Mikropolitiken des Friedens: Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im 18. Jahrhundert 9783110402308, 9783110402162, 9783110402384

The study investigates how the semantics of peace functioned in domestic conflicts between 1760 and 1810. The analysis o

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German Pages 385 [388] Year 2015

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte
1.1 Hausfrieden, Haus, Frieden: Eine disparate Forschungslandschaft
1.1.1 Hausfrieden
1.1.2 Haus
1.1.3 Frieden
1.2 Theoretisch-methodische Skizzen
1.2.1 Frieden: Diskurse, Semantiken, Wissen
1.2.2 Haus: Institution, Normen, Ordnungen
1.2.3 Mikropolitik: Praktiken, Strategien, Subjektivierungen
1.2.4 Auau der Arbeit und Vorgehensweise
1.3 Quellen und ihre kommunikative Einbettung
2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert
2.1 Theologische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert
2.1.1 Spätantike und mittelalterliche Voraussetzungen
2.1.2 Hausdiskurse im 16. und 17. Jahrhundert
2.1.3 Fazit: Hausfrieden als gelebte Ordnung
2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert
2.2.1 Grundlagen im römischen und mittelalterlichen Recht
2.2.2 Hausfrieden im Ius Commune und im Strafrecht
2.2.3 Hausfrieden in der Diskussion: 1674–1721
2.2.4 Fazit: Hausfrieden als Rechtssicherheit
2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert
2.3.1 Religiöse Literatur
2.3.2 Hausfrieden in politischer Ökonomie und Kameralistik
2.3.3 Journale und Moralische Wochenschriften
2.3.4 Fazit: Die „Verhäuslichung“ des Hausfriedens
2.4 Häuslicher Friede = Hausfriede? Diskurssemantiken
3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln
3.1 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen
3.1.1 Normen häuslichen Lebens
3.1.2 Institutionen der Rechtsprechung
3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume
3.2.1 Akteure und Räume
3.2.2 Quantitative Aspekte
3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder
3.3.1 Ehe
3.3.2 Familie
3.3.3 Dienstverhältnis
3.3.4 Nachbarn
3.3.5 Fazit: Hausfriedensbruch oder Unfrieden?
3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien
3.4.1 Herausforderung hausväterlicher Autorität
3.4.2 Männliche Hierarchien im generationellen Übergang
3.4.3 Weibliche Hierarchien im generationellen Übergang
3.4.4 Friedewahrung und nachbarliche fama
3.4.5 Häuslicher Unfrieden als Störung der öentlichen Ruhe
3.4.6 Fazit: Friedewahrung als Problem der Grenzziehung
3.5 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen
3.5.1 Interventionen aus dem Haus heraus
3.5.2 Interventionen in das Haus hinein
3.5.3 Kirchliche Vermittlungsansätze
3.5.4 Gerichtliche Entscheidungen und Sanktionen
3.5.5 Friedewahrung als Politik auf der Mikroebene
4 Hausfrieden als Mikropolitik. Zusammenfassung und einordnende Überlegungen
Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen
Abbildungsverzeichnis
Tabellen
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenverzeichnis
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Mikropolitiken des Friedens: Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im 18. Jahrhundert
 9783110402308, 9783110402162, 9783110402384

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Inken Schmidt-Voges Mikropolitiken des Friedens

bibliothek altes Reich

|

Herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal

Band 18

Inken Schmidt-Voges

Mikropolitiken des Friedens | Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im 18. Jahrhundert

Gedruckt mit Unterstützung der Oestreich-Stiftung, Rostock

ISBN 978-3-11-040216-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040230-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040238-4 ISSN 2190-2038 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Daniel Chodowiecki, „Hausfreuden“, Illustration zu Carl Lang, Almanach und Taschenbuch für häusliche und gesellschaftliche Freuden, Heidelberg 1798. © Trustees of the British Museum. Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

| Meinem „Haus“ gewidmet Eddie Ari und Ole

Vorwort It is not enough to talk about peace. One must believe in it. It is not enough to believe in peace. One must work on it. Eleanor Roosevelt, 1951

Was Eleanor Roosevelt als Maxime für die praktische Politik der internationalen Ordnung im 20. Jahrhundert ausgab, galt bereits für die politischen Akteure in frühneuzeitlichen Außenbeziehungen und – wie dieses Buch zeigen wird – auch für innergesellschaftliche Ordnungsprozesse und soziale Interaktionen bis hinunter zum ‚Haus‘. Mutatis mutandis beschreibt es aber auch die Herausforderungen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit historischen Friedensphänomenen. Die hohe Normativität des Begriffs und die Komplexität der damit verbundenen Wertvorstellungen, Diskurse und Bezugsebenen machen die notwendige, konsequente Historisierung und Kontextualisierung in die unvertraute Welt des 18. Jahrhunderts zu einer besonderen Aufgabe, die nur im steten Austausch mit anderen gelingen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwei Forschungsfelder miteinander verknüpft werden, die bisher in keinerlei Beziehung zueinander zu stehen schienen. Ich möchte darum an dieser Stelle denjenigen meinen Dank aussprechen, die mit ihren Anregungen, Kommentare, Kritik und Nachfragen dazu beigetragen haben, dass meine Studien zum Hausfrieden im 18. Jahrhundert, die im Herbst 2011 als Habilitationsschrift an der Universität Osnabrück angenommen wurden, nun als Buch vorliegen – wobei die Drucklegung eher als erste Station und nicht als Endpunkt gelten sollte. Zu allererst gilt mein Dank Siegrid Westphal (Osnabrück), die mir als ihre Wissenschaftliche Mitarbeiterin die Möglichkeit zur Habilitation und zur intensiven Arbeit am Hausfriedensthema eröffnet hat. Die zahlreichen Gespräche und Diskussionen zu Vorentwürfen und einzelnen Kapiteln waren immer konstruktiv und inspirierend, wie auch die gemeinsame Arbeit an anderen Projekten zur frühneuzeitlichen Friedensforschung im Kontext des Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück. Auch über die unmittelbaren Arbeitszusammenhänge hinaus hat sie mich vorbehaltlos darin unterstützt, meine wissenschaftlichen Ideen und Projekte in ganz unterschiedlichen Kontexten zu verfolgen und umzusetzen. Zudem gebührt ihr zusammen mit den beiden anderen ReihenherausgeberInnen Anette Baumann (Gießen) und Stefan Wendehorst (Gießen/Wien) Dank für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „bibliothek altes Reich“ im Verlag De Gruyter Oldenbourg.

VIII | Vorwort Unschätzbar war die Unterstützung, Hilfe und Anregung jener Institutionen, deren Bedeutung für die wissenschaftliche Arbeit meist viel zu wenig gewürdigt wird. Die MitarbeiterInnen des Niedersächsischen Landesarchivs Standort Osnabrück haben immer mit großem Interesse und vielen eigenen Ideen meine Suche nach Aktenspuren des Hausfriedens gefördert und unterstützt. Ihnen allen, insbesondere aber Nicolas Rügge, Stephanie Haberer, Birgit Kehne und Sonja Wahlbrink sei an dieser Stelle ein sehr herzlicher Dank für die vielen Jahre des gemeinsamen Aktenstöberns gesagt. Ohne die Hilfe der kundigen und findigen Bibliothekare wären viele kleine, aber wichtige Drucke unentdeckt geblieben. Insbesondere die MitarbeiterInnen der Universitätsbibliothek Osnabrück, der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel, dem Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte sowie den Universitätsbibliotheken Göttingen und Halle sei für die engagierte Versorgung mit und Bereitstellung von Drucken und Digitalisaten gedankt. So wichtig und elementar die Materialsammlung und -zusammenstellung ist, so unerlässlich ist der Austausch mit KollegInnen über die Einordnung und Interpretation der Überlegungen, Ideen und Ergebnisse. Neben zahlreichen Tagungsbeiträgen waren vor allem die Vorstellungen in Kolloquien sehr fruchtbar. Dazu eingeladen worden zu sein, danke ich Stefan Brakensiek (Duisburg/Essen), Anne-Charlott Trepp (Bochum), Rebekka Habermas, Marian Füssel und Manfred Jakubowski-Tiessen (alle Göttingen), Horst Carl und Anette Baumann (Gießen), Luise Schorn-Schütte (Frankfurt), Maria Ågren und Karin Hassan Jansson (Uppsala) sowie Michael Hecht und Elisabeth Timm (Münster). Gleichermaßen fruchtbar für die Entwicklung der zentralen Ideen waren auch die Jahrestagungen des Arbeitskreises „Haus im Kontext. Lebenswelt und Kommunikation“, den ich während der Arbeit am Hausfriedensthema zusammen mit Joachim Eibach (Bern) ins Leben gerufen habe. Ihm wie auch allen Mitgliedern des Arbeitskreises danke ich ganz herzlich für anregende, kritische und inspirierende Diskussionen rund um das „Haus“ während und zwischen den Arbeitstreffen. Das gleiche gilt auch für den Forschungszusammenhang der historischen Friedensforschung, deren Erträge ich in Analogie bzw. Abgrenzung vor allem im Zusammenhang mit einer Arbeitsgruppe zum Utrechter Frieden diskutieren konnte, zu der Tony Claydon (Bangor), David Onnekink (Utrecht), Christopher Storrs (Dundee), Klaas van Gelder (Ghent) und Ana Crespo Solana (Madrid) gehören. Ihnen allen sei für eine intensive und spannende gemeinsame Forschungszeit gedankt. Neben der mündlichen Kommunikation ist die Arbeit am konkreten Text eine wichtige und an die Basis aller wissenschaftlichen Arbeit rührende Beschäftigung. Heike Düselder (Lüneburg), Elizabeth Harding (Wolfenbüttel) und Niels May (Frankfurt/Paris) haben einzelne Kapitel dieser Arbeit intensiv und kritisch gelesen

Vorwort

| IX

und mit mir diskutiert. Für ihre wertvolle und immer konstruktive Auseinandersetzung mit meinen Ideen sei auch ihnen von Herzen gedankt. Auch Diana Stört (Berlin) war durch ihr engagiertes Korrektorat und weit darüber hinausgehende Diskussion meines Textes eine große Unterstützung. Die Oestreich-Stiftung (Rostock) hat den Druck dieses Buch mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss ermöglicht, der hierfür ebenfalls großer Dank gebührt. Die Beschäftigung damit, was die Menschen sich unter häuslichem Frieden vorstellten, von ihm erwarteten und wie sie ihren eigenen Alltag und ihre Mitmenschen daran maßen, das war eine sehr theoretische Beschäftigung im Hinblick auf das 18. Jahrhundert. Zugleich war es aber auch immer eine sehr konkrete und praktische Erfahrung, wenn es galt (und weiterhin gilt), die wissenschaftliche Arbeit mit dem häuslichen Leben zu verknüpfen. Dass es gelang, verdanke ich neben der erweiterten Kernfamilie in ganz besonderem Maße meinem Mann Edmund Voges und meinen Söhnen Ari und Ole. Sie haben alle Anstrengungen und Herausforderungen mitgetragen und mitertragen und dabei immer für Freude und ein Lachen im Augenwinkel gesorgt. Ihnen ist das Buch von Herzen gewidmet! Osnabrück/Bremen, im Dezember 2014

Inhalt Vorwort | VII 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4

Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte | 1 Hausfrieden, Haus, Frieden: Eine disparate Forschungslandschaft | 4 Hausfrieden | 5 Haus | 7 Frieden | 10 Theoretisch-methodische Skizzen | 14 Frieden: Diskurse, Semantiken, Wissen | 14 Haus: Institution, Normen, Ordnungen | 23 Mikropolitik: Praktiken, Strategien, Subjektivierungen | 31 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise | 37 Quellen und ihre kommunikative Einbettung | 39 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert | 45 Theologische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert | 47 Spätantike und mittelalterliche Voraussetzungen | 48 Hausdiskurse im 16. und 17. Jahrhundert | 58 Fazit: Hausfrieden als gelebte Ordnung | 83 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert | 89 Grundlagen im römischen und mittelalterlichen Recht | 92 Hausfrieden im Ius Commune und im Strafrecht | 99 Hausfrieden in der Diskussion: 1674–1721 | 104 Fazit: Hausfrieden als Rechtssicherheit | 120 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert | 122 Religiöse Literatur | 124 Hausfrieden in politischer Ökonomie und Kameralistik | 135 Journale und Moralische Wochenschriften | 144 Fazit: Die „Verhäuslichung“ des Hausfriedens | 155 Häuslicher Friede = Hausfriede? Diskurssemantiken | 158

XII | Inhalt 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 4

Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln | 163 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen | 165 Normen häuslichen Lebens | 165 Institutionen der Rechtsprechung | 174 Materia Pacis: Akteure und Räume | 188 Akteure und Räume | 188 Quantitative Aspekte | 196 Violationes Pacis: Konfliktfelder | 200 Ehe | 202 Familie | 217 Dienstverhältnis | 225 Nachbarn | 227 Fazit: Hausfriedensbruch oder Unfrieden? | 239 Negotiationes Pacis: Fallstudien | 241 Herausforderung hausväterlicher Autorität | 242 Männliche Hierarchien im generationellen Übergang | 247 Weibliche Hierarchien im generationellen Übergang | 251 Friedewahrung und nachbarliche fama | 256 Häuslicher Unfrieden als Störung der öffentlichen Ruhe | 262 Fazit: Friedewahrung als Problem der Grenzziehung | 278 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen | 280 Interventionen aus dem Haus heraus | 281 Interventionen in das Haus hinein | 282 Kirchliche Vermittlungsansätze | 286 Gerichtliche Entscheidungen und Sanktionen | 288 Friedewahrung als Politik auf der Mikroebene | 298 Hausfrieden als Mikropolitik. Zusammenfassung und einordnende Überlegungen | 311

Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen | 319 Abbildungsverzeichnis | 319 Tabellen | 320 Abkürzungsverzeichnis | 327 Quellen- und Literaturverzeichnis | 329 Personenverzeichnis | 367

1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Nach vielen rechtlichen christl. Zurehdungen, hatt Johan Henrich Gülich stipulatio angelobet, daß er sich inskünfftig schied- und friedlich begehen und zu keine Mißhelligkeiten anlaß geben wolle. Dabey Er dan mittels gegebenen Handtschlag seine frau umb christl. Verzeihung gebethen, worauff ihm die frau die Handt hinwieder gereichet und zu einem schied- und friedlichen comportement gegen ihren Eheman sich anzuschicken, ebenmässig anzuschicken stipulatio ad manus D[omi]norum Consistorialium angelobet.¹

Diese Protokollnotiz des Osnabrücker Stadtkonsistoriums von 1720 führt alle Elemente auf, die für einen gültigen Friedensschluss als notwendig angesehen wurden: Einsicht in das eigene Fehlverhalten, Reue, Vergebung und gegenseitiges Hände reichen als ritueller Ausdruck und Abschluss des beiderseitig angenommenen Friedensversprechens. Was für die vertragstechnischen, rituellen und performativen Elemente von Friedensschlüssen zwischen souveränen Akteuren erarbeitet worden ist,² bezieht sich hier auf die Beilegung eines zwischenmenschlichen, persönlichen Konflikts im Kontext von Haushalt und Ehe. Offenbar wurde in der Frühen Neuzeit auch zwischen Eheleuten, und – wie noch zu sehen sein wird – zwischen Eltern und Kindern sowie Nachbarn ein Frieden ausgehandelt, wenn man der Rhetorik in den Protokollakten folgt, in denen die gerichtliche Konfliktbeilegung festgehalten wurde. Dem „Friedensschluss“ des Osnabrücker Falles war eine monatelange Auseinandersetzung vorausgegangen, in der sowohl Ehemann als auch Ehefrau über die verbalen und körperlichen Übergriffe des anderen geklagt hatten: Johann Henrich bat um die Auflösung der Ehe, da er „weder von meinem ungerathenen Sohn noch frauen im Hause keine friedige Stunde habe, daß sogahr ein groß unglück täglich befürchten muß“. Seine Frau Catharina Margaretha Elisabeth bat ebenfalls um die Scheidung, damit sie „auch nebst meinen Kindern wan schon in Armuth, dan noch in Ruhe und Frieden leben“ könne.³ Die Präsenz der Friedensbegrifflichkeit in beiden Begründungen unterstreicht die Diskrepanz zwischen Gewalterfahrung und Friedenserwartung, die den häuslichen Alltag der Familie Gülich belastete. Dieser stand in so deutlichem Wider-

1 NLA OS Dep 3b VI, Nr. 209 o. fol. 2 Zum gelobten bzw. gebotenen Handfrieden vgl. Kaufmann, Art. Frieden, Sp. 1288. 3 NLA OS Dep 3b VI, Nr. 209 o. fol.

2 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte spruch zu den erwarteten „normalen“ Verhältnissen, dass beide Ehepartner nur in einer räumlichen Trennung – in der Aufhebung der für Haus und Ehe konstitutiven Kopräsenz an Tisch und Bett – die Möglichkeit sahen, Frieden und Sicherheit für ihr Leben zu finden. Die Verhandlung häuslicher Konflikte und Gewalttätigkeit entlang von Friedenssemantiken war keine Osnabrücker Eigentümlichkeit, sondern lässt sich in verschiedenen Herrschaftszusammenhängen und Konfessionskulturen finden. 1685 bat eine Frankfurter Handwerkerfrau den Magistrat um Schutz vor ihrem gewalttätigen Mann mit der Begründung, dieser habe nach der letzten obrigkeitlichen Verwarnung „nicht 8 Tage den Hausfrieden“ gehalten; 1659 hatte ein Mann die Rückkehr seiner Frau in den Haushalt mit dem Hinweis abgelehnt, er wohne jetzt in Frieden mit seinen Kindern.⁴ Im protestantischen Herzogtum Holstein wehrte sich eine Frau 1707 vor dem Konsistorium gegen den Vorwurf der „Eigensinnigkeit“ mit der Feststellung, sie sei ihrem Mann „mit Lieb und Friedlichkeit unter die Augen gegangen.“⁵ Im katholischen Markt Perchtoldsdorf wurde 1755 ein Hauermeister ermahnt, „sich friedsammer gegen seinen weib aufführen, des schlagens, und anderen betrohlichkeiten enthalten.“⁶ Auch in anderen Regionen und Gesellschaften lassen sich immer wieder Hinweise auf eine klare sprachliche Markierung häuslicher Gewalt mit Hilfe einer Friedensrhetorik erkennen.⁷ Dem Friedensbegriff und seinem semantischen Feld kam offenbar eine wichtige Funktion zur Beschreibung und Beurteilung häuslicher (Un-)Ordnung zu. Im Hinblick auf den christlich-aristotelischen Normenhorizont des Hauses als Kerninstitution vormoderner Sozialordnung mag dies auf den ersten Blick nicht überraschend erscheinen. Handelt es sich hierbei lediglich um eine traditionale Floskel, die sich zwar bis ins 18. Jahrhundert hinein erhalten hat, der aber keine tatsächliche Funktion zukommt und damit ein im Sinne Lévi-Strauss’ „kalter Begriff“⁸ ist? Oder stellt die Friedensrhetorik nicht doch einen „heißen“, umkämpften Begriff dar, dem wesentliche Deutungsgewalt in der Beurteilung häuslicher Konflikte zukommt und dem damit für die Konfliktregulierung auch eine formale Funktion im Hinblick auf Interessenausgleich und die Vereinbarung über zukünftige Verhaltensweisen innewohnt?

4 Kaltwasser, Ehen, S. 236, 247. 5 Lutz, Ehepaare, S. 177f. 6 Zit. nach Luef, „Vom drohen. . . “, S. 105. 7 Z. B. Rublack, Crimes, S. 211; Hardwick, Perspectives, S. 9f., 19; Tlusty, Drinking, S. 256; Greyerz, Passagen, S. 173. Für das katholische Münster vgl. Alfing, Lebenswelten, S. 171–178, für das reformierte Bern Schmidt, Hausväter, S. 220–229. 8 Lévi-Strauss, Denken, S. 270.

1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte | 3

Die Formulierung im Osnabrücker Gerichtsprotokoll wie auch die punktuellen Erwähnungen in anderen Untersuchungen zeigen in ihrer Friedensrhetorik ein hohes Maß an Deutungspotenzial über akzeptiertes bzw. nicht-akzeptiertes Verhalten in den Konfliktdarstellungen der Streitparteien wie auch einen starken appellativen Handlungsbezug in den Sentenzen der Rechtsprechenden. Damit weist sie deutlich über ein normatives Beschreibungsmodell hinaus und erhebt unmittelbaren Geltungsanspruch für die Alltagspraxis der Konfliktparteien in ihrem gemeinsam geteilten Haushalt. Frieden war also offenbar in der Frühen Neuzeit nicht nur auf der höchsten politischen Ebene zwischen Potentaten und Kollektivakteuren relevantes Normensystem zur Regulierung von Gewalt, sondern auch am „unteren“ Ende gesellschaftlicher Ordnung, im Bereich des Hauses. Das in den kurzen Quellenausschnitten hervortretende Handlungsmoment kennzeichnet das hier zu Tage tretende Verständnis von „Frieden im Hause“ als deutlich verschieden von dem uns geläufigen Konzept des Hausfriedens bzw. Hausfriedensbruchs. Dieser bezieht sich auf das Haus in seiner bauphysischen Materialität und Räumlichkeit und kann nur von außen gebrochen werden. In den genannten Beispielen wurden aber ganz offensichtlich Konflikte im Bereich der persönlichen Beziehungen zwischen den Hausbewohnern verhandelt, dem ein übergreifendes, auf Verhalten und Handlungsbefähigung ausgerichtetes Friedensverständnis zu Grunde liegen muss – ein Befund, der im Hinblick auf die bestehenden Forschungsschwerpunkte sowohl zu frühneuzeitlichen Friedenskonzepten und -praktiken als auch zu Haus und Haushalt überrascht und nicht so recht ins Bild passen will. Den frühneuzeitlichen Menschen war der Zusammenhang von Friedensfähigkeit und häuslichem Kontext jedoch ganz und gar nicht unvertraut. Nicht nur christlich-aristotelische Gesellschaftstheoretiker nahmen Haus und Familie als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen zur Friedensfähigkeit von Gesellschaften. So orientierte sich etwa auch Hobbes für seine Herrschafts- und Gesellschaftstheorie des Leviathan am Fluchtpunkt des Friedens im Hause: „Denn wenn die Menschen endlich der Befehdungen und des Blutvergießens überdrüssig werden, so sind sie freilich geneigt, friedlich miteinander, wie in einem Haus zu leben.“⁹

9 Hobbes, Leviathan, XXIX/1. Zu Hobbes’ Friedensethik vgl. Schelkshorn, Hobbes’ Ethik, S. 221–245. Die Ideengeschichte hat für die Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Theorie das Verhältnis des Aristotelismus zum Naturrecht zumeist im Hinblick auf Begründungszusammenhänge und die Entwicklung des „modernen“ Individuums oder der „modernen“ Gesellschaftswissenschaften betrachtet. Eine Untersuchung zu Rolle und Funktion von Haus und Familie in diesen Werken wurde nur rudimentär angeschnitten und wäre sicherlich einen systematischen Vergleich wert; dies muss an anderer Stelle geschehen. Für die komplexe Forschung vgl. stellvertretend Vollhardt, Selbstliebe, S. 67–94.

4 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Auch hier findet sich ein starkes ethisches Moment in der Friedenssemantik, das idealerweise als verbindendes Element auf allen Ebenen gesellschaftlicher Organisation die sozialen Praktiken der Menschen bestimmt. Diese Befunde werfen eine Vielzahl an Fragen auf, die die Forschung auf unterschiedliche Weise herausfordern: – Warum verwendeten frühneuzeitliche Menschen im Rahmen eines gerichtlichen Austrags ihrer häuslichen Konflikte offenbar ganz gezielt eine Friedensrhetorik? – Welche Erwartungen knüpften Konfliktparteien wie rechtsprechende Obrigkeiten daran? – In welche Normenhorizonte war ein solcher Friedensbegriff eingebettet und begründet? – Woher bezogen die am Gerichtsverfahren beteiligten Menschen ihr Wissen um diesen Friedensbegriff, welche Rolle spielten hierbei die unterschiedlichen Wissensordnungen der Jurisprudenz und der Theologie? – Was charakterisiert ein solches auf das Haus bezogenes Friedensverständnis? Unterscheidet es sich von anderen, auf andere gesellschaftliche Ebenen ausgerichteten Friedensvorstellungen; und wenn ja, auf welche Weise? – Welche Rückwirkungen haben diese Formen der häuslichen „Friedensschlüsse“ auf die soziale und politische Ordnung der Gemeinwesen? – Und schließlich: Was bedeuten diese Befunde für die geschichtswissenschaftlichen Meta-Narrative zu Frieden und Haus – zumal diese Friedensrhetorik auch im späten 18. Jahrhundert noch eine zentrale Funktion in der Verhandlung häuslicher Konflikte besaß? Eine Annäherung an diesen Fragenkomplex, der am Beispiel der Stadt Osnabrück von 1750 bis 1810 untersucht werden soll, muss vor einer ausgesprochen disparaten Forschungslandschaft erfolgen, deren Morphologie es zu skizzieren gilt. Denn nicht nur die Kenntnis der konkreten Inhalte, sondern auch das Wissen um die Genese historiographischer Deutungsmuster sind für die Problematik der methodisch-konzeptionellen Erschließung des Themas Hausfrieden von zentraler Bedeutung.

1.1 Hausfrieden, Haus, Frieden: Eine disparate Forschungslandschaft Dass Haus und Frieden bisher weder inhaltlich noch konzeptionell zueinander in Beziehung gesetzt wurden, liegt nicht im Gegenstand selbst begründet, sondern ist in erster Linie der historiographiegeschichtlichen Entwicklung dieser

1.1 Hausfrieden, Haus, Frieden: Eine disparate Forschungslandschaft | 5

Forschungsfelder geschuldet. Deren Charakteristika sollen im Folgenden vorgestellt werden, um einerseits diese Disparität zu erklären und andererseits Anknüpfungspunkte für deren Überwindung im theoretisch-methodischen Kapitel vorzustellen. Ausgehend von der Forschungsgeschichte zum Hausfrieden als begrifflichem Fluchtpunkt, werden anschließend die Arbeiten und Konzepte zum Haus und abschließend zum Frieden diskutiert.

1.1.1 Hausfrieden Begibt man sich auf die Suche nach historischen Studien zum Hausfrieden, findet man zwei (!) monographische Untersuchungen, die beide im Bereich der Rechtsgeschichte angesiedelt sind. Gegenstand dieser Studien ist der Hausfriedensbruch, der als das unbefugte, gewaltsame Eindringen in den befriedeten Bereich des Hauses von außen definiert ist. Eine umfangreiche Monographie von 1857 beschäftigt sich im Wesentlichen mit den germanisch- und partikular-rechtlichen Traditionen des Mittelalters – mit einem Schwerpunkt auf süddeutsch-schweizerischen Quellen. Stark einer liberalen Rechts- und Kulturgeschichte verpflichtet, steht sie in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Ausformulierung des Tatbestands Hausfriedensbruch im Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1871.¹⁰ Eine rechtshistorische Dissertation von 1970 schlägt zwar einen weiten Bogen von antiken Rechtssätzen bis in die Gegenwart, legt den Schwerpunkt aber auf die kriminalrechtliche Regelung des Delikts. Im Hinblick auf frühneuzeitliche Vorstellungen und Begründungen findet sich wenig, hier bieten die juristischen Dissertationen des 18. Jahrhunderts mehr inhaltliche Substanz.¹¹ Neben diesen auf Rechtsnormen ausgerichteten Arbeiten hat sich in den 1950erJahren Karl-Sigismund Kramer im Rahmen seiner „rechtlichen Volkskunde“ stärker mit der rechtspraktischen Bedeutung des Hausfriedens beschäftigt. Vor allem in der Ausübung sozialer Kontrolle durch Rügepraktiken kam der bewussten Verletzung des Hausfriedens durch Vergehen wie: Dach abdecken, Zäune abreißen, Fenster und Türen zerschlagen, Narrensymbole und Schmähschriften annageln und anderes mehr die entscheidende Symbolfunktion für häusliches Fehlverhalten zu.¹² Neuere Arbeiten zu Konflikt- und Streitkultur thematisieren ebenfalls die immense Bedeutung des Hausfriedens als Kern sozialer Ordnung und Integri-

10 Osenbrüggen, Hausfrieden, 1857; Rampf, Hausfriedensbruch, S. 47–58. 11 Trabandt, Schutz, 1971. Auf diesen Umstand wird auch im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte hingewiesen. Kannowski, Art. Hausfrieden, Sp. 805. Zu den frühneuzeitlichen Ansätzen vgl. unten, Kap. 2.2. 12 Kramer, Grundriß, S. 7–9, 74–77; Kramer, Herausfordern, passim.

6 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte tät, gerade weil er in Auseinandersetzungen und Konflikten immer wieder gezielt gebrochen wurde.¹³ Trotz eines wenig konkreten Forschungsfeldes wird gerade der Hausfrieden gerne als konstitutives Moment und nachgerade Kronzeuge für die Charakterisierung des Hauses als soziale Institution vormoderner bzw. alteuropäischer Gesellschaften herangezogen.¹⁴ Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie nur auf den Hausfrieden als einen gegen Bedrohungen von außen geschützten Raum und damit wesentlich auf das Konzept des Hausfriedensbruchs Bezug nehmen, das gemeinsam mit dem Landfriedensbruch seit dem 19. Jahrhundert im Strafgesetzbuch verankert ist. Gleichwohl findet sich im deutschen Recht eine andere Dimension des Hausfriedens, wenn auch ungleich weniger prominent. Sie verweist auf innerhäusliche Konflikte, in deren Kontext ja auch die einleitenden Beispiele häuslichen Unfriedens stehen. Im Mietrecht kann die „Störung des Hausfriedens“ zur fristlosen Kündigung führen (§ 569, Abs. 2).¹⁵ In der historischen Forschung hat dieser Aspekt bisher jedoch keine Rolle gespielt, obwohl gerade häusliche Konflikte als Untersuchungsgegenstand in den letzten Jahrzehnten eine ungeheure Aufmerksamkeit erfahren haben. Sowohl die historische Kriminalitätsforschung, die Konfessionalisierungsforschung als auch die Geschlechtergeschichte haben Prozessakten häuslicher Konflikte im Hinblick auf verschiedene, sich vielfach überlappende Fragestellungen untersucht. Im Zentrum stehen meist der Umgang mit Konflikten der Haushalt führenden Ehepartner, Erfahrung und Konnotation von Gewalt in häuslichen Kontexten, normative Ordnungen und ihre Bedeutung für die soziale Praxis sowie die Rolle von Geschlechtermodellen und ihr Wandel. Aber auch die Frage nach Möglichkeiten und Interessen der Obrigkeit, Einfluss auf die jeweilige Gestaltung von Eheleben und Haushaltsführung zu nehmen und dadurch akzeptables von deviantem Verhalten zu unterscheiden, spielt in diesen Arbeiten eine zentrale Rolle.¹⁶ Inwieweit Frieden als gemeinsam geteilter Grundwert tatsächlich als kommunikatives Regulativ wirken konnte, konnte zum einen in der Auseinandersetzung mit Fragestellungen der Sozialdisziplinierung und Sittenzucht herausgearbeitet werden,¹⁷ zum anderen taucht das Thema immer wieder in Arbeiten zu ehelichen 13 Vgl. hierzu beispielhaft die Arbeiten von Barbara Krug-Richter, auch Hartinger, Hausfriede, passim. 14 Jüngst sehr prominent bei Blickle, Europa, S. 28f., 120f.; auch Eibach, Haus, S. 188–190; bereits Otto Brunner hatte den Hausfrieden als Kern seines Herrschaftsmodells des „ganzen Hauses“ gesetzt. Brunner, Haus, S. 30. 15 Vgl. hierzu Oestmann, Mietvertrag, S. 568f. 16 Vgl. z. B. Eibach, Verhöre; Nolde, Gattenmord; Hardwick Violence; Foyster, Violence; Jansson, Våld. 17 Schmidt, Pazifizierung, passim.

1.1 Hausfrieden, Haus, Frieden: Eine disparate Forschungslandschaft | 7

Konflikten bzw. häuslicher Gewalt in der Frühen Neuzeit auf, wie bereits eingangs dargestellt wurde. Die enge Verbindung zwischen Hausfrieden und innerem Frieden wurde für die Zeit zwischen 1770 und 1840 nur in einem Aufsatz zur kolonialen Rechtsprechung in Indien in den Blick genommen. Gleichwohl liegt auch hier der Schwerpunkt auf der Behandlung häuslicher Gewalt europäischer Männer gegen ihre indigenen Frauen, ohne den Begriff des Hausfriedens zu problematisieren.¹⁸ Zwar wurde auf die Bedeutung von Frieden im Hinblick auf die Beschreibung von idealer Eheführung hingewiesen, eine umfassendere Auseinandersetzung mit Tradition, Inhalten und Implikationen eines solchen Friedensbegriffs wurde daraus aber nicht abgeleitet.¹⁹ Das gleiche lässt sich in zwei Unterkapiteln einer Studie zum Gattenmord feststellen, die sich laut Titel mit der Norm des Ehefriedens auseinandersetzen. Auch hier wird der Begriff selten verwandt und stärker auf Attribute wie Freundschaft und Konsens abgehoben.²⁰ Insgesamt betrachtet, erkennt die Forschung einen deutlichen Zusammenhang zwischen Haus und Frieden, innerhalb von zwei Bezugsrahmen: dem Hausfrieden im Sinne des Hauses als unverletzter Rechtsbereich und dem Frieden im Haus als ethische Konstante, der jedoch – abgesehen von den beiden rechtshistorischen Abhandlungen – noch nicht selbst zum Gegenstand einer umfassenderen Untersuchung gemacht worden ist.

1.1.2 Haus Dieser Befund liegt zum Teil auch darin begründet, dass das Haus als Institution gesellschaftlicher Ordnung in sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten untersucht wurde. Sie griffen jeweils Teilaspekte der Funktion und Organisation des Hauses auf. Eine Synthese der vielfältigen Ergebnisse im Hinblick auf die Frage, was denn nun „das Haus“ in der frühneuzeitlichen Gesellschaft war, steht noch aus. Um die Funktion der Friedenssemantik im Kontext häuslicher Konflikte erklären zu können, ist es wichtig, sich die Konsequenzen der forschungshistorisch bedingten Trennung in eine politik- und verfassungshistorische sowie eine sozialgeschichtliche Traditionsbildung vor Augen zu führen. Für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft bildete insbesondere das Modell des „ganzen Hauses“ von Otto Brunner einen Schwerpunkt der Auseinan-

18 Ghosh, Household Crimes, insbes. S. 600–602. 19 Bastl, Caritas, passim. 20 Nolde, Gattenmord, S. 141f.; Holzem, Religion, S. 315–323. Schedensack verweist auf den Hausfrieden als weibliche Aufgabe vor allem zur internen Konfliktregulierung. In der Diskussion zwischen Normativität und Praxis verbleibt sie aber in der Darstellung des von außen bedrohten Hausfriedens. Schedensack, Konventionen, S. 219–231.

8 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte dersetzung, seit den späten 1980er-Jahren meist in der kritischen Distanzierung. Die Zeit- und Milieugebundenheit der diesem Modell zugrunde liegenden Gesellschaftsauffassung sind vielfach mit guten Gründen diskutiert und kritisiert worden.²¹ Im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse dieser Studie ist es vor allem der institutionengeschichtliche Zugriff in Brunners Konzept, der den Blick auf wesentliche Funktionszusammenhänge der frühneuzeitlichen Gesellschaftsordnung verstellt. Die Gleichsetzung des Hauses mit dem ihm verbundenen Herrschaftsmodell lässt den Eindruck einer in sich kohärenten sozialen, moralischen und politischen Einheit – also eines „ganzen“ Hauses – entstehen,²² die in der tatsächlichen Komplexität des häuslichen Gefüges und seiner vielfältigen Verflechtung in die vormoderne Gesellschaft aber nur einen Teilaspekt darstellt. In der politikhistorisch orientierten Forschung wurde dieses Modell in unterschiedlichen Zusammenhängen aufgegriffen. Zum einen bot es ein hohes Deutungspotential im Hinblick auf die Debatten zur Legitimierung von Herrschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Die zahlreichen Rückbezüge in der politischen Literatur zwischen Haus- und Landesherrschaft wurden vielfach im Hinblick auf den Ausbau „monarchischer“ oder gar „absoluter“ Ansprüche diskutiert.²³ Zum anderen spielte das Haus als Ordnungseinheit und Institution eine zentrale Rolle im Rahmen der Stadtgeschichte und der Kommunalismusforschung im Anschluss an Peter Blickle. Hier stand nicht so sehr die „Herrschaft“ des Haushaltsvorstandes nach innen im Vordergrund, vielmehr erhielt die Versammlung der „Hausväter“ mit ihren Aufgaben in der Leitung und Organisation städtischer und dörflicher Gemeinden konstitutiven Charakter für die Erzählung einer longue durée republikanischer Herrschaftsformen.²⁴ Die erhebliche Statik, die durch den Zugriff auf das Haus über „Norm und Institution“ das Verständnis von Funktion und Organisation des Hauses bestimmte, wurde seit den 1990er-Jahren durch Studien massiv in Frage gestellt, die sich mit der häuslichen Alltagspraxis beschäftigten. Sie zeigten, dass die implizite Gleichsetzung von Normen und Praktiken gerade für das Haus in die Irre führten und wesentliche Prozesse ausblendeten. Erst der Blick auf die entscheidenden kommunikativen Praktiken, mit denen die Übereinstimmung von Norm und Praxis

21 Zur Debatte siehe Jütte, Ständestaat; Van Horn Melton, Folk History, S. 280–289; Blänkner, Volksgeschichte, S. 360–363; Opitz, Wege; Troßbach, Haus; Derks, Faszination; Weiß, Wege; Groebner, „Außer Haus“. 22 Brunner, Haus, S. 110–114. 23 Vgl. hierzu etwa Harrington, Hausvater; Schorn-Schütte, Politische Kommunikation oder Burkhardt, Haus. 24 Z. B. Isenmann, Gemeinde oder Blickle, Europa.

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durch Inklusion und Exklusion strittiger Praktiken ja erst hergestellt wurden, gab Aufschluss über die Funktionsweise des Hauses als sozialer Institution. Wie komplex diese Aushandlungsprozesse auf allen Ebenen häuslichen Lebens waren, zeigen ungezählte Studien zum Alltagsleben, zum Wirtschaften, Geschlechterbeziehungen, Kindheit, Eigentum, Nachbarschaft oder zu den Wohnverhältnissen, wobei insbesondere die Geschlechtergeschichte wie die Konfessionalisierungsforschung immer wieder die Grenzen zwischen „politikhistorischen“ und „sozialhistorischen“ Zuständigkeiten in Frage stellten.²⁵ Fragen nach Haus und Haushalt als soziales Gefüge nicht nur im Hinblick auf Forschungsfelder der historischen Demographie, sondern in Bezug auf die Praktiken und Beziehungen jener Akteure, die im Verständnis der Zeitgenossen einen Haushalt bildeten, werden erst seit kurzem wieder verstärkt in den Blick genommen.²⁶ Die zentrale Bedeutung der Praktiken und der Kommunikation über diese Praktiken als konstitutive Elemente sowohl für die Wahrnehmung einer sozialen Formation als Haus durch die Zeitgenossen wie auch für eine angemessene wissenschaftliche Konzeptualisierung des Hauses hat Joachim Eibach jüngst herausgearbeitet.²⁷ Sein Postulat eines „offenen Hauses“ ist vor dem Hintergrund der vielfach mit Brunners Konzept verbundenen „Geschlossenheit“ im Verständnis des Hauses Herrschaftsbereich zu lesen. Er entwickelt aus neueren Einzelergebnisse und Untersuchungen ein neues Bild des Hauses, das von einer hohen Verflechtung in zahlreiche soziale Konstellationen geprägt ist und sich durch spezifische kommunikative Praktiken seiner selbst vergewissert und perpetuiert. Eine präzise, auf diesen Ansätzen aufbauende Verknüpfung zwischen den sozialen Praktiken, Kommunikationsprozessen und politischen Ordnungsprozessen fehlt bisher jedoch.

25 An dieser Stelle die Vielzahl der Studien aufzuführen, würde eine notwendigerweise ungerechte Auswahl erfordern. Generell sei verwiesen auf die Arbeiten von Heinrich-Richard Schmidt, Claudia Opitz-Belakhal und David Sabean. Neuerdings aus der Perspektive des Gelehrtenhauses Harding, Gelehrte, S. 16–20. 26 Ågren, Emissaries; Eibach, Offenes Haus. Einen Überblick über die vielfältige Forschung zum Thema Haus und Haushalt bietet Joachim Eibach / Inken Schmidt-Voges (Hg.): Das Haus in der Geschichte Europas. Ein Handbuch, München 2015. 27 Eibach, Offenes Haus, passim; Heinrich-Richard Schmidt, „Nothturfft“, hat auf die starke Präsenz von Verben in der Konfliktkommunikation über das Haus hingewiesen, wie auch Maria Ågren die Analyse von Verben zum zentralen methodischen Ansatz eines Forschungsprojekt zu geschlechtsspezifischen Arbeitsformen im Haus gemacht hat: Berg et al., Practices.

10 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte 1.1.3 Frieden Ähnlich disparat wie die Forschungslage zum Haus und zum Hausfrieden stellt es sich auch im Hinblick auf die historische Friedensforschung dar. Frieden wird für die Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800 in drei Kontexten erforscht, die aber nur bedingt miteinander verknüpft werden. Den umfangreichsten Beitrag zur frühneuzeitlichen Friedensforschung leisten sicherlich die Arbeiten zur Geschichte der Diplomatie und der Außenbeziehungen. Frieden figuriert hier in Kontrastierung zum ubiquitären Krieg dieses „bellizistischen Zeitalters“ (J. Burkhardt) vor allem als Ergebnis einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Praxis der Verhandlungskunst auf der einen und der Normativität des Völkerrechts auf der anderen Seite.²⁸ Charakteristisch für die hierzu vorliegenden Untersuchungen ist die enge Verschränkung von politik- und rechtshistorischen Ansätzen, wobei die Praktiken und rechtsmateriellen Regelungen im Vordergrund stehen. Eine problematisierende Unterscheidung zwischen heuristischem Analysebegriff und Quellenbegriff wird nicht betrieben.²⁹ Innovative Impulse gaben in den letzten Jahren vor allem diplomatiegeschichtliche Studien, die sich stärker den Diplomaten als Akteuren zuwandten. Mentalitäten, Herkunft, Denkrahmen, wirtschaftliche Ressourcen, Netzwerke und Kommunikationswege wurden so als wichtige Faktoren diplomatischen Handelns herausgearbeitet. Gerade die Frage der Friedensfähigkeit, der gegenseitigen Wahrnehmung und Einschätzung hat die traditionelle Perspektive der Staaten als Kollektivakteure aus frühneuzeitlicher Perspektive in Frage gestellt – nicht aber die Konzeptualisierung von Frieden in der etatistischen Perspektive von Krieg und Frieden.³⁰ Jüngst wurde aber auch für diesen Bereich die Bedeutung von Sprache, Medialität und Kommunikationsstrategien verstärkt in den Blick genommen.³¹

28 Besonders umfangreich sind hier die Arbeiten von Heinz Duchhardt zu den verschiedenen Friedensschlüssen und -kongressen im frühneuzeitlichen Europa, die sich auf die Rahmenbedingungen, Interdependenz, aber auch Widersprüchlichkeit vormoderner Diplomatie und ihrer Bedeutung für die Entstehung des modernen Europa konzentrieren. 29 Vgl. hierzu etwa die Arbeiten von Heinhard Steiger und Randall Lesaffer zum Westfälischen Frieden. Der Artikel von Wilhelm Janssen in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ verdeutlicht die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Forschungen zwischen praktischer Politik einerseits und Ideengeschichte andererseits. 30 Wegweisend waren hier Arbeiten zur „Neuen Diplomatiegeschichte“, die etwa Lucien Bély zu frühneuzeitlichen Friedenskongressen vorgelegt hat. Auch Arbeiten von Michael Rohrschneider, Christian Windler, Arno Strohmeyer oder Peter Arnold Heuser sind hier zu nennen. 31 Vgl. hierzu jüngst Espenhorst, Unwissen; Espenhorst, Frieden; Duchhardt/Espenhorst, Frieden übersetzen; Rohrschneider, Frieden; Köhler, Strategie; Strohmeyer, Frieden.

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Eng verbunden mit dieser „klassischen“ Form der Friedensforschung ist der zweite Bereich mit Studien zur Stabilisierung innergesellschaftlicher Ordnung, die vor allem für das 16. und 17. Jahrhundert unter dem Stichwort „Durchsetzung eines obrigkeitlichen Gewaltmonopols“ verhandelt werden. Neben „Landfrieden“ spielt vor allem der Aspekt des „Religionsfriedens“ eine entscheidende Rolle. Auch hier bilden institutionenanalytische Prozesse und Rechtsregelungen den Schwerpunkt, wenngleich – aufgrund der innergesellschaftlichen Perspektive – Vermittlungs-, Kommunikations- und Transformationsprozesse in übergeordneten sozialen Zusammenhängen stärker berücksichtigt werden und eine größere Heterogenität an Akteuren untersucht wird.³² Neben dem unmittelbaren Bezug auf Vertragswerke richtet sich ein anderer Zweig auf die Praktiken der Friedewahrung im Rahmen der Etablierung gerichtlicher Konfliktlösung³³ sowie der theoretischen Debatten um Frieden und Sicherheit, die das 17. und 18. Jahrhundert bestimmten.³⁴ Den dritten großen Bereich bildet die Analyse der übergeordneten, utopischen Friedenskonzepte dieser Zeit. Geistes- und ideengeschichtliche Werke thematisieren in erster Linie dezidierte Friedensschriften wie die „Querela pacis“ (1515) von Erasmus von Rotterdam, den „Angelus pacis“ (1667) von Comenius oder die politischen Konzepte von Maximilien de Sully, Aubert, Jeremy Bentham, William Penn und Charles Irénée Castel Abbé de Saint-Pierre.³⁵ Arbeiten zur ästhetischen Verarbeitung und Gestaltung von Friedensideen in der Literatur und der Bildenden Kunst fragen nach Bildprogramm, Gestaltungstechniken und philosophischtheologischen Grundlagen, wobei sie die Aufmerksamkeit auf Rezipienten- und Adressatenproblematik und die ihnen zugrunde liegenden Wissensformationen und Sinnzuschreibungen lenken.³⁶ Charakteristisch für die frühneuzeitliche Friedensforschung ist die scharfe Trennung zwischen zwei Friedenskonzepten. Zum einen wird Frieden verstanden als ein definierter Zustand obrigkeitlich monopolisierter Gewalt, der juristisch normiert und durch politische Verfahren her- und sichergestellt wird, wobei auch die Anwendung von Gewalt im Inneren wie in den Außenbeziehungen gleichermaßen normiert und durch spezifische Verfahren reguliert ist. Im Gegensatz zu diesem politisch-rechtlichen Konzept, Frieden gerade durch die Entkoppelung von Akteuren

32 Carl, Bund; Gotthard, Religionsfrieden; Burkhardt, Friedensfest; Zwierlein, Discorso, 2001. 33 Vgl. hierzu etwa Westphal, Rechtsprechung; Scheurmann, Frieden. 34 Härter, Security; Härter, Sicherheit; Härter, Friedewahrung. 35 Duchhardt, Balance, S. 61–66; Asbach, Staat, S. 142–153; und das dreibändige Sammelwerk von Norbert Brieskorn, Die Suche nach Frieden. Politische Ethik in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2001–2003; Kater, Frieden, passim; auch Vogl, Friedensvision und Lutz, Friedensideen. 36 Vgl. hierzu die Beiträge in dem Sammelband von Garber/Held, Frieden.

12 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte durch überpersonelle, abstrakte Verfahren zu sichern,³⁷ fokussieren die philosophisch-theologischen Studien zu Friedensideen und -konzepten stärker Aspekte der (christlichen) Ethik. Sie erörtern Ideale des Alltagshandelns bzw. Utopien einer universalen Ordnung, in der ein friedliches Leben mit der sicheren, verlässlichen Erfüllung aller Bedürfnisse ohne Gewaltanwendung bzw. -erleidung möglich sein kann. Diese Perspektive versteht Frieden in der Synthese aller Stufen des bonum von der Existenzsicherung über das soziale Zusammenleben bis hin zur cognitio Dei, während die politisch-rechtlichen Operationalisierungen im Laufe der Frühen Neuzeit allein schon in der langfristigen Sicherheitsgewährleistung an die Grenzen der Machbarkeit stieß. Eine Verbindung beider Aspekte – politisch-rechtlicher Friedensprozesse und einer auf pax, iustitia, concordia und caritas aufbauenden christlich fundierten Ethik ist bisher kaum zu finden und wird, wie gezeigt, im Bereich der Diplomatiegeschichte durch die Entdeckung des Diplomaten als Akteur mit habituellen Prägungen und Leidenschaften gerade erst erprobt. Während der Begriff des Friedens in seiner Bedeutung für die Rechtfertigung von Staat und als Kernelement der christlichen Ethik und philosophischer Utopien als universelles Ordnungsideal unumstritten und gut erforscht ist, bildet der Bereich der Friedensvorstellungen, des Wissens um Frieden und die Bedeutung individuellen friedfertigen Verhaltens für den lebensweltlichen Zusammenhang eine große Lücke.³⁸ Zwar wurden im Umfeld des Friedensjubiläums 1998 Friedensfeste und Friedenswissen im „Parterre“ (E. Wolfrum) der Gesellschaft untersucht, ob und in welcher Weise sich aber Frieden als kulturelle Konstruktion und soziale Praxis im alltäglichen Erfahrungshorizont der Frühen Neuzeit manifestierte, ist eine offene Frage. Für die frühneuzeitliche Friedensforschung muss man folglich eine Ausklammerung des häuslichen Kontextes als Sphäre politisch relevanter Friedensprozesse konstatieren. Anders sieht es dagegen in den Arbeiten zum späten Mittelalter aus. In verschiedenen Studien zur soziopolitischen Formierung von Kollektiven spielt Frieden nicht nur in den Quellen, sondern auch in der Forschung eine wichtige Funktion im Kontext sozialer Ordnungsdiskurse und -praktiken. Das genossenschaftliche Organisationsprinzip der Stadt, das auf der Gemeinschaft der Häuser aufbaute, verband mit der Garantie des Hausfriedens, dem Recht auf ein sicheres Haus sowie der daraus erwachsenden Verhaltenspflicht ganz deutlich die enge Verknüpfung von theologischer Normativität und politisch-rechtlichen Ordnungsprozessen. Gerade der städtische Kontext scheint dabei von besonderer Bedeutung gewesen zu

37 Kampmann, Art. Frieden, Sp. 8–10. 38 Wolfrum, Krieg, S. 47–49; gleichwohl bezieht Wolfrum das Friedensverständnis auf die Rezeption von Friedenssymbolen, -wissen und ritualen durch die Untertanen.

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sein, zumal hier das politische Selbstverständnis und die soziale Identität auf das engste mit dem Haus verknüpft waren – dessen höchstes Gut und erste Aufgabe der Hausfrieden war.³⁹ Vor allem am Beispiel spätmittelalterlicher Auseinandersetzungen wird die sozialdisziplinierende Wirkung solcher Friedegebote deutlich, wenn etwa Ehrenhändel zugunsten eines Friedens unterbunden und bestraft werden.⁴⁰ Aber auch unterhalb der obrigkeitlichen Regulierungsebene und klar auf den Haushalt bezogen spielte das Friedegebot als Handlungsrichtlinie eine zentrale Rolle, wenn etwa der „richtige“ Umgang zwischen Schuldnern und Gläubigern diskutiert wurde.⁴¹ Wenngleich diese Arbeiten nicht auf innerhäusliche Konflikte abzielen, verweisen sie doch deutlich auf die verhaltensregulierende Wirkung von Friedensvorstellungen auf individuelle Akteure und unmittelbar alltagsbezogene Ebenen von Friedensvorstellungen als Ordnungskonzept. Eine ähnlich regulierende Funktion von Friedenskonzepten in der Frühen Neuzeit klingt immer wieder in Arbeiten zur Policey-Geschichte in der Frühen Neuzeit an. Frieden als Leitbild der „guten Policey“ war eben nicht nur ein theoretisches Modell und diskursives Konzept,⁴² sondern bestimmte auch die spezifischen Sprachregelungen vor Ort. Allerdings findet sich dieser Zusammenhang meist in klingenden Titeln, ohne dass Friedenskonzepte und ihre kommunikative Funktion in Aushandlungsprozessen in den Mittelpunkt gerückt würden.⁴³ Weitaus prägender ist für die frühneuzeitliche Friedensforschung das Nachwirken der wissenschaftsgeschichtlich bedingten Trennung zwischen einer auf den Staat als Movens ausgerichteten Politikgeschichte und einer Kulturgeschichte, deren gegenseitige Verflechtung im hier interessierenden Bereich noch nicht in den Blick genommen wurden. Die verschiedenen Ebenen der Forschung zusammenführend, muss man festhalten, dass der Hausfrieden in der Frühen Neuzeit in einem sehr engen Sinn als ein durch „Herrschaft und Schutz geprägter Rechtsraum“⁴⁴ gesehen wird – in Anlehnung an das mittelalterliche Rechtsinstituts des befriedeten Raumes, das dann prägend für unser heutiges Hausfriedensverständnis wurde. Die Bedeutungsebene des Hausfriedens als Normenkomplex zur Regulierung von individuellem Verhalten im Kontext der sozialen Beziehungen innerhalb des Hauses als Haushalt – wie

39 Wittek, Friedensvorstellungen, S. 62–69 und Wittek, „fride“, S. 67–69; Frenz, Frieden, S. 56–76, 201–213; Rublack, Grundwerte, S. 9–16. 40 Pohl, Uneasy Peace. 41 Claustre, Paix des ménages, S. 200–204. 42 Vgl. hierzu Simon, Gute Policey. 43 Vgl. hierzu etwa Herrup, The Common Peace. Participation and the Criminal Law in Seventeenth Century England, 1987; Hindle, Public Peace; Munck, Peace. 44 Eibach, Haus, S. 190.

14 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte sie in kameralistischen Werken, in der kirchlichen Ehelehre und offenbar auch in den häuslichen Konflikten gegeben ist – wurde bisher weder bearbeitet noch zueinander in Bezug gesetzt. Die Untersuchung des Hausfriedens steht also quer zu den bisherigen Traditionen und Perspektiven, die Frieden im Wesentlichen im Kontext von Krieg und Diplomatie behandelte, während häusliche Gewalt vornehmlich aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive mit einem Fokus auf die Innenbeziehungen der Ehe sowie deren obrigkeitliche Regulierung thematisiert wurde. Aber nicht nur inhaltlich finden sich kaum Anknüpfungspunkte für die obengenannten Fragestellungen, auch im Hinblick auf die theoretisch-methodische Anlage einer solchen Studie finden sich keine unmittelbaren Anschlussmöglichkeiten.

1.2 Theoretisch-methodische Skizzen Der Blick auf die disparate Forschungslandschaft hat gezeigt, dass zum einen die Begrifflichkeiten entweder nicht geklärt sind, implizit vorausgesetzt werden oder aber so verschieden verwendet werden, dass sie kaum anschlussfähig sind. Zum anderen gilt es, die bisher nicht miteinander verbundenen Forschungsfelder des „Friedens“ und des „Hauses“ so methodisch neu anzulegen, dass die in den Gerichtsakten greifbar werdenden Friedensvorstellungen für den Kontext des Hauses erklärt und in ihren sozialen, kulturellen und politischen Zusammenhängen verortet werden können. Frieden muss als umkämpfter Begriff und damit als kulturelle Konstruktion ebenso greifbar werden wie das Haus als Raum sozialer Beziehungen mit gesellschaftlicher Ordnungsfunktion. Erst dann kann eine Zusammenführung zu einem Ansatz der „Mikropolitiken des Friedens“ erfolgen, der die Verbindung zwischen den individuellen häuslichen Konflikten und der übergeordneten gesellschaftlichen Funktion der Rede vom Hausfrieden herstellt.

1.2.1 Frieden: Diskurse, Semantiken, Wissen Sieht man die Vorstellungen davon, was Frieden sei, nicht als ahistorisch gegebene Größe, sondern als eine kulturelle Konstruktion, die als veränderbares, variables Bedeutungssystem nur im jeweiligen historisch-kulturellen Kontext verstanden werden kann, gilt es vor einer Analyse konkreter Friedenspraktiken die mit ihnen verknüpften und ihnen vorangehenden Friedensvorstellungen mit ihren Diskursen und Semantiken zu untersuchen. Im Hinblick auf eine theoretische Konzeptualisierung stellt die hohe Normativität des Friedensbegriffes den wissenschaftlichen Umgang und vor allem sei-

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ne theoretisch-methodische Fundierung immer wieder vor Herausforderungen.⁴⁵ Anders als in der Politikwissenschaft sah sich die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit historischen Friedensaspekten zumeist wenig mit dieser Normativität konfrontiert und konzentrierte sich wie gezeigt wesentlich auf Friedensdiskurse bzw. auf juristische Konzeptionen und Friedensverhandlungen. Gleichwohl lassen sich die politikwissenschaftlichen Überlegungen zur Theoretisierung des Friedensbegriffs im Hinblick auf die Historizität seiner Normativität heranziehen. Denn es war gerade die absolute Normativität des Friedensbegriffs, die ihn für die Konfliktparteien zur zentralen Deutungsressource werden ließ und entsprechend strategisch eingesetzt und umkämpft wurde. Welche Dimensionen besaß nun der Friedensbegriff, der – wie zu vermuten ist – den Beteiligten eine höchstmögliche Kohärenz zwischen normativer Ordnung, sozialen Ereignissen und individueller Wahrnehmung ermöglichte. In den eingangs vorgestellten Beispielen bildete er eine sinnstiftende Einheit von Wissen, Sprechen und Handeln – als Form der Erinnerung im Hinblick auf die Darstellung der Konfliktursachen und -verläufe in der Vergangenheit, als Handlungskriterium des Argumentierens vor Gericht in der Gegenwart und als Absichtserklärung/Zielsetzung in der Zukunftsperspektive im Hinblick auf die Transformation und Regulierung konfliktträchtiger Konstellationen. Zur analytischen Aufschlüsselung des Friedensbegriffs wurden verschiedene Vorschläge gemacht, von denen hier zwei vorgestellt werden sollen. Ihre Verknüpfung ermöglicht eine historisch-semantische Konzeptualisierung, die gerade die Betonung des prozessualen Aspektes ermöglicht. In der anhaltenden Debatte über die Definition und die grundsätzliche „Theoriefähigkeit“ des Friedens⁴⁶ hat Lothar Brock fünf Dimensionen des Friedensbegriffs aufgezeigt, anhand derer sich Kernaspekte des Friedensdenkens und -handelns für gegenwartsbezogene Forschungen einordnen lassen, sie kann aber auch auf historische Untersuchungsgegenstände übertragen und angepasst werden.⁴⁷ Die erste Dimension bildet der zeitliche Aspekt: Wie dauerhaft ist der Friede gedacht? Welche konfliktträchtigen Konstellationen oder Strukturen müssen überwunden werden, um Frieden Dauer zu verleihen? Die zweite Dimension ist die des Raumes. Gibt es eine überwölbende Einheitlichkeit des Friedens, oder besteht die Möglichkeit, Frieden als „teilbar“ in dem Sinne zu verstehen, dass als Friede gilt, was nach durchaus unterschiedlich begründeten und nicht miteinander kompatiblen Wertsystemen nach eigener Einschätzung und eigenem Empfinden „in

45 Vgl. hierzu Bonacker, Rez. Handbook; Brock, „Mehr“, S. 98–103. 46 Vgl. hierzu zusammenfassend Bonacker, Begriffe, S. 129–134. 47 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Brock, „Mehr“, S. 104–110.

16 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Frieden“ leben heißt? Ein umfassender Friede wäre dann die Summe all derjenigen Räume, in denen Menschen in Frieden leben. Die dritte Dimension betrifft den sozialen Aspekt: die Frage, inwieweit Frieden nicht nur von Konstruktionen des internationalen Rechts abhängt, sondern auch innergesellschaftlich durch Stabilität und damit einhergehend von individuell erfahrener Gerechtigkeit getragen wird, verweist auf den transetatistischen Bereich von Friedenskonzepten und -erfahrungen, der sich wesentlich auf außerjuristische Normativität und Wertvorstellungen stützt. Gerade auf der nicht-staatlichen sozialen Ebene individueller Akteure kommen damit weitaus stärker ethische Aspekte des Friedens zum Tragen als auf der Ebene kollektiver Akteure von Staaten, Verbänden und Organisationen. Die vierte Ebene schließlich beschreibt Brock als prozedurale Dimension, welche die kommunikative Auseinandersetzung darüber enthält, was „Frieden“ sei, welche Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen ihm dienlich seien. Triebkraft dieses Prozesses ist nach Brocks Ansicht – der hier wesentlich auf Friedensprobleme kollektiver Akteure im internationalen System fokussiert – die „potentielle Selbstwidersprüchlichkeit“⁴⁸ einer auf Frieden zielenden Politik, „Frieden“ in letzter Konsequenz auch durch Androhung oder Anwendung von Gewalt zu erzwingen und ggf. durchzusetzen. Brock zufolge kann Frieden erst dann diskutiert und perspektiviert werden, wenn die Unauflösbarkeit dieser Selbstwidersprüchlichkeit in den Diskurs miteinbezogen wird und Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie Frieden als eine Form gewaltfreien Konfliktaustrags erarbeitet werden kann. Die fünfte Dimension zielt genau auf den einer solchen Perspektive zugrunde liegenden heuristischen Wechsel, vom Blick auf die Kriegs-/Konfliktursachen hin zu den Friedensursachen. Ebenso wenig wie Frieden die Abwesenheit von Krieg sei, genauso wenig ereigne sich Frieden, wenn die Kriegsursachen abgebaut seien. Um einen stabilen Frieden, der nicht vom Rückfall in einen gewaltsamen Konfliktaustrag bedroht ist, zu etablieren, bedürfe es einiger Faktoren, deren Ausprägung und Zusammenwirken als Friedensursachen von elementarer Bedeutung sind.⁴⁹ Sie wurden im „zivilisatorischen Hexagon“ von Dieter Senghaas beschrieben, das Brock hier aufgreift. Zu diesen Faktoren, die auf einen Abbau von willkürlicher Gewaltanwendung in sozialen Beziehungen abzielen und deren Fehlen eine zunehmende Instabilität des Friedens nach sich ziehe, zählt Senghaas die Rechtsstaatlichkeit, ein staatliches Gewaltmonopol, die Verinnerlichung der in beiden angelegten Ordnungsvorstellungen sowie einen gesellschaftlichen Konsens über Gerechtigkeit. Wichtig ist die Feststellung, dass nicht Gerechtigkeit oder

48 Brock, „Mehr“, S. 108. 49 Vgl. hierzu auch Bonacker, Begriffe, S. 134f.

1.2 Theoretisch-methodische Skizzen | 17

Rechtsstaatlichkeit mit Frieden gleichgesetzt werden, sondern die jeweils spezifischen Diskurse zueinander in Wechselwirkung treten und im Zusammenspiel eine Vorstellung von Frieden kreieren.⁵⁰ Diese unterschiedlichen Dimensionen des Friedensbegriffs beruhen wie bereits angemerkt auf einem von mehreren durchaus umstrittenen Friedenskonzepten in der sozialwissenschaftlichen Methodik. Sie eignen sich aber in besonderem Maße für eine Analyse von Friedensprozessen in der vormodernen, frühneuzeitlichen Gesellschaft, da sie Möglichkeiten eröffnen, Frieden als Problem jenseits der Vorstellung des Staats als Akteur und Fluchtpunkt politischen Handelns zu konzeptualisieren. Vielmehr lassen sich mit ihnen jene Bereiche ausleuchten, in denen sich obrigkeitlich intendierte Ordnungspolitik und individuelle, gesellschaftliche Erfahrung von Stabilität und Gerechtigkeit überschneiden, ergänzen, in Beziehung zu einander treten und auf diese Weise politische Relevanz auf der Mikroebene erlangen. Indem die für die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung konstitutive Unterscheidung zwischen einem „weiten Friedensbegriff“ mit Frieden als regulativer Idee und einem „engen Friedensbegriff“ mit Frieden als gewaltfreiem Konfliktaustrag⁵¹ produktiv gewendet wird, kann zudem die noch vielfach anzutreffende Dichotomie eines eschatologischen oder etatistischen Friedensbegriffs überbrückt und in ihrem Konstruktionscharakter sichtbar gemacht werden. Der diese beiden Pole verbindende Bereich der Praxis und der sie leitenden Ethik als Theorie der Praxis spielten während der gesamten Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle gerade im Hinblick auf herrschaftliches Handeln, das sich bekanntermaßen erst im frühen 19. Jahrhundert zum prägenden Staatsparadigma verfestigte. Vielmehr waren auch die Debatten des 18. Jahrhunderts noch von den grundsätzlichen Fragen geprägt, inwieweit Friede als Naturzustand und Krieg damit als dessen Depravation anzusehen sei oder aber Krieg als menschlicher Naturzustand und Frieden mithin als ein Kulturprodukt anzusehen sei.⁵² Eine auf die Friedensvorstellungen und -praktiken vergangener Gesellschaften bezogene Untersuchung muss darauf ausgerichtet sein, anhand des vorliegenden Quellenmaterials deren Repräsentationsformen als begriffliche Codes in spezifischen Semantiken und Diskursen und damit als sprachliche Markierung bestimmter Praktiken und Interaktionsformen zu analysieren. Um die spezifische Mehrdimensionalität des Friedensbegriffs für eine historische Untersuchung fassen zu können, hat Thomas Kater vier Kategorien herausgearbeitet, die für eine – im gegebenen Zusammenhang semantisch-ideengeschichtliche – Untersuchung

50 Brock, „Mehr“, S. 101, vgl. auch Senghaas, Frieden, S. 198–202 und Bonacker, Begriffe, S. 134f. 51 Bonacker, Begriffe, S. 132. 52 Vgl. hierzu Janssen, Friede, S. 559f.

18 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte der Begrifflichkeit von Frieden und den damit verbundenen Sinnstiftungsprozessen verwendet werden kann.⁵³ Kater führt als erste Kategorie die Unterscheidung ein, ob der Friedensbegriff einen Zustand oder einen Prozess beschreibt. Dies spielt vor allem dann eine Rolle, wenn man für vormoderne Gesellschaften nach der Komplementarität bzw. Konkurrenz von juristischer und außerjuristischer Normativität fragt, die sich in diesem Aspekt unterscheiden und damit auch verschiedene Reichweiten und Legitimationsdichte aufweisen. Die zweite Kategorie bezieht sich auf die Attribuierungen von Frieden, mithin auf die Semantiken des Friedensbegriffs im engeren Sinne. Die Zuordnung verwandter und präzisierender Wörter wie Ruhe, Ordnung, Glückseligkeit oder Friedfertigkeit variieren erheblich je nach diskursiven Kontexten und können Aufschluss über spezifische Konkretisationen des Friedensbegriffs je nach Qualität und Bezugsraum geben. Folgerichtig ist die dritte Kategorie der Bestimmung des Bezugsraumes gewidmet, also ob Gebrauch und Diskussion des Friedens etwa die Seele, das Haus, die Familie, den Staat oder das Universum betrifft. Die vierte Kategorie behandelt schließlich die Frage, inwieweit Frieden in verschiedenen Diskursen durch sein Gegenteil wahrgenommen und definiert wird und wie dieses Gegenteil benannt ist, was sich je nach Zuordnung zu den vorherigen Kategorien verschieden ausnehmen kann. Vergleicht man beide Ansätze zur Methodisierung des Friedensbegriffs, lassen sich trotz der ganz unterschiedlichen Herangehensweisen und Perspektivierungen Gemeinsamkeiten feststellen, die hier zentral sind: Für den Friedensbegriff ist die Ambiguität als Zustand und Prozess konstitutiv. Was Kater als Unterscheidungskriterium einführt, wendet Brock als notwendigen Prozess der Konflikttransformation – nämlich die Tatsache, dass Frieden als Zustand der Gewaltfreiheit nur erhalten bleibt, wenn diskursive und nicht-diskursive Praktiken sich dergestalt ausnehmen, dass sie keinen neuen gewaltsamen Konfliktaustrag provozieren. Auch der räumliche Bezug ist von entscheidender Bedeutung. Brock unterscheidet aus der Perspektive der Moderne heraus zwischen geopolitischen und sozialen Räumen, dies fasst Kater in einem umfassenderen Raumbegriff zusammen, der zusätzlich noch psychische und utopische Räume einbindet. Wichtig ist hier die Feststellung Brocks, dass nicht nur die Einordnung in einen räumlichen Kontext wichtig für einen relationalen Friedensbegriff ist, sondern auch inwiefern Frieden eine Klammer zwischen verschiedenen Räumen darstellt bzw. ob und auf welche Weise verschiedene Friedensräume aufeinander bezogen sind. Eng damit verwoben ist die bei Brock unterschiedene Dimension der Zeitlichkeit, nämlich ob Friede erst dann Frieden ist, wenn in allen Räumen gleichzeitig ein „gleicher“,

53 Kater, Friede, S. 25f.

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d. h. nach gleichen Maßstäben gemessener Frieden herrscht oder ob Friede auch in Kategorien der Diskontinuität gedacht, erfahren und kommuniziert werden kann. Neben diesen auf den Frieden selbst bezogenen Aspekten ist auch die Frage nach der Repräsentation ex negativo zentral, also inwiefern durch die Darstellung von Gewalt und Krieg als Nicht-Frieden auf den Frieden zurückgeschlossen werden kann. Bei Kater wie auch bei Brock wird deutlich: Frieden wird vielfach unvermeidbar mit seinem Gegenteil zusammengedacht – auch wenn dies nicht bedeutet, dass Frieden damit vollständig definiert wäre. Neben begrifflichen Attributen und Semantiken ist dies vor allem im Hinblick auf die Analyse von Friedenspraktiken interessant, nämlich inwiefern bestimmte Praktiken als friedensstörend bzw. friedensfördernd dargestellt werden. Das knüpft unmittelbar an die Frage nach den Ursachen an und somit auch an den Prozess des Frieden-Schließens selbst. Die vielfältigen Forschungen haben gezeigt, dass im Prozess des Frieden-Schließens nicht nur die Ursachen des Konflikts abgebaut werden. Auch die Rahmenbedingungen für einen stabilen Frieden müssen geschaffen werden. Das schließt einen „ehrenvollen Frieden“ ein, der es allen Konfliktparteien erlaubt, ohne ungleich verteilte Verluste an materiellen und immateriellen Gütern und möglichst ohne Beschädigung des Selbstwertgefühls gegenüber den anderen Konfliktparteien in den Frieden einzutreten.⁵⁴ Die Schaffung der Rahmenbedingungen für zukünftige gewaltfreie Konfliktaustragungen wird auch vielfach durch die Benennung spezifischer Praktiken sprachlich vorgestellt. Dieser Transformationsprozess in Konflikten ist mit einer Vielzahl von kulturell verankerten Akten symbolischer Kommunikation und ritueller Praktiken versehen, die diesen Prozess markieren und ihm Geltung verleihen.⁵⁵ Hier sei beispielhaft an die gegenseitige Abbitte und das Verzeihen erinnert sowie an den Handschlag als Besiegelung dieses Aktes. Die sprachliche Repräsentation solcher Praktiken im Laufe des Konfliktlösungsprozesses ist deutlich an konflikt- oder friedensfördernde Attribute und Semantiken geknüpft. Damit ist der letzte wichtige Aspekt für die Untersuchung des Friedens angesprochen, seine Einbettung in historische Semantiken und die Zuordnung variierender Attribute. Die Bandbreite des Friedensbegriffs reicht vom jenseitigen Frieden Gottes im Paradies über individuellen Seelenfrieden, Friedfertigkeit, Hausfrieden bis hin zu ausgefeilten juristischen Konstruktionen internationaler Beziehungen und die sich darin widerspiegelnden unterschiedlichen Traditionslinien der Theologie, Jurisprudenz und Philosophie in ihrer gegenseitigen, engen his-

54 Vgl. hierzu für die frühneuzeitliche Geschichte Fuchs, Medium, S. 35–54 und Kampmann, Ehrenvoller Friede, S. 155f. 55 Dartmann, Medien; Fuchs, Medium; Kampmann, Ehrenvoller Friede; Schulze, Kommunikation, S. 18–21 sowie die Beiträge in Althoff, Frieden stiften.

20 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte torischen Verflechtung. Diese Verflechtung erschafft ein vielfältiges, heterogenes semantisches Feld, welches eng mit dem Friedensbegriff verknüpft ist und je nach kulturellem und historischem Kontext unterschiedlich ausfallen kann. Es ist deutlich geworden, dass den verschiedenen Zugängen zur Friedensforschung unterschiedliche Zielsetzungen zugrunde liegen. Während die sozialwissenschaftlichen Konzeptionen darauf ausgerichtet sind, die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zukünftiger Friedensordnungen für gegenwärtiges politisches Handeln abzustecken, haben ideengeschichtliche Untersuchungen wesentlich die Bedeutungsgehalte von „Frieden“ als einem philosophisch-politischen Schlüsselbegriff im Blick. Hält man sich vor Augen, dass Frieden immer dann herrscht, wenn bestimmte Zustände oder Handlungsweisen als solche bezeichnet werden, wird deutlich, dass die Untersuchung der Funktion des Friedensbegriffs für das Haus ganz wesentlich eine Untersuchung von Verständigungsprozessen darstellt. In ihrem Verlauf setzen sich die daran Beteiligten mit sprachlich-kommunikativen Mitteln darüber auseinander, welche Handlungs- und Verhaltensweisen innerhalb einer häuslichen Umwelt als „friedlich“ anerkannt werden oder auch nicht. Nicht die Verhaltensweisen selbst werden in den Blick genommen, sondern die kommunikativen Prozesse, die solchen erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Zuschreibungen vorausgehen. Der strategische Gebrauch solcher Begriffe setzt spezifische Wissensrahmen voraus, da die Begriffsbildung selbst bereits als Strukturierung von Wissen anzusehen ist. Für das Verstehen der Begriffe müssen notwendige Wissensrahmen aktiviert werden, die ihrerseits mit zahlreichen anderen Wissensrahmen vernetzt sind. Die Dynamik solcher Wissensrahmen und -strukturen hängt eng mit der Dynamik bzw. Statik der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst zusammen, sie manifestieren sich im Wandel der zahlreichen einzelnen Äußerungen und ihrer je spezifischen situativen Kontexte.⁵⁶ Voraussetzung solcher kommunikativen Prozesse ist also die Explikation eines „Bedeutungssystems Frieden“, in welchem das gesellschaftliche Wissen davon, was Frieden sein soll und sein kann, eingebettet ist. Dieses Wissen formiert sich in Diskursen – verstanden als eine Gesamtheit von regelhaft (re)produzierten Aussageereignissen –, die wiederum individuelle Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster prädisponieren.⁵⁷

56 Busse, Architekturen, S. 52. Die Schwierigkeit der Umsetzung der Einsicht in die Historizität und Situationsgebundenheit von Begriffsgebrauch in Forschungsstrategien hat Maissen am Beispiel der „Republik“ aufgezeigt. Maissen, Geburt, S. 583. 57 Die Definitionen und Analysezugriffe für „Diskurse“ sind vielfältig und an anderer Stelle vielfach aus verschiedenen Perspektiven diskutiert worden. Vgl. Keller, Diskursanalyse, S. 97–179. Ich beziehe mich in der Definition auf Keller, Diskursanalyse, S. 234f. und Busse, Diskurssemantik, S. 40.

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Die bestehenden begriffs- und ideengeschichtlichen Untersuchungen haben implizit deutlich gemacht, dass Frieden nicht so sehr durch eigene Friedensdiskurse repräsentiert wird, sondern sehr viel häufiger durch semantische Bezüge in anderen Diskursen definiert, bzw. je auf spezifische Weise manifest wird.⁵⁸ Diese Tatsache wurde bereits oben als Manko der bestehenden Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit angeführt, die sich wesentlich an explizit am Leitbegriff Frieden ausgerichteten Diskursen orientiert und damit zu der beschriebenen Bipolarität der Forschungslage geführt hat, ohne jedoch die Verflechtungen des Friedenswissens in andere gesellschaftliche Bereiche zu berücksichtigen. Dietrich Busse hat in seinem Konzept der historischen Diskurssemantik darauf hingewiesen, dass begriffskonstitutive Elemente in Texten vorhanden sein können, auch wenn der Begriff selbst überhaupt nicht vorkommt. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn das bedeutungsrelevante, diskursstrukturierende Wissen auf selbstverständlich vorausgesetztem und daher nicht thematisiertem Wissen aufbaue.⁵⁹ Als zentraler kultureller Code menschlicher Soziabilität ist Frieden in vielen Diskursen anzutreffen, denen genuine Friedensdiskurse in deutlich geringerer Anzahl gegenüberstehen. Das ist, wie zu zeigen sein wird, gerade für den epistemischen Zusammenhang von Frieden und Haus charakteristisch und wurde bisher durch die Beschränkung auf „Höhenkammliteratur“ einerseits sowie das Übergehen des Friedensbegriffs in Hausdiskursen als etwas vermeintlich ohnehin Gewusstes andererseits außer Acht gelassen.⁶⁰ Will man also die Intentionen und den möglichen Erfolg des Begriffsgebrauchs im Rahmen einer kommunikativen Handlung (hier eines Gerichtsverfahrens) und vor dem Hintergrund von ihren sozialen wie epistemischen Voraussetzungen untersuchen, ist eine Analyse der historischen Semantik erforderlich. Diese muss die kommunikative Handlung einerseits als Rahmenbedingung für die Diskursivität sprachlicher Bedeutung und kollektiven Wissens erfassen, andererseits die je individuelle situativ gebundene

58 Diese Tendenz zeigt sich bei dem immer noch vielfach zitierten Beitrag von Wilhelm Janssen in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“, wie auch etwa in Huber/Reuter, Friedensethik oder in Kater, Friede. Es geht nicht so sehr um Diskurse, in denen „Frieden“ das Titelwort und damit auch auf der Oberflächenebene als Friedensdiskurs erkennbar ist. Vielfach wird Bezug auf Friedenssemantiken genommen in Diskursen über Krieg, Gerechtigkeit, Schönheit, Seele u. a. 59 Busse, Diskurssemantik, S. 42f. 60 Die diesbezüglichen Mängel der von den Geschichtswissenschaften betriebenen Begriffsgeschichte wurden vielfach aufgegriffen und formuliert. Busse, Architekturen, S. 52; Dipper, Grundbegriffe, S. 281–291; Reichardt, Einleitung, S. 69; Lottes, Semantik, S. 227–229; Landwehr, Diskursanalyse, S. 39.

22 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Manifestation als sprachliches Handeln zur Sinn- und Bedeutungskonstitution untersuchen.⁶¹ Die Untersuchung der Friedenssemantik in ihrer Diskursivität muss sich demnach dem Aufspüren von tiefensemantischen Repräsentationen von gesellschaftlichem, als selbstverständlich vorausgesetztem Wissen vom Frieden in Diskursen widmen, die sich mit dem Haus als sozialer Institution auseinandersetzen. Dietrich Busse hat für die konkrete Analyse das Instrument der „diskurssemantischen Grundfigur“ vorgeschlagen, die sich nicht auf einen statischen, oberflächlich erfassbaren Topos bezieht, sondern auf das Erscheinen gestimmter diskursiver Elemente abhebt, die das Vorhanden-Sein der Grundfigur implizit offenbaren, ohne dass diese auf der expliziten Textebene immer präsent sein muss. Eine solche Grundfigur kann unterschiedlicher Gestalt sein, neben der begrifflich repräsentierten Oberfläche auch in Form von semantischen Merkmalen und Isotopie-Ketten auftreten, als Element einer Schlussregel, durch Inferenzen zu erschließendes Mitgemeintes, als in Sachverhalten und Gedankenkomplexen Verstecktes.⁶² Die Analyse solcher semantischer Strukturen ist eng verwoben mit dem Blick auf die Formations- und Reproduktionsbedingungen dieser Diskurse, ihre interdiskursiven Beziehungen, die Träger und Adressaten der Diskurse, ihre Aushandlungsprozesse, Ereignisse und Änderungen. Dazu gehört auch die Frage, welche gesellschaftlichen Folgen und Machtwirkungen von einem solchen Diskurs ausgehen und wie er mit sozialen Praxisfeldern und Alltagsrepräsentationen korrespondiert.⁶³ Ausgehend von der kommunikativen Einbettung der Diskurse lassen sich von den verschiedenen medialen Repräsentationen, von der „sozialen Reichweite“ der diskursformierenden Texte und ihrer Narrativität⁶⁴ Rückschlüsse ziehen auf den Zusammenhang von epistemischen Wissensformationen zu kognitiver Wissensproduktion; ein Prozess, der für die Analyse des strategischen Gebrauchs von Friedenssemantik in gerichtlichen Auseinandersetzungen von entscheidender Bedeutung für das Verständnis seiner Funktion ist. Vor der Analyse von Prozessakten steht also die Analyse von Diskursen, in denen sich Formen gesellschaftlichen Wissens um Frieden semantisch niederschlagen. Erkenntnisleitend sind hierbei die oben entwickelten Aspekte des Friedensbegriffes, immer vor dem Hintergrund ihrer Bezugnahme auf die Institution des Hauses. Es muss also untersucht werden, inwieweit semantische Bezüge zur Performativität des Friedensverständnisses vorhanden sind, ob der Schwerpunkt auf 61 62 63 64

Busse, Kommunikatives Handeln, S. 253–256. Busse, Diskurssemantik, S. 51. Keller, Diskursanalyse, S. 262–267; Busse, Diskurssemantik, S. 45–48. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Lüsebrink, Begriffsgeschichte, S. 33–36.

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der Charakterisierung eines Friedenszustandes liegt oder auf der Darstellung und Explizierung (nicht-)diskursiver Praktiken der Prozesshaftigkeit. Welche Praktiken werden als besonders friedensfördernd, -stabilisierend und -erhaltend erwähnt? Lassen sich spezifische Attribute feststellen, die eher auf den Zustand bzw. auf den Prozess verweisen? Dieser Aspekt hängt eng mit der Frage nach der Applizierung spezifischer Friedensattribute auf das Haus zusammen, die aus den Semantiken übergreifender Friedensdiskurse präsent sind. In umgekehrter Blickrichtung wird aber auch danach zu fragen sein, welche semantischen Konstrukte der Thematisierung von Nicht-Frieden zugrunde liegen, welche Praktiken als friedensstörend und konfliktfördernd vorgestellt werden. Welche Rolle spielt Gewalt in diesem Zusammenhang? Wie ist sie konnotiert? Werden friedensstörende Praktiken angesprochen, die noch nicht als gewaltbezogen, gleichwohl aber als unfriedlich wahrgenommen werden? Zentral ist also die Frage nach der semantischen Repräsentation des Raumes, hier des Hauses – nicht nur danach, dass sie auf das Haus als Raum bezogen ist (was ja vorausgesetzt wird), sondern zum einen auf die innere Strukturierung dieses Raumes mit „Friedenspraktiken“ und zum anderen auf wechselseitige Abhängigkeit von „Frieden“ in anderen Räumen. Spielen diese Bezüge eine Rolle, wie sind sie semantisch und diskursiv repräsentiert? Erst die Verknüpfung mit den die innere Organisation des sozialen Raumes Haus strukturierenden semantischen Repräsentationen von Normativität kann Aufschluss über die intendierten, diskursiv ausgehandelten Friedensoptionen, Friedenserwartungen geben und die Frage klären, warum Friede im Haus auch darüber hinaus wichtig war und damit eine dezidierte Friedewahrung von außen, sei es durch Obrigkeiten, Nachbarn oder Verwandte, nicht nur legitim, sondern notwendig war. Welche Kategorien jedoch im Hinblick auf die semantische Verknüpfung von Frieden mit der inneren Organisation und den äußeren Netzwerken besonders berücksichtigt werden müssen, soll ein Blick auf die Konstitutionsbedingungen des Hauses als sozialer Institution klären.

1.2.2 Haus: Institution, Normen, Ordnungen Den zentralen Bezugsraum für Semantiken und Praktiken des Hausfriedens bildet das Haus. Was zunächst banal klingt, erweist sich jedoch als Herausforderung, wenn man sich vor Augen hält, dass sich mit dem Begriff „Hausfrieden“ zwei räumliche Konzepte von Haus verknüpfen – der umbaute, materielle Raum des Hauses als Gebäude und der durch seine sozialen Beziehungen geprägte Raum des Hauses im Sinne des Haushaltes. Während zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen in zahlreichen anderen europäischen Sprachen klar unterschieden wird

24 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte (z. B. house – household, maison – ménage, hus – hushåll), konnte vor allem im frühneuzeitlichen Sprachgebrauch Haus auch die sozialen Aspekte des gemeinsamen Wohnen und Lebens im gebauten Haus umfassen.⁶⁵ Will man erklären, inwiefern das Haus in der Frühen Neuzeit und im 18. Jahrhundert ein Fluchtpunkt wichtiger gesellschaftlicher Friedensprozesse darstellte, ist es also unverzichtbar, dessen Organisations- und Funktionsweisen zu konzeptualisieren – sowohl im Hinblick auf die Praktiken selbst, als auch im Hinblick auf Strategie und Semantik in der Kommunikation über diese Praktiken. Unter Haus bzw. Haushalt verstehe ich im Hinblick auf das soziale Gefüge ein Ensemble von Praktiken, mit denen der Lebensunterhalt erwirtschaftet und gestaltet wurde; ausgeführt von Männern und Frauen, Jungen und Mädchen, die damit zu einer gemeinsam geteilten Ökonomie beitrugen. Sie bildeten im frühneuzeitlichen Verständnis ein Haus bzw. einen Haushalt, ein Narrativ, das sich mit der Orientierung an aristotelischen Kategorien der Gesellschaftsordnung seit dem hohen Mittelalter etabliert hatte. Es handelte sich allerdings keineswegs um eine in Struktur und Größe klar definierte Gruppe, vielmehr konnten Zusammensetzung und Organisation erheblich variieren. Auch jedes einzelne Haushaltsgefüge war nicht notwendigerweise festgefügt, sondern bildete aufgrund von Sterblichkeit und Mobilität ein ausgesprochen dynamisches Beziehungsgeflecht, dessen Größe und Mitglieder häufig wechseln konnten. Eine Vielzahl unterschiedlicher Beziehungen konnte die Mitglieder eines Haushaltes miteinander verbinden: Ehe, Elternschaft, Kindschaft, Gesindedienst, Stiefeltern, Stiefgeschwister, Stiefkinder, Vormundschaft, Mündel, Patenschaft, Lehrling, Großeltern, Enkelkinder, Tante, Onkel, Cousine und andere mehr. Da Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit des Funktionierens eines Haushaltes für alle seine Mitglieder existentielle Bedeutung besaß, waren diese vielschichtigen Beziehungen durch ein ebenso vielschichtiges Geflecht an rechtlichen und sozialen Normen reguliert, das die elementare Ordnungsfunktion des Hauses für die europäischen Gesellschaften widerspiegelt. Wenngleich einzelne der hier genannten Beziehungsarten durch rechtliche Akte etabliert wurden und Gültigkeit erlangten – wie die Ehe durch die Hochzeit, die Vormundschaft durch die gerichtliche Einsetzung als Vormund, die Besiegelung eines Ausbildungs- oder eines Dienstverhältnisses – so ist das Haus bzw. der Haushalt als Ganzes nicht als rechtlich gefasste Institution greifbar, sondern nur als jenes Gefüge von Praktiken des täglichen Wirtschaftens und Lebens. Dafür war es von entscheidender Bedeutung, dass diese Praktiken als Teil des Normgefüges „Haushalt“ und damit als legitim und richtig wahrgenommen und anerkannt wurden. 65 Vgl. Schmidt-Voges, Haus, passim. Vgl. hierzu den Eintrag im Dictionarium latinogermanicum des Peter Kolin, Zürich 1561: „domus pro familia: continens pro contento, ein haußgesind“, S. 364.

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Anerkannter Teil eines Haushalts zu sein, stellte für jeden Menschen von Beginn an die wichtigste Möglichkeit dar, mit legitimem Anspruch auf die materiellen wie immateriellen Ressourcen für die eigene Lebensgestaltung zugreifen zu können. Entsprechend wichtig waren also nicht nur die doings der verschiedenen Haushaltsmitglieder, sondern vor allem die sayings, die kommunikativen Praktiken, mit denen sie ihr Handeln und Verhalten immer wieder als haushaltskonform repräsentieren mussten. Welche normativen Vorgaben und sozialen Erwartungen dabei zum Tragen kamen, hing im Wesentlichen von der jeweiligen Rolle ab, die man zu einem gegebenen Zeitpunkt in einem Haus einnahm. Von einem Kind erwartete man anderes als von heranwachsenden Nachkommen, jugendliche Mägde und Knechte in nicht-elterlichen Haushalten waren mit wiederum anderen Normen konfrontiert; vom verheirateten Haushaltsvorstand wurde anderes erwartet als vom verwitweten Großvater, der die Haushaltsführung seinem Schwiegersohn übergeben hatte. Hier wird deutlich, dass die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens ganz unterschiedliche Positionen in unterschiedlichen Haushalten einnahmen und dementsprechend mit unterschiedlichen Rollenmodellen umzugehen lernen mussten. Eine solche Konzeption des Hauses oder Haushalts aus der Perspektive der Praktiken greift ein dynamisch-relationales Konzept der frühen Ethno-Anthropologie auf, das auch neuere Studien in der Literaturwissenschaft inspiriert hat.⁶⁶ Franz Boas hatte bei seinen Beobachtungen der sozialen Organisation nordamerikanischer Indianerkulturen eine Form eines sozialen Raumes erkannt, der sich aus einer bestimmten Anzahl von Positionen zusammensetze, die ihrerseits durch bestimmte Namen/Funktionen, Rang und Privilegien charakterisiert seien. Nicht das jeweilige Individuum sei entscheidend, sondern die sich im Laufe eines Lebens ändernden Positionen, die es innerhalb eines solchen Hauses einnimmt.⁶⁷ Solche Häuser – eine Übersetzung, die erst Lévi-Strauss⁶⁸ vornehmen sollte – stehen quer zum (statisch gedachten) Konzept der Verwandtschaft und bergen ein dynamisches Potenzial, weil sie ihre Netzwerke durch Heirat und Erbe durchaus variabel gestalten und auf soziale Sicherung und Aufstieg hin ausrichten.⁶⁹ Dem Haus ist damit eine intensive Einbindung in verschiedene soziale Netzwerke immanent, es bildet in diesem Gefüge gleichwohl einen zentrale Ort für den Zugang zu den materiellen und immateriellen Gütern.⁷⁰

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Ghanbari, Haus, S. 72–84. Boas, Kwakiutl, S. 50. Vgl. hierzu auch Ghanbari, Haus, S. 75. Vgl. Ghanbari, Haus, S. 75. Boas, Kwakiutl, S. 51f. Ebd., S. 41–48.

26 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Lévi-Strauss definierte dementsprechend Haus als eine „moralische[] Person“⁷¹, als ein soziales Konstrukt und Träger von Rechten und Pflichten, da seine erbberechtigten Bewohner und Schutzbefohlenen Kontrolle über die materiellen und immateriellen Güter ausüben.⁷² Das Haus als „moralische Person“ ist jedoch nicht als Kollektivakteur zu verstehen, sondern vielmehr als korporativer Zusammenschluss, der sich im Anschluss an den Rechtshistoriker Maine vor allem durch ein hohes Maß an Kontinuität über die ihn konstituierenden Individuen hinaus auszeichnet. Entscheidend sind also die mit bestimmten Rechten, Privilegien und Pflichten ausgestatteten Positionen innerhalb des Hauses, die unabhängig von den sie jeweils bekleidenden Personen bestehen und weitergegeben werden.⁷³ Die Korporationen, hier das Haus, sind aber nicht durch die Rechte, Privilegien, Ämter und Pflichten konstituiert, vielmehr bedienen sie sich ihrer als Vehikel und Medium, um das ihr innewohnende, auf Ewigkeit ausgelegte Fortbestehen zu sichern. Kern und Wesen der Korporation bestehen demnach in der Verwaltung, Pflege und Weitergabe der materiellen und immateriellen Güter und äußern sich in den damit verbundenen Praktiken.⁷⁴ Ist also ein hohes Maß an Performativität Kennzeichen des Hauses als sozialer Institution,⁷⁵ müssen die Handlungsspielräume für die einzelnen Positionen normativ reguliert sein, um Dauerhaftigkeit anstreben zu können. Die Ausgestaltung eines solchen Normen- und Wertesystems für das Haus ist maßgeblich von den jeweiligen kulturellen Rahmungen der Gesellschaft geprägt und reagiert auf die Dynamiken des sozialen Wandels.⁷⁶ Nimmt man diese Normbildungsprozesse für ein Haus in den Blick, das sich aus einem Gefüge sozialer Praktiken und Beziehungen zusammensetzt, die auf Schaffung, Erhalt und Weitergabe von materiellen und immateriellen Ressourcen gerichtet ist, ist das Moment von Hierarchie und Herrschaft unabdingbar mit einbezogen – als eine Meta-Ebene, in der sich Deutungshoheit und Verfügungsgewalt über ebenjene haus-bezogenen Praktiken mit diesen verbinden.

71 Lévi-Strauss, Begriff, S. 200. 72 Ebd., S. 199f. 73 Kramer, Körperschaft, S. 102. 74 Vgl. hierzu Ghanbari, Haus, S. 76. 75 Vgl. hierzu Audehm/Zirfas, Gemeinschaften, S. 30–33. Performativität bezieht sich hier zum einen auf die Ebene von Handlungen und Äußerungen, die nicht als wahr oder unwahr bewertet werden können und selbstreferentiellen Charakter haben, die über die Reproduktivität zudem reflexive und selbstidentifizierende Momente haben. Zum anderen umfasst es aber auch die Ebene der Darbietung, stereotypen Verhaltens und Ritualen als alltägliche Darstellung und Reproduktion von kulturellen Sinn- und Handlungsmustern. 76 Vgl. zusammenfassend für die aktuellen Ansätze, Problemstellungen und Tendenzen Forst/Günther, Ordnungen, S. 12–19.

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Die Konzeptualisierung des Hauses aus der Perspektive der Praktiken wendet sich damit explizit gegen das oben vorgestellte Konzept des „ganzen Hauses“, vielmehr gilt es die Verschränkung der sozialen und politischen Ordnungsfunktionen im Hinblick auf Herrschaft und Hierarchie aus der Perspektive der Praktiken, insbesondere der kommunikativen Praktiken im Rahmen der Normgeltung, zu erklären. Das Haus war nicht nur eine elementare Form der sozialen Gruppenbildung und des ökonomischen Handelns, es wirkte wiederum selbst normbildend auf die gesellschaftlichen Ordnungsprozesse in einem Gemeinwesen, sowohl im Hinblick auf die Beziehungsstruktur als auch auf die inhärenten normative Rollenmodelle. Zieht man das oben skizzierte ethnologische Modell heran, lassen sich über die mit den Positionen innerhalb des sozialen Gefüges Haus verknüpften Rechte und Pflichten diese Aspekte von Hierarchie und Herrschaft in der Konfliktkommunikation über Praktiken integrieren. Angesichts der großen Bedeutung der sozialen Praktiken für die Konstitution von Haus und Haushalt wird deutlich, dass eine das Haus regulierende Normativität auf explizite Normen Bezug nehmen kann und darüber hinaus auch Aspekte der impliziten Normativität, wie sie durch Erfahrungen aus der unmittelbaren (häuslichen) Umwelt erworben wird, von großer Bedeutung sind. Die Normativität häuslicher Praktiken entfaltet sich nicht allein aufgrund der Gültigkeit und Durchsetzung von (rechtlich sanktionierten) Regeln und Regelmäßigkeiten (explizite Normen), sondern im – sich im konkreten Vollzug sozialer Praktiken entwickelnden – praktischen Verständnis von und Wissen um passendes/unpassendes Handeln im Sinne impliziter Handlungskriterien. Erst diese impliziten Normen ermöglichen kontextsensibles Handeln. Eine angemessene Befolgung expliziter Normen setzt also die Beherrschung von „Richtigkeiten“ im Sinne impliziter Normen voraus – nämlich das Verstehen einer Regel und ihre „richtige“ Anwendung in einer konkreten Situation. Für die Geltung expliziter Normen muss also angenommen werden, dass sie mithin nur als in ihrer situativen Anwendung existierend gedacht werden können.⁷⁷ Wird dieses Modell auf den sozialen Raum des Hauses übertragen, sind explizite Normen zum einen in der Definition der Rechte und Pflichten für die verschiedenen Positionen innerhalb eines Hauses zu erkennen. Hierzu zählen die in der so genannten „Hausväterliteratur“ ausgeführten Verhaltensmaßregeln für den Hausvater, die Hausmutter, die Kinder oder das Gesinde, aber auch die rechtlichen Normen im Hinblick auf Ehe, Dienstverhältnis, Elternschaft und Erbrecht. Zum anderen sind die unterschiedlichen Beziehungen der Hausbewohner nach „außen“,

77 Pritzlaff/Nullmeier, Theorie, S. 11f.

28 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte zur Nachbarschaft, Kunden, Verwandtschaft, Gästen oder Fremden durch eine Vielzahl sozialer wie rechtlicher Normen reguliert, die entsprechende Erwartungen und Grenzen des Verhaltens definieren. Implizite Normativität entsteht hierbei einerseits durch die Internalisierung von dadurch unbewusst werdenden expliziten Normen durch die Akteure im Laufe ihrer Sozialisation, andererseits aber auch durch Erfahrungswissen, dass sie entweder durch Beobachtung ihrer Umwelt und deren Verhaltensweisen oder durch Lernprozesse in der eigenen Anwendung normativer Handlungsvorgaben gemacht haben. Auf diese Weise werden Kriterien, Spielräume und Alternativen für kommende Handlungen bereitgestellt.⁷⁸ Gerade dieser Vorgang, dass sich explizite Normen ausschließlich in ihrer situativen, durch implizite Normen angepassten Anwendung manifestieren, macht für jeden einzelnen Akteur sinnstiftendes Handeln erst möglich. Dieser Prozess der Sinnstiftung wiederum vollzieht sich in der sprachlichen Begriffsbildung und -verwendung in der kommunikativen Interaktion. Für die Ausprägung einer haus-bezogenen expliziten Normativität sind für die Frühe Neuzeit drei Ebenen von Bedeutung, in denen signifikante Veränderungen hinsichtlich der das häusliche Leben regelnden Normen eintraten: die sozioökonomische, die politisch-administrative und schließlich die diskursive. Im späten Mittelalter war die seit dem hohen Mittelalter sich vollziehende Etablierung des Hauses als zentraler Wirtschaftseinheit in Stadt und Land zum Abschluss gekommen, was sich in einer zunehmenden Dichte von textlichen Quellen über Regeln und Regelhaftigkeiten des häuslichen Lebens niederschlug.⁷⁹ Charakteristisch für häusliche Normen ist eine Bipolarität, die sich einerseits horizontal auf ökonomische, also zur Bewältigung des Alltags erforderliche Aufgabenund Tätigkeitsbereiche der Hauszugehörigen beziehen, andererseits aber in vertikaler Perspektive auf ein hierarchisches Ordnungsgefüge rekurrierten. Mit der zunehmenden Institutionalisierung von gemeindlich organisierten und verwalteten Aufgaben wurde das Haus auch eine politische Institution.⁸⁰ Der jeweilige

78 Rösener, Agrarverfassung, S. 71–74. 79 Vgl. hierzu als Überblick Meyer, Soziales Handeln; Drossbach, Yconomica; Richartz, Haushalt; Bast, Fathers oder Schnell, Geschlechterdiskurse. 80 Bierbrauer definiert die Gemeindezugehörigkeit für „Inhaber einer bäuerlichen Stelle mit Nutzungsrecht an der Allmende“. Bierbrauer, Ländliche Gemeinde, S. 178. Trotz der großen Vielfalt an Gemeindeorganisationsformen und sehr heterogenen Autonomieverhältnissen und Regelungskompetenzen lassen sich diese Charakteristika als überall auffindbar charakterisieren – sowohl im Hinblick auf die Land- wie auf die Stadtgemeinde. Vgl. hierzu in methodischer Hinsicht vor allem die Beiträge in Blickle, Theorien, Blickle, Gemeinde, Blickle, Resistance und Blickle, Landgemeinde.

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Haushaltsvorstand vertrat sein Haus in der Gemeinde und gegenüber den Obrigkeiten; damit war zugleich eine Ordnungsfunktion nach innen verbunden, die an wesentlich ältere Ordnungsmodelle der Geschlechter, der Generationen und der Dienstabhängigkeit anknüpfte. Die aus diesem Zusammenhang des Hauses als politischer Institution entstandene Normativität der hierarchischen Ordnung war in ihrem sprachlichen Bedeutungssystem niemals losgelöst von jenen Verhaltensregeln und Handlungsmustern, da die Legitimität der häuslichen Herrschaft untrennbar mit der normkonformen Erfüllung der alltäglichen Aufgaben im Kontext der „Nothdurfft“ verknüpft war.⁸¹ Die konstitutive Verschränkung der alltagpraktischen, sozialen und ökonomischen Normen des Hauses als sozialer Institution mit den herrschaftsbezogenen Normen des Hauses als politischer Institution erklärt daher die politische Bedeutung der Performativität häuslicher Ordnung. Im Verständnis der Frühen Neuzeit konstituierte sich im täglichen Tun die Rechtmäßigkeit des sozialen Gefüges – Konflikte deuteten auf Unordnung hin und besaßen somit Relevanz für die gemeindliche-kollektive, politische „Ordnung der Häuser“. Dem sozioökonomischen Wandel entsprach eine Ausweitung des oikosNarrativs auf diskursiver Ebene. War es von der Spätantike bis ins Hohe Mittelalter wesentlich im Kontext der Herrschaftsethik von Fürsten und Bischöfen diskutiert worden,⁸² so lässt sich seit dem späten Mittelalter beobachten, dass die vielschichtigen Aspekte der Alltagspraktiken in Haushalten zunehmend auf der Folie der antiken Konzepte von oikos und oikonomia gedacht und interpretiert wurden. Dieser Prozess verlief auf verschiedenen Ebenen in unterschiedlichen Diskursen, immer aber spielte das Haus eine zentrale Rolle – sei es im Geschlechterdiskurs und in der Entdeckung der Ehe und des Hausvaters als Kern der häuslichen Gemeinschaft, in den ökonomischen Schriften der Haushaltungskünste oder in den politisch-juristischen Diskursen der weltlichen Herrschaftsordnung.⁸³ Wichtig ist hierbei insbesondere der ethische Aspekt, der sich aus der Rezeption der griechischen Schriften ergab, denn oikonomia war hier in erster Linie auf das Haus als sozialer Raum bezogen und befasste sich mit dem richtigen Zusammenleben. Besonders zu betonen ist, dass diese „Ethik der persönlichen Beziehung“ für Fragen der Herrschaft deshalb als zentral galt, weil sie im Kern vom Postulat der

81 Zur „Nothdurfft“ als Denkrahmen des Lebensunterhalts siehe Blickle, Hausnotdurft und Schmidt, „Nothurft und Hußbruch“. 82 Vgl. hierzu Meyer, Soziales Handeln, S. 33f.; Richter, Oikonomia, Kapp. 5–7. 83 Zu den Geschlechterdiskursen vgl. etwa Schnell, Frauendiskurse oder Bast, Fathers; zu den ökonomischen Aspekten etwa Drossbach, Yconomica oder Ehlert, Rolle. Zur Konjunktur und zum Sinnstiftungspotenzial der erneuerten Aristoteles-Rezeption seit dem 14. Jahrhundert vgl. die Beiträge in Fidora, Aristotelismus.

30 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Menschenfreundlichkeit, der Billigkeit und Nachgiebigkeit geprägt war. Sie sollte immer dann zum Tragen kommen, wenn eine buchstabengetreue Anwendung des Rechts nicht möglich oder unangemessen war und eine Gewissensentscheidung erforderte.⁸⁴ Die sich im späten Mittelalter im Übergang zur Frühen Neuzeit ausbildende explizite Normativität in Bezug auf das Haus war also eine in hohem Maße moralisch-ethische Normativität, theologisch begründet als göttliche Ordnung in der Welt. Dieser Denkrahmen erhielt zusätzliche Triebkraft durch die reformatorische Betonung von Ehe und Haushaltsführung als Kern innerweltlicher Bewährung.⁸⁵ Zugleich ist in diesem Verständnis aber auch die implizite Normativität im Kern miteinbezogen, war sie doch zentrale Voraussetzung für die Beurteilung der Billigkeit bestimmter Praktiken und Interaktionen, und damit Grundlage menschenfreundlichen Handelns. Konstitutiv für das Haus als Gefüge sozialer Praktiken war also der Prozess der Zuschreibung, dass alle Handlungen, Verhaltensformen und Interaktionen als konform mit dem ethisch-praktischen Normengefüge des Hauses eingeordnet wurden – ein Prozess, der sich fortlaufend im Interaktionsgefüge vollzog und in der Regel nur dann manifest und explizit wurde, wenn unterschiedliche Deutungen aufeinandertrafen und Konflikte im Raum standen. Und das war nicht allzu selten der Fall.⁸⁶ Grundsätzlich ist zu beachten, dass sich die zur Debatte stehenden Normen erheblich unterscheiden konnten, je nach Konstellation der Konfliktakteure; Ehrenhändel auf der Straße wurden anders beurteilt und ausgetragen als eine Klage vor Gericht, in denen obrigkeitliche (Rechts-)Normen den zentralen Bezugsrahmen bildeten. Im Hinblick auf die soziopolitischen Rahmenbedingungen der Frühen Neuzeit trug das Haus in seiner Bedeutung als Fundament gesellschaftlicher Ordnung eine besonders hohe „Bedeutungslast“. Neben dem ideellen Aspekt, der in der Ordnung des Hauses den Spiegel der Ordnung der Gesellschaft sah, war das Funktionieren jedes Haushalts als Versorgungseinheit für den Bestand und die Stabilität einer Gemeinde von existenzieller Bedeutung. In Zeiten fehlender bzw.

84 Richter, Oikonomia, S. 515–530, 575–590. 85 Die Dynamiken des 16. Jahrhunderts im Hinblick auf das Wechselspiel ethischer Normen der oikonomia zwischen der alltäglichen Praktiken des Haushaltens der Untertanen und der Theorie der Regierungspraxis gehören in diesen Zusammenhang, können hier aber nicht weiter behandelt werden. Vgl. hierzu Schorn-Schütte, Politische Kommunikation. 86 Eine Vielzahl von sozial- und mikrohistorisch orientierten Studien verweisen darauf im europäischen Zusammenhang. Vgl. etwa Sharpe, Disagreement, S. 181–184; Casey, Household Disputes, S. 189–191; Castan, Vivre ensemble, S. 116–118; Hardwick, Family, S. 188–199, Werkstetter, Frauen, S. 328–333, Hohkamp, Herrschaft, S. 157–159.

1.2 Theoretisch-methodische Skizzen | 31

unzureichender sozialer Sicherungssysteme hatten sowohl die sozialen Netzwerke der Nachbarschaft und Verwandtschaft wie auch die Obrigkeiten ein massives Interesse daran, die Ordnung des Hauses im Sinne des alltagspraktischen Bestehens zu gewährleisten. Vergegenwärtigt man sich die zentrale Bedeutung der expliziten moralischethischen Normativität und der impliziten, situativ und milieu-orientierten Normativität wird deutlich, dass dies nur in einem wechselseitigen Prozess der kommunikativen Verständigung über Normkonformität geleistet werden konnte. Die Gültigkeit und Anwendung von Normen musste immer wieder neu ausgehandelt und an die Situationen und Umstände angepasst werden, um damit eine Kohärenzbildung von obrigkeitlichen Normen und sozialen Billigkeitsvorstellungen leisten zu können. Dieser Prozess ist als eine Form von Mikropolitik zu beschreiben, da in der Verhandlung hausbezogener Konflikte jener Anpassungsprozess zwischen Praktiken und Normen vollzogen wird, der dann wiederum kollektive Verbindlichkeit herstellt.

1.2.3 Mikropolitik: Praktiken, Strategien, Subjektivierungen Der Soziologie Robert Emerson hat den Prozess der Konfliktgenese und des Umgangs mit Konflikten innerhalb persönlicher Beziehungen als „micro-politics of trouble“ bezeichnet. Er verweist damit auf das hohe Maß an Kontingenz, das den verschiedenen Stufen von der individuellen Wahrnehmung, dass „etwas nicht stimmt“, über Strategien des Umgangs mit dieser Wahrnehmung bis hin zur offenen Thematisierung, der Intervention Dritter, zugrunde liegt. Jede Interaktion während des Prozesses beruhe auf situativen Faktoren, die es immer zu analysieren gelte, da sie wesentlich für die Einordnung, Richtung und den Verlauf von Konflikten seien. Sobald die Wahrnehmung einer Schwierigkeit zwischen zwei Personen thematisiert würde, spielten immer auch die individuellen Macht- und Ressourcenreserven eine Rolle, um die je eigene Position zu stützen.⁸⁷ Dieser Prozess verschärfe sich Emerson zu Folge dann, wenn Dritte hinzugezogen würden. Dann würden in jedem Fall ethisch-moralische Aspekte und Zuschreibungsprozesse von Nonkonformität eine zentrale Rolle spielen, die aus einem normalen Konflikt normative Devianz werden lasse.⁸⁸ Eine Vielfalt historisch-anthropologischer, sozial- und mikrohistorischer Untersuchungen haben den Prozess der Zuschreibung und Sanktionierung von De87 Emerson, Micro-politics, S. 123–129. 88 Emerson, Normal Conflict, S. 24–27.

32 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte vianz als fundamentalen Prozess sozialer Ordnung und sozialen Wandels für die Frühe Neuzeit thematisiert und analysiert. Sie alle verweisen darauf, dass soziale Ordnung nicht ausschließlich als Produkt von Rechtsprechung und Durchsetzung obrigkeitlicher Normen entsteht, sondern zugleich in ein komplexes Geflecht sozialer Ordnungsprozesse und Billigkeitsvorstellungen eingefügt ist, das wiederum in sehr enger, sich wechselseitig bedingender Beziehung zur Rechtssprechung steht.⁸⁹ In diesem Zusammenhang wurde immer wieder auf die Bedeutung der Sprache für eine gemeinsame Verständigung über die herzustellende Ordnung hingewiesen, ohne die eine Wahrnehmung und Verhandlung von Realität zwischen Menschen schlicht nicht möglich wäre.⁹⁰ Wenngleich gerade im Bereich der Ordnungsregulierung durch soziale Kontrolle die Bedeutung spezifischer Rituale zur Markierung von Zuständen der „Un-Ordnung“ in der Forschung hervorgehoben wurde, wurden die kommunikativen Praktiken zur Wiederherstellung der Ordnung – seien sie symbolischer oder verbaler Natur – bisher weniger in den Blick genommen.⁹¹ Eingedenk der existentiellen Bedeutung, die dem Funktionieren der sozialen Netze und damit den stabilen Beziehungen zwischen den dieses Netz bildenden Akteuren zugemessen wurde, waren aber gerade diese Prozesse des Restabilisierens von zentraler Wichtigkeit. Nicole Castan hat auf die Vielfalt der Praktiken des „menager la paix“⁹² hingewiesen, die zwar keinesfalls Gewalttätigkeiten oder

89 Während dies theoretisch vor allem von anthropologischer Seite erarbeitet wurde (vgl. etwa Roberts, Study of Dispute, S. 2–4; Just, Law, S. 122), haben zahlreiche historische Studien den engen Zusammenhang von gerichtlicher und sozialer Konfliktlösung für viele Teile Europas aufgezeigt. Neben dem Sammelband von John Bossy, Dispute and Settlement, zählen hierzu die Arbeiten von Nicole und Yves Castan, Richard Kagan, Eva Österberg und Steven Hindle, um nur einige zu nennen. Für den deutschen Sprachraum sind dies vor allem Studien im Umfeld der historischen Ethnologie zu Streitkulturen; hier ist Barbara Krug-Richter zu nennen, aber auch Michaela Hohkamp hat aus mikrohistorischer Perspektive die Ordnungsprozesse einer Herrschaft aufgezeigt. Für die Konfessionalisierungsforschung hat vor allem Heinrich-Richard Schmidt auf die „Selbstregulierungskräfte“ und die eingeschränkten Handlungsspielräume von Obrigkeiten hingewiesen. Schmidt, Hausväter; Schmidt, Pazifizierung; Schmidt, Sozialdisziplinierung. 90 Just, Law, S. 112. 91 Rituelle Praktiken wie Charivari, Katzenmusik, rough music, Dachabdecken u. a. wurden vor allem mentalitätshistorisch in klassischen Studien von Fabre, Riten, S. 536–546 und Jacques Le Goff, Charivari untersucht. Neuere Arbeiten sind vor allem im Umfeld der ethnologischen Arbeiten zu Praktiken des Konfliktaustrags zu finden; vgl. etwa Krug-Richter, Praktiken oder Ingram, Folklore, S. 62–65. Auch Kramer hat früh auf rituelle Praktiken des Konfliktaustrages gerade in Bezug auf den Raum des Hauses aufmerksam gemacht. Kramer, Herausfordern, S. 122–129; so für die Volkskunde auch Heidrich, Haus, S. 17–19. Für die Bedeutung des Hauses als Fokus von Rügebräuchen bereits im antiken Griechenland vgl. Schmitz, Nachbarschaft, S. 354–380. 92 Castan, Vivre, S. 118.

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verbale Grobheiten ausschlossen, aber immer die Möglichkeit zur Rückkehr zu friedlicheren und versöhnlicheren Umgangsformen offen ließen. Konnten diese Konflikte dauerhaft nicht gelöst werden, oder waren sie so gravierend, dass sie die Konfliktregelungskompetenz der sozialen Netzwerke überschritten, fand eine Austragung vor Gericht statt.⁹³ In diesen wie in den genannten anderen Studien lassen sich vielfältige Formen von „micro-politics of trouble“ finden, wie sie Emerson skizziert hat. Die historische Kriminalitätsforschung hat in diesem Zusammenhang die sozialen Praktiken der Justiznutzung als einer Form von Macht- und Ressourcenreserve hervorgehoben, die von Konfliktparteien strategisch genutzt wurden.⁹⁴ Gerade im Bereich häuslicher und alltagsbezogener Konflikte stellte die gerichtliche Klage nur eine, wenn auch eine sehr gewichtige, Möglichkeit zur Konfliktgestaltung dar. Diese Zusammenhänge, die bisher hauptsächlich aus kriminalitätshistorischer Perspektive anhand von Akten aus Strafrechtsprozessen erarbeitet wurden, gelten in besonderer Weise für zivilrechtliche Klagen und Prozesse, da hier den obrigkeitlichen Akteuren eine prozessrechtlich anders gelagerte Rolle zukommt. Gerade für erstinstanzliche Prozesse an Gerichten, die unmittelbar in den jeweiligen Gemeinden angesiedelt waren und die von deren Amtsträgern beschickt wurden, kann nicht selbstverständlich von einer Gegenüberstellung von Obrigkeit und Untertan ausgegangen werden, wie dies vielfach in den genannten kriminalitätshistorischen oder höchstgerichtlichen Zivilprozess-Studien der Fall ist. Vielmehr muss man von litigation communities ausgehen, die Julie Hardwick als ein soziales Gefüge von häuslichen, nachbarlichen, verwandtschaftlichen und gemeindlichen Netzwerken versteht, welche in gegebenen Konflikten im Rahmen einer Gerichtsverhandlung Verständigung darüber erzielten, was unter häuslicher Ordnung zu verstehen, welches Verhalten akzeptabel, welches als grenzüberschreitend und damit inakzeptabel anzusehen war.⁹⁵ Dies gilt umso mehr, als auf dieser Ebene gemeinsam geteilte Billigkeitsvorstellungen die Basis der Rechtsprechung bildeten und nicht der Bezug auf materielles Recht. Neben der Verhandlung eines spezifischen häuslichen Konflikts ging es immer auch um die Aktualisierung, Reaktualisierung, Anpassung und den Abgleich von Ordnungs- und Erfahrungswissen. Dieser Abgleich, der entscheidend für eine dauerhafte Stabilisierung der sozialen Ordnung in ihrem dynamischen, fluiden Charakter und der sie konstituierenden Praktiken und Wahrnehmungsmodi ist, 93 Günther, Nachbarschaft, S. 447f. 94 Hierbei stehen vor allem Konzepte der Justiznutzung bzw. des infrajudiciaire und ihrem Zusammenhang mit sozialer Kontrolle durch vor- und außergerichtliche Konfliktregulierung im Zentrum. Vgl. hierzu exemplarisch Dinges, Justiznutzung; Loetz, L’infrajudiciaire; und Hoffmann, Außergerichtliche Einigungen. 95 Hardwick, Family, S. 89–91.

34 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte stellt somit ein Kernelement politischer Praktiken auf Mikroebene dar. Gerade auf der Ebene der häuslichen Ordnung (einbegriffen die Ordnung der Geschlechter und die Ordnung der Generationen) ist in der Beurteilung sozialer Praktiken und Verhaltensweisen nicht nur die soziale, sondern im Kern auch die politische Ordnung berührt, solange weltliche Herrschaft und politische Ordnung auf dem Haus basierten – sei es in legitimatorischer oder sozioökonomischer Perspektive. Politisch waren diese in den Gerichtsverhandlungen sich vollziehenden Praktiken also gerade deshalb relevant, weil die institutionelle Autorität des Gerichts kollektiv verbindliche Entscheidungen zur Gewährleistung „guter Policey“ fällte. Zugleich betraf der Regelungsgegenstand den Kern und die Scharnierstelle politisch-sozialer Ordnung in frühneuzeitlichen Gesellschaften und beanspruchte über den konkreten Fall hinaus im Sinne des Gewohnheitsrechts Gültigkeit. Diese Scharnierstelle war aber – wie deutlich geworden ist – nicht so sehr die abstrakte rechtliche Institution des Hauses und häuslicher Herrschaft, sondern das ineinandergreifende Gefüge sozialer Praktiken, die normkonform gestaltet werden sollten. Betrachtet man gerichtliche Verhandlungen also als einen kommunikativen Prozess, in dessen Verlauf die Akteure eine durch Konflikte und Interessensgegensätze instabil gewordene soziale und politische Ordnung restabilisierten, indem sie eine angemessene Lösung des Konfliktes im Sinne einer „praktischen Kohärenz“ (Nida-Rümelin) von obrigkeitlichen und sozialen Normen und Werten herbeiführten, können solche Gerichtsverhandlungen als eine spezifische Form politischer Praktiken angesehen werden. Dies entsteht nicht durch die Institution „Gericht“/Rechtsprechung per se, sondern in den sie tragenden, ihre Institutionalität begründenden selbststabilisierenden Elementen, also ihren Ordnungsvorstellungen, Geltungsansprüchen und Symbolisierungsleistungen, die als fragile Prozessprodukte wirklichkeitskonstruktiver Praktiken zu fassen sind.⁹⁶ Der Ort des Gerichts und die Interaktionen der Verhandlung sind damit der zentrale Raum, an dem die kulturelle Konstruktion von Frieden auf der Mikroebene greifbar und in den sprachlichen Repräsentationen analysierbar wird. Es ist gerade das Eingreifen von obrigkeitlichen Akteuren in soziale Konflikte, die eine „normative Devianz“ entstehen lassen und deren Regulierung insofern kollektive Verbindlichkeit erlangen, weil sie die zugrundeliegenden Billigkeitsvorstellungen explizieren, konkretisieren und ihre Gültigkeit etablieren. Solche als politisch verstandenen Praktiken grenzen sich zu sozialen Praktiken dadurch ab, dass sie konfligierende Positionen in einer Weise regeln, die in ihrer Wirkung kollektiv verbindlich ist. Politik ist somit als ein Interaktionsgefüge

96 Vgl. Patzelt, Institutionalität, S. 60.

1.2 Theoretisch-methodische Skizzen |

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mehrerer Akteure zur „Erzeugung und Gewährleistung kollektiv verbindlicher Entscheidungen“⁹⁷ zu verstehen. Die Entscheidungsprozesse laufen entlang der zu unterscheidenden Akte von Vorschlag, Akzeptanz und Bestätigung,⁹⁸ deren Aushandeln ganz maßgeblich vom erfolgreichen Gebrauch spezifischer Semantiken und Bedeutungssysteme abhängt. Das soziologische Modell von „Mikropolitiken“ auf der Ebene interpersonaler Konfliktgestaltung unter Einbeziehung von obrigkeitlichen Akteuren als dritter Partei ist anschlussfähig an neuere politikwissenschaftliche Ansätze, die ebenfalls stärker situative und kontingente Faktoren auf der individuellen Akteursebene in den Blick nehmen und den Einfluss täglicher Routinen, unhinterfragter Verhaltensweisen und informeller Prozesse auf die Umsetzung politischer Normen und Ziele in konkreten Situationen untersuchen.⁹⁹ Ein solcher Ansatz mikropolitischer Analyse eignet sich für die Untersuchung frühneuzeitlicher Prozesse in besonderem Maße, weil er ermöglicht, den (zumindest in den Politikwissenschaften mitgedachten) Rahmen der Organisation zu überwinden und politisches Handeln in einem soziokulturellen Kontext konzeptionell greifbar zu machen, das noch keine institutionalisierten politischen Organisationen und Strukturen im modernen Sinne kannte, sondern wesentlich über Praktiken von Herrschaft und kommunikative Aushandlungsprozesse zwischen Obrigkeit und Untertanen funktionierte.¹⁰⁰ Die Markierung von Devianz bzw. Unordnung und Ordnung konnte nur erfolgreich und nachhaltig gelingen, wenn das soziale Umfeld und dessen Bewertung der Vorgänge miteinbezogen wurde – sei es in der Deutung und Einordnung der Vorfälle oder in der Akzeptanz und Bestätigung der getroffenen Entscheidungen.¹⁰¹

97 Zur Definition des Politikbegriffs vgl. für die Politikwissenschaften z. B. Biegelbauer/Jörke, Mikroanalysen, S. 3, Nullmeier/Pritzlaff, Theorie, S. 11–14. Ein solchermaßen weit gefasster Politikbegriff kommt dem Politikverständnis der Frühen Neuzeit ohnehin näher als ein älteres, auf das Handeln in verfassungsmäßig verankerten Institutionen ausgerichtetes Politikverständnis. Vgl. etwa Zedler, Art. Politick, Bd. 28, Sp. 1528. Aus der Perspektive der Begriffsgeschichte s. hierzu Steinmetz, „Politik“. 98 Nullmeier/Pritzlaff, Theorie, S. 14–16. 99 Willner, Micro-Politics, S. 159f., Patzelt, Mikroanalyse, S. 224–226. 100 Zum weiten Bereich des Themenfeldes „Herrschaft als soziale Praxis“ vgl. die Beiträge in Blockmans, Empowering Interactions, insbesondere Brakensiek, Communication. 101 Das gilt sowohl für die allmähliche Implementierung „neuer“ Ordnungsvorstellungen wie auch für die Anpassung von Normen an eine dynamische soziale Praxis. Vgl. etwa die Arbeiten zur Entwicklung der Ehegerichtsbarkeit bei Burghartz, Leib und Burghartz, Ordering Discourse sowie zum Resonanzbedarf frühneuzeitlicher Ordnungsprozesse mit lokalen, sozialen Billigkeitsvorstellungen bei Schmidt, Pazifizierung und Landwehr, Policey, S. 193–195, Landwehr, Normdurchsetzung und Sabean, Property, S. 93–113.

36 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Der Bereich häuslicher Konflikte nahm in diesem Interaktionsgefüge aber eine besondere Bedeutung ein, da die Notwendigkeit einer restabilisierenden Konfliktlösung sowohl für die sozialen Unterstützungsnetzwerke wie auch für die politische Ordnung gleichermaßen von existenzieller Bedeutung waren. Die damit einhergehende Forderung nach hoher Kohärenz expliziter und impliziter Normen häuslichen Lebens führte notwendigerweise zu einer intensiven Auseinandersetzung über die Zuschreibung bestimmter Verhaltensweisen der Konfliktparteien als normkohärent und damit zu einem Kampf um die Deutungsmacht – der selbst wiederum deutlich von der Handlungskompetenz der Einzelnen vor Gericht geprägt war. Denn es war entscheidend für die Konfliktparteien, ihre Positionen sprachlich durch den Gebrauch spezifischer Semantiken und Codes so zu präsentieren und an übergeordnete Diskurse anzuknüpfen, dass eine höchstmögliche Kohärenz mit den erwarteten obrigkeitlichen Interessen hergestellt wurde. Entscheidend für eine überzeugende Einschreibung in obrigkeitlich und nachbarschaftlich akzeptierte Ordnungsmodelle ist die Präsentation des Selbst als eine den mit den spezifischen sozialen Rollen wie Hausmutter, Ehefrau, Tochter, Nachbarin, Geschäftspartner, Schwiegersohn oder Onkel verknüpften Erwartungen entsprechende Person. In diesen Selbstpraktiken spiegeln sich diskursive Subjektivierungsprozesse wider, welche erst die Möglichkeiten und das Vokabular für die Sprechsituationen im „Gericht“ und die damit verbundenen „Wahrheitsspiele“ bereithalten.¹⁰² Im Hinblick auf das Gesamtkonzept der Studie ist wichtig zu betonen, dass diese „Wahrheitsspiele“ in der beschriebenen spezifischen Sprechsituation vor Gericht sehr eng in den diskursiv vorgegebenen Normen stattfanden. Damit lassen sich vor allem in der Darstellung von konflikthaften Alltagspraktiken diskursive und nicht-diskursive Praktiken kaum voneinander unterscheiden, was aber nicht als Defizit, sondern als Chance zu begreifen ist. Lässt sich doch auf diese Weise der strategische Einsatz von Friedenssemantiken durch die Akteure beobachten.¹⁰³ Der hier vorgeschlagene Begriff der Mikropolitik zielt also auf die kommunikativen Prozesse im Rahmen von Gerichtsverhandlungen ab, in denen Obrigkeiten und Untertanen kollektiv verbindliche Normen zur Regulierung und Organisation des häuslichen Raumes mit seinen Innen- und Außenbeziehungen aushandelten, herstellten und durchsetzten. Eine solche Konzeptualisierung legt einen anderen Schwerpunkt als ein auf organisationssoziologischen Modellen aufbauendes Konzept von Mikropolitik, das in der Frühneuzeitforschung wesentlich zur Erforschung

102 Aus der Vielfalt der Literatur zur Subjektkonstitution sei verwiesen für die Auseinandersetzung mit Foucault auf Lüders, Selbstpraktiken, S. 77f. und in der Sozialpsychologie im Anschluss an Goffmann auf neuerdings Cohen, Self-Construction, S. 70–73. 103 Zur Problematik der Unterscheidung vor allem im Hinblick auf Alltagspraktiken vgl. Wrana/Langer, Ränder, Kap. 5.

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politischer Netzwerkbildung im territorialen Verwaltungsapparat herangezogen wird.¹⁰⁴ Hier geht es vielmehr darum, einen für die Frühe Neuzeit elementaren Bereich politisch relevanten, weil kollektive Verbindlichkeit herstellenden Handelns greifbar zu machen, das mit der immer noch vorherrschenden Trennung zwischen „sozialen“ Prozessen und „politischen“ Institutionen nur bruchstückhaft als Grauund Grenzzone zu greifen ist. Gemeinsam ist allen Ansätzen jedoch, dass sie den Fokus auf die Analyse von Praktiken und den ihnen zugrundeliegenden Wissensordnungen legen, ausgehend von aktuellen Praxistheorien wie sie Andreas Reckwitz im Anschluss an Bourdieu und Giddens entwickelt hat. Die relative Stabilität, die Verankerung von Praktiken als Verhalten und Handlungen in täglichen Routinen ist verknüpft mit einem gemeinsam geteilten, kollektiven Wissen, vor dessen Hintergrund Praktiken erst verstehbar und interpretierbar werden.¹⁰⁵

1.2.4 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise Vor der konkreten Analyse von Form und Funktion von Friedenssemantiken in häuslichen Konflikten anhand von Gerichtsakten müssen ebenjene kollektiv geteilten Wissenshorizonte erarbeitet werden, in denen die Vorstellungen über Frieden, häusliche Ordnung und die daraus resultierende Erwartungshaltung der Gesellschaft greifbar werden. Im ersten Teil der Studie gilt es daher entsprechend den multipolaren Bezugsrahmen frühneuzeitlicher Normativität und deren Medialität in den Blick zu nehmen. Da es, wie eingangs erwähnt, keinen eigenen Diskurs zum Hausfrieden gab, sondern vielmehr die Verwendung des Friedensbegriffs und seiner Semantiken in Diskursen zum Haus prägend für das Bedeutungssystem „Hausfrieden“ war, müssen die diskursiven Praktiken in einer Genealogie des Hausfriedens herausgearbeitet werden, die verschiedene diskursive Formationen einerseits zu einer gegebenen Zeit vergleicht und andererseits durch eine diachrone Perspektive in ihrer jeweiligen Kontingenz deutlich macht. Hausdiskurse lassen sich in der Frühen Neuzeit in verschiedenen Kontexten finden, die mit der sozialen Funktion des Hauses als Ordnungsmodell und als Wirtschaftseinheit zusammenhängen. Neben den ökonomischen Diskursen paradigmatisch abgebildet in der so genannten „Hausväterliteratur“ – spielte die

104 Vgl. etwa Reinhard, Mikropolitik; Emich, Bürokratie; Zunckel, Mikropolitik; das konflikttheoretische Modell findet für frühneuzeitliche soziale Beziehungen Anwendung bei Wolfart, Religion, Kap. 5. 105 Reckwitz, Grundelemente, S. 288–290; Reckwitz, Entwicklung, S. 310–317.

38 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte juristische Sicherung des Hauses als Basis jeder Form von Gemeindebildung und Untertänigkeit und ökonomischer Existenzgrundlage eine wichtige Rolle in der auf Recht als Strukturprinzip angelegten europäisch-christlichen Gesellschaftsordnung. Gerade diese Scharnierfunktion des Hauses als eines sozialen Raumes, der die individuelle Existenz mit der sie umgebenden sozialen Umwelt und damit der Gesellschaft verknüpft, machte es zu einem zentralen Thema der theologischen Ethiken in der Frühen Neuzeit. Ausgehend von einer Skizze der Semantiken des Friedensbegriffs werden die theologischen, die juristischen und die ökonomischen Diskurse zum Haus im Hinblick darauf analysiert werden, welche Zustände und Prozesse des häuslichen Lebens mit Friedenssemantiken verknüpft wurden, welche Positionen im Haus als besonders konfliktträchtig bzw. befriedungsbedürftig markiert werden und welche Praktiken als friedfertig bzw. friedensstiftend oder friedensstörend beschrieben werden. Da sich die unterschiedlichen Hausdiskurse vor allem im 14. Jahrhundert zu formieren begannen und damit wichtige Grundlagen für die Frühe Neuzeit und das 18. Jahrhundert darstellten, wird sich die Analyse der Diskurssemantiken im Wesentlichen auf die Zeit vom 14. bis in das beginnende 19. Jahrhundert erstrecken. Wenn es in der Diskursanalyse darum geht, Wissensbestände in Abhängigkeit zu den Regeln des Sagbaren und ihre Konstitutionsbedingungen herauszuarbeiten, stellt sich die Frage der Zugänglichkeit verschiedener Akteure und Akteursgruppen zu diesen Wissensbeständen in zweifacher Hinsicht. Während die Frage der Medialität und der sich daraus ableitenden Frage der Verbreitung, Reichweite und Prägekraft bestimmter Diskurse wichtig im Rahmen der Diskursanalyse zu behandeln sind, wird die für die mikrohistorische Untersuchung des städtischen Kontextes in Osnabrück wichtige Frage der spezifischen Verhältnisse vor Ort im Rahmen der mikrohistorischen Untersuchung abgehandelt. Der zweite Teil widmet sich dann anhand der gerichtlichen Überlieferung häuslichen Konflikten. Hierbei wurde ein Verfahren gewählt, dass zum einen die kollektiven Aspekte in den Blick nimmt: die normativen Rahmenbedingungen, soziale Struktur und Entwicklung, jurisdiktionelle Organisation sowie den Zugang zu Wissen und Druckmedien als Faktoren, die das kollektive Ordnungswissen bestimmen. Daran schließen sich dann zusammenfassende Analysen bestimmter Konfliktfelder in häuslichen Auseinandersetzungen sowie Fallstudien an, die dann einen detaillierten Blick in jene Prozesse einer Mikropolitik des Friedens erlauben – von der Konfliktgenese bis hin zu Regulierungsstrategien.

