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German Pages 257 [268] Year 1923
MEISTERWERKE DER
STAATSPHILOSOPHIE VON
DR. G. ENGELMANN
BERLIN UND LEIPZIG 1923
VERLAG VON WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G . J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J . GUTTENTAG, VERLAGSBÜCHHANDLUNG - GEORG REIMER — KARL J . TRÜBNER - VEIT 8t COMP.
MOTTO: Das Wahre war schon längst gefunden, Hat edle Geisterschaft verbunden, Das alte Wahre, faß' es ant Was fruchtbar Ist, allein Ist wahr. Goethes
Vermächtnis.
»Denn wir sind von gestern her und wissen nichts. Frage die vorigen Geschlechter, und merke auf das, was ihre Väter erforscht haben. Sie werden dlch's lehren und ihre Rede aus ihrem Herzen hervorbringen.* H iob.
Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W. 10
DEM ANDENKEN DER ELTERN
Vorwort. Die Not unserer Zeit ruft nach den alten Meistern der politischen Wissenschaft: Was haben sie uns zu sagen? Für ihre Zeit schaffend schufen sie Ewiges. Ihre Einsicht in des Menschen Sinn und Getriebe, ihr Urteil über die Einrichtungen der Gesellschaft sind Erkenntnisse, Bekenntnisse der Menschheit. Sie setzten Ziele dem Menschtum, nach denen auch wir uns sehnen, und sie weisen Wege, die wir frohen Muts betreten können. Mit Liebe und Ehrfurcht habe ich ihre Werke gelesen. Und es ward mir Pflicht, jeden Gedanken, der für die Gegenwart wertvoll erschien, aufzuzeichnen für die, denen es nicht gegönnt ist, die Werke selbst zu studieren. Und ich wollte nicht unschicklich und störend dazwischen reden, und habe nur ihre Gedanken klar und sparsam geformt und so geordnet, als ob die Meister selbst das für uns Wesentliche ihrer Lehre — ihr Vermächtnis an uns — in einem knappen Vortrag zusammenfassen würden. — Den deutschen Staatsphilosophen soll ein besonderes Buch gewidmet werden. Weimar, den 25. November 1922.
Der Verfasser.
Inhalt. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Platon: Der Staat Aristoteles : Politik Thomas v. Aquino: Die Regierung der Fürsten Dante: Monarchie Machiavelli: Der Fürst Morus: Utopia Hobbes: Der Bürger Spinoza: Politischer Traktat Locke: Die bürgerliche Regierung Montesquieu: Der Geist der Gesetze Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag Hamilton, Madison, Jay: Zur Begründung der Verfassung der Vereinigten Staaten 13. Bentham: Einleitung zum Entwurf eines Verfassungsgesetzbuches 14. Zeittafel, Titel der Urschriften
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I.
Piaton: Der Staat. 1. Was ist Gerechtigkeit? Jedem das Seine geben! - heißt es gemeinhin. Wahrlich, nicht weit her ist's mit der Gerechtigkeit, wenn sie nur darin besteht, dem Eigner zu geben, was ihm gehört. Ein Musiker kann spielen auf der Zither, ein Kaufmann Geschäfte machen mit dem Gelde; Geld und Zither dem Eigner aufzubewahren, bis er sie nicht braucht, — das wäre die Kunst des Gerechten. Ist das die hohe Tugend? Und ist es denn immer gerecht, dem Eigner das Seine zu geben? Ein Freund gab mir seine Waffen zur Aufbewahrung. Eines Tages kommt er in fast wahnsinniger Erregung und verlangt sie. Wäre es gerecht, sie ihm zu geben, zu seinem Unheil? Gewiß nicht, es kann nicht gerecht sein, dem Freunde zu schaden. Und dem Feinde? Man sagt: ja! Dem Freunde, dem Guten, Gutes; dem Feinde, dem Bösen, Böses; jedem wie es ihm gebührt: das ist der Sinn der Gerechtigkeit. Dem Freunde Gutes, dem Feinde Böses! Als ob einer wüßte, wer wirklich Freund, wer Feind ist! Kann es jemals gerecht sein, Böses zu tun, sei es wem immer? Der Gerechte ist gut. Es kommt nicht dem Guten zu, Böses zu tun. Pferde, die man mißhandelt, werden nicht besser in ihrer Art. So werden auch Menschen nicht menschlicher, wenn man ihnen Leid zufügt. Musik macht musikalisch, Güte bessert. Es ist unter keinen Umständen gerecht, jemandem Schlechtes zu tun. 2. Es gibt Leute, die da sagen: „Recht ist was den Machthabern frommt. Mag ein Tyrann, der Adel oder die Masse des Volkes herrschen, immer wird das, was für die Engelmann,
Staatsphilos.
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Herrschenden vorteilhaft ist, zum Gesetz für die Beherrschten. Wenn diese dem Gesetz gehorchen, und tun, was ihnen selbst zum Schaden, den Herrschenden zum Vorteil gereicht, dann heißen sie gerecht. Handeln sie aber gegen den Vorteil der Herrschenden, so werden sie als Verbrecher bestraft. Fremdem Glücke dient der einfältige Gerechte, der Ungerechte ist seines eigenen Glückes Schmied. Nur muß man Meister sein im Unrechttun. Kleinen Dieben wird Strafe und Schande zuteil. Wer aber die Habe aller seiner Mitbürger, ja sie selbst zu seinem Eigentum macht, wird als glückseliger, gottbegnadeter Fürst verehrt. Gerechtigkeit ist dienende Schwäche. Ungerechtigkeit, klug und im Großen verübt, macht zum Herrscher. Man schmäht die Ungerechtigkeit nicht aus Abscheu vor dem Unrechttun, sondern aus Furcht vor dem Unrechtleiden". 3. Gegen diese Meinung, wie wahrscheinlich sie auch klingen mag, regt sich ein Widerspruch in uns. Der Zweck der Regierung, das Wesen der Staatskunst kann nicht darin bestehen, den Regierenden zu nützen, den Beherrschten zu schaden. Der Arzt mag durch seine Tätigkeit Geld verdienen, aber nicht das ist Zweck und Wesen seiner Kunst, sondern Kranke zu heilen. Des Steuermanns Beruf mag seiner Gesundheit zuträglich sein, aber nicht das ist Zweck und Wesen seiner Kunst, sondern das Schiff sicher zu führen. Auch der Arzt befiehlt dem Kranken, der Steuermann den Gefährten, — sie gehorchen zu ihrem eigenen Wohle. So hat auch die Regierung das Wohl der Regierten zu fördern. Wäre das Regieren schon an sich nutzbringend für die Regierenden, so würden die Beamten keinen Lohn verlangen. Die besten Männer, die weder Lohn noch Ehre reizt, nehmen die Mühen der Regierung nur aus Sorge um das Vaterland auf sich, um nicht die Führung des Vaterlandes Schlechteren zu überlassen. Es ist auch nicht wahr, daß Gerechtigkeit Torheit, vollendete Ungerechtigkeit Klugheit sei. Der vollends Ungerechte will vor jedem etwas voraus haben, auch vor seinesgleichen, — so unterliegt er bald. Der Kluge will vor seinesgleichen nichts voraus haben.
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Es ist nicht wahr, daß man durch vollendete Ungerechtigkeit mächtig wird. Kein Heer, das auf Eroberung, keine Bande, die auf Raub geht, wird die Unternehmung mit Erfolg durchführen, wenn die Genossen auch gegeneinander ungerecht sind. Selbst ihr Frevel ist nur durch den Rest von Gerechtigkeit möglich, der in ihnen noch blieb. Ungerechtigkeit weckt Haß, Zwietracht, macht zum gemeinsamen Handeln unfähig, verfeindet mit jedermann. Mag der Einzelne oder der Staat durch Unrecht zur Macht gelangen, ohne Gerechtigkeit kann er sie nicht behaupten. 4. Man entgegnet: Nicht darauf kommt es an, gerecht zu sein, sondern gerecht zu scheinen. Das ist der vollendete Meister des Unrechts, der sich stets den Schein des Gerechten zu geben weiß. Er genießt die Früchte des Unrechts: Herrschaft und Reichtum, und zugleich den Preis der Gerechtigkeit: Ehre und Freundschaft. Mit reichen Opferspenden gewinnt er auch die Priester, die Götter. Es ist zwar schwer, Unrecht zu tun und gerecht zu erscheinen. Aber Gerechtigkeit zu üben, ist noch schwerer. Die Gerechtigkeit ist kein Gut an und für sich, keine Freude, die man um ihrer selbst willen liebte, — sie ist ein Übel, in das der Mensch sich aus Not und mit Mühe fügt. Gut wäre es: frei Unrecht tun zu können. Ein Übel ist's: Unrecht leiden zu müssen. Die Pein des Unrechtleidens überwiegt die Wollust des Unrechttuns. Daher haben sich die Menschen in einem Mittleren geeinigt, das sie in Gesetzen und Verträgen bestimmen, und dieses nennen sie das Gerechte. Ein Mittleres ist die Gerechtigkeit, zwischen dem Besten: straflos Unrecht tun zu können, und dem Ärgsten: wehrlos Unrecht dulden zu müssen. Wer aber die Kraft hat, selbst Unrecht zu tun, fremdes Unrecht von sich abzuwehren, begnügt sich nicht mit jenem Mittelmaß. Keiner, der den unsichtbarmachenden Ring des Gyges besäße, würde sich enthalten, Beischlaf, Raub und Mord nach Lust zu begehen. Es wäre töricht von ihm und jeder würde ihn — im stillen — für töricht halten, wenn man ihn auch öffentlich loben würde. Die Schwachen müssen mit der Gerechtigkeit fürlieb nehmen l*
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und lobpreisen sie. Die Mächtigen verlachen sie, und tun Unrecht, wo sich Gelegenheit bietet. 5. Wer nun dieser Meinung entgegen der Gerechtigkeit das Wort redet, darf sich nicht auf ihre äußeren Erfolge — wie Ehre, Ämter und dergleichen berufen. Denn diese kann man auch mit dem Schein der Gerechtigkeit erreichen. Der Fürsprecher der Gerechtigkeit hat zu beweisen, daß sie ohne Rücksicht auf die Folgen, an und für sich gut ist, durch das Glück, das sie im Innern schafft, ein Glück, das der Ungerechte nie erreicht. Ja, daß der Gerechte in Armut und Schande glücklicher ist, als der Ungerechte in Reichtum und Ehre. Daß man ohne Gerechtigkeit nicht glücklich sein kann. Daß sie fürwahr das höchste Gut ist. Dies wollen wir versuchen. Es gilt aber zuerst das Wesen der Gerechtigkeit festzustellen. Hierzu wollen wir sie dort aufsuchen, wo sie in größerer Gestalt erscheint und leichter zu erkennen ist, als in der Seele des Einzelnen: im Staate. Wir wollen in Gedanken einen Staat entstehen lassen, und zusehen, wann und wo Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit darin zum Vorschein kommen. 6. Staaten entstehen, weil der Einzelne sich selbst nicht genügt, sondern vieler Helfer bedarf. Die Bedürfnisse des Menschen sind mannigfach, und man kann sie viel leichter und besser befriedigen, wenn mehrere sich so vereinen, daß einer für dieses, der andere für jenes Bedürfnis sorge, als wenn jeder für sich allein sorgt. Die Menschen haben von Natur verschiedene Anlagen, der eine taugt zu diesem, der andere zu jenem Geschäft. Wer nur eine Kunst übt, macht seine Sache besser, als wer Vieles betreibt. Jede Arbeit will zur rechten Zeit verrichtet sein, die der Vielgeschäftige oft versäumt. Man kann mehr, schöner und leichter schaffen, wenn Einer nur Eines verrichtet, seiner Begabung gemäß, als wenn sich jeder mit allem befaßt. 7. Nahrung, Wohnung, Kleidung sind die wichtigsten Bedürfnisse. Der kleinste, auf das Notwendigste beschränkte Staatsverein würde aus Landwirt, Baumeister, Weber und Schuhmacher bestehen. Es wäre ein unvollkommenes Ge-
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tneinwesen, da der Bauer selbst den Pflug anfertigen müßte, und auch die Übrigen ihre Geräte. Wenn aber diese recht gut sein sollen, muß es Schmiede und Zimmerleute geben und verschiedene andere Handwerker, Ferner Hirten, die zum Pflügen und Fahren, für Häute und Wolle das nötige Vieh besorgen. Durch Tausch teilen die Genossen ihre Erzeugnisse miteinander. Markt und Münze entstehen. Viel Zeit und Mühe geht aber verloren, wenn einer seine Waren zu Markt bringt und zur selben Zeit kein solcher da ist, mit dem er und der mit ihm zu tauschen bedürfte. Daher entstehen die Kaufleute, die auf dem Markte ständig Waren um Geld ankaufen und feil bieten. In einem wohleingerichteten Staate widmen sich diesem Dienste nur schwächliche, zu anderem Werk ungeeignete Menschen. Es gibt auch Handelsleute, die den Tausch mit anderen Staaten vermitteln; denn welches Staatsgebiet bedürfte keiner Zufuhr von auswärts? Wenn dieser Handel übers Meer geht, braucht man Seeleute. Es sind auch Tagelöhner vonnöten, die mit ihrer Körperkraft schwere Dienste verrichten. — Damit wäre der Staat vollständig: der gesunde Staat, die Gemeinschaft von Menschen gesunder, friedlicher Lebensart. 8. Wenn aber die Menschen in eine üppige Lebensweise verfallen, die Nahrung zum Schmaus entartet, die Kleidung durch Putz und Schmuck entstellt wird, das Haus sich mit überflüssigem Geräte füllt, da wächst der Staat um einen Haufen Volks, das nicht mehr des Notwendigen halber da ist: eine Masse von Handwerkern und Händlern, welche Unmengen nutzloser Sachen liefern, und Köche, Zofen, Freudenmädchen, Schauspieler, allerhand Künstler, und auch Arzte, deren man bei solcher Lebensweise gar oft bedarf. Der Boden, der ehemals zur Ernährung der Bewohner genügte, wird nun zu klein: also nimmt man welchen den Nachbarn weg. Die Grenzen des Notwendigen einmal überschritten, verfällt man der Begierde nach ungemessenem Besitz, und der Krieg ist da. Luxus, Habgier, Krieg. 9. Auch der gesunde Staat, der solche aufgedunsenen Nachbarn hat, muß nun vergrößert werden um ein Heer, das
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die Gemeinde gegen Angriffe schützt. Daß einer nicht zu~ gleich viele Künste gut ausüben kann, gilt betreffs der Kriegskunst nicht minder, als der Schuhmacherei. Auch der Krieger muß sich ganz seiner Kunst widmen. Man ist noch kein Kriegsmann, wenn man Schwert und Schild in Händen hält. Sollte der Staat für die Kriegskunst weniger Sorge tragen als für das Schuhmacherhandwerk? Zweifelsohne sind an die Männer, deren Obhut man die Freiheit des Staates anvertraut, die größten Anforderungen zu stellen, nicht nur die Kunstfertigkeit, sondern auch den Charakter betreffend. Ihre richtige Auswahl ist die schwerste Aufgabe der Staatseinrichtung, ihre Erziehung die wichtigste Angelegenheit. 10. Wie müssen die Wehrmänner beschaffen sein, damit sie ihrem Berufe gewachsen sind? Ihr Leib kräftig und behend, die Sinne scharf. Tapfer müssen sie sein. Der Zornesmut macht tapfer. Er kann aber sowohl zum Helden wie zum wilden Tiere machen. Die Hüter des Staates müssen zugleich sanftmütig sein: zornmütig gegen den Feind, sanftmütig zu den Bürgern und zu einander. Es muß ihnen als schändlich gelten, sich miteinander oder mit den übrigen Bürgern zu verfeinden; die Freundschaft aller Staatsgenossen müssen sie aufs höchste achten. Daher müssen sie wahrhaftig sein, gegen die ihrigen ohne Falsch und ohne Hochmut. Sie müssen gehorchen und sich selbst beherrschen können. Standhaft in jeder Gefahr, gefaßt in jedem Ungemach. Frei von Todesfurcht. Die Knechtschaft scheuen, nicht den Tod. ' Den Verlust des Sohnes, des Bruders gleichmütig ertragen. Frei von Habsucht, unbestechlich. Mäßig in den Freuden des Mahles, des Trunkes, der Liebe — wie könnten sie sonst ihre Pflicht erfüllen? Wahrlich, Weisheitsliebende allein sind dieses Berufes würdig! 11. Damit dem Staate Männer heranwachsen, die des Hüterdienstes würdig sind, muß man den Kindern eine Erziehung geben, welche Leib und Seele harmonisch ausbildet.
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Aber auch die Leibesübung hat es eher darauf abzusehen, die Seele, den Mut zu stählen, als die Körperkraft zu steigern. Ein Kriegsmann ist etwas anderes als ein Ringkämpfer. Die tüchtige Seele schafft sich einen tüchtigen Leib. Poesie und Musik sind die wichtigsten Mittel der Erziehung. Kraft des Rhythmus und der Harmonie dringen sie am leichtesten in die Seele ein und ergreifen sie am stärksten. Aber eben weil sie solche Macht über die Seele haben, ist peinlich darauf zu achten, daß die Künste der empfänglichen Kinderseele keine verderblichen Vorstellungen einprägen. Dichtungen, welche die Gottheit als rachsüchtig, als Urheber des Bösen darstellen, von den Schrecken der Unterwelt erzählen, solche Männer als Helden preisen, die ihr Leben in ewiger Fehde, von Habgier getrieben vollbrachten, — Dichtungen und Melodien, welche sinnlich und weichlich machen, Kunstwerke, die das Zuchtlose, Niedrige darstellen, — sind zu entfernen, zu verbieten. 12. Die Tüchtigsten der Hüter sind zu Befehlshabern des Heeres und zu Leitern des Staates zu bestimmen; diejenigen nämlich, die nicht nur an Einsicht und Fähigkeit die andern übertreffen, sondern auch den unerschütterlichen Willen beweisen, über das Wohl des Staates zu wachen. Die den Staat lieben, das heißt: ihr Wohl nur in seinem Wohl suchen. Wie Gold im Feuer, muß ihr Leben von Kindheit geprüft werden, ob sie weder Lust noch Schmerz berücken, Gewalt zwingen, Furcht betören, List täuschen und von dem verleiten konnte, was für den Staat am besten ist. Im Kindes-, Jünglings- und Mannesalter sind sie durch alle Gefahren zu erproben. Nur wer niemals das Beste des Staates vergaß, ist würdig, sein Gebieter zu werden. Die so Auserwählten sind eigentlich und im vollen Sinne des Wortes die Hüter des Staates, sowohl den auswärtigen Feinden wie den heimischen Genossen gegenüber, damit weder diese noch jene dem Staat schaden können. Die übrigen Hüter sind ihre Helfer zur Ausführung ihrer Gebote. Aber die Gebieter, die Wehrmänner und die Werkleute, alle müssen von dem
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Gefühl durchdrungen sein, daß es nur die Verschiedenheit der angeborenen Naturanlage ist, die ihnen verschiedene Tätigkeit zum Besten der Gesamtheit anweist, und daß sie nichtsdestoweniger gleiche Söhne des Staates, Brüder sind. Die erste und schwerste Pflicht der Gebieter ist, darüber zu wachen, daß in ihre eigene Reihe kein Unwürdiger gelange. Denn wenn da gefehlt wird, geht der Staat unter. Da sich Tugenden nicht immer vererben, müssen die Gebieter ihre eigenen Kinder, die des Hüteramtes unfähig sind, ohne Nachsicht unter die Werkleute einreihen, hingegen den begabten Sohn eines Bauern oder Handwerkers in den Stand der Gebieter und Hüter erheben. 13. Das ist die größte Gefahr für eine Herde, wenn die Hunde, die sie schützen sollten, zu Wölfen werden und selbst die Schafe angreifen. So für den Staat: wenn die Hüter sich zu Herren der anderen Genossen aufwerfen. Um davor zu bewahren, ist wohl die richtige Erziehung und Auswahl das kräftigste Mittel. Aber auch die ganze Lebensweise der Hüter muß so eingerichtet werden, um darin einen Damm gegen diese größte Gefahr aufzurichten. Also darf keiner eigenes Vermögen besitzen. Ihren Unterhalt, in dem Maße wie er Kriegsmännern geziemt, haben sie von den übrigen Bürgern als Lohn zu empfangen. Gemeinsam sollen sie speisen zu Hause wie im Felde. Ihre Wohnung sei derart, daß jeder Bürger freien Zutritt habe, um ihre Lebensführung zu beobachten. Gold und Silber dürfen sie nicht einmal berühren. Nur so werden sie und der Staat wohlbehalten bleiben. Wenn sie aber eigenes Land, Haus und Geld besitzen, werden aus Beschützern gehässige und gehaßte Herren der übrigen Bürger. Diese innere Feindschaft ist dem Staate gefährlicher als jede auswärtige, und der Staat geht an ihr unaufhaltsam zu Grunde. Man könnte entgegnen: bei solcher Lebensweise sei es nicht weit her mit dem Glücke dieser Männer, die doch eigentlich den ganzen Staat in ihrer Macht hätten. — Und doch ist es gar nicht unmöglich, daß sie eben bei dieser Lebensweise sich am glücklichsten fühlen. Aber die Ver-
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fassung hat es auch nicht auf das Glück eines bevorzugten Standes, sondern auf das Glück der ganzen Gemeinde abzusehen. Wenn die Hüter echte Hüter sein sollen, kann ihnen kein anderes Glück zuteil werden. In ihrem Berufe müssen sie vollkommen sein, wie auch der Bauer und der Töpfer. Auch den Werkleuten ist Reichtum wie Armut gleich verderblich. Üppigkeit macht faul, Not verkümmert, beides reizt zum Aufruhr. Reichtum und Armut sind Feinde des Staates. Die Hüter sollen es verhüten, daß diese Feinde eindringen. Ein Staat, in dem es Reiche und Arme gibt, hat damit aufgehört ein Staat, eine Gemeinschaft zu sein, er wird zu zwei oder mehr Haufen, die feindlich einander gegenüber stehen. Man soll auch den Staat nicht weiter vergrößern, als es sich mit der Einheit verträgt. Nicht groß, nicht reich, aber durch seine Verfassung tüchtig und einig, wird er standhalten gegen Feinde, die groß und reich, aber entartet und zwieträchtig sind. 14. An einem Großen müssen die Gebieter festhalten, das ist die Erziehung. Sie ist des Staates fester Grund, der durch sich selbst erstarkt. Unablässig gilt es darüber zu wachen, daß sich in die gymnastische und musische Bildung keine ungehörige Neuerung einschleiche. Man ändert die Tonweisen nicht, ohne daß die wichtigsten Gesetze in Mitleidenschaft gezogen würden. Als bloße Ergötzlichkeit sieht man die Sache an, aber Schritt für Schritt dringt neue Gesinnung in Handel und Wandel, Sitte, Gesetze, Verfassung ein. Das Grundgesetz des Staates sei: treffliche Menschen heranzubilden, die noch trefflichere Nachkommen zeugen. Die werden in allem übrigen mit sicherem Blick das Gute treffen. Wenn man an diesem Grundgesetz festhält, bedarf man nicht der Unmenge kleinlicher Satzungen, wie man sie heutzutage zahllos aufrichtet und ohne Ende und vergeblich ausbessert. Wie sieche Wüstlinge an sich herumkurieren, täglich eine neue Arznei, ein neues Amulett versuchen, aber den, der ihnen sagt, daß sie ihre Lebensweise
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ändern müssen, als Feind ansehen, — so sind die Staaten von heute mit ihrer jämmerlichen Gesetzgebung und Verwaltung, mit ihrer grundschlechten, aber bei Todesstrafe heilig gehaltenen Verfassung. Ein echter Staatsmann gibt sich mit derartiger Gesetzgebung und Verwaltung überhaupt nicht ab, weder in einem schlechten noch im wohlgeordneten Staatswesen: dort ist es nutzlos, hier überflüssig. 15. Die Verfassung, die wir entworfen haben, ist würdig, gut genannt zu werden. Ein Mensch ist gut, wenn er weise, tapfer, besonnen und gerecht ist. So ist auch dieser Staat. Weise, das heißt wissend, muß wohl jeder Bürger in seinem Berufe sein, aber vor allem jene kleine Zahl, die das Steuer des Staates lenkt, — ihr Wissen macht den Staat weise. Tapferkeit kommt den Wehrmännern zu, es ist ihre Weisheit, zu wissen, gemäß den Grundsätzen, welche ihnen die Erziehung eingeprägt hat, was sie fürchten und was sie nicht fürchten sollen, und darauf beharren unter allen Umständen, Schrecknissen und Lockungen. Das ist Tapferkeit. Besonnen müssen alle Bürger sein, besonnen ist der Mensch, wenn er sich selbst beherrscht, besonnen der Staat, wenn sich alle Bürger weisen Gebietern willig fügen. Und nun, worin besteht die Gerechtigkeit? Sie ist das Grundprinzip selbst, worauf diese Verfassung gegründet ist und wodurch die Weisheit, Tapferkeit und Besonnenheit des Staates zustande kam, nämlich: daß jeder Einzelne den ihm eigenen, naturgemäßen Beruf erfüllt, d a s Seinige tut, und dem andern läßt, was der natürlichen Begabung zufolge ihm zukommt. Wenn sich einer, der zum Schuster oder Kesselflicker taugte, das Herrscheramt aneignet, vermöge seines Reichtums oder Anhangs, — das ist das Verderben des Staates. Wenn sich in die verschiedenen Berufe Unfähige eindrängen, in ihrem Eigendünkel sich in alles einmischen, und so die Fähigen verdrängt werden, nicht jeder den Lebensberuf hat, der seiner Natur gemäß ist, — das ist das große Unrecht, die Ungerechtigkeit im großen, im Staate. 16. In der Seele (des Einzelnen) sind auch drei Stände
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— (woher kämen sie sonst in den Staat?) — sie heißen: die Vernunft, der Eifer und die Begierden. Wenn die Vernunft den Eifer und die Begierden lenkt, dann ist der Mensch weise, tapfer, besonnen, — die Seele ist in Ordnung, ruhig, harmonisch, einig, — gesund. Diese Gesundheit der Seele ist die Tugend, die Gerechtigkeit, im Innern des Menschen. Wenn aber diese Elemente in Zwietracht sind, der Eifer die Vernunft überwältigt, die Begierden den Menschen zügellos hinreißen, — wenn also jener Teil die Herrschaft erlangt oder zu erlangen strebt, der nicht dazu berufen ist, dann handelt der Mensch unvernünftig, feige, roh, zuchtlos, — die Seele ist zerrüttet, krank. Das ist die Ungerechtigkeit, im Innern. Gesund, schön und kraftvoll ist die gerechte Seele; krank, schwach und häßlich die ungerechte. Gerecht sind solche Handlungen, welche die Gesundheit der Seele fördern; ungerecht die, welche den Einklang der Seele zerstören, wie eine körperliche Krankheit die Ordnung des Leibes zerstört. Braucht man da noch weiter zu erörtern, ob es nützlich sei, gerecht zu handeln, ob es schädlich sei, ungerecht zu sein? Wem die Seele krank ist, kann der glücklich sein, wenngleich niemand um seine Krankheit wüßte? 17. Zu einer guten Verfassung ist die richtige Regelung des Geschlechtsverkehrs und der Kindererzeugung nötig. Viel, vielleicht alles hängt davon ab. Ein Staat, der die von uns geplante Verfassung annimmt, kann und wird das Sprichwort: „unter Freunden ist alles gemeinsam" auch in bezug auf Weib und Kind verwirklichen. Ob dies möglich und das Beste sei, wollen wir gründlich untersuchen. Denn Mord ist kein so schweres Verbrechen, wie die Menschen darüber zu täuschen, was in dieser Beziehung recht und gcrecht sei. Das Ungewöhnliche soll uns nicht abschrecken, auch der Spott der Witzbolde nicht. Vieles galt vor kurzem noch für lächerlich, was heute Sitte ist bei allen Hellenen, — die Barbaren aber lachen noch darüber. Ein Tor der, welcher anderes für lächerlich ansieht als das Unvernünftige und Schlechte.
