Meister Eckhart. Lebensstationen - Redesituationen 9783050048093, 3050031271, 9783050031279

Die uns überlieferten Texte Meister Eckharts sind Niederschlag von Unterweisungen, Vorlesungen und Predigten. Ihnen lieg

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German Pages 405 [392] Year 1997

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Meister Eckhart. Lebensstationen - Redesituationen
 9783050048093, 3050031271, 9783050031279

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Klaus Jacobi

(Hg.)

MEISTER ECKHART

Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge Band 7

Im

Auftrag der Dominikanerprovinz Teutonia

herausgegeben von Isnard W. Frank OP Kaspar Elm Ulrich Horst OP Walter Senner OP

(Federführender Herausgeber)

Klaus Jacobi

(Hg.)

MEISTER ECKHART: LEBENSSTATIONEN REDESITUATIONEN -

Akademie

Verlag

Gedruckt mit

Unterstützung der Dominikanerprovinz Teutonia

CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Bibliothek -

Meister Eckhart: Lebensstationen Redesituationen / hrsg. von Klaus Jacobi. Berlin : Akad. Verl., 1997 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens ; N.F., Bd. 7) -

-

ISBN 3-05-003127-1

NE:

Jacobi, Klaus [Hrsg.]; GT

ISSN 0942-4059 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Das

Oldenbourg-Gruppe.

Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -

-

Satz: Werksatz J. Schmidt, Gräfenhainichen Druck: GAM Media, Berlin Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Printed in the Federal

Republic of Germany

Langensalza

INHALT

(Freiburg i. Br.) Vorrede. Klaus Jacobi

Siglen.

13

Reinhard Margreiter (Berlin) Mystik zwischen Literalität und Oralität. Meister Eckhart und die Theorie medialer Noetik.

15

ECKHART IN ERFURT

Wolfgang Wackernagel (Ascona) Eloge du redemeister: discours et discernement dans les Discours du discernement

45

Markus Enders (München) Die Reden der Unterweisung: eine Lehre vom richtigen Leben durch einen guten und vollkommenen Willen.

69

ECKHART IN PARIS Edouard-Henri Wéber OP

(Paris)

du théologien Eckhart à Paris en 1302/1303.

95

von Perger (Freiburg i. Br.) Disputado in Eckharts frühen Pariser Quästionen und als Predigtmotiv.

115

L'argumentation philosophique personnelle Mischa

ECKHART IN STRASSBURG

Eugen Hillenbrand (Freiburg i. Br.) Der Straßburger Konvent der Predigerbrüder in der Zeit Eckharts Otto Langer (Bielefeld) Meister Eckhart und sein Publikum am Oberrhein. Zur Anwendung rezeptionstheoretischer Ansätze in der Meister-Eckhart-Forschung

151

.

.

175

Marie-Anne Vannier (Strasbourg) La thématisation de la mystique rhéno-flamande par Eckhart. ECKHART IN

193

KÖLN

Walter Senner OP (Köln) Meister Eckhart in Köln

.

207

Rolf Schönberger (Regensburg) Wer sind „grobe Hute"? Eckharts Reflexion des Verstehens.

239

Johann Kreuzer (Wuppertal) Gottesgeburt und Rückkehr zur Eckhart

261

eigenen

Endlichkeit.

Überlegungen zu Meister

.

Reiner Manstetten (Heidelberg) Meister Eckharts Stellungnahme zu Predigt 2: Intravit Iesus in quoddam castellum im Kölner Häresieprozeß. Ein Essay über Wahrheit und Nachvollzug

279

Nikiaus

Largier (Chicago) Figurata locutio. Hermeneutik und Philosophie bei Eckhart von Hochheim und Heinrich Seuse

.

303

ECKHART IN AVIGNON Winfried Trusen (Würzburg) Meister Eckhart vor seinen Richtern und Zensoren. Eine Kritik falsch

gedeuteter

Redesituationen.

335

Jürgen Miethke (Heidelberg)

Der Prozeß gegen Meister Eckhart im Rahmen der zuchtverfahren gegen Dominikanertheologen

spätmittelalterlichen Lehr-

.

353

STATT EINER KONKLUSION Wouter Goris (Amsterdam/Köln) Eckharts Entwurf des Opus triparütum und seine Adressaten.

379

Register. 393

VORREDE Klaus Jacobi

(Freiburg i. Br.)

Der Titel dieses Bandes wiederholt das Thema einer Tagung, die vom 9. bis zum 11. Juni 1995 in der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg stattgefunden hat. Die hier gesammelten Beiträge gehen auf die damals gehaltenen Vorträge zurück; sie wurden nach den Diskussionen und Gesprächen überarbeitet, manchmal auch tiefgehend umgearbeitet. Hinzugekommen ist ein Beitrag eines Tagungsteilnehmers, der durch das Gehörte zum Schreiben angeregt worden ist. Im Vorbereitungsstadium habe ich mit vielen Kollegen, die über Meister Eckharts Denken und Leben geforscht haben, Briefe gewechselt; ich danke für alle Ratschläge, die ich erhalten habe. Unter den Korrespondenten gab es nicht wenige, die gern an der Tagung teilgenommen hätten; sie haben bedauert, durch Krankheit oder durch anderweitige Verpflichtungen verhindert zu sein. Ihnen vor allem möchte ich diesen Band widmen. Ich hoffe, daß es Gewinn bringt und Freude macht, zu lesen, was man nicht hören konnte. Geschriebenes als Dreingabe zu Gesprochenem, wohl auch als Ersatz für nicht Gehördamit ist eine Fragestellung genannt, die die Planung der Tagung und nun auch tes des vorliegenden Bandes bestimmt hat. Die Fragestellung ist typisch für den Freiburund Spannungsfelder zwischen Mündlichger Sonderforschungsbereich keit und Schriftlichkeit'. Die Arbeit im Teilprojekt Wissensvermittlung in der Scholastik' führte zum Tagungsplan. Wir haben Kenntnis vom Wissen der Scholastik, weil dieses Wissen schriftlich niedergelegt wurde. Aber die primäre Art der Wissensvermittlung war die Rede. Vieles, was uns geschrieben vorliegt, war primär Gegenstand von Vorlesungen in den Schulen; es wurde für den Unterricht geschrieben. Und auch Schriften wie Traktate und Summen, die für stilles Studium verfaßt sind, tragen in ihrem Stil das Gepräge der Mündlichkeit. Indes wurde das für die mündliche Vorlesung Aufgeschriebene auch abgeschrieben; die Abschriften waren für Leser bestimmt. Und es ist nicht auszuschließen, daß auch der Verfasser beim Konzipieren mehr an seine künftigen Leser dachte als an seine Hörer. Für eine Fallstudie über Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist Meister Eckhart ein besonders interessanter Autor. Er begegnet uns obwohl im Medium von Schrift unmittelbar als Meister der Rede. So stark ist dieser Eindruck, daß Forscher lange Zeit vermutet haben, wir hätten seine Predigten nur deshalb in schriftlicher Form, weil die Hörerinnen das Gehörte nachträglich aufgeschrieben hätten. Heute nimmt -

,Übergänge

-

-

Klaus Jacobi

8

daß Eckhart nicht nur die lateinischsprachigen, sondern auch die deutschauch die Predigten und ,Reden' der Unterweisung, selbst geschrieben hat,1 aber geschrieben eben als Vorbereitung für die Rede, in der er sich wohl auch vom geschriebenen Text gelöst hat. In der Vorrede zum Opus tripartitum, der gewaltigen unvollendeten Schrift, die aus einem Opus propositionum, einem Opus quaestionum und einem Opus expositionum et sermonum bestehen sollte, andererseits bezieht Eckhart sich auf mündliche Kommunikationen zurück. „Eifrige Mitin Vorlesungen brüder", so berichtet Eckhart, hätten ihn gedrängt, „das, was sie und anderen aliis actibus [in lectionibus] scholasticis], wie auch in Schulübungen [et und Predigten [in praedicationibus] täglichen Besprechungen [in cottidianis collatiohören schriftlich zu nibus] gewohnt waren, niederzulegen".2 Solche Berichte sind als für einen Primat zwar topisch, aber der Mündlichkeit deshalb nicht weniZeugnis ger aussagekräftig. Nehmen wir also Meister Eckhart als einen Autor, dessen Denkform die Ansprache ist. Wer einen solchen Denker verstehen will, muß ihn in seiner Redesituation aufsuchen. Er muß die Angesprochenen kennenlernen. Was konnte Eckhart bei seinen Hörern und Hörerinnen voraussetzen? Belehrte er sie? Ging er auf ihre Fragen ein? Erfüllte er Erwartungen oder korrigierte er sie? Was können wir über die Probleme, die Hörerinnen und Hörer mitbrachten, in Erfahrung bringen? In den in diesem Band gesammelten Beiträgen durchwandern wir die Welten, in denen Eckhart tätig war: die Welt des Klosters, die der Pariser Universität, die der religiösen Bewegungen. Eckhart antwortet jeweils spezifisch auf die unterschiedlichen Anforderungen: In Erfurt spricht er als Prior in den täglichen Kollationen vor allem über den Gehorsam; das Gehorsamsgelübde war das Gelübde, das Dominikaner explizit ablegten. In Paris ist Eckhart Magister; in seinen Quästionen finden wir Stellungnahmen zu Fragen, die an der Universität kontrovers diskutiert wurden. In Straßburg und wohl auch in Köln ist Eckhart in erster Linie als Prediger und Seelsorger gefragt; es gibt Gruppen von Begeisterten, vielleicht auch wahrhaft vom Geist Gottes Ergriffenen, die dazu tendieren, Visionen und Ekstasen als ihr persönliches Himmelreich aufzufassen und sich außerhalb der Ordnungen von Kirche und Gesellschaft zu stellen; sie kompromittieren den Dominikanerorden, dessen Seelsorge sie doch suchen. In Köln und dann in Avignon muß Eckhart sich gegen Angriffe verteidigen. Auch dies sind Redesituationen. Wer sie verstehen will, muß sich Kenntnis von den juristischen Verfahrensregeln verschaffen. Er muß weiter bereit sein, auch das Recht der anderen Seite, der prüfenden Instanzen, in den Blick zu nehmen. In Köln wird Eckhart angeklagt, selbst zum Häretiker geworden zu sein. In Avignon werden Sätze, man

an,

sprachigen Werke,

...

die Eckharts Schriften entnommen 1

2

sind, zensuriert. In der abschließenden Bulle heißt

Cf. N. Largier: „Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung. 1980-1993". In: Zeitschrift für deutsche Philologie 114 (1995), 29-98, hier 41. Prologus generalis in opus tripartitum, n. 2; LW I, 1, 148. 5-9; Largier II, 462, 7-12 (Übersetzung K. Weiß); cf. LW I, 2, 21, 5-9.

Vorrede

9

Irriges „gepredigt, verkündet [dogmatizavit] und geschrieben"; er habe „mehr wissen wollen, als sich gebührt" und „den wahren Glauben in den Herzen vieler vernebelt".3 Eine Situation ist immer eine wahrgenommene, beschriebene, eingeschätzte Situation. In den Beiträgen dieses Bandes wird viel dafür getan, die Redesituation Eckharts nicht einseitig nur aus seinem Blickwinkel zu zeichnen. Wie, so wird gefragt, schätzte Eckhart seine Adressaten, ihre Bedürfnisse und ihre Erwartungen ein? Was wissen wir aus anderen Quellen über die Hörer? Wie versteht Eckhart seine Aufgabe als Seelsorger, und was verstehen die Prüfenden unter guter Seelsorge? So fruchtbar der Ansatz bei den Redesituationen für das Verständnis ist es wird in diesem Band doch auch deutlich, daß Eckhart nie nur aus der einzelnen Situation heraus denkt und nie nur für eine einzelne Situation spricht oder schreibt. Wenn er im Kloster für seine Mitbrüder spricht, spricht er doch nicht nur sie, sondern „die Hute" an; jeder Mensch, der aufmerken will, ist mitgemeint. Die „Lehre vom richtigen Leben" ist nicht nur eine Lehre vom richtigen Leben im Kloster. Was Eckhart in Paris gelehrt hat, das greift er in Predigten wieder auf; was scholastische Gelehrtenfrage war, erweist sich als lebensentscheidend. Wenn man Eckhart vorwirft, er schätze seine Hörer falsch ein und predige für Ungelehrte in einer Weise, die nur Gelehrten zugänglich sei, dann antwortet er, indem er die Unterscheidung zurückweist: er predige für die, die aufnahmebereit sind. Aufnahmebereitschaft aber ist keine soziologisch-situative, sondern eine spirituelle Bezeichnung; Aufnahmebereite kann man in jeder Situation erhoffen. Es ist weiter keineswegs sicher, daß Eckhart die Arbeit am lateinischen Opus tripartitum mit seinem Weggang aus Paris beendete. Die fratres studiosi, an die Eckhart sich wendet, müssen nicht auf die eingeschränkt sein, die ihn tatsächlich gehört und um Niederschrift gebeten haben; jeder Leser kann zum studiereifrigen Mitbruder werden. Wenn Eckhart fortlaufend am Werk gearbeitet hat, Nachträge und Ergänzungen einfügend, dann ist das lateinische Werk am wenigsten adressatenbezogen. Ich stelle mir gern vor, daß Eckhart in täglicher Kontemplationsübung an diesem Werk geschrieben hat. Ergänzend zu der zunächst formulierten finden wir eine zweite Verstehensbedingung: Wer einen Denker, dessen Denkform die Ansprache ist, verstehen will, muß sich ansprechen lassen. Die Tagung bot Gelegenheit nicht nur zu wissenschaftlichen Nachfragen und Diskussionen, sondern auch zu engagierten Gesprächen. Bei aller Kontrolliertheit spüre ich auch in vielen Beiträgen ein Interesse an Eckhart, das nicht nur historisch und nicht nur intellektuell ist eine Bereitschaft, dem lebemeister zuzuhören und sich treffen zu lassen. es, Eckhart habe

-

-

Papst Johannes XXII.: Bulle In agro dominico vom 27. März 1329. Ed. M.-H. Laurent OP: „Autour du procès de Maître Eckhart. Les documents des Archives Vaticanes". In: Divus Thomas (Piacenza) 39 (= HI/13) (1936), 331-348; 430-447, hier 436 (Übersetzung K. J.).

10

Klaus Jacobi

Wer eine untersuchende Rede versteht, der kann dazu übergehen, sie zu prüfen: Welche Voraussetzungen werden gemacht? Wie wird argumentiert? Welche Einwände sind möglich? Eckhart wirbt um eine andere Art von Verstehen. Wer mich versteht, so sagt er, der geht den Weg des Lassens; er gibt den Eigenwillen auf. Welche Art von Verstehen ist uns, den Eckhart-Lesern ein paar Jahrhunderte nach seinem Tod, angemessen? Über diese Frage wurde während der Tagung immer wieder gesprochen; Antworten unterschieden sich nach dem Standpunkt, von dem aus sie gegeben wurden, dem Standpunkt des Historikers etwa oder dem des Kontemplierenden. Ich versuche als Einladung an Leser, in wenigen Strichen anzudeuten, wie ich Verbindungen suche: Eckhart spricht zu den Mitbrüdern im Erfurter Kloster über den Sinn des Gehorsamsgelübdes. Es geht ihm aber nicht um die Frage, wem sie gehorchen sollen und warum sie gehorchen sollen. Dies wäre eine Frage der Gemeinschaftsbildung im Kloster. Eckhart spricht auf einer anderen Ebene. Gehorsam bedeutet ihm Aufgabe des Eigenwillens, überhaupt Aufgabe des Seinen. Das ist von vornherein die Lehre der Kontemplation, die Eckharts Lebensthema ist: nichts wollen, alles lassen; Gott für sein Wirken in uns Raum geben. Die Rede über das Gehorsamsversprechen wird zur Ermunterung, auf das, was ist (oder: auf den, der ist) und uns ansprechen will, zu hören. Eckhart predigt zu Gruppen, die auf besondere Weise ein religiöses und spirituelles Leben suchen. Er nimmt ihre Intention auf. Gedanklich steht er diesen Gruppen nah, und man kann annehmen, daß die Ordensoberen dies wußten, als sie ihn nach Straßburg schickten. Die religiös Begeisterten konnten sich von Eckhart verstanden fühlen. Aber Eckhart korrigiert die Lebensführung der Brüder und Schwestern vom freien Geist. Er predigt gegen übersteigerte Askese und Visionsverzückung. Das Leben, das der lebemeister lehrt, ist kein Leben der sektiererischen Absonderung, sondern ein normales .aktives' Leben unter den Leuten. Die Abgeschiedenheit ist innerlich. Sie bedeutet nicht Teilnahmslosigkeit, sondern gerade Teilnahmebereitschaft, nämlich rückhaltloses Sich-Überlassen. Für Eckhart gibt es zwischen dem, was er in lateinischer Sprache an der Pariser Universität gelehrt hat, und dem, was er in deutscher Sprache predigt, keine Kluft. Er will die Theologie nicht vereinfachen, um predigend seine Zuhörerinnen und Zuhörer zu erreichen. Er klammert theologisch schwierige Themen auch nicht aus, wenn er predigt. Er denkt darüber nach, wie er sich, ohne zu simplifizieren, verständlich machen kann. Er sucht eine anschauliche Sprache. Er findet Gleichnisse für Zusammenhänge, die jenseits von Vorstellbarkeit und Wahrnehmbarkeit liegen. Dies ist aber mehr als nur ein Übersetzungsvorgang zugunsten der Hörerinnen und Hörer. Es ist Ausdruck von Eckharts Denken, von seiner Auffassung von Theologie und von Gott. Einerseits ist Gott der, dem nichts gleicht. Wer ihn sucht, darf sich nicht an das Irdische als solches binden. Andererseits ist das Irdische geschaffen, und als Geschöpf ist ein jegliches „Gottes voll und ist ein Buch". Eckharts Nachdenken über sprachliche Vermittlung deckt sich mit seinem Nachdenken über Gott, der sich mitteilt. Eck-

11

Vorrede

harts Nachdenken über den sich mitteilenden Gott ist zugleich Nachdenken über das Denk- und Verstehensvermögen des Menschen.4 Eckharts Nachdenken über das Verstehensvermögen des Menschen ist Nachdenken über das Gott-gleich-Sein des Menschen. *

* *

Dieser Band verdankt sein Zustandekommen vielen. P. Dr. Walter Senner OP gab den Anstoß für meine Planungen durch einen Vortrag, den ich 1993 in Walberberg hörte, und durch ein nachfolgendes Gespräch. P. Senner ist auch zu danken, daß dieses Buch in den ,Quellen und Studien zur Geschichte des Dominikanerordens' erscheinen kann. Die Ordensprovinz Teutonia hat die Drucklegung durch einen Zuschuß zu den Druckkosten ermöglicht. Dr. Reiner Manstetten hat an der Tagungsplanung sehr interessiert und engagiert teilgenommen; Gesprächen mit ihm verdanke ich viel. Frau Bruni Thanner, die sorgfältige und kluge Sekretärin des Philosophischen Seminars II der Universität Freiburg, hat all das getan, was bei der Durchführung einer Konferenz und bei der Betreuung eines Sammelbands nötig ist; die Tagungsteilnehmer und die Referenten, deren Beiträge in diesem Band erscheinen, haben ihr für mannigfache aufmerksame Hilfe zu danken. Zu danken ist auch den studentischen Hilfskräften am Philosophischen Seminar. Prof. Dr. Ludwig Wenzler, Direktor der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg, war Gastgeber für die Konferenz; ohne seine Unterstützung hätte die Eckhart-Tagung nicht stattfinden können. Herr Wenzler hat an der ganzen Tagung teilgenommen; seine Präsenz bei den Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen und nicht zuletzt seine Einladung zur Eucharistie waren für viele inspirierend. Dr. Mischa von Perger und Frau Sybille Paulus M. A. haben die Drucklegung sehr sorgfältig betreut; sie haben die Vorlagen vereinheitlicht und dabei manchen Fehler korrigiert, der den Verfassern unterlaufen war. Die Register hat Herr Dr. Wouter Goris sachverständig und umsichtig erstellt. Ich bin ihm für diese kollegiale Hilfe besonders dankbar. Den Verfassern der hier publizierten Aufsätze danke ich für gute Zusammenarbeit, dem Akademie Verlag, besonders dem verantwortlichen Lektor, Herrn Manfred Karras, für gute Druckbetreuung.

4

Cf.

e.

g.

Predigt 9,

DW II, 141-158;

Largier I,

104-117.

SIGLEN

Die Siglen ,DW' und ,LW' verweisen auf die jeweiligen Bände der kritischen Ausgabe der deutschen und lateinischen Werke Meister Eckharts. Diese Ausgabe ist noch unvollständig. Sie wurde unter der Leitung von Josef Quint und Josef Koch begonnen; die ersten Lieferungen erschienen 1936. Albert Zimmermann und Loris Sturlese bringen seit einigen Jahren die Ausgabe der lateinischen Werke voran: Meister Eckhart: Die deutschen und lateinischen Werke. Herausgegeben im der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart: Kohlhammer. DW I: Meister Eckharts

Predigten.

Auftrag

Ed. et trad. Josef Quint, erster Band, 1958.

DW II:

Predigten (wie oben), zweiter Band, 1971. DW III: Predigten (wie oben), dritter Band, 1976. DW V: Meister Eckharts Traktate. Ed. et trad. Josef Quint, 1963. LW I, 1 : Magistri Echardi Prologi. Expositio libri Genesis. Liber parabolarum Genesis. Ed. et trad. Konrad Weiß, 1964. LW I, 2: Magistri Echardi Prologi in opus tripartitum et Expositio libri Genesis secundum recensionem Cod. Oxoniensis Bodleiani Laud misc. 222 (L). Adiecta sunt recensiones cod. Amploniani Fol. 181 (E) ac codd. Cusani 21 et Treverensis 72/1056 (CT) denuo recognitae. Ed. Loris Sturlese, noch unvollständig, bisher erschienen: 1.-2. Lieferung, 1987; 3.-4. Lieferung, 1992. LW II: Magistri Echardi Expositio libri Exodi. Ed. et trad. Konrad Weiß. / Sermones lectiones super Ecclesiastici cap. 24. Expositio libri Sapientiae. Ed. et trad. Heribert Fischer, Josef Koch. / Expositio Cantici canticorum cap. 1, 6. Ed. et trad. Heribert Fischer, 1992. et

LW III: Magistri Echardi Expositio sancti evangelii secundum lohannem. Ed. et trad. Karl Christ, Bruno Decker, Josef Koch, Heribert Fischer, Loris Sturlese, Albert Zimmermann, 1994. LW IV:

Magistri Echardi

Sermones. Ed. et trad. Ernst Benz, Bruno Decker, Josef

Koch, 1956. LW V: Fratris Echardi

Principium:

Collado in libros Sententiarum. Ed. et trad. Josef

Siglen

14

Koch. / Magistri Echardi Quaestiones Parisienses una cum Quaestione Magistri Consalvi. Sermo die b. Augustini Parisius habitus. Ed. et trad. Bernhard Geyer. / Magistri Echardi Tractatus super Oratione dominica. Ed. Erich Seeberg [mit einer von ihm redigierten Übersetzung von Heinrich Lammers], 1936 (= 1.-2. Lieferung). / Magistri flies: Fratris] Echardi Sermo paschalis 1294 Parisius habitus. Ed. et trad. Loris Sturlese. I Acta Echardiana. Ed. et comment. Loris Sturlese, 1988 (= 3.-4. Lieferung). Die Prozeßakten innerhalb der „Acta Echardiana" sind noch unvollständig. Zusätzlich verweisen einige Autoren mit den Siglen .Largier I' und .Largier II' auf die kommentierte, zweisprachige Neuausgabe, die Nikiaus Largier von den bisher in DW erschienenen Werken Eckharts gemacht hat. Beigefügt ist eine Auswahl aus den lateinischen Werken nach LW. Auch die Übersetzungen sind aus DW und LW übernommen:

Übersetzungen. 2 Bände, ed. et comment. Nikiaus

Meister Eckhart: Werke. Texte und Largier, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker

Verlag,

1993.

MYSTIK ZWISCHEN LITERALITÄT UND ORALITÄT Meister Eckhart und die Theorie medialer Noetik Reinhard Margreiter (Berlin)

Ich stelle im folgenden einige programmatische Überlegungen an, die sich auf die in der einschlägigen Forschung kaum beachtete Möglichkeit beziehen, die Schriften Meister Eckharts und das sich in ihnen ausdrückende philosophische, theologische, pastorale und mystische Denken aus der Perspektive einer umfassenden .Theorie medialer Noetik' zu betrachten und zu analysieren. Ich werde mich dabei vor allem auf die Dimension der zu erläuternden Eckhartschen Mystik beziehen, da mir diese als für einen allgemeinen Mystikbegriff durchaus repräsentativ erscheint und da m. E. die gleichfalls zu erläuternde Theorie medialer Noetik jene Parameter liefert, die es ermöglichen, Mystik als ein gleichermaßen noetisches, emotionales und existentielles Phänomen zu interpretieren, das aus einer umfassenden Erfahrungsund Kulturkonzeption heraus genetisch und funktional verstanden werden kann. Nach einer einleitenden Klärung der Frage, ob Eckhart denn überhaupt als Mystiker zu betrachten sei (Abschnitt 1), und nach einer Skizze der Grundzüge des Phänomens .Mystik', deren Belege ich Eckharts deutschen Predigten entnehme (Abschnitt 2), lege ich den Begriff der medialen Noetik dar (Abschnitt 3) und plädiere für eine Synopsis dieses Begriffs mit neueren symbol- und prozeßphilosophischen Ansätzen (Abschnitt 4). Zuletzt geht es um die Frage einer Applikation der symbolisch-medialen Erfahrungs- und Kulturtheorie auf das Phänomen der Mystik im allgemeinen (Abschnitt 5) und auf Eckhart im besonderen (Abschnitt 6). -

bislang

-

-

-

1. Ist Eckhart ein

-

-

Mystiker?

