 14 Buchstaben pro Stein können im Rangers-Layout untergebracht werden. Durch diese Kurztexte erinnern die an den Wänden hochbetonierten Steine an Epitaphien und Grabplatten in mittelalterlichen Kirchen, unterscheiden sich jedoch durch ihre Schmucklosigkeit und die sehr viel kleiner dimensionierte Fläche. In der Wortwahl sind die Fans frei, der Rangers FC behält sich jedoch ebenso wie Celtic das Recht vor, „to refuse any unsuitable inscriptions“.14 Was ein Club, der „commemorative bricks“ anbietet, jedoch nicht verhindern kann, ist Schabernack jenseits der Wortwahl. So wurde der Name des Sozial- und Sporthistorikers John Willi12 13 14

Rangers Lotteries Website . Creating a Piece of History: Celtic Way Paving Stones and Stadium Bricks . Celebrate our ‚first to 50 titles‘ word record by having your name inscribed on the ‚5 star panel‘ .

„Be a part of Ibrox forever“

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ams, obwohl es sich bei ihm um einen Fan des Liverpool FC handelt, von einem seiner „Freunde“ („a mischivous friend“) in eine „memorial wall“ des Leicester FC eingefügt.15 Die Texte auf den „memorial walls“ sind aufgrund der Begrenzung auf 28 Buchstaben pro „commemorative brick“ kurz und bündig und sehr stark standardisiert. Bestimmte Formulierungen und markante Botschaften werden dabei unzählige Male wiederholt. Die einfachste Variante: Fans oder Mitglieder lassen ihre Vor- und Familiennamen und den Wohnort auf der Stadionwand platzieren. Auch Angehörige oder Freunde geben die Steine für andere in Auftrag. Das entscheidende Motiv für den Kauf eines „commemorative brick“ besteht in der Verewigung des Namens der Fans („your name“). Die Rangers-Lotteries-Werbung appelliert mit eindeutigen Formulierungen: „Be a part of Ibrox forever“ (Abb. 2). Oder: „Some names will live on at Ibrox forever. Yours can too.“16 Es ist also offensichtlich nicht daran gedacht, dass die Steine irgendwann einmal beseitigt werden oder durch Verfall verschwinden könnten.

Abb. 2: Werbetafel für die „commemorative bricks“ des Rangers FC im Stadion Ibrox Park.

15

16

JOHN WILLIAMS, mündliche Auskunft in der Diskussion der Tagung „Die Memorial- und Sepulkralkultur des Fußballsports: Internationale Konferenz der Schwabenakademie Irsee in Kooperation mit dem Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster“, Schwabenakademie Irsee, 13.11.2010. Prospekt des Rangers FC mit dem Titel „Some names will live on at Ibrox forever. Yours can too“.

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Darüber hinaus können die Einträge der Namen mit Bekenntnissen der Fans zu ihrem Football Club verbunden werden. Vor- und Familiennamen (meist in der ersten Zeile) werden dann mit entsprechenden Formulierungen kombiniert (meist in der zweiten Zeile) – wie beispielsweise: „true blue“ (die Vereinsfarbe der Rangers ist Blau) oder „blue always“ oder einfach „blue“, „best of blues“, „a true blue“, „immer blau“ (!), „true blue man“, „the bluebells“, „forever blue“, „eternally blue“, „blue for life“, „the blue doo“, „in blue heaven“. Die zahllosen Nennungen der Clubfarbe Blau in diesen Loyalitätserklärungen zum Rangers FC enthalten ein implizites Bekenntnis zum Protestantismus. Die historischen Wurzeln des kirchlich-konfessionellen Gegensatzes zwischen Rangers und Celtic reichen zurück bis in die Anfänge beider Clubs. Dabei stehen Grün, die Farbe des Celtic FC, und das grüne vierblättrige Kleeblatt im Clubwappen, für den Katholizismus der irischen Einwanderer, die in Glasgow lange Jahrzehnte eine benachteiligte Minderheit gebildet hatten.17 Andere Bekenntnisse, ohne Bezug zur Vereinsfarbe, lauten: „‚on the level‘“, „RFC“, „forever Rangers“, „nr. 1 fan“, „loyal“, „lifelong fan“, „always Rangers“, „fan forever“, „loyal and true“, „loyal supporter“ oder „always a Ger“ („Ger“ als populäre Abkürzung für „Ranger“). Bei den Erinnerungssteinen des Celtic FC finden sich entsprechende Epitheta: „Forever Green“, „A Celt Forever“, „A Lifelong Fan“, „Great Memories“, „Celtic Always“, „Forever Celtic“, „True Celt“, „Keep the Faith“ oder „Super Celt“. Im Stadion Celtic Park stößt man überdies auf zahllose Steine mit einer kurzen Passage aus einem Vereinslied: „Hail, Hail“. Beziehen sich diese Formeln unmittelbar auf den Fußballclub, so findet man darüber hinaus Bekenntnisse, Komplimente oder Wünsche, die sich an bestimmte, namentlich genannte Personen richten, zumeist an Familienangehörige. Dabei wird der Name der betreffenden Person in der ersten Zeile kombiniert mit Formulierungen in der zweiten Zeile – wie beispielsweise „simply the best“, „best papa ever“, „number (nr.) 1 (one) dad (mum)“, „best o (of) the best“, „Davie and Maggie phenomenal!“, „a special dad“, „Best Dad Ever“. Häufig stammen die Steine dieser Gruppe von Söhnen oder Töchtern, die den Eltern, Vater und/oder Mutter, danken und ihnen ein persönliches Denkmal setzen. Auch Liebeserklärungen findet man gelegentlich – beispielsweise „Philip M. Rose I love you“. Dass diese Steine für Verliebte attraktiv sind, beweist beispielsweise vor dem Valentinstag 2011 eine Verkaufsoffensive des Motherwell FC für Klinkersteine, die für 30 BTP angeboten und im Fir Park Stadium am Davie Cooper Stand angebracht wurden.18 Eine weitere prominente Gruppe von „commemorative bricks“ sind schlichte Geburtsanzeigen. Meistens steht auf diesen Steinen in der ersten Zeile der Vorund Familienname, in der zweiten das Geburtsdatum.

17 18

FOER, How Soccer Explains the World, 35–64; MURRAY, The Old Firm. Buy a Brick for Valentine’s Day .

„Be a part of Ibrox forever“

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Überdies findet man Gratulationen zu runden Geburts- oder Hochzeitstagen: „happy 40th dad“, „happy 18th“, „Happy Birthday Teri Beveridge“, oder Glückwünsche zu Festen des Kirchenjahrs, häufig aus Anlass des Weihnachtsfestes19 – beispielsweise „merry xmas ‘03“, oder allgemeine Glückwünsche wie „best wishes“ sowie Danksagungen wie „many thanks“. Eine weitere wichtige Gruppe bilden Todesanzeigen und Trauerbekundungen: Der Vor- und Familienname wird in diesen Fällen kombiniert mit dem Geburtsund/oder Todesdatum (Abb. 3). In den meisten Fällen dieser Art werden allerdings nur die Jahreszahlen aufgeführt, da die vollständigen Daten mit Geburtstag und -monat meist nicht in eine Zeile passen. Über die nackten Lebensdaten hinaus findet man Formulierungen, wie sie in traditionellen Todesanzeigen üblich sind: „RIP David love the Camerons“, „in memory of ...“. – Dabei steht „RIP“

Abb. 3: „Commemorative wall“ im Stadion Ibrox Park mit fünf, teils angeschnittenen Todesanzeigen von Rangers-Fans.

für „requiescat in pacem“ bzw. „rest in peace“. – Häufig verwendete Formulierungen auf den „memorial walls“ des Celtic Park lauten: „Missed Always“, „Immortal Now!“, „YNWA“ (you’ll never walk alone), „Rest in Peace“, „In our Hearts“, „Tommy Busby Not Forgotten“, „Joseph Little DOB 24543 died“ (DOB = date of birth), „Kelvin Hauch 8506 remembered“. Wenn ein Stein allein 19

Vgl. dazu auch die Offerte des Motherwell FC: A Cooper Brick for Christmas? .

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nicht ausreicht, um die vollen Lebensdaten zu nennen, wird der Text gelegentlich auf zwei Steine verteilt: „In memory of Kenny Kean“ auf dem ersten Stein, und auf dem zweiten daneben: „17.7.52 – 20.12.06“. Wie hoch der Anteil der für Verstorbene hergestellten „memorial bricks“ ist, ließe sich an den riesigen Stadionwänden des Ibrox Park und des Celtic Park nur durch eine zeitaufwändige Zählaktion bestimmen. Bei kleineren Clubs ist es leichter, dieses Verhältnis zu ermitteln: Im August 2010 hatte der Shrewsbury Town FC über seine Fundraisingorganisation „Super Blues Club“ etwa 1200 Steine verkauft, darunter über 100 „memorial bricks“ für verstorbene Fans und Clubmitglieder, die als „past fans“ von den „current fans“ unterschieden und deren Steine auf einem besonderen Abschnitt des „Walkway of Fame“ platziert werden.20 Seltener sind „commemorative bricks“, auf denen eine Person mit Vor- und Familiennamen mit einem bestimmten Spieler oder einem im kollektiven Gedächtnis des Fußballclubs tief verwurzelten Sportereignis verbunden wird. In beiden Fällen geht es um sportspezifische Erinnerungen: „Ibrox“ plus das Datum eines außergewöhnlichen Spieltags oder eines anderen besonderen Geschehens in der Geschichte des Clubs, „Barcelona 1972“ (in diesem Jahr gewann Rangers den Europapokal der Pokalsieger durch ein 3:2 gegen Dynamo Moskau) oder der Name des Spielers „Albertz“ (Jörg Albertz, genannt „The Hammer“, der vom Hamburger SV nach Glasgow kam). Bei Celtic findet man ähnliche, auf Sportereignisse bezogene Daten – es müssen durchaus keine Siege sein: „Seville 2003“ (das Drama der 2:3-Niederlage gegen den FC Porto in der Verlängerung), „Lisbon Lion“, „Andy Fagen Our Lisbon Lion“ (1967 schlug Celtic Inter Mailand 2:1 im Éstadio National von Lissabon im Endspiel um den Europacup – vor allem die Spieler dieser Mannschaft werden „Lisbon Lions“ genannt, aber auch die damals anwesenden schottischen Fans). Der Dundee United FC bietet seinen Anhängern den „Scottish Cup Winners ‚I WAS THERE‘ marble brick for just £ 100“ an21 und ruft damit dauerhaft den Gewinn des Scottish FA Cup in Saison 1993/94 (1:0-Sieg im Finale gegen Rangers FC) sowie in Spielzeit 2009/10 (3:0-Sieg im Finale gegen Ross County) in Erinnerung. Die Steine werden am Haupteingang des Tannadice Park auf einer speziellen Pokalendspielwandfläche angebracht. Diese „special Cup Final area“ ergänzt die im Jahr 2009 eingerichtete „Centenary Wall“. Diese feiert mit „commemorative bricks“ aus Terrakotta und Granit das erste Jahrhundert der Geschichte des Dundee United FC.22 20

21 22

Buy a Brick, Angebot auf der Website des Super Blues Club – Major Fundraisers for Shrewsbury Town Football Club ; vgl. auch das von Super Blues herausgegebene Faltblatt „Walkway of Fame“ . Buy a Brick: Do you want to remember these moment forever? Now you can!, Website des Dundee United FC . Buy a Brick – Make sure of your place … at Tannadice for Generations: Website des Dundee United FC .

„Be a part of Ibrox forever“

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Die aus gebranntem Ton hergestellten und an die Fans veräußerten „commemorative bricks“ des Rangers FC und der anderen hier genannten Fußballclubs erinnern in ihrer Monotonie an Soldatengräberflächen – oder an die „memorial bricks“ von „war memorials“. Sowohl im Ibrox Park als auch im Celtic Park sind die Erinnerungssteine an den Wandflächen zu Feldern gruppiert. In allen dieser Felder findet man jeweils eine größere, zumeist quadratische Tafel aus rotem oder gemischtfarbigem Granit. Diese Tafeln werden nicht an die Fans veräußert, sondern sind für Informationen des Vereins selbst reserviert, werden also auch von diesem betextet. Formal betrachtet durchbrechen diese Granittafeln die monotonen Felder oder „panels“ der den Fans zur Verfügung stehenden „commemorative bricks“ aus Klinker durch Größe, Material, Beschriftung und das häufig eingelassene Clubwappen (Abb. 4). Darüber hinaus erfüllen sie die Funktion, der jeweiligen Wand einen Namen zu geben, so dass sie identifiziert, eindeutig lokalisiert und von den anderen „panels“ unterschieden werden können. Inhaltlich gesehen verewigen die Granittafeln im Ibrox Park in Majuskeln ausschließlich besondere sportliche Erfolge sowie ausgezeichnete Spieler, herausragende Funktionäre, Trainer oder Manager des Football Club: „9 in a row panel / league champions / 1989–1992“, „Bill Struth manager 1920–1954“, „Jim Baxter Panel 1960–65 1969–70“, „Paul Gascoigne Panel 1995–1998“, „Barcelona Heroes Panel“ (Abb. 5). Dasselbe Bild bieten die „memorial walls“ im Celtic Park, mit entsprechenden Namen, Kurztexten und Vereinswappen, die ebenfalls in Majuskeln in die Steine eingelassen sind, beispielsweise Spieler und Trainer „Jock Stein“ oder Clubgründer „Brother Walfrid“ (Abb. 6), mit bürgerlichem Namen Andrew Kerins (1840–1915). Auch auf den gewöhnlichen „commemorative bricks“ aus gebranntem Ton bringen die Fans, wenigstens gelegentlich, die Daten von Meisterschaften an, ohne diese Angaben mit ihrem eigenen Namen zu verbinden, weil der Platz dafür nicht ausreichen würde. Wenn es sich um Todesanzeigen handelt, bedienen sich die Hinterbliebenen darüber hinaus in sehr rudimentärer Form nonverbaler traditioneller Formen der Sepulkralkultur: Gelegentlich versehen die Angehörigen solche „memorial bricks“ mit Trockenblumen, die sie mit transparentem Klebeband an die Steine fixieren (Abb. 7). Manchmal werden Blumensträuße auf dem Boden vor einer „memorial wall“ in unmittelbarer Nähe zu Erinnerungssteinen abgelegt, die für Verstorbene hergestellt wurden (Abb. 8). Derartige Handlungen sind jedoch ebenso untersagt wie Veränderungen an den Erinnerungssteinen selbst („Please note that once placed on the panel your brick should not be defaced by colouring with any materials such as pens, pencils, paint etc.“23), doch lässt der Rangers FC bei den Blumen eine gewisse Großzügigkeit walten, sie werden jedenfalls nicht sogleich entsorgt.

23

Vgl. die Broschüre „Celebrate our ‚first to 50 titles‘ word record by having your name inscribed on the ‚5 star panel‘“ .

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Abb. 4: „Bill Struth Panel“ im Stadion Ibrox Park.

„Be a part of Ibrox forever“

Abb. 5: „Barcelona Heroes Panel“ im Stadion Ibrox Park.

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Abb. 6: „Brother Walfrid Panel“ im Stadion Celtic Park des Celtic FC in Glasgow.

Abb. 7: „Commemorative brick“ mit Trauerbotschaft im Stadion Ibrox Park, an den eine getrocknete Rose mit transparentem Klebestreifen befestigt ist.

„Be a part of Ibrox forever“

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Abb. 8: Blumensträuße, abgelegt in der Nähe von Todesanzeigen auf einer „commemorative wall“ im Stadion Ibrox Park.