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Es gilt vor allem einzusehen, daß es kein Geschäft gibt, das dem Manne als Mann, dem Weibe als Weib zukäme. Der Unterschied, daß der Mann zeugt, die Frau gebiert, betrifft die anderen Gaben nicht, welche die Natur unter beiden Geschlechtern verteilt hat. Unser Grundsatz, daß gleichen Naturen gleiche, verschiedenen verschiedene Tätigkeit zuzuweisen ist, jedem nach seiner Veranlagung, gebietet die Verwendung der Frau in allen Berufen, — nur unter Rücksichtnahme darauf, daß sie schwächer ist. Auch den Dienst der Hüter, Krieger haben die Frauen mit den Männern zu teilen. Wer wollte bestreiten, daß es kriegerische Frauen gibt? Aus dem Gesagten folgt, daß den Frauen dieselbe gymnastische und musische Erziehung zu geben ist wie den Männern. Kein Zweifel, daß das zum Wohle des Staates gereichen wird. Wie unsere Hüter durch die Erziehung bessere Männer geworden sind, so werden auch die Frauen trefflicher werden. Gibt es einen größeren Segen für den Staat, als daß Bürger und Bürgerinnen alle so trefflich wie nur möglich sind? Unsere Hüterinnen werden also die Lebensweise der Hüter teilen. Gemeinsame Erziehung, gemeinsame Übungen und Mahlzeiten: bald knüpft Liebe ihre Bande. Wie die Hüter kein Land, kein Haus zu eigen haben, so werden sie auch keine eigene Frau heimführen. Das will bei weitem nicht heißen, daß sie sich regellos vermischen. Es vertrüge sich ganz und gar nicht mit dem Ziel unserer Verfassung: möglichst treffliche Bürger zu erhalten, ein edles Menschengeschlecht aufzuziehen. Wer Vögel, Hunde, Pferde züchtet, paart die besten und im kräftigsten Alter stehenden. Die höchste und heikelste Aufgabe der Gebieter unseres Staates ist die Veredelung des Menschengeschlechtes. Also keine regellose Vermischung: im Gegenteil: heilige — für den Staat heilsame — Hochzeitsfeste sind zu veranstalten, um die zusammenzuführen, von denen die besten Nachkommen zu erwarten sind. Dies so zu vollbringen, als ob es göttlicher Zufall sei, daß keine Erbitterung, Zwietracht entstehe, ist
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iürwahr der Gipfel der Regierungskunst. Die Zahl der Vermählungen haben die Gebieter so zu bestimmen, daß mit Rücksicht auf Kriege und Krankheiten die Anzahl der Bürger womöglich auf gleicher Höhe bleibe, damit der Staat weder das rechte Maß überschreite, noch dahinter zurückbleibe. Neben anderen Ehrengaben wird auch die Erlaubnis häufigeren Beischlafes ein Preis der Tüchtigen sein, zugleich ein schicklicher Vorwand, daß von ihnen mehr Kinder dem Staate gezeugt werden als von anderen. Und nur in der Zeit der Vollkraft darf man Kinder zeugen, Männer im Alter vom dreißigsten bis fünfundfünfzigsten, Frauen im zwanzigsten bis vierzigsten Jahr. Die Kinder gehören allen gemeinsam. Kein Vater, keine Mutter kennt das eigene Kind, denn die Neugeborenen werden in Säuglingsheime gebracht und von den Müttern und Ammen gemeinsam gestillt und gewartet. Alle, die sich während des siebenten bis zehnten Monates vor der Geburt dieser Kinder vermählt haben, sind ihre Väter und Mütter. Alle, die im Laufe der Zeit geboren wurden, in welcher ihre Väter und Mütter gezeugt haben, sind Geschwister. Die Erziehung sorgt dafür, daß es nicht bloß beim Namen bleibe, sondern die entsprechenden Gefühle der Achtung, der Fürsorge, des Mitgefühls alle Glieder des Staates vereinigen. 18. Gemeinsame Freude und gemeinsames Leid verbinden am stärksten die Menschen und nichts trennt sie eher, als wenn dasselbe den einen erfreut, den andern betrübt. So werden sie durch die Worte „mein" und „nicht mein" notwendigerweise entzweit, denn jeder ist nur um das Seine, die Seinigen bekümmert. Es gibt aber kein größeres Übel für den Staat, als was ihn zerreißt, kein größeres Gut, als was ihn zu Einem macht. Dieses Gut wird dem Staate zuteil, wo jeder in jedem anderen seinen Vater oder seine Mutter, seinen Bruder oder seine Schwester, seinen Sohn oder seine Tochter sieht, und alle „die Seinigen" sind. Von jedem mag er sagen: dem Meinigen geht es wohl, oder dem Meinigen geht es schlecht. So teilen sie .Leid und Freud am meisten miteinander. Wie die Wunde:
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des kleinen Fingers dem ganzen Menschen weh tut, so fühlt der ganze Staat Lust und Leid jedes einzelnen mit — wie ein Körper. Keine Rechtshändel um Mein und Dein, kein Kummer des täglichen Erwerbes wegen, keine Sorge um die Erziehung der Kinder, keine Kriecherei der Armen vor den Reichen. Wahrlich, das Glück unserer besitzlosen Hüter ist nicht so armselig wie es scheinen möchte. In anderen Staaten gibt es Herren und Knechte, hier Beschützer und Ernährer. Wahrer Friede herrscht in diesem Staat, und wenn ein Feind ihn anzugreifen wagte, sind es Brüder, Väter und Söhne, ja auch ihre Frauen, Mütter und Schwestern, die Schulter an Schulter kämpfen, unüberwindlich. 19. Wie könnten die Staaten von heute in jene Verfassung hinübergeleitet werden, die wir als Musterbild entworfen haben? Eine einzige Veränderung, die zwar nicht leicht, aber keineswegs unmöglich ist, könnte diesen Wandel herbeiführen: wenn die Philosophen Könige, oder die Könige Philosophen würden. Wenn politische Macht und Liebe zur Weisheit sich vereinten. Solange aber Politik und Philosophie so weit von einander entfernt sind wie heute, hat das Unheil kein Ende. Wie! — rufen die Politiker von heute — den Philosophen, diesen verschrobenen, zu jeder praktischen Tätigkeit untauglichen Leuten sollte man das Steuer des Staates anvertrauen?! Sie lachen über diese Zumutung und das Publikum lacht mit. Kein Wunder, daß man von den Philosophen solche JWeinung hegt. Es ist begreiflich, daß das edelste Lebenswerk in keiner Achtung stehen kann bei Leuten, die gerade das Gegenteil als Lebensziel verfolgen. Die Politiker haben auch insofern Recht, daß zu dem, was s i e unter Staatskunst verstehen, die Philosophen wirklich nicht taugen, — sie geben sich auch nicht her dazu. Aber auch der größte Teil der angeblichen Philosophen ist mitschuldig, daß die Philosophie so in Verruf geraten ist. Wer ist Philosoph im wahren Sinne des Wortes? Philosophie ist Liebe zur Weisheit. Liebe ist volle Hingebung.•
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Weisheit bedeutet Wissen, Erkenntnis des Wahren. Wahr ist das wirklich Seiende, das Bleibende in den wechselvollen Erscheinungen. Andere lieben schöne Frauen, schöne Farben, schöne Melodien, — das Schöne selbst, das Wesen des Schönen in allen seinen Gestalten zu erkennen, ist die Liebe, die Sehnsucht des philosophisch Veranlagten. Ebenso will er das Wesen des Guten, des Gerechten erschauen, in den mannigfachen Gesetzen und Einrichtungen das Wesen des Staates und seines Rechtes erfassen. Nur ein solches Wissen ist wahre Rechts- und Staatswissenschaft. Wer das Urbild des Gerechten nicht in der eigenen Seele trägt, tappt wie ein Blinder im Gewühl der vielen Gesetze. — Wer also die Wahrheit liebt, haßt die Lüge, ist ohne Falsch. Da alle seine Begierden nach dem Ziele der Erkenntnis strömen, ist er der Sinnlichkeit abgewandt. Das Ganze und Ewige schauend, ist er frei von allem Kleinlichen, von Habsucht, Eitelkeit, Neid, Gehässigkeit. Er ist frei von Todesfurcht. Nichts Großes dünkt ihn sein Leben. Er ist hochherzig, freundlich, verträglich, gerecht. Das Schöne liebend, liebt er das Maß. Wißbegier, Gedächtnisstärke, Wahrheitsliebe, Hochherzigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit, Anmut und Gerechtigkeit sind die Merkmale der philosophischen Naturanlage des Jünglings. Wenn diese Erziehung und Alter vollendet, wird er nicht zum tüchtigen Staatsmann heranreifen? Sind nicht solche Charaktere die einzigen, denen man die Leitung des Staates anvertrauen darf? Offenbar ist eine solche Naturanlage ganz selten. Und die wenigen derart Begabten sind unter den jetzigen staatlichen Verhältnissen so viel Gefahren ausgesetzt, daß es wahrlich nur einem besonderen, göttlichen Geschick zu verdanken ist, wenn überhaupt Einer sich rettet. Je edler ein Gewächs, ein Tier ist, umsomehr bedarf es des entsprechenden Bodens, der geeigneten Nahrung, und fehlen ihm diese, so verkümmert es viel eher, als ein gemeines Geschöpf. So werden diese reich begabten Naturen bei einer schlechten Erziehung am meisten verdorben, aus ihnen werden die Erzbösewichte. Eine schwache Natur
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kann nie Großes hervorbringen, weder im Guten noch im Bösen. Der verderblichste Erzieher aber ist die öffentliche Meinung, das Urteil der Menge über das, was schön und gut sei, ihr Lob und Tadel, wie sie sich im Theater und in Volksversammlungen donnernd kundgeben, — wer könnte ihrer überwältigenden Wirkung widerstehen, geschweige denn entgegenwirken! Zu diesem großen Sophisten gesellen sich die kleinen, welche den Äberwitz der Menge als Weisheit preisen und um Geld lehren. Die guten Ratschläge der Verwandten und Freunde ähnlichen Sinnes vollenden die Verführung. Ist der begabte Jüngling auch noch reich, schön, stark — umso rascher sein Verderben. Alle Fähigkeiten, aus denen die philosophische Natur sich zusammensetzt, wirken in verkehrter Richtung, und aus solchen Jünglingen werden die Männer, welche Einzelnen und Staaten das meiste Leid bereiten. Statt der größten Wohltäter, die größten Übeltäter. Verschwindend klein ist die Zahl derer, die ihrer natürlichen Anlage gemäß der Philosophie sich widmen und ihr treu bleiben. Diese sehen das tolle Treiben der Menge, sie sehen wohl, wie in den öffentlichen Angelegenheiten kein einziger etwas Gesundes zu schaffen versteht, aber sie sehen auch, daß sie keine Bundesgenossen finden, mit denen sie zum Schutze des Guten und Gerechten ausziehen könnten, — es wäre ein nutzloser Versuch, an dem nur sie selbst zu Grunde gingen. Sie fühlen sich wie unter wilden Tieren, ziehen sich zurück und beschränken sich darauf, ihr eigenes Leben ohne Ungerechtigkeit zu vollenden, — ohne daß sie sich ganz entfalten und zum Wohle der Menschheit das Große vollbringen konnten, wozu sie fähig gewesen wären in einem ihrer würdigen Gemeinwesen. Unter den jetzigen Staaten ist keiner, der den Forderungen einer philosophischen Natur entspräche, sie verliert ihre eigenartige Kraft, wie ein ausländischer Same im fremden Boden. An die Philosophie aber drängen sich, um ihres Ansehens willen, kleinliche Seelen, und zeugen mit ihr Ge-
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dankenkrüppel, welche die Philosophie in Verruf bringen. Kein Wunder, daB die meisten es nicht glauben wollen, daß die Philosophen die berufenen Herrscher der Staaten sind, — denn sie haben noch nie einen wahren Philosophen gesehen. Kein Staat, ja kein einziger Mensch kann sich vollkommen entwickeln, bis nicht durch eine glückliche Fügung jene wenigen wahren Philosophen die Leitung der Staaten übernehmen, die Staaten sich ihnen unterordnen, oder die Könige und Königssöhne durch göttliche Eingebung von wahrer Weisheitsliebe beseelt werden. Beides ist möglich. Die Menge läßt sich eines Besseren belehren, und wenn sie erkannt hat, was Philosophie, wer Philosoph ist, wird sie auch einsehen, daß nur solche Männer das Reich der Gerechtigkeit aufrichten können, die es vorerst in der eigenen Seele fest begründet haben, — und dann wird sie sich ihrer Leitung willig fügen. Auch das kann im Laufe der unendlichen Zeit vorkommen, daß Fürsten philosophisch begabt sind und trotz ihrer Macht nicht der sittlichen Verderbnis anheimfallen. Wenn nun eine dieser Möglichkeiten eintritt, so werden die Philosophen-Herrscher oder Herrscher-Philosophen keine anders geartete Verfassung einrichten als die von uns beschriebene. Das ist ja der Kern unserer Verfassung — (um es nun gerade herauszusagen)—daß ihre „Hüter" Philosophen sind* 20. Wenn heute ein Philosoph sich entfaltet, so hat er sich wahrlich aus eigener Kraft t r o t z der staatlichen Einrichtungen entwickelt. In unserem Staate aber werden die fähigsten Jünglinge und Jungfrauen auserkoren, um sie zu Philosophen zu bilden. Man läßt ihnen eine höhere, über die allgemeine gymnastische und musische Erziehung hinausgehende, philosophische Bildung angedeihen, sie nachher im Heere und in verchiedenen Amtern viele Jahre, etwa bis zum 50. Lebensjahr praktisch betätigen, um ihnen die nötige Erfahrung zu geben, zugleich um sie zu erproben. Da ist es aber den Philosophen nicht gestattet, daß sie sich auf ihre Höhe schlechthin zurückziehen und sich nur der Engelmann,
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Betrachtung der Idee des Guten ganz hingeben. Es ist ihre Pflicht, zeitweise abwechselnd ins Tal der Wirklichkeit herabzusteigen, in der Leitung des Staates sich zu betätigen, um nach und nach das Leben aller der Idee des Schönen und Guten gemäß zu gestalten. Denn nicht um das Glück der Philosophen allein, um das Wohl aller ist's unserem Staate zu tun. Und eben dies, daß solche zum Herrschen berufen werden, welche einerseits die reifste Einsicht in die Grundlagen einer guten Staatsverfassung besitzen, anderseits auf das Herrschen gar nicht erpicht sind, vielmehr es nur als eine Pflicht ansehen, die sie einer schöneren Tätigkeit entzieht, — verbürgt die beste Verwaltung und den inneren Frieden unseres Staates. Wo sich Gierige und Hungrige um die Amter reißen, da hört der Krieg zwischen den Mitbewerbern, zwischen den Herrschenden und den Beherrschten nie auf. Die Regierung der Besten, das ist die Aristokratie im wahren Sinne des Wortes, ob nun Einer als Bester oder mehrere königliche Menschen das Herrscheramt ausüben. 21. Wenn heute ein echter Philosoph oder mehrere in irgend einem Staate zur Herrschaft gelangten, so müßten sie, um den Staat der Idee der Gerechtigkeit gemäß umzugestalten, die Kinder in Verwahrung nehmen, von den Erwachsenen entfernen und ihrer sittlichen Auschauungsweise vollends entrücken, und sie nach den eigenen richtigen Grundsätzen erziehen; auf diesem Wege ließe sich die vollkommene Verfassung, mit Gemeinschaft der Weiber, Kinder und des Besitzes einführen. 22. Würde eine solche aristokratische Verfassung, einmal begründet, für immer bestehen? Wenn nur das Geheimnis der Fruchtbarkeit und Vererbung sich der Weisheit unserer Hüter vollends offenbaren möchte! Daß sie mit Sicherheit vorausbestimmen könnten, aus welchen Zeugungen ein edler Nachwuchs entsprießen wird. Solange aber der eigentümliche Umlauf und Wechsel der Veredelung und Entartung des Geschlechtes nicht erkannt ist, wird es trotz aller Achtsamkeit bei den Ver-
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mählungen vorkommen, daß einmal eine minderwertige Generation entsteht, in der auch die Besten nicht dem Hüteramte gewachsen sind. Da wird die Sorgfalt für die Erziehung nachlassen und somit die Grundlage des Staates ins Wanken geraten. Da wird zwischen den besser und den schlechter Gearteten notwendigerweise Zwietracht entstehen ; sobald aber in einem Staate die Herrschenden in Zwietracht sind, steht der Umsturz der Verfassung bevor. Unsere Aristokratie wird nach und nach in jene Verfassungen umgewandelt, wie sie heutzutage bestehen. Es gibt deren vier besondere Arten: — (die übrigen sind Mischungen dieser!) — Timokratie, Oligarchie, Demokratie und Tyrannei. Wie die aristokratische Staatsverfassung der Seele eines gerechten Menschen gleicht, so entsprechen die anderen Verfassungsarten je einem anderen Charakter. Woher käme denn die Verschiedenheit der Staatsverfassungen, wenn nicht vom verschiedenen Charakter der Menschen? Wenn wir den Lebenslauf unseres in Gedanken gegründeten Staates weiterdenken von der Zeit ab, da er infolge Verschlechterung der Nachkommenschaft auf einen abschüssigen Weg geraten ist: so werden uns die anderen Verfassungsarten in Erscheinung treten. 23. Die Aufhebung der Gütergemeinschaft, die Einführung des Eigentums ist der erste Schritt auf dem Abweg unseres Staates. Wenn die Hüter nicht reich sind an Gütern der Seele, gieren sie nach anderem Reichtum. Sie verteilen untereinander das Land, machen es sich zu eigen, und erniedrigen die Genossen, die ehedem als freie Männer, als ihre Freunde und Ernährer unter ihrer Obhut standen, zu Landarbeitern und Knechten. Sie selbst beschäftigen sich mit Regierung und Kriegführung, aber nicht zum Wohl und Schutz ihrer Untertanen, sondern um ihre Habsucht zu befriedigen und mit den geraubten Schätzen in ihren eigenen Nestern allen Lüsten zu frönen. — Die Erziehung ist da hauptsächlich kriegerische Übung. Kriegstüchtigkeit, Tapferkeit und Schlauheit sind die höchsten Tugenden. Kriegerruhm die höchste 2*
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Ehre. Kriegerehrgeiz ist der wesentliche Zug dieser Verfassung, die wir deshalb timokratisch nannten. Ein solcher ist z. B. der lakedämonische Staat. Hab- und herrschsüchtig, ehrgeizig, kampflustig, gegen Untergeordnete hart, gegen Genossen willfährig, gegen Vorgesetzte unterwürfig — das ist der Typus des timokratischen Mannes. In seiner Seele herrscht nicht die Vernunft, sondern der eifernde, zornmütige Seelenteil, der nach Macht, Sieg, Ruhm strebt. Der timokratische Staat wird nicht von Philosophen, sondern von Kriegern regiert. 24. Aus dem ehrgeizigen Jüngling, der sich wenig aus dem Gelde macht, wird mit zunehmendem Älter ein Geizhals. Die timokratische Verfassung verwandelt sich allmählich in eine oligarchische, in welcher die Reichen herrschen, die Armen aus der Regierung ausgeschlossen sind. Die eigenen Schatzkammern sind es, die den timarchischen Staat verderben. Da keiner dem andern nachstehen will, jagen alle nach Reichtum. Je mehr man sich auf Gelderwerb wirft, um so geringer wird die Tugend gewertet. Reichtum und Tugend sind gleichwie zwei Schalen einer Wage, steigt die eine, sinkt die andere. Wo der Reichtum, die Reichen geehrt sind, werden die Tugend, die Guten gering geschätzt. Was aber jeweils in Achtung steht, wird geübt, das nicht Geachtete läßt man beiseite. So werden aus den ruhmsüchtigen Männern erwerbslustige, geldgierige, die den Reichen bewundern, den Armen mißachten. Es wird zum Gesetz, daß nur der an der Regierung teilnehmen kann, dessen Vermögen eine bestimmte Höhe erreicht. Je oligarchischer die Verfassung, umso höher wird dieser Betrag gesetzt. Es bedarf keiner Aufklärung, wie verkehrt der Grundsatz der oligarchischen Verfassung ist. Wer würde den Steuermann eines Schiffes nach Vermögen anstatt nach Fähigkeit und Kenntnissen wählen? Das gäbe eine schlimme Fahrt! Mit Waffengewalt und mit Schrecken wird die oligarchische Verfassung eingeführt und aufrechterhalten. Dieser. Staat ist nicht Einer, sondern es sind zwei, die stets im Anschlag gegeneinander liegen. Kriegsun-
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tüchtig ist die Oligarchie, da die Reichen sich scheuen, die Masse zu bewaffnen, und in ihrem Geize die nötigen Geldmittel nicht aufbringen wollen. Das größte Übel dieser Verfassung aber ist das freie Verfügungsrecht der Eigner über ihr Vermögen. Einer kann alle seine Habe verbringen, der andere kann grenzenlos erwerben. Einige werden fiberreich, die Menge verkommt. Unter den Reichen wie unter den Ärmen gibt es viele Drohnen, Schlemmer und Parasiten, auch gestachelte Drohnen: Schurken im Großen und im Kleinen. In der Seele des oligarchischen Mannes sind Vernunft und Mut Knechte der Habgier. Sein Sinn, Ehrgeiz und Eifer ist nur auf Geld gerichtet. Der Geiz unterdrückt in ihm die anderen Begierden. Des Geschäftes halber ist er auf guten Ruf bedacht. Bange für sein Vermögen, hält er sich vom Unrechttun zurück. Wo er aber Wehrlose ausbeuten kann, offenbart sich der Schelm. Von wahrer Tugend und Harmonie ist seine zwiespältige Seele weit entfernt. 25. Die unersättliche Habgier bringt die Oligarchie zum Sturz. Mit dem Jagen nach Reichtum ist eine maßvolle Lebensweise unvereinbar. Ein zuchtloser Lebenswandel greift um sich, dem die Regierenden keinen Einhalt gebieten, er kommt ja ihren Raubgeschäften zugute. Sie beschränken durchaus nicht die freie Verfügung über das Eigentum; ihr Ziel ist es ja, allen Besitz an sich zu reißen. Sie treiben, stoßen die noch Wohlhabenden in Armut. In wenigen Händen häuft sich der Reichtum; die Zahl der Armen, Verarmten, Beraubten wächst für und für, und in ihrer Seele wächst der Haß, und der Gedanke reift: nur der Feigheit der Ärmen verdanken jene Weichlinge ihren Reichtum und ihre Herrschaft. Ein geringer Anlaß entzündet die Revolution. Wenn die Ärmen siegen, wird ein Teil ihrer Gegner hingerichtet, der andere verbannt, Gleichheit und Freiheit werden verkündet: die Demokratie entsteht. Da haben alle gleiches Recht, an der Staatsverwaltung teilzunehmen. Die Obrigkeiten werden zumeist durch das Los bestimmt. Man fragt nicht danach: was tat er bisher, der sich jetzt an die Staatsgeschäfte heranmacht, — er ver-