1.3 Quellen und ihre kommunikative Einbettung | 39

1.3 Quellen und ihre kommunikative Einbettung Die Analyse der mikropolitisch wirksam werdenden Friedenssemantiken und Friedenspraktiken basiert in erster Linie auf der Auswertung von Gerichtsakten, die neben Zeugenverhörprotokollen auch schriftliche Akten und Prozessstücke enthalten können, je nach Form der angewandten Prozessform und -ordnung. Gerichtsakten haben in den vergangenen Jahrzehnten ein verstärktes Interesse der Forschung aus verschiedenen Richtungen erfahren, insbesondere in Kontexten und Fragestellungen von alltags- und mikrohistorischem Interesse, die außerhalb von Gerichtsakten kaum Spuren hinterlassen haben.¹⁰⁶ Neben sozialen Praktiken richtete sich ein großes mentalitätshistorisches Interesse auf die in den Aussagen aufscheinenden „sozialen Wissensbestände“,¹⁰⁷ wobei die Studien nach Konvergenzen und Divergenzen zwischen gelehrtem und Alltagswissen fragten. In allen Arbeiten wird die Auseinandersetzung mit der Problematik von Gerichtsakten als einer stark formalisierten Quelle mehr oder weniger stark diskutiert.¹⁰⁸ In Arbeiten, die sich dem Prozessgeschehen selbst als spezifische Form politischer und sozialer Aushandlungsprozesse zuwenden, wurde der hochgradig formalisierte Konstruktionscharakter der Quellen hervorgehoben und problematisiert.¹⁰⁹ Die zur Analyse der Mikropolitiken herangezogenen Gerichtsakten zielen aber nicht nur auf das in ihnen aufscheinende „Alltagswissen“ der Menschen im 18. Jahrhundert vom Frieden, sondern auf die Gerichtsverhandlung als spezifischen Ort des Herstellens und Bewahrens von Frieden auf der Mikroebene zwischen politischer und sozialer Ordnung. Aufgrund der stark an die lokalen – mitunter auch regionalen – institutionellen wie kulturellen Gegebenheiten gebundenen Rahmenbedingungen von jurisdiktionellen Akten liegen Untersuchungen zwar in einem weiten zeitlichen und räumlichen Spektrum vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert für ganz Europa vor, gleichwohl in punktuellen Ausschnitten lokaler und regionaler Verhältnisse. Für die vorliegende Arbeit wurde das Fürstbistum Osnabrück als Untersuchungsraum gewählt. Im politischen Gefüge des Alten Reiches war es das einzige

106 Alltagspraktiken, Alltagssprache und soziale Praxis jenseits bzw. diesseits obrigkeitlicher Regulierung standen im Fokus der zu den Klassikern zählenden Arbeiten von Natalie Zemon Davis und vielen anderen, Trend setzenden Arbeiten französischer HistorikerInnen. Im deutschsprachigen Raum hat jüngst Otto Ulbricht auf die Potenziale der Mikrogeschichte und ihrer Quellen aufmerksam gemacht. Ulbricht, Mikrogeschichte, S. 14–21. 107 Fuchs/Schulze, Wahrheit, S. 32–37. 108 Vgl. hierzu Ludwig, Rez. Fuchs/Schulze und Davis, Kopf, S. 28–38. 109 Eibach, Verhöre, S. 30–32; Lutz, Ehepaare, S. 27–29; Nolde, Gattenmord, S. 265–270; Gleixner, Mensch, S. 23–25.

40 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Reichsterritorium mit einer auch verfassungsrechtlich festgeschriebenen Bikonfessionalität. Die in der 1650 geschlossenen „Capitulatio Perpetua Osnabrugensis“ (CPO) institutionalisierte alternierende Sukzession – auf einen vom Domkapitel gewählten Fürstbischof folgte ein Sproß des Hauses Braunschweig-Lüneburg – war mit der Festschreibung entsprechender rechtlicher Instanzen verknüpft. Im Fürstbistum bestanden neben zwei evangelischen Konsistorien für die Stadt Osnabrück und das Land entsprechende Foren katholischer Kirchengerichtsbarkeit. Die weltliche Gerichtsbarkeit manifestierte sich in zahlreichen verschiedenen Gerichten und Behörden, die von den Brüchtengerichten jeder Bauerschaft über Amtsgerichte, Gogerichte und die Landeskanzlei bis zu den höchsten Reichsgerichten reichte; daneben bestanden noch einige Bezirke gesonderter adeliger Gerichtsbarkeit. Als Residenz- und Verwaltungssitz des Fürstbistums nahm die Stadt Osnabrück eine Sonderstellung ein. Wie das Land war auch die Stadt gemischtkonfessionell – und zwar nicht erst mit der Regelung der CPO, vielmehr war diese im 16. Jahrhundert durch die konfessionell offene Politik der Fürstbischöfe gewachsen. Waren im 17. Jahrhundert konfessionelle Konfrontationen innerhalb der Bürgerschaft keine Seltenheit, ebbten diese im 18. Jahrhundert ab, zumal starker Zuzug aus dem Lande in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu einer starken Durchmischung auch der Wohnverhältnisse führte.¹¹⁰ Osnabrück verfügte – obwohl es keine Reichsstadt war – über eine nahezu vollständige Autonomie in der Jurisdiktion, die im Rat und seinen Rechtssprechungsinstitutionen sehr eng mit den lebensweltlichen Kontexten der Osnabrücker Bürger verknüpft war. Osnabrück lag zudem nicht in einem Gebiet mit besonderen Rechtstraditionen, hier fand sich eine für das Alte Reich typische Mischung gemeinrechtlicher Grundsätze und zahlloser lokaler statuarischer Bestimmungen. Zugleich war Osnabrück im späten 18. Jahrhundert aber auch eine aufstrebende Stadt, die sich nach den Krisen des 17. Jahrhunderts wirtschaftlich zu erholen begann; führende Kaufmannsfamilien waren im Leinwandhandel in die atlantischen Handelsnetze eingebunden, was sich in der Errichtung von Tabak- und Papiermanufakturen niederschlug. Der wirtschaftliche Aufschwung und das damit zusammenhängende Bevölkerungswachstum durch Zuzug schlug sich aber erst allmählich in einer Verdichtung und Erneuerung der Bausubstanz nieder, so dass der Charakter einer Ackerbürgerstadt mit dichter Bewohnung der vorhandenen Substanz vorerst erhalten blieb. Die sich hieraus ergebenden Konflikte spiegeln sich in einer stark ansteigenden Justiznutzung wider, wobei sicherlich auch die Professionalisierung des Rechtswesens und der Verwaltung dazu führten, dass seit 1750 auch die summarischen Prozesse kontinuierlich protokolliert und archiviert wurden. Politisch-kulturell war das Fürstbistum in dieser Zeit sicherlich

110 Asch, Osnabrück, S. 245–249, Schindling, Westfälischer Frieden, S. 103.

1.3 Quellen und ihre kommunikative Einbettung |

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durch die Politik und den Einfluss Justus Mösers geprägt, der die Regierung im Namen des minderjährigen Fürstbischofs Friedrich von York ausübte; zugleich sorgte er durch seine umfangreiche publizistische Tätigkeit für eine unmittelbare Einbindung in die aktuellen aufklärerischen Diskurse und einen umfangreichen Buch- und Zeitschriftenmarkt in Osnabrück. Osnabrück lässt sich also insoweit als „normal“ im Reichskontext charakterisieren, wie es die Individualität jedes Reichsterritoriums zulässt. Die Eingrenzung des Untersuchungszeitraumes ist unmittelbar mit der Auswahl der Quellengrundlage verknüpft. Die Durchsicht der verschiedenen oben genannten Aktenbestände für die einzelnen Gerichtsinstanzen ergab zwar immer wieder Hinweise auf häusliche Konflikte und entsprechende Friedenssemantiken, jedoch ist die Überlieferung bzw. die Dokumentation im 18. Jahrhundert so punktuell, dass eine breitere soziale und kulturelle Einordnung nicht möglich gewesen wäre. Den Kernbestand der vorliegenden Studie bilden daher die so genannten „Gerichtsherrenprotokolle“¹¹¹ des Rates der Stadt Osnabrück, die von 1750–1808 nahezu lückenlos überliefert sind und somit die Grundlage für quantitative wie qualitative Untersuchungen bilden können. Zudem ist für die Stadt Osnabrück die Überlieferung im Hinblick auf die wohnräumlich, sozialstrukturelle, ökonomische und konfessionelle Aspekte der städtischen Sozialstruktur in Schatzlisten, Brandkassenregistern, Tauf- und Heiratsregistern, Testamente und anderen Quellengattungen mehr sehr umfangreich. Sie ermöglichen einen tieferen Blick in die sozialen Kontexte der Konflikte, die als „summarische causae“ größtenteils in mündlichen Verfahren am Ratsgericht verhandelt wurden. Diese Auswahl liegt auch in der Emergenz der Friedenssemantik begründet, da sich der Großteil der Prozesse, in denen der häusliche Frieden ausgehandelt wurde, in diesen Protokollen wiederfindet. Es wurden also keine Fälle ausgewählt, in denen der Sache nach der Hausfrieden oder Hausfriedensbruch verhandelt wurde, sondern ganz konsequent jene Fälle ausgewählt, in denen im Kontext häuslicher Gefüge „Frieden“ als Begriff und Wortfeld explizit auftaucht – und womit zugleich auch ein heterogenes Gemenge von Konfliktfeldern aufgerufen wird. Da sich manche causae zu ordentlichen Zivilprozessen auswuchsen, wurden ergänzend aus dieser eigenen Überlieferung die maßgeblichen Akten hinzugezogen.¹¹² In den als „Kriminal- und Polizeysachen“ gesondert geführten ordentlichen Strafprozessen der Stadt Osnabrück lassen sich in den in diesem Zeitraum verhandelten Straftaten mit häuslichem Bezug keine nennenswerten Friedensbezüge ausmachen. Auch in

111 NLA OS Dep 3b IV Nr. 234–269. 112 NLA OS Dep 3b IX.

42 | 1 Frieden im Haus – Hausfrieden: Befunde, Überlegungen, Konzepte Scheidungsprozessen der Konsistorialakten lässt sich hin und wieder der Verweis darauf finden, dass „der eheliche Friede nur ein dreiviertel Jahr gewährt“¹¹³ habe; aber eine ausführlichere Darstellung der Friedensstörungen und vor allem die Akte zur Wiederherstellung des Friedens standen in straf- bzw. kirchenrechtlichen Angelegenheiten naturgemäß nicht im Vordergrund. Die Auswahl der analysierten Fälle erfolgte indexikalisch anhand der Erwähnung des Friedensbegriffs, um die ganze Spannbreite der damit verknüpften Konfliktfelder und Ordnungsprozesse abbilden zu können. Eine Fokussierung auf spezifische Konfliktkonstellationen wie Ehe- oder Nachbarschaftskonflikte hätte eine Einschränkung bedeutet, durch welche die für die Friedenskonzepte entscheidende Komplexität häuslicher Beziehungsgefüge in ihrer Verflechtung mit anderen sozialen Netzwerken ausgeklammert geblieben wäre. Obwohl häusliche Konflikte in der Frühen Neuzeit vielfach auch im Rahmen der kirchlichen Sittenzucht verhandelt wurden, findet sich für die Stadt Osnabrück im 18. Jahrhundert keine kirchliche Überlieferung seitens des städtischen Konsistoriums oder der Dekanats-, Archidiakonats- oder Offizialatsgerichtsbarkeit. Das ist weitestgehend als Ergebnis eines über viele Jahrzehnte geführten Streites um die Zuständigkeit in Ehekonflikten zwischen dem jurisdiktionell weitgehend von der Landesherrschaft autonomen Ratsgericht und den katholischen Rechtssprechungsinstanzen zu sehen. Dies hatte dazu geführt, dass die ehelichen und häuslichen Konflikte der katholischen Stadtbürger aufgrund der Rechtsprivilegien der Stadt vor dem Ratsgericht verhandelt wurden, während die Gerichtsherren aufgrund der großen personellen Überschneidungen mit dem Stadtkonsistorium für die Konflikte der lutherischen Bürger die Instanz der „Vorermittlungen“ darstellten.¹¹⁴ Die Tatsache, dass die summarischen Verhandlungen vielfach aufgrund einer besonderen Dringlichkeit aufgenommen wurden, hat zur Folge, dass die klassische Unterteilung in zivil- und strafrechtliche Prozesse und Prozessgegenstände noch nicht greift und auch in den Protokollen nicht unterschieden wird. Neben ökonomischen Aspekten des Kleinkreditwesens wurden deshalb auch immer wieder Fälle von häuslicher Gewalt verhandelt, die eigentlich strafrechtlicher Natur wären. Das gleiche gilt für die Strafpraxis, die sich in solchen Fällen finden lässt – obgleich das Delikt häuslicher Gewalt in den Komplex der Kriminalsachen fiele und von der historischen Kriminalitätsforschung auch eingehend thematisiert wurde, finden sich auch immer wieder Mischformen zwischen Geld- und Haftstrafen.¹¹⁵ Wichtig für die Interpretation der Gerichtsherrenprotokolle im Hinblick auf ihre semantischen Konstruktionen ist der Hinweis, dass Protokolle mündlicher 113 NLA OS Dep 3b VI Nr. 145 [fol. 1]. 114 Vgl. unten Kap. 3.1.2. 115 Exemplarisch sei hier hingewiesen auf Eibach, Verhöre und Rublack, Crimes.

1.3 Quellen und ihre kommunikative Einbettung |

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Verhandlungen und Verhöre immer nachträglich anhand von Mitschriften erstellt wurden. Ihnen liegt also ein Redaktionsprozess des Gerichtsschreibers zugrunde, der das Prozessgeschehen von seinem Ergebnis her zu einem im Sinne der rechtsprechenden Obrigkeit konsistenten Ablauf gestaltet.¹¹⁶ Natürlich könnten sämtliche Friedenssemantiken damit auf diesen obrigkeitlichen Redaktionsprozess zurückzuführen sein; allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Protokolle vielfach als Abschriften den Prozessparteien zugänglich gemacht oder von ihnen eingefordert wurden, so dass sich die redaktionelle Überarbeitung – auch im Hinblick auf die Begriffswahl – nicht allzu weit vom Geschehen und gebräuchlicher Wortwahl entfernen konnte. Die teilweise recht derben Ausdrücke in den Zeugenaussagen belegen dies. Mit den Gerichtsherrenprotokollen steht demnach ein kompakter, seriell überlieferter Quellenbestand zur Verfügung, der neben einer breiten Sozialstruktur auch die konfessionelle Pluralität eines Gemeinwesens abbildet. Zugleich bietet er in seiner wesentlichen Gestalt als Protokolle mündlicher Verfahren die Möglichkeit, nicht nur die Semantiken der Sprechakte vor Gericht auf ihren Friedensgehalt hin zu untersuchen, sondern auch die auf die zukünftige häusliche Praxis ausgerichteten Ansätze zum Friedensschluss zu analysieren, mit denen die Richter die streitenden Parteien nach meistens nur kurzer Zeit wieder in einen gemeinsamen Alltag entlassen mussten. Der Vergleich der Überlieferungssituation im städtischen Kontext mit der Aktenlage in einem benachbarten ländlich geprägten Verwaltungsbezirk, dem Amt Grönenberg, ergab, dass häusliche Konflikte hier offenbar zum größten Teil vor den Bauerrichtern in den dörflichen Brüchtengerichten verhandelt wurden, während das zuständige Gogericht sehr selten in häuslichen Konflikten zu verhandeln hatte, meist im Zusammenhang mit Erb- und Leibgeding-Auseinandersetzungen.¹¹⁷ Da die Brüchtenprotokolle erst im späten 18. Jahrhundert schleppend auf obrigkeitliche Anordnung hin eingeführt wurden, um die Einnahmen zu kontrollieren und zuzuordnen, werden meist nur der Konfliktgegenstand genannt und die verhängte Geldstrafe, nicht aber die Aussagen im Einzelnen protokolliert. Somit fehlt für den ländlichen Raum eine vergleichbare Überlieferungsebene. Mit ihrer gemischt-konfessionellen Struktur und einer aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums sehr differenzierten Sozialstruktur mit einem reichen Fernhandelsbürgertum über ein zahlreiches, in landesherrlichen Diensten stehendes Bildungsbürgertum bis hin zu einer großen Schicht an Handwerkern und Tagelöhnern bietet die Stadt Osnabrück ein breit differenziertes, aber überschaubares Terrain für eine mikrohistorische Analyse von friedensbezogenen Diskurssemantiken. 116 Wittke, Alltag, S. 295–297. 117 Kottmann, Ziviljustiz, passim.

2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Fragt man nach der Herkunft jener Semantiken, die es in Gerichtsverfahren erlaubten, das Aushandeln häuslicher Ordnung anhand von Friedensbegriffen und entlang spezifischer Friedensvorstellungen zu organisieren, rücken verschiedene Diskurse in den Blick. Sie verdichteten sich im 15. Jahrhundert im Hinblick auf die Institution des Hauses und nahmen in unterschiedlicher Weise Bezug auf eine Vorstellung von Frieden als grundlegendem Ordnungs- und Handlungsmodell: sowohl als Zustand, im Sinne einer bestimmten Ordnung, als auch als Prozess in Form klarer, an die jeweiligen sozialen Rollen gebundener Handlungsanweisungen und Ethiken. Es waren zum einen die sich im theologischen Kontext formierenden Diskurse zur Ehe, die sich in dieser Zeit zunehmend dem Ehepaar als Zentrum einer Haushaltung und den daraus erwachsenden, gesellschaftlich relevanten Aufgabenbereichen zuwandten.¹ Zum anderen spielte das Haus eine zunehmende Rolle in juristischen Diskursen, die sich mit der Stabilisierung gesellschaftlicher Ordnung und der Schaffung von Sicherheit durch Rechtsstrukturen befassten. Auch hier wurde auf Frieden als grundlegenden Kernbegriff rekurriert, der allerdings weniger auf christlich-jüdischen als auf römisch-antiken Traditionslinien beruhte. Wenngleich beide Diskursstränge seit dem 15. Jahrhundert immer in engem wechselseitigen Bezug standen, so ist es doch wichtig, beide für sich zu betrachten, um Genealogien und Ausprägungen der jeweiligen Friedenssemantiken innerhalb der Diskurse herausarbeiten und gegeneinander abgrenzen zu können. Die spezifischen Aspekte einer solchen Diskurssemantik und ihrer Adaption auf das Haus lassen sich allerdings nicht ohne die Mehrdimensionalität verstehen, die dem für das abendländische Europa maßgeblichen Friedensbegriff bereits seit der Antike in der jüdisch-christlichen wie auch der römisch-griechischen Tradition innewohnt und aus der heraus sich auch die verschiedenen mit Hausfrieden verknüpften Vorstellungen ableiteten. Schon für den die biblische Exegese prägenden Begriff shalom lässt sich beispielsweise kein konsistenter Bedeutungsgehalt festlegen. So konstatiert etwa Oeming wechselnde, an den historischen Bedingungen der jüdischen Gesellschaft festzumachende Verschiebungen. Sie reichen von eschatologischen Aspekten (als

1 Zur Bedeutung der gesellschaftlichen Entwicklungen des späten 15. Jahrhunderts für die Formierung eines Geschlechter- und damit auch Ehe- und Hausdiskurses, der die Frühe Neuzeit prägen sollte, vgl. u. a. Wunder, Überlegungen, S. 18–20; Schnell, Frauendiskurs, S. 11–21.

46 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert einer Vereinigung und Aufhebung aller weltlichen Gegensätze im kommenden Reich Gottes) über soziale Handlungsbezüge (Harmonie mit der unmittelbaren natürlichen und sozialen Umwelt und Friedfertigkeit) bis zu militärischen Kontexten (Frieden als siegreich beendeter Feldzug und dominierenden Herrschaftsverhältnissen).² Der für das griechische Verständnis von Frieden zentrale Begriff der eirene verband sich hingegen gerade in den neutestamentlichen Überlieferungen auch mit handlungstheoretischen Implikationen – ohne jedoch die ursprüngliche Bedeutung eines vertragsrechtlichen Zustands von Sicherheit und Schutz aufzugeben.³ Die rechtliche Grundlegung des Friedensverständnisses war wiederum essentiell für den römischen Begriff der pax, deren universal-harmonische Bedeutungserweiterung erst durch die augusteische Kultusbegründung entstand.⁴ Eine entscheidende Neukonturierung und Verdichtung des Bedeutungsgehaltes über den militärischen Kontext von pacificatio und pactum hinaus erfuhr der lateinische Begriff pax durch die Institutionalisierung des Christentums und die Etablierung der lateinischen Sprache als lingua franca.⁵ Der Einfluss patristischer Konzeptionen einer christlich ausgerichteten Gesellschaftsordnung und ihre zentrale Orientierung auf den Frieden als Leitprinzip hatten die entstehenden Wissensund Bildungskulturen intensiv und langhaltend geprägt. Damit konnte pax – je nach Kontext – die gesamte Bedeutungsvielfalt zwischen dem Frieden Gottes, über den individuellen Seelenfrieden, den friedfertigen Umgang mit den Nächsten über den Rechtsschutz bis hin zu zwischenstaatlichen Abkommen abdecken. Die in der begrifflichen Polyvalenz angelegte und bei den Kirchenvätern zur Methode erhobene Engführung von individueller Ethik und kollektiver Sicherheit begründete die Universalität des Friedensbegriffs für das christlich-europäische Wertesystem. Sozialhistorisch stand es im engen Zusammenhang mit der institutionellen Absicherung politisch-sozialer Strukturen durch kirchliche und theologische Konzepte in der Spätantike. Die solchermaßen gewonnene Reichweite theologischer Interpretamente blieb bis weit in das 18. Jahrhundert hinein normative Grundlage und Referenzgröße für Diskurse gesellschaftlicher Ordnung

2 Oeming, Friedensbegriff, S. 30–32. 3 Vgl. hierzu Huber/Reuter, Friedensethik, S. 21–23; Lindemann, Friede Gottes, S. 51–53, verweist auf die Ambivalenz der neutestamentlichen Friedenstheologie als Verwirklichung ethischer Maximen durch den bewussten Bruch mit bestehenden Verhältnissen. Der Hinweis auf die Äquivalenz von eirene und shalom ist angesichts der angedeuteten Polyvalenz beider Begriffe wohl eher problematisch (Ebd., Anm. 35). 4 Kehne, Pax, C. 5 MacCormack, Sin, S. 651.

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und damit auch wissensstrukturierend und handlungsleitend in praktischen Ordnungsprozessen. Die Bipolarität des Friedensbegriffs ließ sich dadurch in den metaphysischen Begründungszusammenhang integrieren, dass juristische Friedenskonzeptionen immer als säkularer Teil einer göttlich und universal gedachten Friedensordnung begriffen wurden. Gerade in dieser Syntheseleistung begründete sich die hohe Autorität und Normativität des Friedensbegriffs – zumal die weltlichen Herrschaftsund Ordnungsprozesse fundamental auf der Kategorie des Rechts als höchster Legitimation aufbauten. Für die Ausformulierung und Etablierung eines solchen Friedensverständnisses kommt der Friedenstafel im 19. Buch von „De civitate Dei“ des Augustinus eine zentrale Rolle zu. In ihr wurde erstmals ein integraler Gesellschaftsentwurf auf der Basis eines Friedensverständnisses entwickelt, welcher Individuum und Gesellschaft, Prozess und Zustand zueinander in Beziehung setzte. Zugleich wurde dem Haus als Ort der Sichtbarwerdung der ordnungsstiftenden Kraft individueller, auf Gottesliebe basierender Friedfertigkeit eine Kernfunktion für die Umsetzung und Erhaltung einer solchen Gesellschaftsordnung zugewiesen. Gesellschaftsordnung, Lebenswelt und Alltagsethik entfalteten auf diese Weise ein fundamentales Sinnstiftungspotenzial, so dass deren Semantiken nachfolgend immer wieder aufgegriffen wurden. Daher muss die augustinische Friedenstafel den Ausgangspunkt aller diskurssemantischen Untersuchungen bilden. Dies gilt insbesondere für den augustinischen Friedensbegriff, da seit der Spätantike semantische Transfers nicht nur zwischen theologischen und juristischen Diskursen zu beobachten sind, sondern solche auch für die Übersetzungsleistungen zwischen lateinischen und volkssprachlichen Texten eine wichtige Rolle spielen. Für die Analyse der mikropolitischen Praktiken in Gerichtsverhandlungen des 18. Jahrhundert wird dabei vor allem das Spannungsfeld zwischen Handlung und Zustand, zwischen theologischen und juristischen Semantiken und den mit ihnen verknüpften Bedeutungssystemen und Interpretationsfolien von Bedeutung sein.

2.1 Theologische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert Die Renaissance der sozialen Institution Haus unter dem Einfluss der aristotelischen Politiktheorie und der reformatorischen Ehetheologie als oeconomia christiana im 16. Jahrhundert⁶ prägte eine neue, normativ überhöhte Verbindung von häuslicher und sozialer Ordnung. Der Aufbau einer gottgefälligen, an reformatorischen Idealen ausgerichteten Gesellschaftsordnung hing in den Vorstellungen der

6 Schorn-Schütte, Kommunikation, S. 287; dies., Drei-Stände-Lehre, S. 440.

48 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Reformatoren wesentlich von der moralischen Festigkeit jedes einzelnen Menschen ab, dessen unmittelbares, tägliches Betätigungs- und Bewährungsfeld die häusliche Umwelt darstellte. Die Vehemenz, mit der nun im 16. Jahrhundert die ideale Ordnung des Hauses und die ihr innewohnende implizite Normativität des Friedens propagiert wurde, wäre nicht denkbar gewesen ohne eine fest im christlichen Weltverständnis verankerte Vorstellung davon, was einerseits unter Friedfertigkeit im Umgang mit dem Nächsten zu verstehen sei und warum andererseits gerade dem Haus dabei eine zentrale Funktion zukam. Sich die augustinische Konzeption sowie ihre spätmittelalterliche Rezeption vor Augen zu führen stellt die entscheidende Voraussetzung dar, um nicht nur die Entwicklungen im 16. Jahrhundert als einer Kernzeit zu verstehen. Auch die weitere Dynamisierung häuslicher Ordnungskonzepte und ihrer Friedensbezüge, ihre Verflechtung in die sich zu etablieren beginnenden Nachbardiskurse von Ökonomie und Politik bis in das beginnende 19. Jahrhundert hinein sind ohne diese Folie nur unvollständig zu erfassen.⁷

2.1.1 Spätantike und mittelalterliche Voraussetzungen Grundlage und Ausgangspunkt aller Diskurse zur häuslichen Ordnung war – wie bereits erwähnt – die erste christliche Friedenssystematik des Aurelius Augustinus, die er in der pax-Tafel des 19. Buches seiner Schrift „De Civitate Dei“ niedergelegt hatte. Der innovative Impuls dieser Schrift lag vor allem in dem neuen Ansatz, Frieden und Friedfertigkeit nicht mehr als Handlungskonzepte zum Aufbrechen und Transformieren überkommener Sozialordnungen zu konzeptualisieren – wie es die Evangelien nahelegten⁸ –, sondern als Mittel zur Legitimation und zur transzendierenden Gestaltung bestehender sozialer Ordnungen zu funktionalisieren. Vor diesem Hintergrund ist die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis asymmetrischer sozialer Hierarchien einerseits zu einer den Nächsten als grundsätzlich gleich und ebenbürtig ansehenden Ethik andererseits zu verorten, die sich durch die Friedensproblematik zieht. Ausgehend von einem anthropologischen Grundstreben nach Gemeinschaft sieht Augustinus den wahren Frieden in der Verwirklichung der göttlichen Weltordnung vollendet, die nur durch eine Erfüllung der Gottesgebote im Alltag möglich sei. Da diese Ordnung eine dynamische ist, muss sie immer wieder in allen Handlungen hergestellt und erhalten werden, sie kennt keinen statischen Endpunkt, sie existiert ausschließlich in actu.

7 Vgl. hierzu Kater, Friede, S. 24. 8 Lindemann, Friede, S. 51–53.

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Für die Menschen bedeutet das – neben individuellen Herausforderungen wie der Beherrschung der Triebe und dem Gehorsam gegenüber Gottes Geboten –, im Umgang mit den Mitmenschen ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der immer wieder hervorbrechenden libido dominandi und der concordia ordinata, was als Kennzeichen der pax domus angegeben wird.⁹ Konkret führt Augustinus die Kurzform der Friedenstafel – der Frieden des Hauses sei die geordnete Eintracht der Bewohner im Befehlen und Gehorchen – im 14. Kapitel aus: Daraus entspringt also weiterhin der Hausfriede, d. i. die geordnete Eintracht der Angehörigen in Bezug auf Befehlen und Gehorchen. Denn es befehlen die, die behilflich sind, wie der Mann seiner Frau, die Eltern ihren Kindern, die Herren ihren Sklaven. Und es gehorchen die, denen die Hilfe vermeint ist, wie die Frauen ihren Männern, die Kinder den Eltern, die Sklaven den Herren. Indes im Hause des Gerechten, der aus dem Glauben lebt und noch fern von jener himmlischen Stadt auf der Pilgerschaft ist, dienen auch die Befehlenden denen, welchen sie scheinbar befehlen. Sie befehlen ihnen ja nicht aus Herrschsucht, sondern in der dienstwilligen Beihilfe, nicht aus übermütigem Streben nach Vorrang, sondern aus erbarmender Fürsorge.¹⁰

In Augustinus’ Konzeption sind Zustand und Prozess des Friedens zwei Seiten einer Medaille, sich gegenseitig bedingende Größen, die aufgrund ihrer Verankerung in der individuellen Glaubenspraxis in ihrer gesellschaftlichen Reichweite und räumlichen Verortung vom einzelnen Individuum bis zu den höchsten weltlichen Herrscherämtern Gültigkeit beanspruchen: mit dem Haus als Kern und Wiege aller weltlichen Herrschaftsordnung. Dass dieses Konzept ein ethisches Maximalprogramm formuliert, das in der sozialen Realität der eigenen Gegenwart selten erreicht, aber umso notwendiger wurde, weil die domus und die familia den Kern aller weltlichen Ordnung bildeten, dessen war sich Augustinus durchaus bewusst: Jedoch in der Mühsal dieses sterblichen Lebens wird die Menschheit in ihren Gemeinschaftsformen überflutet von Übeln, so zahlreich und schwer, dass man in der Aufzählung erlahmen, in der Abwägung sein Unvermögen eingestehen müßte. [. . . ] Ist davon nicht allerwärts voll eine Welt, in der wir Kränkungen, Verdacht, Feindseligkeiten, Krieg als unentrinnbare Übel erfahren, den Frieden dagegen als ein leicht entrinnendes Gut, weil wir die Herzen derer, mit

9 Vgl. hierzu Geerlings, Augustin, S. 74–76. 10 [Hinc itaque etiam pax domestica oritur, id est, ordinata imperandi oboediendique concordia cohabitantium. Imperant enim, qui consulunt; sicut vir uxori, parentes filiis, domini servis. Oboediunt autem quibus consulitur; sicut mulieres maritis, filii parentibus, servi dominis. Sed in domo iusti viventis ex fide et adhuc ab illa caelesti civitate peregrinantis, etiam qui imperant serviunt eis, quibus videntur imperare. Neque enim dominandi cupiditate imperant, sed officio consulendi, nec principandi superbia, sed providendi misericordia.] Augustinus, De Civitate Dei, Sp. 643; Augustinus, Gottesstaat, S. 234f. Vgl. auch Laufs, Friedensgedanke, S. 103–110.

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denen wir ihn halten wollen, nicht durchschauen, und wenn wir sie heute durchschauen könnten, doch nicht wüßten, wie sie morgen sind? Gewiß sollten wenigstens die, welche dem nämlichen Haus angehören, untereinander die freundschaftlichste Gesinnung pflegen und tun es in der Regel auch. Und gleichwohl ist niemand sicher von dieser Seite her. Aus versteckten Nachstellungen von Angehörigen der Familie sind oft schon die größten Übel entstanden, umso bitterer, je süßer der Friede war, den man für einen wirklichen hielt. [. . . ] Darum vernimmt man auch mit großer Betrübnis des Herzens jenen göttlichen Spruch: Und des Menschen Feind sind seine Hausgenossen. [. . . ] Wenn also nicht einmal die Familie, überall bei den Menschen die Zufluchtsstätte in den sie bedrängenden Nöten, Sicherheit bietet, wie erst die Stadt, deren Gerichtsplatz je größer sie ist, umso lauter widerhallt von bürgerlichen und Strafhändeln.¹¹

Die hier zum Ausdruck kommende Kernfunktion des Hauses als Ort der Verwirklichung des weltlichen und damit auch göttlichen ordo findet sich vielfach in Augustinus’ Schriften. Damit ist auch der Frieden im Haus bei Augustinus der Kern einer handlungsorientierten Verhaltensmaxime für das irdische Leben insgesamt, die nicht so sehr einen spezifischen Zustand, sondern das permanente Aufrechterhalten dieses Zustandes durch spezifische Handlungs- und Verhaltensmuster meint. Bezeichnenderweise erläutert Augustinus auch die „gerechte Herrschgewalt“ am Beispiel des Hauses: Aber die wahren Hausväter leiten all ihre Hausangehörigen wie Kinder an zu Verehrung und Gewinnung Gottes und wünschen dabei sehnlichst, in jenes himmlische Haus einzugehen [. . . ]; bis man dorthin gelangt, müssen eigentlich mehr die Väter das Befehlen in Geduld aushalten, als die Sklaven das Dienen. Wenn aber ein Hausangehöriger durch Ungehorsam den Hausfrieden stört, so wird er zurechtgewiesen durch Scheltworte oder Schläge oder sonst eine gerechte und erlaubte Strafart, so gut es eben Gesetz und Herkommen unter den Menschen gestatten, und zwar zu seinem eigenen Besten, damit er sich dem Frieden, von dem er abgewichen war, wieder füge. [. . . ] Weil nun das Haus des Menschen den Anfang oder ein Teilchen des staatlichen Gemeinwesens bilden soll, [. . . ] so folgt daraus ganz klar, daß

11 [Sed in huius mortalitatis aerumna quot et quantis abundet malis humana societas, quis enumerare valeat? Quis aestimare sufficiat? (. . . ) Nonne his usque quaque plenae sunt res humanae, ubi iniurias, suspiciones, inimicitias, bellum mala certa sentimus; pacem vero incertum bonum, quoniam corda eorum, cum quibus eam tenere volumus, ignoramus, et si hodie nosse possemus, qualia cras futura essent utique nesciremus. Qui porro inter se amiciores solent esse vel debent, quam qui una etiam continentur domo? Et tamen quis inde securus est, cum tanta saepe mala ex eorum occultis insidiis exstiterint, tanto amariora, quanto pax dulcior fuit; quae vera putata est. (. . . ) Propter quod etiam divina vox illa: Et inimici hominis domestici eius cum magno dolore cordis auditur, (. . . ). Si ergo domus, commune perfugium in his malis humani generis, tuta non est, quid civitas, quae quanto maior est, tanto forum eius litibus et civilibus et criminalibus plenius, etiamsi quiescant non solum turbulentae, verum saepius et cruentae seditiones ac bella civilia, a quorum eventis sunt aliquando liberae civitates, a periculis numquam?] Augustinus, De Civitate Dei, Sp. 632; Augustinus, Gottesstaat, S. 213f.

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der Hausfriede zum Frieden des Gemeinwesens, d. h. daß die geordnete Eintracht der Hausgenossen im Befehlen und Gehorchen zu der geordneten Eintracht der Bürger im Befehlen und Gehorchen eine Beziehung hat. Daher kommt es, daß der Hausvater aus dem Gesetze des Gemeinwesens die Vorschriften zu entnehmen hat, nach denen er sein Haus so leiten soll, daß es sich dem Frieden des Gemeinwesens anpaßt.¹²

Das Haus als primäre Form sozialer Gruppenbildung dient Augustinus in Anlehnung an andere spätantike Autoren als Folie zur kritischen Interpretation der Gegenwart, anhand derer er dann weitergehend übergreifende Aspekte des ordo wie auch der ungleichen Verteilung von Macht erklärte. Dem Friedenshandeln im häuslichen Kontext kam damit eine weit über den konkreten Zusammenhang einer domus oder eines oikos hinausgehende Bedeutung zu.¹³ Es war gerade diese metaphorische Funktion des antiken Konzepts Haus, welche in der Folge die mittelalterliche Reflexion über die soziale Ordnung prägte,¹⁴ während die praktische Ethik, die sich aus dem Konzept des oikos als eines Raumes mit spezifischen Verhaltensanweisungen ableitete, vor allem in das durch Augustinus geprägte neue Modell monastischer Existenz in der Kommunität einging.¹⁵ Als besonders wirkmächtig erwies sich hier die Verwendung des pax-Begriffs in theologischer Aufladung – als Übersetzung von shalom/eirene einerseits, als unmittelbare Anknüpfung an eine rechtlich gesicherte soziale Ordnung zur Beschreibung der irdischen ordo andererseits. Gerade im Hinblick auf das Verhältnis der Hausgenossen untereinander brachte pax eine neue Qualität, wurde in antiken

12 [Qui autem veri patres familias sunt, omnibus in familia sua tamquam filiis ad colendum et promerendum Deum consulunt, desiderantes atque optantes venire ad caelestem domum, ubi necessarium non sit officium imperandi mortalibus, quia necessarium non erit officium consulendi iam in illa immortalitate felicibus; quo donec veniatur, magis debent patres quod dominantur, quam servi tolerare quod serviunt. Si quis autem in domo per inoboedientiam domesticae paci adversatur, corripitur seu verbo seu verbere seu quolibet alio genere poenae iusto atque licito, quantum societas humana concedit, pro eius qui corripitur utilitate, ut paci unde dissiluerat coaptetur. (. . . ) Quia igitur hominis domus initium sive particula debet esse civitatis, omne autem initium ad aliquem sui generis finem et omnis pars ad universi, cuius pars est, integritatem refertur, satis apparet esse consequens, ut ad pacem civicam pax domestica referatur, id est, ut ordinata imperandi oboediendique concordia cohabitantium referatur ad ordinatam imperandi oboediendique concordiam civium. Ita fit, ut ex lege civitatis praecepta sumere patrem familias oporteat, quibus domum suam sic regat, ut sit paci accommoda civitatis.] Augustinus, De Civitate Dei, Sp. 644f.; Augustinus, Gottesstaat, S. 236f. 13 Vgl. hierzu Meyer, Soziales Handeln, S. 96–99. Zur sozialen Praxis des „Frieden-stiftens“ frühchristlicher Bischöfe und häuslicher Gewalt s. James, ‚Beati Pacifici‘, S. 36–38 und Dossey, Wife-Beating, S. 10–27. 14 Vgl. hierzu Meyer, Soziales Handeln, S. 160–184, Oexle, Haus, S. 102, 180–110. 15 Vgl. hierzu Hagenlocher, vride, S. 75–80; Meyer, Soziales Handeln, S. 242–273; Müller, Gesellschaft, S. 39–43.

52 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Zusammenhängen hier doch ausschließlich concordia als begrifflicher Marker benutzt.¹⁶ Die enge, beinahe plakative Verknüpfung jeder Ebene weltlicher Ordnung zwischen Individuum und Kollektiv mit einem aus Gott heraus begründeten Frieden in Augustinus’ Schrift bildete zugleich die semantische „Grundausstattung“ dieses Begriffs, um die sich bald auszudifferenzieren beginnenden Diskurse im Hinblick auf die einzelnen Ordnungsebenen immer in einen normativen Zusammenhang zu bringen. Die Vorstellung von Frieden ist sprachlich eng verknüpft mit den Termini concordia (Eintracht), tranquilitas (Ruhe), quietas (Ruhe) und ordo (Ordnung). Sie alle beschreiben einen spezifischen Zustand, der sich in Folge bestimmter Verhaltensweisen einstelle. Diese Verhaltensweisen sind sehr stark mit den herrschaftsbezogenen, Hierarchie betonenden Verben „befehlen“ und „gehorchen“ verbunden, wobei die damit verbundenen Tugenden der caritas vor allem auf diejenigen bezogen wird, die Herrschaftsgewalt üben, auf die Hausväter. Auffällig ist die Betonung des Herkommens und der lokalen, auf die Gemeinde bezogenen Bedingungen dessen, was jeweils als konkrete Umsetzung seiner Entwürfe zu gelten habe – nicht nur im Hinblick auf die Reichweite hausväterlicher Strafgewalt, sondern auch im Hinblick auf die häusliche Ordnung und die korrelierenden Umgangsformen selbst. Wenn demnach das Haus in den theoretischen Modellen die Kernmetapher und Folie für die umfassende Deutung der weltlich-politischen Friedensordnung insgesamt darstellte – ohne jedoch auf die konkrete sozioökonomische Formation von Haus und Familie mit ihren lebensweltlichen Kontexten eingeschränkt zu bleiben, so änderte sich dies im ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhundert. Ein zunehmendes Interesse an konkreten (rechtlichen) Friedenskonzepten weckte das Bedürfnis, auch die tradierten Friedensvorstellungen an die Herausforderungen der Gegenwart anzupassen. In den Forschungen zum mittelalterlichen

16 Das römische Ideal häuslichen und familiären Lebens war durch rechtliche Ungleichheit und daraus resultierenden Hierarchien geprägt, die im täglichen Umgang miteinander aber durch die Kardinaltugenden der pietas und concordia abgemildert werden sollten. Anhand zahlreicher Quellenbelege wurde nachgewiesen, dass pietas nicht nur die Unterordnung unter die Herrschaft des paterfamilias meinte, sondern in erster Linie eine gegenseitige affektive Bindung und pflichtbewusste Unterstützung aller Familienmitglieder. Die pietas domestica entsprang der übergeordneten pietas gegenüber den Gottheiten, was sich auch in der kultischen Praxis niederschlug. So berichtet etwa Valerius Maximus, dass unfriedlich lebende Ehepaare im Heiligtum der Viriplaca ihren Dissens austragen konnten, bis sie unter Mitwirken der Juno Conciliatrix und der Pietas versöhnt nach Hause gingen. Saller, Punishment, S. 147; Dixon, Ideal, S. 107; Gardner, Roman Household, S. 56f. Die besondere Bedeutung der concordia domestica für das römische Gemeinwesen mag sich darin zeigen, dass die Viriplaca wie die Pietas zu den di indigetes gehörten, also römischen ‚Neuerfindungen‘, die keine Entsprechungen in der griechischen Mythologie hatten.

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Friedensbegriff ist übereinstimmend festgestellt worden, dass in dieser Zeit eine Re-Formulierung und Ausdifferenzierung des Friedensbegriffs erfolgte – vor allem im Hinblick auf die Konzeption eines irdischen, den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechenden, gleichwohl im theologisch-universalen Friedensbegriff wurzelnden Friedens.¹⁷ Wenngleich das Haus vor allem in den Landfriedensentwürfen eine herausgehobene Bedeutung erhielt, wurde doch auch die pax ordinata als Problem der innerhäuslichen Beziehungen offenbar. Mit der offiziellen Erhebung der Ehe zum Sakrament 1274 waren auch häusliche Lebensformen anerkannt worden und bedurften einer spezifischen ethischen Konzeptualisierung und Integration in die übergeordneten Lehrmeinungen. Dieser Aufgabe nahmen sich vor allem die Minoritenprediger in den Städten an, für die eine wachsende christlich-ethische Fundierung der lebensweltlichen Alltagspraxis der Menschen – eben und gerade auch des häuslichen und ehelichen Lebens – einen elementaren Bestandteil ihres Aufgabenbereiches darstellte. Sie griffen Konzepte von Frieden und Friedfertigkeit des menschlichen Zusammenlebens auf, wie sie aus den klösterlichen Kontexten bekannt waren. Friedfertigkeit lässt sich als Garant für Selbst- und Sozialkontrolle und damit für den Bestand der Ordnung erkennen. Die pax interior — der Seelenfrieden in Gott, die innere Ruhe und Ausgeglichenheit auch im Streit (tranquilitas animae)¹⁸ – steht hierbei in unmittelbarem Zusammenhang mit der pax exterior – dem irdischen Frieden, der sich dann verwirklichen kann, wenn die Beziehungen jedes Einzelnen zu seiner Umwelt durch Friedfertigkeit (pax interior) geprägt ist. Der ethische Friedensbezug korrespondierte dabei sehr eng mit der Ausbildung eigener politischer und sozialer Normen in den Städten, die sich im Kontext der Gemeindebildung eng um die Kernbegriffe der pax und der concordia herum angliederten.¹⁹ Der „ethische Praktizismus“ des Friedensbegriffs erlangte somit eine unmittelbar auf die Gemeinde bezogene, politische Dimension.²⁰

17 Hagenlocher, vride, S. 32f., 68–70; zu Rufinus zu Sorrent, der in seinem Werk „De bono pacis“ in der kirchenväterlichen Tradition das Haus als Metapher nimmt, aus dessen ethischen Vorgaben aber politisch-herrscherliche Maximen ableitete, vgl. Meyer, Soziales Handeln, S. 185–188; Oexle, Pax, S. 542–546; Dessì, Pratiques, S. 248–250. 18 Der Franziskaner David von Augsburg hat Frieden definiert als Erfahrungsraum, in dem „nichts Widriges“ erlitten wird – weil man Widrigem mit Geduld begegne. Zur Grundlegung dieser Herleitung im franziskanischen Friedensgedanken vgl. Wittek, Franziskanische Friedensvorstellungen, S. 154–159; Müller, Gesellschaft, S. 43f.; neuerdings kritischer Michetti, François d’Assise, passim. 19 Rublack, Grundwerte, S. 9–17, Isenmann, Gemeinde, S. 205f., Mörke, Gemeinde, S. 303. 20 Hagenlocher, vride, S. 272–280; Kannowski, Bürgerkämpfe, S. 146–150; Wittek, Klosterfrieden, S. 95–98; Wittek, „fride“, S. 71–78; Meyer, Pax, S. 490–497; Dartmann, Medien, S. 48f.; Pohl, Uneasy Peace, S. 30.

54 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Neben die prägende Bedeutung des (Stadt-)Friedens für die politische Kultur, Kommunikation und Gruppenidentität der Stadtbürger, trat im Laufe des 13. Jahrhundert zunehmend das Äquivalent eines friedlichen Hauses – wobei man abgesehen vom rechtlichen Konzept des Hausfriedens (vgl. Kap. 2.2) vor allem auf die ethischen Aspekte des ehelichen Zusammenlebens von Hausvater und Hausmutter fokussierte.²¹ Die enge Verflechtung von sozialer Dynamik und religiösem Reformbemühen konnte in ihrer Bedeutung für die Entstehung eines neuen patriarchalen, auf Haus und Familie ausgerichteten Ordnungsmodells gerade in der katechetischen Literatur nachgewiesen werden,²² deren Umfang und Wachstum im zeitgenössischen Vergleich als „Massenkommunikation“ bezeichnet wurde.²³ Zwar stand in diesen schriftlich und mündlich tradierten Texten der Frieden nicht im Zentrum der Auslegung, gleichwohl bezogen sich aber die Wortfelder und der Begriffsgebrauch, mit dem die persönlichen Beziehungen und das soziale Miteinander beschrieben wurden, stark auf den Frieden als Handlungsmaxime für das Alltagsleben in Haus, Familie und Stadt.²⁴ Verstärkend kommt hinzu, dass die frühesten Textzeugnisse vor allem für einen kleinen Kreis Adeliger und reicher Bürger bestimmt und deutlich auf deren Herrschaftsfunktion als Gerichtsherren abgehoben waren. Das Aufzeigen von Gestaltungsmöglichkeiten der pax exterior durch Jurisdiktion wurde hier im Sinne der Obrigkeitskritik deutlich an das Bild des „(ge)rechten Herrschers“ und unmittelbar an die Friedensgebote der Seligpreisungen und der Friedensgrüße gebunden.²⁵ Neben der eigentlichen mündlichen Predigttätigkeit erhoffte man sich hier auch ein Multiplikatoreneffekt, indem das Friedenshandeln Einzelner zugleich den häuslichen Frieden der Untergebenen durch eine gerechte Gerichtspraxis befördern könne. Am Beispiel der Predigt lässt sich zugleich feststellen, dass es dieses verbindende Potenzial von Diskurs und Praxis ist, das als besonders deutungsrelevant und sinnstiftend erschien. Was hier abermals als enge Verbindung zwischen individueller Tugendhaftigkeit, Friedenkonzepten und Herrschafts- als Ordnungsvorstellungen in Erscheinung tritt, ist als Fortentwicklung des augustinischen Friedensverständnisses zu

21 Zur Ehestandsliteratur vgl. Schnell, Frauendiskurse, S. 217–225; Müller, Gesellschaft, S. 275–300; D’Avray, Medieval Marriage, S. 58–70; D’Avray, Marriage Sermons, S. 24; Herlihy, Households, S. 120–130; 22 Bast, Honor, S. 32–45. 23 D’Avray, Marriage Sermons, S. 15–17. 24 Müller, Gesellschaft, S. 53; Hagenlocher, vride, S. 81–83. 25 Zur engen Verbindung der Friedenspredigten Davids von Augsburgs und Bertholds von Regensburg mit der Abfassung des Schwabenspiegels und der Friedensgesetzgebung Rudolfs von Habsburg vgl. Müller, Gesellschaft, S. 54–62.

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sehen, wobei die kulturelle Bedingtheit hier durchaus vor der Folie des städtischen Normensystems konkretisiert werden konnte. Damit rückten auch die spezifischen lebensweltlichen Bedingungen der Ehe als intensivster Form persönlicher Beziehung in den Mittelpunkt, wobei immer wieder in didaktischer Absicht die Einübung von caritas und patientia im Kontext der gemeinsamen Haushaltsführung vorgeführt und propagiert wurde.²⁶ Das herausfordernde Gleichgewicht von Hierarchie, Strafgewalt und christlicher Menschenführung wurde in zahlreichen Predigten und Schriften wiederholt diskutiert und in allen Einzelheiten der Alltagserfahrung reflektiert – obwohl hier der Aspekt der Friedlichkeit hinter den Willen zur Etablierung eines christlichen geordneten Haushaltes zurücktrat.²⁷ Vor dem Hintergrund der massiven Betonung des Friedens als Zustand der Ordnung mit klaren Herrschafts-, Macht- und Gewalthierarchien ist es nicht verwunderlich, dass die Friedfertigkeit immer wieder als wichtigstes Handlungsmuster genannt wurde, um tiefergreifende Verwerfungen zu vermeiden. So führt einer der zahlreichen, anonymen Texte aus dem 15. Jahrhundert an: Dat vifte is, dat se [die Ehemänner, ISV] eren vrouwen neyne wretheit noch hartheit in worde oder in gelate sollen bewisen, vnde des gelikes sollen ock de vrouwen eren mannen don, wante wretheit vnde vorkertheit maket vnvrede tusschen man vnde vrouwen. Vnde myen dinck is quader tusschen man vnde vrouwen, dar se ene myt den anderen is vorbunden, dan unvrede, wente war vrede is, dar is gud, vnde was unvrede is, dar is der duuel, vnde de vrouwen sollen sick ock nicht setten tegen eren manne, mer myt swigene vnde mut gutlicken worden sollen se se vorwynen vnde in vrede holden [. . . ].²⁸

Dieser kurze Ausschnitt integriert alle wichtigen Aspekte der Friedfertigkeit, die hier zwar auf beide Geschlechter bezogen ist, den Mann als Herrschaftsprivilegierten aber deutlich in die Verantwortung nimmt – als friedenstörendes Verhalten werden körperliche und verbale Gewaltanwendung genannt –, während den Frauen neben den Gewalttätigkeiten zusätzlich das „Schweigen“ angemahnt wird, womit toposartig das ungehorsame Widersprechen angedeutet ist. Hier zeigt sich ein auf den ehelichen Erfahrungshorizont ausbuchstabiertes Konzept, dessen Wurzeln in Augustinus unschwer zu erkennen sind. Die Betonung der Gewalttätigkeit bezieht sich einerseits auf die Kerndefinition des Friedens, nicht nur niemanden

26 Zu einzelnen Belegstellen für die Friedensbegrifflichkeit in Ehetexten und -predigten vgl. Schmidt-Voges, „Si domus. . . “, S. 159–163. 27 Bast, Honor, S. 60–63. 28 Anonymer Text aus dem Umfeld der Windesheimer Kongregation, zit. nach Bast, Honor, S. 68, Anm. 40.

56 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert zu schädigen, sondern eher zu nützen.²⁹ Andererseits wird aber darüber hinausgehend die Emanation der grundlegenden Ordnung der Welt in diesen kleinen, alltäglichen Verhaltensweisen und Spontanreaktionen angelegt und ausgedeutet, so dass ein Rückzug auf individuelle Handlungskonzepte und Ethiken nicht möglich ist. In diesen Fällen spiegeln sich sehr deutlich die unterschiedlichen Positionen im Haus wider, die hier noch wesentlich aus der Eheperspektive formuliert werden. Die Geschlechterstereotypen, die sich in diesen Ehediskursen abzeichnen, entstammten zu einem großen Teil den zeitgleich aufkommenden Geschlechterdiskursen, wobei – wie Schnell bemerkt hat – der Ehediskurs wesentlich dazu diente, Möglichkeiten der Versöhnung und des friedfertigen Zusammenlebens zweier als sich ausschließend gedachter Prinzipien auszuloten. Besondere Beachtung und Bedeutung finden hier die Behandlung der Affektkontrolle und der Umgang mit Jähzorn und Streithaftigkeit, um dennoch zu friedfertigen Umgangsformen zurückzukehren.³⁰ Zeitgleich entstanden die weit berühmteren Werke wie etwa Marcus von Weidas „Spigell des ehelich ordens“ (1487), Erhard Groß’ „Laien doctrinale“ (ca. 1460) oder Albrecht von Eybs „Ehebüchlein“ (1472), in denen das Thema auch aufgegriffen und verbreitet wurde. Vor allem der städtische Hintergrund und die Bedeutung wohl geordneter Ehen und Häuser für den städtischen Frieden lassen sich hier finden: „Die E ist ein nützs heilsams ding durch die werden die landt stet und heuser gepawen gemeret und fride behalten.“³¹ Im Kontext humanistischer Literatur lassen sich ähnliche Bezüge auch bei den bekannten und viel gelesenen italienischen Werken finden, so bei Antonio Guevara oder in Leon Battista Albertis „Libri della famiglia“, wo es etwa heißt: Ich bin mit Euch einig darin, dass der gute Bürger die Ruhe lieben wird, aber nicht so sehr die eigene als die auch der anderen Redlichen, daß er sich der Muße des Privatlebens erfreuen

29 Augustinus, De Civitate Dei, Sp. 643: „nulli noceat, deinde ut etiam prosit cui potuerit.“ [. . . niemandem schade, weiterhin auch nütze, wem man könne.] Augustinus, Gottesstaat, S. 233. Hier klingt die römisch-rechtliche Definition des Friedens als Möglichkeit („Honeste vivere, neminem laedere, suum cuique tribuere“) an, wenngleich doch unterschiedliche Begriffe benutzt werden. 30 Schnell, Frauendiskurse, S. 227f. 31 Albrecht von Eyb, Ehebüchlein, Neudr. Wiesbaden 1966. Zur Verbreitung und medialen Kontextualisierung vgl. Weinmayer, Gebrauchssituation, S. 97–100. Vgl. auch Signori, Paradiesehen, S. 42–54. Für den nicht deutschsprachigen Bereich sei auf „Le Mesnagier de Paris“ (1393) verwiesen, der ebenfalls eine signifikante Häufung der Wörter ‚paix‘ und ‚paisible‘ im Kontext häuslichen Miteinanders aufweist, z. B. im Hinblick auf die Auswahl des Gesindes. Vgl. Le Mesnagier de Paris, hg. von Georgina Brereton / Janet Ferrier, Paris 1994, S. 434–436.

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wird, aber nicht minder sie seinen Mitbürgern gönnen, daß er Einigkeit und Sicherheit, Frieden und Ruhe für ein eigenes Haus wünschen wird, noch viel mehr aber für sein Vaterland, die Republik.³²

Natürlich wurde nicht nur in theologischen Diskursen das Thema der Ehe- und Haushaltsführung verhandelt, es prägte seit dem 14. und dann vor allem im 15. Jahrhundert die oben beschriebenen häuslichen Ordnungsdiskurse auch in der weltlichen (Unterhaltungs-)Literatur und im Liedgut. Die Forschung hat für diese recht umfangreich bearbeiteten Quellen feststellen können, dass es sich hier um verschiedene Sichtweisen und oft um im ironischen Modus gebrochene Darstellungsweisen handelt. Im Kern bestätigten sie aber die stabilisierenden Elemente der theologischen Ordnungsmodelle und trugen zu einer weiteren Verbreitung bei, da auch sie immer wieder die entsprechenden Friedensvorstellungen und -semantiken transportierten.³³ Die Ausprägung einer spezifischen Friedenssemantik im Hinblick auf eheliches und häuslichen Leben im späten Mittelalter stand also im engen Zusammenhang mit der Dynamisierung städtischer und gemeindlicher Lebenswelten und Normsysteme, die ebenfalls auf einem – wenngleich rechtlich konnotierten – Friedensverständnis aufbauten. Es waren vor allem die urbanen Lebensbedingungen, die das Ineinander von Ehe-, Haus- und (aristotelisch inspirierten) Ordnungsidealen im Verbund mit einer spezifischen, am klösterlichen Ideal orientierten Friedensethik beförderten. Diese Beobachtung ergänzt aus der Perspektive der Diskurssemantik des Friedens die sozialhistorischen Untersuchungen, die der städtisch monopolisierten Ehegerichtsbarkeit im späten Mittelalter eine wichtige Funktion in der städtischen Ordnungspolitik zumessen.³⁴ Die Betrachtung der Genealogie der Friedenssemantiken in ehelichen und häuslichen Diskursen deutet auf die dynamische Wechselbeziehung von „Kommunalisierung und Christianisierung“,³⁵ die durch die reformatorischen Ereignisse weiter intensiviert wurde – auch im Hinblick auf die semantische Pazifizierung von Ehe und Haus. 32 Alberti, Libri, S. 183 [E affermovi che il buono cittadino amerà la tranquillità, ma non tanto la sua propria, quanto ancora quella degli altri buoni, goderà negli ozii privati, ma non manco in quello degli altri cittadini suoi, desidererà l’unione, quiete, pace e tranquillità della casa sua propria, ma molto piú quella della patria sua e della republica.] Diesem Zitat aus dem dritten Buch „Oeconomicus“ folgen eine Vielzahl von Friedensbegriffen und -semantiken, welche die hier aufgezeigte Spannbreite vom politischen Frieden bis hin zur konstruktiven Ehekonfliktlösung beinhalten. 33 Vgl. hierzu etwa Classen, Liebes- und Ehediskurs, S. 281f.; Grubmüller, Ordnung, S. 193–248; zu Schwank und Publikum in der Novellistik Spiewok, Geschichte, S. 305–322. 34 Roper, Household, S. 15; Burghartz, Leib, S. 9–12. Für andere Gesellschaften vgl. für England Helmholz, Marriage, S. 90–94, Butler, Language, S. 184–225. 35 Blickle, Kommunalisierung, S. 15–18.

58 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert 2.1.2 Hausdiskurse im 16. und 17. Jahrhundert Betrachtet man die Erfolge des protestantischen Ehemodells im Lichte dieser Voraussetzungen, treten die spätmittelalterlichen Wurzeln dieser Entwicklungen nicht nur in sozialhistorischer Perspektive, sondern auch im Hinblick auf die Beschreibungsmodelle für Ehe und Haus noch deutlicher hervor. Die institutionellen Verschiebungen, die sich durch die Auflösung des sakramentalen Charakters der Ehe und die Einführung einer rechtlich sanktionierten Scheidungsmöglichkeit ergaben, änderten im Grundsatz wenig an den ethischen Anforderungen, die an die Gestaltung des ehelichen und häuslichen Alltagslebens durch Mann und Frau gestellt wurden.³⁶ Sie rückten im Gegenteil deutlich stärker in den Mittelpunkt des Interesses, als primärer Ort der Glaubensbewährung des sola fide im Alltag. Neu, bzw. in der Folgewirkung bedeutsam, war der aus dieser Verschiebung resultierende Bedeutungszuwachs des Hauses für die gesellschaftliche und politische Ordnung im 16. Jahrhundert. Nicht nur als theoretisches Beschreibungsmodell von obrigkeitlichen Tugenden war das Haus zentral („monarchia est oeconomia“), sondern auch auf der praktischen Ebene als Kern und Ausgangspunkt jeder moralischen Ordnung eines Gemeinwesens. Dies zeigte sich auf der institutionellen Seite der politischen Praxis in der aufkommenden Verantwortlichkeit der Obrigkeit für möglichst geordnete Haushalte im Rahmen der „guten Policey“,³⁷ auf Seiten der theologischen Bemühungen aber vor allem in einer stärkeren Rückbindung ehelichen Wohlverhaltens an die soziale und politische Ordnung, vielmehr als dies in den spätmittelalterlichen Schriften und Predigten der Fall war. Im Hinblick auf die Bedeutung der an der Friedenstheologie angelehnten Ethik lässt sich zeigen, dass damit auch die Interdependenz zwischen oeconomia und politia spürbar enger verwoben wurde. Die Frage individuellen Wohlverhaltens und christlicher Lebensführung manifestierte sich damit nicht mehr nur innerhalb der eigenen oeconomia, sondern auch im Verhalten gegenüber dem Gemeinwesen im Allgemeinen und

36 Neben sozialgeschichtlichen Untersuchungen im Hinblick auf die Ehepraxis haben vor allem neuere historische und germanistische Studien dieses Bild der weitaus größeren Kontinuität mittelalterlicher Konzepte gestützt. Einerseits wurden dabei die persönlichen Beziehungen eher im Rahmen geschlechtergeschichtlich inspirierter Literaturwissenschaft erforscht, wobei die Arbeiten von Rüdiger Schnell sicherlich einen großen Impuls gegeben haben. Für einen guten Forschungsüberblick vgl. Roth, Bullinger, S. 275–277, auch Classen, Liebesdiskurs, S. 14–17. Aus der kirchenhistorischen Perspektive vgl. hierzu etwa Strohl, View, S. 159–162; Bast, Honor, S. 78f. und zur politiktheoretischen Bedeutung des neuen Ehekonzepts vgl. Schorn-Schütte, Drei-Stände-Lehre, S. 437–440. Hier von einer evangelischen „Kulturrevolution“ zu besprechen, mag übertrieben erscheinen. Margraf, Hochzeitspredigt, S. 49f. 37 Vgl. dazu Simon, Policey, S. 120–150, der einen guten Überblick auf die ausladende Forschung zum Thema Sitten- und Kirchenzucht bietet.

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der Obrigkeit im Besonderen. Diese erhielt selbst wiederum im Rückgriff auf das mittelalterliche Konzept des „irdischen Hauses“ eine neue Deutungsqualität im hausväterlichen Duktus.³⁸ Die individuelle Friedfertigkeit war damit nicht nur im Hinblick auf den Seelenfrieden und den Frieden mit Gott von Bedeutung, sondern viel unmittelbarer zunächst einmal auf die moralische Ordnung, den sozialen und politischen Frieden der jeweiligen politia bezogen. Diese intendierte, neue Friedensqualität des irdischen Lebens lässt sich an den Schriften der Reformatoren und Humanisten ablesen, die wiederum als Basis für die in den folgenden Generationen erscheinende Haus- und Ehestandsliteratur dienten.

Humanisten und Reformatoren Die deutliche Stärkung des ordnungspolitischen Zusammenhangs von ehelichem und politischem Frieden gegenüber den spätmittelalterlichen Kontexten der Eheliteratur und der darin aufscheinenden Friedenssemantiken lässt sich nicht nur bei den Reformatoren, sondern auch im breiten Umfeld der humanistischen Diskurse finden. Neben der tugendlichen Vervollkommnung des Einzelnen als Grundlage seiner Beziehungen zur sozialen Umwelt stand Friedfertigkeit als soziale Ethik und Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Gemeinwesen im Mittelpunkt, wobei der eheliche und häusliche Kontext als Kern jeder res publica als bestes Beispiel von Bedeutung war.³⁹ So schreibt Erasmus von Rotterdam in seiner viel gelesenen „Querela pacis“: „Das Menschengeschlecht wäre bereits in seinen ersten Anfängen zugrunde gegangen, wenn nicht das Eintrachtsband der Ehe für seine Fortpflanzung gesorgt hätte.“⁴⁰ Wie diese eheliche Eintracht zu gestalten sei, formulierte er in seinen „Institutiones“, die sich im Rahmen seiner Erziehungsschriften intensiv mit dem Verhalten von Verheirateten auseinandersetzten. Einleitend skizziert er den Rahmen ehelichen Lebens im politisch-rechtlichen Kontext einerseits, dem er andererseits ein dichtes Netz an verwandtschaftlichen und häuslichen Beziehungen gegenüberstellt, wobei er mit der Betonung der Kerntugenden pietas, caritas und benevolentia in der Ausgestaltung dieser Beziehungen ganz in der Tradition der mittelalterli-

38 Hierzu die etwas ältere Diskussion bei Harrington, Hausvater, S. 54f.; Münch, Obrigkeit, S. 17–19. Darauf Bezug nehmend und an die spätmittelalterliche Katechismentradition rückbindend Bast, Honor, S. 187–189. 39 Kibe, Frieden, S. 96–98; Eltink, Erasmus-Rezeption, S. 231–235. 40 [In ipsis statim vitae primordiis perisset hominum genus, nisi conditum propagasset coniugalis concordia.], Erasmus, Querela Pacis, in: Libellus nouus, Basel 1529, S. 224f. Zur Rezeption dieser Friedensvorstellungen durch reformatorische Prediger und Autoren vgl. Dörfler-Dierken, Friedensgedanken, S. 99–104; Schwab, Bekenntnisse, S. 80–86.

60 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert chen und humanistischen Autoren mit den drei Ehezwecken verhaftet bleibt.⁴¹ Im gesamten Text wird immer wieder auf die perpetua concordia verwiesen, nirgends aber ein inhaltlicher oder begrifflicher Bezug zur pax hergestellt. Dies mag in der Entstehungsgeschichte des Textes begründet liegen, der erst während der Arbeit am Text als „Institution“ angelegt wurde und zuvor als Erziehungsbüchlein für Ehegatten gedacht war.⁴² Abgesehen von der Bedeutung des Zivilrechts für die Ehe stellte er keinen expliziten Bezug zur politischen Ordnung her, nur vermittelt über die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Ehe scheint dieser Rahmen auf. Auch bei Juan Luis Vives finden sich keine Verknüpfung von ethischen Eheaspekten und politisch-sozialer Ordnung. Lediglich im vorletzten Abschnitt seiner Erziehungsschrift „De officio mariti“ (1529), die seit 1544 ins Deutsche übersetzt vorlag und als katholische Eheschrift rezipiert wurde, wird zur Nachsichtigkeit im Umgang mit menschlichen Unvollkommenheiten gemahnt: „Warumb vbersichst du dem nitt auch dahaim etwas das so vil geringer ist: damit du frid vnd ruw erhaltest, on welche kain reichthumb nutz, auch das leben nit lieblich ist.“⁴³ Beide Texte fokussieren stark auf das Ordnungsmodell Ehe, wobei die Friedenssemantiken selbst aber auf die Praktiken zur Erhaltung dieses Modells abzielen und weniger den Zustand selbst beschreiben. Es ist sicherlich nicht nur auf die sprachkulturellen Rahmenbedingungen der Übersetzungsproblematik zurückzuführen, dass im Gegensatz zu den Humanisten, die sich in der Wortwahl sehr eng an den spätmittelalterlichen Vorbildern orientierten (concordia, tranquilitas) und vornehmlich die Praktiken zur Pazifizierung des Geschlechterverhältnisses in den Blick nahmen, sich die Reformatoren in ihrer Auseinandersetzung mit Belangen des ehelichen und häuslichen Lebens weit öfter des Wortfeldes Frieden bedienten. Inwieweit dies mit einer stärkeren Fokussierung auf politische Ordnungsmodelle zu tun hat, wird im Folgenden zu untersuchen sein. Denn die Reformatoren waren vielfach in die politische Praxis miteingebunden und trugen wesentlich zum Aufbau einer administrativen Struktur in den jeweiligen Fürstentümern und Städten bei. Einen erheblichen Anteil hatte daran die Einrichtung und Abhaltung von Visitationen und kirchlicher Ge-

41 Erasmus, Christiani Matrimonii Institutio, in: Opera omnia, S. 513–515. 42 Zu Erasmus’ Eheverständnis, -konzeptionen und -schriften vgl. neuerdings Weiler, Desiderius, passim und auch Dörfler-Dierken, Erasmus, S. 178–181. Das von ihr angeführte Zitat aus dem „Lob der Torheit“ (S. 181) benutzt in der deutschen Übersetzung (Uwe Schultz, Bremen 1966) den Begriff „häuslicher Friede“, im lateinischen Original hingegen entspricht dem die tranquilla domus. Bereits in einer Übersetzung von 1780 wird diese Stelle übersetzt mit „im Hause Friede und Ruhe erhalten“. Vgl. Becker, Lob, S. 72. Zur Funktion der Übersetzungsproblematik vgl. unten S. 78 und S. 100. 43 Vives, Thun, S. LI.

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richtsbarkeit.⁴⁴ Fragen der Eheführung und des häuslichen Alltags waren nicht nur theologisch-theoretische, sondern in besonderem Maße ganz konkret rechtlich-politische Fragen – zumindest waren die rechtlichen Folgen konfliktreicher Beziehungen in Ehe und Haus präsent. Denn obwohl im protestantischen Eherecht die Auflösung der Ehe möglich war, stand die Betonung der Versöhnung und Rückkehr an oberster Stelle – und dazu bedurfte es einer besonderen, einer expliziten, betonten Friedensfähigkeit nicht nur der Streitparteien, sondern auch der vermittelnden Pastoren, Visitatoren und zuständigen Kanzleimitarbeiter.⁴⁵ Für die Reformatoren der ersten und zweiten Generation kann demnach eine markante Präsenz des Bedeutungssystems „Frieden“ angenommen werden, das über die Ehe- und Hausdiskurse eine hohe Anschlussfähigkeit an juristisch-politischen Friedenskonzepten zeigte. Daher war es im Hinblick auf den politischen Druck, unter dem die reformatorischen Theologen standen, von besonderer Bedeutung, ein stimmiges Gesamtbild dieser neuen Ehe aufzuzeigen.⁴⁶ Wie eng die Entwicklung und Etablierung spezifischer Friedenssemantiken in Ehe- und Hausdiskursen mit praktischen Erfahrungen in Seelsorge und Jurisdiktion verknüpft war, lässt sich beim Zürcher Antistes Heinrich Bullinger beobachten. In seinen beiden Eheschriften – von denen „Der christlich Eestand“ von 1540 eine deutlich breitere Rezeption vor allem in reformierten Kontexten gefunden hat⁴⁷ – diskutierte er neben rechtlichen und theologischen Aspekten der Eheanbahnung und -schließung vor allem die vielfältigen Aspekte des Ehealltags. Von Fragen der Sexualität und Kindererziehung über das gemeinsame Wirtschaften bis hin zur Gastfreundschaft thematisierte er zahlreiche alltagsrelevante Bereiche. In seiner „Vollkommn[e]n underrichtung desz christlichenn eestands“ von 1527 verwendete er die klassischen Topoi der Eheliteratur fründtschaft und einygkeit,⁴⁸ um die angestrebte Beziehungsqualität zu charakterisieren. Auf den Frieden rekurrierte

44 So waren etwa Ulrich Zwingli und Heinrich Bullinger intensiv in die Neugestaltung der Zürcher Ehegerichtsbarkeit eingebunden (Köhler, Ehegericht, Bd. 1, S. 34, 83 und Köhler, Ehegericht, Bd. 2, S. 63f., 508f.), auch die Rolle Martin Luthers in der frühen Wittenbergischen Ehegerichtsbarkeit ist jüngst intensiv untersucht worden (Frassek, Eherecht, S. 47–71; Stein, Luther, S. 31–33). Auch Johannes Brenz hat seine einzige Abhandlung über eheliche Angelegenheiten vor einem jurisdiktionellen Hintergrund verfasst. 45 Frassek, Eherecht, S. 174–187. 46 Vgl. hierzu neuerdings Dörfler-Dierken, Friedensgedanken, S. 134–138. 47 Zur Rezeption und Funktion als bedeutendster geschlossener Eheabhandlung der Reformierten vgl. Euler, Bullinger, S. 367–370; Völker-Rasor, Bilderpaare, S. 245–247; zur Entwicklung der Zivilehe in den Niederlanden Leuker, De wil, S. 24–26. 48 Zur Bedeutung dieser Begriffe außerhalb der theologischen und moraldidaktischen Literatur vgl. Braun, Ehe, S. 173–176, Classen, Liebesdiskurs, S. 182–185.

62 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert er nur einmal floskelhaft in der Auslegung der Elternschaft.⁴⁹ Der gleiche Befund lässt sich für den „christlichen Eestand“ von 1540 konstatieren, wobei einmal das Negativäquivalent genannt wird, um die Schädlichkeit einer „unordentlichen Haushaltung“ zu benennen: e

e

Solichs von der hußhaltung hab ich dennocht mussen ufzeichnen, ob es glych und zum teil wyberwerck ist. Denn diewyl uß radtsame und ordennliche hußhaltung vil einigkeit und liebe, herwiederumb uß unradtsame und liederliche vil unfridens in der ee entstat, und aber ich hie sagen, was eeliche liebe behalte unnd meere, hab ich diß stuck nit ussen lassen e konnen.⁵⁰

Einigkeit bzw. Unfrieden treten hier als unmittelbare Konsequenz einer normkonformen bzw. nonkonformen Haushaltsführung und Erfüllung der Aufgabenbereiche der oeconomia in Erscheinung. Zugleich verknüpft der enge Bezug von Friede und Ordnung die Theorie der sozialen Praktiken im Haushalt mit den übergeordneten gesellschaftlichen Leitvorstellungen. Es wurde jüngst darauf hingewiesen, dass gerade die detaillierte Beschreibung und Anweisung in Kernaspekten des ehelichen und häuslichen Lebens – die sich sehr früh durch ganz konkrete wirtschaftliche Ratschläge und medizinische Rezepturen auszeichnen – in engstem Zusammenhang mit den Satzungen und Verhandlungen des Zürcher Ehegerichts stehen, in dessen Arbeit Bullinger als Berater und Antistes der Zürcher Kirche eingebunden war.⁵¹ Gerade aus diesem Kontext heraus dürften Bullinger die enge Verknüpfung unterschiedlicher häuslicher Diskurse wie Eigentum, Wirtschaftshandeln, Sexualität oder Kindererziehung in ihrer Brisanz bekannt gewesen sein und die Notwendigkeit einer Rückkoppelung an eine Friedenssemantik umso deutlicher von ihm erkannt worden sein. Auch in seinen theologischen Kommentaren kommt der zentrale Stellenwert des Friedens für häusliche Umstände zum Tragen: Insofern jene also als Fessel der wahren Religion geschützt werden muss, kann der Friede und die Eintracht auch in ungleichen Ehen bewahrt werden. Denn wenn die Eintracht, weder durch die Verweigerung der Religion noch durch den unterbrochenen wahren Frieden mit Gott nicht bestehen kann, wohlan, dann ist es erlaubt durch eine Scheidung auf den wahren Frieden und Ruhe zu hoffen, gewiss damit die Ungläubigen Dich zuerst verlassen.⁵²

49 Bullinger, underrichtung, S. 35. 50 Bullinger, Eestand, S. 165. 51 Roth, Eheschriften, S. 283; Gsell, Hierarchie, S. 110–114; Eming, Rinder, S. 127–129; Burghartz, Integration, S. 32–34. 52 [Quatenus ergo illeso religionis verae vinculo, pax & concordia custodiri potest etiam in impari connubio, custodiatur. Quod si concordia nisi per abnegatam religionem & veram pacem dei interruptam constare non potest, agè ad veram pacem et tranquillitatem aspirare licet per divortium, verum ut infidelis prior à te discedat], Bullinger, Epistolam, S. 82

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Ganz ähnliche Befunde lassen sich bei Martin Bucer und Johannes Brenz finden. Ihre Schriften, die sich mit der Ehe befassen, sind zum allergrößten Teil juristischen Fragen und der Klärung offener eherechtlicher Probleme aus der konkreten jurisdiktionellen Praxis gewidmet.⁵³ Auch bei Martin Luther lassen sich beide Aspekte finden. In seinen Predigten, die sich mit den häuslichen und ehelichen Beziehungen befassen, tritt eine Friedensbegrifflichkeit auf, die auf die ethische Handlungsorientierung der Friedfertigkeit zielt. Den Kern seines Verständnisses von der Umsetzung des christlichen Friedensgebotes im Haus kann man in der Auslegung der Seligpreisungen in seiner – von Veit Dietrich redaktionell bearbeiteten⁵⁴ – „Hauspostille“ von 1544 lesen: e

Fridfertig sein heyst zů friden und sone gern helffen und rathen, zorn, unfrid, unwillen e und anders alltenhalb gern verhuten. Das ist auch eine tugent, die ein sondere christen tugent heyst und seer herrlich hie geruhmet wird. Nun hat es aber die meynung nit, das man e das allein wolte fridfertig heyssen, wenn zwey balgen, sich stechen vnd hawen, das man einlauffen frid nehmen und die von einander reyssen wollte. Dise tugent kann und soll man e e uben in allen Stenden und unter allen leuten, das man zorn verhutte und zur sone helffe. Man sihet im hause, das Man und Fraw nit allweg zu gleich mit einander einziehen, [. . . ]. e e Aber was sagt Christus? Du Ehman, Du Ehfraw, bist du mein Junger, so wisse, meine jungern sind fridfertige leut, sie haben nicht lust zum zancken, schelten, fluchen, Und ob sie schon e bißwehlen der zorn erhaschet, das sie mit eim bosen wort herauß faren, bald besinnen sie sich und lassens jn leid sein und dencken, wie man die sache wider auff gute weg unnd e einigkeyt bringen moge.⁵⁵

Auch in vielen anderen Predigten Luthers wird diese Handlungsorientierung vornehmlich zwischen Eheleuten vertreten und neben Ausdrücken wie Einigkeit (concordia) – auch – der Friedensbegriff verwandt.⁵⁶ Mit diesen eher moraltheologischen Schriften lässt sich Luther in die oben aufgezeigte Tradition einordnen. Eine andere Akzentuierung des Friedensbegriffs lässt sich in jenen seiner Schriften feststellen, die nicht so sehr auf die seelsorgerische oder theologische Praxis bezogen sind, sondern deutlich in (ordnungs-)politischen Zu-

53 Von Martin Bucer ist lediglich eine Ehepredigt überliefert, in der hinsichtlich des Ehealltags immer wieder die Einigkeit, Liebe und Freundschaft der Ehepartner angesprochen wird. Vgl. Bucer, Predig, S. 569–589. Auch Selderhuis behandelt nahezu ausschließlich rechtliche Aspekte, die einzigen Passagen zum Ehealltag beziehen sich auf Bucers eigene Ehen. Vgl. Selderhuis, Marriage, S. 116–128 und Selderhuis, Bucer, S. 179–183. Zur Bipolarität der Ehe als gesellschaftliches Ordnungsmodell in rechtlicher Hinsicht vgl. Dilcher, Legitimation, S. 193–196; zur Bedeutung für die praktische Kirchenzucht Schilling, Formierung, S. 209–229. 54 Vgl. hierzu die einleitenden Bemerkungen in WA 52, S. IX–XI. 55 WA 52, Hauspostille. Am Siben unnd Zweyntzigsten Sontag nach der Trifeltigkeyt (1544), S. 561. 56 Zur detaillierten Herleitung und Differenzierung von Luthers Friedensbegriff in Bezug auf das Haus vgl. Schmidt-Voges, „Si domus. . . “, S. 159–167, hier insbesondere S. 160–163.

64 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert sammenhängen stehen und damit auf die praktische Gestaltung der Gesellschaft abzielen. Hier lässt sich eine Engführung eines ethisch-handlungsorientierenden Friedensbegriffs mit einem rechtlich auf Stabilität und Ordnung abzielenden Friedensverständnis feststellen. Denn die im häuslichen Umgang eingeübten Handlungsmaximen der Friedfertigkeit sind nach Luther auch für den Aufbau einer geordneten, den irdischen Frieden sichernden politia von Nöten, soll diese nicht dem Wirken des Teufels Tür und Tor öffnen.⁵⁷ Dies bringt er nicht nur in Schriften wie etwa „Die Kinder zur Schule halten“ von 1530, sondern in einer Vielzahl von Textsorten und Kontexten zum Ausdruck, sobald sich der Bezug zur gesellschaftlichen und politischen Praxis und zu sozialen Praktiken ergibt: Darumb so erwele man zu Emptern in einer Stad leute, die da from, geschickt, Erfaren, Erbare, Eheleute sind, sie da ire kinder ehrlich auffziehen, auch friedliebend sind, Ob sie nicht so klug und weise als Salomon und Moses sind, da ligt nicht macht an.⁵⁸

Diese Schnittstelle zwischen oeconomia und politia liegt für Luther demnach in der Bereitstellung von Frieden als Handlungskompetenz begründet, die es ermöglicht, nicht nur einen rechtlich gesicherten, sondern übergreifenderen gesellschaftlichen Frieden herbeizuführen und zu erhalten. Denn juristische Strukuren allein verhelfen seiner Ansicht nach nicht zu dauerhaftem Frieden, wie er in „Von ehelichen Sachen“ (ebenfalls von 1530) feststellt: Ich rede hierin von tunckeln, irrigen sachen, die man nach den offentlichen gewissen rechten nicht scheiden kan und da der recht und bücher zu wenig ist, Das man daselbst der sachen ein ende gebe und die leute zu frieden stelle ym gewissen. Sintemal friede gilt mehr denn alles recht, und friede ist nicht umbs rechts willen, sondern recht ist umbs frieden willen gemacht. Wo man nun kann ohne rechts zanck frieden haben, da lasse man das zenkisch recht fahren [. . . ] ist eine große Tugend des friedes.⁵⁹

Lässt sich Luther im Hinblick auf die moraltheologischen Schwerpunkte im Eheverständnis ganz in der spätmittelalterlichen Tradition verorten, so weisen seine Schriften doch gerade dann, wenn es um politische Ordnung und soziales Handeln in der politia geht, einen besonderen, auch begrifflich fassbaren Bezug zu

57 Vgl. hierzu Schmidt-Voges, „Si domus. . . “, S. 160–162. 58 WA 28, Predigten über das fünfte Buch Mose, Kap. 1, Dominica Oculi (1529), S. 531. 59 WA 30 III, Von ehelichen Sachen (1530), S. 223. Die grundsätzliche Kritik an der Unzulänglichkeit irdischer Gerichtsbarkeit im Angesichte göttlicher Gerechtigkeit äußert bereits Augustinus – gerade und vor allem im Kontext der Hausfriedensdebatte. Vgl. Cap. 6 im 19. Buch des „Gottesstaates“: Von der Fehlbarkeit menschlicher Gerichte.

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einem Friedenskonzept auf. Dieser unterscheidet sich deutlich von dem anderer Reformatoren – ein Friedensbegriff, der einerseits ganz in der Tradition christlicher Tugendlehre steht, andererseits aber die Anschlussfähigkeit an juristische Friedensbegrifflichkeiten eröffnet. Auf diese Weise erreicht er eine wesentlich höhere Kongruenzleistung für die konkrete Verwirklichung einer am göttlichen Frieden orientierten Ehe im Kontext der Gesellschaft. Zugleich bleibt sein Friedensbegriff aber auch offen genug, um sich der Vielfalt der Kontexte und Situationen der Adressaten anpassen zu lassen. Dass sich die theologischen und juristischen Konzepte der ehelichen Beziehungsgestaltung im Raum des Hauses gerade in diesen ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts immer wieder überschnitten,⁶⁰ lässt sich konkret für die juristische Bedeutung im Umgang mit Konflikten im Ehealltag gut beobachten, in deren normativen Vorgaben sich der hohe Abstraktionsgrad und die sich daraus ergebende Unschärfe der moraltheologischen Auseinandersetzungen fortsetzte. Um dem wachsenden Bedarf nach klaren Rechtsgrundlagen in Ehesachen in den Konsistorien, Kanzleien und Ratsstuben der protestantischen Fürstentümer und Städte zu decken, stellte der Mansfelder Reformator Erasmus Sarcerius 1556 unter dem Titel „Ein Buch vom heyligen Ehestand“ [auch unter dem Titel „Corpus Iuris matrimonialis“] ein Kompendium der meistgelesenen und wichtigsten protestantischen Eheschriften zusammen, aus denen sich – im Abgleich mit den Vorgaben des kanonischen Rechts – so etwas wie ein Grundlagenwerk des protestantischen Eherechts im Alten Reich entwickelte.⁶¹ Während Sarcerius im Hinblick auf die theologische Begründung und Charakterisierung der Ehe wie auf Fragen der rechtlichen Aspekte der Eheanbahnung, -schließung und -scheidung die Dinge präzise und exakt formuliert und begründet, tut er sich in der Behandlung von Konflikten und Problemfeldern, die aus den Herausforderungen des Ehealltags resultieren, deutlich schwerer. So betont er in seinem „Haußbuch“, das als Grundlage für die häusliche Katechese der Hausväter gedacht war, den „fridsamen“ Charakter der Ehe, die mit den bekannten Verhaltensparametern der Einigkeit, Freundschaft, Liebe, Nachsicht

60 In diesem Zusammenhang sei auf die Forschungen zum Widerstandsrecht und zum landesherrlichen Kirchenregiment im frühen 16. Jahrhundert verwiesen, die durch eine ähnliche, politisch hochaufgeladene Untrennbarkeit juristischer und theologischer Argumente charakterisiert ist. Friedeburg, Widerstandsrecht; Schorn-Schütte, Kommunikation; Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik. 61 Diese Zusammenstellung blieb neben die territorialen Kirchenordnungen bis zu den größeren Kompendien Carpzovs, Arnisäus’ und Böhmers Lehrgrundlage für die Juristenausbildung. Das Werk erschien in mehreren Auflagen. Wartenberg, Erasmus Sarcerius, S. 126–128; Duncker, Gleichheit, S. 83; Roth, Eheschriften, S. 280.

66 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert und Geduld vorgestellt wurde.⁶² In seinem Kompendium zum Umgang mit den neuen Ehenormen in juristischen Zusammenhängen, dem bis weit ins 17. Jahrhundert hinein grundlegenden Gebrauchshandbuch für protestantisches Eherecht, lässt sich die Einbindung von Friedenssemantiken ebenfalls immer wieder in der Zusammenführung unterschiedlicher Diskurse finden. Einleitend etwa zitiert er die „Mittel des Friedens zwischen Eheleuten“, die König Alphons⁶³ in den Mund gelegt sind und auf den Verzicht auf Rechthaberei verwiesen – das „Schweigen“ der Frau, dass sie „nicht wort vmb schlege gibt“ und die „Taubheit“ des Mannes, dass er auch mal „verhören kann“.⁶⁴ Neben einer Vielzahl von kirchenrechtlichen und patristischen Belegstellen, die das „neue“ protestantische Recht und die ihm zugrunde liegende Perspektive untermauern sollen, zitiert Sarcerius im dritten Teil „Wie die Ehe anzufahen sey“ für die Gestaltung des Ehelebens seitenweise Haushaltungslehren mit all ihren Facetten, von Luther und Bullinger über Menius bis Cyriacus Spangenberg, womit die darin verankerten impliziten Verhaltensnormen zu expliziten, geltenden Rechtsnormen erklärt werden. Im Text, den er katechetisch dialogisch organisiert, antwortet er auf die Frage „Wie friede v¯ n einigkeit vnter den Eheleuten zu halten“: Darnach so thut viel zu friede vnnd einigkeit vnter den Eheleuten, wenn das Weib die hoheit vnd wirdigkeit jres Manns erkennen kann | vnd hienehben jre schwachheit vnd gebrachligkeit. Item das der Mann widerumb bedencke/daß er schuldig sey seinem Weibe | als einem schwachen Gefesse nachzuheben vnd nachzugeben.⁶⁵

Gerade bei Sarcerius lässt sich somit die Wirkmächtigkeit des Friedenskonzepts zur Verknüpfung verschiedener diskursiver Praktiken mit Bezug zum Haus nachvollziehen. Ein genuin theologischer Diskurs zum Charakter der Ehe wird in zahlreichen Traktaten und Predigten popularisiert mit dem Ziel der Wissensinkorporierung – gleichzeitig dienen diese neuen Ehenormen aber auch dazu, den juristischen Diskurs des Eherechts im Sinne der eigenen Normen neu zu organisieren – wobei eben

62 So z. B. in der Diskussion der Eheeinwilligung: „Denn so Eheleute in frieden und eynigkeit leben sollen, ist ja billich, daß sie auff beider Seiten iren Willen zur Ehe geben.“ Sarcerius, Haußbuch, S. 243r. 63 Der Verweis bezieht sich auf Alfons X. El Sabio von Spanien, der zwischen 1257 und 1273 auch deutscher König war. Seine Gelehrsamkeit drückte sich in einer exponierten Wissenschaftsförderung aus wie auch in zahlreichen eigenen Schriften zur Mathematik, Philosophie und Astronomie. Neben Gedichten geht auch ein umfangreiches Gesetzeswerk auf seine Initiative zurück, die auch eherechtliche Fragen behandelte. Vgl. Várvaro, Alfons X., Sp. 397. 64 Sarcerius, Corpus, S. 4a. 65 Sarcerius, Corpus, S. 119b.

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neben expliziten Regeln (Kirchenordnungen) vor allem die impliziten Normen da zum Tragen kommen, wo eine Formulierung expliziter Normen kaum möglich ist. Gerade hier dient der Verweis auf den Frieden als Signifikant für „angemessenes“ Handeln – dessen konkrete Gestaltung ist aber einer spezifischeren Festschreibung entzieht. Deutlich wurde auch, dass immer wieder die Balance, der Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen hierarchischer Ordnung und Hierarchie nivellierender caritas als Grundproblematik aufscheint und die Funktion des Friedensbegriffs begründet: ein Appell zur Hinterfragung und Neuausrichtung des eigenen Handelns entsprechend der ethischen Maxime des Wertesystems.

Erbauungs- und Ehe/Hausliteratur Für die Schriften und Konzepte Luthers ist wiederholt festgestellt worden, dass er selbst kaum je ein geschlossenes System bestimmter „Lehren“ verfasste – vielmehr handelt es sich um Zusammenstellungen und Versuche seiner Zeitgenossen und Nachfolger, aus der Vielfalt seiner Äußerungen bestimmte Kerne zu isolieren und weiter zu vermitteln. Was für die „Zwei-Reiche-Lehre“ und die „Drei-Stände-Lehre“ gilt, deutet sich gleichermaßen für seine Äußerungen zu Ehe und zum Frieden an. Die Vielzahl an katechetischer, Gebets- und Andachtsliteratur, die seit dem 16. Jahrhundert den Buchmarkt eroberte, stellte Kernelemente der „neuen Lehre“ zusammen und systematisierte die Wissensbestände in didaktischer Absicht zur Festigung von Glaubenssätzen und ethischen Konsequenzen.⁶⁶ Im Gegensatz zur früheren Forschung wird die formierende und homogenisierende Funktion dieser Texte im Hinblick auf ein übergeordnetes gesellschaftliches Ordnungsideal allerdings in der neueren Literatur deutlich in Frage gestellt. Vor allem, weil die zu berücksichtigende soziale Komplexität des 16. Jahrhunderts eine konsequent einheitliche Ehe- und Hausdidaxe nicht zugelassen habe; auch die gestalterischen Mittel der einzelnen Autoren und die Vielfalt der Textsorten mit ihren je eigenen

66 Die Forschung hat sich vielfach mit dieser Literaturgattung auseinandergesetzt. Vor allem im Kontext der Forschungen zur Sozialdisziplinierung seit den 1950er-Jahren und der Konfessionalisierung seit den 1980er-Jahren wurde der Zusammenhang zwischen moraltheologischer Indoktrination und der Entstehung eines „Untertanenbewusstseins“ im sich verdichtenden Territorialstaat hergestellt, überprüft und verfestigt durch Sitten- und Kirchenzucht. In diesem Zusammenhang ist auch Hoffmanns Studie von 1959 zu sehen, die bis heute die einzige umfassendere Analyse dieser Literatur darstellt (Hoffmann, Hausväterliteratur). Die frühe geschlechtergeschichtliche Forschung hat den Kern der Thesen zugespitzt auf die „Domestizierung“ der Frau und die Verfestigung streng hierarchisch-patriarchalischer Strukturen. Seit einiger Zeit hat sich jedoch vor allem durch literaturwissenschaftliche Studien eine Perspektive eröffnet, die stärker die Heterogenität der Texte in Struktur, Gattung, Tradition, Intention und Aussage unterstreicht (vgl. hierzu vor allem die Arbeiten von Schnell, Müller, Braun, Classen, van Ingen und anderen).

68 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert rhetorischen Erfordernissen bewirkten eine generelle Offenheit mit Interpretationsspielräumen – um sie den situativen Bedürfnissen der jeweiligen Rezipienten anpassen zu können.⁶⁷ Der seit Augustinus kanonisierte, prinzipielle Antagonismus und unauflösliche Widerspruch im Konzept häuslicher Ordnung zwischen irdischer (patriarchaler) Autorität und christlicher Gleichheit und Nächstenliebe zeigt sich vor allem in der Darstellung einer erwünschten Konfliktkultur, die sich zwischen dem quasi-natürlichen Unfrieden und dessen Überwindung durch das christliche Friedensideal entfaltet. In dieser heterogenen Landschaft theologischer Gebrauchsliteratur sind es vor allem die katechetischen Schriften und die Andachts- bzw. Gebetsliteratur, denen man eine relative Breitenwirkung zubilligen kann.⁶⁸ Anhand von Beispielen aus beiden Bereichen kann die Verbreitung des Gebrauchs und die relative Offenheit des Friedensbegriffs nachvollzogen werden, die sich im Anschluss an eine Intensivierung im Kontext protestantischer Schriften über Konfessionsgrenzen hinweg etablierte. Um dabei die Wichtigkeit bestimmter Textgruppen in diesem Prozess aufzuzeigen, soll im Folgenden zwischen katechetischer Literatur und Andachtsliteratur unterschieden werden – trotz des Wissens um die Problematik einer klaren Abgrenzung voneinander. Der katechetischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts stand eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Gestaltung und Adressatenorientierung zur Verfügung, die sich bereits in der Titulierung ausdrückt. Was in der älteren Forschung schon für das 16. Jahrhundert als „Hausväterliteratur“ bezeichnet wird, ist oftmals unter Titeln wie „Oeconomia“, „Haußbuch“ oder „Haußtafeln“ zu finden, daneben finden sich aber auch „Ehespiegel“ oder „Geistliche Wirtschaften“.⁶⁹ Neben Texten, die ausschließlich Aspekte des häuslichen Lebens behandeln, sind einige auch als grundlegende Glaubenslehren konzipiert, innerhalb derer eheliche und häusliche Aspekte behandelt werden. Formal sind einige als systematische Abhandlungen im Stile von Regimentstraktaten verfasst, andere wiederum haben Predigtcharakter, dritte sind als Lehrliteratur zur Haushaltsführung verfasst. Ihnen allen ist gemeinsam, dass der Schwerpunkt auf der theologischen Begründung der häuslichen Ordnung liegt und – theologisch begründete – Verhaltensmaßregeln zur Gestaltung und Aufrechterhaltung dieser Ordnung vorgegeben werden, um sowohl die Geschlechter- als auch die Generationsproblematik in einen größeren sozialen

67 Vgl. hierzu prägnant Braun, Disziplinierung, S. 426–460; Classen, Liebesdiskurs, S. 175–178. 68 Zum Problem der Rezipientenforschung vgl. Hahn, Hausbuch, S. 98–101. 69 Eine aktuelle systematische Aufarbeitung dieser theologischen Literatur unter Einbeziehung der vielfältigen Forschungen der vergangenen Jahrzehnte fehlt bisher. Aus theologischer Perspektive immerhin grundlegend, wenngleich veraltet Hoffmann, Hausväterliteratur, S. 46–62.

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Kontext einzubinden. Das verbindende Begriffselement zwischen individuellem Handeln und sozialer Ordnung stellte dabei der Frieden dar, wie sich ganz exponiert an der Hauslehre des sächsischen Pfarrers und Reformators Paul Rebhun zeigen lässt. Anknüpfend an Justus Menius’ „Oeconomia christiana“ von 1529 behandelt Rebhun in seinem „Hauß=Frid“, der zwischen 1546 und 1633 mehr als dreizehn Auflagen erlebte,⁷⁰ die häuslichen Beziehungen als Kernelement einer irdischen Verwirklichung der göttlichen Ordnung. Während in Menius’ „Oeconomia“ der Aspekt des Friedens lediglich am Rande behandelt wird, stellt Rebhun ihn in seiner Abhandlung ins Zentrum und unterstreicht damit dessen Bedeutung für die ordnungspolitischen Aspekte des Hauses. Dies wird bereits in der Einleitung deutlich, wenn er die Motivation seiner Schrift aus der Weihnachtsbotschaft „Friede auf Erden“ ableitet⁷¹ und daraus den Friedensauftrag für die Pastoren entwickelt, dessen Kern er darin sieht, „den lieben Haußfried zwischen Christlichen Eheleuten mit allerley Gottseligen Lehren vnd vermanungen anzurichten vnd zuerhalten.“⁷² Denn, so fährt er fort, auß diesem friede folget der gemeine friede oder Landßfriede, ja auch der Göttliche friede. Denn rechte christliche friedliebende eheleute ziehen auch mit allem fleyß friedliebende Kinder auff. Auß friedliebende Kindern werden friedliebende nachtbarn vnd Leutselige Bürger. Friedliebende Bürger geben auch gehorsame vnterthanen gegen der Oberkeyt. Auch wonet Gott bey friedliebenden Christlichen Eltern. Wo Gott wonet, da wonet auch seine genad vnnd erkendnuß vnnd wo das bey Eltern ist, wird es auch inn die Kinder gebildet vnd also Gottes friede vnd eynigkeit durch rechten Glauben in jnen fruchtbar.⁷³

Diese kurze Passage verdichtet die bei Luther entwickelten Zusammenhänge zwischen oeconomia und politia als konsequente Fortführung des christlichen Liebesgebotes, wobei sich die gesellschaftliche Konsequenz solchen Handelns nicht allein in der sehr markant vertretenen Pflicht zum Gehorsam erschöpft. Die verschiedenen Friedensbegriffe rufen ein doppeltes Bedeutungssystem auf, das nicht mehr explizit gemacht werden muss. Innergesellschaftlicher Friede ist demzufolge

70 Die letzte im VD17 nachweisbare Edition stammt aus dem Jahre 1633 und wurde in Straßburg verlegt. Die hier zitierte Ausgabe erschien 1559 in Nürnberg. Obwohl es zu Paul Rebhun aufgrund seiner Susanna- und Hochzeitsspiele einige Literatur gibt, wurde diese Schrift bisher wenig behandelt. Bräuer, Gesellschaftsbild, S. 15–18. 71 „Es haben auch die Engelischen Creaturen und diener Gottes in der aller freudenreychsten Geburt Christi den menschen auff erden nichts herzlichers wissen zu wünschen alßeben den friede. Dabey abzunehmen, das [. . . ] seine [Gottes] getrewe Diener nichts so fast treyben als eben den lieben Friede auff Erden zuerhalten.“ Rebhun, Hauß=Frid, S. [4]. 72 Ebd., S. [6]. 73 Rebhun, Hauß=Frid, S. [6f.].

70 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert erst in zweiter Linie Folge einer erzwungenen Rechtsbefolgung. Wie bei Luther kann sich auch bei Rebhun „wahrer“ irdischer Frieden erst aus dem friedfertigen Handeln jedes Einzelnen entfalten – der schlussendlich ein auf Zwang beruhendes Rechtssystem überflüssig mache. Aus diesem Grund muss Rebhun zufolge das Haus als Ort der Primärsozialisation in besonderer Weise auf diesen Frieden hinarbeiten. Der Frieden im Hause – für Rebhun die Summe ehelicher „liebe, freundtschafft, eynigkeit“ – ist aufgrund seiner generationellen Langfristigkeit Dreh- und Angelpunkt allen gesellschaftlichen Friedens. Folglich entfaltet Rebhun vor allem für das Ehepaar als Haushalter die friedenfördernden, -aufbauenden Handlungsmaximen an zahlreichen Aufgaben- und Konfliktfeldern, mit denen er sich ganz auf der Linie der tradierten Ehelehren bewegt. Sexualität, Kindererziehung, Wirtschaftsplanung, Arbeitsmoral, Krankheit und Konsum – in allen Bereichen lässt sich als Grundlinie finden: Es sind zwey kurtze Stück, aber inn stetem gebrauch zu heben nemlich Gehorsam vnnd Liebe also, das das Weyb dem Mann gehorsam sey vnnd der Mann das Weybe liebe. Inn diesen zweyen stücken stehet vnd henget der Haußfried vnnd wird auch darinne vnnd dadurch erhalten.⁷⁴

Die hier aufscheinende Ambivalenz und Brüchigkeit dieses auf Gegenseitigkeit und Nachsicht angelegten Modells ist Rebhun gleichwohl sehr bewusst. Der Machtmissbrauch der Ehemänner, die sich in übermäßiger körperlicher Gewalt äußere, wie auch die moralischen Unzulänglichkeiten der Frauen, sollten seiner Ansicht nach durch obrigkeitlichen Rechtszwang reguliert werden können, um nicht nur durch seelsorgerische Betreuung durch die Prediger allein, sondern auch von weltlicher Seite den Hausfrieden als Kernstück gesellschaftlicher Ordnung zu erhalten: Wie ich aber nu oben gesat, das man der Weltlichen Oberkeyt öffentliche straffe zu erhaltung des Landfriedes haben muß, also were es warlich hoch von nöten, zu erhaltung des haußfriedes das auch etliche öffentliche geordnete Recht vnd straffe weren wieder die unleidlichen und ergerlichen übertrettung etlicher ungehorsamer Weyber, damit sich nit die Menner mit jnen dörfften blewen und schlagen. Denn on das ist der Haußfriede sonst nit überall zuerhalten, sintemal etliche Weyber so gar Teufflisch böse sind vnd nicht alle so gar gedultige Menner haben, die alles auß liebe vertragen können, von denen ich doch hernach sagen will vnd auffs fleissigest auch dazu vermanen.⁷⁵

Die Regulierung der Selbstregulierung war Rebhun zufolge ein offenes Problem gesellschaftlicher Organisation, dem man in den neuen Strukturen des landesherrlichen Kirchenregiments begegnen musste. Der enge Textbezug zwischen

74 Ebd., S. [24]. 75 Ebd., S. [311f.].

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theologischen Eheschriften und juristischer Literatur, der bereits bei Sarcerius deutlich geworden war, scheint auch hier wieder auf. Ebenfalls aus den 1540er-Jahren stammen die zahlreichen Summarien des Nürnberger Predigers und engem Vertrauten Luthers und Melanchthons Veit Dietrich, in denen er Kernaspekte der lutherischen Theologie zu bestimmten Themen zusammenstellte. Die große Nähe zur „Hauspostille“, deren Ausgabe er besorgte, ist unverkennbar. So stellte er der gereimten Auslegung der Bergpredigt ein Gebet in Liedform zur Seite, das die friedenstiftenden Wirkungen im Gemeinwesen (einer Bergwerksregion) beschreibt.⁷⁶ Das Friedensthema findet sich als Grundlinie auch in Johannes Spangenbergs „Ehelichem Ordens Spiegel und Regel“ von 1545, der wie Rebhun zum engeren Kreis der reformatorischen Prediger und Superintendenten des sächsischen Raumes gehörte. In Anlehnung an die klösterlichen Regeln formulierte er zehn Kernregeln für den „ehelichen Orden“. Deren Befolgung verspricht er einleitend: Wer aber die Regel dieses Ordens | die lehr des heyligen Evangelij helt | vnnd lebt mit seinem Gemahel inn friede und einigkeyt | der ist ein Christliche bruder vnnd Schwester | der wirdt auch mit Got dem rechten Abt | dieses ordens theil haben in seinem Reych im eigen leben.⁷⁷

Wie sein Vater, so benutzte auch Cyriacus Spangenberg den Friedensappell in seinen Eheschriften als durchgängige Grundlinie. Im „Ehespiegel“ von 1561 und auch in seiner „Geistlichen Haustafel“ von 1556 treten diese Aspekte immer wieder hervor, wenn es gilt, eine funktionierende Ordnung begrifflich zu fassen. So fordert er eine „Friedenspflicht“ der Untergebenen/Ehefrauen gegenüber ihren Ehemännern in Analogie zum Verhältnis der Untertanen zur Obrigkeit. Dies sei eine Form der Ehrerweisung, der diejenige der „Herrschenden“ entspreche, ihre Machtposition nicht auszunutzen.⁷⁸ Sehr stark ordnungspolitisch ausgerichtet war auch die „Haußtafel“ des Eger Stadtpredigers Johannes Hagen. Er entfaltete die „Drei-Stände-Lehre“ in sieben Aspekten – für jeden Tag der Woche wurden kleine, dialogisch aufgebaute Reimgedichte dazu verfasst. So antwortet der Pfarrer dem Bürger am Erichstag [Mittwoch, ISV] auf seine Frage nach den Tugenden des Ehestands: e

Endlich, weill zum guten haußfried | ein sondere sanfftmut vnnd gedult gehoret | vnd wir noch groß gebrechlichkeit an vns tragen | soll Eins des Andern Sinn wissen | gedult haben | vnnd e mit sanfftmut viel abwenden vnd versonen helffen.⁷⁹

76 77 78 79

Dietrich, Summaria, z. B. S. 183, 186. Spangenberg, Ordens Spiegel, S. 15. Spangenberg, Haustafel, Vierte Predigt, 3. Kap. Hagen, Haußtafel, S. 64f.

72 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Auf die Nachfrage, was denn zu einem „friedlichen Leben“ motivieren könne, verweist der Pfarrer auf die wechselseitige Abhängigkeit voneinander. Friedenstörendes Verhalten differenziert er sehr ausführlich als e

vergessenheit der Ehlichen pflicht | oder Ehebruch | Fullerey | doppeln | verschwenden | hinlessigkeit im Haußhalten | vnbarmhertzigkeit | zanck | hadder | schlahen | vngedult | poe e chen | zurnen | schelten | lestern | bose Kinderzucht vnd dergleichen.⁸⁰

Damit umreißt er den Negativkatalog und präsentiert eine Liste von Gegenbegriffen zum „Haußfrieden“. Es ist also nicht nur „Krieg“ bzw. „Gewalt“, sondern vielmehr ein Verhaltenskatalog gestörter persönlicher Beziehungen und individuellen Fehlverhaltens. Analog zum bisher durchgängig betont prozessualen Charakter des Friedensbegriffs und seiner auf häusliche Praktiken bezogenen Semantik entfaltet sich auch die Gegenbegrifflichkeit auf der handlungsorientierten Ebene. Die Betonung des gegenseitigen Umgangs im Haus als sich immer wieder aufs Neue konstituierende Ordnung tritt auch in der „Kurtzen Summa“ des streitbaren Gnesiolutheraners Nicolaus Gallus von 1558 zu Tage. Sowohl Mann und Frau werden ermahnt, friedlich miteinander zu leben, wie auch das Gesinde untereinander.⁸¹ Christoph Fischers „Haußtaffel“ von 1578 liest sich trotz seiner Predigtform wie eine Verfassungslehre des politisch-theologischen Aristotelismus, in der Beziehung und Aufgabenbereich jeder einzelnen Institution erläutert werden. In der achten Predigt über den Ehestand macht er gleich den Teufel als Ursache ehelichen Unfriedens aus und schließt ein Fürbittgebet an, in dem gebeten wird um deine grundlose gnade und barmhertzigkeit | du wollest vmb Christi meines lüben einigen Friedefürsten willen durch deinen friedliebenden Geist zwischen vns beiden lieb | fried vnd einigkeit pflantzen | das wir in einigkeit leben. [. . . ] Gestatte, ach du lieber Vater, ja nicht dem leidigen Teuffel | dem rechten Störenfried noch seinen gesandtzen, das sie das edle band deß friedes zwischen vns zu trennen.⁸²

Obwohl diese Schriften zwar als „Haußbücher“ betitelt sind, lassen ihr komplexer Aufbau und die anspruchsvolle Sprache kaum vermuten, dass sie der täglichen Andacht im häuslichen Kreise zugedacht gewesen sein können, sondern eher als Handbücher für die geistliche Seelsorge respektive die weltliche Rechtspflege bestimmt waren. Die zunehmende Verwendung des Begriffes Frieden im Hin80 Ebd., S. 65f. 81 „Sie sollen auch friedlich vntereinander leben | nit zancken flucht | oder einander gehesig sein | sonder eins dem anderen | wo es die notturfft erfordert | sein arbeyt zu verrichten beystehen vnnd helffen.“ Gallus, Summa, 7. Cap., o.P. 82 Fischer, Haußtaffel, s. p., Achte Predigt.

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blick auf die Gestaltung der ehelichen – als Kern der häuslichen – Beziehungen lässt sich auch in solchen Schriften nachweisen, die von der Adressatenorientierung eher für ein breiteres Publikum gedacht waren, zur Unterstützung und Festigung der häuslichen Andachts- und Frömmigkeitspraxis.⁸³ Gerade die Gebetsliteratur und Reimdichtung eignete sich auch für den mündlichen Unterricht. So verfasste 1568 der Joachimsthaler Pastor Johannes Mathesius ein „Betbüchlein und Oeconomia oder Bericht vom Christlichen Haushalten“, das die Kernthesen der protestantischen Hausethik in vierhebigen Jamben bündelt. Er leitet seine Dichtung ein mit der Erwartung: „Wer sein Leben mit Fried und Ruh | in dem Ehstand will bringen zu“⁸⁴ und markiert dies mit Frieden als grundlegendem begrifflichem wie ideellem Referenzrahmen ehelichen und damit häuslichen Lebens. Auch hier sind es wieder die persönlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau, ihr Umgang in Konflikten miteinander, die als Kern häuslichen Friedens auftreten: „Der Mann sey fromm wie Tobias | Das Weib stumm wie Zacharias. | So kan man Fried haben im Hauß | Nichts guts ein böses Weib richt auß.“⁸⁵ Mathesius schließt die Klammer mit dem Abschiedswunsch an den Leser: „Und wünsch ihm Glück und Heil dazu | Im Ehstand guten Fried und Ruh.“⁸⁶ Ähnlich findet sich der Friedensbezug, der hier ausschließlich auf die Binnenbeziehungen rekurriert, in den „Funffzehen Hochzeits-Predigten“ von 1568, einer weiteren seiner Schriften, die bis in das frühe 19. Jahrhundert immer wieder neu aufgelegt wurden.⁸⁷ Im „Christen Lustgarten“ von 1573 versammelte der sächsische Pastor Nikolaus Heinrich in alphabetischer Folge theologische Kernbegriffe mit den dazu gehörigen Bibelstellen. So auch für den Frieden. Wenngleich das Büchlein der häuslichen Erbauung zugedacht war, bleiben die Belege ohne häuslichen Bezug.⁸⁸ Ähnliche Formen der Ehe- und Hausdidaxe finden sich auch in der so genannten „Teufel-Literatur“. Deren Texte widmeten sich – oft in Reimform – in didaktischer Weise dem Ausloten individueller Handlungsspielräume innerhalb gegebener Ordnungen, wobei die Warnung vor und „Verteufelung“ von unerwünschtem Verhalten stets mit sozial erwünschten Verhaltensformen gespiegelt

83 Wallmann, Herzensgebet, S. 22–24; Veit, Hausandacht, S. 199–205. 84 Mathesius, Oeconomia, S. 507. Zitiert wird aus einer Gebetsanthologie aus dem Jahre 1672. Dieses Exemplar ist zusammengebunden mit dem „Betbüchlein“ Johann Habermanns, eines Klassikers lutherischer Gebetsliteratur. Vgl. hierzu Koch, Betbüchlein, S. 173f. 85 Ebd., S. 509. 86 Ebd., S. 517. 87 „Erhalt Herr Christ Dein Fleisch und bein | laß sie dein Lieb Heffziba sein | Bewar all fraw und junckfraw ehr | fromb Man, Weib, Kind und fried bescher.|“ Mathesius, Hochzeitpredigten, S. 120. 88 Heinrich, Lustgarten, Bl. 130–133.

74 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert wurde.⁸⁹ Gerade die alltäglichen Kleinigkeiten und Versuchungen treten hier in der Personifikation des Teufels auf, dessen Wirken auf die Zerstörung zentraler Güter abzielt. Entsprechend oft ist es im Hinblick auf das häusliche Leben und seine persönlichen Beziehungen der Hausfrieden, der immer wieder durch den Teufel erschüttert wird. So verweist Andreas Musculus in seinem 1559 erschienenen „Eheteufel“ immer wieder auf die „Friedlichkeit“ als Kernkompetenz im Eheleben, sei es in der Vorrede, in der er seinen Förderinnen bescheinigt mit „glücklichem und e friedlichem Ehestand hochlich begnadet“⁹⁰ zu sein oder als Ideal des Ehelebens: e

Das sich solche Eheleut lassen beduncken | die 30. oder 40. jar einander gehabt haben | sie sein kaum 2. oder 3. jar beisam gewesen | Bey solchen Eheleuten wonet Gott | es kann auch nicht fehlen | es muss segen | fried | und einigkeit und alle wolfart hernach folgen | Und ob der Eheteuffel solchen leutten feind und gram ist | gehet in nach wo er kann | wirffet bisweil e auch bose gedancken ein | so lassen sie dieselbigen wieder ausfallen | wie sie einfallen | und das ist auch die beste kunst | wer es nur thut.⁹¹

Frieden bezieht sich hier unübersehbar auf die ethischen Handlungsmaximen im nachsichtigen, liebenden und respektvollen Umgang miteinander durch eigene Affektkontrolle, die die Basis aller Wohlfahrt – also des Erfolgs und Glückes ist. Entsprechend gilt Musculus’ Rat im Falle eines Konfliktes „sich immerzu ihrer pflicht und vorbindung | Gottes willen und ordnung erinnern | und [. . . ] stets in fried | lieb und einigkeit zu leben.“⁹² Weit mehr noch als die Segnungen des Wohlverhaltens liegen Musculus die Konsequenzen von Fehlverhalten am Herzen: e

Aber was aus solcher bosen anstifftung des Sathans erfolge | wie die Ehe zubrochen | das e hausregiment zustoret | alle band der lieb und freuntligkeit zurissen werden | zanck | hader | und zwitracht | das erste und beste gericht alle tag im hause ist | das erweiset die teglich erfarung | und bedarff keiner erklerung | wird aber fried und einigkeit im haus und Ehestand e auffgehoben | so folget das ander ungluck auch daraus | das die eleheut in solchem unfried auch an der seelen vorletzt | unnd an der anruffung und dinst Gotes vorhindert | also an leib unnd seel zu grossem unfal komen und geraten.⁹³

89 Zur kommunikativen Einbettung dieser Literatur vgl. jüngst Brüggemann, Angst, S. 123–156. Diese spezifische Form der deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts ist ansonsten eher randständig in der Forschung vertreten, grundlegend sind immer noch die Einordnungen von Ria Stambaugh in den Nachworten zu den von ihr herausgegebenen „Teufelbüchern“ (Stambaugh, Teufelbücher), Roos, Devil, S. 7–61 und Ohse, Teufelliteratur, S. 7–28. 90 Musculus, Ehteufel, S. 87, Z. 24f. Zu Biographie, Karriere und Theologie Musculus’ vgl. Koch, Musculus, S. 251–256. 91 Ebd., S. 106, Z. 1–9. 92 Ebd., S. 118, Z. 32–34. Ähnliche Stellen etwa auf den S. 120, 122 und 124. 93 Ebd., S. 124, Z. 18–27. Ähnliche Stellen etwa auf den S. 113, 122f., 129.

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Wie für die Handlungsorientierung des Friedensbegriffs bezieht sich auch die Schilderung der Konsequenzen ganz auf die Binnenstruktur einer Ehe, während die sich daraus für das Gemeinwesen ergebenden Folgen nicht beleuchtet werden. Das lässt sich in erster Linie auf die Adressatenorientierung zurückführen, die im Gegensatz zu den kompendienhaften Werken der „Haußbücher“ und Ökonomiken nicht so sehr die Funktionseliten in Rat, Kanzlei und Konsistorium vor Augen hat, sondern die Menschen als Ehegatten ansprechen. Das gleiche Prinzip lässt sich auch in Adam Schubarts „Hausteufel“ aus den 1560er-Jahren finden, wenn er abschließend zu einzelnen Vergehen deren Schädlichkeit mit den Worten kommentiert: „Dem Haußfrieden ists ungesundt“.⁹⁴ Er formuliert als Fazit seiner 1951 Verse umfassenden Ausführungen: „Ein stedte lieb auff Erden hie nieden | gieb ir den lieben Haußfrieden.“⁹⁵ Im deutlichen Unterschied zu Musculus, der stärker auf den Ausgleich der widerstreitenden Stärken und Schwächen der Ehepartner zielt, scheint sich Schubarts Schrift ausschließlich weiblichem Fehlverhalten zu widmen und beschreibt die Männer schlimmstenfalls als Opfer ihrer herrschsüchtigen Frauen. Diese Interpretation legt schon der Titel „Siemann“ nahe, was zugleich auf die enge Verknüpfung von (moral-)theologischen Traktaten und sozialen Ehrkodizes verweist.⁹⁶ Diese Beispiele dokumentieren die Zentralität des Friedensbegriffs für die Formulierung des Ideals eines geordneten Ehe- und Hauslebens. Als übergeordneter Referenzrahmen umfasst er die Tugenden und Handlungsmaximen aller spezifischen Aufgaben- und Konfliktfelder. Besonders augenfällig lässt sich dies in Nicolaus Schmidts „Zehen Teuffeln“ von 1557 ablesen, denen der Autor zehn Tugenden gegenüberstellt und hier die „Friedlichkeit“ breit ausformuliert.⁹⁷ Aufgrund der großen Popularität dieser Texte – neben vielen Einzeldrucken und Ausgaben erschienen sie ab 1583 im Sammelband „Theatrum diabolorum“, herausgegeben von Sigmund Feyerabend – und ihrer engen Verbindung zur Gebets- und Andachtsliteratur kann von einer recht großen Verbreitung des in ihnen angesprochenen und verwendeten Gedankenguts ausgegangen werden. Auch und vor allem wegen der oft rhythmischen Abfassung und einprägsamen Formulierungen ist auch die mündliche Tradition recht wahrscheinlich.⁹⁸ Der intensivere Gebrauch des Friedensbegriffs im Vergleich zur spätmittelalterlichen Eheliteratur findet sich in ganz unterschiedlichen Textgattungen dieses

94 Schubart, Haußteuffel, S. 292, Z. 1427. Ähnliche Stellen etwa auf den S. 301 und 305. 95 Ebd., S. 307, Z. 1946f. 96 Vgl. Altpeter-Jones, Tyrant She-Man, S. 44–46. 97 Schmidt, Zehen Teuffel, S. 345–347. 98 Zur Gebrauchsfunktion solcher Literatur und unterschiedlichen Rezipientenkreisen vgl. nochmals Veit, Hausandacht, S. 201 und Baumann-Koch, Gebetsliteratur, passim.

76 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Feldes wieder. Wenngleich hier längst nicht erschöpfend die Eheliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts analysiert wurde, zeigt die Lektüre einiger der verbreiteteren Texte auf dem damaligen Büchermarkt, dass Friedenssemantiken an zentralen Stellen als grundlegender Referenzrahmen für eheliche und häusliche Handlungsmaximen gebraucht wurden. Und zwar in einer Weise, welche die Zusammenhänge zwischen friedfertigen Handlungen, christlicher Ethik und gesellschaftlicher Ordnung als selbstverständliches Wissen und implizite Norm voraussetzt. Auffällig ist auch die starke Verschiebung von moraltheologischen Aspekten des Ehelebens auf ordnungspolitische Fragen, wenngleich diese in den Texten auf sehr unterschiedliche Weise behandelt wurden. Dass dieses verstärkte ordnungspolitische Interesse keine spezifisch protestantische Angelegenheit war, sondern eher auf ein grundsätzliches Bedürfnis im 16. Jahrhundert zurückzuführen ist, zeigt ein kurzer Blick in Ehespiegel und Haushaltslehren, die in katholischen Kontexten entstanden sind. Neben dem bereits erwähnten Werk von Juan Luis Vives erschien 1602 eine zweibändige „Haußpolicey“ des Münchner Hofratssekretärs und Hofbibliothekars Aegidius Albertinus, die als „Paradebeispiel“ katholischer Ehelehre gilt.⁹⁹ Bereits im Titel wird auf den ordnungspolitischen Aspekt verwiesen, wenngleich es hier in erster Linie um die Ordnung innerhalb des Hauses geht. Entsprechend der nachtridentinischen Lehre spielt der Ehestand zwar eine nachgeordnete Rolle und wird nach der Lebensform der Priesterschaft und des Zölibats erörtert. In seinen Ausführungen zur Ehe selbst ist die starke Anlehnung an die Eheliteratur des 15. Jahrhunderts unübersehbar. Im Unterschied zum protestantischen Pendant fällt die intensive Behandlung und starke moralische Reglementierung der ehelichen Sexualität ins Auge, danach folgt die Kindererziehung. Der Gestaltung des ehelichen Beziehungsalltags im Haushalten wird im Vergleich weniger Platz eingeräumt.¹⁰⁰ Ähnlich wie bei Vives’ wird die Ehe nicht als gemeinsam geteilter Interaktionsrahmen erörtert, sondern nach Geschlecht getrennt. Der erwünschte Charakter der ehelichen Beziehung wird im Begriffsrahmen von Liebe, Freundschaft und Einigkeit formuliert. Eine explizite Friedensbegrifflichkeit, die stärkere Ordnungsaspekte aufweist, enthält das Kapitel „Vom Hadern und Zancken der Eheleute“, das mit seinem eindringlichen Appell und der Rückkoppelung an die gesellschaftliche Ordnung des Gemeinweisens in einem starken Gegensatz zu

99 Zur Einbettung des Werkes in die nachtridentinische Eheliteratur vgl. Smolinsky, Ehespiegel, S. 316 f.; Zur Stellung Albertinus am Münchner Hof und zu seiner Funktion und Bedeutung im Zusammenhang mit den gegenreformatorischen Bestrebungen Herzog Maximilians I. vgl. Walz, Moralist, S. 59–67. 100 Forster, Devotions, S. 100–103; Metzger, Beispielkatechese, passim.

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den übrigen Kapiteln steht. Die Formulierungen bieten so große Affinitäten zum „Haußfried“ von Rebhun, dass sie hier etwas ausführlicher zitiert werden sollen: Unaußsprechlich ists | was die Einigkeit im Ehestandt für einen grossen nutz mit sich bringt e beydes am Leib und an der Seelen | hergegen was fur grosser Schad vnnd nachtheil erfolge aus dem greinen vnnd zancken. Wann die Fürsten und Herren uneinig vndereinander seindt | so haben die Underthanen nicht zuverhoffen | daß sie in der Einigkeit verbleiben e werden konnen | vnnd wann der Herr vnnd Fraw in einem hause stetts vneins vnnd miteinander im weiten Feldt liggen | so ist nicht zu vermuten | daß vnder den Kindern vnnd e Ehehalten werde Fried vnd Einigkeit verspurt werden | Wo derwegen kein Fried und Einigkeit verhanden ist | da ist Gott nicht | vnd wo Gott nicht ist | da regiret der Teufel. In welchem Hauß aber die Herrschafft ein ander ließet | friedlich vnd einig ist | da lebt Gott | da schwebt Gott | vnnd da gehet es alles wol zu. Die Kinder ließen die Eltern: Die Eltern hinwider die Kinder. Die Ehehalten seind desto lustiger zum dienen | sie respectiren ihre Herrschafft | vnnd sie selbst vndereinander vergleichen und vertragen sich desto besser. Zu dem ist die Einigkeit im Hause ein vrsach daß man auf einem solchen Ma¯ n vil helt ausserhalb hauses | v¯ n daß er von den fremb¯e wirdet geehrt.¹⁰¹

Im weiteren Verlauf kehrt Albertinus zu seinem früheren Stil zurück, eine Auseinandersetzung mit Friedensfragen ist nicht auszumachen.¹⁰² Auch in den Ausführungen zu den Erfordernissen der Ehefrauen findet sich keine entsprechende Passage. Hier zeigt sich überspitzt, was auch in den anderen Ehe- und Hauslehren auffiel und ganz auf den augustinischen Kern der christlichen Theologie rekurriert: primär für den Erhalt des Friedens ist der Hausvater als „Herrschender“ zuständig, wenngleich mit unterschiedlichen Mitteln gegenüber den verschiedenen Ständen in seinem Regiment. Zwangsmittel in Form körperlicher Züchtigung werden immer als Mittel der letzten Wahl genannt, welche zugleich am schwierigsten zu handhaben seien. Dass Frieden durchaus auch ein Thema katholischer Eheliteratur war, zeigen Lorichius’ Traktat „Der Wittfrawen Spiegel“ von 1593 wie auch eine gedruckte Predigt über den „zerrütteten Hauß-fried“ des Jesuitenpaters Wolfgang Rauscher aus dem Jahre 1695 oder das „Bett- und Tugendbuch“, das 1742 in Paderborn aufgelegt wurde. In letzterem werden die Ehemänner zur Selbstdisziplin aufgerufen: Will der Mann wohl im Hauß herrschen, so herrsche er zuvor über sich und seine bösen Neigungen. [. . . ] Nimmer wird fried im Hauß sein, wann die Frau nicht lernet schweigen, und der Mann nichts will gedulden.¹⁰³

101 Albertinus, Haußpolicey, S. 157r. 102 Zur Arbeitsweise Albertinus bei seiner „Haußpolizei“ vgl. Gemert, Werke, S. 387–398. 103 Rauscher, Wolfgang: Von der guten und schlimmen Haußhaltung. Vom dem Testament der Philautiae oder eignen Lieb. Von dem zerrütteten Hauß=Friden. Durch drey lustige Sinn-

78 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Und auch der katholische Geistliche Abraham a Santa Clara mahnte Ende des 17. Jahrhunderts, es sei Pflicht des Hausvaters „zu sehen ob Fried und Einigkeit in seinem Haus, wie in der Archen Noe, allwo auch Hund und Katzen gut Freund seynd gewest.“¹⁰⁴ Der Blick in die theologische Ehe- und Hausstandsliteratur verschiedener Konfessionen im 16. und frühen 17. Jahrhundert hat gezeigt, dass sich zwar Unterschiede in der Gewichtung bestimmter Aspekte des ehelichen und häuslichen Lebens im Hinblick auf theologische Grundfragen feststellen lassen, in den Kernaussagen und Grundkonzeptionen ist hingegen eine große Übereinstimmung zu erkennen. Auch die zunehmende Rezeption des Friedensbegriffs in denjenigen Passagen, die die Ausgestaltung der persönlichen Beziehungen und die Rückkoppelung häuslicher Ordnung als die übergeordnete Ordnung des Gemeinwesens betreffen, kann für diesen Zeitraum festgestellt werden. Diese größere Präsenz des Friedensbegriffs im Hinblick auf häusliches Leben muss demnach also nicht so sehr als Ergebnis konfessioneller Auseinandersetzungen angesehen, sondern vielmehr in den Kontext des allgemeinen kulturellen Wandels im 16. Jahrhunderts gestellt werden. Auf der einen Seite gab es ein großes Bedürfnis, auf allen Ebenen menschlicher Existenz eine beständige Ordnung herzustellen, so dass sich im Schrifttum eine zunehmende Ausdifferenzierung der einzelnen Funktionsbereiche mit klar definierten Aufgabenbereichen und Handlungsmaximen abbildete.¹⁰⁵ Auf der anderen Seite wurde dieser Prozess durch die rasche Expansion medialer Ausdrucksmittel befördert und intensiviert – gerade im Hinblick auf die Veröffentlichung volkssprachlicher Schriften. In den zahlreich entstehenden Übersetzungen und Interpretationstexten spätmittelalterlicher Eheund Hausstandsliteratur konnten mit dem Rückgriff auf den Friedensbegriff offenbar die lebensweltlichen und alltagsbezogenen Erfahrungshorizonte deutlich besser abgebildet werden. Dieser lebensweltliche Kontext war im Hinblick auf die Konfliktvermeidung und Konfliktregulierung seit dem 15. Jahrhundert stark von einer zunehmenden Verrechtlichung geprägt, so dass hier das Ineinander-Fließen von rechtlichen und moraltheologischen Substraten im Friedensbegriff dessen Potenzial als Signifikanten einer umfassenden Ordnung wie auch ihrer situativen Realisierung im Kleinen entscheidend bestimmte. Die Bedeutung und Wirkmächtigkeit einer solchen konfessionsübergreifenden Ordnung häuslichen Lebens hat ihre Wurzeln in der allen Konfessionen ge-

und Lehrreiche Ostermärlein erklärt, sambt noch ein und anderer Predig. Auff der Cantzel dem glaubigen Volck vorgetragen von P. Wolfgango Rauscher, der Gesellschaft Jesu Priestern, Dillingen 1695. Bet- und Tugendbuch, zit. nach Holzem, Familie, S. 260. 104 Zit. nach Moser-Rath, Familienleben, S. 57. 105 Simon, Gute Policey, S. 416–424.

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meinsamen Tradition spätmittelalterlicher und humanistischer Ehediskurse, die eben nicht nur in theologischen, sondern auch in vielfältigen Formen weltlicher Literatur und Medien präsent war. Diese starke Tradition wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts nicht ersetzt, sondern entwickelte sich in enger Verzahnung mit den konfessionell geprägten Schriften weiter – zumal die soziale Dynamik auch einen Bedarf an adäquaten Deutungsmustern generierte. Hierzu zählen zum einen die Übersetzungen von (spät)mittelalterlichen Texten durch Reformatoren und Altgläubige. So übersetzte etwa Johannes Spangenberg die „Cura rei familiaris“ des Bernhard von Clairvaux. Erasmus Alber wiederum übertrug Francesco Barbaros „De re uxoria“ oder auch den „Spiegel Christlicher Eheleut“ von Hippolyt Guarinoni.¹⁰⁶ Um 1600 veränderte sich die so genannte Hausstandsliteratur dahingehend, dass durch eine Verbindung mit der ebenfalls im späten Mittelalter aufkommenden Hauswirtschaftsliteratur nicht so sehr die Sozialkompetenzen derjenigen im Mittelpunkt standen, die in eine häusliche Hierarchie dauerhaft oder temporär integriert waren, sondern stärker die Fach- und Methodenkompetenzen im Hinblick auf die Notwendigkeiten der produzierenden und verarbeitenden Arbeit in einem Haushalt.¹⁰⁷ In der älteren Forschung erhielt diese Literaturform im Anschluss an die Arbeiten des Nationalökonomen Wilhelm Roscher die Bezeichnung „Hausväterliteratur“, die später von Otto Brunner übernommen und zum zentralen Quellenkorpus vormoderner Sozialorganisation erhoben wurde.¹⁰⁸ Charakterisiert ist diese Literatur durch die Verknüpfung zweier bis dahin nebeneinanderbestehenden Traditionen: die der theologischen Hausstandsliteratur und der aus der Antike überlieferten Landwirtschaftslehren.¹⁰⁹ Aufgrund der vielfältigen Gestaltungsfor106 „Eyn gůt bůch von der Ehe. Was die Ehe sei, was sie guts mit sich bringe, Wie eyn weib geschickt sein soll, die eyner zu d’ Ehe nehmen will, wie alt, waß sie dem Ma¯ n zubringen solle, Vom kosten vnnd gebreng der Hochzeit, Von dreien Tugend¯e des weibs, Von der kleydung u¯ n schmück des weibs Wie mann Kinder ziehen solle. Weiland zu Latin gemacht | durch . . . Franciscum Barbarum. . . , Nun aber verdeutscht durch Erasmum Alberum, Hagnaw 1536“; „Die Epistel S. Bernharts v¯o der haußsorge. Wie eyn yeglicher Haußvatter sein haus, Weib, Kinder, Gesinde, Vihe und Güter . . . recht und wol regieren soll, verdeutschet durch Johan Spangenberg, Marpurg, 1558“, vgl. Roth, Eheschriften, S. 278; „Spiegel Christlicher Eheleut, Deß auch Wittibliches, Jungfrewlichen und Geistliche Stadts, In dem verwunderlichen leben und Wandel des hochdelen Franciscae Pontiani, Ingolstadt 1613. Vgl. Smolinsky, Ehespiegel, S. 318. 107 Zu den antiken und mittelalterlichen Wurzeln vgl. Drossbach, Yconomica, S. 23–26, Richarz, Oikos, S. 15–54 und Schröder-Lembke, Hausväterliteratur, S. 110–114. 108 Roscher definierte diesen Begriff anhand einer Kurzanalyse von Abraham von Thumbshirns „Oeconomia“ als einer erfahrungsbasierten Form der literarischen Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Zusammenhängen. 109 Schröder-Lembke, Hausväterliteratur, S. 109–111, Brandes, Frühneuzeitliche Ökonomieliteratur, S. 471f.