In der neueren Fachdiskussion über Eckhart ist man sich nicht einig, ob bzw. in wie hohem Maß sein Denken als zur Mystik gehörig einzustufen sei. Solcher Dissens hat nicht so sehr mit kontroversen Auslegungen Eckhartscher Thesen und Argumentationen zu tun beispielsweise im Hinblick auf den Status seiner Intellekttheorie als vielmehr mit der verbreiteten Unsicherheit gegenüber dem Begriff .Mystik' (der in seiner substantivischen Form bekanntlich eine neuzeitliche Wortprägung ist und, wenn überhaupt, auf Eckhart bzw. auf mittelalterliche Überlieferungen nur retrospektiv angewendet werden kann).1 So bekämpfen etwa Kurt Flasch und die sogenannte -

-

Zur Wort- und

Begriffsgeschichte von .Mystik' cf. L. Bouyer: „.Mystisch"

Zur Geschichte eines -

16

Reinhard

Margreiter

Bochumer Schule strikt den (vor allem im Gebrauch mancher Altgermanisten und Theologen) schwammigen Mystikbegriff, den sie als zudem anachronistische Leerformel ablehnen.2 Die ,Bochumer' interpretieren Eckhart (im Zusammenhang mit Dietrich von Freiberg) als einen Antizipator moderner Transzendentalphilosophie, der subjekttheoretische Einsichten des späten achtzehnten Jahrhunderts und der Folgezeit vorwegnehme.3 Sie bestreiten die (bei Kurt Ruh noch stark betonte) philosophischtheologisch-pastorale Funktionseinheit des Eckhartschen Denkens4 und glauben, in seinem Werk einen autonomen, von Theologie unabhängigen philosophischen Diskurs aufweisen zu können. Flaschs Einspruch gegen einen gewissermaßen verschlampten, d. h. zu wenig hinterfragten und oft unbesehen repetierten Mystikbegriff, wie er uns vielfach im literaturwissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Schrifttum des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts begegnet, wäre zu begrüßen, liefe er auf die Forderung hinaus, einen funktionstüchtigen, systematischen Mystikbegriff zu erarbeiten. Doch er zielt auf eine schlechthinnige Eliminierung des Begriffs. Die methodische Begründung kann kaum überzeugen, denn es ist wohl eine vor allem der Anachronismusvorwurf hermeneutische Selbstverständlichkeit, daß ein historisch zurückliegendes Denken auch anders als mit dessen immanenter Begrifflichkeit rekonstruiert werden darf. Daraus, daß Eckhart selbst den Ausdruck ,Mystik' nicht gebraucht, läßt sich nicht folgern, wir dürften ihn nicht vorausgesetzt natürlich, wir wissen, wovon wir reden als Mystiker bezeichnen. Was darüber hinaus zum einen die Trennung von theologischem und philosophischem Diskurs, zum anderen die systematische Einschätzung der ,deutschen Dominikanerschule' als frühe Transzendentalphilosophie betrifft, so läßt sich von einer im Prinzip wohl richtigen, aber doch auch einseitig übertreibenden -

-

-

-

-

-

Darstellung sprechen. Im Gegensatz zum Verdikt der ,Bochumer' erscheint es mir durchaus sinnvoll, auch in bezug auf vorneuzeitliches Denken den überlieferten Ausdruck ,Mystik' beizudies allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, deren erste es sein behalten muß, den Terminus zu präzisieren. Auf die damit verbundenen Schwierigkeiten gehe ich kurz ein. Folgen wir Wittgensteins Satz, die Bedeutung eines Wortes sei (zumeist) sein Gebrauch in der Sprache, und richten wir den Blick auf die faktischen Verwendungsweisen von ,Mystik' und ,mystisch', so stellen wir fest, daß uns die genannten Ausdrücke in einer Vielzahl unterschiedlicher Sprachspiele mit jeweils unterschied-

2

Wortes". In: Das Mysterium und die Mystik. Beiträge zu einer Theologie der christlichen Gotteserfahrung, ed. J. Sudbrack. Würzburg: Echter, 1974, 57-75. Cf. K. Flasch: „Meister Eckhart Versuch, ihn aus dem mystischen Strom zu retten". In: Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie, ed. P. Koslowski, Zürich: Artemis, 1988, 94-110. Cf. Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart. Ed. K. Flasch, Hamburg: Meiner, 1984; B. Mojsisch: Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit. Hamburg: Meiner, 1983. Cf. K. Ruh: Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker. München: Beck, 1985; 2„ Überarb. Aufl. 1989. -

3 4

Mystik zwischen Literalität und Oralität

17

licher Bedeutung begegnen. Da die Ausdrücke sehr oft als Platzhalter für eine Ahnung, Andeutung, ein noch Unbestimmtes oder (angeblich) schlechthin Unbestimmbares in der Welterfahrung des Menschen stehen als Negation des (angeblich) Klaren, Verständlichen, Begriffenen, Vernünftigen -, kann vielfach auch von einer -

extrem

verschwommenen, an Leerformelhaftigkeit grenzenden Bedeutung gesprochen

werden. Dafür ist vor allem die komplexe Wortgeschichte mit all ihren Schattierungen und Kontingenzen verantwortlich. Antike und Mittelalter kannten nur das aus dem griechischen Verb ,¡túetv' (d. h. ,die Augen und Ohren schließen') abgeleitete Adjektiv und Nomen ,|íuoxlxóc/u.i)ottiolov' (lat. mysticus/mysterium), was soviel wie ,geheimnisvoll/Geheimnis' bedeutet, in einer auf die sogenannten Mysterienkulte bezogenen, also religiösen Sondersprache geprägt und anschließend sowohl in die griechische und lateinische Alltagssprache als auch in neue und weitere Sondersprachen übernommen wurde, z. B. in den philosophischen Diskurs (man denke an Piatons terminologische Bezugnahmen auf die Mysterienkulte). Dabei blieben (womit sich das Problem verknüpft, ob Philosophie gegenüber der vorerst heidnischen Religion einen Bruch bedeutet oder deren Fortsetzung) die Ausdrücke .jtuanxóc/uOTTriQiov' bis in den pejorativen Wortgebrauch der modernen Aufklärung hinein, wo ,mystisch' nur noch soviel heißt wie ,dunkel, obskurantistisch, unvernünftig, abergläubisch' religiös konnotiert. Diese Konnotation kennzeichnet auch die spezifische Bedeutung, die .mystisch' in der Sprache der christlichen Theologie annimmt. Die Übervernünftigkeit des Glaubens gilt als dessen .mystische' Dimension. Und dort, wo die Grenzen des dem Menschen Denkbaren thematisiert und wo die Diskurse von Theologie und Philosophie besonders enggeführt werden wie bei Eckhart oder zuvor schon bei Ps.-Dionysius Areopagita -, rücken .mysticus/mysterium' in den innersten Kern des Wortfeldes von Denken und Vernunft: einerseits als deren schlechthinnige Negation, andererseits als ein die Vernunft in dialektischer Einheit mit umfassender Überbegriff. Noch bevor daher im Europa des siebzehnten Jahrhunderts die volkssprachlichen Nomina ,Mystik' und .Mystizismus' (mysticism, mysticisme, misticismo) als antiaufklärerische, fideistische Kampfformeln geprägt werden und noch bevor Kant sie als das „Jenseits' und Hegel sie als das .Eigentliche' der Vernunft definieren,5 ist das semantische Feld, auf dem der Begriff sich entwickelt und gedeiht, vorgezeichnet. Mystik indiziert ein systematisches Problem. Je nachdem, wie Erfahrung und Vernunft angesetzt werden, fungiert Mystik als deren spezieller Korrelationsbegriff. Aus der Verschiedenheit der Ansätze resultiert eine breite Palette von miteinander oft unverträglichen Bedeutungen. Wenn neuere Philosophen über Mystik sprechen, dann meinen diejenigen, die einen restriktiven Vernunft- und Erfahrungsbegriff verwenden -

-

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-

-

-

Zu Kants Äußerungen über Mystik cf. die Kritik der Urteilskraft sowie die beiden Spätschriften Das Ende aller Dinge (1794) und Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (1796); Hegels Äußerungen über Mystik finden sich hauptsächlich in seiner Religionsphilosophie, seiner Ästhetik und seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie.

18

Reinhard

Margreiter

(z. B. Kant oder der frühe Wittgenstein), jene Dimension des menschlichen Lebens, die sich nicht denken bzw. nicht aussprechen läßt, während andere, die die gesamte Wirklichkeit des Lebens in einer somit entgrenzten Konzeption von Vernunft und Erfahrung repräsentiert sehen (z. B. Hegel oder Bergson), unter .Mystik' den Inbegriff oder sogar das Telos von Vernunft und Erfahrung verstehen. Dazu kommt, daß der Ausdruck ,Mystik' der zweifellos zuerst in theologischem Kontext geprägt und verwendet wurde im Verlauf des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in zahlreiche außerreligiöse Diskurse eindringt und sich dort (unter vergleichbaren, aber keineswegs gleichen Parametern) mehr oder minder etabliert. So spricht man mittlerweile nicht nur von religiöser, sondern auch von philosophischer, ästhetischer, alltäglicher oder Sprachmystik, wobei strittig bleibt, ob diese bereichsspezifischen Mystiken' strukturelle Eigenständigkeit beanspruchen dürfen oder ob es sich bloß um Pseudomorphosen und Reminiszenzen aus dem Bereich der Religion handelt, aus dem sich die in der Moderne eigenständigen Erfahrungs-, Kultur- und Lebensweltbereiche Philosophie, Kunst, Alltag, Sprache usw. historisch ausdifferenziert haben. Handelt es sich also bei diesen ,Mystiken' um seriös interpretierbare Analogien oder um bloße Äquivokation? Als weitere Komplikation kommt hinzu, daß sich selbst wenn wir damit einverstanden wären, Mystik nur und ausschließlich als religiöses Phänomen gelten zu lassen auch die Theologen über Wert und Sinn von Mystik keineswegs einig sind. So werten (vorwiegend protestantische) Theologen wie Karl Barth oder Emil Brunner das ,Wort' gegenüber der ,Mystik' auf, während (vorwiegend katholische) Theologen wie Hans Urs von Balthasar oder Hugo und Karl Rahner die Mystik zum Inbegriff des Glaubens erklären. Wer all die Sprachspiele, in denen heutzutage von Mystik die Rede ist, ohne den Versuch einer hermeneutischen Anstrengung, sie voneinander zu sondern und einzeln zu würdigen, blind nebeneinanderstellt, sieht sich einer nahezu babylonischen Sprachverwirrung ausgesetzt. Wenn wir uns freilich erstens an systematischen Gesichtspunkten, zweitens an den Hauptlinien der Wortgeschichte und drittens an sogenannten ,klassischen' und .kanonischen' Mystikertexten (z. B. den Predigten Eckharts) orientieren, finden wir auch wenn wir darauf verzichten, entweder den Begriff ,Mystik' selbst willkürlich festzulegen oder eine der vorfindlichen Festlegungen, unter Ausblendung aller anderen, zu favorisieren aus dieser Verwirrung sehr wohl einen Ausweg. Die meisten Bedeutungen, denen wir begegnen, stehen nämlich in einem deutlichen Verweisungszusammenhang, sofern wir Mystik (vorläufig) nicht als Grundoder Erklärungsbegriff, sondern als Ziel- oder Problembegriff auffassen:6 d.h. als einen Begriff, der das Problem der Grenzen und/oder des Ganzen von Vernunft und Erfahrung anzeigt wobei vorläufig auch unerheblich ist, ob wir dieses Problem philosophisch-allgemein oder ausschließlich auf dem Boden des Lebenswelt- und Kulturbereichs Religion stellen. Freilich ist es so, daß, wer sich denkend mit dem indizierten -

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Cf. O. Schwemmer: Die Philosophie und die Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990, 32.

Wissenschaften.

Zur Kritik einer

Abgrenzung.

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Mystik zwischen Literalität und Oralität

Problem beschäftigt, wohl auch zu methodischen und inhaltlichen Lösungen gelangen wird, die zu methodischen und inhaltlichen Festlegungen des Terminus .Mystik' führen. Im Kontext bestimmter und explizierter Vernunft- und Erfahrungskonzeptionen wird somit der Problembegriff .Mystik' vermutlich über kurz oder lang zu einem

möglichen Erklärungsbegriff. Um präzis von Mystik sprechen zu können, sind aber, wie gesagt, auch die klassischen Mystikertexte von Belang, die wie das Werk Eckharts oft lange vor dem historischen Auftauchen des Ausdrucks ,Mystik' entstanden sind und retrospektiv durch jeweilige Editionen und Beschreibungen von Mystiktheoretikern und -protagonisten wie Franz von Baader, Joseph von Görres, Martin Buber u. a. ,kanonisiert', d. h. als (normative) Mustertexte mystischen Inhalts festgelegt wurden. Natürlich gibt es bei diesen Kanonisierungen unterschiedliche Prinzipien der Identifikation und Zuordnung .mystischer' Merkmale (bei Buber7 z. B. die vor der Folie eines einseitig stilisierten Erlebnisbegriffs erfolgende Ausklammerung .spekulativer' Texte), den-

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noch treffen wir auf eine ganze Reihe von Überschneidungen und Übereinstimmungen. Die weitgehende Konkordanz solcher ,Merkmalskataloge' von Mystik kann vorläufig-phänomenologisch beschrieben werden, ohne daß damit bereits eine besondere Erklärungstheorie mitgeliefert werden müßte (was natürlich nicht heißt, eine solche Phänomenologie könne schlechthin theoriefrei erfolgen). Die einzelnen Charakteristika werden in derartigen ,Katalogen' etwa von William James, Buber, Evelyn Underhill, Aldous Huxley, Henri van Praag, Josef Sudbrack und Karl Albert8 in unterschiedlicher Vollständigkeit, Gewichtung und Interpretation angeführt. Die Kataloge' liefern einen orientierenden Hintergrund, vor dem klassische Mystikertexte gelesen und verstanden werden können. -

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2. Charakteristika der

.mystischen Erfahrung'

Ich nehme im folgenden Eckharts deutsche Predigten als Referenztexte, um einen eigenen in meinen Augen prägnanten und einigermaßen vollständigen Merkmalskatalog ,mystischer Erfahrung' zu präsentieren. Er enthält zufälligerweise und nicht -

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M. Buber: „Vorwort" und „Einleitung: Ekstase und Bekenntnis". In: Ekstatische Konfessionen. Ed. M. Buber, Jena: Diederichs, 1909; 5. Aufl. (ed. P. Mendes-Flohr) Heidelberg: Schneider, 1984, p. XIII-XX und XXI-XXXVHI. Cf. W. James: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Freiburg i. Br.: Walter, 1979; Buber: „Vorwort" (n. 7); id.: „Einleitung" (n. 7); E. Underhill: Mystik. Eine Studie über die Natur und Entwicklung des religiösen Bewußtseins im Menschen. München: Reinhardt, 1928; A. Huxley: Die ewige Philosophie. Zürich: Steinberg, 1949; H. van Praag: Die acht Tore der Mystik. München: Droemer Knaur, 1990; J. Sudbrack: Mystik. Selbsterfahrung Kosmische Erfahrung Gotteserfahrung. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1988; K. Albert: Mystik und Philosophie. St. Augustin: Richarz, 1986. -

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zahlenästhetischen Gründen zwölf Bestimmungen. Diese ergeben, wie auch immer man sie einzeln und in ihrem funktionalen Zusammenhang interpretiert (z. B. als reale Erfahrung, Spekulation, Weltflucht, Wunschstruktur usw.), insgesamt ein idealtypisches Bild dessen, was vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts an bis heute im allgemeinen Verständnis als Mystik figuriert. Meine Beschreibung sagt noch nichts aus über ihren Wahrheits- und/oder Erfahrungswert. Dennoch verwende ich heuristischerweise den Begriff der Erfahrung. Da sich die zwölf Bestimmungen inhaltlich z. T. berühren und überschneiden, könnte, was in ihnen strukturiert und zusammengefaßt ist, auch anders gestaltet und angeordnet werden, so daß auch eine höhere oder geringere Anzahl von Merkmalen denkbar wäre. Die Charakteristika lauten schlagwortartig wie folgt: 1. Erfahrung von All-Einheit termini technici dafür sind ,unio mystica' bzw. ,'évtoatç' und Ich-Entgrenzung; 2. Erfahrung von Transkategorialität, d. h. Negation von Zahl, Vielheit, Gegenständlichkeit, Raum, Zeit und Kausalität; 3. gesteigerte Emotionalität, die sich mit ,Liebe' und ,Ekstase' umschreiben läßt; 4. eine Art Neugeburt, d. i. ein Umschlag der Persönlichkeit (,u,eiávoia'), die sich in den Gefühlen von Authentizität, Harmonie und Seligkeit ausdrückt; 5. die Erfahrung von Freiheit, Gelassenheit und Willenlosigkeit; 6. die Erfahrung von Augenblicklichkeit (.xaiQÓc'), Unverfügbarkeit und Passivität; 7. die zur Glückserfahrung kontrapunktische Erfahrung von Leiden, Einsamkeit und Todesnähe; 8. die Erfahrung eines in sich gestuften Prozeßablaufs, der sich zwar nicht planen und herstellen läßt, jedoch wiederholt erfahren und dabei reflektiert werden kann, so daß eine Praxis, ein Handlungs- bzw. Verhaltenswissen möglich wird; 9. die Erfahrung von Paradoxalität im Gebrauch jeder Symbolik und jedes Mediums das betrifft insbesondere die Sprache -, worin sich die unio ausdrücken ließe, oder, allgemeiner gesprochen: 10. die Negation von ,Bild' und ,Weise'; 11. die mit der Erfahrung des Verstummens bzw. erschwerter Kommunikation sich ergebende Tendenz zu Esoterik, Innerlichkeit, sozialem Rückzug: 12. sogenannte paranormale Erlebnisse wie Audition, Elevation, Zeitreise usw. Einzuräumen ist, daß diese Motive in Eckharts Predigten und Traktaten zwar häufig und immer wieder, aber doch in ungleicher Verteilung und in einem konkreten einzelnen Textabschnitt kaum je vollständig vorkommen. Die thematischen und terminologischen Querverweise zwischen diesen Textstellen rechtfertigen jedoch die Aneinanderreihung. Zum Merkmal Nr. 12 ist zu sagen, daß es anders als in manchem ,frauenmystischen' Text, der sich dem literarischen Genre der Hagiographie zuordnen läßt und die dort üblichen Wundererzählungen präsentiert bei Eckhart kaum bzw. nur in Andeutungen vorkommt. Man könnte dieses Merkmal möglicherweise auch aus dem Katalog streichen oder es dem Merkmal Nr. 2 subsumieren. Insbesondere die Merkmale Nr. 1 und 2 sowie 9 und 10 sind jedoch hervorzuheben und verweisen auch schon bei flüchtiger Betrachtung auf einen systematischen bzw. funktionalen Zusammenhang. Sie beschreiben nach mehreren Seiten hin einen existentiell bedeutsamen Paradigmenwechsel in Wahrnehmung, Wirklichkeitsbezug und Selbsteinschätzung, der nicht allein im Austausch von Orientierungsmustern besteht, sondern auch in etwa aus

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einer vorübergehenden, nicht endgültigen Destruktion von Orientierung als solcher. Die gewohnten und üblichen Parameter des Wirklichen die jeweilige -

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Eigenständigkeit von Ich und Welt (also die Subjekt-Objekt-Trennung), die Selbstverständlichkeit von Gegenständen und Kategorien als Erkenntnis- und Wirklichkeitselementen, die Selbstverständlichkeit der Repräsentation von Realität im Denken, Erkennen, Sprechen, Abbilden, Herstellen werden in der mystischen Erfahrung irreal. Der Paradigmenwechsel ändert die Gefühls- und Stimmungslage des Menschen von Grund auf und führt zu einer extremen Steigerung der emotionalen Fähigkeiten, was in ihrer Höchstphase dann mit extremer Gleichgültigkeit und Willenlosigkeit koinzidiert. Eine analoge aus der Sicht der faktischen Funktionseinheit von Fühlen, Denken und Wollen müßte man sogar sagen: identische Struktur von Steigerung und Paralyse findet auch in der intellektuellen Tätigkeit und auf der voluntativen Ebene statt. Dennoch findet sich der mystisch Erfahrende nicht definitiv in einer .anderen -

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Welt' und .anderen Wirklichkeit' wieder. Er bleibt in seiner .alten' d. h. ichhaften, differenten, pluralen, gegenständlichen, kategorialen usw. Wirklichkeit bzw. er kehrt in diese wieder zurück, wenngleich in verwandelter Weise. Ich führe nachfolgend eine Reihe von Eckhartschen Sätzen an, in denen die genannten Merkmale zum Ausdruck kommen. Bei solch kurzen Referenzen liegt natürlich der Einwand nahe, man reiße Aussagen aus ihrem Textzusammenhang und interpretiere sie bloß nach vorgefaßtem Wunsch. Ich verweise jedoch darauf, daß ich in einer größer angelegten Untersuchung9 eine detaillierte und zugleich interpretierende Darstellung solcher Eckhart-Zitate gegeben habe. Hier sei nur beschränkt auf die Merkmale Nr. 1, 2, 9 und 10 eine illustrierende Auswahl präsentiert. Zu Merkmal 1, All-Einheit und Ich-Entgrenzung: Für Eckhart, den dezidiert religiösen und theistischen Mystiker man muß nämlich betonen, daß es auch nichtreligiöse und nichttheistische Mystik gibt (z. B. im Umkreis der Wiener Moderne oder in den atheistischen fernöstlichen Religionen) -, ist Gott der Inbegriff des Seins, der Wirklichkeit. Esse und deus sind dasselbe (was keine pantheistische Formel darstellt, da dieses esse das esse subsistens bezeichnet, nicht das esse hoc et hoc, d. i. das vielheitliche Seiende).10 Womit sich der Mensch (bzw. das Ich oder die Seele) in der unio mystica vereint, wohinaus er sich entgrenzt und was dann eine Einheit darstellt, außerhalb deren nichts Wirkliches mehr gedacht/gefühlt/empfunden wird, ist Gott -

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Margreiter: Grenzen der Symbolisierung. Zur Phänomenologie der mystischen Erfahrung. Habilitationsschrift, Typoskript, Berlin, 1994.

R.

Die

Unterscheidung von esse subsistens und esse hoc et hoc ist in Verbindung mit der Formel est esse' wichtig, damit man Eckhart nicht als Pantheisten mißversteht (cf. K. Albert: Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum. Saarbrücken: Universitäts- und Schulbuchverlag, 1976; id.: „,Das Sein ist Gott' Zur philosophischen Mystik Meister Eckharts". In: Zu dir hin. Über mystische Lebenserfahrung. Von Meister ,deus

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Eckhart bis Paul Celan, ed. W. Böhme, Frankfurt

a.

M.: Insel, 1987, 65-77.

Reinhard

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bzw. die .Gottheit'. Zwischen Ich und Gott gibt es keinen Unterschied mehr. „Got und ich wir sin ein." (Predigt 6, DW I, 113, 7; Largier I, 86.) „Gane dîn selbes alzemâle ûz durch got, sô gât got alzemâle sîn selbes ûz durch dich. Dâ disiu zwei ûzgânt, swaz dâ blîbet, daz ist ein einvaltigez ein." (Predigt 5b, DW I, 93, 6-8; Largier I, 72.) „Also wirde ich gewandelt in in, daz er würket mich sîn wesen ein, unglîch; bî dem lebenden got sô ist daz war, daz kein underscheit enist." (Predigt 6, DW I, 111,6 sq.; Largier I, 84.) „Dar an liget der sêle lûterkeit, daz si geliutert ist von einem lebene, daz geteilet ist, und tritet in ein leben, daz vereinet ist." (Predigt 8, DW I, 136, 11-13;

Largier I, 102.)

Zu Merkmal 2, Transkategorialität (Negation von Zahl, Vielheit, Gegenständlichkeit, Raum, Zeit und Kausalität): Dieses Merkmal ist eine Konsequenz bzw. Ausgestaltung des Motivs der All-Einheit und Ich-Entgrenzung, denn das Insistieren auf Einheit bedeutet ja folgerichtig eine Negation möglicher Vielheit und, in weiterer Folge, eine Negation von Gegenständlichkeit und Individuation (das prineipium individuationis ist nicht im Sinn einer vollständigen Beschreibung, aber doch zentral mit dem Prinzip des Kategorialen identisch). Der ichhafte, individuelle, kategoriale Mensch hat die Disposition (vunke) zur unio mit die ,Kreatur' mit ihrer ,Kreatürlichkeit' Gott, und in dieser zugleich dispositiven und tatsächlich realisierbaren Einheit liegt seine mögliche (wie Tauler später sagen wird) ,Gottförmigkeit'. Eckhart nennt die Kategorien mittel und wisen. Es hindern „driu dinc den menschen, daz er got enkeine wîs bekennen kan. Daz erste ist zît, daz ander lîplicheit, daz dritte manicvalticheit." (Predigt 11, DW I, 178, 4-6; Largier I, 132.) Aber „swenne sich der mensche bekêret von im selben und von allen geschaffenen dingen, als vil als dû daz tuost, als vil wirst dû geeiniget und gesaeliget in dem vunken in der sêle, der zît noch stat nie enberuorte". (Predigt 48, DW II, 419, 1-3; Largier I, 508.) Inbegriff von Kategorialität sind Sehen und Erkennen, so daß Eckhart die unio vielfach ex negativo als Blindheit und Nichtwissen bezeichnet: „swer got sehen wil, der muoz blint sîn" (Predigt 72, DW III, 250, 7 sq.; Largier II, 86). Es geht darum, „daz der mensche niendert enhafte noch enhange und blint sí und niht enwizze von crêatûren" (ibid., DW III, 250, 6 sq.; Largier II, 86). „Dirre geist muoz übertreten alle zal und alle menige durchbrechen Dirre geist hat kein warumbe Dirre geist stât in einicheit und in vriheit." (Predigt 29, DW II, 76, 2-77, 4; Largier I, 328.) Zu Merkmal 9, Schweigen, apophatisches und paradoxales Sprechen: Was Eckhart als ,Kreatürlichkeit' bezeichnet (und was wir mit einem allgemeineren Terminus als Kategorialität bezeichnen können), ist eine Wirklichkeit oder Erfahrung, die einer andersgearteten Wirklichkeit oder Erfahrung, der mystischen, in vordergründig zumal logisch nicht vereinbarer Weise gegenübersteht. Eine Vereinbarkeit ist letztlich gegeben, da durch die unio nicht etwa das (,kreatürliche') Sein (im Sinn des hoc et hoc) als Irrealität und Täuschung abgetan, sondern lediglich in seiner universalen Geltung eingeschränkt wird. In einer neueren Terminologie könnte man sagen: Wirklichkeit wird als Konstruktion erkannt, damit aber nicht verleugnet, sondern relativiert. Auch dieses Erkennen und Relativieren ist ein Konstruieren. -

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Mystik zwischen Literalität und Oralität Um dennoch der mit jeder

von einer Wirklichkeit, unabhängig von ihrem Konstruktionscharakter Aussage über sie und mit jeder Symbolisierung, die wir über sie vornehmen, gegeben ist -, sprechen bzw. sie symbolisieren zu können, müssen wir eine Weise des Sprechens (bzw. allgemeiner: des Symbolisierens) finden, die nicht nur den Inhalt, sondern auch Struktur und Prozeß der Intentionalität repräsentiert. Mystik ist, wie Niklas Luhmann und Peter Fuchs richtig bemerken, ein extremer Fall von Selbst-

referentialität, ' ' die ihr Ziel

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zwar

sichtbar machen und sich ihm annähern,

es

nie aber

völlig erreichen und behaupten kann. Daher wird, was jeweils ausgesagt wird, konsequenterweise auch schon wieder zurückgenommen bzw. es wird dann überhaupt auf Sprache, auf Symbolik, auf Repräsentation verzichtet wobei allerdings auch ein derartiger Verzicht, der, als Gestus, ja durchaus eine Funktion im Kommunikationszusammenhang hat, untergründig selbst einen sprachlich-symbolisch-repräsentativen Charakter beibehält. Die Paradoxalität mystischer Rede ist also weder bloßes Spiel noch leerer Selbstzweck, sondern ein hochreflexives Repräsentationsgeschehen eigener Art. So predigt Eckhart: „Got, der âne ñamen ist er enhât enkeinen namen -, ist unsprechelich, und diu sêle in irm gründe ist si ouch unsprechelich, als er unsprechelich ist." (Predigt 17, DW I, 284, 4-6; Largier I, 200.) Die unio „ist über allez, daz man geworten mac" (Predigt 86, DW III, 488, 2 sq.; Largier II, 220). Was von Gott gilt, gilt analog und solche Analogie steigert sich in der realisierten unio, wie gesagt, zur Identität für den ,Seelenfunken'. Dessen verschiedene Synonyme (,Bürglein', ,Seelenspitze' usw.) stellen immer nur eine kommunikative Verlegenheit dar, weil sie das letztlich als Nichtgegenständliches, Nichtkategoriales, Nichtindividuelles, Nichtdifferentes Unsagbare (und im gewohnten Sinn auch Undenkbare) zur Sprache bringen sollen. Dieses Zur-Sprache-Bringen dysfunktionalisiert offensichtlich die Sprache in ihrem gewohnten Gebrauch, der auf Darstellung und Mitteilung von Gegenständen, Kategorien, identifizierbaren und differenzierbaren Individuen und Dingen zielt. Doch ist gegenüber der mittlerweile überholten Ansicht Josef Quints12 zu bedenken, daß auch der paradoxale Sprachgebrauch, ebenso wie der Absturz ins Schweigen, selbst integraler Bestandteil des mystischen Erfahrungsprozesses ist und diesen -

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mit konstituiert, ihn also nicht etwa bloß unzureichend abbildet. Es handelt sich um Setzung von Gegenständlichkeit und Kategorialität, die im Zuge ihres Setzens schon wieder zurückgenommen wird. Was in solcher unter .normaler' Perspektive selbstdestruktiver Repräsentation sichtbar wird, ist der Differenzcharakter von Repräsentation gegenüber der Realität, der gleichzeitig (weil eine nichtrepräsentative Realität nicht repräsentierbar ist) auch als eine letztliche Identität von Repräsentation und Realität zu begreifen ist. -

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Cf. N. Luhmann, P. Fuchs: Reden und Schweigen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989. Cf. J. Quint: „Mystik und Sprache: Ihr Verhältnis zueinander, insbesondere in der spekulativen Mystik Meister Eckharts". In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 27 (1953), 48-76. auch in: Altdeutsche und altniederländische Mystik, ed. K. Ruh, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964, 113-151.