3. „Memorial Walls“ als privates und kollektives Gedächtnis Fast alle „memorial bricks“ dienen dem Zweck, die Namen von lebenden und toten Fans dem Stadion gleichsam einzuschreiben, sie dort zu verewigen. In einigen Fällen wird diese Intention explizit thematisiert. Im Ibrox Park findet man beispielsweise die Formulierung „Charlie Walker on the wall“, und im Celtic Park die Worte „Andy Short, In Wae The Bricks“. In vielen Fällen verbinden die Fans die Nennung der Namen mit besonderen Botschaften, die auf den Fußballclub und dessen Anhänger bezogen sind: Es handelt sich um Loyalitätsbekenntnisse zum Club, um Memorialinschriften über Fußballspieler, Trainer und Sportereignisse – aber auch um Mitteilungen an Verwandte und Freunde, um Geburtsund Todesanzeigen, Glückwünsche und Gratulationen. Hier feiern die Fans durchaus auch sich selbst – „not connected to the pitch“!24 Jemandem die Liebe erklären oder sich selbst namentlich verewigen, ist ein Verlangen, das viele Menschen auch durch Inschriften in der Rinde von Bäumen, auf Berggipfeln, im Sandstein von Burgruinen, als Graffity auf Brückenpfeilern oder in öffentlichen Toiletten und an anderen öffentlichen Orten stillen. Die Fußballclubs Rangers und Celtic haben mit den „commemorative bricks“ aus der 24

Vgl. dazu Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 57.

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Befriedigung dieses Bedürfnisses ein einträgliches Geschäft gemacht. Die von den Clubs vorgesehene Standardisierung des Layouts verhindert „wilde Bekenntnisse“, alles hat hier seine Ordnung, so dass die „commemorative walls“ jeweils ein sehr homogenes, ja monotones Erscheinungsbild bieten. Die Inhalte dieser personenbezogenen „commemorative bricks“ entsprechen den Informationen und Botschaften, die man in den Mitgliederzeitschriften der Sportvereine findet: Regelmäßig unterrichten solche Vereinspublikationen in Wort und Bild unter anderem über Verlobungen, Eheschließungen, Geburten und Todesfälle von Mitgliedern25 – oder von deren Begegnungen mit den Stars des jeweiligen Vereins. Es sind Nachrichten aus Fußballclubs, die sich häufig, auch expressis verbis, als „Familien“, als „Wahlfamilien“ verstehen.26 Die „commemorative bricks“ der Fußballclubs Rangers und Celtic sind nur eines von vielen Medien (Webseiten, Fanzines, Zeitschriften, Jahrbücher, Museen, Fangesänge, Kutten, Tätowierungen27 etc.), mit denen sich Vereinsgemeinschaften einerseits ihrer Einheit nach innen vergewissern und sich andererseits der Öffentlichkeit nach außen hin als geschlossene Gemeinschaft präsentieren. Schließlich findet man diese Erinnerungssteine nicht im Inneren, sondern an der für jeden, auch ohne Eintrittskarte zugänglichen Außenseite des Stadions. Sie sind Zeugnisse einer Bekenntnisgemeinschaft, die auf diese Weise ihr Selbstverständnis artikuliert. Die Stifter von „commemorative bricks“ bekunden ihren Stolz, zur Wahlfamilie eines Fußballclubs zu gehören, der in zahlreichen Fällen bereits die Väter und Großväter als aktive oder passive Mitglieder angehört hatten. Deshalb versammeln sich Väter und Mütter mit ihren Kindern vor Beginn eines Spiels bei dem „panel“, dem sie sich selbst eingeschrieben und mit der Geschichte ihres Clubs dauerhaft verbunden haben (Abb. 9). Die „memorial bricks“ manifestieren die bunte Schaubühne einer Gemeinschaft, die ihre Identität stärkt und ihren Zusammenhalt demonstrativ zur Schau stellt. Durch ihre große Zahl und die Dauerhaftigkeit dieser gleichsam in Stein gemeißelten Präsentation entsteht ein geradezu monumentaler Eindruck (Abb. 10). Die Totenmemoria bildet dabei nur ein besonderes sepulkralkulturelles Element der Memoria unter zahlreichen anderen Varianten der Erinnerung. Denn nicht nur dem Gedenken an Verstorbene gelten die Klinkerstein gewordenen Erinnerungspanels, sondern auch den sportlichen Erfolgen, Dramen und Tragödien, darüber hinaus den Leistungsträgern und Stars, den Namen der Fans sowie den Anfängen, Ursprüngen und Gründern des Vereins. Diese Bandbreite der möglichen Botschaften – von der Wiege bis zur Bahre – hat der Motherwell FC in seiner Werbekommunikation explizit thematisiert: „For a nominal sum, you can purchase a brick fascia with your own personal message; your name, motto or date of birth; to commemorate an anniversary or celebrate the life of a

25 26 27

Vgl. exemplarisch HERZOG, Vereins-Zeitung, 420–423. Vgl. exemplarisch HERZOG, Familie, 167–230. Dazu am Beispiel des Hamburger SV MEYER/MARKHARDT, HSV Tattoos: Fürs Leben gezeichnet.

„Be a part of Ibrox forever“

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Abb. 9: Fans des Celtic FC studieren die Inschriften auf den „commemorative bricks“ im Stadion Celtic Park.

loved one.“28 Auch der Celtic FC thematisiert die Funktion der „commemorative bricks“ für Todesanzeigen in einem weiteren Kontext von möglichen Botschaften: „Are you looking for an unusual gift? Are you celebrating a special occasion? Would you like to remember a loved one?“29 Wenn man alles zusammennimmt, bieten die „commemorative walls“ stenogrammatisch-summarische Kompendien der ganzen Geschichte eines Fußballclubs. Um „Great Memories“, wie ein Erinnerungsstein im Celtic Park verkündet, geht es auf vielen dieser „commemorative bricks“. Erinnerung ist also nicht der einzige Zweck dieser Steine, wie ihre Nutzung für andere soziale Praktiken beweist: Kommunikation, Bekenntnis, Loyalitätsbekundung, Danksagung, Gratulation, Liebeserklärung etc. Die privaten Biographien tausender Fans (Ziegelsteine) verweben sich auf den „panels“ der „memorial walls“ eindrucksvoll mit der offiziellen Vereinsgeschichte (Granittafeln) und bilden gemeinsam mit diesen ein riesiges Mosaik der Clubfamilie und ihrer Geschichte.

28 29

A Cooper Brick for Christmas? . Celtic – Buy a Brick .

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Abb. 10: „Commemorative wall“ im Stadion Ibrox Park.

„Be a part of Ibrox forever“

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4. Das „Ibrox Disaster Memorial“ Im Umfeld der Stadien Ibrox Park und Celtic Park findet man über die „commemorative walls“ hinaus eigene Gedenkstätten für herausragende Persönlichkeiten der Clubgeschichte einerseits und für besondere Gruppen von Toten andererseits. Geht es den „commemorative bricks“ fast immer um Individuen, allenfalls um Ehepaare („mum & dad“), so erinnert ein eigenes Ehrenmal („Ibrox Disaster Memorial“) vor dem denkmalgeschützten Teil des Rangers-Stadion an die Opfer von Stadionkatastrophen (Abb. 11). Dieses Memorial besteht aus einem gemauerten rechteckigen Sockel, auf dem die überlebensgroße, in Metall gegossene Statue von John Greig thront. Greig, 44-facher schottischer Nationalspieler, der zwischen 1961 und 1979 in 755 Spielen die Rangers-Farben vertrat, ist zwar kein Opfer einer Ibrox-Katastrophe, aber als Kapitän der Blauen im Derby des Old Firm-Matches am 2. Januar 1971 gegen die Grünen des Lokalrivalen Celtic war er Zeitzeuge des größten Stadionunglücks der schottischen Fußballgeschichte. Mit Greig errang der Fußballclub sechs Cup-Siege, fünf Meistertitel und einen Europapokal der Pokalsieger. Obwohl er als Trainer weniger erfolgreich war, wurde Greig seiner Verdienste wegen 1999 mit dem Titel „The Greatest Ever Ranger“ ausgezeichnet, und die University of Glasgow verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. Zu Greigs Füßen, an der Schauseite des Sockels, sind drei blau kolorierte Metalltafeln mit den Namen der bei Stadionkatastrophen im Ibrox Park umgekommenen Fans angebracht (Abb. 12). Eine querformatige Tafel zeigt die Vergrößerung eines Zeitungsfotos mit Fans im Ibrox-Park. Die erste blaue Tafel trägt das Datum 5. April 1902. Damals, während des Länderspiels Schottland – England, starben 26 Menschen im Ibrox Park, 587 wurden verletzt.30 Die zweite Tafel ruft den 16. September 1961 in Erinnerung. Damals starben zwei Zuschauer. Die dritte Tafel verweist auf den 2. Januar 1971, einen Tag, an dem in einem Gedränge am Ende des Ligaspiels Rangers – Celtic 66 Zuschauer starben und 145 verletzt wurden. Beim Eingang zum Celtic Park stößt man ebenfalls auf ein Denkmal, das allerdings keiner Stadionkatastrophe, sondern dem Gründer des Celtic FC gewidmet ist, dem Maristenbruder Walfrid (Abb. 13). Solche Denkmäler dokumentieren ebenso wie die „commemorative bricks“ tief empfundenen Stolz auf die eigene Geschichte. In dieses Geschichtsbewusstsein ist auch die Erinnerung an Katastrophen eingeflochten, die eine ganze Generation von Fans traumatisiert haben können.31

30 31

Vgl. SHIELS, The Fatalities at the Ibrox Disaster of 1902. Vgl. dazu auch die Beiträge EYRE und WILLIAMS, in diesem Band S. 183–196 und S. 203, 209

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Abb. 11: „Ibrox Disaster Memorial“ außerhalb des Stadions des Rangers FC.

„Be a part of Ibrox forever“

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Abb. 12: Tafeln mit den Namen der Opfer von Stadionkatastrophen am „Ibrox Disaster Memorial“ des Rangers FC.

5. Namen erinnern – forever? In diesem Beitrag ging es nicht um Bestattungen oder Beisetzungen in der Fußballfankultur,32 sondern um ein Medium, das auf Namen bezogen ist und deren Verewigung vermarktet. Mit der Dokumentation ihrer Namen auf „commemorative bricks“ schaffen sich die Fans britischer Vereine jeweils selbst ein kleines privates „memorial“ in oder an den Stadien der großen Vereine, deren Architektur selbst zu denkmalgeschützen Objekten33 erklärt werden kann wie beispielsweise ein Teil des Stadions Ibrox Park. Ohne Namen, die eine Person individualisieren, gibt es keine dauerhafte Memoria. In der Erinnerung leben verstorbene Personen weiter, indem sich die Nachgeborenen ihrer Namen erinnern: „Some names will live on at Ibrox forever.“34 Colin Stewart zufolge nimmt man es beim Rangers FC mit diesem „forever“ sehr ernst. Im Fall eines Stadionneubaus sollen die alten „commemorative bricks“ jedenfalls in die Baupläne einbezogen werden: „Yes we guarantee that the bricks will be on the walls forever. If we re-built 32 33 34

Vgl. dazu HERZOG, Trauer- und Bestattungsrituale, 196–203; DERS., Wahre Leidenschaft, 173–179. Vgl. Beitrag MIOZZARI, in diesem Band S. 320–322. Prospekt des Rangers FC mit dem Titel „Some names will live on at Ibrox forever. Yours can too“.

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Abb. 13: „Brother Walfrid memorial“ vor dem Stadion Celtic Park.

the stadium then the bricks would be replaced once more.“35 – Als Stewart diese Auskunft im Jahr 2008 erteilte, war in der drei Jahre später sich abzeichnenden Dramatik der drohende Konkurs des Fußballclubs noch nicht absehbar. – Anders als Rangers Lotteries Ltd sagt der Super Blues Club, Fundraiser des Shrewsbury Town FC, den Fans lediglich eine Platzierungsdauer der Steine von zehn Jahren

35

STEWART, E-Mail, 6.10.2008.

„Be a part of Ibrox forever“

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zu.36 Auch der 1. FC Union Berlin, der von der Firma Briconomics gefertigte „Stadiongründer-Steine“ aus Klinker vertreibt und in einem „Tunnel of Fame“ anbringt, garantiert nur ein auf zehn Jahre befristetes Recht zur Präsentation der Steine.37 Namen spielen im Sport und in der Sportgeschichte auf den verschiedensten Ebenen eine wichtige Rolle: begonnen bei den Mannschaftsaufstellungen und Torschützen des jeweiligen Spieltags, über die Listen von Geburtstagskindern und Jubilaren in den Vereinszeitschriften oder die chronologische Folge der Vereinsvorsitzenden in den Akten der Registergerichte bis zu Denkmälern, die beispielsweise die Gefallenen der Weltkriege38 oder die Opfer von Stadionkatastrophen dokumentieren. Verfasser von Vereinschroniken oder Verbandsgeschichten wissen, wie wichtig die Recherche von Namen und biographischen Daten ist, die den Individuen in der Erinnerung der Nachgeborenen erst zu eindeutiger Identität und dauerhafter Existenz verhelfen. Die kulturgeschichtlich reich dokumentierten Praktiken der „memoria“ (und der „memoria damnata“) sind wichtige Felder der Sozialgeschichte – und selbstverständlich auch der Geschichte des Sports. Sie sind Thema der Mitgliederbetreuung in Fußballclubs und Gegenstand ihres Marketings, Merchandisings und ihrer „corporate identity“. Und wenn die Politik sich des Sports zu bemächtigen versucht, können Namen zum Anlass für ideologisch motivierte Kämpfe und „Reinigungsmaßnahmen“ werden, die darauf abzielen, einzelne Persönlichkeiten (beispielsweise als nicht linientreu und unzuverlässig abgestempelte Sportler im Staatssozialismus der DDR oder UdSSR) oder ganze Personengruppen (jüdische Sportler in der Zeit des Nationalsozialismus) der „damnatio memoriae“ zu unterziehen. Dass die Geschichte der Wettbewerbe und Spieler, der Vereine und Verbände selektiv rezipiert und dementsprechend aufbereitet wird, liegt in der Natur der Sache.39 Bestimmte Ereignisse können sich narrativ verselbständigen und ein Eigenleben entfalten. Unerfreuliche Vorkommnisse werden entweder schlicht vergessen oder absichtlich verschwiegen oder aber mit Girlanden versehen und beschönigt. Die gescheiterten Qualifikationsspiele der Fußballclubs Rangers und Celtic für Champions League und UEFA-Cup oder deren Teilnahmen an europäischen Wettbewerben, die kläglich verliefen und die Fans frustrierten, werden nie zum Thema eines „memorial brick“. Die Schattenseiten der Vereins- und Verbandsgeschichten geben häufig Anlass für Lücken und Retuschen in den Chroniken. Es müssen schon dramatisch verlaufene Endspielniederlagen oder große Stadionunglücksfälle sein, damit negativ bewertete Geschehen dauerhaft in das 36 37 38 39

Vgl. das vom Super Blues Club herausgegebene Faltblatt „Walkway of Fame“: Points to note 4: . Vgl. Website 1. FC Union Berlin, Gründerstein . Vgl. Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 34–44; World War II Illinois Veteran Memorial mit verschiedenen Angeboten für „commemorative bricks“ . Vgl. dazu Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 44f.