80 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert men, die von kleinen Taschenkalendern bis hin zu großen Kompendien reichen, ist es kaum möglich eine klare Abgrenzung zu treffen, zumal sich im 16. Jahrhundert bereits eine längere Übergangsphase andeutet.¹¹⁰ Ab dem 17. Jahrhundert setzte sich das kompendienhafte, mit nahezu enzyklopäischer Vollständigkeit betriebene Abfassen von großen Standardwerken durch. Selbst Colers ursprünglich als Kalender konzipiertes Werk erschien seit der dritten Auflage als systematisiertes Gesamtwerk mit Register.¹¹¹ Diese Entwicklung ist nicht so sehr Ausdruck eines veränderten Verständnisses des Hauses, sondern vielmehr ein Nebeneffekt der Ausdifferenzierung von Diskursen und den sie tragenden Textgattungen. Betrachtet man Johann Colers „Oeconomia oder Haußbuch“ als erstes Exemplar dieser Gattung, fällt auf, dass der sorgsame Umgang mit den sozialen Ressourcen zwar dem mit den materiellen und natürlichen Ressourcen als Grundlage vorangestellt ist, aber nur noch sehr kursorisch abgehandelt wird. Diese Tendenz lässt sich auch in den nachfolgenden Werken im 17. Jahrhundert ausmachen, die von Pastoren geschrieben wurden, bis hin zu Florinus’ „Allgemeinen, Klugen und Rechtsverständigen Hausvater“, der 1702 erschien. Wenngleich also Pastoren als Verfasser dieser Texte auszumachen sind, so handelt es sich doch kaum um theologische Problemstellungen, allenfalls wird – wie erwähnt – einleitend knapp auf die Inhalte der Ehe- und Hausstandsliteratur als Grundlage der moralisch-ethischen Handlungsmaximen verwiesen; ein intendierter Gebrauch des Friedensbegriffs lässt sich hier nicht finden. Das ist gleichwohl nicht als Funktionsverlust zu deuten, vielmehr werden die häuslichen Ordnungs- und Beziehungsaspekte an derer Stelle, nämlich in der Andachts- und Hausliteratur, diskutiert – die Präsenz geistlicher Autorenschaft in land- und hauswirtschaftlicher Literatur ist hier nicht so sehr aus dem unmittelbaren Kontext der Eheseelsorge heraus zu erklären, als vielmehr aus ihrem Interesse an „vernünftiger“ Landnutzung.¹¹² Neben diesem für die häusliche Andacht und Erbauung gedachten Schrifttum finden Ehe und Haus als Ordnungsideale der gesellschaftlichen Basis aber auch schnell Eingang in die (illustrierte) Flugblattliteratur, einem weiterem „neuen“ Medium mit hohem überkonfessionellem Multiplikatoreneffekt. Während das 1645 in Nürnberg erschienene Flugblatt mit dem Titel „Spiegel einer christlichen und friedsamben Haußhaltung“¹¹³ in einer gereimten Auslegung der Haustafeln aus dem Buch Sirach als eine recht unmittelbare Adaption der theologischen Eheliteratur 110 Die Forschung zur „Hausväterliteratur“ ist aus ganz unterschiedlichen Fachkulturen heraus betrieben worden, denen je eigene Maßstäbe zugrunde liegen. Zur Forschungsgeschichte vgl. Schmidt-Voges, Oíkonomía, S. 406–408. 111 Zu Colers Werk vgl. neuerdings Hahn, Hausbuch, insb. S. 82–84. 112 Konersmann, Nutzbarkeit, S. 16–23. 113 Harms I, S. 66. Weitere Blätter in Harms I, S. 62–72.

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gelesen werden kann, thematisiert ein anderes Flugblatt aus dem 16. Jahrhundert die eheliche Friedensproblematik aus einer ironisierenden Perspektive der physischen Gewalt. Die „Kurtze Beschreibung der neunhäutigen Weiber“ von 1541 mahnt: Da du doch selbst nicht bist allzeit | häußlich, freundlich und voller Frewd | Wilt dann mit schlagen alls außrichten | Das ziemt ein Bidermann mit nichten | Gar schwere Ehen werden drauß | Wann man mit Krieg will halten Hauß | Sondern sey fried- und freundlich mehr | Als Paulus uns gibt diese Lehr.¹¹⁴

Der Text verweist auf Hans Sachs als Verfasser und damit zugleich auf den umfangreichen Corpus weltlicher Literatur, die sich seit dem 14. Jahrhundert mit den neuen Eheidealen verstärkt auseinandersetzte.¹¹⁵ Wie sehr sich die Friedenssemantik als Beschreibungsmodell einer geordneten Ehe durchgesetzt hatte, zeigt sich beispielsweise auch in Briefen und anderen Selbstzeugnissen, in denen Akteure über ihre Erwartungen, Erfahrungen, Hoffnungen und Wünsche Auskunft geben. So schrieb Heinrich Bullinger über seine 1536 verstorbene Frau Anna Fries: In Armut und Arbeit war sie aufgewachsen und deshalb barmherzig gegen die Armen, bescheiden, zugänglich, liebenswürdig, friedsam, verschwiegen, freundlich mit den Nachbarn, nicht im mindesten geschwätzig. [. . . ] Niemals hatte sie Misshelligkeiten mit einem Tischgenosen, und jede Art von Beargwöhnung war im voraus ausgeschlossen.¹¹⁶

Sigmund von Birken griff immer wieder auf die Friedenssemantik zurück, um die Erwartungen an seine – von Anfang an wahrhaft konflikthafte – Ehe gegenüber seiner Frau und seinen Vertrauten zu formulieren. So schrieb er kurz vor der Eheschließung an seine Vertraute: Ohne Liebe, Fried und Eintracht, ist ein Ehestand ein rechter Wehestand und ein irdisches Höllen Leben. Ist es etwas, ist es dieses, das mich bisher, wiewohl sich vielmahl gute Gelegenheit darzu angebotten, in diesen Stand zutretten abgehalten: und wolt ich meines theils lieber todt seyn, als, ohne gewiße Hoffnung der Ruhe und Friedens, mich darein begeben.¹¹⁷

114 Harms IV, S. 44; zur Ehe im Illustrierten Flugblatt vgl. auch Classen, Liebesdiskurs, S. 324–326 und Bake, Geschlechterrollen, S. 36–41 und neuerdings ausführlich Bake, Spiegel. 115 Zur Entwicklung der weltlichen Ehediskurse vgl. Braun, Ehe, vor allem S. 121–185; zur engen Wechselbeziehung theologischer Ehetraktate und weltlicher Literatur vgl. Classen, Liebesdiskurs, vor allem S. 73–89 und S. 262–319. Auch cupido als lustvolle Begierde wird als Friedensstörer rezipiert und in der Flugblattliteratur ebenfalls aufgegriffen. Vgl. z. B. „Bericht, wie es gehe, gar nach dem A, B, C, welche sich zur Ehe, unbesonnen geben, da ihr gantzes Leben, hat zu widerstreben“ (1616), Harms I, S. 60. 116 Zit. nach Greyerz, Passagen, S. 190. 117 Sigmund von Birken an Dorothea Rosina Volkmann, 3. September 1657, in: Birken, Briefwechsel, S. 24.

82 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Vor allem in der Gelegenheitsdichtung – und ganz besonders in den Epithalamien, den Hochzeitsgedichten – popularisierten und dynamisierten sich diese Vorstellungen für das lesende Publikum im Kleinschrifttum, das weltliche und geistliche Aspekte miteinander verknüpfte und zu treffenden Sinnsystemen zusammensetzte.¹¹⁸ Die vielfältigen Textgattungen, die hier im Hinblick auf die Ausgestaltung und Tradierung der auf den häuslichen Kontext bezogenen Inhalte eines theologischen Friedensbegriffs vorgestellt wurden, zeigten eine starke wechselseitige Abhängigkeit und Intertextualität, die charakteristisch für die literarische Kommunikation dieser Jahrhunderte ist.¹¹⁹ In welcher Weise sie als Wissen formierend und Wissen normierend in den verschiedenen Rezipientenkreisen angenommen werden können, ist aufgrund der großen Heterogenität der Texte und der fehlenden Rezeptionsforschung nur schwer zu bestimmen.¹²⁰ Abgesehen von Texten, die der Unterrichtung und als Leitfaden für Theologen und Juristen als Funktionseliten dienen sollten, ist gerade für die Wirkung, den Gebrauch und die Funktion der Andachts- und Erbauungsliteratur für breitere Bevölkerungsschichten wenig bekannt – neben dem stillen Lesen kamen vielfach auch Formen der mündlichen Tradierung durch Vorlesen und Auswendig-Lernen dazu. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass auch Theaterstücke in ihrer didaktischen Ausrichtung einen erheblichen Effekt auf die Popularisierung und Problematisierung der Ideale und Fährnisse häuslichen Lebens hatten, die einer eigenen Erforschung bedürften. Noch schwieriger gestaltet sich die Frage im Hinblick auf die Wissensformierung durch das Hören von Predigten in den Gottesdiensten und den Unterricht in Sonntagsschulen. Predigten waren ein Kernbestandteil der religiösen Kommunikation und fungierten als „rituell vollzogene Wissensvermittlung“¹²¹. Stellt man allerdings die ebenso zahlreichen Klagen über undisziplinierte Gottesdienstbesucher ins Verhältnis zu den zahlreichen Anleitungen, wie Hausväter nach dem Kirchgang das Gehörte bei ihren Schutzbefohlenen am besten überprüfen könnten,

118 Immer tauchen dabei Friedensvorstellungen in ihrer ganzen Vielfalt auf, vgl. Fuchs, HimmelFelß, passim und Freise, Etikett, S. 259–284. Das galt nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern lässt sich in verschiedenen europäischen Kulturen finden. Exemplarisch sei hingewiesen auf: „Un traité de la jalousie, ou Moyens d’entretenir la paix dans le mariage„ erschien 1674 in Paris, George Wilkins lässt in seinem Stück „The miseries of an inforst mariage“ von 1611 eine Ehefrau empört auf die Bitte ihres Mannes („I prethee, let us be at peace to geather“) anworten: „At peace – for what? For spending my inheritance?“. 119 Zur Bedeutung des Textes, der schriftlichen Auslegung und kommunikativen Funktion im Rahmen von Wissensformierung im religiösen Bereich vgl. neuerdings Holzem, Buch, S. 227–233. Grundlegendere Arbeiten s. Smolinsky, Wirkung, passim und Vogler, Gebetsbücher, S. 425–431. 120 Smolinsky, Frömmigkeit, S. 27–29. 121 Lang, Predigt, S. 315.

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kann man keineswegs von einer linearen oder unmittelbaren Wissensvermittlung und -prägung sprechen.¹²² Zieht man aber in Betracht, dass das habituell erworbene Wissen um die implizite Normativität häuslichen Lebens so grundlegend an den in theologischen Diskursen geformten Wissensbeständen orientiert war und auch in literarischen und anderen Zusammenhängen immer wieder die gleichen Grundmuster auftraten, kann man doch davon ausgehen, dass die meisten Menschen eine Grundvorstellung dieses christlichen Grundwertes, des Friedens hatten und auch eine grobe Vorstellung von dessen Bedeutung für häusliches Leben besaßen. Anders würden auch die diskursiven Praktiken nicht funktionieren, in denen der Begriff Frieden ja nur sporadisch, meist ohne weitere Erklärungen fällt – so dass auch die Verfasser von einem impliziten „Friedenswissen“ ausgegangen zu sein schienen. Was jede und jeder Einzelne allerdings ganz konkret als „angemessenes“ Handeln wahrnahm und kommunizierte, das hing ganz entscheidend davon ab, was im Rahmen der Sozialisation als „richtig“, „normal“, „angemessen“ und „friedlich“ in der sozialen Umwelt erfahren, erlebt und gelernt wurde – und somit die implizite Normativität von „Friedlichkeit“ mitprägte.¹²³

2.1.3 Fazit: Hausfrieden als gelebte Ordnung Die Verknüpfung der Friedenssemantik mit Aspekten des häuslichen Lebens erfolgte seit dem Mittelalter im engen Zusammenhang mit Bestrebungen, stärker normierend auf das soziale Handeln einzuwirken. Im Kontext der rasanten Entwicklung städtischer Lebensformen und einer zunehmenden sozialen Differenzierung bot sich die christliche Friedenssemantik als ein handlungsnormierendes Dispositiv an. Sie knüpfte zum einen an eine tief im christlichen Welt- und Selbstverständnis verwurzelte implizite Normativität individuellen Handelns an, und zum anderen ließ sie sich in die explizite Normativität kollektiver Ordnungsmodelle einpassen – zumal in den korporativ verfassten Städten und Gemeinden Frieden den Kern der Ordnungsleitbilder darstellte. Im Haus als Fundament jeder korporativen Gemeindeorganisation verband sich damit die individuelle Handlungsorientierung der Friedlichkeit mit dem Anspruch kollektiven, durch die Gemeinde gesicherten Friedens. Obwohl seit Augustinus die Definition von Frieden in weltlichen Herrschaftsverhältnissen als „Ruhe der Ordnung“ und gegenseitiger – vor allem für die Herrschenden geltenden – Fürsorge fest im Kanon der politischen Kommunikation

122 Schindler, Predigt, S. 374; Veit, Hausandacht, S. 195. 123 Vgl. zur Kommunikationssituation der Predigt neuerdings Eijnatten, Getting the message, passim; Holz, Sermons, S. 268–270, 278–280; Roodenburg, Delivery, S. 324–328.

84 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert und Legitimation verankert war,¹²⁴ scheint eine intensivere Thematisierung gerade in solchen Kontexten stattzufinden, in denen die gesetzten Hierarchien eine gewisse „Uneindeutigkeit“ aufwiesen: was sich für korporative Herrschaftsstrukturen auf der Ebene der politia beobachten lässt,¹²⁵ gilt auf der Ebene der oeconomia für das Verhältnis der Geschlechter, institutionalisiert in der Lebensform der Ehe. Die Friedlichkeit des Hauses wurde bereits in den mittelalterlichen Schriften ganz wesentlich dem Ehepaar überantwortet. Der Fokus war dabei nicht so sehr auf dessen Herrschaftsfunktionen innerhalb des Hauses gegenüber Kindern und Dienstboten gerichtet, sondern lag in einer „friedlichen“ Gestaltung der persönlichen Beziehung zueinander. Der Ehefrieden als ein harmonisches, stabiles und stabilisierendes Funktionieren der ehelichen Ordnung galt als Kern- und Grundvoraussetzung des friedlichen Hause(n)s. Dies setzte ein Gleichgewicht zwischen der individuellen Ehre der jeweiligen Ehepartner einerseits und ihrer Standesehre andererseits voraus. Die intensive emotionale, körperliche und räumliche Nähe, die ökonomische Abhängigkeit voneinander wie auch die grundsätzliche Konflikthaftigkeit des Geschlechterverhältnisses erforderten ein hohes Maß an Affektkontrolle und konstruktiver Konfliktfähigkeit, sollten die Herausforderungen des täglichen Lebens drohen, die persönliche Beziehung durch Verletzungen, Misstrauen und Unzufriedenheit langfristig zu destabilisieren und zu zerrütten. Dies galt umso dringender, als die ökonomische Notwendigkeit einer gemeinsamen Haushaltsführung Ehepaare dazu zwang, trotz fehlendem oder verloren gegangenem „Gleichklangs der Herzen“ die Herausforderungen des Alltags gemeinsam zu bewältigen. Die Konsequenzen einer unfriedlichen Ehe und eines unfriedlichen Hausens stellten (neben einer möglichen Gefährdung von Leib und Leben durch körperliche Gewalt) für das Gemeinwesen in ökonomischer Hinsicht (Armenversorgung) wie sozialer Hinsicht (Sozialisation der kommenden Generation) ein großes Risiko dar. Ein friedliches Eheleben lag daher nicht nur im Interesse des Seelenheils eines jeden Einzelnen, sondern ganz beträchtlich auch im Interesse der Obrigkeiten, die die Sorge um eine stabile Ordnung einer Knappheitsgesellschaft umtrieb und entsprechende Normierungsbestrebungen umsetzen ließ. Die bereits mehrfach betonte Bedeutung des Performativen und des Handlungsbezo-

124 Vgl. Simon, Gute Policey, S. 22–28. Simon behandelt Frieden als Ordnungsziel lediglich aus einer politik- und ideengeschichtlichen Perspektive heraus, welche die ethisch motivierten Handlungsimplikationen ausblendet. Dementsprechend taucht „Friede“ lediglich als eine Zustandskategorie auf, wenngleich Simon zu Recht auf einen weitumfassenderen Zustand einer perfekten Harmonie gegenüber einer heute auf „Gewaltfreiheit“ eingeschränkten Vorstellung hinweist. 125 Vgl. Viroli, Politics, S. 33–48; Wittek, „fride“, S. 67–73; Wittek, Friedensvorstellungen, S. 63–65; zur politischen Praxis und Ethik in den Städten vgl. exemplarisch Schilling, Stadt, S. 17–20.

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genen in der Normativität des Hauses in der Vormoderne zeigt sich entsprechend auch in der Friedenssemantik – nicht ein spezifischer Zustand wird diskutiert und beschrieben, sondern die Verhaltensweisen zur Erhaltung und Errichtung des angestrebten Zustandes stehen im Mittelpunkt. Der Fokus auf Handlungskonzepte wie Liebe (caritas), Einigkeit, Freundschaft, Geduld, Nachsicht und Sanftmut zeigt Wege zum Frieden auf; in der Friedfertigkeit liegt der Schlüssel. Gemeinsam ist allen, dass dieser Frieden nicht durch „unfriedliche“ Mittel wie Zank, Hader, Streit und Schelten oder gar körperliche Gewaltanwendung wie Schlagen und Stechen erreicht werden könne. Die Anwendung körperlicher Gewalt wurde als ein hochgradig ambivalentes Mittel der Herrschaftsausübung angesehen, gerade weil es einerseits als massiv friedengefährdend angesehen wurde, es andererseits aber auch als mögliches Mittel zur Sanktionierung von unfriedlichem Verhalten durch Hausgenossen angesehen wurde. Dementsprechend wird die Herausforderung in der Affektkontrolle und Friedfertigkeit für den Hausvater und Ehemann diskutiert: die größte Gefährdung des häuslichen Friedens wird im Missbrauch der Machtposition durch den Ehemann gesehen. Aber auch der Hausmutter und Ehefrau werden gewisse anthropologische Charaktereigenschaften als friedensstörendes Potenzial zugeschrieben, insbesondere der Ungehorsam und die in der grundsätzlichen Schwachheit des weiblichen Geschlechts angelegte Uneinsichtigkeit, woraus mangelnde Unterordnung und viele Widerworte hervorgerufen würden. Die Verankerung der Hausliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts in der spätmittelalterlichen Ehekatechese bewirkte, dass vor allem das Geschlechterverhältnis als potenziell konfliktträchtiges, den Hausfrieden störendes Positionsgefüge wahrgenommen wurde. Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Generationswechseln oder problematischen Geschwisterstrukturen wurden nicht erwähnt. Dies könnte vor allem daran liegen, dass diese Probleme in der sozialen Praxis auftauchten, aber in der Ordnungstheorie des Hauses ganz eindeutig reglementiert waren – im Gegensatz zur Ehe, deren Ambivalenz zwischen Hierarchie und Ebenbürtigkeit auch in der Theorie nie ganz aufgelöst wurde. Während im späten Mittelalter die Vermittlung theologischer Konzepte von Handlungsorientierung ganz wesentlich durch die katechetische Literatur stattfand, ergänzten dies seit dem frühen 16. Jahrhundert die weltlichen Institutionen der Ehegerichtsbarkeit – zunächst in den Städten, später auch in den territorialen Einrichtungen. Wenngleich die moralische Steuerung der Untertanen „ad virtutes“ seit Thomas von Aquin zum Aufgabenkatalog der weltlichen Obrigkeit gehörte,¹²⁶ generierte die Reformation eine deutlich gestiegene Notwendigkeit zur Konstituierung einer moralischen Gesellschaftsordnung, die die Rolle des Hauses und der

126 Simon, Gute Policey, S. 39f.

86 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert oeconomia in den Mittelpunkt rückte und auf mehrfache Weise die individuelle Lebensführung mit der kollektiven Ordnung verknüpfte. Nicht nur die aristotelisch inspirierte Terminologie der lutherischen „Drei-Stände-Lehre“, sondern auch die Herleitung aller Herrschaftslegitimation aus dem vierten Gebot intensivierte die seit dem Mittelalter vorherrschende Bedeutung des Konzepts Haus für die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster weltlicher Herrschaft. Diese Zentralität des Hauses für die theoretische wie praktische Begründung der „moralischen Ordnung“ des 16. Jahrhunderts spiegelt sich zum einen medial in der Flut von Ehe- und Hausbüchern, die die ethische Dimensionierung der Verantwortung von Herrschaftsbefugnissen formulieren und jeweils vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen Implikationen begründet werden. Dabei bildet die Zweifachperspektivierung auf den konkreten Bezugsrahmen von Ehe und Haus wie auch von der territorialen Herrschaft des „Landesvaters“ ein durchlaufendes Narrativ. Zudem drückt sich die Zentralität des Narrativs Haus in der Fokussierung des Dispositivs Frieden auf die Gesamtheit der gesellschaftlichen Ordnung hin aus, die es durch das Verhalten und Handeln jedes Einzelnen zu errichten und zu erhalten galt. Die existenzielle Bedeutung der Einflussnahme auf das individuelle Handeln im Hinblick auf die „Reformation“ der weltlichen Ordnung – also die Herstellung eines „richtigen“, an den Lehrsätzen der Heiligen Schrift orientierten Zustandes der Gesellschaft – war durch die noch wirksame augustinische Tradition eng mit der Vorstellung der tranquilitas rei publicae bzw. der tranquilitas ordinis verknüpft und damit unmittelbar an eine Vorstellung von Frieden gebunden. Wie sehr die allgemeinen Rahmenbedingungen hier ausschlaggebend waren, zeigen die grundsätzlichen Übereinstimmungen in der protestantischen wie katholischen Hausliteratur, deren Unterschiede meist in theologischen Details, nicht aber in den Konsequenzen für die soziale Praxis lagen. Diese Konstellation wurde vor allem in denjenigen Texten deutlich, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Ausgangspunkt aller gesellschaftlichen Ordnung in geordneten Ehen und Häusern verorten und den weltlichen Frieden als unmittelbare Verantwortung der „gelebten Ordnung“ im Hause thematisieren. Individuelle Frömmigkeit und Handlungsorientierung erschienen in diesen Schriften der Reformatoren und ihrer Multiplikatoren im Wesentlichen als Gegenstand obrigkeitlicher (weltlicher wie geistlicher) Steuerung zum Aufbau einer gottgefälligen Gesellschaft, nicht so sehr als seelsorgerischer Aspekt einer auf das Individuum bezogenen Frömmigkeit und Alltagspraxis zur Sicherung des Seelenheils. Auch die erziehungstheoretische Literatur, die sich zum Ende des 16. Jahrhundert hin als eigenständige Form zu etablieren begann, rekurrierte gleichwohl auf den engen Zusammenhang von häuslicher Umwelt, Erziehung und individuellem Verhalten in generationeller Perspektive: „Ihr solltet wissen, dass die Ethik der Ökonomie

2.1 Theologische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert |

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den Weg eröffnet, und dass die Sitten notwendig sind, um eine Familie gut zu regieren.“¹²⁷ Dieser Schwerpunkt, der gleichwohl immer als notwenige Handlungsvoraussetzung auch in den normativen Schriften mitschwang, entfaltete sich erst richtig in der Erbauungsliteratur um 1600, die Introspektion und Glaubenssicherheit in den Vordergrund stellte. Dass sich dieser Fokus zunehmend in der neu erscheinenden Literatur durchsetzte – während die Standesliteratur in immer neuen Auflagen weiterhin auf dem Buchmarkt präsent blieb –, war zu einem gewissen Teil auch in dem sich wandelnden Verhältnis von Haus und Gesellschaft in der Zeit um 1600 begründet. Der zunehmende Einfluss des politiktheoretischen Konzepts der Staatsräson¹²⁸ auf die Politik-, Herrschafts- und Staatstheorie im Alten Reich führte hier seit etwa 1600 – im Unterschied etwa zu Italien oder Frankreich – zur Ausformung eines christlichen Naturrechts, das zwar immer noch die häuslichen Beschreibungsmetaphern aufgriff, wesentlich aber den Fokus von der „moralischen“ auf die „ökonomische“ Ordnung verschob: denn ohne wachsende Staatseinnahmen konnten die spezifischen Aufgaben des Staates nicht wahrgenommen werden. Die Ansichten, die sich in der politischen Theorie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts etablierten (s. u. Seckendorff, Reinkingk etc.), spiegelten sich zuvor auf dem Büchermarkt in der Entstehung der so genannten „Hausväterliteratur“. Der Druck von Büchern mit Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen, auf Güterproduktion und -verarbeitung ausgerichteten Aspekten schien dabei auf ein gesteigertes Bedürfnis nach erfahrungsorientiertem, anwendungsbezogenem, fachpraktischem Wissen und Information zu beruhen, dem die überkommene Scholastik der oeconomia nicht mehr gerecht werden konnte.¹²⁹ Diese Texte griffen zwar wie gesehen die wichtigen ethischen Aspekte der Ehe- und Hausstandsliteratur auf, bauten diese aber zunehmend mit praktischem Alltagswissen im Hinblick auf Buchhaltung, Marktnutzung, Viehhaltung, Hausmedizin und Gartenbau aus. Die Funktion der moralischen Unterweisung übernahmen hingegen zunehmend die Werke des exponentiell wachsenden Marktes der Gebets- und Erbauungsliteratur, die ihrerseits wiederum auf die wachsende Innerlichkeit und Individualisierung in der Glaubens- und Frömmigkeitspraxis reagierten. Die Umsetzung der Friedenssemantik in den alltäglichen Lebenszusammenhängen thematisierten diese Büchlein vor dem Hintergrund häuslicher Herausforderungen in Ehe, Kindererziehung und Haushaltsführung – und griffen das ganze psychologische Spek127 Guazzo, Conversatione, Bd. I, S. 178. 128 Zur Etablierung der „Staatsräson“ als ultima ratio der Politik in der Frühen Neuzeit vgl. neben anderen Viroli, Politics. 129 Brückner, Staatswissenschaft, S. 51–56.

88 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert trum der Ehe- und Hausstandsliteratur in einem leicht einprägsamen, reduzierten Darstellungsmodus auf. Sieht man von den gattungsspezifischen Verschiebungen und deren weiterer Adressatenorientierung ab, besteht aber auch hier der Fokus der Friedensverantwortung klar auf der Ehe als Kerninstitution des Hauses und den handelnden Ehepartnern. Für das ausgehende 16. und beginnende 17. Jahrhundert lässt sich also festhalten, dass die Normativität des häuslichen Friedens im Kern als Problem individueller Handlungsorientierung thematisiert wurde, wobei deren enger Zusammenhang mit übergreifenden gesellschaftlichen Prozessen zunächst vor allem Thema der von Theologen als treibenden Kräften gesellschaftlicher Erneuerung verfassten Ehe- und Hausstandsliteratur war. Diese Verknüpfung löste sich zunehmend im Zusammenhang mit sich verschiebenden Schwerpunkten sowohl in den theoretischen Konzeptualisierungen von Herrschaft, Gesellschaft und Ökonomie. Die Fokussierung „staatlicher“ Zuständigkeit auf die Sicherstellung und Beförderung von häuslicher Ökonomie – im nun eingegrenzten Sinne der Güterproduktion – im Kontext der „Politischen Ökonomie“ des 17. Jahrhunderts spiegelte sich auch in der zunehmenden gattungsspezifischen Trennung hausbezogener Themen. Die Problematisierung von Frieden als Zustand und „Friedlichkeit“ als Ethik blieben weiterhin Teil der kirchlichen, seelsorgerischen Zuständigkeit und wurden dementsprechend wesentlich in den neuen religiösen Literaturgattungen des 17. Jahrhunderts weiterentwickelt. Die solchermaßen festzustellende Differenzierung beschreibt einen allmählichen Prozess, der sich gleichwohl in einem bis ins 18. Jahrhundert hinein andauernden Nebeneinander sehr vieler Textgattungen und Literaturen vollzieht, so dass – blickt man aus der Perspektive alltagsbezogener Rezeptionsmöglichkeiten – von einem im Kern auf rollenkonformes Handeln im Haus bezogenen Friedensverständnis und Basiswissen ausgegangen werden kann. Die starke Reflexion der Friedenssemantik im häuslichen Kontext auf die Gestaltung der persönlichen Beziehung des Ehepaares ist dabei nicht nur aus der Tradition der mittelalterlichen Ehekatechese abzuleiten, sondern hängt auch damit zusammen, dass die Ordnungshierarchie in der Ehe die in der Praxis von allen Beziehungsformationen die brüchigste und uneindeutigste innerhalb eines Hauses war. Auffällig im Hinblick auf die Normierung und Funktionalisierung der Friedenssemantik ist zudem, dass in den Texten die Grenzen der Wirkmächtigkeit einer obrigkeitlichen, autoritativ gestalteten expliziten Normativität durchaus reflektiert und die Bedeutung je spezifischer, umweltabhängiger impliziter Normen anerkannt und als besondere Herausforderung diskutiert wurde. Einerseits stellte also die Normenbildung und -durchsetzung im Hinblick auf den häuslichen Frieden als Handlungsorientierung einen wesentlichen Teil des seelsorgerischen und sozialdisziplinarischen Aspekts frühneuzeitlicher Pastoralaufgaben dar. An-

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert |

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dererseits war aber auch aus Perspektive einer an „staatlicher“ Systematisierung orientierten Politik ein zunehmendes Interesse an der Etablierung eines sicheren Rahmens häuslicher Ökonomie vorhanden, der im Wesentlichen durch die Angleichung einer Vielfalt regionaler und lokaler Rechtsnormen gebildet wurde und der Institution Haus ihren Rahmen gaben. Inwieweit dies mit den ethischen Friedensvorstellungen korrespondierte, wird ein näherer Blick auf die juristischen Aspekte des Hausfriedens in der Frühen Neuzeit zeigen.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert Neben den theologischen waren es in der Frühen Neuzeit vor allem die juristischen Diskurse, die durch die Entwicklung von Rechtsordnungen prägend auf die Wahrnehmung sozialer Prozesse wirkten. Die Entwicklung des Rechtssystems stand dabei immer in enger Auseinandersetzung mit sozialem Wandel und normativer Dynamik. Die Auslegung und Kommentierung bestehenden Rechts wie auch die Formulierung neuer Verordnungen und Rechtstexte erfolgte immer vor dem Hintergrund einer sehr sorgfältigen Einbindung in übergeordnete Werte- und Normsysteme. In diesem Kontext war das Haus als gesellschaftliche Kerninstitution immer als ein rechtlich besonders geschützter Raum hervorgetreten, dessen Schutz sowohl im Hinblick auf die Personen wie auch auf die Sachgüter von jeher zu den elementaren Aufgaben von Herrschaft zählte. Mit der zunehmenden Komplexität sozialer Strukturen wurden auch rechtliche Regelungen zum Schutz des Hauses und seiner Bewohner erlassen. Dies lässt sich im römischen Recht noch deutlicher ablesen als im griechischen Polis-Verständnis.¹³⁰ Und die römisch-rechtliche Zuordnung der vis privata und vis publica war für das ius commune der entscheidende Hebelpunkt, wenn es um die juristische Fassung der Institution des Hauses ging. Die Art und die Form solcher Regelungen, die Definition von Tatbeständen und Rechtsfolgen von Angriffen auf diesen sozialen nucleolus spiegeln immer auch die kulturellen Kontexte, so dass Rechtsquellen hier Aufschluss über die Auffassungen von sozialer und politischer Ordnung und der Stellung des Hauses in ihr geben können. Für die frühneuzeitliche Gesellschaft des Alten Reiches bedeutete das, dass spezifische rechtliche Regelungen sich entsprechend der Rahmenbedingungen im Spannungsfeld zwischen der Rezeption römisch-rechtlicher Regelungen und partikular-rechtlicher Bestimmungen bewegten. Im ausgehenden 17. Jahrhundert entstand eine dezidierte Debatte um die Einordnung und Konzeption des Haus130 Vgl. Nagle, Household, S. 32–45; Milnor, Gender, S. 140–154.

90 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert friedens aus juristischer Sicht, die in engem Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Hobbes’ politischer Theorie und der daraus resultierenden Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Garantie von Sicherheit durch obrigkeitliche Instanzen stand.¹³¹ Die Beteiligung der Juristen als gelehrten Experten an dieser übergeordneten politischen Debatte fiel zusammen mit einer disziplininternen Auseinandersetzung, die sich im Rahmen des usus modernus entfaltet hatte. Mit der Abkehr von der scholastischen Auslegung und Hinwendung zu einer naturrechtlichen Fundierung der Behandlung des römischen Rechts wurde zunehmend die bis dahin gültige Vorrangstellung des römischen Rechts vor partikular-rechtliche Traditionen in Frage gestellt. Das Bewusstsein für die kulturelle Prägung und Anpassung an je spezifische soziale und politische Kontexte, das mit der Schrift des Helmstedter Gelehrten Hermann Conring „De origine Iuris Germanici“ von 1643 verstärkt die Debatten bestimmte,¹³² führte gerade dort zu besonders intensiven Diskussionen, wo soziale und politische Institutionen berührt wurden, deren juristische Beschreibung und Ordnung besondere Rücksicht auf die herrschenden normativen Rahmenbedingungen nehmen musste. Das hatte sich bereits bei der Erarbeitung und Diskussion des iuris publici imperii romano-germanici gezeigt,¹³³ und galt in besonderem Maße für das Haus, was im Folgenden anhand ausgewählter Texte im Hinblick auf die Ausprägung einer juristischen Friedenssemantik untersucht werden soll. Die Koinzidenz beider Entwicklungen ist für das Verständnis der juristischen Literatur zum Hausfrieden und vor allem für die semantische Einordnung von zentraler Bedeutung. Die neue Methodik und Zielvorgabe der Sicherheitsgarantie durch Hobbes auf der einen Seite, die Begründung und Verankerung in spezifischen Rechtstraditionen des Reiches auf der anderen Seite sowie die angestrebte Kohärenz mit römisch-rechtlichen Traditionen zwangen die Rechtsgelehrten dazu, sich mit den Begriffen securitas, certitudo und pax auseinanderzusetzen und sie aus den bestehenden Kontexten heraus sinnvoll und weiterführend zueinander ins Verhältnis zu setzen. Das bevorzugte Medium für diese Debatten waren Dissertationen, in denen aktuelle Themen der rechtsgelehrten Diskussion aufgegriffen wurden, die aber über den Kontext akademischer Prüfungen hinaus auch als Handreichungen für die Rechtspflege und Spruchpraxis dienten.¹³⁴ Während sich die Debatte um den

131 Härter, Sicherheit, S. 419. 132 Zu dieser Bedeutung und dem Wirkungskreis dieser Schrift vgl. Stolleis, Conring, passim; Kroeschell, Rechtsgeschichte, S. 2–4, Lipp, Privatrecht, S. 52. 133 Vgl. hierzu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 146–154. 134 Kroeschell, Rechtsgeschichte, S. 13–15; Ranieri, Dissertationen, S. 1–3; Ranieri, Literatur, S. 308–317.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert | 91

Zusammenhang von Frieden und Sicherheit auf der Reichsebene bereits im Umfeld des Westfälischen Friedens zu etablieren begann – deren bekanntestes Werk stellt sicherlich Johann von Datts „De Pace Publica“ von 1698 dar –,¹³⁵ setzte diese Entwicklung im Hinblick auf das Haus als Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Recht erst 1674 ein. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Dissertationen aus demselben Umfeld der neu aufkommenden, historisch orientierten Rechtsschulen in Wittenberg und Jena, später auch Halle, stammten, in dem auch die reichsbezogenen „De Pace“-Dissertationen zum überwiegenden Teil entstanden.¹³⁶ Bei den Schriften, die sich mit dem Hausfrieden auseinandersetzen, verlagerte sich der Schwerpunkt der Sicherheitsdiskussion von der öffentlichen Sicherheit auf die Sicherheit des Eigentums und fügte sich damit in die für die frühneuzeitliche Politiktheorie so wichtige Eigentumsdebatte ein.¹³⁷ Da auch die Dissertationen zum Hausfrieden zum Großteil ihre Argumente aus einem Vergleich der Rechtsgeltung römisch-rechtlicher und partikular-rechtlicher Regelungen zogen, ist ein Blick in die Rechtsgrundlagen der frühneuzeitlichen Ju135 Von Datt geht in seinem Werk, das nicht so sehr der aktuellen Debatte, sondern der Materialsystematisierung dient, nicht auf den neuen Sicherheitsdiskurs ein, dem sein Werk gleichwohl geschuldet ist. Datt, Volumen, Praefatio; zu Datt vgl. auch Ranieri, Repertorium, Bd. 4, Nr. 118. 136 Zu nennen seien hier als Vorläufer – Sylvius, Georg: De pace publica profana, Straßburg 1625; – Schaffshausen, Nicolaus: De pace in genere, Wittenberg 1629 und – Seld, Johann Christoph: Dissertatio politica de bello & pace, Jena 1637. Es folgen Dissertationen zum Frieden von – Söffing, Justus: Disputatio politica de bello et pace. Wittenberg 1648. – Neufeld, Konrad: Dissertatio politica de bello et pace. Wittenberg 1648. – Alexandri, Caspar: De bello et pace. Wittenberg 1649. – Krauß, Julius: De bello et pace. Jena 1649. – Tieroff, Michael Christian: Discursus politicus undecimus de iure maiest. circa dispensationem, vectigalia, tributa, monetam, legationes, bellum et pacem, Jena 1656. – Conring, Hermann: De bello et pace, Helmstedt 1663. – Brüggemann, Friedrich: Tractatus iuris publici de statu et scopo rei publicae germanicae. De tranquillitate illius et securitate domi forisque tuenda, Jena 1667. – Rhetius, Johann Friedrich: De pace, Frankfurt Oder 1686. – Pregitzer, Johann Ulrich: Ius maiestatis circa bellum et pacem, Tübingen 1687. – Grave, Dietrich Friedrich: De pace, eiusque iure, Marburg 1689. – Friderich, Johann: De pace publica, Giessen 1692. – Kestner, Heinrich Ernst: De pace, Rinteln 1698. Alle diese Dissertationen setzen sich unter dem Titel „De pace“ sehr ausführlich und intensiv mit dem Begriff der „securitas“ auseinander, dem in einem übergeordneten Sinne nur wenige Dissertationen gewidmet sind, so etwa Schröter, Ernst Friedrich: De iure securitatis tum inter cives tum inter gentes. Jena 1667. 137 Lottes, Freiheit, S. 67–73; Nitschke, Eigentumsfrage, S. 35–41; Schwab, Eigentum, S. 74–83;

92 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert risprudenz notwendig; dies gilt umso mehr im Hinblick auf die hier im Mittelpunkt stehenden Semantiken. Denn während sich die Friedensbegrifflichkeit im Hinblick auf den Landfrieden sehr eindeutig mit der Entstehung dieser Rechtsordnung aus der Gottesfriedensbewegung heraus in Verbindung bringen lässt, ist dies für den Hausfrieden nicht so eindeutig. Da er als Prinzip bereits in vorklassischen Gesellschaften verankert, aber nicht mit einer Friedensbegrifflichkeit verknüpft war, entfaltete sich eine recht heterogene Semantik um die betreffenden Tatbestände herum, die erst im 19. Jahrhundert durch eine einheitliche Benennung als „Hausfrieden“ bzw. „Hausfriedensbruch“ abgelöst wurde. Bevor die angesprochenen Dissertationen im Zentrum der Analyse stehen, werden deshalb zunächst einmal die römisch-rechtlichen und mittelalterlichen Grundlagen vorgestellt und sowohl auf ihre sozialkulturelle Einordnung wie auch ihre Semantiken hin befragt, um anschließend die in der Frühen Neuzeit gebräuchlichen Rechtsbestimmungen im Straf-, Zivil- und Kirchenrecht kurz zu rekapitulieren. Zu erinnern sei hierbei nochmals an die fehlende rechtshistorische Grundlagenforschung in diesem Bereich, so dass sich die Darstellung auf einige wenige Werke stützen muss.

2.2.1 Grundlagen im römischen und mittelalterlichen Recht Die Bedeutung der römischen Rechte für die Entwicklung des Rechtslebens in der Frühen Neuzeit ist bereits mehrfach betont worden. Neben der prägenden Kraft im Rahmen der Rezeption und der Entwicklung des ius commune wird im Folgenden der Blick auch auf die begrifflichen Traditionen zu richten sein, da die Vorstellung gewaltlosen und sicheren Zusammenlebens als einer spezifischen irdischen pax ein christliches Konzept darstellt, das vor allem durch die Wirkung der augustinischen Schriften Einfluss zu nehmen begann. Insbesondere aber stehen die zahlreichen Rechtstexte im Mittelpunkt, die den Übergang ins Mittelalter markieren und sowohl starke christlich-theologische wie auch indigen-kulturelle Einflüsse aufweisen.

Die römischen Rechte Das unter Justinian kodifizierte und verschriftliche römische Recht stellte die wichtigste Quelle zum antiken Recht dar. Seit der Wiederentdeckung der römischen Texte ab dem 11. Jahrhundert in Bologna wurden sie zur Basis und zum Bezugsrahmen der wissenschaftlichen juristischen Ausbildung.¹³⁸ Mit dem Einfluss hu-

138 Repgen, Ius Commune, S. 160.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert | 93

manistischer Quellenkritik rückten aber auch die älteren Gesetzestexte stärker ins Bewusstsein, so dass „ursprünglicheren“ Rechtstexten mehr und mehr Gewicht beigemessen wurde.¹³⁹ Eine explizite Aufnahme des Hauses als eines obrigkeitlich geschützten Raumes findet sich im römischen Recht zuerst in der „Lex Cornelia de iniuriis“, die Sulla nach den Bürgerkriegswirren 88–82 v. Chr. zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung erlassen hatte. Wer sich gewaltsam Zutritt zu einem Haus verschaffte,¹⁴⁰ musste mit einer Anklage nach den Injuriengesetzen rechnen.¹⁴¹ Diese ging auf die Injurienklagen des prätorischen Edikts und der 12-Tafel-Gesetze zurück und reicht damit in die Zeit der frühen Republik. Demzufolge wurden Hausfriedensbrüche meistens mit Geldbußen bestraft, deren Höhe anhand von Billigkeitsvorstellungen festgelegt wurde.¹⁴² Bezeichnend ist der ereignisgeschichtliche Kontext des Bürgerkrieges. Die Kriegserfahrungen gaben offenbar dazu Anlass, einzelne Injurien aus den sehr weit formulierten Tafeln herauszugreifen und als besonders schwerwiegend zu einem eigenen Tatbestand zu erheben. Was in der daraus resultierenden „Lex Cornelia“ deutlich zum Tragen kommt, ist die spezifische Zwischenstellung zwischen Privat- und Strafrecht, die im Weiteren charakteristisch bleiben sollte. Zwar konnte nur nach einer Klage des Geschädigten geurteilt werden, allerdings entsprachen Prozess und Urteil durchaus den Strafverfahren und unterstrichen damit die Bedeutung für die öffentliche Ordnung. In der weiteren Entwicklung bis zu den Kodifikationen Justinians lässt sich festhalten, dass neben dem Schutz der Personen auch die Sachgüter eingeschlossen wurden. Dabei verschob sich der Fokus von der öffentlichen Sicherheit hin zur Sicherheit des individuellen Eigentums. Gleichwohl verschärften sich die Rechtsfolgen, denn nun wurde jedwede Gewaltanwendung – sei sie mit Waffen (vis publica) oder ohne Waffen (vis privata) – im Rahmen eines sofortigen Verfahrens vor dem Stadtpräfekten abgeurteilt. Damit waren nicht mehr nur Geldbußen zu befürchten, sondern auch Vermögenskonfiskation, Zwangsarbeit und sogar Todesstrafen.¹⁴³ Die zunehmende Verschärfung der Rechtslage seit der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts unter Diokletian ist auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Instabilität der gesellschaftlichen Ordnung mit entsprechenden Gewalttätigkeiten zu sehen. Augustinus schrieb darüber in einer Predigt:

139 Ebd., S. 164. 140 Mit Haus, lat. domus, war in erster Linie der Wohnsitz gemeint, nicht die Eigentumsverhältnisse an Gebäuden. Der Schutz bezog sich also auf Mieter wie Eigentümer gleichermaßen. 141 Trabandt, Hausfrieden, S. 15. 142 Trabandt, Hausfrieden, S. 11–13. 143 Vgl. hierzu Trabandt, Hausfrieden, S. 26f.

94 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert

Und sind jene, die das machen, glücklich auf Erden? Wir sehen Raubüberfälle, wir sehen die Unterdrückung der Schwachen, wir sehen die Vertreibung der Nachbarn, wir sehen die gewalttätige Überschreitung der Grenzen, wir sehen Verleumdungen, und dennoch sind die Reichen und Mächtigen glücklich auf dieser Erde.¹⁴⁴

Ganz deutlich tritt damit der Zusammenhang von rechtlicher Normierung und Gesetzgebung im Hinblick auf die obrigkeitliche Gewährung von Schutz und Sicherheit des Hauses (als Wohnort und Eigentum) vor gewalttätigen Übergriffen von außen hervor. Diese war jedoch nicht mit einer Form der Friedensbegrifflichkeit verbunden. Über innerhäusliche und familiäre Konflikte kann aufgrund der Quellenlage kaum etwas ausgesagt werden, wenngleich in der Forschung immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Gesetzgebung zur patria potestas nur eingeschränkt zur Geltung kommen konnte, da seit der Zeit der späten Republik die Ehen nicht mehr cum manu geschlossen wurden, die Ehefrau also der potestas ihres Vaters unterstellt blieb.¹⁴⁵ Interne Auseinandersetzungen über die Handhabung des Vermögens, über Gewalttätigkeiten oder Trennung wurden eher in komplexeren familiären Auseinandersetzungen geregelt.¹⁴⁶ Die grundsätzliche Tendenz zum Schutz des Hauses als Kernelement jeden Eigentums setzte sich auch in den spätantiken leges Romanorum und leges Barbarorum fort, die für die römischen bzw. nicht-römischen Einwohner der Burgunder- und Gotenreiche erlassen wurden, ebenso in den Rechtstraditionen des Frankenreiches – auch hier ohne begrifflichen Bezug zu einer Vorstellung von Frieden.¹⁴⁷ Erst mit dem Einfluss der klösterlichen Schreiber auf die Formulierungen und schriftliche Fixierung von Rechtsgewohnheiten scheint ein neuer Aspekt hinzuzukommen.¹⁴⁸ Denn nun verbinden sich die römisch-rechtlichen Vorstellungen vom Haus als einem vor äußerer Gewalt zu schützenden Raum und die germanischen Vorstellungen des Friedens als Rechtsschutz mit der christlichen polysemantischen Aufladung des lateinischen Wortes pax. Zwar bezeichnet auch der germanische Wortstamm friÞu einen umfassenden Zustand der Schonung, Zuneigung, Liebe

144 [Aut illi qui ea faciunt felices essent in terra? Videmus raptores, videmus infirmorum oppressores, videmus vicinorum expulsores, videmus violentos limitum invasores, videmus calumniatores, et tamen potentes divites felices in hac terra.], Augustinus, Sermo, Sp. 126. 145 Saller, Empire, S. 130; Treggiari, Marriage, S. 28–36. 146 Treggiari, Marriage, S. 462–471; Evans Grubbs, Parent-Child Conflict, S. 99–112; Thomas, Remarques, S. 66–469. 147 Vgl. Trabandt, Hausfrieden, S. 36–99. 148 Vgl. hierzu Schott, Lex, S. 259–276.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert | 95

und Sicherheit. Im Kontext gesellschaftlicher Ordnung wurde er aber zugespitzt auf eine durch Regeln gefestigte Ordnung, welche Gewalt und Selbsthilfe im Konfliktfall ausschloss und durch als Recht gesetzte Regeln des Konfliktaustrages ersetzt wurde.¹⁴⁹ Dabei wird die Friedensbegrifflichkeit nicht auf das Haus als Raum angewandt, sondern auf Personen, deren Frieden (Rechtsschutz) im eigenen Haus eine besondere Qualität besaß. Wird dieser Frieden im eigenen Haus durch Gewaltanwendung gebrochen, muss von einer Strafverschärfung ausgegangen werden.¹⁵⁰ Im heutigen Sinne des Hausfriedens taucht der Begriff zuerst in der „Lex Frisionum“ auf, deren Datierung auf den Anfang des 11. Jahrhunderts allerdings als unsicher gilt. Während im lateinischen Text auf den Frieden der Person angespielt wird, findet sich im mittelniederdeutschen Paralleltext die erste Nennung des Wortes hus-freth.¹⁵¹ Dieser Kontext weist inhaltlich wie zeitlich auf das hohe Mittelalter, das neben der Gottes- und Landfriedensbewegung vor allem durch die beginnende Ausbildung des Stadtrechts geprägt ist – beide spielen für die Entstehung rechtlicher Schutzmechanismen für das Haus eine wichtige Rolle.

Mittelalterliche Rechtsordnungen In Ergänzung zu Kroeschell, der das Aufkommen des Hausfriedens in einem engen Zusammenhang mit der Gottes- und Landfriedensbewegung sieht,¹⁵² bleibt zu bemerken, dass auch in den Reichslandfrieden das Haus als zentrale Organisationseinheit der Gesellschaft gleich zu Anfang als Kernelement in den Landfrieden aufgenommen wird, eine dezidierte Benennung oder Ausarbeitung aber ausbleibt. Dies lässt sich von der „Pax Dei incerta“ (1085)¹⁵³ über die „Pax Moguntina“ (1103)¹⁵⁴

149 Kaufmann, Frieden, S. 596. Zur Etymologie und Semantik des Friedens im Rahmen der germanischen Rechtstradition siehe jüngst Wadle, Frieden, insbesondere S. 552–557. 150 Vgl. hierzu etwa die Lex Baiwariorum: „XI. De violentia. 1. Si quis in curte alterius vim contra legem intraverit, cum III solidos componat. [. . . ] 3. Nemo enim ingrediatur alienam domum per violentiam, quia hoc scandalum generat.“ MGH LL 3, S. 80f. 151 „Homo faidosus pacem habeat in ecclesiam, in domo sua. . . .“, MGH Fontes Iuris 12, S. 80. 152 Dilcher, Friede, S. 205–210; Fischer, Reichsreform, S. 9–25; Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 167–174. 153 MGH Const. I, S. 608: „3. Omnis domus, omnis area pacem infra septa sua habeat firman. Nullus invadat, nullus effringat, nullus infra positos temere inquirere aut violenter opprimere praesumat. Qui presumpserit, cuiuscumque sit conditionis, capite plectatur.“ 154 MGH Const. I, S. 125: „Nullus alicuius domum hostiliter invadat nec incendio devastet, nullus aliquem capiat propter pecuniam, nec vulneret, nec percutiat, nec interficiat.“

96 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert bis zur „Pax Alamannica“ (1104) nachvollziehen.¹⁵⁵ Die späteren Reichslandfrieden bis 1495 erwähnen das Haus nicht mehr explizit, dessen Schutz und Unterstellung unter den Frieden nun auch durch die Stadt- und in deren Folge durch die Landrechte gesichert war.¹⁵⁶ Der zwischen 1220 und 1230 verfasste Sachsenspiegel, der für den nördlichen Teil Kontinentaleuropas ungeheure Prägekraft besaß, erwähnt den Hausfrieden nicht. Einerseits wird auf den Dorffrieden verwiesen, andererseits auf die Gültigkeit des „Alten Friedens“ – also den Landfrieden von König Heinrich VII. von 1221, der bestimmte Personen und Orte in den Frieden aufnimmt. Auch im Schwabenspiegel von 1275 wird das Haus nicht zentral behandelt, es taucht bei der Behandlung von Diebstahl und Heimsuchung auf, ohne jedoch als ein eigener Friedensbereich ausgezeichnet zu sein. Während im Sachsenspiegel grundsätzlich nur öffentlich genutzte Räume unter den Schutz des Friedens gestellt wurden, bezieht der Schwabenspiegel die Privatsphäre mit ein, ohne jedoch den Hausfrieden oder ein Hausrecht explizit aufzugreifen.¹⁵⁷ Auch im Hamburger Stadtrecht von 1270 werden hohe Geldstrafen verhängt, „ist nen husvrede broken“. Formulierungen, die große Wirkmächtigkeit erlangten, da sie in das Lübecker Stadtrecht aufgenommen wurden und so im ganzen nordund nordosteuropäischen Raum Verbreitung fanden. In Hamburg selbst werden diese Formulierungen bis ins 17. Jahrhundert hinein weitergeführt.¹⁵⁸ Auch im Ofner Stadtrecht von 1244, das für den südostmitteleuropäischen Raum prägend war, wird der Bruch des Hausfriedens unter strenge Strafen gestellt, wenngleich hier mit der Formulierung „Vom fried, der ynn denn hewsern ist“ deutlich wird, dass es um die Unversehrtheit der Personen in den Häusern geht, nicht um die Häuser als Eigentum.¹⁵⁹ Dagegen ist im Kontext des Magdeburger Rechts die Verletzung der Unversehrtheit des Hauses im Rahmen der Heimsuchung behandelt,

155 MGH Const. I, S. 614: „Clerici et ecclesiae et cimiteria et dotes aecclesiarum pacem habeant; similiter omnis homines pacen habeant in domibus et in quolibet aedificio et in curiis etiam infra legitimas areas domuum, quas houestete vulgo vocamus [. . . ].“ 156 Osenbrüggen, Hausfriedensbruch, S. 89; His, Strafrecht I, S. 20–35, zum Hausfrieden S. 204–206, 218–222. 157 Trabandt, Hausfrieden, S. 116–118, 122. Zum Sachsenspiegel vgl. Lück, Sachsenspiegel, S. 49–52; Kannowski, Umgestaltung, S. 365–368, Munzel-Everding, Sachsenspiegel, Hintergrundinformationen; Kümper, Sachsenrecht, S. 207–215. 158 Insbesondere die Bearbeitung des lübischen Stadtrechts durch den Stralsunder Syndikus, Greifswalder Juraprofessor und Vizepräsident des Wismarer Tribunals, David Mevius war für die Auseinandersetzung im 18. Jahrhundert von zentraler Bedeutung, was sich auch in der intensiven Diskussion und Zitation in zahlreichen Schriften niederschlug. Vgl. hierzu Buchholz, Usus, S. 72; Knothe, Usus, S. 154–156. 159 Mollay, Ofner Stadtrecht, S. 130; Gönczi, Stadtrecht, S. 74–81.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert | 97

ohne jedoch explizit vom Hausfrieden zu sprechen.¹⁶⁰ Es finden sich für die Zeit ab dem 13. Jahrhundert viele Belege in den einzelnen Stadtrechten, die darauf hinweisen, dass der obrigkeitliche Schutz des Hauses eng mit der Unversehrtheit seiner Bewohner verknüpft ist, mit „Ruhe und Frieden“, den die Einwohner in ihren Häusern genießen sollen. Damit hat der Bruch des Hausfriedens immer eine doppelte Perspektive: er stellte sowohl eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung, des Stadtfriedens dar, wie auch der Privatsphäre und des Eigentums.¹⁶¹ Auffällig ist im Hinblick auf den Wortgebrauch, dass der Hausfrieden als Bezeichnung eher im niederdeutschen Sprachraum verbreitet gewesen zu sein scheint, während im oberdeutschen Sprachraum eher ein allgemeiner Friedbruch im Rahmen einer Heimsuchung thematisiert worden zu sein scheint, ohne explizit auf das Haus als spezifischen Friedensraum einzugehen.¹⁶² Auch in den zeitgleich aus dem süddeutschen Raum überlieferten Stadtrechten kommt zwar die besondere Bedeutung des Hauses zum Tragen, allerdings ohne Bezug auf eine Friedensbegrifflichkeit. Grundsätzlich scheint aber dem städtischen Kontext eine besondere Bedeutung zuzukommen. Dies könnte aus der Kernfunktion des Hauses im Rahmen korporativ verfasster Gemeinden zu erklären sein, wie sie vor allem für die im 13. Jahrhundert erstarkenden Städte zu fassen ist.¹⁶³

160 Vgl. hierzu Trabandt, Hausfrieden, S. 130f. Zum Zusammenhang mit dem Sachsenspiegel vgl. Schott, Sachsenspiegel, § 24. 161 In den friesischen Rechtstraditionen vgl. Richthofen, Rechtsquellen, S. 21; im Braunschweiger Stadtrecht von 1227 heißt es etwa: „swelich man dhene husvrede breket, dhe heuet to rechte sinen hals verboret“ (Hänselmann, Urkundenbuch 1, S. 4.), ähnlich im Rigaer, Goslarer oder Dortmunder Stadtrecht und vielen anderen. Auch Stadtordnungen jüngeren Datums führen den Hausfrieden(sbruch) an, wie etwa in der Stadtordnung für Jena von Johann Friedrich dem Großmütigen, wo es heißt: „wer . . . frevelich eynlauff ader hausfride an dem andern bricht . . . man sol uber ihn richten nach fridbrechers recht.“ Zit. nach Michelsen, Stadtordnung, S. 55. Ebenso findet sich eine solche Hausfriedensvorstellung in einigen Landrechten des 17. Jahrhunderts, so heißt es etwa im Wurster Landrecht von 1661: „so wird . . . dreyerley friede gehalten, als haus-friede, land-friede, hoff- und kirchen-friede.“ Vgl. Pufendorf, Wurster Land-Recht, S. 76. Zum besonderen Status des Stadtfriedens als umfassendere Basis des Hausfriedens vgl. Wittek, „fride“, S. 64–68, Pohl, Uneasy Peace, S. 30, 42f. 162 Dies muss eine sehr vorläufige und wage Annahme auf der Basis weniger ausgewählter Texte bleiben – eine systematische rechtshistorische Untersuchung steht nach wie vor noch aus. Vgl. hierzu den Begriffsgebrauch in den von His zitierten Rechtsquellen. His, Strafrecht I, S. 204–222. 163 Zur Bedeutung des Hauses und des Friedens in der städtischen Kultur und Gesellschaft im 12. und 13. Jahrhundert vgl. oben S. 53. Dilcher, Stadtrecht, Sp. 1868; Kannowski, Bürgerkämpfe, S. 145–149. Zu dieser These würde passen, dass Osenbrüggen, dessen Ausgangspunkt die Verhältnisse in den Gebieten der späteren Eidgenossenschaft bildet, auch für nicht-städtische korporativ verfasste Gemeinden solche Hausfriedensregelungen feststellen kann. Osenbrüggen, Hausfrieden, S. 4–6.

98 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Das Verständnis des Hauses als eines elementaren, durch obrigkeitliche Gewaltbefugnisse zu schützenden Raumes war demnach in der Frühen Neuzeit fest im rechtskulturellen Grundverständnis verankert. Die Uneinheitlichkeit im Sprachgebrauch ist auffällig und nicht eindeutig zu klären. Neben den Bedeutungsverschiebungen zwischen „frid“ und „pax“ ist bislang nicht geklärt, wie sehr hier auch die Problematik der Oralität eine Rolle spielt. Denn auffällig ist, dass gerade in denjenigen Rechtstexten vom Frieden die Rede ist, die sich stark auf mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht beziehen, während Texte, die stärker auf schriftkulturellen Traditionen beruhen, zahlreiche Detailregelungen und Spezialfälle diskutieren. Für das römische Recht ist dies sicherlich nicht anzunehmen, sollte aber für die Frage der Rezeption und Ausweitung des germanischen Friedensbegriffs berücksichtig werden.¹⁶⁴ Nicht nur der Wortgebrauch war uneinheitlich, auch die Klassifizierung des Tatbestandes und die Rechtsfolgen blieben unspezifisch. Aus der Ambivalenz des Delikts, sowohl den gemeinen Frieden als auch privatrechtliche Sphären verletzt zu haben, konnte zumeist gewählt werden, in welcher Hinsicht der Hausfriedensbruch zum Tragen kam – in der Mehrzahl wurden aber Bußgelder als Strafe vorgesehen, also ein eher privatrechtlicher Charakter zugemessen. Wichtig bleibt die Feststellung der Forschung zur Praxis der Friedewahrung, dass der Hausfrieden in den kommunikativen Prozessen und ordnungsstabilisierenden Praktiken der mittelalterlichen Städte eine zentrale Stellung einnimmt, die mit der Bedeutung des Hauses als Kern der städtischen Gesellschaft korrespondiert. Und dieser Friede war nicht nur als Zustand der Unverletztheit klassifiziert, sondern ganz eng an das soziale und politische Selbstverständnis des Stadtbürgers als eines friedfertigen Einwohners, der der Gewaltanwendung zur Durchsetzung seiner Interessen explizit und wiederholt im Bürgereid abgeschworen hatte.¹⁶⁵ Auch der rechtliche Hausfriedensbegriff war damit aus seiner stadtrechtlichen Tradition heraus deutlich handlungsorientiert, zumal das Recht hier den sozialen Normen und Gewohnheiten folgte und sie als Ordnung festschrieb.

Angesichts der fehlenden, aktuellen Methoden und Fragestellungen genügenden Forschungen muss dies aber Spekulation bleiben. 164 Schmidt-Wiegand, Rechtssprache, Sp. 345–347; Bertelsmeier-Kierst, Kommunikation, S. 86–91; Dilcher, Normen, S. 36–38. 165 Frenz, Frieden, S. 56–58; Rublack, Grundwerte, S. 17–23; Rublack, Norms, passim; Schulze, Gemeinnutz, S. 597–599; Dilcher, Gesellschaft, S. 109–111.

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2.2.2 Hausfrieden im Ius Commune und im Strafrecht Die doppelte Problematik des Begriffsgebrauchs auf der einen und der rechtlichen Klassifizierung auf der anderen Seite setzte sich in der Frühen Neuzeit fort. Wie bereits gesehen boten die römischen Rechtsvorstellungen keinerlei Grundlage für die begriffliche wie systematische Einbindung dieser spezifisch mittelalterlichen Entwicklung der Friedensbezirke. Die harten Bestrafungen jedweder Form der vis publica – wie nun vor allem Landfriedensbrüche begrifflich in Einklang mit römisch-rechtlichen Kategorien gebracht wurden¹⁶⁶ – verweisen nur spärlich auf eine Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang einer vis privata. Diese wiederum waren jedoch keineswegs kompatibel mit der aus den Partikularrechten bekannten Verknüpfung mit bestimmten Formen kollektiver Ordnung. Während die „Constitutio Criminalis Carolina“ von 1532 das gewaltsame Eindringen in ein Haus gar nicht erwähnt und damit nicht zu den Gewaltverbrechen zählte, ordnete Benedict Carpzov dieses Delikt durchaus den Gewaltverbrechen zu. In seiner für die Rechtspraxis des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts prägenden „Practicae Novae Rerum Criminalium“, die von 1635 bis 1695 in vielen Auflagen erschien, handelte er den Hausfrieden unter methodischen Gesichtspunkten als häufigsten Spezialfall der Frage ab, wie zwischen einer „vis privata“ und einer „vis publica“ zu unterscheiden sei (Quaestio XL). Grundsätzlich galt für ihn, wie bereits im römischen Recht, die Unterscheidung anhand des Waffengebrauchs: Öfter kommt es vor, dass jemand in feindlicher Absicht etwas Übles gegen die Stadt oder das Haus irgendeines Privatmannes deren Sicherheit verletzt. [. . . ] Der, obgleich er keine größere Gewalt anwendet und nicht für das Verbrechen des Friedebruchs angeklagt werden muss, nichtsdestotrotz dennoch eine entweder öffentliche, wenn Waffen benutzt werden, oder eine private Gewalt verübt, wenn er unbewaffnet war, bis dahin gewärtigt er eine willkürliche Strafe des Richters.¹⁶⁷

Auffällig ist hier die semantische Nähe zum Begriff der Sicherheit (securitas), der für die politische Theorie der Frühen Neuzeit eine ganz zentrale Funktion erhielt.

166 Vgl. hierzu die bis ins 17. Jahrhundert hinein zentrale Abhandlung von Andreas Gaill. Gleich zu Beginn verweist er auf diese Zusammenhänge, auch seine ausführliche Zitation von Erasmus’ Friedensschrift „Dulcum bellum inexpertis“ zeigt die Wahrnehmung einer umfassenderen Friedensordnung, in die der Landfriede eingebunden ist und in der er unmittelbar gesellschaftliche Wirkung entfaltet. Gaill, Pace, S. 5–7; zu Gaills Friedenswerk vgl. auch Kempis, Gaill. 167 [Saepius accidit, ut quis hostili animo quid mali adversus civitatem, seu aedes alicuius private, violando earundem securitatem moliatur; (. . . ) Hic, licet vim majorem non adhibeat, nec pro reo criminis fractae pacis haberi debeat, nihilominus tamen vim facit vel publicam si armis utatur vel privatam, si inermis fuerit, adeoque poenam judicis arbitrariam incurrit.] Carpzov, Practica I, S. 241.

100 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Er galt als Definition dessen, was Herrschaft zu leisten habe und wie dieser Anspruch durch Recht handhabbar gemacht werden solle. Zum einen wird demnach von Carpzov ein Sicherheitsbegriff der mittelalterlichen Rechtssprache aufgegriffen, zum anderen aber ein gänzlich neuer Kontext übergeordneter politischer Ordnungsvorstellungen aufgerufen – beides eng verbunden mit Friedensvorstellungen.¹⁶⁸ Carpzov selbst verweist darauf immer wieder, wenn er diese Aspekte in einer Engführung mit dem allgemeinen Friedensbruch (crimen fractae pacis publicae) präsentiert, den er kurz zuvor ausführlich abgehandelt hatte (Quaestio XXXV) und mit einer wörtlichen Nennung wiederaufgreift. Die Bemühungen um eine trennscharfe Unterscheidung, welche Form der vis publica als Landfriedensbruch anzusehen sei und welche eher unter Stadt- und Hausfriedensbruch zu subsumieren sei, weisen auf die grundsätzliche Zusammengehörigkeit dieser Verbrechen hin. So führt Carpzov Beispiele für die Strafbemessung an, die die unterschiedlichen Kontexte reflektieren. Im „casus ob violatam pacem domesticam“ möge man je nach Einschätzung der Gefährdung zwischen Ausweisung und Geldstrafe entscheiden.¹⁶⁹ Typisch für die Rezeptionszeit zeigt sich hier die Anwendung römisch-rechtlicher Prinzipien, explizit unter Hinweis auf die „Lex Iulia“, mit der Verschneidung einheimischer Traditionen, die sich hier in der latinisierten Form des Hausfriedens, der pax domestica, wiederfindet – ein Ausdruck, der sich weder im klassischen römischen Recht findet noch in den lateinischen mittelalterlichen Rechtstexten. Inwieweit diese Übersetzungsleistung nicht nur auf die mittelhochdeutschen Rechtstexte rekurriert, sondern auch theologisch geprägte Vorstellungen aufgreift, ist nicht abschließend zu klären – vorstellbar wäre es. Im Gegensatz zu Carpzov erwähnt etwa Christoph Besold in seinem weit verbreiteten „Thesaurus Practicus“, der von 1629 bis 1740 in vielen Auflagen¹⁷⁰ erschien, zwar unter dem Stichwort Haus, dass es ein besonders zu schützender Raum sei, ohne jedoch auf eine spezifische Hausfriedenstradition einzugehen.¹⁷¹ Auch in den privat- und zivilrechtlichen Lehrbüchern findet sich meist nur eine kursorische Behandlung des Themas. So widmet Georg Adam Struve (1619– 1692) in seiner „Jurisprudenz“ (Erstauflage 1663) ein Kapitel den Gewalttaten, in 168 Zur Begriffsgeschichte der securitas und ihrem engen Bezug zur Friedensthematik in Recht und Politik vgl. Schrimm-Heins, Gewißheit, S. 32–37, 189–223. Zur Bedeutung für die politischen Debatten und Entscheidungen im Reich vgl. Härter, Sicherheit, S. 413–416. 169 Carpzov, Practica, S. 241f. 170 Natürlich waren diese Auflagen Bearbeitungen unterzogen, die die Vorlage jeweils anpassten. Vgl. zu diesen Prozessen allgemein (und im Besonderen für Besold) Schierbaum, Typen, S. 310–319. 171 Besold, Thesaurus, S. 368. Ähnlich für den französischen Raum das Kompendium zum Corpus Iuris Civilis von Estevan Daoys, Lyon 1627: „Domus sua cuique tutissimum refugium atque receptaculum debet esse.“

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert |

101

denen dem Hausfrieden zwar eine übergeordnete Stellung zugewiesen wird. Allerdings findet sich keine nähere Ausführung zur kulturellen Einbettung, historischen Herleitung oder Begründung der genannten Rechtsfolgen.¹⁷² Zuvor hatte er im ersten Buch personenrechtliche Ausführungen gemacht, wobei auch das Verhältnis von Eltern und Kindern und der Ehegatten zueinander thematisiert wurde. Es wurden die gegenseitigen Verpflichtungen aufgeführt, zu denen insbesondere die Sorge für die Nahrung, der gegenseitige Schutz und die Haushaltung gezählt wurden – also genau jene Verhaltensweisen, die in den theologischen Traktaten als „friedlich“ gekennzeichnet und ethisch begründet worden waren. Struve macht deutlich, dass der Obrigkeit eine besondere Aufsichtspflicht über die Erfüllung der häuslichen Pflichten zukomme, woraus sich auch gegebenenfalls entsprechende Zwangsmittel ableiten ließen. Diese Ausführungen verknüpfte er aber an keiner Stelle mit einer begrifflichen Engführung zu übergeordneten Friedensbegriffen.¹⁷³ Das gleiche Phänomen lässt sich auch für die zentralen kirchen- und eherechtlichen Werke dieser Zeit konstatieren, denn auch im kanonischen Recht, auf dem auch das protestantische Eherecht im Kern aufbaut,¹⁷⁴ bietet keine Anknüpfungspunkte für eine Friedensbegrifflichkeit, mit der die sozialethischen Aspekte der Ehe- und Haustheologie hätten abgebildet werden können. Als erste Kompilation protestantischen Eherechts ist das „Corpus iuris matrimonialis“ von Erasmus Sarcerius von 1569 anzusehen, das ab 1649 von Carpzovs Standardwerk „Jurisprudentia ecclesiastica seu consistorialis“ abgelöst wurde. Beide greifen nicht auf den in der Theologie so präsenten Friedensbegriff zurück, obwohl zumindest Sarcerius seinen Entwurf stark an den allgemeinen Schriften der Theologen ausrichtete.¹⁷⁵ So erörtert etwa Samuel Stryk in seiner umfangreichen Schrift „De dissensu sponsalitio“ von 1721 zwar eine Fülle von Detailfragen, die mit praktischen Fallbeispielen und Decisionen anschaulich gemacht werden, koppelt dies aber nicht an übergeordnete theologische Konstrukte zurück.¹⁷⁶ Auch bei Johann Brunnemann und Justus Böhmer, die als große Rechtsgelehrte des Kirchenrechts in eherechtlichen 172 Vgl. Struve, Juris-Prudenz, S. 808–810. Finzel hat darauf hingewiesen, dass die deutschsprachige „Juris-Prudenz“, auf die hier Bezug genommen wird, einen sehr hohen Grad an Übereinstimmung mit der lateinischen Jurisprudentia Romano-Germanica forensis aufweist, die als „Kleiner Struve“ bis ins späte 18. Jahrhundert hinein das Standardwerk in der universitären Juristenausbildung darstellte. Finzel, Struve, S. 49. 173 Struve, Juris-Prudenz, S. 18–39. 174 Vgl. hierzu Duncker, Gleichheit, S. 82–86; Buchholz, Recht, S. 246. 175 Zu Sarcerius vgl. S. 65. Vgl. Nelson Burnett, Evolution, S. 549–553. Zu Carpzov vgl. Landau, Grundlagen, S. 103–127, bes. 113–121. Zur Überlagerung seiner vielfältigen Tätigkeiten vgl. Wartenberg, Erasmus Sarcerius, S. 124–126. 176 Stryk, Dissensu, z. B. S. 4, 147. Zu Stryks Orientierung an Struve und seine Position im Diskurs über das Verhältnis von einheimischen und römischen Rechtstraditionen vgl. Luig, Stryk, S. 222–228.

102 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Fragen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Autorität genossen, lassen sich keinerlei Bezüge auf übergeordnete Friedensvorstellungen finden.¹⁷⁷ Das erklärt sich nicht in erster Linie aus den unterschiedlichen fachkulturellen Diskursen, sondern vor allem aus dem Umstand, dass in theologischen Kontexten die Friedensbegrifflichkeiten in erster Linie zur Qualifizierung des alltäglichen Verhaltens gegenüber dem Ehepartner, den Kindern und dem Gesinde dienen. Juristische Zuständigkeiten und Arbeitsschwerpunkte liegen aber eher im Bereich der Eheanbahnung, der Ehescheidung und des Ehegüterrechts, in denen Fragen der Verhaltensweisen zumindest in den theoretischen Begründungen keine Rolle spielen. Gleichwohl wird immer wieder darauf hingewiesen, dass gerade im Hinblick auf das protestantische Kirchenrecht die Bedeutung der reformatorischen Eheschriften und biblischer Aussagen für die Rechtsanwendung bis weit in das 18. Jahrhundert hinein eine große Rolle spielten, ohne zugleich den juristischen Diskurs über Eheund Kirchenrecht zu bestimmen.¹⁷⁸ Lediglich ein einziges juristisches Werk ließ sich nachweisen, welches sich explizit mit der allgemeinen Konflikthaftigkeit frühneuzeitlicher Ehen auseinandersetzte und zu deren Überwindung die Etablierung eines Friedenszustandes empfahl. Es handelt sich um eine 43 Seiten umfassende Dissertation mit dem Titel „Antidotum contra Discordiae coniugalis venenum seu Disputatio inauguralis de stabilienda pace inter coniuges“, die 1667 von dem Rintelner Rechtsprofessor und Bückeburger Konsistorialrat David Pestel erarbeitet wurde. In dieser kleinen, singulär gebliebenen Arbeit spiegelt sich das oben beschriebene Dilemma. Konflikte im Ehealltag – vor allem besitzrechtliche – können demnach immer nur partiell auf der Basis von Rechtsnormen geregelt werden und seien im Kern auf problematische Beziehungskonstellationen zurückzuführen.¹⁷⁹ Für das katholische Eherecht, das im frühneuzeitlichen Kontext weitaus weniger ausgeprägt und weniger intensiv erforscht ist, lässt sich Vergleichbares konstatieren. Das Standardwerk des Jesuitenpaters Thomas Sanchez „De sancto matrimonii sacramento disputationes“, das seit seinem Erscheinen 1590 bis in das 18. Jahrhundert hinein zahlreiche Neuauflagen erfuhr, enthält trotz seiner „scharfsinnige[n] und fleißige[n] Behandlung kleiner Einzelheiten“¹⁸⁰ des Ehelebens keine Referenzen auf spezifische Friedensvorstellungen, die ja auch der katholischen Seelsorge und Erbauungsliteratur durchaus im Zusammenhang des häuslichen Lebens geläufig waren.¹⁸¹

177 Brunnemann, Jure ecclesiastico, S. 511–520; Böhmer, Jus Ecclesiasticum, S. 978–1036. 178 Vgl. hierzu Duncker, Gleichheit, S. 87; Für die Frühzeit protestantischer Ehegerichtsbarkeit vgl. Frassek, Eherecht, S. 216–230. 179 Pestel, Antidotum, insb. S. 16–18. 180 Duncker, Gleichheit, S. 82. 181 Vgl. oben Kap. 2.1.2.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert |

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Der Blick in die wichtigsten der an der geltenden Rechtspraxis orientierten Werke zum Zivil-, Straf- und Kirchenrecht im 17. und 18. Jahrhundert hat gezeigt, dass die uneinheitliche Tendenz, die sich bereits in den mittelalterlichen Bestimmungen angedeutet hatte, fortsetzte. Die Bemühungen um eine konsistente Rechtsordnung auf der Basis römisch-rechtlicher Kategorien lassen immerhin erkennen, dass das Konzept des Hausfriedens zumindest im weltlichen Zivil- und Strafrecht als selbstverständliche Größe auftauchte, ohne jedoch die Divergenzen zwischen Begriffen und Inhalten explizit zu reflektieren und zum Problem zu machen.¹⁸² Dies geschah erst, als die intensive Auseinandersetzung mit einer möglichst umfassenden Absicherung der inneren und öffentlichen Sicherheit die Diskussion um den Geltungsanspruch der Partikularrechte gegenüber dem Gemeinen Recht zum Gegenstand der juristischen Debatte um 1700 machte. Dazu trug neben dem so genannten usus modernus pandectarum vor allem die im Anschluss an Christian Wolff entstehende neue juristische Methodenlehre bei, die nicht mehr nach dem Autoritätenprinzip funktioniert, sondern sehr viel stärker auf der Analyse der Begriffe und ihrer „vernünftigen“ essentia und modi beruht. Dies sollte in erster Linie an dem Bedarf der „praktischen Jurisprudenz“ und damit nutzen- und anwenderorientiert geschehen.¹⁸³ Mit der Rechtsanwendung im Mittelpunkt konnte man nun auch mit der Bedeutung der Partikularrechte argumentieren, die der Rechtswirklichkeit oftmals näher waren als abstrakt gelehrte Bestimmungen des Gemeinen Rechts. Denn der Bedarf an Rechtssicherheit wuchs gerade in solchen Bereichen, in denen es bisher entweder wenig Regelungen gegeben hatte oder große Unterschiede in den einzelnen Partikularrechten und ihren Begründungen bestanden. Die Koinzidenz dieser disziplininternen Entwicklung und der rasch anwachsenden Debatte um die zahlreichen Ebenen der Sicherheit im politischen Diskurs des Reiches seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts führten dazu, dass auch das Haus als Schnittstelle zwischen allgemeiner und individueller Sicherheit von den Juristen näher beleuchtet wurde. Hier traf sich die „Renaissance des securitas-Begriffs im antiken Sinne des staatlich garantierten Zustandes der Ruhe und des Friedens“¹⁸⁴ mit den Haus-Konzepten, die im Wesentlichen auf den mittelalterlichen Vorstellungen eines besonderen Friedensbereichs beruhten. Das neue Interesse am Haus, das im selben Zeitraum auch die politische Ökonomie prägte und in dem sich die theoretische Fundierung von Sicherheit und Frieden verbanden,¹⁸⁵ wurde dann seit den 1660er-Jahren durch einige Dissertationen auch als neues juristisches Thema bearbeitet. 182 183 184 185

Lipp, Wirken, S. 259–261. Peterson, Anwendung, S. 178–184; Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 85–92. Schrimm-Heins, Gewißheit, S. 189f. Simon, Gute Policey, S. 218–225, 431–434.

104 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Wie in allen genannten Werken stand auch hier die Auseinandersetzung mit Hobbes’ Thesen zur Befriedigung und Herstellung von Sicherheit in den Gesellschaften den Ausgangspunkt der juristischen Argumentationen. Eine spätere rechtsphilosophische Dissertation von 1722, die durch eine Gegenlektüre von Hobbes’ „De cive“ zu dem Schluss kommt, dass nicht Krieg, sondern Frieden als Naturzustand der menschlichen Gesellschaft anzusehen sei, rekurriert immer wieder auf primäre Vergesellschaftungsformen der Familie und des Hauses, ohne dies jedoch als Analysekategorie ins Zentrum zu stellen.¹⁸⁶ Die juristischen Unternehmungen, dieser Kerninstitution gesellschaftlicher Ordnung durch rechtliche Regelungen Sicherheit und Stabilität und damit auch der individuellen Sicherheit im Hinblick auf Eigentum und körperliche Unversehrtheit zu verleihen, waren immer wieder vor das gleiche Problem gestellt. Das Konzept der Sicherheit bedurfte einer rechtlichen Klarheit und Berechenbarkeit, die sich gerade im Hinblick auf moralische Aspekte nicht erreichen ließ.¹⁸⁷

2.2.3 Hausfrieden in der Diskussion: 1674–1721 Zwischen 1674 und 1721 erschienen vier Dissertationen und eine etwa 100 Seiten umfassende Abhandlung, die sich intensiv mit der Frage des Hausfriedensbruches auseinandersetzten. Allen gemeinsam ist das Bemühen, den bisher aus Stadt- und Landrechten sowie der Auslegung der vis privata bekannten Tatbestand des Hausfriedensbruches hinsichtlich seiner rechtlichen Begründung, Entwicklung und Konzeption zu systematisieren und ihn vor dem Hintergrund der eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit einzuordnen und anzupassen. Im Zentrum stand dabei eine konsistente juristische Konzeption der Institution des Hauses sowie dessen Funktion im Rahmen der gesellschaftlichen Wahrung von Sicherheit und Frieden. Auch hier ermöglicht der Zugang über ein Friedenskonzept den rechtlichen Zugriff auf Sicherheit. Die unterschiedlichen Schwerpunkte der vier Abhandlungen sind dabei nicht so sehr einer kontroversen inhaltlichen Debatte geschuldet. Sie spiegeln vielmehr die Entwicklung der Diskussionsschwerpunkte und praktischen Bedürfnisse innerhalb dieses halben Jahrhunderts wider. Gemeinsam ist allen

186 Hombergk zu Vach, Pacem, S. 7–29. 187 Zur allgemeinen juristischen Debatte darüber im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Mohnhaupt, Lex, S. 85f. Die grundsätzlichen Bedenken gegenüber einer rechtlichen Regulierbarkeit persönlicher Beziehungen werden gerade auch bei Hobbes intensiv diskutiert. Die Unberechenbarkeit menschlicher Gefühle und ethischer Handlungen machten ihn wie auch schon lange zuvor Aristoteles ausgesprochen skeptisch gegenüber der Reichweite rechtlicher Regulierungen. Vgl. hierzu Hobbes, Leviathan, Erster Teil.

2.2 Juristische Diskurse, 15.–17. Jahrhundert |

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die Frage nach dem Zusammenhang des häuslichen Friedens mit übergeordneten Friedenskonzeptionen und dessen historischer Entwicklung. Im Folgenden werden nun die Dissertation „De pace domestica“ des Greifswalder Rechtsprofessors und Konsistorialrats Friedrich Gerdes von 1674, die Dissertation des Wittenberger Rechtsprofessors Georg Beyer „De violatione securitatis domesticae“ (1701) und der Traktat des Jenaer Hofgerichtsassessors und späteren Kieler Ordinarius beider Rechte Friedrich Gottlieb Struve „De pace domestica“ (1713) ausführlich behandelt. Die vierte Dissertation des Straßburgers Philip Bechtold „De crimine fractae pacis domestica“ (1721) wird – ebenso wie die des Jenaer Juraprofessors Karl Friedrich Walch „Singularia Germanorum Instituta de pace domestica“ (1772) – abschließend nur kursorisch erörtert, da beide Arbeiten eher Detailfragen zu klären suchen, nicht aber den Hausfriedensbruch selbst als Rechtsproblem analysieren.

Friedrich Gerdes: De pace domestica, 1674 Am 21. Juli lud der Greifswalder Professor beider Rechte und Konsistorialrat Friedrich Gerdes die Angehörigen der Greifswalder Universität zu einer Disputation über den Hausfrieden ein – in Form einer anthropologischen Herleitung der fundamentalen Friedensordnung in menschlichen Gesellschaften: Von den alten Germanen schreibt Tacitus in seiner Germania 19: Bei ihnen gibt es mehr gute Sitten, als anderswo gute Gesetze vorherrschen. Übrigens gewannen aus ihnen die Klügeren die Einsicht, dass es schwierig sei mit höchster Gewalt eine Ordnung durch rechtmäßige Begründung aufzubauen und dass es ein Leichtes sei, durch Erlaubnis davon abzuweichen, so dass die Völker begannen, bald durch Befehl bald durch Gehorsam sichere Gesetze zu finden. Und so bewegte er das Volk für seine Unversehrtheit und zum Schutze der Freiheit zum Notwendigen, in einer Volksversammlung überzeugte der Tribun Brutus das Volk: Die Gewährleistung der Sicherheit der Schwachen steht den Mächtigeren entgegen, weil die Mächtigen, wenn sie schaden wollen, nicht können, denn der Wille zu Schaden wird wie die Herrschsucht und Habgier bei ehrsüchtigen Menschen niemals fehlen.¹⁸⁸

Die allgemeine Herleitung des Friedens als Kern aller menschlichen Vergemeinschaftung kulminiert bei Gerdes in der Feststellung:

188 [De antiquis Germanis Tacitus de moribus German. 19 scribit: Plus apud illos bonos mores, quam alibi bonas leges valuisse. Caeterum ex quo deprehensum a prudentioribus fuit, quam in summa potentia difficile sit intra rectae rationis ordinem consistere, quamque in proclivi exorbitare per licentiam, gentes tum imperium tum obsequium certis definire legibus coeperunt. Et hoc movit populos pro incolumitate sua, tuendaeque libertati necessarium, in concione populi Romani suasit Brutus Tribunus plebis: Unam, inquiens, esse tenuium adversus potentiores securitatis cautionem, ut sc. Potentes, si nocere velint, non poßint, cum nocendi voluntas ambitiosis hominibus imperandi habendiq cupidis nunquam sit defutura.] Gerdes, Pace domestica, S. 4.

106 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert

Von da an wurden so viele nützliche Gesetze für den Frieden erfunden, damit sowohl der öffentliche als auch der private Frieden unter den Bürgern breit und heilig gehalten werde, unter denen die Julischen Gesetze über die öffentliche Gewalt und die private Gewalt, wenn nicht den ersten, so dennoch einen herausragenden Platz einnehmen, von denen die öffentliche Sicherheit der Bürger von der einen, der Hausfrieden von der anderen geschützt wird.¹⁸⁹

Die rechtliche Fixierung des Hausfriedens bildet nach Gerdes gemeinsam mit dem innergesellschaftlichen Frieden den Kern gesellschaftlich zu gewährleistender Sicherheit, weshalb ihm eine umfassende Behandlung dringend ratsam erscheint. Wenngleich hier ganz dem Zeitgeist entsprechend die römisch-rechtlichen Traditionen als Kristallisations- und Ausgangspunkt aller juristischen Konstruktionen in Erscheinung treten, verweist er wenig später darauf, dass es ihm im Wesentlichen darauf ankommt, diese in Übereinstimmung mit geltenden heimischen Rechten zu bringen, wobei er insbesondere auf das lübeckische Recht verweist.¹⁹⁰ Die Aufteilung seiner Schrift, in der drei der sechs Kapitel den fundamenta pacis gewidmet sind, macht die Notwendigkeit einer umfassenden Einbettung und Anschlussfähigkeit an übergeordnete Fragestellungen deutlich: Ausgehend und weit ausholend von den Räuberbanden der Antike beruft er sich für die Annahme einer anthropologischen Grund-Unsicherheit menschlicher Gesellschaften auf die naturrechtlichen Ableitungen in Grotius’ Werk „De jure belli ac pacis“, was er dann unter Berufung auf Autoritäten und zeitgenössische Rechtsgelehrte wie Jean Bodin, Johannes Thomasius oder Christian Woldenberg,¹⁹¹ im Wesentlichen

189 [Hinc tot saluberrimae leges pro pace tum publica tum privata inter cives servanda latae sanctaeq reperiuntur, inter quas, si non primum, principem tamen locum tenent Leges Juliae de vi publica & vi privata, quarum illa publicam civium securitatem, haec domesticam pacem ac salutem tuetur.] Gerdes, Pace Domestica, S. 5. 190 Gerdes, Pace Domestica, S. 5. Gerade das Lübecker Recht war durch den ausführlichen, auf Conrings Methode basierenden Kommentar seines Onkels, des Greifswalder Rechtsprofessors und Vize-Präsidenten des Wismarer Tribunals, David Mevius, besonders für diese Diskussion geeignet. Mevius diskutiert Hausfriedensbrüche im Kontext von Mord und Totschlag, er übersetzt es mit „fracta domestica securitas“. Mevius, Commentarius, S. 813f. 191 Johannes Thomasius war von 1650–1652 Professor der Rechte in Jena, bevor er für den Herzog von Sachsen-Altenburg die Reichstagsgesandtschaften begleitete und in der territorialen Rechtspflege tätig war (Vgl. Schumann, Thomae, o. S.). In den zwei Jahren seiner akademischen Tätigkeit verfasste er zahlreiche Disputationen und Dissertationen, die sich mit der Sicherheit von Recht und Eigentum auseinandersetzen. Daneben war er im Umkreis der Schäferdichtung tätig und legte 1650 in seinen „Friedens-Gedancken“ eine literarische Auseinandersetzung mit der Friedensund Sicherheitsproblematik vor. Auch Christian Woldenberg war 1651–1674 Professor der Rechte in Rostock und befasste sich insbesondere mit Fragen der Rechtswirksamkeit, des Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit. Seit 1668 legte er neben seinen „Principia iuris Romani“ (Rostock 1668) vor allem eine sprachhistorische Rechtskritik mit seinem „Tractatus novus philologicus-iuridicus de numeris utriusque juris“ (Rostock 1671) vor; vgl. Jöcher, Bd. 4, Sp. 2041.

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aber auf Thomas Hobbes’ „Leviathan“, weiter ausführt. Der Feststellung einer grundsätzlichen Gefährdung der Sicherheit von Eigentum, Körper und Ehre setzt er den grundsätzlichen Anspruch auf Schutz und Sicherheit entgegen, der sich aus der Schöpfungsabsicht ableite und im oikos als Kern aller gesellschaftlichen Ordnung manifestiere.¹⁹² Dessen „beatitudo familiaris“ könne nur durch Undankbarkeit gestört werden, was der Natur widerspräche, da gerade im Hause alle mit Fleiß zum Gemeinwohl beitrügen.¹⁹³ Aus solchermaßen geordneten persönlichen Beziehungen im Hause leitet er unter Berufung auf Grotius das Funktionieren der Gesellschaft ab, wenn er schreibt: Quae autem ac pluribus domibus societas prima usus non quotidianus causa constituitur, vicinitas est, & ex pluribus vicinatibus perficitur civitas [. . . ]. Quod Grotius effert nomine tranquillitatis publicae, in qua & singulorum comprehenditur.¹⁹⁴

Die begriffliche Engführung solcher gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen mit Grotius’ tranquilitas publica ist dabei nicht der rhetorischen Füllung geschuldet, sondern wird im Folgenden fortgeführt und ausgebaut, wenn Gerdes darauf hinweist, dass pax, quies und securitas die Grundvoraussetzungen des Gemeinwohls darstellten, um die jeweiligen Güter – seien es materielle Reichtümer, das Leben, die Keuschheit, die Gesundheit oder die Ehre – besitzen, genießen und einsetzen zu können. Der Sicherheitsbegriff ist nicht mit dem Friedensbegriff deckungsgleich, Sicherheit ist vielmehr die Voraussetzung eines friedvollen Lebens. Dies unterstreicht Gerdes, indem er auf die allgemeine Sicherheit nicht nur innerhalb einer Gesellschaft, sondern vor allem auch zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen rekurriert, die durch Kriegshandlungen massiv beeinträchtigt werden könnten.¹⁹⁵ Gerdes setzt in Auseinandersetzung mit anderen zeitgenössischen Dissertationen damit Raub und Zerstörung innerhalb einer Gesellschaft im Hinblick auf ihre friedenstörende Wirkungen Kriegshandlungen auf zwischenstaatlicher Ebene gleich.¹⁹⁶ 192 „Nos docta meliora scimus, quod DEUS T.O.M. ad initio creavit hominem ad imaginem suam, [. . . ] Quo facto, mutuo amore ita coarctavit, ut homo adhaereret uxori suae, & essent duo in carne uno [. . . ] Ex quo oppido societati non minus paternale quam maritali constat sua securitas: Nunquam enim quisquam exoderit carnem suam.“ Gerdes, Pace domestica, Cap. I, 5. 193 Ebd., Cap. I, 5. 194 [Diese erste Gesellschaft jedoch, die durch viele Häuser nicht zum Zwecke des täglichen Bedarfs begründet wird, ist die Nachbarschaft und aus vielen Nachbarschaften entsteht die Civitas (. . . ). Das führt Grotius unter dem Namen der öffentlichen Ruhe aus, in der die Einzelnen einbegriffen sind]. Ebd. 195 Ebd., Caput I, 7. Zur Sicherheitsqualität des Hausfriedens vgl. auch Schmidt-Voges, Securitas, passim. 196 Ebd., Gerdes verweist unter anderem auf die Dissertation „De jure securitatis tum inter cives tum inter gentes“, die 1667 bei Ernst Friedrich Schröter in Jena gehalten wurde.

108 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Das zweite Kapitel widmet sich nach der Kontextualisierung des Themas im laufenden Sicherheitsdiskurs im Reich und anderen europäischen Kulturen den Begriffsdefinitionen. Ausgehend von einer etymologischen Herleitung stellt er den Friedensbegriff in die Tradition Ulpians und dem dort vertretenen Vertragscharakter. Dieser Vertragscharakter auch des innergesellschaftlichen Friedens (pax publica) sei der breiten Masse durch die Gelöbnisse bekannt, die im Rahmen des Bürgereides abgelegt werden müssen. Dementsprechend definiert er den Hausfrieden als Konsequenz einer Schwurgemeinschaft zu gemeinsamer Lebensführung, Würde, Ruhe, Friede und Eintracht.¹⁹⁷ Folgerichtig betont er in einem Zwischenfazit, dass das fundamentum pacis domesticae sowohl in den natürlichen Grundlagen menschlicher Gesellschaft als auch in rechtlichen Regelungen zu sehen sei. Dabei müsse den geltenden sittlichen Normen und den verwurzelten Gewohnheiten ein großes Gewicht eingeräumt werden. Die zweite Hälfte des Werkes ist der analytischen Systematisierung gewidmet, wobei zunächst die materia pacis umrissen wird. Vor allem die Bestimmung der Personen und Räume, die unter den Hausfrieden fallen, steht im Zentrum. Neben der Kernfamilie fasst Gerdes darunter auch Schwiegerkinder, Gesinde, Pächter, einquartierte Soldaten und Söldner und andere Arbeiter des Haushaltsvorstands. Auch Gäste, Pilger und Durchreisende unterstehen während ihres Aufenthaltes in einem Haus dessen Frieden, wie auch Flüchtlinge und Schutzsuchende. Im Hinblick auf die Räumlichkeiten hält Gerdes fest, dass neben den eigentlichen Wohnhäusern auch Ställe, Apotheken, Hütten und Schiffe das Hausrecht genießen – Wirtshäuser hingegen seien Orte öffentlicher Treffen mit Alkoholausschank, so dass hier kein spezieller Hausfrieden anzunehmen sei. Zudem weist Gerdes noch darauf hin, dass es im Hinblick auf den Hausfrieden keine Unterscheidung gäbe, ob das Haus Eigentum oder zur Nutznießung gemietet sei. Mieter genössen gleichermaßen den Hausfrieden, unabhängig davon, ob sie ein Zimmer, eine Wohnung oder ein ganzes Haus gemietet hätten. Es fällt auf, dass Gerdes trotz seines Hinweises auf die Wirkmächtigkeit lokaler Gewohnheiten, sittlicher Normen und Gebräuche und der vollmundigen Ankündigung in der Einladung fast ausschließlich mit römisch-rechtlichen Kategorien argumentiert, vor allem unter Bezug auf die „Lex Cornelia“. Auch im fünften Kapitel, das er den violationes pacis widmet, leitet Gerdes seine Ausführungen zu Durchsuchung, Heimsuchung, Diebstahl, Vorladungen und

197 „Nobis Pax domestica optime dicitur der Hauß-Friede, welchen ein jeglicher in seinem Hauß und Hofe, das ist in seinen vier Pfählen haben soll. Pari fere modo, quo vocamus alias den Burg-Frieden, quoties Statutum sit familiare seu conventio jurata ad communem conversationem, dignitatem, tranquillitatem, pacem atque concordiam alicuius familiae.“ Ebd. Cap. II,4.

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Konfiskationen aus römisch-rechtlichen Kategorien ab. In diesem Zusammenhang erörtert er auch die Frage, inwieweit der Hausfrieden nicht nur durch „violentia turbativa extraneorum“, sondern auch aus dem Inneren heraus gefährdet oder zerstört werden könne. Diese Frage wird vergleichsweise ausführlich behandelt, muss Gerdes doch die unhinterfragbare Autorität des Hausvaters, die sich auch in seiner Strafgewalt manifestiere, auf der einen Seite unterstreichen, und auf der anderen Seite aber darauf hinweisen, dass der Missbrauch dieser Kompetenz durchaus friedestörend sei. Es findet sich hier wie bereits zuvor die in der Rechtsliteratur zur Ehe und anderen Aspekten der tutela und Vormundschaft bekannte Formulierung „dum tamen moderate nec cum atrocitate faciant.“¹⁹⁸ Diese Tendenz bleibt auch im letzten Kapitel spürbar, das mit den remedia pacis die Sanktionsmöglichkeiten und Rechtsfolgen diskutiert – trotz des Hinweises auf die Bedeutung der situativen Einbettung und der lokalen Gebräuche führt er lediglich römisch-rechtlich orientierte Literatur ins Feld. Friedrich Gerdes hat mit dieser Dissertation den Hausfrieden als ein eigenständiges juristisches Thema in den übergreifenden Debatten zu Frieden und Sicherheit im Alten Reich etabliert. Gerdes’ Analysen zeigen deutlich, dass eine Einordnung der Auseinandersetzungen um Hausfrieden in einen engeren Kontext der Sicherung von Eigentum zu kurz greifen würde. Gerade die Perspektive des Hauses, die hier als gesellschaftskonstituierendes Element stark gemacht wird, zwingt dazu, auch die übergeordneten Modelle gesellschaftlicher Ordnung aufzurufen und damit eine über die Sicherheit hinausgehende Friedensperspektive zu öffnen. Die im Gegensatz zu anderen politischen Institutionen sehr viel stärkere Verankerung in gewachsenen sozialen Ordnungen und die sozialen Ordnungs- und Beziehungsfunktionen machen es notwendig, über einen engeren rechtsimmanenten Argumentationsstrang hinauszugehen und vor dem Hintergrund grundsätzlicherer Aspekte von Gesellschaftsordnung zu diskutieren. Gerdes beruft sich letztlich jedoch fast ausschließlich auf römisch-rechtliche Aspekte. Das liegt wohl vor allem in dem unauflöslichen Widerspruch begründet, einerseits eine übergreifende gemeinrechtlich fundierte Grundlage herausarbeiten zu wollen, die sich andererseits aber nur in einer Analyse der vielen unterschiedlichen Partikularrechte lösen ließe. Dieser immanente Widerspruch war es dann auch, der den Ansatzpunkt für den nächsten Versuch bildete, die rechtlichen Aspekte des Hausfrieden systematisch aufzuarbeiten: die Dissertation des Wittenberger Rechtsgelehrten Georg Beyer aus dem Jahr 1701.

198 Ebd., Cap. V, 5.

110 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Georg Beyer: De violatione securitatis domesticae, 1701 Die knapp dreißig Jahre, die zwischen diesen beiden Texten liegen, erlebten einen immensen Wandel in der juristischen Methodenlehre. Dieser ermöglichte es Beyer in der Einleitung seiner 1701¹⁹⁹ erschienen Studie sehr wortreich die mangelnde Auseinandersetzung der Rechtsgelehrten mit einem Thema zu beklagen, dass doch „sehr häufig im täglichen Sprachgebrauch“ vorkomme. Es folgt eine harsche Kritik der wichtigsten Werke, wobei er vor allem Gerdes’ Studie als unzulänglich disqualifiziert, da er allein „ex principiis alienis“ heraus argumentiere.²⁰⁰ Georg Beyer war zu dieser Zeit Privatdozent der Rechte an der Universität Wittenberg, nachdem er in Leipzig bei Christian Thomasius und in Frankfurt an der Oder bei Samuel Stryk studiert hatte. In der vorliegenden Dissertation wählte er einen Ansatz, der ihn später als ordentlicher Professor berühmt machen sollte: Nach seiner Berufung 1713 machte er als Erster die in der Theorie schon länger vertretenen so genannten „deutschrechtlichen“ Traditionen zum Ausgangspunkt und Kern seiner akademischen Lehre und brach so mit einer jahrhundertealten Tradition.²⁰¹ Die allenthalben betonte Vehemenz seiner Ausführungen ist schon hier spürbar, wenn er einleitend zum einen auf den Auftragscharakter der Schrift hinweist, zum anderen aber gerade daraus die Grundsätzlichkeit und Notwendigkeit seiner Ausführungen ableitet. Die Beschäftigung mit dem Thema Hausfriedensbruch war das Ergebnis einer Anfrage im Rahmen der Duell-Verordnung von Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen, der ihn ob der unklaren Begriffsfüllung zum Hausfriedensbruch um eine juristische Ausarbeitung gebeten hatte.²⁰² Das

199 Die Datierung bzw. zeitliche Einordnung der Dissertation ist nicht zweifelsfrei, kann aber aufgrund fehlender universitärer Überlieferung nicht mehr geklärt werden. Auf dem Titel wird das Jahr 1701 als Zeitpunkt des Verfahrens genannt, im Text auf das Duell-Mandat Kurfürst Friedrich August I. vom 15. April 1706 als Anlass genannt. Gedruckt wurde die Dissertation als Anhang zu Struves Traktat von 1713, vgl. S. 114. 200 „Demum quae Gryphiswaldiae ad alia digreditur, & vbi intra fines Thematis continetur, rem ex principiis alienis definit“, Beyer, Violatione, §1. „Frequentissima in or vulgi, rarissima apud Ictos securitatis, vel ut vulgo, pacis domesticae mentio, ut ne Schilterus quidem, diligens, nec infelix Iuris Germanici interpres, in opere Exercitationum ad Pandectas vel verbulo eius meminerit.“ Beyer, Violatione, S. 103. 201 Vgl. Lück, Wittenberg, S. 30; Jugler, Biographie, S. 130f. 202 Beyer, Violatione, §2. Die Hausfriedenserwähnung in der genannten Verordnung „Mandat Wider die Selbst-Rache, Friedens-Stöhrungen und Duellen, den 15. April 1706“ lautet: „12. Wann auch gar dabey der Hauß-Friede gebrochen, und einer in seiner Wohnung überfallen worden, auf solchen Fall soll des Verbrechers Straffe, so viel das Gefängnüs betrifft, umb einen dritten Theil noch steigen.“ Auch in den anderen Deliktaufzählungen und den respektiven Strafen taucht das Haus als Tat-Ort immer wieder als strafverschärfender Aspekt hinzu. Vgl. Codex Augusteus, Oder Neuvermehrtes Corpus Juris [iuris] Saxonici¦[. . . ] ¦ans Licht gegeben und in richtige Ordnung gebracht von Johann Christian Lünig, Leipzig 1724, S. 1731–1743, hier: S. 1735.

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hält Beyer aber nicht davon ab, das Thema ganz grundsätzlich als ein besonderes Beispiel für die unzureichende Passgenauigkeit römischrechtlicher Traditionen auszuarbeiten, gerade wegen seiner sozialen Brisanz: Diese Sache scheint vernachlässigt worden zu sein, teils weil die römischen Gesetze, die dieses Thema erläutern, nicht ausreichen, teils weil die deutschen Reichs- und Territorialgesetze fast niemals auf die Sicherheit des Hauses eingehen, sondern deren Fährten in den Statuten der Städte zu finden sind, die von heimischen Rechtsgelehrten nicht so viel wert erachtet wurden, dass sie sie in einem großen Werk untersuchen würden.²⁰³

Dass dabei das Thema Hausfriedensbruch bzw. der violatione securitatis domesticae in den großen Komplex der innergesellschaftlichen Friedensordnung gehört, daran lässt er keinen Zweifel, wenn er einerseits im dritten Kapitel in einem Herrscherlob auf seinen Kurfürsten dessen Engagement in der Friedewahrung betont und damit auf die politische Praxis zielt und andererseits die juristische Theoriebildung als defizitär brandmarkt, da nicht einmal die großen Referenzwerke von Andreas von Gaill und Johann von Datt sich auch nur annähernd damit auseinandersetzen würden. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Thema ist in ihren größten Teilen (29 von 43 Kapiteln) durch eine Rekonstruktion der historischen Ursprünge und Zusammenhänge gekennzeichnet, mit der er zugleich auf die unterschiedlichen Rechtstraditionen verweist, zumal es ihm im Hinblick auf die „argumentis eiusmodi obscurioribus“ in dieser Angelegenheit die geeignete Methode zu sein scheint, eine historische Erforschung der genaueren Behandlung der Sache vorauszuschicken.²⁰⁴ Die fundamenta pacis genauestens zu analysieren hält er für falsch mit der Begründung, dass viele Rechtsgelehrte die Sicherheit des Hauses aus der „Lex Cornelia“ ableiteten und das Haus als räumliche Objektfolie für die Unterscheidung zwischen vis privata und vis publica behandelten, ohne dieses jedoch im Hinblick auf seinen Charakter als einen Rechtsraum sui generis zu definieren.²⁰⁵ Auch in Bezug auf eine kultische und damit ethische Überhöhung des Hauses –

203 [Causa neglectus partim ea videatur, quod leges Romanae huic themati explicando non sufficiant, partim quod leges Germanorum vniuersales & prouinciales nunqum fere securitatis domesticae meminerint, sed eius vestigia quaedam ex statutis vrbium legenda sint, quae tanti visa non sunt Ictis nostratibus vt magnum in iis enucleandis operam ponant.] Beyer, Violatione, §2. 204 „Perquam vero oportuna in argumentis eiusmodi obscurioribus methodus videtur, si indagatio historica exactiori rei tractationi praemittatur.“ Beyer, Violatione, §4. 205 „Originem eius multi ex Iure & moribus Romanorum requirunt, quia l.5pr. & §.2. & 5. dicitur, legem Corneliam de iniuriis competere ei, qui domum suam vi introitam esse dicat. Domum vero accipi non propriam duntaxat, sed in quacunque quis habitat vel hospitatur, dummodo non momenti causa.“ Ebd. §4.

112 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert wie sie bei Cicero und anderen römischen Autoren zu finden seien – hält er das Konzept für nicht tragfähig, da es zwar auf eine spezifische Heiligkeit des Hauses als Sitz der Hausgötter hinweise, nirgends aber von deren Störung und etwaigen Konsequenzen gesprochen würde (§ 6). Gleichermaßen zur Traditionsbildung ungeeignet hält er den Rekurs auf die Sitten und Gebräuche der alten Germanen, deren Spuren allgemein in sächsischem und alamannischem Recht vermutet würden. Auch hier, so analysiert er kleinteilig, würde lediglich darauf verwiesen, dass Gästen und Zufluchtsuchenden im Hause Schutz gewährt würde. Dies wiederum sei aber nicht auf germanische Traditionen des Hausfriedens zurückzuführen, sondern läge im Gastungsrecht begründet. Dabei verweist er sowohl auf antike (Tacitus, Caesar) als auch auf zeitgenössische (Clüver) Werke, die sich mit der Ethnologie der Germanen befassen (§ 7). Weit wichtiger erscheint ihm der Hinweis auf eine grundsätzliche Geringschätzung von Sicherheit und Frieden, vielmehr seien strittige Angelegenheiten oft mit Waffengewalt ausgetragen worden, was er in einem engen Zusammenhang mit der Hochschätzung kriegerischer Tugenden stellt (§§ 8, 9). Erst mit der beginnenden Formalisierung solcher gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Institution des Duells erkennt er Ansätze einer rechtlich geschützten Sicherheit des Hauses (§§ 10–14). Einen weiteren wichtigen Impuls zur Entwicklung des Hausfriedensverständnisses sieht er in der Gottesfriedensbewegung – durch welche die fragmentarischen Zusammenhänge von Schutzzeiten und -räumen für Personen deutlich ausgeweitet und verstetigt wurden – und in der Errichtung einer pax perpetua für alle nicht-waffentragenden Personen und für diejenigen Teile der Infrastruktur, die für den Lebensunterhalt aller von höchster Bedeutung waren und deren Zerstörung der Entwicklung nachhaltigen Schaden zugefügt hätte. Dazu zählt Beyer das Dorf, Mühlen sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen (§§ 15–19). Die Verräumlichung und Verstetigung ursprünglich zeitlich begrenzter Friedenszonen führt er auf den Einfluss des kanonischen Rechts zurück, das bereits alle sakralen Gebäude unter einen dauerhaften Schutz gestellt hatte. Anhand der Formulierungen und Wortwahl, mit denen Beyer die Funktion solcher Friedensräume erläutert, lässt sich der frühkameralistische Hintergrund seiner Argumentation erkennen. Denn hochmittelalterliche Dorfbewohner als cives zu bezeichnen, deren Produktivität „sustentatione omnium maxime necessaria“ sei, lässt die Debatten der politischen Ökonomie aufscheinen, die sich intensiv mit der Frage der Nützlichkeit, Produktivität, Landeswohlfahrt und Arbeit der Bürger auseinandersetzten.²⁰⁶

206 Vgl. hierzu Simon, Gute Policey, S. 431–440.

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Das Grundprinzip des Hausfriedens, in welchem das Haus als Wohn- und Wirtschaftsraum einer Familie als grundsätzlich rechtlich geschützt definiert wird, sieht Beyer erstmals in der Festsetzung des Burgfriedens. Dabei geht es ihm nicht um die Feststellung eines obrigkeitlichen Schutzes, vielmehr erläutert er die Entstehung aus den Verteidigungsstrategien einzelner Familien, die sich gegen überhand nehmende Fehden durch Verträge schützten. Interessanterweise gehört zu diesen Verträgen nicht nur die Verteidigung nach außen. Als viel wichtiger betrachtet Beyer die Herstellung von Eintracht im Inneren als entscheidendes Friedensmerkmal: Im Allgemeinen der Zufluchtsort der Frauen, Kinder und Güter, wie auch Refugium der Hausväter selbst. Weil die Tätigkeit die größte Bedeutung hatte, und es für die größte Gefahr gehalten wurde, wenn unter den Zusammenwohnenden Zwietracht ausbrach – nicht ohne sich auf die kluge Einsicht zu stützen, in dem Maße wie die germanischen Völker vor anderen damit versehen und geschickt waren –, deshalb befestigten sie mit Verträgen die Eintracht, und lockten mit der Hoffnung auf gegenseitigen Gewinn, um diese noch heiliger zu beachten [. . . ].²⁰⁷

Wenngleich Beyer hier zum ersten Mal einem räumlichen Ensemble aufgrund seiner Wichtigkeit für die Lebens- und Existenzbedingungen einer sozialen Gruppe eine herausgehobene Stellung eingeräumt sieht, bleiben dies doch nur Vorstufen eines „eigentlichen“ Hausfriedens. Dieser wurde Beyer zufolge erst als eine spätere Entwicklung in jenen einflussreichen Städten gesehen, deren Statuten auch überregionale Prägungskraft besaßen (§§ 20–23). Den entscheidenden Unterschied sieht er in der Androhung von Leib- und Todesstrafen in den prägenden Stadtrechten Kölns, Magdeburgs und Lübecks. Aufgrund der genossenschaftlichen Verfassung dieser Städte kam dem Haus eine eigene Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zu. Beyer zitiert diese elementare Änderung mit den Worten des Kölnischen Stadtrechts von 1437: „Denn ein Hausherr oder Hausmann soll in seinem Hause also frey seyn, als ein Kayser in seinem Lande.“²⁰⁸ Die Nichtberücksichtigung der securitas domestica durch die Reichsgesetze deutet Beyer als Ausdruck eines städtisch-kaiserlichen Konfliktes, da Stadtrechte lediglich als singuläre – zudem widerwillig gewährte –

207 [Commune uxore[!]m, liberorum & bonorum receptaculum, ipsorumque patrumfamilias refugium. Quod negotium maximi momenti, maximique periculi, si qua inter cohabitantes discordia orietur, non sine prudenti circumspectione, prout Germaniae gentes prae aliis providae & solertes erant, suscepisse, credendum est. Itaque pactis firmabant concordiam, & ad eam sanctius custodiendam non minus spe lucri se invicem alliciebant (. . . ).] Beyer, Violatione, § 19. 208 Ebd., § 24.

114 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Privilegien aufgefasst worden seien, nicht als Rechtsgrundsätze.²⁰⁹ Diese Sichtweise sieht er noch in Rechtskommentaren und juristischen Auseinandersetzungen mit dem Hausfrieden wirksam, die die römischen Injuriengesetze und die Frage der vis privata und vis publica durchdeklinierten, obwohl doch begrifflich nie die Rede vom Hausfrieden sei.²¹⁰ An dieser Stelle, die den Übergang zur Diskussion der eigentlichen Rechtsmaterie bildet, wird das neue Gesellschaftsmodell des ausgehenden 17. Jahrhunderts deutlich, das nicht mehr ständische Aspekte betont, sondern wie eingangs dargestellt den einzelnen cives mit seinen Pflichten und Rechten als Träger und Teilhaber der res publica bestimmten. Neben der Diskussion insbesondere der englischen und niederländischen Literatur boten hier die Reichsstädte mit ihrem spezifischen Eigentums- und Freiheitsbegriff konkrete Anknüpfungspunkte in der eigenen politischen und rechtlichen Kultur.²¹¹ In den folgenden 14 Kapiteln entfaltet Beyer folgerichtig eine Rechtstheorie des Hauses, die sich konsequent an den stadtrechtlichen Statuten orientiert. Das Haus erscheint dabei nicht so sehr als eine Form des Eigentums im engeren Sinne, sondern übergeordnet als ein rechtlicher Raum, der die Konvergenz des physischen Raumes Haus und dem sozialen Raum des oikos definiert. Er soll es den cives ermöglichen, ihr Eigentum wie auch ihre Freiheit und ihr Leben unbeeinträchtigt genießen zu können. In den Ausführungen zu den materia pacis, wie auch zu den violationes pacis und den remedia pacis geht er inhaltlich kaum über Gerdes hinaus – mit dem Unterschied der konsequent stadtrechtlich orientierten Rechtsquellenauswahl. Wie Gerdes verweist auch Beyer auf die Wechselwirkung von innerem und äußerem Frieden, der zugleich die Ambivalenz in der ethischen Ausweitung dieses Rechtsbegriffs aufruft.

Friedrich Gottlieb Struve: De pace domestica, 1713 Während Gerdes’ und Beyers Abhandlungen als gedruckte Dissertationen im Umfang von 16 bzw. 33 Seiten vorliegen und entsprechend kurz das Thema abhan-

209 „Quemadmodum enim urbium potentia Imperatori & Principibus ab eo tempore, quo istae in libertatem se vindicabant, suspecta semper & exosa fuit, ita leges permultae, eaeque alias optimae, quae privilegii rationem habebant, & civibus earum singularem praerogativam tribuebant, eo quidem modo ab Imperatoribus prope invitis confirmatae sunt, verum in legem Imperii Germanici universalem non transierunt.“ Ebd. § 26. 210 „Unde forte factum, ut interpretes hodierni pacis domesticae indolem peculiarem susque deque habeant, nisi qua ad leges de iniuriis & vi publica privataque deflectit, ubi vocabuli utplurimum, rarissime ipsius rei mentionem faciunt.“ Beyer, Violatione, § 26. 211 Vgl. hierzu die Beiträge in Koenigsberger/Müller-Luckner, Republiken.

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deln und keine feinere Binnengliederung aufweisen, hat Friedrich Gottlieb Struve (1676–1752) 1713 einen Traktat im Umfang von 100 Seiten vorgelegt, der eine sehr umfangreiche Strukturierung in Kapitel und Thesen aufweist. Die Arbeit stellt bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die einzige umfassende Abhandlung des Themas dar. Struve war zum Zeitpunkt der Abfassung Advokat am Hofgericht in Jena, nachdem er 1703 an der dortigen Universität zum Doktor der Rechte promoviert worden war. Er stammte aus einer Rechtsgelehrtenfamilie, sein Vater Georg Adam Struve war bis 1692 Professor in Jena und Verfasser zahlreicher Standardwerke. Sein Bruder Burkhard Gotthelf (1671–1738) war seit 1704 Professor in Jena für Geschichte und war bekannt für seine Perspektive einer konsequenten Historisierung gesellschaftlicher und insbesondere rechtlicher Verhältnisse. Friedrich selbst wurde nach verschiedenen Ämtern im juristisch-administrativen Bereich 1726 an die Universität zu Kiel berufen, wo er von 1728 bis 1752 als einziger ordentlicher Professor alle Aspekte der Jurisprudenz lehrte.²¹² Für die Abfassung dieses umfangreichen Traktates lässt sich kein unmittelbarer Anlass oder expliziter Auftrag feststellen. Er wurde 1713 veröffentlicht, wobei sowohl die Dissertation Beyers als auch eine Dissertation seines Vaters Georg Adam Struve zum Lehnsrecht ergänzend in den Druck eingefügt wurden. Die fundamenta pacis analysiert Struve sehr systematisch, eine historische Herleitung wie bei Beyer bleibt aus, wenngleich in den Begriffsdefinitionen durchaus historische Argumente erwähnt werden. Struve definiert Hausfrieden als „private Sicherheit“ und weist dabei zugleich auf den heterogenen Gebrauch des Begriffs Frieden hin. Einerseits seien damit „foedera“ zwischen kriegsberechtigen Fürsten gemeint, andererseits aber auch die Sicherheit (securitas) und Ruhe (quietas) des privaten Eigentums, die beide aber in einen übergreifenden göttlichen Frieden einzuordnen seien (I/2). Der deutsche Begriff sei laut Struve aus einer mangelnden sprachlichen Differenzierung in Anlehnung an den Landfrieden so definiert worden. Im Lateinischen dagegen sei er bezogen auf die domus, die sowohl verschiedene zivilrechtliche Aspekte bezeichnen könne als auch Angelegenheiten der Familie; er selbst gebrauche ihn aber ausschließlich als Bezeichnung eines Gebäudes. In Hinblick auf den Ursprung des Hausfriedens bezieht er sich ausführlich auf die Parallelität und Verflechtung von gesellschaftlicher und normativer Entwicklung, wobei er insbesondere die enge Verbindung zwischen Natur- und Völkerrecht auf der einen und den biblischen Geboten auf der anderen Seite betont. Der Hausfriede sei kein genuin rechtliches Phänomen, sondern ganz wesentlich in den gesellschaftlichen Wertvorstellungen gegründet, deren Basis er in der Nächs-

212 Vgl. Vollbehr/Weyl, Professoren, S. 56.

116 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert tenliebe und ihrer Ausbuchstabierung in der zweiten Tafel des Dekalogs angelegt sieht. So betont er ausdrücklich: Außerdem nämlich, da grundsätzlich die Liebe gegen den Nächsten das Fundament sei, um allen Frieden und Eintracht der Bürger zu erhalten, kann man sich demnach auch auf sie beziehen, um den häuslichen Frieden zu festigen. (. . . ) Wie nämlich jene Hausherrschaft, die dem Vater bzw. Herrn in seinem Hause zukommt, und die Gehorsamspflicht der Hausgenossen für einen allgemeinen Frieden in der häuslichen Gesellschaft im Vierten Gebot begründet liegt; so werden auch im Fünften Gebot das häusliche Leben; im Sechsten der Ehepartner; im Siebsten Vermögen und Eigentum; im Achten das Ansehen; im Neunten und Zehnten die Kinder, Gesinde und andere Sorgen und Pflichten im Hause gegen Beschädigung geschützt.²¹³

Entsprechend der Einbettung der Hausfriedensvorstellungen in den ganz elementaren Bereich gesellschaftlicher Konstitution, muss Struve feststellen, dass sich keine spezifischen Gesetze als höchste Bezugnahmen in reichsrechtlichen Bestimmungen zum Landfrieden als genuin rechtliche Fixierungen finden lassen. Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen definiert er konsequenterweise das ius domesticum, das er als „eine ganz natürliche Freiheit im Hause zu tun, was immer man will und nicht durch sein Wesen oder das Recht verboten ist“²¹⁴ versteht. Die sich in der Einführung andeutende ausgleichende und verbindende Ergänzung von römisch- und partikularrechtlichen Traditionen entfaltet sich in den Kapiteln, die sich der materia pacis widmen, noch deutlicher. Anders als Gerdes und Beyer untergliedert er diese in das subjectum pacis domesticae sowie drittens die eigentlichen materiellen Rechtsbestimmungen des Hausfriedens. Während er in den Kernaussagen inhaltlich kaum über die vorangegangenen Veröffentlichungen hinausgeht, zeichnet sich seine Argumentation durch eine differenzierte, detailbetonte Systematik aus, die sowohl Beyers Polemik als auch Gerdes’ Begründungsdefizite aufzufangen und aufzufüllen sucht. Im Hinblick auf den Gegenstand nennt er wie die anderen alle „privaten Häuser“ samt Apotheken, Schäferkarren, Zelten sowie Schiffen und schließt die Wirts- und Spielhäuser aus (Kap. 3). Zu den Personen, die den Hausfrieden genießen, gehören neben der Kernfamilie auch

213 [Praeterea enim, quod generaliter Amor erga proximum fundamentum sit omnis pacis & concordiae inter Cives servandae, ac proinde ad hanc etiam pacem domesticam stabiliendam referri queat; (. . . ) Uti enim imperium illud domesticum, quod patri vel hero in sua domo competit, & debitum domesticorum obsequium ad communem societatis domesticae pacem in Praecepto Quarto fundatur; Ita quoque in Praecepto Quinto, Vita domesticorum; in Sexto, Coniux; in Septimo fortunae & possessiones; in Octavo fama; in Nono & Decimo, liberi, servi & reliqua cura ac operae domesticae contra iniurias violantium muniuntur.] Struve, Tractatus, S. 10. 214 [. . . naturalis quaedam libertas agendi in domo quod quisque velit vi aut iure non prohibitus] Struve, Tractatus, S. 12.

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die Hausgenossen, was Struve durch eine längere Herleitung aus etymologischen Überlegungen zur familia anhand umfangreicher Decisionenliteratur als synonym setzt und mit deutschen Begriffen ausdifferenziert. Interessant ist gegenüber Beyer und Gerdes die Betonung der hausherrlichen Pflicht zur Aufrechterhaltung des Friedens zwischen den Hausgenossen wie auch gegenüber Außenstehenden.²¹⁵ Das korrespondiert sehr gut mit der Betonung der gesellschaftlichen Dimension in der Herleitung, immer wieder finden sich bei Struve solche Rückkoppelungen an den sozialkulturellen Kontext, die das engere Gebiet der Jurisprudenz verlassen. Das zeigt sich auch darin, dass er gleich nach der Auflistung aller Personenkreise auf die innere Friedewahrungspflicht eingeht – an sehr viel zentralerer Stelle als Gerdes und Beyer. Interessanterweise ist die Formulierung hier nicht auf die Hierarchie bezogen: Natürlich soll das Haus höchste Sicherheit genießen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wände, und sicherlich sind umso mehr die häuslichen Friedensstörer im Zaum zu halten als die, die von außen einbrechen, je weniger wir uns vor ihnen in Acht nehmen können. Von beiden Seiten, wem das Haus entweder durch Eigentumsrecht oder durch Miet- oder Gewohnheitsrecht ist, darf dem anderen keine Gewalt antun.²¹⁶

Die auffällige Hervorhebung des Hausvaters als häusliche Strafgewalt mag ein Hinweis darauf sein, dass Struve die Ambivalenz dieser Position als gleichzeitig friedensichernd und friedengefährdend durchaus bewusst war. Eine solche Lesart, die gleichwohl nicht zu explizit formuliert werden durfte, wird durch den Hinweis unterstützt, dass entflohene Leibeigene, Gesellen, Mönche und Bönhasen eigenmächtig in anderen Häusern gesucht werden dürften, eine entflohene Ehefrau aber nur nach richterlicher Genehmigung gesucht werden könne (III/6, 7). Er diskutiert die materiellen Rechtsgrundlagen größtenteils im Hinblick auf zahlreiche Einzelfragen und Detailaspekte, die sich mit der Frage nach den Einschränkungen des Hausrechts bei Haussuchungen im Prozess- und Schuldrecht auseinandersetzen und wesentlich darauf abzielen jene Umstände zu definieren, die das Haus als „privaten“, dem obrigkeitlichen Zugriff verschlossenen Raum charakterisieren. Diese Diskrepanz zwischen der Beschreibung sozialer Realitäten, normkultureller Prägungen und dem materiellen Recht bleibt bestehen und wird im folgenden Kapitel wieder aufgenommen.

215 „Et certe officium omnino heri est suos ab iunuiria defendere, atque pacem & tranquillitatum inter domesticos aeque atque extraneos pro viribus conservare.“ Struve, Tractatus, S. 26. 216 [Debet nimirum aedium plenissima esse securtias, tam intra parietes, quam extra, & certe eo magis coercendi sunt domestici pacis turbatores, quam qui extrinsicus inrumpunt, quo minus nobis ab iisdem cavere possumus.Hinc & ille, cum quo alteri domus vel iure proprietatis vel iure conductionis aut usus communis est, alteri vim non debet inferre.] Struve, Tractatus, S. 29.

118 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Bei der Diskussion der violationes pacis spielt die Frage der inneren Zwietracht und Gewalt eine erhebliche Rolle. Friedensbrüche, die nach Struve sowohl durch Worte – Drohungen und Beleidigungen – oder durch Taten geschehen können, werden zunächst aus der Binnenperspektive des Hauses geschildert. Verbale Friedensbrüche ereignen sich nach Struve dann, wenn durch Gerüchte und Verleumdungen Streitigkeiten zwischen den Familienmitgliedern und Hausgenossen ausgelöst werden (V/4). Im folgenden Kapitel, das sich den tätlichen Friedensbrüchen widmet, stehen Angriffe von außen im Zentrum, lediglich in der letzten These wird noch einmal darauf hingewiesen, dass alle Gewalt, die von Mitgliedern der häuslichen Gesellschaft verübt wird, als Pflichtvergessenheit des Hausvaters gewertet werden muss, da ihm die Friedewahrung obliegt.²¹⁷ Wichtiger als einen bereits gebrochenen Frieden zu konstatieren scheint es Struve zu sein, die Schutzmechanismen zur Wahrung des häuslichen Friedens stark zu machen, die remedia pacis. Kern dieses Kapitels sind in der Tat die innerhäuslichen Verhältnisse, die Friedewahrungspflicht des Hausvaters im Besonderen, aber auch aller Hausgenossen insgesamt (VI/1). Im Hinblick auf die Grenzen und Bezugsrahmen des Schutzes des Hausfriedens betont Struve die zentrale Bedeutung der Gewaltprävention, wenn er nicht nur die defensio des Hausfriedens, sondern vor allem das exercitium innerhalb des Hauses herausstreicht.²¹⁸ Ausgehend von der grundsätzlichen Zuständigkeit des Hausherren, die sich nach Struve aus dem biblisch begründeten Hausrecht ableitet, verweist er jedoch sogleich auf dessen Einschränkung durch Befugnisse des Magistrats, den Hausfrieden zu schützen, wenn dieser durch die disciplinam domus privatam gefährdet ist oder den Hausherrn selbst betrifft. In solchen Fällen muss der Magistrat aus einem übergeordneten gesellschaftlichen Interesse heraus, begründet auf seiner Pflicht zur Friedewahrung, einschreiten und den „Frieden gebieten“.²¹⁹ Nach diesen einleitenden Bemerkungen über das Verhältnis zwischen hausherrlicher und obrigkeitlicher Friedewahrungskompetenz folgen in 24 Thesen detailreiche Erörterungen zu prozess- und beweisrechtlichen Aspekten sowie Richtlinien zur

217 „Ex ratione scilicet tutelae domesticae, quam dominus vel herus ex offiio in aedibus observare & custodire debet; Unde si illud neglexerit, ipse ex culpa quadam imputativa propter neglectam disciplinam domesticam conveniri potest [. . . ] praesertim, si vis quaedam in domo ab ipsis domesticis fuerit facta, quippe quae sciente & connivente domino illata praesumitur.“ Struve, Tractatus, S. 73. 218 „Comprehendit haec tutela pacis domesticae totam domum cum suis limitibus ac terminis, intra quos exercitium & defensio illa pacis domesticae potest manuteneri [. . . ].“ Struve, Tractatus, S. 75. 219 „[. . . ] Imperium enim domesticum limites domus non egreditur arg. L.4.C.d.patr.pos. Unde extra hanc iurisdictio est penes competentem magistratum, qui ad securitatem aedibus praestandam peculiari foedere sociali est obstrictus.“ Ebd. S. 76.

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Erlegung des Strafmaßes. Von grundsätzlicherer Natur sind dabei vor allem der Hinweis auf die Injurienklage oder eine Klage auf Sachbeschädigung nach der „Lex Aquiliae“ sowie auf die ausdrückliche Betonung, dass Klagen bezüglich des Hausfriedens immer als außerordentlicher oder summarischer Prozess zu führen seien. Denn ein langwieriger Prozess würde den Hausvater von seinen Geschäften abhalten und im Falle einer familiären Auseinandersetzung die private wie öffentliche Ruhe stören.²²⁰ Die besondere Bedeutung der jeweiligen normativen, sozialen und politikkulturellen Gewohnheiten vor Ort greift Struve abschließend noch einmal auf, wenn er die habitationes als maßgebliche Leitlinie in zivilrechtlichen Verfahren hervorhebt, während in strafrechtlichen Aspekten natürlich die Regelungen der Reichsgesetze Vorrang genössen. Rekapituliert man Struves Traktat, so wird deutlich, dass er seine Abhandlung nicht nur weit systematischer bearbeitete, sondern in sehr viel stärkerem Maße als Gerdes und Beyer die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen mit einfließen ließ. In Struves Ausführungen wird das Bestreben deutlich, nicht mehr so sehr den Hausfrieden als juristisches Problem zu definieren und einzubinden, sondern die Möglichkeiten und Grenzen des Schutzes wie auch der Wiederherstellung des Hausfriedens mit juristischen Mitteln aufzuzeigen. Das lässt sich an der kontinuierlichen Spiegelung und Kontrastierung von juristischen Beschreibungsinstrumenten und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ablesen. Durch diesen Zugang tritt bei Struve im Gegensatz zu seinen beiden „Vorgängern“ auch das Bewusstsein hervor, dass Hausfrieden ein ambivalentes Konzept gewaltfreien Miteinanders darstellt, das nicht nur von außen, sondern auch von innen bedroht werden kann. Das hohe Gefährdungspotenzial, das er gerade im Zusammenleben der häuslichen Gemeinschaft sieht, thematisiert er immer zu Beginn seiner Kapitel, ausgehend von der Funktion des Hauses als Kern aller gesellschaftlichen Organisation. Gleichwohl kann auch er nur immer wieder konstatieren, dass sich gerade in diesen Fällen keine klare juristische Handlungsleitlinie definieren ließe, sondern die Konfliktlösung und Friedewahrung in hohem Maße von den jeweiligen Gewohnheiten abhängig sei. Mit seinem umfassenden Werk scheint Struve in gewisser Weise einen Schlusspunkt unter die juristische Fachdebatte um den generellen Charakter und die Einordnung des Hausfriedens gesetzt zu haben, denn nach der Veröffentlichung lassen sich nur zwei weitere Dissertationen ausfindig machen, die sich schwerpunktmäßig mit dem Hausfrieden auseinander setzen.

220 „Diutius enim non conventi morari in iudicio, ne aut per absentiam domesticorum obsequium & operae domino debitae retardentur, & cura rei familiaris intercidat, aut alias privata ac publica tranquillitas turbetur.“ Struve, Tractatus, S. 88.

120 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert In Straßburg erschien 1727 eine Dissertation, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Hausfrieden vor allem der Frage widmet, inwieweit der Ausdruck der „Heimsuche“ römisch-rechtlichen Kategorien entspräche. Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Fachdiskussion findet auf den 27 Seiten nicht statt.²²¹ Die Fokussierung auf Aspekte des Deliktes Hausfriedensbruch, die sich mit Gewalttätigkeiten von außen befassen, charakterisiert auch die drei Dissertationen seiner Schüler, die Karl Friedrich Walch (1734–1799)²²² 1772 in Jena veröffentlicht. Hier taucht der Hausfrieden als soziokulturelles Phänomen nur sehr pauschal in der Einleitung auf, die eigentlichen Abhandlungen beziehen sich auf die Sammlung zahlreicher partikularrechtlicher Nachweise zu verschiedenen instituta germanorum, die aber nicht systematisiert wurden.²²³ Diese Dissertationen sind sicherlich seinem Schwerpunkt in der römisch-germanischen Rechtsvergleichung ebenso zuzuordnen wie seinem Bestreben, ein für die Rechtsprechung handhabbares deutsches Bürgerliches Recht zu entwickeln;²²⁴ gleichwohl weisen die Dissertationen nicht den übergeordneten Bezugsrahmen zur Etablierung einer Rechtsordnung auf, wie dies offenbar mit Struves Traktat geschehen war. Gleichwohl ist die Bearbeitung des Themas durch Walch und seine Schüler ein wichtiges Bindeglied von den frühaufklärerischen Rechtsdebatten um die Stellung der germanischen Rechte im Lehrgebäude hin zu den Diskussionen, die eine stärkere Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen in den Territorien des Alten Reiches forderten und Grundlage der ersten Kodifikationsunternehmungen waren.

2.2.4 Fazit: Hausfrieden als Rechtssicherheit Betrachtet man die juristische Auseinandersetzung mit dem Hausfrieden im Alten Reich, bleiben zusammenfassend fünf Punkte zu notieren: 1. Der immer wieder markant hervortretende disparate Gebrauch von Begriffen zur Beschreibung des Tatbestandes resultiert aus den unterschiedlichen Rechtstraditionen, die seit dem frühen Mittelalter aufeinander treffen – dem

221 Bechtold, Heimsucha. Zur Straßburger Universität im frühen 18. Jahrhundert vgl. Vogler, Université, S. 154f. 222 Karl Friedrich Walch lehrte seit 1759 als ordentlicher Professor an der juristischen Fakultät der Universität Jena und war bekannt für seine Studien zur Erarbeitung der „Vorbereitungsgründe zu einer Teutschen bürgerlichen Rechtsgelahrtheit“, so der Titel seines breit rezipierten Werkes von 1757, der bereits seine Beschäftigung mit dem Verhältnis von römisch- und partikularrechtlichen Herkommen und Systematiken vorzeichnete. Vgl. Hamberger/Meusel, Teutschland, Bd. 8. 223 Walch, Singularia Instituta. 224 Zu Walchs Dissertationsbetreuung und vor allem zu seinen rechtspraktischen Tätigkeiten im Jenaer Schöppenstuhl vgl. Grochowina, Eigentum, S. 90–92.