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Das „bürgelín", für das bisweilen auch der .Seelenfunken' steht, „enist weder diz noch daz; nochdenne ist ez ein waz, daz ist hceher boben diz und daz dan der himel ob der erde. Ez ist von allen namen vri und von allen formen blôz, ledic und vri als zemâle, got ledic und vri ist in im selber. Ez ist sô gar ein und einvaltic, als got ein und einvaltic ist, daz man mit dekeiner wise dar zuo geluogen mac." (Predigt 2, DW I, 39, 4-40, 4; Largier I, 32/34.) „Der gebreste ist an der zungen. Daz kumet von dem überswanke der lûterkeit sînes wesens." (Predigt 20a, DW I, 329, 1-3; Largier I, swaz wir von gotlîchen 224.) Eckhart zitiert Gregor den Großen und Augustin: dingen reden, daz müezen wir stameln, wan man muoz im wort geben." (Predigt 17, DW I, 291, 5 sq.; Largier I, 202.) „Das schoneste, de der mensche gesprechen mag von gotte, de ist, das er von wisheit inners richtvmes swigen kvnne." (Predigt 83, DW III, 442, 2 sq.; Largier II, 190.) Zu Merkmal 10, Negation von ,Bild' und ,Weise': Was für die Sprache gilt, gilt für alle Repräsentationssysteme, für alle Symbolsysteme und Medien, für jede Form von Kommunikation. Wörter und Sätze sind wie Gegenstände und Kategorien „Mittel", „Bilder", „Weisen", die dem Verhalten und der Orientierung des kreatürlich Seienden gemäß sind, nicht aber jener menschlich-göttlichen Existenz, die sich in der unio vollzieht. Gott ist „bilde âne bilde, wan ez enwirt nicht gesehen in einem andern bilde. Daz êwic wort ist daz mittel und daz bilde selbe, daz dâ ist âne mittel und âne bilde, ûf daz diu sêle in dem ewigen worte got begrifet und bekennet âne mittel und âne bilde." (Predigt 69, DW III, 168, 7-10; Largier II, 46.) Und gleichfalls ist die im Vollzug der unio begriffene Seele „sunder wîse und sunder eigenschaft" und dennoch „ein waz, daz enist noch diz noch daz" (Predigt 2, DW I, 43, 6; 44, 2; Largier I, 34). Sie „entwahset allem liehte und bekantnisse" (Predigt 72, DW III, 253, 6 sq.; Largier ...

„...

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II, 88). Auch wenn man sich bemüht, den mystischen Text erst einmal so, wie er dasteht, zu lesen und ihn nicht von vornherein theoretisch zu befrachten und auszudeuten, ist offenkundig, daß eine nicht-hermeneutische Lektüre eine Lektüre ohne Vorverständnis darüber, worüber hier geschrieben wird unmöglich ist. Ein solches Vorverständnis muß, um authentisch zu sein, zumindest da und dort an der Eigenerfahrung des Rezipienten anknüpfen können, und es ist da es Elemente von Wahrnehmung, Beschreibung, Deutung und Wertung zu einer Ordnung zusammenfügt immer schon ansatzweise eine Theorie. Dieser theoretische Zug des Verständnisses verstärkt sich, je deutlicher wir die Erfahrung, um die es geht, vor uns sehen und je mehr Kommunikationsmittel wir uns aneignen und einsetzen, um die Erfahrung mitzuteilen, über sie nachzudenken und sie in solcher Mitteilung und Reflexion auf neue und elaboriertere -

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Repräsentationsfelder zu transponieren. Bei den zwölf Charakteristika, die ich genannt habe, handelt es sich fürs erste um eine eher assoziative, jedenfalls systematisch noch nicht geordnete Aufzählung von Eindrücken. Bei näherem Hinsehen erweisen sich die Motive als Facetten eines einheitlichen, wenn auch in sich komplexen komplex vor allem wegen seines Ereignis- und Prozeßcharakters Phänomens. Je überlegter wir uns dem Phänomen nähern, um so -

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Mystik zwischen Literalität und Oralität

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mehr wächst auch die Einsicht in seine innere Logik. So könnte man bei einer isolierBetrachtung der Merkmale 1 und 2 vielleicht noch annehmen, es gehe bei den Dichotomien ,Einheit/Vielheit', ,Kategorialität/Nichtkategorialität' usw. allein um ontologische Fragen, also um Fragen der ,Wirklichkeit selbst', über die wir erst in einem sekundären Akt nachdenken und über die wir erst in einem sekundären Akt sprechen. In der Synopsis mit den Merkmalen 9 und 10 wird aber deutlich, daß es zwar durchaus um die Wirklichkeit der menschlichen Erfahrung geht, daß Erfahrung aber immer selbst schon ein Prozeß der Repräsentation ist, daß sie sich in der Repräsentation und als Repräsentation vollzieht. Löst man das Repräsentationsproblem vom Realitätsproblem ab, läßt sich freilich behaupten, Mystik sei ein Strukturproblem ,nur' der Sprache oder ,nur' der Symbolsysteme und Medien, deren sich der Mensch bedient. Dem ist entgegenzuhalten, daß wir die beiden Probleme allenfalls methodisch, nicht aber inhaltlich trennen dürfen: daß Wirklichkeit Repräsentation bedeutet und umgekehrt, so daß das .Problem des Zeichens' und das .Problem der Existenz' inhaltlich zuletzt konvergieren. Diese Synopsis von Zeichen und Existenz, in deren Zusammenhang nicht nur das Phänomen der Mystik, sondern auch jede andere Art von menschlichem Weltbezug angesiedelt ist, verlangt die Formulierung einer entsprechenden Konzeption von Erfahrung. ten

3. Mediale Noetik Das Gebiet, auf dem jene Theorie, die ich weil mir diese umfassende Bezeichnung treffendsten erscheint die ,Theorie medialer Noetik' zu nennen vorschlage, erstmals konzipiert und auf dem sie bislang auch hauptsächlich erprobt wurde, ist die altphilologische Disziplin. Genauer: Es sind die Arbeiten des (philosophisch ambitionierten) englischen Altphilologen Eric Alfred Havelock, in denen bestimmte Fragen der klassisch-antiken Geistesgeschichte (z. B. Homerische Frage, Vorsokratiker, Sokrates und Piaton) abgehandelt werden.13 Havelock thematisiert den Beginn der Schriftkultur in Griechenland und hält Oralität und Literalität als einander widersprechende, ergänzende und illustrierende Folien gegeneinander. In der Analyse seines Textmaterials der Homerischen Epen, der Gesänge Hesiods, der Vorsokratiker-Fragmente, der platonischen Dialoge usw. gelangt der Autor zu der für ein Gesamtverständnis von Kommunikation, Denken, Kultur und Anthropologie folgenreichen These, daß das in einer Kultur jeweils dominierende Kommunikationsmedium entscheidend den Umfang sowie die Art, die Kontextualität und die Funktionalität von Wissen bestimmt. So ist z. B. eine rein orale Kultur außerstande, Wissen in einer der Schriftkultur (und, entsprechend gesteigert, der Buch-, Telekommunikations- und -

am

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Eine Zusammenfassung seiner Forschungen (mit einem an den Arbeiten von Walter J. Ong orientierten Ausblick auf die neuzeitlich-moderne Medienentwicklung) gibt E. A. Havelock in seinem Buch: Als die Muse schreiben lernte. Frankfurt a. M.: Hain, 1992.

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Computerkultur) vergleichbaren Quantität, barkeit zu speichern.

aber auch

Genauigkeit

und

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Reproduzier-

Dennoch ist Havelock erörtert in diesem Zusammenhang die im Phaidros und im Siebten Brief dargelegte Schriftkritik Piatons die Ablösung von reiner Oralität durch Literalität (die sich über zahlreiche Zwischenstufen und Mischungsverhältnisse vollzieht) nicht als linearer Fortschritt zu interpretieren. Jede Änderung der Medienlandschaft das zeigen, anschaulicher noch als Havelock, Walter J. Ong, Marshall McLuhan und (auf dem Gebiet außereuropäischer Ethnologie) Jack Goody in ihren Untersuchungen14 ist eine kombinierte Gewinn- und Verlustrechnung an mentalen (und, was davon nicht zu trennen ist, auch emotionalen) Fähigkeiten. So entfaltet sich im Kontext rein mündlicher Kulturen („primäre" Oralität) eine breite Palette von Mnemotechniken: etwa die Formelhaftigkeit der Sprache, das Prinzip der Wiederholung, stimmlich-lautliche Kontraste, Rhythmus, Reim und Vers. Diese (zugleich) Mnemo- und Kommunikationstechniken werden jedoch später, im Kontext entwickelter Literalität, wieder weitgehend funktionslos, da die externe Speicherung und Abrufbarkeit von Wissen im Medium Schrift ein (zeitweiliges) Vergessen der Inhalte erlaubt. Was Literalität an neuen Wissensqualitäten ermöglicht, ist aber nicht nur die Quantifizierung von Wissen, sondern auch die Genauigkeit und Verläßlichkeit des Rekurses auf das Gedachte, also die Objektivität des Wissens. (Nach Havelock ist dafür was von anderen Altertumswissenschaftlern freilich als „Graecozentrismus" kritisiert wurde15 vor allem das von den Griechen erstmals in der Schriftgeschichte konzipierte .vollvokalische' Alphabet verantwortlich. Dies ist freilich eine Spezialfrage, die die Grundlinien der Medialitätstheorie nicht berührt.) Erst literal kann sich jedenfalls abstraktes, begriffliches, theoretisches, sich von den Zwängen unmittelbarer Praxis lösendes Denken entwickeln. Es schafft eine entsprechende Distanz zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Denkgegenstand und Denkerlebnis, und führt daher zu einer Versachlichung, Verobjektivierung der Kultur und Lebenswelt insgesamt. Komplementär zum geschärften Objektbewußtsein entwickelt sich aber auch ein geschärftes Subjektbewußtsein. Nicht nur entsteht nun im Kontext eines universalisierenden Nachdenkens über den Begriff der Gerechtigkeit das verantwortlich zu machende und sich selbst als verantwortlich begreifende Rechtssubjekt.16 Havelock geht sogar so weit, den Begriff der Seele bzw. eines substantiellen Ich als schriftbedingt zu behaupten.17 Dieses Ich löst sich aus dem situativ-erlebnis-

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Cf. W. J. Ong: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1987; M. McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Düsseldorf: Econ, 1968; Neuausgabe Bonn: Addison-Wesley, 1995; Literalität in traditionellen Gesellschaften. Ed. J. Goody, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981. 5 Cf. A. und J. Assmann: „Einleitung". In: E. A. Havelock: Schriftlichkeit. Das griechische Alphabet als kulturelle Revolution, Weinheim: VCH, 1990, 1-26. 6 Cf. E. A. Havelock: The Greek Concept of Justice. From Its Shadow in Homer to Its Substance in Plato. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1978. 7 Cf. E. A. Havelock: Preface to Plato. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1963.

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Mystik zwischen Literalität und Oralität

haften Kontext. (Wir können an Toulmins Begriff der Dekontextualisierung denken.) Das Ich unterscheidet sich selbst von der umgebenden Welt, von seinen Mitmenschen, von seinen Eigenschaften und Akten. Es unterscheidet sein Sein von seinem Denken und dieses von seinen Gefühlen und seinem Willen. Die neue Mediensituation fördert die Produktion von Allgemeinbegriffen und Abstraktionen. Diese entsubjektivierende, aus Situationsverhaftetheit und lebensweltlicher Konkretheit sich emanzipierende Tendenz erfährt neue Steigerungen und Qualitätssprünge durch die auf die (Hand-) Schrift historisch folgenden neueren und neuesten Medien (wobei ich hier auf die telekommunikative ,neue Oralität' der Gegenwart nicht näher eingehe, die mittlerweile von McLuhan wohl allzu plakativ als ,Tod der Buchkultur' apostrophiert zu neuer Subjektivierung im sozialen Umgang geführt hat). Eine genaue Lektüre der Havelockschen Texte verbietet es sicherlich, dem Autor (wie das in der Kritik von Aleida und Jan Assmann anklingt)18 analog etwa zu einem vulgärmarxistischen Verständnis des Basis-Überbau-Schemas eine quasi materialistisch-deterministische Theorie des Geistes zu unterstellen. Havelock verweist immer wieder auf das komplexe, historisch-kontingent sich entwickelnde gesellschaftliche Gesamtgefüge, das darüber entscheidet, ob und in welchem Maß bereits vorhandene, technisch verfügbare Medien auch wirklich genutzt werden und ihre Wirksamkeit voll entfalten können. Er behauptet also keine Determination, wohl aber eine großangelegte tendenzielle Beeinflussung des Denkens durch das herrschende Medium oder, besser gesagt, durch die Konstellation von funktional ineinandergreifenden Medien (denn die Oralität wird durch Literalität, diese wiederum durch Buchdruck usw. ja nicht funktionslos, sondern ordnet sich lediglich in ein neues kommunikatives Funk-

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tionsgefüge ein).19

Quantität und Qualität

von Wissen, die in der Theorie medialer Noetik thematisiert aber auch sämtliche anderen Funktionen des Geistes, z. B. die beeinflussen werden, Formen der Wahrnehmung, die mit dem Wissen verbundenen Normen, Wertungen, Erwartungen und Gefühle. Sie spezifizieren die Einbettung des Wissens in eine (dieses Wissen bestimmende und zugleich von diesem Wissen bestimmte) Lebensform. Selbst das Bedürfnis nach Wissen sowie nach dessen Begrenzung und Entgrenzung findet in solch historisch-kontingenten Lebensformen sein Maß (man könnte im Sinn Thomas S. Kuhns auch von Paradigmen sprechen, die sich ja nicht nur auf die kognitive Dimension beziehen, sondern auf das Weltverhalten eines Menschen bzw. einer Menschengruppe insgesamt). Medien bestimmen somit neben dem Denken auch die

Cf. A. und J. Assmann: „Einleitung" (n. 15). Die in der Rezeption z. T. geäußerte Kritik an Havelock und Ong, sie würden Oralität und Literalität starr als einander ausschließende Medienwelten gegenüberstellen, beruht auf ungenauer Lektüre. Cf. das etwas oberflächliche Resümee bei P. Goetsch: „Der Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit. Die kulturkritischen und ideologischen Implikationen der Theorien von McLuhan, Goody und Ong". In: Symbolische Formen Medien Identität, ed. W. Raible, Tübingen: Narr, 1991, 113-129. -

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28

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Lebensform, in der es steht und eine komplexe Einheit mit den Formen des Fühlens, Wollens, Wertens und Verhaltens bildet. Solche Paradigmatik läßt sich exemplarisch

an der persönlichkeitsprägenden Veränderung der Gefühlsstrukturen zeigen, die wir beim Übergang von Oralität zu Literalität beobachten können20 und die in der Terminologie von Hegel und Marx als Entfremdung, in der Terminologie von Arnold Gehlen als Entlastung gefaßt wird. In der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts wertet man den linguistic turn als eine besondere Zäsur. Es handelt sich um die für das Gesamtverständnis des Menschen und der Kultur zentrale Einsicht, daß jegliches Denken sprachlich vermittelt ist und daß wir nicht, wie vordem die meisten Philosophen glaubten, über ein sprachunabhängiges Anschauungs- und Begriffsvermögen verfügen. Doch Sprache ist vielleicht das wichtigste, trotzdem aber nur ein Medium und Symbolsystem neben anderen Medien und Symbolsystemen (wie Mimik, Gestik, Technik, bildende Künste u. a.), deren jeweilige Konstellation erst einen Weltzugang und ein Weltverständnis als ganzes vermittelt. So wenig wir durch ,reine' (sprachunabhängige) Anschauungen und Begriffe Erfahrung aufbauen können, so wenig vermögen wir es ausschließlich durch Sprache. Weltorientierung gelingt vielmehr nur durch die Gesamtkonstellation der Medien und Symbolsysteme, die wir handhaben und die uns, in solcher Handhabung, dann auch ihrerseits bestimmen. Was offenkundig also ein philosophisches Desiderat darstellt, ist der Schritt vom linguistic turn zu einem breiteren und umfassenderen, neben der Sprache auch alle anderen Symbolsysteme und Medien berücksichtigenden ,medial turn'. Daher schlage ich vor, die (sinngemäß von Havelock, terminologisch von Ong geprägten) Begriffe der oralen Noetik und literalen Noetik sowohl zusammenzufassen als auch zu erweitern zum Begriff der medialen Noetik. ,Noetik' umschreibt hier nicht mehr allein eine erkenntnistheoretische Struktur, sondern die Gesamtheit aller Formen menschlicher Äußerung, Darstellung, Mitteilung und Interaktion. Die hier implizierte Intellekttheorie ist zugleich eine Gefühls- und letztlich eine umfassende Kulturtheorie (denn Kultur kann als die Gesamtheit menschlicher Ausdrucks- und Orientierungsleistungen definiert werden). An diesem Punkt, an dem Medientheorie als Kulturtheorie (und zugleich als Anthropologie, weil sie die ,Wesensverfassung' des Menschen thematisiert) begriffen werden kann, dürfte eine Synopsis des bislang Ausgeführten mit bestimmten Traditionen der Symbolphilosophie von Interesse sein. -

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4. Medium,

Symbol, Prozeß: Elemente einer Erfahrungstheorie

Versucht man eine Synopsis einerseits der eben dargelegten Medientheorie von Havelock und Ong und andererseits der Symbolphilosophie, wie sie in untereinander verwandter Weise Alfred North Whitehead, Ernst Cassirer, Susanne K. Langer -

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Cf. A. R. 1986.

Lurija:

Die historische

Bedingtheit

individueller

Erkenntnisprozesse.

Weinheim: VCH,

29

Mystik zwischen Literalität und Oralität

sowie neuerdings Nelson Goodman und Oswald Schwemmer vorgelegt haben, so finden sich, soweit ich sehe, keine ins Auge springenden Inkompatibilitäten. Vielmehr ist es so, daß beide Theoriestränge sich gegenseitig erhellen und insgesamt eine angereicherte, breitere Theorie ergeben, die wir erkenntnistheoretisch, anthropologisch und kulturtheoretisch relevant als ,prozessual-symbolisch-mediale' Erfahrungskonzeption begreifen und darlegen können. Die Synopsis des Medien- und des Symbolbegriffs als zweier konstruktiver Zugangsweisen zu ein und demselben Grundphänodem Phänomen menschlichen Daseins, das konstitutiv ein (keineswegs allein men auf Sprache fixiertes) Kommunikationshandeln bzw. ein Ausdrucks- und Repräsentationsgeschehen ist macht die reale und mögliche Vielfalt, zugleich aber auch die formale Einheit menschlicher Erfahrung deutlich. Zu dieser formalen Einheit ist zu sagen, daß sie nicht als jene neukantianische „reine Erfahrung" definierbar ist, die z. B. Hermann Cohen fordert21 und die auch heute noch zuweilen als Programmatik begegnet.22 Die medialen und symbolischen Systeme sind nicht apriorisch aus einer solchen normativ veranschlagten ,reinen' Dimension deduzierbar. Sie stehen zueinander lediglich in einem erst empirisch und aposteriorisch beschreibbaren Analogieverhältnis. Dies gilt sowohl für die bei Cassirer zentral genannten „symbolischen Formen" (Sprache, Mythos/Religion, Wissenschaft, Kunst, Technik)23 als auch für die Medien Oralität, Literalität, Buchdruck, Telekommunikation, Computer. Zwar lassen sich die gängigen Begriffe symbolische Form' und .Medium' nicht gänzlich gleichsetzen, da ersterer mehr auf die kulturbereichshaft-inhaltliche, letzterer mehr auf die technisch-materiale Seite des Repräsentationsgeschehens zielt. Doch kann strukturell jedes Symbolsystem als Medium beschrieben werden und umgekehrt. Am problemlosesten leuchtet diese begriffliche Konvertierbarkeit am Beispiel der Sprache ein. Eine rein material und nichtsemantisch gedachte Klassifikation und Kombinatorik von Lautäußerungen wäre genauso sinnlos wie die Annahme einer immateriellen Symbolik, d. h. einer Bedeutungswelt ohne materielle Zeichenträger. (Letzteres ist freilich eine Vorstellung, die uns die platonische Tradition überliefert und vertraut gemacht hat. Es ist aber dennoch als eine Fehlvorstellung zurückzuweisen.) Cassirers bekannte Definition der symbolischen Form „jede Energie des Geistes durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird"24 nimmt auf die Funktion des sinnlich-materiellen Zeichenträgers ausdrücklich Bezug. Sie nimmt aber auch darauf Bezug, daß das Symbol nicht als völlig arbiträr und austauschbar zu -

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...,

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21

Cf. H. Cohen: Logik der reinen Erkenntnis. Berlin: Cassirer, 1902. Cassirer-Kritik bei T. Knappe: Die theoretische Philosophie Ernst Cassirers. Zu den Grundlagen transzendentaler Wissenschafts- und Kulturtheorie. Hamburg: Meiner, 1992. Cf. E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Berlin: Cassirer, 1923-1929. E. Cassirer: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1956, 175.

22 Z. B. in der 23 24

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sondern nur dadurch kommt „innerliche Zueignung" zustande als (gruppen- oder individual-) historisch gewachsen und dergestalt mit einer konkreten Existenz und Lebensform verknüpft. Das schließt die Möglichkeit der Existenz auch arbiträrer Zeichensysteme freilich nicht aus. Diese stellen jedoch einen Sonderfall von Repräsentation und Orientierung dar und sind nicht typisch für die symbolischmediale Gesamtverfassung des Menschen und seiner Kultur. Mit der historisch-existentiellen Kontingenz von Symbolsystemen qua Medien verbinden sich zwei weitere Momente unserer als Repräsentation und Kommunikation sich vollziehenden menschlichen Erfahrung: ihre Identitätsleistungen und ihre Prozessualität.2i Symbolisierungen als Orientierungsstrategien sind ineins referentiell und selbstreferentiell, d. h. sie sind ineins Findung und Selbstfindung. Diese Selbstfindungen erfolgen nicht ein für allemal und sind dann sicherer Besitz des Menschen. Sie erfolgen vielmehr punktuell, entwickeln sich weiter, verändern sich, laufen sich tot, drängen über sich selbst hinaus zu neuen und anderen wiederum vorläufigen Selbstfindungen. Man kann hier von prozessualer und punktueller Identität sprechen. Diese Instabilität, dieses Ausgesetztsein im und diese Funktionalität als Prozeß gilt aber nicht nur für die Selbst-, sondern auch für die Fremdbezüglichkeit. Medien und Symbolsysteme stellen allenfalls prima facie starre, unveränderliche Ordnungen dar. Auch das Symbol, obwohl es im Fluß der Erfahrung das Moment des Gerinnens, des Beharrens und des Gestaltwerdens darstellt, ist letztlich etwas sich kontinuierlich Veränderndes. Damit trägt auch jede Bedeutung, die wir irgendeiner Repräsentation zumessen, den Charakter kontinuierlicher wenngleich oft kaum merklicher Veränderung. Dennoch werden die Momente von Gestalt und Bedeutung selbst nicht gestaltund bedeutungslos. Sie erweisen sich lediglich als in den Erfahrungsprozeß eingebunden, als nur im lebensweltlich-konkreten Erlebnisraum bedeutsam und greifbar. Diese lebensweltlich-konkrete Bindung von Medien und Zeichen- bzw. Symbolsystemen, die ihre Authentizität als tatsächlicher und existentiell relevanter Strategien der Erfahrung verbürgt, führt zu einer „lebensbedeutsamen" (Husserl) Interpretation von Rationalität, aber auch von Mystik. Rationalität läßt sich als das Organisationsund Ordnungsprinzip von Erfahrung und damit da Erfahrung in der Orientierung mit und an symbolisch-medialen Mustern besteht als das Organisations- und Ordnungsprinzip der symbolisch-medialen Prozesse begreifen, mit denen und in denen sich unser In-der-Welt-Sein als ein Erfahren, Repräsentieren, Sich-Orientieren und Kommunizieren vollzieht. Anthropologisch können wir so vom Menschen als dem medialen Wesen' oder (mit Cassirer) vom „animal symbolicum" sprechen.26 Rationalität läßt sich ineins als Medientechnik und als Symbolisierungsstrategie beschreiben.

begreifen ist,

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25 Zu

Prozessualität und Identität cf. A. N. Whitehead: Process and Reality. An Essay in Cosmology. Verb. Aufl., ed. D. R. Griffin, D. W. Sherburne, New York: Free Press, 1978; Schwemmer: Die Philosophie und die Wissenschaften (n. 6). 26 Cf. E. Cassirer: Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur. Frankfurt a. M.: Fischer, 1990.