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sichere nur, daß er es mit dem Volke gut meine. Jenen Leitgedanken unseres guten Staates, daß — abgesehen von außerordentlicher Begabung — keiner zum edlen Manne wird, der nicht schon als Knabe in seinen Spielen auf das Edle gelenkt wurde und in allem Tun und Lassen unermüdlich danach strebte, hält man hier für Kleinelei. Man zwingt auch keinen, ein Amt zu bekleiden, sei er noch so geschickt dazu. Man genießt die Freiheit in vollen Zügen. Die Obrigkeit, ihre Befehle, die Gesetze werden mißachtet. Jeder tut was er will, lebt wie er will. Die verschiedensten Lebensweisen, Sitten und Einrichtungen gibt es kunterbunt in dieser schönen Verfassung, — wie ein buntes Kleid, Kindern und Weibern gefällig. Ein übermütiger Jüngling, der sich bald dieser, bald jener Begierde zügellos hingibt, jetzt ergreift er ein Geschäft, dann will er den Staatsmann spielen, bald gelüstet es ihn, in den Krieg zu ziehen, bald auf der Bärenhaut liegend zu philosophieren, — und dieses Leben ohne Ordnung, Maß und Pflicht nennt er ein freies und seliges und von vielen wird der Jüngling als „Lebenskünstler'4 bewundert, — dieser Art ist der Charakter des demokratischen Staates. Da bekommt man immerzu von „Freiheit" und „Gleichheit" zu hören. Gleichheit nennen sie ein gleiches Maß für Gleiche und Ungleiche. Freiheit nennen sie die Ungebundenheit, die überall einreißt, in das Verhältnis der Geschlechter, der Kinder zu den Eltern, der Schüler zu den Lehrern, der Jungen zu den Alten, — so geht die Ehrfurcht verloren. Die Seele der Bürger wird so empfindsam, daß sie den geringsten Zwang nicht zu ertragen vermag. Bis das Übermaß der Freiheit in das Gegenteil umschlägt. Aus der Demokratie entsteht die Tyrannei. 26. In der Demokratie gibt das werktätige Volk den Ausschlag bei den Abstimmungen. Um das tägliche Brot jedoch bekümmert, macht es sich wenig mit den Staatsgeschäften zu schaffen. Auch die Reichen gehen ihren Geschäften und Lüsten nach, und die Verwaltung des Staates reißt jene dritte Schicht an sich, die wir schon in der Oligarchie vorfanden und Drohnen nannten. Im Freiheitsstaate
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entwickeln sie sich erst recht. Im oligarchischen Staat waren sie ehrlos, in der Demokratie ergreifen sie das Heft. Die Bestachelten sind die Anführer, sie haben das große Wort, die Stachellosen sind ihr Gefolge, das keine andere Meinung zu Wort kommen läßt. Denen aber ist's nur darum zu tun, daß sie die Klasse der Reichen wie eine Drohnenweide ausbeuten: ihr Vermögen rauben, etwas unter das Volk verteilen, das meiste für sich behalten. Sie bezichtigen die Reichen, daß sie oligarchischer Gesinnung, Feinde der Volksregierung sind, auf Umsturz sinnen, und hängen ihnen Hochverratsprozesse an. Die Reichen setzen sich zur Wehr;auch die ehedem keine Gegner der Volksregierung waren, werden es durch die ungerechte Verfolgung. Es ist des Volkes Art, unter seinen Führern Einen zu bevorzugen, zu hegen und groß zu machen. Wenn nun ein solcher die ihm ergebene Menge mit Reden von Ackerverteilung und Schulderlaß gegen die besitzendeKlasse aufgereizthat und sich nicht scheut Volksgenossen umbringen zu lassen, — so ist's sein Verhängnis, zum Tyrannen zu werden. Hat er einmal Menschenblut gekostet, wird er zum Wolf. Er bittet um eine Leibwache gegen Anschläge der Volksfeinde. Man gewährt sie dem Beschützer des Volkes. Seine Gegner werden hingerichtet, verbannt oder entfliehen. Hat er sich dann der Gegner entledigt, ist der Tyrann fertig. Anfangs ist er mild, verspricht viel, läßt Acker verteilen, zumeist an seinen Anhang, gewährt Schuldenerleichterung. Doch kaum ist Ruhe im Innern, zettelt er einen Krieg an. Damit das Volk seiner als eines Führers bedürfe. Damit es, in die Not des Krieges versunken, an seiner Herrschaft nicht rüttle. Damit er die ihm Verdächtigen ins Feld schicke, den Staat von hochherzigen, einsichtigen, Freiheit liebenden Männern „reinige". Das Volk, das er nicht zum Frieden kommen läßt, haßt ihn immer mehr. Umso größerer, ergebener Leibwache bedarf er. Vom Ausland kommen ihm Drohnen in Menge zugeflogen, — wenn nur der Lohn reicht. Er setzt die Sklaven in Freiheit, die werden seine Getreuesten. Um dieses Heer zu erhalten, konfisziert er Ver-
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mögen, zieht Tempelgüter ein, legt immer höhere Steuern dem Volke auf. Das Volk hat einen Unhold erzeugt und groß gezogen, der ihm das Blut aussaugt. Es wollte die Regierung freier Männer nicht ertragen, nun wird es von Knechten geknechtet. Eine elende Verfassung. Und wie sein Staat, so der Tyrann selbst. Man lasse sich nicht vom äußeren Gepränge blenden. Die Seele des Tyrannen wird von unersättlichen Begierden getrieben, voil unaufhörlicher Angst geplagt. Er wagt sich nicht aus seinem Hause — wie ein Gefangener. Schergen, Schranzen, Schelme sind seine „Freunde", er fürchtet sie und schmeichelt ihnen. Der grausame Herr kriecht vor seinen Sklaven. Heißhungrig, angstvoll, von Reue gequält, unfrei, ein Kriechender. Vollends ungerecht, vollends unglücklich.
II. Aristoteles:
Politik.
1. Wo sich mehrere vereinen, gibt es notwendigerweise Herrschende und Beherrschte. Die Natur scheidet von Geburt an die Menschen und bestimmt den einen zum Herrschen, den andern, beherrscht zu werden. Jenem ist Verstand und Einsicht gegeben, er ist zum Gebieter bestimmt; dieser hat Leibeskraft, Befehle auszuführen, ein geborener Knecht. Wie Mann und Weib auf einander gewiesen sind zur Fortpflanzung, so Herren- und Dienernaturen zur Erhaltung und Entfaltung des Lebens. In der Familie herrscht der Mann über Weib, Kinder und Sklaven. Das ist der urtümliche Verein. Die Familie erweitert sich zur Dorfgemeinde, die aus mehreren Familien gemeinsamer Abstammung besteht und vom Ältesten beherrscht wird. Mehrere Dorfgemeinden verbinden sich zum Staate. Der Staat ist ein Verein, der zur vollen Entfaltung des Menschenlebens sich selbst genügt. Sich selbst genügen ist Vollkommenheit. Also ist der Staat das Ziel, zu welchem jene früheren Vereine streben. Der Mensch ist von Natur zum staatlichen Leben bestimmt, ein politisches Wesen. Der einzelne Mensch allein genügt sich nicht. Wer nicht in Gemeinschaft mit anderen leben kann oder deren nicht bedarf, steht tiefer oder höher als ein Mensch, ist Tier oder Gott. Dem Menschen ist ein Trieb eingepflanzt, im Staatsverein zu leben. Die Herrschaft über einen Staat ist anderer Art, als die des Herren über seine Sklaven. Der Sklave ist ein beseeltes Werkzeug, notwendig, weil die Weberschiffe nicht
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von selbst weben, die Zitherschlegel nicht selber spielen können. Es ist nichts Großes, einen Sklaven als Sklaven zu benutzen. Die politische Herrschaft aber ist Herrschaft über seinesgleichen, über freie Menschen, — sie zum allgemeinen Wohle zu leiten, ist das würdigste Werk. Die Herrschaft im Staate karm ein Einzelner oder Einige oder die Mehrzahl führen. Königtum, Aristokratie, Politie nennen wir diese verschiedenen Verfassungen, wenn die Herrschaft zum allgemeinen Wohl geführt wird. Wenn sie aber entartet und nur den Vorteil der Herrschenden bezweckt, nennt man sie Tyrannis, Oligarchie, Demokratie. 2. Das Königtum ist wohl die älteste Regierungsform. Sein Vorbild ist die Herrschaft des Vaters über seine Kinder. Die Familien und Dorfgemeinden, aus denen sich die Staaten gebildet haben, werden von den Vätern und Altesten wie von Königen beherrscht. Darum heißt es auch, daß die Götter unter königlichem Regiment stehen, und Zeus wird Vater der Götter und Menschen genannt. Denn Gestalt und Leben der Götter formt der Mensch nach seinem Ebenbilde. Die Überlegenheit des reiferen Alters und die Liebe sind die Grundlagen der väterlichen Herrschaft, und gleichfalls der königlichen. Sie muß auf der persönlichen Überlegenheit des Königs beruhen. Wer an natürlichen Vorzügen die andern übertrifft, ist zum König berufen. Wenn ein ganzes Geschlecht hervorragt, so ist's ein königliches Geschlecht. Die Könige der heroischen Zeit waren Wohltäter des Volkes: sie haben den Staat gegründet, das Land erobert, das Volk aus der Knechtschaft befreit, oder die Künste des Friedens erfunden, — Taten, zu welchen nur Tugend und Kraft befähigen. Ihr Leben tat ihren Wert kund, demzufolge sie das Volk freiwillig zu Herrschern wählte, ja auch ihre Nachkommen zu Erben der königlichen Würde bestimmte, in der Hoffnung, daß, wie vom Menschen Mensch, vom Tiere Tier, so von Edlen nur Edle gezeugt werden, — was nicht immer der Fall ist. Das Königtum geht aus dem freien Willen der Beherrschten hervor und beruht auf ihrer Zustimmung. Sobald das Volk den Herrscher nicht will, ist er
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kein König mehr. Hin Tyrann freilich behauptet sich auch gegen den Willen des Volkes. Anders als das heroische Königtum ist die Monarchie barbarischer Völker in Asien, die eine sklavische Gesinnung haben, und sich eine despotische Herrschaft — wie die des Herrn über Knechte — gefallen lassen. Daß sie auf Gesetz und Herkommen beruht, unterscheidet sie von der Tyrannis und gibt ihr festeren Bestand. Die Könige der heroischen Zeit hatten den Oberbefehl im Kriege, sprachen Recht, verwalteten die inneren und auswärtigen Angelegenheiten der Gemeinschaft, und brachten (zum Teil) die Opfer dar. Ihre Befugnisse haben nach und nach abgenommen. Das spartanische Königtum ist lediglich ein lebenslängliches, erbliches Feldherrnamt: die Könige von Sparta haben nur im Kriege Macht, da sie das Heer befehligen und das Standrecht über Leben und Tod im Felde ausüben. Es gibt auch Alleinherrscher, die das Volk in der Zeit höchster Gefahr auf kurze Zeit wählt. Man nennt sie Diktatoren. So kann die Macht des Monarchen gesetzlich beschränkt oder unbeschränkt, befristet, lebenslänglich oder erblich sein. Königtum im vollen Sinne des Wortes ist es, wenn der König über alles Herr ist, alles nach seinem Willen tut, seine Herrschaft aber auf der Zustimmung des Volkes beruht. Die Tyrannis hingegen ist eine Alleinherrschaft, die Einer über Gleiche und Bessere lediglich zu seinem eigenen Vorteil und nicht zum Wohle der Beherrschten führt. Sie ist eine aufgezwungene, auf List und Gewalt, nicht auf die freie Zustimmung der Untertanen gegründete Herrschaft, — denn aus freien Stücken erträgt kein freier Mann eine solche Regierung. Heutzutage entstehen keine Königtümer mehr. Es gibt viele Gleiche, keinen so Vortrefflichen, dem sich das Volk freiwillig unterordnen würde. 3. Wo es eine Anzahl gleich trefflicher Männer gibt und diese gemeinsam regieren, entsteht eine Aristokratie. Die
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Regierung der Besten zum allgemeinen Besten. Die Herrschaft der geistig und sittlich, an Tugend und Bildung Vorzüglichen, die befähigt sind, das ganze Volk zu einem glücklichen, tugendhaften, schönen Leben zu leiten. Die Herrschaft der Berufenen. Wenn in einem Staate diese Herrschaft der Besten zwar nicht vollends verwirklicht ist, dennoch bei der Besetzung der Regierungsämter auf Tüchtigkeit, Tugend, innere Würdigkeit gesehen wird, so ist dies ein aristokratischer Zug der teilweise anders gearteten Verfassung. Die Oligarchie ist die Herrschaft der Reichen, zu ihrem Eigennutz. Nicht daß eine Minderheit herrscht, ist das Wesentliche der oligarchischen Verfassung, sondern daß die Reichen herrschen, — obzwar es überall zutrifft, daß der Reichen wenige, der Armen viele sind. Nur wer Vermögen besitzt, eine hohe Steuer zahlt, hat da politische Rechte, die Masse der Armen, also die Mehrzahl, hat keine. Es gibt verschiedene Abstufungen der Oligarchie. Wenn der Zensus noch mäßig ist, so ist ein großer Teil der politisch Berechtigten nicht vermögend genug, um sich sorglos den Staatsgeschäften zu widmen; es werden Magistrate gewählt, die den Gesetzen gemäß zu regieren haben. Je größer das erforderliche Vermögen, umso geringer die Zahl der Regierenden, umso größer ihre Macht, ihre Herrschsucht und Anmaßung. Die Regierungsämter werden erblich, und es entsteht eine der Tyrannis ähnliche Dgnastenherrschaft, es wird nicht nach Gesetzen, sondern nach Willkür regiert. 4. Die Politie ist eine Verfassung, wo die Volksmenge selbst den Staat zum allgemeinen Wohle verwaltet. Wo die Menge so tüchtig ist, daß sie zu regieren und zu gehorchen versteht, Gesetze zu schaffen, und die Amter aus dem Kreise der Reichen wie Armen nach Verdienst zu besetzen weiß. Demokratie ist die Herrschaft der Armen, zum Vorteil der Armen. Wie Tugend das Merkmal der Aristokratie, Reichtum der Oligarchie, so ist das Merkmal der demokratischen Verfassung die Gleichheit (der Freien). Alle Freien haben gleiche politische Rechte, und infolgedessen herrschen die
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Armen, denn sie sind die Mehrheit. Die Demokratie hat auch ihre Abstufungen. Es kann z. B. die Zulassung zu den Ämtern an einen niedrigen Zensus gebunden werden. Wenn auf solche Weise die Herrschaft bei der ackerbauenden, mäßig begüterten Klasse ist, die ihrer Arbeit nachgehen muß um zu leben, so werden nur die notwendigsten Volksversammlungen abgehalten und es wird nach Gesetzen regiert. Hingegen in Staaten, die sich weit über die Grenzen des ursprünglichen Gemeinwesens ausgedehnt haben und über große Einkünfte verfügen, verschafft sich die große arme Masse infolge ihres Übergewichtes nicht nur die gleiche Berechtigung aller zur Teilnahme an der Regierung, sondern auch Besoldung aus Staatsmitteln, so daß sie durch Erwerbssorgen unbehindert den Regierungsgeschäften obliegen kann, ja, die meiste Muße dazu hat. Da entsteht eine tyrannische Herrschaft der Menge, die sich nicht nach Gesetzen, sondern nach der jeweiligen Stimmenmehrheit der Volksversammlungen richtet. Demagogen kommen auf, in derselben Rolle und mit demselben Einfluß wie die Schranzen des Tyrannen. „Das Volk hat zu entscheiden!" ist ihr beständiges Geschrei, wobei es ihnen immer nur um ihre eigene Macht zu tun ist. Sie wissen, daß sie die Volksversammlung beherrschen, darum ziehen sie alles vor das Volk. 5. Der Gang der Entwicklung scheint dieser gewesen zu sein: Die anfänglichen kleinen Staatswesen lebten unter Königen, da tüchtige, treffliche Männer selten waren. Nachdem sich viele durch Tugend hervorragende Männer herangebildet hatten, entstanden Aristokratien und Politien. Die Habsucht hat diese in Oligarchien verwandelt: die durch Habsucht verdorbenen Bürger bereicherten sich aus den gemeinsamen Gütern und nach und nach konzentrierten sich Reichtum und Macht in immer wenigeren Händen. Die Oligarchie verwandelte sich dann in Tyrannis, und dagegen erhoben sich die durch das Wachstum der Staaten erstarkten Massen und errichteten die Demokratien. 6. Die Verfassung eines Staates kann Bestandteile ver-
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schiedener Verfassungsarten enthalten, und sich der einen oder andern mehr oder weniger annähern. So ist in der lakonischen Verfassung das Königtum ein monarchisches, der Rat der Alten (Geronten) ein oligarchisches Element, und das Ephorenamt ein demokratisches, denn die Ephoren werden aus dem Volke gewählt, und eben sie entscheiden über die wichtigsten Sachen, ja ihre Macht ist so groß, daß manche die Ephorie für Tyrannis halten. In der kretischen Verfassung, die wahrscheinlich das Vorbild der lakonischen war, haben die Kosmen dieselbe Gewalt, wie dort die Ephoren; da sie aber nicht aus allen gewählt werden, sondern nur aus einigen Geschlechtern, und auch der Rat der Alten aus gewesenen Kosmen besteht, entsteht ein Dynastenregiment. In der Verfassung der Karthager wird bei der Wahl der wichtigsten Magistrate: Könige und Feldherrn auf Tüchtigkeit und Reichtum gesehen, — dies ist teils aristokratisch, teils oligarchisch. Zur Demokratie neigt diese Verfassung, indem die Beschlüsse des Königs und des Rates der Alten, der Geronten, zur Entscheidung vor das Volk gebracht werden können. Hingegen ist es eine oligarchische Einrichtung, daß der Rat der Fünf, der einen .großen Wirkungskreis hat, nicht nur sich selbst ergänzt, sondern auch den Rat der Hundert, diese wichtigste Behörde, wählt. Auch Solon wird gelobt, er habe die Verfassung weise gemischt: der Rat des Areopag sei ein oligarchisches, die Besetzung der Ämter durch Wahl ein aristokratisches, das Volksgericht ein demokratisches Element. Er wird aber auch getadelt, daß er das durchs Los zusammentretende Volksgericht zum Herrn über alles gemacht habe, demzufolge man dem Volke wie einem Tyrannen den Hof machte, und jeder Demagog sich befliß, die Macht des Volkes zu vermehren. So hat Perikles den Rat auf dem Areopag geschwächt und die Besoldung der Richter eingeführt, und auf diese Weise kam es schließlich zur gegenwärtigen Demokratie. Dieser Gang der Dinge lag wohl nicht in Solons Absicht, sondern ist eher die Folge der Perserkriege, in welchen das Volk Mut und Selbstgefühl bekam, und dann Demagogen in die Hände geriet. Solon
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hat dem Volke nur das notwendigste Recht eingeräumt: sich seine Beamten zu wählen und sie zur Rechenschaft zu ziehen; — denn wenn es nicht einmal dieses Recht hat, ist es Knecht und Feind im Staate. Aber Solon ließ sämtliche Obrigkeiten aus vornehmen und wohlhabenden Leuten bestellen, nämlich aus den drei oberen Klassen, deren Einkommen 500 Scheffel betrug, oder die Gespann oder Reitpferd hatten. Aus der vierten Klasse der Lohnarbeiter konnte keiner ein Amt bekleiden. 7. Verfassung bedeutet also die Herrschaft, die oberste {Gewalt im Staate, ihre Inhaber, Verteilung und Ordnung, und den Zweck, den sie verfolgt. Die höchste Gewalt, die Herrschaft, liegt erstens im Beraten und Beschließen der allgemeinen Angelegenheiten (Krieg und Frieden, Bündnisse, Gesetze, Todesstrafe, Verbannung, Vermögenseinziehung, Wahl und Rechenschaft der Obrigkeiten), zweitens in den Behörden, welche befugt sind zu befehlen, d. h. in den Obrigkeiten, — Befehl ist das Kennzeichen der Obrigkeit —, und drittens im Gericht. Bürger im vollen Sinne des Wortes ist nur, wer an dieser Regierungsgewalt Anteil hat, nicht aber jeder Bewohner des Staatsgebiets. Daher ist der Bürger in jeder Verfassung ein anderer. In einer Demokratie ist Bürger, wer Stimme in der Volksversammlung hat und Mitglied des Volksgerichts sein kann. Wo es keine Volksversammlung und kein Volksgericht gibt, sondern Magistrate beraten und richten, da ist derjenige Bürger, der diese Amter bekleiden kann. Wer an den Ehrenämtern keinen Teil hat, ist, um Homers Wort zu gebrauchen: wie ein ehrloser Fremdling. Der Staat ist der Verein der Bürger unter einer Verfassung. Und der Staat ist eigentlich nicht mehr derselbe, wenn die Verfassung sich ändert. So wie eine Harmonie eine andere wird, wenn die Töne bleiben, aber ihre Verbindung sich ändert. — Wenn also aus der Tyrannis eine Demokratie geworden, hat der Staat die Anleihen, die der Tyrann aufgenommen hat, zu bezahlen? — Eine Frage, die schon manchen in Verlegenheit gebracht hat.