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römischen Recht auf der einen, einheimischen Rechtsgewohnheiten auf der anderen Seite. Während im römischen Recht das gewaltsame Eindringen in den Wohnbereich unter den Injurienklagen abgehandelt wird und nicht mit einer dezidierten Friedensbegrifflichkeit verknüpft ist, tritt es in den „germanischen“ Rechten als spezifischer Teil eines Friedens auf, der als Schutz und Sicherheit durch eine Rechtsordnung verstanden wird. Erst mit dem Einfluss klerikaler Kompilatoren kommt der lateinische Begriff pax in Gebrauch, mit dem die mündlichen Rechtstraditionen fixiert werden. Dieses Schwanken zwischen den verschiedenen Rechtsquellen einerseits und der Diskrepanz zwischen mündlicher Rechtspraxis und gelehrter Schriftkultur andererseits pflanzt sich in der Frühen Neuzeit fort. Das zeigt sich besonders deutlich in der Zweisprachigkeit, wenn unterschiedliche lateinische Begriffe mit einem „vulgo Hausfrieden“ ergänzt werden. Diese Diskrepanz war offenbar Motivation für einige wenige, aber nicht unbedeutende Juristen im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert über den Hausfrieden eine rechtliche Definition des Hauses zu wagen, zumal der Hausfrieden im Lichte der neuen Methoden den Abgleich der oben beschriebenen Diskrepanzen in geradezu idealtypischer Weise herausforderte. Diese Auseinandersetzung fällt aber gerade in eine Zeit, als sich durch den Einfluss des jüngeren Naturrechts die grundlegenden Vorstellungen über das Verhältnis von Staat zum Individuum immer weiter vom Haus als intermediärer Institution entfernen, so dass die enge Verknüpfung vom Frieden des Hauses mit dem inneren Frieden des Gemeinwesens nicht mehr als notwendiges Konstrukt erscheint. Insbesondere in den Dissertationen wurde deutlich, dass den Verfassern sehr wohl bewusst war, dass der Hausfrieden ein weit umfassenderes Phänomen ist als das, was sich juristisch beschreiben lässt. Die immer wiederkehrende Betonung der Harmonie im Inneren als wesentliche Voraussetzung und Hauptgefahr für die Friedensstörung verweisen auf das Bewusstsein, dass die juristisch greifbaren Aspekte notwendigerweise unvollkommen bleiben müssen. Gleichermaßen deutlich trat der enge Zusammenhang der Ausbildung von Hausfriedensvorstellungen in dieser konkreten Friedensbegrifflichkeit mit der in den Städten entstehenden Rechtskultur und Friedensverständnis hervor. Eine Angleichung der ländlichen Gemeinden scheint erst durch die Landrechtsreformen des 16. Jahrhunderts und die Reformation mit ihrer sozialethischen Füllung des Begriffs erfolgt zu sein. Die offensichtliche Diskrepanz der Thematisierung und Problematisierung des Hausfriedens zwischen gelehrtem akademischen Recht und praktischer Jurisdiktion ist bereits öfter angesprochen worden. Die fehlenden Verbin-

122 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert dungen sind hier sicherlich in derjenigen Literatur zu suchen, die aus der Praxis für die Praxis verfasst wurde, wie etwa der „Kleine Struve“, Carpzovs Standardwerke und die Vielzahl der Decisionenliteratur. Hier tauchte der Begriff wie gesehen als selbstverständlicher Teil des Rechtslebens auf, blieb aber erstaunlich wenig unterfüttert. Auch ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse bietet hier wenig Aufschluss, da sie zumeist nur den Titel der Veranstaltung nennen. So las etwa Karl Friedrich Walch in den Semestern 1787/1788 Rechtsgeschichte nach seinem Buch und die „streitigen Rechte“,²²⁵ aber inwiefern er dabei auf den Hausfrieden einging, ist nicht zu erfahren. Ähnliches gilt etwa für Königsberg²²⁶ oder auch Helmstedt. Diese Befunde machen deutlich, dass der juristische Diskurs für sich genommen wenig aussagt und in die übergeordneten gesellschaftstheoretischen Debatten sowie die Rechtspraxis eingebettet werden muss. Die Rechtskodifikationen, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden, griffen die Problematik des Hausfriedens auf, wenngleich die Begrifflichkeiten nicht übernommen wurden. So verhandelt das „Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten“ von 1794 den Hausfriedensbruch bei den Privatverbrechen unter dem Titel „Verletzung des Hausrechts“; ebenso im „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch“ von 1803 in Österreich.²²⁷ Erst mit dem Württembergischen Gesetzbuch von 1839 wird der Begriff „Hausfrieden“ erstmals in einem positiven Gesetzestext verwandt und setzte sich im juristischen Rahmen mit der Aufnahme in das Strafgesetzesbuch des Norddeutschen Bundes von 1870 durch.²²⁸

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert Die Normen eines „häuslichen Friedens“ spiegelten sich für die Zeit um 1700 vor allem in einer prägnanten juristischen Debatte wider. Dies hing – wie bereits erläutert – mit einem sich verändernden Interesse seitens der obrigkeitlichen Politikberater und Experten zusammen. Die Suche nach einer „vernünftigen“ Stabilisierung und Steigerung der territorialen Einkünfte stand in engem Zusammenhang mit

225 Neuper, Vorlesungsangebot, S. 234–242; zum juristischen Vorlesungsbetrieb in Jena vgl. Lingelbach, Jurisprudenz, S. 76–81. 226 Oberhausen/Pozzo, Vorlesungsverzeichnisse, Bd. II. 227 ALR II/20, §§ 525–532. Vgl. auch Kannowski, Art. Hausfrieden, Sp. 805; Trabandt, Hausfrieden, S. 141–143. 228 Vgl. dazu Trabandt, Hausfrieden, S. 150–152, 172f.

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einer Auseinandersetzung und Adaption eines „Staats“-Konzepts, das eine eigene, von der Dynastie des herrschenden Fürsten unabhängige „Raison“ aufwies, deren Kern wiederum in einer von dessen Haus- und Hofwirtschaft unabhängigen Finanzverwaltung lag. Analysen dieser neuen praktisch orientierten Verwaltungswissenschaft hatten als „Politische Ökonomie“ oder „Kameralwissenschaften“ publizistisch und universitär große Konjunktur seit den 1730er-Jahren. Das neue Interesse am häuslichen Leben erwuchs hier in erster Linie aus dem Problem, das „staatlicherseits“ dringende Bedürfnis einer verlässlichen Sicherstellung von funktionierenden häuslichen Ökonomien zu befriedigen waren. Die Beförderung der staatlichen Wohlfahrt sei, so lautete das Credo dieser Vordenker, vor allem durch eine Beförderung der häuslichen Ökonomien und der Steigerung der Produktion zu ermöglichen. Das Haus als moralische Institution war dabei nur insofern von Interesse, als dessen Sozialisationsleistung durch Erziehung und Ausbildung die Heranbildung der neuen, kommenden Generationen im Sinne der wirtschaftlichen Nützlichkeit sicherstellen sollte. Die theologischen Konzepte häuslicher Ethik waren durch die zunächst stark verwaltungstechnisch-administrativen Kontexte der frühen Aufklärung kaum betroffen, so dass hier wenig Notwendigkeit einer Neuformulierung bestand – was sich sinnfällig in der großen Menge an Nachdrucken und Neuauflagen der Schriften des 17. Jahrhunderts zeigte. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte auch in der Theologie bzw. in der praktischen Seelsorge und Frömmigkeitspraxis ein Umschwung ein. Charakteristisch für die Konjunkturen des Hauses im 18. Jahrhundert war die erneuerte Zentralität als Kern ökonomischer Prosperität und Nützlichkeit einerseits und Hort der vernünftigen Moralität des Herzens und der Geselligkeit andererseits, deren innerer Zusammenhang vor allem in den neuen periodischen Medien der Moralischen Wochenschriften und Journale verhandelt wurde. Hier lässt sich keine klare Trennung nach bestimmten Herkunftsdiskursen treffen, die Verankerung häuslicher „Glückseligkeit“ in der säkularen Verantwortung jeden Bürgers führte zu einer Verflüssigung und Verflechtung der Diskurse, die gerade auf die Vereinbarkeit von ökonomischer Nützlichkeit und moralischer Friedensund Harmonieutopie zielte. Im Folgenden soll daher zunächst auf die Entwicklung in der für den die vorherigen Jahrhunderte bestimmenden Deutungsmarkt der religiösen Literatur eingegangen werden. Daran anschließend erfolgt die Analyse jener Prozesse, mit denen sich die juristischen Semantiken des Hausfriedens in die politisch-ökonomischen Diskurse des 18. Jahrhunderts einschrieben. Auf dieser Basis werden dann die in den Zeitschriften und Journalen geführten Diskurse näher betrachtet und auf die Funktion des Friedensbegriffs im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Nützlichkeit und Glückseligkeit im Hause hin überprüft.

124 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert 2.3.1 Religiöse Literatur Mit der Thematisierung der Sittlichkeit, der individuellen Tugendbildung und der Ethisierung des Alltags lagen die Beiträge in den Moralischen Wochenschriften gar nicht weit entfernt von theologisch zu verortender Sittlichkeits- und Frömmigkeitsliteratur – wie am Beispiel Gottschedsn zu sehen ist. Zwar wurde eine explizite religiöse Themenwahl von den Autoren abgelehnt, jedoch hatte die literarische Präsentation moralischer Stoffe nachhaltige Wirkung auf die protestantische Predigtkunst des 18. Jahrhunderts.²²⁹ Die Erneuerung der Homiletik vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte ist auch als ein Reflex auf die zunehmende Subjektivierung der Religiosität und Frömmigkeitspraxis zu sehen, die mit einer stärkeren Unterscheidung zwischen individueller Frömmigkeit und wissenschaftlicher Theologie korrespondierte und bereits in der Andachtsliteratur des späteren 17. Jahrhunderts angelegt war. Unter dem Einfluss von Pietismus und Aufklärung verstärkten sich diese Tendenzen im 18. Jahrhundert sogar.²³⁰ Das gesteigerte Interesse an der Homiletik entsprang auch der Erkenntnis des zurückgehenden Einflusses und der geringer werdenden Bedeutung theologischer Deutungsangebote. Der Predigtkunst sprach man eine besondere Bedeutung in der Vermittlung von biblischer Überlieferung, kirchlicher Lehre und dem Vorbildcharakter des Leben Jesu für die Tugend- und Sittenbildung im Kontext der religiösen Erfahrung der Zuhörer zu.²³¹ Die Ausrichtung auf die Veranschaulichung der lebenspraktischen Relevanz religiöser und theologischer Inhalte und damit eine Aufwertung der Pastoraltheologie stand in der Tradition des seit der Mitte des 17. Jahrhunderts spürbaren Bestrebens, die auf übergreifende Ordnungen abzielende konfessionelle Zuspitzung und die daraus resultierende institutionelle Normierung der Sozialethik zugunsten einer erfahrungsbasierten, subjektivierten Frömmigkeit zu überwinden. Diese Tendenzen lassen sich innerprotestantisch sowohl bei Theologen finden, die eher der Orthodoxie zuzurechnen waren wie auch bei jenen, die als exponierte Vertreter einer wie auch immer „aufgeklärten“ Theologie galten. So haben es sowohl die kirchenund ideenhistorische Forschung als auch Studien zur Frömmigkeitsgeschichte herausgearbeitet.²³² Im Hinblick auf die Entwicklung innerhalb des Katholizismus im 18. Jahrhundert hingegen lassen sich eher Forschungslücken konstatieren. Der Problemkreis „Aufklärung und Katholizismus“ bzw. „katholische Aufklärung“ wird zumeist auf der Ebene kircheninstitutioneller Fragen nach Staatskirchentum und Episkopalismus abgehandelt. In Bezug auf Religiosität und Frömmigkeitspraktiken

229 Straßberger, Gottsched, S. 33–62, 126–130; Ball, Küsse, S. 42–44. 230 Vgl. Beutel, Frömmigkeitskulturen, Sp. 57. 231 Beutel, Kirchengeschichte, S. 23; Böning, Genese, S. XL–XLIII. 232 Vgl. hierzu jüngst zusammenfassend Beutel, Kirchengeschichte, S. 24–28.

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sehen die vorhandenen Studien ein bruchloses Fortwirken der nachtridentinischen „Barockfrömmigkeit“ bis in das beginnende 19. Jahrhundert.²³³ Der starke ordnungspolitische Fokus, der die Eheliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts geprägt hatte und ganz wesentlich auf die soziale Ordnung insgesamt ausgerichtet war, wurde nun eher zur Frage der inneren Ordnung von Ehe und Haus – als Problem des Umganges von Mann und Frau, aber auch der Generationen miteinander. So trat die bereits im 15. Jahrhundert vorgefundene enge Verbindung von individuellem Seelenfrieden und einer mit Leben erfüllten kirchlichen Lehre stärker hervor, wenn auch unter den gewandelten Vorzeichen einer stärker subjektorientierten Erfahrungsreligiosität. Diese Entwicklungen hatten wiederum Rückwirkungen auf die Funktionalisierung einer theologischen Friedensemantik, zumal für die Vermittlung von Symmetrie und Hierarchie in den ehelichen und häuslichen Beziehungen. War sie schon in den pietistischen Schriften und Hochzeitspredigten geschärft hervorgetreten, da der Frage der „Rechtgläubigkeit“ für die Gültigkeit der Gehorsamspflicht eine zugespitzte Bedeutung zukam,²³⁴ wurde die Vermittlungsleistung in der theologischen Gebrauchsliteratur im 18. Jahrhundert sehr deutlich. Gerade für das letzte Viertel des Jahrhunderts lässt sich eine „theologische Gegenoffensive“²³⁵ erkennen, die sich nicht nur in publizistischen Schlammschlachten von aufklärerischen und gegenaufklärerischen Theologen erschöpfte, sondern zunehmend als Medium genutzt wurde, um „Marktanteile“ für religiöse Aspekte zu sichern. Neben spezifischen theologischen Fachzeitschriften, die sich explizit der Predigt als Medium widmeten, erschienen nun auch zahlreiche Erbauungsbücher und Schriften für die „häusliche Andacht“.²³⁶ Zwar erschienen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch Neuauflagen bewährter „Klassiker“ wie Habermanns Gebetbuch mit der Haustafel Mathesius’ – auch in amerikanischen Neuauflagen speziell für deutsche Auswanderer. Aber auch „neue“ Literatur verkaufte sich gut: Zu den meist verkauften Werken zählten Carl Friedrich Lohdius’ „Christliches Tagebuch zur häuslichen Erbauung“ von 1772, die „Predigten über die zehen Gebote“ von 1781, Raymund Dapps „Predigtbuch für christliche Landleute“ von 1788, des Pädagogen Johann Peter Hundeikers „Häusliche Gottesverehrung für christliche Familien“ von 1788 und Rambachs „Predigten über die sonn- und festtäglichen Evangelia zur häuslichen Erbauung“ von 1796. Inwieweit diese Fest-

233 Holzem, Familie, S. 243–247; Forster, Devotions, S. 110f.; Moser-Rath, Familienleben, S. 54; Gleichwohl gab es innerkatholische Differenzen um die Ausprägung dieser Frömmigkeit, die sich aber wesentlich am jesuitischen Hegemonialanspruch zu entzünden schien. Niklarz, „Tochter Sion“, S. 176f. 234 Gleixner, Ordnung, S. 153, 162–164. 235 Böning, Presse, S. 280–283. 236 Graf, Zeitschriften, S. 358–361.

126 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert stellung quantifizierbar ist und für die theologisch motivierte Thematisierung von „Haus“ und „Familie“ im 18. Jahrhundert als charakteristisch angesehen werden kann, muss aufgrund fehlender Grundlagenforschung zunächst einmal im Raum stehen bleiben.²³⁷ Aufgrund dieser starken Gleichzeitigkeit und Vielfalt von religiöser Literatur ist also gerade für den Bereich des häuslichen Lebens eine große Kontinuität anzunehmen, zumal sich hier nach wie vor die Kohärenz von kirchlicher Lehre, individueller Glaubensgestaltung und sozialer Praxis vor Ort und Tag für Tag erweisen musste.²³⁸ Ähnlich wie bei den Neufassungen der nun meist territorial ausgerichteten Katechismen²³⁹ können diese Werke als Neubearbeitungen der tradierten Ehelehren angesehen werden, wobei die Kernaussagen erhalten blieben, aber ein zeitgemäßes didaktisches, rhetorisches und semantisches Gewand erhielten. Es wird zu zeigen sein, inwiefern dies gerade für den Friedensbegriff als performatives Ordnungs- und Strukturierungselement galt. Der lüneburgische Pastor und Senior Christian Christoph Langhans (1739– 1816) schrieb 1775 in seinen „Heylsamen Betrachtungen“ zur Ehe für den zweiten Sonntag nach Epiphanias, dass sich „Einigkeit und gehörige Ordnung“ nicht von selbst einstellten, sondern durch Liebe, Einigkeit und Eintracht immer wieder neu befestigt werden müssten, sollten sich nicht Hader, Zank, Zwietracht und Neid einstellen. Wenngleich er nicht auf den Friedensbegriff rekurrierte, ist dieser aber in seiner althergebrachten Semantik greifbar; ebenso wie in seinen Ausführungen zum „Glück einer tugendhaften Familie“, deren harmonisches Miteinander semantisch ganz eng an den Freundschafts-, Glückseligkeits- und Friedensbegriffen angelehnt ist, ohne jedoch den Frieden explizit zu nennen.²⁴⁰ Ein beißender Verriss in der in Jena erscheinenden „Allgemeinen Literatur-Zeitung“, der das Werk für „ordnungsloses, durchaus seichtes Gewäsch“ hielt und dem Verfasser eine „trübselige Ignoranz in der Exegese“²⁴¹ bescheinigte, erschien erst anlässlich der Neuauflage 1795 und spiegelte offenbar nicht den allgemeinen Konsens wieder. Er macht aber den Wandel in den dazwischen liegenden Jahren hinsichtlich der handwerklichen Erfordernisse deutlich. Auch in den in Wien gedruckten katholischen

237 Vgl. etwa Mohr, Erbauungsliteratur, S. 63–65; Böning, Genese, S. XXXIX–XLI. 238 So schreibt Lohdius im Vorwort zu seinem „Christlichen Tagebuch“: Wir [. . . ] wollen uns gar nicht entschuldigen, daß durch dieses neue Andachtsbuch die Zahl der schon vorhandenen Schriften dieser art ist vermehrt worden. Denn daß solche Bücher immer für einen großen Theil der Christen Bedürfniß bleiben, daß sie häufig gesucht und gebraucht werden, das beweist auch unser Buch, von dem wir schon bey dem Schlusse des ersten Theils kein Exemplar mehr übrig haben.“ Lohdius, Tagebuch, S. IIIf. 239 Schneider-Ludorff, Aktualisierung, S. 210–214. 240 Langhans, Betrachtungen, Bd. I, S. 217 und Bd. II; S. 378f. 241 Beide Zitate aus „Allgemeine Literatur-Zeitung“, Bd. 3 (1797), Nr. 250, S. 349–351.

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„Sieben Predigten zum Nutzen des Landmannes“ wird in der ersten Predigt über die „Einigkeit in der Ehe“ gesprochen. Wenngleich eine explizite Friedensnennung ausbleibt, ist sie doch geprägt von einer erfahrungsbasierten Aufzählung von Konfliktfeldern, von charakterlichen und emotionalen Voraussetzungen und späten Herausforderungen, die Generationen- und Geschlechterkonflikte verweben, wie etwa der Umgang mit pflegebedürftigen (Schwieger-)Eltern im Haus.²⁴² Wenige Jahre vor dem Erstdruck hatte der brandenburgische Inspektor und Pastor Johann Joachim Lachmann mehrere Entwürfe für Amtsreden veröffentlicht, auch für Hochzeiten. Darin heißt es über die „eigenthümliche Glückseligkeit des Ehestandes“: Inwiefern sich aber das männliche Geschlecht höhere Einsichten, und eine größere Stärke des Geistes beimisset, und aus diesem Grunde ein Vorzugsrecht in der Regierung der Familie zu behaupten verlangt, insofern wird es nun auch die eigenthümliche Pflicht des Mannes seyn, für Harmonie und Eintracht in der Ehe zu sorgen und nach der vorzüglichen Klugheit, welche er zu besitzen glaubt, alles zu verhüten, was übrigens die gute Ordnung und den Frieden des Hauses stören könnte.²⁴³

Häuslicher Frieden tritt hier ganz deutlich in den Zusammenhängen hervor, die aus den Moralischen Wochenschriften und Journalen bereits bekannt waren und die wesentlich auf der atmosphärischen Steuerung des Haus- und Familienlebens basierten. Der Text orientierte sich stark an deren gefühlsbetonten Schilderungen familiärer Alltagsszenen. Das war auch dem Rezensenten aufgefallen, der sich über den demonstrativen Gestus der Empfindsamkeit mokiert und meint, so was philosophisch und schön gesagt seyn sollendes hört und liest man allenfalls einmal, wenn man’s hören oder lesen muss (viel Standes- und Nicht- Standespersohnen verstehen es wohl nicht einmal, weil es nicht in ihrer Sprache geredet ist) [. . . ] Keiner muss es in geistlichen Amtsreden nachahmen. Denn dergleichen süße Thrien (!) eines neologischen Trauredners sind nicht um ein Haar leidlicher als die für sinnreich geachteten Wortspiele und paränetischen Gemeinsprüche, welche unsere Väter bei dieser Gelegenheit anbrachten. Unser Tadel trift bloß die gezierte Einkleidung vieler Reden [. . . ], den Unterricht selbst, den er den Ehegatten über ihre Pflichter ertheilt, wird jedermann mit uns billigen.²⁴⁴

Neben dem Hinweis auf den innertheologischen Richtungsstreit ist im Hinblick auf Alltagspraktiken die Kritik der Verständlichkeit und der Angemessenheit des sprachlichen Ausdrucks von Bedeutung. Denn offensichtlich sieht der Verfasser nur ein sehr begrenztes Publikum, das für eine Rhetorik der Empfindsamkeit aufge-

242 Sieben Predigten, S. 2–18. 243 Lachmann, Pflichten, S. 129f. 244 „Allgemeine Deutsche Bibliothek“, Bd. 27 (1792), 1. Stck, S. 107.

128 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert schlossen genug ist, um solche Amtsreden voll verinnerlichen zu können. Bedenkt man sein Lob der Pflichtenlehre Lachmanns, kann man daraus schließen, dass die hergebrachte Friedenssemantik als Signifikat häuslicher Ordnung noch sehr viel besser an das Vorwissen der Adressaten anschließt und gebraucht werden soll. Das verweist aber auch darauf, dass die aus der Haus- und Ehekatechese bekannte Friedenssemantik geeignet sein konnte, die empfindsame Ehesemantik in die hergebrachte Semantik des häuslichen Friedens einzubetten und so zu etablieren. So formulierte der Pädagoge Johann Peter Hundeiker (1751–1836) in seinem Bestseller „Häusliche Gottesverehrung für christliche Familien“ als Morgengebet bei Wochenbeginn eine Bitte um „Förderung der häuslichen Glückseligkeit. Mache uns endlich [. . . ] zu einer solchen Familie, worin wahrhaftig liebreiche Gesinnung und christliche Eintracht herrschet“,²⁴⁵ während für den Abend des letzten Werktages eine „Sehnsucht nach familiärer Glückseligkeit“ erscheint: Erhöre die dir geweihten, bittenden Gefühle und Regungen ihres Herzens, daß auch sie thun, was an ihnen ist, mir die Ausübung meiner Pflichten nicht zu erschweren, sondern zu erleichtern. Friede und herrliche Liebe sey immer unter uns; [. . . ] Erhöre dies dir bekannte Fleehen, und bring uns alle zum Genuß stiller, bescheidener Familienglückseligkeit.²⁴⁶

Die Gefühlsbetonung speist sich zu einem wesentlichen Teil aus der Gattung der Andachts- und Erbauungsliteratur, die ja gezielt auf eine emotionalisierte, affektive und erfahrungsbasierte Form der Frömmigkeit zielte. Aber auch in der „neuen“ Predigtkunst versuchte man beide Aspekte miteinander zu verbinden, wie das Beispiel der Predigtsammlung des Gießener Stadtpredigers Justus Balthasar Müller zeigt. In seinen „Predigten über die ganze christliche Moral“, die von 1788 bis 1794 in acht Bänden erschienen, thematisierte er den Frieden aus unterschiedlichen Perspektiven. Der fünfte Band von 1790 widmet sich ganz ausführlich der Friedensthematik, wenngleich nicht aus der Perspektive des häuslichen Ordnungserhalts, sondern zur Diskussion dieser grundsätzlichen, christlichen Handlungsorientierung. Gleichwohl erscheint hier der häusliche Kontext immer wieder als zentrale Folie, um mögliche Konsequenzen vor Augen zu führen: Es ist im Kleinen wie im Großen. Durch häusliche Eintracht und Frieden werden Familien gebaut, erhalten, beglückt, wie durch den öffentlichen ganze Provinzen: und Uneinigkeit, Hader und Zank im Hauswesen raubt den einzelnen Gesellschaften ebenso Ruhe, Freude und Segen, wie die Verheerungen des Krieges den Völkern. Seine nächsten Folgen sind immer äußeres und inneres, leibliches und sittliches Verderben.²⁴⁷

245 Hundeiker, Gottesverehrung, S. 31. 246 Ebd., S. 248. 247 Müller, Predigten, Bd. 5, S. 122.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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Im achten Band werden die Pflichten der häuslichen Stände im aristotelischen Sinne diskutiert, also die Verhaltensnormen der Eheleute untereinander, zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen Herrschaft und Gesinde – allerdings getrennt voneinander, nicht als häusliche Einheit verstanden. In den Ausführungen rekurrierte Müller in beinahe beschwörender Weise auf die Friedenssemantik, die hier als Ideal menschlicher Beziehungsformen auftaucht: Sie [die verständige Person, ISV] wird Liebe, Frieden und Eintracht, diese großen Stützen der ehelichen Glückseligkeit, stets zu erhalten suchen. . . ; Ihre [lasterhafte Personen, ISV] hindern die Glückseligkeit, den Frieden, die Ruhe, die Eintracht, die doch so nötig ist, wenn man in einer lebenslangen Verbindung zufrieden leben will.; Betrachte ihren [der glücklich verheirateten Freunde, ISV] Charakter, ihr liebreiches Betragen gegen einander, ihre Bemühung sich einander gefällig zu erweisen, ihren Fleiß in jeder christlichen und häuslichen Tugend, ihre gemeinschaftliche Andacht, ihre christliche Kinderzucht, ihren Frieden, ihre Eintracht, ihre Ordnung in allen ihren Geschäften.²⁴⁸

Wenngleich diese geschriebenen Predigten bereits unter dem Eindruck der Ordnungsauflösungen im Zuge der Französischen Revolution stehen, lassen sie doch eine intensive Verschränkung von hergebrachten häuslichen Friedensmodellen, die auf eine strenge, hierarchische Ordnung abzielen, mit jenen gefühls- und erfahrungsbetonten Schilderungen des familiären Innenlebens und ihrer spezifischen Semantik der Empfindsamkeit erkennen. Vielleicht ist es gerade diese Verbindung des aktuellen mit dem traditionellen, auf Ordnung und Stabilität abzielenden Hausverständnisses, welches die Erwartungen und Hoffnungen auf das „Haus“ als ordnungserhaltender Einheit in den Jahren und Jahrzehnten nach der Revolution auch rhetorisch so attraktiv machte. Müller gründete 1800 eine eigene theologische Zeitschrift, die sich speziell der Homiletik und Katechetik widmete. Beides stand in engem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Marburger Superintendent und Konsistorialrat, durch die er leitende Funktionen in der Landeskirche Hessen-Darmstadts innehatte.²⁴⁹ Ganz intensiv wurde die Friedlichkeit in Haus und Familie in den Werken zweier weiterer theologischer Vielschreiber und Massenproduzenten aufgegriffen. Raymund Dapp (1744–1819), ein brandenburgischer Prediger, der durch seine zahlreichen Publikationen für die ländliche Bevölkerung bekannt war,²⁵⁰ gab 1788 auch ein „Predigtbuch für christliche Landleute zur häuslichen Andacht“ heraus, das mehrere Neuauflagen erlebte. Seine Predigtsammlungen wurden sogar für „Katholiken eingerichtet“, was auf die überkonfessionelle Anschlussfähigkeit der 248 Müller, Predigten, Bd. 8, S. 8, 10, 15. 249 Vgl. hierzu Hamberger/Meusel, Teutschland, Bd. 5, 1797, S. 246. Zur kritischen politischen Lage im Zeitraum von Müllers Veröffentlichungen vgl. Vogel, Hessen-Darmstadt, S. 78–108. 250 Hamberger/Meusel, Teutschland, Bd. 2.

130 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Predigten im 18. Jahrhundert hinweist. Wie anschlussfähig sie waren, zeigt das Beispiel des bayerischen Seelsorgers und Pfarrers Franz Xaver Mayer, der Dapps Predigt für den zweiten Sonntag nach Epiphanias über Joh. 2, 1–11 (die Hochzeit von Cana) wörtlich für seine Predigt „Von bösen und guten Ehen“ übernahm. Auch Mayer hatte sich auf das Predigtschreiben für die ländliche Bevölkerung spezialisiert und arbeitet in diesem Kontext eng mit dem geschäftstüchtigen Münchner Verleger Strobel zusammen, der immer wieder neue Auflagen und Kompendien auf den Markt brachte.²⁵¹ Im Folgenden wird aus Mayers Druck von 1797 zitiert. In diesem Lehrstück, „wie man eine glückliche und vergnügte Ehe führen könne“ wird ausgeführt, was zu einer guten Ehe erforderlich sei, nämlich „treue aufrechte Liebe, Einsicht zu verständiger Regierung des Hauswesens und zu christlicher Kinderzucht, Geschicklichkeit und Liebe zu nützlichen Arbeiten, und Neigung zu friedfertiger Verträglichkeit und Einigkeit.“ Diese Eigenschaften erwerbe man sich aber nicht am Tage der Hochzeit, so Mayer/Dapp, sondern sie müssten von frühester Kindheit an eingeübt werden. Deshalb sollten Kinder neben der Erlernung praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten vor allem „gegen ihre Hausgenossen und alle Leute friedlich, gefällig, nachgebend seyn, und vor allen Dingen Gott und sein Wort lieben.“²⁵² Diese Erfordernisse hätten ganz praktische Konsequenzen für die Partnerwahl, denn man solle eine Person erwählen, die „verständig, ordentlich, arbeitsam, friedliebend und gottselig“ sei. Wenn eine „friedliche“ Person eine andere dieser Art geheiratet habe, so sei „Unordnung, Unreinlichkeit, Müßiggang, Verschwendung, Zank aus ihrem Hause verbannt“, dann lebten sie mit ihren Nachbarn „friedlich“ und schließlich – nach einer langen Aufzählung zahlreicher friedfertiger Verhaltensweisen, „haben [sie] dann auch in ihrem eigenen Hause Ruhe und Frieden.²⁵³ Dieser intensiven Wiederholung der Friedensbegrifflichkeit für die Darstellung der guten Ehe entspricht eine Semantik der Untugenden, die von falscher Heirat aus Eigensinn oder Begierde über Liederlichkeit, Faulheit und Verschwendung bis zum ungebührlichen Verhalten gegenüber den Hausgenossen reichen. Auch hier wird wieder Bezug auf den Frieden genommen: Dahin gehören auch Unverträglichkeit und übertriebene Strenge gegen des (!) Gesinde, Unfriede mit Freunden und Nachbarn, Ungehorsam gegen die Obrigkeit und Vorgesetzte, Unredlichkeiten und Betrug gegen den Nebenmenschen, Geringschätzung Gottes und der heiligen Religion, weil daraus unzählige Uebel herkommen, die den Frieden der Eheleute stören, sie in Schande und Schaden bringen.²⁵⁴

251 252 253 254

Hamberger/Meusel, Teutschland, Bd. 5. Mayer, Predigten, S. 149–152. Ebd., S. 152–155. Ebd., S. 163.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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Der Bezug zum „Hausfrieden“ als stabilisierendes Ordnungselement wird noch verstärkt dadurch, dass in der Predigt am darauffolgenden Sonntag über den Gesindedienst die Pflichterfüllung im Zentrum steht, wenngleich die Begriffe Friede oder Friedfertigkeit nicht explizit genannt werden. Neben den „klassischen“ religiösen Textgattungen entstanden im 18. Jahrhundert auch Schriften, die eher an eine Adaption der früheren Hausstandsliteratur unter den Voraussetzungen des 18. Jahrhunderts erinnern. Obwohl von Theologen verfasst, weisen sie große Analogien zu den literarischen Schilderungen von „Häuslichkeit“ auf. Ein Beispiel für eine solche neue literarische Präsentation der klassischen Ehespiegel und Hausliteratur sind die 1781 vom Quedlinburger Pastor und Konsistorialrat Heinrich Matthias August Cramer herausgegebenen „Unterhaltungen zur Beförderung der häuslichen Glückseligkeit“. Der Autor und Vertreter der Orthodoxie²⁵⁵ gliederte den Stoff seines Werkes in 34 Betrachtungen und orientierte sich dabei am Aufbau der klassischen Werke. Seiner Intention nach sollten insbesondere die heranwachsenden Jugendlichen in der gängigen Literatur mehr auf ihre „künftigen öffentlichen Verhältnisse[n] gegen die bürgerliche Gesellschaft“ vorbereitet werden, nicht aber auf den Aufbau einer Familie und eines häuslichen Lebens.²⁵⁶ Die siebte Betrachtung ist der „Häuslichen Eintracht oder dem Hausfrieden“ gewidmet. In direkter Ansprache seines Lesepublikums beginnt er ganz traditionell mit einem Wunsch: Daß Du in Frieden und Einigkeit mit den Deinigen leben, daß ihr ein recht ruhiges und frohes, das heißt nach meiner Meynung, ein glückliches leben mit einander führen möchtet, das wünscht ich von Herzen. Bist du mir auch unbekannt, der du dies liesest, so that ich doch diesen Wunsch mit der grösten Aufrichtigkeit für dich, da ich folgende Gedanken niederschrieb. Ich schrieb für dich, und wünschte von dir und tausenden deiner Mitbrüder gelesen zu seyn, die wenigstens meinen guten Willen schützen, das Glück der häuslichen Eintracht, wenn sie es schon genossen, achten, und wenn sie es noch nicht konnten, darauf aufmerksam werden, und es zu suchen lernen sollten.²⁵⁷

Bei Cramer ist die Friedensproblematik eingeordnet in den Glückseligkeitsdiskurs, der für die Verwirklichung des „höchsten Guten in diesem Leben“²⁵⁸ die ethischen Überlegungen der Aufklärung prägte.²⁵⁹ Damit knüpfte er die Fragen der Gestal-

255 So verfasste er etwa einen Nachruf auf den exponierten Vertreter der Orthodoxie Goeze: Heinrich Matthias August Cramer, Zum Andenken des seligen Pastor Goeze . . . an Herrn Consistorial-Rath Hermes in Quedlinburg, Leipzig 1793. 256 Vgl. Cramer, Unterhaltungen, S. XI. 257 Cramer, Unterhaltungen, S. 132. 258 „Glückseligkeit“, in: Zedler, Bd. 10, Sp. 1703f.

132 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert tung der innerhäuslichen Beziehungen unmittelbar an einen Diskurs an, der sich mit Form und Gestaltung einer idealen gesellschaftlichen Ordnung befasste, von philosophischen Gesamtentwürfen bis hin zur administrativ-politischen Konkretion im Rahmen der Kameralistik. Gerade deswegen ist sein Werk in der Tradition der theologischen Ehestandsliteratur zu sehen und weniger in der seit 1600 sich entwickelnden Gattung der ökonomieorientierten Hauslehren – der so genannten Hausväterliteratur. Bei Cramer werden ausschließlich sozialethische Fragen der Beziehungsgestaltung zwischen den Hausangehörigen diskutiert und an einen religiös legitimierten, protestantisch fundierten Tugendkatalog rückgekoppelt. So charakterisiert Cramer einleitend die Bedeutung des häuslichen Friedens als komplementären Gegenpol des gesellschaftlichen Lebens: Ohne Frieden und Einigkeit, was wäre da sein Leben? Wenn dein übriger Zustand in der Welt auch noch so viel gutes hätte, und du konntest deine Wohnung nicht als einen Ort ansehen, wo du in dem Schoos der Deinigen die stillen Früchte des Friedens und der Einigkeit genössest, wo Liebe und Wohlwollen dich erwarten, wo du ohne alle Besorgniß von Hinterlist und böser Gesinnung, unbemerkt von der Welt, als Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Freund, Hausgenosse dich mit den Deinigen freuen könntest;²⁶⁰

Hier wird nicht nur die allenthalben für das 18. Jahrhundert konstatierte Gegenüberstellung eines „privaten“ und eines „öffentlichen“ Bereichs angesprochen, sondern das häusliche Leben gleichwohl als Basis und Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Glückseligkeit dargestellt. Das wird deutlich, wenn Cramer den im Hause gelebten Frieden als Grundlage und Kernelement aller Glückseligkeit darstellt.²⁶¹ Es folgt ein Blick „in den glücklichen Aufenthalt, die gesegnete Wohnung, friedfertiger Menschen“, der ihm den Quell dieser Friedfertigkeit entdeckt: Sie [die Glückseligkeit, ISV] ist so ganz unzertrennlich davon, ist ein so wichtiger Theil derselben, daß auch die heilige Schrift das gesamte vollkommenere Glück, das die Religion den Menschen verheißt, mit dem Worte Frieden bezeichnet. Sie nennt es Friede Gottes, den Frieden, den Jesus giebt. Eigentlich verheißt dieser Frieden zwar keine zeitlichen Vorzüge und irdischen Vortheile, sondern bezieht sich auf unsre Verbindung mit Gott, auf innere Ruhe des Gewissens, und auf Hoffnungen, welche über die Grenzen dieses Lebens hinausgehen. Aber eben diese Religion die dir einen himmlischen Frieden schenkt, gebietet dir auch, als einen Freund des Friedens dich unter deinen Brüdern zu beweisen. Sie macht es sogar zum unterscheidenden Kennzeichen ihrer Verehrer, daß sie mit ungefärbeter Liebe einander

259 Vgl. Simon, Policey, S. 508–517; Welter, Glückseligkeit, S. 66–68; Pahlow, Glückseligkeit, Sp. 975. 260 Cramer, Unterhaltungen, S. 132. 261 „Kannst Du dir die Sonne ohne Wärme und den Tag ohne Licht denken, so kannst du dir auch Glückseligkeit ohne Frieden und eintracht gedenken.“ Cramer, Unterhaltungen, S. 133.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

133

begegnen. Daran, sagt der Herr, wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seyd, so ihr euch untereinander liebet. Und, wo Liebe ist, da ist auch Frieden.²⁶²

Diese Passage verknüpft den aufklärerischen Glückseligkeitsdiskurs ganz unmittelbar mit dem patristischen Friedensdiskurs des Augustinus, der ja auch für die konfessionelle Normierung der christlichen Sozialethik im Hause maßgebend rezipiert worden war. Diesen Bezug zur häuslichen Umwelt und der großen Intimität der sie konstituierenden Beziehungen schließt er unmittelbar an: Wer hätte nun den nächsten Anspruch daran? Ohne Widerspruch doch wohl die Deinigen, und alle die in deinem Hause leben. Wenn du mit diesen nicht einträchtig lebst, wenn die christliche Liebe nicht so würksam auf dein Herz ist, Eintracht zwischen dir und ihnen zu stiften und zu erhalten; so kann auch würklich kein einziger anderer Mensch sich die geringste Hoffnung machen, daß er mit dir lange in Ruhe wird leben können, sobald er mit dir in einige Verbindung tritt. Was du denen in deinem Hause nicht thust, wirst du auch gewiß denen außer dem Hause noch weniger beweisen.²⁶³

Sehr deutlich treten hier die semantischen Analogien von Liebe, Eintracht, Ruhe und Frieden zu Tage, deren lange Tradition in der religiösen Ehe- und Hausstandsliteratur oben ausführlich diskutiert worden ist. Rhetorisch sind sie eng sowohl an den herrschenden philosophischen Glückseligkeitsdiskurs, aber auch an die Empfindsamkeit gekoppelt, deren gefühlsbetonte Erfahrungswelt wiederum eng mit der seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert auftretenden religiösen Innerlichkeit verwoben ist. Auch die Bedeutung häuslicher Verhaltensformen für den gesellschaftlichen Umgang insgesamt wird sehr deutlich hervorgehoben, womit für das hier vertretene Bild von Haus und Familie eher das traditionelle KomplementärModell anzunehmen ist statt einer Dichotomie von „privat“ und „öffentlich“. Die einzelnen Verhaltensweisen, die bei Cramer ganz im Stile der Empfindsamkeitsrhetorik formuliert werden, bestätigen diesen Eindruck: Jeder von ihnen hütet sich den andern zu beleidigen, und macht sich ein eignes Geschäft daraus, auf alles acht zu haben, wodurch er ihm misfällig werden könnte, um es, es viel an ihm ist, zu meiden. Jeder sucht die Gesinnungen und Neigungen zu erforschen, um sich daran zu richten, ihnen in allem zuvorzukommen und sich ihrer Zuneigung immer mehr zu versichern. Jeder siehet in dem andern einen Freund, dem er sich sicher anvertrauen, dessen Liebe sein Wunsch ist, dessen Zuneigung sich zu erwerben, das Ziel seines gantzen Betragens gegen ihn ist. Keiner ist den übrigen gleichgültig. Begegnet einem ein Glück, so haben alle Freude; trift einem ein uebel, so ist jedes Herz voll Theilnehmung, und jede Hand bereits, ihm beyzustehen, ihn zu retten, oder es ihm wenigstens zu erleichtern, so viel es möglich ist. [. . . ] Fallen auch Umstände vor, die ein zanksüchtiger Mensch gebrauchen könnte, Unfrieden

262 Cramer, Unterhaltungen, S. 134f. 263 Cramer, Unterhaltungen, S. 135.

134 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert

zu stiften, so suchen sie durch Nachgeben und vernünftige Überlegungen, durch offenherzige Geständnisses ihrer Fehler, und Bemühung, sie zu verbessern, das Uebel abzuwenden.²⁶⁴

Auffallend im Unterschied zur Hausstandsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts ist die fehlende Hierarchisierung innerhalb des Hauses. So ist der Leser nicht implizit definiert, es können alle Hausstände angesprochen sein und es findet keine geschlechter- oder generationsspezifische Differenzierung statt, sondern die Reziprozität des Verhaltens wird als standesunabhängig definiert und als für alle gleich bestimmt. Ebenso deutlich unterscheidet sich damit die Kontextualisierung in ordnungspolitischer Absicht. Waren die früheren Ehe- und Hausspiegel noch unmittelbar in den aristotelischen Stände- und Obrigkeitsdiskurs eingebettet, der sich bis in die Formulierung konkreter obrigkeitlicher Interventionspraktiken in Form der Jurisdiktion erstreckte, so wird nun sehr stark das Moment der Selbstregulierung betont, der keine gesellschaftliche Interventionsinstanz unmittelbar zugeordnet wird. Mit Cramers Schrift entwickelt sich eine neue Form theologischer Ehe- und Hausstandsliteratur, die sich bis weit in das 19. Jahrhundert hinein erstreckt und eine Vielzahl von Publikationen hervorbringt. Sie firmieren unter dem Titelstichwort der „häuslichen Glückseligkeit“, die – wie gezeigt – eng mit dem christlichen Friedensbegriff verknüpft ist und diesen im semantischen Gewande des 18. und 19. Jahrhunderts fortführt. Auffällig bei dieser Entwicklung ist, dass sie offenbar von Theologen getragen ist, die sich selbst eher in kritischer Haltung zu allzu exponierten Vertretern einer „aufgeklärten“ Theologie sehen und dann vor allem im Rahmen der Romantik tätig werden. Damit schließt die Ausformulierung eines ethischen Friedensbegriffs für das häusliche Leben in der Theologie des 19. Jahrhunderts an entsprechende philosophische Entwicklungen an und führt so zu einer Renaissance des Hauses und seines Friedens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zieht man in Betracht, welche zentrale Funktion religiöse Praktiken – wie die private und gemeinsame Lektüre von Lieder- und Gebetbüchern, von Predigtsammlungen und Andachtsblättern, gemeinsame häusliche Andachten und „Katechetisierungen“ – für die Selbstvergewisserung, Selbstverständigung und -verortung neuer Familien- und Häuslichkeitsvorstellungen im beginnenden 19. Jahrhundert auch über die bürgerlichen Schichten hinaus erlangte,²⁶⁵ dann wird die Bedeutung der Friedenssemantik in diesen Zeiten des Umbruches, des drohenden Ordnungsverlustes und des unaufhaltsamen Untergangs der Ständegesellschaft sehr deutlich. Ordnet man die hier vorgestellten Befunde in den kommenden Kontext des frü-

264 Cramer, Unterhaltungen, S. 133f. 265 Habermas, Rituale, S. 171–179.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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hen 19. Jahrhunderts ein – der mit den großen Philosophen Fichte und Hegel die sich bereits im 18. Jahrhundert bei den politischen Theoretikern abzeichnende Begrenzung obrigkeitlicher Aufgaben auf die Sicherheitsgarantie in großen Gesellschaftsentwürfen abgesichert sah, und in dem die jurisdiktionelle Neuordnung der nach-napoleonischen Zeit die kirchliche Sittengerichtsbarkeit abgeschafft hatte –, wird die Wichtigkeit der aus ihren autoritären Strukturen emanzipierten Friedenssemantik für die sittliche „Selbstregulierung“ des Bürgertums sehr deutlich hervorgehoben. Dies geschah gleichwohl um den Preis, dass objektivierte Ordnungsmuster vor allem um 1800 wieder stärker zwischen den subjektiven Erfahrungsaspekten hervortraten. Die einem solchen auf das „Haus“ bzw. „Häuslichkeit“ bezogenen Friedensbegriff innewohnende Ambivalenz sublimierte jene Festschreibung ehelicher und häuslicher Herrschafts- und Machtbeziehungen in den Rechtskodifikationen durch die Überbetonung des Gefühls und der dadurch sich zu öffnen scheinenden Handlungsspielräume.

2.3.2 Hausfrieden in politischer Ökonomie und Kameralistik Die im 17. Jahrhundert einsetzende und vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg verstärkt wahrnehmbare Überblendung der Ordnungsziele der aristotelisch geprägten politica christiana und ihrer gesellschaftlichen Implikationen durch die Rezeption der Idee der ratio status, wie sie von Machiavelli vertreten wurde, führte auch zu einer Verschiebung des obrigkeitlichen, „staatlichen“ Interesses an der Ordnung des Hauses.²⁶⁶ Neben seiner Funktion als ethischer Kern aller gesellschaftlichen Ordnung im Hinblick auf das Verhältnis der Geschlechter und Generationen als einem hierarchischen Modell gegenseitiger Solidarität trat nun verstärkt seine Bedeutung als Kern der ökonomischen Stärke eines Gemeinwesens. Die mit diesem Prozess eng verknüpfte semantische Verschiebung der Ökonomie von der Vorstellung einer Haus-Haltung als einer umfassenden Führungskunst hin zu einer abstrakten Vorstellung des wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs eines Gemeinwesens, Territoriums oder „Staates“ verweist ebenfalls auf die Kernfunktion der häuslichen Ökonomie (als Produktions- und Konsumfaktor) für das neue Konzept der „politischen Ökonomie“ (als fiskalische Basis des Machterhalts und der Herrschaftssicherung). Liest man diese Literatur aus der Perspektive ihrer Implikationen für das Konzept des Hauses, stellt sich die in der Forschung für das

266 Zur allgemeinen Entwicklung der politischen Theorie im 17. und 18. Jahrhundert vgl. unter zahlreichen Werken Simon, Gute Policey, S. 381–454; Stolleis, Geschichte, S. 334–394. Zum Funktions- und Wahrnehmungswandel der häuslichen Ökonomie in diesem Kontext vgl. Burkhardt, Haus, S. 179–185.

136 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Ordnungsdenken zugrunde gelegte Polarisierung von „traditionalistischem“ und „neuem“ Politikmodell deutlich weniger ausgeprägt dar.²⁶⁷ Noch Seckendorff hatte seinen christlichen Fürsten-Staat im Sinne des lutherischen Aristotelismus geschrieben, aber bereits dahingehend „neu“ interpretiert, dass er die Bereiche der Steuer- und Finanzverwaltung, der „guten Ordnung“ und der administrativen Struktur in einem übergreifenden Entwurf zusammengezogen hatte. Zwar war das Ziel einer „guten“ Politik bei ihm nach wie vor die Erhaltung von Gerechtigkeit und Frieden sowie die Wohlfahrt des Landes. Allerdings sah er die Wohlfahrt nicht mehr als einen automatischen Ausfluss eines Zustandes der Gerechtigkeit und des Friedens, sondern als Vermehrung der Nahrung und der Leute, ihres Vermögens, des Handels und Wandels, was notwendigerweise eine Stärkung der häuslichen Ökonomien bedeutete.²⁶⁸ Ökonomie war in der aristotelischen Tradition Teil der praktischen Philosophie und setzte auf die praxin, das Handeln; sie beschrieb das Miteinander der Menschen im Haus, nicht die Herstellung bestimmter Produkte. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts werden die Widersprüche und die Kluft zwischen der alten, überspitzten Scholastik und dem lebensweltlichen, dynamischen Erfahrungshorizont immer offensichtlicher.²⁶⁹ Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hält dieser Trend weiterhin an, vor allem die Ausrichtung von Policey als Regulierungsinstrument der Moral und damit der intrinsischen Motivation der Untertanen, in ihren jeweiligen Haushaltungen möglichst fleißig und arbeitsam zu wirtschaften und so der „Wohlfahrt“ des Gemeinwesens zu dienen. Das diese und die folgende Zeit prägende Werk des Kameralisten und preußischen Ministers Johann Heinrich Gottlieb von Justi griff die Frage nach den Fähigkeiten und Fertigkeiten des Haushaltsvorstandes, vor allem aber seine Herrschaftsausübung nach innen auf. So charakterisiert er im zehnten Buch des zweiten Bandes seiner „Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten“, das der „häuslichen Regierung der Familien und deren Verhältniß zu dem gemeinschaftlichen Besten“ gewidmet ist, das Grunddilemma derselben. Denn einerseits seien die Familien und deren Wohlfahrt Ausgangspunkt und „Endzweck jeder bürgerlichen Verfassung“, andererseits aber 267 Simon, Gute Policey, S. 369–375; Brückner, Staatswissenschaften, S. 38–42. 268 Seckendorff, Fürsten-Stat, Buch II, Cap. VII/VIII, S. 70–90; vgl. hierzu Brückner, Staatswissenschaften, S. 20–23. 269 Brückner, Staatswissenschaften, S. 51f. Brückners Interpretation, dass die Rückständigkeit der „Ökonomie“ sich auf die fehlende Praxis bezüglich der Herstellung von Produkten beziehe, muss im Hinblick auf die Forschungen zur Eheliteratur revidiert werden: Es verschieben sich lediglich die Ebenen der Praxis bzw. des Bedürfnisses nach neuen praktischen Anleitungen. Nicht mehr die Selbst- und Sozialkompetenzen sind gefragt, sondern Methoden- und Fachkompetenz im Hinblick auf die Produktion, Verarbeitung und Verkauf (vornehmlich landwirtschaftlicher) Erzeugnisse. Vgl. hierzu auch Schmidt-Voges, Oíkonomía, S. 423–425.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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basiere die häusliche Regierung ganz wesentlich auf moralischen Tugenden, die ja gerade NICHT Gegenstand der Policey seien.²⁷⁰ Die gute Beschaffenheit der häuslichen Regierung ist es hauptsächlich, wodurch die moralischen Tugenden der Bürger gepflanzet, und zum Wachsthum befördert werden müssen. Die Kinderzucht, dieser wichtigste Zweig der häuslichen Regierung, ist es, wodurch die Gemüther der künftigen Bürger gebildet werden. Diese Bildung muß nicht allein auf die moralischen Tugenden, sondern auch auf die bürgerlichen Pflichten selbst gerichttet seyn; [. . . ] Man kann sich aber keine Wohlfarth der einzeln Familien vorstellen; wenn nicht Ruhe, Ordnung und Unterwürfigkeit darinnen statt finden. Diese Ruhe, diese Ordnung in denen Familien müssen also die Gesetze auf alle Art befördern.²⁷¹

Ausgehend von der Feststellung, dass eine obrigkeitliche Regierung der Familien die intime Kenntnis der „inneren Angelegenheiten“ und des „besonderen Interesses“ voraussetzen würde – „welches die ärgste von allen Despotereyen ist, und allen vernünftigen Begriffen von der bürgerlichen Freyheit widerstreitet“²⁷² –, müsse sich die Policey darauf beschränken, mittelbar auf die Familien einzuwirken. Das sind Justi zufolge jene drei Bereiche, die das Haus im Kern ausmachen: die Erziehung der Kinder („Kinderzucht“), das Beziehungsgefüge im Haus (die „häusliche Regierung“ an sich) und „der Hausfriede, zu dessen Erhaltung die Familien am meisten des Schutzes der Policey benöthiget sind.“²⁷³ Die Definition dieses Hausfriedens ist erstaunlich umfassend, sie beschreibt die Herrschaftsgewalt des Vaters, denn [v]ermöge der Unverletztlichkeit des Hausfriedens ist demnach ein Hausvater befugt, durch alle dienliche Maaßregeln, und erforderlichen Falls mit Gewalt, dasjenige zu verhintern und abzustellen, sowohl in Ansehung seiner Familie, als des Gesindes, was die Ruhe des Hauses stöhren, oder den Hausfrieden verletzen kann. Und die Obrigkeit, wenn sein eigen Ansehn und Gewalt nicht zureichet, muß ihm hierinnen allemal mit ihrem Beystand zu statten kommen.²⁷⁴

270 Justi, Grundfeste, Bd. 2, S. 101. Zur Unterscheidung von Policey (verstanden als Komplex der innenpolitischen Ordnungsaufgaben) und Politik (verstanden als Staatskunst der Machtausdehnung und Friedewahrung nach innen und außen) vgl. Simon, Gute Policey, S. 493f. Justi unterscheidet darüber hinaus zwischen allgemeinen „moralischen Tugenden“, die sich auf die Menschheit und ihre Glückseligkeit im Allgemeinen beziehen und wesentlich von den Kirchen geformt und kontrolliert werden, und den „bürgerlichen Tugenden“, die unmittelbar das Verhalten und Handeln als Staatsbürger betreffen und daher auch der „staatlichen“ bzw. „policeylichen“ Kontrolle unterliegen sollten; vgl. Hull, Sexuality, S. 218–228. 271 Justi, Grundfeste, Bd. 2, S. 102. 272 Ebd., S. 103. 273 Ebd., S. 105. 274 Ebd., S. 186.

138 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Diese Passage ist die einzige, die sich mit möglichen Konflikten innerhalb der Haushaltung auseinandersetzt, die weiteren, umfangreichen Passagen widmen sich intensiv der Vielfalt von Möglichkeiten, auf welche Weise der Hausfrieden gestört werden könne, durch Besucher, durch Gewalt von außen, den Besuch von Mietern, durch Einbruch, durch Diebstahl und vieles mehr. Auch wenn hier keine Quellenangaben gemacht wurden, lassen die Dichte und Systematik der Abhandlungen die Lektüre der Struve’schen Dissertation erkennen. Sieht man diese Ausführungen vor dem Hintergrund, dass Justi in dem vorangehenden Kapitel die häusliche Regierung „in Ansehung derer zur Familie gehörenden Personen“ ausschließlich als ein (haus-)väterliches Machtverhältnis beschreibt,²⁷⁵ lässt sich ein markanter semantischer Wandel festmachen, der den juristisch geprägten Begriff des Hausfriedens als einer obrigkeitlich zu leistenden Sicherheitsgarantie aufgreift und nach innen ausdehnt. Die Herrschaftsgewalt, die Justi hier dem Hausvater zuspricht, hat nichts mehr gemein mit den ethischen Herrschaftspflichten der Ehe- und Hausstandsliteratur. Vielmehr geht er so weit, die gerichtlichen Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der Familien selbst als eine Form der Friedensstörung darzustellen. Denn dass dem Hausvater nicht genug Gewalt über seine Frau zugebilligt würde [um sie wie die Kinder zu den drei Kerntugenden Fleiß, Ordnung und Sparsamkeit zu zwingen, ISV] und es kaum einen Richter gäbe, der nicht die Klage einer „mäßig gezüchtigten“ Frau annehmen würde, darin sieht er die „hauptsächlichste Ursache dieses [der europäischen Staaten, ISV] Verderbens“.²⁷⁶ In allen Argumentationen, die sich wesentlich um die rechtshistorischen Zusammenhänge und die Regulierungsversuche der hausväterlichen Gewalt drehen, wird nirgends der Begriff des Friedens oder die damit

275 Ebd., S. 129–147. Die Herrschaftsbegründung gegenüber den Kindern wird in einem geburtsrechtlichen Vertragsverhältnis gesehen, während die Herrschaft für die Frau primär auf anthropologische Geschlechtsdifferenzen zurückgeführt und erst in zweiter Linie die Ehe als asymmetrisches Vertragsverhältnis charakterisiert wird. Vgl. zu den politisch-juristischen Debatten hinter diesen Arten von Vertragsverhältnissen Berding, Gewalt, S. 52–54. 276 Ebd., S. 136f. „Allein, in Ansehung seines Eheweibes fehlet ihm allerdings die hinlängliche Gewalt. Wenn ein Mann seine frau, wegen ihrer Faulheit, unordnung und Veschwednung mäßig zichtiget; so sind gewoß unter zehen Richtern kaum einer, welcher so vernünftig, und so wenig sportulsüchtig ist, daß er die Klage nicht annehmen sollte; da doch dieses eine Sache ist, worinnen sich ihrer Natur nach die Obrigkeit niemas mischen kann; weil über die Faulheit und Unordnung des Weibes keine Zeigen abgehöret werden können, ohne die ganze Familie in Uneinigkeit zu setzen; und weil die Verschedung nicht beurtheilet werden kann, ohne den Zustand des Vermöges der Familie aufzudecken, welches mehr erinnerter maaßen guten Regierungs-Grundsätzen so sehr zuwider ist. Nur in dem Fall also kann sich die Obrigkeit einmischen, wenn der Hausvater selbt als ein liederlicher und böser Mann bekannt ist; und derselbe offenbare Grausamkeiten ausgeübet hat. Allein, diese so genannte Sävitien des Mannes, müssen nicht aus den blauen Flecken der Frau beurtheilet werden; denn ein jeder Schlag, der gefühlet wird, giebt blaue Flecken.“

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verbundene Semantik aufgegriffen, die ja gerade die Ambivalenz des Eheverhältnisses als Herrschaftsform aufgefangen hatte. Im Gegenteil: sehr auffällig ist die Verwendung einer Semantik der Herrschaftsgewalt, wie sie eher aus politiktheoretischen Zusammenhängen bekannt ist. Hält man sich diese Kontextualisierung des Hausfriedens in Justis Werk vor Augen, wird die Verschiebung der damit verbundenen Herrschaftsauffassung deutlich. Frieden wird hier ausschließlich als ein besonderer Zustand der Ungestörtheit vorgestellt, der nicht nur durch Gewalteinwirkungen, sondern bereits durch Fehlverhalten bzw. Nichterfüllung der moralischen Ansprüche gefährdet wird. Die Absolutstellung des Hausvaters in einem solchen Friedenskonzept impliziert zweierlei: Erstens wird der Hausvater zu einem (der Obrigkeit gegenüber) Alleinverantwortlichen für die häusliche Ordnung herausgehoben und somit das frühere Gefüge und Komplementaritätsprinzip der oikonomia aufgehoben. Zweitens verschiebt – und vermindert – sich die Zuständigkeit der Obrigkeit von der Aufsicht über die moralische Ordnung im Haus auf die Gewährleistung von dessen äußerem Schutz. Der Frieden des Hauses ist damit nicht mehr primär von Innen bedroht – wie es noch in der Ehestandsliteratur präsent war –, sondern lediglich als ein von Außen bedrohtes Gut anzusehen, das mit der besonderen und öffentlichen Sicherheit auf einer Stufe steht.²⁷⁷ Dieser Vorstellung vom Hausfrieden als eines von Außen bedrohten Zustandes stellt sich dann alsbald die familiäre Harmonie als Komplementär entgegen – jedoch nicht bei Justi oder anderen Kameralisten, sondern in den heterogenen Texten der Printmedien. Da Justis „Grundfeste“ als eine Form übergeordneter Zusammenführung seiner zahlreichen Detail-Theorien zu einem politisch-ökonomischen Gesamtkonzept gedacht war, kommt einer solchen Neu-Akzentuierung und Ausformulierung des Hausfriedensbegriffes eine besondere Bedeutung zu. Sie untermauert einen Rückzug „staatlicher“ Regulierung häuslicher Ordnung auf eine Sicherheitsgewährleistung der äußeren Rahmenbedingungen, zu denen zum einen die Beistandshilfe für durchsetzungsunfähige Hausväter und zum anderen die Gewährung öffentlicher Sicherheit vor Diebstahl, Raub und Gewaltverbrechen zählen. Wie deutlich damit den – zumindest politik- und herrschaftstheoretischen – Bedürfnissen der Zeit das Wort geredet wurde, zeigt die nahezu unveränderte Übernahme seiner Ausführungen in Krünitz’ „Oeconomische Encyclopädie“ (1781), hier in der Eingangsdefinition die Polyvalenz des Hausfriedens nach innen und außen betonend: Haus=Frieden. 1. Der Frieden, d. i. die Einigkeit, das gute Vernehmen der häuslichen Gesellschaft. Den Hausfrieden stören. Es ist eine edle Sache um den Hausfrieden. [Herv. i. O.] 277 Ebd., S. 105.

140 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert

2. Die Sicherheit, welche ein jeder in seiner Wohnung vor den Gewaltthätigkeiten anderer genießt, und zu fordern berechtigt ist. Den Hausfrieden brechen, dawider handeln. [Herv. i. O.]²⁷⁸

Die Semantiken zur Beschreibung eines wohlgeordneten Staates hatten sich in den ökonomischen Schriften des 18. Jahrhunderts gleichwohl keineswegs durchgängig aus der politica christiana bzw. dem christlichen Naturrecht gelöst, vielmehr muss man von einer Vielfältigkeit und dichten Gemengelage von Semantiken ausgehen, die sich aus ihren unterschiedlichen Traditionen, Verwendungskontexten und Bezugsebenen ergeben. Hier spielt der Rückbezug auf den Frieden nach wie vor eine Rolle – sowohl im Hinblick auf eine spezifische „Untertanenethik“ als auch im Hinblick auf Sicherheitskonzepte, deren Reichweite ganz unterschiedlich weit ist. So hebt Dithmar in seiner „Einleitung in die ökonomischen und PoliceyWissenschaften“ von 1755 hervor, welche Bedeutung „gehorsame[n], friedliche[n], ehrbare[n], gerechte[n] und polite[n]“²⁷⁹ Untertanen in einem Gemeinwesen zukomme: § 5. Der Friede bestehet in einer Ruhe und Sicherheit, Gott zu dienen, das rechtmäßig Erworbene zu erhalten, und dessen Genusse sich zu erfreuen. § 6. Derselbe wird gestöret, entweder durch innerliche Zerrüttungen, oder äusserliche Anfälle. § 7. Die innerliche Zerrüttung wird verursachet entweder durch Wasserfluthen, Feuersbrünste und andere Unglücksfälle, oder durch unfriedliche Menschen, mit allerhand personal- und real-Injurien, anzüglichen Reden und Schriften, Ausforderungen, Diebstähle, Raubereyen, Brand und Mord; [. . . ].²⁸⁰

Die Betonung des Friedens als einer Tugend wird noch deutlicher, wenn er im Folgenden die Begriffe der Ehrbarkeit, Gerechtigkeit und Politesse ganz im Sinne der klassischen römisch-rechtlichen Kategorie der Goldenen Regel des „honeste vivere, neminem laedere, suum cuique tribuere“ erläutert und zugleich mit aktuellen Neukonzeptionen dieser Tugendbildung (Politesse) verknüpft.²⁸¹

278 Krünitz, Encyklopädie, Bd. 22, S. 376. Die oben angesprochenen Ausführungen in direkter Anlehnung an Justi finden sich auf den folgenden Seiten. 279 Dithmar, Einleitung, S. 164. 280 Ebd., S. 164f. Die enge Verknüpfung von innerem (tugendhaftem Verhalten) und äußerem Frieden (Militärverfassung) ist bei Dithmar sehr ausgeprägt, da er gleich nach den Ausführungen zu den inneren Zerrüttungen die „auswärtige[n] Friedensstöhrungen“ anspricht. Nur, um sogleich anzumerken: „Da der Herr Autor, den Frieden als eine Tugend betrachtet, so gehörtet dieses nicht anher, und es hätte von der Militärverfassung eines Staats billig an einem andern Orte absonderlich und ausführlich sollen gehandelt werden.“ (Ebd., S. 165). 281 Zum Konzept der politesse als einer spezifisch bürgerlichen Form der Höflichkeit und ihrer engen semantischen Anlehnung an ältere Konzepte der Friedlichkeit vgl. Losfeld, Politesse, passim; Rang, Höflichkeit, S. 342–345; Florack/Singer, Politesse, S. 310–313.

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Die sich hier abzeichnende Ausdifferenzierung bzw. Zuspitzung der häuslichen Ökonomie auf die wirtschaftliche Produktion – unter Ausklammerung der sie bedingenden Hierarchien persönlicher Beziehungen – lässt sich auch in der Hausliteratur des 18. Jahrhundert wiederfinden. War bereits für das 17. Jahrhundert das auffällige Verschwinden der Beziehungsebene des sozialen Raumes Haus, und damit auch des ethischen, handlungsorientierten Friedensbegriffs, festgestellt worden, spiegelt sich die in der (kameral-)politischen Theorie konstatierte Nicht-Regierbarkeit des Hauses darin, dass der soziale Raum mit seiner engen Verflechtung von persönlichen und herrschaftlichen Beziehungen zunehmend durch den materiell-physischen Raum des Hauses als Gebäude ersetzt wird. Wie sehr der umbaute Raum des Hauses als Bezugs- und Mittelpunkt aller hauswirtschaftlichen Aktivitäten wichtig wird, zeigt sich in Julius Bernhard von Rohrs „Haußwirthschafftsbuch“ von 1751. Das erste Kapitel seines Werkes ist wie die frühere Hausliteratur den „Pflichten eines Haus=Wirths“ gewidmet, womit allerdings in erster Linie auf die Aufsicht und Instandhaltung der räumlichen Ordnung der Gebäude und deren idealer Funktionalität abgehoben wird. Ethische Anforderungen verweist er dagegen ausschließlich in den „innerhäuslichen“ Zuständigkeitsbereich der Hausmutter.²⁸² Das Voranstellen räumlicher Aspekte taucht bereits in der Ökonomieliteratur des 17. Jahrhunderts auf, wenngleich sich dort immer auch noch ein Kapitel zu dem durch persönliche Beziehungen charakterisierten sozialen Raum anschließt. Dies findet sich im 18. Jahrhundert nicht mehr regelmäßig, vornehmlich in solchen Schriften, die sich speziell der häuslichen Ökonomie widmen und von Autoren verfasst wurden, die einen theologischen Hintergrund aufweisen. Aber auch in diesen sehr kurz gehaltenen Abschnitten ist die Tradition des 17. Jahrhunderts zu erkennen. Vermeidung von Zank, Streit und Uneinigkeit wird zwar angemahnt, einen direkten Bezug zur Friedenssemantik gibt es allerdings nicht.²⁸³ Die auf das Haus bezogene ökonomische Literatur des 18. Jahrhunderts bildet die zeitgenössische Entwicklung der verschiedenen Ebenen ab, die diese im 16. Jahrhundert noch als zusammengehörig gedachten Bereiche nahmen: die Trennung von Ethik und Ökonomie, der Rückzug des Staates aus der unmittelbaren, sanktionierenden Moralregulierung, die Etablierung eines neuen Menschenbildes, in welchem die Natur des Menschen, vor allem Triebe, Begierden und Gefühle als steuernde Faktoren anerkannt wurden. Dementsprechend wurden Verschiebungen deutlich, die sich im Hinblick auf den Hausfrieden auf unterschiedlichen Ebenen vollzogen. Zum einen fanden die juristischen Überlegungen zur obrigkeitlichen

282 Rohr, Haußwirthschafftsbuch, S. 1–8, §§ 1–16; Brückner, Staatswissenschaften, S. 54. 283 Vgl. Fischer von Azendorff, Oeconomische Schatzkammer, S. 2–6.

142 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Sicherung des Hausfrieden, wie sie sich in der kurzen Debatte um 1700 niederschlugen, Eingang in die politiktheoretischen Werke – und zwar nicht nur als eine von außen zu gewährleistende Sicherheit, sondern vor allem als auf der Bipolarität der gleichermaßen auf der aus dem Inneren, aus den Beziehungen innerhalb der häuslichen Gemeinschaft erwachsenden Stabilität beruhend. Zum anderen wurden diese Beziehungen sehr viel stärker auf das Innere des Hauses fokussiert und aus einer die Hierarchien sublimierenden Emotionalität und Empfindsamkeit heraus konstruiert. Auf diese Weise wurde die Grenze zwischen Haus und Gesellschaft/Öffentlichkeit von beiden Seiten deutlicher gezogen und markiert. Damit bestätigt sich auch aus der Perspektive der auf das Haus bezogenen Friedenssemantik die Beobachtung von Sandl, dass die Kameralwissenschaften in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine neue, zwischen Vernunft und Empirie, Natur und Kultur divergierende Wissensordnung der Ökonomie etablierten, die gleichwohl von den zur Verfügung stehenden Denkmustern und Begriffen abhängig war.²⁸⁴ Es lässt sich also ähnlich wie in den juristischen Auseinandersetzungen eine uneinheitliche Einbindung der Friedenssemantik in die Erörterungen der Zusammenhänge von häuslichen und gesellschaftlichen Ordnungsprozessen in den kameralistischen Werken feststellen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die ethischen Fragen des gegenseitigen Umganges miteinander nicht im Fokus stehen – das zeigt auch der Befund, dass eine Friedensbegrifflichkeit immer nur dort anzutreffen war, wo übergeordnete Kontexte angesprochen wurden. Zum anderen verliert sich diese dünne Spur um die Mitte des Jahrhunderts bald aus den einschlägigen Werken. Sonnenfels etwa kommt in seinen „Sätzen aus der Polizey-, Handlungs- und Finanzwissenschaft“ (1765–69) nicht auf innerhäusliche Zustände zu sprechen, selbst die Dienstboten werden nicht in diesen Kontext eingebunden. Gleichwohl betont er die Wichtigkeit der moralischen Tugenden, die er – unter Verweis auf Justi – den politischen oder bürgerlichen Tugenden voranstellt. Zwar könne der Staat nicht direkten Einfluss auf die so fundamentale Sittenbildung nehmen, aber er könne sie durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen entscheidend befördern. Neben der Schulbildung erläutert er in diesem Zusammenhang ausführlich die Förderung und Aufsicht über Theater, Schauspiel und Pressewesen.²⁸⁵ Unmittelbare Bedeutung erlangten die sich allmählich herausbildenden gesellschaftstheoretischen Implikationen eines Rückzuges staatlicher Zuständigkeit aus dem Haus allein auf dessen äußere Aspekte in der Neugestaltung der Rechts-

284 Sandl, Ökonomie, S. 461. 285 Sonnenfels, Sätze, S. 61–88, insb. S. 77–82.

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grundlagen in den Kodifikationsbewegungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Wenngleich durch die Würdigung der juristischen Dissertationen deutlich geworden ist, dass das Wissen um den Hausfrieden eben nicht „[m]angels eingehender Beschäftigung der Doktrin mit dem deutschen Gewohnheits- und Statutarrecht versank“ – wie Trabandt resümiert²⁸⁶ –, sondern gerade neu in die Diskussion gebracht wurde, so bleiben dennoch wenige Spuren dieser Debatte in den Kodifikationsentwürfen des späten 18. Jahrhunderts übrig. So bleiben die Bestimmungen des „Allgemeinen Preußischen Landrechts“ von 1794 ganz auf den Bereich des sachenrechtlichen Schutzes beschränkt, begrifflich wird die Thematik unter der Verletzung des Hausrechts abgehandelt.²⁸⁷ Auch bei Kreittmayr war die Verletzung des Hausrechts in ähnlichen Termini erwähnt, die Behandlung dieses Themas im „Code Civil“, der das Rechtsleben nach 1804 im Alten Reich nachhaltig beeinflusste, ist gänzlich unerforscht. Auch in den juristischen Zeitschriften, die als neues Medium des wissenschaftlichen und rechtspraktischen Austausches entstehen,²⁸⁸ werden Hausfrieden und Hausfriedensbrüche, aber auch die Verletzung des Hausrechts erst nach 1850 diskutiert,²⁸⁹ als sich mit der Historistischen Rechtsschule und ersten Gesetzentwürfen allmählich ein einheitlicher Sprachgebrauch durchzusetzen beginnt. Die umfangreiche Studie Osenbrügges wird hieran sicherlich ihren Anteil gehabt haben. In der gelehrten juristischen Diskussion spielte der Hausfrieden seit dem 18. Jahrhundert offenbar eine immer geringer werdende Rolle, die durch die NichtAufnahme in die großen Kodifikationen noch rasanter voranschritt. Gleichwohl war der Tatbestand des Hausfriedensbruchs unter dem Terminus „Verletzung des Hausfriedens“ aufgenommen. Das intensive Wiedererstarken des Begriffs im Rahmen der Gesetzgebungsbestrebungen des 19. Jahrhunderts ist gewiss dem Einfluss der Historistischen Rechtsschule zuzurechnen, die nun in den „alten Volksrechten“ die Essenzen einer vermeintlich authentischen „Nationalkultur“ verwirklicht sah. In der Entwicklung der juristischen Normativität des Hausfriedens und seiner engen Verflechtung mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen im Hinblick auf die häusliche Ordnung als Geschlechter- und Generationenordnung lässt sich demnach eine ganz ähnliche – weil eng mit ihr zusammenhängende – Entwicklung ablesen. Isabell Hull hat die juristische Zementierung der gesellschaftlichen Geschlechterdiskurse im Übergang zum 19. Jahrhundert als die Fiktion eines re-

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Trabandt, Hausfrieden, S. 140. ALR II 20, 9 §§ 525–532. Vgl. hierzu Klippel, Zeitschriften, S. 16f. Vgl. die Recherchemöglichkeiten unter http://dlib-zs.mpier.mpg.de/ (27.09.2011)

144 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert gulierbaren Konzentrationsprozesses auf den Hausvater bezeichnet.²⁹⁰ Auch der häusliche Frieden wird auf seinen obrigkeitlich-rechtlichen, i. e. regulier- und kontrollierbaren Aspekt zugeschnitten, während die ethisch-moralischen Aspekte der innerhäuslichen Beziehungen in ihrer hohen Prekarität der durch Sittlichkeitsbildung regulierten Selbstregulierung der Gesellschaft überlassen wurden. Auch im Hinblick auf das semantische Feld des häuslichen Friedens, das immer eng an das ambivalente Verhältnis der Geschlechter geknüpft war, vollzieht sich parallel zur juristischen eine gesellschaftliche Debatte, die sich in erster Linie in den „bürgerlichen“ Medien der Moralischen Wochenschriften, der Journale und Intelligenzblätter finden lässt.

2.3.3 Journale und Moralische Wochenschriften Die didaktisch aufbereitete Sitten- und Tugendbildung mittels literarischer Texte als Kern der moralischen Persönlichkeitsentwicklung erhielt im 18. Jahrhundert einen neuen Aufschwung. Während die bereits aus dem 17. und teilweise sogar aus dem 16. Jahrhundert stammenden „Klassiker“ der religiösen Erbauungsliteratur weiterhin durch neue Auflagen und Nachdrucke den Büchermarkt zu einem Großteil dominierten,²⁹¹ brachten die Moralischen Wochenschriften einen neuen Tenor in die Debatte. In Anlehnung an die erfolgreichen und populären Vorbilder in England zielten sie auf eine unterhaltsame Vermittlung aufklärerischen Denkens, um auf diese Weise auch einem nichtgelehrten Publikum die Vorzüge eines tugendhaften Lebenswandels anschaulich vor Augen zu führen.²⁹² Der enge Bezug zum häuslichen und familiären Kontext spielte dabei eine konstitutive Rolle – nicht nur, weil die fiktiven Autoren teilweise mit fiktiven Familienmitgliedern über Aspekte des bürgerlichen Alltags fabulierten. Auch inhaltlich bildete der häusliche Kontext den Bezugsrahmen als jener obrigkeitlich unregulierte Raum, in dem sich der neue tugendhafte Mensch voll entfalten sollte.²⁹³ Obwohl sich bereits seit dem späten 17. Jahrhundert in den bürgerlichen Schichten mit dem Einsetzen einer mehr auf die Innerlichkeit zielende Frömmigkeit die Vorstellung von Haus und Familie als Ort des Rückzugs und Refugiums durchzusetzen begann – der vor allem emotionalen

290 Hull, Sexuality, S. 378–387. 291 Eybl, Erbauungsliteratur, Sp. 391; Schneider, Buchmarkt, Sp. 508. 292 Zu den „Moralischen Wochenschriften“ als spezifischer Zeitschriftengattung der Aufklärung vgl. Weckel, Moralische Wochenschriften, passim; Brandes, Wochenschriften, S. 225–228; Martens, Botschaft, S. 15–32; Graeber, Moralistik, S. 11–20. 293 Vgl. hierzu z. B. Martens, Botschaft, S. 285–288; Bsp. Aus den Vernünfftigen Tadlerinnen, Discoursen der Mahlern; Reitz, Bürgerlichkeit, S. 56–62.

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Halt in einer als prekär, unsicher und herausfordernd empfundenen Gegenwart gewähren sollte –,²⁹⁴ stellte dieser Ort in den frühen Moralischen Wochenschriften „nur“ den Hintergrund dar, während das vernünftige, tugendhafte Individuum im Mittelpunkt des Interesses stand. Dies lässt sich deutlich an der Semantik ablesen, in welche dieser häusliche „Hintergrund“ eingebettet wurde: hier wurde insbesondere die Emotionalität aufgegriffen, charakterisiert durch Begriffe wie Harmonie, Sanftheit, Zärtlichkeit, Liebe, Freundschaft.²⁹⁵ Auch im Hinblick auf die für die Moralischen Wochenschriften ebenfalls wichtigen ökonomischen Fragen trat das häusliche Leben nur als Hintergrund für die Ausbreitung spezifisch „weltlicher“ Tugenden als Voraussetzung für die Wohlhabenheit des wirtschaftenden Individuums, des Bürgers, auf.²⁹⁶ Erst nach der Jahrhundertmitte lässt sich vermehrt eine Themenwahl erkennen, die stärker auf das Haus als Institution bzw. auf das Zusammenspiel und -wirken der einzelnen Individuen in der Gruppe abzielt. Die Thematik war dabei zunächst ganz eindeutig in den übergeordneten gemeinnützig-ökonomischen Diskurs eingebettet, der nicht nur die theoretischen Schriften der Kameralisten (s. o.) und die Arbeit der ökonomischen Gesellschaften bestimmte, sondern seit der Jahrhunderthälfte auch den wesentlichen Triebmotor für die beginnende Popularisierung aufklärerischen Denkens in der so genannten „Volksaufklärung“ darstellte.²⁹⁷ Im Zuge der Bemühungen, die häusliche Wirtschaft zu optimieren und damit die allgemeine gesellschaftliche Stabilität entscheidend zu stärken, wuchs auch die Erkenntnis, dass neben dem Wissen um fachliche und methodische Zusammenhänge der Erfolg eines solchen Unternehmens ganz entscheidend von einer gelingenden Interaktion aller am häuslichen Leben teilnehmenden Individuen abhing. Parallel zur Feststellung, dass das Familienleben ja nicht von der Obrigkeit zu regieren sei, rückten zunehmend auch die persönlichen Beziehungen der Haushaltsmitglieder in den Blick der Diskussion. Wenig überraschend widmen sich die meisten Artikel, in denen das zwischenmenschliche Miteinander thematisiert wird, der Partnerwahl. Dies war das große Thema des 18. Jahrhunderts: Einerseits stellten emotionale und charakterliche Gewogenheit eine wichtige Grundlage für eine gelingende Ehe dar, andererseits durften aber bestimmte Erfordernisse im Hinblick auf Tugendhaftigkeit und Sittlichkeit

294 Dieser Prozess ist vielfach beschrieben worden und bildete als Meistererzählung der (fortschreitend gedachten) Entwicklung vom „christlichen Haus zur bürgerlichen Familie“ eine der Grundfesten der entstehenden bürgerlichen Wissenschaft von Geschichte. Ebenso zahlreich sind die Versuche und Differenzierungen, zur Literatur vgl. Forschungsstand. 295 Trepp, Emotion, S. 24–28. 296 Martens, Botschaft, S. 172–184; Vollhardt, Eigennutz, S. 241. 297 Vgl. hierzu Böning, Genese, S. 20–23.

146 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert der zukünftigen Eheleute deswegen keineswegs in den Hintergrund rücken – Tugenden, die vor allem auf die Kompetenz bzw. die Vermögensverhältnisse zielten, die für eine erfolgreiche Haushaltsführung als notwendig erachtet wurden.²⁹⁸ In den „Nützlichen Sammlungen“ wurde 1757 ein Artikel veröffentlicht, der sich unter dem Titel „Vom Hausfrieden“ mit der Ausgestaltung von Herrschaft in ehelichen Beziehungen auseinandersetzt. Ausgehend von einer aus dem Englischen übersetzten Geschichte, die in ironisierender Weise die Ausgestaltung der Machtverhältnisse der Ehe eines chinesischen Königs und seiner Frau von der „Insel der Verständigen“ erzählt, diskutiert der Verfasser verschiedene Argumente im Hinblick auf die Verteilung von Macht innerhalb der Ehe. Obwohl der Friedensbegriff außer im Titel nur einmal im Text vorkommt – in der Nacht vor der Hochzeit fordert die Prinzessin von ihrem chinesischen Prinzen vollkommene Unterwerfung, damit „wir mit einander vergnügt und friedlich leben können, [. . . ].“²⁹⁹ –, schließt die Argumentation und Thematik aufklärerisch gewendet eng an die aus der theologischen Ehestandsliteratur bekannten Aspekte an. Der Autor plädiert für eine alleinige Herrschaftsgewalt der Frauen im Hause, da ihnen die größere Kompetenz in charakterlich-emotionaler Hinsicht zugemessen wird. Die männliche Unfähigkeit zur Affektkontrolle bedürfe der weiblichen „Aufgeräumtheit“, was auch der „vorzüglichste[n] Neigung der Frau auf die Herrschaft“ entspräche. Das biblische Argument der männlichen Herrschaft könne nicht in Anschlag gebracht werden, da – so der Autor unter Berufung auf eine ihm bekannte „erfahrene Casuistin“ – einige besondere Vorschriften lediglich von den Umständen des Orts und der Zeit zu verstehen, und zu Abwendung des Aergernisses, welches die ersten Christen den Juden und Heiden, unter denen sie damals lebten, hätten geben können, geordnet wäre. Sie zweifelt gar nicht, daß der den Weibern vorgeschriebene Gehorsam gegen ihre Männer mit unter diese Gesetze zu rechnen, die im Anfange des Christentums mit Nutzen beobachtet werden können; jetzo aber sey solches nicht mehr nöthig.³⁰⁰

Der deutlich aus dem Text sprechende Modus der Ironie verweist auf die These, dass die eheliche Ordnung nach Meinung des Autors zu jenen gesellschaftlichen Fundamenten zu zählen sei, die nicht der aufklärerischen Dekonstruktion anheimfallen dürften. Der enge Zusammenhang von ehelicher Beziehung und häuslicher Ordnung wird auch hier über die „Regierungsfunktion“ hergestellt, wenn der Verfasser darauf hinweist, dass „eine jegliche Familie [. . . ] einen kleinen Staat aus[machet], und kann ohne ein Oberhaupt und ohne Gesetze nicht regieret wer-

298 Vgl. hierzu grundsätzlich Habermas, Frauen, S. 278–283; Habermas, Kleinfamilie, S. 291–293; Baumann, Partnerwahl, S. 40–42; Lanzinger, Partnerwahl, Sp. 898f. 299 Nützliche Sammlungen, 14tes Stück, 1757, Sp. 211–216, hier Sp. 211. 300 Ebd., Sp. 213.

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den, wenn nicht ein zerrüttetes Wesen, worin nicht als Verwirrung herschet, daraus entstehen soll.“³⁰¹ Die intendierten Assoziationen zwischen Titel und Textinhalt verweisen auf ein als selbstverständlich vorausgesetztes Grundverständnis des „Hausfriedens“, der sich entsprechend der überkommenen Tradition als Zustand einer wohlgeordneten Haushaltung präsentiert, die ihrerseits auf einer wohlgeordneten ehelichen Paarbeziehung beruht – und der im Kern auch die neuen Denkund Interpretationsmuster nichts anhaben können (sollten). War in den „Nützlichen Sammlungen“ die Art und Weise, wie eine solche Beziehung zu gestalten sei und welche sittlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen dazu vonnöten seien, noch auf eine dichotome Befehl-Gehorsam-Struktur reduziert worden und eine auf Ausgleich und Abwägung ausgerichtete Form explizit ausgeschlossen worden,³⁰² so schlugen in den folgenden Jahrzehnten die wenigen Artikel, die den Friedensbegriff aufgriffen, andere Töne an. So erschien etwa im „Hannoverischen Magazin“³⁰³ von 1767 die Übersetzung einer Erzählung Marmontels³⁰⁴ mit dem Titel „Die glückliche Familie“. Sie erzählt von den Folgen und Konsequenzen unvernünftiger Eheschließungen, sowohl in ständischer und ökonomischer, als auch in charakterlicher Hinsicht. Träfen übereinstimmende Alter und zur Zärtlichkeit neigende Charaktere zusammen, unterstütze der Vater das neue Paar mit Erfahrung, so würden „Friede und Freude [. . . ] in Deiner Familie wohnen“.³⁰⁵ Basile und Lucie, die beiden Protagonisten dieser unter nicht einfachen Umständen geschlossenen Ehe, führen daraufhin ihr Haus aufgrund ihrer jeweils durch „die neue Heloise“ bzw. „seinen Vater“ erlangten Tugendhaftigkeit erfolgreich, ohne zur Pflichterfüllung gezwungen werden zu müssen: „So flossen Allard und seiner Familie ruhige tugendhaft vollbrachte

301 Ebd. 302 „Viele halten davor, daß so wenig der Frau, als dem Manne eine Herrschaft zukomme, und glauben, es hätte der eine sowol als der andere nur das Recht, Vorstellungen zu tun, oder einen Rath zu geben. Mir scheinet aber eine solche Verfassung sehr schlecht.“ Ebd. 303 Das „Hannoverische Magazin“ war die Beilage zu den „Hannoverischen Anzeigen“, die seit 1750 zweimal wöchentlich erschien. Das seit 1763 so benannte „Hannoverische Magazin“ war ein „typisch aufklärerisches, hausväterliches, gemeinnütziges Organ, das, wenn auch gelegentlich Novellen und Erzählungen eingestreut sind, doch vornehmlich der Vermittlung praktischen Wissens und nützlicher Kenntnisse dienen sollte.“ Haase, Obrigkeit, S. 203, vgl. auch Möllney, Presse, S. 180–182. 304 Jean-François Marmontel (1729–1799) war ein bekannter französischer Schriftsteller, der vor allem aufgrund seiner zeitkritischen Satiren und philosophischen Romane Ansehen genoss und auch in Deutschland gelesen wurde. Seine Apologien des Ehe- und Familienlebens wie auch seine Betonung des sentiments sind charakteristisch. Er wirkte vielfach an den literaturbezogenen Teilen der Encyclopédie mit. Rieger, Literatur, S. 229, 233, 246. 305 Hannoverisches Magazin, 69tes Stück, Freytag, den 28ten August 1767, Sp. 1100.

148 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Tage in dem Schoosse der Unschuld und der Freundschaft dahin. Ihr Haus war die Zuflucht des Friedens und der Freude.“³⁰⁶ Im Jahr zuvor war an gleicher Stelle eine über mehrere Wochen fortgesetzte Abhandlung eines Göttinger Gelehrten erschienen, der die Bedeutung der „häuslichen Sparsamkeit zum Vortheile des gemeinen Wesens“ ausführlich ausgebreitet hatte – wenngleich ohne Bezug auf innerhäusliche Beziehungskonstellationen. Knapp zehn Jahre später erschien ein Artikel Johann Hudtwalckers, der für sein aufklärerisches Engagement weit über die Grenzen seiner Heimatstadt Hamburg hinaus bekannt war. Unter dem Titel „Vom Glück des häuslichen Lebens“ preist er die Vorzüge des zurückgezogenen Lebens im häuslichen Kontext, das er als Gegenentwurf zu einer mobilen, auf Weltbereisung abzielenden und damit zugleich Entfremdung bedeutenden Lebensweise entwirft. Die physische wie emotionale Nähe charakterisiert die Familie, die er ganz auf kernfamiliäre Abstammungsdefinitionen zurückführt und eng an ein patriotisches Vaterlandskonzept bindet: Und wie lange blieb nicht, bey den bessern Völkern des Alterthums, dieses [das Glück des häuslichen Lebens, ISV] der herrschende Geschmack? Daher hatten sie auch ein Vaterland, fühlten, wovon ihre Nachkömmlinge schwatzen, Vaterlandsliebe; Vaterland, weil sie ein Haus- Vaterlandsliebe, weil sie ihre edelsten Freuden in diesem Hause hatten; [. . . ] Ist nicht das häusliche Leben ein fröhliches? Aber daß es auch ein sehr gemeinnütziges ist, macht es zu einem glücklichen. Das, was die ausgebreitetsten, herrlichsten Folgen für uns, für unsere Zeitgenossen und für die Nachwelt hat, die Quelle aller Moralität, die Stütze unserer besondern und der allgemeinen Wohlfahrt: gute Erziehung, findet nur bey dem häuslichen Leben statt.³⁰⁷

Nach ausführlicher Verurteilung aller Versuche, Kindern durch außerhäusliche Erziehung zu mehr Sittlichkeit zu verhelfen, zählt er die Kerntugenden auf, die sich beinahe von selbst aus der Lebenssituation im Hause ergeben. Neben Ehrfurcht, Nachsicht, Geduld, Folgsamkeit und Demut sei dies vor allem „Lust an Frieden und Versöhnung“.³⁰⁸ Er schließt mit einem finalen Appell an die Ehe als Kern solcher „Glückseligkeit“: Dem, der häusliches Leben, mit Friede und Wonne und namenloser Süßigkeit um sich her kennt, ist ein Wink genug. Ja, Friede und Wonne dem Manne, der sich freuet des Weibes seiner Jugend, der Frau, die sich ihm gab, um ihm Freude zu seyn!³⁰⁹

Auch Hudtwalckers Rede zielt auf die eheliche Beziehung als Kern eines Friedens, der hier allerdings ganz anders konzipiert ist. Das friedliche Leben, das hier

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Hannoverisches Magazin, 71tes Stück, Freytag, den 4ten Septemb. 1767, Sp. 1133. [Fortsetzung] Hannoverisches Magazin, 50tes Stück, Freytag, den 21ten Junius 1776, Sp. 790f. Ebd., Sp. 793. Ebd., Sp. 800.

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skizziert wird, lebt gerade von in allgemeiner Harmonie aufgelösten Machtbeziehungen. Die Emotionalität und quasi natürliche Sittenbildung machen den früher nötigen Zwang zur Pflichterfüllung überflüssig³¹⁰ – nicht nur in horizontaler, auf die Ehebeziehung zielender Ebene, sondern auch vertikal, wenn man den friedensbildenden Effekt der Kindeserziehung und Geschwistererfahrung in einem solchen Hause in Betracht zieht. Auch hier erscheinen Haus und Familie als „Zufluchtsorte des Friedens“, in denen die weltlichen Machtstrukturen, wenn nicht aufgehoben, so doch bedeutungslos geworden sind. Sie sind gleichwohl nicht mehr in einem außerhalb der Welt befindlichen Paradies angesiedelt, sondern befinden sich mitten in der Welt, quasi als ihr Ursprung. Die enge Verbindung der erzählerischen Mittel und Darstellungsformen zu den arkadischen Schäferdichtungen ist unübersehbar und schließt an andere literarische Friedensrepräsentationen im ausgehenden 18. Jahrhundert an.³¹¹ In Entsprechung zu diesen auf die universelle Harmonie und Glückseligkeit zielende Hausfriedensidee haben Streit, Zank und Zwietracht keinen Platz in dieser Konzeption – auch nicht ex negativo.³¹² Die Artikel über ehelichen, familiären und häuslichen Frieden stehen allerdings nicht für sich alleine, ihre Friedensappelle sind sicherlich immer auch im Zusammenhang mit der Vielzahl von Artikeln zu sehen, die einerseits die individuelle Sittenbildung thematisieren oder auf die Optimierung der häuslichen Wirtschaft zielen. So steht etwa im „Hannoverischen Magazin“ von 1779 die Erzählung von Leonore, die Möglichkeiten zur Überwindung familiären Zwistes diskutiert, im selben Band wie ein Auszug aus den „Pensées“ Rousseaus „Ueber Oekonomie und häusliche Policey“. Intensiv wird hier die Notwendigkeit einer klaren, inneren Führung des Hauses durch den Hausvater vertreten, nicht nur in ökonomischer, sondern auch in moralischer Hinsicht: „Jener dünkt sich ein herrlicher Hausvater, und war nur ein guter Wirth. Das Vermögen kann wachsen, aber das Haus kann zugleich verfallen.“³¹³ Auch im Hildesheimer Magazin erschien ein Artikel zu „Eine nicht genug beherzigte Ursache der immer mehr zunehmenden Armuth in bürgerlichen Familien“. Hier werden deutlich die Risiken und die Prekarität der häuslichen Ökonomie im 18. Jahrhundert thematisiert sowie deren Bedrohungspotenzial für die häuslichen Beziehungen, denen doch wieder-

310 Zur Bedeutung der Emotionalität als sinnstiftendes Medium der Bürgerlichkeit vgl. Trepp, Emotion, S. 24f., Trepp, Ungleichheit, S. 98f., Hausen, Ulme, S. 90–93. 311 Vgl. etwa Oesterle, Friede des Gartens, S. 737–741. 312 „Nun wurden alle alte Beleidigungen auf ewig vergessen. Gomez vereinigte Carlos und Leonore miteinander, und die Ruhe ward in zwey edlen Familien auf einmal wieder hergestellt, die eine wechselseitige Feindschaft so viele Jahre hinter einander unterbrochen hatte.“ Hannoverisches Magazin 17tes Stück, Sp. 154. 313 Hannoverisches Magazin, 17tes Stück, Sp. 1385f.

150 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert um grundlegende Stabilisierung der häuslichen Ordnung und damit Ökonomie zugesprochen wurde: Glückt es ihm ja, so viel zu erwerben, daß er so eben rund schießt, so ist es ihm doch gewiß unmöglich, dabey auf künftige Fälle etwas zu ersparen. So lange nun keine Kinder kommen, und so lange beyde Eheleute gesund bleiben, geht es denn noch so hin. Wird der Hausstand aber größer, oder fallen Krankheiten und andere Umstände vor, so wird die Haushaltung die gute Ordnung versäumt. Unordentliche Arbeit zieht den Verlust der Kunden nach sich. Bey herannahenden schlechten Umständen entsteht denn nur gar zu oft Zank und Zwist unter den Eheleuten, Liebe zum Trunk und Reitz zu unerlaubten Kunstgriffen. Die bitterste Armuth ist sehr oft das Ende. Sie und ihre Kinder geraten häufig in das allergrößte Elend, und fallen zuletzt den öffentlichen Armen-Anstalten zur Last.³¹⁴

Neben solchen eher zu den gemeinnützig-praktischen Debatten gehörenden Artikeln zur häuslichen Ökonomie, deren unmittelbarer Zusammenhang mit den zeitgleich stattfindenden theoretischen Reflektionen der Kameralisten sehr deutlich ist, finden sich vielerlei „Sittengemälde“ von Haus und Familie, in welchen in verschiedenen Erzählformen die alltägliche Umgangsweise miteinander diskutiert werden und auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, gerade im häuslichen Kontext aufgrund der großen Nähe und Abhängigkeit voneinander die Tugendhaftigkeit eines nachsichtigen Umgangs miteinander zu pflegen.³¹⁵ Hierzu finden sich zahlreiche Details, nur selten ist ein Bezug auf Friedensbegriffe feststellbar – wenn, dann am Schluss resümierend. In den von 1787–1797 in Oldenburg erscheinenden „Blättern vermischten Inhalts“ erschien 1790 ein „Brief des Assessors W. an seine Schwester: Über häusliche Glückseligkeit“³¹⁶, in dem er seine atmosphärischen Eindrücke eines gerade zurückliegenden Besuches reflektiert: Dir fehlt häusliches Glück, und das durch Dein eigenes Versehen. Du machst es nämlich, wie es viele andere machen. Du bist höflich, dienstfertig, nachsichtig und behutsam im Betragen gegen jeden; aber in Deinem eigenen Hause bist Du – nimm mirs nicht übel – auf Deutsch ein Brummbär. Allein das ist verkehrte Politik. Wers auch nicht fühlt, daß es Pflicht ist, denen, die zunächst um ihn sind, ihre Tage möglichst angenehm zu machen, sollte doch seiner eigenen Ruhe wegen, gegen diejenigen, mit denen er täglich umgeht, deren Liebe ihm am öftersten zu statten kommt, deren Abneigung ihm am öftersten fühlbar wird, behutsamer seyn, als gegen irgend einen andern.³¹⁷

314 Hildesheimisches Magazin, 57tes Stück, Sonnabend, den 25ten Julius 1789, Sp. 449f. 315 Während die aufklärerischen Zeitschriften und Publizistik intensiv aus geschlechtergeschichtlicher, ökonomiegeschichtlicher und pädagogischer Perspektive untersucht worden sind, lässt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage des Bildes der Familie hier kaum mit detaillierteren Analysen wiederfinden. Vgl. Weckel, Häuslichkeit, S. 455–532; Kersting, Zeitschriften, S. 274–278; 316 Blätter vermischten Inhalts, 3tes Stück, 1790, S. 155–169. 317 Ebd., S. 156.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

151

Nachdem der fiktive Assessor seiner Schwester eine Vielfalt von Alltagsbegebenheiten aufgezählt und analysiert hat – vor allem ihren Umgang mit den Dienstmädchen –, schließt er seinen Brief mit einem Zustimmung fordernden Punktekatalog: Ich denke also 1) daß unsere Wohnhäuser billig Tempel des Friedens und der Ruhe seyn sollten. Unter freyem Himmel acht ich ein wenig Sturm und Regen nicht; allein was nützt mir mein Haus, wenn ich auch unter meinem Dache nicht trocken bleibe? Aber häuslicher Friede ist doch noch unendlich mehr werth, als trockne Kleider. Wer innerhalb seiner vier Pfähle nur eine sichere Ruhestätte findet, der schüttelt leicht ab, was im Gedränge unter allerley Menschen ihm unangenehmes wiederfuhr.³¹⁸

Die Formulierung vom Haus als „Tempel des Friedens“ wird in den folgenden Passagen noch mehrfach wiederholt und in seiner Eindringlichkeit fast bis zur Beschwörung gesteigert. Auffällig ist hier an dem eher wolkigen Gebrauch des Begriffs, dass der Verfasser sehr deutlich auf die ethischen Implikationen des Friedensbegriffs abzielt und vor dem zeitgenössischen Normenhorizont häuslichen Lebens interpretiert. Zugleich verweist er aber auch auf den juristischen Begriffsgehalt, wenn er auf die „vier Pfähle“ und die von ihnen gewährte Sicherheit abzielt – auch wenn er es nicht weiter ausformuliert oder konkreten Bezug auf juristische Aspekte nimmt, so muss er doch bei seinen Lesern ein entsprechendes Wissen um den juristischen Hausfriedensbegriff voraussetzen können. Die intensive Beschwörung des häuslichen Friedens in diesem Zusammenhang ist aber auch einem veränderten Kontext geschuldet, der zu einer verstärkten Präsenz des Hausfriedensbegriffs in der Publizistik führte. Mit der Französischen Revolution und in ihrer Folge den politischen Erschütterungen im Reich mit den Koalitionskriegen, dem Rheinbund und der Auflösung des Alten Reiches scheint es zu einem deutlichen „Konjunktur“-Anstieg für Haus und Familie gekommen zu sein, die in Zeiten massiver politischer Instabilität zum Kern, Rückzugs- und Ausgangspunkt gesellschaftlicher Ordnung schlechthin avancierten.³¹⁹ So gab der Leipziger Buchhändler Johann Gottlieb Dyk 1795 die Beilagen der „Neuen Leipziger gelehrten Anzeigen“ der Jahre 1792 bis 1794 unter dem Titel „Politische Blätter – den Freunden des Friedens und der häuslichen Ordnung gewidmet“ heraus. Wenngleich es inhaltlich nicht um eine Auseinandersetzung mit Aspekten der häuslichen Ordnung geht, sondern um eine facettenreiche Darstellung der Schrecklichkeiten der Französischen Revolution, so zeigt doch der Titel eine Politisierung bürgerlicher Häuslichkeit als Ort der (antirevolutionären) Ruhe, aus der politischer Frieden erwachsen möge; eine Entwicklung, die die weitere Semantik

318 Ebd. S. 161 319 Weckel, Häuslichkeit, S. 510–532; Schmidt, Wandel, S. 211–251; Böning, Presse, S. 440–456.

152 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert deutlich prägen sollte.³²⁰ Neben solchen plakativen Vereinnahmungen erschienen aber auch Zeitschriftenartikel und kleine Bände, die den Hausfrieden explizit zum Thema machten: Der häusliche Friede ist ein Heiligthum, welchen zu brechen, oder auch nur zu verletzen, sich ein jedes Mitglied eines häuslichen Zirkels scheuen sollte. Er ist so leicht, oft durch unbedeutende Kleinigkeiten, gestört, und wenn er auch bei verträglichen Menschen – denn von diesen rede ich hier eigentlich – bald wiederkehrt, so läßt doch die Störung unangenehme Empfindungen zurück, die nicht selben mehr oder minder auf die Moralität einen widrigen Einfluß haben.³²¹

So eröffnete das „Neue Hannöverische Magazin“³²² im Juli 1802 eine neue Ausgabe unter dem Titel „Ueber den Hausfrieden“. Der Fokus dieses Essays liegt auf dem Appell an die emotionale Stabilität des Hausvaters, [d]a nun der Hausvater in seiner Familie den Ton angibt; da von seiner Stimmung die Stimmung des Hauses abhängt, so ist der am mehrsten verbunden, keine muthwillige Veranlassung zu geben, welche seine Hausgenossenschaft aus der glücklichen Stimmung inniger Eintracht bringen könnte.³²³

Zuviel Strenge stünde dem Hausvater ebenso wenig an wie fehlende Aufsicht, beides wäre dem Funktionieren nachteilig, nicht einmal ökonomisch wäre es vertretbar, ein „Störer des Hausfriedens zu sein“. Der Hausfrieden – verstanden als harmonisches Miteinander in gegenseitiger Wertschätzung bei individueller Pflichterfüllung entsprechend der häuslichen Stellung – wird hier als Basis und unverzichtbarer Kern einer jeden Haushaltung gesetzt, dessen Gefährdung neben den allzeit präsenten Herausforderungen des Alltags³²⁴ vor allem im unachtsa320 Dyk, Blätter. Johann Gottfried Dyk (1750–1813) erbte das Buchhandelsunternehmen seines Vaters und war selbst literarisch aktiv. Neben einigen Schauspielen schrieb er vor allem historischpolitisch-moralische Literatur für die Jugend und zum Schulgebrauch sowie ein mehrbändiges Werk über die schlechten französischen Einflüsse auf das deutsche Theater. 321 Neues Hannöverisches Magazin, 60tes Stück, Montag, den 26ten Julius 1802, Sp. 945–960, hier Sp. 945. 322 Auch das „Neue Hannöverische Magazin“ muss zu den antirevolutionären, obrigkeitlich kontrollierten Blättern gezählt werden, sie waren Ergebnis strenger Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen, die in Kurhannover als Reaktion auf die Revolution bereits 1791 eingeführt worden waren. Der Herausgeber beabsichtigte sogar, das Magazin für genealogische Abhandlungen, Ahnentafeln und Leichenpredigten zu öffnen, um einen Gegenpol zur verwirrenden Gegenwart zu stiften. Haase, Obrigkeit, S. 210f. 323 Neues Hannöverisches Magazin, 60tes Stück, Montag den 26ten Julius 1802, Sp. 945. 324 „Der Lebensgenuß einer Familie, die in der Eintracht bei einander wohnt, ist ja ohnedem so leicht unterbrochen. Krankheit, Tod, und überhaupt, wie viele Unglücksfälle können ihr Glück stören, besonders wenn sie zahlreich ist, und nicht im Ueberflusse lebt?“ Ebd., Sp. 947.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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men, verletzenden Verhalten des Hausvaters gesehen wird. Denn gerade in einer schleichenden Vergiftung der häuslichen Atmosphäre erkennt der Verfasser den Ursprung zerrütteter Familien und zerfallender häuslicher Ökonomien. Sehr psychologisierend folgen einige Exempel, in welchen die Wichtigkeit der emotionalen Beziehungspflege innerhalb der häuslichen Verhältnisse erörtert wird. Neben Bedrohungsszenarien durch Unausgeglichenheit, Überreaktion, Unverhältnismäßigkeit und mangelnden Respekt vor dem Gegenüber werden vor allem Lösungsmöglichkeiten dargelegt. Überwindung und das Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens tun dabei dem Führungsanspruch des Hausvaters in keiner Weise Abbruch, sondern lassen ihn an Respektabilität gewinnen. Die Beispiele beziehen sich hier zum einen auf eine Szene bei einem gemeinsamen Abendessen sowie auf eine Auseinandersetzung zwischen einem Vater und seinem erwachsenen Sohn in der gemeinsamen Werkstatt. Beide stellen Situationen dar, in der die gegebenen häuslichen Hierarchien insofern instabil sind, als dass sie uneindeutig geworden sind. Das gemeinsame Essen, die commensalitas, als ursprünglich religiöses Ritual lebt gerade von der Gleichwertigkeit aller Teilnehmer, während die gemeinsame Werkstattarbeit mit erwachsenen Kindern, die exklusive Entscheidungskompetenz des Vaters in Frage stellt.³²⁵ Die Reflexionsebene dieses Artikels deutet auf eine große Praxisnähe des Verfassers hin, denn neben der typischen Betonung der Emotionalität des häuslichen Lebens wird hier sehr viel stärker dessen Prekarität thematisiert. Damit schließt der Artikel an die überkommenen Ehe- und Hausstandslehren an, die auf die große Verantwortung und Selbstregulierung des Hausvaters abzielen. Während dort aber potenzielle Konflikte nicht nur mit der Ehefrau, sondern auch mit den Kindern und vor allem dem Gesinde mit dem biblischen Gehorsamsgebot abgehandelt werden, zeigt sich hier eine differenziertere Wahrnehmung und Interpretation solcher innerfamiliärer Beziehungsmuster: normative Pauschalitäten werden geradezu abgelehnt und dem Feingespür der Beteiligten überlassen. Herrmann, der vom Vater drangsalierte, erwachsene Sohn ruft in Erregung aus: Alle tractirt ihr mich mit der Bibel, und neben dem Gehorchen steht doch auch der Aeltern Pflicht: reizet eure Kinder nicht zum Zorn! Und gewiß sehr weislich gesprochen. Es ist wahrlich eine leichte Sache ein Kind zu reizen, das Naturrecht, die öffentlichen Gesetze und selbst die Bibel wehrlos zu machen!³²⁶

325 Zur Funktionsbedeutung des gemeinsamen Mahls vgl. Gestrich, Familie, Sp. 806; zur Bedeutung generationeller Veränderungen im Familienleben durch erwachsen (werdend)e Kinder vgl. Kondratowitz, Generationenkonflikte, Sp. 452; Zink/Jall, Eltern-Kind-Beziehung, S. 302f. 326 Neues Hannöverisches Magazin, 60tes Stück, Montag den 26ten Julius 1802, Sp. 956.

154 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Damit lässt sich eine Verschiebung hinsichtlich der „Friedensagenten“ feststellen. Waren es in den früheren, religiös begründeten Hausliteraturen vor allem die Geschlechterbeziehungen zwischen Ehemann und Ehefrau, die der Pazifizierung im Sinne einer Einfügung in die häusliche Ordnung bedurften, so steht nun mehr das Generationenverhältnis im Zentrum – einerseits gegenüber den eigenen Kindern, aber auch gegenüber dem Gesinde, das rechtlich nach wie vor eng am Kindesstatus orientiert war.³²⁷ Diese Verschiebung lässt sich auch in einer Schrift feststellen, die sich dem „Frieden im Hause“ mit Blick auf das Gesinde zuwendet. Wenngleich sich inhaltlich keine explizite Auseinandersetzung mit der häuslichen Ordnung mithilfe des Friedensbegriffs findet, so geht es doch im Wesentlichen um die Tugend- und Sittenbildung des – ganz der gängigen Gesindeschelte entsprechend – verderbten und leichtsinnigen Gesindes. Grundabsicht dieser Schrift eines sächsischen Verwaltungsbeamten ist die Stärkung des häuslichen Gottesdienstes zur „Veredelung“ des Gesindes.³²⁸ Mit dem Erscheinungsjahr 1809 steht das Werk aber schon deutlich im Zeichen der zunehmenden Regulierung häuslicher Strukturen, die sich sowohl in der Literatur als auch in rechtlichen Aspekten wie dem Erlass der preußischen Gesindeordnung 1810 widerspiegelte. Neben der „Kleinliteratur“ in den periodisch erscheinenden Presseerzeugnissen spielt in Bezug auf den häuslichen Frieden aber auch der Theaterbetrieb eine wichtige Rolle. Eingedenk der Bedeutung des häuslichen Hintergrundes für alle Formen des bürgerlichen Trauerspiels und literarischer Selbstvergewisserung überhaupt, gelingt Iffland mit seinem „Hausfrieden“ von 1796 ein Coup. Die Inszenierung des Hauses und der es prägenden Häuslichkeit als Garanten gesellschaftlicher Ordnung und Stabilität wird in dem Drama erreicht durch die offensichtlichen Fehltritte und moralischen Verwerflichkeiten seiner Bewohner. Sie gefährden die gesellschaftliche Ordnung durch Missachtung ihrer „privaten“ Pflichten. Trotz eines sehr geteilten Kritiker-Echos bestimmte dieses Stück lange die Spielpläne von Weimar, Wien und Berlin, bis 1807³²⁹ – auch dies ein Hinweis auf die Popularität des Themas und des Begriffs. Dieser fand sich auch in zahlreichen anderen Romanen und Texten wieder, wie z. B. der Übersetzung von Bernardin de Saint Pierres „Die Familie auf Isle de France. Ein rührendes Gemälde häuslicher, gestörter Glückseligkeit“, die 1789 erschien. Blickt man zusammenfassend auf das heterogene Bild, das die Repräsentation von Haus und Familie in den Moralischen Wochenschriften und Journalen bie327 Vgl. Schmidt-Voges, Frieden, S. 105–126; Lubinski, Gesinde, S. 108–111; Dürr, Dienstbote, S. 122–124. 328 Schmiedtgen, Friede, vor allem Kap. 5. 329 Antoine, Hausfrieden, S. 117–121.

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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tet, lassen sich vier Aspekte herausstellen. Zum einen werden die verschiedenen Funktionsbereiche des Hauses – sei es Ehe, Kindererziehung, Gesindeführung, Produktionsweisen oder Haushaltung – zumeist als eigene Bereiche, getrennt voneinander diskutiert, eingebettet in die jeweiligen Diskurse, die sich wie gesehen auch auf der übergeordneten Ebene seit dem 17. Jahrhundert auseinander zu dividieren begannen. Erst ab etwa der Jahrhundertmitte finden sich wieder verstärkt Hinweise auf ein Bild vom Haus als ein durch seine persönlichen Beziehungen geprägter sozialer Raum, der aufgrund seiner spezifischen Konstitutionsbedingungen die Handlungsspielräume der einzelnen Akteure deutlich strukturiert – und deshalb positiv reguliert, „entwickelt“ werden muss. Zum anderen sind die Zeitschriftenartikel geprägt von dem für die Aufklärung typischen Modus der Beobachtung, der nicht vorgegebene einheitliche Idealtypen etablieren will, sondern Erfahrungswissen aufrufen und durch Abstraktion aus der Analogiebildung heraus optimieren will. Dies geschieht in den vielgestaltigen Exempelerzählungen und Schilderungen, welche die Artikel vielfach prägen. Drittens lässt sich in diesen Texten deutlich die Forderung nach einer Sittlichkeit und Moral ablesen, die unabhängig von kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten sich im Alltagskontext verwirklichen und bewähren kann. Für die Funktionalisierung des Friedensbegriffs bedeutet das, dass auch er aus dem rigiden Gerüst juristischer und theologischer Normativität herausgeholt wird – ohne jedoch seine Wurzeln zu verlieren –, um ihn in die „neuen“ Semantiken der Glückseligkeit, der Freundschaft und der Harmonie einzubetten. Das sich darin abzeichnende Konzept relativer Offenheit im Hinblick auf die Gestaltung der sich so eröffnenden Handlungsspielräume stellt sich der Gleichzeitigkeit vieler „traditioneller“ Texte mit einer „traditionellen“ ordnungsund hierarchiebezogenen Friedenssemantik entgegen. Gleichwohl nimmt diese unter dem Eindruck der revolutionären Auflösungsbedrohung um 1800 wieder deutlich zu.

2.3.4 Fazit: Die „Verhäuslichung“ des Hausfriedens Die verschiedenen Konzeptualisierungen des „Friedens“ in Bezug auf das Haus im 18. Jahrhundert öffnen die Schere weiter, die sich bereits für die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert abzeichnete und eng mit den sich ändernden Perspektiven auf das Haus als sozialer Institution verknüpft war. Die Verlagerung des Interesses der weltlichen Obrigkeit auf die ökonomischen Aspekte des Hauses als langfristig stabilem Produktionsort von materiellen Gütern und geeigneten „Humanressourcen“ verlangte nach politischen Steuerungsmitteln. Diese lagen in einer systematisierten, vereinheitlichten und erneuerten Rechtsgrundlage für häusliches Leben. Die Debatten zu Beginn des Jahrhunderts hatten gezeigt, dass

156 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert sich eine verlässliche Rechtsgrundlage nur hinsichtlich der Gewährleistung der äußeren Sicherheit des Hauses erarbeiten ließ, da die einzelnen Situationen und Bedingungen zu komplex und vielfältig waren, um sie in Rechtstexten abzubilden. Mit diesem in der kameralistischen Theorie begründeten Rückzug der weltlichen Obrigkeiten aus der direkten Regulierung des Hauses korrespondierte die Konzentration des obrigkeitlichen Zugriffs auf den Hausvater, der nun als alleiniger Repräsentant des Hauses fungierte. Innerhalb des Hauses wurde ihm – in der Theorie – eine staatlicherseits unregulierte Herrschaftsausübung zugestanden. Reguliert hingegen durch die moralischen Tugenden, deren Bildung, Anwendung und Einforderung jedoch durch die bürgerliche Gesellschaft vorgesehen war. Spielte der Friedensbegriff in der politischen Theorie des 18. Jahrhundert ausschließlich im Sinne des juristischen „Hausfriedens“ als äußerlich garantierte Sicherheit eine Rolle, tauchte er in jenen Medien verstärkt auf, die sich gerade der moralischen Tugend- und Sittlichkeitsbildung verschrieben hatten. Das waren vor allem die aufkommenden Moralischen Wochenschriften und Journale, in denen das Haus zunächst nicht im Mittelpunkt stand. Zwar spielte es als Rahmen und Bühne bürgerlicher Selbstdarstellung eine wichtige Rolle, als sozialer Raum mit persönlichen Beziehungen dieser bürgerlichen Individuen rückte es allerdings erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert in den Mittelpunkt. Das gesteigerte Interesse, im Rahmen der gemeinnützigen Diskurse auch jenes Wissen zu popularisieren, das die häuslichen Ökonomien befördern und aus der latenten Prekarität herausführen könnte, führte zugleich zu der Einsicht, dass dies nicht nur vom Fachwissen abhinge, sondern auch von der innerhäuslichen Atmosphäre. Entsprechend der empfindsamen Konzeptualisierung persönlicher Beziehungen, tauchte der Friedensbegriff nun in semantischen Kontexten auf, die sich deutlich von denen des 16. und 17. Jahrhundert unterschieden. Zwar spielten auch Liebe und Freundschaft eine große Rolle, jedoch deutlich gefühlsbetont gefärbt mit Attributen wie Zärtlichkeit, Sanftmut und Hingabe. Frieden im Hause bezeichnete damit im Gegensatz zur Kameralistik einen handlungsorientierten Prozessbegriff, der zudem wesentlich stärker auf das den Handlungen zugrunde gelegte Gefühl als auf die Handlungsweisen selbst abzielte. Damit einher geht die Tendenz, diesen neuen „privaten“, unregulierten Raum so zu gestalten, dass Machtbeziehungen gerade nicht offen zu Tage treten und im Kontext der allgemeinen „Friedlichkeit“ sublimiert werden. Die „Natürlichkeit“ familiären Lebens bedurfte keiner offenen, auf Zwang basierenden Herrschaftsbeziehungen. Gehorsam und Einfügung geschahen eher aus der gefühlten vernünftigen Einsicht heraus. Waren die Journale zunächst noch dezidiert gegen kirchliche Einflüsse gerichtet, so korrespondierten die in ihnen sich etablierenden Diskurse der Moralität dennoch eng mit theologischen Vorstellungen. Neben dem Neudruck bekannter Erbauungsliteratur des 17. Jahrhundert wurden gerade in den letzten Jahrzehn-

2.3 Fluide Diskurse: Hausfrieden im 18. Jahrhundert |

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ten des 18. Jahrhundert neue Andachts- und Erbauungsbücher auf den Markt gebracht, die sich dem neuen Geschmack und den neuen Anforderungen an Homiletik und Vermittlung angepasst hatten. In ihnen wird in der Beschreibung häuslicher Ordnung vielfach auf den Friedensbegriff rekurriert, der einerseits die tradierten klaren Ordnungsstrukturen des Hauses repräsentiert, der aber zugleich die neue „Gefühlskomponente“ miteinbezieht und auf diese Weise alte und neue semantische Elemente miteinander verknüpft. Auffällig ist in diesen religiösen Schriften, dass sie – im Gegensatz zu den Journalen, in denen die häusliche Gemeinschaft immer als Ganzes betrachtet wurde – wieder stark auf die Ehe als häusliche Kernbeziehung fokussieren. Dieses konservative Moment gewann vor allem nach der Französischen Revolution an Bedeutung, als die offenen, neuen Handlungsspielräume zugunsten einer stabilen Ordnung aufgegeben wurden und das frühere, klare Ordnungsmodell wieder in den Vordergrund trat. Dieser moralischen „Versteifung“, die sich im Hinblick auf den Friedensbegriff vor allem in der starken Betonung der Unterordnung und des Gehorsams abzeichnete, entsprach auf der rechtlichen Ebene in den Rechtskodifikationen die Durchsetzung eines ganz auf die Prädominanz des Hausvaters abzielenden Gesetzgebung, die jedoch keinerlei Bezüge zu einer Friedensvorstellung aufwies. Die Entwicklung des auf das Haus bezogenen Friedensbegriffs im 18. Jahrhundert spiegelt damit eine Entwicklung wider, die für den Friedensbegriff insgesamt gemacht worden ist. Die Aufgabe des alle Bereiche menschlicher Existenz umfassenden Friedensbegriffs augustinischer Prägung führte zu einer Diversifizierung von Friedensvorstellungen, die nicht mehr zwingend miteinander verbunden sein mussten.³³⁰ Für den häuslichen Frieden konnte aber gezeigt werden, dass – im Gegensatz zum Auseinanderdriften eines utopischen, auf die Seele und das Universum bezogenen Friedensbegriff und eines politischen, am zwischenstaatlichen Krieg orientierten Friedensbegriff – in seiner Konzeptualisierung die Ordnungsfunktion und die prozessbezogenen Implikationen einen immens politischen Charakter erhielten und in Zeiten staatlicher Auflösungserscheinungen wiederum zum Kern gesellschaftlicher, diesmal bürgerlich-gesellschaftlicher Stabilität mit deutlicher Autoritätsfixierung wurde.

330 Kater, Friede, S. 25.

158 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert

2.4 Häuslicher Friede = Hausfriede? Diskurssemantiken Die semantische Verknüpfung von Frieden mit dem Haus hatte seine Wurzeln in der christlichen Ethik der Spätantike, die die Kirchenväter für die damalige bestehende Gesellschaftsstruktur und ihre Ordnungselemente aufbereitete. Die Kardinaltugend der caritas galt es im Haus als Kern aller sozialen und politischen Herrschaftsordnung zu verwirklichen und erhielt dadurch vor allem eine herrschaftsethische Konnotation, die der sonst wenig regulierten Herrschaft des Hausvaters Schranken setzen sollte. Gleichwohl entstand Hausfrieden erst durch die Reziprozität der Akteure, denn ohne die (gehorchende) Friedfertigkeit der Hausgenossen konnte keine (befehlende) Friedfertigkeit des Hausherren gegeben sein, die zusammen erst den Hausfrieden ausmachten. Dieses ausbalancierende Strukturprinzip häuslichen Handelns nannte Augustinus neben pax auch tranquillitas oder concordia und machte es zum übergreifenden Ordnungsprinzip der Gesellschaft, zur ordo. Ein Ungleichgewicht in den häuslichen Interaktionen hatte notwendigerweise Zwietracht, Hader und Zank (discordia, unanimitas) zur Folge. Hausfrieden war als Fundamentalnorm des oikos also durch eine duale Strukturierung gekennzeichnet, er war Medium und Ergebnis der im Haus vollzogenen Praktiken zugleich. Diese Grundstruktur durchzog alle weiteren ethischen Konzeptualisierungen des Hausfriedens bis ins beginnende 19. Jahrhundert hinein, wobei sich der Begriff selbst bis ins Mittelalter nur in diesen theologischen Kontexten auffinden ließ. Erst in der Amalgamierung individueller und kollektiver Normen in der stadtbürgerlichen Gesellschaft des Mittelalters fand eine begriffliche Adaption von und Verquickung mit juristischen Normentwürfen des Hausfriedens statt. Diese basierten wesentlich auf dem genossenschaftlichen Prinzip der Städte als Schwurgemeinschaft und machten Frieden im Sinne von Gewaltlosigkeit zum Kern der individuellen wie kollektiven Identität als (Stadt)Bürger. Zugleich stellte das Haus als Kernelement dieser Gesellschaft den Brennpunkt des städtischen Friedens dar. Zum einen war es ein Ort der Sicherheit vor äußerer Beeinträchtigung, zum anderen aber, da sich mit dem Haus auch die Ehe als zentrale, das heißt einzig legitime, Lebensform etablierte, auch ein Ort gesellschaftlicher Stabilität und Ordnung, indem mit Frieden die Ausübung von Alltagspraktiken in Übereinstimmung mit den sozialen Normen der Haushaltung, Ehe und Nachbarschaft gemeint war. Die enge Verknüpfung einer inneren mit einer äußeren Dimension des Hausfriedens sowie dessen Kontrolle durch soziale und Rechtsnormen ließ das Konzept des Hausfriedens zu einer hochgradig legitimierenden und sinnstiftenden Semantik werden, mit der „Fundamentalprozesse“ der sozialen Interaktion im lebensweltlichen Kontext der Alltagspraktiken bezeichnet, wahrgenommen, formuliert und ausgehandelt werden konnten und wurden. Gerade vor dem Hintergrund der Ordnungspraktiken der stadtbürgerlichen Gesellschaft des Spätmittelalters und

2.4 Häuslicher Friede = Hausfriede? Diskurssemantiken |

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der Frühen Neuzeit entfaltete die Friedenssemantik ihre normative Kraft in der kommunikativen Aushandlung von Ordnung, wobei Rechtsnormen eine untergeordnete Rolle spielten und allein das praktizierte Gewohnheitsrecht auf lokaler Ebene in sozialen Nahräumen seine Wirkung entfaltete. Friedenssemantiken waren demnach in solchen Diskursen von Bedeutung, die einerseits Gewaltanwendung im städtischen Raum zum Gegenstand hatten und der Aufrechterhaltung der allgemeinen städtischen Ordnung dienten. Zum anderen prägten sie in der mittelalterlichen Tradition der Ehelehren bald jene Diskurse, die sich mit der Ordnung der oeconomia christiana befassten und wesentlich auf die Ausformulierung der christlichen Kerntugenden entsprechend der einzelnen Hausstände abhob. Erst seit dem 16. Jahrhundert kam es zu einer Auflösung der Grenzen zwischen juristischem und theologischem Konzept, die sich als semantische Überlagerung und Verdichtung des theologisch begründeten „Friedens im Hause“ bzw. „häuslichen Frieden“ mit dem juristischen „pax domestica“ bzw. „hus-freth“ präsentiert. Die Wirkmächtigkeit eines solchermaßen im Ordnungswissen verankerten Normkomplexes ‚Hausfrieden‘ entsteht gerade durch die Amalgamierung sozialer und rechtlicher Normen, nicht durch ihre rechtliche Präzisierung und Institutionalisierung. Auch in den Diskurssemantiken der Frühen Neuzeit, deren gesellschaftliches Normensystem sich stark an der stadtbürgerlichen Gesellschaft orientierte, stand damit der Frieden als Code für ein komplexes System sozialer Interaktionsformen, deren Gesamtheit auch als Freundschaft, Einigkeit, Liebe (im Sinne der caritas), Eintracht und Ruhe bezeichnet wurde. Der ordnungspolitische Aspekt offenbarte sich erst in der Präzisierung der hierzu notwendigen bzw. abträglichen Verhaltensweisen, die konstitutiv an die Reproduktion der Herrschaftsordnung im Hause geknüpft waren. So kam dem Haushaltsvorstand zwar die legitime Befehlsgewalt zu, zugleich aber auch die Verantwortung für den Schutz und das Wohlergehen der ihm untergeordneten Personen, welche ihm im Gegenzug Gehorsam schuldig waren. Es hat sich gezeigt, dass das „Friedensproblem“ des Hauses in der normativen Literatur vor allem im Verhältnis der Ehepartner zueinander diskutiert wurde. Das lässt sich nur zum Teil aus der Gegenüberstellung der Geschlechter erklären und hat seine wesentliche Ursache in der Ambivalenz der ehelichen Beziehung zwischen rechtlicher Unterordnung und praktisch-ökonomischer Partnerschaftlichkeit. Dementsprechend zielten die Verhaltensweisen auf emotionale Aspekte einerseits, durch welche die Einfügung in und die Ausfüllung der Herrschaftsstruktur gesichert werden sollten und die wesentlich in der Affektkontrolle verwurzelt waren. Während der Mann seine Machtposition nicht ausnutzen sollte, seinen Jähzorn bändigen und vor allem Nachsicht und Geduld mit den Unzulänglichkeiten der Menschen üben sollte, war der Frau aufgetragen, sich den Wünschen ihres Man-

160 | 2 Das Wissen vom Hausfrieden: Diskurssemantiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert nes zu fügen, ihm keine Widerworte zu geben und allenfalls beratend beizustehen sowie ihrerseits nachsichtig zu sein mit möglichem Jähzorn. Die hier aufgeführten Kernaspekte der individuellen Konfliktfähigkeit im Rahmen einer hierarchisch strukturierten Kooperation stehen in einem engen Zusammenhang mit der zeitgenössischen Affektenlehre einerseits und Geschlechtermodellen andererseits,³³¹ die sich in der das Haus konstituierenden Ehe miteinander verknüpfen. Dies war ein zentraler Punkt jedweder Herrschaftslehre, die jedoch in ihrer Kombination mit den als widerstreitend wahrgenommenen geschlechtlich konnotierten Affekten verstärkt waren.³³² Andere kritische Positionsverhältnisse im Haus – wie etwa der generationelle Wechsel im Haushaltsvorstand und der damit einhergehende Machtverlust des ‚alten‘ Hausvaters – oder die Integration einer Schwiegertochter als ‚neue‘ Hausmutter wurden nicht thematisiert, zumal diese Verhältnisse in der Theorie und rechtlich wesentlich eindeutiger festgelegt waren. Der Fokus auf der Affektregulierung zeigt sich vor allem in den Oppositionsbegriffen zur Friedfertigkeit, die eben als „boshafft“, „liederlich“, „zänkisch“ oder „tyrannisch“ angegeben werden. Dem gegenüber steht die permanente Wiederholung der ehelichen Liebe (caritas) und der gegenseitigen Ehrerbietung als zentrales Moment der Friedfertigkeit. Das „gute Hausen“ und die damit verbundenen Aufgaben und Pflichten der Eheleute ergeben sich dann gewissermaßen als Ausfluss einer solchen emotionalen Grundgestimmtheit. Die Verankerung der Friedfertigkeit und damit des Hausfriedens in der Affektregulierung war dann auch entscheidende Voraussetzung für den Wandel der Semantiken zum häuslichen Frieden im 18. Jahrhundert. Mit der Betonung des häuslichen Friedens konnte die Gefühlsinszenierung der bürgerlichen Liebesbeziehung wie vor allem der Familie an entscheidende, etablierte Semantiken anknüpfen. Sie unterschied sich aber deutlich dadurch, dass sie sich nach innen wendete, Häuslichkeit und familiäre Harmonie sich wesentlich und gerade in der Abschottung nach außen manifestierte und zugleich eine Sublimierung der Hierarchien durch eben diese Emotionalität herstellte – nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen Geschwistern und Generationen. Damit bildete es ein Komplementärkonzept zur starken, nach außen gerichteten Ordnungsbetonung der kirchlichen Hausfriedenskonzepte. Diese Stärkung der Innenbeziehungen des Hauses, die „Verhäuslichung“ des sozialen Raumes, spiegelte

331 Vgl. hierzu Fischer, Transformationen, vor allem S. 198–277; Sorabij, Emotion, S. 400–419; Newmark, Leiden, passim, insbesondere S. 49–53; Schnell, Sexualität, S. 137–140; Wunder, Er ist die Sonn’, S. 80–87 sowie die Beiträge in Medick, Interest; Zur Affektivität von Frieden vgl. neuerdings auch Stockhorst, Aufrüstung, S. 12–15. 332 Zum breiten Feld der Affektregulierung in Herrschaftspositionen vgl. die Beiträge in Kahn, Victoria (Hg.): Politics and the Passions, 1500–1850, Princeton 2006.

2.4 Häuslicher Friede = Hausfriede? Diskurssemantiken |

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sich in einer – zumindest für das Ideal der bürgerlichen Oberschichten geltenden – Verringerung der Außenbeziehungen, die sich in den neuen Wohnmodellen und dem gebauten Raum ausdrückte. Nachbarschaftliche Arbeitsteilung wurde durch eine entsprechende Ausstattung der Häuser zunehmend weniger existenziell, Kinder spielten nicht mehr auf der Straße, sondern in einem Kinderzimmer.³³³ Diese hochgradig auf affektkontrollierte Emotionalität häuslicher Beziehungen ausgerichtete „Verhäuslichung“ des sozialen Nahraums, die Betonung der „gefühlten“ Verantwortung des Hausvaters korrespondierte mit dem semantischen Rückzug des Hauses aus den politischen Diskursen. Die Erkenntnis, dass häusliche Verhältnisse mit den der Politik zur Verfügung stehenden Mitteln der rechtlichen Institutionalisierung und Verfahrensbildung nicht auf die Spezifizität häuslicher Beziehungen anzuwenden waren, führte zur „Regierung der Hausväter“ und machte den Hausfrieden aus obrigkeitlicher Perspektive zu einem Problem der äußeren Sicherheit, während die innere Sicherheit den Kräften der Selbstregulierung überlassen wurde. Wenngleich damit die Einordnung der Diskurssemantiken an ihre Grenzen stößt, zeigen Untersuchungen zur sozialen Praxis, dass die sich im semantischen Wandel abzeichnenden Entwicklungen zur Möglichkeit der Bannung von Gewalt aus dem sozialen Nahbereich nur noch sehr eingeschränkt als politisches Problem wahrgenommen wurden.³³⁴

333 Vgl. zum wohnräumlichen Zusammenhang mit der Änderung sozialer Praktiken in einem frühen Beispiel für London Heyl, Passion, S. 157–212; Hausen, Wäsche, S. 8–12; Habermas, Frauen, S. 74–90 und Eibach, Praxis, S. 630–632. 334 Zum Effekt dieser Entwicklung auf Formen der sozialen Kontrolle und „Friedewahrung“ im sozialen Nahraum der folgenden Jahrhunderte zeigen Studien zu häuslicher Gewalt im 20. Jahrhundert. Zwar werden aufgrund hoher wohnräumlicher Nähe Gewalt und Konflikte deutlich wahrgenommen, aktive Intervention unterbleibt und verkommt zu postfaktischem Mit-Leiden und Trösten. Exemplarisch Brücker, Gewalt, S. 363–365.

3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Wie gezeigt etablierten sich in den zeitgenössischen Diskursen gerade die Relativität und Polyvalenz des vormodernen Friedensbegriffs als dessen maßgebliche Charakteristika. Dies gilt im gleichen Maße für das zweite Element des Hausfriedens – das Haus. War es in der normativen Literatur durch einige grundlegende Elemente wie den häuslichen Positionen und den mit ihnen verbundenen Rollenmodellen und -erwartungen als Gesamtheit entworfen worden, so stellte es als Institution an der Schnittstelle zwischen sozialer und politischer Ordnung in der frühneuzeitlichen Gesellschaft eine Kernressource dar – für Herrschaftsträger als Ort ökonomischer Produktion und Konsumtion, als Zugriffspunkt für Steuern, Abgaben, politische Teilhabe und Aufzucht der nachfolgenden Generationen; für die Theologen und Seelsorger als Raum christlicher Tugendentfaltung, Frömmigkeit und täglicher gemeinsamer Andacht. Kernressource war es aber in erster Linie für die Menschen, die ein Haus bewohnten und gemeinsam haushalteten. Heiraten zu können und einen eigenen Haushalt zu führen war für die meisten Frauen und Männer die einzig anerkannte Möglichkeit, Eigentum zu verwalten, Vermögen aufzubauen, Lebenspläne zu verwirklichen, soziales Ansehen und Ehre zu sichern. Für die aufwachsenden Generationen bedeutete die Zugehörigkeit zu einem Haus Erbansprüche auf Teile des Familienbesitzes, von dessen Umfang die Zukunftsperspektiven und deren Gestaltungsspielräume ganz wesentlich abhingen. Die Integration in einen Haushalt als unselbstständige Arbeitskraft stellte für viele Ledige die einzige Chance dar, Kompetenzen und Kapital für die Gründung einer eigenen „Wirtschaft“ zu erwerben.¹ In all diesen Belangen war die Ressource Haus mit seinen materiellen und immateriellen Vorteilen und Kosten knapp, prekär und kritisch – ganz besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit seinen immensen demographischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen. Bäuerliche Hofstellen und städtische Gewerbebetriebe waren längst nicht ausreichend für die Versorgung der immer zahlreicher werdenden nachfolgenden Generationen, ihre Zahl konnte aufgrund der bestehenden Beschränkungen durch das Lehn-, Marken- und Zunftrecht nicht beliebig erhöht werden bzw. die Lockerungen der Gewerbefreiheit konnten meist nur vermögende Unternehmer zum Aufbau von Manufakturen und Verlagssyste-

1 Zum Haus als Kernressource für alle in die häusliche Ordnung integrierten Personen vgl. generell Hardwick, Family, S. 4.