31

Mystik zwischen Literalität und Oralität 5.

Erfahrung und Mystik

Wie Rationalität können wir auch Mystik symbol- und medientheoretisch rekonstruieren. Ich erinnere an die zentralen Momente der sogenannten mystischen Erfahrung, wie sie idealtypisch in den deutschen Predigten Eckharts prinzipiell aber genauso in seinem lateinischen Werk oder in den lateinischen oder volkssprachlichen Texten eines Johannes Tauler oder Heinrich Seuse, einer Mechthild von Magdeburg oder eines Ps.-Dionysius Areopagita zum Ausdruck kommen: All-Einheit, Ich-Entgrenzung, Transkategorialität, gesteigerte Emotionalität, Metanoia, Flüchtigkeit, Paradoxalität, Repräsentations- und Kommunikationsabbruch. Diese Momente stehen, wenn wir sie näher betrachten, in einem analysierbaren Funktionszusammenhang, genauer: Es handelt sich um verstehbare Funktionen im (symbolisch-medialen) Erfahrungs-

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prozeß.

Eine exklusiv theologische Interpretation weigert sich, den religiösen Charakter der klassischen (christlich-mittelalterlichen) Mystikbeschreibungen dadurch zu relativieren, daß man ihre formale Struktur auch in historisch späteren und außerreligiösen Mystikformen etwa in Philosophie, Kunst, Alltag und wissenschaftlicher Grundlagenreflexion wiedererkennt. Solche außerreligiösen Mystikformen werden dann nur als Pseudomorphosen der .eigentlichen' qua religiösen Mystik angesehen und dementsprechend abgewertet. Freilich kann es nicht darum gehen (wie das Frits Staal versucht hat),27 eine Formal Struktur der mystischen Erfahrung zu postulieren, die mit beliebigen Inhalten besetzbar wäre und die wir gegenüber solcher Beliebigkeit als die ,reale' und .wahre' Mystik ansehen müßten. Es gibt sicherlich keine von konkreten Inhalten loslösbare formale Erfahrung, die mehr wäre als eine (in der begrifflichen Analyse dann allerdings nützliche) Abstraktion. Identität von Erfahrung bzw. Identität des erfahrenden Menschen Vergewisserung von Erfahrung als konkreter, tatsächlicher und je meiner gibt es allein in bestimmten inhaltlichen Bezugsfeldern, d. h. in bestimmten, voneinander abgrenzbaren Symbolsystemen und Medien wie eben Religion oder Kunst, oraler oder literaler Sprache. Wir können also nur abstraktiv von einem allgemeinen formalen Symbolsystem, von einem allgemeinen formalen Medium und von einem allgemeinen formalen Erfahrungsprozeß sprechen. Die genannte Abstraktion ist nur dahingehend tauglich, daß sie hilft, den analogen Charakter der verschiedenen Rationalitäten' genauso wie der verschiedenen .Mystiken' in den Blick zu rücken. Die Denkfigur der Analogie Ähnlichkeit ist eine Übergangsbestimmung zwischen Gleichheit (im extremen Fall: Identität) und Verschiedenheit (im extremen Fall: durchgängige Differenz). In der konkreten Anwendung bleibt Analogie eine kontingente, niemals mechanisch einsetzbare, somit vorwiegend der Urteilskraft anheimgestellte Größe. Wenn wir ästhetische oder philosophische Mystik als analog zur reli-

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ef. F. Staal:

Exploring Mysticism.

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Harmondsworth:

Penguin, 1975.

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giösen Mystik betrachten, so ist damit weder eine Notwendigkeit, all diese Formen als völlig gleichwertig zu behandeln, noch eine Notwendigkeit, die historische Priorität religiösen Mystik zu leugnen, verbunden. In der Tat wird die mystische Erfahrung geschichtlich zuerst wie auch die sprachliche Prägung der Ausdrücke ,mysterium' und später ,Mystik' im Erlebnis- und Geltungsraum und in den Erfahrungsgestalten der Religion manifest. Daher beziehen die außerreligiösen Mystikformen weitgehend der

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auch ihre Begrifflichkeit (und damit die Gestalt ihres Selbstverständnisses) aus dieser schon früher entstandenen, früher schon bedeutsam gewesenen religiösen Mystik. Die verbleibenden religiösen Konnotationen dürfen, so gesehen, nicht überraschen. Wir können in der (Weberschen, Habermasschen) Perspektive der modernen Ausdifferenzierung von Kultur- und Lebensweltbereichen auch in der Mystik von .Säkularisationstypen' sprechen, ohne ihnen deshalb eigenständige Legitimität abzuerken-

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nen.

Eine ähnliche

Beschränkung der Deutungsperspektive wie die exklusiv theologische Interpretation Mystik bietet eine exklusiv linguistische Interpretation, die Mystik auf ein bloß immanentes Sprach- bzw. Zeichengeschehen reduziert und die zentralen Motive Ich-Entgrenzung usw. ausschließlich als sprachliche bzw. semiotische Effekte auffaßt. Hier wird am Leitfaden der Fehlvorstellung einer gänzlich von konkreter Erfahrung emanzipierten Sprach- bzw. Zeichenwelt die konstitutive Relevanz inhaltlicher Bezugnahmen verkannt. Diese Bezugnahmen können religiöser, ästhetischer, philosophischer usw. Natur sein (wobei sie auch untereinander Verbindungen eingehen können), sie sind jedoch grundsätzlich erforderlich, damit eine identitätsstiftende Erfahrung überhaupt erfolgen kann. Die Betonung der Inhalte daß diese nicht nachträglich eine schon vorhandene ,leere Form' auffüllen, die als solche und unabhängig denkbar wäre ist geboten, um die allgemeine Rede von Mystik nicht sachvon

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lich zu diskreditieren. Mit dem genannten Vorbehalt erachte ich es nun aber für legitim, mit durch Analogie gewonnenen und weiterhin analog verstandenen Allgemeinbegriffen von Erfahrung, Rationalität und mystischer Erfahrung zu arbeiten. Solche Allgemeinbegriffe sind nicht Substanz-, sondern Funktionsbegriffe.28 Sie repräsentieren nicht eine letzte essentielle Realität, sondern sind hilfreiche Konstrukte, um neben der Verschiedenheit auch die frappanten Ähnlichkeiten zwischen medial, symbolisch und inhaltlich divergenten Erfahrungen, Rationalitäten und ,Mystiken' namhaft zu machen. Nur in diesem konstruktiven und anti-essentiellen Sinn läßt sich auch allgemein von Prozeß, Symbol und Medium sprechen. Um eine Analogie zu gewinnen, ist von einem konkreten Erfahrungsbereich auszugehen, der darauffolgend mit anderen Erfahrungsbereichen verglichen wird, mit dem Resultat, daß man ein Ensemble struktureller Ähnlichkeiten feststellt. Im Fall der Mystik ist es naheliegend, den historisch ältesten und ursprünglichsten Bereich als -

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Cf. E. Cassirer:

Substanzbegriff und Funktionsbegriff'. Berlin: Cassirer, 1910.

Mystik zwischen Literalität und Oralität

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Ausgangspunkt zu wählen, also die religiöse bzw. wenn wir von unserem eigenen Kulturkreis ausgehen die christliche Mystik. In dieser ist die Gesamtwirklichkeit, der das Ich gegenübersteht und in das hinein es sich entgrenzt, Gott, und Kategorialität Zeit und Raum, Substanz und Gegenstand, Erkenntnis und Wille wird gefaßt als Endlichkeit und Geschöpflichkeit des Menschen sowie des Irdischen überhaupt. Die gesteigerte Emotionalität firmiert besonders in der von augustinischer Theologie beeinflußten Mystik als die unendliche göttliche Liebe. Die Symbolskepsis bezieht sich auf die analogía entis bzw. auf die similitudo/dissimilitudo, die das Verhält-

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nis zwischen Gott und Mensch und Gott und Welt charakterisieren. Die Augenblicklichkeit wird gedeutet als Symptom des Ewigen im Zeitlichen. Jenes antizipiert sich in diesem nur unvollkommen als ein Aufleuchten, als ein Vorschein auf eine gänzlich andere, vollkommene und paradiesische Welt. Cassirer versucht namentlich im zweiten Band seiner Philosophie der symbolischen Formen Religion als eine aus dem Mythos sich eigengesetzlich entwickelnde symbolische Form zu deuten und zu beschreiben. Die Welt des Mythos ist für ihn die Welt der „naturwüchsigen" und naiven Setzung und Akzeptanz von (vorwiegend gestalt-, ereignis- und personhaften) Orientierungen: die Welt des ungebrochenen „Ausdrucks" von das Folgende ist noch nicht ausdifferenziert Wunsch, Wille, Hoffnung, Angst, Wahrnehmung und Spekulation. Der Mythos ist menschheitsgeschichtlich ein erster Leitfaden dafür, daß sich (Symbol-) Strukturen von Erfahrung ausbilden können: eine spezielle Organisation von Raum- und Zeit-, Ding- und Wirkungsannahmen. Doch jede Symbolform auch der Mythos steht nach Cassirer unter der Gesetzlichkeit einer sich zu zunehmender Komplexität entwickelnden Funktionendynamik. Die Tätigkeit des Symbolisierens geht über das bloße Setzen und Akzeptieren von Gestalten und Ordnungen, wie das im Mythos geschieht, hinaus und begreift sich auf einer höheren, dem bloßen „Ausdruck" folgenden Symbolisierungsstufe als „Darstellung" von etwas. Damit tritt erstmals die Differenz zwischen Symbol und Symbolisiertem ins Bewußtsein. Der Einzelne begreift sich als ein Ich, das einem Anderen gegenübersteht. Er begreift, daß die von ihm gesetzten und akzeptierten Ordnungen relativ, daß sie vorläufig und austauschbar sind und daß sie wahr oder falsch sein können. Dieses Bewußtsein von Wahr und Falsch gegenüber symbolischer Orientierung bezeichnet für Cassirer den Schritt vom Mythos zur Religion. Diese kann als der Einbruch beginnender Reflexion exakter: beginnender symbolischer Selbstreflexion bezeichnet werden. Auf der rein mythischen Stufe finden verschiedene Götter, ja sogar einander widersprechende Mythen und Grundannahmen ziemlich problemlos nebeneinander Platz. Auf der religiösen Stufe meldet sich hingegen ein diesbezüglicher Ordnungswille. ,Wahrer' wird von .falschem' Glauben unterschieden, und man tendiert mit einer als ,wahr' beanspruchten Konzeption, die andere Konzeptionen ausschließt und widerlegt, zu Begründung, Rechtfertigung, Homogenisierung, Systematisierung und zum Ausgriff auf die gesamte Lebenswelt. Das ist, könnte man auch sagen, die Geburtsstunde der Theologie. (Aber auch die Anfänge einer dogmatischen Wissenschaft lassen sich ähnlich beschreiben.) -

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Die kritische und reflexive Tendenz der dem (mythischen) „Ausdruck" folgenden (religiösen) „Darstellung" erfährt später, so Cassirer in seiner Darlegung der Funktionendynamik, eine Steigerung und Vervollkommnung in der Funktion der „reinen Bedeutung". Diese ist für Cassirer erst auf dem Boden der modernen Naturwissenschaften möglich. ,Reine Bedeutung' meint das Bewußtsein, daß jede Erfahrung symbolisch und daher vermittelt ist, daß es keine essentielle, transsymbolische Erfahrungs- und Realitätsebene gibt und daß Realität positiv nur als Realität symbolischer Relationen gefaßt werden kann. Diese dürfen gleichwohl nicht willkürlich und beliebig konstruiert werden, sondern müssen sich trotz alledem an der Erfahrung als funktionstüchtig ausweisen. Unter ,Erfahrung' wird aber nicht mehr der Rekurs auf eine vorsymbolische Wirklichkeit verstanden, sondern der- begrifflich-theoretisch und lebenspraktisch gelingende symbolische Umgang mit Symbolizität. Vor dem Hintergrund des hier skizzierten Übergangs von Mythos zu Religion einerseits und der Funktionendynamik von Ausdruck, Darstellung und reiner Bedeutung andererseits ist nun Cassirers Rekonstruktion der (religiösen) Mystik nachvollziehbar, die er im Schlußkapitel des zweiten Bandes der Philosophie der symbolischen Formen präsentiert.29 Jede Symbolform, sagt er, tendiere dazu, nicht nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, sondern diese insgesamt (und damit auch die Leistung aller anderen Symbolformen) zu repräsentieren. Daher kann sich Mythos/Religion genauso wie Wissenschaft, Kunst oder Sprache durchaus selbst als die alle anderen Symbolformen unter sich begreifende und in sich aufhebende Symbolform schlechthin (miß-) verstehen. Dazu kommt, daß jede Symbolform zumindest ansatzweise die Stufenfolge von Ausdruck, Darstellung und reiner Bedeutung (also den Weg zunehmender Selbstreflexivität des Symbolischen) zu gehen sucht. Kaum Fortschritte erzielt auf diesem Weg der Mythos (der freilich dann in Religion übergeht und gemeinsam mit dieser eine Doppelform bildet), am erfolgreichsten ist die moderne Naturwissenschaft. Die Religion geht weiter als der Mythos, erreicht jedoch nicht das Selbstreflexionsniveau der Wissenschaft. Im Bemühen der entwickelten Religion, den Schritt von der Darstellung zur reinen Bedeutung (also zur letzten reflexiven Selbstdurchdringung des Symbolischen) zu tun ein Bemühen, das aus der Logik der Funktionendynamik heraus verstehbar und vielleicht sogar notwendig, aber aufgrund der Symbolkonstitution des Religiösen zum Scheitern verurteilt ist -, ortet Cassirer das Phänomen der Mystik. Diese erscheint als der sich selbst ad absurdum führende, weil an seine Grenzen gelangende und seinem eigenen Reflexionsanspruch nicht mehr genügende reli-

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giöse Symbolprozeß. Mystik bedeutet eine Radikalisierung des Religiösen. Für die (christliche) Religion ist Gott jenes Symbol, das einerseits die dem Menschen bzw. der menschlichen Seele gegenüberstehende essentielle Wirklichkeit, andererseits aber auch jene dialektisch Cf. E. Cassirer: „Die Dialektik des mythischen Bewußtseins". In: id.: Philosophie der symbolischen Formen II: Das mythische Denken. Berlin: Cassirer, 1925; 8. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987, 281-311.

Mystik zwischen Literalität und Oralität

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übergreifende Gesamtwirklichkeit repräsentiert, die das Gegenüber von Ich und Realität zusammenbindet. Gott wird so nicht nur zur schlechthinnigen Formel für die Intentionalität und Referentialität des Menschen, für seinen Bezug zu Mitmensch, Welt und (eben) Gott, sondern auch noch zur Formel seiner Selbstreferentialität. Gott symbolisiert die essentielle Wirklichkeit, die sich ihrerseits nur als Symbol präsentieren kann, und er symbolisiert damit die Grenzen ,normalen', d. h. bereichshaften und nicht gänzlich selbstreferentiellen Symbolisierens sprengend das Symbolgeschehen als solches, das selber streng genommen nicht symbolisierbar sein kann. Die immer weiter ausgreifende Symbolisierung, die sich mit der begrifflich-theologischen (und, parallel dazu, gefühlsmäßigen) Ausgestaltung der Gottesvorstellung vollzieht, kommt zu keinem Ruhepunkt. So werden Seele und Gott, die beiden Pole christlicher Wirklichkeitsdeutung, einerseits immer radikaler einander entgegengestellt und different (als das ,ganz Andere') bestimmt, andererseits findet immer wieder (und zunehmend massiver) ein Transfer der Bestimmungen vom einen Pol hinüber zum anderen statt. Es kommt zur Konvertibilität und zur Identifizierung von Seele und Gott, zur unio mystica, die jedoch als symbolische Bemühung einen Selbstwiderspruch darstellt und die Symbolform des Religiösen zerbrechen läßt. Religiöses Denken, sagt Cassirer, kann sich von seiner mythischen Basis nie ganz lösen und darf, um in seiner ,Grundform' bestehen zu können, auf konkret-sinnliche Vorstellungen nicht gänzlich verzichten. Andererseits erlangt es ein gegenüber seinen mythischen Anfängen extrem hohes Selbstreflexionsniveau. Die Erkenntnis, daß alle Symbolisierung nicht Essentialität, sondern Relationalität ausdrückt, wird nahezu erreicht. Solch relationale Selbstdurchsichtigkeit stürzt jedoch ab, bricht in sich zusammen, da sie den mythischen Boden, die Bindung an Ausdruck und Darstellung, nicht völlig aufgeben kann. Daher ergeht sich Mystik in paradoxer Rede oder fällt ins Schweigen zurück. Sie ist der vergebliche selbst symbolisch/medial bleibende Versuch, Symbolizität/Medialität als solche und im ganzen zurückzunehmen in einen vorsymbolischen/vormedialen ,Grund', der sich bei näherem Zusehen als eine Fiktion erweist. Ich habe diese Ansicht Cassirers ausführlich referiert, weil ich annehme, daß sie zwar einseitig und ergänzungsbedürftig ist, aber doch den wesentlichen methodischen Zugang für eine angemessene symbolisch-mediale Interpretation des Phänomens der Mystik eröffnet. Obwohl Cassirer nicht nur von religiöser, sondern andernorts auch von philosophischer Mystik spricht30 (die er dann, vor allem im Zusammenhang mit der Lebensphilosophie Georg Simmeis, ähnlich kritisiert), ist Mystik für ihn im wesentlichen ein rein religiöses Phänomen. Worin ich seiner Ansicht nicht folgen möchte, ist erstens diese Einschränkung auf Religion und zweitens seine negative Bewertung der Mystik als eines bloßen .Scheiterns' reflexiver bzw. symbolisch-medialer -

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Cf. E. Cassirer: Zur Logik der schaft. 1961.

Kulturwissenschaften.

Darmstadt: Wissenschaftliche

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Was Cassirer strukturell auf dem Gebiet von Mythos/Religion beschreibt, läßt sich nämlich analog auch auf den Gebieten der Kunst und der (grundlagenreflektierenden) Wissenschaft feststellen (sowie sie werden von Cassirer allerdings nicht als eigenständige Symbolformen anerkannt auf den Gebieten der Philosophie und des Alltags). Kritisierbar scheint mir Cassirers allzu .vollkommener', allzu ungebrochener Wissenschaftsbegriff. Es ist zu fragen, ob der ,mystische Punkt' oder das ,mystische Stadium', wohin im Prinzip jede Symbolform im Zug ihrer prozessualen Funktionendynamik gelangt, wirklich so negativ zu bewerten ist, wie Cassirer es tut, und ob neben oder gar in dem veranschlagten ,Scheitern' des Symbolisierens nicht auch erfolgreiche und produktive Momente enthalten sind. Denken wir beispielsweise an die Sprachmystik, die uns in der symbolistischen und (spät-) expressionistischen Lyrik etwa bei Hugo von Hofmannsthal oder Paul Celan begegnet. Hier ist es die Sprache, die zu der (vorhin am Beispiel der religiösen Mystik erläuterten) ,Symbolform schlechthin' wird, auf die Gesamtheit der Wirklichkeit ausgreift und alle anderen Symbolformen absorbieren möchte. Die hier in ihrem emotionalen und kognitiven Anspruch so radikalisierte und entgrenzte Sprache mündet in Paradoxa und ins Schweigen. Dennoch haben wir nicht den Eindruck, bei den beiden Dichtern werde lediglich ein Unvermögen zelebriert. Denn durch die Paradoxa und durch das Verstummen hindurch setzt sich eine reflexive Botschaft durch: daß (Sprach-) Symbole die Wirklichkeit nicht treffen und daß Wirklichkeit dennoch nur in (Sprach-) Symbolen sich äußert, daß auch die Dysfunktionalität des Symbolischen und der Versuch, es in einen Bereich des Vor- oder Übersymbolischen zurückzunehin Hofmannsthals men, selbst noch ein symbolischer Gestus ist. Sprache erscheint Ballade des äußeren Lebens oder in Celans Lob der Ferne als ein sich selbst entgrenzendes, bis zum Zerbrechen der eigenen Grundform sich weitertreibendes Medium, das in diesem Zerbrechen seine höchste Selbstreflexivität und Selbstdurchsichtigkeit erreicht. Mystische Erfahrung als eine prozessual-symbolisch-mediale Struktur kann, denke ich, allgemein (d. h. hier: in jeweiliger Anwendung analog gedacht) in folgenden elf selbst symbolisch Punkten zusammengefaßt werden: 1. Mystik besteht in einem bleibenden Rücknahmeversuch von Symbolisierung als solcher und im ganzen. Da der Mensch animal symbolicum und seine Grundtätigkeit das Symbolisieren ist, rührt dieser Rücknahmeversuch ans ,Wesen' des Menschen. 2. Der Rücknahmeversuch vollzieht sich jeweils in und an einem bestimmten Symbolismus/Medium, z. B. Sprache, Religion, Philosophie, Kunst. Dieser Symbolismus bzw. dieses Medium begreift sich dann als Repräsentanten der Gesamtheit aller Symbolismen bzw. Medien. Daraus folgt im mystischen Bewußtsein die Reversibilität aller Symbolsysteme/Medien, aller Dinge und Bezüge. 3. Die Gleichzeitigkeit zweier widersprüchlicher Intentionen nämlich: völlige Symbollosigkeit und (eben damit) einen Total-Symbolismus zu konstruieren führt zu einem Zerbrechen des Symbolischen als solchen. Das Zerbrechen (eine Art Implosion) erfolgt, weil die für alle normale, partikulare Symbolik konsumtive Differenz zwischen Symbol und Wirklichkeit einerseits und zwischen verschie-

Anstrengungen.

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denen Symbolsystemen andererseits ausgelöscht wird. 4. Symbol und Wirklichkeit sowie die einzelnen Elemente der Wirklichkeit werden vorübergehend ununterscheidbar. Aus dieser totalen Koinzidenz aller Dinge und Bezüge resultiert das Gefühl der Harmonie und All-Einheit, der Gleichzeitigkeit von Sein und Nichts, sowie die Entwirklichung symbolischer Grundorientierungen wie Ich, Gegenständlichkeit und Kategorialität. 5. Der Versuch der Rücknahme aller Symbolisierung ist ein Versuch der Rücknahme aller gewohnten Orientierung und Sinnstiftung, er zeigt ineins den Grund und Abgrund menschlicher Wirklichkeit. Daraus erklären sich die existentielle Relevanz und der extreme Gefühlsgehalt von Mystik. 6. Mystik ist ein Grenzgang des Symbolisierens und eine Symbolisierung der Grenze von Weltverstehen überhaupt. 7. Erfahrung ist ein autopoietischer Symbolisierungsprozeß, der von vornherein auf Selbstbezug und Selbstreflexion angelegt ist und ab einem gewissen Punkt als ,Mystik' sein eigenes Scheitern produziert. Dieses Scheitern fördert die Einsicht in die Phänomenkonstitution des Symbolischen, d. h. von Rationalität und Erfahrung. 8. Die mystische Einsicht kann selbst nicht mehr symbolisch fixiert werden, da nur Teilsymbolisierungen möglich sind. Dennoch handelt es sich nicht um eine NichtSymbolik. Mystik ist eine aufblitzende', nicht im üblichen Sinn fixierbare Symbolisierung. Daraus resultiert ihr Unverfügbarkeits- und Augenblickscharakter. 9. Die paradoxen Effekte ergeben sich aus dem unaufhebbaren Symbolcharakter des Versuchs der Rücknahme von Symbolisierung. 10. Die Grenzen des SymbolischMedialen zeigen sich darin, daß es kein Jenseits des Symbolisch-Medialen gibt. Es gibt immer nur die Transformation von einem Symbolsystem/Medium in ein anderes. 11. Der Versuch der Rücknahme alles Symbolischen ist selbst unkontrollierbar und ambivalent. Er kann gleichermaßen ein kritisches wie ein naives, ein skeptisches wie ein spekulatives Potential des menschlichen Symbolvermögens aktivieren. Daher ist Mystik einerseits ein Einfallstor ins menschliche Denken für Obskurantismen aller Art, andererseits aber auch die Möglichkeit reflektierter Einsicht in die Abgründigkeit unserer symbolisch-medialen Existenz. Wenden wir diese symbolisch-mediale Rekonstruktion von Mystik auf einen konkreten mystischen Text oder auf ein Textkorpus an, so ist das wie gesagt nur möglich und sinnvoll, wenn wir die Rekonstruktion als relativ frei handhabbaren Interpretationsrahmen betrachten und verwenden. Es kann keinesfalls um Deduktion des Konkreten aus einem abstrakten Schema gehen, sondern immer nur um Analogie. Alle Lebenswelten, die den Kontext für eine mystische Erfahrung und deren Beschreibung abgeben, sind historisch-kontingent und weichen voneinander ab. Jene Seite an ihnen, die sich als Allgemeincharakter bezeichnen läßt, ist idealtypischer Natur. In diesem Sinn gibt es also genauso wenig eine ,reine Mystik', wie es in einem programmatischen neukantianischen Fehlverständnis eine ,reine Erkenntnis' oder ,reine Erfahrung' gibt. Dennoch wird uns das (solchermaßen beschränkte und beschränkt gültige) Analog-Allgemeine auch im Verständnis des Konkreten weiterhelfen. -

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6. Die Eckhartsche

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Symbol- und Medienwelt

Es käme nun darauf an, das methodische Rüstzeug, das uns die Theorie medialer Noetik bzw. die prozessual-symbolisch-mediale Erfahrungstheorie bietet, im einzelnen und unter vielerlei Perspektiven auf die Mystik Eckharts anzuwenden und zu prüfen, ob diese Anwendung nach zwei Seiten hin zur Erhellung des Phänomens beiträgt: zum einen im Hinblick auf Eckhart selbst und zum anderen im Hinblick auf seine Vergleichbarkeit mit in persönlichem, philosophischem, religiösem, historischem usw. Kontext differenten Darlegungen mystischer Erfahrung. Die Fruchtbarkeit solcher hier nur programmatisch vorgestellter Applikation halte ich für sehr wahrscheinlich. Dies gilt nicht nur im engeren Sinn für die Eckhartsche Mystik, sondern auch für seine gesamte Philosophie und Theologie und sein pastorales Engagement. Die programmatische Perspektive konkret einzulösen, erfordert freilich eine komplizierte und weitgefächerte kulturwissenschaftliche Knochenarbeit, die sich zwischen systematischen Konzeptualisierungen und historischem Material, die vielfältig und vorsichtig miteinander in Beziehung zu setzen sind, hin und her bewegen muß. Terminologische und methodologische Standards müssen sich am Material bewähren. Sowohl die Abgrenzung zwischen Mythos/Religion und Wissenschaft/Philosophie, die Cassirer mit den Mitteln seiner Theorie der symbolischen Formen vornimmt, als auch die Abgrenzung zwischen oraler und literaler Noetik, die Havelock und Ong vorschlagen, können nur als vorläufiges und heuristisches Instrumentarium verwendet werden. Daß Eckharts Symbolwelt, in der er Erfahrung und insbesondere mystische Erfahrung zum Ausdruck bringt, eine religiöse und christliche, eine sowohl aristotelische als auch neuplatonisch-augustinische Symbolwelt ist, die eine historisch besondere und vielleicht einmalige Engführung philosophischer und theologischer Traditionen darstellt, muß als Rahmenorientierung im Auge behalten werden. Von Belang aber ist, diese längst bekannten Zuordnungen begrifflich und phänomenologisch zu verfeinern. Dazu reichen weder die (ohnehin wenigen) Textstellen aus, in denen sich Cassirer auf Eckhart bezieht, noch die bisher in der philologischen, literatur-, philosophie- und theologiehistorischen Mittelalterforschung in Angriff genommenen Arbeiten, die die Ong-/Havelocksche Medialitätstheorie auf den Umkreis der Scholastik anzuwenden suchen bzw. den Möglichkeiten einer solchen Anwendung nachgehen (z. B. Michael T. Clanchy, Brian Stock, Ursula Schaefer und Rosamond McKitterick).31 Zu diesen Arbeiten ist außerdem zu bemerken, daß sie sich fast alle nur auf das frühe Mittelalter beziehen, dessen Medienwelt gegenüber der des Hochund Spätmittelalters erhebliche Unterschiede aufweist. -

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Cf. M. T. Clanchy: From Memory to Written Record. England 1066-1307. London: Arnold, 1979: B. Stock: The Implications of Literacy. Written Language and Models of Interpretation in the Eleventh and Twelfth Centuries. Princeton, N. J.: Princeton University Press, 1982; Schriftlichkeit im frühen Mittelalter. Ed. U. Schaefer, Tübingen: Narr, 1993; The Uses of Literacy in Early Mediaeval Europe. Ed. R. McKitterick, Cambridge: Cambridge University Press, 1990.