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Markwart Herzog

Kollektivgedächtnis eines Fußballclubs eingehen können. Aber darin unterscheidet sich das soziale Gedächtnis des Vereinsfußballs und die individuelle Erinnerung der Fans nicht wesentlich von Gedächtnis und Erinnerung in anderen kulturellen Sektoren. Dank

Mein Dank für ebenso geduldige wie freundliche und sachkundige Auskünfte gilt Mr. Colin Stewart, Director of Operations, Rangers FC Development Fund, Rangers Lotteries Ltd, Rangers Enterprises Ltd, und für die Fotografien meinem Sohn Anselm Herzog. Quellen und Literatur Literatur FOER, FRANKLIN: How Soccer Explains the World: An Unlikely Theory of Globalization (2004), New York etc. 2010. HERZOG, MARKWART: „Vereins-Zeitung des Fußballvereins Kaiserslautern e.V.“ Eine Quelle zur Geschichte des 1. FC Kaiserslautern und der Barbarossastadt in der Zeit der Weimarer Republik (1927–1931), in: Kaiserslauterer Jahrbuch für Pfälzische Geschichte und Volkskunde 1 (2001), 391–462. –: Familie – Männerbund – Söldnertrupp: Zur Selbststilisierung von Sportvereinen am Beispiel der ‚FCK-Familie‘, in: WOLFGANG E. J. WEBER/MARKWART HERZOG (Hrsg.), „Ein Herz und eine Seele“? Familie heute, Stuttgart 2003, 167–230. –: Trauer- und Bestattungsrituale der Fußballvereinskultur: Totenmemoria – Ahnenbiographien – Stadionbegräbnis – Performance, in: NORBERT FISCHER/MARKWART HERZOG (Hrsg.), Nekropolis: Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden, Stuttgart 2005, 181–210. –: „Wahre Leidenschaft kennt keinen Abpfiff“: Postmortale Inszenierung, Memorialisierung und Verewigung in Fangemeinschaften des Vereinsfußballs, in: DOMINIK GROSS/BRIGITTE TAG/CHRISTOPH SCHWEIKARDT (Hrsg.), Who wants to live forever? Postmoderne Formen des Weiterwirkens nach dem Tod, Frankfurt a.M./New York 2011, 163–188. MEYER, MALTE/MARKHARDT, PHILIPP: HSV Tattoos: Fürs Leben gezeichnet, Hannover o.J. MURRAY, WILLIAM J.: The Old Firm: Sectarianism, Sport and Society in Scotland, Edinburgh 1985. SHIELS, ROBERT S.: The Fatalities at the Ibrox Disaster of 1902, in: The Sports Historian 18/2 (November 1998), 148–155 . STEWART, COLIN: E-Mails vom 6.10.2008 und 7.5.2010.

Webseiten/Prospekte 1. FC Union Berlin –: Gründerstein (letzter Zugriff 8.5.2012). Briconomics – Fundraising brick by brick –: Briconomics – Bricology (letzter Zugriff 8.6. 2012).

„Be a part of Ibrox forever“

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–: Briconomics – Clients (letzter Zugriff 16.6. 2012). Celtic Football Club –: Celtic – Buy a Brick (letzter Zugriff 8.5.2012). –: Creating a Piece of History: Celtic Way Paving Stones and Stadium Bricks (letzter Zugriff 9.7.2012). Dundee United Football Club –: Buy a Brick: Do you want to remember these moment forever? Now you can! (letzter Zugriff 8.11.2010). –: Buy a Brick – Make sure of your place … at Tannadice for Generations (letzter Zugriff 6.8.2010). Motherwell Football Club –: Buy a Brick for Valentine’s Day (letzter Zugriff 8.5.2012). –: A Cooper Brick for Christmas? (letzter Zugriff 8.5.2012). Rangers Football Club –: Proudly take your place in Rangers History … (letzter Zugriff 8.5.2012). –: Celebrate our ‚first to 50 titles‘ word record by having your name inscribed on the ‚5 star panel‘ (letzter Zugriff 8.5.2012). –: Some names will live on at Ibrox forever. Yours can too (Prospekt) (letzter Zugriff 8.5.2012). –: Rangers Lotteries (letzter Zugriff 8.5.2012). Super Blues Club – Major Fundraisers for Shrewsbury Town Football Club –: Buy a Brick, Angebot auf der Website des Super Blues Club – Major Fundraisers for Shrewsbury Town Football Club (letzter Zugriff 6.8.2010). –: Walkway of Fame (Prospekt) (letzter Zugriff 6.8.2010). World War II Illinois Veteran Memorial (letzter Zugriff 8.11.2010).

Christian Koller

Kicker – Manager – Friedensstifter Selbstdarstellung und Erinnerungspolitik der FIFA in ihren Jubiläumsschriften Jubiläumsschriften bilden einen wichtigen Teil der Memorialkultur von Organisationen aller Art. In der Regel rekapitulieren sie die Vergangenheit und bilden in die Zukunft blickende Standortbestimmungen. Es gibt kaum eine politische Bewegung, kaum ein Wirtschaftsunternehmen, kaum eine kulturelle oder sportliche Institution, die nicht nach 25 oder spätestens 50 Jahren ihrer Existenz das Bedürfnis verspüren würde, eine entsprechende Publikation vorzulegen. Selbstredend variieren die Jubiläumsschriften stark sowohl bezüglich ihrer Struktur und Ausstattung als auch des angesprochenen Leserkreises. Der vorliegende Beitrag möchte die FIFA-Jubiläumsschriften von 1929, 1984, 1994 und 2004 als Elemente des kulturellen Gedächtnisses des Weltfußballs und seiner obersten Instanz kulturhistorisch untersuchen. Dabei sollen drei Aspekte im Zentrum stehen. 1. Struktur: Wie hat sich das Genre „Jubiläumsschrift“ im betrachteten Zeitraum generell entwickelt und wie fügen sich die FIFA-Festschriften in diese Entwicklung ein? 2. Narrative: Weisen die Publikationen ein narratives „emplotment“ auf und wie sieht dieses gegebenenfalls aus? Wie stark werden die Entwicklungen des Fußballs und der FIFA parallelisiert? Auf welche Faktoren werden der Aufstieg des Fußballs und das Wachstum der FIFA zurückgeführt? Wird dabei auch Selbstkritik geübt? 3. Helden: Welche Rolle wird in den analysierten Narrativen einzelnen Persönlichkeiten (Spielern, Trainern, Funktionären) zugemessen? Und auf welche Weise werden sie in den Jubiläumsschriften gewürdigt? Gibt es etwa einen Heldenkult? 1. Die Entwicklung des Genres „Jubiläumsschrift“ und die Festschriften der FIFA Eine generelle Studie zur Entwicklung des Genres „Jubiläumsschrift“ existiert meines Wissens nicht. Eine subjektive Auswahl entsprechender Publikationen von Sportvereinen und -verbänden, politischen Parteien, Wirtschaftsunternehmen und -verbänden sowie gewerkschaftlichen Organisationen legt indessen eine grobe Einteilung in drei, sich zeitlich freilich überlappende Phasen nahe, die in

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lockerer Anlehnung an Friedrich Nietzsche1 als „monumentalisch“, „antiquarisch“ und „kritisch“ bezeichnet werden können. Jubiläumsschriften der monumentalischen Phase, häufig als „Livre d’Or“ oder ähnlich betitelt, waren bis in die frühe Nachkriegszeit üblich. Sie stammten in der Regel aus der Feder eines oder mehrerer Funktionäre der jubilierenden Organisation und legten ein besonderes Augenmerk auf die als heroisch dargestellte Pionierphase, in der von herausragenden Persönlichkeiten trotz widriger Umstände die Basis für den nachfolgenden Aufstieg der Organisation gelegt wurde. Jubiläumsschriften der antiquarischen Phase, die grob das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts umfasst, blickten dagegen auf eine bereits längere Existenz der zu ehrenden Organisation zurück. Die Gründungsphase erschien ihnen weniger als heroisch, sondern, aufgrund der großen Veränderungen, die sich inzwischen vollzogen hatten, eher als kurios und weit entfernt. Oft wurden der Leserschaft kurze Anekdoten aus der Geschichte der Organisation dargeboten. Die Autoren waren häufig im Presse- oder Marketingbereich der entsprechenden Organisation tätige Mitarbeiter, zuweilen auch externe Journalisten. Die Ausstattung dieser Publikationen fiel zumeist schlichter aus als in der monumentalischen Phase, zuweilen beinhalteten sie Inserateseiten. Die kritische Phase setzte gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein und stand im Zeichen einer Akademisierung des Jubiläumsschriftenwesens. Die Publikationen dieser Phase beanspruchen den Status kritisch-historischer und kontextualisierender Darstellungen der Entwicklung der jubilierenden Organisation. Sie sind in der Regel von professionellen Historikern verfasst, ein Umstand, der auch die massive Zunahme akademisch gebildeter historischer Freelancer reflektiert. Für die oft auf gründlichem Studium basierenden Texte wurden in vielen Fällen zum ersten Mal die Organisationsarchive zugänglich gemacht. Sie sind in der Regel relativ anspruchsvoll und werden häufig mit einer großzügigen Bildausstattung kombiniert. Von den vier Jubiläumsschriften der FIFA fällt die erste, 1929 zum 25jährigen Gründungsjubiläum publizierte, eindeutig in die monumentalische Phase.2 Der Weltfußballverband zählte zu diesem Zeitpunkt 44 Mitglieder und war stark auf Europa und Amerika fokussiert, wobei aber mit den britischen Verbänden und der Sowjetunion auch in diesen Regionen prominente Nichtmitglieder zu verzeichnen waren. Die Verbandsstrukturen waren zu diesem Zeitpunkt noch wenig professionell und auch die in Planung befindliche erste Weltmeisterschaft kämpfte mit mannigfaltigen Problemen. Nebst der FIFA veranstalteten auch die Sozialistische und die Rote Sportinternationale internationale Fußballpartien und -turniere, während es zwischen der FIFA und dem IOC wie auch innerhalb der FIFA und unter den ihr angeschlossenen Nationalverbänden Kontroversen um das Amateurstatut und die Professionalisierungsfrage gab.3

1 2 3

NIETZSCHE, Nutzen. Fédération Internationale. Vgl. KOLLER, Transnationalität.

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Die vor diesem Hintergrund publizierte, 178-seitige Jubiläumsschrift, deren Beiträge auf Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch verfasst wurden, fokussierte stark auf die Rolle der führenden Verbandsfunktionäre. Der Abschnitt „Past and Present Officials“, der mit 75 Seiten rund 42 Prozent des gesamten Umfangs einnahm, bestand aus Beiträgen der Funktionäre, die jeweils auch mit Bild und Kurzbiographie vorgestellt wurden. Daran anschließend folgten Grußbotschaften der einzelnen Landesverbände, die mit 65 Seiten ein gutes Drittel des Gesamtumfangs beanspruchten. Lediglich 39 Seiten oder rund ein Fünftel des Umfangs wurden dem „Historical Part“ zugestanden, einer Institutionengeschichte, die sich auf die einzelnen FIFA-Kongresse und die dort abgehandelten statutarischen und verbandspolitischen Fragen konzentrierte, ohne konkrete Fußballspiele, Spieler oder Trainer auch nur zu erwähnen. Den elitären Duktus der Jubiläumsschrift, deren treibende Kraft der niederländische Geschäftsmann und ehrenamtliche FIFA-Sekretär Carl Anton Willem Hirschmann war, brachte neben dem Umstand, dass der Leserschaft die Kenntnis von fünf Sprachen abverlangt wurde, beispielsweise auch die Einflechtung von Zitaten aus der europäischen Literatur (Victor Hugo, Friedrich Schiller, Dante Alighieri) zum Ausdruck.4 Die nächste Festschrift folgte erst 55 Jahre später im Jahr 1984 zum 80jährigen Verbandsjubiläum.5 Die FIFA hatte sich bis dahin vollständig verändert. Mit 148 Mitgliedsverbänden war der Anspruch, ein globaler Verband zu sein, nunmehr eingelöst. Die Weltmeisterschaft als Flaggschiff hatte sich in zwölf Auflagen als weltweit beachtetes Großereignis etabliert und dazu beigetragen, die FIFA zu einem wirtschaftlichen und medialen Akteur zu machen, der mit dem global aufgestellten Konzern Coca-Cola auf gleicher Augenhöhe agieren konnte, mit dem 1975/76 ein erster Sponsoringvertrag als Beginn einer langjährigen und für die FIFA sehr lukrativen Partnerschaft abgeschlossen wurde. Unter dem seit zehn Jahren amtierenden brasilianischen Präsidenten João Havelange, der seiner Kandidatur 1974 vor allem mit Versprechungen an die außereuropäischen Verbände zum Erfolg verholfen hatte, wurden die Aktivitäten in der „Dritten Welt“ stark ausgebaut. Die mehrheitlich dem antiquarischen Typus zuzurechnende Jubiläumsschrift von 1984 war 320 Seiten stark, wobei der ganze Text in jeweils vier Spalten auf Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch abgedruckt wurde. Autoren waren der Schweizer Sportjournalist und FIFA-Mitarbeiter Günther Furrer, FIFAGeneralsekretär Joseph S. Blatter sowie der Brasilianer Paulo C. Godoy. Umfangreiche Kapitel widmeten sich den Themen „FIFA today in 1984“ (50 Seiten), „History of FIFA“ (42 Seiten), „FIFA Distinctions“ (16 Seiten) und „FIFA Development Aid“ (22 Seiten). Weit über die Hälfte der Publikation, nämlich 170 Seiten, erzählten die Geschichte der Weltmeisterschaften und verdeutlichten deren zentrale Rolle für den Aufstieg der FIFA. 4 5

Fédération Internationale, 25, 29, 64. FURRER, Publication.

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Zehn Jahre darauf erschien eine weitere Festschrift, die zugleich den 90. Geburtstag des Weltfußballverbandes und das 20-jährige Amtsjubiläum von Havelange zelebrierte, dessen Konterfei das Titelblatt zierte. Der Weltfußballverband war in der Zwischenzeit auf 191 Mitgliedsländer gewachsen, allerdings hatte der europäische Kontinentalverband UEFA durch die Einführung der Champions League wirtschaftlich und medial stark aufgeholt. Wohlweislich hatte sich die FIFA in ihrer Festschrift von 1984 gegen die Ausweitung internationaler Klubwettbewerbe ausgesprochen.6 Zudem wollte zu dieser Zeit auch die Kritik an Havelanges autokratischem Führungsstil nicht verstummen. Die Jubiläumsschrift von 1994 umfasste lediglich 88 Seiten und erschien in zwei Sprachausgaben (Französisch und Englisch).7 In die oben skizzierte Typologie von Jubiläumsschriften lässt sie sich nicht eindeutig einordnen. Als Herausgeber firmierte Generalsekretär Blatter, die Redaktion oblag Andreas Herren, dem Leiter der Abteilung Medien der FIFA, einzelne Beiträge stammten wiederum aus den Federn von Günther Furrer und Paulo Godoy. Gegenüber den früheren Jubiläumsschriften hatte sich das quantitative und qualitative Verhältnis zwischen memorialen und gegenwarts- beziehungsweise zukunftsbezogenen Passagen stark verschoben. Während eigene Kapitel etwa dem Lebenslauf Havelanges, dem FIFA-Entwicklungsprogramm, der Nachwuchsförderung, der unmittelbar bevorstehenden Weltmeisterschaft in den USA sowie erstmals dem Frauenfußball gewidmet waren und auch Grußbotschaften der Kontinentalverbände nicht fehlten, beschränkte sich der historische Teil auf das Minimum einer kurzen Zeittafel von lediglich einer Seite. Die 2004 zum hundertjährigen Jubiläum der FIFA publizierte Jubiläumsschrift war die erste unter dem Präsidium Joseph S. Blatters. Die FIFA zählte zu diesem Zeitpunkt 204 Mitgliedsländer, zwölf mehr als die Vereinten Nationen; gleichwohl war sie in den vorangegangenen Jahren mehrfach negativ in die Schlagzeilen geraten. Sowohl im Zusammenhang von Blatters Wahl zum FIFAPräsidenten 1998 als auch bei seiner Wiederwahl vier Jahre darauf war es zu Vorwürfen des Stimmenkaufs gekommen.8 Zudem hatte 2001 mit der Firma ISL der bevorzugte Vermarktungspartner der FIFA spektakulär Konkurs gemacht. Die in diesen Kontexten erschienene Jubiläumsschrift stellte ihre Vorgängerinnen in verschiedener Hinsicht in den Schatten.9 Das 312 Seiten umfassende Werk erschien in nicht weniger als elf Sprachversionen (Französisch, Englisch, Spanisch, Deutsch, Italienisch, Japanisch, Türkisch, Koreanisch, Chinesisch, Russisch und Arabisch) und kombinierte einen Wissenschaftlichkeit beanspruchenden Text mit einer reichhaltigen Bildausstattung. Als Autoren firmierten mit Christiane Eisenberg (Humboldt-Universität zu Berlin), Alfred Wahl (Université de Metz) sowie Pierre Lanfranchi und Tony Mason (beide DeMontford Universi6 7 8 9

FURRER, Publication, 314. BLATTER, 90ème Anniversaire. Vgl. z.B. YALLOP, Spiel. – Der Vertrieb des Buches des britischen Enthüllungsjournalisten wurde von Blatter in der Schweiz gerichtlich unterbunden. EISENBERG, FIFA.