164 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln men nutzen.² Der Aufbau solcher Produktionsformen hatte immerhin zur Folge, dass die Möglichkeiten unselbstständiger Lohnarbeit im Rahmen von Manufakturen oder als Arbeiter in expandierenden Handelsunternehmen zunahmen, was zu einem Anwachsen unterständischer Haushalte führte; gleichwohl überstieg das Angebot an Arbeitskraft die Nachfrage immer noch bei weitem, Stellen im Gesindedienst und Tagelohn waren durchaus knapp. Und nach wie vor machte eine immer noch hohe Sterblichkeit den Bestand der Kernfamilie unsicher, Wiederverheiratung, Stiefeltern und -geschwister machten Erbansprüche unsicher, knapp und hart umkämpft. Vielschichtig und unterschiedlich waren also Erwartung und Notwendigkeit, das Haus als Ressource für eigene Interessen und als Existenzgrundlage nutzen zu können. Entsprechend hoch war das Konfliktpotenzial und die tägliche Herausforderung, die komplexen sozialen und persönlichen Beziehungen innerhalb eines Hauses so zu gestalten, dass ein Grundkonsens über die gemeinsamen Ziele und die mit den jeweiligen Positionen im Haus verbundenen Erwartungen, Aufgaben, Pflichten und Rechte zu erreichen und nutzenbringend umzusetzen war. Eine „friedliche“ Ordnung fand ihre praktisch-soziale Entsprechung also in einem gewissen Maß an Sicherheit und kalkulierbarer Verlässlichkeit für alle Akteure und bildete die Basisvoraussetzung für das wirtschaftliche Funktionieren. Dass das Haus dabei nicht nur je nach Erwerbsstrukturen ganz unterschiedlich zusammengesetzt und organisiert sein konnte, sondern auch die Mieter, einquartierte Soldaten und andere, nicht zum engeren Kreis der Kernfamilie gehörende Personen zum Haus gerechnet wurden, konnte für städtische Kontexte bereits im späten Mittelalter festgestellt werden.³ Haus war also nicht gleich Haus, sondern hing entscheidend von verschiedenen Rahmenbedingungen ab: von sozialen und wirtschaftlichen Makrostrukturen, von konfessionellen, kulturellen und milieuspezifischen Prägungen, von der Integration in soziale Netzwerke wie Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft und Berufskorporationen und den entsprechenden Erfahrungshorizonten. Um die kommunikativen Prozesse zur Aushandlung von Frieden im häuslichen Umfeld anhand von Fällen aus der Stadt Osnabrück in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert zu untersuchen, sollen im Folgenden in Anlehnung an die Gliederung in den juristischen Texten zunächst die fundamenta pacis, die Normen und Institutionen, aufgezeigt werden, wie sie sich im Alltagsleben Osnabrück finden ließen, um sodann die materia pacis zu behandeln, die auf Akteure und

2 Zu allgemeinen Entwicklungen von Demographie und Sozialstruktur sowie den damit verbundenen Zuspitzungen bereits bestehender Probleme vgl. Stollberg-Rilinger, Jahrhundert, S. 45–58; Schmidt, Wandel, S. 252–255; 273–282; 291–321. 3 Vgl. z. B. Sutter, Nachbarn, S. 81–106, Signori, Häuser, passim.

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Räume in ihren sozialstrukturellen und stadträumlichen Aspekten des Wohnens und Wirtschaftens eingeht. Die violationes pacis schauen auf die verschiedenen Konflikttypen und die für sie charakteristischen Argumentations- und Interpretationszusammenhänge, während die negotiationes pacis die Verflechtung der vielfältigen häuslichen Beziehungstypen und damit die Verflechtung verschiedener Semantiken ausloten. Abschließend werden die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zur Konfliktlösung, zur Gewaltabwendung und Restabilisierung in den unterschiedlichen sozialen und politischen Kontexten ausgelotet, wobei insbesondere die obrigkeitlichen Kontexte der Friedewahrung berücksichtigt werden.

3.1 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen Entfaltete sich die Institution Haus wesentlich in den sozialen Praktiken seiner Bewohner und des sozialen Umfeldes, so war die Bedeutung des Redens über das Haus bzw. die sprachliche Konstitution von Haus in kommunikativen Praktiken ebenso bedeutend für die Integration in das bestehende Normen- und Wertesystem und eine sinnstiftende Kohärenzleistung in der Typisierung von Alltagshandeln. Der Blick auf die Entwicklung der Haus-bezogenen Diskurse im Reich hat gezeigt, dass die Bipolarität zwischen Herrschaftsordnung einerseits und praxisorientierter Kopräsenz andererseits zu Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten führte, die wesentlich mit dem Hinweis auf die lokalen Gewohnheiten überbrückt wurden. Bevor also die kommunikativen Praktiken und Strategien vor Gericht untersucht werden, gilt es einen Blick darauf zu werfen, wie jene Diskurse in Osnabrück wirksam werden konnten, welche Vermittlungswege für das in den Diskursen präsente Wissen um das Haus und seinen Frieden zur Verfügung standen und wo sie sich in den Quellen finden lassen.

3.1.1 Normen häuslichen Lebens Die Vorstellungen und das Wissen davon, wie häusliches Leben im Rahmen einer Ehe und gemeinsamen Wirtschaft zu gestalten sei, waren in Osnabrück wie im übrigen Alten Reich von den grundlegenden Moralnormen der oeconomia christiana geprägt – auch noch im späten 18. Jahrhundert. Sie wurden in erster Linie durch kirchliche Unterweisung vermittelt, in den Elementarschulen, vor allem aber in den Predigten und Lesungen durch das Kirchenjahr. Diese stellten für den Großteil der Bevölkerung immer noch den Hauptzugang zu Bildung und Wissen dar. In der städtischen lutherischen Predigerordnung von 1738 findet sich der Hinweis auf die Predigt- und Lesungszyklen, die sich eng an Luthers Perikopenordnung

166 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln halten. Klassischerweise ist hier die Behandlung des Themas der „Hochzeit von Cana“ am Sonntag nach Epiphanias, die zur Rekapitulation ehelicher und häuslicher Normen Anlass gab, wie auch zur regelmäßigen Verlesung der Ehe-Ordnung im Rahmen der Abkündigungen.⁴ Neben dem Besuch des Gottesdiensts lässt sich aber auch in den Gesang- und Gebetbüchern für den Hausgebrauch ein Rückbezug auf die häusliche Lebenssituation als primärer Ort christlicher Tugendbewährung feststellen.⁵ Gerade in den Tischliedern finden sich Hinweise: Herr Gott Vatter im Himmelreich! | Wir deine kinder allzugleich | bitten dich jetzt aus Hertzens-Grund, | Speise uns all’ zu dieser Stund’. | Thu auf dein reiche milde hand, | Behüt’ uns all für sünd und schand, | Und gieb uns fried und einigkeit; | Bewahr’ uns auch für theurer zeit.⁶

Oder ein Gebet nach der Predigt über die drei Hauptstände: In deine Hände befehlen wir auch, lieber himmlischer Vatter, den Haus-Stand und alle die drein gehören: Gieb gottesfürchtige Eheleute, Eltern und Herren, gehorsame Kinder, eine wolgezogene Jugend, ehrlich und gewissenhafte Zünfte, Kauffleute und Handwercker, fromm und treu Gesinde, redliche Arbeiter und Taglöhner, und segne alle ehrliche Handtierung und

4 Vgl. NLA OS Dep 3b VI Nr. 5, Predigerordnung. 5 Im 18. Jahrhundert erschienen regelmäßig überarbeitete Neuauflagen der evangelischen Gesangbücher bei der Hofbuchdruckerei Kißling bzw. Druckerei Lingen. So etwa 1732 ein „Neu-vermehrtes Gesang-Buch, Der Christlichen Gemeinen ungeänderter Augspurgischer Confession zu Oßsnabrück, Worinnen jetzo 500 auserlesene geistreiche Gesänge, Und die Beym öffentlichen Gottesdienst gewöhnliche Gebete, Wie auch Kurtze Buß- Beicht- und Communion-Andachten befindlich“; 1742 ein „Neu-Christ-erbauliches mit Fleiß revidiret- und eingerichtetes Gesang-Buch worin über 1200 auserlesene alte und neue Gesänge, insonderheit der gantze Psalter Davids, in bekanten Melodeyen zu finden. Mit einem geistreichen Gebeth-Buch, samt den sieben Buß-Psalmen Davids, und denen ordentlichen Sonn- und Fest-Tags Evangelien und Episteln, auch der Paßions-Geschichte, item: der Historia von der Zerstörung Jerusalem, Nebst Neumanns Kern aller Gebether“; 1756 ein „Neu-vermehrtes Gesang-Buch, Der Christlichen Gemeinen ungeänderter Augspurgischer Confession zu Oßsnabrück, Wie auch Kurtze Buß- Beicht- und Communion-Andachten befindlich Ausgabe“; 1786 ein „Neues Gesangbuch zum Gebrauch der evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Stadt Osnabrück“, im gleichen Jahr „Episteln und Evangelia auf die Sonn- und Festtage nebst der Leidensgeschichte Jesu und Anhang einiger Gebete zur häuslichen und Privatandacht“ und 1799 ein „Christliches Gesangbuch für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden im Hochstift Osnabrück. Zum Gebrauch beym öffentlichen Gottesdienste und bey der Haus-Andacht; nebst dem gewöhnlichen doppelten Anhang“ sowie 1800 eine weitere Auflage von Luthers Katechismus. 6 Neu-Christ-erbauliches [. . . ] Gesang-Buch, Nr. 1122, S. 946.

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Gewerbe. Gieb, daß alle unsere Feinde und Wiedersacher ablassen, und sich begeben mit uns friedlich zu leben.⁷

Auch wenn in beiden Texten unterschiedliche Schwerpunkte gewählt sind – in den Tischliedern die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen häuslicher Praktiken, im Gebet entsprechend des Predigtthemas der Ordnungsaspekt, der hier interessanterweise eher die Heterogenität der häuslichen Beziehungen mit aufnimmt – heben beide „Frieden“ als Maßstab und aktiven Prozess im Umgang miteinander hervor. Wenngleich sich die theologische Bedeutung der Ehe in der katholischen Kirche deutlich von protestantischen Dogmen unterschied, lassen sich im Hinblick auf die normativen Grundlagen des häuslichen Lebens, seiner gesellschaftlichen Verankerung und der seelsorgerischen Begleitung kaum Unterschiede feststellen.⁸ Dementsprechend kann auch für den Markt katholischer Erbauungsliteratur eine gewisse Publikationsaktivität festgestellt werden. So erschien etwa 1722 das „Geistlich Seelen-Gärtlein“ in einer eigenen Osnabrücker Ausgabe. In diesem beliebten Erbauungsbüchlein katholischer Frömmigkeit finden sich Bezüge auf das häusliche Leben.⁹ 1787 erschienen „Predigten über verschiedene Sonn- und Festtage“¹⁰ des populären Osnabrücker Predigers Herft, das – laut der Subskribentenliste im Vorsatz – sehr viele Angehörige der weltlichen und geistlichen Funktionselite des Fürstbistums Osnabrück und teilweise auch Münsters vorbestellt hatten. Hier finden sich allerdings keine expliziten Rekurse auf häusliche Kontexte oder Ordnungsvorstellungen, wohl aber eine intensive Auseinandersetzung mit der inneren, individuellen Frömmigkeit. Dies mag der Auswahl seiner Referenzgrößen geschuldet sein, die Herft im Vorwort mit Georg Joachim Zollikofer, Johann Joachim Spalding und Johann Friedrich Jerusalem benennt – alle drei in der Hochund Spätaufklärung streitbare Theologen, die gegen die Orthodoxie und unter Berufung auf aufklärerisches Gedankengut in Schriften zur Predigtlehre wie auch in ihren Predigten dazu aufriefen, nicht mehr nützliche Kenntnisse auf der Basis dogmatischer Lehren zu verkündigen, sondern Anstöße zur Reflexion über die praktische Moral zu geben.¹¹ Dieser Befund bestätigt die Beobachtung in den allgemeinen theologischen Diskursen der Aufklärungszeit (Kap. 2.3.3).

7 Ebd., Gebetbuch im Anhang, Nr. 27, S. 36. 8 Vgl. hierzu Kap. 2.1.2 und Holzem, Religion, S. 339–345 sowie Gestrich, Ziele, S. 353f., Holzem, Familie, S. 271–273. 9 Vgl. hierzu Gestrich, Ziele, S. 362–364. 10 Herft, Predigten; Zur Person vgl. S. 187. 11 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte, S. 112–127.

168 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Aus Bücheranzeigen waren in Osnabrück auch vom Luzerner Erfolgsautor für katholische häusliche Erbauungsschriften Joachim Braunstein¹² „Timotheus oder der wider die Gefahren der Eigenliebe bewafnete Christ, in VI. Fastenreden“ zu kaufen, wie auch der „Versuch eines vollständigen Unterrichtungs-Buches für katholische Christen“ des Osnabrückers Domvikars und Bibliothekars Rudolph Deutgen.¹³ Dieser hatte bereits 1781 ein katholisches Gesangbuch herausgegeben, das sehr erfolgreich wurde und bereits 1783 und 1792 weitere Nachdrucke und Neuauflagen im deutschsprachigen Nordwesteuropa erfuhr. Hierin finden sich auch Lieder über Ehe- und Hausstand, Der Schöpfer stiftete den Bund Und machte Euch dabey auch kundt Wie ihr darin sollt leben. Vermehren sollt Ihr Gottes Reich Und wechselseitig heilgen Euch Der Treue stets ergeben. [. . . ] Führt an zur Tugend euer Kind Auf daß es werde gut gesinnt Lehrt es durch That, nicht bloß durchs Wort Und lerne christlich handeln. Wies müsse fromm an jedem Ort Nach Menschenwürde wandeln.¹⁴

Es liegen zwar keine genauen Zahlen über Druck und Verkauf katholischer Bücher vor – zumal der Münsteraner Markt hier offenbar auch prägend war –, es lässt sich jedoch annehmen, dass diese Bücher zu einer häuslichen Basisausstattung gehörten; insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Elementarunterricht sich auch im 18. Jahrhundert noch durchaus daran orientierte.¹⁵ Zumindest in gehobeneren Haushalten gibt es immer wieder Hinweise auf gemeinsame häusliche Lese- und Andachtsstunden.¹⁶

12 Braunstein, Timotheus. Joachim Braunstein (1745–1789) war ein Luzerner Minoritenpater, der am dortigen Priesterseminar auch eine Professur für Pastoralwissenschaften innehatte. Er tat sich vor allem durch eine rege publizistische Aktivität im Bereich der häuslichen Erbauungsliteratur in den 1770er- und 1780er-Jahren hervor. Zum Angebot vgl. Leker, Leseverhalten, S. 66–68, Buck, Medienlandschaft, S. 260–263. 13 Deutgen, Versuch; Rudolph Deutgen (1731–1787) war Bibliothekar und Domvikar am Osnabrücker Dom. 14 Deutgen, Gesangbuch, S. 283. Vgl. auch Schneider-Wirth, Kirchenlied, S. 27–45. 15 Vgl. Fiegert, Geschlechtertrennung, S. 80–83. Leker, Leseverhalten, S. 59–63, Buck, Medienlandschaft, S. 261f. 16 Vgl. etwa NLA OS Dep 3b IV Nr. 244, fol. 151f.

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Der aus der normativen Literatur bekannte Bezug zum Frieden im Kontext häuslicher Beziehungen war also auch in Osnabrücker Denkrahmen beider Konfessionen präsent, worauf auch dessen topischer Gebrauch in Texten wie Leichenpredigten und Hochzeitsgedichten hinweist. So wurde von der 1643 verstorbenen Christine Brüning berichtet, sie hätte „eine friedliche Ehe [geführt]| darin sie sich friedlich gezeiget | unnd ihres Herrn Willen auch ihren Willen seyn lassen.“ Das bedeutete, dass sie „ihre Kinder und Gesinde mit Vernunfft regiret | auch in ihrer Haußhaltung sich fleissig | gegen ihre Nachbarn | Freunde und Verwandten mit Raht und That willig und gutthätig gezeiget [. . . ] | .“¹⁷ Ein Hochzeitsgedicht aus dem Jahre 1792 für Johanna Struckmann und Johann Gabriel Ehmbsen, beide Mitglieder der Osnabrücker Führungsschicht, zeigt die Adaption an zeitgenössische Ehevorstellungen, wenn es heißt: Süsse Ruhe in dem Arm der Liebe, | Glücklich der, der dir entgegen geht, | Und den Becher, voll des Segens, jubelnd | Aus der sanften Göttinn Hand empfäht. [. . . ] Wandelt froh, berauscht aus seiner Fülle, | Und zu hoher Himmelslust entzückt, | Durch ein Leben, das sein holder Zauber, | zum elysischen Gefilde schmückt.¹⁸

Leichenpredigten und Hochzeitsgedichte waren Phänomene der gebildeten Oberschichten. Auch die Teilhabe am boomenden Buch- und Lesemarkt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war mit den entstehenden Journallesezirkeln, privaten Leihbibliotheken und Lesegesellschaften größtenteils ein Vergnügen der gebildeten Schichten. Die hier bezogenen Journale boten damit Zugang zu den sich allmählich etablierenden neuen Vorstellungen von Haus und Familie.¹⁹ Wenngleich offenbar die Lektüre der „Wöchentlichen Osnabrücker Anzeigen“ im Mittelpunkt stand, lassen sich Abonnements überregionaler Zeitungen und Zeitschriften finden, so etwa des altehrwürdigen „Altonaischen Mercurius“,²⁰ des „Hannoverischen Magazins“ und der Oldenburger „Blätter vermischten Inhalts“. Auch Frauenzeitschriften wie Charlotte von Hezels „Wochenblatt für’s schöne Geschlecht“

17 Leichenpredigt ChristineB rüning geb. Cothmann (1614–1643), LB Hannover Cm 356. 18 Erw A 11, Nr. 91 o fol. Ähnliches auch im Gelegenheitsgedicht auf die Doppelverlobung von Friedrich Bahre mit Margaretha Beisern und Georg Quirll mit Anna Tengen. Erw A 11, Akz. 38/97, Nr. 15. 19 Leker, Leseverhalten, S. 86f.; Buck, Medienlandschaft, S. 268–269, Weckel, Frauenzeitschriften, S. 617. 20 Im Untersuchungszeitraum des späten 18. Jahrhunderts war der „Altonaische Mercurius“ eine rein politische Tageszeitung, die bis 1742 mitverlegten gelehrten Beilagen erschienen seit 1764 in der „Altonaischen Monatsschrift zur Beförderung der Wissenschaften, der Künste, des Geschmacks und der Sitten“. Vgl. Böning, Presse, S. 36–39.

170 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln (1779)²¹ wie auch Sophie von La Roches „Pomona für Teutschlands Töchter“ (1783/84) wurden aus Osnabrück abonniert.²² Die Auseinandersetzungen mit häuslichen Angelegenheiten und Hausfriedenkonzepten gerade im „Hannoverischen Magazin“ und in den „Vermischten Blättern“ wurden bereits ausführlich diskutiert (vgl. Kap. 2.3.3). Für die Frauenzeitschriften des 18. Jahrhunderts hat Ulrike Weckel festgestellt, dass sie zwar durchgängig ein polares, komplementäres Geschlechterverhältnis in jenen Passagen zu Grunde legen, die sich häuslichen Angelegenheiten widmen, nie aber seien diese konkret ausformuliert oder anweisend ausgearbeitet worden. Der Schwerpunkt lag eindeutig auf Kunst, Literatur und Gelehrsamkeit.²³ Die beiden ersten kommerziell betriebenen Leihbibliotheken Osnabrück boten seit dem späten 18. Jahrhundert immerhin zusammen 80 verschiedene Journale an, die Buchbindereien und Kommissionäre sorgten für eine regelmäßige Versorgung mit neuer Literatur.²⁴ Die „Osnabrückischen Anzeigen“ erschienen seit 1766 und bestanden im Wesentlichen aus amtlichen Bekanntmachungen und Anzeigen. Seit 1768 erschien ebenfalls wöchentlich eine Beilage, in welcher der Herausgeber Justus Möser eigene Aufsätze und Essays veröffentlichte. Diese Beilagen hatten den Charakter einer Moralischen Wochenschrift, zumal Möser auch in anderen regionalen Wochenschriften veröffentlichte, etwa im „Hannoverischen Magazin“.²⁵ Möser selbst charakterisierte seine Aufsätze gegenüber seinem avisierten Verleger Friedrich Nicolai in Berlin als „die politische Moral und die Policey“ betreffend – und in der Tat lassen sich die allermeisten Aufsätze hierunter im engeren Sinne fassen und erinnern vielfach an gemeinnützig-ökonomische Zeitschriften. Das Haus wird entsprechend fast aus schließlich im Hinblick auf ökonomisch-policeyliche Regulierung erwähnt mit Hausvätern und Hausmüttern als Wirtschaftsvorständen. In den wenigen Stücken, in denen Geschlechterkonstellationen diskutiert werden, scheint das gängige, polare und ergänzende Geschlechterverständnis des

21 In der bei Archangeli, Subscribing, S. 112 veröffentlichten Subskribentenliste finden sich der Hofmeister Kramann, der Schulmeister Lange sowie eine Demoiselle Johanne Marie Mayer. 22 Die Abonnentenliste am Ende des 2. Bandes von 1783 nennt Frau von der Horst, geb. Mönster, Mlle. Lisette Struckmann und Frau von Voigts, geb. Möser [die Tochter Justus Mösers und Herausgeberin seiner Schriften]. 23 Weckel, Frauenzeitschriften, S. 471–491. 24 Buck, Medienlandschaft, S. 267–270, Ziessow, Lesekultur, S. 70. Unter den Journalen fand sich allgemeine Zeitungsliteratur wie die „Europäischen Annalen“, das „Politische Journal“ oder die „Minerva“, Literaturzeitschriften wie die Leipziger und Jenaer „Allgemeine Literaturzeitung“, aber auch das „Journal des Luxus und der Moden“, die „Leipziger Moden Zeitung“, das „Neue Journal für Fabriken, Manufakturen, Handlung, Industrie und Moden“ sowie vielerlei Spezialzeitschriften zur Kameralistik, Heilkunde, Pädagogik oder neueste Theaternachrichten. 25 Zur Publikationsgeschichte vgl. Wagner, Kommentar, S. 14.

3.1 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen |

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18. Jahrhunderts auf, in dem Möser die Aufgaben der christlichen Hausmutter eng an bürgerliche Weiblichkeitskonzepte anknüpft.²⁶ Frieden wird gelegentlich erwähnt, entweder im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen oder von Landfriedensabkommen. Für den Bereich des häuslichen Friedens mag ein Essay interessant sein, in dem Möser sich für das Amt eines Friedensrichters ausspricht, der in summarischen Verfahren zu vermitteln hat, ohne es zu einem ordentlichen Prozess kommen zu lassen.²⁷ Dass Frieden also im Wesentlichen als ein aktiver Prozess anzusehen war, den es zwischen den beteiligten Akteuren, wenn nötig unter Hinzuziehung von Vermittlern auszuhandeln galt, stand Möser demnach klar vor Augen. Dies wird auch an der einzigen Stelle deutlich, an der er explizit den Hausfrieden als Ordnungsideal erwähnt. In der Antwort einer fiktiven Ehefrau auf einen zuvor erschienenen Artikel, der sich für die Abschaffung der weiblichen Rechtswohltaten einsetzte, ließ Möser sie über ihr Unglück klagen, das sich aus der Spielsucht ihres Mannes ergab und das der Stabilität des Hauses und der Beziehung zusetzte. Denn sie hatte bereits ihr Barvermögen zur Schuldendeckung ausgegeben und beschreibt nun die Rettung vor dem Privatkonkurs aufgrund der weiblichen Rechtswohltaten (der Krämer wollte ihr keinen Kredit geben): Was würde aus mir geworden sein, wenn ich meinem Manne, welchen die unglückliche Spielsucht täglich einen Schritt seinem Verderben näher führt, immer mit einem: ICH WILL NICHT hätte begegnen müssen? Oder wenn ich in dem Augenblicke, wo ihm die Ehre lieber als seine Frau und Kinder war, ihn mit Gründen und Bitten hätte beruhigen wollen? Vermutlich hätte er mir das erstere nie vergeben; und so wäre der Hausfriede auf ewig gebrochen worden.²⁸

Auch wenn es hier ganz eindeutig um die Debatte juristischer Fragen ging, rekurrierte Möser klar auf einen Hausfriedensbegriff, der sich auf den Prozess, das Beziehungsgefüge im Haus und dem daraus erwachsenden Konfliktlösungspotential bezog.

26 „Klassisch“ ist hier der frühe Essay „Die gute selige Frau“, Möser, Phantasien, Bd. 4, S. 106–109. Vgl. auch Panke-Kochinke, Streit, S. 37, Buck, Medienlandschaft, S. 264–267. 27 Westf. Beiträge 1773, St. 22 (Mai 29), Sp. 171–174, zit. nach Möser, Phantasien, Bd. 5, S. 186f. Das Argument des regulierten Verdienstes wird auch später aufgegriffen in einer klassischen Advokatenschelte: „Wie mancher fromme Mann würde ein kleines Unrecht als ein Unglück verschmerzen oder den Frieden mit seinen Nachbaren, welcher, wenn er mit Fleiß gesucht wird, leicht zu finden ist, unterhalten, wenn nicht diejenigen, so einzig und allein von den Zänkereien andrer leben und [. . . ] leben müssen, ihm überall auflauerten und sich seine ersten heftigen Leidenschaften zunutze machten.“ Möser, Phantasien, Bd. 6, S. 173. 28 Westf. Beiträge 1775, St. 13 (April 1), Sp. 97–104, zit. nach Möser, Phantasien, Bd. 6, S. 73.

172 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln In den Anzeigen selbst finden sich keinerlei Hinweise auf Hausfriedenskonzepte, was im Wesentlichen dem Nachrichtencharakter zuzuschreiben sein dürfte. Es finden sich immer wieder Anzeigen und Bekanntmachungen im Falle von Privatkonkurs, Zwangsversteigerungen oder Scheidungsansuchen in Abwesenheit eines Partners. Diese sind aber Teil der spezifischen Verfahrensabläufe, Hintergründe werden hier keine thematisiert.²⁹ Allgemein lässt sich feststellen, dass sich auch in Osnabrück die Tendenzen widerspiegeln, die übergreifend für die spezifisch aufklärerischen Medien festgestellt wurden. Die häusliche Ordnung hat gegenüber individuellen Bildungsprozessen keine große Bedeutung, gleichwohl werden die tradierten Begriffe durchaus eingesetzt, um entsprechende Vorgänge innerhalb von Häusern und Familien zu bezeichnen – wenngleich der stark ordnend-hierarchisierende Fokus früherer Texte geradezu aufgehoben zu sein scheint zugunsten einer Konzeption eines impliziten häuslichen Ordnungsmodells durch Frieden. In der religiös geprägten Gebrauchsliteratur war hingegen eher ein traditioneller, stark generalisierender und den christlichen Friedensbegriff auf häusliche und eheliche Beziehungen applizierender Bezug vorzufinden. Dieses Verweissystem ist auch für stärker normierende Zusammenhänge prägend gewesen, wie etwa die Einsegnungsworte für protestantische Brautpaare, die in der Kirchenordnung von 1618 festgelegt waren und zumindest dem Buchstaben nach bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit hatten. Nach einer Predigt über die Ehen Isaacs und Tobias’ als alttestamentarische Exempel und die paulinischen Briefe an die Hebräer (13,4) und an Timotheus (4,8) sollte der Pfarrer nach der Einsegnung das Brautpaar anhalten: „Lebet friedlich mit Eurem nechsten“ und die Gemeinde zum Gebet auffordern mit der Ankündigung: „welche wir vorerst in unser gemeine gebett nehmen und Gott für sie anflehen wollen, daß er ihnen glück und segen, gesundheit, fried und einigkeit verleihen wolle.“³⁰ Dieser Tenor – den ehelichen und häuslichen Frieden als umfassenden, idealen Bezugspunkt zwischenmenschlicher Beziehung ganz selbstverständlich mit anklingen zu lassen – findet sich folgerichtig auch in der Osnabrücker Eheordnung von 1648, die ihre Gültigkeit bis 1807 behielt. Den größten Teil nehmen dabei Regelungen über die verbotenen Ehegrade ein, wie der Ablauf von Verlobung, Aufgebot und Trauung auszusehen hatte, welche Zeugen und welcher Aufwand hierfür angebracht waren. Darüber hinaus finden sich Regelungen und Bedingungen, unter denen eine Ehe aufgelöst und geschieden werden konnte (Ehebruch, bösliches

29 Als eines von vielen Beispielen sei auf die öffentliche Bekanntmachung im Konkursverfahren Fuhrmann Kosieck verwiesen, das am 31.12.1808 in den Wöchentlichen Osnabrückischen Anzeigen, 53tes Stück, Sonnabends, den 31ten December 1808, S. 1340 erschien. Vgl. den Fall in Kap. 3.4.3 30 Sehling, Kirchenordnungen, S. 265–289.

3.1 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen |

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Verlassen). Damit entspricht die Osnabrücker Eheordnung im Wesentlichen den anderen protestantischen Ordnungen. Wie das gemeinsame eheliche Leben und die dafür elementaren persönlichen Beziehungen zu gestalten seien, wird in der Eheordnung recht kurz abgehandelt: Daß auch darneben alle EheLeute der Jugend zum Exempel Christlich friedsamb und einig miteinander leben vnd haußhalten, allen Hader, Zanck vnd Widerwillen verhüten, abstellen vnd gebührlich beysammen bleiben. Dann wo solches nicht in acht genommen, vnd die Eheleute sich vnter einander außschlagen, wegjagen oder sonsten leichtfertig von einander lauffen, vnd dardurch der Jugend ärgerlich Exempel vnd sonsten zur Boßheit, Sünde vnd Schande Vrsach vnd Anlaß geben würden, So sollen nicht allein nach Befindung die schuldige Personen, sondern auch diejenige, so darzu einigen Fürschub thun, andern zum Exempel ernstlich vnd vnnachlessig gestraffet werden.³¹

Bemerkenswert an diesen Ausführungen ist die besondere Betonung, die auf die potenzielle Konflikthaftigkeit einer ehelichen Beziehung gelegt wird, ohne dabei spezifische Konfliktfelder zu nennen. Die Friedfertigkeit steht an erster Stelle, dies belegt ganz markant den engen Zusammenhang von individuellem Verhalten und sozialer Ordnung, die man so verknüpft wissen wollte. Das Interesse der Obrigkeit lag dabei dezidiert im Bereich der Primärsozialisation. Man war sich der prägenden Erfahrungen der Kindheit auf das spätere eigene Eheleben sehr bewusst, wie es bereits in den theologischen Schriften angeklungen war. Weiterhin kommt zum Ausdruck, dass der Bereich der häuslichen Beziehungen als ein sehr komplexes Gefüge ebenso deutlich im Bewusstsein stand. Konflikte waren keine ein- oder zweidimensionalen Angelegenheiten, sondern hatten meistens ihre Ursache in größeren Zusammenhängen und Entwicklungen der häuslichen und nachbarlichen Beziehungen. Alle diese Aspekte waren unter dem „christfriedsamen“ Verhalten subsumiert. Selbst in diesem kurzen Anklang von Friedensvorstellungen in Fragen der Eheund Haushaltsführung bildete das aus den theoretischen Schriften und Rechtskommentaren präsente Wissen den zugrundeliegenden Bezugsrahmen für die praxisstrukturierenden Regelungen der Osnabrücker Eheordnung. Die Bedeu31 NLA OS Dep 3b VI, Nr. 5 o. fol. [S. 9]. Ähnlich formuliert in der Brandenburgischen Polizeyordnung von 1688, in der es heißt: „Ob wohl an sich selbst Christlich und Gottes Befehl gemäß ist, dass die Eheleute in erbaulicher Einigkeit mit einander leben sollen; so traget sich doch öfters zu, dass eines gegen das andere, oder sie beide gegen einander, großen Unwillen, Neid, Haß und Zorn fassen und sich dessen in der That vermercken lassen, wordurch beyde Eheleute einander am Gebete hindern und wehe thun, die Hertzen abfressen, sich in ihrer Nahrung schaden und allerhand Ungelehenheiten zuziehen. [. . . ] Sollen auf solchen Fall, unsere Regierung und Consistorium hiermit befehliget seyn, solche unversöhnliche Ehegatten, vom Tisch und Bette, auff gewisse Zeit zu scheiden, ob sie sich inmittelst eines bessern besinnen, und einander Christlich und friedlich, wie rechtschaffenen Ehegatten gebühret, [. . . ] beywohnen wollen.“ Zit. nach Dülmen, Haus, S. 178.

174 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln tung für die politische Ordnung des Gemeinwesens explizierte der Rat in seiner Präambel zu dieser Eheordnung mit den Worten: Und weilen die Leges matrimoniales oder Eheordnung zum Fundamentum guter Policey vnter andern mit gehören, so haben wir dieselbe wie sie von unser Gotseligen lieben Vorfahren vorlengst angesetzet vnd alle Jahr biß hierzu auff den andern sontag nach epiphaniae von den Cantzeln publicirt worden, hiermit praemittiren wollen.³²

Die Bekanntmachung obrigkeitlicher Verordnungen von den Kanzeln herab war gängige Praxis in allen Teilen des Reiches. Hier konnte man sicher sein, dass sich niemand mit Unkenntnis herausreden konnte, wollte er sich nicht mangelnder Gottesfurcht schuldig machen. Diese Praxis wurde im 18. Jahrhundert noch intensiviert. So gestand etwa ein angeklagter Ehemann reumütig ein, er könne sich nicht mit der Unkenntnis einer bestimmten Regelung verteidigen, da sie doch „alle halbe Jahr von den Cantzeln verkündet“ würde.³³ Fasst man die unterschiedlichen Aspekte von Normenbegründung und Normenvermittlung zusammen, kann man davon ausgehen, dass die Bürger ein elementares Wissen davon besaßen, was die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten unter Frieden in häuslichen Kontexten verstanden und verstanden wissen wollten. Natürlich kann man damit nicht darauf schließen, was die einzelnen Bürger selbst darunter verstanden; aber ihr Gebrauch der Friedensbegriffe, ihr Rückbezug auf bestimmte Friedensvorstellungen vor Gericht zeugen davon, dass sie sich der Bedeutung und Wirkmächtigkeit bewusst waren und dies strategisch zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzten. Häusliche und eheliche Konflikte wurde von den Osnabrücker Obrigkeiten also in erster Linie als ein Problem der politischen Ordnung gesehen, die dementsprechend auch der städtischen Disziplinierung und Sanktionierung unterstehen sollten. Wie sich dieser Anspruch, der auch aus anderen Gemeinwesen des Reiches und Europas bekannt ist,³⁴ mit dem kirchlichen Anspruch auf Deutungshoheit in ehelichen Belangen in Übereinstimmung bringen ließ, zeigt ein Blick auf die zuständigen Rechtsprechungsinstitutionen in der Stadt.

3.1.2 Institutionen der Rechtsprechung Orte der Auseinandersetzung mit häuslichen Konflikten waren in den allermeisten Fällen die Erstinstanzen. Sie behandelten Konflikte im Rahmen des gemeinsamen 32 Ebd., [S. 1]. 33 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 307v. 34 Vgl. hierzu Luef, „Vom drohen. . . “, S. 98f; Hardwick, Family, S. 90.

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Wirtschaftens, der Kindererziehung und des gegenseitigen Umgangs miteinander, die zügig verhandelt werden sollten, um eine nachhaltige Schädigung der Stabilität der Beziehungen zu verhindern und das Risiko einer weiteren Eskalation mit allen Folgen zu minimieren. Für die Stadt Osnabrück konnten solche „häuslichen Friedensverhandlungen“ theoretisch vor dem Ratsgericht, dem protestantische (Stadt-)Konsistorium und für die katholische Bevölkerung vor dem Osnabrücker Archidiakonats- und Offizialatgericht stattfinden. Höhere Instanzen waren im Fürstbistum das Osnabrücker Obergogericht sowie die Land- und Justizkanzlei.³⁵ Eheliche und häusliche Konflikte, die an diesen höheren Instanzen verhandelt wurden, waren aber zumeist Scheidungs- und Erbrechtsfragen, die aus der alltäglichen Lebenswelt eines Haushaltes herausgelöst waren und nicht dessen Bestand als soziale Ressource betrafen. Zwar finden sich in Scheidungsfällen immer wieder Hinweise, der „eheliche Friede habe kein dreiviertel Jahr gehalten“³⁶, aber nur im Sinne einer retrospektiven Feststellung – ohne dass es darum ginge, diesen Frieden wiederherzustellen oder zu bewahren. Da die Stadt Osnabrück seit 1171 das Privileg der eigenen Gerichtsbarkeit mitsamt dem „Privilegium de non evocando“ besaß, demzufolge die Osnabrücker Bürger nur vor dem Ratsgericht beklagt werden konnten, war die Zuständigkeit des Archidiakonatsgerichts de facto aufgehoben. Die Stadt besaß das volle Strafrecht, lediglich Todesurteile mussten von der landesherrlichen Justizkanzlei bestätigt werden.³⁷ Während im Bereich der weltlichen Gerichtsbarkeit die Zuständigkeiten geklärt waren, ergaben sich im Hinblick auf die Kompetenzbereiche der geistlichen Gerichtsbarkeit erhebliche Konfliktfelder zwischen dem Ratsgericht, dem Stadtkonsistorium und dem bischöflichen Offizialat. Die Zuständigkeiten und Kompetenzen in ehelichen und häuslichen Konflikten waren dabei ausgesprochen unscharf. Wie in allen frühneuzeitlichen Behörden, war die mangelnde Trennschärfe das Ergebnis einer teilweise über Jahrhunderte gewachsenen Praxis des politischen Alltags, die jedoch in kritischen Phasen immer wieder in Frage gestellt werden konnte und gestellt wurde.³⁸ Ein genauerer Blick auf die Geschichte, Ordnung und Arbeit dieser drei Institutionen zeigt die spezifischen Osnabrücker Strukturbesonderheiten, die dazu führten, dass die meisten häuslichen Konflikte von Protestanten wie auch von Katholiken am Ratsgericht verhandelt wurden.

35 Zur Struktur der Jurisdiktion in Stadt und Fürstbistum Osnabrück vgl. Bär, Aufriß, S. 27–35; Rudolph, Regierungsart, S. 56–64; Schmidt, Sühne, S. 35–41; 36 NLA OS Dep 3b VI, Nr. 145 o. fol. 37 Rudolph, Regierungsart, S. 62–65. 38 Gerade in der Stadt Osnabrück beanspruchte der Rat immer wieder seine Rechtshoheit in zahlreichen Prozessen. Vgl. hierzu etwa NLA OS Dep 3b IV Nr. 2177, 3373.

176 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Der Rat übte seine Gerichtsbarkeit selbst aus, lediglich Streitfälle bis zu einem Wert von 20 Reichstalern (1774, 1618 waren es noch 5 Reichstaler gewesen) sowie kleinere Fälle wurden vor dem Niedergericht unter Vorsitz des Stadtrichters verhandelt. Ausdrücklich ausgenommen von dieser Regelung wurden in der seit 1618 geltenden Gerichtsordnung alle Ehe-, Vormundschafts- und Erbangelegenheiten, die direkt an den Rat und die Gerichtsherren übertragen werden sollten.³⁹ Das unterstreicht die immense Wichtigkeit, die man der häuslich-familialen Ordnung beimaß und das Bewusstsein dafür, dergleichen Konflikte kaum taxieren zu können. Diese Regelung blieb bis zur Auflösung des Ratsgerichts und die Einführung eines Friedensgerichts 1807 bestehen. Der stetig ansteigende Arbeitsaufwand hatte zu einer praktischen Trennung von Verwaltung und Justiz geführt. Die Rechtsprechung des Rates wurde zwei Mitgliedern des engeren Rates übertragen, die sich als vorsitzender und beisitzender Gerichtsherr ausschließlich der Rechtspflege widmeten. Der Rat leitete alle eingehenden Klagen weiter, ausgenommen Kapitalverbrechen. Der ganze – engere Rat – wurde dann in unklaren Fällen beratend hinzugezogen. Die diese Arbeit dokumentierenden Gerichtsherrenprotokolle verzeichnen in erster Linie zivilrechtliche Konflikte und summarische causae⁴⁰ aus dem häuslichen Bereich. Angenommen wurden Klagen ursprünglich immer montags und freitags auf der Stadtschreiberei, während die Verhöre und Zeugenvernehmungen mittwochs stattfinden sollten. Allerdings lässt sich in der Praxis des späten 18. Jahrhunderts die Tätigkeit des Gerichts an allen Tagen ablesen. Die Arbeitsbelastung für die Gerichtsherren und angestellten camerarii schien in einem solchen Umfang gestiegen zu sein, dass Ratsherren sich zum einen vom Amt des Gerichtsherren zurückzogen mit der Begründung, den Anforderungen gesundheitlich und altersmäßig nicht mehr gewachsen zu sein, und zum anderen verstärkt darauf plädierten, dass nicht beide Gerichtsherren gemeinsam den Sitzungen präsidieren, sondern sich abwechseln sollten.⁴¹ Klage führen konnte grundsätzlich jede Person. Zwischen 1778 und 1807 wurde gut ein Fünftel aller Klagen von Frauen vorgebracht (650 von 2949): von verheirate-

39 NLA OS Dep 3b IV Nr. 3353 fol. 57f.: „Alle Ehe vormund Erbschafft und von vester hand herrührende Sachen, wie auch injuriarum actiones criminales, sollen von unsern Richtern nicht angenommen, sondern an uns den Rat verwiesen werden; darin wir nach dem Gemeinen Rechten, unseren statuten und hergebrachten guten gewohnheiten, die Gebühr jedesmahlen schaffen und verhengen wollen.“ 40 Als summarische Fälle wurden prozessrechtlich jene Fälle behandelt, die aufgrund geringen Streitwertes oder hoher Dringlichkeit als mündliche Prozesse geführt wurden, in denen das Prinzip der Schriftlichkeit des ordentlichen Prozesses nicht galt. 41 Spechter, Oberschicht, S. 24.

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ten Frauen, von Ledigen, von Mägden, von jungen Frauen in Vormundschaft, von Witwen. Wie eine solche Klageerhebung im Einzelnen ablief, wer an welcher Stelle vorgelassen wurde, wer mit welcher Begründung abgewiesen wurde, lässt sich im Einzelnen nicht rekonstruieren. Lediglich aus den Bestimmungen zur Prozessfähigkeit von Armen lässt sich erahnen, dass auf der Schreiberei ein Vorentscheid getroffen wurde.⁴² Denn die Richter waren gehalten, nach beeidigter Armut eine schnelle unbürokratische Rechtsberatung im Hinblick auf die Erfolgschancen einer Streitsache zu leisten. Hin und wieder lassen sich in einigen Fällen Bemerkungen finden, dass bereits früher wegen derselben Sache Klage erhoben wurde, ohne jedoch Spuren in den Akten hinterlassen zu haben. Der Prozessverlauf entsprach im Wesentlichen den gängigen Mustern des frühneuzeitlichen Zivilprozesses, orientierte sich also am „Gemeinen Proceß“ als vereinfachtem Kameralprozess.⁴³ Neben den Richtern und dem Gerichtsschreiber (notarius judicii) waren vier Prokuratoren am Gericht vereidigt, die die Interessen der jeweiligen Prozessparteien in der Verhandlung vertraten.⁴⁴ Das Gebot der Schriftlichkeit und Aktenanlage bestand nur für die causae ordinariae, für die causae summariae galt Mündlichkeit und dass „keine acta conscribiret, sondern die original producta samt den protocollo unsern Richter praesentiret werden.“⁴⁵ Ein Blick auf die in Th. 3 Tit. 1 in der Gerichtsordnung aufgeführte Liste der Klagesachen, die als summarischer Prozess zu führen waren, lässt erahnen, warum sich in den Archivbeständen nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von ordentlichen Zivilprozessen am Ratsgericht finden lässt.⁴⁶ Ehesachen wie Verlöbnisse, Ehekonflikte, Mündelsachen und Ehegüterangelegenheiten standen neben Alimentation, Kirchen-, Schul-, Armen- und Waisensachen, wenn Gefahr im Verzug war („ob moro periculum“), Tutorenangelegenheiten und Begräbniskosten ganz

42 NLA OS Dep 3b IV Nr. 3353 fol. 58.Th. 1, Tit. 2 § 7. 43 Zum Vorbildcharakter der Höchstgerichtsbarkeit vgl. z. B. Oestmann, Formstrenge. Zu Entwicklungen in Nachbarterritorien vgl. Weinreich, Zivilprozess und Wollschläger, Civil Litigation, S. 266. Für die Entwicklung im Hochstift Osnabrück vgl. Kottmann, Ziviljustiz, S. 105–107. 44 In Osnabrück galt noch die Trennung der Prokuratur in der Verhandlung und der Advokatur als Rechtsberater. Vgl. zum Berufsstand der Prokuratoren und ihrer Bedeutung in den kommunikativen Prozessen vor Gericht Sellert, Prokurator; Farcy, Procureur und Dolan, Familles, S. 20–23; Baumann, Advokaten, S. 19–44. 45 NLA OS Dep 3b IV Nr. 3353 fol. 59. 46 Neben allen Sachen unterhalb eines Streitwertes von 20 Rthl. (Kirchen-, Schul-, Armen- und Waisensachen unter 50 Rthl.) waren dies Alimente, Ehesachen und Ehegüterrecht, wenn Gefahr im Verzuge war, Krankheits- und Begräbniskosten, alle Lohn- und Vertragsangelegenheiten, Injurien, Handelssachen, Betrug, Diebstahl, Verletzungen der Frömmigkeit, Privilegien und Exemptionen und alle Arten der Beschwerden über Prozessführung und Haftbedingungen. NLA OS Dep 3b IV Nr. 3353 fol. 77–80.

178 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln oben auf der Liste. Damit waren dem Ratsgericht in Osnabrück Aufgaben in der Rechtspflege übertragen, die andernorts von den Konsistorien übernommen worden waren. Dies war zum einen dem Herrschaftsanspruch des 18. Jahrhunderts zuzurechnen, aber hatte sich zum anderen bereits in der Rechtspraxis seit Einführung des Stadtkonsistoriums 1534 ergeben. Vor allem in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts war der vorsitzende Gerichtsherr zugleich Vorsitzender des Konsistoriums. Im Hinblick auf die Belange der protestantischen Kirche entwickelte sich so eine symbiotische Beziehung, in der die Gerichtsherren die Voruntersuchungen für Konsistorialfälle übernahmen und sich selbiges „nur“ mit der Urteilssprechung in Eheversprechens- und Scheidungsklagen auseinanderzusetzen hatte. Betrafen die häuslichen Belange katholische Stadtbürger, führte dies regelmäßig zu Konflikten mit dem Offizialat.⁴⁷ Der besondere Stellenwert häuslicher Angelegenheiten in der städtischen Rechtsprechung korrespondierte auf der praktisch-politischen Ebene mit der zentralen Bedeutung von Familie als Kern des Staates in der politischen Theorie. Ebenso spiegelt die Rechtsprechung als Kernelement politischer Ordnungsprozesse sich darin, dass das Amt des Gerichtsherren seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ausschließlich von promovierten Juristen bekleidet wurde,⁴⁸ und vielfach als Steigbügel in das Amt des Bürgermeisters diente.⁴⁹ Damit entsprach die Osnabrücker Regelung im Wesentlichen den in den juristischen Dissertationen beschriebenen institutionellen Aspekten: Fälle von gefährdeter häuslicher Sicherheit und gebrochenem Hausfrieden sollten ohne Verzögerung in summarischen Prozessen verhandelt werden und ortsansässige Richter, die mit den Gegebenheiten vor Ort und den (Rechts-)Gewohnheiten vertraut waren, sollten den Verhandlungen vorsitzen.⁵⁰ Die bereits angesprochene institutionelle und personelle Überschneidung zwischen Ratsgericht und Stadtkonsistorium, war also mit der Institutionalisierung der Reformation durch den Erlass einer Kirchenordnung für die Stadt Osnabrück im Jahre 1543 eingerichtet worden, um in casus matrimonialibus zu entscheiden. Bestehend aus dem Ratsrichter, zwei weiteren Ratspersonen und den Predigern sollten Streit- und vor allem Scheidungsfälle hier beurteilt werden.⁵¹ 1610 kamen noch die Kirchengemeinderäte hinzu. Allerdings lässt sich bei der Durchsicht der Ratslisten feststellen, dass im 18. Jahrhundert im Allgemeinen der Stadtsyndikus als Präses des Konsistoriums fungierte, neben ihm die beiden Gerichtsherren sowie

47 Vgl. hierzu die folgenden beiden Unterkapitel. 48 Die einzige Ausnahme bildete Johann Jakob Storck, s. S. 182. 49 Vgl. dazu den Abschnitt Ratsherren ab S. 182. 50 Vgl. hierzu Struve, De pace domestica, S. 77, 88. 51 Sehling, Kirchenordnungen VII/2,1, S. 247–264, hier S. 261, 294.

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die beiden vorsitzenden Altermänner der Gilden, die in der Mehrzahl auch die Pupillar-Commission für Vormundschaftssachen bildeten.⁵² Das Konsistorium war damit für die protestantische Stadtbevölkerung in erster Instanz für die Regelung eherechtlicher Fragen zuständig, Berufungen waren an den Rat zu richten. Neben den explizit genannten Scheidungen behandelte man in der Praxis vor allem Ehe- und Alimentenklagen.⁵³ Darüber hinaus besaß es aber auch Kompetenzen im Rahmen der Kirchenzucht, so dass ein Eingreifen in häusliche Konflikte oft frühzeitig möglich war. Denn fiel ein Gemeindemitglied auf, weil es ein „ärgerlich leben führe“, sollte zunächst der zuständige Pastor vermitteln und ermahnen. Fruchtete dies nicht, wurde die betreffende Person durch den Superintendenten vor das Konsistorium geladen und ihr „das gesetz gescherpft“.⁵⁴ Die dritte Stufe stellte dann – hier zeigt sich neben der engen normativen und personellen Verflechtung des Konsistoriums mit dem Magistrat auch eine verfahrenstechnische Zusammenarbeit – eine formale Anklage vor der städtischen Obrigkeit mit schriftlichem Prozess dar. Da sich für die Verhandlungen vor dem Konsistorium vor 1823 keine eigens genannte Verfahrens- oder Prozessordnung findet, steht zu vermuten, dass man sich wie im Ratsgericht am „Gemeinen Proceß“ orientierte. Ab 1823 wurde allen unteren Instanzen das Verfahren gemäß der „Calenbergischen Cantzley-Ordnung“ von 1634 verordnet.⁵⁵ Die Aktenüberlieferung beinhaltet lediglich umfangreiche schriftliche Prozesse, so dass zumindest für das 18. Jahrhundert davon ausgegangen werden muss, dass mündliche Voruntersuchungen und Verhandlungen im Rahmen der Gerichtstage des Rates mit aufgenommen wurden. Für diese These sprechen vereinzelte Hinweise in der Aktenführung, da eine Verhandlung „Coram Censoribus qua Deputati Consistorii civitatis, Gerichtsherr Storck“⁵⁶ geführt wurde bzw. weil die Protokolle summarischer Verfahren vor den Gerichtsherren in späteren Konsistorialprozessen eingegliedert wurden.⁵⁷ Die enge Verflechtung der geistlichen Jurisdiktion des Konsistoriums mit der weltlichen Gerichtsbarkeit des Rates zeigt nicht nur die allgemein tiefe Durchdringung der weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten in der protestantischen Kirchenorganisation im Allgemeinen. Sie verweist vor allem auf das große Interesse des Rates, in jenen Bereichen seinen Einfluss und seine Regelungskompetenz

52 Vgl. NLA OS Dep 3b IV Nr. 351 und Nr. 352 mit den Ratsbestätigungseiden von 1645–1807. 53 Vgl. hierzu die Akten des städt. Konsistoriums in NLA OS Dep 3b VI. 54 Sehling, Kirchenordnungen VII/2.1, Kirchenordnung von 1618, S. 265–289, hier S. 288. 55 Vgl. Sämtliche Hochfürstl. Braunschweigische Lüneburgische Cellischen und Hanoverischen Theils Gerichts-Ordnungen . . . , Hannover 1712. 56 NLA OS Dep 3b IV Nr. 261 fol. 282. 57 NLA OS Dep 3b VI Nr. 145.

180 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln zu behalten und zu behaupten, die im ehelichen und häuslichen Rahmen ganz elementar die soziale und politische Ordnung des Gemeinwesens betrafen. Dass es hier offensichtlich unterschiedliche Ansichten zwischen Kirchenleitung und Rat darüber geben konnte, was genuin geistliche Belange waren, mag man aus dem dritten Artikel der Superintendentenordnung ersehen, der dem Amtsinhaber explizit untersagte, weltliche sachen, wilche der oberkeit zu entscheiden gepuren, an sich oder das ministerium [zu] ziehen, außerhalb wan er oder seine collegen in ministerio zum unterricht der conscientien oder geistlicher vergleichungen und versonungen [. . . ] erbetten oder gezogen werden mugten.⁵⁸

Wenngleich sich die Arbeit des Konsistoriums nach 1669 weitestgehend in diesem Rahmen fortgesetzt hatte, kam es doch immer wieder zu Auseinandersetzungen über die Kompetenz gerade in eherechtlichen Fragen – nicht nur mit dem Rat, sondern vor allem mit dem Offizialat, das als höchste Gerichtsbarkeit in geistlichen Belangen der katholischen Bevölkerung zuständig war. Besonders in strittigen Scheidungsfällen gemischt-konfessioneller Ehen war die Frage des zuständigen Gerichts Gegenstand langwieriger Klärungsprozesse.⁵⁹ Denn hier ging es nicht nur um die Konsequenzen ehelichen Unfriedens, sondern auch um den konfessionellen Frieden – der nur Bestand haben konnte, wenn die Grenzen und Zuständigkeiten gewahrt blieben. Das Offizialat war als oberstes bischöfliches Gericht für die Regelung der kirchenrechtlichen Fragen in der Diözese Osnabrück zuständig, zugleich übernahm es aber auch Zuständigkeiten als Appellationsinstanz für die von den Archidiakonen ausgeübte weltliche Gerichtsbarkeit. Hierin gab es Kompetenzüberlagerungen und damit auch -konflikte mit der Land- und Justizkanzlei, die als höchste Behörde alle Appellationen in Fragen weltlicher Gerichtsbarkeit für sich beanspruchte.⁶⁰ Das Offizialat bestand aus dem Offizial, einem Actuar bzw. Gerichtsschreiber und dem Pedell, dem Gerichtsdiener. Bis 1728 war der Offizial, der selbst Domherr war, ein im Kirchenrecht promovierter Jurist gewesen, danach war den Offizialen ein besoldeter Jurist als Referent zur Seite gestellt worden. Zusätzlich waren am

58 Sehling, Kirchenordnungen VII/2.1, Superattendentenordnung 1596, S. 290–295, hier S. 294. 59 Vgl. hierzu die Aktenbestände NLA OS Dep 3b VI, Nr. 145. In der Sammlung der städtischen Konsistorial- und Policeysachen (NLA OS Dep 3b VI, Nr. 5) findet sich unter anderem die Streitschrift über die Auseinandersetzungen zwischen dem Domkapitel und dem Landkonsistorium in Hildesheim aus dem Jahre 1704. Offensichtlich hatte man sich hier mit vergleichbaren Rechtsfällen gewappnet. 60 Vgl. Bär, Abriß, S. 40f.; Rudolph, Regierungsart, S. 59f.; Boeselager, Domherren, S. 12–16.

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Offizialat noch Notare und Assessoren bestellt, welche die juristische Vertretung der Prozessparteien übernahmen.⁶¹ In der Auseinandersetzung mit den weltlichen Gerichtsbehörden und den unklaren Bestimmungen der „Capitulatio Perpetua Osnabrugensis“ (CPO) konzentrierte sich die Tätigkeit der Archidiakone wie auch des Offizialats auf die kirchenrechtlichen Aspekte des Ehelebens: Fragen des Eherechts bei Verlöbnissen, gebrochenen Eheversprechen, Ehebruch bzw. Ehenichtigkeitserklärungen.⁶² Geringere Vergehen wie Inzest und einmaliger Ehebruch wurden – wenngleich in der Theorie heftig umstritten – in der Praxis bis 1802 durch die archidiakonalischen Sendgerichte abgeurteilt. Da die Bürger der Stadt Osnabrück von der archidiakonalischen Gerichtsbarkeit befreit waren, spielten diese Institutionen im gerichtlichen Austrag häuslicher Konflikte in der Stadt keine Rolle.⁶³ Die vor dem Offizialat verhandelten eherechtlichen Sachen betrafen in erster Linie gebrochene Eheversprechen sowie Klagen auf Trennung von Tisch und Bett bzw. Nichtigkeitserklärungen, die wenig Bezug zu einem gemeinsam geteilten ehelichen oder häuslichen Alltag besaßen, sondern nach den Kategorien des kanonischen Rechts behandelt wurden. Die Darstellung der institutionellen Zuständigkeiten, Kompetenzen und Organisationen hat gezeigt, dass weder analytisch eine klare Zuordnung und Abgrenzung möglich war, noch dass diese im Selbstverständnis der handelnden Amtsinhaber unbedingt als problematisch erkannt wurde. Dieser Befund, der die Ergebnisse der jüngeren Forschungen zur frühneuzeitlichen Rechtsprechung und Verwaltung auf europäischer Ebene bestätigt, hat aber nicht nur für Abgrenzungsprobleme auf der Ämterebene Bestand. Auch die Unterscheidung zwischen „Amtsperson“ und „Privatperson“ war nicht im heutigen Sinne ausgeprägt,⁶⁴ was sich gerade in den Ordnungskonflikten des Alltags deutlich ablesen lässt. Diese Ambiguität ist für die in den Akten zu Tage tretende kommunikative Praxis im Gericht von zentraler Bedeutung. Sie kann nur herausgearbeitet werden, wenn die prägenden Bezugsrahmen der einzelnen Akteure kurz umrissen werden.

61 Vgl. hierzu die Bestallungslisten in NLA StA OS Rep 110 I, Nr. 282 und 682. 62 Vgl. hierzu Rudolph, Regierungsart, S. 61 und Rudolph, Kirchenzucht, S. 631–634. 63 Vgl. CCO Abschn. 5 465–472, 1604–1642. Dazu auch Bär, Abriß, S. 28–30 und Rudolph, Kirchenzucht, S. 630, Schmidt, Sühne, S. 49–66. 64 Zur frühneuzeitlichen Entwicklung eines expliziten Amtsverständnisses lokaler Funktionsträger wurde intensiver vor allem in den Bezugsrahmen Landesherrschaft auf der einen und Untertanen auf der anderen Seite erforscht. Vgl. u. a. Brakensiek, Communication und Löffler, Amtsträger, S. 161–182. Spezielle Untersuchungen zur Selbstverortung städtischer Funktionseliten und deren Überschneidung mit sozialen Netzwerken liegen bisher nicht vor. Zum Selbstverständnis geistlicher Funktionsträger und einer vermittelnden Praxis zwischen systematischem Wissen und regionalen Gegebenheiten vgl. Schorn-Schütte, Amtsträger, S. 14–16, 22.

182 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Dazu gehören neben den weltlichen und geistlichen Funktionsträgern der Bürgermeister, Gerichtsherren, Pastoren und Superintendenten auch die in die Konflikte und ihren gerichtlichen Austrag involvierten Nachbarn und die Hausbewohner selbst. Sie alle haben im Laufe ihrer Erziehung die grundlegenden Werte und Normen des häuslichen Lebens in ihrer zeit- und milieuspezifischen Ausprägung internalisiert. Als Akteure in alltäglichen Konfliktinterventionen wie auch als wichtige Zeugen und Leumundsinformanten vor Gericht waren sie für die Interpretation und Lösung von Konflikten entscheidende Träger von Wissen und Ordnung. Die einflussreichsten Ratsstellen der Bürgermeister und Gerichtsherren lagen seit etwa 1750 in den Händen weniger Familien, die in den vorangegangenen Jahrzehnten die alten eingesessenen Ratsfamilien abgelöst bzw. durch geschickte Heiratspolitik erweitert hatten.⁶⁵ Diese „neuen“ Familien erhielten Zugang zu den alten Führungsschichten durch aufstrebende Handelsgeschäfte wie die Tabakhändler von Gülich, über Pastorenämter wie die Familien Gerding und Wöbeking, oder durch die akademische Ausbildung der Nachkömmlinge wie die Familien Berghoff oder Klussmann. Diese Familien waren weitläufig untereinander verschwägert; nicht nur Ratsstellen, sondern auch die Pastoren- und Predigerämter an den beiden protestantischen Stadtkirchen waren zu einem Großteil innerhalb dieser Familien vergeben, zudem bestand zwischen Familienbesitz und Ämterdynastien eine enge Verflechtung mit dem Umland und dem Hochstift. Die Bürgermeister in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren in vielen Fällen zuvor Gerichtsherren gewesen;⁶⁶ wie Dr. Johann Wilhelm Klußmann (Vorsitzender Gerichtsherr bis 1756, 1757–1760 zweiter Bürgermeister), Dr. Gerhard Anton von Blechen (1757–1760 Vorsitzender Gerichtsherr, 1760–1772 zweiter Bürgermeister), Dr. Anton Philipp von Gülich (1774–1781 Vorsitzender Gerichtsherr, 1782–1793 zweiter Bürgermeister, 1794–1803 erster Bürgermeister) oder Johann Jacob Storck, der von 1794–1803 Vorsitzender Gerichtsherr und von 1803–1808 zweiter Bürgermeister war; auch die beiden Vertreter der aufgestiegenen Familie Stüve, Dr. Heinrich David und Dr. August Eberhard waren vor ihren langen Amtszeiten als erste Bürgermeister Vorsitzende Gerichtsherren gewesen.⁶⁷ Johann Jacob Storck bildete in diesem Kreise eine Ausnahme, da er als einziger keine Promotion zum Doktor der beiden Rechte vorweisen konnte. Als zugelassener Advokat genoss er offenbar so großes Ansehen, dass er bei seiner Aufnahme in den Rat die praecedentia sedis gegen die beiden anderen – gleichwohl promovierten –

65 Vgl. hierzu Spechter, Oberschicht, S. 126–131. 66 Vgl. Tab. 1, Anhang. 67 Die Amtsinhaber und ihre Amtszeiten sind dem Register der Beeidung nach den Ratswahlen entnommen: NLA OS Dep 3b IV Nr. 351 (1750–1769), Nr. 352 (1770–1807, 1815).

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Ratsneulinge durchsetzen konnte.⁶⁸ Er hatte aber wie alle anderen ein vollgültiges Studium der Rechte absolviert. Er war 1779 von der Universität Leipzig nach Göttingen gewechselt, bevor er in Osnabrück die Zulassung als Advokat erhielt. Die meisten zukünftigen Ratsherren mit akademischer Ausbildung hatten ihr Studium in den für die protestantischen Gebiete wichtigen Universitäten absolviert. Nach wie vor war dies in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allen Dingen die für die lutherische Orthodoxie stehende Universität Jena gewesen, an der sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert Mitglieder der führenden und aufsteigenden Osnabrücker Familien nachweisen lassen. Von den für die Rechtsprechung wichtigen Ratsmitgliedern studierten dort Eberhard Berghoff, Anton Wilhelm Schledehausen, Wilhelm Gerding, Gerhard Anton von Blechen, Johann Gerhard von Blechen, Johann Wilhelm Klussmann, Jobst Henrich Stüve, Johann Eberhard Stüve, Heinrich David Stüve und Anton Philipp von Gülich.⁶⁹ Nur Johann Wahlfeld hatte um 1700 noch in Helmstedt studiert;⁷⁰ Gerhard Friedrich von Gülich studierte wie Storck in Leipzig. Im ausgehenden 18. Jahrhundert gewann die Universität Göttingen als obrigkeitlich privilegierte Landesuniversität zunehmend an Bedeutung – gerade die juristische Fakultät hatte mit Johann Stephan Pütter einen der angesehensten Reichsrechtslehrer vorzuweisen. Immerhin wechselten Gerhard Friedrich von Gülich und Heinrich David Stüve zum Abschluss ihrer Studien hierher; Justus Eberhard Berghoff und August Eberhard Stüve verbrachten ihre ganze Studienzeit hier.⁷¹ Die besondere Bedeutung der Universität Jena für die protestantische Juristenausbildung im 18. Jahrhundert galt demnach auch für Osnabrücker Karrieren. Damit kannten die für die städtische Rechtsprechung zuständigen Ratsherren die Standardliteratur ihrer Zeit nicht nur aus der Lektüre und ihren Bibliotheken, sie hatten bei den entsprechenden Rechtsgelehrten selbst ihre maßgeblichen juristischen Grundlagenkenntnisse erhalten. Hierzu zählte insbesondere in der Nachfolge von Burkhard Gotthelf Struve die starke Betonung von Reichsrecht und Reichsgeschichte. Die Bedeutung dieser neuen Zugänge zur historisch orientierten Rechtsgelehrtheit im Jenaer und Wittenberger Kontext für die Hausfriedensdiskurse um 1700 ist oben bereits herausgearbeitet worden. Auch wenn sich keine exakten Vorlesungsverzeichnisse und Studienprogramme finden lassen, kann man eine Vertrautheit mit dieser spezifischen Hausfriedensliteratur annehmen, zumal zumindest Beyers Werk auch explizit in den Akten zitiert wird. Die Prävalenz Jenas

68 NLA OS Dep 3b IV Nr. (Fach 17/20 Nr. 4), vgl. auch Spechter, Oberschicht, S. 24. 69 Köhler, Matrikel Jena, S. 274, 855, 860, 936, 964, 1061; teilweise haben sie sogar gemeinsam studiert. 70 Mundhenke, Matrikel Helmstedt, S. 94, Nr. 3998. 71 Selle, Matrikel Göttingen, S. 1, 194, 234, 268 (Nr. 5, 9045, 11102, 12850).

184 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln gegenüber der aus den Jenenser Traditionen erwachsenen und für die Jurisprudenz innovativsten Universität Halle lag vor allem in den konfessionellen Belangen begründet, die pietistischen Einflüsse wollte man aufgrund der eigenen Geschichte in Osnabrück eher meiden. Diese Beobachtung bestätigt sich auch im Hinblick auf die zitierte juristische Literatur – wenngleich sie nur in ganz wenigen Fällen greifbar ist. Für den häuslichen Bereich wurden hier insbesondere Carpzovs „Jurisprudentia Consistorialis“, Brunnemanns „De jure ecclesiastico“, Strycks „De dissensu sponsalitio“, Bruckners „Decisiones matrimoniales“, Becks „De debiti coniugalis praestatione“, Leysers „Meditationes“ und natürlich Böhmers „De jure ecclesiatico Protestantium“ herangezogen. Zieht man zu diesen Eindrücken die Aufstellung der Ratsbibliothek von 1782 hinzu, ergibt sich das Bild eines soliden, protestantisch ausgeprägten Rechtsverständnisses, das neben den „Säulen des Reichsrechts“ zugleich auch die Einflüsse der neueren, aufgeklärten Rechtswissenschaften wahr- und aufnahm.⁷² Die stark praxisorientierte Ausbildung der Osnabrücker Juristen für eine Tätigkeit vor Ort in Stadt und Hochstift spiegelt sich auch in der Promotionspraxis wider. Der überwiegende Teil promovierte nach einer mehrjährigen Praxis als Advokat an der Universität Harderwijck oder Duisburg. Das dortige Promotionsverfahren bestand in der Einsendung einer Schrift, woraufhin man gegen entsprechendes Entgelt eine Promotionsurkunde erhielt. So lassen sich auch die zahlreichen juristischen Dissertationen zu spezifisch Osnabrückischen Rechtsproblemen erklären.⁷³ Lediglich für das Amt des beisitzenden Gerichtsherren waren immer wieder auch Ratsherren aus den Handwerkerfamilien und sogar Theologen aufgeboten worden, wie etwa Gerhard Rudolf Voss, der 1790 Bernhard Klefeker bei der Wahl auf die dritte Predigerstelle an St. Katharinen unterlegen war und von 1792 bis 1803 als Beisitzender Gerichtsherr fungierte.

72 Die Bestände der Ratsbibliothek befinden sich in NLA OS Dep 3b IV Nr. 6537. Dieser Bestand deckte sich abgesehen von der ausgesprochen guten Sammlung historischer Schriften zum Westfälischen Frieden mit dem zivilrechtlichen Pendant derjenigen Literatur, die Rudolph als relevant für die Strafjustiz aufgelistet hat. Rudolph, Regierungsart, S. 362–364. Zur grundsätzlichen Ausrichtung und zu wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Universitäten Jena, Halle und Göttingen vgl. Stolleis, Geschichte, S. 241 und S. 298–317. 73 Vgl. hierzu Bots, Gelders Athene, S. 20–22, Schneppen, Universitäten, S. 49–52 und Spechter, Oberschicht, S. 83. Gerade die juristischen Lehrstühle in Harderwijck und Duisburg waren nahezu „Erbhöfe“ der Familie Pagenstecher aus der Grafschaft Bentheim, deren Söhne über Generationen sowohl die genannten Lehrstühle als auch entsprechende Hofämter in der Grafschaft besetzten; auch diese Familie war eng mit der Ratsfamilie der Pagenstechers in Osnabrück verschwägert. Zu den juristischen Dissertationen vgl. die Datenbank des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte (http://dlib-diss.mpier.mpg.de/), die 52 Dissertationen zu spezifisch Osnabrückischen Rechtsmaterien zählt.

3.1 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen |

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Für die Pastoren an den beiden protestantischen Osnabrücker Stadtkirchen St. Katharinen und St. Marien lassen sich ganz ähnliche Tendenzen feststellen. Sie entstammten eingesessenen Osnabrücker Pastorenfamilien aus Stadt und Stift, die gerade im 18. Jahrhundert eine starke Tendenz zu „dynastischen Kontinuitäten“ in den Predigerämtern ausbildeten, insbesondere an St. Katharinen.⁷⁴ So folgte hier Johann Herrmann Krochmann seinem Onkel, dem Superintendenten Eberhard Krochmann, 1780 als Prediger nach, Johann Christoph Gerding war bereits 1761 auf eine Predigerstelle gekommen, dessen Vater von 1708 bis 1742 dort Prediger gewesen war und mit der Schwester seines Amtsbruders Wöbeking verheiratet war. Johann Christophs Cousin Wilhelm Gerding war in dieser Zeit erster Bürgermeister, sein Cousin mütterlicherseits, Ernst Georg Wöbeking, fungierte ab 1794 als zweiter Bürgermeister. Darüber hinaus stellte die Familie Gerding im 18. und bis in das 19. Jahrhundert hinein die Pastoren in Neuenkirchen, Menslage und Börstel, protestantischen Pfarren im Norden des Hochstifts.⁷⁵ Wenngleich sich Dynastiebildung an St. Marien nicht in gleichem Maße verfolgen lässt, zeigen ihre Prediger doch intensive familiäre Netzwerke zu den Pfarren und Predigerstellen im Hochstift. Stärker ausgeprägt war hier allerdings der Bezug zum Ratsgymnasium, an welchem einige der Kandidaten zuvor als Kantoren oder (Sub)Rektoren tätig waren.⁷⁶ Der enge Zusammenhang mit dem städtischen Bildungswesen ist aus der Stellung St. Mariens als Haupt- und Ratskirche zu erklären, wodurch sie auch in der Verantwortung für das Schulwesen stand. Diesem Umstand maß man besondere Bedeutung zu, so dass Kandidaten ohne familiäre Netzwerke im Hochstift immer aus Bildungszusammenhängen berufen wurden – wie etwa Dr. Conrad Rahmmacher, der 1762 auf die dritte Predigerstelle bei St. Marien berufen wurde, nachdem er als Rektor des Helmstedter Gymnasiums und als Professor am Osnabrücker Ratsgymnasium gelehrt hatte.⁷⁷ Ähnlich wie im Rat erklomm man die Karriereleiter an beiden Kirchen zunächst als dritter und zweiter Prediger, bevor man auf die Hauptpredigerstelle berufen werden konnte. Der Wahl ging das übliche Bewerbungsverfahren voraus mit einer Probepredigt und einer Anhörung durch die Kirchenältesten, erst nach der Einsetzung durch den Superintendenten konnte der entsprechende Kandidat sein Amt antreten. Dieses Verfahren galt für jede Predigerstelle, auch für die zweite und erste Predigerstelle waren immer Gegenkandidaten und Auswärtige eingeladen.

74 75 76 77

Vgl. hierzu Tab. 2, Anhang. Vgl. zur Familie Gerding Spechter, Oberschicht, S. 127–129. Vgl. die entsprechenden Einträge bei Meyer, Pastoren. Meyer, Pastoren II, S. 242.

186 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Die beiden protestantischen Stadtkirchen waren nach innerkonfessionellen Auseinandersetzungen im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert einer strengen lutherischen Orthodoxie verpflichtet, was sich vor allem aus der besonderen bikonfessionellen Situation ergab. Schon früh waren die Prediger eindringlich in den Predigerordnungen wie in der Praxis auf ein deeskalierendes Verhalten und die Vermeidung konfessionsspezifischer Provokationen gegenüber den Katholiken verpflichtet worden.⁷⁸ Diese Orientierung auf die lutherische Orthodoxie zeigt sich deutlich in den Studienorten der Osnabrücker Pastoren, die in Helmstedt, Jena und Leipzig studiert hatten, während erst zwei an der „neuen“ landesherrlichen Universität in Göttingen ihre Ausbildung erhalten.⁷⁹ Während vor allem die Theologiekandidaten der 1730er Jahre wie Hickmann, Goeze und Rahmmacher in Helmstedt studiert hatten,⁸⁰ wandten sich die zukünftigen Pastoren der 1740er- bis 1770er-Jahre nach Jena. Lediglich Klefeker, Friedrich August Gruner und Johann Herrmann Krochmann hatten in den 1760er- bis1770er-Jahren in Leipzig studiert. Unterstrichen wurden die engen Beziehungen durch die Berufung des Rektors des Ratsgymnasiums Johann Christoph Koecher auf eine Theologieprofessur nach Jena im Jahre 1751. Die Osnabrücker Pastoren waren aber dennoch den Neuerungen der Zeit nicht verschlossen, auf vielfache Weise nahmen sie neue Ideen in den Unterricht, ihre Predigtgestaltung und Seelsorge auf. Koecher hatte die Deutsche Rhetorik als Unterrichtsfach eingeführt, Rahmmacher und Klefeker erwiesen sich in ihren Publikationen wie ihre katholischen Amtskollegen Deutgen und Herft durchaus offen gegenüber aufklärerischen Einflüssen. Erstaunlicherweise traten im Gegensatz zu den protestantischen Pfarrern die katholischen Priester und Seelsorger kaum in Erscheinung. Weder tauchen sie in den Gerichtsherrenprotokollen als informelle Schlichter oder Vermittler auf, auch als Leumundszeugen werden sie im Gegensatz zu ihren lutherischen Kollegen nie benannt – obwohl auch katholische Haushalte ihre Konflikte an das Ratsgericht trugen.⁸¹ Ebenso wenig tauchen Vermittlungsversuche anderer städtischer Korporationen auf, wie etwa der Leischaften und der Gilden – sie werden nur in

78 So heißt es in der Revidirten Prediger-Ordnung der Stadt Osnabrück 1727: „Zum achten, daß sie, die Predigern, untereinander gute Einigkeit und frieden haben und halten. . . “ NLA OS Dep 3b VI, Nr. 5 o. fol. Vgl. hierzu auch Asch, „Brummbärte“, S. 114. 79 Vgl. hierzu Kuhn, Bahrdt, S. 206–209; Köhler, Matrikel Jena, S. 888, 936, 1044, 1096; Erler, Matrikel Leipzig, S. 127, 198, 218. Zu den bevorzugten Studienorten vgl. Schorn-Schütte, Amtsträger, S. 21. Zum Studienalltag an theologischen Fakultäten vgl. Bogdan, Besuch, S. 105–107. 80 Vgl. Mundhenke, Matrikel Helmstedt, S. 197, 213 (Nr. 8404, 9113). 81 Inwieweit dies auch ein Quellenproblem ist, das bestimmte Intentionen des protestantischen Rates widerspiegelt, wird weiter unten zu erörtern sein.

3.1 Fundamenta Pacis: Normen und Institutionen |

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wenigen Fällen indirekt fassbar. Etwas prominenter tritt in dieser Zeit nur der Kanoniker von St. Johann und Prediger am Dom Johann Bernhard Herft in Erscheinung, der 1787 eine Predigtsammlung für Sonn-, Fest- und Fasttage herausgab – eine Replik auf die beiden 1786 erschienenen protestantischen Schriften eines neuen Gesangbuches – und „Episteln und Evangelien auf die Sonn- und Fasttage“.⁸² Aber auch die katholischen Prediger waren ähnlich in der Region verwurzelt. So versah Herft (1745–1812), der in Damme geboren wurde, nach seiner Ausbildung im Münster’schen Priesterseminar sein Vikariat in Borgloh, einer katholischen Gemeinde unweit von Osnabrück im Amt Iburg, bevor er als Prediger an den Osnabrücker Dom kam.⁸³ Für die Pastoren lässt sich wie für die Gerichtsherren festhalten, dass sie im Hinblick auf ihre Tätigkeiten als Konfliktmediatoren und Rechtsprechende ein professionalisiertes Wissen besaßen, das sich an den neuesten Erkenntnissen orientierte und an den für protestantische Funktionseliten bedeutendsten Universitäten der Zeit erworben wurde. Dieses Expertenwissen wurde für eine politische und soziale Praxis erworben, die nicht nur inhaltlich-funktional an den Amtsaufgaben ausgerichtet war, sondern in ein komplexes, über Generationen gewachsenes System aus familiären, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen eingebettet war. Saßen sie über häusliche Auseinandersetzungen zu Gericht, brachten sie folglich nicht nur ihr professionalisiertes Expertenwissen zur Geltung, sondern mussten dieses in Übereinstimmung bringen mit ihrem persönlichen, sozialen und kulturellen Wissen um die Hintergründe und Wirkungskreise eines Konfliktes. Wie diese Hintergründe häuslichen Wirtschaftens in Osnabrück im 18. Jahrhundert beschaffen waren, welche sozialstrukturellen und wohnräumlichen Verhältnisse für die jeweiligen Auseinandersetzungen anzunehmen sind und welche Ereignisse und Entwicklungen die Rahmenbedingungen des Alltags prägten, soll

82 Herft, Johann Bernhard: Predigten über verschiedene Sonn- und Festtage, Münster/Osnabrück bei Perrenon 1787; Episteln und Evangelia auf die Sonn- und Festtage: nebst der Leidensgeschichte Jesu und Anhang einiger Gebete zur häuslichen und Privatandacht, Osnabrück: Kißling 1786. In Herfts Festpredigt zum Regierungsantritt des Fürstbischofs Friedrich von York sind bewusst konfessionell versöhnliche, irenische Töne enthalten, die auf die allgemeine Wohlfahrt des Landes, Ruhe und Frieden der Bürger zielen, ohne jedoch die Häuser als eigene ständische Einheit auszuweisen. Herft, Glück, S. 16. Seine Schriften wurden durchaus überregional und positiv rezipiert, wie Rezensionen in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ (59 [1784], S. 377f.; 82 [1788], S. 372–374; Anh. 53–86 [1791], S. 165f.), in der „Allgemeinen Literatur Zeitung“ (2 [1787], S. 355; 5 [1787], S. 212; 1 [1793], S. 285), in der „Oberdeutschen Literatur Zeitung“, den „Würzburger gelehrten Anzeigen, der Neue Literatur des katholischen Deutschland“ u. a. zeigen. 83 Vgl. hierzu Rassmann, S. 232f.

188 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln im Folgenden betrachtet werden. In diesen materia pacis werden sowohl die subjecti, die Osnabrücker Gesellschaft in ihrer Schichtung, als auch die objecti, die wohn- und stadträumlichen Gegebenheiten vorgestellt.⁸⁴

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume Die Stadt Osnabrück bildete das politische, administrative, wirtschaftliche, konfessionelle und kulturelle Zentrum des Fürstbistums. Wenngleich die Stadt politisch-rechtlich seit dem späten Mittelalter über weitgehende Autonomierechte verfügte,⁸⁵ war die Anwesenheit der zahlreichen landesherrlichen Beamten für die Stadt als soziales Gebilde sehr prägend. Diese Familien waren wie auch die kaufmännische, ratsherrliche und klerikale Oberschicht eng mit den ländlichen Oberschichten vernetzt, was nicht zuletzt mit der Verflechtung der städtischen Wirtschaft mit der ländlichen Leinwandproduktion zusammenhing.

3.2.1 Akteure und Räume Das 18. Jahrhundert war in Osnabrück von einer ökonomischen Krise gekennzeichnet, die sich neben einer kaum wachsenden Bevölkerung vor allem im allmählichen Verfall vieler städtischer Gebäude ausdrückte. Der Siebenjährige Krieg hatte für die städtische Bevölkerung erhebliche Belastungen mit sich gebracht. Neben den zahlreichen Kontributionen hatten vor allem Krankheiten und Hunger zu einem Einbruch der Bevölkerungszahlen geführt. 1763 lebten um die 5000 Menschen in der Stadt, bis 1772 wuchs die Zahl auf 5932 an,⁸⁶ was auf das sich langsam ankündigende Wirtschaftswachstum bis 1790 verweist. Durch massiven Zuzug aus dem Umland, gefördert durch erleichterte Immobilienkäufe, wuchs die Bevölkerungs-

84 Dies wurde im Fürstbistum Osnabrück bereits am Beispiel des Kirchspiels Belm mikrohistorisch untersucht (Schlumbohm, Lebensläufe), für die Stadt Osnabrück ist die Forschungslage hingegen ausgesprochen mager und man muss auf kleinere Arbeiten vor allem aus dem Bereich der Historischen Demographie zurückgreifen. 85 Die Verleihung der Reichsunmittelbarkeit konnte zwar im Kontext der Westfälischen Friedensverhandlungen nicht erreicht werden, gleichwohl gelang es der Stadt, ihre Autonomie bis zur Säkularisierung 1802 zu verteidigen. Wiese-Schorn, Selbstverwaltung; S. 32–35, Mörke, Gemeinde, S. 301–304; Heuvel, Osnabrück, S. 315–319. 86 Laut einer Volkszählung, die anlässlich des Kornmangels 1772 durchgeführt wurde. Mrohs, Bevölkerungs- und Sozialstruktur, S. 71–73; vgl. Schuler, Bevölkerung, S. 361.

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume |

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zahl auf 8290 im Jahre 1793 und 8564 im Jahre 1801, danach blieb sie für weitere 15 Jahre relativ konstant.⁸⁷ Der wirtschaftliche Aufschwung war wesentlich angetrieben durch den aufblühenden Leinwandhandel. Davon profitierten nicht nur die Osnabrücker Zwischenhändler, die Leinwand für die überseeischen Märkte an Kaufleute aus Bremen, Hamburg und den Niederlanden verkauften, oder gar über Spanien den Direktvertrieb organisierten. Auch den Gewerbetreibenden, Kleinhändlern und Wirten verschaffte der Leinwandhandel in der Folge höhere Umsätze. Das handwerkliche Gewerbe war größtenteils in den hergebrachten Zünften und Gilden organisiert und machte 1793 mit 38 % den größten Anteil an den Osnabrücker Berufsgruppen aus. 648 Einwohner waren in diesem Jahr selbstständig tätig und beschäftigten 68 Lehrlinge und Gesellen sowie 235 Dienstboten. Viele Meister arbeiteten dabei alleine, knapp die Hälfte (307) mit nur einem Gehilfen. Vor allem in den baubezogenen Gewerken beschäftigten dagegen die Betriebe deutlich mehr Menschen, was auf die seit den 1780er-Jahren steigende Bautätigkeit und den Wunsch nach repräsentativen Wohnräumen zurückzuführen war. Dennoch war ein Großteil der zünftischen Betriebe in die zweitunterste Steuergruppe eingeordnet, die zwischen einem und drei Reichstaler zu den Reichsdefensionssteuern beitragen mussten.⁸⁸ Dagegen zahlte die Mehrheit der 10 %, die im Handel tätig waren, zwischen 20 und 30 Reichstaler Steuern. Diese Handelsfamilien betrieben neben ihren Geschäften auch die zahlreichen Manufakturen und Fabriken in Osnabrück, die seit den 1770er-Jahren zunehmend Tagelöhner beschäftigten. In engem Zusammenhang mit den Profiten aus dem transatlantischen Leinwandhandel stehen die fünf großen Tabakfabriken in Osnabrück, sowie eine Papier- und Spielkartenfabrik, eine Strumpfmanufaktur und eine Stärkefabrik.⁸⁹ Entsprechend bildeten die Tagelöhner (mit häuslichem Gesinde) mit 25 % die zweitstärkste Einkommensgruppe. Vergleichsweise hoch vertreten waren auch Berufe im öffentlichen Dienst, vor allem als Advokaten und Prokuratoren tätige Juristen, die zumeist in landesherrlichen Diensten standen.⁹⁰ Wenngleich die Zahlen aufgrund der Uneinheitlichkeit des vorhandenen Quellenmaterials nur ungefähre Aussagen zulassen, können für das 18. Jahrhundert die aus dem Bevölkerungswachstum und den mit neuen

87 Vgl. Schuler, Bevölkerung, S. 361; Heuvel, Osnabrück, S. 330. 88 Ein Vergleich mit den Heberegistern zeigt, dass sich der Ansatz der Reichsdefensionssteuer in etwa nach dem städtischen Steueransatz richtete, insofern kann dies als Sozialindikator gerechnet werden. 89 Sehr intensiv sind diese Zusammenhänge für die Familie Tenge untersucht bei Konersmann, Kaufmannsfamilie Tenge, S. 219–244; Konersmann, Tenge, S. 145–167; Schlumbohm, Lebensläufe, passim. 90 Die Zahlen beziehen sich auf Mrohs, Bevölkerungs- und Sozialstruktur, S. 98.

190 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Produktionsformen einhergehenden prekären Erwerbsbedingungen den sozioökonomischen Wandel für Osnabrück deutlich machen. Trotz des langfristigen Anstiegs der Wirtschaftsleistung und des Lebensstandards waren Existenz und häusliches Wirtschaften immer wieder von katastrophalen Ereignissen bedroht. Die allgemeine europäische Wirtschafts- und Hungerkrise von 1770 bis 1771 führten auch in Osnabrück 1772 zu einer Hungersnot, gefolgt von einer Viehseuche im Sommer, die große Teile des städtischen Viehbestandes vernichtete. In engem Zusammenhang damit stand die bis in die 1780er-Jahre epidemisch auftretende Rote Ruhr⁹¹, die jeden einzelnen Haushalt aus der prekären Existenzbalance bringen konnte.⁹² Wie wichtig die Viehhaltung und der Gartenbau für die Sicherung des Unterhalts der städtischen Haushalte war, zeigen die zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Nutzung der Gärten, über vermutete Gartendiebstähle und mangelnde Hygiene im Umgang mit gestorbenem Vieh.⁹³ Die Bedeutung der Garten- und Anbauflächen für den Ackerbürgercharakter Osnabrücks wird auch auf dem Stadtplan von 1768 deutlich erkennbar, der große Flächen der Stadt als Gärten ausweist. Selbst der Garten des Schlosses war in den wenigen Jahren seiner Funktion als Residenz zum Gemüseanbau für die Schlossküche genutzt worden. An diesem Plan kann man auch die deutlichen Unterschiede in den Wohnstrukturen erkennen. Während in der Altstadt bei der Volkszählung 1772 915 Wohnhäuser mit 595 Nebengebäuden und Ställen gezählt wurden, die sich vor allem rund um den Markt drängten und die am dichtesten zwischen Markt und dem Hegertor im Westen waren, wies die Neustadt eine wesentlich lockerere Bebauung auf mit 355 Wohnhäusern und 193 Nebengebäuden. Es liegen keine Untersuchungen vor, die allgemeine Aussagen über die Wohnsituation in Osnabrück zulassen. Anhand der demographischen Zahlen aus den genannten statistischen Erhebungen hat Christine van den Heuvel eine durchschnittliche Haushaltsgröße von vier bis fünf Personen angenommen. Der allgemeine Zustand der Häuser ist für das späte 18. Jahrhundert sehr heterogen. Während bis in die 1770er-Jahre hinein aufgrund der desolaten Wirtschaft und der hohen Steuerlast kaum Neubauten und Reparaturen vorgenommen worden waren, finden sich immer wieder Hinweise auf baufällige Häuser, auf Zwangsversteigerungen und Abrisse. Gleichzeitig investierten vor allem die prosperierenden Kaufmannsfamilien in repräsentative

91 Blutige Durchfallerkrankung, die im 18. Jahrhundert vielfach zum Tode führte. 92 Kaufhold, Wirtschaft, S. 351–574. 93 Vgl. die Gerichtsherrenprotokolle der Jahre 1772–1776, NLA OS Dep 3b IV Nr. 238–243. Als Konsequenz aus der Viehseuche wurde eine Verordnung darüber erlassen, dass Tierkadaver nicht mehr einfach auf den vor der Stadt gelegenen Schindangern abgelegt werden durften, sondern vergraben werden mussten. Vgl. Heuvel, Osnabrück, S. 325.

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume |

Abb. 1: Plan der Stadt Osnabrück 1767, von C. L. Reinhold (Ausschnitt)

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192 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Steinhäuser, die ganz dem klassizistischen Modeideal der Zeit folgten. Das Brandkassenregister weist jedoch eher desolate Wohnumstände für den Großteil der Bevölkerung auf. Diese Befunde bestätigen sich auch mit einem Blick auf die Eigentumsverhältnisse. Während im gesamtstädtischen Durchschnitt etwa 37 % der Stadtbevölkerung das bewohnte Haus im Eigentum besaß und 63 % zur Miete wohnten, differenzierte sich dies innerhalb verschiedener Wohngegenden. So hat Beate Mrohs festgestellt, dass im Vergleich zwischen der mehrenteils von Tagelöhnern und mittellosen Handwerkern bewohnten Rolands- und Bocksmauer, wo 82 % der Steuerpflichtigen zur Miete wohnten, in der von Kaufleuten und wohlhabenden Handwerkern bewohnten Großen Straße 57 % in eigenen Häusern lebten. Diese Zahlen können aber nur bedingt darüber Aufschluss geben, inwieweit hier Haushalte und Häuser synonym gesetzt sind, oder ob mehrere Haushalte sich die zum Teil schmalen Häuser der ärmeren Gegenden teilen mussten. Dies kann nur anhand konkreter Einzelfälle aus Gerichtsakten heraus rekonstruiert werden. Dort findet sich ein – wenn auch auf Zufallsfunden beruhender – Eindruck einer Vielfalt von parallelen Wohnformen: neben vielen älteren Haustypen mit wenig voneinander separierten Arbeits-, Geschäfts- und Wohnräumen finden sich auch „moderne“ Architekturen, die den Wohnbereich der Familie bereits deutlich abgetrennt von Geschäfts- und Wirtschaftsräumen ansiedeln, mit Räumen für Geselligkeit einerseits und getrennten Eltern- und Kinderschlafzimmern andererseits.⁹⁴ Der bauarchitektonische Umbruch seit den 1780er-Jahren wurde wie gezeigt wesentlich von den reichen Kaufmannsfamilien sowie den landesherrlichen Beamtenfamilien getragen,⁹⁵ die zugleich aufgrund ihres Bildungshintergrundes auch als Träger aufklärerischen Gedankengutes und damit des darin verhafteten neuen Familienideals in Osnabrück auftraten.⁹⁶ Stadträumlich wird man sich Osnabrück aber trotz einzelner architektonischer Glanzstücke eher so vorstellen müssen, wie es die Reisebeschreibung des Osnabrückers Gerhard Friedrich Wagner evoziert: enge Gassen, überkragende Giebelhäuser, Misthaufen auf den Straßen und zahlreiche Verkaufsstände, da

94 Vgl. die Bau- und Konstruktionspläne des Schwartze-Hauses in der Krahnstraße, K Akz. 2003/046 Nr. 68 H. 95 So reihen sich etwa in der Hegerstraße, einer Verbindung zwischen Rathaus/Marktplatz und dem Heger Tor, Häuser, die einen Schätzwert von 1200 Rthlr. besaßen neben solchen, die kaum über 100 Rthlr. kamen. NLA OS Dep 3 b II Nr. 834, Bl. 101 und 277v; NLA OS Dep 3 b I Nr. 770, unpag. 96 Vorbildhaft wirkte hier sicherlich die Familie Möser, deren Spross Justus Möser nicht nur den Publizistik-Markt in Osnabrück für mehrere Jahre durch die „Westphälischen Beylagen“ zu seinen „Wöchentlichen Osnabrückischen Anzeigen“ bestimmte, sondern auch ratsherrliche Familien wie die Stüves, die Ehmbsens oder von Gülichs beeinflusste.

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume |

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viele Händler und Handwerker ihr Angebot vor den Fenstern feilboten oder den Straßenraum gar als Werkstatt und Materiallager mit nutzten.⁹⁷ Die zahlreichen städtischen Verordnungen zur Behebung solcher als „Missstände“ bezeichneten Umstände belegen diese Einschätzung.⁹⁸ Sie verweisen aber zugleich auf eine relative „Offenheit“ der Häuser, die das häusliche Leben und das Haushalten nicht vor den Augen der Nachbarn, Kunden und Passanten verborgen hielten. Dies und die Tatsache, dass jeder auf das Funktionieren der anderen Haushalte als Teil des nachbarschaftlichen Unterstützungsnetzwerkes angewiesen war, machten die Frage des „häuslichen Friedens“ zu einer öffentlichen – zu einer, die nicht auf das Haus als einem geschlossenen Raum bezogen blieb, sondern die potentiell am Geschehen beteiligten Personen der Straße und der Nachbarschaft als mittelbar Betroffene miteinbezog. Im Hinblick auf die konfessionelle Heterogenität der Bevölkerung gibt es leider keine belastbaren Datenerhebungen. Die Literatur spricht von einer protestantischen Mehrheit, die vor allem die städtischen Funktionseliten in Rat und Klerus umfasste. Lediglich im Umfeld der Domsfreiheit und der von der DeutschordensKommende betreuten St. Johannis-Kirche in der Neustadt ließen sich katholische Stadtbürger finden.⁹⁹ Die Rückverfolgung der in den Konfliktfällen auftretenden Akteure und die Rekonstruktion ihres Wohnortes und ihrer Konfessionszugehörigkeit verweisen eher auf eine starke Durchmischung, die sich aufgrund des starken Zuzugs aus dem Umland von verstärkt haben dürfte.¹⁰⁰ Konfessionelle Spannungen scheinen denn auch eher die politische Öffentlichkeit geprägt zu haben, sie konnten aber die alltägliche Lebenswelt der Osnabrücker Bürger durchaus tangieren; hier spielten provokative Prozessionen der Jesuiten eine Rolle, vor allem aber scheint das offenbar weit attraktivere Bildungsangebot der katholischen Ein-

97 Dieses räumliche Ausgreifen des Hauses wird gerade im 18. Jahrhundert in vielen Verordnungen sichtbar, die sich zumeist aus gesundheitspolizeilichen Intentionen heraus gegen diese Praxis wenden. Vgl. etwa für Frankfurt Eibach, Praxis, iD. 98 Hoffmeyer, Chronik, S. 206–208; es handelt sich um eine unkritische Übernahme der Aufzeichnungen des Osnabrücker Senators Gerhard Friedrich Wagner, die unter dem Titel „Osnabrück vor 100 Jahren“ 1891 nach einer Niederschrift von 1843 veröffentlicht worden waren. Die Beschreibungen widersprechen deutlich den alltagshistorischen Streiflichtern, die in Zeugenaussagen auftauchen. Solange systematische Untersuchungen fehlen, wird dies aber der einzige Bezug bleiben müssen. Vgl. Gerhard Friedrich Wagner, Osnabrück vor 200 Jahren, in: Osnabrücker Lesebuch, Osnabrück 1968, S. 111–122. 99 Sehr unzureichend Spechter, Oberschicht, S. 37–42. 100 Nicht nur Protestanten und Katholiken wohnten nebeneinander, auch die beiden protestantischen Kirchspiele ließen sich nicht einer homogenen Siedlungsstruktur zuordnen. Diese Beobachtung bedürfte aber der Untermauerung durch sozialtopographische Grundlagenforschung, um belastbare Aussagen machen zu können. Asch, „Brummbärte“, S. 111–114.

194 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln richtungen auch bei den protestantischen Einwohnern eine gewisse Offenheit hervorgerufen zu haben.¹⁰¹ Auf der Ebene des häuslichen Alltags sind konfessionelle Auseinandersetzungen nicht dokumentiert, wenn man Problemfelder gemischtkonfessioneller Ehen (Taufe, Erziehung der Kinder) außer Acht lässt.¹⁰² Betrachtet man die stadträumliche Verteilung der vor den Gerichtsherren verhandelten häuslichen Konflikte mit Friedensbezug, bilden sich die Siedlungsstrukturen deutlich ab.¹⁰³ In den Straßenzügen mit der größten Siedlungsdichte sind die meisten dieser Konflikte im häuslichen Kontext zu verzeichnen, was zum einen auf statistische Wahrscheinlichkeit zurückzuführen ist, da hier schlicht die meisten Menschen wohnten. Aber es mag auch seine Gründe in den stärkeren räumlichen Überschneidungen haben, so dass Fragen der Koordination gemeinsam geteilter Nutzungsräume oder von Aktivitäten außerhalb des Hauses eine größere Rolle gespielt haben könnten. Natürlich waren in Stadtvierteln mit höherer Siedlungsdichte die Grenzen des Hauses durchlässiger, die Sichtbarkeit und Hörbarkeit der familiären und innerhäuslichen Vorgänge war deutlich erhöht – zumal dann, wenn Teile der Werkstatt oder der Haushaltung auf die Straße ausgriffen, wie oben beschrieben. Die räumliche Situation einer Haushaltung bzw. die räumliche Verortung eines häuslichen Konfliktes ist deswegen von besonderer Bedeutung, da zwar die soziale Position und die soziale Identität der Beteiligten sich aus ihrer Stellung innerhalb ihrer Haushaltung definierte, der umbaute, physische Raum des Hauses bzw. der Wohnung war aber in vielen Fällen überschritten worden, wie zu zeigen sein wird. Die räumliche Nähe verdeutlicht auch die Wichtigkeit der Nachbarschaft als Informations- und Wissensträger, deren Intervention nicht nur in den Konflikten selbst, sondern auch als Zeugen in der Gerichtsverhandlung eine entscheidende Wirkung entfaltete.¹⁰⁴ Aufgrund der großen räumlichen Nähe, die eine unfreiwillige Anteilnahme am innerhäuslichen Leben durch Einsehbarkeit und Hellhörigkeit wie auch freiwillige Preisgabe intimer Details und Aspekte des ehelichen und häuslichen Lebens im Rahmen von Hilfeleistung und -gewährung mit sich

101 Asch, „Brummbärte“, S. 103–106; Arnke, Jesuitenstreit, S. 100–105. Zu den Bildungseinrichtungen liegen zwar grundsätzliche Untersuchungen vor, es findet sich jedoch keine genaue Differenzierung nach der konfessionellen Zugehörigkeit ihrer Besucher. Aus den Gerichtsakten lässt sich aber z. B. anhand eines Streites zwischen Vater und Tochter ablesen, dass altstädtischprotestantische Handwerkstöchter durchaus die katholischen Nähschulen besuchten. NLA OS Dep 3b IV Nr. 244. 102 Vgl. hierzu Freist, Borders, S. 215–222. 103 Vgl. hierzu die Adressliste der Streitparteien in Tab. 3, Anhang. 104 Vgl. hierzu Hardwick, Family, S. 91.

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume |

Abb. 2: Stadträumliche und nachbarschaftliche Verortung der häuslichen Konflikte: grau: 1750–1769; weiß: 1770–1789; schwarz: 1790–1810.

195

196 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln brachte,¹⁰⁵ waren Nachbarn oft nicht nur in die Entstehung und den Verlauf eines aktuellen Konfliktes eingebunden, sondern konnten diesen vor dem Hintergrund von Lebenswandel, Charakter und Erfahrungswelten der beteiligten Akteure einordnen. Ein solches Leumundszeugnis, das sich im „Gerede“ und „Geschwätz“ reproduzierte und Interpretationsschemata formte,¹⁰⁶ war selbst auch Teil dieses nachbarschaftlichen Beziehungssystems von Geben und Nehmen, mit dem bezeugende Nachbarn sich ebenfalls Vorteile für ihre eigenen Interessen und Strategien in diesem nachbarlichen Umfeld wie vor der Obrigkeit erhofften.¹⁰⁷ Die „Außenbeziehungen“ eines Haushaltes liegen auch im Charakter solcher stadträumlichen Situationen begründet, da die Art und Weise des Wohnens und der alltäglichen Interaktionen ganz entscheidend für die Vielfalt, Intensität und die Qualität dieser Beziehungen war.

3.2.2 Quantitative Aspekte Wenngleich der Fokus der Untersuchung auf der qualitativen Analyse der Diskurssemantiken von Frieden im Kontext der Verhandlung von Konflikten im sozialen Nahbereich liegt, sollen doch einige Hinweise auf die quantitativen Aspekte die Einordnung der verschiedenen Fälle erleichtern und präzisieren. Konflikte im sozialen Nahraum machten zwischen 1759 und 1809 im Durchschnitt 9,3 % der verhandelten Fälle aus (362 von 3876), wobei der Wert zwischen 6 % (1771–1775; 1806–1809) und 25 % (1759–1765) schwankte (vgl. Abb. 3).¹⁰⁸ Häus-

105 Eibach, Haus, S. 194–197. 106 Vgl. hierzu Schindler/Holenstein, Geschwätzgeschichten, S. 62–69 und Hahn, Nächster, passim; Capp, Gossips, passim; Sabean, Haushaltung, S. 173–175. 107 Julie Hardwick hat jüngst die immense Bedeutung von bezeugenden Nachbarn im gerichtlichen Austrag häuslicher Konflikte am Beispiel der Städte Nantes und Lyon herausgearbeitet und als litigation communities bezeichnet. Hardwick, Family, S. 96–99. Vgl. hierzu auch Lutz, Ehepaare, S. 352–369. 108 Zu den teilweise erheblichen Schwankungen in der Anzahl der protokollierten Fälle in Abhängigkeit von Teuerungen, Seuchen oder Hungersnöten sei als regional vergleichbare Studie auf die Ergebnisse für das Ratsgericht Bremen hingewiesen bei Wollschläger, Civil litigation, S. 269–270. Solche Konjunkturen lassen sich auch bei der Ahndung von Ordnungsübertretungen fassen. Sie betrafen die Vielfalt policeylicher Verordnungen von zu aufwändigen Gastmälern bis hin zu liederlichem Lebenswandel. Hier zeigen sich aber auch konjunkturelle Besonderheiten: so werden 1772 als Folge einer Teuerung und Brotmangels besonders viele Brotdiebstähle, Brotschmuggel und illegales Backen zu Protokoll gebracht, 1776 bestimmen die Folgen einer Viehseuche die Ordnungspolitik, 1789 bis 1793 werden überdurchschnittlich viele fremde Bettler vor Gericht gestellt.

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume |

197

2500 2000 1500 1834

1000

1811

500 0

165 1750–1770

Häusliche Konflikte

161

33 1771–1789

169 1790–1809

Prozesse insgesamt

Abb. 3: Verhältnis der häuslichen Konflikte zu den insgesamt protokollierten Prozessen der Gerichtsherren 1750–1809 (NLA OS Dep 3b IV Nr. 235–269)

liche Konflikte bestimmten also nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit des Ratsgerichts, aber sie stellten einen kontinuierlichen, nicht zu vernachlässigenden Anteil dar. Von diesen 362 Fällen aus dem häuslichen Umfeld wiesen 100 einen semantischen Bezug zu Friedenskonzepten auf, der eine strategische Funktion für die Interpretation und Konfliktbearbeitung aufwies und alle auf Ursachen in konflikthaften persönlichen Beziehungen zurückzuführen war: Rollen- und Interessenkonflikte ganz unterschiedlicher Art. Offenbar sahen die Beteiligten eine besondere Funktion oder Wirkung, wenn sie bestimmte Konflikt- und Verhaltenskonstellationen als „friedlich“ oder „unfriedlich“ bezeichneten. Denn ein Blick auf die Häufigkeit der Friedensnennungen in den Konflikten weist eine signifikante Beziehung zwischen Friedenssemantik und häuslichen Konflikten auf (Abb. 4).¹⁰⁹

109 Bei der Auszählung der verhandelten Streitsachen zwischen 1759 und 1807 wurden keine weitergehenden Unterscheidungen getroffen, da eine klare Zuordnung zu bestimmten Delikten wie in ordentlichen Prozessen nicht vorgenommen wurde. Zudem konnten die hier interessierenden Konflikte im sozialen Nahbereich Aspekte einer Injurienklage, einer Ehe- oder Vormundschaftssache haben, die sich auch vielfach überschnitten. Da die Prozesse oft als Akusativprozesse geführt wurden, konnte auf eine weitergehende Kategorisierung verzichtet werden.

198 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln 70 60 50 40 30 20 10

Häusliche Konflikte (n= 362) Frieden (n= 100)

1806–1809

1801–1805

1796–1800

1791–1795

1787–1790

1781–1785

1776–1780

1771–1775

1766–1770

1759–1765

0

Konflikt in pers. Beziehungen (n= 105) Ruhe, Ordnung, Einigkeit (n= 104)

Abb. 4: Verhältnis der protokollierten häuslichen Konflikte insgesamt zum Anteil der in per­ sönlichen Beziehungen begründeten Konflikte sowie die Häufigkeit von „Frieden“ bzw. „Ruhe, Ordnung, Einigkeit“, 1759–1809.

Die hier aufgezeigten Korrelationen zwischen häuslichen Konflikten und dem Gebrauch des „Friedensbegriffs“ in der Verhandlung dieser Konflikte zeigen zwei Schwerpunkte: 1. Die Häufigkeit der Rede vom „Frieden“ in häuslichen Konflikten weist zwischen 1766 und 1790 einen sehr ähnlichen Verlauf auf wie die Häufigkeit häuslicher Konflikte insgesamt. Das deutliche Auseinandergehen der Schere ab 1791 und der starke Rückgang nach 1800 hängen mit einer überdurchschnittlichen Zunahme von Klagen zusammen, die mit nicht eingelösten Eheversprechen oder nicht bezahlter Mitgift zusammenhängen, auch Rückzahlung familien- und hausinterner Kleinkredite werden verstärkt eingeklagt. Ebenso lässt sich ein deutlicher Anstieg der Auszahlung und Versorgung von Kindern aus früheren Ehen feststellen. Das größte Konfliktpotential ergab sich aber durch die

3.2 Materia Pacis: Akteure und Räume |

199

einquartierten Soldaten; die Anzahl der häuslichen Konflikte, in die Soldaten involviert waren, stieg in diesen Jahren von durchschnittlich ca. 3 % bis 1790 auf durchschnittlich 6,5 % zwischen 1791 und 1804. 2. Wirft man einen differenzierten Blick auf die häuslichen Konflikte und setzt diejenigen, deren Ursache in schwierigen persönlichen Beziehungen lagen, in Bezug zum Rekurs auf Friedensvorstellungen in den Prozessprotokollen insgesamt, tritt der enge Zusammenhang noch deutlicher hervor, da beide Kurven nahezu deckungsgleich sind. Hier lassen sich zeitliche Differenzen nicht feststellen, sondern sehr gleichmäßig durch die Schwankungen der protokollierten Prozesse wie auch der Zeitläufte verfolgen. Nimmt man noch das semantische Umfeld von „Ruhe“, „Ordnung“ und „Einigkeit“ hinzu, verstärkt sich dieser Zusammenhang noch deutlich. Wenn demnach von „Frieden“, „friedlich“ und Ähnlichem im Zusammenhang städtischer Ordnungspolitik vor Gericht die Rede war, dann war dies ganz klar auf das häusliche Umfeld und die Vielfalt an Konflikten bezogen, die sich aus dem dichten Netz an persönlichen Beziehungen ergaben, die es strukturierten. Die beiden Friedensbezüge in den Jahren 1791–1795, die über die Alltagskonflikte hinausgingen, bezogen sich zum einen auf einen Vorfall zwischen Bürgern und dem Pförtner am Heger Tor, und zum anderen auf einen tätlichen Angriff auf einer Straße. In beiden Fällen rechtfertigten die städtischen Diener ihr Eingreifen damit, es sei ihre Pflicht „für ruhe und frieden“ zu sorgen.¹¹⁰ Da das Haus mit all seinen Verflechtungen als das Friedensproblem frühneuzeitlicher Gesellschaften offenbar auch noch am Ende des 18. Jahrhundert in Erscheinung trat, muss erklärt werden, warum häusliche Konflikte in der Wahrnehmung der Zeitgenossen den Frieden bedrohten und inwiefern der Rekurs auf eine sehr umfassende Vorstellung dessen, was Frieden sein sollte, als ein geeignetes oder zumindest verfügbares Instrument zur Lösung solcher Konflikte angesehen wurde. Von den 100 einzelnen Prozessen lassen sich 61 konflikthafte Beziehungen ausmachen, d. h. führte ein Ehepaar im Untersuchungszeitraum mehrere Prozesse, so wurden diese in der Statistik als eigene Fälle gezählt, in der qualitativen Analyse aber als eine grundsätzlich konflikthafte Beziehung zusammengesehen. In über der Hälfte der Fälle (36 von 61, 59 %) traten Frauen als Klägerinnen auf bzw. konnte die Intervention des Fiscus auf die Initiative der Frauen zurückgeführt werden. Das hebt sich deutlich vom Durchschnitt aller summarischen Prozesse ab, wo nur knapp ein Sechstel der Prozesse von Klägerinnen angestrengt wurden (605 von 3876, 15,6 %). Klägerinnen in den häuslichen Konflikten waren nicht nur 110 Vgl. NLA OS Dep 3b IV Nr. 237 fol. 176.

200 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Ehefrauen – 16 der 26 Ehekonflikte wurden auf ihre Klage hin verhandelt (61 %) –, sondern auch Mütter, Nachbarinnen und Schwägerinnen.¹¹¹ Die Frage eines markanten konfessionellen Unterschieds ist aufgrund der fehlenden Basisdaten auf der quantitativen Ebene nicht zu beantworten. Festzuhalten bleibt, dass 26 der 102 (25,4 %) Streitparteien katholischer Konfession waren, worunter sich drei gemischtkonfessionelle Ehen finden, die entweder bereits gemischtkonfessionell geschlossen wurden oder in denen einer der Ehepartner während der Ehe konvertiert war. Eine sozialstrukturelle Einordnung ist aufgrund der vorliegenden Daten schwierig. Das Steueraufkommen scheidet als Anhaltspunkt aus, da in der Mehrzahl der Prozesse die Ökonomie bereits so stark gelitten hatte, dass auch Haushalte, die aufgrund früherer Steueransätze zum höheren Bürgertum zu rechnen wären, kaum über dem minimalen Steuersatz lagen. Andere Indikatoren wie Herkunftsfamilie, Bildungsgrad, Ausstattung der Wohnung, Vermögen, Ämter in Korporationen, die Aufschluss über das soziale Milieu geben könnten, sind nur im Einzelfall und nur fragmentarisch zu erschließen. Gleichwohl lässt sich aus den Gerichtsakten eine große Bandbreite an sozialen, konfessionellen und familiären Konstellationen finden, die über die Reichweite von Friedenssemantiken in Gerichtsakten Aufschluss geben können.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder In den Texten und Schriften, die sich mit dem Haus auseinandersetzten, war immer wieder die grundsätzliche Gefährdung dieser Institution thematisiert worden, wobei den Störungen des Hauses in seinem reibungslosen Funktionieren, in seinem „Frieden“ von innen heraus die größte Bedeutung für die potenzielle Gefährdung der sozialen Ordnung und gesellschaftlichen Stabilität beigemessen wurde. Das komplexe Beziehungsgeflecht im Haus entfaltete sich in der sozialen Praxis im Spannungsfeld zwischen wechselseitigem Aufeinanderangewiesensein, rechtli-

111 Die quantitativen Angaben zum Klage- und Prozessverhalten lassen m.E. nur bedingt Rückschlüsse über den lokalen Kontext hinaus zu. Die zum Teil erheblichen Differenzen zu Untersuchungen in anderen Regionen (etwa Hohkamp, Gewalt oder Lutz, Ehepaare). Vor allem scheint mir die Vergleichbarkeit der jurisdiktionellen Ebene ein entscheidendes Kriterium zu sein. Ein vergleichender Blick in die ländlichen Gemeinden des Fürstbistums hat ergeben, dass die hier untersuchten häuslichen Alltagskonflikte eher in den Brüchtengerichten verhandelt wurden, die aber erst um 1800 der landesherrlichen Aufforderung zur Protokoll- und Buchführung nachkamen. Die kurzen Notizen verweisen auf eine Präsenz häuslicher Konflikte, die sich in den Akten des zuständigen Gogerichts aber nicht schon nicht mehr widerspiegeln.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

201

cher Abhängigkeit und individuellen Interessen – wobei die Handlungsspielräume und auch die entsprechenden Erwartungshaltungen durch die jeweiligen sozialen Rollen vordefiniert waren, deren Ausgestaltung aber von einer Vielzahl sozialer Bindungen vor allem nachbarlicher und verwandtschaftlicher Art abhing. Hält man sich vor Augen, dass die individuellen Erwartungen und die Möglichkeiten zur Verfolgung (und ggf. Durchsetzung) individueller Interessen ganz elementar durch die soziale Identität geformt wurden, die sich aus den spezifischen Rollen innerhalb eines Hauses im Laufe eines Lebens entwickelt hatten, wird das Konfliktpotenzial des sozialen Nahraums als ein eng verschränktes Geflecht von Interessen- und Rollenkonflikten sichtbar.¹¹² Auch von außen, durch Konflikte zwischen Häusern konnte der Frieden gestört werden und damit eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit von Personen und Sachen darstellen. Auch hier lassen sich vielfach Interessenkonflikte finden, gleichwohl waren die Rollenkonflikte anders gelagert. Vielfach lassen sich die Friedensstörungen von außen im nachbarlichen und/oder verwandtschaftlichen Beziehungsnetzwerk verorten, gleichwohl waren die Grenzen und Handlungsspielräume durch die räumlich markierten Grenzen der Türschwellen deutlich klarer voneinander abgegrenzt. In der Analyse der diskursiven Semantiken des häuslichen Friedens hatten sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Handlungsorientierung für häusliche Konfliktsituationen ergeben; je nachdem, ob sie sich innerhalb der häuslichen Beziehungen abspielten, oder von außen hineingetragen wurden. Die Vielfalt der möglichen Konflikte und damit auch die Vielfalt der ihnen in ihrer Wahrnehmung, Beschreibung und Beurteilung durch die beteiligten Akteure zugrunde gelegten Normen lässt auf eine Vielfalt von Funktionen, Bedeutungszuschreibungen und Nutzungen der Friedenssemantik in den kommunikativen Auseinandersetzungen schließen. Im Folgenden soll ein typologischer Blick auf die signifikanten Fälle mit einer Friedenssemantik geworfen werden – im Sinne einer besonderen Betrachtung ehelicher, familiärer, dienstlicher und nachbarlicher Konflikte. Lassen sich hier die in der normativen Literatur aufgefundenen Unterschiede hinsichtlich des Friedensbegriffs wiederfinden? In welcher Weise griffen die beteiligten Akteure auf Friedenssemantiken zurück, um sich selbst und die eigene Handlungsorientierung zu beschreiben, um die Verfehlungen des Gegenübers zu markieren? Inwiefern trat eine appellative Nutzung im Hinblick auf eine Versöhnung im Sinne einer Restabilisierung der Beziehung auf?

112 Kaufmann, Rolle, S. 70–72.

202 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln 3.3.1 Ehe In 26 der insgesamt 61 hier vorgestellten Gerichtsprozesse bildeten eheliche Konflikte das Zentrum der Auseinandersetzungen, die als „Unfrieden“ beschrieben wurden oder die in „friedliches Miteinander“ transformiert werden sollten. Die ehelichen Beziehungen bildeten den Kern des Hauses, von ihrer Stabilität hing das Funktionieren der häuslichen Ökonomie und damit die Existenzgrundlage aller Hausgenossen ab. Wichtig war dabei nicht nur das sichere und selbstverständliche Ausfüllen der jeweiligen Aufgabenbereiche, sondern vor allem die Fähigkeit zur gemeinsamen Haushaltsführung, insbesondere zur Konfliktlösung und Problembehandlung, was im Wesentlichen die Fähigkeit zum Interessenausgleich, zum Abgleich der eigenen Interessen mit denen des Partners sowie gemeinsamen, übergeordneten Interessen der Haushaltung erforderte. Die vielfach konstatierte Ambiguität ehelicher Beziehungen in der Frühen Neuzeit als einer asymmetrischen Beziehung zwischen einem herrschaftlichen Subordinationsverhältnis und ethischer Gleichheit fand Ausdruck in verschiedenen Machtprozessen, die notwendigerweise Teil des Aufbaus einer Paarbeziehung waren.¹¹³ Inwieweit dieser Prozess stabilisierend oder destabilisierend – meistens dazwischen mit einer mehr oder weniger latenten Krisenhaftigkeit – auf die Beziehung auswirkten, ist für die Frühe Neuzeit vielfach beschrieben worden.¹¹⁴ In unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Gewichtungen tauchen dabei immer wieder vier besonders konfliktträchtige Kernbereiche auf. Neben den genuinen Machtprozessen und Fragen der ehelichen Autorität – die durch Dissens über die Haushaltsführung, durch krankheits- und verletzungsbedingte Erwerbsunfähigkeit, Fragen der Kindererziehung oder auch konfessionelle Differenzen in Frage gestellt werden konnten –, waren dies persönliches Fehlverhalten wie Trunksucht, Spielsucht und Ehebruch, sowie schließlich Konflikte, die aus der Einbindung in weitere Beziehungsnetze der Herkunfts- bzw. Schwiegerfamilien in die Ehe getragen wurden.¹¹⁵ In den meisten Fällen spielte zum einen das Wirtschaften als Konfliktfolie eine große Rolle – nicht nur, weil die Bewältigung der ökonomischen Belange den Alltag zentral strukturierte und dominierte, sondern

113 Lenz, Soziologie, S. 87–94; Kaufmann, Rolle, S. 83–85; Kaufmann, Wäsche, S. 69–124; NaveHerz, Ehe- und Familiensoziologie, S. 157–166. 114 Möhle, Ehekonflikte, S. 94–138; Nolde, Gattenmord, S. 118–137; Lutz, Ehepaare, S. 272–283; Eibach, Kampf, passim; Völker-Rasor, Bilderpaare, S. 245–282; Trepp, Männlichkeit, S. 160–168; Schmidt-Voges, Bestands- und Krisenphasen, S. 132–142. 115 Zur Unterscheidung der einzelnen Machtgrundlagen in ehelichen Beziehungen vgl. Lenz, Soziologie, S. 90f.; Schmidt-Voges, Bestands- und Krisenphasen, S. 130–132; Lutz, Ehepaare, S. 188–300.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

203

auch, weil wie gesehen, die Rollenmodelle und damit die Möglichkeiten zur Selbstbeschreibung der Handlungskategorien und -normen fast ausschließlich über die Aktivität im Prozess des Hausens geschehen konnte. Zum anderen spielte verbale und physische Gewalt eine zentrale Rolle – die nicht notwendigerweise zum „typischen“ Konfliktmuster frühneuzeitlicher Ehen gehörte, aber jene Fälle prägte, die vor Gericht kamen. Gewalterfahrung war nachgerade der entscheidende Grund, das weltliche Gericht als Ort und Situation zur Konfliktlösung hinzuziehen.¹¹⁶ Gewaltausübung verbaler oder physischer Art konnte aber auch auf ein emotionales Ungleichgewicht hindeuten, denn vielfach wurden – wenn auch nicht im Vordergrund, sondern in den Nebensätzen der Konfliktschilderung – enttäuschte Erwartungen oder Veränderungen im Hinblick auf die emotionale Basis wie auch auf die sexuelle Beziehungsgestaltung formuliert. Während vor allem Dorothea Nolde und Alexandra Lutz die Konflikthaftigkeit der emotional-sexuellen Beziehung thematisierten, hat Beatrix Bastl auf den engen Zusammenhang zwischen ehelicher caritas und ehelichem Frieden in der Wahrnehmung der Paarbeziehung durch die Ehepartner hingewiesen und damit die Bedeutung einer grundsätzlich positiven Emotionalität für das erfolgreiche und nachhaltige Funktionieren einer frühneuzeitlichen Ehe unterstrichen.¹¹⁷ Für die soziale Praxis ehelicher Beziehungen, die in Interaktion ausgehandelten Anpassungen individueller Erwartungen, Handlungen und Verhaltensmuster an die Rollen als Ehefrau, Hausfrau und Mutter bzw. Ehemann, Hausvater und Vater, wurde das abstrakte Gebot der caritas insofern konkret greifbar, wenn man es als die Fähigkeit und das Bemühen verstand, die Erfordernisse des Alltags in der Haushaltung mit allen individuellen Interessen auf einer konsensorientierten Basis auszuhandeln und abzugleichen. Dabei sollten die hierarchischen Strukturen und Autoritäten nicht in Frage gestellt oder durch unangemessene Gewaltanwendung unterminiert werden. Die dafür zur Verfügung gestellten Handlungskompetenzen bestanden im Repertoire der Friedfertigkeit, wie es die Haus- und Ehenormen geboten. Wie vielfältig die Anlässe und Ereignisse sein konnten, die eine solche Kompetenz herausforderten, zeigt ein Blick auf Auseinandersetzungen, die sich in den Kontext ehelicher Machtprozesse und Autoritätskonflikte einordnen lassen.

116 Die Einordnung von Gewaltausübung in ehelichen Konflikten der Frühen Neuzeit wird in der Literatur durchaus unterschiedlich bewertet, zum einen wird Gewalterfahrung und -ausübung als Gegenstand des Konfliktes selbst thematisiert (Nolde, Gattenmord, S. 158–162; Möhle, Ehekonflikte, S. 122–129) bzw. als Symptom tiefer liegender Konflikte gedeutet werden (Lutz, Ehepaare, S. 312–330; Hohkamp, Grausamkeit, S. 66–70). Die Unterschiede liegen aber zu einem Gutteil in der teilweise großen zeitlichen und kulturellen Diskrepanz der Untersuchungsgegenstände und -schwerpunkte begründet. 117 Bastl, Caritas, passim.

204 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Machtprozesse und Autorität Uneinigkeit und unterschiedliche Ansichten und Handlungsweisen zur Bewältigung der alltäglichen Haushaltungsaufgaben bildeten die Hintergrundfolie für Konflikte, in denen Fragen von Macht und Autorität innerhalb der Ehe zur Disposition standen – und damit die gottgegebene Ordnung und der von ihr abhängige Frieden nachhaltig gefährdet zu werden drohten. Die Frau des städtischen Totengräbers Dreyer hatte 1777 über grundlose Schläge von Seiten ihres Mannes geklagt. Dieser begründete sein Verhalten damit, dass er seiner Frau aus der Ursache eine Ohrfeige gegeben, weil diese die Gewohnheit hätte, ihm heimlich Geld wegzunehmen, und er jüngst ebenfalls, 1 Rthl. 7 ß aus der Tasche vermisset habe, so nicht einmal sein gehöre.¹¹⁸

Seinen Versuch, die offenbare Gewaltanwendung als legitime potentia zur Ahndung eines Ungehorsams – eines Diebstahls – darzustellen, konterte sie mit dem Hinweis auf mangelndes Wirtschaftsgeld, also mit unzulänglichen Qualitäten in seiner Wirtschaftsführung. Das Gericht verwies beide jedoch darauf, „sich friedlich zu begegnen“.¹¹⁹ Enttäuschte Erwartungen stellten sich mitunter auch zu Beginn einer Ehe in den ersten Wochen und Monaten ein. Drei Jahre zuvor, 1774, hatte die Ehefrau Lunten dem Gericht den „höchsten Unfrieden“ offiziell zur Kenntnis gebracht, in dem sie mit ihrem Mann lebe. Derselbe verlange, so notiert das Protokoll, daß sie mehr arbeiten solle als sie im Stande sey, und machte ihr den ungegründeten Vorwurf, daß sie alles aus dem Hause verbringe. Schon oftmals sey sie von ihm mit Treten und Schlagen mißhandelt und sein Betragen gegen sie sey so schlecht, dass sie es nicht länger ertragen könne.¹²⁰

Obgleich sie ihren Ehemann aufgrund seiner Gewalttätigkeit als Friedensstörer diskreditierte, lag der tiefere Grund ihrer Meinung nach in der Unzumutbarkeit seiner Anforderungen an ihr Arbeitspensum, was ihren eigenen Erwartungen und Erfahrungen offenbar deutlich widersprach. Der Ehemann trat diesen Anschuldigungen mit einer langen Aufzählung der ökonomischen und persönlichen Verfehlungen ihrerseits entgegen – sie verkaufe ohne sein Wissen Haushaltsgegenstände, besorge trotz vorhandener Barschaften Lebensmittel auf Pump, zudem habe ihre

118 NLA OS Dep 3b IV Nr. 244 fol. 78. 119 Ebd. Der Diebstahl war deswegen besonders brisant, weil es sich um die Beerdigungsgebühren handelte, die der Totengräber für die Stadtkasse einzutreiben hatte. 120 NLA OS Dep 3b IV Nr. 258 fol. 27.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

205

Familie den versprochenen Brautschatz noch nicht ausgehändigt –, so dass er sich zu den eingestandenen „Verweisen“ berechtigt sah: glaube aber dazu auch um so mehr befugt zu seyn da sie anstatt ihm mit Arbeiten nach ihren Kräften behülflich zu seyn und eine ordentliche Wirthschaft zu führen, sich oftmals besaufe und ihm das Seinige verbringe.¹²¹

Es gelang der Ehefrau Lunten nicht, mit dem Verweis auf Gewalt die ehelichen Konflikte als Friedensproblem zu interpretieren, denn sie wurde abschließend ermahnt „daß sie [. . . ] sich befleißige eine ordentliche Wirthschafft im Hause zu führen, damit ihrem Ehemann keine gerechte Ursache gegeben werde, sich über sie zu beschweren.“ Während das Ehepaar Lunten nicht wieder in den Gerichtsakten auftaucht – was nicht unbedingt als Gradmesser für den Erfolg des Konfliktlösungsprozesses gesehen werden kann –, lassen sich andere Eheverläufe, die mit enttäuschten Erwartungen begannen, über Jahre in den Protokollen verfolgen. Bereits wenige Wochen nach der Eheschließung sah sich die frisch verheiratete Drechslersfrau Bröckers gezwungen, die Gerichtsherren um Unterstützung zu bitten, denn „ihr Mann, den sie erst vor 4 Wochen geheyrathet, lebe mit ihr in größtem Unfrieden und zankte täglich mit ihr.“¹²² Auch hier gab die als unmäßig und lebensbedrohlich empfundene Gewalt den Ausschlag für die Klage, mit der die Frau das Handeln des Rates einforderte, ihre eigene Sicherheit und Unversehrtheit zu gewährleisten. Die folgenden Ermahnungen und Bestrafungen zeigten nur mäßige Wirkung, denn in den folgenden Jahren sind immer wieder Klagen zu finden.¹²³ Auch das Ehepaar Altrup handelte seine Interessen- und Rollenkonflikte mehrfach vor Gericht aus. So klagte Christine Marie Altrup 1792 gegen ihren Mann Johann Henrich Altrup: Dieser habe sie schon ein jahr nach ihrer heyrath übel behandelt und geschlagen, welches er auch noch thue. Seine Wirthschaft führe er gantz unerdencklich, gebe ihr und ihren Kindern nicht die gehörige Nothdurfft.¹²⁴

Die Betonung liegt deutlich auf der Gewalttätigkeit einerseits, die als Ausfluss einer grundsätzlichen Unzulänglichkeit in den Grunderfordernissen an das Verhalten und Handeln eines Ehemanns und Hausvaters gerichtet werden können. Diesen Strang griff der Ehemann auf, indem er seinerseits die Monita an ihrem

121 122 123 124

Ebd. NLA OS Dep 3b IV Nr. 251 fol. 47. So etwa ein Jahr später 1785, NLA OS Dep 3b IV Nr. 252 fol. 22. NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 89.