39

Mystik zwischen Literalität und Oralität

Bei den Klassikern der Medialitätstheorie (Havelock, Ong, Goody, McLuhan) liegt der Forschungsschwerpunkt auf drei Gebieten: 1. der (vorwiegend griechischen) Antike, die paradigmatisch den Übergang von primärer Mündlichkeit in beginnende Schriftlichkeit darbietet; 2. der mit der Erfindung des Buchdrucks als neue Ära der Kommunikation veranschlagten europäischen Neuzeit und 3. der außereuropäischen, besonders mit Fragen der durch Kolonialisierung ausgelösten Kulturbrüche beschäftigten Ethnologie. Das Mittelalter hingegen wird von den ,Klassikern' mehr als stiefmütterlich behandelt und, wenn von ihm die Rede ist, mit Gemeinplätzen bedacht, die nicht völlig falsch sein mögen, aber jedenfalls nach Differenzierung und konzeptueller Ausarbeitung verlangen. Ein derartiger Gemeinplatz ist Ongs Charakterisierung der Scholastik als (angeblich) gegenüber Mündlichkeit völlig abgeschotteter „reiner Schriftkultur".32 Hier werden Stellenwert und Funktion der scholastischen Disputationen, die bekanntlich wenngleich in massiver Weise schriftgestützt ein orales Geschehen sind, unzulässigerweise ignoriert. Die Scholastik ist nicht in erster Linie, aber doch auch eine ausgeprägte Redekultur. Man denke neben den Disputationen an Kommunikationsformen wie Unterweisung und Predigt. Festzuhalten ist freilich an der Perspektive, daß Eckharts Medienwelt die Welt des theologisch-philosophisch gebildeten und in diesem Metier produktiven Dominikaners um 1300, der zudem mit (kirchen-) rechtlichen und pastoralen Aufgaben betraut ist durch eine besondere Konstellation literaler und oraler Strukturen geprägt wird. Das Miteinander, die Übergänge und Exklusionen der beiden Medien, die wir ihrerseits als mehrschichtig und polyfunktional ansehen müssen, sind bestimmt durch 1. den Grad der Schriftlichkeit, den die zu Eckhart zeitgenössische Gesellschaft und Kultur erreicht hat, und 2. durch die Glaubenskonnotationen, die sich mit Wahrnehmung und Gebrauch von Wort und Schrift verbinden. Zu 1.: Die damalige Gesellschaft kann zwar noch als semiliteral bezeichnet werden, doch steht die (vor allem auch unter städtischen Frauen zur Geltung kommende und die sogenannte Frauenmystik mitprägende) hoch- und spätmittelalterliche Frömmigkeit, die gesellschaftlich um sich greift, in einem engen Wechselbezug zur wachsenden Literalität und (theologischen) Bildung. Hier liegt denn auch der Anknüpfungspunkt für die dominikanische cura monialium und die Predigten Eckharts, in denen er sich um den Ausgleich zwischen Glaubensorthodoxie und der Anerkennung subjektiven religiösen Erlebens bemüht.33 Zu 2.: Wort und Schrift sind im mittelalterlichen Kontext nicht einfach vorhandene und zu beliebigem Zweck verfügbare Medien: So konnotiert Oralität das für die Weltschöpfung und für Kreativität schlechthin verantwortliche .göttliche Wort', das allerdings in der ,heiligen Schrift' als der Schrift schlechthin verbindlich niedergelegt ist und nunmehr am Leitfaden des vierfachen Schriftsinns' der Auslegung bedarf. Die -

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Ong: Oralität und Literalität (n. 14). Cf. hierzu O. Langer: Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit. München: Artemis, 1987.

40

Reinhard

Margreiter

Momente des Redens, des Denkens und der Realitätsstiftung kommen so zu kategorialer Koinzidenz. Ihre Kanonisierung man kann auch sagen: ihre verbindliche, zur Unverrückbarkeit erhobene Symbolisierung erfahren sie jedoch erst in der Schrift, die freilich (um hier die Terminologie Jacques Derridas zu bemühen) noch ganz phonozentrisch gedacht ist. Das geschriebene Wort ist nichts anderes als das auf die Ebene des Sehens transponierte und damit besser fixierbare, wiederholbare und ausdeutbare gesprochene Wort. Die dergestalt .heilige' Schrift erhält ihre Funktion ganz durch ihre Aktualisierung als das vom Gläubigen vollzogene Lesen und Ausdeuten. Man hat sich zu vergegenwärtigen, daß Lesen damals für die meisten Lesekundigen noch immer ein Nachsprechen ist: ein Laut-Lesen oder zumindest ein Nachformen des Redens durch leise Lippenbewegung. Das zeugt von einer noch engen Rückbindung und einer nur geringen Emanzipation des Geschriebenen/Gelesenen gegenüber dem Aktuell-Phonetischen oder, mit Ferdinand de Saussure, der langue gegenüber der parole. Dieses Lesen ist redendes Auslegungs-Geschehen. In ihm ist Gott, als der ursprüngliche Sprecher der Heilsbotschaft sowie als Inspirator der biblischen Autoren, kein sachlich distanziertes Objekt des Denkens, sondern lebendiger Diskurspartner des Menschen, ja eigentlich der Hauptakteur dieses Diskurses, in welchem sich der Mensch seiner selbst inne wird, aber auch der Wirklichkeit, in der er steht, und des Beziehungsfeldes, das seinen Leib, seine seelischen und geistigen Kräfte sowie Gott und die gesamte Schöpfung miteinander verbindet. Der Tübinger Altgermanist Walter Haug benennt die Ursache, warum sich die christlich-mittelalterliche Mystik geradezu notwendigerweise darin ergeht, den Satz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten zu ignorieren und, in allegorischem Verständnis, alles mit allem zu verbinden sowie Bilder und Begriffe nahezu wahllos zu konvertieren.34 Er begründet dies mit der christlichen Allegorese als universaler Wirklichkeitshermeneutik. Die ontologische und gnoseologische Struktur dessen, was der gläubige mittelalterliche Mensch wahrnimmt, denkt und erfährt, ist die christliche Heilsgeschichte, der gegenüber es in der Immanenz solch universalisierter Symbolik kein reales Außerhalb mehr gibt. Daher ist alles, was mir begegnet, ein heilsgeschichtliches Gleichnis. Jeder Teil der Heilsgeschichte verweist, da es sich um eine allumfassende Metaerzählung handelt, auf alle übrigen Teile und damit auch auf jeden beliebigen einzelnen Teil. Jedes Gleichnis impliziert ein beliebiges anderes. Wenn ich selbst als ein hier und jetzt konkret Deutender diese radikalunendliche Verweisstruktur vollziehe, gerate ich in den raptus, die .Ekstase': Ich entgrenze mein Ich und erfahre All-Einheit, ich negiere Gegenständlichkeit und Kate-

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gorialitât usw. Cf. W.

Mystik

Haug: „Zur Grundlegung einer Theorie des mystischen Sprechens". In: Abendländische Symposion Kloster Engelberg 1984, ed. K. Ruh, Stuttgart: Metzler, 1986,

im Mitte/alter.

494-508.

41

Mystik zwischen Literalität und Oralität Wir

sehen, wie leicht diese spezielle kulturhistorische Beschreibung in den Parame-

der prozessual-symbolisch-medialen Erfahrungstheorie rekonstruierbar ist. Ein bestimmtes Symbolsystem bzw. Medium die christlich-heilsgeschichtliche Allegorese absorbiert alle anderen Symbolsysteme bzw. Medien, begreift sich selbst als symbolisch-medial, versucht zu einem letzten ,Ursymbolismus' vorzustoßen und eben dadurch Symbolizität als solche in einen vorsymbolischen Grund zurückzunehmen. Was aber geschieht, ist nur die ständige Transposition von einer Repräsentation in eine andere. Obwohl diese Transpositionsbewegung die Bewegung hin zu neuer und anderer Repräsentation des erfahrenen', das sich durch eben diese Bewegung selbst verändernd weitertreibt an kein Ziel gelangt, obwohl sie also in ihrer Intention eines verbindlichen und endgültigen Repräsentationsabschlusses scheitert, vollzieht sie eine Erfahrung, die für die gesamte Existenz des so Erfahrenden nach- und weiterwirkt. In solchem Nachwirken und in solch umfassender Existenzgestaltung kann Mystik in einem weiten, über den Vorgang der unio mystica hinausgehenden Sinn als Lebensform verstanden werden. Eckharts Schlüsselwörter dafür sind .Gelassenheit' und tern

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.Freiheit'.

Mystische Erfahrung ist demnach negativ gekennzeichnet die Erfahrung radikalSymbolskepsis und positiv gekennzeichnet die Erfahrung menschlicher Wirklichkeit, die weder im (austauschbaren) Symbol noch im (ungreifbaren) Symbolisierten d. h. in einer symbollos veranschlagten Realität, die es nicht gibt positioniert ist, sondern in einem konstitutiven Zwischen. (Inwiefern allerdings viele Mystiker einschließlich Eckhart hier an Selbsttäuschungen festhalten und reale Symbollosigkeit behaupten, ist eine Frage, die zu diskutieren wäre.)35 Die christlich-mittelalterliche Vorstellungswelt vermag dieses Zwischen als den von Gott vorgesehenen besonderen Status des Menschen zu deuten, der gegenüber dem Status von Gott, Engeln und nichtmenschlicher Kreatur abzugrenzen ist. Doch läßt sich zweifellos die ,Zwischenstellung' des Menschen auch anders, läßt sie sich auch in nichtchristlichen und nichtreligiösen Paradigmen ausloten und zur Darstellung bringen (man denke an Zen-Weisheit oder an die Sprach- und Mystikphilosophie Fritz Mauthners). Die verschiedenen ,Mystiken' koinzidieren jedenfalls im Aufweis dieser Struktur des -

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ster

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,Zwischen'.

Es geht um die Frage, wie Eckharts Rede vom „grundlosen Grund" und von der „Weise ohne Weise" zu interpretieren sei: ob er (1) tatsächlich die Möglichkeit annimmt, der Mensch könne sich auf eine vorsymbolische Ebene der Erfahrung begeben, oder ob (2) die apophatische Rede immer nur die dynamische Position eines .Zwischen' ausdrückt, die auch nicht bei den Negationen, die sie vollzieht, stehenbleibt. In seiner Interpretation der christlich-mittelalterlichen Mystik, für die er Ps.-Dionysius Areopagita und Eckhart als Kronzeugen anführt, versucht Denida seinen Dekonstruktivismus von der negativen Theologie abzugrenzen, indem er dieser die Version (1) und jenem die Version (2) zuordnet. Cf. J. Derrida: Wie nicht sprechen. Verneinungen. Wien: Passagen, 1989.

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Wenn wir die analoge Struktur verschiedener,Mystiken' erkannt haben, sind wir von einem umfassenden und genauen Wissen über einen bestimmten Text, einen bestimmten Autor, eine bestimmte mystische Erfahrung noch immer weit entfernt. Worum es in künftiger Forschung auch in künftiger Eckhartforschung gehen muß, sind Aufweis und Analyse der jeweiligen historisch-kontingenten Bedingungen von Erfahrung/Symbolizität. Auszuloten sind die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen einer konkreten medialen (und damit: mentalen, emotionalen, begrifflichen und theoretischen) Geschichtssituation. Vorgängige Methodenüberlegungen und Programmatiken stellen dazu nur eine Vorarbeit dar. -

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ECKHART IN ERFURT

ELOGE DU REDEMEISTER: DISCOURS ET DISCERNEMENT DANS LES DISCOURS DU DISCERNEMENT '

Wolfgang Wackernagel (Ascona) Les Discours du discernement (Die rede der underscheidunge) constituent le premier traité prononcé et rédigé par Maître Eckhart, entre 1294 et 1298, après le séjour parisien de 1293/1294, c'est-à-dire, du temps où il était vicaire de Thuringe et prieur

d'Erfurt,

son

couvent

d'origine.

A propos du titre: on s'est habitué à désigner par (traduit en français par spirituelle) un discours (Rede) qui n'a en fait pas été originellement qualifié d'instruction. Même si l'idée d'Unterweisung est tout à fait appropriée pour désigner le contenu de ce traité, il importe, dans une étude approfondie, de commencer par rappeler que ce terme ne figure nulle part dans le texte. Même le titre en langue originale, moyen-haut-allemande: «Die rede der underscheidunge», c'est-à-dire, littéralement, «Les discours du discernement», ne se trouve que dans un nombre restreint de manuscrits tardifs. Selon Kurt Ruh, il n'est «certainement pas original».2 Par contre, Josef Quint avait déjà estimé que les titres des chapitres sont attribuables au manuscrit original ou , que nous ne possédons plus. Comme le terme ou l'idée de discernement y figure à trois reprises, on peut conclure que «Discours du discernement» constitue effectivement le titre le plus adéquat.3 Sur le nombre relativement élevé de copies retrouvées, c'est-à-dire, sur les trente-huit (actuellement: quarante-quatre) manuscrits ou fragments de manuscrits recensés pour l'édition critique de Quint (DW V), seulement trois portent encore l'intégralité de ces titres, ainsi que la numérotation des chapitres. Au cours des filiations successives, certains copistes auraient omis de reprendre ces derniers quitte à les rajouter ultérieurement, parfois à l'encre rouge. En vingt-trois (ou vingt-quatre?, cf. ci-après) petits chapitres, de nombreux thèmes de la mystique eckhartienne sont déjà abordés dans les Discours du discernement, sans -

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1

2

Un abrégé de ce texte, rédigé et remanié en français, a été prononcé en allemand lors du colloque, le 10 juin 1995. L'idée du titre m'est venue peu avant ce dernier. Comme le jeu des assonances de la seconde partie n'est pas traduisible, la voici telle quelle: «Rede und Unterscheidung in den Reden der Unterweisung». K. Ruh: Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker. Munich: Beck, 1985; 2e éd. revue 1989, 31. Ici comme par la suite à l'exception des cas où nous renvoyons à d'autres traductions -, les traductions ont été effectuées par l'auteur. Cf. J. Quint: «Vorbemerkungen zu den RdU [Rede der underscheidunge]». In: DW V, 137-184, ici 177; id.: n. 1 ad p. 185. In: DW V, 312. -

3

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Wolfgang Wackernagel

46

que l'on y trouve, comme cela a été souvent dit, le plein déploiement de la dimension spéculative, si caractéristique des écrits ultérieurs. Ces discours n'en constituent pas moins la meilleure introduction, dans la mesure où ils sont orientés vers la pratique et parce qu'ils s'adressent à «ses enfants» spirituels ainsi qu'il est dit dans la suscription: «Voici les discours [Daz sint die rede] que le vicaire de Thuringe, prieur d'Erfurt, frère Eckhart, de l'ordre des prêcheurs, adressa à ses enfants qui lui posaient de nombreuses questions lorsqu'ils étaient assis ensemble pour la collation du soir [dô sie sâzen in collationibus mit einander].» (DW V, 185, 1-6.)4 Le terme de collation suggère que l'on se réunit pour prendre en commun les nourritures terrestres et spirituelles, que l'on a , c'est-à-dire, littéralement, apporté ensemble). Il s'agit donc aussi bien d'un repas pris en commun, que d'une conférence ( vient de ), ou encore, d'après les notes de Quint, d'une , d'une ou d'un du soir (in Vesperis): toute forme de sociabilité vespérale plus ou moins réglementée, telle qu'on peut l'imaginer dans un cadre de vie communautaire ou monastique. En l'occurrence, ce titre précise le contexte du discours (rede) de Maître Eckhart, suivi des réponses aux nombreuses questions de ses «enfants» (spirituels). Le contexte assez informel d'une , même révisée ultérieurement par l'auteur, en vue de lui donner une forme littérairement acceptable, ne saurait déboucher sur une stricte subdivision des sujets abordés à l'intérieur des différents chapitres. Ainsi, par-delà le leitmotiv du et du renoncement à la volonté propre>, le texte fourmille de renvois explicites ou allusifs à des pensées analogues qui en découlent, entrelacés avec d'autres questions relatives à la vie monastique et à la pratique de la vie spirituelle en général. Si un développement systématique des pensées fait parfois défaut, surtout vers la fin du texte, on peut toutefois discerner trois groupes de chapitres: 1-8, 9-16 et 17-23, dont voici un abrégé des titres. Comme l'a déjà remarqué Ruh, Eckhart aborde toujours un nouveau thème vers la fin d'un chapitre, avant de le développer au chapitre suivant: -

I. Obéissance et abandon de soi 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

De la véritable obéissance. De la plus intense prière et de l'œuvre la plus haute. Des gens non détachés, remplis de volonté propre. De l'utilité de l'abandon de soi. Considère ce qui rend bon l'être et le fond. Du détachement et de la possession de Dieu. Comment l'homme doit œuvrer de façon raisonnable. Du zèle constant dans la plus haute croissance.

4

Cf. «Instructions spirituelles». In: Maître Eckhart: Les Traités, introd. et trad. J. AnceletHustache, Paris: Seuil, 1971. La traduction de Jeanne Ancelet-Hustache est donnée à titre indicatif, elle a été modifiée là où cela m'a paru nécessaire. -

Eloge du redemeister

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péché et l'amour de Dieu 9. Comment l'inclination aux péchés est utile à l'homme.

II. Le

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Comment la volonté peut toutes choses. Ce que l'homme doit faire lorsqu'il est privé de Dieu. Comment il faut se comporter quand on est dans le péché. De deux sortes de repentir («Ondersceyt van tween rouwen»). De la véritable confiance et de l'espérance. De deux sortes d'assurance de la vie éternelle. De la vraie pénitence et de la vie bienheureuse.

III. Dernières instructions (Différents thèmes abordés lors d'une

discussion?)

Comment l'homme doit se garder en paix. De quelle manière l'homme doit accepter les bonnes choses. Pourquoi les gens de bien sont parfois entravés dans leurs bonnes Du corps de Notre-Seigneur. Du zèle. Comment on doit suivre Dieu. 23. Des œuvres intérieures et (24. Des œuvres) extérieures. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

œuvres.

En considérant ces titres, on s'aperçoit que la notion de distinction ou discernement apparaît à trois reprises, à savoir une fois explicitement (chapitre 13, d'après les manuscrits Prh Pr2 et M,7), et deux fois implicitement (chapitres 15 et 23/24). Mais aussi: le vingt-troisième chapitre étant nettement plus long que tous les autres, il n'est pas exclu de supposer qu'il devrait compter pour deux. Si l'on part du principe que chaque séquence devrait comporter huit chapitres, il manque en effet un chapitre dans la troisième séquence ci-dessus. Cette hypothèse est d'autant plus vraisemblable qu'il s'agit d'un nombre favori d'Eckhart (trois fois huit, c'est aussi deux fois douze), c'est-à-dire autant de chapitres que de propositions dans le fameux Livre des vingtquatre philosophes, dont on commence à mieux connaître l'influence sur l'œuvre eckhartienne. Il semble en effet logique aussi par référence à VApocalypse (4, 4), où le nombre des anciens est associé à l'accomplissement du cycle historique, tout comme chez les Pythagoriciens, où ce chiffre désigne la totalité qu'un livre idéal propose vingt-quatre chapitres pour faire le tour de sa question.5 Pour en revenir à la notion de discernement ou distinction, on s'aperçoit qu\underscheit> apparaît aussi trois fois dans le texte, à savoir deux fois dans un sens négatif: -

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Cf. à

propos les considérations développées dans W. Wackernagel: «Vingt-quatre aphorismes de Maître Eckhart». In: Revue des sciences religieuses 70 (1996), 90-101, ici 93 sq. n. 4.

ce

autour

Wolfgang Wackernagel

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fusion sans différence de l'âme en Dieu (âne underscheit chapitres 15 et 20) et une fois dans un sens positif (chapitre 21), à savoir qu'il importe de connaître la différence entre détachement intérieur et paresse mentale, voire inertie! On peut notamment se rendre compte de l'usage paradoxal que Maître Eckhart fait de cette notion vers la fin du Sermon 10: «Quand l'âme reçoit un baiser de la Déité, elle acquiert toute sa perfection et sa béatitude, alors elle est embrassée par l'unité. L'unité est la distinction et la distinction est l'unité. Plus la distinction est grande, plus grande est l'unité, car c'est une distinction sans distinction [underscheit âne underscheit]. S'il y avait mille personnes, il n'y aurait cependant rien que l'unité. Quand Dieu regarde la créature, il lui donne par là son être; quand la créature regarde Dieu, elle reçoit par là son être. L'âme a un être spirituel et connaissant; c'est pourquoi là où Dieu est, là est l'âme, et là où est l'âme, Dieu est.» (DW V, 172, 4-173, 9.) De telles assertions ont certes pu être mal interprétées, et il n'est pas étonnant de retrouver des propositions analogues dans la Bulle (articles 10, 13, 23 et 24). Au sixième chapitre de son Livre de la vérité, Henri Suso se réfère aussi à cette problématique dans le dialogue avec le Sauvage sans nom. Et si le titre de [Matth. 23, 12; Luc. 14, IL] Car tout notre être n'est fondé en rien d'autre que dans l'anéantissement.» (DW V, 294, 6-8.) «[Les amis de Notre-Seigneur] doivent s'estimer et se considérer comme un pur néant dans tous les grands dons de Dieu. Car plus est dépouillé et nu l'esprit qui va à Dieu, qui est soutenu par lui, plus l'homme est profondément fixé en Dieu, et plus il est sensible aux dons les plus précieux de Dieu.» (DW V, 262, 1-5.) «Une œuvre demeure qui lui revient en propre: l'anéantissement de lui-même. Et pourtant, si grand que soit cet anéantissement et cet amoindrissement de soi, il demeurera imparfait si Dieu ne l'accomplit en lui.» (DW V, 292, 6-8.) Cf. Humilité. Bien et mal: «L'homme a une volonté libre avec laquelle il peut choisir le bien et le mal. Dieu lui réserve la mort quand il a mal agi, la vie quand il a bien agi. L'homme doit être libre

12

Ibid. 46.

Wolfgang Wackernagel

60

maître de toutes ses œuvres, sans être détruit ni contraint.» (DW V, 289, 2-5.) «Ainsi nous ne devons pas détruire le moindre bien en nous ni un petit mode d'être en faveur d'un grand, mais l'amener à son plus haut accomplissement.» (DW V, 289, 8-10.) Voir aussi précédemment: «Le bien ne porte pas moins fortement au bien que le mal au mal.» (DW V, 216, 11-217, 1.) Et: «Réfugie-toi donc vers lui, en qui il n'est pas de faute, qui est le bien même, afin qu'il soit le Rédempteur de tout ce qui est corrompu en toi, à l'intérieur comme à l'extérieur.» (DW V, 248, 10 sq.) Cf. Liberté et Tentation.

et

Confession: «Il faut se confesser à Dieu plutôt qu'aux hommes, et, si l'on est coupable, prendre au sérieux la confession devant Dieu et s'accuser rigoureusement. Lorsqu'on veut s'approcher de ce sacrement, il ne faut pas l'omettre étourdiment et le négliger sous le prétexte de la pénitence extérieure, car seul l'état d'esprit de l'homme dans ses œuvres est juste, divin et bon.» (DW V, 275, 5-9.) «Mais si l'homme se sentait coupable en quelque point et qu'en raison d'un empêchement il ne puisse aller se confesser, qu'il aille vers son Dieu, qu'il se reconnaisse coupable en grand repentir et qu'il soit en paix jusqu'à ce qu'il ait la possibilité de se confesser. Si entre-temps, les pensées et le remords du péché lui échappent, il peut penser que Dieu aussi les a oubliés.» (DW V, 275, 1-5.) Cf. Sacrement. Dieu: Il n'est jamais loin: «... c'est un grand préjudice pour l'homme de se croire loin de Dieu; que l'homme chemine loin ou près, Dieu n'est jamais loin; il reste constamment proche, et s'il ne peut rester à l'intérieur, il ne va pas plus loin que devant la porte.» (DW V, 250, 2-5.) S'abandonner à lui: «Et voici ce que je trouve préférable à tout: que l'homme s'abandonne totalement à Dieu, quoi que celui-ci veuille lui imposer, mépris, peine ou quelque souffrance que ce soit, qu'il l'accepte avec joie et reconnaissance et qu'il se laisse conduire par Dieu plutôt que de s'y porter lui-même.» (DW V,

256,8-257, 1.)