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Die Verschiedenheit der Verfassungen entspringt daraus, daß der Staat aus vielen ungleichen Menschen besteht, verschieden nach Vermögen, Abstammung, Fähigkeit, Bildung. Nicht die Staatsphilosophen von heute oder gestern haben es entdeckt, es ist eine alte Erkenntnis, daß das Volk in Klassen geschieden ist: Ackerbauer, Handwerker, Händler, Taglöhner, Seeleute, Krieger . . . Der letztgenannte Stand ist wahrlich nicht der geringste an Bedeutung. Kein Staat kann Bewaffnete entbehren. Mag ein König oder die Besten, die Reichen oder die Armen herrschen, die Herrschenden müssen über bewaffnete Macht verfügen, um den Gehorsam der Untertanen erzwingen und Angriffe von außen abwehren zu können. Ein Staat ohne Wehrstand würde dem ersten Angreifer zur Beute fallen, und ein Gemeinwesen, das sich so seiner Natur nach zur Knechtschaft schickte, verdient nicht den ehrendenNamen: Staat. Über die Verfassung und ihrenBestand aber entscheidet, wer über die Waffen verfügt. Als die Stärke der Kriegsmacht in der Reiterei bestand, was nur die Reichen leisten konnten, war die Verfassung oligarchisch. Das Fußvolk war noch nichts nutz, denn es fehlten die taktischen Kenntnisse, die Bevölkerung war gering und es gab noch keinen zahlreichen Mittelstand; das unorganisierte Volk ließ sich die Herrschaft eines kleinen Haufens gefallen. Als die Staaten größer wurden und das schwerbewaffnete Fußvolk Bedeutung gewann, wuchs auch die Zahl der Bürger, die an der Regierung teilnahmen, es entstanden Verfassungen unter der Herrschaft des Mittelstandes, Politien. Leichtbewaffnetes Fußvolk und Seeleute schließlich sind demokratische Waffengattungen. 8. Die Staatswissenschaft hat zu erforschen, welche die absolut beste Verfassung sei, die schlechthin zu wünschen wäre, wenn die Gunst der Umstände ihre Verwirklichung gestattete. Da es aber gar vielen unmöglich ist, das Beste zu erreichen, so muß der Staatsmann auch wissen, welche Verfassung für ein bestimmtes Volk unter gegebenen Umständen die beste sei. Er darf nicht außer acht lassen, daß die Staatskunst nicht die Menschen schafft, sondern sie von der Natur als
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spröden Stoff empfängt. Es gibt Menschen, die von Natur für ein sklavisches, andere, die für ein königliches Regiment, wiederum andere, die für ein freies, sich selbst regierendes Gemeinwesen veranlagt sind. Man kann nicht überall den Maßstab einer Tugend anlegen, welche über die Kräfte des gewöhnlichen Mannes geht, welche Begabung, Bildung und Mittel erfordert, die das Glück selten gewährt. Man muß ein Leben vor Äugen halten, wie es die meisten führen können, den Blick nicht nur auf das Beste, sondern auch auf das Mögliche, praktisch Durchführbare richten. — Eine Verfassung zu verbessern, ist übrigens kein kleineres Werk als eine neue zu gründen. Die Staatswissenschaft muß auch hierzu die Mittel weisen. Der Staatsmann muß es verstehen, einer vorhandenen Verfassung aufzuhelfen, eine politische Ordnung zu finden, die sich auf Grund der bestehenden Verhältnisse zunächst empfiehlt, für die er Verständnis, Einverständnis gewinnen kann. Er muß auch wissen, durch welche Mittel er einer Verfassung die längste Dauer sichern kann, er muß also die erhaltenden und zerstörenden Elemente der Verfassungen kennen. Denn nicht die Verfassung einrichten, sondern ihr Bestand verleihen ist das Schwere. Einen Tag oder zwei kann sich jede Verfassung halten, wie immer sie eingerichtet sei. Der Staatsmann muß auch die Einsicht haben, sowohl die besten Gesetze zu erkennen wie die, welche sich für eine gewisse Verfassung am meisten schicken. Denn die Gesetze: müssen sich nach der Verfassung richten und tun es auch insgemein. Denn die Verfassung bestimmt (wie gesagt) die herrschende Gewalt, ihre Verteilung unter den Obrigkeiten, und den Zweck, den die Regierung verfolgt, die Gesetze aber sind die Normen, nach welchen die Obrigkeiten regieren und den Untertanen die Widersetzlichkeit wehren. Dieselben Gesetze können nicht sowohl einer Oligarchie wie einer Demokratie förderlich sein, nicht einmal allen Oligarchien oder Demokratien, da es mehrere Arten beider gibt. 9. Man hat die Meinung geäußert, daß überhaupt keine Menschen, sondern nur Gesetze, weise verfaßte Gesetze Engelmann,
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regieren sollten. Denn das Gesetz ist ohne Leidenschaft, die an jedem Menschen notwendig haftet. Wer also sagt: das Gesetz soll herrschen, will scheinbar, daß die reine, begierdelose Vernunft herrsche, — wer aber sagt: Menschen sollen regieren, fügt das Tierische in uns hinzu: Begierden und Zorn, welche auch die besten Männer im Besitz der Regierungsgewalt verwirren. Aber auf diese Weise kann man die Verfassungsfrage nicht lösen. Es fragt sich eben: wie soll das Gesetz beschaffen sein? Oligarchisch? demokratisch? Soll es das Wohl der Besseren vor Augen halten oder das der Menge? Die Gesetze richten sich nach der Verfassung. Überdies können die allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes nicht jeden Einzelfall ergreifen, und so bleibt die Frage: wer soll entscheiden, wenn das Gesetz nicht entscheidet? Anderseits: obwohl die Gesetze nicht alles bis ins einzelne bestimmen können und es auch falsch wäre, wenn sich die Obrigkeiten immer an den Wortlaut des Gesetzes klammerten, so folgt daraus noch nicht, daß man gar keine Gesetze braucht. Mag einer oder mehrere herrschen, Gesetze sind notwendig und die Obrigkeiten haben nur darüber zu entscheiden, worüber das Gesetz keine genaue Bestimmung enthält, oder wo es das Richtige verfehlt hat. Eben die Schule des Gesetzes bildet die Fähigkeit es zu ergänzen und zu verbessern. Es berufen sich manche auf das Beispiel anderer Künste, so auf die Heilkunst: es sei besser, den Rat eines tüchtigen Arztes im betreffenden Fall zu holen und zu befolgen, als sich nach allgemeinen Heilvorschriften zu kurieren.. Aber während es gemeinhin nicht zu befürchten ist, daß der Arzt, der seinen Lohn erhält, wenn er den Kranken heilt, ihn aus Parteilichkeit, Bestechlichkeit falsch behandle, ist es bei den Staatsmännern nicht selten, daß sie nach Vorliebe und Abneigung entscheiden. Besonders auf die ungeschriebenen, durch Sitte und Herkommen begründeten Gesetze ist weit mehr Verlaß, als auf die Entscheidung eines Menschen. Manche behaupten sogar, daß es überhaupt schädlich sei, ein althergebrachtes Gesetz zu ändern, selbst dann, wenn sich ein besseres darbietet. Das ist wohl zu
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weit gegangen. In anderen Künsten war es von Nutzen, Herkömmliches zu verlassen. Nicht an das Alte, an das Gute soll man sich halten. Es wäre töricht, auf rohen, einfältigen oder gar widersinnigen Satzungen primitiver Menschen zu beharren. Auch die geschriebenen Gesetze können nicht unabänderlich festgesetzt werden. Immerhin ist bei der Veränderung der Gesetze Vorsicht geboten. Ist die Verbesserung von geringer Bedeutung, so lasse man lieber einige Fehler hingehen, denn es schadet mehr, daß man die Bürger an leichtes Aufheben der Gesetze gewöhnt. Die Achtung vor dem Gesetz verliert sich, der Gehorsam gegen die Obrigkeit gerät ins Schwanken. Das Beispiel der anderen Künste — worauf man sich beruft — ist falsch. Die Änderung in der Gesetzgebung ist nicht dasselbe wie in einer anderen Kunst. Denn die Kraft, die dem Gesetze Gehorsam verschafft, ist die Gewohnheit, und die braucht Zeit. 10. Wer soll herrschen? Eine schwierige Frage. Denn die Gewalt, die ein Tyrann oder die Reichen oder die Menge gegen die übrigen ausüben, weil sie die stärkeren sind, kann man nicht für gerecht halten. Das Gerechte aber ist das Gute, wonach der Staat zu streben hat. Was ist nun gerecht? Man sagt: Gleiches den Gleichen! Und auf dieses Schlagwort stützen sowohl die einen wie die anderen ihren Anspruch auf die Herrschaft. Die Menge ruft: wir sind alle frei geboren, gleiches Recht für alle! Die Oligarchen sagen: wir übertreffen euch an Reichtum, an Adel — (Reichtum und Tugend der Ahnen, im Geschlecht sich fortpflanzend, heißt Adel) — also sind wir ungleich, und es wäre ungerecht, euch dieselben Rechte einzuräumen wie uns. Beide sind zum Teil im Recht und glauben ganz Recht zu haben. Beide verfehlen das Gerechte, weil sie in eigener Sache urteilen. Jene glauben, weil sie in einer Beziehung gleich sind, auch im übrigen gleich zu sein, — diese wähnen, weil sie in einem Stück ungleich sind, es in allem vorauszuhaben. Jm Orchester gibt man die beste Flöte nicht dem Schönsten, Reichsten oder Größten, sondern dem, der am besten spielen kann. Wer schnell zu Fuße ist, mag auf dem gymnischen 3*
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Kampffeld die ihm gebührende Ehre beanspruchen. Wenn der Staat eine Handelsgesellschaft wäre, die des Erwerbes wegen sich vereint, dann wär's recht, daß jeder seinem Vermögen gemäß Anteil an der Staatsregierung habe. Der Staat ist auch nicht bloß eineKampfgenossenschaft zur Abwehr feindlicher Angriffe. Handelsverträge und Waffenbündnisse zwischen Tyrrhenern und Karthagern vereinen sie noch nicht zu einem Staat. Eine Vereinigung, um einander gegenseitig gegen Unrecht zu versichern oder um Ehen mit einander zu schließen, bildet noch keinen Staat. Bloßes Zusammenwohnen macht noch keinen Staat aus. All dies ist wohl notwendig zum Staate, und überdies noch Kultusvereine und gesellige Verbände, in denen man der Freundschaft pflegt, denn es gehört Freundschaft dazu, daß man sich entschließe in Gemeinschaft zu leben. Seinem Wesen nach ist jedoch der Staat die Vereinigung von Geschlechtern und Ortschaften zu einem vollkommenen Leben. Das ist Leben in Tugend. Wer hierzu das Meiste beiträgt, hat den meisten Anteil am Staate. Nicht die Größe des Grundbesitzes und der Steuern, — geistige und sittliche Kraft sollen maßgebend sein für den Anteil an der Regierung. 11. Soll also der Beste herrschen? Und volle Macht über alles haben? Wenn es aber im Staate mehrere treffliche Menschen gibt, sind nicht diese, wenn auch einzeln geringer» zusammen tüchtiger als der beste Monarch? Ein Gastmahl aus vielen Beiträgen kann doch besser sein, als wenn nur einer /die Kosten trägt. Wenig Wasser verdirbt eher als vieles; leicht überwältigt Einen die Leidenschaft, schwerer viele zugleich. Auch kann Einer nicht alles selbst verrichten; er wird sich Gehilfen nehmen, solche, die ihm freundlich gesinnt sind, und so andere an der Regierung teilnehmen lassen. Warum die Verfassung nicht gleich so einrichten? Es ist auch ungerecht, unnatürlich, daß einer über seinesgleichen lebenslänglich herrsche. Demnach wäre die Aristokratie dem Königtum vorzuziehen. Ist aber die Menge in ihrer Gesamtheit nicht noch
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tüchtiger als die wenigen Begabten? Sie hat nicht nur viele Hände und Füße und Sinne — auch ihr Verstand und ihre Urteilskraft ist vielfach: der eine erfaßt diese, der andere jene Seite, alle zusammen das Ganze. Es ist also möglich, daß die Menge zusammengenommen stärker, reicher, auch besser sei als die wenigen Guten. Nicht immer ist es der Fall: die Menge kann verknechtet, ja, tierisch sein. Immerhin ist es ungerecht und gefährlich, die große Masse des Volkes aus der Regierung, aus den Ämtern, welche Ehre verleihen, völlig auszuschließen. Die Besitz- und Ehrlosen sind Feinde des Staates. Da aber jene Tüchtigkeit der Menge nur in ihrer Gesamtheit, nicht im einzelnen gemeinen Mann vorhanden ist, war es richtig, daß Solon den einzelnen gemeinen Mann nicht zu den Ämtern zuließ, der Volksversammlung aber das Recht gab, die Beamten zu wählen und von ihnen Rechenschaft zu fordern. Man könnte zwar meinen, auch dieses Recht würde besser von Kundigen als von der Masse ausgeübt: die in der Schiffahrt Bescheid wissen, können den Steuermann richtig wählen, ein Ärzt kann den anderen treffend zur Veranwortung ziehen. Äber die Bewohner eines Hauses können sagen, ob es gut gebaut ist, und ob das Essen gut ist, sagen die Gäste. Im besten Staate, in der absolut guten Verfassung, werden alle Bürger abwechselnd regieren und gehorchen, immer den Gesetzen gemäß. Jeder sei fähig, und jedem sei es möglich, an der Regierung teilzunehmen, das ist das Gerechte, wonach der Staat zu streben hat. Denn sein Zweck ist: das Glück aller. Das Glück aber besteht in Tätigkeit, in schönen und guten Handlungen. Und erst im Wirken für das gemeine Wohl läßt sich die Tugend ganz entfalten. Wenn es aber im Staate einen Menschen gibt, der an Geist und Tugend, an politischer Einsicht und Tatkraft die andern so sehr übertrifft, daß sie mit ihm gar nicht verglichen werden können, ein solcher ist nicht mehr als ein Teil des Staates anzusehen. Das Gesetz ist für Menschen von ungefähr gleichem Schlage bestimmt. Dem Genie Gesetze vorschreiben zu wollen, ist ein lächerliches Unternehmen: er
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ist sich selbst Gesetz. In den heutigen Staaten werden solche Menschen beiseite geschafft: die Tyrannen und Oligarchen lassen sie aus dem Weg räumen, die Demokratien verbannen sie durch das Scherbengericht. Im besten Staate wird man einen solchen Menschen gewiß nicht ausstoßen, auch nicht über ihn herrschen wollen, sondern tun, was natürlich, schön und gerecht ist: ihm willig gehorchen. Er und die seinesgleichen sind Könige für immer. Unter Menschen aber, die einander ziemlich gleich sind, ist der Wechsel der Herrschaft das Schöne und Gerechte, und daß einer über seinesgleichen lebenslänglich herrsche, ist wider die Natur. 12. Könige wurden in der Regel von den besseren, wohlhabenden Bürgern aus ihrer Mitte gewählt, damit der König sie und ihren Besitz vor dem Volk beschütze, aber auch Gewalttätigkeiten gegen das Volk verhüte. Hingegen der Tyrann geht gewöhnlich aus der Reihe der Demagogen hervor, er wird vom gemeinen Volk erhoben als Anführer gegen die Reichen. Das königliche Regiment, da es auf die Würdigkeit des Königs gegründet ist, steht der Aristokratie nahe. Das Ziel des Königs ist das Gute und Schöne, des Tyrannen Lebenszweck ist Macht und Genuß. Könige streben nach Ehre, Tyrannen nach Geld. Auch der König muß neben seiner Tugend Macht, bewaffnete Macht haben, um den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Diese Macht muß so groß sein, daß sie jedem einzelnen und auch den Verbindungen mehrerer überlegen sei, jedoch schwächer als das gesamte Volk. Auch hierin zeigt sich der Unterschied zwischen König und Tyrann: dem König stellen die Bürger eine Leibwache, der Tyrann hält sich fremde Söldner gegen seine Untertanen. Das Königtum sollte erblich sein, wenn die Tugend erblich wäre. Es hat auch den Anschein, als ob die Königskinder eine besondere Herrschererziehung genießen würden: „Nicht eitel Glanz, nein, was der Staat bedarf!" (Euripides). In der Tat aber gelangen im erblichen Königtum auch verächtliche Subjekte zur Herrschaft und das führt zum Untergang der Monarchie. Die Hoffnung, daß der tugendhafte König — da er doch
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Herr über alles ist — einem minderwertigen Sohne die Herrschaft nicht übertragen wird, ist eitel, — ein solches Maß der Tugend geht über die Kräfte des Menschen. Es ist also lobenswert in der Verfassung der Karthager, daß die Könige nicht immer aus demselben Geschlecht genommen werden, und daß auch unter den Söhnen eines ausgezeichneten Geschlechts nicht das Älter entscheidet, sondern die Wahl nach der Tüchtigkeit getroffen wird. Denn Könige, da sie über Großes gesetzt sind, richten großen Schaden an, wenn sie untüchtig sind. In der lakonischen Verfassung ist die königliche Macht zwar erblich, aber zwischen zweien geteilt. Es heißt dort: Zwietracht der Könige gereiche zum Wohle des Staates. Diese Teilung der königlichen Gewalt hat viel zur Erhaltung des Königtums beigetragen. Theopompos hat die Macht der Könige noch mehr beschränkt, indem er ihnen die gewaltigen Ephoren zur Seite setzte. Als seine Frau ihm vorwarf: ob er sich nicht schäme, die königliche Macht seinen Kindern viel geringer zu hinterlassen, als er sie geerbt, gab er zur Antwort: ich hinterlasse sie dauerhafter. Fürwahr, durch Mäßigung der Macht wird das Königtum erhalten. Da werden die Herrscher nicht so leicht zu Despoten, sie leben mehr auf gleichem Fuß mit ihren Untertanen und sind ihrem Neide weniger ausgesetzt. Die aber das Königtum ohne Herrschertugend, das ist Güte und Einsicht, geerbt haben, regieren mit Übermut, setzen sich über die Schranken des Gesetzes hinweg und wollen despotisch herrschen, ohne die Machtmittel des Tyrannen zu besitzen : so wird ihr Sturz leicht. Auch Zwistigkeit in der königlichen Familie führt zu ihrem Verderben. Zwietracht der Machthaber bringt sie zum Sturz. 13. Die meisten Staaten sind Oligarchien oder Demokratien. Gleichwie Nord und Süd die zwei Hauptwinde sind. Der Gegensatz zwischen Reichen und Armen ist der bedeutsamste für die Verfassung. Adelige und Tugendhafte gibt es nur wenige, Reiche und Arme gibt es viele allerorten. Einer kann Bauer, Handwerker und Kriegsmann, auch Ratsmitglied und Richter sein in einer Person, — wie
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denn auch die meisten auf politische Tüchtigkeit Anspruch erheben und wähnen, sie könnten welches Amt immer verwalten; — aber einer kann nicht reich und arm sein zugleich. Reiche und Arme sind die zwei entgegengesetzten Hauptklassen der Bevölkerung und das Übergewicht der einen oder anderen entscheidet die Verfassung. Denn die Folge der Stürme und Kämpfe zwischen dem Volk und den Reichen ist immer die Gewaltherrschaft des Siegers, die er als Siegespreis hinnimmt, — eine oligarchische oder demokratische Verfassung, statt einer die auf Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit beruhen und das allgemeine Beste bezwecken würde. Nach Gleichheit strebt man ja überhaupt nicht mehr, man will herrschen oder unterwirft sich. 14. Der Unterschied zwischen Aristokratie und Oligarchie wird oft verkannt, weil da wie dort wenige herrschen und weil man die Wohlhabenden gemeinhin für die Gebildeten, sittlich höher stehenden, für die „besseren Leute" ansieht. Es scheint auch, als ob diejenigen, die schon im festen Besitz des Reichtums sind, um dessen Erlangung so viel Unrecht begangen wird, frei von diesem Stachel, zu einem rechtschaffenen Wandel neigten. Aber Selbstsucht und Habsucht der Reichen waren den Staaten von jeher verderblicher als die des Volkes. Den Namen Aristokratie führt gerechterweise nur ein Staat, in welchem die Obrigkeit aus den wahrhaft guten, aus durchaus tugendhaften Männern besteht. In der Aristokratie fällt der Begriff des guten Bürgers und des guten Menschen zusammen, während anderswo einer ein guter Bürger in Beziehung auf die Verfassung sein kann, ohne ein guter, ein edler Mensch im vollen Sinne des Wortes zu sein. Die Regierung der Besten bedeutet selbstverständlich Regierung zum allgemeinen Besten, eine Regierung, die sich das tugendhafte, würdige Leben aller zum Ziele setzt. Freilich muß ein solcher Staat gesetzlich wohlgeordnet sein: dies bedeutet einerseits die Trefflichkeit der Gesetze, andererseits den Gehorsam der Bürger gegen die Gesetze.