206 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Verhalten auflistete, indem sie „keine ordentliche Wirtschafft führe“ und unabgesprochen Schulden mache. Wenngleich die Konflikte von beiden Ehepartnern nicht als „Unfrieden“ beschrieben wurden, waren sie doch keineswegs nur für die Ehepartner wahrnehmbar, sondern wurden vom Umfeld durchaus als unfriedlich wahrgenommen. Der Untermieter der beiden schilderte seine Interventionsversuche, mit den Worten, dass er gehört habe, „daß die Eheleute sich raufften und sie zum frieden gerathen“.¹²⁵ Dies schien allerdings wenig nachhaltigen Effekt zu haben, so dass sich der Fuhrmann Altrup nach neuerlichen Klagen zu einer umfassenden schriftlichen Stellungnahme gegenüber den Gerichtsherren genötigt sah:¹²⁶ Es gäbe wohl durchaus Streitigkeiten, vor allem „wegen der vielfältigen Klüngellereyen¹²⁷ die sie mit anderen schlechten Leuten macht, welches mir als einem ehrgeitzigen und fleißigen Arbeiter verdrießen muß.“ Die Hauptursache aber sah er in der Persönlichkeit seiner Frau, die sich in seinen Augen streitlustig und unversöhnlich zeigte, wodurch er noch mehr provoziert werde, obwohl „eheleute sich der billigkeit nach gütlich und einmüthig wieder vertragen müßen – wenn sie auch noch so streitbar gewesen sind.“ Sie sei also eine schlechte Christin, weil sie „mir als ihrem Ehemann im geringsten nicht nach geben will, sondern immer rasend fortfährt.“ Daher „flehe ich unterthäniger Supplicante Ew. Wohlgeboren also untertänigst an, meiner frauen ihr Gottloses Maul zu verbieten; – so werde ich auch immer geruhig und friedlich sein.“ Altrups subtile Argumentationsstrategie verläuft auf drei Ebenen: Er betont erstens das für die häusliche Ökonomie schädliche Verhalten seiner Frau, welchem er ganz normgemäß seinen eigenen „Fleiß“ und „Ehrgeiz“ gegenüberstellt, mit denen er seine fünf Kinder ernähren müsse. Diese Pflichtvergessenheit in der äußerlichen oeconomia korrespondiert zweitens wiederum mit ihrer allgemeinen charakterlichen Schwäche der „Halsstarrigkeit“ und mündet in der Zusammenfassung, dass sie „wie ich wirklich behaupten kann eine schlechte Christinne ist.“ Auf der dritten Ebene schließlich thematisiert er die eheliche Paarbeziehung, deren Konfiguration die der anderen beiden Ebenen wiederholt. Er betont seine Botmäßigkeit, in dem er explizit auf die Billigkeit verweist und die Kenntnis der Anforderungen an eheliches Konfliktverhalten. Er übt sogar Selbstkritik, indem er Streitereien zugibt, gleichzeitig aber sein Bemühen und seinen guten Willen zur Erfüllung dieser Normen ins rechte Licht setzt, wenn er ausführt, er habe noch am selbigen Morgen seine Frau um Verzeihung gebeten, welche sie ihm jedoch versagt

125 Ebd. Große Nachhaltigkeit zeigte diese Ermahnung nicht, den gut ein Jahr später wird Altrup auf der Wache festgesetzt, nachdem Nachbarn wegen einer Schlägerei unter den Eheleuten die Diener zu Hilfe gerufen hatten. Vgl. ebd. fol. 90. 126 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 92. 127 Westf. für „sich faul herumtreiben“, Grimm, Bd. 11, Sp. 1296.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

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habe. Zugleich lässt er am Ende aber seinen Anspruch auf umfassende eheherrliche Deutungshoheit aufscheinen und projiziert die Forderung nach Vergebung, Nachsicht und Einlenken im Wesentlichen auf seine Frau. Diese Reziprozität des Verhaltens sieht er als Grundlage einer allgemeinen Stabilisierung der Ehe wie auch der persönlichen Besserung an, wenn er darauf verweist, dass er das gebotene friedfertige Verhalten erst an den Tag legen zu können glaubt, wenn seine Frau sich ihrer Pflichten besänne. Ganz eindeutig gebraucht der Supplikant den Bezug auf den ehelichen Frieden bzw. die Friedfertigkeit der Eheleute untereinander als Basis einer guten sozialen Ordnung, um Unterstützung für seine – offenbar von der Sicht seiner Frau deutlich unterschiedene – Deutung des zugrundeliegenden Konflikts zu gewinnen. Ob es ihm gelang, lässt sich aus den Akten nicht eruieren, allein aber diese schriftliche Supplik legt die Bedeutung einer Friedenssemantik für die mikropolitischen Kommunikationsprozesse offen. Rollenkonflikte konnten aber auch dann den ehelichen Frieden gefährden, wenn – gerade im Falle einer Wiederverheiratung – keine vollständige Vertrauensbasis gegeben war, wie die Ehefrau eines Schusters 1777 zur Rechtfertigung ihrer häuslichen Streitereien formulierte: dass ihr Ehemann mit „seiner tochter mehr als er mit ihr rede, würde die Tochter gern aus dem Haus haben damit sie ruhe habe.“¹²⁸ Ihren eigenen Frieden im ehelichen Hause genießen konnte auch die Ehefrau des Prokurators Ponat nach dreizehn Ehejahren nicht mehr, weshalb ihr Bruder, ein angesehener Goldschmied 1777 eine schriftliche Klage bei den Gerichtsherren gegen seinen Schwager einreichte: Ohngefehr vor 3 jahren, wie mein schwager daß kreutz auß dem fenster gehalten, und dabey gesagt der jüngste Tach wollte kommen, von der zeit an ist er seyner frau beständich zornig zu gewesen, und auch nicht beysammen geschlafen, wan sie nuhr ein wort gesacht, so hätte geheisen, ihr könt daß maul halten oder ihr bekompt ohrfeigen, und dabey so gleich die thür gewiesen, welches sie alles mit geduldt hatt leiden müsen.¹²⁹

Unmittelbarer Anlass der Klageschrift war eine angekündigte Exekution einer rituellen Strafe mit exorzistischen Zügen¹³⁰, welche die Ehefrau unter Vorspiegelung einer Versöhnung unterschreiben musste. Zwar konnte sie sich dem Vollzug durch 128 NLA OS Dep 3b IV Nr. 243 fol. 148, Nr. 244 fol. 241 129 NLA OS Dep 3b IV Nr. 244 fol. 151–153. 130 Ebd.: „aber so macht er eine schrifft, man muß sich schämen daß mans meldet, allein man ist doch gezwungen, die gantze umstände von dieser schrifft weiß ich nicht, aber daß ist drin, sie sollte vor ihr straffe 50 ars peitsche vorlieb nehmen, daß sollte sie unterschreiben, daß sie damit einwillichte, alsdan wollte er sie wiederun lieben. Dan sollte es seyn wie es vor diesen allzeit gewesen, und dabey gesagt, daß könnte sie leyt thun, daß währe in zeit von 6 wogen wiederum curiert, sie konnte in bette so lange liegen bleiben und Essen solange warmbier.“

208 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Flucht zu ihrem Bruder entziehen, kehrte aber bald nach Hause zurück, wo sie sich mit ihren elf Kindern einer offenbar regelmäßigen Hauspredigt unterziehen musste, unter Androhung von Ohrfeigen und Peitschenhieben. Daraufhin bat ihr Bruder die frau wollte so gern wieder bey ihre arme kinder und befehlen den man bey der allerhärtesten straffe, daß er sie gantz mit frieden und ruhe laß und daß er sich nicht darff an ihre Kleider vergreifen, sonst wan er sie nicht schlagen darft, so quelet er sie damit, sie will gern wie eine dienstmagt arbeiten, wan er sie nuhr mit ruhe lässet.¹³¹

Der eheliche Unfrieden störte hier ganz offensichtlich den persönlichen Frieden, die persönliche Sicherheit und Ehre der Ehefrau, die sich in den – zumindest in der Darstellung ihres Bruders – durch ein singuläres Ereignis massiv veränderten Rahmenbedingungen ihrer ehelichen Beziehung nicht wiederfinden konnte. Es fällt auf, dass in der Darstellung nicht eine Trennung der Ehe bzw. einer Bestrafung „zur Besserung“ des Ehemannes eingefordert wird, sondern im Gegenteil eine ostentative Unterwerfung unter die männliche Eheherrschaft mit der Minimalforderung der Erhaltung ihrer Ehre. In den Akten ist der Fall nicht weiter nachzuvollziehen, da offenbar ein außergerichtlicher Vergleich erreicht werden konnte. Dies mag auch mit der nicht unbedeutenden sozialen Stellung des Ehepaares zusammenhängen, die sie durch den Beruf des Ehemannes als Prokurator am landesherrlichen Gericht geradezu exponierte. Auffällig im Vergleich zu den anderen Fällen ist zum einen das Fehlen jeglicher Bezüge auf das Hausen sowie die konfessionelle Argumentation, da es sich um eine gemischt konfessionelle Ehe handelte. Der protestantische Ehemann hatte offenbar in einer stark ausgeprägten Endzeitvorstellung seine Familie, insbesondere seine Frau, zur Umkehr und Buße bewegen wollen, während sie demonstrativ an ihren eigenen Frömmigkeitspraktiken (Beichte, Schutzengelfest, Kommunion) festhielt. Demgegenüber werden erduldendes Leiden, Nachgiebigkeit und Unterwerfungsbereitschaft unter die geltende Autorität des Hausvaters betont und die Gefährdung der Integrität der Ehefrau auf der körperlichen Ebene konstruiert: der seit drei Jahren verweigerte Beischlaf des Ehemanns, die drohende Verwundung des Körpers sowie der Hinweis auf die „Ersatzhandlungen“ des Ehemanns an den Kleidern seiner Frau, die bekanntermaßen ebenso als sichtbares Zeichen ihrer Ehrbarkeit galten.¹³² Inwiefern in dieser sonst nicht vorkommenden Schwerpunktsetzung ein Hinweis auf eine spezifisch katholische Kontextualisierung des Ehe- und häuslichen Friedens zu sehen ist – auch in den wenigen normativen Schriften standen Fragen der Sexualität deutlich vor Aspekten des Hausens im Vordergrund – ist aufgrund

131 Ebd. 132 Zum Thema Kleidung und Ehre neuerdings Rublack, Dressing up.

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der Singularität nicht zu beurteilen. Festzuhalten bleibt, dass eheliche Konflikte, die aus einer instabilen Beziehungsbasis aufgrund ungleichgewichtiger Machtprozesse oder unklaren Autoritäten resultierten, dann vor Gericht verhandelt wurden, wenn Gewalttätigkeit und -erfahrung die hinnehmbare Grenze überschritten hatten – Gewalt als offenbares Kennzeichen fehlender Affektkontrolle, die für die „Friedfertigkeit“ des Handelns, für konstruktive Konfliktlösung und Interessenverhandlung eine unabdingbare Voraussetzung war.

Persönliches Fehlverhalten Unter den Klagerhetoriken, mit denen häusliche Gewalt und häuslicher Unfrieden thematisiert und kontextualisiert wurden, war unmäßiges Trinken und Alkoholmissbrauch eine der häufigsten, die sich in nahezu allen Protokollen wiederfindet. Alkoholgenuss spielte in vielen sozialen Kontexten eine wichtige Rolle, aber die Regulierung unmäßigen, inadäquaten Alkoholkonsums war schon lange ein zentraler Gegenstand policeylicher Disziplinierungsmaßnahmen.¹³³ Im 18. Jahrhundert hatte ein Wandel im öffentlichen Alkoholgenuss eingesetzt, der zu einer Sensibilisierung des Themas in öffentlichen Debatten geführt hatte. Dies machte die Codierung häuslicher Gewalt als eine Folge eines Alkoholproblems zu einem geeigneten Ansatzpunkt, die Unerträglichkeit der häuslichen Zustände anschaulich zu machen und in ihrer Vehemenz zu schildern; denn die eskalierende Wirkung von Alkoholkonsum war auch im 18. Jahrhundert bekannt und diskutiert worden.¹³⁴ Unter dieser Oberfläche traten die ökonomischen Faktoren des Konflikts deutlich zu Tage, da nicht nur die Affektkontrolle im Sinne einer „vernünfftigen lebensweise“ litt, sondern vor allem auch Arbeitskraft und -einsatz für die Erhaltung der häuslichen Ökonomie. Wie stark beide Aspekte miteinander verwoben waren, zeigt die Klage der Ehefrau des Niebaum 1751 vor dem Rat, „daß ihr Mann in spielen und sauffen ein liederliches leben führete, und sie und seine kinder mit schlägen übel tractirte.“¹³⁵ Zur Erhaltung ihrer Kerninteressen, Sicherung ihrer Existenzgrundlage und der

133 Hirschfelder, Alkoholkonsum, S. 120–124, Auge, Vorgehen, S. 129–152; Spode, Alkoholkonsum, Sp. 199–201. Allgemein vgl. Tlusty, Bacchus, S. 148–156 zur Gewaltbereitschaft, Lorenz, Rad, S. 291–296 zum Einfluss von Alkohol auf Gewaltwahrnehmung und Anwendung. Zum häuslichen Kontext vgl. neuerdings kritisch zur älteren ehelichen Gewaltforschung Hardwick, Perspectives, S. 3, 15–17. 134 Zum Problem der Gewaltanwendung und der Wahrnehmung häuslicher Gewalt zwischen legitimer potentia und illegitimer violentia vgl. Hohkamp, Grausamkeit, S. 64–66 und Hohkamp, Gewalt, S. 286–288. 135 Der Fall findet sich auf NLA OS Dep 3b IV Nr. 234 fol. 48v.

210 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln ihrer Kinder, sah sie sich sogar gezwungen, Haushaltsgegenstände zu verpfänden, zu tauschen oder zu verkaufen und „daß sie solches auß noth thuen müsste, weilen sie kein brodt vor die kinder hätte.“ Obwohl der Ehemann die Schläge genau damit begründete, „weilen sie vieles von seinen Sachen versetzte“, wurden beide ermahnt, „friedlich zu leben.“ Alkoholmissbrauch und dessen negative Auswirkungen auf die häusliche Ökonomie und Sicherheit der Hausbewohner beschäftigten die Gerichtsherren über Monate oder Jahre. Der stete „Unfriede“ im Hause des Schmieds Söle (alternative Schreibweise: Seele), der eine „unordentliche Lebensführung“ an den Tag legte und in ständigem Streit mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Schwiegersohne lebte, wurde zwischen Mai und September 1780 mehrmals von den Gerichtsherren thematisiert und dem Schmied „darauf auch nochmals sein Gesöff abgethan und eine friedliche Aufführung gegen die Seinen angewiesen.“¹³⁶ Was auf den ersten Blick die Wirksamkeit einer solchen „Friedenspolitik“ deutlich in Frage stellt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als ihr Kernproblem, das sich schon in der Formulierung der ehelichen Normen gezeigt hatte: der Antagonismus zwischen der klaren und unhinterfragbaren Herrschaft des Ehemannes im Hause in der Theorie und der oftmals mangelnden Kompetenz des Ehemannes, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Auch wenn die Inkompetenz offensichtlich war, gebot es der Erhalt der allgemeinen Ordnung, die Führungsrolle des Mannes nicht in Frage zu stellen, sondern diesen durch mehr oder weniger deutliche Worte zu einem „rechtschaffenen Leben“ anzuhalten. Gleichwohl setzte aber auch hier das übergeordnete Interesse des Gemeinwohls und des allgemeinen Friedens den zugestandenen Herrschaftsansprüchen eine Grenze. Sanktionen reichten von wiederholten Haftstrafen bis hin zur Trennung von Ehe und Familie, wenngleich sich der Konfliktverlauf über Jahre und Jahrzehnte hinziehen konnte, wie die Auseinandersetzungen zwischen Christina Margaretha Büdelers und ihrem Ehemann Johann Hermann Vogt zwischen 1774 und 1787 zeigten. An einem Sonntagvormittag war die Situation nach heftigem Branntweingenuss¹³⁷ des Ehemanns so eskaliert, dass die gesamte Nachbarschaft sich am Nachmittag vor dem Haus versammelt hatte, bis die Ratsdiener kamen und Vogt in Gewahrsam nahmen. Zuvor versuchte jedoch der am nahen Herrenteichstor Dienst habende Wachposten den Vogt „zur Ruhe zu bringen.“ Dies gelang nur

136 NLA OS Dep 3b IV Nr. 247 fol. 209. 137 „Gestern Morgen um 10 Uhr hätte ihr Mann aus Lindemanns Haus 3 Hälbchen Branntwein [= 0,261 l; 1 Hälbchen = 0,087 l, nach Twelbeck, Maße und Münzen, S. 18] holen lassen und getruncken. Weil er darauf noch mehr hätt holen lassen wollen, hätten Lindemanns ihm nicht mehr geben wollen, worauf er selbst nach Kuhmanns Hause gegangen und sey kurz vor 1 Uhr betruncken wieder zu Hause gekommen.“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 241 fol. 257r.

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bedingt, wie auch die folgenden Ermahnungen und kürzeren Haftstrafen kaum zu einer Änderung der Lebensweise führten. Noch 1787 klagte die Ehefrau Vogts und bat um „obrigkeitliche Verfügung, damit sie Ruhe und Frieden haben möchte und Unglück verhütet wurde, weil er gedrohet das Haus anzustecken.“¹³⁸ In den Auseinandersetzungen des Ehepaares Vogt lassen sich die Machtprozesse in den Ehekonflikten aufzeigen, die die Möglichkeiten zu friedfertigem Verhalten immer weiter reduzierten und in der Konsequenz auch die öffentliche Ruhe, den allgemeinen Frieden störten. Die Trunksucht des Mannes, sein schlechter Lebenswandel, die Anwendung verbaler (er hatte sie mehrfach öffentlich als „Domherrenhuhre“ beschimpft) und körperlicher Gewalt, die Verlagerung der Auseinandersetzung aus dem Haus heraus in den Raum der allgemein genutzten Straße und der Nachbarhäuser machen deutlich, warum die Ehefrau sich Erfolg davon versprach, den Rat ganz umfassend zu ersuchen, in ihrem Haus und darüber hinaus im Gemeinwesen für „Ruhe und Frieden“ zu sorgen. Die mangelnde Selbstkontrolle und Disziplin Trunksüchtiger war in besonderem Maße dazu geeignet, nicht nur das eigene Haus und die eigene Familie, sondern zumindest noch die Nachbarschaft ganz existentiell zu gefährden – was wiederum die Nachbarn motivierte, „nach dessen Haus zu gehen und frieden zu machen“,¹³⁹ wie ein Nachbar des Copisten Klingenberg zu Protokoll gab, als er sich 1792 für sein Eindringen in das Haus des Nachbarn vor Gericht verantworten musste. Einige Monate zuvor hatte der Rat bereits durch seinen Diener den Eheleuten „frieden zu halten gebothen, weil er dazu gekommen und den lerm gehöret. Beide sauffen und fürchten die Nachbarn von ihren verwarlosung des feuers und lichts.“¹⁴⁰ Die Haftstrafe wurde dem Mann durch seine Supplik mit Hinweis auf die ausfallenden Einkünfte erlassen. 1795 jedoch, drei Jahre später, meldete der Diener wieder, „die Eheleute Klingensberg lebeten in höchstem Unfrieden“.¹⁴¹ Nach einer Schlägerei – deren Anlass offenbar darin bestand, dass sich der Mann „ohne sich auszuziehen habe ins Bett legen wollen“ – hatte die Frau ihren Gatten am späten Abend aus dem Haus geworfen; der Ratsdiener hatte beide betrunken vorgefunden. Die Ehefrau wurde in Haft genommen, jedoch auf die Bitte des Mannes entlassen, da weder ihre noch seine Mittel ausreichen würden, die zusätzlichen Belastungen durch die Haftkosten zu tragen. Allerdings vermerkte der Ehemann, der Rat möge ihr dabei „eine gute Exame zur beßerung vornehmen, [. . . ] sollte solche aber noch immer Halsstarrig und böse gegen mir mit allerhand niederträchtigen Ausspürungen gesinnet sein [. . . ] lieber eine wahre Trennung zum 138 NLA OS Dep 3b IV Nr. 253 fol. 130. 139 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 55. 140 Ebd., fol. 245. 141 NLA OS Dep 3b IV Nr. 259 fol. 169.

212 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Frieden“ einzuleiten.¹⁴² Daraufhin ermahnte der Rat die Ehefrau „sich in Zukunft des Saufens zu enthalten, und von ihrer Seite alles anzuwenden, um mit ihrem Ehemann in frieden zu leben.“ Klingenberg wurde angehalten, „sich so gegen seine Ehefrau zu betragen, daß dieser keine gerechte Ursachen sich über ihn zu beschweren übrig blieben.“¹⁴³ Der Ehealltag und die häusliche (Un-)Ordnung der Klingenbergs wurden vor allem von außen – durch den Rat, den Ratsdiener, den Pförtner und die Nachbarn – als „unfriedlich“ markiert, wobei dieser „Unfrieden“ bzw. die Gefährdung oder Zerstörung des Friedens auf drei kaum voneinander zu trennenden Ebenen angelegt ist. In der Gefährdung der allgemeinen Sicherheit durch unkontrolliertes Feuer, in der Gefährdung der Unversehrtheit der Frau und einiger Nachbarn sowie schließlich der fehlenden Aufsicht über die häusliche Ordnung durch friedfertiges Handeln. Diese Mechanismen griffen immer wieder, wie sich 1806 zeigte, als die Witwe Jansen über die Schlägerei ihrer Nachbarn Klage erhob und berichtete, sie habe „des Müllers Frau weinend angetroffen. Ihrer Meinung nach sey die frau nicht Schuld an dem Unfrieden, sondern der Mann, besonders, wenn er getruncken habe.“¹⁴⁴ Der Zusammenhang von Alkohol und Gewalt ist vielfach thematisiert worden, insbesondere im Zusammenhang mit eskalierender Gewalt unter Alkoholeinfluss, gerade auch im sozialen Nahraum des Hauses.¹⁴⁵ Wenngleich der Alkoholkonsum ein erhöhtes Risiko darstellte, dass Konflikte im Hause gewalttätig ausgetragen wurden, ging die Bedeutung als Argument in gerichtlichen Verhandlungen deutlich tiefer. Wurde Alkoholkonsum solange nicht als ordnungsrelevant betrachtet wie kein Schaden an Sachen und Personen entstand,¹⁴⁶ konnte selbst „gewaltfreier“ Alkoholkonsum die häusliche Ordnung in Mitleidenschaft ziehen. Denn vielfach finden sich bei den Ehepartnern unterschiedliche Haltungen zur Frage, in welchen Ausmaß der Gang ins Wirtshaus mit den damit verbunden Kosten für Alkohol (und vielfach damit zusammenhängend Spieleinsätze) mit der Haushaltslage vereinbar war. Was die Ehefrau Niebaum 1751 als „liederliches leben mit sauffen und spielen“ bezeichnet hatte, formulierte die Ehefrau Maschmeyer 1794: „daß sie mit ihrem

142 Ebd., fol. 171. 143 Ebd., fol. 169. 144 NLA OS Dep 3b IV Nr. 268 fol. 13. 145 Allgemein vgl. Tlusty, Bacchus, S. 148–156 zur Gewaltbereitschaft, Lorenz, Rad, S. 291–296 zum Einfluss von Alkohol auf Gewaltwahrnehmung und Anwendung. Zum häuslichen Kontext vgl. neuerdings kritisch zur älteren ehelichen Gewaltforschung Hardwick, Perspectives, S. 3, 15–17. 146 Vgl. Tlusty, Bacchus, S. 103–105.

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ehemann in Unfrieden lebe, daß letzerer sich besaufen auch sie schimpfen von seinen verdienste ihr nichts mittheile.“¹⁴⁷ Diese offenbare Divergenz in der Haltung der Ehepartner zum „geselligen“ Trinken zwischen den Erfordernissen männlicher Geselligkeit und Ehrmanagements und der Perspektive auf die häusliche Ökonomie stellte einen zentralen Interessenkonflikt dar, dessen Lösung – auch vor dem Gang ins Wirtshaus – meistens zu verhärteten Fronten führte.¹⁴⁸ Was als notwendige Teilhabe an einer kulturellen Praxis des Geschäftslebens angesehen wurde und damit der Stabilisierung und Festigung der sozialen Netzwerke des Hauses und der häuslichen Ökonomie diente, verkehrte sich dann in das Gegenteil der Chaos stiftenden und Unfrieden über das Haus hinaus heraufbeschwörenden Unordnung, wenn es in einer unkontrollierten, exzessiven Art geschah, welche nicht nur die Arbeitsroutinen und -ressourcen, sondern eben auch Leib und Eigentum der Hausbewohner wie der Nachbarn gefährden konnte.¹⁴⁹ Es war gerade die Störung eines geordneten Haushalts auf mehreren Ebenen, welche die Eheleute – in der Mehrzahl Frauen – gegen ihre Partner vorbrachten und als grundsätzlich gefährdend, destabilisierend und „unfriedlich“ markierten: die Gefahr für Leib und Leben durch exzessive Gewalttätigkeit, die Zerstörung von Haushaltsgegenständen im Streit, die Ruinierung der häuslichen Erwerbsgrundlage durch gestörte Arbeitsroutinen und der Verlust von Vermögen durch (Spiel- und)Trinkschulden in den Wirtshäusern. Was sich für die klagenden Ehegatten als unmittelbare Gefährdung ihrer eigenen Existenzgrundlage darstellte, zeigte sich in den Augen der Öffentlichkeit – sei sie obrigkeitlich, nachbarschaftlich oder korporativ – als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung und des sozialen Friedens, war es doch gerade der Hausvater, der für eine ordentliche Haushaltsführung verantwortlich war und sich somit mehrfach selbst diskreditierte. Entsprechend harsch fielen die Urteile der Gerichtsherren aus, wenn sie wie im Falle Maschmeyer dem Beklagten mitteilten: daß er in der folge von seinen Verdienste das zu bestreitung der haushaltungskosten nöthige, seiner Ehefrau einhändigen mit derselben friedlich leben und das Saufen unterlasssen sollte, widrigenfalls er arretirt werden würde.¹⁵⁰

Waren überzogene „Korrektionen“ und exzessiver Alkoholgenuss dazu geeignet, die hausväterliche Autorität zu verspielen und das Haus in Unfrieden zu stürzen,

147 NLA OS Dep 3b IV Nr. 258 fol. 218. 148 Zum Trinken und Spielen im Wirtshaus als Teil männlicher Soziabilität vgl. Simon-Muscheid, Umgang, S. 53–56; Roper, Männlichkeit, S. 157–160, Tlusty, Bacchus, S. 143–146; Martin, Alcohol, S. 134–165, Möhle, Ehekonflikte, S. 94–96. 149 Tlusty, Drinking, S. 255–257. 150 NLA OS Dep 3b IV Nr. 258 fol. 218.

214 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln so war es willkürliche Gewalt allemal, die sich zudem lange im sozialen Gedächtnis der Nachbarschaft hielt, um das „(Un-)Friedenspotenzial“ einzuschätzen. So klagte eine Nachbarin 1807, die Eheleute Hartken lebten äußerst unfriedlich mit einander was aber die eigentliche Veranlaßung dazu gebe, wisse sie nicht, vermuthlich [. . . ] Hartken schon bey seinen vorigen frauen den Nahmen gehabt, daß er dieselben mißhandelt habe.¹⁵¹

Waren die bisher vorgestellten Konflikte ganz wesentlich auf die Rollen- und Interessenkonflikte zurückzuführen, die sich im Laufe des Beziehungsalltags und der Organisation der häuslichen Routinen eingestellt hatten oder durch markante Ereignisse hervorgerufen wurden, so konnten aber auch die jeweiligen sozialen Netzwerke der beiden Ehepartner für erheblichen Konfliktstoff sorgen, der den Eheund Hausfrieden gefährden konnte. Das konnte nachbarliche „üble Nachrede“ sein, wie im Falle der Ehefrau Brinckmann, die ihrem Nachbarn, dem Zimmermeister Schulze, vorwarf, „daß dieser veranlasset daß sie von ihrem Mann beschuldiget würde, wie sie vor der verheyrathung mit ihm bereits schwanger gewesen sey und daß sie darüber mit ihrem Mann in stetem Unfrieden lebe.“¹⁵² Die solchermaßen von außen in die Ehe getragene dreifache Ehrverletzung – der Frau, durch die Unterstellung eines durch illegitimen, unehelichen verheimlichten Geschlechtsverkehr versehrten, entehrten Körpers; des Mannes, durch Beschädigung seines sozialen Ansehens als eines „gehörnten Ehemannes“ sowie schließlich der Ehe selbst durch ihre sozusagen unehrenhafte „Aufbauphase“ – musste einen Vertrauensbruch hervorrufen, der nur durch eine nach außen sichtbare Wiederherstellung der Ehre auf allen drei Ebenen möglich war, was auch vor Gericht geschah: Es sey ihm [dem Zimmermeister Schulze, ISV] von derselben nicht übels bewußt und sollte es ihm leid seyen wenn etwa der Brinckmann aus einem in seinem Hause getriebenen Spaße Verdacht geschöpfft haben mögte. Da nun dem Brinckmann bedeutet worden, daß er auf die weise keine Ursache habe seiner Frau Vorwürfe zu machen. So habe dieser sodann mit seiner frau sich wieder auszusöhnen.¹⁵³

Anhand der dargestellten Fälle ist deutlich geworden, dass die vielfältigen, heterogenen und individuellen Konfliktlagen in den Osnabrücker Ehen in ihren Grundzügen von Ursachen, Verlauf und Mustern ehelichen Konflikten vergleichbar

151 NLA OS Dep 3b IV Nr. 269 fol. 60. Die Wirksamkeit solcher Drohungen lässt sich erahnen, wenn für November 1807 vermerkt wurde: „Nachdem angezeigt worden, daß die Ehefrau Hartke sich alhie seit einiger Zeit wieder eingefunden und sehr oft, auch bey Nacht wieder die beyden Eheleute die Nachbarn beunruhigen. . . “ Vgl. NLA OS Dep 3b IV Nr. 269 fol. 102. 152 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 59. 153 Ebd.

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sind, wie sie vom 15. bis zum 18. Jahrhundert für ganz Europa beschrieben worden sind. Gewalttätigkeit spielte dabei eine zentrale Rolle für die Wahrnehmung und Beschreibung häuslicher Unordnung. Sie bot Anlass zur Klage bzw. zur Intervention durch Nachbarn oder obrigkeitliche Stellen wie Ratsdiener oder einer Zitation durch den Fiscus. Der Zusammenhang zwischen unmittelbarer zumeist physischer Gewalt mit Gefährdungspotenzial für Leib und Leben der Hausbewohner und der Forderung nach Frieden und friedlichem, gewaltlosem Verhalten vor allem in der Konfliktlösung war auch für eheliche Konflikte unmittelbar evident. Frieden verwies in diesen Konflikten aber über den singulären Gewaltakt hinaus, indem er gerade die Nicht-Singularität des Ereignisses durch die Thematisierung seines Kontextes und seiner Vorgeschichte explizit macht. Unfrieden markierte nicht den Bruch einer bestimmten festgeschriebenen Sicherheitszone, sondern den Verstoß gegen ethische Vorgaben, gegen Handlungsnormen, die als unabdingbar angesehen wurden. Folgerichtig lassen sich die zugrundeliegenden Handlungsnormen in den einzelnen Argumentationsstrategien in geschlechtsspezifischer Weise nachvollziehen. So beschrieben Frauen ihre Rolle im Konflikt als Opfer männlichen Fehlverhaltens, welches sie entweder durch Erdulden und Nachsicht zu mildern versuchten oder welches sie gar zwang, selbst normwidrig zu handeln und die Autorität ihrer Ehemänner zu missachten. Diese beschrieben sie als „liederlich“, und klagten bestimmte Handlungsweisen als „unfriedlich“ an wie „saufen“, „schlagen“, „spielen“, „nicht um die Haushaltung kümmern“ etc. Die klagenden Männer hingegen beschrieben ihre Frauen als „bösartig“, „boshaft“ und „halsstarrig“, was sich insbesondere in ihrem Ungehorsam durch Widerspruch, in verbalen Beleidigungen und einem grundsätzlich „gottlosen Maul“ äußerte.¹⁵⁴ Diese Zuschreibungen korrelieren auf das Engste mit jenen Verhaltensweisen ex negativo, die ausführlich in der Ehe- und Hausliteratur diskutiert wurden, um das Gebot der caritas und der „Friedfertigkeit“ inhaltlich zu füllen. Dementsprechend rekurrierten die Akteure in ihrer Selbstbeschreibung auf ihr eigenes normkohärentes Verhalten im Sinne des „ordentlichen“ Hausens, um die Verfehlungen des Partners umso deutlicher herauszustreichen. Den gleichen appellativen Prozess der Reintegration der Streitparteien in das geltende häusliche Ordnungsmodell findet sich in den Sprüchen der Gerichtsherren, wenn sie beide zum „friedlichen Miteinander“ ermahnen, was für die Frau meist mit einer ostentativen Unterordnung unter die Autorität ihres Mannes einher ging, für diesen aber noch deutlicher mit einer Unterordnung unter seine Pflichten und Aufgaben in der Haushaltsführung. Der explizite Gebrauch der Begrifflichkeiten und Rückbezüge

154 Vgl. hierzu Hardwick, Perspectives, S. 10–12. Zur expliziten Koppelung in der Predigtliteratur vgl. Gleixner, „Zanksucht“, passim.

216 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln auf Konzepte häuslichen Friedens diente Klagenden wie Bezeugenden als Marker für grundsätzliche Unordnung, deren offenbarstes Symptom in der Gewalttätigkeit zu sehen war. Die besondere Bedeutung der Ehe als Kernbeziehung für eine fruchtbare Haushaltung – sowohl im Hinblick auf die produzierende, erwerbende Arbeit als auch die Kinderzucht –, das hohe Interesse sowohl der Obrigkeiten als auch der Eheleute an der Stabilität und dem Fortbestand macht die besondere Brisanz der Friedenssemantiken deutlich. Denn abgesehen von kurzfristigen Inhaftierungen zur Abwendung unmittelbarer Lebensgefahr und erzieherisch gedachten Geldstrafen, gab es kaum Möglichkeiten zur Erzwingung eines „Friedens“, der nicht zugleich zu einer weiteren Erosion geführt hätte.¹⁵⁵ Die vielfach formulierten Bitten um Trennung „zum besseren Frieden“ hin müssen nicht zwingend als tatsächliches Scheidungs- bzw. Trennungsgesuch verstanden werden, vielfach können sie auch als rhetorisches Mittel verwandt worden sein, um den Druck zu erhöhen bzw. die Dringlichkeit zu unterstreichen.¹⁵⁶ Gleichwohl müssen solche Vermutungen sehr vorsichtig behandelt werden, zumal sich keine Unterlagen zu entsprechenden kirchenrechtlichen Verfahren bei Konsistorium bzw. Offizialat finden. Aus den Akten geht immer wieder ein nicht unbeträchtlicher Anteil zumindest temporärer eigenmächtiger Trennungen hervor, die auf einen gewissen Grad an Selbsthilfe schließen lassen, die den Obrigkeiten ein Dorn im Auge war. In allen Fällen ist deutlich geworden, dass gerade die normative Ambiguität der Ehe zwischen Hierarchie und Partnerschaft, die in der Eheliteratur immer wieder thematisiert wurde und deren Uneindeutigkeit im Vergleich zu den ausgesprochen stark und klar hierarchisch angelegten Eltern-Kind bzw. Herrschaft-Gesinde-Verhältnissen immer wieder durch den Hinweis auf Friedfertigkeit aufgelöst wurde, in der Alltagspraxis den Hintergrund für viele Ehekonflikte bildete. Deshalb beinhaltete die Aushandlung solcher Konflikte und damit im Kern auch der Ehekonstellationen immer wieder den Rückbezug auf jene Friedfertigkeit entweder anklagend oder appellativ. Die erwünschte eheliche „balance of power“ war nicht unbedingt im Sinne eines Mächtegleichgewichts zu verstehen, sondern in einer permanenten Ausbalancierung von Interessen und Anforderungen bei ungleicher Verteilung der Machtmittel. Gerade deshalb war der Friedensappell an die Ehemänner von besonderer Bedeutung, da sie als rechtliche Herrschaftsträger letztlich der Obrigkeit und der Gemeinde gegenüber für die Friedlichkeit und Ordnung ihres Hauses verantwortlich waren und doch keine Rechtsmittel zur Erzwingung der Erfüllung dieser Verantwortung zur Verfügung standen. Und dennoch: „Frieden“

155 Zu ähnlichen Verfahren in französischen und englischen Ehekonflikten vgl. Hanley, Sites, S. 37–40. 156 Vgl. hierzu Hardwick, Perspectives, S. 22–27.

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als zentrales Beschreibungsmodell der Eheführung hatte lange Bestand – und war noch zentrales Schlichtungsvokabular in der Auseinandersetzung des Ehepaars Altenbäumer 1867.¹⁵⁷

3.3.2 Familie Wie gezeigt stellte die Ehe ein in der Konzeptualisierung der Frühen Neuzeit prekäres Beziehungsverhältnis im Kern der Haushaltsführung dar. Die häusliche Ordnung – verstanden als eine stabile Anordnung der verschiedenen Positionen im Haus – konnte sich aber auch durch Verschiebungen verändern, die durch generationellen Wandel und den family-life-cycle hervorgerufen wurden. Oder dies geschah im Falle des Todes eines Ehepartners und folgender Wiederverheiratung durch eine Neuordnung der Positionen und Beziehungen zwischen Stiefeltern und -kindern sowie unter den Stiefgeschwistern. In der normativen Literatur wurde das Eltern-Kind-Verhältnis ganz eindeutig im Sinne einer strikten Unterordnung unter die Herrschaft des Vaters und – deutlich abgeschwächt und „nur“ ethisch begründet – der Mutter geregelt, die sich mit einer Wiederverheiratung zwar ändern konnte, aber keinen Zweifel an der rechtlichen Unterordnung unter das neue Haushaltshaupt ließ. Diese Rechtsstellung änderte sich erst mit der Gründung eines eigenen Haushaltes bzw. mit der formal-rechtlichen Übertragung eines Hofes, einer Werkstatt oder einer Handlung an den Sohn oder die – verheiratete – Tochter.¹⁵⁸ War also die rechtliche Beziehung eindeutig geregelt und durch eine relativ lange Phase der Unterordnung charakterisiert, veränderten sich die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern während der Adoleszenz. Wird diese biographische Phase heute vor allem als eine Zeit der Identitätsformierung und der Rollenexperimente definiert, in der sich das asymmetrische Verhältnis der Abhängigkeit gegenüber den Eltern hin zu einer stärker symmetrisch ausgerichteten Beziehung wandelt,¹⁵⁹ lassen sich ähnliche Wahrnehmungen und Konzeptualisierungen auch für die Frühe Neuzeit feststellen.¹⁶⁰

157 Panke-Kochinke, Streit, S. 75f. 158 Scholz-Löhnig, Kindesrecht, Sp. 565–567; Scholz-Löhnig, Elternrecht, S. 233–236. 159 Vgl. hierzu Schuster/Uhlendorff, Eltern-Kind-Beziehung, S. 289–291. 160 Zur Konzeption und Erforschung der Adoleszenz in mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Geschichte s. Hanawalt, Descriptions, S. 343–345; Ben-Amos, Adolescence, S. 10–38, 208–235; zur neueren deutschsprachigen Forschung vgl. Gestrich, Jugend, Sp. 166 und Greyerz, Passagen, S. 107–121. Zur Diskussion der Problematik der Negation einer Jugendphase durch Philippe Ariès vgl. Ben-Amos, Adolescence as a cultural invention, passim.

218 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Während die Adoleszenz als Zeit des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsensein vor allem in Kontexten untersucht wurde, die außerhalb des elterlichen Haushaltes angesiedelt waren – wie klassischerweise die Lehr-, Gesinde- oder Studienzeit –,¹⁶¹ so finden sich kaum Untersuchungen über Konflikte zwischen Eltern und Kindern oder Geschwistern, wenn sie noch als (fast) Erwachsene zusammen unter einem Dach in einer Haushaltung lebten. Dies ist bisher hauptsächlich für den ländlichen Bereich und die Übernahme von Höfen untersucht wurden.¹⁶² Gerade für die nachwachsenden Generationen war die Positionierung im häuslichen Gefüge wichtig für die weitere Lebensplanung, zumal von der Teilhabe an der Ökonomie ganz wesentlich die Ausgangsbedingungen für Lehrstellen, Dienststellen und vor allem die Ausstattung für eine eigene Verheiratung abhingen. Dementsprechend verschärften sich Interessenkonflikte zusätzlich durch die für die Frühe Neuzeit typische Konstellation von „patch-work“-Familien, die durch mehrfache Wiederverheiratungen und Geburten entstanden.¹⁶³ Wenngleich für die Phase der Adoleszenz eher die Abwesenheit aus dem elterlichen Hause zu Ausbildungs- und Erwerbszwecken als typisch angesehen wird,¹⁶⁴ finden sich in den Osnabrücker Akten relativ viele häusliche Ensembles, in denen jugendliche Kinder und junge Erwachsene im Haushalt ihrer Eltern oder Stiefeltern lebten und Erwerbsarbeit leisteten. Da keine quantitativen Untersuchungen und Zahlen für das Gesindewesen in der Stadt Osnabrück vorliegen, muss diese Beobachtung als solche zunächst so stehen bleiben, gleichwohl korrespondiert sie mit Untersuchungen zu Frankreich, wo der Verbleib heranwachsender Kinder im elterlichen Haushalt vielfach auch eine ökonomische Notwendigkeit war, zumal wenn keine Mittel für die Anstellung von Gesinde vorhanden waren.¹⁶⁵ Die Bedeutung der ökonomischen Ressourcen eines Hauses für diese „Kinder“ machen die strukturell angelegten Interessenkonflikte greifbar, die zur Störung des häuslichen Friedens beitragen konnten.

161 Vgl. hierzu als kleine Auswahl etwa Beer, Migration; Reyerson, Adolescent Apprentice; Simonton, Earning; Ben-Amos, Adolescence, S. 39–155; zu Studierenden vgl. etwa die Arbeiten von Barbara Krug-Richter. 162 Vgl. hierzu z. B.: Grulich, Heiratsstrategien, S. 157–160; Krug-Richter, Konflikte, S. 321–327; Štefanová, Ausgedinge, S. 223–231. 163 Stief- und Geschwisterbeziehungen sind in ihren alltagshistorischen Dimensionen für die Frühe Neuzeit nur sehr unzureichend thematisiert worden. Zur Forschungslage vgl. Ruppel, Rivalen, S. 12f. Für Frankreich liegt eine Studie zur Koresidenz von Geschwistern vor (Perrier, Coresidence). Zwei Sammelbände haben jüngst die Reichweite der Fragestellungen zur historischen Geschwisterforschung abgedeckt, mit Fallstudien und regionalen Tiefenbohrungen: Johnson/Sabean, Sibling und Fertig, Geschwister und Miller/Yavneh, Sibling Relations. 164 Klassisch hierzu die Studie von Laslett, Family life, S. 33–36. 165 Perrier, Coresidence, S. 11–14.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

219

So klagte die 22-jährige Catharina Engel Bordewisch 1752 gegen ihren Stiefvater Johann Jacob Figge, er habe sie mehrfach geohrfeigt, getreten und mit ihrem Spinnrocken geprügelt, weil sie sich seiner Verfügung widersetzte, wonach er einen Rock, den sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt hatte, ihrer Schwester zusprechen wollte.¹⁶⁶ Nachdem der Vater zugestanden hatte, die Arztkosten für die Folgen seiner Gewalttätigkeiten zu übernehmen, hat er „mediante stipulatione ad manus censorum angenommen, mit seinen stieffkindern in ruhe und frieden zu leben.“¹⁶⁷ Catharina lebte demnach ohne leibliche Eltern im Haushalt ihres Stiefvaters und trug durch ihre Spinnarbeiten zur häuslichen Ökonomie bei, was durchaus den üblichen Gepflogenheiten entsprach und Grundnahrungserwerb unverheirateter Frauen in der Leinwandstadt darstellte. Ihre Auseinandersetzung mit dem Stiefvater zeigt die Reichweite seiner hausväterlichen Autorität um ihr persönliches Eigentum. Der Schiedsspruch des Gerichts macht deutlich, welche Bedeutung nicht nur der Klärung der vordergründigen Konfliktanlässe beigemessen wurde, sondern zugleich bestrebt war, die persönlichen Beziehungen zwischen dem Stiefvater und den klagenden Kindern ganz grundsätzlich wieder auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Dies geschah, wie es bereits zuvor in den ehelichen Konflikten deutlich wurde, auch hier durch eine Aussöhnung, die durch die symbolische Handlung des Handschlags „Frieden“ versprach. Gleichzeitig war die Stieftochter aber darauf bedacht, ihr persönliches Eigentum, hier an Kleidung, sehr gewissenhaft als solches respektiert und gewahrt zu sehen.¹⁶⁸ Das Problem der „Aussteuer“ bzw. eines behaupteten Anrechts auf bestimmte Gegenstände aus dem elterlichen Haushalt zum Aufbau einer eigenen „Nahrung“ bestimmte auch den jahrelangen gerichtlich begleiteten Streit zwischen der Witwe des Schumachers und angesehenen Gildemeisters Rudolph Lüken mit ihrem Sohn Jost Henrich Lüken. Im Februar 1774 erschien die Witwe mit einer „stark blutenden Wunde über dem linken Auge“ vor Gericht und bat, „weil sie mit ihm nicht in Frieden leben könnte, daß er sich von ihr trennen müßte.“¹⁶⁹ Die langwierigen Auseinandersetzungen über den Lebenswandel des Sohnes, der in den Augen

166 NLA OS Dep 3b IV Nr. 234 fol. 52. 167 Ebd.; „mediante stipulatione ad manus“ definiert Oberländer folgendermaßen: „[. . . ] ist ein Handel, da durch Frage und Antwort einer dem andern etwas zu geben, oder zu thun verspricht.“ Oberländer, Lexicon, S. 663. 168 Dass das Eigentum und die Nutzungsrechte in diesem häuslichen Ensemble eine bedeutende konflikthafte Rolle in der Beziehung darstellten, zeigen mehrere Auseinandersetzungen um die Erbaufteilung 16 Jahre später. NLA OS Dep 3b IV, Nr. 402; zudem lässt sich bereits ein Vorlauf in den Akten der Pupillar-Commission finden, in dessen Verlauf die Verteilung des familiären Eigentums unter den Kindern und Stiefkindern von Figge vorgenommen werden sollte. NLA OS Dep 3b IV Nr. 302, S. 84, 622–624. 169 NLA OS Dep 3b IV Nr. 241 fol. 99.

220 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln seiner Mutter im Wesentlichen durch Müßiggang mit Alkoholkonsum und Spielvergnügen¹⁷⁰ sowie regelmäßigen Übernachtungen bei der verwitweten Mieterin des Hinterhofgadens gekennzeichnet war, verwiesen auf das zugrunde liegende Problem, das in der Führung der häuslichen Wirtschaft lag. Die 70-jährige Witwe gab an, „mannigen Thaler Miethe bringet das Pferd ein, welches ich halte, aber ich kriege davon keinen Heller in meinen Händen, sondern mein Sohn ist gleich darhinter her, daß er das Geld bekommt“.¹⁷¹ Der Rat erkannte die Situation und schlug zunächst zur Stabilisierung ganz im Sinne der geltenden Norm männlicher Haushaltsführung vor, daß sie Ausgabe und Einnahme durch einen allein führen lassen sollten. Und weil man den Sohn zur Führung der Haushaltung am tüchtigsten glaubte, so wär Mutter und Sohn mit diesem Vorschlag zufrieden, und versprach der Sohn, der Haushaltung bestmöglich vorzustehen u. seiner Mutter gebührlich zu begegnen; so wie diese auch mütterliche Begegnung gegen ihren Sohn angelobte.¹⁷²

Die Gerichtsherren setzten aber hinzu, „daß so fern wieder Klage wegen des Unfriedens zwischen Mutter und Sohn angebracht würde, die Trennung zwischen beyden vorgenommen werden solle“¹⁷³ – was aber erst nach weiteren sechs Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen wirklich vollzogen wurde. In diesen Streitfällen wird die enge Verbindung zwischen normativ geprägten Verhaltenserwartungen und Friedensvorstellungen sehr deutlich, sowohl in den Selbstdarstellungen von Mutter und Sohn,¹⁷⁴ wie auch in den Argumentationen und Entscheiden der Gerichtsherren. Die Ermahnung, sich gebührlich gegeneinander zu betragen, verweist auf das grundlegende Gebot der Friedfertigkeit gekoppelt mit dem den innerhäuslichen Hierarchien gebührenden Respekt und Gehorsam. In diesem Falle führte dies aber zu einem Widerspruch zwischen den generationsbezogenen Normen des Respekts, Gehorsams und der Anerkennung der Autorität gegenüber den Eltern im Gegensatz zur männlichen Präva-

170 Zur Bedeutung von Trinken und Spielen in Gesellschaft anderer Männer im Wirtshaus vgl. oben S. 213. 171 NLA OS Dep 3b IV Nr. 242 fol. 63. 172 NLA OS Dep 3b IV Nr. 241 fol. 102. 173 Ebd., fol. 103. 174 Ebd., fol. 100: „Die Ursache wäre, weil er das Geld was er einhöbe, ihr immer abliefern sollte, und wenn er es thäte, sie das Geld verbrauchte. Imgleichen rückte sie ihm immer die Heirath seiner Schwester mit Bremer vor, als wenn er Schuld daran wäre. Sie schaffte sich verschiedenes an, und dann käme es in seiner Abwesenheit nach Bremers Hause. Negirte, daß er seine Mutter geschimpft, doch hätte er wol gesagt, es wäre keine rechtschaffene Mutter u eine canaille, die es nicht gut mit ihrem Kinde meynte.“

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

221

lenz in Fragen von Kompetenz und Recht zur Haushaltsführung. Die Entscheidung des Gerichts zeigt deutlich das Bemühen, diesen Widerspruch aufzulösen, indem es einerseits dem Sohn die Haushaltsführung übertrug, dies aber andererseits sehr unmissverständlich an eine sittliche Besserung seines Lebenswandels und seines Verhältnisses zu seiner Mutter knüpfte. Auch hier manifestiert sich das Aufeinanderprallen konfligierender Rollenerwartungen sowie konträrer individueller Interessen in Gewalttätigkeit, deren Bannung aus der persönlichen Beziehung als Form der Auseinandersetzung mit Hilfe des Friedensgebotes geschah. Wie ernst es dem Rat damit war und wie stark der geforderte Führungsanspruch an Kompetenzkriterien gebunden war, zeigen die Protokolle der nächsten drei Jahre. Es stellte sich heraus, dass der Sohn das väterliche Erbe von immerhin 1100 Rthl. in drei Reisejahren durchgebracht und zudem die Aussteuer seiner Schwester verprasst hatte. In fast monatlichen Abständen lässt sich die Eskalation des Konfliktes in den Akten verfolgen. Zunächst versuchte der Rat den ausbleibenden Erfolg der Disziplinierungsmaßnahmen des Sohnes durch stetig sich verschärfende Turmstrafen zu erzwingen, während die Mutter auf ihrer Forderung nach Trennung der Haushalte bestand. Schließlich musste der Rat diesem zustimmen, da die Kosten für die Klagen, Prokuratoren und die Haftunterbringung des Sohnes das ohnehin spärliche Einkommen¹⁷⁵ der Witwe gänzlich verzehrten: Weilen die Löbl. GerichtsCommission meinen ungerathenen Sohn d 20ten hujus eine Thurmsstraffe andictiret hatt, so muß ich dawieder ganz gehorsamst hiemit anzeigen, gestalten ich dieses gar nicht für rathsahm sehe indem derelbe durch eine solche correction sich nicht bessern, sondern nur viel ärger und boßhaffter wird, ich habe davon das exempel, denn als er das vorige mahl aus dem Thurm kam, erzeigete er sich gegen mich zehnmahl boßhaffter als vorhin, Pro primo. Pro 2do habe ich auch das Vermögen nicht mehr, sonder binn außer stande gesetzt, daß ich die Kosten dafür bezahlen kann, sintemahlen besagter mein Sohn mich so weit gebracht. und in solche armuth gesetzet hat, daß ich kein scheffel rocken zu Brodt Korn mehr bezahlen kann, sondern das liebe brodt leyder bey Pfieden

175 Das komplexe Geflecht der Einnahmenstruktur, das wie gesehen wesentlich aus der Vermietung von Besitztümern oder von Ansprüchen auf Mietgelder bestand, scheint 1786 nochmals in einem Prozess der Soldatenfrau Catharina Würtson gegen den Schwiegersohn Gildemeister Bremer auf. Sie hatte der Witwe Lüken den Hausbrief ihres Hauses auf der Großen Gildewart in den 1760er-Jahren gegen 15 Rthl. Bargeld und Speck zu 2 Rthlr. verpfändet und zusätzlich die Mieteinnahmen bis zu ihrer Rückkehr in die Stadt. Zu einer Klärung des Verhältnisses sei es nicht mehr gekommen, da die Witwe Lüken sie mit der Rückgabe des Hausbriefes und der Abrechung von Mieteinnahmen so lange hingehalten habe, bis sie verstorben sei. Vgl. NLA OS Dep 3b IX, Nr. 951.

222 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln

kauffen muß, zudehm binn dem Gildem. Voß 15 rth. Haußmiethe schuldig, und werde täglich an die bezahlung angefochten, weiß aber kein mittel oder rath, wo ich zu diesen geldern gelangen soll [. . . ].¹⁷⁶

Sehr deutlich benannte die Witwe bzw. ihr Prokurator in der schriftlichen Eingabe die Grenzen und Folgen einer solchermaßen betriebenen Mikropolitik des Friedens. Wo der Vermittlungs- und Ausspracheaspekt in vielen Fällen sicherlich zu einer Restabilisierung der das Haus strukturierenden persönlichen Beziehungen führte, konnte man gleichwohl eine solche Entwicklung nicht gegen die Einsicht der Beteiligten erzwingen – womit die „Friedensbemühungen“ wenn nicht umsonst waren, so doch nur partiell fruchteten. Das zeigte sich auch im weiteren Verlauf der Trennung von Mutter und Sohn. Denn noch etwa ein Jahr stritten sie sich vor Gericht darüber, was der Sohn alles an Grundausstattung aus dem Hause seiner Mutter mitnehmen dürfe – teilweise schuf er Fakten, indem er in Einbrüchen seine vermeintlichen Ansprüche umsetzte. Konflikthafte Beziehungen zwischen (Stief-)Eltern und -kindern, gerade wenn es sich um Fragen der häuslichen Hierarchie handelte, erübrigten sich aber nicht, sobald die neue Generation die Geschäfte und die Sicherstellung der „Nahrung“ übernommen hatte – ganz im Gegenteil. Es fiel den älter werdenden, aus ihrer Position des Ernährers und damit auch den tonangebenden Haushaltsvorstandes hinausgedrängten Männern oft schwer, den vermeintlichen Ehrverlust hinzunehmen, gerade wenn sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn schon vorher nicht ganz harmonisch entwickelt hatte, wie es der Schlachtermeister Johann Ferdinand Kroos 1801 beklagte: Er beschwerte sich bitterlich über den „schwärzesten Undanck aus der Hölle für meine Väterlichen Gutthaten und Vorsorgen“¹⁷⁷, der ihm von seinen Stiefsöhnen zuteil würde, da sie ihn beschimpft, geschlagen und mit einem Messer am Mittagstische bedroht hatten. Anlass war eine Auseinandersetzung mit seiner Frau, der leiblichen Mutter der beiden, über die Erziehung und Aufsicht der beiden gemeinsamen jüngeren Söhne gewesen. Einer väterlichen Moralpredigt über die Wichtigkeit des Schulbesuchs und entsprechenden Bemerkungen über die Faulheit der älteren Stiefsöhne folgte die massive verbale wie physische Bedrohung des Vaters. Dass diese kein Einzelfall sei, sondern der kindliche Ungehorsam seit längerem seine Ehre verletzte – zumal die Mutter immer ihre Partei ergriffe und ihm ungerechtfertigterweise seinen Branntwein-Konsum vorhalte –, das führte er auf mehreren Seiten schriftlich aus und kam zu dem Schluss,

176 NLA OS Dep 3b IV Nr. 242 fol. 62f. 177 NLA OS Dep 3b IV Nr. 261 fol. 90.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

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daß meinen Stiefsöhnen anbefohlen werde, da sie jetzt von mir so weit gebracht sind, daß sie für ihr Brod arbeiten können, und sich meinen Väterlichen befehlen nicht mehr unterwerfen wollen, daß sie sich von mir weg- und bey andern Leute zu begeben hätten, damit ich Friede und Ruhe in meinem Hause haben möge.¹⁷⁸

Kroos beschreibt sich in seiner Klageschrift ganz in den bekannten Bahnen des Hausvaters, der obrigkeitliche Unterstützung in der Durchsetzung seiner Autorität sucht. Der Bezug auf Frieden ist dabei eindeutig auf das als unbotmäßig gebrandmarkte Verhalten seiner Stiefsöhne bezogen. Nicht allein ihr Ungehorsam spielt dabei eine Rolle, sondern der schlechte Einfluss, den ihr Verhalten auf andere – z. B. seine Frau – habe und sich beispielsweise im wiederholten Vorhalten eines vermeintlich unordentlichen Lebenswandels äußerte. Kroos erkannte aber immerhin, dass ein solcher Friede nicht zu erzwingen war, sondern wiederum durch das Ausscheiden der „Friedensstörer“ aus der häuslichen Gemeinschaft zu erreichen wäre, da er bereits das Gericht und den Gerichtsdiener zweimal habe seinen Stiefsöhnen „Ruhe gebieten“¹⁷⁹ lassen. Die Gerichtsherren entschieden aber im Sinne des häuslichen Versorgungszusammenhangs und der jüngeren Kinder, „daß kläger sich gegen seine frau und seine kinder gebührend zu benehmen und das übermäßige Branntweintrinckens sich zu enthalten habe“.¹⁸⁰ Hier spiegelt sich die bereits mehrfach aufgetretene Haltung der Gerichtsherren, die hausherrliche Autorität im Kern unangefochten zu lassen, zugleich aber deren Inhaber erheblichem Druck zur sittlichen Besserung auszusetzen. Aber nicht nur die Beziehungen zwischen den Generationen prägten familiäre Konflikte und Verhältnisse, auch Geschwister untereinander konnten die häusliche Stabilität durch Uneinigkeiten, Streit und körperliche Auseinandersetzungen gxefährden. Oftmals überschnitten sich diese dabei mit generationellen Konflikten, wenn ein Geschwisterteil benachteiligt wurde oder sich zurückgesetzt fühlte. So verklagte der Schlachtermeister Berkemeyer im April 1780 seinen Sohn wegen verbaler und körperlicher Gewalt gegen dessen Schwester und den Schwager. Der jüngere Sohn hatte offenbar einige Stücke „Zinnenzeug“ aus dem Haushalt seines Vaters holen wollen, in welchem mittlerweile aber auch seine Schwester und ihr Ehemann das Geschäft des Vaters übernommen hatten. Als es zu Uneinigkeit darüber kam, was dem Sohn denn zustünde, wurde dieser ungehalten.

178 Ebd. 179 Ebd., fol. 89. Das „Ruhe bieten“ findet sich in vielen Fällen, in denen der Ratsdiener in akuten Gewalttätigkeiten intervenierte, wie etwa 1792, als ein Ehemann gegen seinen Schwiegervater klagte, der nicht aufhörte seine Tochter, i. e. die Ehefrau zu prügeln, obwohl der Diener „Ruhe geboten“ habe. NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 245. 180 Ebd., fol. 86.

224 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Er trat den Vater aus dem Haus und schlug die zu Hilfe eilende Schwester mit einem Maßstock auf den Kopf. Obwohl sie „ihren Bruder in Artigkeit gesteuret, er solle doch Friede halten“¹⁸¹, ließ er seinem Ärger freien Lauf – selbst nachdem er von seinem Schwager vor die Tür gesetzt wurde, schimpfte er so wüst auf seine Familie, dass „viele Leute dazugekommen.“¹⁸² Nachdem die Version von Vater und Schwester durch den Zeugenbericht des Gesellen bestätigt worden war, wurde Berckemeyer junior zu 8 ß Strafe verurteilt und „zugleich wird ihm die Warnung gegeben, künftig friedfertiger sich gegen die Seinen zu betragen, wo nicht, so soll als dann härter wider ihn verfahren werden.“¹⁸³ Diese Friedegebote des Rates hatten allerdings nur mäßige Wirkung, bis in den Oktober hinein sind immer wieder kleinere Auseinandersetzungen insbesondere zwischen Berkemeyer junior und seinem Schwager zu finden, in denen beide jeweils mit Geldstrafen belangt und ermahnt werden, „sich künftig friedlicher zu betragen.“¹⁸⁴ Der Zusammenhang des Friedegebotes mit aktuell erfahrener bzw. verübter Gewalt ist auch hier deutlich nachzuvollziehen wie auch die Rückbindung an einen größeren Konflikt im Hintergrund, der mit den persönlichen Beziehungen zwischen Vater, Sohn, Schwester und Schwager zu tun hat – dessen Beilegung nicht im Zuständigkeits- und Kompetenzbereich der Gerichtsherren lag. Dass es aber auf das Verhalten und die Handlungsintentionen der Beteiligten ankommt, darauf verweist der Gebrauch des Adjektivs „friedfertig“, das wesentlich stärker auf die Intention des Akteurs abzielt als das allgemeinere „friedlich“. Die Beziehungen zwischen Geschwistern und Schwagern zeigte sich auch bei Gerichtsdiener Meyer. Er erhob eine Injurienklage gegen seine Schwester, die sowohl seine Frau als auch ihn selbst öffentlich beschuldigt haben sollte, die Mutter zu schlagen. Nach kurzer Klärung ist „den Parteyen friede und einigkeit empfohlen, und sämmtlich wieder ausgesöhnet.“¹⁸⁵ Ein nahes Verhältnis zu den Geschwistern des Ehepartners konnte aber auch für die ehelichen Beziehungen belastend werden. So beklagte sich die Ehefrau des Pförtners Möller im August 1790 über ihre Schwägerin und Nachbarin, dass diese „schon seit langer Zeit zwischen Klägerinne und ihrem Ehemann Unfrieden und Zanck anzurichten gesucht“, was sie aber geduldig ertragen hätte und der Schwägerin „bloß in güte ihr tadelhaftes verhalten vorgehalten habe.“¹⁸⁶ Der aktuelle Konflikt entspann sich an einem als

181 182 183 184 185 186

NLA OS Dep 3b IV Nr. 247 fol. 7. Ebd. Ebd. NLA OS Dep 3b IV Nr. 247 fol. 37. NLA OS Dep 3b IV Nr. 248 fol. 193. NLA OS Dep 3b IV Nr. 255 fol. 239.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

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Affront empfundenen Geschenk von einem Pfund Bohnen, das als Verletzung ihrer hausfraulichen Ehre angesehen wurde. „Unfrieden“ zwischen den beiden Frauen wurde offenbar bereits durch Verbalinjurien und Praktiken gestört, auffällig auch hier die Selbststilisierung der Klägerin als besonders friedfertig durch ihr „geduldiges Ertragen“ und einen „gütigen Tadel“. Beide Formulierungen zielen auf das normativ erwartete Konfliktlösungshandeln, wie es insbesondere Frauen in ihrer ausgleichenden, Temperament besänftigenden Art idealiter zugeschrieben wurde. Die Bedeutung von „Frieden“ in der Lösung familiärer Konflikte zeigt große Parallelen zu der in ehelichen Auseinandersetzungen. Oftmals war unmittelbare körperliche Gewalt vorausgegangen, die als grenzüberschreitend empfunden wurde. Auch familiäre Konflikte waren durch asymmetrische Herrschaftsbeziehungen gekennzeichnet, solange die Kinder noch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern standen. Allerdings konnten familiäre Beziehungen in einigen Konstellationen durchaus symmetrisch gedacht sein, etwa das Verhältnis von Geschwistern untereinander, von Schwagern und Schwägerinnen, aber auch dasjenige von Eltern zu ihren erwachsenen, in der vollen Verantwortung stehenden Kindern. In diesen Fällen wurde deutlich, dass es bei der Wahrnehmung von Störungen in der Beziehung viel stärker um grundsätzliche Verhaltensstandards ging, während asymmetrische Beziehungen sich durch Gewaltgebrauch und ungleichgewichtige Machtgefüge kennzeichneten.

3.3.3 Dienstverhältnis Ein ganz anders gelagertes Konfliktpotenzial im Hause bargen die Beziehungen der haushaltsführenden Eheleute zu den angestellten Dienstboten, die in einem sehr engen Kontakt zum familiären Alltagsleben standen und dessen Ablauf wesentlich organisierten und mittrugen. Obwohl die persönlichen Beziehungen zwischen Dienstboten und Hausherrschaft sehr viel stärker von ihrem Vertragscharakter her geprägt waren, so war für das reibungslose Funktionieren der Arbeitsteilung und -organisation doch ein Mindestmaß an gegenseitiger Anerkennung und Konsens notwendig, auch wenn die innerhäusliche Hierarchie ganz klar definiert war. Dabei war es durchaus nicht unüblich, ein gutes persönliches Verhältnis zur Herrschaft mit „Frieden“ zu charakterisieren. Dies lässt sich aus der mündlichen Klage der Anna Margaretha Voss aus dem nahegelegenen Kirchspiel Belm entnehmen, die ihren Dienstherren Ameling Meyer vor den Gerichtsherren wegen ungebührlicher Behandlung anklagte. Er habe sie auf den Kopf geschlagen und ihr zudem auf den nächsten Michael gekündigt, denn „sie sey ein Unglück in seinem

226 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Hause“.¹⁸⁷ Die Magd begründete ihr Unverständnis damit, dass sie nicht wisse, was sie ihm „zu leide gethan“ hätte, da „seine frau so wol als Mutter guten frieden mit ihr hätte.“¹⁸⁸ Wegen der Banalitäten der vom Hausherren angeführten „Verfehlungen“ (das gejätete Unkraut war in die Grube des Nachbarn entsorgt worden) und der ansonsten guten Führung wurde die Kündigung für nichtig erklärt und „beide zur Beobachtung ihrer Pflichten angewiesen.“¹⁸⁹ Auch in Dienstverhältnissen waren demnach der Bereich der persönlichen Beziehungen sowie deren Ausgestaltung mit einer Vorstellung von „Frieden im Hause“ verbunden und entsprachen damit den ethisch-moralischen Ansprüchen, wie sie in der Ratgeberliteratur vertreten wurden. Allerdings – und darin zeigen sich die deutlichen Unterschiede – ging man gerade in den literarischen Stereotypen eher von einer Störung des Friedens durch das Gesinde aus, das in vielen Schriften als ausgesprochen untugendhaft dargestellt wurde. Renate Dürr hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der sehr rigiden normativen Vorschriften für den Gesindestand einerseits die Vielschichtigkeit der sozialen Herkunft der Mägde ein gewisses Konfliktpotenzial barg, andererseits aber auch deren Lebenssituation selbst für Konflikte sorgen konnte. Denn ihre rechtliche Stellung entsprach der der Kinder des Hauses, auch wenn sie bereits im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt standen.¹⁹⁰ Aufgrund ihrer nicht unerheblichen Lebens- aber auch Diensterfahrungen konnten die Dienstboten einen „gebührlichen“ Umgang der Herrschaft erwarten, die ebenso wie das Gesinde ihren Pflichten als Dienstherren nachzukommen hatte – was der Rat im angesprochenen Fall auch nachdrücklich betont hatte. Aber auch das geringe Prestige des Gesindestandes konnte zu Konflikten im Haus führen, wenn die Dienstboten eines Haushaltes von außen bedrängt wurden. So klagte die Magd des Schulcollegen Haarmann, dass der Lehrbursche des Nachbarn sie beleidigt und auf den Kopf geschlagen habe. Da dieser gestand, selbst Anlass zu der Auseinandersetzung „durch Schimpfen in einem frömden Hause gewesen“ zu sein, wurde er zu einer Bußzahlung von einem Schilling verurteilt, beide Beteiligten aber ermahnt, „sich künftig friedfertig zu bezeigen.“¹⁹¹ Diese beiden Fälle sind die einzigen, die sich in den Gerichtsakten der Stadt Osnabrück für den Untersuchungszeitraum finden ließen, die eine engere Verbindung zwischen Friedensvorstellungen und der Integration von Dienstboten in die häusliche Wirtschaft und in das häusliche Beziehungsgefüge aufweisen. Es finden

187 NLA OS Dep 3b IV Nr. 245 fol. 111. 188 Ebd. 189 Ebd. 190 Dürr, Mägde, S. 105–107. 191 NLA OS Dep 3b IV Nr. 248 fol. 176.

3.3 Violationes Pacis: Konfliktfelder |

227

sich zahlreiche Gesindeklagen in den Protokollen, auch sie behandeln im Kern die häuslichen Arbeitsbedingungen; jedoch werden in den anderen Fällen nicht die hintergründigen Konflikte thematisiert, sondern die daraus resultierenden vorzeitigen Kündigungen beider Seiten, das Entlaufen aus dem Dienst oder ausstehende Lohnzahlungen. Hier zeigt sich bereits eine durch die Gesindeordnungen rechtlich anders gelagerte Beziehungsebene als dies in kernfamilialen Zusammenhängen der Fall war. In den meisten Gesindeklagen ging es daher um Tatbestände, die man anhand der Verordnungen verhandeln und entsprechend sanktionieren konnte. Dieser Befund verweist auf das sich im Laufe des 18. Jahrhunderts rapide wandelnde Verständnis des Gesindestandes und seiner Stellung innerhalb der häuslichen Ordnung. Das vertraglich geregelte Arbeitsverhältnis trat immer stärker in den Vordergrund vor der gleichwohl immer noch engen persönlichen Beziehung und der Abhängigkeit von der Herrschaft. Wenngleich größere vergleichende Studien für das 18. Jahrhundert im Alten Reich fehlen, weisen die Entwicklungen in angrenzenden europäischen Regionen eine ähnliche Tendenz auf und stützen die vereinzelten regionalen Untersuchungen.¹⁹² Dennoch scheint der aus den kirchlich ethischen Zusammenhängen bekannte „Frieden“ eine Beschreibungskategorie für eine intakte häusliche Ordnung dargestellt zu haben. Zugleich scheint sie aber ihre Relevanz in den Aushandlungsprozessen vor Gericht im Sinne einer die Billigkeit des eigenen Falles unterstreichenden Bezugnahme für das Gesinde verloren zu haben, während sie für die anderen häuslichen Beziehungsgefüge durchaus Bedeutung besaß.

3.3.4 Nachbarn Hatten sich die bisherigen Konflikte innerhalb eines Hauses im Sinne jenes Ensembles persönlicher Beziehungen zwischen den einer Haushaltung zugerechneten Menschen abgespielt, war die Situation etwas vielschichtiger, sobald die aus dem Haus heraus wirkenden Netzwerke der Nachbarschaft in Konflikte einbezogen wurde. Nachbarn und Nachbarschaft waren komplexe und existenzielle Beziehungsgefüge, in denen die Häuser einer Straße, einer Kreuzung, einer Ecke, einer Gasse, eines Platzes zu gegenseitiger sozialer Unterstützung und Hilfe, aber auch sozialer Kontrolle zusammengewachsen waren. In der Frühen Neuzeit besaßen

192 Vgl. hierzu Faye Jacobsen, Husbondret, S. 133–142 oder Hill, Servants, S. 115–223. Zum Osnabrücker Raum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. Schmidt-Voges, Frieden. Die Erforschung des Gesindewesens erstreckt sich für diesen Zeitraum im Wesentlichen auf das ländliche Gesinde und agrarische Lohnarbeit, vgl. Lesemann, Arbeit. Das Standardwerk für das städtische Gesinde im Alten Reich ist nach wie vor Dürr, Mägde.

228 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln sie ein besonderes Maß an regulativem Potenzial für die soziale Ordnung eines Gemeinwesens.¹⁹³ Im Unterschied zu „innerhäuslichen“ Konstellationen überschnitten sich in der Nachbarschaft persönliche Beziehungen mit beruflichen, geschäftlichen oder verwandtschaftlichen Beziehungen, nicht selten strukturierten Patenschaften und Hochzeiten nachbarschaftliche Gefüge über Generationen hinweg.¹⁹⁴ Konflikte mit und zwischen Nachbarn ergaben sich zumeist unmittelbar aus einer persönlichen Beziehung zweier Nachbarn heraus, oder wenn sich Nachbarn in eheliche oder familiäre Auseinandersetzungen einmischten. Das dafür notwendige persönliche Wissen um die jeweiligen Nachbarn, ihre Charaktereigenschaften, Gewohnheiten, Vergangenheiten, familiäre und berufliche Netzwerke konnte auf vielfältige Art erworben werden. Diese besondere soziale Formation der Nachbarschaft unterlag ihrerseits einem normativen Wertekanon, wie man sich in „guter Nachbarschaft“ gegenüber den anderen Nachbarn zu verhalten habe, der ebenfalls sehr eng und übergreifend auf das friedfertige Interagieren abhob.¹⁹⁵ Die Betonung der sozialen Harmonie mit der Nachbarschaft als einer der existentiellen Außenbeziehungen jedes Haushaltes stand in engem Zusammenhang mit der hohen Konfliktträchtigkeit, welche die zahlreichen Notwendigkeiten gegenseitiger Abstimmung mit sich brachten. Es lassen sich dabei drei Hauptkonfliktfelder ausmachen, in denen sich Auseinandersetzungen abspielten, die auf unangemessenes Verhalten oder schädigendes Handeln von Nachbarn zurückzuführen waren – und somit als eine Störung des Friedens wahrgenommen bzw. vor Gericht dargestellt wurden. Konflikte entstanden oft, wenn ein Streit um die Rückzahlung eines informellen Kredits oder die Herausgabe geliehener Gebrauchsgegenstände eskalierte. Daneben lassen sich aber auch Fälle finden, in denen sich Nachbarn ungebeten in innerhäusliche Angelegenheiten einmischten, sei es die Erziehung der Kinder, der Umgang der Ehepartner miteinander oder die Art und Weise der Kleintierhaltung. Schließlich findet sich noch eine besondere Form von nachbarlichen Friedensstörern, die im frühneuzeitlichen Verständnis allerdings nur bedingt als Nachbarn wahrgenommen wurden: Mieter, die mit ihrem Hauswirt in einem Hause wohnen. Mieter zählten definitiv nicht zum Haushalt

193 Zu Nachbarschaften in der Frühen Neuzeit vgl. ausführlich Boulton, Neighbourhood und Garrioch, Neighbourhood und in ihrer Bedeutung für die häusliche Ökonomie Hardwick, Family, S. 96–113; Eibach, Haus, S. 194–197. Zur sozialwissenschaftlichen Konzeptualisierung vgl. Günther, Nachbarschaft und Hamm, Nachbarschaft, passim. 194 Hierzu Kroll, Nachbarschaft, S. 403f. 195 Die zahlreichen Erwähnungen in der Haus- und Ratgeberliteratur sind sehr komprimiert bei Zedler zusammengefasst. Zedler, Art. Nachbar, Bd. 23, Sp. 53–58.Vgl. hierzu neuerdings Hahn, Nächster, S. 462f.

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ihres Mietwirts, andererseits werden sie fast nie als Nachbarn bezeichnet, zumal es sich in rechtlicher Hinsicht – ähnlich wie beim Gesinde – um ein rechtlich definiertes Vertragsverhältnis mit entsprechenden Regelungen handelte. Die Funktion von Mietern im Gefüge der nachbarschaftlichen Sozialbeziehungen war davon gleichwohl nicht berührt. Die wohnräumlichen Verhältnisse scheinen sehr unterschiedlich gewesen zu sein, sie reichten von der Vermietung einzelner Zimmer, die in die Wohnung der Hauswirte eingebunden waren, bis hin zu abgeschlossenen Wohnbereichen mit eigenem Eingang. Entsprechend unterschiedlich waren Zugang, Einsicht und Integration in die alltäglichen Abläufe der verschiedenen Haushalte.¹⁹⁶ Die zur Bewältigung des Alltagslebens notwendigen Arrangements eines möglichst reibungslosen Miteinanders gaben entsprechend unterschiedlich Anlass zu Konflikten. So klagte die Witwe Strepeheden 1777 gegen ihren Vermieter, den Soldaten Marcus Busch, er habe gemeinsam mit seiner Frau sie und ihre Tochter geschlagen und zur Erde gerissen. Im Verlauf der Untersuchung stellte sich heraus, dass der Vermieter sich bei der ebenfalls mit Strepeheden im Haushalt lebenden Großmutter über den Lärm der Kinder der Witwe beschwert hatte und mehr „Zucht“ eingefordert hatte. Daraufhin wurde diese ausfällig und antwortete, „sie sollte nicht meynen, daß es gehen solle, als wenn sie sagte, sie sch..-. . . was in die Obrigkeit.“¹⁹⁷ Es kam zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen dem Vermieterehepaar und den beiden mietenden Frauen – zu denen sich noch die Tochter gesellte –, der im Fortgang mit körperlichen Argumenten unterstrichen wurde. Der Obrigkeit in Person der Gerichtsherren blieb aber wenig anderes übrig, als „die Partheyen zur Ruhe verweisen.“¹⁹⁸ Die Mahnung zur Ruhe weist aufgrund des engen semantischen Zusammenhangs auf den Kontext der Friedfertigkeit, wenn der Appell in seiner Schärfe auch nicht mit dem „Friede gebieten“ zu vergleichen ist. Dementsprechend waren die Streitparteien darauf bedacht, im Wiederholungsfalle ihre besondere Affinität zum geltenden Wertekanon zu demonstrieren. So nannte die Witwe Strepeheden, als sie zusammen mit ihrer Tochter 15 Jahre später wieder von ihrer Vermieterin – die mittlerweile mit dem Soldaten Berg verheiratet war – vor die Gerichtsherren zitiert wurde, als Grund für ihre Einmischung in häusliche Angelegenheiten des Ehepaars Berg, dass sie „friedliebende Leute“ seien und der Hausvater seinen Sohn

196 Zur Thematik des Mietens und Mietrechts in der Frühen Neuzeit gibt es relativ wenige Spezialuntersuchungen, insbesondere im Hinblick auf sozial- und alltagshistorische Fragestellungen. Zum Mietrecht vgl. Löhnig, Miete, Sp. 482, Coing, Privatrecht, S. 278, 456–458 und Repgen, Sicherung, S. 146–159. Zur Sozialgeschichte des Mietens im 18. Jahrhundert vgl. Busch, Miete, passim. 197 NLA OS Dep 3b IV Nr. 244 fol. 36. 198 Ebd.

230 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln wie schon oft so „unbarmherzig“ geprügelte hätte, „daß Bek.[lag]tinn der dieses sehr zu Hertzen ging, aus Mittleide gedrungen“¹⁹⁹ gewesen sei. Diese Einmischung eskalierte, das Ehepaar warf ihrer Mieterin die übelsten Beleidigungen an den Kopf. Die Tochter, die inzwischen hinzugekommen war, wurde als „Franzosen-Canaille“ beschimpft, was sie ihrerseits mit der Replik parierte, „Ihr könnt mir überdem meine ehre nicht nehmen, um seiner guten Handlungen wegen ist euer erster Mann nicht auf dem Zuchthause gestorben.“²⁰⁰ Es mag diesen sehr ernst genommenen beiderseitigen Ehrverletzungen und der Vorgeschichte geschuldet seien, dass die Witwe und ihre Tochter einen Prokurator mit der Formulierung einer schriftlichen Eingabe betraut hatten. In seinem Recessus loco oralis bemühte er sich entsprechend, den friedfertigen Charakter der Witwe herauszustreichen, indem er sie als „friedliebende Leute“ charakterisiert, die trotz der massiven Injurien ihrerseits nicht geklagt hätten, „aus Liebe zum Frieden, und um mit denen streitsüchtigen Klägern /: von denen am Ende doch wenig zu erhalten ist:/ nicht zu hadern.“²⁰¹ Dem entspricht die Darstellung des Vermieters als „ein professioniste von Schlagen und Prügeln“, der allenthalben als ein streitsüchtiger Mensch bekannt ist [. . . ] Klägerin und deren Tochter sind friedliebende Leute, und besitzen lange nicht so viel Capacität, um dem Kläger und dessen Frau Gemahlin im Disputieren gleich zu kommen.²⁰²

Der Gebrauch der Worte „Liebe zum Frieden“ und „friedliebend“ ist in diesem Zusammenhang sehr deutlich zur Betonung der Schwarz-Weiß-Kontrastierung der beteiligten Streitparteien eingesetzt mit dem Ziel, die rechtsprechende Obrigkeit zugunsten der Mandantin zu beeinflussen. Ganz offensichtlich stellt sich hier in beiden Klagen der Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit, Ehrverletzung und Friedenssemantiken dar. Während in der ersten Auseinandersetzung die gewalttätigen Auseinandersetzungen Gegenstand der Verhandlung waren, stand im zweiten Verfahren die innerhäusliche Gewalttätigkeit des (neuen) Ehemannes zur Debatte. Die Beklagte rechtfertigte ihre als unrechtmäßig angeklagte Einmischung unter Hinweis auf die Abwendung einer violentia und zum Schutze des Kindes, indem sie sich ganz grundsätzlich als eine im Vergleich zu ihrem Vermieter als eine dem Frieden verpflichtete Person beschrieb. Nicht Aspekte des Hausens bildeten die Folie zum Ausbuchstabieren der „Friedfertigkeit“, sondern allgemeine Interaktionsformen, die als konfliktlösend und deeskalierend wahrgenommen und angesehen wurden. 199 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 155. 200 Ebd., fol. 155. 201 Ebd., fol. 156. 202 Ebd., fol. 155.

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Ganz deutlich zeigt sich der Unterschied zu innerhäuslichen – im Sinne innerhalb einer Haushaltung – Auseinandersetzungen in der Definition und Beschreibung von „friedfertigen“ Handlungsformen, gleichwohl unterstreicht es aber die Wichtigkeit, die man der Beachtung dieses Normenhorizontes für die Ausgestaltung der Ordnung der den sozialen Nahraum strukturierenden persönlichen Beziehungen innerhalb der vielschichtigen Netzwerke beimaß. Die Konsequenzen, die eine Nicht-Beachtung zeitigen konnte, traten auch hier klar zu Tage. Wenngleich der Procurator etwas übertrieben haben mag, so verweist er doch auf den engen Zusammenhang von sozialem Ansehen und Arbeitsmarktchancen, wenn er schreibt, dass vor allem die Tochter „ihre ehre über alles halten, dies auch ihr einziger und größter Reichthum ist, [. . . ] und wenn solches nicht bestraft würde, und sich weiter ausbreitete, niemalen eine Herrschaft wieder erhalten würde.“²⁰³ Für die ohnehin in prekären Verhältnissen lebenden Frauen wäre eine verweigerte Ehrenerklärung gleichbedeutend mit dem Verlust eines regelmäßigen Einkommens gewesen und hätte den Gang zur Armenversorgung zur Folge gehabt, so dass sich die vehemente Selbstdarstellung als Friedensengel ganz eng an das vitale Interesse des Ehrmanagements knüpfte. Es sind also neben der Bannung von lebensbedrohlicher Gewalt die mittelbaren Konsequenzen von gestörten persönlichen Beziehungen, die die Obrigkeit aus ganz utilitaristischen Gründen darauf pochen ließen, immer wieder das vielschichtige Netz von persönlichen Beziehungen durch Schiedssprüche zu regeln – wenngleich ihr kaum mehr Handhabe dazu gegeben war, als an den „Frieden“ zu gemahnen oder in härteren Fällen bekanntermaßen kontraproduktive Haft- und Geldstrafen zu verhängen. Sehr viel formaler gestaltete sich allerdings das „Friedegebot“ der Gerichtsherren, wenn es um Kündigungen und Mietforderungen ging, die im Zusammenhang mit unordentlichem oder unfriedlichem Lebenswandel der Mieter standen. Aus diesem Grunde hatte beispielsweise die Ehefrau Weinsstraße ihrem Mieter Lebrecht wegen seiner andauernden Ehestreitigkeiten fristlos gekündigt. Dagegen klagte dieser beim Rat, woraufhin ein Vergleich geschlossen wurde, demzufolge das Ehepaar bis Weihnachten zur festgesetzten Miete wohnen bleiben könne, aber „sonst mit seiner Frau sich friedsam und rechtschaffen aufführen, wo nicht, verpflichtet seyn solle, das Haus binnen 8 Tagen zu räumen.“²⁰⁴ Diese wenngleich kurze Notiz verweist auf ein sich ausbildendes Verständnis von „privater Ungestörtheit“ und einer Ehrökonomie des Hauses als Gebäude, da die Vermieterin ganz offensichtlich nicht als Intervention in die Ehekonflikte klagte, sondern deren Folgen als „Ruhestörung“ im Miethause wahrnahm. 203 Ebd., fol. 156. 204 NLA OS Dep 3b IV Nr. 248 fol. 276.

232 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Auch dem Ehepaar Mandelsloh gelang es 1789, ihren säumigen Mieter Bartels aus seiner Wohnung zu klagen, indem sie auf seinen unfriedlichen Lebenswandel abhoben, da Bartels „sie sehr im Hause beunruhige dennoch nicht weichen wolle.“²⁰⁵ Auch die Ehefrau Aggert verwaltete die Mietangelegenheiten in ihrem Haushalt und konnte erfolgreich ihren Mieter vorzeitig per Klage zur Räumung zwingen, da die Ratsherren dessen „unfriedlichen“ Lebenswandel als massive Störung der häuslichen Ordnung anerkannten.²⁰⁶ Auch hier zeigt sich die besondere Bedeutung von „Friedfertigkeit“ als Umschreibung der allgemein akzeptierten Verhaltensweise auch in Mietverhältnissen, zumal die Rechtsliteratur zum Hausfrieden Mietverhältnisse lediglich im Kontext der zu schützenden häuslichen Verhältnisse thematisierte.²⁰⁷ Nicht nur das Verhältnis von Mieter und Vermieter konnte problematisch werden, auch fortgesetzte Streitereien zwischen den Mietern untereinander konnten die Atmosphäre eines Hauses beträchtlich eintrüben. 1796 verklagte Maria Elisabeth Wellmann ihre Nachbarin, die Ehefrau Domaret, wegen fortgesetzter Beleidigungen und körperlichen Tätlichkeiten, die gar vom Ratsdiener unterbunden wurden. Der Vermieter bestätigte die Vorwürfe, so dass das Gericht entschied, dass „die Ehefrau Domaret in 1 ß Strafe condemnirt mit dem Bedeuten, daß wenn sie mit der Klägerin nicht friedlich leben würde, sie empfindlicher bestraft werde sollte.“²⁰⁸ Auch hier bezieht sich der Friedensrekurs auf die Ausgestaltung der persönlichen Beziehungen zwischen zwei Mietern, die mit Blick auf die allgemeine soziale Ordnung als verbesserungswürdig angesehen werden. Diese Argumentation findet sich auch 1798, als die Ehefrau Ahlbrink nach einer Ausnüchterung in der Marktwache des Morgens entlassen wurde mit der dringenden Ermahnung, „in der folge friedlich mit ihren Nachbarn zu leben auch sich des Gesöffs zu enthalten.“²⁰⁹ Ihre wohl durch den Alkoholkonsum mitunter recht unkontrollierte Art des Umgangs mit ihren Vermietern und Nachbarn war schon seit längerem gerichtsnotorisch bekannt, so hatte etwa die Nachbarin Klingen 1794 die Verbalinjurien der Ahlbrink angeklagt. Diese hatte die latente Not im Kling’schen Haushalt offenbar gemacht und Vorwürfe des Diebstahls und der Erschleichung von Lebensmitteln formuliert.²¹⁰ Die Tatsache, dass sich demnach die Auseinandersetzungen zwischen mietenden Nachbarn, die unter einem Dach wohnten, in einem Rahmen abspielten, der denen ehelicher und familiärer Konflikte vergleichbar war, zeigt in besonderer

205 206 207 208 209 210

NLA OS Dep 3b IV Nr. 255 fol. 86. NLA OS Dep 3b IV Nr. 257 fol. 228. So etwa bei Struve, Pace, Kap. 4, § 3 und § 24 sowie Kap. 5, § 4. (Vgl. Kap. 2.2.3). NLA OS Dep 3b IV Nr. 260 fol. NLA OS Dep 3b IV Nr. 262 Nr. 173. NLA OS Dep 3b IV Nr. 258 fol. 235–237.

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Weise, dass nicht nur die Haushaltung als Wirtschaftseinheit, sondern auch das Haus als umbautes, wohnräumliches Ensemble eine besondere Rolle spielte. Die Perspektive änderte sich nämlich deutlich, sobald es sich um Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn handelte, die jeweils eigenen Haushaltungen und Häusern vorstanden. Das lässt sich an einer schriftlichen Eingabe ablesen, die der Schlachtermeister Ferdinand Kroos 1768 als Replik auf die Klage seines Nachbarn Peistrup vor Gericht präsentieren ließ. Dieser hatte Kroos beschuldigt, auf seine Frau geschossen zu haben, die ihn wegen einer ausstehenden Schuldzahlung in seiner Schlachterei aufgesucht hatte. Er argumentierte dagegen, dass die Klägerin ihn zunächst „auf öffentlicher Straße“ als „Schelm“ und „Betrüger“ beschimpft habe und dies in seinem Hause fortgesetzt habe, in welches sie „wütend“ eingetreten sei. Daraufhin habe er „um solche grobe injurantin und Hausfriedensstörerin loß zu werden und Ruhe im Hauße zu erlangen dieselbe aus dem hauße zu stoßen sich genöthiget“²¹¹ gesehen – und da die Klägerin aber auf der Straße nicht aufhörte, ihn und seine Frau mit schweren Beleidigungen zu überziehen, habe er schließlich „in seinem Hauße licita facultate eine pistole mit losem pulver aus Kurtzweil loßdruckt, so den effect gehabt, daß darauf die Klägerin endlich mit ihrem öffentlichen schelten und schmähen eingehalten und in ihr Hauß gegangen.“²¹² In der Logik der Verteidigung wurde die Schuldfrage umgekehrt – nicht das Schießen sei eine unangemessene Reaktion auf eine berechtigte Schuldforderung, sondern die massiven, vorsätzlichen „öffentlichen“ Ehrverletzungen seien für das Anliegen der Schuldbegleichung völlig überzogen, zumal Kroos versprochen habe, die Schuld am nächsten Tage zu begleichen. Folgerichtig plädierte Kroos’ Prokurator darauf, dass „beklagter Kroos nichts strafbares begangen, wohl aber hingegen die Klägerin als wie grobe injurantin und Haußfriedens-Brecherin hochstrafbar sey.“²¹³ Der hier sich abzeichnende enge Zusammenhang von Injurien und Friedensbruch wird noch zentraler in einer Beschwerdeschrift eines Prokuratoren herausgestellt, indem die Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit wiederum nur den Höhepunkt einer Auseinandersetzung darstellt, die sich im Kern um geschäftliche Differenzen drehte. Der Prokurator Stuten schilderte die – einseitige – Eskalation eines Streites um ein gerichtliches Schreiben, die Franz Richter in einem Fall erhalten hatte, in dem Stuten die Gegenseite vertrat. Stuten gab an, er habe dem „mit den grössesten Ungestüm in mein Haus und zu mir in die Wohnstube“ gekommenen Richter nicht davon überzeugen können, dass nicht er, sondern der 211 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 247. 212 Ebd. 213 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 248.

234 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Vorsitzende Gerichtsherr Gerding die offenbar inkriminierenden Zeilen verfasst habe. Er betont, [d]iese sanftmüthige Begegnung that aber bey dem Beklagten Hausfriedens-Stöhrer die vermuthete Wirkung nicht, sondern er setzte sich in eine noch größere Raserey stosete mich vor die Brust riß mich zur Erden und würde seine Gewaltsthaten weiter praesequiret haben wenn nicht daruch den Zulauff der Nachbaren er seine intention vereitelt sehen müssen.²¹⁴

Dieser kleine Ausschnitt lässt einen Aspekt sehr deutlich hervortreten, der auch in den anderen Fällen des Hausfriedensbruches auftauchte: der emotionale Kontrollverlust, die Affektgeladenheit des Handelns, deren grundsätzlich negative Emotionalität, die einen sachlichen Konfliktaustrag als von vornherein recht unwahrscheinlich erscheinen lassen sollte. Nichtsdestotrotz betonen die Parteien ihr Bemühen um De-Eskalation und Friedewahrung, hier besonders markant hervorgehoben in der Gegenüberstellung von „Sanftmüthigkeit“ und „Raserei“. Wenngleich der Prokurator darin selbst zwar scheiterte, so konnte doch durch die Herstellung von Öffentlichkeit in Form der herbeigelaufenen Nachbarschaft der Friede gewahrt bleiben. Dennoch machte er mit Nachdruck deutlich, dass sich die Obrigkeit dieses angelegen lassen sein müsse, denn diese in einem Hause mir zugefügte Vergewaltigung ist bekandt [. . . ] und werden dahero Hochdieselbe [Richter, d. V.] zu Aufrechterhaltung öffentlicher Ruhe und Sicherheit den Beklagten als einen vorseetzlichen hausfriedensbrecher und Stöhrer der öffentlichen Sicherheit mit colatente Strafe zu belegen.²¹⁵

Noch viel deutlicher als in den anderen Fällen trifft hier die Zuspitzung des Hausfriedens auf die Markierung eines Schutzraumes, für dessen Sicherheit die Obrigkeit als zuständig angesehen wurde – unbesehen effektiver nachbarlicher Selbstregulierungen. Auch gut zwanzig Jahre später lassen sich exakt die gleichen Argumentationsstrategien feststellen, wenn Prokurator Hendel sich 1790 über die „Stöhrung und Beunruhigung in seinem eygenen Hause“ durch den Kaufmann Friedrich Schultz beschwerte. Auch hier eskalierte eine Auseinandersetzung zwischen dem Kaufmann und dem Prokurator als Vertreter der Gegenpartei in einem Handelskonflikt, auch hier betonte Hendel immer wieder sein Bemühen um Deeskalation durch ostentative „Nachgiebigkeit“, „Freundlichkeit“, „Geduld“, „Gelassenheit“, „Bescheiden“, „Güte“ und „Zutrauen“, die gleichwohl nichts fruchteten. Auch hier wurde Schlimmeres durch das „öffentlich machen“ in der Nachbarschaft verhindert. Auch er beschwor den Zusammenhang von Hausfriedensbruch und

214 NLA OS Dep 3b IV Nr. 237 fol. 142. 215 NLA OS Dep 3b IV Nr. 237 fol. 143.

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öffentlicher Ruhe und Sicherheit in markanter Art: „so dass er die „Unruhe, die ich diesewegen heute gehabt“ beklagte und konstatierte: [A]uf öffentliche Straßen und Wegen, mag dergleichen wol vorgefallen seyn, in der Stadt in seinem eygenen Hause und seiner eigenen Stube auf eine solche Art ataquiret zu werden, davon mag dieses wol der einzigste Vorfall seyn.²¹⁶

Trotz der hohen Übereinstimmung in den Argumentationsstrategien lässt sich aber eine wesentliche Veränderung bezüglich der Beschreibung der häuslichen und familiären Umstände erkennen. Während Stuten 1769 häusliche Umstände allein aus seiner Geschäftsfunktion heraus beschrieb, malte Henkel auch das Bild einer familiären Idylle, die durch das Auftreten Schultzes massiv gestört worden sei und in der „schwächlichen Konstitution“ seiner Tochter eine Personifikation gefunden zu haben schien. Auch hier lässt sich also das allmähliche Eindringen gewandelter häuslicher Ideale feststellen, denen hier eine ganz entscheidende atmosphärische Wirkmächtigkeit zur Beurteilung des Fehlverhaltens zugemessen wurde. Während also in diesen Fällen zwar der Hausfriede zentral in die Argumentation einfloss, um ein als inakzeptabel empfundenes Verhalten zu benennen, war die Feststellung eines Hausfriedensbruches unter Verweis auf die juristische Literatur dann von existentieller Bedeutung, wenn die gesamte juristische Einordnung eines Konfliktes davon abhing. So hatte der Barbiergeselle beim städtischen Chirurgus Kerckmann seinem Berufskollegen, Stadtmedicus Dr. Hildemann eine Injurienklage angehängt, die im Wesentlichen auf Verbal- und Realinjurien beruhte, die Hildemann ihm gegenüber sowohl in Hildemanns Haus, als auch in Kerckmanns Haus begangen haben sollte. Hintergrund war offenbar ein Techtelmechtel zwischen der jüngeren Schwester Hildemanns und dem Gesellen Brinckmann, dessentwegen Hildemann als Vormund seiner Schwester dem Brinckmann „eine correction“ erteilen wollte. Hildemann habe ihn in sein Haus zitiert, ihn dort schwer verprügelt und sei am Abend desselben Tages in Kerckmanns Haus gekommen mit den Worten: „Ich will den Canallien Teuffel tod machen und unter meinen Händen soll der verfluchte junge sterben.“²¹⁷ Obwohl der Geselle nicht auffindbar war, habe er dennoch mit Beleidigungen in Kerckmanns Hause fortgefahren in einem Maße, dass die Nachbarn zusammenliefen. Kerckmanns Prokurator plädiert daraufhin auf Hausfriedensbruch mit Hinweisen auf Carpzovs Standardwerk.²¹⁸ 216 NLA OS Dep 3b IV Nr. 255 fol. 453. 217 NLA OS Dep 3b IV Nr. 238 fol. 105. 218 „Domus namque sua latissimum cuique debet esse refugium. Carpzov part 4, const. 13 des. 9 ii 9. Ex minimum factum contra civem in domo sua susceptum pro vi publica habetur Barboso loc. Commun. Lib. 4 c.63 ux 5 ibique citati.“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 238 fol. 105.

236 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Dieser Sachverhalt wurde von Hildemann aber mit der süffisanten Bemerkung beiseite gewischt, es stünde in den zitierten Stellen nichts davon, dass die „correction“ eines Gesellen in Gegenwart seines Herrn „den lieben Haußfriede“ brechen würde, sondern „Minimum factum contra civem in domo suo susceptum etc. Wo ist aber der civis, wo ist dessen Haus?“²¹⁹ Auch wenn der Ausgang dieses Rechtsstreites nicht überliefert ist, zeigt sich hier doch zum einen das Interpretationspotential juristischer Kommentarliteratur zum Hausfrieden, zum anderen werden auch Standesunterschiede erkennbar, die hier ganz offensichtlich zum Tragen kommen: zwischen dem approbierten honorigen Stadtmedicus und dem Gesellen einerseits, und zwischen Stadtmedicus und dem ihm untergeordneten Chirurgus andererseits. Denn ganz offensichtlich ging Hildemann davon aus, dass er mit der Strategie, den Gesellen nicht zum Haushalt seines Herren und damit nicht seinem Schutze und Hausfrieden unterstehend zu rechnen, Erfolg haben könnte. Auch das verweist auf das Eindringen sich verändernder Denkmuster, die inzwischen – und sei es aus utilitaristischer Absicht – Aussicht auf Anerkennung fanden. Hildemann war in dieser Hinsicht auch durchaus ein versierter und geübter Agitator. Bereits 1769 hatte er den in der weiteren Nachbarschaft wohnenden Hautboisten Reinkasten beschuldigt, er habe ihm „grobheiten die die Ehre kräncken ohne die mindeste dazu gegebene Anleitung“ an den Kopf geworfen, die „den friedsamsten Bürger bewegen müßen, dergleichen beunruhigende Leute zur Thüre zu bewegen.“²²⁰ Der Militärmusiker hatte allen Grund ausfällig zu werden, da Hildemann die Begleichung einer Schuld von 4 ½Rthl. für eine Flöte immer wieder hinauszögerte. Hildemann versuchte in diesem Fall, die Beleidigungen und tätlichen Angriffe mit Hilfe der Selbststilisierung als „friedsamer Bürger“ als Anlass für eine Verurteilung des Hautboisten zu positionieren – selbst unter Androhung einer Klage vor der hannoverschen Kriegskanzlei. Wenngleich das Gericht sich nicht von seinen kunstvollen Formulierungen beeindrucken ließ und den Arzt zur sofortigen Zahlung anwies, zeigt sich auch das Bemühen, sich selbst durch den Rekurs auf die Friedenssemantik in einem positiven Lichte darzustellen – vor allem in Verbindung mit dem Begriff „Bürger“, was die Sorge um das Gemeinwohl ausdrückt. Die Verknüpfung des eigenen Friedens, der persönlichen Integrität mit Fragen der „öffentlichen Sicherheit und Ruhe“ taucht immer wieder auf und verweist auf die Stellung der Nachbarschaft als soziales Netzwerk zwischen häuslicher und „republikanischer“ Ordnung. So klagte 1790 ein Fuhrmann, dass seine Frau „nicht mit ruhe über die Straße gehen; sondern verfolgten sie [zwei Gesellen aus der

219 NLA OS Dep 3b IV Nr. 238 fol. 108. 220 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 273.

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Nachbarschaft] mit den argsten Schimpfrede, wogegen er Ruhe und Bestrafung verlange.“²²¹ Der Bezug zu einer expliziten Friedensvorstellung ist hier nur durch das weitere Wortfeld der „Ruhe“ gegeben, gleichwohl zeigt sich hier auch die unmittelbar angewandte Beendigung von verbaler Gewalt durch die städtische Obrigkeit. Aufklärerisch inspirierte Erklärungsansätze finden sich auch in den Erläuterungen zu einem Raubüberfall, der aber wesentlich auf der Basis des Tatbestandes des Hausfriedensbruches als „summarische causa“ abgehandelt wurde. Johann Christoph Kramer hatte im Februar des Jahres 1771 eine Bäckerei in der Osnabrücker Neustadt betreten und wollte ein Stück Käse erstehen. Da er jedoch kein Geld bei sich hatte, verweigerte die Bäckersfrau die Herausgabe des Käsestücks, woraufhin Kramer ein Messer zog: um ihr den Hals durchzuschneiden, wie die Bäckersfrau angab, um es als Unterpfand für das ausstehende Geld anzubieten, wie Kramer beteuerte. Die Voruntersuchungen zu diesem Fall sind leider nicht erhalten, nur die abschließenden Verhandlungen im Rat, die von Unschlüssigkeit geprägt waren, wie in diesem Falle zu verfahren sei. Denn offenbar war Johann Christoph Kramer häufiger durch ähnliche Vorfälle aufgefallen und man suchte nach einer Möglichkeit, ihn aus der Stadt zu verweisen.²²² Eine strafrechtliche Verfolgung im Sinne des Raubes war aber nicht haltbar, da keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bestanden habe. Gleichwohl, führt Bürgermeister Gerding in einem sehr ausführlichen Memorandum vor seinen Ratskollegen aus, „wird das delictum wohl richtiger ein vis privata cum violatione pacis domestica benennet werden müssen.“²²³ Er führt nahezu die gesamte juristische Literatur zum Thema an und fährt fort, da nun eine unbewaffnete Tat vorliege, könne die Zuerkennung des Hausfriedensbruches zumindest strafverschärfend wirken, denn „eine jede Obrigkeit auch schuldig ist, ihren Bürgern ruhe und sicherheit in ihren Häusern zu verschaffen.“²²⁴ Schließlich einigte man sich darauf, Kramer zu acht Tagen Zibürken²²⁵ zu verurteilen; nach sechs Tagen wurde die Strafe auf Ersuchen des zuständigen

221 NLA OS Dep 3b IV Nr. 255 fol. 413a. 222 „Die bewegursache, wieder den Kramer fiscaliter zu versetzen, weil er der Weierschen mit einem Messer gedrohet und sie dadurch ihm Käse zu geben genöthiget worden, war in Senatu gestern, daß man auf solche weise seiner loßwerden und ihn verweisen könnte.“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 47a. 223 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 46a. 224 Ebd. 225 Der Begriff Zibürgken (auch: Zibürken, Zibürchen) bezeichnete ein kleines, finsteres Gefängnis (nds. „Hundeloch“). Es konnte aber auch eine kleine Kammer in städt. Hallenhäusern gemeint sein, in der eine Magd die Haustür und den Zugang zur Diele beaufsichtigte. Richey, Idioticon, S. 349; Krünitz, Bd. 26, S. 346f. Wo genau in Osnabrück der ganz offensichtlich als Detentionsraum

238 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Pastors erlassen, da die mittellose und kranke Ehefrau die Kosten nicht länger tragen konnte. Diese Konfliktfälle zeichnen sich durch einen ganz anderen Aspekt dessen aus, was man unter der Ressource Haus verstehen konnte. Hier ging es nicht um das Haus als einen sozialen Raum, sondern um den durch das Gebäude markierten materiellen Raum, der einen besonderen Schutz vor äußerer Gewalt bot. Dieser Hausfrieden – verstanden als die Sicherheit von Eigentum, Körper und Ehre der Bewohner – wurde nicht durch Fehlverhalten von innen heraus gefährdet, sondern durch Gewalteintrag von außen, der nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem häuslichen Leben im Inneren des Gebäudes stehen musste. Ganz im Gegenteil wurde die innere Harmonie in den Eingaben ja als ebenso beständig wie verletzlich dargestellt, um den Anschein von Brutalität der von außen eindringenden Gewalt noch zu verstärken. Sehr viel unmittelbarer kommt in diesen Konflikten auch der Bezug zur „öffentlichen Sicherheit“ zum Ausdruck, die auf die Schutzfunktion der Obrigkeit hinwies; nicht zuletzt deshalb, weil mit dem Tatbestand des Hausfriedensbruchs auch eine Rechtsnorm tangiert war, über die im jurisdiktionellen Sinne ganz anders verhandelt werden konnte. Für nachbarschaftliche Zusammenhänge ist der Friedensbegriff im Rahmen mikropolitischer Ordnungsprozesse von einer ganz ähnlichen Bedeutung wie in innerhäuslichen Konflikten – da die Nachbarschaft ein für die Existenz jeder Haushaltung, jedes Hauses unabdingbar notwendiges Beziehungsnetzwerk darstellt, das seinerseits charakteristische Konflikte aufwies. Je näher diese Konflikte jeweiligen häuslichen Bezügen stehen, umso stärker wird auf die ethisch-moralischen Aspekte der grundsätzlichen Friedfertigkeit im Umgang mit den Mitmenschen eingegangen. Je stärker jedoch nachbarschaftliche Beziehungen bzw. einzelne Konflikte im Mittelpunkt stehen, desto eher rekurrierte man auf „Frieden“ im Sinne der Bannung von unmittelbarer Gewalt aus dem Verhältnis von Nachbarn. Damit einher geht auch eine Verschiebung der Fokussierung auf das Haus von einem sozialen Raum mit bestimmten sozial erwünschten Verhaltensmustern hin zum umbauten Raum, als eines von der „Öffentlichkeit“ der Straße klar abgegrenzten Raumes des Friedens. Der Bezug zu einer Vorstellung des Hausfriedens als Sicherheit vor Gewaltanwendung kommt immer stärker zum Vorschein.²²⁶ Dementsprechend lassen sich in jenen Fällen, in denen im engeren juristischen Sinne der Hausfriedensbruch verhandelt wird, neben geschäftlichen Beziehungen

genutzte Zibürken lag, ist nicht eruierbar. Hinweise deuten auf einen Raum im Kellergeschoss des Rathauses („Wohnungen in Gefängnisse umgewandelt“ NLA OS Dep 3b II Nr. 566) oder der Bürgerwache am Markt neben der Marienkirche. Der „Turm“ war der so genannte Bürgergehorsam, ein Wehrturm der äußeren Stadtmauer nach Westen. 226 Vgl. hierzu auch Schmidt-Voges, Nachbarn, S. 414–416.

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relativ viele nachbarschaftliche Konflikte finden, die dem gebrochenen Hausfrieden zugrunde liegen. Gleichwohl spielt die Markierung der Grenze jeden Hauses eine entscheidende Rolle in der Definition der Handlungsspielräume für Frieden störendes oder sicherndes Verhalten.

3.3.5 Fazit: Hausfriedensbruch oder Unfrieden? Der Blick auf die verschiedenen Konfliktfelder, die in den Osnabrücker Fällen als eine violatio pacis wahrgenommen wurden, hat die große Variabilität hinsichtlich möglicher Konfliktanlässe deutlich gemacht, die vielfach in den alltagsbezogenen Herausforderungen der häuslichen Ökonomie begründet lagen. Die Konfliktursachen wurden in den Aussagen der Streitparteien und der Zeugen aber überwiegend in problematischen Beziehungskonstellationen gesehen, die ganz wesentlich durch eine starke Emotionalität und Affektgeladenheit charakterisiert waren. Gerade die in der Ehe- und Hausliteratur geforderte Mäßigung der Leidenschaften und Affektkontrolle, die zur erfolgreichen Führung einer Ehe und einer Haushaltung als unabdingbar angesehen wurden, wurden vor allem in Konfliktsituationen zum Prüfstein der Stabilität einer Beziehung und einer aufeinander eingespielten emotionalen und sozialen Intelligenz bzw. Kompetenz. Die Konflikte waren im Haus und seinen Rollenmodellen strukturell angelegt, was sich insbesondere in der Widersprüchlichkeit der Konzeptualisierung von ehelichen Beziehungen zwischen hierarchischer Unterordnung und emotionaler Partnerschaft am deutlichsten zeigte – eine Tatsache, der man sich bewusst war und die deshalb ja auch den Schwerpunkt der Ehe- und Hausliteratur bildete. Empirisch hatte sich aber auch die Eltern-Kind-Konstellation als problematisch erwiesen, sobald generationelle Umbrüche die eingeübten Rollen und damit verbundenen Handlungsmodelle und -kompetenzen in Frage stellten – ein Konfliktfeld, das in der normativen Literatur nicht diskutiert wurde. Beide Aspekte können als instabile Momente der häuslichen Ordnung angesehen werden, deren Stabilisierung ausschließlich vom Verhalten und von den Handlungsdispositionen der Beteiligten abhing. Entsprechend deutlich war die ausschließliche Thematisierung von Frieden und friedensbezogenen Handlungsmustern anhand der theologisch-ethisch formulierten Forderungen nach Friedfertigkeit und Friedsamkeit im Umgang mit den Nächsten. Die Bedeutsamkeit dieser außerjuristischen Normativität von Frieden lässt sich ablesen an der engen Koppelung mit den Handlungs- und Verhaltensweisen, die mit den jeweils zur Disposition stehenden Rollenmodellen verknüpft waren. Im Gegensatz dazu steht das Fehlen solcher Friedenssemantiken in Dienstkonflikten, was im Wesentlichen auf den bereits hohen juristischen Regelungsgrad dieser Beziehungsform in Gesindeordnungen im späten 18. Jahrhundert zurückzuführen ist.

240 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Die Komplexität und teilweise Überlappung verschiedener Normen häuslichen Friedens zeigte sich in den nachbarlichen Konflikten. Spielte sich der Konflikt zwischen Nachbarn innerhalb eines Haus-(gebäud-)es ab, rekurrierte man in den meisten Fällen auf ethische Konzepte der Friedfertigkeit, die bestimmte Verhaltensweisen von Nachbarn – sei es gegenüber anderen Nachbarn oder gegenüber ihren Familien – als „unfriedlich“ und damit außerhalb eines als tolerierbar markierten Interaktionsspektrums stehend charakterisiert wurden. Wurden allerdings bauliche Grenzen verschiedener Häuser im Laufe des Konfliktes überschritten, konnte auch der Tatbestand des Hausfriedensbruches eingeklagt werden. In den meisten hier behandelten Fällen zeigt sich, dass expliziter Hausfriedensbruch immer im Zusammenhang mit Injurienklagen auftrat, seien es physische Gewalttätigkeiten oder Verbalinjurien mit massivem körperlichem Bedrohungspotenzial. Die offenkundige Wichtigkeit der räumlichen Situierung der Konflikte als außerhalb und zwischen zwei Häusern oder innerhalb eines Hauses – unabhängig davon, ob es sich um zwei Haushaltungen handelte, oder nicht – verweist auf die enge Verknüpfung sozialer und physischer Räume im frühneuzeitlichen Ordnungs- wie auch Konfliktgefüge und damit auch in den Friedens- und Sicherheitskonzepten. Entscheidend für die Wahrnehmung und die Art der Behandlung all dieser vielfältigen häuslichen Konflikte war nicht die Tatsache der Existenz der Konflikte selbst; diese wurden durchaus als selbstverständlicher Teil sozialer Existenz angesehen und in den konfligierenden Rollenmodellen wie gesehen reflektiert. Interessenkonflikte – seien sie ökonomisch aus dem Streben nach Existenzsicherung bestimmt oder durch widersprüchliche Erfordernisse sozialer Identitäten wie am Beispiel des Trinkens gesehen – verdichteten herausfordernde Rollenkonstellationen zusätzlich. Die Typologisierung der Konflikte anhand einzelner häuslicher Beziehungskonstellationen hat gezeigt, wie sehr die normativ geformten Rollenmodelle und -semantiken die Klagerhetoriken prägten und spezifische „Friedenserwartungen“ an die jeweiligen Akteure herantrugen. Die enge Verflechtung der verschiedenen Positionen innerhalb des Hauses sowie in die Nachbarschaft hinein war zwar im 18. Jahrhundert vielfach noch von existenzieller Notwendigkeit. Dies hatte aber zur Folge, dass eskalierende Konflikte selten auf den Kern beschränkt blieben, sondern vor allem bei längerer Dauer auch die anderen Beziehungen und Netzwerke miteinbezogen. Die Überlagerung mehrerer Konfliktfelder und konflikthafter Beziehungen spiegelte die enge Verflechtung von Eheleuten, Kindern, Gesinde und Nachbarn wider; es galt hier, nicht nur den Kern eines Konfliktes zu markieren, sondern vor allem ein funktionierendes Gesamtgefüge wiederherzustellen. Im Folgenden sollen deshalb fünf Fallstudien betrachtet werden, die je spezifische Konfliktkonstellationen repräsentieren, die quer zu den bisher untersuchten Konfliktfeldern stehen, die ja im Wesentlichen die aristotelisch geprägte theoretische

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Struktur des Hauses reflektierten. In diesen Fällen werden drei stärker auf die inneren Beziehungsstrukturen abhebende Problemstellungen diskutiert: Der erste Fall verhandelt Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume der hausväterlichen Autorität im Spannungsfeld von Geschlechter- und Generationskonflikten. Der zweite und dritte Fall werfen je ein Licht auf die Problematik männlicher bzw. weiblicher Hierarchien im generationellen Transformationsprozess eines Hauses. Die beiden letzten Fälle stehen für Aspekte der externen Intervention und der Einbeziehung von nachbarschaftlichen Netzwerken in häusliche Konflikte, wobei gerade die Störung der Nachbarschaft und die Bedeutung des Konfliktes für die Ordnung „außer Haus“ eine zentrale Rolle spielen. Liegt der Schwerpunkt im ersten Fall stärker auf den Problemen der Grenzziehung zwischen inner- und außerhäuslichen Konfliktbereichen und -zuständigkeiten, zeigt der zweite Fall eine hohe Verdichtung von innerhäuslichen und nachbarschaftlichen Konflikten, die sich in einer besonderen Verdichtung und Verschmelzung ethischer und juristischer Friedenssemantiken widerspiegelt.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien Der Blick auf die möglichen Konfliktfelder im häuslichen Beziehungsgefüge hat deutlich werden lassen, dass neben der grundsätzlich hohen Konfliktanfälligkeit in der frühneuzeitlichen Knappheitsgesellschaft gerade die doppelte Konzeptualisierung der häuslichen Ordnung als politisch fundamentales Herrschaftsmodell UND als soziales Beziehungsgefüge die strukturellen Grundprinzipien zweier verschiedener Ordnungsprozesse miteinander verbinden musste. Die persönlichen Beziehungen wie auch die Einbindung in die sozialen Netze von Nachbarschaft und Verwandtschaft waren von entscheidender Bedeutung nicht nur für eine möglichst genaue Analyse der Konfliktumstände durch die Gerichtsherren, sondern auch für den Prozess der (Re-)stabilisierung der häuslichen Verhältnisse. Ob ein häuslicher Friedensschluss gelingen und zu einer dauerhaften Befriedung führen konnte, hing damit entscheidend auch von der Einbeziehung der sozialen Umwelt eines Hauses ab. Warum dies so war, welche Funktionen diese für die Befriedung häuslicher Konflikte übernehmen konnte und welche Bedeutung dabei der Gebrauch des Friedensbegriffs in der Kommunikation vor Gericht zukam und warum es sich bei diesen Ordnungsprozessen um politische Prozesse auf Mikroebene handelte, sollen im Folgenden anhand der fünf Fallstudien gezeigt werden. Sie zeichnen sich zum einen durch eine besonders umfangreiche Quellenlage aus und weisen zum anderen Konfliktkonstellationen auf, die über die aristotelische Segmentierung hinausgehen und damit stärker die soziale Alltagspraxis von Häusern im 18. Jahrhundert aufgreifen.

242 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln 3.4.1 Herausforderung hausväterlicher Autorität Der 54-jährige Knopfmacher Johann Wilhelm Balcke reichte im März 1768 eine schriftliche Klage gegen seine Ehefrau und seinen 24-jährigen Sohn bei den Gerichtsherren ein, die er um „Beystand“ bei der Wiederherstellung seiner hausväterlichen Autorität bat:²²⁷ 1tens Klage ich, dass mein sohn anno 1765 den ersten Pfingsttag morgen, wie ich darin zu wieder war, dass er einen Stock gekauft hat und ihm mein spannisch rohr anpraesentirte, zu mir gesaget hat, dass er mich vor keinen rechtschaffenen vater erkennete. 2tens 14 tage nach Johannis selbigen Jahres, als ich meine ältigste tochter weil sie mir grob begegnete, eine ohrfeige gab, sprang mein frau darzu und schlug mir ins angesicht ob ich gleich sie noch niemahls berühret habe. 3tens am 2ten Erndtetag 1765 hat mein Sohn mir in gegenwart seiner Mutter für einen doppelten Schelm ausgescholten. 4tens hat er mir vor eine einäugigen Schelm gescholten. 5tens 1767. hat H. Magister Hickmann²²⁸ meine frau vorgehabt dass sie mit mir als ihrem Ehemann in ruhe und friede leben sollte, welches sie zwaren auch angelobet und sich mit mir versöhnet, aber nicht ein mahl eine stunde ruhe gehalten. 6tens hat mein Sohn in vorigem jahr mich für einen infamen Schelm gescholten, als ich ihm bey den H. Dr. Blecken verklagen wolte. 7tens den. 22. Jan 1768 hat er mir beyde armen feste gehalten, damit seine Mutter mich desto besser ins angesicht und kahlen kopf schlagen könte. 8tens als ich Ihm vor ohngefehr ein Monath eine Correction gab, dass er ein fauler, mäßiger Hengst wäre, hat Er mir in andtwort ertheilet ich wäre ein Ruhne [Wallach, ISV] und nicht sein Vater, ein Schelm wäre sein Vater. Weswegen ich ihm damahls von der Obrigkeit hand und mund verbieten lassen. 9tens an vorigen Dienstag bin ich von meiner frau und sohn sehr übell zu gerichtet und geschlagen worden, umb des willen dass ich meiner Tochter eine correction gab, dass sie so lange aus dem Hause geblieben und zu rechter Zeit das Mittag nicht gekocht hätte. 10tens wird mir von meinem Sohn offt vorgehalten und auf der gaßen nachgeruffen ich fräste bey ihm das gnadenbrodt sollte zur obrigkeit gehen, dass ich unterhalt bekäme. Bey allem obigen ist meine frau und mein sohn jedes mahl mit zu gegen gewesen und hat den sohn in seiner boßheit gestärket.²²⁹

Ganz offensichtlich sah der Kläger seine hausväterliche Autorität in einem solchen Maße untergraben, dass er den Rat als Ordnungsmacht zu Hilfe rief. Wenngleich seine Frau formal im Mittelpunkt stand, verlief die Hauptkonfliktlinie aber viel 227 Johann Wilhelm Balcke, get. 06. 01. 1714, Eltern: Johann Wilhelm Balcke, Catharina Margarethe Sirach (Taufbuch St. Marien, S. 180), Hochzeit mit Anna Elisabeth Pohlmann am 6. 11. 1737 in St. Marien. 228 Es handelt sich um Johann Dietrich Hickmann († 1787), zum Zeitpunkt des Konflikts Hauptpastor von St. Marien. Vgl. Anhang Tab. 3 und Meyer, Pastoren, S. 240f. 229 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 159.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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deutlicher zwischen Vater und Sohn. Die beiden Angeklagten, Mutter und Sohn, stritten die Vorwürfe in der Befragung nicht ab, deuteten aber immer wieder einen tiefer liegenden Grundkonflikt an. Diesen führte der Sohn dann in einer der Rechtfertigung seines Verhaltens dienenden schriftlichen Eingabe aus, die aufgrund der ungeübten Handschrift und der besonderen Orthographie offensichtlich von ihm selbst verfasst worden war.²³⁰ Demnach hatte sich die Situation der Familie seit etwa 1755 deutlich verschlechtert. Im Jahr zuvor waren zwei der sechs Kinder²³¹ am selben Tage begraben worden,²³² der Vater zog sich offenbar ein Augenleiden zu, dass es ihm schwer machte, sich seinem Handwerk der Knopfmacherei soweit zu widmen, dass die Familie davon leben konnte.²³³ Der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges bot ihm offensichtlich aufgrund der Position Osnabrücks²³⁴ die Möglichkeit, sich als Laufbote zu verdingen und so den Unterhalt zu bestreiten. Auch sein jüngster Sohn Johann Friederich sollte als Botenjunge Geld verdienen. Diesem missfielen die Art der Arbeit und, wie er angab, der maßlose Alkoholkonsum in diesen Kreisen, so dass er sich entschlossen habe, die väterliche Werkstatt wieder zu eröffnen und als Knopfmacher den Haushalt zu bestreiten.²³⁵ Nach der Rückkehr zur handwerklichen Tätigkeit und dem Verlust der kriegsbedingten Einkommensquelle verschärfte sich der Konflikt zwischen Vater und Sohn, was dieser auf eine fehlende Übereinstimmung zwischen Anspruch und Wirklichkeit hausväterlichen

230 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 156–158. 231 Im Taufbuch von St. Marien sind genannt Anna Elsabein, get. 1738 (S. 374), Beate Anna, get. 14.5.1740 (S. 389), Christian Wilhelm, get. 1.5.1741 (S. 396), Johann Friederich, get. 3.9.1743 (S. 412), Maria Elisabeth, get. 1.8. 1746 (S. 427) und Gerhard Heinrich, get. 26.2. 1749 (S. 431). 232 Vgl. Verläuteregister St. Marien NLA OS Dep 12b, 31.1.1754: Knopfmacher Balckes 2 Kinder. Vermutlich handelt es sich um Christian Wilhelm und Gerhard Heinrich, da zur Prozesszeit außer dem Beklagten Johann Friedrich nur lebende Töchter erwähnt werden. Einblick in die prekäre Ökonomie geben Vormundschaftsprotokolle, da Johann Wilhelm Balcke zudem 1758 bzw. 1764 zwei Kinder als Vormund in seine Obhut genommen und dafür Geld erhalten hatte, welches nach seinem Tode zu entsprechenden Konflikten führte. NLA OS Dep 3b IV Nr. 302, S. 132f. 233 Die Knopfmacher waren in Osnabrück nicht zünftisch organisiert. Obwohl Mösers Gewerbepolitik auf eine Stärkung der Zunftstruktur setzte, beantragten die Knopfmacher noch 1817 vergeblich einen Zunfteintrag. NLA OS Dep 3b IV Nr. 593, fol. 28r. 234 Zur Geschichte Osnabrücks im Siebenjährigen Krieg vgl. Asch, Osnabrück, S. 264–266 und Carl, Okkupation, S. 51–58. 235 „[. . . ] im Kriege da legte er seine arbeit nieder und lief bothenweiß ich habe auch die nemliche arbeit mit getrieben ich war aber von Natur zu schämhafft darzu und wolte lieber mith den händten als mit den füßen arbeiten und ein jeder sein Schlechster zu sein daß stund mich nicht an sondern ich fing an meiner Profession fort zu setzen aber der Mich hätte waß lergen sollen der konnte nicht mehr sehen oder ob er nicht sehen wollte den er kehrte sich an nichts [. . . ]“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 156r.

244 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Führungsanspruchs zurückführte: „der Vater könnte nicht mehr arbeiten wollte aber immer commendieren, worüber dan wortwechsel und zu zeiten auch schlägereyen zwischen man und frau stattfunden.“²³⁶ Die sozialen Spannungen, die sich aus der Invalidität und den Dissens über die unehrenhafte Arbeit ergeben hatten, hatten sich offensichtlich zusätzlich verschärft, als der im Haus verbliebene Sohn mit der Übernahme der Knopfmacherwerkstatt und de facto der Ernährerrolle die hausväterliche Autorität vielleicht nicht vollständig für sich in Anspruch nahm, sie aber dem Vater offenbar nicht mehr uneingeschränkt zugestehen wollte. Anstatt jedoch auf Ausgleich und Verständigung zu dringen, versuchte der Vater seinen Geltungsanspruch, seine Ehre mit Gewalt durchzusetzen. Der vom Sohn angeprangerte Alkoholabusus verschärfte offenbar nicht nur die verbale und körperliche Gewalt, angeblich missbrauchte der Vater den Kredit des Sohnes, um seine Trunksucht zu finanzieren.²³⁷ Die Ausbrüche des Vaters richteten sich nicht nur gegen den Sohn, auch seine Frau stand im Zentrum seiner Aggressionen, da sie offenbar den Sohn in dieser überlebenswichtigen Situation unterstützte und auch die noch im Hause lebende Tochter vor den überzogenen „Correctionen“ des Vaters in Schutz nahm. 1762 wurde der Balcke’sche Haushalt mit vier Personen im Kopfschatzregister der Butenburg als in der Heeger Str. 162 ansässig aufgeführt, mit einer Abgabe von 1 thl. und 7 gr., die halbjährliche Steuerlast lag seit 1753 konstant bei 5 f., der untersten Steuereinstufung.²³⁸ Damit ist die Familie im Rahmen der Nachbarschaft in der Heeger Straße zu den mindervermögenden zu zählen, gleichwohl aber gut integriert, denn Johann Wilhelm Balcke schwor den Bürgereid als „Altbürger“,²³⁹ ebenso tauchte er regelmäßig in einigen bei den Gerichtsherren anhängigen Verfahren aus der Nachbarschaft als Zeuge auf.²⁴⁰ Im Verlaufe des Prozesse wird mehrfach auf den „Frieden“ rekurriert, wenngleich mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Zuerst taucht er in der Klageschrift auf, wo Johann Wilhelm Balcke darauf hinweist, dass bereits im vorigen Jahr 1767 „H. Magister Hickmann meine frau vorgehabt dass sie mit mir als ihrem Ehemann in ruhe und friede leben sollte, welches sie zwaren auch angelobet und sich mit

236 Aussage des Gesellen bei Balcke jun., ebd. fol. 152r. 237 „[. . . ] Wann niht dass übermäßiege Sauffen schuldt daran währe dan wann er seine dinge tun auf hat so borgt er welches wir alsden Nachhero bezahlen und wan noch nicht helffen will, so Reiset er aus der Stadt und holt von einem guten freund 1 ½Pt. [entspricht etwa 7,5 Rthl., ISV nach Twelbeck] in zwey tuhren daß erste Mahl eine piestole und zum andern eine ½piestole und gibt vor mann müste viel Lamnhar und Seyden kauffen wozu es sollte gebraucht werden, müste dieses nicht auch wieder bezahlt werden [. . . ].“ Ebd., fol. 157r. 238 NLA OS Dep 3 b I Nr. 311, Bl. 71 f. 239 NLA OS Dep 3 b IV Nr. 355 fol. 211, 13.12.1737. 240 Vgl. etwa NLA OS Dep 3b IV Nr. 234 fol. 42v, NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 245r.

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mir versöhnet, aber nicht ein mahl eine stunde ruhe gehalten.“ Die Vermittlungsbemühungen des zuständigen Gemeindepastors sind hier im Sinne eines seelsorgerischen Auftrages zu verstehen, Ehepaaren den Weg zurück zu einer „ordentlichen“ Eheführung aufzuzeigen. Gleichwohl ist es keine beliebige Intervention, dem Erscheinen des Pastors war großes Gewicht beizumessen und entsprechend gewichtig war auch sein Friede-Bieten anzusehen. Das bringen die Beteiligten auch zum Ausdruck. Wie der Kläger versucht, den „Friedens-Bruch“ seiner Frau als besonders gravierendes Ereignis einzubringen, so entschieden widersprechen beide Angeklagte. Wenn die Rotuli der Ehefrau und des Sohnes als Stellungnahme zu Punkt 5) der Klage ein recht kurzes „negat“ bzw. „cessat“ aufweisen, so zeigt sich das Ereignis in der schriftlichen Eingabe des Sohnes in anderem Lichte: [. . . ] es ist der Herr Magiester Hickmann auch ein paar mahl darzwischen gewäsen und hat uns wollen den frieden bringen wir haben uns auch vertragen mit unseren Vatter und meine mutter mit Ihren Mann aber es ist die sonne noch nicht untergegangen gewesen, so hat er schon wieder ärgern Streit angefangen und hätte ich Herrn Magiester Hickmann seinen willen gefolgt welches nicht verwerfflich war solches zu melden aber meine mutter wollte solches nicht gärne sehen.²⁴¹

Auch kommt deutlich die Intention des Pastors zum Tragen, ganz grundsätzlich in diesem Konflikt zu vermitteln um nachhaltige Stabilität in die zwischenmenschlichen Beziehungen dieses Hauses zu bringen. Es ging also um Versöhnung, um Interessenausgleich, um das Ausloten von Möglichkeiten, wie das Zusammenleben künftig gestaltet werden könne. Zugleich wird aber auch deutlich, dass mehrere Anläufe solcher Mediationsversuche notwendig waren; und der Rat des Pastors, im wiederholten Falle von Gewalttätigkeiten dieses dem Rat zu melden, deutet die gefühlte Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens an. Die Position des Pastors als moralische Autorität zwischen informeller Intervention und formaler Verfolgung spricht aus der Schilderung des Sohnes sehr deutlich, sie wird dem ersten Eingreifen im Rahmen der Kirchenzucht entsprochen haben, wie es in der Kirchenordnung von 1618 aufgeführt war.²⁴² Dem Eingreifen des Rates ging demnach eine ganze Reihe informeller Interventionsversuche voraus. Das fing ganz unmittelbar im Hause selbst an, wenn etwa der Sohn auf den Vorwurf, er habe seinen Vater festgehalten, damit seine Mutter besser zuschlagen könne, erwidert „er hätte den Vater wie er die Mutter geschlagen, angegriffen um friede zu machen.“²⁴³ „Friede machen“ ist hier ganz

241 Ebd., fol. 157v. 242 Vgl. Kap. 3.1.2. 243 Ebd., fol. 151v.

246 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln unmittelbar als Schlichtungsversuch zu verstehen, um die Gewalttätigkeiten zu beenden und die Streitenden auseinanderzubringen. Auch die wechselnden Gesellen bezeugen, in Streitfällen – insbesondere bei Schlägereien – eingeschritten zu sein.²⁴⁴ Eine wichtige Rolle spielten vor allem die Nachbarn, die als Leumund für die Legitimität der Position des Sohnes fungieren; nicht nur ganz allgemein im Hinblick auf sein ehrenhaftes Wirtschaften und Leben, sondern ganz unmittelbar als Augen- und Ohrenzeugen jedes einzelnen Vorfalls.²⁴⁵ Im Sommer 1767 sah sich die städtische Obrigkeit schließlich gezwungen, ganz offiziell in die häuslichen Konflikte einzugreifen und „ließ ihn anbefehlen mit seiner Frau und Kinder friede zu halten bey der allerschwersten straffe.“²⁴⁶ Der Fall war dem Rat also keineswegs unbekannt, als die Klageschrift einging und entsprechend fiel offenbar das Urteil aus. Der Inhalt des Urteils lässt sich aus einem schriftlichen Gnadengesuch des alten Balcke erkennen, der sich sehr darüber empört, „dass ich mit meinem ungehorsamen und ungerathenen Sohn mit einer Lauge gewaschen werden oder gleiche Strafe leiden solle, der ich doch weiter nichts als Ruhe und Einigkeit suche [. . . ].“²⁴⁷ Beide waren zu einer Turmstrafe verurteilt worden, deren Erlassung Johann Wilhelm Balcke nun unter Verweis auf seine „Friedfertigkeit“ zu erreichen suchte. Darauf weist nicht nur die Formulierung von „Ruhe und Einigkeit“ hin als dem Frieden semantisch sehr eng verwandte Begriffe, sondern vor allem das Hauptargument, dass er „auch nimmer mehr Uhrsache zur Zwistigkeit gegeben habe und jemals Anlaß zur Stöhrung des Hausfriedens geben werde, hiermit heilig verspreche.“²⁴⁸ Die Reaktion des Rates auf den Konflikt zeigt das deutliche Bemühen, die hausväterliche Autorität als Institution zu stärken und aufrechtzuerhalten – wenngleich dies nicht einfach durch eine unkritische Parteinahme für den Vater geschieht. Seine offenkundigen Verfehlungen und Nicht-Erfüllung seiner hausväterlichen Pflichten mussten ebenso bestraft werden wie die Beleidigungen und Angriffe des Sohnes auf seinen Vater. Hatte der Vater unter Hinweis auf die Geschichte des trunkenen Noah und die Pflicht der Kinder, die Verfehlungen ihrer Eltern zu ertragen und sie nicht dafür zu demütigen, eine klare Unterordnung seines Sohnes erhofft, so sah er sich durch die Reaktion der Gerichtsherren sehr enttäuscht und verletzt.

244 Ebd., fol. 152r, 158r. 245 „und wan keiner von allen andern sachen zeugniß geben kan so kan es H. Dieckman welcher lange unser nachbar gewäsen und fast alle tage in unser hauß gekommen auch mannichmahl bey solchen verfluchten Streit welches manchen menschen die gesundheit nimt darbey gewäsen der wird es auf das beste sagen können [. . . ].“ Ebd. fol. 158r. 246 Ebd., fol. 157v. 247 Ebd., fol. 153r. 248 Ebd., fol. 153v/154r.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Die Diskrepanz zwischen obrigkeitlicher Norm und individuellem Selbstbild als Hausvater konnte größer kaum sein. Inwiefern der Rat im Urteil eine Besserung insbesondere des Vaters erwartete, lässt sich nicht mehr ermitteln. Die ohnehin prekäre Existenz der Familie konnte sich in den Jahren der Wirtschafts- und Hungerkrise nicht erholen. Der Alte starb bereits kurz nach der Haftstrafe, Mutter und Schwester starben 1773 bzw. 1777.²⁴⁹ Das Haus in der Heger Str. 162 wird 1770 als verlassen aufgeführt, die Familie war zur Miete in die Dielinger Straße gezogen.²⁵⁰ 1773 schwor der mittlerweile 30jährige Johann Friederich unverheiratet den Altstädter Bürgereid und tauchte in den Folgejahren einige Male als Zeuge in Prozessen auf, da er offenbar mehrfach als Streitschlichter aufgetreten war.²⁵¹ Im Juli 1774 musste die kleine Knopfmacherwerkstatt Konkurs anmelden, danach verlieren sich die Spuren der Familie Balcke.²⁵² Die gerichtliche Behandlung der Konflikte in der Familie Balcke haben gezeigt, dass den Obrigkeiten sehr daran gelegen war, die Herrschaftsfunktion und -position des Hausvaters grundsätzlich zu stärken; scharfe Verweise und Ermahnungen bezogen sich auf die Ausfüllung dieser Rolle, führten jedoch nicht zu deren Abschaffung oder Dekonstruktion – auch wenn de facto der Sohn diese Position bereits übernommen hatte. Entscheidend mag für diese Entscheidung auch gewesen sein, dass der Sohn die Volljährigkeit noch nicht erreicht hatte bzw. unverheiratet war und sich damit rechtlich noch in der Position des Kindes befand. Auffällig ist auch das Verschwinden der Ehefrau aus diesem Prozess, deren als respektlos empfundenes Verhalten in der Klageschrift noch eine wesentliche, weil Konflikt verstärkende Rolle gespielt hatte. Offenbar stellten die beiden unbotmäßigen Männer eine größere Bedrohung der häuslichen Ordnung dar und mussten entsprechend diszipliniert werden.

3.4.2 Männliche Hierarchien im generationellen Übergang Autoritätskonflikte und Auseinandersetzungen um die männlichen Hierarchien in einem Haus konnten auch dann den häuslichen Frieden stören, wenn die rechtlichen und ökonomischen Verhältnisse geklärt waren. Dies musste der Kupfer-

249 NLA OS Dep 12b, Verläuteregister St. Marien: 12.2.1769, Knopfmacher Wilhelm Balcke, 11.7.1773: Witwe Anna Elisabeth Balcke, 16.3.1773 Tochter des Knopfmachers Balcke. 250 NLA OS Dep 3 b II Nr. 834, Bl. 101 und 277v; NLA OS Dep 3 b I Nr. 770, unpag. 251 NLA OS Dep 3 b IV Nr. 355, S. 291. Auch in den Krameramtsakten taucht Balke jun. mehrfach auf, hier jedoch als Beklagter in Injurienklagen. Vgl. z. B. NLA OS Dep 3b X Nr. 170 foll. 322, 330. 252 NLA OS Dep 3b IX Nr. 58 fol. 334v.