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ty Leicester) vier Lehrstuhlinhaber, die für ihre Recherchen von einer habilitierten Wirtschaftshistorikerin (Heidrun Homburg) und einem Sporthistoriker mit Promotion und Agrégation (Paul Dietschy) unterstützt wurden. Die Publikation umfasste 14 chronologische und systematische Kapitel, die die Entwicklung des Fußballs und der FIFA in ihren sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontexten darstellte und explizit einen globalgeschichtlichen Zugriff erproben wollte.10 FIFA-Präsident Blatter formulierte in seinem Geleitwort selbst einige Fragen an die FIFA-Geschichte, die in dem Band einer „kritischen Würdigung“ unterzogen werden sollten, und verwies auch auf die umfangreichen Quellenrecherchen des Autorenteams.11 Damit ist diese bislang jüngste FIFAFestschrift eindeutig dem oben skizzierten Typus der kritischen Jubiläumsschrift zuzuordnen. 2. Die Narrative der FIFA-Festschriften Aufgrund dieser formal sehr verschiedenen Jubiläumsschriften stellt sich die Frage nach einer Kontinuität in der Selbstdarstellung und Erinnerungspolitik der FIFA, die freilich durch die 55-jährige Lücke zwischen den beiden ersten Festschriften erschwert wird. Als eine Konstante erscheint die Betonung des angeblich völkerverbindenden und friedenstiftenden Charakters des Fußballs. Im Jubiläumsbuch von 1929 meinte Jules Rimet, Präsident der FIFA und des französischen Verbandes, auf der ersten Seite: „Ce sera l’honneur de la renaissance sportive de ce temps d’avoir dérivé ces passions vers les joutes pacifiques du stade où la violence originelle est soumise à la discipline des règles du jeu, loyale et probe, et où le bénéfice de la victoire est limité à l’ivresse d’avoir gagné et de voir les couleurs de son pays acclamées par la foule. Soyons fiers de contribuer, dans la mesure de nos moyens, à cette évolution!“12

FIFA-Sekretär Hirschmann widmete einen ganzen Artikel der „Mission Pacifique du Sport dans les Relations Internationales“.13 Hirschmann argumentierte, das Leben sei grundsätzlich ein Kampf, wobei sich immer größere Kollektive gegenseitig bekämpfen würden. Der Sport könne dazu beitragen, diesen Kampf zu zivilisieren. Dr. Ivo Schricker, zu diesem Zeitpunkt FIFA-Vizepräsident und dritter Vorsitzender des Deutschen Fußball-Bundes, lobte ebenfalls die durch den Fußball geförderte Völkerverständigung.14 In der Festschrift von 1984 meinte Havelange in seinem Vorwort, die FIFA habe „bewiesen, dass der Fußball trotz allem völkerverbindend ist“, um dann fortzufahren: 10 11 12 13 14

Vgl. ebd., 9. Ebd., 7. Fédération Internationale, 1. Ebd., 11–13. Ebd., 55.

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„Ich glaube, in dieser Welt ist noch nichts verloren, solange es in Organisationen wie der FIFA Menschen guten Willens gibt, die ohne Rücksicht auf ideologische, rassische, soziale und religiöse Unterschiede für ihr Ideal arbeiten und die Verständigung zwischen den Nachbarn fördern. Denn dort, wo man miteinander spricht, vor allem aber miteinander spielt, dort wird Friede sein.“15

Blatter führte in derselben Schrift aus, der Fußball sei „in seiner Breitenentwicklung zu einem Spiel geworden, das tatsächlich spielend alle Grenzen überwindet. Wenn man so will, ist er eine weltweite Verständigung ohne Sprache. Die FIFA wacht darüber, ist sich so ihrer Bedeutung, aber auch ihrer Verantwortung bewusst.“16

Die in den 1970er und 1980er Jahren grassierende Gewalt in und um die Fußballstadien erklärte die Jubiläumsschrift dagegen zu einem generellen gesellschaftlichen Phänomen.17 Auch die Festschrift von 1994 betonte gleich zum Einstieg die friedensfördernde Rolle des Sports.18 Im Jubiläumsbuch von 2004 schließlich konstatierte FIFA-Präsident Blatter in seinem Geleitwort, der Verband habe sich „mit Fußball als Mittler für die bessere Verständigung zwischen den Völkern eingesetzt“.19 Eine Ende Juni 1914 vom 11. FIFA-Kongress auf Antrag des Schweizer Delegierten beschlossene Resolution an die Adresse des ständigen internationalen Friedensbüros in Bern, dass die FIFA jegliche Initiative zur Völkerverständigung unterstütze, wurde in dem Band in einer ganzseitigen Graphik hervorgehoben.20 Hingegen befasste sich das linguistisch angehauchte Kapitel „Fußball: eine universelle Sprache?“ mit anderen Themen als der Völkerverständigung.21 Trotz dieser Konstante änderte sich das Selbstbild der FIFA zwischen 1929 und den drei Festschriften des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts markant. Die Publikation von 1929 präsentierte, nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl der Autoren, durchaus noch alternative Entwürfe für Struktur und Funktionsweise des internationalen Fußballverbandes. In den späteren Festschriften dagegen wurde die real existierende FIFA nicht in Frage gestellt und der Schwerpunkt lag darauf, deren bedeutende Rolle in der Welt zu betonen. Das Vorwort der Jubiläumsschrift von 1929 betrachtete es als Ziel, die FIFA zu einem „efficient servant of our Great Game“ zu machen,22 während Hirschmann auf das große Stück hinwies, das auf dem Weg dahin bereits zurückgelegt worden sei: Bei der Gründung 1904 habe „ohne Zweifel keiner auch nur einen Augenblick daran gedacht, dass dieses Gebilde sich zu einer so gewaltigen Or15 16 17 18 19 20 21 22

FURRER, Publication, 5 und 7. Ebd., 9. Ebd., 315–317. BLATTER, 90ème Anniversaire, 4. EISENBERG, FIFA, 7. Ebd., 64. Ebd., 171–181. Fédération Internationale, VII.

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ganisation [...] entwickeln würde“.23 Für gewisse Nationalverbände war die FIFA freilich offenbar bereits zu mächtig geworden. Seitens des Deutschen FußballBundes forderte Dr. Peter Joseph „Peco“ Bauwens vor dem Hintergrund der Professionalismusdebatte die Rückkehr der FIFA vom „Bundesstaat“ zum „alte[n] ideale[n] Staatenbund […], in welchem jedes Mitglied wieder nach seiner ‚façon selig werden kann‘ und in welchem sich frei und ungezwungen leben lässt“.24 Prof. Dr. Rudolf Pelikan regte im Namen des tschechoslowakischen Verbandes an, den Weltfußballverband nicht auf dem Staaten- sondern auf dem Nationalitätenprinzip aufzubauen,25 während FIFA-Sekretär Hirschmann, die Differenzierung zwischen Staat und Nation vermeidend, umgekehrt auf den kosmopolitischen Charakter der Organisation hinwies: „Diese Gesellschaft, bestehend aus den Vertretern der verschiedensten Staaten, ist zwar auf den ersten Blick inter-national, im Wesen aber eigentlich a-national; denn die da an verschiedenen Orten der Welt sitzenden Vertreter haben doch eigentlich nur ein Vaterland und einen Vater: nämlich die Welt und den Fußballsport.“26

Den Jubiläumsschriften von 1984 und 1994 waren solche kontroverse Standpunkte über Struktur und Charakter der FIFA fremd. Die Publikationen betonten vielmehr den Charakter der FIFA als globale Institution und ihre Rolle als Mitspieler auf den internationalen Bühnen der Politik, Wirtschaft und Kultur. Dies kam sowohl in der Semantik als auch in der Ikonographie zum Ausdruck. Die Jubiläumsschrift von 1984 etwa bezeichnete den FIFA-Kongress als „Sportparlament“ und Generalsekretär Blatter als „‚Außenminister‘“, widmete eine Doppelseite dem wie ein Regierungssitz präsentierten „FIFA House“ in Zürich und enthielt auch einen Abschnitt über die vom Weltfußballverband in der Tradition gouvernementaler Politik der Ehrenzeichen vergebenen Orden.27 Havelange wurde in der Schrift von 1984 auf einem Foto mit Papst Johannes Paul II. gezeigt,28 zehn Jahre darauf mit dem italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga, dem japanischen Premierminister Morihiro Hosokawa, dem amerikanischen Politikwissenschafter und ehemaligen Außenminister Henry Kissinger, dem südafrikanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, dem italienischen Startenor Luciano Pavarotti, Coca-Cola Generaldirektor Donald Keogh sowie einer nicht näher bezeichneten Gruppe arabischer Ölscheichs.29 Aus dem „servant“ des Fußballs war im Selbstverständnis der FIFA ein „global player“ geworden, der Züge einer supranationalen Organisation und eines multinationalen Konzerns in sich vereinte. Davon zeugte in der Festschrift 23 24 25 26 27 28 29

Ebd., 59. Ebd., 61–64. Ebd., 85–87. Ebd., 59. FURRER, Publication, 24, 52, 54f., 112f. Ebd., 31. BLATTER, 90ème Anniversaire, 12f., 17, 62f.

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von 1994 nicht nur die Abbildung der Labels hochkarätiger Sponsoren,30 sondern auch ein Abschnitt mit der bezeichnenden Überschrift: „Le Football un produit – la FIFA une entreprise“.31 Die Jubiläumsschrift von 2004 portraitierte die aktuelle FIFA explizit als eine Internationale Nicht-Regierungsorganisation (INGO), zu der sie sich seit den 1970er Jahren von einem reinen Sportverband gewandelt habe und nannte den Weltfußballverband in einem Atemzug mit dem Internationalen Roten Kreuz, Greenpeace und Amnesty International sowie als wichtige Kooperationspartnerin der UNO. Mit diesem Rollenwandel wurde sodann die wachsende mediale Kritik an der FIFA erklärt und banalisiert: „In der Welt der INGOs gilt unternehmerisches Handeln als legitimes Mittel, um die materiellen Ressourcen, die Problemlösungskompetenz und die politische Durchsetzungsfähigkeit einer Organisation zu erhöhen. Dass dies dem Prestige und der moralischen Autorität in der Öffentlichkeit manchmal abträglich ist, wird in Kauf genommen. Die FIFA bildet also in dieser Hinsicht unter den INGOs keinen Sonderfall.“32

Auch das Narrativ über Entstehung, Entwicklung und Zukunft der FIFA änderte sich. Angesichts der 25-jährigen Entwicklung des Weltfußballverbandes beschwor Jules Rimet 1929 das Bild „du voyageur parvenu au sommet de la montagne et qui se retourne pour se rendre compte du chemin qu’il a parcouru.“ Dieses Bild sei indessen nicht ganz richtig: „La Fédération n’est pas arrivée à la fin de sa course, puis qu’il reste à gravir le temps infini, qui s’ouvre devant elle. Et puis, ce n’est pas un voyageur isolé qui a fait cette ascension, mais un groupe plusieurs fois renouvelé et sans cesse plus nombreux.“33

Grundsätzlich war der Fluchtpunkt des Entwicklungsnarrativs also die ein Vierteljahrhundert zuvor erfolgte Gründung der FIFA, in den „Temps Heroïques de la F.I.F.A.“ (Baron Edouard de Laveleye)34 durch „von Idealen erfüllte Stürmer und Dränger“ (Dr. Peco Bauwens).35 Während Rimet, wie gezeigt, von einem weiteren ungebremsten Aufstieg ausging, zeigte sich der Präsident des niederländischen Verbandes, Johan Willem Kips, in seiner Grußbotschaft skeptischer und glaubte den Zenit bereits überschritten: „Tout mouvement populaire a une période de développement, de prospérité et de décadence. […] Je crois que dans la plupart des pays le mouvement actuel du football est indiqué par la première courbe de cette ligne ou au delà, c. à. d. que la période de la splendeur est déjà arrivée. L’historien démontrera peut-être un jour 30 31 32 33 34 35

Ebd., 87. Ebd., 63. EISENBERG, FIFA, 233. Fédération Internationale, 1. Ebd., 23–27. Ebd., 61.

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que les facteurs qui doivent forcément mener à la dissolution sont déjà assignables.“36

Wenn Kips auch die Basis dieser Annahme nicht näher erläuterte, schimmerten hier wohl wiederum die vorangegangenen Debatten um den Professionalismus durch. Die Jubiläumsschrift von 1984 wollte gemäß dem Vorwort von João Havelange explizit „nicht als Geschichte verstanden sein, sondern als Dokument der Vergangenheit der FIFA“.37 Der Fluchtpunkt des Narrativs lag nicht in der Gründung, sondern in der Gegenwart. Dies kam etwa dadurch zum Ausdruck, dass der Hauptteil „FIFA today“ dem über die Verbandsgeschichte voranging und der Hauptteil über die Weltmeisterschaften chronologisch von 1982 bis 1930 rückwärts lief. Letzterer Teil, der mehr als die Hälfte des Seitenumfangs einnahm und mit dem Schnitzer startete, der World Cup habe „zwei Weltkriege überlebt“38, beschränkte sich weitgehend auf die fußballerischen Ereignisse, die kaum weiter kontextualisiert wurden. So fanden etwa in den Ausführungen zum Turnier von 1978 in dem von einer Militärjunta regierten Argentinien die politischen Hintergründe keinerlei Erwähnung.39 Im Abschnitt zum Turnier von 1934 im faschistischen Italien fanden sich immerhin einige oberflächliche Bemerkungen zu Mussolini, „der den Fußball nicht besonders liebte“.40 Noch weiter getrieben wurde die Fokussierung auf die Gegenwart in der Jubiläumsschrift von 1994, die auf einen historischen Teil ganz verzichtete und lediglich eine einseitige Zeittafel enthielt, bei welcher mehr als die Hälfte der Einträge auf die Zeit seit 1974, also das Präsidium Havelanges, entfielen.41 Demgegenüber war die Jubiläumsschrift von 2004 explizit eine historische Abhandlung, die auch wissenschaftlichen Status beanspruchte. Sie näherte sich der Geschichte des Weltfußballverbandes weder heroisierend von einem Gründungsmythos noch teleologisch von der Gegenwart her, sondern versuchte, ihr durch einen periodisierenden Zugang gerecht zu werden. Dieser wurde im Fazit resümiert als eine erste Phase des Aufbaus (1904–1930), eine zweite der Konsolidierung (1930–1945), eine dritte Phase der erfolgreichen Expansion (1945–ca. 1980) und eine vierte Phase der Diversifizierung des Weltfußballs (seit den 1970er Jahren).42 In diesem Narrativ hatten auch weniger ins Bild der unpolitischen FIFA passende Episoden Platz, so der Ausschluss der Kriegsverlierer nach dem Ersten Weltkrieg, die Vereinnahmung der Weltmeisterschaft 1934 durch die italienischen Faschisten, die Rolle der FIFA im Spanischen Bürgerkrieg, ihre Politik gegenüber dem südafrikanischen Apartheid-Regime und die Beziehungen zu den 36 37 38 39 40 41 42

Ebd., 114f. FURRER, Publication, 5. Ebd., 129. Ebd., 146–150. Ebd., 252 und 258. BLATTER, 90ème Anniversaire, 76. EISENBERG, FIFA, 298.