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Die Verfassung der Karthager ist nicht rein aristokratisch, da bei der Wahl der Obrigkeiten nicht bloß auf Tugend, sondern auch auf Reichtum gesehen wird. Ihre Meinung findet bei vielen Beifall, nämlich daß der unbemittelte Mann, der vor allem für seinen Lebensunterhalt zu sorgen hat, nicht imstande sei, ein Amt gut zu verwalten, da er sich nicht die gehörige Zeit dazu nehmen könne. Aber daran trägt der Gesetzgeber die Schuld: denn es gehört zum Notwendigsten, dafür zu sorgen, daß die Besten freie Zeit haben und sich nicht in unwürdiger Lage befinden, gleichviel ob sie beamtet sind oder nicht. Es ist ein folgenschweres Übel, wenn — wie in Karthago — die höchsten Amter käuflich sind. Ein solches Gesetz bringt den Reichtum zu höherem Ansehen als die Tüchtigkeit und verbreitet den Geist der Habsucht im ganzen Volke. Denn danach, was der Obrigkeit für wertvoll und ehrenhaft gilt, richtet sich die allgemeine Schätzung des Volkes. Und wo nicht die Tugend am höchsten geachtet wird, da werden einzelne aristokratische Einrichtungen der Verfassung nicht dauerhaft sein. Es liegt in der Natur der Sache, daß solche, die durch großen Kostenaufwand in ein Amt gelangen, daraus Gewinn ziehen wollen, und dies wird zur Gewohnheit. Die am besten zu regieren befähigt sind, die sollten regieren. Doch ist eine Aristokratie im vollen Sinne des Wortes in den meisten Staaten wohl kaum ausführbar. Es ist auch nicht zu vergessen, daß sie die Gerechtigkeit insofern verletzt, als nur wenige im Besitz der Ehrenämter sind. Dagegen lehnt sich das Volk auf. Besonders wo es Selbstgefühl hat und viele sich den Regierenden an Tugend gleich dünken. Dauernden Bestand kann nur die Verfassung haben, welche Gleichheit der Würdigkeit gemäß gewährt, und jedem zukommen läßt, was ihm gebührt. Die Aristokratie wird umso fester, je mehr sie sich zur Regierung der Gesamtheit, zur Politie neigt. Denn die Mehrzahl ist die stärkere und Gleichheit befriedigt das Volk. Deswegen mischt die lakonische Verfassung die Herrschaft der Tugend mit der Herrschaft des Volkes. Der Sitz im
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Rate der Alten (Geronten) ist Lohn der Tugend, verdienstvolle Männer haben darauf Anwartschaft, aber sie werden von der Volksversammlung gewählt, wie auch die Ephoren, welche selbst Leute aus dem Volke sind. Es ist aber ein Fehler, daß, wer des Gerontenamtes würdig erkannt werden soll, sich darum selbst zu bewerben hat. Wer zu einem Amte taugt, soll dazu bestellt werden, er mag wollen oder nicht. Es ist auch bedenklich, daß das Amt der Geronten lebenslänglich dauert, und also ihnen die Entscheidung der wichtigsten Staatsangelegenheiten auf Lebenszeit übertragen ist. Eine solche Stellung ist eine zu hohe Auszeichnung, ist übermäßige Belohnung des Verdienstes. Wie der Körper, so fällt auch der Geist der Altersschwäche anheitn. In der Tat erwiesen sich die Geronten vielfach als bestechlich und parteiisch ; die Vornehmen konnten tun, was sie wollten, und ihr unersättlicher Geiz raffte die Vermögen in immer weniger Hände zusammen, und so artete die lakonische Verfassung in eine Oligarchie aus. 15. Man kann vier Stufen der Oligarchie unterscheiden. Wenn das vorgeschriebene Vermögen, das zur Teilnahme an der Regierung befähigt, ein mäßiges ist, und jeder, der es erwirbt, in die Reihe der politisch Berechtigten tritt, so wird die Zahl dieser ziemlich groß sein, und da ihr Vermögen nicht so hoch ist, daß es ihnen sorglose Muße gestattete, um sich gänzlich den Regierungsgeschäften zu widmen, wird ihnen eine nach Gesetzen waltende Regierung erwünscht sein. Diese Oligarchie hält Maß, Gesetze herrschen, nicht die Personen. Wenn das erforderliche Vermögen größer, die Zahl der Machthaber kleiner wird, so wachsen mit dem Vermögen auch ihre Ansprüche, und sie nehmen es sich heraus, durch Wahl selbst zu bestimmen, wer in den Kreis der Regierenden, der Bürger neu aufgenommen werden soll. Aber auch auf dieser zweiten Stufe ist die Herrschaft durch Gesetze beschränkt. Die dritte Art der Oligarchie entsteht, wenn es zum Gesetz wird, daß der Sohn dem Vater im Amte folgt und also der ausschließliche Besitz der Regierungsämter in wenigen Geschlechtern erblich wird. Durch Reichtum und Anhang steigt
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die Macht einzelner Geschlechter noch höher, und die Oligarchie wird zur tyrannischen, gesetzlosen Dynastenherrschaft. Die Oligarchie kann allmählich, unvermerkt in eine Politie oder Demokratie übergehen, wenn der Zensus derselbe bleibt, während der allgemeine Wohlstand, in guten Zeiten, durch langen Frieden, so zugenommen hat, daß die meisten Bürger in den Besitz des vorgeschriebenen Vermögens gelangt sind. Dagegen empfiehlt es sich, jährlich, in größeren Staaten alle 3 bis 5 Jahre, den Gesamtbetrag der Steuer mit dem früheren zu vergleichen und den Zensus im selben Maße zu erhöhen. Umgekehrt, wenn der allgemeine Wohlstand gesunken ist, soll man den Zensus herabsetzen, um zu verhüten, daß die Verfassung in ein Dynastenregiment umschlage. Die oligarchischen Gesetzgeber pflegen gewisse Kunstgriffe anzuwenden, um die Herrschaft der Reichen zu verdecken, der Verfassung ein günstigeres Gesicht aufzusetzen. Sie verordnen z. B., daß jedermann das Recht hat, an der Volksversammlung teilzunehmen, aber die Reichen zahlen Strafe, wenn sie nicht erscheinen-, die andern zahlen keine. Ebenso beim Geschworenengericht. Ferner: die Vermögenden dürfen kein Amt ablehnen, wohl aber die Armen. Die Reichen sind bei Strafe verpflichtet, Waffen zu halten und an den Leibesübungen teilzunehmen, die Armen nicht. Dem Scheine nach ist in diesen Verordnungen das Volk gleichberechtigt, sogar begünstigt, in Wirklichkeit ist die Absicht und das Ergebnis, daß die Armen von der Volksversammlung, dem Gericht, den Amtern, der Bewaffnung und den Leibesübungen abgehalten werden, die Reichen hingegen gezwungen werden, an der Ausübung der Regierungsgewalt teilzunehmen. Es ist aber ein Fehler, auf solche Täuschung der Menge zu bauen; die Erfahrung deckt den wahren Sinn dieser Kunstgriffe auf und aus dem Scheingut kommt ein wirkliches Übel hervor. Oligarchien können sich lange halten, wenn die Regierenden einander und die Untertanen richtig zu behandeln verstehen. Es kommt hauptsächlich darauf an, die Reichen und
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Gebildeten nicht in ihrer Ehre zu kränken, die Menge nicht in ihrem Erwerb zu hindern, denn dies und jenes ist die empfindliche Seite der einen und der andern. Wenn die herrschende Klasse zahlreich ist, ist die kurze Dauer der Amter ratsam, damit an jeden Berechtigten die Reihe komme. Früher forderte man die Abwechslung, damit jeder nur kurze Zeit die Last der gemeinsamen Angelegenheiten zu tragen habe; aber heutzutage drängt man sich zu den Regierungsstellen und will sich nicht von ihnen rühren, als ob sie einem die Gesundheit sicherten. Die kurze Dauer der höchsten Amter verhütet auch die Umwandlung der Oligarchie in Dynastenoder Tyrannenherrschaft: Wer nur auf kurze Zeit im Amte ist, kann nicht leicht böse Absichten ausführen; langer Besitz der Regierungsmacht verführt zur Tyrannei. — Während also unter den Angehörigen der herrschenden Klasse die Gleichheit zu wahren ist, darf man die Masse, der es weniger um Ehre als um Erwerb zu tun ist, besonders darin nicht verkürzen und sie auch nicht übermütig behandeln. Man muß auch darüber wachen, daß die Inhaber der Regierungsämter sich aus ihrer Stellung nicht bereichern können. Die Menge grämt sich nicht viel darum, daß ihr der Weg zu den Amtern versperrt ist, ja sie hat es recht gern, wenn sie ungestört ihrem Geschäfte nachgehen kann, nur muß sie nicht auf den Glauben kommen, daß sich die Machthaber am öffentlichen Schatz vergreifen. Denn sowohl von der Ehre wie von dem Gewinn ausgeschlossen zu sein, ist doppelte Kränkung, die zur Empörung reizt. Auch in der Oligarchie soll man die mit Einkommen verbundenen Amter den Armen zukommen lassen. Obwohl die obrigkeitlichen Ämter, welche die Regierungsgewalt handhaben, nur den Vollbürgern anzuvertrauen sind, ist es für den Bestand der Oligarchie nützlich, an den geringeren Amtern auch die anderen in gleichem oder gar höherem Maße teilnehmen zu lassen. Es empfiehlt sich sogar, in die Regierung einige aus dem Volk aufzunehmen, pder die Volksmenge selbst an den Beratungen mitwirken zu lassen, allerdings so, daß sie entweder nur das beschließen kann, was von den vorberatenden Obrigkeiten beantragt wird, oder
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das Volk nur beratschlage und die Obrigkeit entscheide. Die hohen Ämter, die in den Händen der bevorrechteten Klasse bleiben, sollen zu kostbaren Leistungen für die Allgemeinheit verpflichten, damit der gemeine Mann froh sei, nichts damit zu tun zuhaben, und den Besitzern der Amter die Herrschaft gerne gönne, die ihnen so teuer zu stehen kommt. Diese sollen beim Antritt des Amtes Opferfeste veranstalten und öffentliche Werke herstellen müssen, damit das Volk, wenn es sich an den Opferschmäusen vergnügt und die Stadt mit Denkmälern und prächtigen Bauten geschmückt sieht, das Fortbestehen der Verfassung wünsche. Überhaupt sollte sich die Oligarchie in ihrem eigenen Interesse der Armen annehmen. Edel und klug ist das Beispiel der Tarentiner, die den Armen die Mitbenutzung ihrer Güter erlauben, und sich so die Zuneigung der Masse gewinnen. Oder jeder Reiche sollte einigen Armen die Mittel zur Einrichtung eines Geschäftes bieten. Jeder Frevel, den ein Reicher gegen einen Armen begeht, müßte besonders streng geahndet werden. Aber nicht leicht beweisen die Machthaber solche Billigkeit. Nach Gleichheit und Gerechtigkeit verlangen die Schwachen, die Starken machen sich wenig daraus. 16. Das Prinzip der Demokratie ist Gleichheit und zwar nach d€r Zahl und nicht nach dem Werte. Infolgedessen herrscht die Menge; der Wille der Mehrheit wird Gesetz. Die Demokratien sind verschieden, je nachdem die eine oder andere Klasse des Volkes die Mehrheit hat, danach ist auch die Einrichtung der Verfassung verschieden. Die beste Art der Demokratie entsteht da, wo die Menge vom Ackerbau lebt. Das Volk ist eifrig hinter seinem Tagewerk, hat mehr Lust an seiner Arbeit als an den Staatsangelegenheiten und kümmert sich wenig um die Regierung, es sei denn, daß die Amter großen Gewinn brächten. Dieses Volk hat sich die früheren Tyrannenherrschaften ebenso gefallen lassen, wie es heute die Oligarchie erträgt, wenn man nur ihm den Ertrag seiner Arbeit nicht nimmt. Es hat keine Zeit zu häufigen Versammlungen. Nur dann kommen alle zusammen, wenn über Krieg und Frieden zu entscheiden, neue
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Gesetze zu geben, die Obrigkeiten zu wählen und von ihnen Rechenschaft zu fordern ist. In die Ämter treten alle Bürger der Reihe nach' in bestimmter Folge, oder durch das Lbs bestellt, oder die Obrigkeit wird von der Gesamtheit der Bürger gewählt, aus allen, oder nur aus den Vermögenden, die genug Muße haben. Oder es werden Sachkundige gewählt, besonders in Amter, die Fachkenntnisse erfordern. Wenn man bei der Wahl nur auf Fähigkeit sieht, entsteht eine aristokratisch-demokratische Regierung und der Staat wird gut verwaltet. Die Amter sind in den Händen der Besten, das Volk gönnt sie ihnen, sein politischer Ehrgeiz ist befriedigt durch das Recht der Wahl und Rechenschaftsablage, die höheren, gebildeten Stände sind ebenfalls zufrieden, nicht von Leuten, die sie für schlechter halten, regiert zu werden; und die Beamten üben Gerechtigkeit, da sie Rechenschaft schulden. Die Verantwortlichkeit ist heilsam; die Freiheit, tun zu können, was einem beliebt, weckt das Böse, das in jedem schlummert. — Das ist also die beste Demokratie, in welcher das ackerbauende Volk das Übergewicht hat. Zum Schutze dieser Volksklasse und zumal der Verfassung dienen in manchen Staaten von altersher Gesetze, welche verbieten, einen gewissen Teil des Grundbesitzes zu verkaufen, zu belasten, oder seinen Grundbesitz über ein gewisses Maß zu vergrößern. — Auch das Hirtenvolk eignet sich zu einer guten Demokratie und ist auch zum Kriegsdienst besonders tauglich und abgehärtet. Hingegen Demokratien, wo die übrige Volksmasse herrscht, sind schlecht. Denn die Lebensweise dieser Menge ist schlecht: keine der Beschäftigungen, welche die -Masse der Handwerker, Händler, Taglöhner ausübt, erfordert und erzieht sittliche Kraft. In einer Aristokratie, welche die Amter nach Tugend und Würdigkeit verleiht, könnte keiner von diesen Leuten Bürger werden. Wer das Leben eines Handwerkers, Krämers, Taglöhners führt, hat nicht die Möglichkeit, sich in dem zu üben, was zur Tugend gehört. In Theben bestand ein Gesetz, daß, wer sich nicht zehn Jahre lang jedes Marktgeschäftes enthalten hat, kein Staatsamt be-
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kleiden darf. Während die Bauern auf dem Lande zerstreut sind und sich schwer versammeln, lebt diese Art Leute in der Stadt, treibt sich auf dem Markte herum und rottet sich schnell zu Volksversammlungen zusammen. Ein solches Volk fühlt sich an kein Gesetz gebunden und regiert durch jedesmalige Volksbeschlüsse, wie ein Tyrann. Seine Schmeichler, die Demagogen, kommen zu Ehren, und die Besseren werden unterdrückt. Die Obrigkeiten verlieren allen Halt, denn wem ihre Entscheidung nicht gefällt, der verklagt sie vor dem Volke, das gerne darauf eingeht, über alles zu entscheiden. In solchen Demokratien versteht man die Freiheit so, daß jeder tue was er will, lebe „nach Herzensgelüst" (wieEuripides sagt). Ein ungebundenes Leben ist dem großen Haufen lieb, ein Leben in Zucht, Gesetzen gemäß dünkt ihnen Sklaverei. Nicht edle Geburt, Reichtum und Bildung, sondern gemeine Geburt, Armut und Roheit haben das Übergewicht. Den Teilnehmern der Volksversammlungen werden hohe Tagegelder gezahlt zur Entschädigung für den versäumten Erwerb. Schon um dieser Gebühren willen reißt das Volk die Entscheidung in allen Dingen an sich und entzieht den Behörden ihre Macht. Es ist ein demokratischer Kunstgriff, den Armen für die Teilnahme an den Versammlungen und Gerichtssitzungen Sold zu bezahlen, und über die Reichen, wenn sie fern bleiben, keine Strafe zu verhängen. Obwohl es doch der Demokratie ersprießlich wäre, die Teilnahme der gebildeten Stände an den Beratungen zu sichern, schon deshalb, damit beide Parteien einander hören! Die Entlohnung aller öffentlichen Dienste, die Besoldung der Volksversammlung, der Gerichte, der Magistrate, am liebsten aller, ist kennzeichnend für die Demokratie. Auch die kurze Amtsdauer, wo es die Stelle zuläßt, und daß niemand dasselbe Amt zweimal bekleiden darf, ist der Demokratie gemäß. Um die vielen Besoldungen leisten zu können, legt man den Besitzenden hohe Steuern auf oder zieht gar ihr Vermögen ein. Die Demagogen, um sich beim Volk beliebt zu machen, hängen den Reichen Hochverratsprozesse an und lassen ihr Vermögen konfiszieren. Dieser Vorgang hat schon
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manche Demokratie gestürzt, da er die Vornehmen zur Empörung trieb. Wo der Staat über andere reichliche Einkünfte verfügt, ist es ein Fehler, die Überschüsse unter das Volk zu verteilen, wie es die Demagogen tun. Heute bekommt das Volk das Geld, morgen ist es wieder in dürftiger Lage, — das Faß der Danaiden. Gewiß hat der demokratische Staatsmann dafür zu sorgen, daß das Volk keine Not leide, denn sonst geht die Demokratie unter. Aber er muß Mittel ausfindig machen, welche einen dauernden Wohlstand herbeiführen. Die zwei Obolen, die verteilt werden, genügen zunächst, aber sobald man sich an sie gewöhnt hat, will man mehr. Nimmersatt ist der Mensch, maßlos die Begierde, in deren Sättigung das Leben des großen Haufens aufgeht. Um die Demokratie zu stärken, lassen die Demagogen möglichst viele in die Bürgerschaft aufnehmen, auch solche, die unehelicher, oder von der einen Seite unfreier Herkunft sind und dergleichen. Freilich soll der Teil, welcher die Verfassung will, stärker sein, als der, welcher sie nicht will. Aber man sollte bei der Zulassung neuer Bürger nicht über die Zahl hinausgehen, welche das Übergewicht der Masse über die Vornehmen und den Mittelstand hinlänglich sichert, sonst entsteht Unordnung in der Masse und Erbitterung bei den Besseren, die zum Umsturz führen. Empfehlenswert sind die Mittel, die Kleisthenes zur Stärkung der athenischen Demokratie anwandte: das Volk in neue und zahlreichere Stamm- und Geschlechtsverbände einzuteilen, statt der privaten Kultvereine und Opferfeste wenige allgemeine einzuführen, überhaupt alles aufzubieten, um die Stände möglichst zu vermischen und die früheren Verbände aufzulösen. 17. Nicht darauf hat der Gesetzgeber zu sehen, was der Verfassung ein nur j a recht demokratisches oder oligarchisches Außeres verleiht, sondern was der Demokratie oder Oligarchie festen Halt und Dauer sichert. Einrichtungen, die ein demokratisches Gepräge haben und für demokratisch gelten, können in Wahrheit die Demokratie zerstören, und scheinbar oligarchische Anordnungen die Oligarchie zugrunde richten. Es täte not, die Staatsmänner wüßten damit Bescheid. Sie
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gehen irre, wenn sie die Verfassung in allen Stücken dem allgemeinen Prinzip gemäß einrichten wollen. Man darf das Prinzip der Verfassung nicht auf die Spitze treiben. Der Kundige meidet das Übermaß: in der Mitte liegt das Vortreffliche. Eine Demokratie oder Oligarchie kann leidlich beschaffen sein, obschon sie von der möglichst besten Ordnung beträchtlich abweicht, wenn sie jedoch über eine gewisse Grenze hinausgeht, wird sie schlecht und geht zugrunde. Es gibt Staaten, wo die Oligarchen einen Eid leisten: „und ich werde Feind des Volkes sein und ihm mit Rat und Tat zu schaden trachten". Wären sie klug, so würden sie geloben, dem Volk kein Unrecht zu tun. In den Demokratien schüren die Demagogen unaufhörlich den Haß gegen die Reichen. Ihr Mittel, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen, besteht immer darin, daß sie sich als Feinde der Reichen darstellen. Sie sollten das Gegenteil tun, so sprechen, als ob sie Anwälte der Reichen wären. Denn alle Bürger sollen der Verfassung zugetan sein, oder zumindest die Regierenden nicht als ihre Feinde ansehen müssen. Dadurch, daß die Demagogen den vermögenden Leuten teils einzeln Prozesse anhängen, teils ihnen insgesamt die Volksmenge auf den Hals hetzen, ihre Einkünfte durch Abgaben erschöpfen, ihr Vermögen einziehen lassen, nötigen sie die Vornehmen, sich zu verbinden, — gemeinsame Furcht macht erbitterte Feinde zu Verbündeten, — um die Demokratie zu stürzen. Durch die Schuld der Demagogen ist die Demokratie in Kos, Rhodos, Heraklea, Megara gestürzt worden: die gequälten und vertriebenen Vornehmen sammelten sich in der Verbannung, kehrten zurück und besiegten das Volk. Man könnte noch viele Beispiele dieser Art anführen. Aber auch wenn die Demokratie durch Unordnung, Gesetzlosigkeit, schlechte Verwaltung die Wohlhabenden mit Verachtung erfüllt, erheben sie sich und stürzen die Verfassung, wie sie es in Theben und Syrakus getan, haben. Es zieht die Veränderung der Verfassung nach sich, wenn Ansehen und Macht der einen oder anderen Volksklasse zunehmen. In Argos hatten die Vornehmen durch ihren Sieg Engelmann,
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Ober die Lakedämonier bei Mantinea großen Ruhm erworben, darauf gestützt unternahmen sie es, die Demokratie aufzuheben. Als in Syrakus das Volk durch seinen Arm den Krieg mit den Athenern siegreich beendigt hatte, verwandelte es die Verfassung in Demokratie. Der gemeine Mann, der den Seedienst versah, hat den Sieg bei Salamis erfochten, und nachher erstarkte die Demokratie in Athen. Auch das ist gefährlich sowohl für die Demokratie wie für die Oligarchie, wenn die Macht einzelner Bürger übermäßig wächst. Darum soll man keinem Magistrate allzugroße Machtbefugnisse in die Hände legen. Zu große Ehre verdirbt den Menschen; Glück zu ertragen ist nicht jedermanns Sache. Die Amter — wo es angeht — mit kleinen Befugnissen ausstatten, oder doch eine große Macht nicht auf einmal verleihen, — auch nicht auf einmal wieder entziehen, sondern nach und nach. Es ist ein Übelstand, wenn ein Mann gleichzeitig mehrere Amter bekleidet. Jedes Werk wird nur von einem, der sich ihm ganz hingibt, gut verrichtet. Die Staatsgeschäfte werden eher zum Wohle der Allgemeinheit und schneller erledigt, wenn sie von mehreren besorgt werden. Aber auch dem ist vorzubeugen, daß einer durch Reichtum, Anhang, Volkstümlichkeit zu übergroßem Einfluß gelange. Konnte man es nicht verhindern, so verweise man diese Mächtigen aus dem Lande, wie es in Argos und Athen durch das Scherbengericht geschieht. Oft sind kleine, fast unmerkliche Abänderungen der Verfassung die Ursachen ihrer Auflösung. Man entfernt etwas scheinbar Geringfügiges, der Bau ist gelockert und stürzt ein. In Thurii war es verboten, die Feldherrn wiederzuwählen. Berühmt und beliebt gewordene Heerführer unternahmen es, dieses Gesetz aufheben zu lassen. Der Rat der Verfassungshüter widersetzte sich erst, gab endlich nach, in dem Wahne, daß jene sich nun zufrieden geben würden. Als sie nachher den weiteren Angriffen auf die Verfassung Widerstand leisten wollten, vermochten sie es nicht mehr; aus der Aristokratie wurde eine Dynastenherrschaft jener Neuerer. Es führt gewöhnlich zu Unruhen, wenn sich einzelne oder