248 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln schmied Christian Brandt um 1770 erfahren, der im Jahr zuvor, 1769, die Werkstatt seines 1734 gestorbenen Vaters von seinem Stiefvater Johann Friedrich Mangels übernommen hatte. Dies hatte seine Mutter anlässlich ihrer Eheschließung mit Mangels in Form einer Einkindschaft verfügt.²⁵³ Offenbar hatte Brandt die Werkstatt mit einer großen Schuldenlast übernommen, denn zwischen 1770 und 1774 hatte sich Brandt in einem Konkursverfahren mit den Forderungen der Gläubiger auseinanderzusetzen. Da sich sein Haus in der Großen Straße aber aufgrund erheblicher Baumängel als unverkäuflich erwies, musste das Verfahren eingestellt werden. In einer ökonomisch so prekären Situation, die Brandt noch nicht einmal selbst zu verantworten hatte, war das Verhalten seines Stiefvaters offenbar nicht länger mit kindlicher „nachsicht und gedult“ zu ertragen. In seiner im April 1771 beim Ratsgericht eingereichten Klage finden sich eine intensive argumentative Zusammenführung mehrerer Konfliktfelder und deren Rückbindung an Friedenssemantiken, weshalb sie hier ausführlicher zitiert wird: Ewr. Hochwohgeborne auch Hoch- und WohEdlen wird es vielleicht annoch erinnerlich bevorstehen, daß ich vor einigen Jahren mit meinem Stiefvater wegen ein und ander zwistigkeiten vor der pupillar-Commission gefordert, und solche zwistigkeiten damahlen dergestalt abgemacht worden; daß mein Stiefvater zur Ruhe und einem ordentlichen Betragen gegen mir angewiesen worden. Leider aber habe ich es ohnerachtet aller meiner Nachsicht und gedult, nicht erhalten können, daß ich der gehöriger Ruhe und Friedes vor ihme in meinen Geschäften mich erfreuen möge. Ein beständiges Lärmen, es gehöre was im Hause vorräthig mehrenteils alles ihme, er wäre Herr im Hause und was dergleichen Anfänge zu Zankereyen und Streit mehr sind, muß ich täglich nicht nur anhören; sondern es geschiehet dieses mit einem solchen Geräusch, daß die Nachbarn zum Thüren kommen, und die Vorbeigehenden stutzen. Ich bin daher nicht im Stande meine Arbeit gehörig fortzusetzen, und scheuen auch die Leute wegen dieses unchristlichen bezeigens mein Hauß und meine Werckstatt, mithin verliere ich einen Kunden nach dem anderen. Es wird meinem Stiefvater alles gereichet was zu seinem standesmäßigen Unterhalt gehöret, nichts wird ihm hirvon entzogen; und dennoch muß ich bey allem diesen da ich selbst an ihme so vielen Schaden leide, da ich einen ziemlichen Teil seiner privat-Schulden um erlangung der Ruhe zu bezahlen übernommen, mich dennoch in einer Haushaltung befinde, wo nur die Hölle in gebauet wird. Ich ersuche dahero Hochdieselben Sie geneigt geruhen meinen Stiefvater de moro anzubefehlen, sich ordentlich und christfriedlich zu betragen, widrigenfalls das haus zu räumen [. . . ].²⁵⁴

253 NLA OS Dep 3b IX Nr. 1077. Das Instrument der „Einkindschaft“ ist eine Vertragsform, die im Falle einer Wiederverheiratung die vermögensrechtliche Gleichstellung von Stiefgeschwistern regelt. Vgl. DRW Bd. 2, Sp. 1407f. 254 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 46–47.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Ganz bewusst thematisierte Christian Brand das seit längerem nicht reibungslose Verhältnis zwischen Stiefsohn und Stiefvater, um den Charakter des Konfliktes zu verdeutlichen. Aus Christian Brands Perspektive hatte der latente, unausgesprochen gebliebene Hierarchiekonflikt zu einer vergifteten Atmosphäre im Hause geführt, die nicht nur die Beziehungen des Kupferschmiedes und seiner Frau zum (Schwieger-)Vater unerträglich werden ließ, sondern offenbar auch den Kundenverkehr im Hause so negativ beeinflusste, dass sich Brand zu diesem Vorgehen gezwungen sah. Das mehrfache Betonen von „Ruhe und Frieden“, die Forderung eines „christfriedlichen“ Betragens sowie der Verweis auf eine bereits geschehene „Verurteilung“ zur Ruhe durch die Osnabrücker Pupillar-Commission zeigen deutlich das Bemühen Brands, eine grundsätzliche Unvereinbarkeit aufzuzeigen. Er reagierte damit auf eine zwei Tage zuvor eingereichte Klage seines Vaters, in welcher dieser einen gewalttätigen Angriff zur Anklage brachte, der im Laufe eines Wortwechsels über Taschentücher in Form einer Drohung mit einer Mistforke entstanden sei. Seine Empörung über dieses Verhalten begründete der Vater mit seinem Alter und der daraus resultierenden Ehrbezeugung: [. . . ] da ich in meinem jetzigen Alter von 64ten Jahr, leyder das üble und unverantwortliche Betragen meines Sohnes und Schwiegertochter auf das härteste empfinden muß. [. . . ] Wie sehr mir diese grausame aufführung zu Herzen gehet, zumahl da ich statt dieser eine wahre kindliche Liebe genießen solte,/: denn alles was Eltern an Kindern thun müßen, habe ich nächst Gottes Hülfe an ihnen auch gethan, gekleidet, gespeiset, zu Kirche und Schule gehalten, daß sie in der Welt einmahl nützlich sein könten:/ so sehr und gehorsambst bitte ich einen HochEdle und Hochzuehrenden Magistrat um Hülfe, Schutz und Beystand, daß ich künftig mögte Friede und Ruhe genießen, welches bey meinem herantretenden Alter nur der einzige Wunsch ist.²⁵⁵

Im Gegensatz zu seinem Sohn hatte der Vater versucht, durch die Benennung einer konkreten Gewalttat den Rat zu seinen Gunsten einschreiten zu lassen. Sehr breit ließ er sich, bzw. der für ihn schreibende Prokurator, über seine pflichtbewusste Erfüllung seiner elterlichen Aufgaben aus, aufgrund derer er nun ein Anrecht auf eine ihm gebührende Behandlung abzuleiten meinte. Bezeichnend mag hier sein, dass Mangels im Gegensatz zu Christian Brand von einem Vater-Sohn-Verhältnis spricht. Seine Interpretation dieses Zustandes klassifizierte er mit „Ruhe und Frieden“, womit nicht nur die Abwesenheit verbaler und physischer Gewalt aus der Beziehung zu seinem Sohn gemeint ist, sondern eine allgemeine Erinnerung an die entsprechende Respektsbezeigung. Dementsprechend appelliert er auch an den Rat als jene, die durch Schutz und Hilfe den Frieden zu sichern haben.

255 Ebd., fol. 40a.

250 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Beide Seiten forderten demnach eine Reziprozität des Verhaltens ein, deren Ziel sie beide mit der Sicherung des Friedens und der Stabilisierung der jeweiligen Beziehungen begründeten. Während der Vater dies von einer größeren, ihm geschuldeten Respektsbezeugung des Sohnes abhängig machte, sah dieser allein in einer räumlichen Trennung die Möglichkeit, einen solchen Frieden einkehren zu lassen.²⁵⁶ Ganz geschickt begegnet er den Vorhaltungen des Vaters seinerseits mit der Betonung seiner „nachsicht und gedult“ – jene Tugenden, die im vierten Gebot den Kindern gegenüber ihren schwächelnden, alt gewordenen Eltern nahe gelegt werden. Darüber hinaus verweist auch er auf die Erfüllung aller materiellen Pflichten gegenüber seinem Vater im Sinne einer materiellen Reziprozität der Versorgungspflicht. Zugleich fordert er aber auch eine Reziprozität auf der emotionalen Seite, die er nicht gegeben sah bzw. deren Herstellung er mittlerweile aufgehört hatte zu hoffen. Wenngleich neben den beiden schriftlichen Eingaben nur die erste Anhörung der beiden Kontrahenten überliefert ist, nicht aber ein Urteilsspruch, zeigt die Gegenüberstellung beider Positionen, wie weit der Interpretationsspielraum für den Friedensbegriff im Rahmen eines solchen Aushandelns war und wie eng juristische und außerjuristische Normativität miteinander verknüpft waren. Die Rollenkonflikte der beiden resultierten offenbar bereits aus den Jahren vor der Werkstattübernahme durch den Stiefsohn und wurden durch den offiziellen Wechsel in der Position des Hausherren noch verstärkt. Während das Interesse des Sohnes – verschärft durch das schwebende Konkursverfahren – auf der Stabilisierung und Expansion seines Geschäftes lag, versuchte der abgelöste und auf sein Altenteil, die separierte Wohnung im Hause, verwiesene Hausvater diesen Bedeutungsverlust durch die Einforderung eines entsprechenden Umgangs und Verhaltens ihm gegenüber zu kompensieren. Dementsprechend begründete er den ihm zustehenden Frieden einerseits im Kontext einer Injurienklage aufgrund der überzogenen Gewaltanwendung und verbale Ehrverletzungen seitens seines Sohnes, zugleich verknüpfte er seinen Anspruch aber auch mit dem von ihm wahrgenommenen Rollenkonflikt, demzufolge er von seinem Stiefsohn und

256 Ebd., fol. 48: „[. . . ] so hat zwar Brand angezeigt, daß er solches gerne zu geben und den verlangten Schranck überliefern wollte; es wäre aber ihm nicht möglich mit seinem Stiefvater in einem Hause zu leben, indem täglich neue Ursachen zu Streitigkeiten hervorgesucht würde, wan sie sich nicht von einander trenneten.“ In der Tat war in besagtem Prozess vor der PupillarCommission die Trennung der Haushalte festgelegt worden (NLA OS Dep 3b IV Nr. 303, S. 46), auf die Mangels sich bezog („Mangels sagte, er [. . . ] hielte sich an den segregation worin ihm die Wohnung im Hauße zeit Lebens verschrieben“, Ebd. fol. 48) und auch steuerlich wurden Brandt und Mangels als getrennte Haushalte geführt. Vgl. NLA OS Dep 3b II Nr. 566, Hebungsregister Johannisleischaft November 1769, S. 4.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

251

dessen Frau nicht seiner Rolle und Funktion im Hause entsprechend behandelt würde. Im Vergleich zur Auseinandersetzung im Hause Balcke waren die Ausgangspositionen im Konflikt um die männliche Hierarchie im Hause Brand anders gelagert. Christian Brand stand aufgrund seiner Position als Ehemann nicht mehr unter der elterlichen Herrschaft seines Stiefvaters. Dies war sogar durch einen Beschluss der Vormundschaftskommission bestätigt und abgesichert worden, die aufgrund der belasteten Beziehung eine rechtliche und ökonomische Trennung der Haushalte vorgenommen hatte, auch wenn sie noch unter einem Dach wohnten. Gleichwohl wirkte diese Konstellation auf die alltäglichen Kontakte und gemeinsam geteilten Arbeitsbereiche (Wäsche!) nicht befriedend, sondern boten die Bühne zum Ausfechten ehrbezogener Positionskämpfe.

3.4.3 Weibliche Hierarchien im generationellen Übergang Dass die Verschiebungen innerhalb der häuslichen Positionen durch Heirat und Übernahme des elterlichen Betriebes auf der rechtlichen Ebene zwar klar geregelt waren und kaum unklare Verhältnisse zuließen, dies in der sozialen Praxis aber durchaus anders aussehen konnte, musste Uxor Kosieck erfahren, die Ende der 1780er-Jahre den Fuhrmann Henrich Kosieck geheiratet hatte. Dieser arbeitete im Haushalt seiner Mutter, Anna Margaretha Kosieck, und hielt das Fuhrgeschäft durch seine organisatorischen wie ausführenden Tätigkeiten am Laufen. Laut einer Vermögensaufstellung aus dem Jahre 1799 gehörten vier Pferde, zwei Kühe und zahlreiche Geräte für den Ackerbau, wie Eggen und Pflüge, sowie mehrere Wagen zur Ausstattung des Betriebes; Kosieck übernahm neben Transportaufträgen offenbar auch in einer Art „Outsourcing“ Feldbauarbeiten von Bauern aus dem Osnabrücker Umland. Die häusliche Konstellation führte nach der Hochzeit offenbar zu wiederholten Konflikten um die häusliche Autorität zwischen der alten Hausmutter und dem jungen Ehepaar. Denn obwohl die Gerichtsherren meiner Schwiegermutter es erstlich geboten Ruhe und Friede mit mir zu meinem Mann zu halten, ohngeachtet hochdieselben leztere noch vor kurzem darum bestraft haben, so vermag doch alles dieses bey Ersterer hauptsächlich keinen Eingang finden,²⁵⁷

sah sich die Ehefrau Kosieck am 30. Juli 1793 erneut gezwungen, Klage einzureichen. Den Friedensbruch ihrer Schwiegermutter sah sie darin gegeben, dass diese ihre Rolle als Ehefrau und Hausmutter nicht anerkannte und ständig untermi-

257 NLA OS Dep 3b IV Nr. 257, fol. 2v.

252 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln nierte, indem sie ihren Sohn gegen sie aufwiegeln würde. Dies geschehe, so die Klägerin, indem sie „weiß meinen Mann gleichwohl dahin zu lenken, daß er mich mit den harten Worten: Du rother Luchs kannst nach dem Teufel gehen und derg.“ beschimpfen würde. So hätte er vorgestern Abend um acht Uhr vor seiner Mutter Bette [gesessen] worin sie ihn nöthigte bey sie zu schlafen, welches schon mehrmahlen geschehen, und sie ihm desfalls, wenn er das thut ihren lieben nennet, sagte ich zu meinem Mann es gebührte sich nicht von ihm bey seiner Mutter zu schlafen sondern bey mir, und dieses stünde ich ihm nicht zu, wiederholte er obige Schimpfwörter, die Schwiegermutter hingegen sprang aus dem Bette, und schlug mich, wozu er dennoch sprang und ferner abwehrte, ohngeachtet ich mich in der zweiten Schwangerschafft befinde.²⁵⁸

Die Ungeheuerlichkeit der Zustände entfaltet sich auf zwei Ebenen: die Missachtung der Ehe und damit die fehlende Akzeptanz der Schwiegertochter als Ehefrau durch die Mutter konnte nicht deutlicher ausgedrückt werden als in der Verweigerung, ihren Sohn mit dessen Frau das Bett teilen zu lassen. Nicht nur das: indem sie ihn aufforderte mit ihr in einem Bett zu schlafen, versuchte sie sich die Position der zuständigen Hausmutter zu erhalten. Gleichzeitig markiert die körperliche Gewalt eine Grenzüberschreitung, die mit dem Hinweis auf die bestehende Schwangerschaft aber gleich in zweifacher Weise vollzogen wird; denn einerseits befand sich Uxor Kosieck in einem besonders schützenswerten Zustand, zum anderen markierte sie damit in ihrer Körperlichkeit auch ihre Rolle als Ehefrau und Hausmutter. Sie betonte die Verletzung ihrer Ehre durch das unfriedliche Verhalten ihrer Schwiegermutter zusätzlich, indem sie darauf verwies, dass dieser ja per Gerichtsbeschluss anbefohlen worden sei, dem Ehepaar „1 Stube und 1 Kammer“ einzuräumen, damit diese „wie es christlichen Eheleuten gebühret“ zusammen leben könnten. Allein, so schloss sie resigniert, „so lange die Mutter mit meinem Mann unter einer Decke spielt so mag keine Einigkeit existieren“, so habe sie „das Haus als eine Fremdling zu meiden, und in der Irre herumzuwandern“ und müsste wie in der vergangenen Nacht mit „meinem Kinde in der Rathswiese logiren.“²⁵⁹ Zwei Tage später wurde der Witwe Kosieck gerichtlich angedroht, dass, „wenn sie nicht dahin sehe, daß die junge Frau in Frieden bey ihr leben könne“,²⁶⁰ sie das Haus an ihren Sohn abtreten müsse. Die Gerichtsherren argumentierten hier, wie schon in anderen Fällen gesehen, mit einem Friedensverständnis, das sowohl die rechtliche Semantik der Sicherheit als auch die ethische Semantik der Friedfer-

258 NLA OS Dep 3b IV Nr. 257, fol. 2v. 259 NLA OS Dep 3b IV Nr. 257, fol. 4r. 260 NLA OS Dep 3b IV Nr. 257, fol. 1r.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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tigkeit aufrief. Denn ihnen war mehr als klar, dass der Tatbestand der „thätlichen Mißhandlung“²⁶¹ und die daraus resultierende Gefährdung der Sicherheit der jungen Frau Kosieck auf der problematischen Konstellation im Hause und aus der offenbaren Missachtung durch die Witwe in deren Ansehen und Privilegien als Ehefrau beruhten. Vielleicht hatten auch sie die Kosiecks als „zänkische Leuthe“ wahrgenommen, wie ein Schwager aus Engter die Osnabrücker Sippe in einem gleichzeitig laufenden Vormundschaftsprozess bezeichnet hatte.²⁶² Wenngleich die Ehefrau nach ihrer Klage 1793 „erst“ im Jahre 1804 erneut bei den Gerichtsherren vorstellig wurde, zeichnet sich die grundsätzlich konfliktbehaftete Situation im Hause Kosieck in einem Aktenkonvolut ab, das anlässlich des Konkursverfahrens nach dem Tode Henrichs Kosiecks 1808 angelegt wurde und um Prozessakten aus vorangegangenen Verfahren ergänzt wurde. Seit 1799 stritt die Witwe mit ihren Kindern um die Aufteilung ihres Besitzes, wobei der Auslöser für die gerichtliche Klärung der Verhältnisse und der jeweiligen Ansprüche der Entschluss Anna Margarethas war, aus dem Haus in der Schweinestraße auszuziehen, denn „sie habe seit langem schon mit ihrem Sohn und Schwiegertochter in grossem unfrieden gelebet [. . . ] sie in ihrem Alter ferner so in der Unruhe nicht leben könne; so habe sie sich entschlossen abzuziehen und gegen Versicherung wegen ihres Lebensunterhalts“²⁶³ das Vermögen feststellen und aufteilen zu lassen. Ein Jahr zuvor hatte sie testamentarisch verfügt, dass nach ihrem Tode ihr Sohn keinen Anteil an ihrem Erbe haben solle, da er „ihr bereits an medicamenten²⁶⁴ und sonst soviel gekostet, mit seiner Frau und Kinder auch bisher in allem Nothwendigen

261 So der Titel der Klageschrift der Ehefrau Kosieck vom 30. Juli 1793, NLA OS Dep 3b IV Nr. 257, fol. 2. 262 Eine Tochter der Witwe Kosieck, Maria Juliane, verheiratet mit Christian Meyer aus Engter, war 1784 gestorben. 1793 sollte der hinterbliebene Sohn aus dieser Ehe aufgrund einer Wiederheirat seines Vaters (der inzwischen nach Engter zu seiner Herkunftsfamilie zurückgezogen war) einen Vormund bekommen, der seine Erbansprüche am Kosieck’schen Vermögen vertrat. Im Protokoll der Vormundschaftssache vom 24. Sept. 1793 sagte ein verschwägerter Johann Friedrich Meyer zu Engter aus, dass er „mit denen bekanntlich zänkischen Kosiecks Leuthen nichts zu thun haben mögte.“ NLA OS Dep 3b IX Nr. 1136, eigenes Aktenkonvolut am Ende „Vormundschaftssache Christian Meyer“. 263 NLA OS Dep 3b IX Nr. 1136, Akte II, N° 1. 264 Ein ärztliches Attest bestätigt „hypochondrischer Krämpfe und Beängstigungen mit Unverdaulichkeit“ im Zusammenhang mit einem Prozess wegen Tätlichkeiten gegen einen anderen Fuhrmann, wodurch eine verminderte Schuldfähigkeit (Unzurechnungsfähigkeit) bewiesen werden sollte. NLA OS Dep 3b IX Nr. 598, Anlage zu Schreiben N° 5. Unter Hypochondrie verstand man im 18. Jahrhundert eine Verhärtung und Verkrampfung der Milz, die – da Sitz des Zornes – zu verdrießlichen, schwermütigen und depressiven Verstimmungen führte. Zedler, Bd. 13, Sp. 1479–1487; Grimm, Milz, Bd. 6, S. 2220f.; Möser, Phantasien, Bd. 6, S. 114, 118; Zeviani, Hypochondrie, S. 51–55.

254 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln von ihr unterhalten wäre.“²⁶⁵ In einem ersten Vergleich vom Juni 1799 einigte sie sich jedoch mit ihrem Sohn sowie den zwei Töchtern darauf, dass sie bei ihrer unverheirateten Tochter wohnen würde, während ihr Sohn das Fuhrunternehmen weiterbetrieb. Von den hohen Vermögenswerten der Ausstattung, die mehrere Hundert Reichstaler betrug, sollte er ihr eine regelmäßige Summe zukommen lassen. Bis in den Oktober hinein zog sich der Prozess, dessen Kernproblem eben in seiner ungeklärten Position im Haushalt des Fuhrunternehmens lag. Der Prozess um das Erbe und Vermögen der Witwe Kosieck wurde schließlich zugunsten des Sohnes entschieden, mit dem Hinweis, dass die von der Witwe Kosieck behauptete Gütergemeinschaft mit ihrem Sohn nicht existiere; die „Gemeinschaft der Eheleute hört nach dem Tode auf, und daß die Lehre von einer fortgesetzten Güter Gemeinschaft mit den Kindern nichts wie ein Traum ist.“²⁶⁶ Folglich sei die Teilhabe am Erbteil gerechtfertigt, „der Sohn habe 16 Jahre lang der Mutter als Knecht gedienet und die Haushaltung besorgt, wozu er den Rechten nach nicht verbunden sei.“²⁶⁷ Die hier kurz aufscheinende Vorstellung Anna Margarethas von einer quasiehelichen Gütergemeinschaft mit dem Sohn korrespondiert eng mit jener quasiehelichen Beziehung des Bettenteilens von Mutter und Sohn, die in der Klage der Schwiegertochter auftauchten. Ganz offensichtlich brachte das Eindringen der Schwiegertochter die ökonomische Konstruktion dieses Haushaltes in Wanken, indem sie offenbar die Position ihrer Schwiegermutter in Frage stellte; deren Sohn mit der Heirat nicht mehr unter ihrer elterlichen Herrschaft stand. Immer wieder verknüpften sowohl Anna Margaretha als auch ihre Schwiegertochter ihre Beziehungskonflikte mit Semantiken des „Unfriedens“, immer war die Klärung dieses Verhältnisses an eine Klärung der ökonomischen und materiellen Grundlage ihrer beider Existenzen gekoppelt, die wiederum die ganze Familie miteinbezog. Die Ankunft einer neuen Ehefrau und Hausmutter zwang die Beteiligten, einen implizit vollzogenen, aber nicht explizit durchgeführten, sondern offenbar bewusst in der Schwebe gehaltenen Positionswechsel innerhalb des Hauses nun auch nach außen zu manifestieren. Gerade das Hinauszögern dieses Positionswechsels, verbunden mit den dazugehörigen neuen Rollenmodellen und Verhaltensweisen, hatte wie gesehen zu „Unfrieden“ und Instabilität geführt. Die Klärung der Beziehungsebenen betraf aber nicht nur Schwiegermutter und -tochter, sie lässt sich auch im

265 NLA OS Dep 3b IV Nr. 4667 [fol. 1]. Noch 1796 hatte die Mutter in einem Prozess gegen einen Meyer aus Westercappeln angegeben, ihr Sohn könne kein Bußgeld bezahlen, da er über kein eigenes Vermögen verfüge, sondern bei ihr wohne und gegen Kost und Logis für sich und seine Familie die Fuhren verrichtete. NLA OS Dep 3b IV Nr. 598, Schreiben N° 7. 266 NLA OS Dep 3b IX Nr. 1136, Akte II, N° 9, Verweis auf die Klöntrup’sche Auslegung des Ehegüterrechts. 267 NLA OS Dep 3b IX Nr. 1138, Akte II, N° 16, Oktober 1799.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Verhältnis zum Sohn ablesen. Nachdem er einmal per Gerichtsbeschluss seine Rolle als Haushaltsvorstand zugewiesen bekommen hatte, kämpfte er diese gegen die Ansprüche seiner Schwestern und seiner Mutter durch und erwirkte eine explizite Anerkennung des offenbar jahrelang in stillschweigender Übereinkunft herrschenden Arbeitsverhältnisses und damit einen Anteil am Erbe.²⁶⁸ Die Klärung der rechtlichen Verhältnisse im Haus war ein zentraler und notwendiger Bestandteil für eine solche Phase des generationellen Übergangs – sie allein machte das Funktionieren eines Haushaltes nicht aus. Wie wichtig die Integration der Akteure selbst in das Haus war, zeigt die ablehnende Haltung der Ehefrau Kosieck gegenüber dem Vorschlag einer „separirung“ der Witwe von ihrem Haushalt, da deren Arbeitskraft dringend gebraucht würde.²⁶⁹ Trotz der Klärung der Positionen und Verhältnisse führte dies nicht zu einer Befriedung der häuslichen Verhältnisse. Auseinandersetzungen im Hause blieben nicht auf das Innere beschränkt, zwei umfangreichere gerichtliche Verhandlungen über eheliche Gewalttätigkeiten 1801 und 1804 belegen die intensive Anteilnahme der Nachbarn am Geschehen – so wie auch Kosiecks als Zeugen in häuslichen Auseinandersetzungen anderer Nachbarn auftraten.²⁷⁰ Als Anfang Juni 1801 die jüngste Schwester des Fuhrmanns zum Haus in der Schweinestraße kam, habe sie „viele Leute vor der Thüre angetroffen“,²⁷¹ die ob des großen Lärms eine lebensbedrohliche Situation für die Mutter befürchteten. In der Tat hatten die Magd des Hauses und Henrich Kosieck ihr so mit Worten und Schlägen zugesetzt, dass man einen tödlichen Schock vermutete, Kosiecks Kinder²⁷² hatten die Nachbarn um Hilfe gerufen. Die Schwester klagte gegen Magd und Bruder und forderte „die fremde Person“ aus dem Haus zu weisen, „da so lange diese im Hause sey, ihre Mutter keine Ruhe und Friede haben würde.“²⁷³ Die Tatsache, dass diese Magd zum Zeitpunkt des Streits bereits sichtbar schwanger von ihrem Hauswirt war, wird dem häuslichen Frieden sicherlich nicht zuträglich gewesen sein.²⁷⁴ Dieser

268 NLA OS Dep 3b IX Nr. 1136, Akte II, N° 6–8. Dies zeigen zahlreiche kleinere gerichtliche „Scharmützel“ mit seiner Mutter, die auf Aushändigung ihrer persönlichen Sachen klagte, während ihr Sohn sie zwingen ließ, den Schlüssel für den Aktenschrank mit wichtigen Pachtunterlagen herauszugeben, den sie offenbar als Zwangsmittel zurückbehalten hatte. 269 NLA OS Dep 3b IX Nr. 598, o. fol. 270 So z. B. in den Auseinandersetzungen zwischen der Witwe Lüken und ihrem Sohn Jobst in den 1770er-Jahren, vgl. oben Kap. 3.3.2. NLA OS Dep 3b IV Nr. 242 fol. 226r. 271 NLA OS Dep 3b IV Nr. 261, fol. 37. 272 Johann Friedrich, Henrich Wilbrand, Maria Margaretha, ein weiteres Kind im Wochenbett 1798 gestorben. 273 NLA OS Dep 3b IV Nr. 261, fol. 37. 274 Vgl. Alimentationsklage dieser Magd, Maria Westermann, in den Konkursakten, NLA OS Dep 3b IX Nr. 1136, N° 3.

256 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln recht formelhafte Bezug auf den Frieden als Zustand der physischen wie emotionalen Sicherheit bleibt der einzige in diesen Auseinandersetzungen. In einer Klage der Ehefrau Kosieck gegen ihren Mann wegen Misshandlung im Jahre 1804 wird keinerlei Bezug mehr auf eine Friedensrhetorik genommen. Autoritätskonflikte in Form von Rollen- und Interessenkonflikten kennzeichneten demnach nicht nur die männlichen Beziehungen in einem Haus, sondern konnten genauso gut um die Machtpositionen der weiblichen Hausangehörigen ausgetragen werden: zwischen der Witwe als Haushaltsvorstand und der „neuen“ Ehefrau. Dieser Fall zeigt zugleich die Grenzen der Friedenssemantik in der Komplexität häuslicher Konflikte. Er wurde lediglich im Zusammenhang mit der Klärung bzw. Beschreibung konfliktiver Beziehungen gebraucht, die Auseinandersetzungen um Erbe, Besitz, Arbeit und personenrechtlichen Status orientierten sich semantisch an den vorgegebenen juristischen Kontexten.

3.4.4 Friedewahrung und nachbarliche fama In den bisher vorgestellten Fällen sind die Auswirkungen innerhäuslicher Auseinandersetzungen auf die außerhäuslichen Beziehungen eher am Rande angeklungen. Diese konnten aber umgekehrt auch eine wichtige Rolle für die Lösung häuslicher Konflikte darstellten, was im folgenden Fall zu zeigen sein wird. Am 10. November des Jahres 1763 erhielt das Ehepaar Back eine Vorladung vor die Gerichtsherren. Ihnen wurde seitens des Advocatus Fiscus vorgehalten, „sehr unfridsahm“ miteinander zu leben, weshalb eine gerichtliche Untersuchung und obrigkeitliche Verfügung durchzuführen sei.²⁷⁵ Anna Margaretha Back, die 1755 aus Hilter nach Osnabrück geheiratet hatte, erschien zum angesetzten Termin und schilderte den problematischen Hausfrieden vor allem als ein Problem der mit übermäßigem Alkoholkonsum einhergehenden Gewalttätigkeit ihres Mannes. Sie berichtete vom Eingreifen der Nachbarn am Tag zuvor, die ihren schimpfenden und schlagenden Mann von ihr gerissen hätten. Dieser habe ihr daraufhin mehrfach gedroht, sie in gleicher Weise zu prügeln, wie er es im Jahr zuvor getan hätte, als sie durch die Schläge ein Kind verloren habe: und da sie in solchen Leibesumständen sich gegenwärtig wieder befände: so befürchtete sie ein gleiches, bath ihr also ruhe und friede im Hauße zu verhelfen, oder aber ihr zu gestatten, daß sie sich von ihrem Manne begeben und er ihr die alimente reichen müsse.²⁷⁶

275 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 27r. 276 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 27r.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Ganz offensichtlich bezogen sich sowohl der Ankläger als auch die Ehefrau in ihrer Friedenssemantik auf Frieden als Sicherheit vor Lebensgefahr und Unversehrtheit des Körpers – wobei hier nicht nur die Sicherheit der Ehefrau, sondern vor allem in verschärfender Weise Leben und Körper des ungeborenen Kindes als ausschlaggebender Klagegrund in Anschlag gebracht werden. Die existentielle Bedrohung zeigt sich auch in den beiden Alternativen, welche Anna Margartha als mögliche Lösungen präsentiert: Frieden oder Trennung! Entsprechend der auch für die Gerichtsherren offenbaren Gefahr für Leib und Leben der Anna Margaretha, ließen sie den säumigen Ehemann mit Haftbefehl suchen, der erst am späten Abend nach einer Zechtour aufgegriffen und auf die Bürgerwache gebracht werden konnte.²⁷⁷ Die Ehefrau hatte sich bis zur Festnahme im Hause ihres Nachbarn Steinbrink aufgehalten. Am folgenden Tag brachte eine Befragung von Zeugen aus der Nachbarschaft zum einen die Brutalität und Gefährlichkeit von Backs Handeln an den Tag, zum anderen die dadurch verursachte Wahrnehmung einer Gefährdung der eigenen Sicherheit und des Friedens der Nachbarn. Die bei Back im Dienst stehende Magd Regina Margaretha Landerwerck sagte aus, dass Back seiner Frau an besagtem Tage die Mütze vom Kopf gerissen habe, sie an den Haaren gezogen, geprügelt und mit dem Degen bedroht habe. Sie war sich sicher, dass ihre Wirtin zu Tode gekommen wäre, wenn sie nicht dazwischen gegangen wäre. Die Ehefrau Backs konnte sich über Nacht in den Kuhstall retten, wo sie im übrigen „auch vor schon mange nacht“ verbracht habe.²⁷⁸ Die übrigen Zeugenaussagen bestätigten das Sicherheitsrisiko, das die Anwesenheit Backs in der Nachbarschaft darstellte. Die im Nebenhaus eingemietete Witwe Flocke berichtete von dem großen Lärm aus dem Nachbarhaus, der sie zwei Wochen zuvor hatte auf die Straße eilen lassen, wo bereits die Back’schen Kinder um Hilfe riefen, während in der Küche der Ehemann seiner Frau mit einem Beil nachstellte.²⁷⁹ Der Ratsherr Vogt gab an, es sei in der Nachbarschaft bekannt, dass Back seine Frau öfter schlage, er selbst hätte die Vorfälle von Haffbecks Kindern in seinem Hause gehört. Auch Hermann Hoberg sagte aus, dass die „gantze Nachbarschafft bezeugen können, daß immer ein Lärm im Hause als wann dasselbe in Brande stünde“.²⁸⁰ In seinen Augen zeigte sich das Fehlverhalten des Beklagten auch darin, dass er seine Frau sogar noch schlage, wenn sie in der Nachbarn Häuser Schutz gesucht habe und „stöhrte sich nicht daran ob es Son- oder Fasttag wäre, sondern wütete beständig mit

277 Ebd. fol. 27v. 278 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 34r. 279 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 33vf. 280 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 34v.

258 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln stossen und schlagen auf seine frau los.“²⁸¹ Schließlich erklärte der Schneider Johann Elias Hurrelbaum, welcher Anna Back offenbar öfter zu Hilfe gekommen war bzw. ihr Unterschlupf gewährt hatte: „Es wäre tag und nacht kein friede in Beklagtens Hause, sondern es schlüge Beklagter seine Frau fast tag täglich.“²⁸² Die Unterstützung der Frau durch die Nachbarn in Konfliktsituationen wurde durch deren Aussagen vor Gericht weitergeführt. Mit dem Erzählen der „Geschichte“ des konkreten Falles zeigten alle Nachbarn zugleich die offenbare Grenzüberschreitung des Mannes in seiner Gewalttätigkeit, die nur vor dem Hintergrund einer bereits längerfristigen normativen Grenzüberschreitung zu verstehen ist. Die vielfachen Bezüge – den Gebrauch von Waffen, das Missachten der nachbarlichen Hausschwelle, die Missachtung von Feiertagen und anderes – flossen zwar eher beiläufig in die Erzählung ein, gleichwohl prägen sie die nachbarliche fama des Mannes und die Meinungsbildung der Gerichtsherren. Während die Mehrheit der Ratsherren eine 14-tägige Turmstrafe bei Wasser und Brot für angemessen hielt, forderte der spätere Bürgermeister Wilhelm Gerding wegen so heuffigen delicti und des Backs verwegenheit [. . . ] daß derselbe erst wenigst 4 tage in das zibürgken, und dann 4 Wochen im thurm gesetzet werde. Dann wann er die straffe nicht recht fühlet, mögte es arger werden. Dazu muß er bey der gelassung die urphed leisten.²⁸³

Auch, wenn er sich nicht durchsetzen konnte, weist seine Haltung auf zwei wichtige Aspekte des Friedenschließens auf mikropolitischer Ebene hin. Zum einen war den Gerichtsherren wohl bewusst, dass eine Bestrafung durch die Obrigkeit durchaus kontraproduktiv sein konnte – zumal dann, wenn die zugrunde liegenden konfliktiven persönlichen Beziehungen nicht durch eine Versöhnung auf eine neue stabile Grundlage gestellt worden waren. In diesem Zusammenhang ist der zweite Punkt zu sehen, der Schwur der Urfehde. Dieses Verfahren, das der Rechtsgelehrte Samuel Oberländer im 18. Jahrhundert als einen Racheverzichtsschwur charakterisierte,²⁸⁴ war vor allem im Umfeld der Landfriedensdurchsetzung von großer Bedeutung als friedenssicherndes Instrument gewesen, da es den Eidleistern verbot, nach Verbüßung ihrer Haft Rache an den Klägern zu nehmen. Die Anwendung dieses Verfahrens in einem häuslichen und ehelichen Konflikt zeigt deutlich dessen Wahrnehmung als ein Friedensproblem, dessen Klärung mit den

281 282 283 284

Ebd. Ebd. NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 28r. Oberländer, Lexicon, S. 724.

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zur Verfügung stehenden politisch-rechtlichen Mitteln nur unzureichend begegnet werden konnte.²⁸⁵ Während der Ehefrau Back in ihrer Nachbarschaft ein offenbar dichtes Netz an Unterstützern zur Verfügung stand, das sie nicht nur in akuten Konfliktsituationen, sondern auch zu gerichtlichen Verhandlungen aktivieren konnte, blieb dem Ehemann nur seine Herkunftsfamilie. Diese ergriff auch umgehend die Initiative, obwohl sie vom Prozessgeschehen ausgeschlossen war. Die Back’sche Magd berichtete in ihrer Aussage, am Abend des 10. November „wäre erstlich des Beklagtens Schwester in ihr Haus gekommen und gesagt, wo die Schwernoth Canaille, die Hippe-Hund wäre; sie wollte sie wann sie selbige nur sähe auf der Gasse steinigen. So dann wäre dessen Vater gekommen und gesagt: es sollte noch schlimmer werden.“²⁸⁶ Auch die Ehefrau hatte bei ihrer zweiten Anhörung berichtet, dass am Abend der Verhaftung ihre Schwägerin und ihr Schwiegervater ins Haus gekommen wären, sie beschimpft und bedroht hätten.²⁸⁷ Nachdem die Gerichtsherren ihr Strafmaß von 14 Tagen Turmhaft und Urfehde am 11. November gesprochen hatten, richtete Backs Vater am 13. November ein Gnadengesuch an den Rat mit der Bitte um Haftentlassung für seinen Sohn. Neben gesundheitlichen Gründen (Back habe die „böse Kranckheit“²⁸⁸, einen schweren Leibesbruch, zwei Kopfwunden und „offene Beine“²⁸⁹) führte er die unwürdigen Umstände aufgrund des feuchtkalten Novemberwetters an. So bemühte sich der Vater hauptsächlich, das Verhalten seines Sohnes als gerechtfertigt darzustellen, denn: daß nun derselbe jüngst mit seinem Eheweibe in Zanck und Streit gerathen, wofür er jetzt gebußfertiget wird, daran ist das Weib hauptsächlich ursache, sintemahlen mein sohn in gantzer 7 wochen kein rein hembd an seinem leib bekommen hatte, der gantzen nachbahrschafft ist es bekandt, daß sie die frau auf ihrem mann nichts zuschlaget, und daß sie denselben immer fort mit den allergottlosesten und empfindlichsten scheltworten begegnet, gestern [. . . ] ließ dieselbe mir entbieten, sie wollte daß die Herren ihrem mann die haut abschieden ließen, so wollte sie sich einen rock davon machen lassen, seynd daß nicht gottlose reden?²⁹⁰

285 Dass es sich hier in der Tat nicht um ein übliches Verfahren handelte, zeigt sowohl das Osnabrücker „Urphed-Register“, dass nur bis 1738 Einträge zeigt sowie die „Cantzley-Verfügung“ vom 9. Aug. 1765, in welcher das Schwören der Urfehde als ein „unnöthiges und undienliches Wesen, heutiges Tages nicht mehr erfordert zu werden pflege.“ CCO I/2, S. 1343. 286 Ebd., fol. 34. 287 Ebd., fol. 33. 288 Vielfach als Synonym für Fallsucht/Epilepsie benutzt, vgl. z. B. Lind, Selbstmord, S. 229. 289 Ulcus cruris, Substanzdefekt der Haut und darunter liegender Gewebe, verursacht durch Durchblutungsstörungen, Mangelernährung und Infektionen. 290 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 32.

260 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Hier lässt sich seine Strategie erkennen, das inakzeptable Verhalten der Ehefrau als Konfliktursache zu setzen. Neben dem Schimpfen sollte durch den Hinweis auf ungewaschene Wäsche der Eindruck erweckt werden, sie führe den Haushalt schlecht und komme ihren Aufgaben nicht nach – eine Darstellung, die stark mit dem positiven Bild der guten und fleißigen Hauswirtin kontrastierte, das die Nachbarn von ihr zeichneten: sie mache das Beste aus dem geringen Einkommen, was ihr nach den Saufgelagen ihres Mannes noch bliebe.²⁹¹ Im Ringen um die Deutungshoheit über die häuslichen Umstände der Backs konnte sich die Familie des Hausvaters nicht durchsetzen, der Supplik wurde nicht stattgegeben. Dazu mag neben der besonderen Härte der Brutalität, die selbst die Ratsherren erkannten, beigetragen haben, dass die Herkunftsfamilie des Back ebenfalls zur Nachbarschaft gehörte, wie ein Blick auf die stadt- und wohnräumliche Zuordnung der Akteure in diesem Fall zeigt (Abb. 5) – und daher kaum die Verfehlungen ihres Sohnes nicht bemerkt haben konnten. Diese wogen im Urteil der Gerichtsherren weitaus schwerer als die der Ehefrau vorgeworfenen Nachlässigkeiten – zumal diese aufgrund der nachbarschaftlichen Aussagen vor dem Hintergrund der schwierigen häuslichen Verhältnisse relativiert wurden. Entlassen wurde Back dann am 19. November – deutlich vor den verhängten 14 Tagen –, nachdem die Ehefrau in einem Gesuch um Haftentlassung ihres Mannes gebeten hatte. Vielfach baten die Angehörigen selbst um Haftentlassung oder zogen die Klage zurück, um das prekäre Gleichgewicht des Zusammenlebens nicht weiter zu belasten. Auch war man auf Arbeitskraft und Erwerbseinkommen des Beklagten angewiesen. Diesem Gesuch gaben die Ratsherren schließlich statt, wenn auch mit einigem Unbehagen: „Ich zweiffele sehr daran, daß die Straffe den Back schon mürbe gemachet, und zur Erkendtniß seiner Sünden gebracht habe“, wie der zweite Bürgermeister Gerhard Anton von Blechen auf dem Umlaufzettel notierte, weshalb sich alle für den Schwur der Urfehde aussprachen.²⁹² Die Eintragungen enden mit dem Hinweis, dass nachdem in Senatu Strictiori die Loslassung des Johann Herman Conrad Back auß dem Thurm, jedoch praestata prius implicada beliebet, so ist der Back vorgeführet und nachdem er sein Unrecht anerkandt, auch Leidwesen bezeigete, anbey mit seiner Frau wieder versöhnet, fortan die urpfeid gravia avisatione de periurio evitando geschworen, dimittiret worden.²⁹³

Der formale Akt des Friedensschlusses, mit Schuldeingeständnis, Bitte um Verzeihung und beiderseitiger Versöhnung mag angesichts der offenkundigen Zweifel der Ratsherren an der Nachhaltigkeit dieses Rituals wie eine leere Hülse wirken. Ihr

291 Ebd., fol. 31. Zur Bedeutung der Wäsche vgl. Helming, Große Wäsche. 292 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 30r. 293 Ebd., fol. 28.

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Abb. 5: Wohnort der Akteure im Stadtraum der Nachbarschaft. Schwarz: Wohnort der Konflikt­ parteien, weiß: Nachbarn, gestrichelt: Verwandte Akteure

Wohnort

Johann Herrmann Back und Anna Margaretha Back, geb. Butken Regina Margaretha Landerwerck, Magd bei Backs Margaretha Elisabeth Hoffmeister, vidua Flocke Johann Elias Hurrelbaum Senator Voigt Haffbecks Sohn und Töchter, Zeugen Johann Back mit Frau und Tochter, (Schwieger)Familie Vidua Schirrbaum, Schankstube

Hasestraße 43 Hasestraße 43 Hasestraße 44 Hasestraße 83 Hasestraße 60 Hasestraße 41 Hasestraße 45 Hasestraße 47/50

liegt aber die tiefere Funktion zugrunde, damit einen formalen Abschluss des Konfliktes zu erreichen, so dass einerseits beiden ein „Friedegebot“ auferlegt wurde und andererseits im Falle eines Wiederaufflammens der Streitigkeiten eine andere Handhabe seitens der Obrigkeit vorlag. Das Ehepaar und andere Hausangehörige

262 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln tauchen in späteren Gerichtsakten nicht mehr auf, der Haushalt bestand aber weiter fort, die allmählich steigenden Einkommenssteuern lassen auf eine moderate Stabilisierung zumindest der ökonomischen Verhältnisse schließen. Die Verhandlungen über die Beurteilung der häuslichen Verhältnisse Backs haben gezeigt, wie wichtig eine Situierung des Konfliktes durch die Einbeziehung der externen Beziehungsnetze Nachbarschaft und Verwandtschaft war – insbesondere dann, wenn der Hausvater so hart sanktioniert wurde, dass dies einen massiven Ansehensverlust seiner hausherrlichen Autorität zur Folge hatte. Gleichwohl gewährten die Gerichtsherren keine endgültige Trennung, wenngleich sie dem Entlassungsgesuch der Ehefrau nur zögernd nachgaben und eine längere temporäre Trennung bevorzugt hätten. Hier liegt einer der seltenen Fälle vor, in denen die Gerichtsherren deutlich zuungunsten der hausväterlichen Autorität entschieden.

3.4.5 Häuslicher Unfrieden als Störung der öffentlichen Ruhe Ein weiteres Beispiel häuslichen Unfriedens bildet der Fall des Bürgers Johann Anton von Blechen. Aktenkundig wurde das unfriedliche Verhalten des Osnabrücker Bürgers „ersten Ranges“²⁹⁴, als sich ein Nachbar bereits kurz nach seinem Zuzug in die Nachbarschaft der oberen Hasestraße über sein Verhalten vor der Gerichtskommission beschwerte: Da der Blechen die kurtze Zeit, er hie gewohnet auf beyden Seiten, und auch gegen uns über, mit allen Nachbahren so viele Streit gesucht, auch mit uns zum dritten mahle um daß wir von die umgängers ein paar Leinen hosen gekaufft, gantz keinen frieden halten wolle [. . . ].²⁹⁵

Dieser erste erwähnte Konfliktfall verweist auf die sozioökonomischen Hintergründe der nachbarlichen Aggression: Johann Anton von Blechen entstammte einer alt eingesessenen, angesehenen Osnabrücker Kaufmannsfamilie, die immer wieder auch Mitglieder des Rates stellte und eng mit anderen Familien der Führungsschicht verschwägert und verwandt war.²⁹⁶ Der Vater Dr. Johann Anton

294 So seine Selbstbezeichnung in einer schriftlichen Eingabe aus dem Jahre 1775, NLA OS Dep 3b IX Nr. 311 o. fol., Schreiben vom 3. Juni 1775. 295 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 159. 296 Spechter, Oberschicht, S. 127–128. Johann Anton fungierte beispielsweise als Beistand bei der Aufnahme von Christian Gerhard von Blechen ins Krameramt 1770 (NLA OS Dep 3 X, Nr. 170, Bl. 330); vgl. Aufnahme ins Kramer-Amt am 19. Oct. 1769 (ebd., 328). Er kannte sich gut in den Formen der Justiznutzung aus wie die Akten des Altstädter Niedergerichts zeigen, wo Blechen mehrfach gegen Lieferanten und Kunden wegen ausstehenden Zahlungen klagte. Vgl. z. B. NLA OS Dep 3b IX Nr. 58 foll. 35v, 60v, 115v, 146v.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

263

von Blechen war Ratsvogt, nach seinem Tode 1758 übernahmen die Ratsherren und Bürgermeister Dr. Johann Gerhard von Blechen und Anton Henrich Lange die Vormundschaft für dessen Kinder und damit auch für Johann Anton.²⁹⁷ Während der Jahre der gerichtlichen Auseinandersetzungen von 1772–1780 versahen zwei Mitglieder der Familie als Ratsherren das Amt der Gerichtsherren.²⁹⁸ Johann Anton selbst betrieb einen Kramladen, der offenbar nicht gut lief, da er sich seit 1771 wiederholt Geld von seinem Schwiegervater und der Tante seiner Ehefrau (die mit dem ersten Bürgermeister verheiratet war) geliehen hatte.²⁹⁹ Daher erklärt sich der offenbare Unmut darüber, dass sein Nachbar bei einem „Umgänger“ Hosen gekauft und damit die eingesessenen Krämer hintergangen habe. Es gab aber auch einen anderen Aspekt des alltäglichen Geschäftsgebarens, der für Konfliktstoff sorgte und Öl ins Feuer goss: Blechen hatte nach Auskunft des Klägers in einem Konkursverfahren Ansprüche angemeldet, ohne die entsprechenden Schritte eingehalten zu haben.³⁰⁰ Deutlich gravierender fallen in der Klage aber die „häuslichen“ Störungen ins Gewicht, die nicht nur durch verbale, sondern auch körperliche Gewalt gekennzeichnet sind: vor einiger zeit wie wir des Mittags beym Essen waren, er für seiner Thür kam mit Fluchen und Toben, und nach unserem Huhn werffete mit den Worten, daß er den Schweinekerl seine Hüner müsste füttern [. . . unleserliches Wort] Er balde und um ein Haar breit, ein doppelte Mord erwecket, indem er mit einen mordlichen Käul wieder nach dem Huhne werffen, bis vor unsere Thür, und von da bis der Wittibe Segebalds, und von da bis vor Hugen Haußthür, einige Haußleute um ein haar am Kopf getroffen, und den Eltesten Daniel Schultzen welcher in Handelung über einige Stücke Leinen war, ans Bein getroffen.³⁰¹

Die Aggression und Gewalttätigkeit, die immer noch zur Illustrierung des „ganzt keinen frieden halten wollen“ diente, bezog neben den Nachbarn zu allererst die 297 Vgl. hierzu das Vormundschafsprotokoll vom 21. Februar 1758, NLA OS Dep 3b IV Nr. 302, S. 393. 298 Dr. Gerhard Anton von Blechen (†1772) und Dr. Johann Gerhard von Blechen. Zur engen Vernetzung der Familie von Blechen mit den Führungsfamilien des 18. Jahrhunderts vgl. Spechter, Oberschicht, S. 128. Beide hatten Jura in Jena studiert, s. o. S. 182). 299 NLA OS Dep 3b IV, Nr. 4539. 300 Dass Schledehaus und Blechen auch geschäftlich auf sehr konfliktive Weise eng miteinander verbunden waren, zeigt der Hinweis auf ungebührliches Prozessieren Blechens: „darauf den Sontag als man hatte vom Reichen Manne an Gericht citieren lassen, ohne vorherige forderung und Rechnung zu geben, und er wohl leichtlich denken kann, daß unsere forderung seine übertrifft, und weil wir mehren theils solches alles mit Gedult übersehen.“ (NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 159). Die gegenseitigen Klagen auf Schuldeinforderungen zwischen Blechen und Schledehaus lassen sich in den Niedergerichtsakten der Altstadt für die entsprechenden Jahre sehr gut nachvollziehen, NLA OS Dep 3b IX Nr. 58 var. 301 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 159.

264 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Haustiere mit ein.³⁰² Zentraler Bestandteil der Klage ist jedoch die Ehrverletzung, die sich sowohl in Worten als auch tätlichen Übergriffen auf verschiedene Personen des Hauses zeigte, aber auch des Hauses selbst. Somit spiegelt sich gewissermaßen die Deckungsgleichheit des materiellen mit dem sozialen Raum des Hauses in der Tiefe der Ehrverletzung wider: [. . . ] er [kam] gleich mit den Worten zu uns ins Hauß springen, mit aller Ehrenrührigen Worte, und die hinter unser Thür stehende oben mit Eisen gefaste Gaffeln meinen Sohn am Kopf schlug, daß er an die Erde stürzete, und mir denselben vor die Brust warf, und sagen du Stuben Dieb, und der gleichen Ehrenrührige Worte noch mehr, und welche injurimente Rede noch mehr, er denselben Abend an Schwietering bekräftigte, welcher so gleich ins andere Nachbahrhauße solches überbrachte, und nun mehro hinter uns ins Gastehauß und bey der Mauren die Ehrendieberey verbreitet ist und zu besorgen stehet, daß das Gerüchte über alle in der gantzen Stadt sich verbreiten werde, da wir den balde zwantzig Jahr über alle, und in der Nachbarschafft außer allen Verdacht gelebet, und solche Ehrendieberey uns und unsere Son kein Mensch nachsagen kann, und wir uns allesamt bitter sauer werden lassen, und mit unsern Nachbahrn beweisen kann, unser kümmerliche Hauß-Haltung, da den dieses wie allergröste elende ist [. . . ].³⁰³

Die Verletzung der Ehre eines Hauses wird hier zugleich als Teil eines Ganzen gesehen – nämlich als Verletzung der Ehre sowohl der Nachbarschaft wie auch der Stadt insgesamt, was sich in der Titulierung des Beklagten als „Verfassung Ehrendieb“ deutlich wird. Obwohl Blechen in der folgenden Verhandlung zu einer Geldstrafe verurteilt und zur Besserung ermahnt wurde,³⁰⁴ trugen diese Bemühungen offenbar kaum Früchte. Bereits ein Jahr später, 1773, kam durch die Klage einer Magd ein sieben Jahre währender Prozess ins Rollen, der nach und nach viele Aspekte des als wenig friedfertig wahrgenommenen Blechens an den Tag brachte und in dem Vorwurf gipfelte, er habe seiner Frau und seiner Magd verboten, ein an Pocken erkranktes und im Sterben liegendes Kind zu pflegen: „es solle im Teuffel sterben“.³⁰⁵ Da sich seine Frau diesem Befehl widersetzt hatte, wurde sie von ihm offenbar so heftig geschlagen, dass die Gerichtsdiener ihn in das Gefängnis unter dem Rathaus brachten und ein Prozess über die innerehelichen Gewalttätigkeiten angestrengt wurde. In den Akten lassen sich die vielfältigen Verflechtungen

302 Zur Bedeutung der Haustiere für den Hausfrieden und deren speziellen Schutz vgl. z. B. Struve, De pace domestica, S. 60. 303 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 159f. 304 Ebd., fol. 161r. 305 Laut Verläuteregister von St. Marien verstarb am 15. 10. 1773 ein Sohn des Johann Anton von Blechen, am 19. 7. 1779 ein weiteres Kind und am 5. 12. 1779 ein „Töchterlein“ (NLA OS Dep 12b, A-B).

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

265

ehelichen Unfriedens mit nachbarschaftlichen Beziehungen aufzeigen, was die Wichtigkeit der stadt- und wohnräumliche Situierung deutlich werden lässt (vgl. Abb. 6). Während die Uxor Matthias Bolz nicht nur ihren Mann von der Unterstützung der Ehefrau Blechen abhielt, sondern auch zugunsten des Angeklagten aussagte, verfasste der Nachbar und Kirchenälteste Johann Schultze ein dringendes Gesuch an den Rat, in dem er um Sicherheit für die Frau und Abstellung der „nachbarlichen Unruhe“ bat.³⁰⁶ Während die Uxor Bolz zwar einen massiven Alkoholabusus des Angeklagten bestätigte, betonte sie zugleich aber auch die Mitschuld der Ehefrau, weil sie ihrem Mann nicht gehorche und „auff die Haushaltung nicht recht acht gäbe.“³⁰⁷ Ähnlich auch die Aussage einer anderen Nachbarin, der Witwe Möllers, die keine Übergriffe des Mannes bezeugen könne, wenngleich er „stark dem Trunke zugetan und auch wenn er nüchtern nicht recht bei sinnen zu seyn unterweilen scheine.“³⁰⁸ Auch sie formuliert eine Mitschuld der Frau, die sie an ihrer Unnachgiebigkeit gegenüber den Anweisungen des Mannes und an Tätlichkeiten festmachen will. Die beiden Nachbarinnen machten den „Unfrieden“ an nonkonformem und dadurch konfliktivem Verhalten fest und riefen damit den performativen, handlungsbezogenen Aspekt von häuslichem Frieden auf. Der Nachbar Johann Daniel Schultz fokussierte stärker auf Frieden als Zustand, der durch bestimmte Verhaltensweisen gefährdet worden sei: ergänzend zu seiner kurzen Notiz (vgl. Anm. 308) begründete er seine Schutzgewährung damit, dass Blechen, als dessen Frau ihn zu einer besseren Lebensart ermahnt hätte, geantwortet habe: „Sie sollte nimmer Ruhe und Friede von ihm haben“³⁰⁹; auch hätte Blechens Magd ihn kurze Zeit später mit den Worten zu Hilfe gerufen, „er würde keinen Friede halten ehe es abend würde sollte sie, die frau unter seinen händen sterben [. . . ].“³¹⁰ Die nachbarschaftlichen Netzwerke der Unterstützung der beiden Konfliktparteien traten noch deutlicher in Erscheinung, als die Ehefrau Blechen am Abend

306 20.10.1773: „So eben komt uns in voller Conternation die Madame Blechens Ew. HochWohlEdle Frau Nichte ins hauß um ihres lebens sicher zu seyn, so dieselben uns klagte, wir ersuchen also ganß inständigst obbemeldete madame sicherheit zu schaffen. Damit diese un Ruhe in der nachbaarschafft einmahl ein Ende nehme, wir sind mit aller devotion in großer Eilen Ew. HochEdelgebohrne gantz ergebenster diener Ich Johan Daniel Schultzen.“ NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, o fol. 307 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311 fol. 3r und 3v. 308 Ebd. 309 Ebd., fol. 4r. 310 Ebd. „ausgesöhnet, auch ruhig mit einander zu leben versprochen“ fol. 5r. [„vor seine Handlung und Haußhaltung besorgt wäre, und wann etwas vorfiele so nicht recht überlieffe ihn der Eifer da er dan laut zu sprechen gewohnt wäre.“]

266 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln

Abb. 6: Wohnorte der Prozessbeteiligten ctr. Johann Anton von Blechen; schwarz: Wohnhaus Blechen, weiß: Nachbarn, gepunktet: städtische Beamte.

des 23. Oktober 1773 um 9 Uhr auf dem Rathaus vorstellig wurde und angab, dass sie sich heute zwar „auf Zureden der Gerichts-commission“ ausgesöhnt habe, sie aber starke Zweifel befallen hätten, da „schon mehrmahlen durch interposition guter freunde solches geschehen, worauff es aber nicht besser, sondern ärger ge-

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

Prozessbeteiligte

Wohnort († 21.7.1781)1

Johann Anton von Blechen Susanna von Blechen, geb. Sextroh2 Maria Sophia Duven, Magd bei Blechen Johann Henrich Droop Vidua Hugen Johann Christoph Schledehaus Friedrich Schultze Johann Daniel Schultze Maria Elisabeth Hasselmann, Vidua Möller Anna Elisabeth Betman, Uxor Matthias Boltzen Witwe Segebald Henrich Grothaus Johann Henrich Heuer Minister Meyer (Ratsdiener) Anna Ernesta Christina Scheren [Altermann Hüggelmeyer] Wagenmeister Pagenstecher Hermann Henrich Morian Clausing Armenvogt Lamping Perückenmacher Buse 1 Laut

267

Hasestraße 62 Hasestraße 62, später 75 Hasestraße 62 Hasestraße 63 Hasestraße 61 Hasestraße 104 Hasestraße 105 Hasestraße 100 Mühlenstraße 265 Lohstraße 193 Hasestraße 101 Hinterm Marienturm 121 Neue Straße 215 Hasestraße 53 Neue Straße 207 Hasestraße 52 Hasestraße 77 Hasestraße 83 Vitihof 257 Vitihof 230a Hasestraße 72

Verläuteregister St. Marien, NLA OS Dep.12b, A-B.

2 Tochter von Gerhard Wilhelm Sextroh aus Badbergen (Pächter, Großbauer weit verzweigte Ver­

wandtschaft mit vielen regionalen Pfarrern, immer wieder Heiraten in die Osnabrücker Bürger­ schicht, Tante von Susanna ist Anna Christine Rosina Sextroh, verh. mit Dr. Wilhelm Gerding, 1. Bürgermeister; vgl. ihr Testament (1777) unter NLA OS Dep 3b IV, Nr. 4539.

worden“³¹¹; man möge ihren Mann doch weiterhin in Haft behalten. Die folgende Beratung der Ratsherren offenbarte, dass die Aussagen der beiden Nachbarinnen zugunsten von Blechen offenbar von ihm „gekauft“ worden waren. Mehrere Ratsherren, Hüggelmeyer, Gerding und der Bürgermeister, waren Teil des nachbarlichen und verwandtschaftlichen Informationsnetzes, das sowohl die Widersprüche der Nachbarinnen aufdeckte als auch Ohrenzeugen benannte, die gehört haben wollten, wie Blechen beiden Vergünstigungen und Waren aus seinem Laden versprochen hätte.³¹² Nachbarschaftliche Intervention musste aber nicht unbedingt darauf ausgerichtet sein, Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Sie war durchaus auf Versöhnung und Stabilisierung der auch für das Funktionieren der nachbarschaft-

311 Ebd., fol. 6r. 312 Ebd., fol. 7.

268 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln lichen Netzwerke wichtigen häuslichen Verhältnisse ausgerichtet. Nur so lässt sich das Verhalten des Nachbarn Schultze verstehen, der im Auftrage Blechens eine Bitte um Haftentlassung, das mit einem Motivationsschreiben aus dezidiert nachbarlicher Sicht ergänzt wurde und die Friedensfunktionen erläuterte: Wir hätten gewünschet, daß einmahlen daßjenige daß bey ihnen geschehen, währe geschehen, wan sie friede hätten gesuchet, und dencken sie anders von uns thun sie wahrhafftig nicht Recht, nun komt es hierauf an daß sie friede und einigkeit suchen, und sollen kommen Ruhe und friedliches leben uns versichern, so wollen wir alles mögliche zu dehro Rancionirung mit beytragen helffen, jedoch so dieses nur von sie lehre Worten, und nicht wahrhaffte Wärcke wären, so währe daß letzte Ergersen wie das erste, so wahr wier leben und kein Neid noch arglist gegen sie haben, wier wünschen alles gutte in ihrem Hause und betrübet uns wenn Zank drin ist, nur wünschen daß der Barmherzige Gott sie ein friedsahm Hertze möge schencken, und daß Ruhe und Friede und Einigkeit bey sie regierte und Herr Nachbaar ist dieses nicht würcklich das beste, denn uns betrübet wahrlich wenn Zanck in ihre Wohnung ist, und der barmhertzige Gott gebe sie doch andern sin und gedancken, versprechen sie uns doch solches aus wahrem hertzen, und nicht zum Schein, um ihre Freiheit zu erhalten, versichern sie uns solches mit der that, dieses würde uns lieb seyn, und sie werden so dass alle nachbaarlichen freundschafft bey uns, und alle anderen Nachbaren finden, wir haben die Ehre dehro versicherung auf diesen nehmlichen Blatte zu gewertigen und sind sodann gewiß dafür. Auf nehliger nachbaar und Freund Johann Daniel Schultze wittibe und Erben 29. Okt. 1773.³¹³

Ganz deutlich kommt hier das soziale Wissen zum Tragen, das eine Verbesserung der Umstände nur dann zu erwarten sei, wenn die persönlichen Beziehungen der Ehepartner sich fundamental ändern, wozu von beiden Seiten der unbedingte Wille von Nöten sein würde. „Frieden“ und „Einigkeit“ wird hier nicht primär über die Erfüllung der spezifischen Rollenmodelle definiert, sondern ausschließlich über die Stabilisierung der Beziehung, des Aufbaus stabiler, respektvoller Umgangsformen miteinander. Dass dieser Prozess allerdings als kaum von außen steuerbar angesehen wurde, darauf verweisen die vielfachen Anrufungen Gottes und des „friedsahmen Hertzens“. Gleichzeitig beschwörend und hilflos zeigt sich die Position der Außenstehenden in den wiederkehrenden Friedensformulierungen und der Hilfsversprechen. Frieden erscheint hier ganz in seiner fundamentalen bzw. umfassenden Bedeutung der christlichen caritas-Ethik, also eines anerkennenden, selbstreflexiven Umgangs miteinander. Am 2. November 1773 wurde Blechen aus der Haft entlassen und „mit seiner gegenwärtigen frau sich ausgesöhnet und mit derselben künftig ruhig und friedlich zu leben“ ermahnt, nachdem Schultze eidlich versichern musste, jeglichen „Unfrieden“ im Hause Blechen sofort zu melden – womit eine offizielle nachbarliche

313 Ebd., fol. 12.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Aufsichtsfunktion installiert worden war, was von nicht allzu großem Vertrauen der Obrigkeiten in die Erfolgschancen dieses Unternehmens zeugt.³¹⁴ Während 1773 Blechens Gnadengesuch keinerlei Bezüge auf eine Friedenssemantik oder konkrete Konfliktbezüge aufwies, sondern in sehr vagen und blumigen Formulierungen von Reue, Sühne und Gnade Gottes sprach³¹⁵, gestaltete sich sein Vorgehen anderthalb Jahre später, im Mai 1775 anders. Abermals waren die Konflikte im Hause Blechen in einem solchen Ausmaße eskaliert, dass die Nachbarn sich gezwungen sahen, die Obrigkeit hinzuzuziehen. Die Ehefrau Blechen war im Wochenbett an einem Milchstau mit Brustentzündung erkrankt und löffelte deshalb das Kind. Der Ehemann warf seiner Frau daraufhin Bequemlichkeit und Überheblichkeit vor, zerbrach das Glas mit Milch und wollte sie zum Stillen zwingen.³¹⁶ Die Nachbarn Schultze und Buse, die intervenierten, berichteten von andauerndem Streit in Blechens Haus und ihren fortwährenden Interventionen, „um frieden zu stiften“. Die Formulierung verweist hier auf die Beendigung heftiger Auseinandersetzungen, eine grundsätzliche Lösung wurde offenbar als wenig aussichtsreich angesehen. Darüber hinaus nahmen Nachbarn und Hausbewohner auffällige Verhaltensweisen bei Blechen war, der seit längerem immer wieder Wertsachen und Dokumente packe, „um in die Welt zu ziehen“. Die Grundproblematik lässt sich auch in den Beratungen der Ratsherren nachzeichnen, die nach der Klage der Ehefrau am 11. April 1775 über den weiteren Umgang mit Blechen diskutierten. Die Positionen gehen von abermaligen Verwarnungen bis zu „Zuchthaus, weil incorrigibel“, die verwandten Ratsherren enthalten sich – aber nicht ohne den Hinweis, dass „alle Nächte die frau eine Wache bey sich behalten muß, aus besorgniß ihres Lebens. Alle Verwandte sind wegen Unglücks in Sorgen.“ Blechen wurde daraufhin in den Waisenhof³¹⁷ eingeliefert, von wo er allerdings am 30. April floh. Nach zwei Tagen Umherirrens im ländlichen Umfeld Osnabrücks erreichte sein Anwalt, dass er wieder in die Stadt eingelassen wurde und seine Frau – unter Aufsicht – besuchen konnte. Das Treffen verlief allerdings nicht als jener Friedensschluss, als den es Blechens Anwalt darstellte:

314 Ebd., fol. 13. 315 Ebd. 316 Zum Stilldiskurs im 18. Jahrhundert und die hausväterliche Verfügungsgewalt vgl. z. B. Fues, Amme, S. 85–104. 317 Der Waisenhof in Osnabrück stellte eine der städtischen Armeneinrichtungen dar. Im späten 18. Jahrhundert wurden hier aber auch zunehmend Leute untergebracht, die aufgrund psychischer Erkrankungen oder Suchtverhalten für die Gemeinde nicht länger tragbar waren. Seit 1720 wurde hier zur „Versittlichung“ dieser Menschen eine „fabrique“ eingerichtet, die als Wollmanufaktur die regionale Wirtschaft stärken sollte. Vgl. hierzu Minnich, Teresa: Armenwesen im frühneuzeitlichen Osnabrück, unveröff. Bachelor-Arbeit, Osnabrück 2006, S. 68–83; Waisenhof, Bucksmauer 208–215, und Gildewart 231–235.

270 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln

Sein Erster Seupfzen war über seine Ehefrau seine Kinder und sein während seiner Abwesenheit vielleicht diranchirtes (derangiertes) Hauswesen, Er sehnte nach seiner Ehefrauen, um mit dieser die güte zu versuchen [. . . ]. Implorant verfügte sich [. . . ] zu seiner Frauen, bewillkommte sie aufs zärtlichste, bot ihr so fort seine Hand zum Frieden dar, bat wenn Er sie wieder sein wißen beleidiget hätte, um verzeihung, Er wäre auch bereit ihr alles zu vergeben, stellte ihr die Folgen des Unfriedens nebst dem Fluche, den der Allerhöchste darauf gelegt vor, führte ihr die Barmhertzigkeit Gottes welcher ja den reuenden Sündern verzeihe zu Gemüthe, sie möchte sich doch auch zum Frieden und Einigkeit bequemen. Allein alles vergebens, nicht allein der wieder den Wohlstand Supplicierenden Ehemann, sondern auch sein Begleiter der Henrich Grothaus musten hier das Opfer des weiblichen Grolls seyn.

Die in den vorherigen Auseinandersetzungen abstrakt gebliebene Forderung nach Frieden, die als wünschenswerter Zustand immer wieder aufgerufen worden war, kommt im Schreiben des Anwalts erstmals als auf die Konfliktparteien selbst bezogenes Handlungskonzept zum Tragen; zum einen als Beschreibungsmodell, um die Motivation und das Interesse Blechens an Friedfertigkeit und häuslichem Frieden zu umreißen, zum anderen als konkret vollführte Handlung, wie sie in Ausdrücken wie „aufs zärtlichste bewillkommen“, „die Hand zum Frieden darbieten“, „bereit zu vergeben“ oder „die Folgen des Unfriedens vorstellen“. Hierin drücken sich kulturell tief verwurzelte Gesten des Friedens und der Versöhnung aus, die zugleich auch wesentlicher, notwendiger Bestandteil von Friedensschlüssen und Versöhnungen auf allen Ebenen politisch-sozialer Ordnung waren.³¹⁸ Aufschlussreich wird die kommunikative Strategie dort, wo die Friedensbezüge mit der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung der sozialen Rollen als Hausvater und Ehemann bzw. Hausmutter und Ehefrau verknüpft werden und in der Summe eine hoch konfliktive Interpretation der häuslichen Situation bereitstellen. Blechen selbst wird dargestellt als ein sich um Haus und Hof sorgender, zugleich seine Frau aber auch anleitender Hausvater, dem nach langer, entbehrungsreicher Abwesenheit eine gnädige und liebende Aufnahme in seinem Haus zustand. Die zusätzliche Charakterisierung als den „herumirrenden und verhungerten H. Imploranten“ bzw. den „verhungerten Friedensfreund“ ruft zugleich das Bild des verlorenen Sohnes auf, der in Demut zurückkehrt und freundliche Aufnahme findet. Allein – und hier setzt die weit ausführlichere Beschreibung nicht nur der fehlenden Friedfertigkeit, sondern der grundsätzlichen Friedensstörungen durch die Ehefrau ein –, es scheitere am „weiblichen Groll“. Neben der so bezeichneten fehlenden Bereitschaft zur Vergebung von Sünden führt der Verteidiger weiter aus:

318 Vgl. zum rechtskonstitutiven Charakter von Rechtsritualen wie dem Handschlag Ostwaldt, Rechtsrituale, S. 130–143 und Erler, Handschlag, Sp. 1974f.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

271

Implorant ging in die Stuben, bat seine Frau sie möchte ihm doch einen maaß Bier holen lassen, Sie versetzte, Es wäre kein Geld im Hause, darauf begehrte um Theewasser, welches Er denn auch Endlich erhielt. Nachher verlangte ein rein Hemd und eine reine Mütze, Sie besann sich anfänglich, und Endlich der Magd das Bund-Schlüssel mit dem Beyfügen: Holt Ihm ein Hemd, er erwiederte drauf warum giebstus der Magd das ganze Bund-Schlüssell ist es gut, daß sie allenthalben beykommen kann, sie versetzte: Darum wolle sie ihm nicht fragen, Sie sollte Ihn nicht aufwarten [. . . ].

In dieser kurzen Szene zeigt sich das zerrüttete Verhältnis der Eheleute auf das deutlichste. Die Weigerung, ihrem Mann „aufzuwarten“, tritt hier als Widerstand gegen die gottgegebene Autorität des Hausvaters in Erscheinung, der zugleich auch diskursiviert in der Auseinandersetzung über die Schlüsselgewalt reflektiert wird. Aus der Perspektive Blechens wird die sittliche Verrohung und Boshaftigkeit seiner Frau nicht nur in der sehr widerstrebend erfolgenden Aufnahme deutlich, sondern auch in der Weigerung, ihm selbst Kleidung zu holen und in der in seinen Augen ausgesprochen nachlässigen Art ihres Hausregiments. Sehr deutlich bekam er seine nicht mehr vorhandene Autorität von seinem Beichtvater am folgen Montag formuliert, der berichtete, „sie hätte nicht auf Ihn, nur könnte sie sich in betref ihrer häuslichen angelegenheiten ohne Vorwissen ihrer Anverwandten mit Ihm nicht setzen.“ Die Auseinandersetzung wurde in der Folge ausschließlich über die häuslichen (Un-)Tugenden geführt, die gegen das strahlende Vorbild des Ehemannes, umso düsterer und verderbter erscheint, wenn er als „ein guter Wirth seine Handelsgeschäffte aufs genaueste beachte und Fleiß anwende, sich mit seiner Ehefrauen und Kinder redlich zu ernähren“³¹⁹. Weit schwerer als ihre Verbalinjurien, so der Anwalt, zeige sich die Unzuverlässigkeit in der fehlenden Achtsamkeit in der Haushaltsführung, da sie nicht nur das Hauswesen und den Handel vernachlässige, sondern „den unausbleiblichen Ruin mit starcken Schritten entgegen gehe“, indem sie „kostbahren Wein trinke, allerhand kostbahre Schleckereyen sich mittelst Versetzung des Hausgeräths anschaffe und [. . . ] vernascht habe“ und dies auch noch auf einem Bittschreiben ihres Mannes aus der Haft notiert hätte. So sei es kein Wunder, schließt der Anwalt, dass „einen sonst redlich denkenden Bürger und Ehemann nicht der Selbstmord einfallen“ würde und „die verzweiffelung Ihm zum übermäßigen Trunk verleitet.“³²⁰ Abgesehen von der klassischen Konfrontation der weiblichen Völlerei und der männlichen Trunksucht³²¹ wird letztere als unausweichliche Folge der ersteren in einer Art und Weise dargestellt, die den Richtern deutlich machen soll, wie

319 Ebd. 320 Ebd. 321 Vgl. hierzu u. a. Castan, Honnêteté, S. 170–172.

272 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln wenig Spielraum Johann Anton von Blechen in dieser Ehekonstellation besaß, um die ihm zustehende Autorität als Hausvater und Ehemann auszuüben. Denn selbst körperlich sei seine Frau ihm weit überlegen, „er würde längst erdrossellt seyn, wenn er einmahl eine Hand zum schlagen wieder sie ausgestrecket hätte.“³²² Hier wurde gewissermaßen ein „Renversement des alliances“ vollzogen, nicht der Hausvater, sondern die Hausmutter steht in der Friedenspflicht der Herrschenden, da sie offenbar die Machtmittel besaß – um so schwerer wog damit natürlich auch ihre strikte Weigerung zu Vergebung, Versöhnung und Friedensschluss. Den Ausführungen des Anwalts folgt ein 118 Punkte umfassender Fragenkatalog sowie eine Liste von Zeugen, die seine Darlegungen stützen sollen; Hauptzeugen der Verteidigung sind wie zwei Jahre zuvor die Uxor Bolz sowie die Witwe Möller – wobei diesmal besondere „Vergünstigungen“ nicht thematisiert wurden. Die Ehefrau Blechen, die ebenfalls auf die Fragen hin verhört wurde, kam in ihrer Aussage explizit darauf zurück, dass ihr Mann „zwar mit Grothaus zu ihr gekommen, habe guten Abend gesagt, sey aber gleich wieder aus der Stube gegangen, habe bier gefordert ohne friedensantrag zu tun“, obwohl diese Formulierung im Fragenkatalog nicht auftaucht. Das zeigt die besondere sinnstiftende Wirkmächtigkeit der Friedenssemantik, die Vereinnahmung durch den Ehemann konnte aus Perspektive seiner Frau nicht unbeantwortet bleiben und sich damit womöglich nachteilig für sie auswirken.³²³ Da allen Beteiligten bewusst war, wie ausgesprochen prekär die Lage im Hause Blechen war, wurde – obwohl der zuständige Beichtvater als Vermittler und Friedensstifter hinzugezogen worden war – eine nachbarliche Bürgerwache im Hause postiert, die Tag und Nacht das Verhalten Blechens kontrollieren sollte und gegebenenfalls auch zu intervenieren hatte. Denn obwohl Blechen für kurze Zeit in Gewahrsam genommen und am verflossenen Dienstage derselben von dem Herrn Dr. Gülich der Friede und die Ruhe auf das strengste eingebunden, Er auch versprochen, solchen zu halten; so ist doch alles dieses vergebens, sondern die Raserey und damit verknüpfte Lebensgefahr für Frau und Kinder nimmt anjetzt, wie zum Theil aus denen abgehaltenen Protocollen erhellet, zum Theil auch durch den Minister Meyer und andere zur Wache gehabten Persohnen erprobet werden kann,

322 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, Schreiben des Anwalts vom 2. Mai 1775. 323 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, Befragung der Ehefrau Blechen vom 23. Mai 1775. In allen übrigen Beschuldigungen zeigen die Aussagen der Ehefrau ein umgekehrtes Bild, sie sei diejenige, die versuche, das schleppende Geschäft halbwegs am Laufen zu halten, während ihr Mann „auf Stühlen liege“; zeige er Aktivität, wäre dies nur um sich in Fragen der Haushaltsführung einzumischen, „die der frau zukämen“ und es „entstünde Streit.“ Auch hier kommen die Subjektivierungsprozesse der mit sozialen Rollen verknüpften Normen hin zur Konstruktion eines Selbst als „Hausmutter“ deutlich zum Tragen.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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dergestalt überhand, daß es nicht möglich ist, mit demselben ohne hinlängliche Sicherheit länger alleine zu seyn.³²⁴

Die sich hier abzeichnende Reduktion der Friedensforderung von einer konsensorientierten und respektgeprägten gemeinsamen Haushaltsführung auf die Unterlassung von physischer Gewalt ging einher mit der Eskalation des Konflikts – die Installation der Wachen durch städtische Diener, die aber auch zugleich in nachbarlichem Kontakt zur Haushaltung standen, stellte für die Verteidigung offenbar eine Steilvorlage dar, die nicht lange ungenutzt blieb. Am 3. Juni 1775 ging ein eigenhändiges Schreiben von Johann Anton von Blechen beim Rat ein, in welchem er die Störung seines Hauses und Hausfriedens durch diese Wachen vehement anprangerte und als mit seinem sozialen Status unvereinbar erklärte. Es sei den Richtern wohl bekannt, so leitete er ein, dass seine Frau den Frieden toties quoties ausgeschlagen habe sowie die Misshandlungen, die er „bald von meiner Frauen, bald von dem besoffenen Stadtsdiener, bald vom Kuhhierten bald von dem Bettelvogt Lamping zu meiner größten Prostitution erleiden müssen.“ Auch die direkte Aufforderung zur Gewalt und Einmischung des Advokaten seiner Frau sei inakzeptabel, denn: Ich bin ein Bürger des Ersten Ranges, meine Blutsverwandten sind Doctores, Richter, und Bürgermeister gewesen, sie waren jederzeit beflißen ihrer Posten treu, redlich und unpartheyisch zu verhalten und mit diesem Ruhme haben sie das zeitliche verlaßen. Ich habe die Handlung gelernet, keinen Fleiß habe ich gespahret, mein Brod redlich zu verdienen, nur habe ich das Schicksahl gehabt, mit einer nicht gleichgesinnten, unachtsamen Gattinn mich zu verbinden, ein Unglück! Das in seiner Art das größte ist, und ein christlich unpartheyisch Mitleiden verdienet, und statt dessen läßt man mich durch indirecte Stadtsdiener so gar durch den Bettelvogt prügeln, beängstigen und stöhret auf die unmenschlichste Art den Hausfrieden! [. . . ] Domus sua tutissimum cuique debet esse refugium heißt es in den gemeinen Rechten nihil sanctius esse quam domus uniuscuiusque civium sagt mit Recht ein Römischer Bürgermeister Cicero und dürffte es ohne Zweifel bekannt seyn, mit welchen Strafen die Rechte die violatores securitatis domesticae ansehen.³²⁵

Die im Zitat deutlich werdende Argumentation zielt hier das erste Mal konkret auf das Rechtsinstitut des Hausfriedens, den er durch die Anwesenheit der Wachen und vor allem durch deren Verhalten gestört sieht. Der Verweis auf die gemeinrechtlichen Bestimmungen sowie den Strafenkatalog deuten auf anwaltliche Unterstützung hin, der hier offensichtlich die Dissertationen zum Hausfrieden als relevante Literatur heranzog. Dieser juristische Bezug auf den Hausfrieden

324 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, anwaltliches Schreiben seitens Susanna Blechen, geb. Sextrohen, 26. Mai 1775. 325 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, Schreiben Johann Anton von Blechens an den Rat, 3. Juni 1775.

274 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln steht jedoch nicht isoliert im Raum, er wird einerseits an den häuslichen Frieden rückgekoppelt, dessen bisher gescheiterte Wiederherstellung er in der Weigerung seiner Frau aufgriff. Andererseits knüpfte er aber auch an das stadtbürgerliche Selbstverständnis an, indem er sich selbst als hochrangiges Mitglied der Stadtgemeinde positionierte unter Verweis auf seine Verwandtschaft einerseits wie auch auf seine eigenen bürgerlichen Tugenden der Kaufmannschaft andererseits. Diese rhetorische Strategie verdeutlicht abermals, dass der Rückgriff auf Friedensbegriffe und -konzepte ein hohes Potenzial an Sinnstiftung besaß – insbesondere dann, wenn die verschiedenen Ebenen und diskursiven Bezüge in größtmöglicher Kohärenz miteinander verknüpft werden konnten – christliche Friedensethik in Ehe und Haus, Sicherheit und Schutz des Hauses vor äußerer Gewalt und damit auch Frieden im umfassenden Sinne für die zugehörige Nachbarschaft und Gemeinde. Ob sich der angestrebte Erfolg einer solchen friedensgespickten Protestschrift erfüllte, lässt sich anhand der Aktenlage nicht mehr eruieren. Die Überlieferung bricht mit einer Notiz über die Haftentlassung am 10. Juni 1775 ab, für August 1780 sind noch zwei weitere kurze Notizen über eine erneute Klage wegen Unfriedens erhalten sowie die Notiz der Haftentlassung; diese kam jedoch nur zustande, weil Blechen eidlich versicherte, sich seinen Unterhalt als Packenträger auf dem Lande verdienen zu wollen, kurz darauf, im August 1781 verstarb Johann Anton von Blechen. Susanna heiratete bald danach den Ratsherren und Nachbarn Anton Klinken (Hasestr. 75). Zusammenfassend lässt auch das über acht Jahre dauernde Prozessieren des Ehepaares Blechen und der Nachbarn ein bereits in den vorhergehenden Fallstudien deutlich gewordenes Grundmuster erkennen: die gerichtliche Auseinandersetzung war nicht auf eine endgültige Verurteilung ausgerichtet, sondern Teil eines Aushandlungsprozesses häuslicher Beziehungen, indem die Restabilisierung und der Erhalt der vorhandenen ökonomischen Strukturen im Vordergrund standen. Das in den Quellen dokumentierte Verfahren ist zwar das mit der höchsten Legitimation und Verbindlichkeit, es gliedert sich aber in ein dichtes Netz von Interventionen auf nachbarlicher und familiärer Ebene, das für die alltägliche Konfliktlösung innerhalb der Häuser oder auch zwischen ihnen von ganz entscheidender Bedeutung war. Auch wenn man in Betracht zieht, dass die Quellen aus einer auf die Obrigkeit und Legitimität zielenden Kommunikationssituation stammen, wurde deutlich, dass der Rekurs auf den Friedensbegriff immer wieder in Kernstellen der jeweiligen Argumentationen als offenbar ausgesprochen wirkmächtiges „Bedeutungssystem“ angewandt wurde. Zum Tragen kamen dabei vor allem zwei Bezugsebenen des Friedensbegriffs: zum einen der christlich-religiös fundierte ethische Frieden als

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Handlungs- und Verhaltenskonzept gegenüber den Nächsten, zum anderen Frieden als ein (Rechts)Zustand der Sicherheit, der nicht nur die momentane Abwesenheit von Gewalt beinhaltet, sondern diesen auch auf die Zukunft ausdehnt im Sinne der Abwesenheit eines Gefahrenpotenzials. Im Gebrauch der Friedensbegrifflichkeiten zeigt sich deutlich die unauflösliche Verwobenheit von häuslichen, nachbarschaftlichen und städtischen Aktions- und Bezugsebenen. Wenngleich sich das konfliktive Verhalten Blechens mit seinem offenbar durch Alkoholkonsum deutlich gesteigerten aggressiv wahrgenommenen Naturell zu allererst als Ehekonflikt äußerte, blieben die dadurch verursachten Störungen im „häuslichen“ Bereich weder auf den Raum des Hauses noch auf die Reichweite seiner Haushaltung beschränkt. Die Nachbarn waren gleichermaßen sowohl in ihrer jeweils eigenen „Häuslichkeit“ als auch als Teile eines notwendigen sozialen Netzwerkes tangiert und formulierten dies als Friedensstörung auf verschiedenen Ebenen. Zugleich brachten sie gegenüber der Obrigkeit zum Ausdruck, dass ein solches Verhalten auch dem allgemeinen Frieden abträglich sei. Die enge Verflechtung zwischen sozialen und politischen Ordnungsregimen zeigt sich aber nicht nur auf der rhetorischen Ebene. Die Einsetzung der „Nachtwachen“ aus niederen städtischen Bedienten, die die Konflikte aber zugleich auch als Nachbarn kannten, verweisen deutlich darauf, für wie entscheidend man die Stabilität dieser sozialen Netzwerke für die städtische Ordnung erachtete, ohne diese mit den zur Verfügung stehenden politischen Mitteln alleine gewährleisten zu können. Für das Funktionieren der sozialen und damit letztlich auch der politischen Ordnung des städtischen Gemeinwesens war der Erhalt des „Gleichgewichts der Kräfte“ durch die Kontroll- und Konfliktlösungsmechanismen der sozialen Netzwerke elementar, die man von obrigkeitlicher Seite entsprechend zu unterstützen suchte. Gleichzeitig waren die verschiedenen Gerichtsinstanzen aber auch ein wichtiges Instrument innerhalb dieser sozialen Konfliktlösungsmittel, was sich auch in diesem Falle darin zeigte, dass die in den Prozessen auftauchenden Zeugen und das Gerichtspersonal als Nachbarn, Verwandte und Geschäftspartner auch in anderweitigen Prozessakten vorkommen und somit eine eigene litigation community bildeten, in die sich die häuslichen Konflikte Blechens einfügten. Gerichtliche Verhandlungen hatten in diesen Interaktionsprozessen neben der unmittelbaren Gefahrenabwendung durch Ingewahrsamnahme die Funktion, in komplexe, nicht mehr kontrollierbare Konflikte eine neue Struktur zu bringen, quasi einen „Stand der Dinge“ festzulegen, von dem aus man in Zukunft weiter (ver-)handeln konnte. Diese Zusammenhänge erklären auch, warum auf die Begrifflichkeiten des „Friedens“ vor allem in seiner Funktion als fundamentales, normatives Ideal sozialer Ordnung Bezug genommen wird, und nur ganz sporadisch als juristischer Terminus auftaucht: die aus Rechtskommentaren und -texten ableitbaren Friedenskonzepte waren viel zu speziell und griffen viel zu kurz, um

276 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln das komplexe Gewebe sozialer Interventions- und Konfliktlösungsmechanismen und der es legitimierenden normativen Bezüge abzubilden. Am Fall Blechen lässt sich nachvollziehen, wie sehr die verschiedenen Netzwerke ineinandergriffen, aber auch die divergierenden Kräfte in ihnen. Die Nachbarn setzten sich wie gesehen sehr für eine Restabilisierung der innerhäuslichen Verhältnisse bei Blechen ein, um auch die außerhäuslichen zu beruhigen; immer wieder gewährten sie der Ehefrau Schutz vor den Übergriffen ihres Mannes, schrieben Eingaben an den Rat und organisierten Hilfsstrukturen. Zugleich versagten sie aber auch dem Ehemann die Hilfe nicht, sondern schrieben Gnadengesuche und unterzeichneten „Bürgschaften“ für das gute Verhalten. Nachbarliche Beziehungsnetze strebten demnach ganz gezielt auf die Wiederherstellung der häuslichen Integrität, die für das System Nachbarschaft so wichtig war. Sie waren nicht grundsätzlich auf Trennung oder Auflösung der häuslichen Einheit bedacht – das „Haus“ und das Ehepaar als Institution genossen Priorität und nicht das einzelne Individuum, dessen Unterstützung immer auf den Erhalt der Institution ausgerichtet war. Anders sieht es bei der Intervention verwandtschaftlicher Netzwerke aus, die eher auf die Ressourcenerhaltung der aus ihrem Verband stammenden Individuen zielte. Die enge Verbundenheit der Ehefrau Blechen mit der Bürgermeisterfamilie – ihre Tante Anna Christina Rosina Sextroh war mit dem ersten Bürgermeister Wilhelm Gerding verheiratet – sowie ihre Herkunft aus einer sozial hochstehenden und eng mit den Verwaltungseliten des Fürstbistums versippten Familie aus dem Amt Fürstenau wurde mehrfach thematisiert. Zum einen erklärte die Ehefrau, „sie könnte sich aber in betref ihrer häuslichen Geschäffte ohne Vorwissen ihrer Anverwandten sich mit ihm nicht setzen.“³²⁶ Hintergrund mag hier ein von Wilhelm Gerding und seiner Frau im April 1775 gewährter Kredit über 100 Rthl. an Susanna Blechen sein, der wie eine Schuldpfandverschreibung über 400 Rthl. bei Susannas Vater Gerhard Wilhelm Sextroh im Oktober 1773 ganz offensichtlich der Stützung der miserablen Haushaltslage diente. Angesichts der Umstände wurden hier offenbar Restriktionen über den Zugriff Blechens auf dieses Geld vereinbart.³²⁷

326 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, Notiz des Actuars vom 4. Mai 1775. 327 Über die innerfamiliären Kredite gibt ein Zivilprozess aus dem Jahre 1786 Auskunft, indem die Erben des Gerhard Wilhelm Sextroh aus Badbergen Susanna, die mittlerweile zum zweiten Mal Witwe geworden war, als Gläubigerin verklagen. Die Aufstellung ihrer Gesamtschuldenlast diente – wie vielfach üblich – nicht der Zwangsvollstreckung, sondern der gegenseitig akzeptierten Klärung des Schuldenstandes. NLA OS Dep 3b IX Nr. 793. Im Testament der Anna Christina Rosina Sextroh, verheiratete Gerding vom 20. März 1777, vermacht diese u. a. die Schulden des Johann Anton Blechen den Kindern ihres Bruders – und damit auch Susanna. Die testierten 145 Rth. an Blechen nehmen sich gegen die Kredite an ländliche Honoratioren recht gering aus. NLA OS Dep 3b IV Nr. 4539. Weitere Schuldprozesse von Gläubigern aus Barmen vgl. NLA OS Dep 3b IX Nr. 732.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Seitens der Verteidigung Blechens wurde die Nähe zum Rat und zur Ordnungsinstanz vielfach als manipulatives Verhalten und als Parteilichkeit der Justiz angeprangert. So heißt es etwa „Die Frau Bürgermeisterinne Gerding ist Implorantens Ehefrauen vollbürtige Tante, Implorantinne kostet es dorten nur ein paar falsche Thrähnen, so erhalten die Executions Minister sofort mündliche ordre, den Imploranten zum Gefängnis zu schleppen“ oder Blechens Anwalt ließ ihm ausrichten, „daß Er von seiner Ehefrauen so wenig als von Ihren Freunden was wiedriges zu befürchten hätte.“³²⁸ Wie problematisch die Überschneidung sozialer Netze mit politischen Institutionen – die per se nicht ungewöhnlich war – gesehen wurde, ist auch daran erkennbar, dass Johann Anton von Blechen seine eigenen, nicht unerheblichen sozialen Ressourcen nicht zu aktivieren vermochte; nur einmal taucht eine explizite Bezugnahme seitens eines Verwandten auf. Eine Notiz des Ratsherren Johann Gerhard von Blechen in einer Abstimmung im Umlaufverfahren besagt: „Wegen meiner Verwandtschafft stelle es den Herren anheim. Alle Nächte muß die frau eine Wache bey sich behalten, aus besorgniß ihres Lebens. Alle Vewandte sind wegen Unglücks in Sorgen.“³²⁹ Inwieweit hier Unterstützung stattfand – etwa durch Bezahlung des Anwalts Dr. Busch – lässt sich nicht mehr überprüfen. Festzuhalten bleibt, dass die ehelichen Konflikte im Hause Blechen massive Friedensstörungen in den sozialen Netzwerken, in die es eingebunden war, verursachte – die auch als solche wahrgenommen und benannt wurden. Der sprachliche Rückbezug auf Friedenssemantiken war immer intendiert, um die hohe Dringlichkeit und die besondere Legitimität bzw. Verpflichtung der Obrigkeit zum Handeln auszudrücken. Vor allem die Konsequenzen der Konflikte für die auf den persönlichen Beziehungen beruhende soziale Ordnung sowie die erwünschten und angestrebten Verhaltensweisen wurden auf diese Weise mit Friedenssemantiken kommuniziert. Im Prozess selbst hingegen wurde der Konflikt ausschließlich auf der Basis häuslicher Normativität geführt und die beiderseitige (Nicht-)Erfüllung ihrer aus ihren häuslichen Positionen sich ableitenden sozialen Rollenerwartungen als Friedensproblem diskutiert. Nur ganz vereinzelt tauchte ein aus den Rechtsdiskursen gespeister, sicherheitsbezogener Friedensbegriff auf, der aber immer als Konsequenz jener konfliktiven Verhaltensweisen der Ehepartner wahrgenommen wurde. Während also die Friedenssemantik ganz eindeutig eine Kernfunktion zur Beschreibung eines gestörten und wiederherzustellenden „Gleichgewichts der Kräfte“ in den sozialen Ordnungsbezügen übernahm, fehlten ihr entsprechende

328 NLA OS Dep 3b IX Nr. 311, Schreiben des Blechen am 2. Mai 1775. Der Gebrauch des Terminus „Freunde“ deutet hier schon auf das Unterstützersystem hin. 329 Ratsinterne Meinungsbildung auf den Prozessunterlagen vom 11. April 1775.

278 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln juristische Anknüpfungspunkte, um auch im Prozessgeschehen selbst juristisch mit dem gleichen Maß an Sinnstiftungspotenzial aufgegriffen zu werden.

3.4.6 Fazit: Friedewahrung als Problem der Grenzziehung Der Blick in die Mikrostrukturen der vor dem städtischen Magistrat verhandelten Konflikte im sozialen Nahraum hat das enorme sinnstiftende Potenzial der Friedenssemantiken offenbart. Sie strukturierten als zentrales Narrativ die Erzählungen, mit denen die Akteure ihr Verständnis und ihre Erwartungen an ein Umfeld und eine Umwelt beschrieben, in dem sie sich sicher und geschützt wissen konnten, um ihre Interessen zu verfolgen und Bedürfnisse zu befriedigen. Die Regeln, die diesen sozialen Nahraum strukturierten und damit Erwartbarkeit, Berechenbarkeit des Verhaltens und Sicherheit herstellten, waren um das Haus mit seinen Innen- und Außenbeziehungen herum konstruiert und unterlagen damit hauptsächlich einer außerjuristischen Normativität. Diese Regeln reproduzieren sich in der alltäglichen Interaktion der Beteiligten, die sinnhaft interpretiert werden, indem eine normative Sanktionierung vorgenommen wird – also im Sinne einer Typisierung von Alltagsverhalten, das mit den Wissensbeständen der Akteure in Übereinstimmung gebracht wird. Entsprachen bestimmte Verhaltensweisen aber nicht diesen Regeln und verletzten diese in einer für die anderen Beteiligten nicht akzeptablen, grenzüberschreitenden Weise den gewohnten Rahmen der Alltagsinteraktionen, diente der Rekurs auf Vorstellungen von Frieden und Friedfertigkeit zur Markierung dieser Grenzen – die Überschreitung dieser Grenzen hin zu „Unfrieden“ konnte durch vielerlei Verhaltensweisen beschrieben werden, wobei die Feststellung einer Leib und Leben, Hab und Gut gefährdenden Gewalt ausschlaggebend für die Verhandlung vor Gericht und damit für eine Kategorisierung bestimmter Verhaltensweisen als grundsätzliche Gefährdung der gesellschaftlichen Ordnung. Charakteristisch war, dass diese Grenzen extrem variabel waren und einzig im Erfahrungshintergrund des jeweiligen sozialen Nahraums festgelegt wurde. Für die Bearbeitung des Konfliktes war es dabei zentral, die in Frage stehenden, konfligierenden Verhaltensweisen anhand der geltenden Normen und Regeln zu beurteilen und ggf. zu sanktionieren. Dieser Prozess kann nach der Analyse der Fallstudien als ein genuin politisches Verfahren auf der Mikroebene bezeichnet werden, denn die durch eine gerichtliche Behandlung erreichte Interpretation häuslicher Ordnung und der sie konstituierenden Verhaltensweisen waren „kollektiv verbindlich“. Sie schufen einen Präzedenzfall, auf den gegebenenfalls rekurriert werden konnte – und wurde.

3.4 Negotiationes Pacis: Fallstudien |

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Gerade in Rollenkonflikten waren die Zuweisung einer einzigen Rolle und damit auch die Klärung von Uneindeutigkeiten und Widersprüchen im häuslichen Beziehungsgefüge entscheidend. Hier wirkte die Entscheidung des Gerichts zurück in die Nachbarschaft und deren langwährende memoria – womit auch hier eine Verbindlichkeit im Sinne der Reziprozität von Regeln und sozialen Praktiken für die Interpretationsschemata im Alltag hergestellt wurde. Die wichtige Rolle der Gewohnheit, der Versuch einer sorgfältigen Rekonstruktion der Konfliktbiographie durch die Streitparteien und die Zeugenschaft der Nachbarn zeigt, wieviel Bedeutung auch die Gerichtsherren einer größtmöglichen Kohärenz von abstrakten Normen, Erfahrungshorizont und sozialer Praxis beimaßen. In der Gerichtsverhandlung galt es, die Ordnungsvorstellungen und die Geltungsansprüche spezifischer Interessen genauestens gegeneinander abzuwägen – ein Prozess, in dem der Rekurs auf den Frieden, die Integration der Friedenssemantik in die Diskurse häuslicher Ordnung entscheidend dazu beitrug. Die Dualität des Friedensbegriffs, zugleich Medium als auch Ergebnis eines komplexen Sets sozialer Praktiken im Haus zu sein, und seine ausgesprochen hohe Legitimationskraft als ethisches Ideal ermöglichten es, eine klare Positionierung innerhalb des sozialen Nahraums festzulegen, diesen damit zu stabilisieren und damit Sicherheit im Alltagshandeln einzufordern. Zugleich haben die Fallstudien auch die Grenzen einer solchen Mikropolitik des Friedens aufgezeigt. Die Sanktionsmaßnahmen des Magistrats waren beschränkt, eine grundsätzliche Konfliktlösung konnte nur projektiert und „angemahnt“ werden, nicht aber durch juristische Mittel erzwungen werden – letztlich musste man hier auf die Konfliktlösungsmechanismen im sozialen Nahraum vertrauen, auch deshalb war dessen Einbindung und eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Beurteilung für den Prozess der Restabilisierung so wichtig. Nur durch eine gelingende Sozialintegration, also einer Wiedereingliederung der konfligierenden Akteure in die Verhaltensnormen des durch Kopräsenz geprägten Nahbereichs, konnte langfristig auch die Systemintegration geleistet werden. Die grundsätzlichen Ordnungsvorstellungen wurden durch die Konfliktbehebung gestärkt und nicht geschwächt – dass etwa die ideale Herrschaft des Hausvaters umso klarer konturiert wurde, je deutlicher ein buchstäblich „über die Stränge“ schlagender Hausvater als „unfriedlich“ herausgestellt wurde; dass die Position der Ehefrau als leitende Wirtschafterin und Untergebene ihres Mannes durch die Markierung von „Boshafftigkeit“, „schlechtem Hausen“ und „Widerspenstigkeit“ allen deutlich vor Augen trat; dass der respektvolle Umgang zwischen erwachsenen Kindern und alt gewordenen Eltern im Sinne der Nachsicht und Versorgung umso notwendiger den Beteiligten vor Augen trat, je markanter die Gewalttätigkeiten zwischen beiden thematisiert wurden.

280 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Wenn Hausfrieden also ein entscheidendes normatives Setting darstellte, um Gewalt im sozialen Nahraum zu markieren, sprachlich greifbar und obrigkeitlich sanktionierbar zu machen, stellt sich die Frage nach Interventionsmöglichkeiten und Handlungsspielräume für die Akteure; welche Formen zur Bannung von Gewalt aus dem häuslichen Kontext wurden im sozialen Nahraum praktiziert, welche Formen obrigkeitlicher Interventionen gab es und wie weit reichten sie? Die immer wieder eingeflossenen Hinweise aus den Fallstudien sollen im Folgenden als die in Osnabrück praktizierten remedia pacis untersucht werden.

3.5 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen In der juristischen Literatur wurden die dem Rechtssystem zur Verfügung stehenden Mittel zur Wiederherstellung des gebrochenen häuslichen Friedens unter dem Begriff remedia pacis diskutiert. Wenngleich es hier um Fragen der Strafpraxis und Wiedergutmachung entsprechend des Delikts des Hausfriedensbruches in einer Verknüpfung der „Actio legis Aquileia“ und als „Actio iniuriarum“ geht, zeigte sich in der Rechtspraxis ein sehr vielfältiges System von Intervention und Vermittlung, das nicht nur die obrigkeitliche Regelungsbefugnis umfasste, sondern bereits im Haus und in der Nachbarschaft begann. Die Forschungen zur frühneuzeitlichen Konfliktkultur haben immer wieder auf die in- bzw. vorformalen Formen der Konfliktmarkierung durch Rügebräuche und der Konfliktlösung durch Interventionen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der Streitenden hingewiesen.³³⁰ Im Folgenden sollen die verschiedenen Stufen und Möglichkeiten der Intervention und der Friedensvermittlung nachvollzogen werden, die sich in den Konfliktbeschreibungen greifen lassen. Es soll gezeigt werden, inwiefern die Akteure diese Form der Einmischung als Teil eines Konfliktlösungs- und Friedensprozesses begriffen und beschrieben. Der strategische Rekurs auf Friedenskonzepte und -semantiken ist dabei insofern von besonderer Bedeutung, als es hier nicht so sehr um die Darstellung der Analyse von gerichtlichen Interventionen als solcher geht, sondern um die Rolle und Funktion der Darstellung solcher – offenbar misslungenen – Versuche zur Friedensstiftung im Aushandlungsprozess über häusliche Ordnung vor einem obrigkeitlichen Gericht. Familienmitglieder, Hausbewohner, Gesinde und Nachbarn treten als berichtende Zeugen auf, oder aber auch die Streitparteien selbst berichten von der aktiven Hinzuziehung von Vermittlern, um ihr Bemühen um eine Konfliktlösung zu unterstreichen. 330 Vgl. hierzu die klassischen Studien zu Rügebräuchen, wie in Anm. 82 genannt sowie übergreifende Studien zu Formen des sozialen Konfliktaustrages bei Krug-Richter, Streitkulturen und Praktiken, Haack, Alltag und Laureys, Kunst.

3.5 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen |

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3.5.1 Interventionen aus dem Haus heraus Dass gewalttätige Auseinandersetzungen nicht sofort vor obrigkeitliche Instanzen zum Vortrag gebracht wurden, sondern in den allermeisten Fällen ein vielschichtiger Prozess sozialer Vermittlungsbemühungen vorangegangen war, zeigen vor allem die zahlreichen Untersuchungen zu ehelichen Konflikten und häuslicher Gewalt.³³¹ Das direkte Umfeld hatte nicht nur unmittelbar Gelegenheit zur Intervention, sondern zumeist war es vertraut mit den Verhaltensmustern, der Konfliktgeschichte und „üblichen“ Konfliktverläufen. Die Art und Weise des aktiven Eingreifens konnte dabei sehr unterschiedlich ausfallen. So holte die achtjährige Tochter eines sich mit Beilen und Holzscheiten prügelnden Ehepaares Hilfe, indem es die Nachbarin auf der Straße um Hilfe bat,³³² oder eine Magd berichtete davon, dass „wann sie nicht dazwischen gekommen, er seine frau todt geschlagen hätte.“³³³ In einem anderen Fall wurde immer auf die Schlichtungsversuche der Magd hingewiesen, die ihrer Wirtin in einer Prügelei mit Sohn und Mieterin zu Hilfe kam.³³⁴ Der Untermieter eines immer wieder streitenden Ehepaares sagte in der Gerichtsverhandlung aus, er könne die Auseinandersetzungen bestätigen, zumal er des Öfteren den körperlichen Konfliktaustrag gehört habe und beiden daraufhin „zum frieden gerathen“ habe.³³⁵ Ein 24-jähriger junger Mann reagierte auf die Anschuldigungen seines Vaters, ihm durch Beleidigungen und Schläge nicht den „nötigen kindlichen Respect“ entgegen gebracht zu haben, damit, dass ihm die Schimpfworte herausgerutscht seien, als er seiner Schwester zu Hilfe kam, gegen die der Vater ein „mordlich gewehr“ aufgehoben hatte und sie zu schlagen drohte; die Schläge hingegen hätten aus seinem Versuch resultiert, die sich schlagenden Eltern zu trennen und „frieden zu machen.“³³⁶ Häusliche Interventionen waren also naheliegend, aber aufgrund der engen, vor allem familialen Beziehungsverflechtung auch nicht unproblematisch. Zum einen gerieten (erwachsene) Kinder dann selbst vielfach in oder zwischen die Fronten eines Konfliktes, zum anderen standen ihnen nicht viele Mittel zur Verfügung. Nicht umsonst werden vielfach häusliche Angestellte wie Mägde, Knechte, Handlungsgehilfen oder Gesellen genannt, die in akuten Gewalttätigkeiten die

331 Vgl. etwa Hardwick, Perspectives, S. 12–15; Rublack, Crimes, S. 32–34, 203–205; Luef, „vom drohen . . . “, S. 106f., Farge/Foucault, Désordre, S. 109f. und viele mehr. 332 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 33. 333 Ebd. 334 NLA OS Dep 3b IV Nr. 242 fol. 51. 335 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 89. 336 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 151.

282 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Parteien voneinander zu trennen versuchten, damit die unmittelbare Gewalt zu unterbrechen und zu stoppen. Damit ein solcher Eingriff nicht als Parteinahme missverstanden, sondern als Schlichtungsbestreben anerkannt wurde, bedurfte es der besonderen Charakterisierung als Akt des „Frieden machens“, wie beispielsweise die langen Ausführungen des Johann Friederich Balcke gezeigt haben, der seine inkriminierten Angriffe auf den Vater als Intervention in eheliche Gewalt verstanden wissen wollte.³³⁷ Während häusliche Intervention also in erster Linie darauf zielte, unmittelbare Gewalt zu unterbrechen und eine räumliche Trennung zwischen den Streitparteien herzustellen, so diente die nachbarliche Hilfeleistung und Unterstützung in gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht nur der kurzfristigen Trennung, sondern konnte auch längeren Schutz und Zufluchtsort bedeuten.

3.5.2 Interventionen in das Haus hinein Das nachbarliche Hilfe- und Unterstützungsnetzwerk spielte in häuslichen Konflikten eine wichtige Rolle. Wie in allen Untersuchungen zu ehelichen Konflikten, so nutzten viele Ehefrauen die Möglichkeit zum Rückzug in nachbarliche Wohnungen, um den Gewalttätigkeiten ihrer Männer zu entkommen. Dass dies nicht nur singuläre, den Höhepunkt einer Auseinandersetzung darstellende Ereignisse waren, sondern sich auch zu gewissen Routinen entwickeln konnte, zeigt die Aussage eines Nachbarn, der seiner Nachbarin bestätigte, dass „immer ein Lärm im Hause als wann dasselbe in Brande stünde. Sie hätte sich bereits zum offteren in Hurrelbaums Haus reteriret.“³³⁸ Die Nutzung der nachbarlichen Wohnräume als Schutzraum und Zufluchtsort spielt in vielen Fällen eine zentrale Rolle – nicht nur in der Charakterisierung der Außerordentlichkeit und Lebensbedrohlichkeit der verübten Gewalt, sondern auch in der Markierung des Konfliktes als einer Auseinandersetzung, die den häuslichen Raum, das Hoheitsgebiet des Hausvaters überschritten hatte und durch die Einbeziehung des „öffentlichen“ – im Sinne des von der Allgemeinheit genutzten Raumes der Straße sowie fremder Häuser –, deren Sicherheit es zu schützen galt. Diese Ausdehnung signalisierte sowohl der Nachbarschaft als auch der Obrigkeit, dass die verübte Gewalt keinesfalls mehr einem möglicherweise angemaßten hausherrlichen Züchtigungsrecht zugerechnet werden konnte, sondern zu einer die allgemeine Ordnung und Sicherheit bedrohenden Gefahr geworden war.

337 Vgl. Kap. 3.4.1. 338 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 34.

3.5 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen |

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Indem die Nachbarn Schutz gewährten, trafen sie zugleich eine Aussage über die Art des Konfliktes. Sie gewährten Unterschlupf bei gewalttätigen Auseinandersetzungen oder wenn eine Frau – zumeist waren Frauen davon betroffen, aber nicht nur – von ihrem Mann ausgeschlossen oder aus dem Haus geworfen worden war.³³⁹ Neben einer eher passiven Rolle konnten Nachbarn ihren Schutz aber auch aktiv anbieten, was meist auf ein längeres Vorwissen um innerhäusliche Konflikte hinwies.³⁴⁰ Aus den Aussagen der Nachbarn spricht neben ihrem Selbstverständnis als Schutz und Zuflucht Bietende aber immer auch das eigene Interesse, indem deutlich die Störungen herausgestellt werden, die ihnen durch die „unfriedlichen“ Nachbarn entstanden. Sei es, dass eine permanente Störung der eigenen Ruhe dadurch beschrieben wird, dass „tag und nacht kein friede in dem hause sei“ und noch nicht einmal die Sonn- und Fasttage beachtet würden.³⁴¹ Es finden sich auch vielfach Hinweise darauf, dass Nachbarn die gerichtliche Verhandlung einer „unfriedlichen“ Ehe veranlassten, weil sie sich durch die fortwährenden Auseinandersetzungen langfristig in ihren eigenen Routinen und Alltagsabläufen gestört sahen oder gar ganz konkret ihre Sicherheit bedroht sahen, wenn sie etwa aufgrund der Auseinandersetzungen einen nachlässigen Umgang mit Feuer befürchteten.³⁴² Diese Befunde – immerhin spielten nachbarliche Interventionen oder Einbeziehungen in 52 der 61 Fälle eine wichtige Rolle – verweisen auf die elementare Bedeutung nachbarlicher Konfliktinterventionen bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, wie sie auch in zahlreichen Untersuchungen in verschiedenen europäischen Regionen und Städten vorgelegt wurden.³⁴³ Nachbarliche Interventionen waren aber durchaus nicht unproblematisch und mussten wohl abgewogen sein, wie Johann Henrich Hillebrandt 1787 feststellen musste. Er war von seinem Nachbarn Schröder vor die Gerichtsherren zitiert worden, weil er in einen Streit desselben eingegriffen und dabei in das Haus gegangen war. Schröder behauptete, Hillebrandt habe seine Frau zusammengeschlagen, um sich Zutritt zu seinem Hause zu verschaffen. Hillebrandt hingegen schilderte die Situation so, dass ihn einige Passanten und Gäste – er betrieb offenbar einen privaten Branntweinausschank – gebeten hätten „hinzugehen und friede

339 Vgl. den Fall Kosieck, Kap. 3.4.4. 340 Vgl. den Fall Blechen, Kap. 3.4.5. 341 Vgl. den Fall Back, Kap. 3.4.2. 342 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 245. 343 Vgl. z. B. Hardwick, Perspectives, S. 3–7, Tlusty, Drinking, S. 257–259, Sabean, Property, S. 125–127; Rublack, Crimes, S. 202–207; Garrioch, Neighbourhood, S. 75–86; Hoffmann, Nachbarschaft, S. 193–196.

284 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln zu halten, in dieser Absicht sei er also hingegangen.“³⁴⁴ Ausschlaggebend waren die Ohrenzeugen, die berichteten, das Ehepaar schlüge sich, die Kinder schrien „abscheulich“ und eines der Kinder werde zwischen den Eltern an Kopf und Füßen gerissen. Als er an die Türe geklopft habe und nachfragte, ob alles in Ordnung sei, habe die Ehefrau Schröder auf ihn eingeschlagen und ihn in die Stube gezerrt, von wo ihn ein Knecht wiederum befreien musste. Obwohl alle Zeugen die Ehefrau Schröder als Aggressorin bezeichneten, wurde Hillebrandt zu 2 β Geldstrafe wegen seines Eingreifens verurteilt, aber auch das Ehepaar Schröder erhielt – „weil sie Anlaß zu dem Lerm gegeben“ – eine Bußzahlung von 1 β auferlegt. An diesem Verhalten zeigt sich die Ambivalenz häuslicher Friedenskonzeptionen, die einerseits auch von einer nachbarlichen Kontrolle der Sicherheit der Hausbewohner vor innerhäuslicher Gewalt abhängig war, deren Ausübung aber durchaus als Hausfriedensbruch wahrgenommen werden konnte. Dass sich die Handlungen vor dem Hintergrund einer langen Erfahrung mit den Konfliktdispositionen der beteiligten Akteure abspielten – Hillebrandt hatte die Ehefrau Schröder als grundsätzlich „boshafft“ beschrieben – brachte keinen Ausschlag. Die härtere Bestrafung des intervenierenden Nachbarn, der die doppelte Höhe der Geldstrafe zu entrichten hatte, verweist auf zwei miteinander verknüpfte Aspekte, in denen sich die für das 18. Jahrhundert und die bürgerliche „Gesellschaft der Hausväter“ zentrale Denkfigur der „Privatheit“ des Hauses andeutet: Zum einen war das unerwünschte Eindringen in ein fremdes Haus offensichtlich auch dann strafbar, wenn dem Billigkeitsempfinden der Nachbarn nach Gefahr für Leib und Leben der Hausbewohner gegeben war und das Eingreifen nicht nur erlaubte, sondern moralisch notwendig machte – Hausfrieden verstanden als Unverletzlichkeit der Wohnung wurde hier höher bewertet als Hausfrieden im Sinne einer geordneten Haushaltung. Zum anderen markiert die Obrigkeit damit aber auch ihren eigenen Hoheitsanspruch auf Intervention in innerhäusliche Auseinandersetzungen, indem sie eigenmächtige nachbarliche Intervention kriminalisierte. Wurde seitens der Nachbarn Handlungsbedarf gesehen, sollte einer der Ratsdiener gerufen werden, zu deren Aufgabenbereich es gehörte, in akuten Gewalttätigkeiten einzugreifen und Ordnung zu schaffen. Diese Erfahrung mussten auch die Nachbarn des Copisten Klingenberg zu Mittsommer im Jahre 1792 machen, nachdem sie aufgrund der deutlich hörbaren, den ganzen Nachmittag währenden Auseinandersetzungen in der Wohnung des Copisten die Ratsdiener geholt hatten, um „nach dessen Hause zu gehen und frieden zu

344 NLA OS Dep 3b IV Nr. 253 fol. 88.

3.5 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen |

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machen.“³⁴⁵ Da Klingenberg mit wiederholten „Ermahnungen zur Ruhe“ nicht zu einer Beendigung seiner Auseinandersetzungen, Beleidigungen und Gewalttätigkeiten zu bewegen war, wurde er auf der Bürgerwache spätabends inhaftiert. Kurz nach seiner Entlassung am nächsten Morgen setzte er ein geharnischtes Schreiben auf, er sei durch seine „böse nachbarn und andere feindtschafft“ um 10 Uhr abends in seinem Bette überfallen worden, zudem habe er von „einen bösen zänkischen Weibe die sogenannte Witwe dieckers“ Schläge erhalten – alles, obwohl er „ohne alles verbrechen Zanck oder Streit“ gewesen sei. Auch, wenn der weitere Verlauf in den Akten nicht dokumentiert ist, finden sich hier paradigmatisch die Koordinaten des Hausfriedens im nachbarlichen Sozialgefüge. Einerseits die im Herkommen und Gewohnheit verankerte Zuständigkeit der Nachbarn zum Eingreifen in akuten Gefahrensituationen, andererseits die Verteidigung der Immunität des Hauses durch den Delinquenten. Die Betonung der nachtschlafenden Zeit – 10 Uhr war auch in den juristischen Texten als derjenige Zeitpunkt angegeben worden, an dem alle Bewohner im Hause zu sein hatten und dem Hausvater das Schließungsrecht zustand, um den Schutz und die Sicherheit der nächtlichen Ruhe zu gewährleisten –,³⁴⁶ wie auch der Verweis auf das Bett, das diese zeitliche Dimension des nächtlichen Friedens räumlich symbolisiert und eine besondere Schutzlosigkeit evoziert. Befriedet schienen die Verhältnisse im Hause Klingenberg nicht, denn es wiederholen sich die Klagen der Nachbarn und die Meldungen der Ratsdiener, dass Klingenberg „wieder in höchstem Unfrieden“ lebte.³⁴⁷ Nachbarliche Interventionen waren im Rahmen ihrer Funktion als soziale Kontrolle selbstverständlicher Teil eines Konfliktbearbeitungsprozesses, der gleichwohl kein unproblematischer war. Nachbarn hatten aufgrund der hohen Verflechtung der alltäglichen Arbeitsprozesse und wohnräumlichen Situation den besten Einblick und Zugang zu innerhäuslichen Problemen und konnten gezielt reagieren. Dies konnte aber nicht willkürlich geschehen, es mussten besondere Vorbedingungen erfüllt sein, die in den kommunikativen Strategien in den Gerichtsprotokollen greifbar sind. Den Kern stellte die von außen wahrnehmbare unangemessene Gewaltanwendung dar, eine lebensbedrohliche Situation, die das Eingreifen von außen nicht nur rechtfertigte, sondern auch erforderte – unabhängig davon, ob eine Person aus dem Haus auf die Straße flüchtete und so den Konflikt ‚außer Haus‘ wahrnehmbar machte, oder ob Nachbarn, Passanten und Kunden durch Augenund Ohrenzeugenschaft Kenntnis der Gefahrensituation erhielten. Mit der immer

345 NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 55. 346 Vgl. etwa Beyer, De violatione, Cap. 39 [Kap. 2.2.3]. 347 Vgl. hierzu die Protokolle in NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 245, Nr. 259 fol. 170 und fol. 206.

286 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln wieder auftauchenden Formulierung des „Frieden machens“ markierten nachbarliche Zeugen vor Gericht die Legitimität ihrer Intervention, deren wenn nicht moralischer, so doch rechtlicher Ambivalenz sie sich durchaus bewusst waren. Die Abwehr von Lebensgefahr, die Beendigung akuter Gewalttätigkeiten spielte auch hier die entscheidende Rolle – wie sie auch in der juristischen Literatur thematisiert worden war. Denn der Schutz des Hausfriedens galt nicht in jenen Fällen, in denen sich ein Bewohner in Lebensgefahr befand und diese über die Hausgrenzen hinaus wahrnehmbar war.³⁴⁸

3.5.3 Kirchliche Vermittlungsansätze Neben der nachbarschaftlichen Intervention, die in der juristischen Literatur nicht diskutiert wurde, in der sozialen Praxis und kulturellen Tradition aber einen tief verwurzelten Aspekt zur häuslichen Konfliktlösung darstellte, weist die Literatur aber ausdrücklich auf die Vermittlungstätigkeit geistlicher Amtsträger hin, die gleichfalls in den Akten eine wichtige Rolle spielte. Struve schrieb: Aus dem gleichen Grund [wenn die Streitigkeiten im Hause beizulegen sind, ISV] können sich auch Superintendenten an den Ort begeben, damit er in ehelichen Fällen, wenn Ehepartner Streitereien miteinander haben, den Frieden aussprechen und die Parteien vor das Konsistorium zitieren kann.³⁴⁹

Der hohe formaljuristische Charakter, den kirchliche Interventionen bei Struve aufweisen, lässt sich in den Osnabrücker Akten nicht nachvollziehen – nicht zuletzt, weil konsistoriale Interventionen dieser Art nicht in den Akten überliefert sind. Nichtsdestotrotz finden sich immer wieder Hinweise auf Vermittlungsversuche kirchlicher Personen, die gerade aufgrund dieser Eigenschaft in den Konflikten auftraten oder hinzugezogen worden waren. Im Falle des Knopfmachers Balcke war auf die Intervention des zuständigen Gemeindepastors hingewiesen worden, der gleichzeitig als Osnabrücker Superintendent fungierte:

348 Struve, De pace domestica, S. 53, Cap. IV, Th. XV: „Limitatur [pax domestica, ISV] si habitator periculo vitae sit constitutus“. Zur Öffentlichkeit und Begrenzung hausheerlicher Befehlsgewalt und Immunität vgl. Ebd. S. 76: „Imperium domesticum limites domus non egreditur arg. L.4.c.d.patr.pot. Vnde extra hanc iurisdictio est penes competentem magistratum, qui ad securitatem aedibus praestandam peculiari foedere sociali est obstrictus.“ 349 [Ex pari ratione (quo ad rixas domesticas componendas, ISV) etiam Superintendenti loci concedunt., vt in causis matrimonialibus si conuiges rixas inter se moveant, possti pacem edicere, & citare posset ad Consistorium.] Struve, De pace domestica, S. 77.

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es ist der Herr Magiester Hickmann auch ein paar mahl darzwischen gewäsen und hat uns wollen den frieden bringen wir haben uns auch vertragen mit unseren Vatter und meine mutter mit Ihren Mann aber es ist die sonne noch nicht untergegangen gewesen, so hat er schon wieder ärgern Streit angefangen.³⁵⁰

Die Autorität, die einem kirchlichen Amtsträger beigemessen wurde, lässt sich aus der strategischen Funktionalisierung dieses Ereignisses in den Darstellungen der Streitparteien erahnen; der der jeweiligen Gegenpartei unterstellte Friedensbruch war mindestens so ehrenrührig wie das Übertreten eines obrigkeitlichen Friedegebotes strafbar war: H. Magister Hickmann meine frau vorgehabt dass sie mit mir als ihrem Ehemann in ruhe und friede leben sollte, welches sie zwaren auch angelobet und sich mit mir versöhnet, aber nicht ein mahl eine stunde ruhe gehalten.³⁵¹

Wenngleich also der formale Charakter – im Sinne eines konsistorialen Auftrages – einer solchen Friedensvermittlung seitens des Pastors nicht nachgewiesen werden kann, so kam ihr gleichwohl ein hohes Maß an Symbolik und Bedeutung zu, das der gesellschaftlichen Stellung des Pastors geschuldet war. Vielfach finden sich in den Akten zu häuslichen Prozessen Stellungnahmen der jeweiligen Gemeindepastoren, denen intime Kenntnisse von Persönlichkeit, Charakter, häuslichem und allgemeinem Betragen ihrer Gemeindemitglieder zugetraut wurden. So ließ sich ein angeklagter Hausvater von seinem Pastoren seine guten Absichten zur Versöhnung und sein friedfertiges Verhalten seiner Frau gegenüber bescheinigen, um die richterliche Anordnung einer Verweisung aus seinem Hause zu umgehen.³⁵² Aber auch wenn ein Konflikt bereits bei den Gerichtsherren anhängig war, konnte klerikale Vermittlung offenbar zur Beruhigung der Gemüter beitragen. So hatte sich auf Vermittlung des Organisten Laag ein Ehepaar mit seinen nebenan wohnenden Schwägern versöhnt und die Klage am Gericht zurückgezogen.³⁵³

350 Ebd. fol. 157. 351 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 159. 352 NLA OS Dep.3b XI Nr. 311 o. fol. Adjunctum 1. Vgl. Fall Blechen, oben. 353 NLA OS Dep 3b IV Nr. 255 fol. 239. „Erschien Klägerinne abermahls und bat die Sache nicht weiter vorzunehmen, indem sie sich unter Vermittlung des Organisten Laag verglichen.“ Wenn es etwas merkwürdig erscheinen mag, dass hier ein Organist als Konfliktschlichter auftrat, sei zu dieser Personalie angemerkt, dass es sich um den Küster der Gemeinde St. Katharinen handelte, der in der Bevölkerung hohes Ansehen genoss. Aufgrund theologischer Differenzen war Laag 1741 von seinem Küsteramt suspendiert worden, durfte aber 1759 als Organist wieder tätig werden; sein Hauptunterhalt verdiente er sich aber durch Klavierunterricht in den gehobenen Familien und das Verfassen von Klavierliteratur für Anfänger. Vgl. Hartmann, Lebensbeschreibung, S. 10–18; Asch, Osnabrück, S. 249–252.

288 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Pastoren spielten im Sozialgefüge ihrer Gemeinden eine wichtige Vermittlerrolle, worauf in der Literatur bereits mehrfach hingewiesen wurde, wenngleich ihre Stellung innerhalb der Gemeinde selbst oft Gegenstand von Konflikten war.³⁵⁴ Während die Rolle der Pastoren in formalen Prozessen vor allem im Kontext frühneuzeitlicher Sittenzucht und Kirchendisziplin erforscht und diskutiert wurde, weisen die Osnabrücker Protokolle eher auf eine symbolisch hoch aufgeladene, aber noch nicht so formale Friedensvermittlungsrolle hin, wie dies gerichtliche Verweise und Friedegebote darstellten. Wenngleich sie in den Gerichtsprotokollen nicht als eigenständige Akteure durch Zeugenaussagen auftreten und unmittelbar Stellung zu den Konflikten nehmen, so sagt doch der Rekurs der Streitparteien auf die klerikalen Vermittlungsversuche deutlich etwas über deren hohen symbolischen Stellenwert aus – und umso verwerflicher hebt sich das fortwährende, Frieden störende Verhalten des Gegners von dem um Frieden und Ausgleich bemühten sozialen Umfeld des Hauses ab.

3.5.4 Gerichtliche Entscheidungen und Sanktionen Die verbindlichste Kraft und höchste Sanktionskompetenz besaß zweifelsohne das städtische Gericht, um Frieden und Sicherheit in den Häusern seiner civitas aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen und Friedensbrecher entsprechend zu bestrafen. Struve thematisierte diese Kompetenz ausdrücklich im Kontext der Hausfriedenssicherung: Es besteht hier auch die Gewohnheit, dass der Magistrat dem Ort den Frieden gebieten kann um häusliche Streitereien zu schlichten, was umgangssprachlich Friede gebieten genannt wird oder ein Friede Geboth thun. [. . . ] Wird ein solchermaßen verkündeter Friede gebrochen, kann dies mit einer Haftstrafe oder einer anderen willkührlichen Strafe bestraft werden.³⁵⁵

Welche Mittel standen den Gerichtsherren zur Befriedung der unterschiedlichen Konflikte in den Osnabrücker Häuser zu Verfügung, wie wurden sie eingesetzt und welche Wirkung erhoffte man sich von ihnen hinsichtlich der Stabilisierung der häuslichen und damit letztendlich auch der sozialen Ordnung? Das „Frieden gebieten“ stellte in der Tat eine Möglichkeit dar, seitens der Obrigkeit in gewalttätige Auseinandersetzungen einzugreifen. Indem ein oder mitunter auch zwei Ratsdiener in die entsprechenden Häuser geschickt wurden, kam es einerseits zu einer Unterbrechung der gewalttätigen Auseinandersetzungen, die

354 Vgl. etwa Vogel, Pastor, S. 494–495; Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 295–330. 355 Struve, De pace domestica, S. 76f.

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bereits befriedend wirken konnte, andererseits ermöglichte das Friedegebot bei erneuter Gewalttätigkeit und damit eines klaren Bruches des Friedegebotes andere Ein- und Zugriffsmöglichkeiten seitens der Obrigkeiten.³⁵⁶ Es liegen keine Aktennotizen oder Listen über solche „Friedegebote“ vor, so dass man deren Häufigkeit ebenso wenig quantitativ einordnen wie Aussagen darüber treffen kann, ob ein solches „Friedegebot“ tatsächlich in einer solchen Weise befriedend gewirkt haben konnte, dass ein förmlicher Prozess nicht mehr notwendig war. Was den „Einsatz“ der Ratsdiener und das förmliche Friedegebot auslöste, lässt sich aus den Akten nur mittelbar und recht fragmentarisch erschließen; immerhin vermerkte die „Arbeitsplatzbeschreibung“ der Stadt-, Raths- oder Gerichtsdiener aus dem 18. Jahrhundert Folgendes: Auf die Beförderung des Bestens der Stadt und darauf daß die Verordnungen und Befehle Herrn Bürgermeister und Rath befolgt werden, haben sie auch ihres Orts mit zu sehen, und wenn sie das Gegentheil bemerken, davon zwar ungesäumt die Anzeige bey den Herrn Bütgermeister oder bey dem ersten Gerichtsherrn zuthun, doch dürfen sie eigenmächtig für sich gar nichts verfügen, es sey denn etwan, daß sie von angesehenen oder glaubhaften Bürgern um eine schleunige zur Abwendung eines zu befürchtenden Schadens oder Unglücks herbey gerufen würden [. . . ].³⁵⁷

Vielfach finden sich nachbarliche „Denunziationen“ in den Akten, die auf diese Weise eine deutlich formalere, offiziellere und strafrelevante Form der Interventionen wählen konnten.³⁵⁸ Wie eng beide Formen der Interventionen miteinander zusammenhingen und wie wichtig daher die Unterscheidung zwischen informalem nachbarlichem und formal obrigkeitlichem Handeln war, zeigt der Bericht des Sitzung führenden Gerichtsherren Stüve, der in einer Verhandlung angab, wie er des Mittages am Tische gesessen, ein gewaltiger auflauff entstanden, und er sich erkundiget was vor sich ginge, er erfahren und selbst gehöret das in Enax Hause ein gewaltiger lerm wäre, Er habe alsobald seinen Haußknecht hingesandt, und dem Enax bedeuten lassen ruhig zu seyn, wiedrigen falls er ihn in die Wache bringen zu lassen genöthiget wäre. Er hatte sich aber Enax an nichts gekeret, und noch immer fort gelermet, dannenhero er nach

356 Die Praxis des „Friede bietens“ war eine zentrale Institution mittelalterlicher Rechts- und Sicherheitspolitik in den Städten, um zwischenbürgerliche Gewaltanwendung zu unterbinden und zu sanktionieren. Vgl. Frenz, Frieden, S. 56–61, 209–211; Hermann, Frieden, Sp. 1813–1816; Pohl, Uneasy Peace, S. 35–41. 357 NLA OS Dep 3b IV, Nr. 400 fol. 41. 358 Vgl. z. B. NLA OS Dep 3b IV Nr. NLA OS Dep 3b IV Nr. 259 fol. 169. Zur Ambivalenz eigenmächtiger nachbarlicher Intervention im späten 18. Jahrhundert vgl. Schmidt-Voges, Nachbarn, S. 425f.

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dem diener dreyer gesandt und diesem befohlen den Enax auff die Hauptwache zu bringen, welches derselbe auch gethan.³⁵⁹

Das Friedegebot war dabei ganz unmittelbar auf die Bannung von Gewalt bezogen, dies lässt sich in Formulierungen ablesen, dass dem Ehemann „alle Gewaltthätigkeit gegen seine Ehefrau zu inhibiren“ sei.³⁶⁰ Mitunter konnte es aber auch vorkommen, dass die Aggressivität eines Beklagten so berüchtigt war, dass selbst die Ratsdiener ihrer Aufgabe nicht nachkamen.³⁶¹ Die nächste Stufe, um in häuslichen „Unfrieden“ und Gewalttätigkeiten einzugreifen, bestand in der zeitweiligen räumlichen Trennung des Aggressors durch Inhaftierung, bis in einem Prozess die Umstände der Auseinandersetzung geklärt werden konnten.³⁶² Dies konnte sowohl Männer als auch Frauen betreffen, wobei die Inhaftierungen männlicher Gewalttäter weit überwogen. Im Falle von Inhaftierungen von Frauen handelte es sich in den meisten Fällen um Ausnüchterungsmaßnahmen.³⁶³ Die städtischen Hafträume befanden sich in unmittelbarer Nähe des Rathauses und der Stadtschreiberei, so dass eine zügige Verhandlung und unmittelbare Reaktion auf die Inhaftierung erfolgen konnte. Hafträume gab es zum einen in

359 NLA OS Dep 3b IV Nr. 238 fol. 9. 360 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 61; NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 245; NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 90. 361 „Nachdem Censor Dr. Stüve referiret, daß ihm noch vor dem Osterfeste denunciret, gestalten Johan Henrich Essen seine frau auff eine unmenschliche weise mit Schlagen behandele, und er deswegen dem diener Meyer befohlen dem Essen alle gewaltthätigkeit gegen seine frau zu inhibiren, dieser aber solches auszurichten sich gescheuet, in dem des Essens betragen dergestalt beschaffen, daß kein Nachbar sich unterstünde der nothleidenden frau zu Hülffe zu kommen.“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 61. Aber auch juristisch tätige Mieter konnten konfliktverschärfend eingreifen: NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 92: „Ew. Wohlgeboren wird hocherinnerlich sein – daß meine mir neuliche wegen einer kleinen Wortwechselung, die ich mit meiner Ehefrauen gehabt – auf der Wache setzen lassen nach 24 Stunden aber auf befehl des Bürgermeisters des arrestes wieder erlassen wurde, – jetzt aber von neuem wieder zu Rathause citiret worden; und solches hauptsächlich dem Vernehmen nach durch den Schreiber Niemeyer, angestellt sein soll. – aus Chicane weil ich solchen nicht länger als biß Ostern im Hause wohnen behalten will. – so wird dieser auch natürlicherweise jetzt der Aufbürder meiner Ehefrauen gegen mich sein.“ 362 Eine typische Formulierung lautete etwa: „Es wird Minister Witte anbefohlen, sich des Beklagten zu bemächtigen und solchen, darauff auf die Wache zu bringen, da inmittelst der Herren vorerst zu Verhütung eines Unglücks in der Nachbarschaft biß auf weitere Verordnunge aufzuhalten verstattet wird [. . . ].“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 27. 363 „[. . . ] wurde die Ahlbrinks wieder entlassen und derselben bedeutet sich in der folge friedlich mit ihren Nachbarn zu leben auch sich des Gesöffs zu enthalten.“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 262 fol. 173.