Discernement / différence / distinction (underscheit): Cette idée constitue le fil conducteur de toute l'étude, il est donc inutile de la reprendre ici. Rappelons simplement que ce terme est explicitement cité dans les chapitres 15 (aimer Dieu sans distinction âne underscheit dans toutes les créatures), 20 (union sans différence entre l'âme et Dieu) et 21 (discernement: ne pas confondre détachement et inertie); dans certaines versions du titre du chapitre 13, et implicitement dans les titres des chapitres 15 et 23/24. Cf. Union. -

-

Extériorité (ûzerkeit, ûzwendicheit mes

extérieures):

des œuvres, des

images

et

des for-

à rester dégagé dans ses œuvres. Or pour une personne qui ne s'y c'est une entreprise singulière de parvenir à n'être gênée ni par des pas exercée,

«Il faut est

dégagement -

apprendre

61

Eloge du redemeister

humaines ni par une œuvre beaucoup d'application lui est nécessaire pour que Dieu lui soit sans cesse présent et l'éclairé de sa pureté constamment, en tout temps et en toute présence. Il y faut un zèle intense et en particulier deux conditions: d'une part que l'homme se tienne fermé intérieurement, que son esprit soit en garde à l'égard de toutes les images extérieures, afin qu'elles demeurent en dehors de lui, ne cheminent pas indûment avec lui, ne l'accompagnent pas et ne trouvent pas de place en lui. L'autre condition, c'est que ni les images intérieures, ni les représentations ou l'élévation de l'esprit, ni les images extérieures ni quoi que ce soit qui est présent à l'homme, ne le disperse, ne le distraie et l'extériorise dans la multiplicité. L'homme doit entraîner toutes ses puissances, les y appliquer et avoir présente son intériorité. Or tu pourrais dire: ). B. Mojsisch (Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit. Hamburg: Meiner, 1983, 22) assure à son tour qu'Eckhart, pour affirmer la priorité de l'intellect, s'oppose ici au concept thomasien de Dieu. En réduisant la leçon de Thomas d'Aquin à l'ontothéologie d'Henri de Gand, de Jean Quidort et de Duns Scot, l'un et l'autre auteur se méprend lourdement. Eckhart, lui, fait sienne l'opposition dionysienne, albertinienne et thomasienne entre le point de vue des raisons abstraites et celui, concret, des participations à l'être-étant et à la vie qui sont intégrées dans l'instance intellective: cf. Expositio sancti evangelii secundum lohannem, n. 63; LW III, 52 («in abstracto»/«in concreto»), ce qui est ici supposé en conjuguant en Dieu pureté d'être et connaître intellectif. In loh., n. 61; LW III, 51, 3 sq.; Liber de causis, prop. 11 (12); ed. Pattin (n. 7), 73, 64-69. Cf. encore In loh., n. 89; LW III, 77, pour la nature intellective créée comme émanation supérieure à celle de l'étant comme tel; n. 141 et 189, LW III, 118 sq. et 152 sq.; In Gen. II, n. 151; LW I, 621; Sermo XLIV, 1, n. 442; LW IV, 370, 2: «nosse quod est esse»; Sermo LIV, n. 528; LW IV, 445, 8: «intelligere proprie est vivere. sicut vivere viventibus est esse»; Sermon 8, DW I, 129 sq.

104

Edouard-Henri Wéber

2. La notion de forme

intelligible

En parfaite convergence avec les raisons notées plus haut sur la prépondérance du connaître intellectif sur l'étance comme telle, le thème de forme intelligible, species intelligibilis, joue dans l'argumentation d'Eckhart un rôle décisif. Dès la Question parisienne Il qui, disputée en premier, est relative au connaître intellectif chez l'esprit angélique, la notion de forme intelligible est mise en œuvre. Elle est entendue en un sens technique rigoureux identique à celui qu'elle revêt chez Thomas d'Aquin.

2.1 La forme

intelligible, principe de l'intellection

En continuité avec la noétique de son réputé prédécesseur en cette chaire même qu'il occupe, Eckhart montre, en opposant le caractère limité et fini de l'essence chez tout sujet créé à l'ampleur infinie de l'horizon intelligible où se déploie tout connaître intellectif, que la forme intelligible définie, au titre de principe causal de relation avec la chose connue, comme , en son essence même, dont le principe noétique est l'essence divine forme intelligible au sein de l'intellect créé, cf. Thomas d'Aquin: S. th. I, q. 12, a. 2, ad 3; a. 5. resp.; a. 9, resp.; id.: Quaestiones dispútatele de vertíate, q. 8. a. 1: q. 18, a. 1; id.: Summa contra gentiles III, c. 51 sq. 4 Cf. Quaest. Par. I, n. 4; LW V, 41, 8 sq.; pour cette réduction à deux points de vue, B. Geyer (n. 6 ad p. 4L In: LW V, 41) indique référence aux deux principaux maîtres de la fin du treizième siècle, Henri de Gand et Godefroid de Fontaines. Aucun contemporain d'Eckhart, y compris parmi ses confrères Prêcheurs qui se réfèrent à l'héritage thomiste, ne réussit à entendre cette philosophie de l'être (esse) comme acte de l'essence créée qu'enseigne Thomas d'Aquin. tum.

...

112

Edouard-Henri Wéber

égalée cette facilitante réduction rationaliste et déjà nominalisante alors professée par maints dialecticiens, de Henri de Gand à Dietrich de Freiberg (collègue Prêcheur d'Eckhart) en passant par Godefroid de Fontaines et Duns Scot.55

Un corollaire de cette vigoureuse philosophie de l'être comme acte est à remarquer dans le sens négatif qu'Eckhart signale dans le thème d'analogie. Face aux tenants de la thèse ontothéologique qui usent et abusent de la notion d'analogie prêtée directement aux étants créés, le maître thuringien rappelle que la dénomination par analogie résulte d'un travail rationnel établissant des rapports d'après une certaine ressemblance entrevue qui reste affectée de dissemblance. D'où la nécessité de relativiser la ressemblance relative ainsi établie moyennant l'apophase. Il souligne que le mode de perfection désigné en l'analogue principal n'est comme tel nullement présent dans les analogues subordonnés comme leur détermination formelle.56 En aucune réalité désignée d'un terme univoque ne réside ce qui est sa cause première et sa mesure.57 55

Henri de Gand: Quodlibet I, q. 9, sol.; ed. R. Macken, Louvain: Presses Universitaires, 1979, 51, 3-10 (= Opera omnia V), après citation d'Averroès identifiant ens et esse, ajoute, en visant sûrement l'interprétation de Gilles de Rome (et par delà Thomas d'Aquin que Gilles prétend interpréter): «Miram est ergo quod hoc non possunt videre quidam theologi, quod viderunt philosophi, maxime cum hoc convincit ratio verídica.» (9 sq.) La philosophie de l'être chez Henri de Gand est étudiée par J. Paulus: Henri de Gand. Essai sur les tendances de sa métaphysique. Paris: Vrin, 1938. Pour Godefroid de Fontaines, cf. J. F. Wippel: The Metaphysical Thought of Godfrey of Fontaines. Washington, D. C: The Catholic University of America Press, 1981. Thèse certainement visée par Eckhart: celle de son contemporain et son collègue Prêcheur Dietrich de Freiberg: De ente et essentia. Ed. R. Imbach, in: id.: Schriften zur Metaphysik und Theologie, ed. R. Imbach et al„ Hamburg: Meiner, 1980, notamment 38 (II, 1, n. 1) (= Opera omnia II), où est rejetée la thèse de la distinction réelle entre l'être et l'essence créée: «... docent innitentes quibusdam sophisticis rationibus, quibus non sine periculo et gravi iactura verae doctrinae decipiuntur. Dicunt enim, quod in omnibus entibus creatis différant essentia uniuscuiusque a suo esse reali differentia, et quod sint idem, solum est hoc possibile in prima causa, quae Deus est.» Cf. ibid. I, 4; 31, 76 sq.; I, 6; 32. Dietrich professe une philosophie de l'être qu'inspire d'Averroès; cf. id.: De accidentibus, c. 9, n. 6; éd. M. R. Pagnoni-Sturlese, in: id.: Schriften zur Naturphilosophie und Metaphysik, ed. J.-D. Cavigioli et al., Hamburg: Meiner, 1983, 53-90, ici 65, 32 sq. (= Opera omnia III), où il n'admet pour critère de distinction entre étant créé et existence effective qu'une certaine distance du néant («sub ratione distandi a nihilo», 36). Jean Quidort se limite à la distinction henricienne de l'être de l'essence et de l'être de l'existence; cf. Jean Quidort: Commentaire sur les Sentences I, 8, q. 43; ed. Müller (n. 28), 131, 17 sq.: «... per prius ens Deo convenit». Pour percevoir sur ce point l'originalité d'Eckhart, il suffit de se reporter aux études datées mais toujours de valeur de M. Grabmann: «Doctrina S. Thomae de distinctione reali inter essentiam et esse ex documentis ineditis saeculi XIII illustratur». In: Academia Romana S. Thomae Aquinatis, Acta hebdomadae thomisticae Romae celebratae 19-25 Novembris 1923, Rome: Accademia dei Lincei, 1924, 131-190; id: «Circa historiam distinctionis essentiae et existentiae. Quomodo philosophi Artistae et Averroistae saeculi XIII et saeculi XIV ineuntis doctrinam S. Thomae de distinctione essentiae et existentiae intellexerint». In: Acta Pontificiae Academiae Romanae S. Thomae Aquinatis et Religionis Catholicae, n. s. 1 (1934), 61-76. 56 Quaest. Par. I, n. 11 ; LW V, 46, 8: «formaliter non est ¡n alio». 57 Quaest. Par. 11, n. 10; LW V, 54.

L'argumentation philosophique personnelle

113

L'analogie concerne, non pas les choses en elles-mêmes, mais leur dénomination que pensée effectue en constatant qu'elles participent selon une certaine mesure

notre

déficiente à

un

degré

eminent de la

perfection considérée.

Ce

degré,

leur modèle

et

critère, leur reste extrinsèque et donc relativement dissemblable. Le commentaire du Siracide avertit, en présence de l'inflation nominalisante du thème d'analogie ainsi

substitué à l'indispensable démarche apophatique, que chez ses contemporains régnent malentendus et erreurs.58 En effet, qualifier les étants d'analogiques en soi au regard de Dieu-Etant suprême relevant lui aussi du concept univoque d'étant (ou d'être au sens d'étant) cette thèse des maîtres frustes (grobe meister), comme le dit sans ambages le Sermon 9 -, c'est prétendre superflue la nécessaire démarche négative en présupposant l'option nominaliste qui réduit l'être en acte au niveau du langage et du même coup dégrade la philosophie premiere en logique.5'' Prenant à partie l'épistémologie centrée sur cette représentation telle que Duns Scot la met en place avec sa théorie du concept d'étant univoquement applicable à tout et jusqu'à Dieu, la Question parisienne 1 souligne, avec appui sur Boèce, la nécessité de dépasser le niveau de l'imaginaire, si rationnalisé soit-il, où s'inscrit toute représentation univoque de l'étant, pour se hausser au niveau supérieur de l'intellectif, seul apte, lui, à l'apophase critique: «ici l'imagination défaille».60 Une remarque ultime pour signaler que la motivation principale d'Eckhart est ici, sans préjudice pour ses exigences philosophiques, d'ordre théologique. Héritier d'Albert le Grand et de Thomas d'Aquin et de leur théologie du Verbe-Logos en Dieu, le maître thuringien, pour s'être constitué cette noétique et cette philosophie de l'être intellectif comme acte, a par la suite enseigné la doctrine corrélative de la mission temporelle du Verbe en l'intellect du juste en grâce.61 Le moment suprême du don préteressentiel de la grâce divinisante, désigné le plus souvent par le thème patristique de naissance du Verbe ou Logos divin en l'âme intellective, est indissociable, au titre de principe de la participation à l'intellection divine incréée, de son objet ultime incréé, l'essence de -

lectiones super Ecclesiastici, n. 53; LW II, 282, 7 sq.: «Notandum etiam quod hanc maie intelligentes et improbantes erraverunt usque hodie.» Cf. n. 52, LW II, 280, 6-281, 5: La dénomination par analogie est une attribution extrinsèque aux réalités qui de soi sont équivoques: «... aequivoca dividuntur per diversas res significatas bonitas et iustitia et similia bonitatem suam habent totaliter ab aliquo extra, ad quod analogantur ...» Sermon 9, DW I, 145, 7: «Grobe meister sprechent, got sî ein lûter wesen ...» Quaest. Par. I, n. 8; LW V, 44, 10; Boèce: De trinitate, c. 2; PL 64, col. I250B: «... in divinis intellectualiter versari oportebit, neque diduci ad imaginationes, sed potius ipsam inspicere formam, quae vere forma nec imago est, et quae esse ipsum est, et ex qua esse est ...» Sur cette haute théologie que l'ontothéologie a rendue incompréhensible et qu'elle a contribué à ravaler à une théologie dite mystique parce que de caractère anti-intellectualiste, je ne peux ici que renvoyer à E.H. Wéber: «Eléments néoplatoniciens en théologie mystique au XIIIème siècle». In: Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, ed. K. Ruh, Stuttgart: Metzler, 1986, 196-217. Sermones naturam

et

analogiae quidam

...

114

Edouard-Henri Wéber

connue «telle qu'elle est». D'où ce titre «incréable» que nos Questions parisienI et // revendiquent présent, selon une certaine mesure et au titre de source primordiale et critère transcendant, en toute intellection intellective.

Dieu nes

DISPUTATIO IN ECKHARTS FRÜHEN PARISER QUÄSTIONEN UND ALS PREDIGTMOTIV Mischa

von

Perger (Freiburg i. Br.)

„Nun gebt gut acht auf das, was ich sage. Was eigentlich ein Bild ist, das sollt ihr an vier Merkmalen erkennen, oder vielleicht werden es noch mehr. Ein Bild gehört nicht sich selbst und ist nicht für sich selbst da. Es gehört allein dem, dessen Bild es ist, und für das ist es ganz und gar alles, was es ist; was demjenigen fremd ist, dessen Bild es ist, für das ist es nicht, und ihm gehört es nicht. Ein Bild nimmt sein Sein unmittelbar allein von dem, dessen Bild es ist, und mit ihm hat es ein einziges Sein und ist dasselbe Sein. Das sind nicht etwa Dinge, die man auf der Schule besprechen soll; man kann sie sehr wohl auf dem Predigerstuhl zu einer Lehre verwenden." (Predigt 16b, DW 1,270, 1-8.)1 -

Eckhart hat seinen Hörern recht abstrakte Überlegungen zu der Frage Wesen eines Bildes gehört; er hatte diese Darlegung sorgsam gegliedert und faßt nun die Hauptpunkte noch einmal zusammen. Auf zweimal zwei „Stücke" (Merkmale) gelte es zu achten: (1.1) Das Bild gehört nicht sich selbst, (1.2) es gehört nur demjenigen, dessen Bild es ist; (2.1) von diesem nimmt es unmittelbar sein Sein, (2.2) mit diesem zusammen hat es ein einziges Sein. Das erste Paar von Merkmalen wird noch ausführlicher erläutert: Das Bild gehört nicht nur nicht sich selbst, sondern überhaupt keinem anderen als dem, dessen Bild es ist; wer oder was diesem fremd ist, dem ist auch das Bild fremd. Nach dieser Anstrengung verteidigt sich Eckhart: Hat er sich nicht in der Redesituation geirrt? Waren seine Darlegungen nicht theoretisch, akademisch-subtil, statt auf anschauliche und erbauliche Weise zu belehren? Nein, sagt Eckhart, genau diese so abstrakten Bestimmungen des Bildes kann ich genau hier, auf dem Predigerstuhl (der späteren ,Kanzel'), gebrauchen: Hört her, was ihr von einem solchen Bild lernen sollt fürs Leben! Mit der „Schule" ist hier offenbar die Universität oder ein anderes Studium des Dominikanerordens gemeint. Die Berührungsangst vor einem Thema, das eher in die „Schule" zu gehören scheint, als daß es für das praktisch-geistliche Leben von BedeuDer

Prediger

zugemutet,

was zum

-

Die

Übersetzungen stammen hier wie im folgenden vom Verfasser. Im Unterschied zu Josef (Übersetzung in DW I, 493. letzter Absatz) deute ich hier die Genitiv-Ausdrucke (e. g. „ez

Quint

-

ist aleine des, des bilde ez ist") nicht als Bezeichnungen für die Herkunft des Bildes, denn die Herkunft ist ein Gesichtspunkt, der nachfolgend eigens aufgeführt wird („Bilde nimet sîn wean dem, des bilde ez ist") und der im ausführlicheren sen vorangehenden Text die erste von zwei Eigenschaften des Bildes ausmachte (DW I, 265, 9 sq.); in der Zusammenfassung aber beginnt Eckhart mit der zweiten Eigenschaft. Um den Genitiv aufzulösen, behelfe ich mich mit dem Verb .(jemandem) gehören'. ...

...

116

Mischa

von

Perger

tung wäre, läßt Eckhart nicht durchgehen. Die Bedeutsamkeit eines solchen wissen-

schaftlichen oder auch spekulativen Themas muß aber durch den Prediger eigens gezeigt werden. Ginge es dabei um die bloße Illustration von geläufigen moralischen Weisungen, geriete die Predigt nur um so frostiger. Eckhart aber gibt dem gelehrten Thema eine neue, die Perspektive unvermutet verschiebende oder paradox steigernde Wendung. Für das Bild von Gott, das wir alle die Zuhörer sein sollen, wird gerade die völlige Abhängigkeit des Seins zum Grund der Einheit oder der Einigung mit Gott; die Nichtigkeit des Bildes sowie seine Einheit mit dem Original bekommen eine bestürzend anspruchsvolle, lebensentscheidende Dimension, wenn sich nach diesem Muster das Geschöpf auf Gott bezieht. Gelegentlich greift Eckhart nicht nur auf einen schulischen Stoff zurück, sondern auf eine präzise These, die er zu Paris vertreten hat in welcher Form auch immer, sei es in einer Vorlesung, einer Disputation oder einer Predigt: „Die menschliche Natur und die seine [die Natur Christi] hat keinen Unterschied, sie ist nur eine, denn was sie in Christus ist, das ist sie in dir. Darum sagte ich in Paris, daß an dem gerechten Menschen erfüllt ist, was die Heilige Schrift und die Propheten jemals sagten. Denn steht es recht mit dir, dann wird alles, was im Alten und im Neuen Bund gesagt worden ist, alles an dir vollbracht." (Predigt 24, DW I, 420, 10-422, 3.) In Christus ist alles erfüllt, was Gott den Menschen verheißen hat und daraus, daß dieser Christus Menschennatur angenommen hat, liest Eckhart die Ermöglichung für und den Auftrag an jeden Menschen, das Mittel oder der Ort solcher Erfüllung zu werden.2 Seine Zuhörer sollen wohl verstehen, daß dieser Gedanke dem Prediger nicht ad hoc einfiel, sondern daß er seine Feuerprobe im intellektuell aufgeladenen Klima der Pariser Universität überstanden hat. Oder aber Eckhart rechnet damit, daß die Zuhörer die Pariser These kennen, und verteidigt sie hier als genuinen Bestandteil seiner Lehre; sie könnte durchaus berühmt oder auch berüchtigt gewesen sein, denn im Kölner Prozeß und noch in der päpstlichen Verurteilungsbulle spielt sie eine Rolle.3 Die Reminiszenz an Paris leitet jedenfalls zum Schluß dieser Predigt über, zur -

-

-

-

-

2

Anders, als es der aus seinem Kontext herausgelöste Satz zu verstehen geben könnte

etwa

in der

Fassung der päpstlichen Verurteilungsbulle von 1329 -, ist damit keiner Vervielfachung der Erlöser-Gestalten das Wort geredet. Nach Eckhart kann ja nicht der geringste individuelle Zug irgendeines bestimmten Menschen zu seiner Gerechtigkeit' beitragen oder dazu, daß die Verheißungen an ihm erfüllt werden; das individuelle Leben könnte solche Gerechtigkeit allenfalls anzeigen, wenn es augenscheinlich .gottgefällig' ist und den wohlverstandenen Weisungen der Kirche entspricht, es wäre gerade so aber nicht selbst Leben Christi, sondern Bild oder Nachfolge seiner. -

Der inkriminierte Satz in der Bulle Johannes' XXII., In agro dominico, findet sich bei M.-H. Laurent OP: „Autour du procès de Maître Eckhart. Les documents des Archives Vaticanes". In: Divus Thomas (Piacenza) 39 (= HI/13) (1936), 331-348; 430-447. hier 439: „Duodecimus articulus: Quicquid dicit sacra scriptura de Christo, hoc etiam totum verificatur de omni bono et divino no-

-

3

mine." Cf. LW V. 229, 9-11; 240, 19-21. und Loris Sturleses Anmerkungen zu diesen Stellen. Daß „an" dem gerechten Menschen die Schrift erfüllt werde, ist die Kehrseite dessen, daß der Mensch -

117

Disputatio

Antwort auf die Frage, was es hieße, wenn es „recht" um uns stünde. Und wieder sind das keine moralisierenden Ermahnungen, sondern Eckhart entfaltet sein eigenes Wort vom „Erfüllt-" oder „Vollbrachtwerden" zu unvermutetem Reichtum: Die Verheißung setzt uns in die Lage, die Bedingung, an die sie geknüpft ist, zu verwirklichen sie leitet uns aus unserer Gebundenheit an die Zeitlichkeit hin zur „Fülle der Zeit" (ibid., DW I, 422, 4-423, 10). ,Paris' und ,Schule' fungieren somit in den Predigten bisweilen als Reizworte. Noch stärker ist der Appell an die Einbildungskraft der Hörer, wenn Eckhart das Schauspiel eines geschliffenen akademischen Streitgesprächs evoziert. Eine solche, bei aller Knappheit dennoch ungewöhnlich ausführliche Erinnerung wohl an sein erstes Magisterium zu Paris enthält Predigt 9. Hier baut er in rudimentärer Form eine Disputation ein, um die Hörer in einem Dreischritt zu dem Gedanken hinzuführen, daß Gott Vernunft sei und die Menschen vor allem über das Vermögen der Vernunft Zugang zu ihm hätten. Die dazu verwendeten Thesen werden biographisch und systematisch genau eingeordnet. Sie dienen als Basis für einen anagogisch vorbereiteten und dann verbildlichten Absprung: für das Beiwort-Gottes-Werden, das der Prediger seinen Hörern aufträgt. Unter den Predigten, die inhaltlich den frühen Pariser Quästionen nahestehen,4 ist dies die einzige, die nicht nur der These der ersten quaestio,5 sondern auch den originellen Argumenten in deren letztem Teil folgt. Und doch zeigen dieser Predigt gegenüber die uns erhaltenen Zeugnisse aus Eckharts Pariser Jahr 1302/1303 ein anderes rhetorisches Vorgehen. Wie ist dieses genauer zu beschreiben, und wie verhält sich dazu die Struktur der von Eckhart gelegentlich wiedererzählten Disputationen? -

-

-

die Gebote der Schrift aktiv erfüllt oder wenigstens zu erfüllen sucht; ob Eckhart in Paris beide Seiten dieses Gedankens bei ein und derselben Gelegenheit darlegte, muß wohl unsicher bleiben. Cf. folgende Äußerung: „Einmal fragte man mich auf der Universität zu Paris, wie man die Schrift ganz erfüllen könne? Da antwortete ich ..." (Predigt 107. In: Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, ed. F. Pfeiffer, II: Meister Eckhart, Leipzig: Göschen. 1857; ND Aalen:

Scientia, 1962, 352, 27-353, 11.) Es handelt sich hierbei um Predigt 9, 69, 70 und 71 sowie um Sermo XI, 1, XI, 2 und XXIX: cf. E. Zum Brunn: „Dieu n'est pas être". In: Maître Eckhart à Paris. Une critique médiévale de l'ontothéologie. Les Questions parisiennes n" 1 et n" 2 d'Eckhart. Etudes, textes et traductions par E. Zum Brunn. Z. Kaluza, A. de Libera, P. Vignaux, E. Wéber, Paris: Presses Universitaires de France, 1984, 84-108, hier 93-100 und 107 sq. Ich zähle die Quaestiones I und // nach der Ausgabe in LW V, die dem Manuskript folgt; die französische Ausgabe in Maître Eckhart à Paris (n. 4) vertauscht aus chronologischen Gründen die ersten beiden

Quästionen,

doch bleibt in dieser Hinsicht die

Stellung der dritten .quaestio' Spanien) unbestimmt; dafür, daß sie ebenfalls früher zu datieren wäre als Quaestio I, argumentiere ich unten am Anfang von Abschnitt (der „Rationes Equardi" in einer quaestio des Gonsalv

von

3; cf. dazu A. de Libera: „Les raisons d'Eckhart". In: Maître Eckhart à Paris (n. 4), 109-140, hier 139 sq., sowie E. Zum Brunn: „Dieu n'est pas être" (n. 4), 92.

118

1. Die Rationes

Mischa

von

Perger

Equardi bei Gonsalv von Spanien

Zunächst seien die Zumutungen untersucht, die sich Eckhart in der „Schule" erlaubt. Drei Texte6 sind uns überliefert, die von Eckharts Disputierkunst zur Zeit seines ersten Pariser Magisteriums zeugen: die zusammenfassenden Niederschriften zweier wohl von ihm selbst gestellten und argumentativ entschiedenen quaestiones disputatae sowie eine Serie von Argumenten, die Eckhart gegen eine These seines Kollegen und franziskanischen Widerparts Gonsalv von Spanien (Consalvus Hispanus) vorbrachte: Von zwei überlieferten Versionen einer quaestio Gonsalvs enthält die eine als EinSchub diese Gegenargumente und die Antworten darauf.7 Sie stehen zwischen der Auflösung der Frage (solutio) und der Widerlegung der eingangs aufgeführten Argumente der Gegenseite. Für die Redesituation und das Publikum Eckharts ist dieses unmittelbar in einen Kontext eingebundene Zeugnis zwar das aufschlußreichste, gibt aber doch keine mündliche Disputation wieder, die so stattgefunden hätte. Bernhard Geyer hat den Einschub als Nachtrag eingestuft: In der mündlichen Disputation sei er wohl noch nicht vorhanden gewesen, sondern erst im Zuge schriftlicher Bearbeitung hinzugekommen.8 Anders als Zenon Kaluza, der beide Hypothesen gleichermaßen offenhalten möchte,9 scheint mir die Annahme, Eckharts Einwände und Gonsalvs Antworten seien Bestandteil der mündlichen quaestio des Franziskaners gewesen, äußerst unwahrscheinlich. Denn laut Gonsalv richtet sich Eckhart genau gegen eines seiner Argumente.10 Nun würde man bei solch einer Widerlegung im mündlichen Disput erwarten, daß der Widerredner die einzelnen Begriffe oder Gesichtspunkte aufnähme, die das Argument, gegen das er sich wendet, strukturieren; und bei schwierigen Fragen und unterschiedlichen Denkschulen überraschte es nicht, wenn es dabei sachliche Mißver-

6

Die beiden derzeit maßgeblichen lateinischen Textausgaben der Quaestiones Parisienses stammen aus dem Jahre 1936: Meister Eckhart: Quaestiones Parisienses. Ed. A. Dondaine OP, mit einem Beitrag zu Eckharts Magisterium von R. Klibansky, Leipzig: Meiner, 1936 (= Opera Latina XIII); id.: Quaestiones Parisienses una cum Quaestione Magistri Consalvi. Ed. et trad. B. Geyer, in: LW V, 27-83. Nach der letztgenannten Ausgabe wird im folgenden zitiert. Hilfreich ist Maître Eckhart ci Paris (n. 4), eine Ausgabe mit französischer Übersetzung und ausführlichen Studien, die den dogmatischen und situativen Kontext erhellen. Geyers Ausgabe nur der ersten quaestio ist wiederabgedruckt und neu kommentiert in Largier II, 540-553; 868-885. 7 Die beiden Versionen (reportationes) dieser quaestio finden sich als Nr. 7 in einer Hs. aus Avignon bzw. als Nr. 5 in einer Hs. aus Troyes; ediert in: Gonsalvus Hispanus OFM: Quaestiones disputatae et de quodlibet, ed. L. Amorós OFM, Florenz-Quaracchi: Collegium S. Bonaventurae, 1935, 100-112; 378-385. Sie werden im folgenden durch die Siglen ,A' und J" bezeichnet; A enthält die Rationes Equardi. 8 B. Geyer: „Einleitung" zu den Quaestiones Parisienses. In: LW V, 29-35, hier 30-33. 9 Z. Kaluza: „Les questions parisiennes: caractère et datation". In: Maître Eckhart à Paris (n. 4), 157-166, hier 165 sq. 0 Nämlich gegen das vierte und letzte Argument: „Sed contra istam rationem aliqui sie arguunt ..."