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Militärdiktaturen Chiles und Argentiniens in den 1970er Jahren. Allerdings wurde nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass seit den 1980er Jahren „derartige Skandale vor der Weltöffentlichkeit nicht mehr vorgekommen“ seien.43 Auch auf die Korruptionsgerüchte im Umfeld der jüngeren FIFA-Präsidentschaftswahlen ging die Schrift kurz ein und kommentierte dazu: „Für die FIFA wurde diese Entwicklung insofern problematisch, als alle Präsidentschaftswahlen seit 1974 von Gerüchten über Korruption und Stimmenkauf überschattet waren, welche die europäischen Medien begierig aufgriffen und aufbauschten. Der damit verbundene Imageverlust ist beträchtlich, auch weil die spätere Rücknahme dieser Vorwürfe regelmäßig keine Schlagzeilen, sondern nur noch kleine Meldungen veranlasste.“44

So konnte dann das Fazit trotz allem mit der folgenden Bemerkung eingeleitet werden: „Die Geschichte der FIFA hat uns durch das gesamte 20. Jahrhundert begleitet. Doch anders als die Geschichte des Jahrhunderts ist sie durchgängig eine Erfolgsgeschichte.“45 Die 100-Jahre-Jubiläumsschrift war die erste, welche die Entwicklung des Fußballs und der FIFA wenigstens in Ansätzen aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive Revue passieren ließ. Die ersten frauenfußballerischen Versuche in verschiedenen Ländern während des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit und die männlichen Widerstände dagegen46 waren den Jubiläumsschriften von 1929, 1984 und 1994 nicht der Erwähnung wert gewesen. In der Festschrift von 1984 wurde der Frauenfußball als ein Entwicklungsbereich lediglich beiläufig unter dem Aspekt erwähnt, dass die FIFA alle Formen des Association-Fußballs kontrollieren müsse, ohne auf die sich in diesem Bereich seit anderthalb Jahrzehnten vollziehenden Entwicklungen, die seit den frühen 1970er Jahren auf private Initiative hin organisierten internationalen Turniere und das jahrzehntelange Lavieren der FIFA47 im Geringsten einzugehen.48 Zehn Jahre darauf portraitierte die 90-Jahre-Jubiläumsschrift Havelange und Blatter als große Förderer des Frauenfußballs, nachdem das Thema 1986 angeblich erstmals an sie herangetragen worden sei: „A l’étonnement de certains délégués masculins, la réponse sonnna haut et clair: non seulement le Dr Havelange […] approuva le projet sans restriction, mais il s’engagea personellement en faveur du football féminin. […] Grâce à l’engagement du Président de la FIFA et de son Secrétaire Général Joseph S.

43 44 45 46 47 48

Ebd., 108, 114f., 270–290. Ebd., 293. Ebd., 295. Vgl. dazu WILLIAMSON, Belles; BRÄNDLE/KOLLER, Goal, 217–223; MEIER, Füßchen, 85–92 und 107–111; HILBRENNER, Russland, 77–80. Vgl. dazu FECHTIG, Frauen; BRÄNDLE/KOLLER, Goal, 224–227; PRUDHOMME, Sexe faible; MEIER, Füßchen, 92–96 und 112–163. FURRER, Publication, 314.

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Blatter, le football féminin profita d’un plus fort dynamisme dans les nations pionnières […].“49

Die Jubiläumsschrift von 2004 setzte auch hier neue Maßstäbe. Einerseits wies sie auf die maskuline Konnotation schon des frühen Fußballs hin.50 Andererseits widmete sie einen umfangreichen, allerdings bemerkenswerterweise in einem Kapitel zusammen mit dem Jugendfußball angeordneten Abschnitt dem Frauenfußball, der ausführlich die Frühphase um den Ersten Weltkrieg, die erste Konfrontation der FIFA mit dem Frauenfußball 1951/52, die Herausbildung internationaler Frauenfußballverbände außerhalb der FIFA in den 1950er und 1960er Jahren und die zögerliche Haltung der FIFA in den 1970er und frühen 1980er Jahren schilderte.51 3. Die Würdigung markanter Persönlichkeiten Neben den übergreifenden Narrativen unterschieden sich die verschiedenen FIFA-Jubiläumsschriften auch in ihrer Würdigung einzelner Persönlichkeiten. Die Festschrift von 1929 fokussierte auf das Zusammenwirken einer Vielzahl von miteinander befreundeten Pionieren bei der Gründung und Entwicklung des Weltfußballverbandes. Gründungspräsident Robert Guérin etwa schrieb, er habe sich 1903 dazu entschlossen „de fonder la Fédération Internationale de Football Association, avec la collaboration d’excellents amis“.52 Trotz des im ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens zu verzeichnenden Wachstums des Verbandes und der in verschiedenen Ländern und auch auf internationaler Ebene einsetzenden Kommerzialisierung hielt die Festschrift das Bild einer grenzüberschreitenden Vereinigung von Gentlemen hoch, die aus idealistischen Motiven der FIFA dienten. Bezeichnenderweise erwähnte die Jubiläumsschrift außer den fußballerischen Aktivitäten der Funktionäre selber keinen einzigen herausragenden Spieler oder Trainer mit Namen. Ein Starkult galt zu dieser Zeit den Verbandsoberen in der FIFA wie auch den Nationalverbänden noch als unpassend. Die Jubiläumsschriften von 1984 und 1994 zeigten in mehrerer Hinsicht ein anderes Bild. Erstens würdigte die Schrift von 1984 nun auch herausragende Spieler und Trainer, so im Rückblick auf die Weltmeisterschaften und im Abschnitt zur FIFA-Politik der Ehrenzeichen, die vereinzelte Spieler und Trainer (Pelé, Franz Beckenbauer, Bobby Charlton, Dino Zoff und Helmut Schön) zu Ordensträgern gemacht hatte. Zweitens und wichtiger verschob sich parallel zu der oben konstatierten Perspektivänderung weg von der Gründungsphase und hin zur Gegenwart der Fokus von den Pionieren zur aktuellen Verbandsführung, in erster Linie zu Präsident Havelange, in einem geringeren Ausmaß auch zu Generalsekretär Blatter. 49 50 51 52

BLATTER, 90ème Anniversaire, 51. EISENBERG, FIFA, 22. EISENBERG, FIFA, 183–201. Ebd., 4.

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Christian Koller

Die Jubiläumsschrift von 1984 enthielt immerhin noch je eine Doppelseite mit Bildern der „Founders“ und der „Pioneers“ sowie Biographien der bisherigen Präsidenten und Generalsekretäre und es war an einer Stelle auch von einer „Epoche Jules Rimet“ die Rede.53 Die Schrift von 1994 reduzierte solche Referenzen an die Funktionäre der Zeit vor Havelange auf eine Photographie, welche Straßenschilder mit den Namen der bisherigen FIFA-Präsidenten zeigte, also etwa „Rue Robert Guérin“ oder „Rue Jules Rimet“, wobei dem amtierenden Präsidenten als einzigem ein „Boulevard Dr João Havelange“ zugestanden wurde. Die Bildlegende erläuterte dazu: „Symbole pour le futur. João Havelange sur le boulevard qui mène à l’an 2000.“54 Beide Festschriften des ausgehenden 20. Jahrhunderts waren des Lobes voll über den amtierenden FIFA-Präsidenten, der, wie bereits erwähnt, auch zusammen mit zahlreichen internationalen Größen aus Politik, Wirtschaft und Kultur gezeigt wurde. Die Festschrift von 1984 zog folgendes Resümee der ersten zehn Jahre Havelange: „Es war klar, dass die FIFA nach seiner Wahl einen neuen Kurs steuern würde, den der Weltoffenheit. Rückblickend kann man jetzt sagen, dass der brasilianische Präsident die Hoffnungen, die er weckte, erfüllt hat. Die Versprechen, die er gab, hat er gehalten. Er hat im Fußball Methoden angewandt, die in anderen Bereichen, im wirtschaftlichen und politischen Leben längst bekannt waren. […]. Dr. Havelange ist ein Mann der Tat, er hat als Präsident der FIFA gezeigt, dass er keine halben Sachen kennt. Er hat als Persönlichkeit von großem Format die Kraft gehabt, seine Ideen durchzusetzen.“55

Die Festschrift von 1994 entfaltete sodann einen eigentlichen Personenkult um den als „premier footballeur du monde“56 charakterisierten Havelange, dem neben seinen unternehmerischen Qualitäten auch ein ausgesprochenes diplomatisches Geschick zugesprochen wurde: „Sur le plan politique, João Havelange ne s’est jamais détourné de son objectif principal: il a toujours offert sa médiation et ses bons services afin de promouvoir l’universalité, c’est-à-dire la bonne entente entre les nations. Il a ainsi pleinement répondu à la vocation de la FIFA. […] Sous son égide, le quartier général de la FIFA est devenu un centre de la diplomatie sportive.“57

Joseph Blatter zollte seinem Chef unter dem Titel „Mon regard sur João Havelange“ uneingeschränktes Lob und erging sich dabei auch in physiognomische Betrachtungen: „João Havelange est ce qu’il convient d’appeler un chef-né qui se dirige sans détour vers le but qu’il s’est fixé et sait toujours lancer de nouveaux défis. Lors de négotiations, son imposante stature et son ample voix dominent les salles de ré53 54 55 56 57

FURRER, Publication, 60f., 68f., 90–105, 110f., 71. BLATTER, 90ème Anniversaire, 75. FURRER, Publication, 26. BLATTER, 90ème Anniversaire, 7. Ebd., 6.

Kicker – Manager – Friedensstifter

169

union. Les traits accusés de son visage et son menton énergique témoignent d’un grand esprit de décision, d’une intélligence toujours en éveil ainsi que d’une puissante faculté de concentration. João Havelange sait écouter ses partenaires avec attention. Il privilégie la précision et, grâce à son autorité naturelle, maîtrise parfaitement le cours des événements et sait intervenir à propos.“58

Entsprechend konnte auch Blatters Fazit von den ersten 20 Jahren Havelange nur positiv ausfallen: „Voilà deux décennies que João Havelange est à la tête de la FIFA et les résultats sont éloquants: création de programmes couronnés de succès et organisation de nouvelles compétitions de haut niveau. […] Les espoirs que le monde du football a placé en João Havelange n’auront donc pas été déçus.“59

Die Jubiläumsschrift von 2004 indes baute den Personenkult massiv ab. Der amtierende FIFA-Präsident Blatter erschien zwar zur Illustration seines Geleitwortes mit einem ganzseitigen Farbportrait, wurde am Ende des Buches, das von den Zukunftsperspektiven des Weltfußballs handelte, als Autorität befragt und musste sich in der Schrift keine Kritik gefallen lassen.60 Im Vergleich zu den Festschriften von 1984 und 1994 erschien er aber weit weniger als Übermensch im Vergleich zu dem damals amtierenden Präsidenten Havelange. Dessen Leistungen im Kontext der Kommerzialisierung der FIFA wurden zwar gewürdigt und der Band enthielt auch ein symbolträchtiges Bild Havelanges mit einem Globus in der Hand.61 Andererseits wurde aber auch konzediert, dass die Weltmeisterschaft von 1978 und der Umstand, dass Havelange sich vor der Weltöffentlichkeit zusammen mit Junta-General Jorge Rafael Videla zeigte, einen „beträchtlichen“ Imageschaden verursacht hatten.62 4. Fazit Insgesamt zeigen die vier analysierten FIFA-Festschriften nebst einigen Konstanten – insbesondere der Betonung der völkerverbindenden und friedensfördernden Rolle des Weltfußballs – verschiedene Veränderungen sowohl formaler als auch inhaltlicher Art. Diese reflektierten sowohl den generellen Wandel des Genres „Jubiläumsschrift“ als auch die Veränderungen von Bedeutung, Selbstverständnis und Führungsstruktur der FIFA. Eine zielgerichtete Erinnerungspolitik lässt sich weder in den einzelnen Jubiläumsschriften noch gar kontinuierlich in mehreren dieser Schriften erkennen, vielmehr war die Art und Weise, wie und vor allem auch wie ausführlich die FIFA ihre Vergangenheit darstellte, jeweils mehr oder weniger eine Funktion der aktuellen Selbstdarstellung. 58 59 60 61 62

Ebd., 14. Ebd., 15. EISENBERG, FIFA, 6 und 300f. Ebd., 220, 246–250. Ebd., 289.

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Christian Koller

Quellen und Literatur BLATTER, JOSEPH S. (Hrsg.): 90ème Anniversaire de la FIFA – 20 Ans de Présidence João Havelange, Brésil, élu le 11 juin 1974: Livre commémoratif 1994, Wetzikon o. J. [1994]. BRÄNDLE, FABIAN/KOLLER, CHRISTIAN: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fußballs, Zürich 2002. EISENBERG, CHRISTIANE u.a.: FIFA 1904–2004: 100 Jahre Weltfußball, Göttingen 2004. FECHTIG, BEATE: Frauen und Fußball: Interviews, Portraits, Reportagen, Dortmund 1995. Fédération Internationale de Football Association 1904–1929, Amsterdam o.J. [1929]. FURRER, GÜNTHER u.a.: Historical Publication of the Fédération Internationale de Football Association: FIFA 1904–1984, Zürich 1984. HILBRENNER, ANKE: Auch in Russland „ein reiner Männersport“? Zur Geschichte und Gegenwart des Frauenfußballs in der Russischen Förderation, in: DIES. u.a. (Hrsg.), Überall ist der Ball rund. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa, Essen 2006, 71–96. KOLLER, CHRISTIAN: Transnationalität. Netzwerke, Wettbewerbe, Migration, in: DERS./FABIAN BRÄNDLE (Hrsg.), Fußball zwischen den Kriegen: Europa 1918–1939, Münster/Wien 2010, 37–64. MEIER, MARIANNE: „Zarte Füßchen am harten Leder ...“: Frauenfußball in der Schweiz 1970–1999, Frauenfeld etc. 2004. NIETZSCHE, FRIEDRICH: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1873), Stuttgart 1994. PRUDHOMME, LAURENCE: Sexe faible et ballon rond: Esquisse d’une histoire du football féminin, in: PIERRE ARNAUD/THIERRY TERRET (Hrsg.), Histoire du sport féminin, Bd. 1, Paris 1996, 111–126. WILLIAMSON, DAVID J.: The Belles of the Ball: The Early History of Women’s Football, Devon 1991. YALLOP, DAVID A.: Wie das Spiel verlorenging: Die korrupten Geschäfte zwischen FIFA und Medien, München 1998.

Fankulturen

Anne Eyre

‘The Fields of Anfield Road’ Understanding the Memorial and Sepulchral Culture of Liverpool FC The gathering of academics, journalists and football fans at Irsee Monastery in November 2010 testified to the international appeal and appreciation of football and highlighted the various cultural and political contexts in which the beautiful game is played and supported. Attendees were reminded of the fact that football celebrates the highs of sporting life but can also be the occasion of despair and tragedy, no more so than when it involves or commemorates the deaths of players, managers or fans.

fig. 1: Hillsborough banner – displayed at the Kop end during the twentieth anniversary memorial service.