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Teile des Volkes um die Vergrößerung des Staates, seines Gebietes oderseiner Macht besonders verdient gemacht haben. Sie beanspruchen dann Ehren und Rechte, welche ihnen die anderen mißgönnen. Überhaupt ist das der Grund der Revolutionen, daß die einen oder anderen nicht den Anteil am Staate erhalten, der ihnen ihrer Meinung nach gebührt. Um die Gleichheit durchzusetzen, empören sich die einen, welche sich zurückgesetzt fühlen, — die anderen erheben sich, um ihren vermeintlichen Vorzügen entsprechende Vorrechte zu erringen. Wäre dieser letztere Grund triftig, so hätten diejenigen am meisten Grund sich zu empören, die es am wenigsten tun: die an Geist und Tugend vorzüglichsten. Sie dürften fürwahr eine Ungleichheit in Anspruch nehmen. Aber die Edlen sind keine Revolutionsmänner. Sie sind auch zu wenige gegen viele. Immerhin liegt in der wirklichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeit der Verfassung der Grund der Revolutionen. Die Dinge aber, um die der Kampf geht, sind Besitz, Macht und Ehre. Wohl können die Revolutionen aus Kleinigkeiten entstehen, aber niemals um Kleinigkeiten. Ein geringer Anlaß mag den Bürgerkrieg entzünden, der Gegenstand des Kampfes ist immer wichtig. Auch die Stammesverschiedenheit der Einwohner verursacht Unruhen, solange sie nicht vollständig verschmolzen sind, was Zeit braucht. Fast überall hat die Aufnahme von Fremden in die Bürgerschaft, ob bei der Gründung des Staates oder später, Zwietracht und Kämpfe veranlaßt. Zuweilen sind örtliche Verhältnisse die Ursachen der Zwietracht, wenn nämlich infolge der natürlichen Verschiedenheiten des Landes die Einheit des Gemeinwesens nicht recht zustande kommt. So sind in Athen die Bewohner des Piraeus viel demokratischer als die der Stadt. Wie im Kriege die kleinsten Gräben, die der Phalanx durchschreitet, die geschlossene Kolonne auseinanderreißen, so scheint es im Wesen jedes Unterschiedes zu liegen, eine Spaltung, einen Gegensatz hervorzubringen. Man kann die Umänderung der Verfassung mit Gewalt oder mit List durchsetzen. Man kann gleich von Anfang an Gewalt, Zwang anwenden oder später. Man kann die Bürger 4*
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überlisten und die Verfassung mit ihrer Zustimmung ändern, und nachher, wenn sich der Betrug herausstellt, die Macht mit Gewalt gegen ihren Willen behaupten, oder sie auch weiterhin durch Überredung und Täuschung bezähmen. Die Revolution ist das einemal gegen die Verfassung gerichtet: um an Stelle der Oligarchie eine Demokratie aufzurichten — oder umgekehrt; das anderemal gilt die Empörung nicht der Verfassung, die unzufriedene Partei will sie beibehalten, will nur selbst ans Ruder kommen. — Es kann sich darum handeln, das Prinzip der Verfassung zu stärken oder es zu schwächen: die Oligarchie noch mehr oder minder oligarchisch zu gestalten, die Demokratie noch mehr oder weniger demokratisch. Im allgemeinen ist die Oligarchie durch Revolutionen mehr gefährdet als die Demokratie. Der Oligarchie droht von zwei Seiten Gefahr: von dem Zwist der Oligarchen untereinander und von der Feindschaft des Volkes. Wenn die Vornehmen streiten, kann leicht das Volk dazwischentreten und als Sieger hervorgehen. Die Händel der Großen, der Führer sind folgenschwer, sie ziehen den ganzen Staat in Mitleidenschaft. Ein kleiner Hader zwischen mächtigen Persönlichkeiten kann zur Umwälzung des Staats führen. Aus Heiratsund Liebeishändeln sind Kriege und Bürgerkriege entbrannt. Man soll die Rivalität der Großen nie außer acht lassen, und tut gut, sie gleich zu versöhnen. Denn der Fehler liegt im Anfang, und der Anfang ist, wie das Sprichwort sagt, die Hälfte des Ganzen. Aber das Übel im Keime zu erkennen, ist nicht jedermanns Sache. — Wenn innerhalb der Oligarchie eine zweite sich bildet, welche einen großen Teil der Reichen aus der Regierung ausschließt, rufen diese das Volk zur Hilfe, und es stürzt die Oligarchie. Gleichfalls sind ruinierte Oligarchen, die ihr Vermögen verpraßt haben, zumeist politische Wühler, sie wiegeln das Volk auf, um sich selbst zum Tyrannen aufzuwerfen oder einem andern dahin zu helfen, oder sie vergreifen sich am öffentlichen Gut und entzünden dadurch einen Aufruhr. Wenn Mitglieder der Oligarchie aus gegenseitiger Eifer-
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sucht den Demagogen machen, so ist's um die Oligarchie bald getan. Dahin kommt es, wo die Regierenden zwar aus den Reichen, aber vom Volke gewählt werden, oder wo das Gericht nicht bei der regierenden Klasse, sondern beim Volke ist. — Vom Volke geht die Umsturzbewegung aus, wenn es von den Oligarchen mit frevelhaftem Übermut bedrückt wird. Da genügt es, daß dem Volke ein Führer entstehe, um die Oligarchie zu stürzen, zumal wenn der Führer selbst der Oligarchie angehört. Dem Ansturm des Volkes unterliegt die Oligarchie oft deshalb, weil das leichtbewaffnete Fußvolk sich der Reiterei und den Schwerbewaffneten gewachsen zeigt. Daher müssen die Oligarchen dem Beispiel kriegserfahrener Feldherrn folgend ihren Reitern und Schwerbewaffneten auch leichtes Fußvolk zur Seite geben. Es wäre aber gefährlich, diese Truppe aus dem Volke zu nehmen, vielmehr müssen die Oligarchen ihre eigenen Söhne in jugendlichem Alter in diesem unbeschwerlichen Dienste unterweisen und dazu verwenden. Wenn im Kriege die Oligarchie das Aufgebot des Volkes nicht entbehren kann, wird sie in der Folge genötigt, dem Volk Anteil an der Regierung zu gewähren. Mißtraut sie aber dem Volk und wirbt lieber Söldner an, so läuft sie Gefahr, daß der Befehlshaber des Heeres sich zum Tyrannen aufwirft. Die Demokratie hat sowohl die Reichen, wie die Anführer des Volks, die Demagogen zu fürchten. Die Tyrannen früherer Zeiten sind meistens aus Demagogen hervorgegangen, da diese auch Heerführer waren. Die Demokratie ging dazumal gewöhnlich in Tyrannis über. Heutzutage geschieht es nicht, da die heutigen Demagogen zwar noch gewandter sind in der Redekunst, aber vom Kriegshandwerk nichts verstehen. Darum wagen sie es nicht, sich dieAlleinherrschaft anzumaßen, und wenn doch, so hat ihre Herrschaft selten Dauer. Auch waren die Staaten von kleinerem Umfang, und während ein großer Teil des Volkes auf dem Lande arbeitete, konnte sich in der 'Stadt ein Volksanführer von kriegerischem Talent leicht zum Tyrannen aufwerfen. Alle, die solches taten, waren dabei vom Vertrauen des Volkes getragen, das sie sich durch
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ihre Feindseligkeit wider die Reichen gewonnen haben. So wurde Peisistratos Tyrann in Athen, da er einen Aufstand gegen die Großgrundbesitzer der Ebene erregte, Theagenes in Megara, weil er die Herden der Reichen wegnahm. Aber auch dadurch, daß man zu große Macht einem Magistrat anvertraut, oder daß Einer die Regierungsmacht lange innehat, kann die Oligarchie oder Demokratie in Tyrannis fibergehen. Auch Könige haben, die Gesetze übertretend, despotische Gewalt sich angeeignet. Denn wenn einer die Macht schon in Händen hat, ist der Schritt zur Tyrannis leicht getan, sobald der Wille aufkommt. Darum darf man die Bewachung der Verfassung — wie eine nächtliche Sicherheitswache — nie einstellen. Ja, diejenigen, denen die Verfassung am Herzen liegt, tun gut, zuweilen Besorgnis zu erregen, die Öffentlichkeit in Furcht zu setzen, ferne Gefahren als nahe zu schildern, damit die Bürger auf der Hut seien. 18. In der Tyrannis sind die Übel der Oligarchie und der zügellosen Demokratie vereinigt. Wie die Oligarchie, so ist auch die Herrschaft des Tyrannen auf Reichtum gerichtet, denn sein Lebenszweck ist Genuß, und er braucht Geld zu seinem üppigen Leben und für das Heer, auf das er sich stützt. Oligarchie und Tyrannis, beide bedrücken das gemeine Volk, trauen ihm nicht, entwaffnen, zerstreuen, vertreiben es. Mit der Demokratie hat die Tyrannis den fortwährenden Krieg gegen die Vornehmen gemein, die der Tyrann offen oder heimlich zu verderben trachtet, weil er in ihnen seine Nebenbuhler, Hindernisse seiner Alleinherrschaft sieht. In der Tat gehen von ihnen die Verschwörungen aus, denn sie wollen selbst herrschen, oder doch nicht Untertan sein. Als Thrasybulos den Periander um Rat befragen ließ, wie er regieren solle, antwortete dieser kein Wort, sondern, als er mit dem Boten durch ein Kornfeld ging, schlug er die hervorragenden Ähren ab. Thrasybulos verstand die Antwort: daß er die hervorragenden Männer beseitigen müsse. Rechtschaffene, freimütige, würdevolle Männer sind dem Tyrannen verhaßt, denn solche dulden keine despotische Beherrschung, halten Treue und üben keinen Verrat; schon
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ihr ehrwürdiges Auftreten stellt den Tyrannen in den Schatten. Nur schlechte Menschen geben sich zum Schmeichler und Kriecher her, woran der Tyrann seine Freude hat. Und die Schlechten sind seine Werkzeuge zum Schlechten. Das ist die gewöhnliche Regierungsweise der Tyrannen: die Vorzüglichen, Männer von Mut und Selbstgefühl, aus dem Wege räumen, keine Tischgenossenschaften, weder politische noch gesellige Vereine dulden, die öffentliche Erziehung und Bildung unterdrücken, kurz alles verhindern, woraus Selbstgefühl und gegenseitiges Vertrauen entspringt, denn diese stürzen die Tyrannenherrschaft, hingegen alles aufbieten, wodurch kleinmütige Gesinnung und Mißtrauen entsteht, denn Kleinmütige wagen keine Empörung, und solange die Bürger kein Vertrauen zueinander fassen, ist der Tyrann sicher. Zusammenkünfte jeder Art werden verhindert, damit die Bürger nicht miteinander bekannt und vertraut werden, die Furcht vor Horchern und Zuträgerinnen hemmt die freie Aussprache und nährt den Argwohn. Die Bürger miteinander verfeinden» Freund gegen Freund, das Volk gegen die Vornehmen, die: Reichen gegeneinander verhetzen — das sind die üblichen Tyrannenpraktiken. Die Untertanen kleinmütig, uneinig und ohnmächtig zu machen — darauf zielen alle Maßnahmen der Tyrannen. Armut und erdrückende Arbeit nehmen dem Volke die Kraft und den Mut zum Aufstand. Es wird arm und müde durch hohe Steuern und schwere Fronarbeiten. Für letztere können der Bau der Pyramiden in Ägypten, des olympischen Tempels unter den Peisistratiden, die Werke des Polykrates in Samos zum Beispiel dienen. Der Tyrann führt Kriege, damit das Volk nicht zur Ruhe komme und ihn als Führer nicht entbehren könne. Dieselben Momente, welche den Untergang der äußersten Oligarchie und Demokratie herbeiführen, stürzen auch die Tyrannis, — jene Verfassungen sind ja Tyrannien mit vielen Tyrannen. Erlittenes Unrecht, Verachtung, Furcht reizen zur Empörung. Besonders empört gewalttätig-schimpfliche Behandlung, zuweilen auch Raub des Eigentums. Der Tyrann nehme sich vor denen, die oder deren Angehörige er beleidigt
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hat, in acht. Zumeist wollen sie nicht die Macht, nur Rache, sie sind schrecklich, weil sie aus Leidenschaft handeln, und sich aus dem eigenen Leben nichts machen, wenn sie nur ihm das seine nehmen können. Der Tyrann, der sich erhalten will, hüte sich, Untertanen körperlich und geschlechtlich zu mißhandeln, und wenn er züchtigt, gebe er sich den Anschein, daß er es aus väterlicher Absicht, nicht aus Geringschätzung tut, und suche die begangene Ehrenkränkung durch Verleihung größerer Ehren aufzuwiegen. Ausschweifung macht den Herrscher verächtlich und reizt zur Empörung. Wenn einer kein Maß halten kann, so wahre er doch den Schein, und entziehe seine Schwelgerei den Augen der Welt, und tue nicht wie manche, die ihr wollüstiges Leben absichtlich zur Schau tragen, um sich als bevorzugte und glückliche Menschen bewundern zu lassen. Die Tyrannen, welche sich die Herrschaft selbst errungen haben, können sie zumeist bewahren, ihre Nachkommen aber verlieren sie bald, eben weil ihr ausschweifendes Leben sie verächtlich macht und ihren Widersachern leicht Gelegenheit gibt, sie zu verderben. Gewöhnlich sind es Freunde des Herrschers, welche dergleichen Anschläge aus Verachtung unternehmen. Das Vertrauen, das er ihnen schenkt, nährt nur ihre Verachtung und ihre Hoffnung auf Erfolg. Der Tyrann darf seinen Freunden am wenigsten trauen. Aber auch solche, die sich stark genug dünken, die Herrschaft selbst zu behaupten, schreiten zur Empörung, wenn sich zu ihrem Selbstgefühl die Verachtung des Herrschers gesellt. So haben Feldherrn den Herrscher gestürzt, — Cyrus den Astyages. Reichtum und Macht, die der Tyrann genießt, sind Dinge, die alle Welt begehrt, — Habsucht und Ehrgeiz sind die Triebfedern der meisten Anschläge auf ihn. Es gibt aber auch Attentäter, die nicht, um den Besitz der Herrschaft zu ergreifen, sondern nur um des Ruhmes willen, den die außerordentliche Tat verspricht, den Anschlag verüben. Der Tyrann kann seiner Herrschaft Dauer verleihen dadurch, daß er seine Regierungsweise der königlichen annähert. Nur muß er hierbei die Macht fest in Händen halten,
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damit er die Herrschaft auch gegen den Willen der Untertanen behaupten könne. Im übrigen spiele er die Rolle eines Königs. Er muß besonders merken lassen, daß er mit dem Staatsvermögen gewissenhaft umgeht. Er verschwende es nicht in Geschenken, welche das Volk erbittern, da es mitansehen muß, wie ihm der Ertrag seiner schweren Arbeit weggenommen und an Maitressen, Fremdlinge, Künstler vergeudet wird. Er baue die Stadt aus, verschönere sie, und lege Rechnung ab über die Einnahmen und Ausgaben, so wird er den Untertanen nicht als Verzehrer, vielmehr als Verwalter ihrer Habe erscheinen. In seinem Auftreten sei er nicht abstoßend, sondern würdevoll, — nicht Furcht, sondern Ehrfurcht erweckend. Wenn er sich schon keiner anderen Tugend befleißigt, so strebe er doch, ein tüchtiger Staatsmann zu sein und als solcher zu gelten, daß das Volk in dieser Hinsicht eine hohe Meinung von ihm habe. Er muß sich ferner allezeit den Anschein geben, als nähme er es mit der Religion ungemein ernst. Wenn das Volk den Herrscher für gottesfürchtig hält, befürchtet es weniger eine ungerechte Behandlung und wagt auch nicht leicht einen Aufstand gegen den, dem die Götter beistehen. Doch darf er nicht abergläubisch erscheinen. Er erlaube auch seiner Umgebung keinen Übermut. Der Übermut der Weiber hat schon manchen Tyrannen um die Herrschaft gebracht. Tüchtige Männer lasse er zu Ehren kommen, daß sie fühlen, sie könnten auch in einer freien Verfassung von ihren Mitbürgern nicht höher gestellt werden. Die Ehren verleihe er selbst, die Strafen lasse er durch andere verhängen. Jeder Monarch muß sich aber hüten, Einen besonders groß zu machen, lieber mehrere erheben, die einander die Wage halten. Kann er nicht umhin, einen Einzelnen groß zu machen, so darf es kein kühner Charakter sein. Scheint es nötig, die verliehene Macht zu entziehen, so ist sie nach und nach, nicht auf einmal wegzunehmen. Am besten wäre es, er könnte beiden Klassen des Staates, den Reichen wie den Armen, die Meinung beibringen, ihr Heil bestehe nur in der Erhaltung seiner Herrschaft, — immerhin sollte er die stärkere Klasse an sich ziehen.
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Wenn der Tyrann auf diese königliche Weise, also mit Maß regiert, wird seine Herrschaft schöner, ruhiger und dauerhafter, er herrscht über bessere, weil nicht erniedrigte Menschen, lebt nicht in ewiger Furcht vor ihrem Haß, und sein Sinn wird allmählich zur Tugend neigen. 19. Verfassungen werden von außen her gestürzt durch die Nachbarschaft oder sonstigen Einfluß eines mächtigeren Staates, der eine entgegengesetzte Verfassung hat. Die Lakedämonier haben viele Tyrannenherrschaften, die Athener viele Oligarchien aufgehoben. Aus dem Gegensatz der Verfassung entsteht notwendigerweise der Wille, die andere Verfassung abzuschaffen, und der Wille wird bei allen zur Tat, wenn die Macht dazu kommt. Demokratie und Tyrannis sind einander zuwider, wie ein Töpfer dem andern, — weil die äußerste Demokratie auch eine Art Tyrannis ist. Schlechte Verfassungen können von außen gestützt werden, wenn an ihrer Erhaltung andere Staaten Interesse haben. Auf die Dauer jedoch kann sich eine Verfassung nur kraft ihres eigenen Wesens halten, nämlich wenn sie womöglich alle Bürger befriedigt und bei keiner Klasse den Wunsch nach einer Veränderung aufkommen läßt. 20. Die besten und dauerhaftesten Verfassungen sind die» welche der Mittelstand errichtet, die Mitte haltend zwischen Oligarchie und Demokratie. Der mäßig begüterte Stand gehorcht am ehesten der Vernunft. Die übermäßig Reichen, Starken, Schönen, wie die übermäßig Schwachen, Armen und Erniedrigten halten selten den Weg der Vernunft, den Mittelweg der Tugend ein, welcher der glücklichste ist im Leben der Staaten wie im Leben der Einzelnen. Überfluß der Glücksgüter macht übermütig, zum Verbrecher im großen, Elend macht boshaft, zum Schelm im kleinen. Jene können nicht gehorchen, nur despotisch herrschen, diese sind knechtisch, unfähig zum Gebieten. Wo es nur sehr Reiche und sehr Arme gibt, da besteht der Staat aus Herren und Sklaven, die nur Verachtung und Neid gegeneinander fühlen, da kann nicht das Gefühl der Freundschaft aufkommen, das zum Wesen der staatlichen Gemeinschaft gehört, — mit Feinden mag man
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nicht einmal die Landstraße teilen. Glücklich ist der Staat, wo der Mittelstand zahlreich ist, wo viele Bürger ein mittelmäßiges, aber hinlängliches Vermögen haben. Da ist die Gleichheit oder Ähnlichkeit vorhanden, deren der Staat bedarf. Wo die einen viel, die andern nichts haben, entsteht eine zügellose Oligarchie oder eine zügellose Demokratie und aus beiden die Tyrannis. Wo der Mittelstand zahlreich ist, stärker als die andern oder gar als beide, da läßt er keine Extreme aufkommen. Er herrscht gleichwie ein Schiedsrichter, das Vertrauen der Reichen und der Armen genießend. Es ist nicht zu befürchten, daß diese sich gegen ihn verbinden ; eine solche Verfassung ist Revolutionen am wenigsten ausgesetzt und wird Dauer haben. Die besten Gesetzgeber waren aus dem Mittelstande: Solon, Lykurgos, Charondas und fast alle andern Großen. Die Einrichtung der auf dem Mittelstande beruhenden Verfassung, die Politie heißt, hält die Mitte zwischen Oligarchie und Demokratie, die Einrichtungen beider vermischend, verschmelzend. Je trefflicher die Mischung, desto fester die Verfassung. Diese Mischung verschiedenartiger Einrichtungen bringt es mit sich, daß man die Politie bald für eine Demokratie, bald für Oligarchie ansieht und auch so nennt. Den Anteil an den Regierungsrechten bestimmen in der Politie teils die freie Geburt, wie in der Demokratie, teils das Vermögen, wie in der Oligarchie, teils die Tugend, wie in der Aristokratie. Politie und Aristokratie stehen einander nahe. Die mehr zur Oligarchie neigenden Politien nennt man eher Aristokratie, die mehr der Demokratie sich nähernden Politie. In der lakonischen Verfassung ist z. B. die Erziehung demokratisch; die Kinder der Reichen und der Armen werden in gleicher Weise erzogen, auch die Jünglinge und Männer sind derselben Zucht unterworfen, die Kost bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten ist für alle gleich, die Kleidung der Reichen ist derart, wie sie jeder Arme sich anschaffen kann. Auch das ist demokratisch, daß den Rat der Alten die Volksversammlung wählt, und daß zum Ephoren jedermann ge-
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wählt werden kann. Andrerseits halten viele die lakonische Verfassung für oligarchisch, weil alle Ämter durch Wahl besetzt werden, keines durch das Los, was gemeinhin für die demokratische Art der Besetzung der Amter gilt; ferner weil das Recht der Todesstrafe und Verbannung in den Händen weniger ist. — Die Politie kann das Recht, an der gesetzgebenden Versammlung teilzunehmen, an einen mäßigen Zensus binden, so daß die wehrhaften Bürger die Inhaber der Staatsgewalt sind. Damit sowohl die Reichen wie die Armen erscheinen, werden diese dafür entschädigt, jene, wenn sie fernbleiben, bestraft, und so verhütet, daß die Macht in die Hände der einen Partei gerate. Ein Teil der Beamten kann gewählt, der andere ausgelost werden, einige aus allen ohne Unterschied, andere aus der Klasse der Vermögenden oder aus den Befähigten. In demselben Amte, z. B. im Gerichte, kann ein Teil der Stellen durch Wahl, der andere durch das Los besetzt werden, jene der guten Verwaltung wegen, diese, damit auch der gemeine Mann Zutritt habe. So und ähnlichermaßen verbindet die Politie oligarchische und demokratische Elemente, und je mehr es gelingt, beiden gerecht zu werden, umso dauerhafter ist die Verfassung. Bei den obersten Regierungsämtern wird man in einer wohleingerichteten Politie auf drei Eigenschaften achten: 1. auf die Liebe zur Verfassung, 2. auf die größte Fähigkeit zum Amte, 3. auf Tugend. Wenn diese drei Eigenschaften im höchsten Maße nicht in einer Person zusammentreffen, so ist jenem der Vorzug zu geben, der die seltenere Eigenschaft in höherem Maße besitzt. Feldherrntalent ist seltener als Tugend, darum muß man bei der Wahl des Feldherrn vor allem auf diese Fähigkeit sehen. Zur Aufsicht über den öffentlichen Schatz ist keine außerordentliche Begabung, hingegen eine größere Tugend erforderlich, als man bei der Menge antrifft. Warum ist zu jedem Amte neben Fähigkeit und Liebe zur Verfassung auch Tugend notwendig? Weil der, dem es an Zucht, Mäßigung und Gerechtigkeit mangelt, nicht einmal die eigeneSache in Ordnung bringen kann, geschweige das Gemeinwesen. In der Politie muß man besonders über die kleinen, kaum
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merklichen Änderungen und Übertretungen wachen, welche die Verfassung allmählich auflösen, wie kleine Ausgaben das Vermögen aufzehren. Der ursprünglich richtig angesetzte Zensus, der die Regierung dem Mittelstande sicherte, kann mit der Zeit zu hoch oder zu niedrig werden und infolgedessen die Verfassung in Oligarchie oder Demokratie übergehen. Der private Lebenswandel einiger Bürger kann die Harmonie des Staates bedrohen, Neuerungen auf die Bahn bringen. Eine besondere Behörde muß hierüber die Aufsicht führen. Man muß ein wachsames Auge auf jene Schichten haben, deren Wohlstand in raschem Steigen begriffen ist. Man wirke der Gefahr bei Zeiten entgegen, indem man den Anteil der anderen Klassen an der Regierung zu stärken, den Mittelstand zu heben, die Klassen womöglich zu verschmelzen trachtet, denn in der Ungleichheit keimen die Revolutionen. 21. Wie der kränkliche Körper der meisten Pflege bedarf, so bedürfen die schlechten Verfassungen der meisten Schutzmaßregeln. Für jede Verfassung unentbehrlich und das wichtigste Mittel zur Staatserhaltung ist die Erziehung der Kinder im Geiste der Verfassung. Die feinsten Gesetze nützen nichts, wenn die Bürger nicht im Sinne derselben erzogen, an sie von Kindheit an gewöhnt werden. Im Geiste der Verfassung erziehen, heißt so erziehen, daß man sich als Oligarch oder als Bürger der Demokratie behaupten könne. Es ist also verkehrt, wenn in der Oligarchie die Söhne der Vornehmen in weichlicher Üppigkeit erzogen werden, indessen die Kinder der Armen, geplagt und abgehärtet, Kraft und Mut zur Auflehnung bekommen. Ebenso schädlich ist es für die Demokratie, wenn man statt zur Freiheit zur Ungebundenheit erzieht. Die Erziehung der Jugend im Einklang mit der Verfassung muß eine Hauptsorge des Gesetzgebers sein, — die Zucht der Frauen nicht minder. Wenn die Verhältnisse der Frauen nicht wohl geregelt sind, so fehlt der Hälfte des Staates die nötige Ordnung. Kein Staat kann etwas taugen,, wenn es den Frauen an Tugend gebricht. Ein folgenschwerer