(LW V, 59, 12.)

Disputatio

119

ständnisse gäbe. Der Befund des überlieferten Textes weist aber genau die umgekehrten Kennzeichen auf: Sachlich sind Eckharts Gegenargumente sehr wohl angebracht, aber strukturiert sind sie nach einem anderen Prinzip als Gonsalvs Argument. Gonsalv argumentiert dafür, die Liebe, welche die Menschen in ihrem irdischen Leben Gott entgegenbringen (dilectio viae), sei vornehmer als die erkennende Schau Gottes, die sie im Himmel erwarten dürfen (visio patriae) und welche unmittelbar in das Lob Gottes mündet (laus patriae). Als vierten und letzten Grund gibt er an, die wesentlichen Momente (essentialia) der Liebe auf Erden seien vornehmer als die der Erkenntnis im Himmel; diese wesentlichen Momente seien das Vermögen (potentia), der Zustand, den sich der Liebende oder Erkennende zu eigen gemacht hat (habitus), und der Gegenstand (obiectum). Daß nun diese Momente bei der Liebe vornehmer seien als bei der Erkenntnis, dafür verweist er auf eine früher1 ' von ihm dargelegte Begründung (LW V, 59, 6 sq.). Und gegen diese Begründung, so Gonsalv, brächten „einige" (aliqui) die Argumente vor, die er im folgenden referiert und widerlegt, und Das Wort .supra' kann nicht den vorangehenden Text dieser selben quaestio meinen, denn dort findet sich eine solche Begründung nicht und ist auch nicht vorgesehen: Nach der Fassung A. welche die Rationes Equardi enthält, kündigt Gonsalv seine Auflösung der Frage durch den Hinweis an, es gälte, die beiden Kandidaten .Liebe auf Erden' und ,Lob im Himmel' genau jeweils für sich und hinsichtlich ihrer essentialia zu bedenken. Die ersten drei angeführten Gründe gelten der Liebe und der Vernunfterkenntnis, beide als Tätigkeit oder Verwirklichung (actus) verstanden, und erst der vierte geht auf die essentialia ein, die zu einer solchen Tätigkeit zusammenkommen: Vermögen (potentia), zu eigen gewordener Zustand (habitus) und Gegenstand (obiectum). In der Version T derselben quaestio findet sich zwar in dem entsprechenden dritten Argument der solutio ebenfalls ein Hinweis auf „weiter oben" Gesagtes: ed. Amorós (n. 7), 383, tertio: gemeint ist ein Passus der Diskussion, in der die Antworten auf die Frage vorgestellt werden. Jedoch ist dieser Gesichtspunkt dem der drei essentialia übergeordnet, er betrifft das Verhältnis einer species zu einer anderen sowie dasjenige zwischen bestimmten individua beider species Verhältnisse, die sich anhand der essentialia bestimmen lassen müßten, was hier aber nicht geschieht (ibid. 379, secundo; 380, contra rationem secundam). Der vor dem Eckhart-Referat stehende Verweis muß deshalb mit Geyer so verstanden werden, daß damit eine andere, vorausgehende quaestio gemeint ist. Allerdings finden sich in den überlieferten weiteren quaestiones Gonsalvs zwar einige hier einschlägige Punkte, nicht aber präzise die Argumentation bezüglich der drei genannten essentialia. Insbesondere kann der Verweis kaum Quaestio IV A meinen (ed. Amorós, 50-68). wie notgedrungen Alain de Libera vermutet („Les raisons d'Eckhart" (a. 5). 117). Die Parallelen, die de Libera zwischen den in dieser quaestio zurückgewiesenen Thesen und den Rationes Equardi zusammenstellt (ibid. 118-120). sind zum Verständnis der Diskussion hilfreich, und tatsächlich kommen alle drei essentialia als Kriterien in der Argumentation vor; aber sie werden eben nicht Punkt für Punkt abgehandelt, und insbesondere der habitus spielt nur ein einziges Mal en passant eine Rolle (ed. Amorós, 53, Ende des ersten Absatzes), nämlich im Referat derjenigen Meinung, derzufolge der Gottesliebe (caritas) als einem habitus des Willens nur in bestimmter Hinsicht der Vorrang vor allen anderen Tugenden gebühre, weshalb auch durch diesen Aspekt der Vorrang der Vernunfterkenntnis vor dem Willen im allgemeinen (so wie ihn Thomas von Aquin bestimmt hatte: Summa theologica I. q. 82. a. 3) nicht gefährdet sei. Diese Meinung widerlegt Gonsalv aber nicht in Quaestio ¡VA, sondern in den Argumenten gegen Eckhart (LW V, 65, 4-7). -

Mischa

120

von

Perger

die das Manuskript als „rationes Equardi" kennzeichnet (LW V, 59, 11 sq.). In ihnen wird von der Zuspitzung, welche der Frage durch die Opposition ,irdische Pilgerschaft himmlische Seligkeit' gegeben wurde, abgesehen: Die Liebe oder der Wille würde ja einen überaus eindrucksvollen Vorzug vor der Vernunft genießen, wenn er den Vorzug des himmlischen vor dem irdischen Leben zu überbieten vermöchte. Um dies zurechtzurücken, genügt es Eckhart gesetzt denn, ihm habe genau diese Themenstellung vorgelegen -, ganz allgemein das Vermögen vernünftiger Erkenntnis über das des Willens zu stellen. Daß in seinen Ausführungen die Bereiche „Erdenweg" und „himmlische Heimat" keine Rolle spielen, böte also gar keinen so gravierenden Anstoß, wie Kaluza meint.12 Wichtiger ist etwas anderes: Statt wie Gonsalv die Vornehmheit der jeweiligen Betätigung (actus) durch die entsprechenden Momente Vermögen, Zustand und Gegenstand zu bestimmen, richtet Eckhart seine Argumentation auf die Vornehmheit des Vermmftvermögens (potentia) aus und leitet diese zunächst von der Vornehmheit des Gegenstands, des Zustands und der Betätigung der Vernunft her (LW V, 59, 12-61, 3).13 In einer mündlichen Diskussion wäre diese Ungleichheit der Verfahrensweise nicht verständlich, es bleibt nur die Annahme, Eckharts Beweisführung sei aus einem anderen unmittelbaren Zusammenhang hierher verpflanzt worden. Doch in die sachliche Auseinandersetzung, zu der seine quaestio gehört, und in den methodischen Zusammenhang einer quaestio disputata überhaupt hat Gonsalv die Rationes Equardi sicher nicht zu Unrecht hineingezogen. Die folgende Überlegung, die von diesem Kontext ausgeht, betrifft die argumentativen Methoden der beiden Autoren. Gonsalv referiert Eckharts Argumentation als eine Kette von fünfzehn Einzelargumenten, die ab dem zweiten alle durch das übliche „item" eingeleitet sind. Im Zuge seiner Antwort zählt Gonsalv dann nur elf Argumente; ohne Zählung bezieht er sich außerdem auf ein weiteres, nämlich auf ein Zitat, das Eckhart in einer Schrift (De natura hominis) des Gregor von Nyssa (rede: Nemesius Emesenus) zu finden behauptet. Drei der fünfzehn Argumente aber kommen nicht mehr zur Sprache. Daß diese an sich auffällige Unregelmäßigkeit14 jedoch nicht zu allzu großen Lücken in der Widerlegung führt, läßt sich durch eine inhaltliche Untersuchung der Argumentation Eck-

-

2 3

Kaluza: „Les questions parisiennes" (n. 9), 165. Den sachlichen Grund für die Wahl dieses Vorgehens hatte i. J. 1276 Heinrich von Gent so formuliert: „Weil die Vermögen der Seele uns von sich her verborgen und unbekannt sind, so wie auch die Substanz der Seele selbst, müssen wir alle Kunde über sie a posteriori, auf die uns entsprechende Weise, zu erlangen suchen. Den Vorrang eines Vermögens über das andere müssen wir also von dem her beurteilen, was später als die Vermögen und für uns der Weg ist, die Vermögen zu erkennen. Und das ist dreierlei: zu eigen gemachter Zustand [habitus], Betätigung [actus] und Gegenstand [obiectum]." (Heinrich von Gent: Quodlibet I. Ed. R. Macken OFM, Löwen: Presses Universitaires, 1979, 84, 19-26 (q. 14: „Utrum voluntas sit potentia superior intellectu vel e converso"); Opera omnia V.) Die vorliegende Textredaktion ¡st noch in einem anderen Detail unvollkommen: Gonsalv weist das Argument, das Eckhart dem vermeintlichen Gregor von Nyssa entnimmt, erst nach der Ant=

4

121

Disputado

harts zeigen. Anders, als die monotone Aufzählung erwarten läßt, handelt es sich nicht um eine Kette von lauter gleichwertigen und eigenständigen Argumenten. Zur besseren Übersicht diene die folgende Gegenüberstellung der Argumente beider Seiten in Kurzfassung: Eckhart

Gonsalv

I. Der Gegenstand (obiectum) 1. Der Gegenstand der Vernunfterkenntnis (das Seiende) ist gegenüber dem des Willens einfacher, höherrangig, früher.

II. Der Zustand, den

sich

Priorität und größere Einfachheit bedeuten nicht unbedingt größere Vollkommenheit, wie e.g. das Allgemeinere nicht das Vollkommenere ist.

eigen gemacht hat (habitus) 2. Die intellektuellen Tugenden, die sich a) Autoritäten sprechen dagegen, e. g. Ciman

zu

der Mensch erwerben kann, sind vornehmer als die moralischen Tugenden.

cero.

b) Vornehmheit aufgrund

von Vollkommenheiten muß aufgrund der höchsten Vollkommenheiten erwiesen werden. Als solche können aber nicht die erworbenen, sondern nur die von Gott eingegebenen Tugenden gelten, und unter diesen ist die Liebe (caritas) die vollkommenste. c) Auch Eckhart kann nicht bestreiten, daß die Liebe unter dem Gesichtspunkt des Verdienstes vornehmer ist als die intellektuellen Tugenden. Die Vornehmheit in Hinsicht auf das Verdienst, und das bedeutet hier: auf Gott, ist aber keine eingeschränkte, sondern sie ist Vornehmheit schlechthin.

auf das von ihm so gezählte .neunte' Argument zurück, während im Referat die Reihenfolge ist. Daß sich die Argumente 9-11 alle drei auf .Gregor' stützen und Gonsalv sie deshalb nur summarisch behandelt, glaube ich nicht. Zwar zählt Geyer Gonsalvs Antwort auf das .neunte' (bei Eckhart: das zehnte) Argument und den Vorwurf, daß .Gregor' von Eckhart falsch zitiert worden sei, als einen einzigen Textabschnitt (wenn auch durch Absatz gegliedert), zwar führt er zudem zu allen drei Argumenten Eckharts im Apparat vergleichbare Stellen aus De natura hominis an allein, mir scheint die Vergleichbarkeit dieser Stellen für das zehnte und das elfte Argument keine sehr große zu sein, und Gonsalv geht auf die Autorität .Gregors' nach Beantwortung des .neunten' Arguments wie auf einen neuen und selbständigen Gesichtspunkt ein. wort

umgekehrt

-

122

Mischa

Eckhart

von

Perger

Gonsalv

Betätigung (actus) 3. Das vernünftige Erkennen geht reinigend vor und gelangt zur nackten SeiendIII. Die

heit.

4. Das

vernünftige Erkennen ist Gottförmigkeit, denn Gott ist Erkennen, nicht Sein.

Dies zeichnet die Vernunfterkenntnis vor den anderen Erkenntnisvermögen aus, nicht vor dem Willen, der ähnlich den obersten Rang unter den Begehrungsvermögen einnimmt.

a) Lieben ist eine größere Gottförmigkeit, denn es zeichnet die höchsten Engel aus. b) Gott ist Sein, wenn wir darunter strikt die bezeichnete Sache verstehen, ohne die

geschöpflich-unvollkommene Perspektive

5. Das

vernünftige Erkennen subsistiert.

darauf.

Dies gilt nur für Gottes Erkennen, nicht für das der Kreaturen.

6. Es ist unerschaffbar.

Dito.

7. Das vernünftige Erkennen ist der genaue Grund dafür, daß wir gottgefällig sind; wird das Wissen aufgehoben, bleibt nichts.

a) Die These ist seltsam und,

wenn .genau' den Ausschluß der Liebe meint, falsch. b) Die kontradiktorische Verneinung des antecedens (Wissen) zieht nicht die des consequens (Gottgefälligkeit) nach sich, sondern umgekehrt (fallada consequen-

ts). c) Nicht jeder Wissende ist gottgefällig. d) Wissen ist nicht proportional mit Gott-

gefälligkeit.

e) Wissen ist mit Nicht-Gottgefälligkeit vereinbar. IV. Die Freiheit

(libertas)

8. Die Reflexivität des vernünftigen Erkennens zeigt seine Immaterialität.

a) Engel und Seelen sind doch wohl nicht materiefrei. b) Wenn Freiheit an Immaterialität gebunden ist, so ist letztere doch nicht hinreichend, um Freiheit zu gewährleisten. c) Immaterialität ist der Vernunft und dem Willen gemeinsam, also wäre es auch die aus Immaterialität hergeleitete Freiheit.

Disputatio

123

Eckhart 9.

Gonsalv

.Gregor von Nyssa' (Nemesius

senus) sagt: Die Freiheit steigt Vernunft herab in den Willen.

Eme-

von

der

,Gregor' spricht vom Menschen als vernünftigem Wesen nicht in Hinsicht auf ein bestimmtes Vermögen, sondern mittels der Wesensdefinition.

10. Freiheit in dem Sinne, daß sich sein Vermögen auf Verschiedenes richten kann, kommt dem Willen nur durch die Vernunft zu.

Die Behauptung stimmt, aus ihr folgt aber nicht, daß die Freiheit schon in der Vernunft allein liege (fallada consequen-

11. Die Wurzel der Freiheit ist die Wahl

(Keine Erwiderung.)

(electio), diese aber ist ein Akt der Ver-

tis).

nunft. V. Der

Bestimmungsgrund des Besten (ratio optimi) 12. Der Bestimmungsgrund des Besten (Keine Erwiderung.) liegt im Sein, dem Gegenstand der Vernunft,

erst von

Besten zu, dem

kommt er dem Gegenstand des Willens.

dort

aus

13. Der Bestimmungsgrund des Besten ist der des Wahren, dieser aber liegt in der Vernunft.

Weder ist der Bestimmungsgrund des einen die Ursache des anderen, noch liegt eine Identität beider vor. Wohl treten beide zusammen auf, das aber trägt nichts zur Frage bei. Dadurch, daß etwas erkannt wird, erhält es nicht den Bestimmungsgrund des Besten.

VI. Die

Bewegung (motus) 14. Die Vernunft bewegt als Zweck, der

Wille als Wirkursache.

15. Die Vernunft ist der Bestimmungsgrund der Bewegung, der Wille das Be-

Als Zweck bewegt nicht die Vernunft, sondern die Wirklichkeit des Erstrebten. Die Vernunft vergegenwärtigt nur den Gegenstand des Willens, der Wille aber ist das Tätige.

(Keine Erwiderung.)

wegende. Eckhart gliedert seine Darlegungen deutlich in sechs Abschnitte mit je eigenem Thema. Die überragende Vornehmheit des Vernunftvermögens wird zunächst ohne -

124

Mischa

von

Perger

das Vermögen noch von seiner Betätigung und dem daraus resultierenden Zustand zu isolieren von seinem Gegenstand her begründet (Argument 1). Sodann wird die Vornehmheit erst des Zustands (Arg. 2), dann der Betätigung zum Kriterium für die Vornehmheit des Vermögens. Von der Betätigung, dem Erkennen (intelligere), gehen nicht weniger als fünf Argumente aus (Arg. 3-7). Es folgen drei weitere Gesichtspunkte, deren Auswahl weniger streng aus einer Strukturanalyse des Vernunftvermögens zu begründen wäre; vielmehr sind es solche Bestimmungen und Auszeichnungen, die traditionell dem Willen zugesprochen werden. Handelte es sich um einen selbständigen Text, so schiene Eckhart von gut befestigter Stellung aus in das Territorium des Kontrahenten einzubrechen und das, was sonst dem Willen an Vorzügen zugestanden wird, für die Vernunft zu reklamieren. Doch aus den einführenden Worten Gonsalvs geht hervor, daß es sich hier von vornherein um Gegenargumente handelt. Wenn also, wie mit Geyer15 zu vermuten ist, diesem eingeschobenen Referat die Aufzeichnung einer quaestio zugrundeliegt, die Eckhart zuvor selbst zur Disputation gestellt und entschieden hatte, dann erfolgte der Vorstoß auf das gegnerische Territorium nicht überraschend, sondern war innerhalb der quaestio vorgezeichnet durch die Aufstellung der entsprechenden Contra-Argumente, die Eckhart durchaus von Gonsalv genommen haben könnte. Doch auch in dieser weniger unvermittelten Form wird der geschickt eingefädelte Vorstoß die Zuhörer beeindruckt haben. Die Gesichtspunkte IV-VI selbst sind wohl ebensowenig originell wie die vorigen. Vor allem das Prädikat,Freiheit' (libertas, Arg. 8-11) ist auch vor Eckhart von dominikanischer Seite für die Vernunft statt für den Willen beansprucht worden. Unter den quaestiones Gonsalvs findet sich eine, in der er sich über diese Streitfrage vor allem mit Gottfried von Fontaines auseinandersetzt, letzterer benutzt das erste der Eckhartschen Argumente, und die beiden ersten der drei Antworten, die Gonsalv zu diesem Punkt an Eckhart richtet, brachte er auch gegen Gottfried vor.16 Das zweite Prädikat ist der Bestimmungsgrund des Besten (ratio optimi, Arg. 12-13), das dritte die Art der Bewegung, die vom Willen bzw. von der Vernunft ausgeht. Vor allem für die Gesichtspunkte ,Freiheit' und .Bewegung' gilt: Vergleicht man Eckharts Position mit derjenigen, die Thomas von Aquin am selben Ort gut vierzig Jahre früher vertreten hatte, so fällt ins Auge, daß das Eintreten für den Vorrang des Intellekts auf Seiten der Dominikaner erheblich radikaler geworden ist.17 -

5 6 7

Geyer: „Einleitung" (n. 8), 33. von Spanien: Quaestio dispútala XII A, ed. Amorós (n. 7), 230-234, mit Apparat. Mit den Rationes Equardi zu vergleichen sind aus Thomas' Quaestiones disputatae de vertíate Cf. Gonsalv

allem q. 22, a. 11. 12 und 15. Die wesentlichen Unterschiede sind: 1. Bei Thomas ist der Intellekt zwar schlechthin vornehmer als der Wille, nicht aber, wenn sie sich auf Gegenstände richten, die ihrerseits vornehmer als die Seele sind (a. 11. responsio). Nichts von dieser Einschränkung findet sich in den Rationes Equardi. 1.1 Insbesondere hält Thomas in Hinsicht auf Gott die caritas, also den habitus, der den Willen vor

Disputatio

125

Diejenigen drei Argumente Eckharts, auf die Gonsalv nicht eigens antwortet, gehören nun jeweils zu einer der traditionellen Auszeichnungen des Willens. Gonsalv ist also sorgfältig immerhin darauf bedacht, zu allen sechs Argumentgruppen, und insbeson-

dere auch

all jenen fünf Einzelargumenten, die den Akt der Vernunfterkenntnis bezu nehmen. Auf die eigentlich aggressiven und gegenüber der Tradition durchaus spitzfindigen Argumente der zweiten Reihe geht er im einzelnen nicht vollständig ein. Kamen sie ihm so absurd vor, daß die Antwort auf das eine oder andere Argument genügen mußte, um weitere betreffs desselben Prädikats hinfällig zu machen? Hätten sie ihn vor unlösbare Probleme gestellt, so wäre es doch wohl nicht nötig gewesen, sie überhaupt in den Texteinschub aufzunehmen. Jedenfalls wertet Gonsalv die Argumente der drei letzten Gruppen als sachlich nicht so gravierend wie die der drei ersten, sie betreffen nicht mehr die essentialia selbst, sondern nur noch auf sie bezogene Prädikate. Auf den Kontrahenten machte offenbar zwar Eckharts lange Argumentenkette Eindruck und bewegte ihn zu einer nachträglichen Stellungnahme, die provokative Strategie dieser Einrede aber verfehlte ihr Ziel und ging in Gonsalvs Antwort unter! Eine inhaltliche Beurteilung der von beiden Seiten geltend gemachten Gründe soll hier nicht erfolgen; doch seien zwei, drei Ausnahmen gemacht. Die beiden ausdrücklich logischen Argumente Gonsalvs sind dem heutigen Leser, der mit den terminologischen und dogmatischen Verzweigungen der damaligen Streitigkeiten nicht vertraut ist, am zugänglichsten. Es handelt sich um zwei verschiedenartige Fälle von angeblicher fallada consequentis.I8 Da ist zunächst der Vorwurf gegen Eckhart, einen unerzu

treffen, Stellung

vervollkommnet, für vornehmer als bloßen Glauben oder bloße Erkenntnis (a. 11, Contra-Argu1 mit Antwort). Eckhart geht darauf nicht ein. 1.2 Thomas führt ein Argument auf, das den Vorrang des Intellekts aufgrund seines actus darlegt, und bemerkt dazu, je nach Gegenstand ließe sich das gleiche Argument auch für den Willen geltend machen (a. 11, Pro-Argument 3 mit Antwort). Eckhart führt unter dem Stichwort ,actus' andere Argumente (3-7) eindeutig zugunsten des Intellekts an. 2. Der Freiheitsbegriff findet sich bei Thomas nur auf Seiten des Willens; seiner Meinung nach ment

kann er nicht zugunsten einer Überlegenheit des Willens schlechthin ins Feld geführt werden, wohl aber zugunsten einer Überlegenheit des Willens unter dem Aspekt des Bewegungsprinzips (a. 11, Contra-Argument 2 mit Antwort). Eckhart beansprucht Freiheit als Prädikat primär des

Intellekts (Arg. 8-11). 3. Thomas gesteht dem Willen zu, unter dem Aspekt des Bestimmungsgrundes von Bewegung (ratio movendi) vornehmer zu sein als der Intellekt (a. 12, ad 5). Das Gegenteil behauptet Eckhart. obgleich unter Verwendung desselben Theorems, der Intellekt bewege durch Bereitstellung des Zieles (finis) (Arg. 14-15). 4. Thomas legt dar. daß die Wahlentscheidung (electio) primär ein Akt des Willens sei. wenn auch in Hinordnung auf den Intellekt (a. 15. responsio). Dies gelte gerade auch dann, wenn man sie als eine Art Schlußfolgerung (conclusio) auffaßt (a. 15. ad 2). Das Gegenteil behauptet wiederum Eckhart (Arg. 11 ). Cf. Aristoteles: Tópica, 113b 15-26; id.: Sophistici Elenchi, 167b 1-20.