This paper examines these themes in relation to the rise of Liverpool Football Club, the assimilation into its identity and fan culture of three extraordinarily successful managers, and the impact and commemoration of two exceptional, tragic incidents in its history, namely the disasters at Heysel (1985) and Hillsborough (1989) in which large numbers of fans were killed and injured (fig. 1). Though these were unique and very different incidents in terms of their

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Anne Eyre

causes, both events had huge significance for clubs, football and fans both within England and across Europe. The focus of this paper is the impact and implications of both events for the club and community within Liverpool. But it begins by firstly discussing the links more generally between football and religion since both phenomena are significant within Liverpool’s story. The extent to which football and religion may fulfil similar functions is explored and their role in binding social groups and communities through identification with shared rituals and symbols as well as allegiance to charismatic leaders, shared norms and common values. A Functionalist approach is introduced here and is valuable for understanding some of the themes that are subsequently developed. The paper then reviews the prominent role of the churches within the political, social and religious context of the city and in particular the close working relationship of the Anglican and Catholic bishops during the period covering the two disasters. The foundation, identity and culture of Liverpool Football Club (‘FC’) is explored, and its specific historical links (albeit less pronounced than folk beliefs sometimes suggest) with the institutional churches. The charismatic image and leadership of symbolic figures within both the club and city is highlighted with particular reference to their role in the memorial and sepulchral culture that emerged from the aftermath of the two disasters. The paper will illustrate how a memorial and sepulchral dimension has become established through continuing commemorative ritual and routines, the incorporation of the ‘eternal flame’ emblem within the club’s insignia, and the physical symbols and memorials on permanent display at Anfield. 1. Religion and Football: Functionalist Approaches There is a school of thought within the Sociology of Religion which defines and analyses religion in terms of its social roles and function. From this perspective it is possible to examine a wide range of social phenomena, including the following of a football club or team, as broadly ‘religious’, that is to say as fulfilling similar functions to more traditional forms of religion in terms of their social appeal and meaning. One of the founding fathers of Sociology, Émile Durkheim gave this definition of religion: ‘a religion is a unified system of beliefs and practices relative to sacred things, that is to say, things set apart and forbidden – beliefs and practices which unite into one moral community called a Church, all those who adhere to them’.1

This approach to religion is not so much interested in weighing up the validity of particular doctrines but rather focuses on the social context and consequences of belief systems. In this way sociology provides an opportunity for

1

DURKHEIM, Elementary Forms, 47.

‘The Fields of Anfield Road’

175

‘analysing the nature of those shared beliefs to which men [sic] attach some kind of priority of sacredness, and which provide the basic perspectives around which groups of individuals organise their life.’2

It follows on from this kind of sociological approach then that religion is being equated with its function. By focusing on the social consequences and social effects of religion, religion is what religion does. On the one hand, it can contribute both to social integration, shared identity and harmony; on the other it may reinforce social tensions and conflict. It is from a functionalist perspective that some observers in Britain have examined the role of football as fulfilling the traditional functions of religion that is to bind and divide social groups and communities. Using this approach one might even suggest that the rituals and symbols of football may even challenge or replace traditional forms of religion, particularly in a more secular society insofar as they fulfil most of the functions institutional religion used to fulfil. It is certainly the case that for some fanatics in Britain the weekend ritual revolves not around going to church on Sunday but attending the match on Saturday. The analysis of football as religion is further illustrated in the following ways in which ‘religious’ beliefs and ceremonies may integrate individuals into social groups or communities: – providing social identity and belonging, a sense of ‘who/what I am’ – expressing shared meanings and understanding: what we have in common – marking the past, present and future: shared memory, memorials, aspiration and ambition – distinguishing between the profane and the ‘sacred’, between on the one hand the mundane and ordinary and on the other that which is ‘set apart’ and given special reverence or awe – identifying and revere charismatic leaders, individuals who are distinguished by their special qualities and authority – referring to ‘sacred’ totems: symbols which represent and express shared interests and which are treated with special respect – physically bringing worshippers together through regular attendance at symbolic places and shrines – prescribing moral norms, agreed ‘right’ social values, beliefs and behavioural norms of followers (although not always the players it seems) – dealing with emotional stress or life crises, through the performance of commemorative rites and rituals.

This paper focuses in particular on the latter function, namely the role footballrelated rituals and memorials associated with Liverpool FC have played in helping families and fans deal with the untimely deaths of fans involved in two major disasters. Some would argue, however, that it is precisely in respect of this function that the distinction between ‘real’ religion and football as religion is most starkly illustrated, since football or any other socially-derived phenomenon 2

THOMPSON/TUNSTALL, Sociological Perspectives, 363.

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cannot answer the ultimate questions about the meaning of life and life after death in the way in which theology explores. This author, as a sociologist of religion and with a keen interest in football in Liverpool, has always felt there is much value in equating football to traditional religion in seeking to understand and interpret the powerful cultural representations associated with football and its centrality in many people’s life and weekly routine. But when it comes to the question of dealing with emotional stresses or life crises, particular those involving death and the afterlife, the distinctions between football (as ultimately this-worldly) and religion (as that which deals with matters beyond this mortal life, the supernatural, the ultimate), become starkly clear. And although Liverpool’s charismatic manager Bill Shankly is famously quoted as having once suggested that football is more important than life and death, football alone could not ultimately bring solace in the face of the mass grief and trauma following the two disasters at Heysel and Hillsborough. 2. Incorporating Christian Themes in Football Culture In many traditional British cities and communities such as Liverpool denominational religion (particularly Christianity) and football have traditionally sat happily alongside each other, with top flight football being played and watched on Saturday and church attendance being relatively high on a Sunday. During the World Cup competition of 1994, one religious newspaper even described how an order of nuns in Ireland changed their daily prayer times to enable them to watch Jack Charlton’s Irish national team which had got through to the second stage of the competition.3 In this sense traditional religion and football can co-exist, accommodate and complement each other as part of the rich cultural make-up of such communities. Indeed football has often borrowed, incorporated and adapted aspects of traditional Christian culture, for example the words of several Christian hymns have been adapted for rendition by fans on the terraces (an example is the chorus of the hymn ‘Guide me, O Thou Great Redeemer’ being substituted by many fans for ‘You’re Not Singing Anymore’). The hymn ‘Abide with Me’ is traditionally sung before the English Football Association Challenge Cup (‘FA Cup’) Final, and in the 1990s the FA/Littlewoods advertising campaign for the competition produced a series of adverts invoking Christian beliefs, sayings and symbols and implying the tournament was akin to a religious pilgrimage. The adverts used captions such as ‘The quest for the Holy Grail’, ‘Heaven and hell are both the same’, and ‘Many are called but two are chosen’ to attract disciples. The focus for this paper is the unique mingling of religious (particularly Catholic and Anglican) and club-based identity and culture as the framework for shaping and making sense of two football-related tragedies in Liverpool. To set the scene for that analysis this paper next explores the particular history, 3

Anon., Sisters support for soccer heroes.

‘The Fields of Anfield Road’

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relationship and significance of both the Churches and Liverpool Football Club in shaping the community and culture of the city. 3. Religion and the Churches in Liverpool The rich historical and cultural links between religion, politics and football in Liverpool can be traced back to the nineteenth century. Following the Irish great famine in the 1840s a very large influx of Irish, predominantly Catholic, immigrants came into the City. This contributed to a pronounced religious and political division in the City and resulted in a sectarian divide between Catholics and Protestants which cut very deep into local society.4 Examples of this sectarianism included local trades, geographical communities, and political parties, all of which reflected sectarian lines.5 By the middle of the 1980s the city had evolved more broadly from its sectarian past to becoming an exalted example of positive and effective ecumenical involvement. This change was partly due to the economic deprivation being suffered in the city in the 1980s, the fact Catholic and Protestant families began to live and work side by side and the diminishing of stereotypes. But in particular the personal character and cooperation between the Catholic Archbishop Derek Worlock and the Anglican Bishop David Sheppard was a key contributory factor. In an obituary about Derek Worlock published in the Independent newspaper, the journalist Peter Hebblethwaite described the two bishops’ close working relationship thus: ‘They became inseparable, were known as Tweedledum and Tweedledee or, in the scouse vernacular (because they were always seen together in the newspaper) “Fish ‘n’ Chips”. They stood in for each other and sometimes preached joint sermons in which one would complete the thought of the other. Their principle was “Do everything together, except the things which conscience forces us to do apart”. In a Liverpool which had the potential to be a British Belfast and in which older people could remember rowdy Orange marches, this was as dramatic as it was novel.’6

The two bishops’ strong working relationship and efforts to bring about religious reconciliation culminated in the visit of Pope John Paul II to Liverpool in 1982 and their influence pervaded during the period covering the two disasters discussed in this paper. This explains the prominent role they and the Churches had during the commemoration following both disasters as we shall see later. The continuing legacy and influence of this period of Christian leadership in the City was committed to permanent memory on Sunday 11 May 2008. During a Christian Walk of Witness the Sheppard-Worlock Statue was unveiled.7 The 4 5 6 7

DAVIE, A sense of religion in Liverpool, 2. WALLER, Democracy and Sectarianism. HEBBLETHWAITE, Obituary. COSLETT, Statue for two Bishops.

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statue was paid for by public subscription after a campaign by the local paper, The Liverpool Echo. The statue is in the shape of two bronze doors, one depicting David Sheppard and the other Derek Worlock, and is situated half way down Liverpool’s famous Hope Street which joins both the Roman Catholic and Anglican Cathedrals. 4. The History and Development of LFC Denominational religion also played some part in the history and development of Liverpool Football Club. In 1878 Reverend Benjamin Swift Chambers, minister of St Domingo’s Methodist Church near the Everton district of the city formed a football team to keep the young men of the church active in the winter months outside of the cricket season. The football club was originally called St. Domingo’s F.C. but later changed to Everton F.C. to reflect interest from the wider district and beyond its Methodist roots. As Everton became more established John Houlding, the club president and owner of the land at Anfield, began to build football stands at Anfield Road. However, after a dispute in 1892 the club split into two groups. One group decided to move over to Goodison Park, while Houlding and a few others remained at Anfield Road and adopted the name Liverpool Football Club.8 The rivalry between Everton and Liverpool, regularly expressed during the annual derby fixtures between the two Merseyside teams (the city of Liverpool being situated on the banks of the River Mersey), is said to date back to this historic dispute (rather than any religious sectarianism, despite popular myth pertaining to the latter). The Merseyside derby is usually a sell-out fixture and tends to be an extremely stormy affair with more than the usual share of red cards being issued than in other Premiership fixtures. Michael Kenrick makes the point that whatever religious connection there might have been originally between the clubs and denominational religion, it seems to have faded fast as the popular appeal of football grew: ‘There appears to be little real evidence to suggest any strong relationship between support of Everton and adherence to either the Catholic or Protestant faiths. Parental family ties appear to have been much stronger, with many current Evertonians citing fathers or grandfathers (of either religion) who were true blue, through and through’.9

8 9

LFC Online, 2002. KENRICK, Catholic or Protestant?

‘The Fields of Anfield Road’

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5. Charismatic Leaders: Representing Community, Honour and Leadership Whatever the perception or folk beliefs regarding sectarian or religious differences between the football clubs, more significant than any denominational association has been the identification of Liverpool fans with its highly charismatic and successful managers who have become part of the club’s legacy and tradition across generations. What follows are some selected examples to illustrate how these individuals and what they represent have come to be identified with and symbolise the core values and social identity of the team’s followers, particularly within the geographical community of the City. These have become part of the corporate identity of the club as highlighted not only by iconic symbols at Anfield but also in the way they have been explicitly referred to and called upon in the aftermath of disaster and expressed through commemorative rituals and symbols following collective tragedy. The three values these managers represent are community (these managers symbolising the shared identity of the club, team and fans), honour (associated with the team’s success), and leadership (being seen as ambassadors for the team’s players and followers). This is reflected in the current theme song ‘The Fields of Anfield Road’, the words of which pay tribute to these three symbolic figures during regular ritualistic renditions at matches. This words of this anthem are included in the Appendix at the end of this paper. 5.1. Bill Shankly, Manager 1959–1974

Bill Shankly took charge of Liverpool when they were bottom of the Second Division but soon established them as one of the major forces in the English game. During his fifteen years at the club they won three league championships, two FA Cups and the UEFA Cup, before his surprise retirement after winning the 1974 FA Cup Final. Although Liverpool had won five league titles in the first half of the century, before Shankly became manager they had suffered a period of decline in the 1950s. As well as languishing in the Second Division when he took over as manager, the club was suffering from a crumbling stadium, poor training facilities, and a large pool of untalented players. Shankly developed a strong relationship with fans and became very much identified with the community. Due to his working class background, he had a strong feeling for how the fans followed the team and wanted them to perform. He felt he was letting the fans down when the team did not do well. After his retirement he said: ‘I was only in the game for the love of football – and I wanted to bring back happiness to the people of Liverpool’.10 Evidence for this strong affiliation with the fan community included his reputation for personally 10

LFCTV Online, 2010a.

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replying to letters from fans that arrived at the training ground (Melwood), telephoning supporters at home to discuss the previous day’s game, and even providing tickets for fans.11 Chris Bascombe records how one of the most iconic images of Shankly was caught on television in April 1973, when he and the team were showing off the League Championship trophy to the fans in the Kop. A Liverpool scarf which had been thrown at Shankly during a lap of honour was flung to one side by a policeman. Shankly pounced on the scarf and reprimanded him, uttering ‘Don’t do that. This might be someone’s life’. He recognised the sacred status of such totems and their special meaning for the team’s followers. Shankly’s special status among the fans and the community was highlighted by reactions to first news of his resignation. Distraught fans jammed the club’s switchboard and at least one local factory’s workers threatened to go on strike unless their hero returned. A number of famous quotes were attributed to Shankly and remain part of his iconic image and status. An interview on a television chat-show in 1981 produced arguably Shankly’s most famous (and most often misquoted) quote: ‘Someone said to me “To you football is a matter of life or death!” and I said “Listen, it’s more important than that”. According to the official Club website, what he actually said was ‘Some people believe football is a matter of life and death, I am very disappointed with that attitude. I can assure you it is much, much more important than that’.12

In another quote, reflecting the sense of community, honour and leadership which remains part of his legacy, Shankly said: ‘The socialism I believe in is not really politics. It is a way of living. It is humanity. I believe the only way to live and to be truly successful is by collective effort, with everyone working for each other, everyone helping each other, and everyone having a share of the rewards at the end of the day. That might be asking a lot, but it’s the way I see football and the way I see life’.13

The legacy of Bill Shankly lives on in the memories and commemorative symbols associated with Liverpool FC. After he died suddenly in 1981, in the first game at Anfield following his funeral a huge banner was unfurled on the Kop which read ‘Shankly Lives Forever’. On 18 December 1999 the fortieth anniversary of Shankly’s arrival at Anfield was celebrated at the Club. The Club’s website records how nearly the whole of the 1965 and 1974 FA Cup winning teams came together to view the exhibition commemorating Shankly and then paraded onto the pitch, where they stood in silence as two bagpipers played ‘Amazing Grace.’ 12,000 voices on the Kop gently sang the word ‘Shankly’ to the tune as they held up a mosaic bearing his face and the Saltire. The version of ‘You’ll Never Walk Alone’ that followed 11 12 13

BASCOMBE, Shankly – legend. LFC Online, 2010. KAY, Liverpool FC legend Bill Shankly.