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Fehler der lakonischen Verfassung ist der, daß der Gesetzgeber, der die Männer strenger Zucht unterworfen, die Maßregelung der Weiber vernachlässigt hat. Die zuchtlose, verschwenderische Lebensweise der Weiber bringt es mit sich, daß man den Reichtum aufs höchste achtet und das Jagen danach allgemein wird. Kriegerische Stämme geraten ja gewöhnlich unter Weiberregiment. So kam es auch in Sparta: die Ungebundenheit der Frauen hat die Habgier großgezogen, und die Vermögen, den Grundbesitz in immer weniger Hände gebracht. Die Sitte, große Aussteuer zu geben, und dann die verfehlten Erbfolgegesetze haben das Mißverhältnis im Besitz noch verschlimmert: 2/6 des gesamten Bodens sind im Besitz weniger Frauen, und infolgedessen hat das Land, das 30 000 schwerbewaffnete Bürger ernähren könnte, nicht einmal tausend. In Piatons „Staat" ist Sokrates der Meinung, Weiber, Kinder und Besitz müßten allen gemeinsam gehören, damit der Staat zur vollkommenen Einheit werde. Aber Einheit ist nicht das wesentliche gerade des Staates: stärker ist die Einheit in der Familie, noch stärker im Individuum. Der Staat ist seinem Wesen nach eine Vielheit verschiedenartiger Menschen, und eben vermöge dieser Vielfältigkeit hat der Staatsverein alles zum Leben Notwendige und kann sich selbst genügen. Allerdings muß Einheit im Staate sein, aber nur bis zu einem gewissen Grade, wenn dieser überschritten wird, wird der Staat schlechter — wie wenn eine Symphonie zur Monotonie vereinfacht wird, — er ist dann am Ende kein Staat mehr. Es ist auch fraglich, ob die Weiber-, Kinder- und Gütergemeinschaft das richtige Mittel zur Erzielung der Einigkeit ist. Denn die Einigkeit ist das»Werk der Liebe, der Freundschaft, des gegenseitigen Wohlwollens. Aber wie wenig Süßigkeit in viel Wasser getan unmerklich wird, so werden die Gefühle, die heute mit dem Namen Vater und Sohn verbunden sind, in jenem Staate gar zu wässerig werden, da jeder Bürger an die tausend Söhne hätte. Eigentlich kann dort niemand von einem Weibe, Kinde, Hause sagen: es ist mein, — jeder kann nur sagen: es ist unser. Aber so werden sich alle gleich wenig
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um sie kümmern. Denn für zweierlei neigt das Menschenherz zur Fürsorge: für das Eigene und das Geliebte. Der Mensch kümmert sich sehr genau um das, was ihm gehört, aber auf das, was er mit vielen gemeinsam hat, verwendet er wenig Sorgfalt. Schon deshalb, weil er denkt: ein anderer werde sich darum bekümmern (wie man oft von einer zahlreichen Dienerschaft schlechter bedient wird). Es läßt sich mit Worten nicht sagen, welche eigenartige Befriedigung es gewährt, wenn man etwas sein Eigen nennen kann. Die Liebe zu sich selbst ist kein zufälliges, sondern ein von der Natur uns eingepflanztes Gefühl. Nicht die Selbstliebe, nur die übertriebene Selbstliebe ist tadelnswert. Der Habsüchtige wird mit Recht getadelt, aber jeder hat Freude an seiner Habe. Und wie schön ist es, geben zu können, Menschen, die man liebt, sich gefällig und hilfreich zu erweisen, — auch das entspringt dem Eigentum. Der Platonische Staatsverein läßt zwei Tugenden fahren: die Enthaltsamkeit gegen die Frauen und die Freigebigkeit in bezug auf das Vermögen. Jener Staat sieht wohl recht freundlich und friedlich aus; man denkt, dort werde eine wunderbareFreundschaft aller gedeihen, zumal wenn man die gegenwärtigen Übel dem Privateigentum zuschiebt, wie die Rechtshändel, die Kriecherei der Armen vor den Reichen usw., Übel, die in Wahrheit nicht vom Privateigentum, sondern von der Schlechtigkeit des Menschen herrühren. Diejenigen, die etwas gemeinsam besitzen und benutzen, streiten viel mehr miteinander, als die, deren Besitz gesondert ist. Nur weil heute die Gütergemeinschaft nicht häufig vorkommt, achten wir die aus ihr entspringenden Streitigkeiten für gering. Überhaupt ist Zusammenleben und jede Art Gemeinschaft schwer, besonders aber in solchen Dingen. Über Nichtiges gerät man in Streit. Mit dem Hausgesinde hat man den meisten Verdruß. — Sollen die Grundstücke Privateigentum bleiben, der Ertrag als Gemeingut zusammengetan und gemeinsam verzehrt werden? Oder soll Grund und Boden Gemeingut sein, gemeinsam bestellt werden und der Ertrag nach Bedürfnis verteilt werden? Wenn die Felder nicht von den Bürgern bestellt würden, sondern von anderen, die außerhalb
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des Staatsverbandes stehen, wäre die Sache leichter. Wenn sie aber selbst arbeiten, ist es schwer, Arbeit und Genuß vollkommen gleich zu verteilen, und wenn dies nicht geschieht, ist die Klage derer, die mehr leisten und weniger genießen, gegen die, welche wenig tun und viel empfangen, unvermeidlich. Besser ist es, das Privateigentum beizubehalten, aber es durch gute Sitten und gute Gesetze zu verbessern und zu verschönern. Jeder sorge um das Seine, soleistet er mehr und die gegenseitigen Beschwerden fallen weg. Dennoch sollen die Güter in gewissem Sinne gemeinsam werden, nämlich im Sinne des Sprichworts: unter Freunden ist alles gemeinsam. Freundschaftlich gestatte jeder den anderen den Mitgenuß des Seinen, genieße mit ihnen das Ihrige, wie in Lakedämon jedermann sich der Sklaven, Pferde, Hunde des anderen wie seiner eigenen bedienen, und unterwegs von den Feldfrüchten nach Bedarf zehren kann. So wird der getrennte Besitz wie Gemeingut, die Vorzüge beider verbindend. Die Bürger zu solcher Gesinnung zu erziehen, ist recht eigentlich der Beruf des Gesetzgebers, dadurch entsteht die rechte Einigkeit des Staates. Vielen Staatsmännern und Philosophen schien es von altersher am wichtigsten zum inneren Frieden, die Vermögensverhältnisse richtig zu ordnen, denn aus ihnen entstehen die meisten Unruhen. Zuerst hat es Phaleas von Chalkedon vorgeschlagen, daß der Besitz aller Bürger gleich sei. Seiner Meinung nach könnte dies bei der Gründung eines neuen Staates ohne Schwierigkeit durchgeführt werden. In den bestehenden Staaten ließe sich der Ausgleich allmählich herbeiführen, er empfahl hierzu, daß die Reichen Mitgift geben, aber keine empfangen sollen, die Armen umgekehrt. Auch die Gesetze Solons und anderer Gesetzgeber, welche es verbieten, daß einer Grund und Boden über ein gewisses Maß erwerbe, oder daß mehr als ein Erbgut auf einen falle oder daß der Stammbesitz veräußert werde, zielen gleichfalls darauf hin, großen Vermögensunterschieden vorzubeugen, die Vermögen möglichst gleich zu halten. Es darf hierbei nicht übersehen werden, daß mit dem Besitz auch die Kinderzahl beschränkt
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werden muß, sonst tritt in der Folge Verarmung ein, die zur Revolution führt. Der Gesetzgeber darf sich jedoch nicht damit begnügen, daß er die Vermögen gleich mache, das gleiche Vermögen kann zu groß oder zu klein sein, ein gar zu üppiges oder ein kümmerliches Leben zur Folge haben. Er muß ein Mittelmaß erzielen. Aber es nützt nichts, wenn er ein mittleres Maß des Vermögens festsetzt, er muß vor allem in die Begierden Maß bringen. Das ist aber nur durch sittliche Bildung des Volkes möglich. GleichenBesitz und gleicheErziehung forderte auch Phaleas. Aber damit ist es nicht getan, wenn die Erziehung zwar gleich, aber derart ist, daß sie in jedem das Streben weckt, den andern in Reichtum oder Ehre oder in beidem zuvorzukommen. Nicht bloß die Ungleichheit des Besitzes, auch die ungerechte Verteilung der Ehren treibt die Menschen zur Empörung. Die Tüchtigeren empört es, wenn, wie Achilles klagt: „gleicher Ehre genießt der Tapfre und Feigling". Nicht nur die Entbehrung verführt die Menschen zur Übeltat, — auch die Begierde, das Leben zu genießen. Die größten Verbrechen entspringen nicht dem Mangel am notwendigsten. Nicht um sich vor Kälte zu schützen, wird einer Tyrann. Der Friede des Staates ist noch nicht gesichert, wenn man dem kleinen Unrecht vorbeugt. Vermögensgleichheit beruhigt die Masse, aber die Tüchtigen werden ungehalten und lehnen ¿ich auf. Daß die Guten nichts voraus haben wollen, die Schlechten nichts voraus haben können, — das ist zu vollbringen, dann wird Friede sein. 22. Die lakonische Verfassung, die von vielen als die beste gerühmt wird, trifft der Tadel, daß die ganze gesetzliche Ordnung, die Erziehung der Jugend, die Zucht der Bürger nur auf eine Tugend: die kriegerische, abzielt. Überhaupt in den meisten Staaten, wenn das bunte Durcheinander der Gesetze irgendeine einheitliche Absicht verrät, so ist es die Unterjochung der Nachbarn. Gewiß, die Kunst der Gesetzgebung hat nicht nur das Land und seine Bewohner, sondern auch ihr Verhältnis zu den Nachbarstaaten ins Auge Engelmann,
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zu fassen, und dafür zu sorgen, daß die Bürger kriegstüchtig und dem Feinde furchtbar seien. Wer nicht mutig und mannhaft den Kampf besteht, wird zum Sklaven jedes Angreifers. Aber nicht das sei der Zweck der Kriegstüchtigkeit, solche zu unterjochen, die ein besseres Los verdienen, sondern sich selbst vor Knechtschaft zu schützen, oder die Herrschaft zu erringen, damit man das allgemeine Beste verwirklichen könne, oder um jene zu bezwingen, die es verdienen, Sklaven zu sein. Aber es scheint, die meisten halten die Kunst der despotischen Herrschaft für Politik. Wenn die Verfassung des Staates die Unterjochung anderer Staaten zum Endzweck erhebt, wie sollte nicht jeder einzelne Bürger danach streben, seine Mitbürger zu unterdrücken! Der Gesetzgeber beachte wohl, was für Sinnesart er den Gemütern einprägt. Die Geschichte lehrt, daß Staaten, die es nur auf Krieg und Sieg abgesehen haben, sich nur solange halten, als sie Kriege führen, nach Erlangung der Herrschaft aber zugrunde gehen. Die Bürger solcher Staaten verstehen nicht im Frieden zu leben, reiner Muße zu pflegen. Das ist des Gesetzgebers Schuld. Das Leben ist Kampf und Frieden, Arbeit und Ruhe, notwendige, nützliche Mühsal und anmutige Kunst. Man muß Krieg führen, um Frieden zu haben, arbeiten, um Muße zu haben, das Notwendige und Nützliche vollbringen, um das Schöne zu erreichen. Der Gesetzgeber muß auf all dies acht haben, vorzüglich aber auf das, was höher, edler, was Zweck ist. Die Bürger sollen in ihren Geschäften gewandt und tapfere Krieger sein, noch mehr aber: edle Muße zu pflegen geschickt. Dazu müssen sie erzogen werden. Zum Leben der Tat gehört Mut und Beharrlichkeit, zum Leben in Muße: Philosophie, in beidem tut Mäßigung not. Zur ganzen Tugend, nicht nur zu einer besonderen, hat der Gesetzgeber die Bürger zu erziehen, wenn er ihnen ein glückliches und würdiges Leben verschaffen will. Das aber ist der Zweck des Staatsvereins. Vollkommen ist der Staat, dem es wohl ergeht. Es geht aber nur dem gut, der das Gute
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tut. Tugend, mit äußeren Gütern so weit ausgestattet, um sich in schönen und guten Werken betätigen zu können, ist die Bedingung des glücklichen Lebens der Einzelnen und der Staaten. Denn nicht durch Zufall, auch nicht durch Gewalt und Raub wird einem des Lebens höchster Preis zuteil, sondern durch große, edle Taten. Dazu gehören Geist und Güte. Aus ihnen entsprießt die Herr schertugend.
III. Thomas v. Aquino: Die Regierung der Fürsten. 1. Der Mensch ist ein geselliges Tier, weit mehr als die andern Tiere. Diesen gibt die Natur fertige Nahrung, Kleidung und Schutzwaffen, dem Menschen gab sie Vernunft, um sich das alles selbst anfertigen zu können. Dazu reichen aber die Kräfte des einzelnen Menschen nicht aus. Es gibt Tiere, die von Geburt an ihre Nahrung suchen, ihre Feinde fliehen, Schädliches meiden können. Der Mensch muß es erst erlernen. Was kann ein neugeborenes Menschenkind allein? Weinen. Zu erkennen, was dem Menschen nützt und schadet, und die Bedürfnisse des menschlichen Lebens zu befriedigen, vermag nur die Vernunft und die Arbeit der gesamten Menschheit. Darum müssen die Menschen in Gesellschaft leben, wo einer dem andern hilft, jeder nach seiner Fähigkeit Verschiedenes erfindet und schafft, und um ihre Gedanken einander mitzuteilen, ist ihnen die Sprache gegeben. Aber die Gesellschaft würde sich bald auflösen, wenn sich jeder nur um das eigene Wohl bemühte und es keinen gäbe, der für das gemeinsame Wohl der Gesamtheit sorgt. Denn das, was dem einzelnen gut und das, was für alle das Beste ist, fallen nicht immer zusammen. Es bedarf einer besonderen Kraft, die das Gemeinwohl betreibt. Die Verschiedenheit der Menschen läßt sie auch zu demselben Ziele verschiedene Wege gehen. Soll das Ziel gemeinsam erreicht werden, muß ein Führer da sein,- der den Weg bestimmt. Die Gesellschaft braucht eine Regierung.
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2. Die Regierung hat vor allem den Frieden, die Eintracht des Volkes zu bewahren. Wo kein Frieden, ist's um die Wohltaten des gesellschaftlichen Lebens geschehen. Ein Volk, das in Zwietracht lebt, wird von der eigenen Last erdrückt. Es ist für die Regierung keine Frage, ob sie Frieden schaffen soll, ebensowenig wie für den Arzt, ob er heilen soll, — die Frage ist nur, auf welche Weise? Je einmütiger die Regierung in sich selbst ist, um so eher kann sie die Einhelligkeit des Volkes bewirken. Daher ist die Regierung eines Einzelnen einer Regierung, die aus vielen besteht, vorzuziehen. Mehrere können überhaupt nur dann regieren, wenn sie untereinander einig, d. h. wie Einer werden. Pastores multi demoliti sunt vineam meam. Und das lehrt auch die Geschichte. Wenn aber die Herrschaft eines Königs die beste ist, so ist die Herrschaft eines Tyrannen die ärgste. Eine einheitliche Kraft ist zum Bösen wie zum Guten mächtiger als eine geteilte. Unter den gerechten Regierungen ist das Königtum besser als die Aristokratie, diese besser als die Politie. Unter den ungerechten ist die Tyrannis schädlicher als die Oligarchie, diese schädlicher als die Demokratie. Die Regierung ist ungerecht, wenn sie nicht auf das gemeine Beste, sondern auf den Vorteil der Regierenden steuert. Je mehr sie vom allgemeinen Wohl abweicht, um so ungerechter wird sie. Die Oligarchie weicht in größerem Maße vom Wohle der Gesamtheit ab als die Demokratie, denn diese strebt nach dem Wohle der Mehrheit, jene nach dem Wohl einer Minderheit, und die Tyrannis nur nach dem Wohlleben des Tyrannen. Es ist also zu wünschen, daß die Herrschaft, falls sie gerecht ist, in einer Hand sei, dann ist sie am stärksten; falls sie ungerecht ist, — daß sie in vielen Händen sei, die einander behindern und schwächen. 3. Das Erzübel der Tyrannis ist, daß sie die geistige Entwicklung des Volkes unterdrückt aus Angst vor hohem Sinn und edlem Mut, vor Freundschaft und Einmütigkeit der Untertanen; — sie verbietet alles, was deren sittliche Kraft heben könnte. Unter der Schreckensherrschaft arten die Men-
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sehen zu Knechten und Feiglingen aus, der Mannesmut geht verloren. Darum heißt es: Wenn Schelme regieren, gehen die Menschen zugrunde. Auch das Königtum hat erfahrungsgemäß ein Gebrechen^ das seine Eignung, das gemeine Beste hervorzubringen, bedeutend herabsetzt, nämlich: das Volk ist nicht so bereitwillig, dem Gemeinwohl Opfer zu bringen, wenn es das Gemeingut in der Macht eines anderen gleichsam als Fremdes sieht. Schwere Lasten trägt das Volk williger, wo es selbst sich die Last auflegt und alljährlich seine Obrigkeiten wählt. Man möchte es nicht glauben, ruft Sallustius aus, welche Macht in kurzer Zeit das römische Volk entfaltet hat, seitdem es seine Freiheit errungen hat. Aber dann zerbrach seine Kraft an inneren Zwistigkeiten und es verlor die Freiheit wieder. Es besteht auch die Gefahr, daß der Monarch nicht königlich, sondern tyrannisch regieren wird. Aber die Gefahr der Tyrannei ist nicht geringer, wenn mehrere regieren. Unter mehreren kommt es noch eher vor, daß einer böse Absichten hat; dann ist das Übel noch größer. Der Streit der Regierenden entzweit das Volk; das höchste Gut der Gesellschaft, der Frieden, ist dahin. Und derjenige, der aus dem Kampf der Regierenden als Sieger hervorgeht, wirft sich gewöhnlich zum Gewaltherrscher auf; so daß die Herrschaft mehrerer gemeinhin in Tyrannei endet. Rom wurde lange von mehreren Magistraten regiert, bis ihr Streit zum Bürgerkrieg und dieser zur Herrschaft grausamer Cäsaren führte. Da nun die Monarchie die beste Regierung ist, aber die ärgste werden kann, wenn sie ausartet, kommt es darauf an, ihre Ausartung zu verhüten. Vor allem ist der Charakter des Mannes zu prüfen, dem man die Regierung anvertraut. Sodann ist seine Macht so einzuschränken, daß er sie nicht leicht in Gewaltherrschaft umwandeln kann. Wird er trotzdem zum Tyrannen, so hat das Volk das Recht, ihn abzusetzen, selbst wenn es sich ihm einst für immer unterworfen, ihm ewige Treue geschworen hat. Der Herrscher war es, der die Treue gebrochen hat. Indes soll man die Art und Weise»
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wie der Gewaltherrschaft ein Ende zu machen sei, sorgfältig erwägen, daß nicht die Arznei ärger als die Krankheit werde. Es ist manchmal besser, sich zu gedulden, als sich durch übereilte Auflehnung in ein noch größeres Übel zu stürzen. Mißlingt der Aufstand, so wird der Tyrann noch härter. Oder auch der Aufstand kann den Bürgerkrieg entfesseln. Der Führer des Volkes, der den Tyrannen gestürzt hat, reißt die Gewalt an sich, und damit ihm nicht widerfahre, was er dem andern getan, legt er dem Volke ein noch schwereres Joch auf. Der Nachfolger des Tyrannen pflegt noch ärger zu sein. Zu verwerfen ist besonders jene Meinung, daß es tapferen Männern gezieme, ihr Leben für die Freiheit des Volkes zu wagen, um den Tyrannen aus dem Weg zu räumen. Das wäre ein Unheil, wenn Einzelne sich anmaßten, die Obrigkeiten des Volkes hinzurichten. Zu solcher Tat sind weit eher schlechte als gute Männer geneigt, den schlechten aber ist ein guter König nicht minder im Weg, als der Tyrann. Auf solche Weise würde das Volk eher seine Könige verlieren, als die Tyrannen los werden. 4. Für das Wohl des Volkes zu sorgen, ist des Herrschers Pflicht. Was ist sein Lohn? Es ist jedem eingeboren, nach dem eigenen Wohl zu streben. Was ist der würdige Lohn guter Könige? Cicero sagt: Könige werden mit Ruhm gespeist. Die sich damit nicht begnügen, die Reichtum und Wollust begehren, berauben und verunglimpfen ihre Untertanen. Also Ruhm und Ehre? Wahrlich ein schwacher Lohn für so viel Müh' und Plage. Was ist so wandelbar, so vergänglich wie die Meinung der Menschen) Gras, das verdorrt, Blume, die verwelkt. Das ist nicht der Lohn, der einem edlen Manne ziemt. Ehrsucht verträgt sich nicht mit hohem Sinn. Wer den Menschen zu gefallen trachtet, unterwirft sich ihrem Willen, wird ihr Knecht. Ehrgeiz nimmt der Seele ihre Freiheit, das höchste Gut, wonach hochherzige Männer streben. Diese verachten Ruhm und Leben um der Gerechtigkeit willen. Die Ruhmsucht der Könige bringt Unheil über die Völker, entzündet die Kriege. Zum Ehrgeiz gesellt sich zumeist die Heuchelei.
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Da es schwer ist und nur wenigen gelingt, die wahre Tugend zu erreichen, welcher die Ehre wahrlich gebührt, werden die Ehrgeizigen zu Tugendheuchlern. Sie haben die Miene, nicht den Sinn, sagt Sallustius. Es ist aber ein Jammer, wenn das Volk einen Heuchler zum Herrscher hat. Allerdings ist im Ehrgeizigen noch eine Spur von Tugend. Da er das Urteil der Welt scheut, ist er erträglicher, als der habgierige und der wollüstige Herrscher. Aber dem Edlen ist Ehre nicht etwas Großes, darin er den Lohn seiner Tugend sehen würde. Der Preis der Tugend ist: glücklich zu sein. Das ist ja des Menschen höchster Wunsch, das muß der Lohn der guten Tat sein. Und wer verdiente es mehr glücklich zu sein, als einer, der nicht nur sich selbst, sondern ein Volk zum Guten leitet, Millionen aus Not und Unterdrückung befreit, ihnen Frieden schafft und den rechten Weg weist? Aber wie erreicht er das Glück, das ihm gebührt? Glücklich ist, wer am Ziele seiner Wünsche ist. Aber der Reiche wünscht noch reicher zu werden, oder doch seinen Reichtum zu behalten, — und so geht es mit allen auf äußere, irdische Güter gerichteten Begierden — sie kennen kein Ende. Darum können äußere Güter nicht glücklich machen. Ein Fürst, dem es gelingt, seine Herrschaft gegen innere und äußere Feinde zu behaupten und seinen Kindern zu hinterlassen, ist deshalb noch nicht glücklich zu nennen. Aber wenn er gerecht regiert, wenn er eher seine Begierden, als Völker bezwingen will, wenn es ihm nicht um eitlen Ruhm, um die Schmeichelei falscher Zungen, um die Meinung irrender Menschen, sondern um das Heil seiner Seele, um den inneren Frieden zu tun ist, — dann wird er glücklich. Wer nach diesem inneren Glanz unentwegt strebt, wird ihn erreichen und auch der äußere wird ihm zuteil. Es ist nicht leicht, daß der Fürst diesen Weg wandle. Es ist schwer, daß er unter Schranzen und Schergen nicht vergesse, daß auch er nur ein Mensch ist. Mancher, der im niederen Stande edlen Sinn bewährte, hat ihn auf dem Thron verloren. In der Herrschaft zeigt sich der Mann. „Der wird billig gelobet, der wohl Übels tun konnte und es doch nicht tat." (Sirach 31.10.)