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der Bürgerwache am Markt der Altstadt – hier wurden in erster Linie kurzfristige Ingewahrsamnahmen durchgeführt. Im Keller- bzw. Erdgeschoss des Rathauses befanden sich weitere Zellen, die sowohl für „Untersuchungshaft“ genutzt wurden als auch für die Verbüßung von verhängten Haftstrafen. In der Regel wurden längere Haftstrafen aber im sogenannten Bürgergehorsam verbüßt, einem Turm in der Stadtbefestigung der Altstadt. Auch die Neustadt verfügte über einen eigenen „Bürgergehorsam“, allerdings ließen sich in dem hier untersuchten Zeitraum keine Inhaftierungen in Hafträumen der Neustadt nachweisen, was allerdings auch mit der Quellensituation zusammenhängen könnte. Dass „Unfrieden“ allemal das Eingreifen der städtischen Obrigkeiten erforderte, wird in der öffentlichen Anklage durch den Fiscus deutlich, der in 16 % (10 von 61) der Fälle als Kläger auftritt. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Friedegebot und städtischer Rechtspflege tritt in den noch sehr knapp gehaltenen Notizen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zu Tage. 1752 wurden die Eheleute Gerd Staggen zum wiederholten Male vor das Ratsgericht zitiert, weil sie so unfriedlich miteinander lebeten, und ihnen deswegen bei willkührlicher straffe bedeutet worden christlich und friedlich mit einander zu leben. Weilen sie sich aber daran nicht gekehret, sondern noch vorigen sontag und auch mehrmahlen lärm miteinander gehabt. So ist ihnen bei Thurmstraffe anbefohlen, in ruhe und frieden zu leben.³⁶⁴

Ganz offensichtlich war eine sofortige Trennung und Bestrafung bei häuslichem „Unfrieden“ nicht angezeigt, zumal der Ausfall einer zentralen Arbeitskraft oder das Auseinanderbrechen des gesamten Haushaltes weitreichendere negative Konsequenzen für die städtische Ordnung gehabt hätte. Ein mehrstufiges Verfahren von Verwarnungen und sich steigernden Strafandrohungen wird sichtbar, das die besondere Beobachtung deutlich macht, unter der ein „unordentliches“ Ehe- und Hauswirtspaar stand. Im Protokoll wurde das unakzeptable Verhalten einerseits markiert durch den Hinweis auf einen gebrochenen, zuvor gebotenen Frieden, andererseits verweisen die Hinweise auf den „Lerm“ auf den entgrenzten, über das Haus hinausgehenden und damit die öffentliche Ruhe und Sicherheit störenden Charakter und die Nichtbeachtung von Feiertagen auf die grundsätzliche Unordnung des Hauses und mangelnde Wertorientierung der Beklagten.³⁶⁵ Die Ermahnung zum „christlichen und friedlichen Leben“ greift dabei sowohl den rechtlichen Aspekt des gebotenen Friedens im Sinne einer gewaltlosen Existenz im gemeinsamen Haushalt auf als auch den ethischen Aspekt der Friedfertigkeit, die in Erfüllung der häuslichen Pflichten und Tugenden gerade präventiv

364 NLA OS Dep 3b IV Nr. 234 fol. 85r. 365 Vgl. Kap. 3.4.2; NLA OS Dep 3b IV Nr. 237 fol. 160.

292 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln im Hinblick auf mögliche gewalttätige Eskalationen ehelicher Konflikte wirken sollte. Solche Ermahnungen, die mit dem Hinweis auf „Frieden“ nicht nur gewaltloses, sondern auch allgemein normkonvergentes Verhalten einforderten, finden sich vielfach gerade dort, wo die Ursache der Gewalt in grundsätzlicheren Konflikten über Aspekte des häuslichen Alltags und eines mangelhaften Konfliktmanagements gesehen wurde. Dementsprechend lassen sich vielfach auch Vermittlungsversuche der Gerichtsherren finden, wenn eine eigenständige Konfliktlösung wenig aussichtsreich erschien. In den bereits vorgestellten Auseinandersetzungen zwischen der Schuhmacherwitwe Lüken und ihrem Sohn Jost um die Hoheit in der Haushaltsführung (vgl. Kap. 3.3.2) hatten die Gerichtsherren bereits den modus vivendi vorgegeben, dass der Sohn die Aufsicht über die Finanzen erhalten sollte – und damit einen hausherrlichen Status –, während der Witwe aufgetragen wurde, „ihm mütterlich zu begegnen“. So ermahnten die Gerichtsherren auch die katholischen Eheleute Maschmeyer, „daß er in der folge von seinen Verdienste das zu bestreitung der haushaltungskosten nöthige, seiner Ehefrau einhändigen mit derselben friedlich leben und das Saufen unterlasssen sollte, widrigenfalls er arretirt werden würde“³⁶⁶ oder, dass „die Ehefrau Domaret in 1 ß Strafe condemnirt mit dem Bedeuten, daß wenn sie mit der Klägerin nicht friedlich leben würde, sie empfindlicher bestraft werden sollte.“³⁶⁷ Immer wieder lässt sich in den conclusiones der Gerichtsherren feststellen, dass sie die entsprechenden Verhaltensmuster und Rollenmodelle, die hier zur Debatte standen, noch einmal explizit formulierten – seien dies die Redlichkeit der Hausväter, die mütterlichen Tugenden oder der kindliche Respekt, Gehorsam der Ehefrauen oder Friedfertigkeit der Nachbarn. In Analogie zur (fast) fehlenden Friedenssemantik in Dienstklagen wurden in diesen Fällen die Streitparteien „beide zur Beobachtung ihrer Pflichten angewiesen.“³⁶⁸ Zugleich nahmen sie damit aber auch eine Festlegung und Zuschreibung der jeweils konfligierenden Rollen vor, denn wie gesehen, waren es ja vielfach Rollenkonflikte, welche die häuslichen Auseinandersetzungen so komplex und verworren machten. Während einige der verwarnten Streitparteien nicht wieder aktenkundig wurden – was zumindest auf eine auf das Haus eingedämmte Konfliktkultur schließen lässt, die nicht mehr als vom Rat zu regulieren angesehen wurde –, tauchen andere immer wieder auf. So klagte die Ehefrau Vogt über 13 Jahre immer wieder gegen ihren Ehemann (vgl. oben), ohne dass sich etwas Grundlegendes an dem

366 NLA OS Dep 3b IV Nr. 258 fol. 218. 367 NLA OS Dep 3b IV Nr. 260 fol. 166. 368 Ebd.

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konflikthaften Verhältnis zu ändern schien, sondern lediglich eine Spirale immer härterer Strafandrohungen und Strafen nach sich zog, wie die Reaktion des Rates auf die neuerliche Klage der Ehefrau des Fuhrmanns Schlüter 1804 zeigt. Schlüter wurde „wegen seiner Trunkfälligkeit und übeln Betragens gegen seine Frau mit 3 Tagen Gefängnis bey Wasser und Brod“ bestraft und sollte sich bemühen, „sich bey herterer Strafe eines ordentlichen Lebens zu befleißigen“.³⁶⁹ Ursprünglich hatte der Rat beschlossen, daß er an der Unzufriedenheit vorzüglich Ursache sey, und er sich also künftig wie es einem rechtschaffenen Ehemann gebühre gegen seine frau zu betragen habe, wie denn auch dessen Ehefrau zu einem sanftmüthigen Betragen gegen ihren Ehemann ermahnet würde. Beyde söhnten sich darauf wieder aus und versprachen künftig gut und fridlich mit einander zu leben.³⁷⁰

Auffällig ist, dass in den meisten Fällen nicht nur eine Streitpartei verurteilt und ermahnt wurde, sondern vielfach alle beteiligten Akteure als Teil der Konfliktkonstellation wahrgenommen und als solche beurteilt wurden: Da aus beyderseithigen Angaben erhellet, daß beyde Eheleute schuld haben, so sind beyde ermahnet sich friedlich miteinander zu vertragen und beklagten bey zukünftiger strafe anbefohlen sich ferner nicht an seine Frau zu vergreifen.³⁷¹

So ließ der Rat nach abermaliger Zitation des Ehepaares Klingenberg (vgl. oben) beiden eine entsprechende Ermahnung zuteilwerden, auch hatten beide schon zur Ausnüchterung in Haft gesessen. Auch in familiären Konflikten lässt sich diese Form der Sanktionierung und Gewaltabwendung finden, denn auch Berkemeyer junior und sein Schwager (vgl. oben) waren noch einige Monate vor Gericht anzutreffen, wo sie jeweils mit Geldstrafen belangt und ermahnt wurden, „sich künftig friedlicher zu betragen.“³⁷² Die Betrachtung der Einzelfälle hat gezeigt, dass hier nicht pauschal alle Beteiligten „über einen Kamm geschoren“ wurden, sondern einer genauen Rekonstruktion der Konfliktverläufe und Verhaltensweisen der jeweiligen Streitparteien zur differenzierten Beurteilung sehr viel Gewicht beigemessen wurde. Gleichwohl zielte das Bestreben auf die Stabilisierung des Hauses als Ganzes, was sich in der

369 Ebd., fol. 244. 370 NLA OS Dep 3b IV Nr. 266 fol. 246. 371 Ebd. Große Nachhaltigkeit zeigte diese Ermahnung nicht, denn gut ein Jahr später wird Altrup auf der Wache festgesetzt, nachdem Nachbarn wegen einer Schlägerei unter den Eheleuten die Diener zu Hilfe gerufen hatten. Vgl. ebd. fol. 90. 372 NLA OS Dep 3b IV Nr. 247 fol. 37.

294 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln konsequenten Disziplinierung und „Regierung der Hausväter“³⁷³ ohne grundsätzliche Hinterfragung ihrer Position ebenso andeutet wie in der Einbeziehung aller Akteure, selbst in dem aktiven Prozess der häuslichen Befriedung mitwirken zu müssen. Die daraus resultierende Strafpraxis, die sich deutlich von der Kriminalstrafpraxis unterschied, zielte auf Ausgleich und Restabilisierung. Nicht die Schuldfrage steht im Mittelpunkt, sondern die Fortführung der Ehe und des Haushaltes unter Bedingungen, die allen Beteiligten das „Ihre“ zukommen lassen. Die Konfliktlösungsstrategien der Gerichtsherren spiegeln damit den wenig greifbaren Charakter der Hausfriedensproblematik zwischen einer „privaten“ und einer „öffentlichen“ Angelegenheit, die letztlich auf die Scharnierfunktion des Hauses als sozialer wie politischer Institution beruht. Zum einen lassen sich immer wieder Versuche feststellen, vermittelnd „die Güte“ zwischen den Streitparteien herzustellen und damit an die Praxis frühneuzeitlicher Sittengerichte anzuknüpfen,³⁷⁴ andererseits werden Verstöße gegen Friedegebote, Gewalttätigkeiten und Sittendelikte – vor allem unmäßiger Alkoholkonsum – mit Geld- und Haftstrafen belegt, was eindeutig in die obrigkeitliche Strafgerichtsbarkeit fällt. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei neben der Rekonstruktion der der Gewalttätigkeit zugrundeliegenden Grundkonflikte die Restabilisierung der zerrütteten Beziehung(en). Diese werden, wie gesehen, zum einen durch die Vorhaltung des aus der jeweiligen häuslichen Position und Rolle sich ableitenden Verhaltens hervorgehoben, zum anderen durch eine formale Aussöhnung, die beinahe formelhaft in den Prozessen auftaucht und semantisch eng mit dem Friedensideal verknüpft wurde: „den Parteyen ist friede und einigkeit empfohlen, und sämmtlich wieder ausgesöhnet“, „sind darauf sämmtliche Personen wieder ausgesöhnet, und sie ermahnet, sich friedlich zu begegnen“, „worauff partes [. . . ] mit einander auß gesöhnet“.³⁷⁵ Für eine dauerhafte Stabilisierung war die formale Wiederherstellung der Ehre der Streitbeteiligten von zentraler Bedeutung. Der beleidigte Hausvater konnte nicht einfach über diese Ehrverletzung hinwegsehen, ebenso wenig wie die Ehefrau, die in den häuslichen Konflikten durch das Herabreißen der Kopfbedeckung, durch öffentliche Entblößung und Schläge gedemütigt worden war. Dies war eine Notwendigkeit, die alle Akteure betraf und die bereits oben angesprochene klare Definition der häuslichen Position und der Beziehungsstrukturen zueinander voraussetzte. Die Verhängung von Geldstrafen spielte in diesem Zusammenhang eine

373 Krünitz unter Rückgriff auf Justi, Art. Hausvater, Bd. 22, Sp. 411–430. 374 Vgl. hierzu Schmidt, Pazifizierung, S. 105–110; Holzem, Religion, S. 310–335. 375 NLA OS Dep 3b IV Nr. 248 fol. 193.

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wichtige Rolle. Zum einen markierte sie die häusliche Gewalt als Strafdelikt, zum anderen konnte damit die verletzte Ehre gesühnt werden. Entsprechend häufig findet sich deshalb auch die Aussprache von Geldstrafen für beide Streitparteien, um die jeweiligen Vergehen zu bestrafen und zu sühnen.³⁷⁶ Die ausgesprochenen Geldstrafen variieren in der Mehrzahl der Fälle zwischen einem und drei Schillingen, was in etwa der halbjährlichen Steuerlast eines Handwerkers der unteren Mittelschicht entsprach. Haftstrafen wurden hingegen dann ausgesprochen, wenn eine besondere Schwere der Gewalt eine ständige Bedrohung darstellte, der man die Hausbewohner nicht aussetzen konnte. Neben der damit beabsichtigten temporären räumlichen Trennung sollte auch die Läuterung des Häftlings bewirkt werden.³⁷⁷ Die Strafbemessung war dabei ein durchaus ambivalenter Prozess, wie die Umlaufdiskussion der Ratsherren in einem solchen besonders schweren Fall zeigt. Der Ratsherr Gerhard Anton von Blechen schrieb auf die Rückseite des entsprechenden Gerichtsprotokolls: Der Back verdiente zwaren, daß er mit 14 tagen mit Wasser und Brodt im Zibürken gebußfertiget würde. Ich besorge aber daß er in diesem Loche, bevorab bey jetziger feuchten Witterung seine Gesundheit leichte verliehren könte mithin halte dafür, daß man ihne auf 14 tage mit Wasser und Brodt den thurm dictirte. Es könte ihne aber verstattet werden, ein Bette oder Stroh zur Wärme mit hineinzunehmen.³⁷⁸

Johann Friedrich von Lengerke kommentierte: „Wan das nicht hilfft nechstens Zibürken“, während der Bürgermeister Wilhelm Gerding den Disziplinierungserfolg in so kurzer aufgrund der „Verwegenheit“ des Delinquenten bezweifelte, „wann er die straffe nicht recht fühlet, mögte es arger werden.“³⁷⁹ Dass ehrenrührige Haftstrafen das Gegenteil dessen bewirken konnten, was ihr eigentlicher Strafzweck war, nämlich eine Intensivierung häuslicher Gewalttätigkeit statt Befriedung, wurde auch von den Streitparteien selbst gesehen und durchaus zwiespältig gesehen. Der unbotmäßige Jost Lüken, der aufgrund seines „liederlichen Lebenswandels“ bereits wiederholt mit Turmstrafen belegt worden war, zeigte keine Anzeichen eines Sinnes- und Verhaltenswandels. Dennoch richtete die Witwe im zweiten Jahr der Auseinandersetzungen eine Supplik an die Gerichtsherren, in der sie um Aufhebung einer weiteren Turmhaft gebeten hatte, unter explizitem Hinweis auf die Zuspitzung und Konfliktverschärfung.

376 Zur Praxis der Geldstrafe im Zusammenhang mit Friedegeboten vgl. Wittke, Vollzug, S. 50–54. 377 Zum Zusammenhang von Strafpraxis und Wertevermittlung vgl. einleitend Schulze/Vormbaum, Strafe, S. 7–18. 378 NLA OS Dep 3b IV Nr. 235 fol. 28. 379 Ebd. zum Fall und zur Urfehde vgl. Kap. 3.4.2.

296 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Eine zentrale Rolle spielte aber auch die Finanzierung der Haftzeit. Denn die Versorgung der Gefangenen musste durch die eigene Familie geschehen, die mit dem Ausfall der Arbeitskraft durch eine solche Strafmaßnahme doppelt belastet war.³⁸⁰ Ein Umstand, der den Gerichtsherren durchaus bewusst war und in die Überlegungen miteinbezogen wurde – sei es bei der Diskussion der Haftlänge oder der Stattgabe von Bittgesuchen um vorzeitige Entlassung.³⁸¹ Die förmliche Verurteilung zu einer Haftstrafe stellte aber nicht nur einen finanziellen Schaden dar, sondern belastete auch die Ökonomie der Ehre ganz erheblich. Bereits mehrfach war angeklungen, dass in den Auseinandersetzungen die Hinweise auf bereits verbüßte Haftstrafen in der memoria der Nachbarschaft gespeichert wurden und gegebenenfalls in Konflikten wieder zur Sprache gebracht wurden.³⁸² Aber auch die Tatsache, dass nicht nur ein Schuldiger ausgemacht und verurteilt wurde, sondern beiden Streitparteien eine Mitschuld gegeben wurde, konnte zu Unmut und verletzter Ehre führen, wie der Knopfmacher Balcke in seinem Gnadengesuch durchaus selbstbewusst formulierte, der nicht mit seinem Sohn „in einer Lauge gewaschen“ werden wollte.³⁸³ Was sind es für Ursachen, Hochwohledelgebohrne Herren, dass ich mit meinem ungehorsamen und ungerathenen Sohn mit einer Lauge gewaschen werden oder gleiche Strafe leiden solle, der ich doch weiter nichts als Ruhe und Einigkeit suche [. . . ] sich beggehen lassen doch gleiche Strafe von ihrer Obrigkeit leiden sollen, es würde dieses das empfindlichste

380 Im Falle der Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn Lüken (s. Kap. 3.3.2) beliefen sich die Kosten für die Witwe auf 2 Mgr. für Gerichtskosten und 9 ß 9 d für Zitationen und Haftkosten ihres Sohnes. Mieteinnahmen für ihr Hinterhaus betrugen zum Vergleich 3 Rth./a, aus der Vermietung ihres Pferdes erhielt sie für drei Tage ½ ß. (Vgl. NLA OS Dep 3b IV Nr. 242 fol. 230–232). Zugleich hatte die Witwe, um ihre Klageschriften zu finanzieren, dem mit der Abfassung beauftragten Advokaten ihren Garten vermietet. In einem Prozess um ausstehende Zahlungen wurde deutlich, dass eine schriftliche Eingabe mit 1 Rth. taxiert war, während die Jahresmiete des Gartens 1 Rth. und 7 ß betrug (NLA OS Dep 3b IV Nr. 246 fol. 33). [1 Mariengroschen (Mgr.) entsprachen 1791 sieben Pfennige (d), 1 Schilling (ß) = 12 d, 21 ß bzw. 36 Mgr. = 1 Reichsthaler (Rthl.).] Vgl. Twelbeck, Maße und Münzen, S. 11. In Relation dazu kostete 1791 1 kg Roggen 10,5 Mgr. und ein Tagelöhner verdiente im Schnitt 9 Mgr. pro Tag. Zur Preisentwicklung in Niedersachsen vgl. Oberschelp, Preisgeschichte, S. XXXVI, L. 381 NLA OS Dep 3b IV Nr. 239 fol. 49a: „Allein bey näherer Erwegung finde ich hierinn bedencken, weil nach dem Landesfürstlichen Edict alle Verweisungen in Zuchthauß-Straffe verwandelt worden, und wir also eine Verweisung wohl nicht wagen werden. Komt er dann auf das Zuchthauß, so haben wir Weib und Kind auf dem Halse.“ 382 „Zibürchenteufel“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 241 fol. 196; „der vorige Mann auf dem Zuchthause gesessen“ NLA OS Dep 3b IV Nr. 256 fol. 154. 383 Vgl. hierzu Kap. 3.4.1.

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und härteste tage vor mich, und die größte ursache zum ferneren Ungehorsam und gröbsten Laster meines Sohnes seyn.³⁸⁴

Was demnach an Maßnahmen zur Abwendung unmittelbarer Gefahr für die Sicherheit der Hausbewohner und zur Sühne von Gewaltdelikten als Sanktion zur Verfügung stand, war nicht unbedingt dazu geeignet, die Wurzel der Konflikte zu bearbeiten, die vielfach in wenig auf Ausgleich und Verständigung angelegten persönlichen Beziehungen angelegt war und oftmals durch vielfache und lang währende gegenseitige Verletzungen stark strapaziert waren. Ökonomische wie ehrbezogene Ressourcenknappheit mag ein zusätzlicher Katalysator für eskalierende Konflikte gewesen sein. Eine weitere Strafform, die gerade aus dem Kontext des Friedensbruches bekannt ist, wurde in Osnabrück nicht im Kontext häuslicher Konflikte angewandt – Ausweisungen.³⁸⁵ Zum einen sollten Landes- und Stadtverweisungen seit 1768 auf landesherrliche Anordnung in Zuchthausstrafen umgewandelt werden.³⁸⁶ Zum anderen wären durch solche Maßnahmen die Bestandsaussichten der jeweiligen Haushaltungen erst recht geschrumpft, die Ausweisung ganzer Familien war in der ohnehin nicht zu dicht bevölkerten Stadt auch keine Lösung. Lediglich zwei Ehepaare wurden aufgrund ihres Alkoholmissbrauches in den 1780er Jahren der Stadt verwiesen.³⁸⁷ Dies scheint aber nicht so sehr mit der Einstufung häuslicher Konflikte zu tun zu haben, sondern scheint einen sich wandelnden Umgang mit Alkoholkonsum und dessen offensichtliche Konsequenzen für die öffentliche Ordnung und die städtischen Wirtschaftszusammenhänge anzudeuten. Die Zunahme von gewalttätigen häuslichen Konflikten, die nicht im Zusammenhang mit Friedenskonzepten standen, gehen einher mit einem deutlich sichtbaren Bemühen, den Alkoholkonsum als Auslöser der Gewalttaten und häuslichen Unordnung zu bannen. So häuften sich nicht nur die Verweise, das „unmäßige Branntweingesöff“ zu unterlassen, sondern auch Fälle, in denen Alkoholkranke in den Waisenhof verlegt und regelrecht inhaftiert wurden, um eine Restabilisierung der familiären Ökonomie zu ermöglichen.³⁸⁸

384 NLA OS Dep 3b IV Nr. 236 fol. 153. 385 Eine Ausweisung lässt sich im gegebenen Zeitraum finden. Sie betraf eine verwitwete Frau, die nach mehrfacher „Unzucht“ mit verheirateten Männern samt ihrer fünf Kinder der Stadt verwiesen wurde. NLA OS Dep 3b IV Nr. 234 fol. 14. 386 CCO I/2, S. 1351–1353: Verordnung wegen der Verwandelung der Landesverweisung und des Staupenschlages in eine Zuchthausstrafe, 30. May 1768. 387 NLA OS Dep 3b IV Nr. 245 fol. 5, 11. 388 Diese Beobachtung kann an dieser Stelle nur eine Beobachtung bleiben, da Grundlagenforschung zum obrigkeitlichen Umgang mit Alkohol und Trunksucht im späten Jahrhundert fehlt.

298 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln 3.5.5 Friedewahrung als Politik auf der Mikroebene Der Schutz des Hausfriedens wurde in der sozialen Praxis durch ein komplexes Ineinandergreifen verschiedener Interventionsformen gewährleistet. Gewalttätigkeit im sozialen Nahraum konnte dabei zunächst durch dessen Akteure selbst abgewendet oder zumindest unterbrochen werden. Im Gegensatz zur Streitschlichtung zwischen Bürgern, die als Friedewahrung im öffentlichen Raum nicht strittig war, bedurfte das Eingreifen in häusliche Konflikte einer besonderen Legitimation, da sie grundsätzlich die Autorität und Hoheit des Haushaltsvorstandes in Frage stellte: sei es als Herrschaft im Inneren des Hauses oder als hausbesitzender Bürger, dessen Herrschaftsraum von außen verletzt wurde. Als einzige rechtmäßige Regelungskompetenz in häuslichen Auseinandersetzungen hatte sich die städtische Obrigkeit positioniert, die in den gerichtlichen Verhandlungen die innerhäusliche Ordnung einerseits, wie auch die Grenzen im Hinblick auf die außerhäuslichen Beziehungen zur Nachbarschaft andererseits thematisierte, regulierte und damit wieder herstellte. Die gerichtliche Intervention und Verhandlung häuslicher Konflikte beruhte auf einem mehrstufigen System, das auf der Feststellung von Gewalttätigkeit jenseits hausherrlicher Befugnisse aufbaute. Dies stand in der seit dem Mittelalter wirkenden Tradition des „Frieden gebietens“, das in der hoheitlichen Zuständigkeit der städtischen Magistrate lag. Im Wiederholungsfalle konnte eine Reihe von Maßnahmen zur Erzwingung der Gewaltlosigkeit einsetzen, die von kurzfristiger Inhaftierung über formale Aussöhnung und abermaliges Friedegebot bis hin zu Geld- und Haftstrafen reichte. Aufgrund der besonderen Konfliktkonstellation und der engen Verflechtung der häuslichen und nachbarschaftlichen Akteure durch persönliche Beziehungen sowie deren Unverzichtbarkeit für das Funktionieren der empfindlichen häuslichen und nachbarschaftlichen Ökonomien waren solche nur auf das Strafen ausgerichtete Maßnahmen nicht dem Strafzweck – einer gewaltlosen Kommunikation für die Wiederherstellung eines geordneten Hauses – angemessen und dienlich. Diese Formen der Sanktionierung von Friedebruch erfüllten ihren Zweck in der Bannung von Gewalt und der Sicherung des Stadtfriedens – also in Zusammenhängen, die nicht auf Kopräsenz und einer permanenten Kommunikationssituation aufbauten. Weitaus wichtiger waren daher die Aushandlungsprozesse, in denen die Gerichtsherren die Konfliktursachen in den Beziehungsstrukturen zu ermitteln und erneut zu restabilisieren versuchten. Hier kam der Friedenssemantik eine weitaus Gleichwohl wurden ähnliche Beobachtungen für diese Zeit im Umgang mit „Trinkern“ gemacht. Vgl. hierzu Staremberg, Nicole: Du Buveur à l’Ivrogne. Le Consistoire à Lausanne Face à l’Abus d’Alcool 1754–1791, Lausanne 2006.

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höhere Funktion als Deutungsmacht und Sinnstiftungspotenzial zu, die weit über die Frage der Definition der verübten Gewalt als potestas oder violentia hinausging und auf die fundamentalen Handlungsdispositionen der beteiligten Akteure zielte. Gerade deshalb sind diese Verhandlungen als politisches Handeln auf Mikroebene zu lesen: die Entscheidungs- und Ordnungskompetenz der Obrigkeiten wurde insbesondere im Bereich des Hauses nachdrücklich betont und durchgesetzt. Die getroffenen Entscheidungen und Urteile schufen ihrerseits kollektiv verbindliche Regelungen im Hinblick auf die Rechtssphäre des Hauses, da sie sowohl als Präzedenzfälle für spätere Verhandlungen fungierten als auch langfristig die Interpretationsschemata im sozialen Nahraum selbst prägten und veränderten. Trotz oder gerade wegen des eingeforderten Monopols der Obrigkeit konnten solche Entscheidungen nur dann allgemeine Akzeptanz gewinnen, wenn sie mit den Wahrnehmungen und den auf Billigkeitskategorien basierenden Zuordnungen der übrigen Akteure als Nachbarn und Verwandte in Übereinstimmung gebracht wurden – auch dies war eine wichtige Funktion der gerichtlichen Verhandlungen. In der Gerichtsverhandlung als kommunikativer Situation fand somit ein fortwährender Abgleich zwischen expliziten ethischen wie juristischen Normen und impliziten, im jeweiligen sozialen Nahraum erfahrenen und erlernten, Normen statt, der für Konstanz und Wandel der gesellschaftlichen Institution des Hauses an der Schnittstelle von sozialer und politischer Ordnung entscheidend war. Die kommunikativen Prozesse zwischen Hausbewohnern, Nachbarn und der Obrigkeit im Gerichtssaal waren als Formen politischer Kommunikation auf Mikroebene entscheidend, um die Normativität der alltäglichen Interaktionen im sozialen Nahraum zu überprüfen und – indem grenzüberschreitendes Verhalten als solches markiert und sanktioniert wurde – zu stabilisieren. Der gerichtliche Konfliktaustrag muss deshalb nicht nur als eine Form der strategischen Justiznutzung zur Durchsetzung der individuellen Interessen angesehen werden, sondern war darüber hinaus für die Stabilisierung und Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung von zentraler Bedeutung – und zwar auf zwei Ebenen: zum einen ermöglichte der gerichtliche Konfliktaustrag die Regulierung von Gewalt, Unfrieden und Unordnung in einem Bereich, der aufgrund der häuslichen Immunitäten dem direkten Zugriff der Obrigkeit entzogen war, aber dennoch deutliche Auswirkungen auf die allgemeine soziale Ordnung hatte. Zum anderen war die gemeinsame Verständigung über die Gültigkeit und die „richtige“ Anwendung der normativen Handlungsmuster für die langfristige Stabilität wichtig. Stellten häusliche Konflikte, die als grenzüberschreitend und normverletzend wahrgenommen worden waren, zunächst einmal ein instabiles Moment für den gemeinsam geteilten Konsens über die Ordnung des sozialen Nahraums dar, so konnte dieser Konsens umso stabiler und nachhaltiger durch den Entscheid der Richter gestärkt werden. Wenn in diesem Prozess der Rückbezug auf „Frieden“ als höchste legitimatori-

300 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln sche Strategie und umfassenden Appell an das „richtige“ und „normale“ Handeln aufgezeigt werden konnte, gilt es die Beziehung dieser Friedenssemantiken im Hinblick auf spezifische Friedensrisiken und Friedenswirkungen herauszustellen. Im Zentrum standen dabei die Konzepte von Gewalt, Ehre und Ordnung, anhand derer spezifische Praktiken sprachlich markiert, präsentiert und bewertet werden. Gewalt spielte als Gegenbegriff zum Frieden immer eine zentrale Rolle – und war im Vergleich zu diesem an Ambivalenz, Komplexität und Problematik kaum zu übertreffen.³⁸⁹ Die Forschung hat vielfach auf die theoretische Trennung zwischen der potentia des Hausvaters als zugebilligter Strafgewalt mit Züchtigungsrecht und der violentia als einer als unangemessen und illegitim wahrgenommenen, übermäßigen Gewalttätigkeit hingewiesen.³⁹⁰ Die Abhängigkeit von situativen Rahmenbedingungen machte die Definition ausgesprochen schwierig, wollte man abstrakte, allgemeingültige Regeln festlegen. So hielt der Zedler zum Züchtigungsrecht des Hausvaters fest: Also ist z.E. einem Manne nicht verwehrt, seine Frau häuslich zu züchtigen, wenn es nur nicht zu arg geschiehet, daß eine Art der Grausamkeit daraus wird. [. . . ] Ein Hausvater also unstreng das Recht haben müsse, [. . . ] alle Grade der Gewalt, die nur sie [auch die Kinder und das Gesinde, ISV] in Gehorsam zu erhalten nöthig sind, anzumassen, und solchemnach den Frieden und Gehorsam in seinem Hause [. . . ] zu behaupten.³⁹¹

Gerade die Tatsache, dass die häusliche Sphäre eben nicht Teil der obrigkeitlich regulierten und monopolisierten Sphäre der politia war, sondern als komplementär und in gewissem Grade auch als Gegensatz dazu diente, machte das Eingreifen der Obrigkeit in den innerhäuslichen Bereich zu einem durchaus ambivalenten Prozess. Aus den untersuchten Osnabrücker Prozessen mit einer prominenten Friedenssemantik geht deutlich hervor, dass der Vorwurf der häuslichen Gewalt – im Sinne der violentia – in allen Fällen den Anlass zur Intervention und den Klagegrund bildete; und dabei durchaus nicht nur von Seiten der Frauen, sondern auch und gerade von Hausvätern, die sich in der Autorität ihrer Position angegriffen

389 Exemplarisch für die zahlreiche Literatur zur Gewalt in der frühen Neuzeit sei hier verwiesen auf die Beiträge in Kaspar von Greyerz, Religion und Gewalt, Göttingen 2006; Ulbrich, Claudia, Gewalt in der Frühen Neuzeit, Berlin 2005; Krug-Richter, Barbara: Streitkulturen sowie Pröve, Ralf: Gewalt und Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Formen und Formenwandel von Gewalt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 792–806. 390 Hohkamp, Grausamkeit, S. 64–66; Nolde, Gattenmord, S. 138–162; Luef/Pribitzer, Gewalt, S. 68–69; Ulbrich, Saufen, S. 32–38; Foyster, Violence, S. 32–35; Hacke, Wahrnehmung, S. 346–348. 391 Zedler, Art. Züchtigung (häusliche) oder Hauß=Zucht, Bd. 63, Sp. 1261f.

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fühlten, oder erwachsenen Kindern und Schwiegerkindern, um nicht akzeptable Zustände im häuslichen Gefüge anzuzeigen. Dementsprechend lassen sich vielfach Formulierungen finden, die das „unfriedliche Leben“ eines Ehepaares oder eines Ehepartners als Ausgangspunkt für die Argumentation nahmen. Um dieses „unfriedliche“ Leben zu charakterisieren, spielen Hinweise auf violentia eine entscheidende Rolle und waren in den Aussagen der Streitparteien Gegenstand ihrer Versuche, die Deutungshoheit über die Vorkommnisse zu erlangen. Die Semantiken dieser Gewalt stehen hier ganz innerhalb jener Rahmen, die bereits in der Forschung aufgezeigt worden sind. Die sich als Opfer unangemessener Gewalttätigkeit sehenden Parteien waren „mißhandelt und mit schlägen übel tractiret worden“ und verwiesen auf blutende oder zumindest blutunterlaufene Wunden, um anhand des sich dadurch abzeichnenden Schweregrades der Verletzung die Unmäßigkeit sowie die Gefährdung von Leib und Leben zu demonstrieren – was wiederum das Eingreifen der Obrigkeit in den hausherrlichen Herrschaftsbereich legitimierte.³⁹² Seitens der als Täter Angeklagten findet sich wiederum das Bestreben, die körperliche Gewalt – sofern sie nicht gänzlich geleugnet wurde – als eine „correction“ oder „ohrfeige“, als einen Vorgang von notwendiger häuslicher Züchtigung, darzustellen, um gleich die Art der Verfehlungen darzustellen. Neben den sprachlichen Markern waren es aber auch die Darstellungen spezifischer Gewaltpraktiken, insbesondere die Zuhilfenahme von Gegenständen, die als Waffen klassifiziert und damit den Tatbestand der vis publica erfüllten bzw. eine potentielle Lebensgefahr darstellten. Das reichte – wie beschrieben – von Holzscheiten über Küchengeräte bis hin zu Messern, Mistgabeln und Beilen. Wie bei der Gewaltanwendung selbst, lässt sich in den Fällen nicht zwangsläufig auf eine einseitige Gewaltanwendung schließen, in den meisten Fällen waren beide Streitparteien handgreiflich geworden, vielfach haben auch beide Gegenstände benutzt. In jedem Falle lag damit deutlich ein Friedensbruch vor, feindliche und böswillige Absichten lassen sich finden. Zentrales Moment für die Wahrnehmung von Gewalt und die Klassifizierung eines Friedensbruches war die „Öffentlichkeit“ der Gewalt, d. h. dass die Gewalthandlungen in ihrer Unmäßigkeit auch außerhalb des Hauses wahrgenommen wurden und geeignet waren, den allgemeinen Frieden zu stören. Die Wahrnehmbarkeit konnte – wie gesehen – auf ganz unterschiedliche Weise gegeben sein. Die Hörbarkeit und Einsicht in das häusliche Geschehen waren eine Möglichkeit, aber auch das Hinauslaufen auf die Straße, um bei Nachbarn Schutz zu finden oder

392 Hierzu Hohkamp, Grausamkeit, passim. Zur literarischen Repräsentation von Blut als Zeichen häuslicher Gewalt vgl. die Beiträge in Lawson/Shakinkovsky, Body.

302 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Hilfe zu holen, war eine Möglichkeit, Gewalttätigkeit „öffentlich“ zu machen. Das galt sowohl für die Misshandelten selbst, als auch für andere Hausangehörige, die aus dem Haus liefen, um Hilfe zu holen. Wenngleich diese Zusammenhänge in den Protokollen der mündlichen Verhandlungen nicht explizit in einen Zusammenhang mit den Hausfriedenskonzepten gebracht wurden, wird dennoch die Bedeutung der räumlichen Verortung der gewalttätigen Konflikte „im Haus“ deutlich, die dann entscheidend für die erfolgte Grenzüberschreitung in der Wahrnehmbarkeit von „außen“ wird.³⁹³ All diese Umstände standen ideell in einem engen Zusammenhang mit dem Friedensbruch, der hier in der häuslichen Sphäre begangen worden war, in seinen Auswirkungen aber weit in die sozialen Räume der Nachbarschaft und der Gemeinde hineinwirkte und eng auf den juristischen Normenkontext der Friedewahrung verwies. Die Zeugenverhöre ergaben aber auch, dass sich die Gewalttätigkeiten zu einem großen Teil vor dem Hintergrund von Konflikten und unterschiedlichen Ansichten über das häusliche Wirtschaften entwickelt hatten und auf eine tieferliegende Ebene des Friedensbruchs verwiesen – die Nicht-Erfüllung der häuslichen Aufgaben und Pflichten oder das Herausnehmen von Privilegien, die einem nicht zustanden. Auch in diesem Zusammenhang liefert die Räumlichkeit der Gewaltpraktiken Hinweise auf die Wahrnehmung des gestörten häuslichen Friedens. Vielfach werden in den Darstellungen immer wieder zwei virulente Räume innerhalb des Hauses genannt, die den Kern der häuslichen Ordnung bestimmen: der gemeinsame Esstisch und das eheliche Bett. Gerade in ehelichen Konflikten wurde vielfach darauf hingewiesen, dass einer der Ehepartner nicht das gemeinsame Bett teilen wolle; dass die Schwiegermutter einer Ehefrau den Sohn vorenthalte, indem sie ihn zwang, mit ihr in einem Bett zu schlafen; dass der Partner sich nicht ausziehe und für die Nacht fertigmache; dass ein Ehepartner den anderen zwinge mit ihm im Bett zu schlafen trotz Morddrohung und offenem Messer auf dem Tisch. Nicht nur die fehlende Anwesenheit im Bett konnte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen, auch eine angeblich zu lange Verweildauer darin und daraus abgeleitete Faulheit führte zu Konflikten. Noch deutlicher wird dies am Tischraum, der Kern familiärer Kopräsenz war und ein „auf verschiedenen Ebenen hochgradig symbolischer Akt, der Einheit von Familie und Haushalt ebenso zum Ausdruck bringt wie innerfamiliale Hierarchien und Unterschiede.“³⁹⁴ Die besondere Bedeutung der gemeinsamen Mahlzeiten als Manifestation und Reproduktion der häuslichen Hierarchien und insbesondere der hausväterlichen Autorität machten diese zu Kristallisationspunkten für mehr

393 Vgl. Schmidt-Voges, Nachbarn, S. 419–421. 394 Gestrich, Familie, S. 606.

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oder weniger offene Konflikte innerhalb des Haushaltes, zumal die Situation zur Kommunikation zwang und herausforderte. Vielfach wurde in den Osnabrücker Akten auf „correctionen“ hingewiesen, weil die Ehefrau, die Magd oder die erwachsene Tochter entweder gar nicht gekocht oder das Essen nicht rechtzeitig fertig und aufgetragen hatte.³⁹⁵ Vor allem aber generationelle Konflikte mit erwachsenen oder erwachsen werdenden Kindern wurden vor Gericht häufig in eine Szene des gemeinsamen Essens eingebettet, um die Grundsätzlichkeit und die tiefgreifende Störung des Hausfriedens zu markieren. Die gemeinsame Mahlzeit besaß in der Versammlung der Hausbewohner um einen Tisch aber nicht nur eine räumliche Dimension, sondern auch eine zeitliche, die für die Markierung bestimmter Konflikte und Tätlichkeiten als grenzüberschreitende Gewalttätigkeit wichtig war. Die gemeinsame Mahlzeit strukturierte den Familienalltag und die individuellen Zeitbudgets, bildete eine Phase der Ruhe und Arbeitsunterbrechung. Somit konnten Konflikte als besonders störend empfunden werden, auch und gerade von Nachbarn, die während der Mahlzeiten von „Hausfriedensstörern“ belästigt wurden. Noch wichtiger im Hinblick auf die juristisch greifbare Normativität waren Gewalttätigkeiten in der Nacht. Mit dem Abschließen der Häuser nach Einbruch der Dunkelheit oder nach zehn Uhr abends wurde der besondere Schutz der Häuser vor den Unbilden der Nacht markiert. Folglich wurden in den Darstellungen der Konflikte, die den Unfrieden eines Hauses verursacht hatten, nächtliche Ruhe- und Schutzverletzungen besonders hervorgehoben. Hierzu zählten nicht nur die Vorladung und das Eindringen von Gerichtsdienern, wenn man schon „im Bette“ lag, sondern auch das Verweigern des häuslichen Schutzes durch den Ehemann, wenn die Frau aus Angst vor seiner „Misshandlung“ sich in den „Kuhstall retiriren“ oder mit ihren Kindern auf der Ratswiese übernachten musste. Auf vielen Ebenen der Erzählungen über ein „unfriedliches Leben“ spielte die Darstellung von physischer Gewalttätigkeit, die die fundamentalen Sicherheitsund Schutzbedürfnisse der Personen verletzte, eine entscheidende Rolle. Die Bannung von Gewalt und der Schutz der Sicherheit der Stadtbewohner war oberstes Gebot für die städtische Obrigkeit und Legitimation ihrer Herrschaft, so dass sie hier berechtigten Zugriff auf innerhäusliche Angelegenheiten hatte. Gewalt im sozialen Nahbereich unterlag aber aufgrund der spezifischen Normativität des Hauses und seiner Außenbeziehungen in der Nachbarschaft anderen Rahmenbedingungen, die nicht durch ein entschleunigendes Verfahren und rechtliche Kommunikationsprozesse geklärt werden konnten. Vielmehr waren alle Beteiligten darauf angewiesen, Gewaltprävention durch soziale Kontrolle und den Appell an

395 Ellis, Way, S. 166–168, Gestrich, Familie, S. 607; Audehm/Zirfas, Gemeinschaften, S. 40–46.

304 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln das ethische Selbstverständnis zu regulieren – denn wenngleich der Obrigkeit mit dem „Friede gebieten“ ein gewisses Maß an Sanktionsmöglichkeiten durch Haft- und Geldstrafen offenstand, so stand dem doch vielfach der Bedarf an der Arbeitskraft zur Aufrechterhaltung der Ökonomie entgegen. Auch in diesem Sinne ist die vielfach anzutreffende Formulierung einer Ermahnung zum „friedlichen Leben“ zu verstehen, die als offizielles Friedegebot zu lesen ist. Die Friedenssemantik stand damit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der violentia, deren Monopolisierung im Gegensatz zu anderen Bereichen des innergesellschaftlichen Lebens nicht gelang, oder vielmehr auf soziale Interaktion und außerjuristische Normativität angewiesen war. Dieser im Friedensbegriff enthaltene Appell an die Handlungsmotivation mag auch mit ein Grund dafür gewesen sein, warum sich die Friedenssemantik im häuslichen Kontext im 18. Jahrhundert nicht verflüchtigte und durch Sicherheitsregime und anderes ersetzt wurde, sondern gar verstärkt wieder aufgegriffen wurde. Gewalttätige Konflikte konnten nicht nur Körper, Haushaltsgegenstände und Gebäude „verletzen“, sondern in ganz erheblichem Maße auch die Ehre der beteiligten Akteure. Die individuelle Selbstachtung wie auch das soziales Ansehen in der Nachbarschaft wurden im Laufe der Auseinandersetzungen ganz unmittelbar durch Verbalinjurien angegriffen, wobei die Beleidigungen ganz gezielt auf die geschlechtsspezifischen Ehrkonzepte abzielten.³⁹⁶ Die Verletzung weiblicher Ehre zielte auf die Unversehrtheit des Körpers und seiner Reinheit bzw. Exklusivität ihrer Häuslichkeit, indem Frauen als „Domherrenhuren“, „französische Canaillen“, „Hippenhunde“, „Ehebrechersche“ und ähnliches mehr beschimpft wurden oder ihnen in der Nachbarschaft vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr nachgesagt wurde. Neben der sprachlichen Ehrverletzung äußerten sich diese Übergriffe durch das Herunterreißen von Mützen, Zerschneiden von Kappen, Halstüchern und Kleidern, die als äußere Hüllen die Unversehrtheit des weiblichen Körpers markierten. Männer hingegen wurden als „schlechte Haushalter“, „Trunkenbolde“, „grobe Kerle“, „faul“ und „liederlich“ beschimpft. Die Beobachtungen zu den Osnabrücker Praktiken der Ehrverletzung reihen sich damit ein in die zahlreichen Untersuchungen und Studien, in welchen die gleichen Muster, Praktiken und Vorstellungen beobachtet wurden.³⁹⁷ Vor allem aber der gewalttätige Austrag innerhäuslicher Konflikte hatte Auswirkungen auf die Ehre nicht nur des Hauses, sondern jedes einzelnen Beteiligten, definierte sich die soziale Identität doch entscheidend über die Position im Hause

396 Zu Ehrkonzepten in der Frühen Neuzeit allgemein vgl. Weber, Art. Ehre, insb. Sp. 77–79; Dinges, Ehre, S. 123–147; Castan, Honnêteté. 397 Vgl. hierzu Dinges, Ehre, S. 138–140; Alfing, Lebenswelten, S. 37–47; Burghartz, Geschlecht, S. 226–230, bei beiden weitere Hinweise auf die grundlegende und ältere Forschung.

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und das daraus sich ableitende Ansehen. Gewalttätige Konflikte zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern waren immer untrügliches Anzeichen einer durch persönliches Fehlverhalten in Unordnung geratenen Haushaltung. Gerade in innerhäuslichen Auseinandersetzungen musste daher ein wesentliches Ziel der Verhandlungen sein, die Ehre der beteiligten Akteure soweit es ging wieder herzustellen, da ja die Fortdauer und Restabilisierung der Haushaltungen oberste Priorität genoss. Zentraler Akt war daher die Aussöhnung der Streitparteien durch eine formale Entschuldigung, gegenseitige Handreichung und einer formalen Gelobung eines „friedlichen Zusammenlebens“. Wenngleich dies in vielen Fällen nicht die zugrundeliegenden Konfliktursachen behob, so war dieser Akt ein wichtiger Schritt, da er mit der Aussöhnung eine Vergebung und Amnestie früherer Verletzungen beinhaltete, die auf der Ausgangsbasis der wiederhergestellten Ehre einen Neuanfang ermöglichen sollte. Die Bedeutung der Vergebung und Amnestie bei gleichzeitiger Wahrung der gegenseitigen Ehre ist auch in den zwischenstaatlichen Friedensprozessen als ein zentrales Element für das Gelingen von Friedenshandlungen und der Friedenswahrung im Inneren herausgearbeitet worden.³⁹⁸ Dies fand hier auf der Ebene des sozialen Nahraums sein Äquivalent. Für den Erfolg und die Akzeptanz einer solchen „Friedensvermittlung“ im Gerichtssaal war es unabdingbar, dass der Grad der Ehrverletzung bzw. die Ehrbemessung und die damit neben der Aussöhnung verbundene Sühne in Form von Geldstrafen und „Ermahnungen“ in Übereinstimmung mit den Erfahrungs-, Wahrnehmungs- und Bewertungskontexten der häuslichen und nachbarlichen Akteure stand – ganz unabhängig davon, ob einem Akteur die Hauptlast am Unfrieden zugesprochen wurde oder mehreren. Ehre konnte in diesem Zusammenhang aber auch ein wesentliches „Friedenshindernis“ darstellen, zumal vielfach gerade eine Verurteilung und Ermahnung als ehrschädigend wahrgenommen wurde und nach der Rückkehr zu weiterer, mitunter eskalierender Gewalttätigkeit führte – dies betraf in den vorgestellten Fällen insbesondere verurteilte Hausväter und Ehemänner, die sich in ihrer hausherrlichen Autorität und Ehre zutiefst verletzt fühlten. Eine Problematik, die den Obrigkeiten wohl bekannt war und die diese im extremsten Fall zu einem UrfehdeSchwur veranlasst hatte. Gleichwohl wird gerade an diesem Punkt die Grenze obrigkeitlicher Regulierungsmöglichkeit deutlich, die einerseits Fehlverhalten und Gewalttätigkeit sanktionieren musste, um die normative wie praktische Ordnung des Hauses aufrechtzuerhalten, andererseits damit aber aufgrund der spezifischen Normativität des Hauses und der es konstituierenden Beziehungen zu einer wei398 Zum Zusammenhang von Ehre und Friedensverhandlungen vgl. Fuchs, Medium, S. 35–51; Kampmann, Ehrenvoller Frieden, S. 155f.; Steiger, Friedensschluss, S. 207–246.

306 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln teren Destabilisierung beitrug.³⁹⁹ Damit manifestiert sich auch und gerade im sozialen Nahraum des Hauses jene Friedensproblematik der männlichen Ehre, die seit dem späten Mittelalter immer wieder die Störung des städtischen Friedens bewirkte.⁴⁰⁰ Die in diesen Verfahren unternommene „Domestizierung“ des Mannes zielte demnach auf eine „Versittlichung“ des hausherrlichen Handelns, deren Erfolg aber letztlich dem Willen der Akteure und dem Funktionieren der sozialen Netzwerke anheimgestellt bleiben musste. Was sich wie das Agieren eines zahnlosen Tigers ausnimmt oder gar als misogyne Bemüßigung eines männlich dominierten Rates dargestellt wurde,⁴⁰¹ ist letztlich als Versuch der Obrigkeiten zu werten, Gewalt im sozialen Nahraum zu unterbinden unter Einbeziehung der komplexen sozialen, außerjuristischen Strukturen und Netzwerke, die das Funktionieren dieses Nahraumes regelten und bestimmten. Hausfrieden hing damit ganz entscheidend von der Gewährleistung der Unverletzlichkeit der Ehre jedes einzelnen Haushaltsmitgliedes ab, deren Ambivalenz letztlich nicht durch juristische Mittel, sondern nur durch Konfliktmanagement im sozialen Nahraum und durch die kommunikative Kompetenz der Akteure aufgelöst werden konnte. Die Abwesenheit von Hausfrieden, unübersehbar und offenkundig in gewalttätigen Konflikten im häuslichen Kontext und sozialen Nahraum, stellte auf mehreren Ebenen ein massives Ordnungsproblem für frühneuzeitliche civitates dar: Zunächst war die öffentliche Ordnung durch die Gefährdung von Leib, Leben, Hab und Gut von Hausbewohnern gestört, was nicht nur diese selbst, sondern in den meisten Fällen auch die Nachbarn als eine solche wahrnahmen und artikulierten. Auf einer zweiten Ebene litt die häusliche Ökonomie unter den Auseinandersetzungen in einem solchen Maße, dass die „Nothurfft“ der Hausbewohner nicht länger gesichert war bzw. in ohnehin unsicheren Umständen gänzlich abhanden zu kommen drohte. Dies stellte nicht nur für die Hausangehörigen eine ernsthafte Bedrohung dar, sondern auch für die Obrigkeiten, deren Armenversorgungsinstitutionen im 18. Jahrhundert ohnehin in den meisten Fällen mehr als ausgelastet waren.⁴⁰²

399 Zur Ambivalenz der Position des Hausvaters und seiner öffentlichen Verhandlung vgl. auch die Analyse bei Schmidt, Hausväter, S. 227–229. 400 Vgl. hierzu exemplarisch Pohl, Uneasy Peace, passim und Dinges, Ehre, S. 130–133. 401 Vgl. hierzu in stark wertender Formulierung unter gleichwohl fehlender Berücksichtigung der sozialen Rahmenbedingungen Alfing, Lebenswelten, S. 176f. 402 Vgl. zur Problematik der Armutsregulierung im 18. Jahrhundert allgemein z. B. die Beiträge in Schmidt, Arme und ihre Lebensperspektiven sowie Keller, Stadt, Handwerk und Armut. Zu Osnabrück im Besonderen Rudersdorf, Glück, S. 72–100, 228–270.

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In den Verhandlungen vor Gericht wurde darunter noch eine weitere, über administrative Zusammenhänge hinaus in grundsätzliche Ordnungszusammenhänge weisende Ebene sichtbar. Es wurden gestörte häusliche Ordnungen offengelegt, da die gewaltsamen Auseinandersetzungen in vielen Fällen einen oft monate- oder jahrelangen Vorlauf in ungelösten Konflikten und Auseinandersetzungen über emotionale und vor allem ökonomische Fragen aufwiesen, der die häuslichen Beziehungen belastete und zunehmend brüchig gemacht hatte. Als Folge ließen sich in den geschilderten Fällen vielfach konflikthafte Machtprozesse feststellen, die neben alltagsbezogenen Sachfragen und Arbeitsabläufen ganz grundsätzlich das auf den Hausvater ausgerichtete Machtgefüge in Frage stellten – und damit ein Ordnungsprinzip erschütterten, das als noch fundamentaler und für den Bestand der menschlichen Gesellschaft grundlegender angesehen wurde als obrigkeitliche Herrschaft. Diese Machtprozesse ließen sich für zwei zentrale und zugleich prekäre Beziehungsgefüge des Hauses feststellen: für die Ehe als strukturell angelegte, konsensgestützte Herrschaft und für den generationsbedingten Wechsel in der Position des verantwortlichen Hausvaters, meist zwischen (Stief-)Vätern und ihren erwachsenen Söhnen. Sieht man von den Störungen des Hausfriedens durch unerwünschtes Eindringen hausfremder Personen einmal ab – dem klassischen Hausfriedensbruch – wurde der Hausfrieden in den meisten Fällen nicht gebrochen, sondern kam in einem allmählichen, mehr oder weniger schnell sich vollziehenden Prozess zunehmender Konflikte und instabil werdender Beziehungen im Hause abhanden. Dies lässt sich in allen Prozessen anhand der Begründungsnarrative feststellen, in denen der Gewaltausbruch des inkriminierten Vorfalls dargestellt wurde. Neben den Auseinandersetzungen um die Klassifizierung der Gewalt als potentia oder violentia, in der die Ordnungsproblematik bereits aufscheint, finden sich immer Erzählungen von Verfehlungen der Gegenpartei, die sowohl auf das Versagen im Hinblick auf die Haushaltsführung („schlechter Haushalter“, „gebe nicht die Nothurfft“, „die Sachen verbringen, verklüngeln“, „sich faul herumtreiben“) als auch auf fehlende Einfügung in die mit der Position im häuslichen Ordnungsgefüge verbundenen Rollenerwartungen („halsstarrig“, „niederträchtige Ausspürungen“, „übel tractiere“, „mangelnder kindlicher respect“, „ungebührliche begegnung“) hindeuteten. Der unauflösliche Zusammenhang zwischen der productive economy und der moral economy des Hauses, der dem Begriff des „guten Hausens“ immanent war, stand dem ebenso unauflöslichen Zusammenhang von Gewalterfahrung und Ordnungsverlust gegenüber, wenn strukturelle oder persönliche Defizite das empfindliche Gleichgewicht dieser häuslichen Ordnung störten. Der Wiederherstellung dieses Gleichgewichts und damit auch der häuslichen Ordnung musste also angesichts der weitreichenden Folgen für die gesellschaftliche Ordnung, den sozialen

308 | 3 Praktiken des Hausfriedens: Gewalt im häuslichen Kontext verhandeln Frieden und die öffentliche Sicherheit das Hauptinteresse der Obrigkeiten gelten. Sie taten dies, indem sie in den meisten Fällen zwar dem Hauptaggressor den Frieden geboten; über das Unterlassen von Gewalthandlungen hinaus verwiesen die Ermahnungen zu einem „friedlichen“ Leben aber immer alle Akteure auf die Notwendigkeit eines aktiven Handelns zur Festigung und Stabilisierung einer häuslichen Ordnung hin, deren Grundkoordinaten im Verfahren lediglich als äußerer Rahmen festgelegt werden konnten. In diesem Kontext sind Äußerungen zu lesen wie „seiner Mutter gebührlich begegnen“, „sich so zu betragen, dass seine Ehefrau keine gerechte Ursache zur Beschwerde habe“, „befleißige eine ordentliche Wirthschafft zu führen und ihrem Mann keine Ursache zur Beschwerde gebe“. In der Beurteilung und Sanktionierung häuslicher Gewalt kam den obrigkeitlichen Amtsträgern, den Gerichtsherren, also die Aufgabe zu, die Kernelemente häuslicher Ordnung immer wieder neu zu verhandeln und entsprechend den konkreten Situationen auszuhandeln. Nicht die vordergründige Durchsetzung männlicher Herrschaft stand dabei im Zentrum des Interesses, sondern eine sorgfältige, immer wieder am Einzelfall ausgerichtete Abwägung der Umstände über „richtiges“ und „falsches“ Verhalten; denn in der öffentlichen Bloßstellung und Bestrafung hausväterlichen Fehlverhaltens lag ein mindestens ebenso großer und nachhaltiger Effekt der Stabilisierung der geltenden Normen wie in der Stützung von hausväterlichen Machtansprüchen gegenüber seinen Schutzbefohlenen. Zugleich betonte die Obrigkeit mit dem Friedegebot für das Haus ihre Deutungsund Regulierungsmacht über häusliche Ordnung – sowohl im Hinblick auf den Schutz der äußeren Sicherheit als hinsichtlich der Gewaltregulierung im Inneren; waren doch die Hausherren die letzten „Partikulargewalten“, deren Integration für die Verwirklichung des Anspruchs auf ein obrigkeitliches Gewaltmonopol noch fehlte. Die starke Fokussierung auf die ökonomischen Aspekte, die doch in deutlichem Gegensatz zur Thematisierung von Emotionen, Sexualität und Handlungsspielräumen in Konsistorialakten und zu Perspektiven der Selbstwahrnehmung und -thematisierung steht,⁴⁰³ macht den weltlichen Deutungsanspruch ebenso offenbar wie das Interesse, das hier ganz offensichtlich auch und vor allem auf den Fortbestand der Produktionseinheit Haus gerichtet ist. Ein harmonierendes, kommunikativ kompetent handelndes Leitungspaar an der Spitze war dafür unerlässlich. Inwiefern hier in den Verfahren bereits Einflüsse der sich verschiebenden Geschlechterordnung und häuslicher Harmonie sichtbar wurden, und welche Rolle

403 Vgl. hierzu Lutz, Ehepaare, S. 188–300; Trepp, Männlichkeit, passim; Habermas, Frauen, S. 39–135.

3.5 Remedia Pacis: Interventionen und Sanktionen |

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hier die Prokuratoren als Vermittler neuer bürgerlicher Werte spielen,⁴⁰⁴ lässt sich aufgrund der Kürze der Protokolle nur schwer in quantifizierbarer Weise sagen. Auffällig sind jedoch kleine Änderungen in den Formulierungen der Ermahnungen, wenn 1752 gefordert wurde „christlich und friedlich mit einander zu leben“, während 1804 eine Ehefrau zum „sanftmüthigen Betragen gegen ihren Ehemann“⁴⁰⁵ angehalten wird.

404 Einen solchen Zusammenhang konnte Dorothea Nolde für die Transformationsprozesse im 16. Jahrhundert feststellen. Nolde, Gattenmord, S. 408–410. 405 NLA OS Dep 3b IV Nr. 234, fol. 85; NLA OS Dep 3b IV Nr. 266, fol. 244.

4 Hausfrieden als Mikropolitik. Zusammenfassung und einordnende Überlegungen Ausgangspunkt der Studie war die Beobachtung, dass sich frühneuzeitliche Menschen im Rahmen eines gerichtlichen Austrags ihrer häuslichen Konflikte offenbar einer spezifischen Friedensrhetorik bedienten. Daran knüpften sich die Fragen an, warum sie dies taten, in welchen Wissensordnungen sie sich dabei bewegten und welche Erwartungen sie damit verbanden. Die Untersuchungsgrundlage bildete der umfangreiche und lückenlos überlieferte Bestand der „Gerichtsherrenprotokolle“ der Stadt Osnabrück von 1759 bis 1809. Sie beinhalten die Protokolle der mündlichen Verhandlungen „summarischer causae“ vor dem Ratsgericht Osnabrück, die für Konflikte mit geringfügigem Streitwert oder aber unmittelbarem Handlungsbedarf durchgeführt wurden. Diese Quellenbasis wurde ausgewählt, weil offenbar gerade in diesen mündlich verhandelten Konflikten die Friedensrhetorik eine besondere Rolle spielte. Von den 3876 insgesamt verhandelten Fällen sind 362 dem Bereich häuslicher Konflikte zuzurechnen, wobei in 100 Fällen das Wortfeld Frieden mit „(un-)friedlich“, „(un-)friedsam“, „Unfrieden“, „Friedlichkeit“ zu finden war. In weiteren vier Fällen trat das weitere semantische Feld von Ruhe, Einigkeit und Ordnung mit den entsprechenden Adjektiven hervor. Diese Fälle wiesen ausnahmslos zerrüttete, konflikthafte persönliche Beziehungen als Konfliktursache auf. Nur ein weiterer Fall ist für den genannten Zeitraum dokumentiert, in dem ebenfalls problematische zwischenmenschliche Beziehungen den Kern des Konflikts bildeten, in dem jedoch weder Frieden noch Ruhe und Einigkeit als Wortfelder vorkommen. Der Befund, dass in nahezu allen häuslichen Beziehungskonflikten die Friedensrhetorik präsent war, ergänzt die Beobachtungen zum Aufkommen in anderen Rechtssprechungsinstanzen und -institutionen. Weder das protestantische Konsistorium noch das katholische Archidiakonatsgericht behandeln im Untersuchungszeitraum (noch) Konflikte im häuslichen Alltag, sondern bearbeiten im Wesentlichen fragwürdige Verlobungen, Heiratsversprechen oder Bitten um Scheidung bzw. Auflösung einer Ehe. In ihren Akten lassen sich keine Hinweise auf eine Friedensrhetorik finden, ebensowenig wie in anderen weltlichen Gerichten, die sich mit häuslichen oder ehelichen Konflikten wie Testamenten, Erbschaftssachen oder Vormundschaftsangelegenheiten befassen. Der rhetorische Bezug auf Vorstellungen von Frieden war demnach insbesondere dann von Bedeutung, wenn es sich um Konflikte im Umfeld des häuslichen Alltags handelte, die der unmittelbaren Intervention seitens der richterlichen Autorität bedurften.

312 | 4 Hausfrieden als Mikropolitik Dieser Befund ist keineswegs zufällig oder einer Form von Quellenbias geschuldet, sondern weist direkt in den Kern der Problematik. In allen untersuchten Fällen war Gewalterfahrung, oder drohende Beschädigung der körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen durch Gewalt der Anlass für eine Klage bei den Gerichtsherren bzw. eine Intervention seitens des Fiskus. Dies lag zum einen darin begründet, dass eine unmittelbare Gefährdung von Leib und Leben ein juristisches Eingreifen erst ermöglichte. Zum anderen war im jeweils konkreten Moment rasches Handeln geboten, um die Situation zu entschärfen und eine tragfähige Form der Konfliktregulierung zu finden – dies ließ sich kaum im Rahmen eines langwierigen, schriftlichen Prozesses bewerkstelligen, da die Erfordernisse der häuslichen Ökonomien eine rasche Verfügbarkeit aller Kräfte erforderte.¹ Körperliche und verbale Gewalt waren die markantesten Anzeichen gestörter persönlicher Beziehungen. Auffällig in den Gerichtsakten war jedoch die untrennbare Verbindung der Diskussion über die erlebte Gewalt mit Fragen der Herrschaft, nämlich der Anwendung von legitimer Gewalt. Die Differenzierung zwischen potestas und violentia bildete den Kern der Konfliktkommunikation und war zentral für die Frage des Friedens. Ex negativo wies die Argumentation, die angeklagte Person habe sich „unfriedlich“ verhalten darauf, dass Gewalt nicht gerechtfertigt oder aber in ungemessener Härte angewendet worden war. Somit waren weder Konflikte an sich noch Gewaltanwendung per se ausgeschlossen – sie wurden vielmehr als haus-immanent gedacht. Entscheidend dafür, ob ein bestimmtes Verhalten als angemessen, den Ordnungsvorstellungen gemäß und damit als „friedlich“ angesehen wurde, waren die situative Einbindung und der Kontext der häuslichen Konstellationen. Daher wurde die Anwendung von Gewalt in häuslichen Konflikten unterschiedlich bewertet, entsprechend der Position der mutmaßlichen unbotmäßigen Person. Stand der Haushaltsvorstand in der Kritik, wurde vielfach auf die überzogene Härte im Verhalten hingewiesen oder aber Verfehlungen und Pflichtvergessenheit, die den Herrschaftsanspruch und damit den Anspruch auf legitime Anwendung von Gewalt grundsätzlich in Frage stellten. Umgekehrt wurde seitens des Haushaltsvorstandes unfriedliches Verhalten durch untergeordnete Personen als „Ungehorsam“ dargestellt, dem zumeist mit der Gegendarstellung der violentia, also eines unangemessenen Verhaltens begegnet wurde. War der entstandene Unfrieden erst einmal lokalisiert und in seinen Ursachen definiert, verwiesen die Richter die Konfliktparteien im Großteil der Fälle mit dem Appell „sich zukünftig friedlich gegeneinander zu betragen“ in ihren häuslichen

1 Wie gezeigt wurde, waren die Kosten für die Haftunterbringung für viele Haushalte nicht lange zu bestreiten. Abgesehen davon war der Bedarf an Arbeitskraft in der häuslichen Ökonomie der Hauptgrund, warum Frauen vielfach bereits nach wenigen Tagen um die Entlassung ihrer prügelnden Männer baten.

4 Hausfrieden als Mikropolitik |

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Alltag zurück. Dieser Befund verknüpft zwei zentrale Aspekte, die für das Verständnis dieser Prozesse des Aushandelns zentral sind. Zum einen hat Frieden seine Ursache immer im Verhalten der beteiligten Personen, Frieden kann per Beschluss oder Befehl hergestellt werden; das tagtägliche Verhalten der Hausbewohner, der Umgang miteinander – auch das konstruktive Lösen von Konflikten – ermöglicht Frieden im Haus. Zum anderen zielten diese Prozesse und gerichtlichen Formen der Konfliktregulierung immer auf den Erhalt und die Restabilisierung der Haushalte, nicht auf die Auflösung derselben. In Zeiten fehlender bzw. überstrapazierter Ansätze sozialer Sicherung war die Integration in einen Haushalt und die Teilhabe an den Ressourcen der verschiedenen häuslichen Ökonomien überlebenswichtig – nicht nur für die Hausgenossen, sondern auch für die Richter als Teil des Rates und damit der politischen Führung der Gemeinde. Die Stadt als Gefüge zahlreicher Haushalte konnte als Gesamtheit nur dann prosperieren und ihre Funktionen erfüllen, wenn möglichst wenig Haushalte dysfunktional waren und zerbrachen. Der Fokus auf das Haus als soziales und ökonomisches Gefüge lässt sich auch daran ablesen, dass in den meisten Fällen nicht die Durchsetzung abstrakter Ordnungsvorstellungen – etwa der männlichen Autorität – im Mittelpunkt stand, sondern die „performance“ innerhalb des jeweils konkreten häuslichen Gefüges. Die Bedeutung der Praktiken zeigt sich insbesondere in jenen Konflikten in Phasen des Übergangs, in denen Jugendliche und erwachsene, teilweise selbst schon verheiratete Kinder in einem Haushalt Leitungsfunktionen wahrnehmen oder wesentliche Teile der ökonomischen Ressourcen erwirtschafteten. Der personelle, generationelle Wechsel auf den Positionen innerhalb eines Hauses konnte das hergebrachte Beziehungsgefüge erheblich ins Schwanken bringen und war vielfach mit Verlusterfahrung, gefühlter Bevormundung oder Gängelung verknüpft. An welche Normenhorizonte und Wissensordnungen knüpfte nun ein solcher Friedensbegriff an, wie war er begründet? Zwei Bezugsrahmen zeichnen sich hier ab, die immer wieder auf das Engste miteinander verflochten waren. Auf der einen Seite steht der räumliche Aspekt des Hauses, indem das Gehäuse des gebauten Hauses die klar strukturierte und hierarchisch gegliederte soziale Gruppe des Hauses beherbergt. Der klaren sozialen Ordnung des Hauses unter der Führung des Hausvaters entspricht die klare bauliche Ordnung mit spezifischen Grenzmarkierungen wie Türen, Schwellen, Fenstern und Zäunen. Auf der anderen Seite steht das weite Feld der Praktiken und der sie rahmenden Ethik. Während die juristischen Normen sich im Partikularrecht zahlloser lokaler und regionaler Statuten im Wesentlichen auf das Haus als gebauten Raum beziehen und den Hausfrieden, sind es vor allem die theologisch argumentierenden Normen, die zum einen die Ordnung des Hauses als solches als göttliche Ordnung legitimieren, zugleich aber auch deutlich machen, dass diese Ordnung keine gegebene, fixe und statische

314 | 4 Hausfrieden als Mikropolitik Ordnung ist, sondern in der täglichen Praxis des häuslichen Miteinanders immer wieder aufs Neue konstituiert und perpetuiert werden muss. Im Hinblick auf das Friedensverständnis dieser Normen lässt sich Folgendes feststellen. Insbesondere die juristischen Normen sahen Frieden vor allem in der Unversehrtheit der baulichen, materiellen Grenzen eines Hauses. Friedensbruch konnte hier nur durch außen begangen werden, durch unbefugtes Übertreten oder Zerstören dieser Grenzen. Das Friedensverständnis der theologisch-ethischen Normen zielt dagegen auf ein bestimmtes Verhalten, dass auf verbale wie physische Verletzungen in der sozialen Interaktion verzichtet. Was dabei als metaphorische Grenzüberschreitung wahrgenommen und angeprangert wird, hängt wesentlich von den mit der jeweiligen Position im Haus verknüpften Erwartungen im Hinblick auf die Erfüllung von Pflichten und die Wahrnehmung von Rechten ab. Sowohl in den zahlreichen normativen Texten wie auch in der Kommunikation vor Gericht wurde deutlich, dass alle Beteiligten die Anerkennung bestimmter Rechte – insbesondere die Ausübung von Herrschaftsrechten innerhalb des Hauses – ganz explizit von der Erfüllung der Pflichten abhängig machten und die Frage der Legitimität unmittelbar von der „performance“ der jeweiligen Person abhing. Im Kern eines solchen auf das Verhalten und Handlungsweisen bezogenen Friedensverständnisses steht aber der Kern christlicher Ethik, der deeskalierenden, konstruktiven Konfliktlösung. Nicht Konfrontation und Durchsetzung der eigenen Position, sondern akzeptierende, integrierende Konfliktlösung – gerade die Ehelehren weisen hier ein hohes Maß an „Paarberatung“ auf, die eben gerade nicht auf das starre Festhalten an der unzweifelhaft gegebenen paternalen Autorität setzt, sondern auf Rat, Kritikfähigkeit und Anerkennung einer zweiten Meinung. Im Hinblick auf die Interpretation der Friedensrhetorik in den Prozessakten ist es vor allem dieser Aspekt, der die zentrale Rolle in der Regulierung der häuslichen Konflikte spielte. Ziel der Verhandlungen war immer, den Haushalt als soziales Gefüge der Versorgung mit den fürs Leben und Überleben wichtigen materiellen und immateriellen Ressourcen zu restabilisieren und zu erhalten, seine Funktionsweisen durch ein tragfähiges Gerüst der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb des Hauses wiederherzustellen. Da die Beurteilung, inwiefern die Konfliktparteien den Unfrieden in einem Haus durch eigenes Fehlverhalten verursacht oder beförderten hätten, nur durch eine detaillierte Rekonstruktion der Alltagspraxis möglich war, spielte die Befragung von Nachbarn und Verwandten sowie deren Schilderung des häuslichen Lebens eine wichtige Rolle innerhalb der gerichtlichen Kommunikation. Erst dadurch wurde es möglich, die konkreten Konfliktsituationen in eine Konfliktbiographie einzuordnen und entsprechend zu bewerten. Die Untersuchung der sozialen und stadträumlichen Verortung der beteiligten Akteure der Konfliktparteien, derer nachbarlichen Zeugen bis hin zu den Richtern und Ratsdienern hat verdeutlicht,

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dass hier kaum von einer „neutralen“ Justiz gesprochen werden kann – vielfach waren die Vertreter der Obrigkeit in die nachbarschaftlichen und verwandtschaftlichen Netzwerke eingebunden und mit dem sozialen Kontext vertraut. Deshalb wurden solche Verfahren auch selten mit einem klaren Urteil und einer eindeutigen Schuldzuweisung beendet, sondern mit Verhaltensmaßregeln („friedliches Betragen“) und einer genaueren Beobachtung durch Rat und Nachbarschaft abgeschlossen. Gleichwohl wirkten solche Rechtssprüche auf die soziale wie auch auf die politische Ordnung des Gemeinwesens, da sie zum einen die soziale Kontrolle der betroffenen Haushalte durch die Nachbarschaft und mitunter auch durch Ratsdiener erhöhte und andererseits vielfach als Präzedenz- oder Vergleichsfälle für spätere Verfahren herangezogen wurden: Nicht nur durch die Richter, sondern auch in den Bewertungen häuslicher Konflikte durch die Akteure, die in ihren Aussagen durchaus Bezug auf andere Konflikte und deren Lösungen nahmen. Zum anderen fungierten die Aushandlungsprozesse aber auch als ein Aushandeln über die Gültigkeit der bekannten Normen, die so immer wieder rekapituliert und an die gegebene Wirklichkeit angepasst wurde. Insofern lassen sich diese Prozesse der „Hausfriedensstiftung“ als eine politisch wirksam werdende Form der Friedensstiftung auf Mikroebene beschreiben, die für den Bestand der politia auch im späten 18. Jahrhundert von zentraler Bedeutung war. Ein solcher Befund knüpft einerseits an bestehende Forschungen an, vor allem im Hinblick auf den Austrag und die Verhandlung häuslicher Konflikte. Die untersuchten Osnabrücker Fälle weisen viele Charakteristika auf, die andernorts erforscht und als kennzeichnend für die Organisation des frühneuzeitlichen Hauses beschrieben wurden: die Form der Argumentation mit und über Gewalt an, die Frage der Ambivalenz männlicher Hausherrschaft wie auch die Spezifik der mündlichen Verhandlungen und der Urteilssprüche. Der Blick auf die argumentative Funktion der Friedensrhetorik hat aber gegenüber der bestehenden Forschung gezeigt, dass das Haus zwar durchaus als eine Kerninstitution der frühneuzeitlichen Gesellschaft gesehen wurde, aber eben nicht im Sinne einer statisch festgelegten und durchzusetzenden Ordnung, sondern als eine Gefüge von alltagsweltlichen Praktiken, das die Grundversorgung der Menschen mit allen notwendigen sozialen, ökonomischen, medizinischen, edukativen und religiösen Ressourcen sicherstellen musste. Und dies funktionierte langfristig nur dann, wenn das Tragwerk der zwischenmenschlichen Beziehungen stabil war und auch Konfliktkommunikation in konstruktiver Weise ermöglichte. Dieses Friedensverständnis, wie es im Hinblick auf das Haus als Säule der frühneuzeitlichen Gesellschaft normativ ausformuliert und praktisch vor Gericht wirksam wurde, hebt sich deutlich ab von Friedenskonzepten auf anderen gesellschaftlichen Ebenen. Die starke Betonung der Ethik, des friedlichen Verhaltens, deutet

316 | 4 Hausfrieden als Mikropolitik auf das Verständnis hin, dass Frieden sich wesentlich als Prozess, also im friedfertigen Verhalten von Menschen manifestiere und erst dadurch ein Zustand des Friedens erreicht werden könne. Kein Vertrag, kein Urteil kann einen solchen Zustand beschließen bzw. tragfähig etablieren, im Kern muss das friedfertige Verhalten der beteiligten Akteure stehen. Hier verbinden sich die Elemente der Friedensideen in den utopisch-idealen Repräsentationen in Literatur und Kunst, die stark auf die Ethik des Individuums abzielen und eine davon geprägte Gesellschaft skizzieren mit den Elementen eines politisch-juristischen Friedenskonzepts, das sich im Laufe der Frühen Neuzeit vor allem auf die Bannung von Gewalt aus verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen fokussiert – seien es die innergesellschaftlichen Beziehungsgefüge im Zusammenhang von Landfrieden und innerer Sicherheit oder die sich immer weiter verfeinernden Konzepte von Friedensschlüssen zwischen Souveränen. Insbesondere im letzteren Fall zeigen die Forschungen zur Entwicklung des Völkerrechts und den Friedensverträgen in der Frühen Neuzeit das Bemühen der Akteure, antizipiertes unfriedliches Verhalten durch verschiedene Instrumente wenn nicht unmöglich, so doch unattraktiv zu machen. Garantiemächte, Allianzen, Sanktionen zählen hierzu; im Kern verweist aber dieser Ansatz darauf, dass die Erwartung eines friedlichen Verhaltens – wenngleich dies gängige Formeln der Verträge waren – nicht vorausgesetzt werden kann. Diese Ebene des Friedensverständnisses findet übrigens auch in der frühneuzeitlichen Diplomatiegeschichte immer stärker Beachtung. Verschiedene Studien messen der Frage der Friedensfähigkeit bzw. der Wahrnehmung des Gegenübers als friedfertig zentrale Bedeutung für den Erfolg oder Misserfolg von Friedensverhandlungen beim. Nicht die abstrakten, von ihren personalen Trägern losgelösten Formen der Verträge, Kollektivakteuren und -interessen sind kennzeichnend, sondern die Praktiken der konkreten Akteure. Aber auch im Hinblick auf die Bedeutung des Hauses als sozialer Institution bieten die Ergebnisse neue Ansatzpunkte zu einer präziseren Bestimmung, wie und auf welchen Ebenen diese Institution ihre Wirkmächtigkeit entfaltete und wie sich diese vom 18. zum 19. Jahrhundert wandelte. Die mit dem Haus als sozialem Raum gemeinsamen Wirtschaftens und Lebens verbundenen Vorstellungen waren nicht untrennbar mit dem christlichen Werte- und Normenkontext der vormodernen Ständegesellschaft verknüpft, der sich durch das Vordringen der bürgerlichen Familie und den modernen Anstaltsstaat aufgelöst hätte. Vielmehr bekommen diese häuslichen Werte und Normen ein neues Gewand, der Hausfrieden gilt in den Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts als Ausweis eines harmonischen Familienlebens. Es ändern sich mit der Durchsetzung von Rechtskodizes und gesetzten Verfassungen die Möglichkeiten der Justiznutzung für solche Konflikte des inneren Hausfriedens; aber eine Auflösung des Hauses als sozialer Institution lässt sich aus diesem Verständnis des Hauses als Institution im Sinne einer Anstalt nicht ableiten.

4 Hausfrieden als Mikropolitik |

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Die Ergebnisse dieser Studie können im engeren Sinne nur Gültigkeit für die Reichweite der städtischen Gerichtsbarkeit Osnabrück beanspruchen. Hinweise in anderen auf Prozessakten basierenden Untersuchungen lassen aber die Annahme zu, dass diese Formen von Mikropolitiken des Friedens weiter verbreitet waren, als es diese Untersuchung abzubilden vermag. Die tieferliegenden strukturellen Zusammenhänge zwischen Normhorizonten, Diskursen und Rechtsprechung im Hinblick auf das Haus als Ort der Friedensstiftung berühren wie angedeutet zentrale Aspekte unserer Vorstellung von Struktur, Aufbau und Funktion der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Befragt man die Prozesse des Aushandelns und Stabilisierens von gesellschaftlicher Ordnung aus der Perspektive der Praktiken, wie sie sich in den Konzepten von Haus und Frieden verbinden, rückt das Interpretament vom Werden des „Staates“ in eine nachgeordnete Stellung und ermöglicht einen anderen Blick auf die Frühe Neuzeit und ihre Charakteristika. Aber das sind andere Geschichten, die an anderer Stelle erzählt werden sollen.

Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen Abbildungsverzeichnis Einband: Daniel Chodowiecki, „Hausfreuden“, Illustration zu Carl Lang, Almanach und Taschenbuch für häusliche und gesellschaftliche Freuden, Heidelberg 1798. ©Trustees of the British Museum. Abb. 1: Ausschnitt aus „Plan der Stadt Osnabrück“ von C.L. Reinhold, 1767. NLA OS K 62a Nr. 108 Bl. 1. | 191 Abb. 2: Stadträumliche und nachbarschaftliche Verortung der häuslichen Konflikte 1759–1809, Ausschnitt aus „Plan der Stadt Osnabrück“ von C.L. Reinhold, 1767. NLA OS K 62a Nr. 108 Bl. 1. | 195 Abb. 3: Verhältnis der häuslichen Konflikte zu den insgesamt protokollierten Prozessen der Gerichtsherren 1750–1809. | 197 Abb. 4: Verhältnis der protokollierten häuslichen Konflikte insgesamt zum Anteil der in persönlichen Beziehungen begründeten Konflikte sowie die Häufigkeit von „Frieden“ bzw. „Ruhe, Ordnung, Einigkeit“, 1759–1809. | 198 Abb. 5: Wohnorte der Akteure im Konfliktfall Back ./. Back, 1763; Ausschnitt aus „Plan der Stadt Osnabrück mit Gebäudenummern“ von C.L. Reinhold, 1789, Bl. 1: Markt- und Haseleischaft. NLA OS K 62 a Nr. 108 H. | 261 Abb. 6: Wohnorte der Prozessbeteiligten ctr. Johann Anton von Blechen 1772– 1780; Ausschnitt aus „Plan der Stadt Osnabrück mit Gebäudenummern“ von C.L. Reinhold. 1789, Bl. 1: Markt- und Haseleischaft, NLA OS K 62 a Nr. 108 H. | 266

320 | Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen

Tabellen Tab. 1: Liste der Osnabrücker Bürgermeister und Gerichtsherren 1750–1807* Jahr

1. Bürgermeister

2. Bürgermeister

Vorsitzender Gerichtsherr

Beisitzender Gerichtsherr

1750

Johann Ludwig Wahlfeldt

Dr. Eberhard Berghoff

Dr. Johann Wilhelm Klußmann

Jobst Henrich Stüve

1751 1752 1753 1754 1755 1756

Dr. Eberhard Berghoff

1757 1758

Bartholomäus Spitzken

Dr. Anton Wilhelm Schledehausen Dr. Johann Wilhelm Klußmann

Dr. Gerhard Anton von Blechen

Dr. Gerhard Anton von Blechen

Dr. Johann Gerhard von Blechen

1759 1760 1761 1762

Dr. Johann Gerhard von Blechen Christian Conrad Karl

1763 1764 1765 1766 1767 1768 1769

Dr. Johann Eberhard Stüve

Dr. Wilhelm Gerding

Johann Christian Klinke

1770 1771 1772 1773 1774 1775

Dr. Justus Eberhard Berghoff

Dr. Anton Philipp Gülich

1776 * Akten der Beeidungsregister in NLA OS Dep 3b IV, Nr. 351 (1750–1769) und Nr. 352 (1770–1807).

Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen |

Jahr

1. Bürgermeister

2. Bürgermeister

Vorsitzender Gerichtsherr

Dr. Justus Eberhard Berghoff

Dr. Anton Philipp von Gülich

Dr. Gerhard Friedrich von Gülich

321

Beisitzender Gerichtsherr

1777 1778 1779 1780 1781 1782 1783 1784 1785 1786 1787

Gerhard Gabriel Hüggelmeyer

1788 1789 1790 1791 1792 1793 1794 1795

Dr. Anton Philipp von Gülich

Dr. Ernst Georg Wöbeking

Johann Jacob Storck

Gerhard Rudolf Voss

1796 1797 1798 1799

Dr. Heinrich David Stüve

1800 1801 1802 1803 1804 1805 1806 1807

Dr. Heinrich David Stüve

Johann Jacob Storck

Dr. August Eberhard Stüve

Johann Henrich Klodt Hermann Rudolf Lohmeyer

322 | Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen Tab. 2: Liste der Pastoren und Superintendenten der protestantischen Stadtkirchen 1750–1807*

1750 1751 1752

1. Pastor

2. Pastor

3. Pastor

1. Pastor

2. Pastor

3. Pastor

Herrmann Theophilus Goetze

Johann Dietrich Hickmann

Eberhard Philip Meyer

Georg Christian Gruner

Eberhard Krochmann

Konrad Rudolf Iden

Johann Christoph Terlahn

Eberhard Krochmann

Konrad Rudolf Iden

Johann Christoph Gerding

1753 1754 1755 1756 1757 1758 1759 1760 1761

1762 1763 1764 1765 1766

Johann Dietrich Hickmann

Johann Christoph Terlahn

Dr. Conrad Rahmmacher Nikolaus Gerhard Ringelmann

1767 1768 1769 1770 1771 1772 1773 1774 1775 1776 * Die Auflistung der Osnabrücker Stadtpastoren basiert auf der Nennung in Meyer, Pastoren.

Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen |

1. Pastor

2. Pastor

1777

3. Pastor

1. Pastor

2. Pastor

3. Pastor

Johann Christoph Gerding

Nikolaus Gerhard Ringelmann

Johann Christoph Gerding

Nikolaus Gerhard Ringelmann

Johann Hermann Krochmann

Nikolaus Gerhard Ringelmann

Johann Hermann Krochmann

Bernhard Klefeker

Johann Christoph Klußmann

1778 1779 1780 1781 1782

323

1783 1784 1785 1786 1787 1788 1789 1790 1791

Johann Christoph Terlahn

Johann Christoph Klußmann

Christoph Karl Mertens

Johann Christoph Klußmann

Christoph Karl Mertens

Franz Wilhelm Christian Terlahn

Dr. phil. Christoph Karl Mertens (bis 1830)

Franz Wilhelm Christian Terlahn (bis 1830)

Dr. phil. Johann Heinrich Benjamin Fortlage

1792 1793 1794 1795 1796 1797 1798 1799 1800

Friedrich Andreas Gruner

Johann Otto Meyer

1801 1802 1803 1804 1805 1806 1807

Clamor Theodor Adolf Kerksieg

Johann Hermann Krochmann

Dr. Friedrich Andreas Gruner

Christoph Wilhelm Iden

324 | Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen Tab. 3: Wohnort und Konfession der Akteure in den Osnabrücker „Hausfriedensprozessen“ (1750–1807)* Jahr

Haushalt

Straße

Konfession

1751 1751 1752 1763 1768 1768 1769 1769 1769 1770 1771 1771 1772 1772 1774 1776 1777 1777 1777 1778 1778 1780 1780 1781 1781 1781 1784 1787 1787 1789 1790 1790 1790 1790 1792 1792

Staggen Niebaum Bordewisch/Figge Back Balcke Peistrup/Kroos Kuhlmann/Becker Stuten/Richter Afftsprung/Figge Brinckmann/Hildemann Brandt/Mangels Kramer Blechen Hildemann/Reinkasten Lüken Brink Strepheder/ Busch Dreyer Ponat Menge Voss/Meyer Berkemeyer Söle Priesers/Hackerath Meyer Weinsberg/Lebrecht Bröckers/Hartmann Schröder/Hillebrandt Vogt Mandelsloh/Bartels Möller Normann/Grewe, Wiemann Henkel/Schultz Bauer Klingenberg Brinkmann/Schulze

Dielinger Str. 88/364 unbekannt Herrenteichsstr. 154 Hasestr. 43 Hegerstr. 162 Dielinger Str. 103 Große Straße 83 Hegerstr. 148 Herrenteichstor Lohstr. 169 Große Straße 30 Goldstr. 269 Hasestr. 62 Kamp 361 Hegerstr. 151 Herrenteichsstr. 127 Kamp 317 Gildewart 253 Große Straße 87 Große Straße 40 Bucksmauer 216 Auf dem Kampe 298 Hegerstr. 146 Hinterm Turm 136 Hasestr. 53 Johannisstr. 45 Vitihof 256 Kamp 309 Herrenteichstr. 158 Große Str. 82 Rosenstr. 307 Klingelsberg 205 Johannisstraße Rosenstr. 315 Lohstr. 323 Hasestr. 99

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* Die Zuordnung erfolgte anhand der Auszählung der Einträge in den Hebungsregistern der ent­ sprechenden Jahre und einer Übertragung auf den Katasterplan von Reinhold aus dem Jahre 1790. Entsprechend beziehen sich die Hausnummern auf die Nummerierung im zugehörigen Re­ gister (Dep 3b IV, Nr. 1164, K 62a Nr. 108, Bll. 1–4.). Die konfessionelle Zuordnung basiert auf der Auszählung der Tauf- und Heiratsregister der vier städtischen Kirchspiele.

Anhang: Abbildungsverzeichnis und Tabellen |

325

Jahr

Haushalt

Straße

Konfession

1792 1792 1792 1793 1793 1794 1794 1796 1798 1800 1801 1803 1804 1804 1806 1807 1807

Altrup Strepheden/Bergen Bruneke/Seele Kosieck Aggert/Maumann Lunten Maschmeyer Wellmann/Domaret Lüke/Ahlbrink Reinersmann Johann Ferdinand Kroos Becker van Deun Schlüter Klincke/Müller Bödecker Hartgen

Hegerstr. 167 Kamp 317 Hegerstr. Schweinestraße 26 Alte Münze 195 Lohstr. 189 Kampstr. 361 Vitihof 257 Herrenteichsstr. 752 (127) Beim Schweineturm 202 Kleine Gildewart 266 Kamp Hasestr. 79 Vitihof 236 Lohstr. 342 Bierstr. 279 Lohstr. 189

protestantisch protestantisch/katholisch protestantisch/katholisch protestantisch protestantisch/katholisch katholisch protestantisch katholisch/protestantisch protestantisch katholisch protestantisch katholisch/protestantisch katholisch protestantisch protestantisch protestantisch protestantisch

Abkürzungsverzeichnis Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Textausgabe mit einer Einführung von Hans Hattenhauer, Frankfurt a.M. / Berlin 1970. CCO Codex Constitutionum Osnabrugensium, 4 Bde., Osnabrück 1819. DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Bd. 1–2) und der Akademie der Wissenschaften Heidelberg (Bd. 3–12), Weimar 1932–2009. Grimm Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 33 Bde., Online-Ausgabe: [http://urts55.uni-trier.de:8080/Projekte/DWB] (27.09.2011). Hamberger/ Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden Meusel teutschen Schriftsteller, 23 Bde., 5. Aufl., Lemgo 1796–1834. Harms Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, hg. von Wolfgang Harms, 7 Bde., Tübingen 1980–2005. Jöcher, Christian Gottlieb Allgemeines Gelehrten-Lexicon, darinne Jöcher die Gelehrten aller Stände sowohl männ- als weiblichen Geschlechts . . . in alphabetischer Ordnung beschrieben werden, 4 Bde., Leipzig 1750–1751. MGH Const. I Monumenta Germaniae Historica. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 1 inde ab a. DCCCCXI usque ad a. MCXCVII (911–1197), hg. von Ludwig Weiland, Hannover 1893. MGH Fontes Monumenta Germaniae Historica. Fontes Iuris Germanici antiqui, hg. vom Deutschen Institut zur Erforschung des Mittelalters, Iuris Hannover 1933. MGH LL Monumenta Germaniae Historica. Leges, hg. von Georg Heinrich Pertz, Hannover 1863. Rassmann Rassmann, Friedrich: Münsterländisches Schriftsteller-Lexicon. Ein Beitrag zur Geschichte der westphälischen Literatur, Lingen 1814–1824. WA D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe (Weimarer Ausgabe), 75 Bde., Weimar 1883–2009. Zedler Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschafften und Künste: Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden [. . . ], 68 Bde., Leipzig 1732–1754. ALR

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellenverzeichnis Ungedruckte Quellen Niedersächsisches Landesarchiv Staatsarchiv Osnabrück (NLA OS)

Dep 3b I Nr. 770: Reichsdefensionssteuerregister. Dep 3b II Nr. 565–576: Hebungsregister 1751–1804. Dep 3b II Nr. 834: Brandkassenregister 1770. Dep 3b IV Nr. 234–269: Gerichtsherrenprotokolle 1750–1808. Dep 3b IV Nr. 302–304: Vormundschaftsprotokolle 1749–1800. Dep 3b IV Nr. 351, 352: Ratswahl und Ratseidprotokolle (bis 1807/1815). Dep 3b IV Nr. 355: Bürgereide. Dep 3b IV Nr. 400: Ratsdiener. Dep 3b IV Nr. 1164: Register aller Gebäude der Alt- und Neustadt zur Stadtkarte Osnabrück von Mag. Reinhold 1790. Dep 3b IV Nr. 4539: Testament der Anna Christina Rosina Sextroh, verh. Gerding vom 20. März 1777. Dep 3b IV Nr. 4667: Testament der Anna Margarethe Plois, verw. Kosiek vom 23. May 1798. Dep 3b IV Nr. 6537: Ratsbibliothek, Osnabrück 1782. Dep 3b V Nr. 593: Protokolle des Bürgervorsteherkollegs bis 1854. Dep 3b VI Nr. 5: Ehe-, Kirchen-, Hochzeits- und Predigerordnung 1618–1728. Dep 3b VI Nr. 145: Ehefrau Bauer ./. ihren Ehemann Johann Martin Bauer, wegen Ehestreitigkei­ ten, 1784–1790. Dep 3b VI Nr. 209: Johann Heinrich Gülich ./. seine Ehefrau Catharine Margarethe Elisabeth, geb. Eilers und seinen Sohn, wegen Tätlichkeiten, 1720. Dep 3b IX Nr. 56–61: Gerichtsprotokolle des Niedergerichts der Altstadt Osnabrück 1753–1808. Dep 3b IX Nr. 86–95: Gerichtsprotokolle des Niedergerichts der Neustadt Osnabrück 1755–1807. Dep 3b IX Nr. 197–213: Protokolle und Akten des Friedensgerichts Osnabrück, 1807–1813. Dep 3b IX Nr. 402: Gegenklage Gildemeister Figge gg. Vormünder seiner Stiefkinder Borde­ wisch und eigene Kinder, 1763–1768. Dep 3b IX, Nr. 598: Meyer Ladau zu Westercappeln ctr. Fuhrmann Kosieck, 1797. Dep 3b IX, Nr. 951: Catharina Agnesa Würtson ctr. Gildemeister Bremer, Erben Lücken 1786. Dep 3b IX, Nr. 1077: Konkurs Kupferschmied Brandt, 1772. Dep 3b IX, Nr. 1136: Konkurs Fuhrmann Kosieck, 1808. Dep 3b X Nr. 170: Protokollbuch des Krameramtes 1738–1791. Dep 12b Hilfskartei: Verläuteregister St. Marien. Erw A 11 Nr. 91: Nachlass Familie Lodtmann, Hochzeitsgedichte. K Akz. 2003/046 Nr. 68 H: Umbaupläne des Hauses Schwartze zur Stadtsparkasse, Krahnstra­ ße 1934. K 62a Nr. 108, Bl. 1: Markt- und Haseleischaft des Plans aller Gebäude der Stadt Osnabrück 1790. K 62a Nr. 101 H: Plan der Stadt Osnabrück. Mit Erklärung der Straßen und Gebäude sowie einer Ansicht von Osten von C.L. Reinhold, 1767.

330 | Quellen- und Literaturverzeichnis Ev. Kirchenbuchamt Osnabrück

Taufbücher St. Marien und St. Katharinen 1740–1804, Osnabrück.

Diözesanarchiv Osnabrück

Taufbücher St. Petrus (Dom) und St. Johann 1721–1875, Osnabrück.

Gedruckte Quellen Alberti, Leon Battista: I libri della famiglia, hg. von Cena Grayson, Bari 1960. Albertinus, Aegidius: Haußpolicey | ¼| Begreifft vier unterschidtliche Theyl: Im ersten und andern wirdt gehandelt von den Junckfräwlichen und ledigs Standts Personen und ihrem verhalten. Im dritten | vom Ehestandt und Ambt der Männer. Im vierdten | wird den Wei­ bern ein schöner und artlicher Spiegel geschenckt | darinn sie sich alles ihres gefallens spieglen können, München 1602. Anonymus: Christliches Gesangbuch für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden im Hochstift Osnabrück. Zum Gebrauch beym öffentlichen Gottesdienste und bey der Haus-Andacht. Nebst dem gewöhnlichen doppelten Anhang, Osnabrück 1799. Anonymus: Der Katechismus oder kurzer Inbegriff der christlichen Glaubenslehre, Osnabrück [ca 1800]. Anonymus: Episteln und Evangelia auf die Sonn- und Festtage. Nebst der Leidensgeschichte Jesu und Anhang einiger Gebete zur häuslichen und Privatandacht, Osnabrück 1786. Anonymus: Neu-Christ-erbauliches mit Fleiß revidiret- und eingerichtetes Gesang-Buch worin über 1200 auserlesene alte und neue Gesänge, insonderheit der gantze Psalter Davids, in bekanten Melodeyen zu finden. Mit einem geistreichen Gebeth-Buch, samt den sieben Buß-Psalmen Davids, und denen ordentlichen Sonn- und Fest-Tags Evangelien und Epis­ teln, auch der Paßions-Geschichte, item: der Historia von der Zerstörung Jerusalem, Nebst Neumanns Kern aller Gebether, Oßnabrück 1742. Anonymus: Neues Gesangbuch zum Gebrauch der evangelischlutherischen. Gemeinden in der Stadt Osnabrück, Osnabrück 1786. Anonymus: Neu-vermehrtes Gesang-Buch, Der Christlichen Gemeinen ungeänderter Augspur­ gischer Confession zu Oßnabrück, Worinnen jetzo 500 auserlesene geistreiche Gesänge, Und die Beym öffentlichen Gottesdienst gewöhnliche Gebete, Wie auch Kurtze BußBeicht- und Communion-Andachten befindlich, Osnabrück 1732. Anonymus: Neu-vermehrtes Gesang-Buch, Der Christlichen Gemeinen ungeänderter Augspur­ gischer Confession zu Oßsnabrück, Worinnen jetzo 500 auserlesene geistreiche Gesänge, Und . . . Gebete; Wie auch Kurtze Buß- Beicht- und Communion-Andachten befindlich Ausgabe: Zum andern mahl ausgefertiget, Osnabrück 1756. Augustinus, Aurelius: De civitate Dei, hg. von Jaques Paul Migne, Paris 1845. Augustinus, Aurelius: Sermo XVII. De Psalmo XLIX, in: Sermones, hg. von Jaques Paul Migne, Paris 1865, Sp. 124–128. Augustinus, Aurelius: Vom Gottesstaat, übers. von Alfred Schröder, Kempten 1916. Bechtold, Philipp: Disseratio inauguralis de crimine fractae pacis domesticae inprimis de Heimsucha Germanorum, Straßburg 1727. Beck, Johann Jodocus: Dissertatio Inauguralis De Coniugalis Debiti Præstatione, [S.l.] 1742.

Quellen- und Literaturverzeichnis |

331

Becker, Wilhelm Gottlieb: Lob der Narrheit aus dem Lateinischen des Erasmus von Rotterdam, Basel 1780. Besold, Christoph: Thesaurus Practicus Christophori Besoldi . . . Non solum explicationem Terminorum atque Clausularum . . . Sed & inprimis quam plurima ad Sacri Romani Imperii tam Ecclesiasticum, quam Politicum Statum: Mores item . . . edocens . . . nova Documenta referens, Nürnberg 1679. Beyer, Georg: De Violatione Securitatis Domesticae, Haus-Friedensbruch, proposita Witteber­ gae 1701, Jena 1713. Birken, Sigmund von: Briefwechsel Birken/Margaretha Magdalena von Birken, Adam Volk­ mann, Teil I: Texte, hg. von Hartmut Laufhütte, Berlin 2010. Böhmer, Justus Henning: Jus Ecclesiasticum Protestantium, usum modernum Juris Canonici juxta feriem Decretalium ostendes, 3. Aufl., Halle 1721. Braunstein, Joachim: Timotheus oder der wider die Gefahren der Eigenliebe bewafnete Christ, in VI. Fastenreden. Nebst einer Karfreytags- und Osterrede, | herausgegeben von Joa­ chim Braunstein, Konventualen, der Zeit öffentlichen Lehrer der Gottesgelehrtheit und Pastoralwissenschaft in Lucern, Münster/Osnabrück 1787. Brückner, Hieronymus: Decisiones Iuris Matrimonialis Controversi Qvibus tàm ea, qvæ per proximos Triginta & amplius Annos de Causis Matrimonialibus inter Eruditos variis Scrip­ tis pro & contra disputata sunt, qvàm aliæ communiter receptæ Opiniones & Sententiæ, secundum Normam Scripturæ S. Principia Juris Naturalis & Positivi, atque Regum, Elec­ torum, Principum & Statuum Evangelicorum Constitutiones Matrimoniales, examinantur, deciduntur & Lectorum quorumvis Judicio submittuntur, Frankfurt 1692. Brüggemann, Friedrich Christian: Tractatus Iuris Publici De Statu Et Scopo Reipublicae Ger­ manicae, De Tranquillitate Illius Ac Securitate Domi Forisque Tuenda, Ut Et Potissimis Tuitionis Mediis, Itemque De Eius Tum Aequo, Tum Iniquo Fato, Jena 1667. Brunnemann, Johann: De jure ecclesiastico tractatus posthumus in usum Ecclesiarum Evangel. & Consistoriorum concinnatus. Post mortem auctoris revisus, & necessariis supplementis adauctus a Samuele Strykio . . . Accesserunt Prælectiones Ad Regulas Juris Canonici Ejusdem Autoris, et Index Rerum Locupletissimus, Frankfurt a.O. 1681. Bucer, Martin: Ein predig Buceri vom Ehestand, in: Martini Buceri Opera Omnia. Series I. Mar­ tin Bucers Deutsche Schriften, Bd. 10: Schriften zu Ehe und Eherecht, hg. von Stephen Buckwalter, Gütersloh 2001, S. 569–589. Bullinger, Heinrich: Der christliche Eestand [1540], in: Heinrich Bullinger. Werke III/5, hg. von Detlef Roth, Zürich 2009, S. 79–188. Bullinger, Heinrich: In priorem D. Pauli ad Corinthios epistolam, Heinrychi Bullingeri Commen­ tarius, Zürich 1534. Bullinger, Heinrich: Vollkommne underrichtung desz christlichenn eestands [1527], in: Heinrich Bullinger. Werke III/5, hg. von Detlef Roth, Zürich 2009, S. 1–78. Capitulatio perpetua Osnabrugensis vom 28. Juli 1650, hg. von Wolfgang Seegrün und Gerd Steinwascher, in: Seegrün, Wolfgang/Gerd Steinwascher (Hg.): 350 Jahre Capitulation perpetua Osnabrugensis (1650–2000). Entstehung – Folgen – Text, Osnabrück 2000, S. 57–77. Carpzov, Benedict: Jurisprudentia Ecclesiastica Seu Consistorialis Rerum & Qvæstionum In . . . Principis Electoris Saxon. Senatu Ecclesiastico & Consistorio Supremo . . . Definitiones Succinctas, Jure Divino, Canonico, Civili, Constitutionibus & Ordinationibus ecclesiasticis probatas . . . exhibens. Libr. III. Qvorum I. Materia de juribus Episcopalibus . . . II. Causis

332 | Quellen- und Literaturverzeichnis matrimonialibus . . . III. Judicio et foro ecclesiastico . . . His ob materiæ convenientiam accesit Usus Arboris Consangvinitatis Et Affinitatis. . . , Leipzig 1721. Carpzov, Benedict: Practica nova imperialis Saxonica rerum criminalium, Pars 1, Wittenberg 1670. Cramer, Heinrich Matthias August: Unterhaltungen zur Beförderung der häuslichen Glückselig­ keit, Berlin 1781. Dapp, Raymund: Predigtbuch für christliche Landleute, zur häuslichen Andacht und zum Vor­ lesen in der Kirche. Auf alle Sonn- und Festtage des ganzen Jahrs, nach den Evangelien, neue vermehrte Auflage, Berlin und Stettin 1797 [Erstdruck 1788]. Datt, Johann von: Volumen Rerum Germanicarum Novum, Sive De Pace Imperii Publica Libri V: ad illustrandam publicae pacis, regimenti, camerae imperialis, Vemicorum Westphaliae iudiciorum, foederum imperii eiusque statuum . . . statusque seculi XII. XIII. XIV. & XV. publici historiam, ex antiquis legibus, rescriptis Caesarum, actis & recessibus comitiorum veterum . . . , Ulm 1698. Deutgen, Rudolph: Neues katholisches Gesangbuch zur Belehrung und Erbauung der Christen für den öffentlichen Gottesdienst und zur Privatandacht eines jeden Christen, Osnabrück 1781. Deutgen, Rudolph: Versuch eines vollständigen Unterrichtungs-Buches für katholische Chris­ ten, Osnabrück 1787. Dietrich, Veit: Summaria vnd Gesäng Auff alle Sontag vnd fürnemste Fest durchs Jar. Sampt darzu gehörenden schönen Gebettlein, Für Christliche Haußvätter, jre Kinder vnd Gesind; Sampt einem kurtzen bericht, auff was Melodey eine jedes Euangelium mag gesungen werden, Frankfurt a.M. o.J. Dithmar, Justus Christoph: Einleitung in die oeconomischen, Policey- und cameral-Wissen­ schaften. Nebst Verzeichniß eines zu solchen Wissenschaften dienlichen Büchervorrathes und ausführlichem Register, Frankfurt a.O. 1755. Dyk, Johann Gottfried: Politische Blätter – den Freunden des politischen Friedens und der häuslichen Ordnung gewidmet, Leipzig 1795. Erasmus von Rotterdam, Desiderius: Libellus nouus et elegans D. Erasmi Roterodami, de Pueris statim ac liberaliter instituendis, cum aliis compluribus, quorum catalogum indicabit uersa pagella, Basel 1529. Erasmus von Rotterdam, Desiderius: Omnia opera Des. Erasmi Roterodami, quaecunque ipse autor pro suis agnouit, nouem tomis distincta, quorum Elenchum sequentes Catalogi perspicue exhibebunt . . . cum praefatione Beati Rhenani Selestadiensis, uitam autoris describente . . . Addito Indice copiosissimo, 2 Bde., Basel 1538–1540. Erler, Georg (Hg.): Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809, Leipzig 1902. Fischer von Azendorff, Salomon: Oeconomische Schatzkammer, Hannover 1716. Fischer, Christoph: Christliche Außlegung vnd erklerung der Haußtaffel. Wie sich alle drey stende, der Lehr, Wehr vnd Nehrstandt, das ist, das Predigampt, Oberkeit, Haussveter vnd Haussmütter, auch alle die jenigen, so diesen stenden oder orden verwandt vnd zugethan sein, Christlich in jhrem ampte nach Gottes befehl verhalten sollen, Wittenberg 1578. Gaill, Andreas von: De Pace Publica et eius violatoribus et Proscriptis, sive bannitis Imperii, Köln 1578. Gallus, Nicolaus: Ein Kurtze Ordenliche summa der rechten Waren Lehre vnsers heiligen Christ­ lichen Glaubens. Welche lere ein jeder Christlicher haußuatter nit allein für sich selbs zuwissen, sonder auch seine kinder vnnd Ehehalten zuleren, oder leren zulassen schuldig ist, Heidelberg 1558.

Quellen- und Literaturverzeichnis |

333

Gerdes, Friedrich: De Pace Domestica, Greifswald 1674. Guazzo, Stefano: La civil conversazione (1574), hg. von Amedeo Quondam, 2 Bde., Modena 1993. Hagen, Johannes: Haußtafel, Nothwendige vnd tröstliche Lere von den fürnembsten Christli­ chen Stenden. Dem Laien vnnd der jugend zu nutz, in ein richtige Ordnung der Wochen gestellet, dergleiche[n] vor auff dise weiß Teutsch nie außgegangen, Eger 1574. Hänselmann, Ludwig (Hg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 1, Braunschweig 1827. Heinrich, Nikolaus: Der Christen Lustgarten. Darinnen die Artickel der christlichen Lere, durch klare vnd deutliche Sprüche des alten vnd newen Testaments, ordentlich angezeiget werden, Wittenberg 1573. Herft, Johann Bernhard: Das Glück eines Volks unter einem weisen und tugendhaften Regen­ ten. Eine Predigt über Ezechiel 34, v. 23 f. gehalten nach angetretener Regierung Seiner Königlichen Hoheit Friedrichs Bischofen zu Osnabrück, Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg, Osnabrück 1783. Herft, Johann Bernhard: Predigten über verschiedene Sonn- und Festtage. J. B. Herft, Kanoni­ kus zu St. Johann und Prediger im Dom zu Osnabrück Predigten über verschiedene Sonnund Festtage auf Verlangen seiner Zuhörer herausgegeben, Münster/Osnabrück 1787. Hobbes, Thomas: Leviathan. Erster und zweiter Teil, übersetzt von Jacob Peter Mayer, Stuttgart 2007. Hombergk zu Vach, Johann Friedrich: Pacem et Societatem humani generis natura constitutam ex ipsis principiis T. Hobbii, Marburg 1722. Hundeiker, Johann Petrus: Häusliche Gottesverehrungen für christliche Familien. Berlin 1788. Jugler, Johann Friedrich: Beyträge zur juristischen Biographie oder genauere litterarische und critische Nachrichten von dem Leben und den Schriften verstorbener Rechtsgelehrten auch Staatsmänner, welche sich in Europa berühmt gemacht haben, Leipzig 1773. Justi, Johann Heinrich Gottlieb: Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staa­ ten; oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft, 2 Bde., Königs­ berg/Leipzig 1761. Köhler, Otto (Hg.): Die Matrikel der Universität Jena, Bd. 3: 1723 bis 1764, Halle 1992. Krünitz, Johann Georg: Oekonomische Encyklopädie oder Allgemeines System der Staats= Stadt= Haus= und Landwirthschaft in alphabetischer Ordnung, 242 Bde., Leipzig 1773–1858. [http://www.kruenitz1.uni-trier.de]. Lachmann, Johann Joachim: Die Pflichten der Verehlichten in einer Sammlung von Amtsreden bey Einsegnung angehender Eheleute, Züllichau 1771. Langhans, Christian Christoph: Heilsame Betrachtungen über die wichtigsten Glaubens- und Sitten-Lehre nach Anleitung der Sonn- und Fest-Täglichen evangelischen Texte insonder­ heit zur Beförderung der Haus-Andacht, Lüneburg/Lauenburg 1775. Leyser, Augustin von: Specimen Meditationvm ad Pandectas De Vera Traditione, Helmstedt 1727. Lohdius, Carl Friedrich/Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Christliches Tagebuch zur häus­ lichen Erbauung in den Morgen- und Abendstunden auf alle Tage im Jahre, 4. Auflage, Dresden 1796 [Erstdruck 1786]. Mathesius, Johannes: Hochzeitpredigten, Vom Ehestand vnd Haußwesen. Wie man den heili­ gen Ehestand Christlich anfahen, seligklich volfüren, vnd in allerley Haußcreutz mit Gottes wort sich trösten, vnd auffrichten; Auch wie man sich auff ehrlichen Hochzeiten, in allerley stellen züchtig vnd vnschedlich halten soll, Allen Christlichen Freyern, Eheleuten, Hei­

334 | Quellen- und Literaturverzeichnis ratsstifftern vnd Hochzeitsgesten, zum Vnterricht sehr nützlich vnd notwendig, Nürnberg 1579. Mathesius, Johannes: Oeconomia Oder Bericht vom Christlichen Haußhalten. Sampt schönen andächtigen kurtzen Haus-Gebettlein . . . , Tübingen 1672. Mayer, Franz Xaver: Predigten nach den Bedürfnissen des Landvolkes auf alle Sonn- und Festtage des ganzen Kirchenjahres, 4 Bde., München 1791–1793. Mevius, David: Commentarius in Ius Lubecense Libri Quinque, Ad Explicationem Eiusdem Soli­ dam, pro docenda vera Statutorum ratione, exponendis eorum Recessibus & informando fori usu, Rostock 1700 [1641/42]. Michelsen, Andreas Ludwig Jakob (Hg.): Johann Friedrich des Grossmütigen Stadtordnung für Jena, Jena 1858 [ND Aalen 1970]. Mollay, Karl (Hg.): Das Ofner Stadtrecht. Eine deutschsprachige Rechtssammlung des 15. Jahrhunderts aus Ungarn, Weimar 1959. Möser, Justus: Patriotische Phantasien, 4 Bde., bearb. von Ludwig Schirmeyer, Oldenburg 1943–1954. Möser, Justus: Den Phantasien Verwandtes, 3 Bde., bearb. von Ludwig Schirmeyer, Oldenburg 1956–1968. Müller, Johann Balthasar: Predigten über die ganze christliche Moral. Aus den Werken der besten Redner Deutschlands gezogen, 9 Bde., Wien 1790. Mundhenke, Herbert (Hg.): Die Matrikel der Universität Helmstedt 1685–1810, Hildesheim 1979. Musculus, Andreas: Wider den Ehteuffel. Gedruckt zu Franckfurt an der Oder durch Johann. Eichhorn Anno MDLVI, in: Stambaugh, Ria (Hg.): Teufelbücher in Auswahl, Bd. 4, Berlin 1978, S. 81–132. Neu-Christ-erbauliches mit Fleiß revidiret- und eingerichtetes Gesang-Buch worin über 1200 auserlesene alte und neue Gesänge, insonderheit der gantze Psalter Davids, in bekanten Melodeyen zu finden. Mit einem geistreichen Gebeth-Buch, samt den sieben Buß-Psalmen Davids, und denen ordentlichen Sonn- und Fest-Tags Evangelien und Episteln, auch der Paßions-Geschichte, item: der Historia von der Zerstörung Jerusalem, Nebst Neumanns Kern aller Gebether, Osnabrück 1742. Neuper, Horst (Hg.): Das Vorlesungsangebot an der Universität Jena von 1749 bis 1854, Weimar 2003. Oberhausen, Michael/Pozzo, Riccardo (Hg.): Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königs­ berg (1720–1804), Stuttgart 1999. Oberländer, Samuel: Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum, 4. Auflage, Nürnberg 1753 [ND Köln 2000]. Pestel, David: Antidotum contra Discordiae coniugalis venenum, seu Disputatio de stabilienda pace inter coniuges, Rinteln 1667. Pischon, Johann Carl: Philoikos. Moral in Beispielen für Familien, 2 Bde., Wien 1800. Pufendorf, Friedrich Esaias: Wurster Land-Recht und alte Gebräuche, in: ders.: Observationes iuris universi, Bd. 1, Hannover 1780, App. S. 60–76. Rebhun, Paul: Hauß=Frid. Was fuer ursachen den Christlichen Eheleuten zubedenken, den lieben Haußfriden in der Ehe zu erhalten. In Kurtzer Summa gepredigt, unnd schriftlich weyter erklert durch Paulum Rebhun, Pfarrherr zu Olßnitz, Nürnberg 1559. Richey, Michael: Idioticon Hamburgense oder Wörter-Buch zur Erklärung der eigenen, in- und um Hamburg gebräuchlichen Nieder-Sächsischen MundArt [. . . ], Hamburg 1755. Richthofen, Karl von (Hg.): Friesische Rechtsquellen, Berlin 1840 [ND Aalen 1960].

Quellen- und Literaturverzeichnis |

335

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Personenverzeichnis A Alber, Erasmus 79 Alberti, Leon Battista 56 Albertinus, Aegidius 76, 77 Alexandri, Caspar 91 Alphons X., genannt der Weise, König von Spanien 66 Altrup, Christine Marie 205, 207 Altrup, Johann Henrich 205, 206 Arnisäus, Henning 65 Augustinus, Aurelius 47–52, 68, 83, 92, 93, 133 B Back, Anna Margaretha, geb. Butken 256–261 Back, Johann Hermann Conrad 256, 258–261 Balcke, Anna Elisabeth, geb. Pohlmann 242, 243, 245, 247 Balcke, Anna Elsabein 243 Balcke, Beate Anna 243 Balcke, Christian Wilhelm 243 Balcke, Gerhard Heinrich 243 Balcke, Johann Friederich 243, 245–247, 282, 296 Balcke, Johann Wilhelm 242–247, 251, 286, 296 Balcke, Maria Elisabeth 243, 244, 247 Barbaro, Francesco 79 Bechtold, Philip 105 Beck, Johannes Jodocus 184 Bentham, Jeremy 11 Berghoff, Eberhard 183, 320 Berghoff, Justus Eberhard 183, 320 Béthune, Maximilien de, Duc de Sully 11 Beyer, Georg 105, 109–117, 119, 183 Birken, Sigmund von 81 Blechen, Christian Gerhard von 262 Blechen, Gerhard Anton von 182, 183, 260, 263, 295, 320 Blechen, Johann Anton von 262–265, 267–274, 277 Blechen, Johann Anton von, d. Ältere 262

Blechen, Johann Gerhard von 183, 263, 277, 320 Blechen, Susanna von, geb. Sextroh 263–265, 267, 269–274, 276 Boas, Franz 25 Bodin, Jean 106 Böhmer, Justus Henning 65, 101, 184 Boltz, Anna Elisabeth, geb. Betmann 265, 267, 272 Boltz, Mathias 265 Bordewisch, Catharina Engel 219 Bourdieu, Pierre 37 Brandt, Christian 248–251 Braunstein, Joachim 168 Brenz, Johannes 63 Bruckner, Hieronymus 184 Brüggemann, Friedrich 91 Brüning, Christine, geb. Cothmann 169 Brunnemann, Johann 101, 184 Brunner, Otto 7, 9, 79 Bucer, Martin 63 Bullinger, Heinrich 61, 62, 66, 81 Busch, Marcus 229 C Carpzov, Benedict, der Jüngere 65, 99–101, 122, 184, 235 Castel, Charles Irénée, Abbé de Saint-Pierre 11 Clairvaux, Bernhard von 79 Clüver, Philipp 112 Coler, Johannes 80 Comenius, Johann Amos 11 Conring, Hermann 90, 91 Cramer, Heinrich Matthias August 131–134 D Dapp, Raymund 125, 129, 130 Datt, Johann von 91, 111 Deutgen, Rudolph 168, 186 Dietrich, Veit 63, 71 Dreyer, Totengräber Osnabrück 204 Droop, Johann Henrich 267

368 | Personenverzeichnis Duven, Maria Sophia 264, 265, 267, 271 Dyk, Johann Gottlieb 151

Gülich, Gerhard Friedrich von 183, 321 Gülich, Johan Henrich 1

E Ehmbsen Johanna, geb. Struckmann 169 Ehmbsen, Johann Gabriel 169 Essen, Johan Henrich 290 Eyb, Albrecht von 56

H Habermann, Johann 125 Hagen, Johannes 71 Heinrich VII., König des Heiligen Römischen Reiches 1308–1313 96 Heinrich, Nikolaus 73 Hendel, Prokurator 234 Herft, Johann Bernhard 167, 186, 187 Heuer, Johann Henrich 267 Hezels, Charlotte von 169 Hickmann, Johann Dietrich 242, 244, 245, 286, 322 Hildemann, Dr., Stadtmedicus Osnabrück 235, 236 Hillebrandt, Johann Henrich 283 Hobbes, Thomas 3, 90, 104, 107 Hoberg, Hermann 257 Hoffmeister, Maria Elsiabeth, Witwe Flocke 257, 261 Hudtwalcker, Johann Michael 148 Hüggelmeyer, Gerhard Gabriel 321 Hundeiker, Johann Peter 128 Hundeikers, Johann Peter 125 Hurrelbaum, Johann Elias 258, 261

F Feyerabend, Sigmund 75 Figge, Johann Jacob 219 Fischer, Christoph 72 Florinus, Franz Philipp 80 Fortlage, Johann Heinrich Benjamin 323 Friderich, Johann 91 Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen, der Starke 110 Fries, Anna 81 G Gaill, Andreas von 111 Gallus, Nicolaus 72 Gerdes, Friedrich 105, 107–110, 114, 116, 117, 119 Gerding, Anna Christine Rosina, geb. Sextroh 263, 267, 276 Gerding, Johann Christoph 185, 322 Gerding, Wilhelm 183, 185, 234, 237, 258, 263, 267, 276, 295, 320 Giddens, Anthony 37 Goetze, Herrmann Theophilus 322 Gotthelf, Burkhard 115 Gottsched, Johann Christoph 124 Grave, Dietrich Friedrich 91 Groß, Erhard 56 Grothaus, Henrich 267, 270, 272 Grotius, Hugo 106, 107 Gruner, Friedrich Andreas 323 Gruner, Friedrich August 186 Gruner, Georg Christian 322 Guarinoni, Hippolyt 79 Guevara, Antonio 56 Gülich, Anton Philipp 320 Gülich, Anton Philipp von 182, 183, 272 Gülich, Catharina Margaretha Elisabeth, geb. Eilers 1

I Iden, Christoph Wilhelm 323 Iden, Konrad Rudolf 322 Iffland, August Wilhelm 154 J Jerusalem, Johann Friedrich 167 Justi, Johann Heinrich Gottlieb von 136, 138, 139, 142 K Karl, Christian Conrad 320 Kerckmann, Chirurgus 235 Kerksieg, Clamor Theodor Adolf 323 Kestner, Heinrich Ernst 91 Klefeker, Bernhard 184, 186, 323 Klinke, Johann Christian 320 Klinken, Anton 274 Klodt, Johann Henrich 321

Personenverzeichnis |

369

Klussman, Johann Wilhelm 182 Klußmann, Johann Christoph 323 Klussmann, Johann Wilhelm 183 Klußmann, Johann Wilhelm 320 Koecher, Johann Christoph 186 Kosieck, Anna Margaretha 251–255 Kosieck, Henrich 251–255 Kosieck, Henrich Wilbrand 255 Kosieck, Johann Friedrich 255 Kosieck, Maria Margaretha 255 Kramer, Johann Christoph 237 Kramer, Karl-Sigismund 5 Krauß, Julius 91 Kreittmayr, Wiguläus Xaver Aloys von 143 Krochmann, Eberhard 185, 322 Krochmann, Johann Hermann 323 Krochmann, Johann Herrmann 185, 186 Kroos, Ferdinand 233 Kroos, Johann Ferdinand 222, 223 Krünitz, Johann Georg 139

Mertens, Christoph Karl 323 Meyer, Ameling 225 Meyer, Christian 253 Meyer, Eberhard Philip 322 Meyer, Johann Otto 323 Meyer, Maria Juliane, geb. Kosieck 253–255 Möller, Maria Elisabeth, geb. Hasselmann 265, 267, 272 Morian, Hermann Henrich 267 Möser, Justus 170, 171, 243 Müller, Justus Balthasar 128, 129 Musculus, Andreas 74, 75

L La Roche, Sophie von 170 Lachmann, Johann Joachim 127 Lachmanns, Johann Joachim 128 Landerwerck, Regina Margaretha 257, 259, 261 Lange, Anton Henrich 263 Langhans, Christian Christoph 126 Lengerke, Johann Friedrich von 295 Lévi-Strauss, Claude 2, 25, 26 Leyser, Polycarp 184 Lohdius, Carl Friedrich 125 Lohmeyer, Hermann Rudolf 321 Lorichius, Jodocus 77 Lüke, Jost Henrich 219, 221 Lüke, Rudolph 219 Lüken, Jost Henrich 255, 292, 295 Luther, Martin 63, 64, 66, 67, 69–71

P Penn, William 11 Pestel, David 102 Pregitzer, Johann Ulrich 91 Pütter, Johann Stephan 183

M Machiavelli, Niccolò di Bernardo dei 135 Mangels, Johann Friedrich 248–251 Mathesius, Johannes 73, 125 Mayer, Franz Xaver 130 Melanchthon, Philipp 71 Menius, Justus 66, 69

N Neufeld, Konrad 91 Nicolai, Friedrich 170 O Oberländer, Samuel 258 Osenbrügge, Eduard 143

R Rahmmacher, Conrad 185, 186, 322 Rambach, Jonann Jacob 125 Rauscher, Wolfgang 77 Rebhun, Paul 69–71, 77 Reckwitz, Andreas 37 Reinkingk, Dietrich 87 Rhetius, Johann Friedrich 91 Richter, Franz 233 Ringelmann, Nikolaus Gerhard 322 Rohr, Julius Bernhard von 141 Roosevelt, Eleanor VII Roscher, Wilhelm 79 Rotterdam, Desiderius Erasmus von 11 Rotterdam, Erasmus von 59 Rousseau, Jean Jacques 149 S Sachs, Hans 81 Sanchez, Thomas 102

370 | Personenverzeichnis Santa Clara, Abraham a 78 Sarcerius, Erasmus 65, 66, 71, 101 Schaffshausen, Nicolaus 91 Scheren, Anna Ernesta Christina 267 Schledehaus, Johann Cristoph 262–264, 267 Schledehausen, Anton Wilhelm 183, 320 Schmidt, Nicolaus 75 Schubart, Adam 75 Schultz, Friedrich 234, 235 Schultze, Friedrich 267–269 Schultze, Johann Daniel 263, 265, 267, 268 Seckendorff, Veit Judwig von 87 Seckendorff, Veit Ludwig 136 Seld, Johann Christoph 91 Senghaas, Dieter 16 Sextroh, Gerhard Wilhelm 263, 267, 276 Sirach, Catharina Margarethe 242 Söffing, Justus 91 Sonnenfels, Joseph von 142 Spalding, Johann Joachim 167 Spangenberg, Cyriacus 66, 71 Spangenberg, Johannes 71, 79 Spitzken, Bartholomäus 320 Stagge, Gerd 291 Storck, Johann Jacob 182, 321 Strepeheden, Witwe 229 Struve, Burkhard Gotthelf 183 Struve, Friedrich Gottlieb 105, 286 Struve, Friedricht Gottlieb 114–120, 138 Struve, Georg Adam 100, 115 Stryck, Samuel 184 Stryk, Samuel 101, 110 Stüve, August Eberhard 182, 183, 321 Stüve, Heinrich David 182, 183, 321

Stüve, Jobst Henrich 183, 320 Stüve, Johann Eberhard 183, 289, 320 Sylvius, Georg 91 T Terlahn, Franz Wilhelm Christian 323 Terlahn, Johann Christoph 322 Thomasius, Christian 110 Thomasius, Johannes 106 Thumbshirn, Abraham von 79 Tieroff, Michael Christian 91 V Vives, Juan Luis 60, 76 Vogt, Christina Margaretha, geb. Büdeler 210, 211 Vogt, Johann Hermann 210 Voss, Anna Margaretha 225 Voss, Gerhard Rudolf 184, 321 W Wahlfeld, Johann 183 Wahlfeldt, Johann Ludwig 320 Walch, Karl Friedrich 105, 120, 122 Weida, Marcus von 56 Wellmann, Maria Elisabeth 232 Westermann, Maria 255 Wilkins, George 82 Wöbeking, Ernst Georg 185, 321 Woldenberg, Christian 106 Wolff, Christian 103 Z Zollikofer, Georg Joachim 167

bibliothek altes Reich – baR herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal Als ein innovatives, langfristig angelegtes Forum für Veröffentlichungen zur Geschichte des Alten Reichs setzt sich die „bibliothek altes Reich – baR“ folgende Ziele: – Anregung zur inhaltlichen und methodischen Neuausrichtung der Erforschung des Alten Reichs – Bündelung der Forschungsdiskussion – Popularisierung von Fachwissen – Institutionelle Unabhängigkeit

Inhaltliche und methodische Neuausrichtung An erster Stelle ist die Gründung der Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ als Impuls für die interdisziplinäre Behandlung der Reichsgeschichte und deren Verknüpfung mit neuen methodischen Ansätzen konzipiert. Innovative methodische Ansätze, etwa aus der Anthropologie, der Geschlechtergeschichte, den Kulturwissenschaften oder der Kommunikationsforschung, wurden in den letzten Jahren zwar mit Gewinn für die Untersuchung verschiedenster Teilaspekte der Geschichte des Alten Reichs genutzt, aber vergleichsweise selten auf das Alte Reich als einen einheitlichen Herrschafts-, Rechts-, Sozial- und Kulturraum bezogen. Die Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ ist daher als Forum für Veröffentlichungen gedacht, deren Gegenstand bei unterschiedlichsten methodischen Zugängen und thematischen Schwerpunktsetzungen das Alte Reich als Gesamtzusammenhang ist bzw. auf dieses bezogen bleibt.

Bündelung der Forschung Durch die ausschließlich auf die Geschichte des Alten Reichs ausgerichtete Reihe soll das Gewicht des Alten Reichs in der historischen Forschung gestärkt werden. Ein zentrales Anliegen ist die Zusammenführung von Forschungsergebnissen aus unterschiedlichen historischen Sub- und Nachbardisziplinen wie zum Beispiel der Kunstgeschichte, der Kirchengeschichte, der Wirtschaftsgeschichte, der Geschichte der Juden, der Landes- und der Rechtsgeschichte sowie den Politik-, Literatur- und Kulturwissenschaften.

Popularisierung von Fachwissen Die „bibliothek altes Reich – baR“ sieht es auch als ihre Aufgabe an, einen Beitrag zur Wissenspopularisierung zu leisten. Ziel ist es, kurze Wege zwischen wissenschaftlicher Innovation und deren Vermittlung herzustellen. Neben primär an das engere Fachpublikum adressierten Monographien, Sammelbänden und Quelleneditionen publiziert die Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ als zweites Standbein auch Bände, die in Anlehnung an das angelsächsische textbook der Systematisierung und Popularisierung vorhandener Wissensbestände dienen. Den Studierenden soll ein möglichst rascher und unmittelbarer Zugang zu Forschungsstand und Forschungskontroversen ermöglicht werden.

Institutionelle Unabhängigkeit Zur wissenschaftsorganisatorischen Positionierung der Reihe: Die „bibliothek altes Reich – baR“ versteht sich als ein grundsätzlich institutionsunabhängiges Unternehmen. Unabhängigkeit strebt die „bibliothek altes Reich – baR“ auch in personeller Hinsicht an. Über die Annahme von Manuskripten entscheiden die Herausgeber nicht alleine, sondern auf der Grundlage eines transparenten, nachvollziehbaren peer-review Verfahrens, das in der deutschen Wissenschaft vielfach eingefordert wird. Band 1: Lesebuch Altes Reich Herausgegeben von Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal 2006. VIII, 283 S. 19 Abb. mit einem ausführlichen Glossar. ISBN 978-3-486-57909-3

Band 6: Siegrid Westphal, Inken Schmidt-Voges, Anette Baumann Venus und Vulcanus Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit 2011. 276 S. ISBN 978-3-486-57912-3

Band 2: Wolfgang Burgdorf Ein Weltbild verliert seine Welt Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806 2. Aufl. 2008. VIII, 390 S. ISBN 978-3-486-58747-0

Band 7: Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte Herausgegeben von Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst 2013. 321 S. ISBN 978-3-486-70251-4

Band 3: Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich Herausgegeben von Anja Amend, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Steffen Wunderlich 2007. 303 S. ISBN 978-3-486-57910-9

Band 8: Pax perpetua Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal, Volker Arnke und Tobias Bartke 2010. 392 S. 2 Abb., ISBN 978-3-486-59820-9

Band 4: Ralf-Peter Fuchs Ein ‚Medium zum Frieden‘ Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges 2010. X. 427 S. ISBN 978-3-486-58789-0

Band 9: Alexander Jendorff Der Tod des Tyrannen Geschichte und Rezeption der Causa Barthold von Wintzingerode 2012. VIII. 287 S. ISBN 978-3-486-70709-0

Band 5: Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation Herausgegeben von Stephan Wendehorst 2015. 492 S. ISBN 978-3-486-57911-6

Band 10: Thomas Lau Unruhige Städte Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt (1648–1806) 2012. 156 S. ISBN 978-3-486-70757-1

Band 11: Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis Herausgegeben von Anja Amend-Traut, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Steffen Wunderlich 2012. 231 S. ISBN 978-3-486-71025-0 Band 12: Hendrikje Carius Recht durch Eigentum Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (1648–1806) 2012. 353 S. 2 Abb., ISBN 978-3-486-71618-4

Band 15: Anette Baumann, Alexander Jendorff (Hrsg.) Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa 2014. 432 S. ISBN 978-3-486-77840-3 Band 16: André Griemert Jüdische Klagen gegen Reichsadelige Prozesse am Reichshofrat in den Herrschaftsjahren Rudolfs II. und Franz I. Stephan 2014. 517 S. ISBN 978-3-11-035267-2

Band 13: Stefanie Freyer Der Weimarer Hof um 1800 Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos 2013. 575 S., 10 Abb., ISBN 978-3-486-72502-5

Band 17: Alexander Denzler, Ellen Franke, Britta Schneider (Hrsg.) Prozessakten, Parteien, Partikularinteressen Höchstgerichtsbarkeit in der Mitte Europas vom 15. bis 19. Jahrhundert 2015. ISBN 978-3-11-035981-7

Band 14: Dagmar Freist Glaube – Liebe – Zwietracht Konfessionell gemischte Ehen in Deutschland in der Frühen Neuzeit 2015. ISBN 978-3-486-74969-4

Band 18: Inken Schmidt-Voges Mikropolitiken des Friedens Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im 18. Jahrhundert 2015. 365 S. ISBN 978-3-11-040216-2