‘The Fields of Anfield Road’

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rivalled any previously heard before.14 On their official website the Club says of him: ‘Bill Shankly is arguably the most famous figure in Liverpool Football Club’s illustrious history. A charismatic man who realised his dream of turning us into English football’s most dominant force, the Scot’s spirit has quite rightly been immortalised in the very foundations of our club. His name is synonymous with the very meaning of the “Liverpool way” and it is his legacy that has seen us go on and conquer Europe on no fewer than five occasions, while monopolising the domestic game for over two decades […] Amidst all this, stood Shankly, a man who had found his spiritual home. He was perfectly in tune with the Kopites, knowing and understanding how they felt about football and the pride a successful team gave them. His love affair with the Liverpool people is best summed up by the great man himself when he declared: “I’m just one of the people on the Kop” […] Certainly Shankly never walked alone and he is revered by all Liverpool supporters. […] His legend will shine bright long into the new Millennium and the Reds will always be grateful to a man who altered our destiny forever.’15

Physical memorials at the ground continue to remember and pay tribute to Bill Shankly, including a large statue outside the Kop and the Shankly Gates bearing the immortal words ‘You’ll never walk alone’. The supporters union ‘Spirit of Shankly’, formed in 2008, also seeks to immortalise the legacy of Shankly and aims to represent the interests of all Liverpool fans, wherever they are from and wherever they are based.16 5.2. Bob Paisley, Manager 1974–1983

The theme song ‘The Fields of Anfield Road’ refers to Bob Paisley, the manager who succeeded Shankly, also leaving the legacy of a ‘great team’ and reflects his phenomenal record of success at national and European level. Paisley’s association with the Club spanned nearly fifty years including his contribution as a player, then as a physiotherapist and coach, and finally as manager. In his nine years as manager, he took Liverpool to six League Titles, three European Cups, one UEFA Cup, three League Cups, five Community Shields and a UEFA Super Cup. In 1999, Liverpool Football Club unveiled a new set of commemorative gates in honour of Bob Paisley in front of the new Kop stand. Prominent in the design of the gates is the European Cup, appearing in three places across the top archway, one for each of Bob’s triumphs in Rome, London and Paris. The gates themselves feature the crests of Bob’s birthplace, Hetton-le-Hole, and the Liver Bird of his ‘adopted’ city of Liverpool. On the brick pillars that flank the gates sit two bronze reliefs, one depicting the man himself and the other detailing the list of honours he brought to Liverpool FC. 14 15 16

LFCTV Online, 2011. LFCTV Online, 2011. Spirit of Shankly, 2011.

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Like Shankly before him, this memorial reflects the sentiment that Paisley has became part of the community of fans, achieved great honour (through the team’s success), and demonstrated exemplary leadership as an ambassador for the team’s players and followers. 5.3. Kenny Dalglish, Manager 1985–1991 and 2011–2012

It was Bob Paisley who brought Kenny Dalglish, the third manager referred to in ‘The Fields of Anfield Road’, to Liverpool in 1977. At £440,000 this was a British record at the time, but certainly a bargain! His initial years at Liverpool marked one of the club’s most successful periods; he won seven league titles, three European Cups and five domestic cups. Not only was Kenny Dalglish one of the most successful strikers in Liverpool’s history, he also became player-manager of Liverpool in 1985 (following the Heysel Stadium Disaster) and brought the team a league and FA Cup double in his first year, beating Merseyside rivals Everton in the process. During his first six-year tenure as manager, Liverpool always finished either first or second in the league. He guided them to three league wins and two FA Cups from 1985– 1991. Dalglish was a Liverpool player at the time of the Heysel Disaster and in charge of the club at the time of the Hillsborough Disaster on 15 April 1989. His leadership, dignity and example in the aftermath of that Disaster won him many admirers. He visited the sick in hospital and with his wife attended more than half of the funerals, many of them children’s and up to four a day. It is said by his daughter that he and his wife became absorbed by the tragedy.17 He is still well-regarded by Liverpool supporters for this reason, as well as for his on-field successes. He returned to Liverpool FC in 2009, playing a role in the youth academy as well as being the club’s ambassador before again resuming the managership of the team in January 201118 An extended version of ‘The Fields of Anfield Road’, especially recorded on the occasion of the twentieth anniversary of the Hillsborough Disaster (fig. 2), refers to the playing ability of ‘King Kenny’, before going on to lament the tragedy at Hillsborough and continuing calls for justice.

17 18

MURFITT, We will never escape the ghosts of that day. At the 2011 Hillsborough Anniversary Service at Anfield the Former Lord Mayor of Liverpool Steve Rotherham MP announced that he would be submitting a request for the Queen to knight the Liverpool manager in recognition of his contribution, including in relation to his role after Hillsborough (BBC, 2011).

‘The Fields of Anfield Road’

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fig. 2: Tributes left at Anfield on the twentieth anniversary of the Hillsborough Disaster.

6. From Triumph to Disaster: The Tragedies of Heysel and Hillsborough So far this paper has explored the background for understanding the nature and impact of the two tragedies at Heysel and Hillsborough which unfolded in the mid to late 1980s. The ways in which these mass fatality events were marked, commemorated and memorialised in the city has reflected the religious, political and social context of Liverpool at that time and since. These events and their legacy have since become incorporated into the symbolism, memorabilia, and identity of Liverpool football club and its fan base today. 6.1. The Heysel Stadium Disaster, 1985

Two momentous events occurred in May 1985 which would have a lasting effect on the Churches and the city. During Pentecost the Church Leaders of various denominations issued a Call to Partnership to their members who then joined together on 25 May to formally initiate the Merseyside and Region Churches Ecumenical Assembly (MARCEA), now called Churches Together in the Merseyside Region. This historic agreement, which formalised a commitment that the Churches would work together wherever possible, cemented the leadership role of the two bishops, Worlock and Sheppard and the public participation in its initiation reflected the high profile of the Christian churches across the community in Liverpool. Four days later, on 29 May 1985, people

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would once again flock to the churches, but this time in grief rather than in celebration – to mark the Heysel Stadium tragedy. Again the church leaders would play a prominent role in marking the event. The disaster occurred during the 1985 European Cup Final between Liverpool and Juventus at the Heysel Stadium in Brussels. As a result of rioting before the match started, a masonry wall collapsed under the pressure of escaping fans. Thirty-nine people died, thirty-two of them Juventus fans, and at least 600 more people were injured. This was a tragedy not only for those directly affected, but also the wider communities of those associated with Juventus and Liverpool. It also had wider implications for the community of football more generally and for English teams in particular, most notably those directly affected by the indefinite ban imposed by UEFA on English Clubs playing in European competitions (the ban was eventually lifted in the 1990/91 season). The focus for this paper is Liverpool where the impact of this disaster on the community at the time was very great. Professor Rogan Taylor of the University of Liverpool, for example, suggests that part of the reason for this was the way in which football, and Liverpool’s status in Europe, was so high in contrast to so much of the economic depression in the city. In an interview reflecting on the disaster twenty-five years after the event, he said: ‘The impact on the city at the time [...] the city was devastated. It came at a very bad time for the city’. At a time of great economic hardship, he added, ‘football was the one field of excellence in which this city still flew a flag and we’d been punched right in the middle of it’.19 6.2. A Memorial Service for Heysel

The churches became an important focus for the expression of grief and shock within the city. At Liverpool’s Anglican Cathedral the Great George Bell, usually only tolled after a monarch has died, rang out. Sociologist of religion, Grace Davie, commented: ‘It is natural that religious feelings come to the fore in a tragedy such as this but once again [four days after the MARCEA agreement] the two cathedrals were filled with thousands of ordinary people trying to give expression to the sadness the city felt [...] It was indeed to the churches that the city looked to help them through their crisis.’20

A commemorative Mass for the victims at the city’s Catholic Cathedral was attended by over two thousand people. Archbishop Worlock expressed the city’s sorrow and added: ‘I am confident that, without waiting for the formal results of the official inquiry, we in this city, who are used to standing together in adversity and celebration, in

19 20

TAYLOR, The Impact of Heysel. DAVIE, A sense of religion in Liverpool, 5.

‘The Fields of Anfield Road’

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grief and in joy, would wish to acknowledge before God whatever collective guilt may properly be ours for the tragedy caused to so many’.21

The Archbishop called for people to stand together, both in the condemnation of hooliganism and in giving renewed meaning to the city’s pride. Readings at the Mass were delivered by Liverpool’s former manager Bob Paisley, Everton’s manager Howard Kendall, and representatives of the Liverpool players. Observing this role of the churches in enabling commemorative expression in Liverpool following the tragedy, the religious affairs correspondent of ‘The Times’ newspaper wrote: ‘This being the one English city where a sense of religion is still widespread among ordinary people, including the people who make up the average football crowd, the churches have not had to force their way into public attention. Their role has emerged naturally’.22

Messages of sympathy to Brussels and both the Anglican and Catholic bishops of Liverpool were in the party that went to Turin to offer sympathy to the city and to take part in commemorative services. They received the following message from the Archbishop of Turin, Juventus’ home town: ‘The city and diocese of Turin are united with the families of the dead and injured in compassion for the division, bitterness and pain caused by the terrible events in Brussels. We pray with you that brotherhood and solidarity will prevail amongst the peoples and will overcome all else’.23

However, unlike after the Hillsborough Disaster which would occur four years later, the Heysel tragedy would not continue to be marked annually in Liverpool. There might be a number of obvious reasons for this, including the facts that none of those who died were Liverpool fans, the majority were Juventus followers, the incident was hooligan-related and the prosecution process took some time (a number of Liverpool fans were prosecuted for manslaughter). Also it was quite likely overshadowed by the Hillsborough tragedy and the social, legal and political aftermath of that disaster in Liverpool. Nonetheless, there was some resentment about the lack of official remembrance at Liverpool among some Juventus fans, as became clear in comments on internet chatrooms relating to the twenty-fifth anniversaries and during the 2005 Champions League game discussed below. 6.3. Official Commemorations at Anfield

On 29 May 2000, the fifteenth anniversary of the Heysel Disaster, the city of Liverpool for the first time officially commemorated the victims of the disaster in Belgium. At midday, bells in the city’s municipal buildings pealed thirty-nine 21 22 23

SWIFT, A City asks for forgiveness, 1. DAVIE, A sense of religion in Liverpool, 1. SWIFT, A City asks for forgiveness, 1.

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times in memory of the thirty nine people who died and a plaque was unveiled next to a memorial for the ninety-six Liverpool fans who died in the Hillsborough tragedy. In 2005 Juventus and Liverpool were drawn together in the quarter-finals of the Champions League. It was twenty years since Heysel and the first time the clubs had faced each other since that time. Before the first leg at Anfield Liverpool fans held up placards to form a banner saying ‘amicizia’ (meaning ‘friendship’ in Italian). Many Juventus fans applauded the gesture, though a significant number chose to turn their backs on it.24 Many refused to accept the offer of friendship, citing the twenty year gap between the tragedy and commemoration. In May 2010, on the occasion of the twenty-fifth anniversary, a second permanent plaque was unveiled on the Centenary Stand at Anfield, with a special service to honour the Juventus fans who died. This plaque is one of two permanent memorials to the Heysel Disaster now to be found at Anfield. It was unveiled by the ex-Juventus player Sergio Brio and Phil Neal, the Liverpool team captain at the time of the disaster. Addressing representatives at the ceremony from the two cities and clubs affected by the disaster, Bill Bygroves, Chaplain to Liverpool Football Club said: ‘We cannot change our history or dry up all the tears. We cannot solve the mysteries still unanswered down these years. But we can for all our children’s sake and for the thirty-nine build a monument of friendship that will stand the test of time. It is estimated that the average person can live forty days without food, five days without water, and eight minutes without air but only one second without hope. The anthem of this club is “walk on with hope in your heart”. We would ask you to express to those who continue to walk many miles with sorrow that they should walk on with hope in their hearts. And from this club to your club, to our friends in Italy, please say you do not stand alone, you do not grieve alone and you do not walk alone’.25

In calling for the memory of those who died never to be forgotten, Sergio Brio added: ‘Memory is the only certainty we have that a tragedy like this will not happen again’.26 The extent of the ritual memorialisation following Heysel by Liverpool FC and its fans contrasts strongly with that after the Hillsborough Disaster. While both illustrate the importance of ritual and remembrance, the way in which the disaster at Hillsborough continues to be marked and assimilated into the club’s history and community culture has been influenced not only by the event itself and its consequences but the unique religious, social and political context of the city of Liverpool. 24 25 26

BBC Sport, 2005. LFCTV Online, 2010b. LFCTV Online, 2010b.

‘The Fields of Anfield Road’

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6.4. The Hillsborough Disaster, 1989

The Hillsborough Disaster occurred at the FA Cup semi-final between Liverpool and Nottingham Forest held at the Hillsborough Stadium, Sheffield on April 15 1989. The match was stopped after six minutes, at 3.06pm, when it became clear there were problems in the crowd at the Leppings Lane end of the ground where the majority of Liverpool fans were. Due to a failure in organising stewarding and crowd control, thousands of Liverpool fans were admitted on to the terraces by the police and ended up in the already full central pens. In the ensuing crush, many people were unable to breathe. Many of those who did escape did so by climbing out over the front and back of the pens, often aided by other fans. It was a traumatic incident to experience and witness, either directly or indirectly. Because this was an FA Cup semi final the match was being broadcast live nationally. The ripple effect of the disaster was extensive, not least because many witnessed the emerging scenes on television.27 Ninety-six people were killed in the disaster, the last being Tony Bland whose life support machine was finally switched off in 1993 after a landmark High Court judgement the year before.28 Most of the victims were under thirty years of age; the youngest was just ten years old. 6.5. The Official Investigation and Further Legal Proceedings

The official investigation and report of the public inquiry into the disaster found that an unsatisfactory safety certificate for the ground, the ground layout, poor signposting and methods for monitoring the number of people in each of the pens on the terraces were contributory factors, but the main reason for the disaster was the failure of police control.29 The slow response of the police in realising what was happening and summoning the emergency response was also criticised by Lord Justice Taylor in the public inquiry. Despite this finding, the Director of Public Prosecution ruled there was insufficient evidence to bring charges against any individual or corporate body. The police officer in charge on the day, Chief Superintendent David Duckenfield, whose actions on the day were strongly criticised during the public inquiry, was allowed to resign on health grounds. This meant police disciplinary actions against him and another senior officer, Bernard Murray, could not be concluded. The suspended charges included neglect of duty and discreditable conduct. The causes and initial investigations into the disaster are important to mention here since both became significant in the political and ritual aftermath of this 27

28 29

A summary of the facts behind the disaster is available on Youtube: . – Film makers advise that the video contains some images that some people might find distressing, adding they are particularly keen that survivors be aware that scenes of the crowds in the pens might trigger flashbacks. Personal discretion is advised. BBC News, 1992. TAYLOR, Interim Report.

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disaster and indeed for many people remain still unfinished business today. In particular the coroner ordered that any evidence after 3.15pm would be ruled inadmissible at the inquest, the purpose of which was to establish the cause of death of each of the victims. This was a highly contentious decision since the official report and witness accounts suggested people were still alive after that point and might have been saved if the emergency response had been more effective. Consequently no official inquiry has ever been held into the nature or lack of emergency response after 3.15pm on that day. Despite a new ‘scrutiny of evidence’ in 1997, where witness statements were found to have been edited, and subsequent evidence that police statements were altered, no further public inquiry or re-inquests were opened. Furthermore, private prosecutions against Duckenfield and Murray in 1998 failed. Consequently the continuing feeling of injustice for many of those directly affected by the disaster relates to the fact that no one has been successfully convicted for their actions before, during or after the disaster. For many the prevailing sense of injustice has not diminished but grown in the years after the disaster as further legal avenues were exhausted one by one, and calls for justice has become a theme increasingly reflected in anniversary services. 6.6. The Immediate Aftermath of Hillsborough: Grief and Mourning

But before all of this, in the first few days and weeks after the disaster, the sense of shock, trauma and bereavement was expressed collectively not only in Liverpool but nationally and even internationally through a range of grief and mourning rituals. Sociologists who have described and analysed these mourning rituals emphasise the way it was difficult to distinguish formal from informal rituals, and to separate the links between the civic, religious and footballing aspects:30 ‘These categories will mislead if the reader is not aware of how religious, civic and footballing rituals were intertwined […] It is this totally uncontentious blurring of politics, religion and sport, this interweaving of private, communal and public, that makes what happened on Merseyside in that fortnight so remarkable’.31

And Grace Davie added: ‘The different facets of Liverpool’s life were, as ever, difficult to disentangle. Informal merged into formal as conventional boundaries – those dividing religion from sport for example – were crossed and re-crossed all the time’.32

30 31 32

EYRE, After Hillsborough; WALTER, The Mourning after Hillsborough; DAVIE, ‘You’ll Never Walk Alone’. WALTER, The Mourning after Hillsborough, 608–609. DAVIE, ‘You’ll Never Walk Alone’, 203.