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5. Wenn das Volk sieht, daß der Herrscher sich aufrichtig um das gemeine Beste bemüht, so liebt es ihn, denn das Volk in seiner Gesamtheit ist nicht so boshaft, daß es seine Freunde hassen, seinen Wohltätern mit Bösem vergelten würde. Die Liebe des Volkes verleiht der Herrschaft Bestand, das Volk steht fest bei seinem Fürsten in allen Gefahren. „Ein König, der die Armen treulich richtet, des Thron wird ewiglich bestehen" (Sprüche 29,14.). Eine Regierung, die dem Volke verhaßt ist, kann keine Dauer haben. Tyrannen wollen ihre Herrschaft auf Schrecken gründen, — gefürchtet zu sein, ist ihr Streben. Aber Furcht ist kein fester Grund. Wen nur die Furcht niederhält, der lehnt sich bei der ersten Gelegenheit auf. Und die bietet sich früher oder später. Denn kein Leben vergeht ohne Ungemach, und sobald ein solches dem Tyrannen zustößt, steht das Volk wider ihn auf. Selbst die Furcht wird gefährlich, wenn sie bis zur Verzweiflung steigt, die allen Gefahren trotzt. Keine Gewaltherrschaft war von Dauer. Aber das böse Beispiel bleibt und wirkt, und macht den Tyrannen für die Missetaten seiner Nachahmer verantwortlich. 6. Des Herrschers Beruf ist, dem Volk ein gutes Leben zu schaffen, denn deswegen hat es sich vereint. Nur ein tugendhaftes Leben kann gut sein, also muß er sie zu einem tugendhaften Leben führen. Das sind die Pflichten des Fürsten: daß er den Frieden bewahre, daß er das Volk zu guten Taten leite, und dafür sorge, daß es die zum Leben notwendigen Dinge in genügendem Maße habe. Und wenn er also das gute Leben seiner Untertanen eingerichtet hat, muß er sich befleißigen, daß es ihnen nicht nur erhalten bleibe, sondern immer besser werde. Er muß sorgsam darüber wachen, daß nirgends eine Verderbnis anhebe, keine Störung des Friedens, keine Lässigkeit im Dienste des Gemeinwohls. Da die Menschen, denen er die verschiedenen Dienste zum Wohle der Gesamtheit auflegt, sterblich sind, ja schon bei Lebzeiten ihre Fähigkeiten abnehmen, muß der Fürst für einen trefflichen Nachwuchs sorgen. Stets soll er darüber nachdenken, alle Einrichtungen des Staates zu vervollkommnen.
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Und er darf auch das Schöne und Anmutige nicht vergessen, ohne welche das Leben öde wird. Das Volk bedarf des Vergnügens, aber mit Maß. Genußsucht läßt die Pflicht vergessen, macht weichlich, feige und unfähig, und verleitet zu allem Bösen, um der Lust frönen zu können. Aber im maßvollen Vergnügen erholt sich die Seele und steht frisch auf zu neuer Tätigkeit.
IV. Dante: Monarchie. Zur Wohlfahrt der Welt ist es notwendig, daß die ganze Menschheit von Einem Herrscher gelenkt werde. Dies wollen wir beweisen. 1. Alles was ist, ist um zu wirken da, und jedes Ding hat seine eigene Wirkung. Der Daumen hat seinen Zweck, einen anderen hat die ganze Hand, einen anderen der Arm, einen wieder anderen der ganze Mensch. Zu einem andern Zweck ist die Familie bestimmt, zu verschiedenem das Dorf, die Stadt, das Reich, und der Endzweck — darüber hinaus wir nicht trachten können — ist der, zu welchem Gott mit seiner Kunst — die Natur heißt — das ganze Menschengeschlecht geschaffen hat. Der Menschheit in ihrer Gesamtheit kommt eine Wirkung zu, die ein Mensch, eine Familie, eine Stadt, ein Reich für sich allein nicht vollbringen kann. Des Menschen eigentliche Wirkung aber ist der Gebrauch seines Verstandes, dieser ist seine höchste, wesentliche Kraft, die in Gedanken und Werken vollends zu entfalten kein Einzelner, keine Teilgemeinschaft, nur die ganze Menschheit zusammenwirkend vermag. 2. Wie nun im Einzelnen, indem er sitzt und ruht, die Einsicht reift, so kann auch das ganze Menschengeschlecht seine eigentliche Wirkung dann am besten und freiesten ausüben, wenn es in Frieden lebt. Das beste Mittel zur Wohlfahrt der Menschheit ist der allgemeine Frieden. Darum ruft die himmlische Schar (Luk. 2,14): „Gott sei Lob in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Der Gruß des Erlösers war: Friede mit euch! Das ist der höchste Gruß.
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Welches ist aber das nächste Mittel zum allgemeinen Frieden? 3. So oft mehrere zu einem Zweck zusammenwirken, ist es notwendig, daß einer sie leite. Damit Kind und Gesind Wohlleben, — was der Zweck der Familie ist —, ist es notwendig, daß der Hausvater sie unterweise und ihnen gebiete. Ein Ort, wo mehrere Familien zusammenwohnen, um sich gegenseitig helfend mit dem Notwendigen zu versehen, muß seinen Richter haben, — die Stadt ihre Obrigkeit, sonst löst sich die Gemeinde auf. Wie die Stadt, so strebt auch ein Reich, und zwar mit weit stärkerer Zuversicht, nach genügsamer Wohlfahrt und Ruhe, aber ein König muß es regieren, damit es nicht zerfalle. Luk. 11, 17: „Ein jeglich Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste, und ein Haus fällt über das andere." Also muß auch die Menschheit, die ihren gemeinsamen Zweck hat, ihren gemeinsamen Herrscher haben. Die Ordnung, die in den Teilen notwendig ist, ist es auch im Ganzen. Zum Bilde Gottes ist das Menschengeschlecht geschaffen. Umso wohler wird dem Menschengeschlecht, je ähnlicher es Gott wird. Am ähnlichsten wird es, wenn es am meisten einig ist. Denn es heißt: Höre zu, Israel, unser Gott, unser Herr ist einig. In Gott allein ist die wahre Einheit. Das Menschengeschlecht wird am meisten eins, wenn es sich unter der Herrschaft Eines Herrschers vereint, der alle nach gleichem Gesetze lenkt, wie die Bewegungen des Himmels einem Gesetze folgen. So meint es auch Boethius: „Wiewohl wäre dir, menschliches Geschlecht, wenn eure Gemüter die Liebe beherrschte, die des Himmels Kreis beherrscht." 4. Wo Zank entstehen mag, soll auch ein Richter nicht fehlen, sonst ist es übel bestellt. Zwischen zwei Fürsten, deren einer dem andern nicht untergeordnet ist, kann Zank entstehen, aus eigener oder ihrer Untertanen Schuld. Da muß es einen Richter geben, dessen Gerichtszwang sich auf beide erstreckt. Gibt es neben diesem einen andern, seinesgleichen, außerhalb seines Gerichtszwanges stehenden, so ist wieder einer nötig, der über beide gewaltig ist. So kommen wir letzten Endes auf die Notwendigkeit eines obersten Richters, dessen
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Urteil allem Hader ein Ende macht. Die Vielheit von Fürsten ist ein Übel. E i n Herrscher soll sein. 5. Sodann ist die Welt am besten eingerichtet, wenn in ihr die Gerechtigkeit am wirksamsten ist. Nur der Herrscher der Menschheit vermag vollkommene Gerechtigkeit zu üben. Die Gerechtigkeit wird wie eine vollkommen weiße Farbe allzuleicht getrübt. Sie kann schon im Willen des Richters auf Widerstand stoßen. Wenn der Wille nicht frei ist von aller Begierde, wird die Gerechtigkeit, obschon vorhanden, nicht ganz lauter bleiben. Deshalb soll man das, was durch Gesetz entschieden werden kann, nicht in die Willkür des Richters stellen, und es ist billig, jeden zu verweisen, der das Gemüt des Richters durch Leidenschaft verwirren will. Es kann aber dem Richter auch an der nötigen Macht fehlen, um das Gesetz zu verwirklichen. Der Monarch, der über die ganze Menschheit herrscht, ist unter den Sterblichen der willigste und mächtigste, um der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen. Die Begierde hat in ihm aufgehört, er hat nichts zu wünschen übrig, nur der Ozean begrenzt seinen Machtkreis. Aber auch deshalb ist er am meisten geeignet zur Gerechtigkeit, weil er zur Menschenliebe am meisten fähig ist. Denn wie die Gerechtigkeit in der Begierde erlischt, so wird sie durch die rechte Liebe entflammt. Denn die Liebe sucht das Wohl der Menschen, das aber am stärksten durch den Frieden, und dieser am stärksten durch die Gerechtigkeit gefördert wird. Also bekräftigt die Liebe die Gerechtigkeit im höchsten Maße. Daß aber der Allherrscher die größte Liebe für die Menschen und ihr Wohl hegen wird, folgt daraus, daß alles Liebenswerte umsomehr geliebt wird, je näher es dem Liebhabenden zugehörig und je mehr es sein Werk ist. Während den übrigen Fürsten die Menschen nur stückweise angehören — (nach Abstammung, Wohnort, Sprache und dergleichen) — gehören sie dem Monarchen dem ganzen nach,, als Menschen an. Und weil dieser sich bewußt ist, daß er die allgemeine Ursache ihrer Wohlfahrt ist, liegt sie ihm am meisten am Herzen. 6. Umso wohler fühlt sich das Menschengeschlecht, je
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freier es ist. Frei ist, wer um seiner selbst willen, nicht um eines anderen willen ist, sagt der Philosoph (Aristoteles). Wo die Bürger nicht um des Bürgermeisters willen, das Volk nicht um des Königs willen da ist, sondern umgekehrt, da herrscht Freiheit: Der Bürgermeister, der König beherrschen wohl die andern in Ansehung des Weges, aber in Ansehung des Zieles sind sie Diener der andern. Der Monarch ist der Diener aller. In seiner großen Liebe zu den Menschen will er, daß alle Menschen gut seien. Das ist aber nicht möglich, wenn sie schlecht regiert werden. In den verkehrten Verfassungen ist, wie der Philosoph sagt, der gute Mensch ein schlechter Bürger. Verkehrt sind jene Verfassungen, in welchen die Gewalt eines Einzelnen, einer Minderheit oder der Mehrheit die übrigen knechtet. Der Monarch wird solchen Regierungen ein Ende machen und es so einrichten, daß in den einzelnen Ländern ein würdiger König, oder eine Anzahl vortrefflicher Männer, oder das Volk, welches die Freiheit liebt, selbst regiere. 7. Nur wer selbst tüchtig ist im Regieren, kann darin andere wohl unterweisen. Der Mensch bringt in all seinem Tun, bewußt oder unbewußt, seinem eigenen Wesen ähnliches hervor. Daher auch die Freude an seinem Werk, — es ist die Freude am eigenen Sein, das sich in den Werken ausbreitet. Man kann nicht anders wirken, als man selbst ist. Wer glaubt, andere mit schönen Worten zu guten Sitten bereden zu können, während er selbst schmutzige Werke übt, täuscht nur sich und macht sich vergebliche Mühe. Man schenkt mehr Glauben den Taten als den Worten. Die Hände Jakobs waren beredter als seine Worte, obschon die Stimme wahr, die Hände falsch redeten. „Was verkündigest du meine Rechte und nimmst meinen Bund in deinen Mund, so du doch Zucht hassest und wirfst meine Worte hinter dich?" — .spricht Gott zum Gottlosen (50. Psalm 16, 17). Du redest vergebens, dieweil du ein anderer Gesell bist. Nun kann aber niemand zum Herrscher tauglicher sein, als der Monarch. Zwei Eigenschaften sind es, deren ein Herrscher, der Gesetze geben und vollziehen soll, vor allem bedarf: Einsicht und Gerechtigkeit. Darum bat der weise Kö-
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nig: „Gott, gib deine Einsicht dem Könige und deine Gerechtigkeit des Königs Sohne" (72. Psalm 1). Einsicht und Gerechtigkeit, beide werden am meisten durch die Begierde verdorben. Also wird der Monarch, der keinen oder doch unter den Menschen den geringsten Anlaß zur Begierde hat, der Einsicht und Gerechtigkeit am meisten fähig sein und folglich der Tauglichste zum Regieren wie auch andere darin zu unterweisen. 8. Was Einer Volbringen kann, geschieht besser durch Einen, als durch viele. Das Überflüssige ist Gott und der Natur zuwider. Nicht nur besser ist es, daß Einer es tue, sondern nur das ist gut, — daß viele es machen, ist geradezu schlecht. Es ist aber möglich, daß die ganze Menschheit von einem Herrscher gelenkt werde. Das ist freilich nicht so zu verstehen, als ob er selbst jeden Schulzen anweisen könnte. Länder und Völker haben ihre Eigentümlichkeit, und müssen nach verschiedenen Gesetzen regiert werden. Das Gesetz ist ein Richtscheit, das die rechte Straße des Lebens anzeigt. Andere Gesetze, andere Regierung passen für die Skythen im Norden als für die Mauren im Süden, denn ihr Leben ist anders. Aber es gibt ein allgemein Menschliches, und diesem gemäß allgemeine Grundsätze, die allen füglich und tauglich sind, und durch welche allein die Menschheit zum Frieden geführt werden kann. Diese allgemeinen Regeln müssen die Landesfürsten von einem einzigen Herrscher empfangen, sonst ist des Haders kein Ende. 9. Alles, was gut ist, ist es durch Einheit. Dann ist dem Menschen wohl, wenn er einig ist an Leib und Seele. Dasselbe gilt für ein Haus, eine Stadt, ein Reich, für die ganzeMenschheit: in der Eintracht liegt ihr Wohl. Eintracht ist die Einigkeit vieler Willen, ihre einheitliche Bewegung nach einem Ziele. Diese Einigkeit vieler Willen ist nur möglich, wenn ein Wille alle anderen lenkt, wenn es Einen gibt, der über alle herrscht. Diese Gründe der Vernunft bestätigt die Erfahrung: niemals war das menschliche Geschlecht so glücklich als zur Zeit des allgemeinen Friedens unter der Weltherrschaft des Kai-
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sers Augustus. Wie aber seit jener Zeit bis auf unsere Tage die Welt zugerichtet worden ist, wollte Gott, daB wir es nicht sehen müßten! Welches Maß von Leiden, von Zerstörung mußte die Menschheit erdulden, seitdem sie zu einem viel' köpf igen Tier geworden ist! O Menschengeschlecht, krank ist dein Verstand, krank ist dein Gefühl! Du achtest weder auf die Gründe der Vernunft, noch auf die Erfahrung, auch nicht auf die Anmut der göttlichen Unterweisung: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, daß Brüder einträchtiglich beieinander wohnen!"
V. Machiavelli: Der Fürst. 1. Der Fürst kann die Herrschaft geerbt, oder selbst erworben haben. Dem Erben eines alten Herrschergeschlechts bringt das Volk eine natürliche Neigung entgegen. An die Herrschaft seines Stammes gewöhnt, beneidet man ihn nicht mehr; ein solcher Fürst hat auch selten Grund und Anlaß, seinen Untertanen nahezutreten; daher wird er geliebt. An der alten Ordnung soll er nur nicht viel rütteln. Einer, der die Herrschaft neu errungen hat, ist in weit schwierigerer Lage. Seine Erhebung kränkt viele, die Hoffnungen und Ansprüche seiner Freunde und Helfer kann er nur schwer befriedigen, ihnen mit gebührender Strenge entgegenzutreten, ist auch nicht leicht, und um seine Herrschaft zu sichern, ist er genötigt, dem Volk militärische Besetzung und andere Lasten aufzuerlegen. 2. Wenn ein Fürst zu seinem Erblande eine neue Provinz erobert, deren Sprache und Sitten dieselben sind, so wird der alte und der neue Besitz leicht zu einem Ganzen verschmelzen. Die Familie, die vordem in der Provinz geherrscht hat, ist zu vernichten. An den Gesetzen und Gebräuchen soll nichts geändert werden, und besonders sind keine neuen Steuern zu erheben. Eine Provinz mit fremder Sprache und fremden Sitten zu beherrschen, kostet viel Mühe, und es gehört Glück dazu, sie zu behalten. Es ist ratsam, daß der Fürst seinen Wohnsitz im eroberten Gebiet aufschlage: da kann er den Aufruhr im Keime wahrnehmen und unterdrücken; denn dieses Übel ist wie manche Krankheiten: anfangs schwer zu erkennen, später schwer zu heilen. Die Gegenwart des HerrE n g e l m a n n , Staatsphilos.
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schers hält auch seine Minister im Zaume, daß sie das Volk nicht brandschatzen, — die Klagen der Untertanen erreichen schnell den Fürsten. Sind seine Minister gerecht, schreibt man es ihm zu, — sind sie hart, wird er gefürchtet. Auch äußere Feinde wagen nicht so leicht das Land anzugreifen, um es dem Fürsten zu entreißen, wenn er dort wohnt. Ratsam ist es auch, nach römischem Beispiel militärische Kolonien an verschiedenen Orten der Provinz anzusiedeln. Dem Fürsten kosten solche Kolonien wenig. Die Untertanen, denen Land entzogen wird, sind nicht zahlreich, sie sind zerstreut und arm, sie können dem Fürsten nicht schaden. Die anderen vielen, die ihr Land behalten, sind froh und bleiben ruhig, damit es ihnen nicht ähnlich ergehe. Hingegen die militärische Besetzung des ganzen Landes mit Garnisonen allerorten, zehrt das Einkommen des Landes auf und darüber, die Einquartierung schädigt und verletzt die meisten Untertanen und macht sie zu Feinden im Hause. 3. Der Eroberer soll ein wachsames Auge auf die Nachbarfürsten haben: sich der schwächeren annehmen, die mächtigen mit allen Mitteln zu schwächen trachten. Besonders aber muß er es verhüten, daß in seinem Lande einer Fuß fasse, dessen Macht der seinen gleichkommt. Wenn ein mächtiger Fremder in ein Land eindringt, schließen sich ihm die kleineren Machthaber im Lande gerne an aus Neid und Haß gegen den, der bisher der Mächtigste war, und helfen bereitwillig, diesen zu stürzen. Auch das ist eine Regel, die selten trügt: wer einen andern groß macht, richtet sich selbst zugrunde. Der Emporkömmling hegt Argwohn gegen den, der ihn emporgehoben hat, fürchtet dessen Macht und Eifer, und trachtet, sich seiner zu entledigen. Ein Land, das von einem unumschränkten Herrscher regiert wird, ist schwer zu erobern, aber nach der Eroberung leichter zu behalten, als ein Land, in welchem es außer dem Fürsten noch mehrere Große gibt, die an der Macht seit altersher teilnehmen. Wer das Land eines absoluten Herrschers angreift, kann auf keine Unterstützung von innen durch die Minister rechnen. Diese sind insgesamt Kreaturen des
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Fürsten, sie revoltieren nicht, und sind schwerlich-zu bestechen; und wenn schon, nützt es nicht viel, denn sie haben keinen Anhang im Volk, das in ihnen nur Diener sieht und für sie keine Liebe empfindet. Ist es aber dem Eroberer gelungen, mit seiner eigenen Macht die gesamten Kräfte des Herrschers vernichtend zu schlagen und die Herrscherfamilie auszurotten, so braucht er niemand mehr zu fürchten. Anders in einem Lande, wo die Großen nicht aus des Herrschers Gnade geworden, sondern eigene, urwüchsige, erbliche Macht besitzen, jeder sozusagen seinen eigenen Staat hat, Untertanen, die in ihm ihren eigentlichen Herrn sehen. Leicht finden sich unter diesen Großen Unzufriedene, die dem Eroberer mit ihrem ganzen Anhang zur Hilfe kommen, ja ihn rufen. Aber nach der Eroberung machen sie ihm viel zu schaffen, sowohl die, welche ihm geholfen haben, wie jene, die er noch zu bezwingen hat. Städte und Länder, die an die Herrschaft eines Fürstengeschlechts gewohnt waren, können sich, wenn dieses ausgestorben ist, schwerlich einigen, um aus ihrer Mitte einen zu erheben; sie unterwerfen sich willig dem Eroberer. Hingegen, wenn eine freie Stadt, deren Bürger sich selbst regierten, erobert wird, so lassen weder die Zeit noch Wohltaten sie die verlorene Freiheit, die selbst bestimmten Gesetze vergessen. Sie tragen Haß und Rache nach. Der Name: Freiheit dient stets zum Vorwand des Aufstandes. Es ist am besten, wenn der Eroberer einer solchen Stadt ihre Gesetze läßt, sich mit einem Tribut begnügt, und zur Regierung einige Bürger aus ihrer Mitte bestimmt, die bestrebt sein werden, die Macht des Fürsten zu festigen, um ihre eigene zu behalten. 4. Wer sich aus eigener Kraft zum Herrscher aufgeworfen hat, hat besonders mit einer Schwierigkeit zu kämpfen: er muß, um seine Herrschaft zu sichern, neue Gesetze, eine neue Verfassung einführen. Das ist immer gefährlich. Die sich unter der alten Verfassung wohlbefunden haben, werden heftige Gegner der neuen, und die, denen die neue Verfassung vorteilhaft ist, verteidigen sie nur lau aus Furcht vor den andern und aus Unglauben. Die meisten Leute haben wenig Vertrauen 6*
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zu Einrichtungen, die nicht seit langem erprobt sind. Das Volk ist wankelmütig, leicht zu irgend etwas zu bereden, schwer dabei festzuhalten. Wenn nun das Volk den Glauben an die heuen Einrichtungen verliert, muß der Herrscher die Gewalt haben, ihm den Glauben wieder beizubringen, — so hat es der neue Herrscher einzurichten. Wen ein glücklicher Zufall zum Herrscher erhoben hat, wird sich nur behaupten können, wenn er ein Mann von Geist ist. Nicht leicht versteht sich einer, der immer in privaten Verhältnissen gelebt hat, aufs Gebieten. Äuch die Fähigkeit genügt nicht: er muß eine Armee haben, die ihm treu ergeben ist. Das alte Heer, das ihm nicht gefügig ist, muß er auflösen und ein neues schaffen; er muß sich Freunde gewinnen, und Feinde aus dem Wege räumen; streng und großmütig sein, um sich beim Volke beliebt und gefürchtet zu machen; er muß sich die Freundschaft und Achtung anderer Fürsten verschaffen, daß sie sich ihm gefällig erweisen oder doch sich hüten, ihn zu beleidigen. Auf solche Weise kann er die Herrschaft, welche ihm der Zufall gebracht hat, fest begründen, indem er nachträglich vollbringt, was jene, die sich die Herrschaft aus eigener Kraft erringen, im voraus leisten. Auch durch Verbrechen, Mord, Treubruch, ruchlose Taten kann einer sich die Herrschaft erwerben. Die Herrschaft gewiß: aber keinen wahren Ruhm. 5. Die Gunst seiner Mitbürger kann einen zum Herrscher erheben und zwar die Gunst der Großen oder die des Volkes. In Unterdrücker und Unterdrückte teilt sich jeder Staat. Wehrt sich das Volk kräftiger gegen seine Bedrücker, so wählen sich die Großen einen Fürsten, um in seinem Namen dreister Gewalt ausüben zu können. Und wenn das Volk sieht, daß es sich allein nicht wehren kann, wählt es sich einen Beschützer. Der Fürst, der sich auf die Großen stützt, kann sich schwerer halten als der vom Volke Erwählte. Die Großen um ihn dünken sich ihm gleich, gehorchen wider Willen, haben Ansprüche, die er billigerweise nicht befriedigen kann, und argwöhnisch, hinterlistig und nur auf ihren Vorteil bedacht, sind sie immer bereit, sich gegen ihn zusammenzurotten, sich
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einem andern anzuschließen, der Aussicht auf Sieg hat. Es kann sich auch kein Herrscher behaupten, wenn das Volk ihm feindlich gesinnt ist. Gar viele sind das Volk, der Großen nur wenige. Dieser kann sich der Fürst entledigen, aber nicht des Volkes. Darum muß auch der Fürst, der durch den Beistand der Großen zum Herrscher geworden ist, vor allem das Volk für sich zu gewinnen trachten. Er nehme es in Schutz und es wird ihm um so dankbarer sein, als es von ihm nichts Gutes erwartete. Das Volk ist leichter zu befriedigen als die Großen;