‘The Fields of Anfield Road’

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6.7. Requiem Mass, Sunday 16 April

At 3.20pm on Saturday 15 April, as the disaster unfolded on his television screen, Archbishop Worlock rang his press officer. Walter describes how ‘They kept in phone contact, and by 5pm had decided to hold a requiem Mass, along the lines of the one they organised four years earlier after the Heysel Disaster. The press officer checked with other local church leaders that this would not be seen as the Catholics stealing the show, got full co-operation, and proceeded to write the service’.33

The author remembers getting off the train that Sunday afternoon on the way back from all that had happened in Sheffield and walking the ten minute journey up the hill and straight to the Catholic cathedral. As for over eight thousand other people in Liverpool this was a natural focal point for the expression of personal and community grief. In response to the numbers arriving at the cathedral, which much exceeded the building’s capacity, two main services were held – one inside and a makeshift one on the piazza outside. Walter describes how inside the cathedral, a large red Liverpool FC banner (made the night before by a nun on the Cathedral staff) hung by the altar: ‘Before the Mass began, one lad haltingly darted to the front and laid an item of football regalia at the foot of the banner; one or two others followed. At the end of the service, there was a large queue to lay regalia at the altar. One lad left his shirt there and went home bare-chested. Outside, without any knowledge of what was going on inside, the same was happening’.34

Similar exhibitions would appear across the city at the various churches over the following days. A significant role was played by players and other club representatives during this formal service. It was a remarkable feat to organise this at such short notice after such a significant and traumatic set of events had taken place during the previous twenty-four hours. Despite this the players actively participated during the Offertory part of the Mass and delivered readings at the service which was presided over by leaders representing the different denominations. 6.8. The Anfield Pilgrimage

Also important as a focal point for grief and mourning was Anfield, Liverpool’s home ground. Many people spontaneously and independently began to make their way there on the Sunday morning. The following extract is from an ethnographic piece written by the author in the weeks after the disaster, having both observed and participated in the pilgrimage: ‘Large crowds had already gathered outside the ground when club officials opened the gates at noon on Sunday and began admitting people. By 5 o’clock 33 34

WALTER, The Mourning after Hillsborough, 616. WALTER, The Mourning after Hillsborough, 616.

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the Kop end of the ground, where home supporters always stand, had become a shrine bedecked with flowers. The visitors [over a million of them, that was twice the population of the City] continued to arrive from all over the country over the next seven days of official mourning, queuing for miles and hours in silent solemnity. The field of flowers gradually grew towards the centre of the pitch, while the concrete steps behind the goal were transformed into a carpet of scarves, pictures and personal messages. Scarves were also hung on the metal barriers, many of which became dedicated to the fans who stood behind them week after week. Schoolfriends penned the names of their lost classmates on the walls outside and inside the stadium. These informal messages expressed personal and communal grief as much, if not more than, any of the official ceremonies could have. For many people visiting Anfield – Liverpool’s home ground – brought their grief to the surface. If any of the events and feelings had been allowed to be numbed, visiting Anfield made it real. It was almost absurd to see young men sad, sombre and in tears at a place usually associated with joy and victory, a place where the worries of the week are routinely set aside. In that week even going to Anfield was painful’.35

The local press described Anfield as the ‘third cathedral’ in Liverpool during that week, an additional – but not an alternative – place of worship in Liverpool.36 Even the local Catholic paper referred to ‘the Anfield Cathedral with its two acre liturgically green sanctuary and the Kop alter’, with the ‘pilgrims’ entering the main door of the Cathedral through the Bill Shankly gates.37 6.9. The ‘Anfield Cathedral’ and the ‘Holy Trinity’

The Memorial edition of the local secular paper – the ‘Liverpool Echo’ – depicted Bishop Sheppard, Catholic Archbishop Worlock and Liverpool’s Manager Dalglish, a ‘holy trinity’ of leaders guiding the City through their loss. As mentioned earlier, the fans would never forget the role Dalglish and his wife, as well as the players, played in supporting families directly at funerals. Other charismatic leaders associated with the club were invoked to help reinforce the sense of solidarity and community support at this time. An article in the ‘Liverpool Echo’ three days after the disaster referred to the ‘spirit of Merseyside’ and how Bill Shankly, a ‘caring sharing’ manager represented the spirit of fans uniting together to overcome their suffering and pain rather than walking alone.38 There were many other examples of this rich, community-led integration of religious, civic and football symbols and rituals combining to function for the expression of grief and community support during and at the end of that period of official mourning. They included: the mile of scarves linking Liverpool and 35 36 37 38

EYRE, After Hillsborough, 5. DAVIE, ‘You’ll Never Walk Alone’, 206. Catholic Pictorial, 23 April 1989. HARGRAVES, Why they will never walk alone, 40.

‘The Fields of Anfield Road’

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Everton fans, wrapped round the Kop and tied together at 3.06pm a week to the day of the Disaster; the minute silences in memory of the dead observed across the cities of Liverpool, Nottingham and Sheffield; and the official memorial service at the Anglican cathedral bringing together local and national church, civic and political leaders, alongside Liverpool and Everton players and managers. 6.10. Returning to Football: Negotiating ‘Normality’

But at the end of two weeks the atmosphere in Liverpool changed. Stewards began to clear away the flowers, marking the end of the official period of mourning. The official investigations began, paving the way for the political processes of the public inquiry and inquest, and people attempted to get back to some kind of ‘normality’ – though for very many still affected by the disaster life would never be quite the same again. The relationship between the rituals of football, grief and mourning were played out in a debate about when the Liverpool team should start playing matches again and, specifically, whether or not they should complete the abandoned FA Cup match and the tournament. The initial reaction of the players and officials at Anfield was that that year’s competition should be cancelled, but the FA decide the competition would go on, and so the club had to decide whether unilaterally to withdraw.39 Club officials met several times to decide whether to go on and repeatedly deferred the decisions. In this sense the return to ‘normality’ and what that should mean was being deliberated, discussed and negotiated. Eventually the local paper organised a referendum of public opinion which reflected the strong opinion that the team should resume in the competition. They did, and went on to win the Cup in an emotional Cup Final at Wembley against local rivals Everton. The atmosphere at that Cup Final was most extraordinary though, and was symptomatic of how it felt in the City throughout the ‘celebratory’ parade the following week. There was an almost bewildering dissonance of deep joy at winning the Cup contrasting with a continuing sense of shock and grief. Playing, winning and supporting each other at each match was about more than football at that time and locals talked about doing it for those who died and were injured. It certainly felt as if the wounded community of fans needed football and the ritual of winning to bring them through that dark period. Experience shows that in communities affected by disasters behaviour and relationships return to normal over time, albeit to a ‘new normal’ that may be interrupted by a temporary ‘honeymoon’ phase of social solidarity and community cohesion along the way.40 This was certainly so in terms of the relationships between Reds and Blues in the City, the continuing floral tributes left throughout the city with messages from Everton fans and the atmosphere amongst the crowds at the final derby game between Liverpool and Everton that season. 39 40

WALTER, The Mourning after Hillsborough, 603. ZUNIN/MYERS, Stress Management Programme.

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Liverpool’s first league game back after the disaster was against traditional rivals Everton on May 3, at Everton’s ground, again a powerfully emotional encounter. The matchday programme reflected united support and a banner held up at the Liverpool end of the ground was used to thank the other side of Merseyside for the support shown in the aftermath of the disaster. It stated ‘The Kop thanks you all. We never walked alone’. 6.11. Hillsborough Anniversaries and Memorials

Over the months and years following the disaster commemorative rituals and services at significant times such as anniversaries and key stages of the FA Cup competition have allowed for the continuing expression of grief and to commemorate those who died at Hillsborough. A number of permanent memorials have also been erected in commemoration of the incident, as a tribute to the ninety-six and for the countless people whose lives were changed forever on 15. April 1989. The latter sentiment is expressed on the memorial stone outside Sheffield Wednesday’s ground at Hillsborough (fig. 3). Meanwhile the eternal flame memorial at Anfield, next to the Shankly gates, is dedicated to those who died and the eternal flame emblem has been included the redesigned club insignia which is worn on players’ shirts and appears on official merchandise.

fig. 3: Hillsborough Memorial outside Sheffield Wednesday Football Club.

Every year there continues to be a gathering for a memorial service at Anfield. The attendance at anniversaries naturally lessened over the years though particular anniversaries (such as the fifth, tenth and twentieth) have attracted

‘The Fields of Anfield Road’

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large numbers and greater media interest. Indeed, in the last couple of years since the twentieth anniversary, numbers have risen such that (free) tickets for the event are issued in advance. The services are attended by the players and club officials as well as families and fans. In the early days attendees tended to have a direct connection with event, either as players and other staff from the day, close family members and survivors. Today the service attracts second generation family members and fans, including those who were not even born at the time of the disaster, a fact which reflects today’s trans-generational significance of this community event and the political and social significance of its memorialisation. The anniversary programmes show the continuing link between the churches and memorial rites and rituals. A local Gospel choir usually leads the singing of hymns at the services which also include prayers by more traditional denominational leaders from the local Catholic, Anglican and Methodist churches. 6.12. The Politics of Commemoration

In February 2009 Liverpool FC asked European football’s governing body, UEFA, to ensure the club would not have to play a possible Champions League quarter-final on 15 April, the twentieth anniversary of Hillsborough. On the day itself around twenty-five thousand people attended the service at Anfield which received unusually high profile media coverage. In the hours before the service, the powerful images of thousands of people silently queuing at ground were poignantly resonant of the atmosphere of respectful solemnity that had been there in 1989. Even the next generation of family members and fans appreciated, captured and reinforced the awe and respect of the occasion. The service itself, along with speeches by members of the Hillsborough Family Support Group and representatives of the church and government, reflected the strong sentiment that these meetings, rites, symbols and rituals associated with the disaster continue to be about much more than just remembering those who died. During the Service Andy Burnham, the Secretary for Culture, Media and Sport, made a speech in which he referred to the Government’s response to the tragedy and called for a ‘full disclosure’ of all evidence relating to the disaster. He stated ‘If there is further information held by public bodies relevant to the tragedy that has not yet been published then it should be [...] I believe now the public interest lies very clearly in full disclosure of all such information, so that the families and others can make their judgement on all the facts”.41

At the service Trevor Hicks, the former chairman of the Families Support Group, vowed the fight for justice would continue, adding: ‘Still together, still determined, still resolved as ever that the truth will defeat the lies and propaganda.’42 41 42

BBC News, 2009. BBC News, 2009. – At the time of writing the twenty-second anniversary service had just taken place at Anfield. To this day the remembrance and commemoration remains

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Consequently, in December 2009 the ‘Hillsborough Independent Panel’ was appointed by the then Home Secretary. The panel, which is chaired by the Bishop of Liverpool, has three principal tasks: – to oversee the disclosure of the documents to the maximum possible degree, initially to the families; – to report on its work, outlining the ways in which information disclosed adds to the public understanding of the tragedy; and – to make recommendations as to a permanent Hillsborough archive. The panel is expected to complete its work by 2012.43 6.13. Recovery, Remembrance and Justice

Judith Herman, professor and trauma specialist at Harvard Medical School, has highlighted the importance of understanding the political, legal and social context in relation to recovery from traumatic events. She highlights the fundamental need for victims to be heard and the importance of the truth about traumatic events being heard and acknowledged in order for recovery to take place: ‘Recovery requires remembrance and mourning …. Restoring a sense of social community requires a public forum where victims can speak their truth and their suffering can be formally acknowledged’. 44

She suggests that if there is no hope of justice, the helpless rage of victimised groups can fester, impervious to the passage of time, and refers to the role of people in communities achieving recovery together: ‘I don’t think patients, survivors, victimized people can recover in isolation. They need other people and they need to take action in affiliation with others’. The antidote to the abuse of power, she stated, is the solidarity of resistance; ‘nobody can do that alone’.45 This kind of analysis helps to make sense of the memorial culture that perpetuates in relation to the Hillsborough disaster. Continuing commemorative acts and rituals associated with the disaster are not just about remembering what happened and those who died. Ongoing commemoration remains integrally bound up with the continuing search for truth and justice. Over the years, although the form and focus of commemorative and political activities has been negotiated among different stakeholders (including for example differing interest groups and perspectives among and between various bereaved families and survivors), some consensus has been achieved in the collective focus on the work and outcomes of the ‘Independent Panel’ as the basis for truth, hope and justice. It remains to be seen whether the panel and other bodies of law and government will deliver on such high expectation.

43 44 45

very much a political process too. The prospect of overcoming the shortfalls of the original inquest, other investigations and the cover-ups regarding police statements, keeps alive the calls for justice. Anon., Independent panel. HERMAN, Trauma, 242. KRIESLER/HERMAN, Psychological Insight, 3.

‘The Fields of Anfield Road’

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7. Remembering: The Future Although the particular historical, political and social context for understanding the memorial and sepulchral culture of Liverpool FC is unique, the importance of remembrance for a club and its links with followers’ sense of identity, meaning and community (past, present and future) is not. Nor are these phenomena peculiar to football and to the commemorative rituals and symbols associated with the Heysel and Hillsborough Disasters. As this author has argued elsewhere46, the trend in future-focussed commemorative activities following tragedies involving mass death is likely to persist: ‘Today bereaved families and disaster action groups use windows of opportunity provided by public interest in inquests, investigations and anniversaries to attract media interest and government attention to their plight, interests and causes. Survivors create their own websites to assist them in telling their stories, uniting with others who have been through similar experiences and thereby taking control of their own recovery. More broadly there may be societal implications in terms of the potential for family support and victim-led action groups to use their experiences to campaign for changes to those conditions of society which might generate, prevent or mitigate the effects of disasters’.47

As football clubs – owners, managers and players – continue to change, so do the communities of their fans and the socio-political environments they inhabit, influence and reflect. While the means of capturing and marking history, memory and identity will continue to evolve in the face of new technologies, the role and importance of remembering will persist because it reflects the central place of people, places and events at the heart of football. 8. Appendix: ‘Fields of Anfield Road’ Below are the words of the special reworked version of a Kop anthem released to mark the twentieth anniversary of the Hillsborough Disaster (fig. 4). This version was recorded by former Liverpool FC players and members of the Hillsborough Families Support Group. ‘The Fields of Anfield Road’, inspired by an Irish folk ballad Fields of Athenry, has been reworked by the Anfield faithful over the years. The words in this version reflect the integration of key themes discussed in this paper relating to the club’s origins, its history and its record of achievement. The anthem refers to the club’s greatest successes and its greatest tragedy. It exalts its leaders, and above all reflects its strong sense of community and identity. ‘Outside the Shankly Gates I heard a Kopite calling Shankly, they have taken you away 46 47

EYRE, Remembering. EYRE, Remembering, 455.

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196 But you left the great eleven just before you went to heaven The Redmen are still playing the same way All round the fields of Anfield Road Where once we watched the King Kenny play Stevie Heighway on the wing We had dreams and songs to sing Of the glory, round the Fields of Anfield Road Outside the Paisley Gates I heard a Kopite calling Paisley, they have taken you away But you left the great eleven back in Rome in 77 And the Redmen are still playing the same way All round the fields of Anfield Road Where once we watched the King Kenny play (and could he play!) Stevie Heighway on the wing We had dreams and songs to sing Of the glory, round the Fields of Anfield Road Outside the Hillsborough flame I saw a young boy mourning Why were so many taken on that day? Justice has never been done but their memories still carry on There’ll be glory round the Fields of Anfield Road’48

fig. 4: Tributes left at Anfield on the twentieth anniversary of the Hillsborough Disaster. 48

Fields of Anfield Road by James Walsh: .

‘The Fields of Anfield Road’

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Anne Eyre

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