126

Mischa

von

Perger

laubten Schluß a destructione antecedentis19 gezogen zu haben (Arg. 7b). Aus dem Satz: .Wenn etwas kein Wissen hat, so ist es ein reines Nichts [und somit auch nicht gottgefällig]', dürfte man nur schließen: ,Wenn etwas gottgefällig ist, so muß es Wissen haben', nicht aber: ,Wenn etwas Wissen hat, so ist es gottgefällig'. Das Wissen ist durch das Argument nur als notwendige, nicht als hinreichende Bedingung der Gottgefälligkeit erwiesen, und das genügt nicht, seine Überlegenheit über den Willen zu begründen. Dieser Einwand setzt zwar korrekt an, trifft jedoch nicht ins Schwarze. Eckharts Begriff des „präzisen" Grundes meint zwar wohl einen sowohl notwendigen als auch hinreichenden Grund; sein Argument darf sich aber deshalb auf die Komponente des notwendigen Grundes beschränken, weil in seinen Augen zwar der Wille ebenso wie das Erkennen hinreichende Bedingung für die Gottgefälligkeit wäre (insofern kein Wille ohne leitende Erkenntnis auskommt), jedoch bloß das Erkennen auch notwendiger Grund ist. ,Um gottgefällig und überhaupt ,etwas' zu sein, muß etwas Wissen haben aber nicht unbedingt Willen': In diesem Sinne wäre Eckharts Argument zu ergänzen, und hierauf gibt Gonsalv keine Antwort. In Argument 10 vermutet Gonsalv einen Irrtum a positione consequentis: E. g. gestattet die Prämisse Menschen sind Lebewesen' nicht den nicht-verneinten Umkehrschluß (,Wenn etwas ein Lebewesen ist, so ist es ein Mensch'). Das Mensch-Sein bringt das Lebewesen-Sein mit sich, aber es ist nicht das Lebewesen als solches, was Mensch wäre. Gonsalv gibt Eckhart zu: Wenn der Wille sich auf Verschiedenes richten kann in diesem Sinne also frei ist -, so muß dieses Verschiedene irgendwie aufgefaßt sein; aber Freiheit ist nicht die Bestimmung bloß des isolierten Vermögens, durch das wir das Verschiedene auffassen.20 Hier scheint der Vorteil zunächst auf Seiten Gonsalvs zu liegen. Wir müssen zustimmen: Auch wenn die Vernunft nötig ist, um dem Willen die Freiheit einer (als solche erkannten) offenen Wahl zu ermöglichen, folgt daraus keineswegs, die Vernunft selbst sei das eigentlich freie Vermögen.21 Doch hilft uns ein späteres Selbstzeugnis, Eckhart zu verstehen. Nach Ausweis der Kölner Prozeßakten ist er -

-

-

Ich bediene mich der

Terminologie des

Lambert

von

Auxerre. Cf. Lambert

von

Auxerre:

Lógica

(Summa Lamberti). Ed. F. Alessio, Florenz: La Nuova Italia, 1971, 195-199. Der Satz: „Sed ex hoc non sequitur quod solum in apprehendente diversa sit libertas ..." (LW V. 68, 6 sq.) darf nicht so verstanden werden, als unterstelle Gonsalv, Eckhart schreibe Freiheit ausschließlich der Vernunfterkenntnis und nicht dem Willen zu; das widerspräche nicht nur den zuvor referierten Worten Eckharts (cf. 62, 6 sq.), sondern ergäbe auch kerne fallada consequentis. Zu übersetzen ist deshalb .solum' nicht durch ,nur' (Geyer), sondern durch .allein schon': „Aber daraus

folgt nicht, daß allein schon in dem [Vermögen], durch welches wir das Verschiedene auf..." Auf die Zweideutigkeit des Wortes ,solus' bei Eckhart selbst einzu-

fassen, die Freiheit liege

wird freilich sogleich Anlaß sein. Bei Heinrich von Gent (Quodlibet XIV, q. 5) läßt sich nachlesen, auf welche Aristotelesstellen sich Eckhart und auf welche entsprechenden Gegenargumente sich Gonsalv in der ausführlicheren Diskussion dieses Aspektes gestützt haben dürfte falls ihrem Publikum all dies nicht ohnehin präsent war: Quodlibeta Magistri Henrici Goethals a Gandauo. Paris: Ascensius, 1518; ND Löwen: Bibliothèque S. J.. 1961, fol. 564r-566v.

gehen,

-

127

Disputatio

bei seiner Auffassung geblieben; und was Eckhart zu dem einschlägigen Beweisartikel aus einer seiner Predigten ausführt, läßt deutlich erkennen, daß er ,allein frei' als pointierten, jedoch durchaus interpretierbaren Ausdruck versteht: „In der Predigt ,Als Herodes gestorben war ...'22 heißt es: Das vernünftige Erkennen allein ist frei. Darauf ist zu sagen, daß hierüber zwar die Gelehrten disputieren, es jedoch mehr Wahrheit für sich hat, daß die Freiheit im vernünftigen Erkennen als Vermögen angelegt und gleichsam in ihrer Wurzel ist, im Willen aber als Formbestimmung. Deshalb ist alle Freiheit des Willens von der Vernunfterkenntnis her und steigt von ihr herab.23 Es sind nämlich24 die vernunftartigen Eigenschaften, die sich auf Gegensätzliches richten [und somit „frei" sein können]. Die Vernunfterkenntnis aber gehört durch ihr Wesen zum Vernunftartigen, der Wille aber als ein Strebevermögen gehört zum Vernunftartigen durch Teilnahme daran, und deshalb sagt Aristoteles: ,Der Wille ist in der Vernunft' [im vernünftigen ,TeiP der Seele, dem X.OYIOTIxóv, nach De anima III, 9, 432b 5]."25 Auch der Wille ist frei, jedoch gründet seine Freiheit in der Vernunft wie verhält sich diese Deutung zu dem anstößigen Artikel? Was liegt hier vor Verteidigung oder Rücknahme des ,allein frei'? Soll die Interpretation erklären, warum Eckhart glaubt, das Zitat aufrechterhalten zu können, oder vielmehr, daß dieser Satz zu weit geht und statt ,allein' (solus) zu sagen wäre: ,in einem ursprünglichen Sinne'? Jedenfalls begegnen hier Thesen (Freiheit sei zu differenzieren in prinziphafte und formale Freiheit; Freiheit sei ein Verhältnis zu einander entgegengesetzten Möglichkeiten) und Stichworte („herabsteigen", „Wurzel") aus den Argumenten 9-11 gegen Gonsalv; und wie in der Disputation, so ist auch in der Liste der Beweisartikel Stein des Anstoßes offenbar die Rede von der „alleinigen" Freiheit der Vernunft. Sollte er den Ausdruck aufrechterhalten wollen, muß Eckhart ihn zugleich im Sinne der Ursache und per eminentiam gebrauchen: so, wie es heißt, allein Gott sei gut. Die Grenze zwischen ausschließlich' und ,für sich allein' wird dann fließend. Man könnte fragen, ob ein solcher Sprachgebrauch hier argumentativ sinnvoll ist. Jedenfalls entzieht Eckhart seine Behauptung damit der Falsifizierbarkeit durch /a//íício-Nachweis. Gonsalv aber läßt sich auf diese Ebene nicht ein. Faßt man statt der Konsistenz des einzelnen Arguments den Argumentationszusammenhang ins Auge, so scheinen sowohl Eckhart wie auch Gonsalv je nach Bedarf von einer Redeform in die andere zu springen. Wenn Eckhart Gott das Sein abspricht, insofern es ihm nicht formaliter, sondern nur als Ursprung alles formalitér Seienden

konsequent

-

-

-

-

Diese Predigt ist bisher nicht aufgefunden worden. Das Bild von der Wurzel bleibt hier blaß: Das, worin die Freiheit des Willens .wurzelt', steht über ihr, statt daß sie daraus emporwüchse. Der Gedankengang verlangt hier .enirn' statt .autem'. Processus Coloniensis II. art. 21: ed. G. Théry OP: „Edition critique des pièces relatives au procès d'Eckhart contenues dans le manuscrit 33b de la bibliothèque de Soest". In: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 1 (1926/1927). 129-268, hier 225.

128

Mischa

von

Perger

zukommt, so wäre zu erwarten, daß er auch der Vernunft, wenn sie nicht formaliter frei ist, sondern nur „Wurzel" der Freiheit des Willens, das Prädikat der Freiheit ab-

sprechen würde. Aber gegenüber den Geschöpfen hat Gott ja eben doch wiederum als der eminent Seiende zu gelten, und ebenso stellt Eckhart hier die Vernunft als die eminent freie dem Willen gegenüber. Umgekehrt müßte Gonsalv entweder Freiheit als eminente Bestimmung der Vernunft anerkennen, oder auch im Falle Gottes davon absehen, ihn in eminentem Sinne des Ungeschaffenen „Sein" zu nennen. Die von Eckhart in seiner Quaestio Parisiensis I entwickelte kühne These, das Sein Gottes sei eher eine Bestimmung seines Erkennens als umgekehrt, spielt en passant hier in den rationes als Argument 4 eine Rolle. Gonsalvs Antwort darauf ist nicht bloß nüchtern, sondern dogmatisch und ohne jedes Verständnis; viel Aufhebens macht er nicht davon. Eckharts spekulativ bohrendes Nachdenken zeigt hier keine

Wirkung.

2. Eckharts

Quaestio Parisiensis II

Keine der beiden selbständig überlieferten quaestiones Eckharts bietet eingangs die Argumente einer Gegenseite, nur innerhalb seiner Beweisführung geht Eckhart gelegentlich auf mögliche Einwände ein. So bleibt uns ein unmittelbarer Diskussionszusammenhang verborgen. Im Vergleich mit den von Gonsalv referierten rationes fällt eine strukturelle Ähnlichkeit der Quaestio II auf: Die ersten Argumente zeigen jeweils einen systematischen Zusammenhalt, der in der zweiten Hälfte lockerer wird, ja in der quaestio sogar ganz verloren geht ein Prinzip, wonach die Argumente 5-8 ausgewählt und zusammengestellt worden wären, ist nicht erkennbar, und in der überlieferten Form bietet das Argument 7 kaum mehr als eine terminologische Variation gegenüber Argument 4. Es muß offenbleiben, ob der entscheidende neue Aspekt hier der Kürze der reportatio zum Opfer fiel oder ob vielleicht die Kenntnis eines konkreten Widerparts mehr Klarheit schaffen würde. Die Folge der Argumente sei kurz skizziert. Eckhart plädiert dafür, zwischen der Erkenntnistätigkeit und dem Sein der Engel zu unterscheiden. Festen Boden bereitet er sich, indem er sich auf die Seite einer Entscheidung des Thomas von Aquin stellt: Bei einem jeglichen Wesen außer Gott gehe die Erkenntnistätigkeit weit über das nach Gattung und Art bestimmte, endliche Sein dieses erkenntnisfähigen Wesens hinaus und richte sich auf unendlich viel Erkennbares. Diejenigen Tätigkeiten aber, denen in keiner Weise eine solche Unendlichkeit zugeschrieben werden kann, bestehen im Einwirken auf einen Gegenstand außerhalb dessen, von dem die Tätigkeit ausgeht; zu dieser Gruppe aber könne das Sein erst recht nicht gezählt werden. ,Sein' sei also überhaupt keine Tätigkeit. Dem fügt Eckhart in eigenem Namen acht weitere Argumente hinzu. Darin zeigt er, als Pendant zum thomasischen Argument, daß Erkennen überhaupt kein Sein sei. Unter Berufung auf Aristoteles konstatiert er: Die Tätigkeit, durch die alle Weisen von Sein erkannt werden, muß selbst von allem Sein frei sein -

-

129

Disputatio

(Arg. 1; LW V, 50, 1-5). Andererseits sei das Tätigwerden eines Vermögens abhängig von seinem jeweiligen Gegenstand und, im Falle von Erkennen und Wahrnehmen, auch noch von einem eigenen „Prinzip". Die Tätigkeit nehme dabei auch ihr Sein von jenem Gegenstand und habe außerdem kein eigenes Sein (Arg. 2; 50, 6-11), insbesondere könne man auch dem Prinzip von Erkennen und Wahrnehmen, der species oder Form,26 kein Sein zusprechen, das dann der Tätigkeit als ganzer zukommen könnte (Arg. 3; 50, 12-51, 2). Durch vier Unterargumente begründet Eckhart diese These, daß die species nichts Seiendes sei: Was, wie die species, nur in der Seele ist, dem spreche schon Aristoteles jegliches Sein im Sinne der zehn Kategorien oder der Differenzierung von Substanz und Akzidentien ab (51, 2-7); die species könne nicht als Substanz angesehen werden, aber auch nicht als ein Akzidens der Seele, denn an die Stelle eines Subjekts, wie es einem Akzidens zukommen müßte, trete bei der species der Gegenstand (obiectum statt subiectum), die Seele aber sei „Ort" der species und wiederum nicht ihr Subjekt (51, 8-13). Drittens seien weder die species noch der Erkenntnisvorgang überhaupt ein Erkenntnisgegenstand für die geschaffenen Wesen, so, wie jedes Seiende ein solcher Erkenntnisgegenstand ist (52, 1 sq.). Wäre die species etwas Seiendes, müßte schließlich ihre Differenz e. g.

zum Menschen, der erkannt werden soll, eine solche Erkenntnis eher verstellen als ermöglichen (52, 3-6). An dieses letzte Argument knüpft Eckhart erläuternd die Überlegung an, wie zweckmäßig für die Erkenntnis es sei, wenn der seiende Gegenstand durch etwas Nichtseiendes oder doch nur in der Seele Seiendes vergegenwärtigt werde, und wie dagegen der Zustand (habitus) des Wissens, den man sich aus der Erkenntnis zu eigen gemacht hat, sehr wohl auf ein Subjekt gegründet und damit als ein potentiales Seiendes anzusprechen sei (52, 6-15). Im Vergleich mit dem Schema der Diskussion, die Eckhart mit Gonsalv über die Vornehmheit des Erkennens und des Willens führte, fällt für die gegenwärtige Frage also eines der essentialia des Erkenntnisaktes, der Zustand (habitus), als Kriterium aus. Dafür tritt jedoch ein anderes an die Stelle, das „Prinzip" des Erkennens. Ein drittes Moment neben dem Gegenstand und dem Prinzip, wovon die Tätigkeit des Erkennens abhängt, ist dasjenige, was tätig ist, d. h. hier: das sich betätigende Vermögen. Der Intellekt aber in seiner Unbestimmtheit gegenüber allem möglichen Erkennbaren ist gerade kein Seiendes und kann deshalb auch seiner Tätigkeit, dem Erkennen, kein Sein mitgeben (Arg. 4; 52, 16-53, 4). In einer Volte, die den Herausgeber Geyer zu einer Änderung des Textes veranlaßt hat, gibt Eckhart der hier naheliegenden Frage statt, ob denn also der Intellekt gar nichts sei? Keineswegs, lautet die Antwort: Der Intellekt ist durchaus ein wahrhaft Seiendes, jedoch nicht aufgrund seiner selbst, sondern weil er als natürliches Vermögen in einer ihrerseits wahrhaft seienden Seele seinen Grund hat (53, 5-8).27 Nicht die bewußte Engführung des Nicht-Seins und des -

Daß die

-

species als „Prinzip" des Erkenntnisaktes gelten könnte und daß beide deshalb generell vergleichbar seien, bestreitet Gonsalv: Quaestio dispútala V¡ A, ed. Amorós (n. 7), 93 sq. LW V, 53, 7 sq.: „weil die Seele ein wahrhaft Seiendes ist und deshalb auch als Prinzip für etwas

130

Mischa

von

Perger

Wahrhaft-Seins, das dem Intellekt unter verschiedenen Hinsichten zukommt, ist hier problematisch, sondern der Umstand, daß Eckhart das Thema seiner quaestio offenbar aus den Augen verloren hat; denn bei den Engeln ist ja keine Seele mit natürlichen Vermögen auszumachen, sondern es wäre allenfalls von den verschiedenen Vermögen eines reinen Intelligenz-Wesens zu sprechen. Das theologisch-versponnene

Thema erweist sich als Vorwand für durchaus auf den Menschen ausgerichtete erkenntnistheoretische Überlegungen. Eckharts fünftes Argument stützt sich einmal mehr auf Aristoteles diesmal, um den Intellekt von der Wirk- und der Zweckursache zu isolieren; nur weil er von sich aus ohne diese Ursachenarten verfährt, könne er etwa Mathematik betreiben, ohne jede Erklärung aufgrund von Zwecken. Sein aber ist in jedem Fall mit dem Zweck-Prädikat ,gut' zu versehen (Arg. 5; 53, 9-13). Auch der Allgemeinbegriff ist als solcher nicht-seiend und spricht so für die Seinslosigkeit der Tätigkeit, die ihn hervorbringt (Arg. 6; 53, 14 sq.). Ein zweites Mal führt Eckhart das Merkmal der Unbestimmtheit gegen die Annahme ins Feld, Intellekt und Erkennen könnten etwas Seiendes, also Bestimmtes sein (Arg. 7; 53, 16-18). Das achte und letzte Argument bezieht sich, ohne den Begriff so zu nennen, auf eine Analogielehre. Dem Sein wird ein mittlerer Status zugesprochen: Weder dasjenige, was für das Seiende als solches Ursache ist, noch das, was vom Seienden im ganzen verursacht wird, kann univok ,Seiendes' genannt werden. Vom Seienden verursacht und von ihm her „absteigend", verliert das Erkennen das Sein, das seiner Ursache zukommt. Eckharts Terminologie ist hier ausgesprochen pointiert. Hatte er in den bisherigen Argumenten schon die Nichtigkeit des Intellekts, zugleich aber auch deren Zweckmäßigkeit ausgespielt, so ist nun endgültig von einem „Abstieg", einer Art Seinsverlust des Erkennens gegenüber dem konkreten Seienden die Rede; zugleich aber wird die Reihe des zu Vergleichenden auf eine dritte Instanz hin erweitert: auf Gott, die Ursache, von der das Seiende seinerseits abhängt. Das Nicht-Sein des Erkennens erscheint somit als die Kehrseite eines anderen, jedoch nicht bloß negativen, sondern eminenten Nicht-Seins. Die erste quaestio wird zeigen, wie Eckhart auch für diese andere Seite den Erkenntnisbegriff in Anschlag bringt. -

wahrhaft Seiendes fungiert, nämlich für ihre natürlichen Vermögen" („quia anima est verum ens, ideo verum ens principiat, scilicet suas potentias naturales"). Die analogische Differenz zwischen dem Prinzip und dem, dessen Prinzip es ist, so, wie Eckhart sie in der Quaestio Parisiensis 1 darlegt (LW V, 45, 6-11), kann in diesem Zusammenhang wohl deshalb nicht geltend gemacht werden, weil die Seele ja nicht für Seiendes als solches Prinzip ist, sondern als Form Prinzip für et

-

Vermögen.

Disputatio 3. Die

131

Quaestio Parisiensis I

Die erste quaestio beeindruckt durch ihre kühne These ebenso wie in Hinsicht auf ihre rhetorisch sorgfältig kalkulierte Anlage. Die These lautet: „Weil Gott erkennt, deshalb ist er, derart, daß Gott Vernunft und vernünftiges Erkennen ist, und daß dieses sein Erkennen die Grundlage dieses seines Seins ist."28 Es fragt sich, ob das oben in Abschnitt 1 erwähnte vierte Argument Eckharts, gegen das sich Gonsalv zur Wehr setzt, ein Nachklang dieser quaestio und vielleicht anderer ähnlicher Darlegungen Eckharts ist, die nicht überliefert sind, oder ob Eckhart seine These vielleicht zunächst hier und da in seinen Disputationen einfließen ließ und dadurch auf die Probe stellte, ehe er sie in der ersten quaestio zur Hauptsache machte und umsichtig begründete. Was ist wahrscheinlicher: daß Eckhart bei Abfassung dieser quaestio das Gegenargument Gonsalvs kannte und unausdrücklich auch dagegen sprach, oder daß Gonsalv die von Eckhart bereits früher für seine These geltend gemachten Argumente kannte und in seiner Widerlegung berücksichtigte? Mir kommt letzteres unwahrscheinlich vor. Denn die Schriftstellern die Gonsalv dafür heranzieht, von Gott müsse man das „Sein" aussagen (LW V, 66, 1-4), sind viel weniger stichhaltig als die Selbstaussage Gottes: „Ich bin, der ich bin" und diese spricht Eckhart in der quaestio selbst an und bürstet sie derart wider den Strich, daß sie nicht nur unschädlich gemacht, sondern geradezu zur Fürsprecherin seiner These wird (LW V, 45, 11-15; 48, 8). Und daß, wie Gonsalv klarstellt, dem Gott zwar ,Sein' nicht in dem für uns Geschöpfe kaum hintergehbaren Sinn des Geschaffenseins, wohl aber im Sinne einer diesem zugrundeliegenden res signifícala zukomme, das könnte Eckhart ohne weiteres zugeben und berührt gar nicht dessen Argumentation in der quaestio: Denn ausdrücklich spricht er Gott dort ja nicht einfach das Sein ab, sondern gründet jegliches Sein in Gott, das man als res significata gelten lassen könnte, noch einmal auf sein Erkennen was immer in Gott Sein wäre, das wäre er als die reine Vernunfttätigkeit (LW V, 45, 3-5). Sowohl Schriftzitate, aufgrund deren ein .Sein' Gottes reklamiert werden kann, als auch die Unterscheidung eines ungeschaffenen von jeglichem geschaffenen Sein läßt Eckhart in dieser quaestio aber bekanntlich keineswegs endgültig29 hinter sich; er hat hier, im Kontext dieser Disputation, Besseres zu sagen oder glaubt, es zu haben. Jenseits der Strittigkeit der These müßte dem Kontrahenten Gonsalv das Niveau dieser Argumentation vollkommen unbekannt oder verschlossen gewesen sein, hätte er darauf bloß in der Weise reagiert, wie es seine Antwort auf die ratio Equardi dokumentiert. Ordnen wir Eckharts erste quaestio zeitlich nach der Auseinandersetzung ein, die sich in seinen rationes und deren Beantwortung durch Gonsalv niederschlug, so ließe sich -

-

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LW V, 40, 5-7:

quia intelligit. ideo est. ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamentum ipsius esse." Cf. W. Beierwaltes: „Deus est esse esse est Deus. Die onto-theologische Grundfrage als aristotelisch-neuplatonische Denkstruktur. IV Meister Eckhart". In: id.: Piatonismus und Idealismus, „...

-

Frankfurt

a.

M.:

Klostermann, 1972, 38-67.

132

Mischa

von

Perger

die Position des Dominikaners in Hinsicht auf seinen Kritiker so beschreiben: ,Dein Gegenargument hat schon seine Richtigkeit, meine These aber geht über seine Reichweite hinaus; dein Gegenargument trifft meine negative Formulierung, wenn sie als Verneinung verstanden wird, nicht aber, wenn sie bloß als Ausdruck für ein Übertreffen dient.' Eine ähnliche Haltung nimmt Eckhart in Predigt 9 ein, wo er die Reminiszenz an die Pariser (oder an eine dieser nahestehende) Diskussion einflicht: ,Ja, das Gegenargument ist durchaus wahr, aber meine These zielt nicht auf das, wogegen das Gegenargument streitet; tatsächlich ist die Vernunft weniger selbstlos als der Wille oder die Liebe, und dennoch kommt Wille und Liebe dem anderen nicht so unverhüllt nahe wie die Vernunft.' Seine selbstverständlich bejahende Antwort auf die Frage, ob in Gott Sein und Erkennen dasselbe sei, entfaltet Eckhart in drei Teilen. Zunächst referiert er sechs Gründe, die er bei Thomas findet. Es geht darum, zu zeigen, daß Gottes Erkenntnistätigkeit weder als eine zusätzliche und zweitrangige Bestimmung dem Sein Gottes zukommt noch durch eine Ausrichtung auf etwas von Gott Verschiedenes die Unendlichkeit seines Seins unterläuft. Mit seinem eigenen Argument (LW V, 39, 6-40, 4) verfolgt Eckhart ein ähnliches Ziel: Es darf nicht so scheinen, als wäre ,Erkennen' etwas von sich her von Gott Unabhängiges, das ihn erst zu dem machte, der er ist; vielmehr habe Gottes allumfassendes Erkennen als die Art und Weise zu gelten, wie er das ist, was er ist. Thomas hatte gelehrt, Sein und Erkennen müßten als ein und dieselbe Realität Gottes gelten; nur die begriffliche Analyse könne gegebenenfalls beides voneinander sondern. Eckhart hatte gleich zu Anfang angedeutet, selbst diese nicht reale, sondern bloß begriffliche Trennung sei vielleicht noch zuviel gesagt (LW V, 37, 4). Die beiden folgenden Schritte seiner Argumentation zeigen, wie das zu verstehen wäre. Das nun in eigenem Namen vorgetragene Argument tritt zunächst an die Seite derjenigen des Thomas: Erkennen wird als Vollkommenheit gedeutet, die Gott zu eigen sein muß, und die er nicht erst erlangt oder besonders betätigt oder zu etwas anderem außerdem besitzt, sondern die er immer schon ist. Eckhart sagt es nicht ausdrücklich, aber er verwendet ein sprechendes Beispiel, um zu zeigen: Dieses Argument dürfte selbst den begrifflich-analytischen Unterschied von Sein und Erkennen in Gott hinfällig machen. Die Leistung der analytischen Vernunft, zu trennen, was doch real nie getrennt ist, illustriert Eckhart wenig später (LW V, 44, 7-9) und auch sonst gerne30 am Beispiel des Feuers: Es gibt kein Feuer, das nicht Wärme ausstrahlte, und doch sondert die Vernunft die Wärme als eine Eigenschaft von dem, was das Feuer rein für sich ist, ab. Es ist eben nicht die Form des Feuers, durch die irgendein Feuer etwas erwärmt, sondern es ist eine davon begrifflich unterscheidbare Eigenschaft, eben die Wärme. Für

Cf. bes. Predigt 43, DW II, 328. 7-10. Auffälligerweise gesteht Eckhart hier im Zusammenhang mit dem Feuer-Beispiel dem Erkennen sehr wohl auch das Vermögen zu, verschiedene Vollkommenheiten Gottes (Weisheit und Güte) isoliert voneinander aufzufassen.

Disputatio

133

Gottes Sein und Erkennen soll hier nun aber dieses Beispiel gerade nicht einstehen können. Gottes Sein ist mit seinem Erkennen auf solche Weise eins, wie wenn die Form des Feuers ununterscheidbar wäre von der Fähigkeit zu erwärmen. Doch kann Eckhart es bei diesem Schritt noch nicht belassen. Ausgangspunkt des Arguments war ja immer noch eine Unterscheidung zwischen dem, was Gott ist, und dem, was diesem Sein als perfectio, und sei es auch durch Identifizierung, zuzusprechen ist eben dem Erkennen. Soll die Identität ernstgenommen werden, müßte sich diese Redeweise wenn das Reden in Prädikationsform nicht ganz aufgegeben werden soll zumindest doch auch umkehren lassen, denn keine Differenz gestattete eine Festlegung der Rollen von Subjekt und Prädikat. In einem dritten Teil der quaestio folgt deshalb der Kopfstand: Nicht sei Gottes Erkennen bloß die Art und Weise seines Seins, sondern umgekehrt könne ihm Sein zugesprochen werden nur, weil und insofern er erkennt. Dies ist offenbar weder eine Ungültigkeitserklärung für die bisher angeführten thomasischen Argumente noch ein Widerruf in eigener Sache.31 Eckhart trägt vielmehr pointiert und selbstbewußt eine Klärung vor, die das bisher Gesagte neu begründet, ihm den Anschein nimmt, hier würden Unstimmigkeiten am Konzept eines unendlichen, einigen und dabei gleichsam ,auch noch' erkennenden Gottes bloß retuschiert. Er hat sich eine sorgsame StraZunächst drei er im Sinne seiner Schriftstellen These, alle tegie überlegt. interpretiert drei dem Johannesevangelium entnommen. Dann stellt er drei Prämissen für seine Beweisführung auf. Schließlich erfolgt diese Beweisführung durch vier Argumente. In allen drei Abschnitten bringt Eckhart Einwände zur Sprache und widerlegt sie. An keiner Stelle läßt die Intensität der Argumentation nach, wie es sich z. T. in der zweiten Hälfte der zweiten quaestio beobachten ließ. Nach dem letzten Argument findet sich eine Art Exkurs, doch stülpt Eckhart diesen dann wie einen Handschuh um und wendet ihn in die Schlußworte vom Gott, der als Erkennender allem alles voraushat, gerade indem er kein Sein hat. Die erste Prämisse besagt, das Erkennen sei höher und von einer anderen Beschaffenheit als das Sein. Hierfür beansprucht Eckhart zunächst die Zustimmung aller: „Denn -

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Die Wendung: „quod non ita videtur mihi modo, ut quia sit, ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est" (LW V, 40, 5 sq.) übersetzt Geyer so: „daß ich nicht mehr der Meinung bin, daß Gott erkennt, weil er ist, sondern, weil er erkennt, deshalb ist er". Dagegen Sturlese: „daß ich nicht nur der Meinung bin, daß Gott denkt, weil er ist, sondern vielmehr, daß er ist. weil er denkt" (L. Sturlese: Meister Eckhart. Ein Porträt. Regensburg: Pustet. 1993. 23 n. 35). Ich stimme Sturleses Übersetzung zu. Durch den Ausdruck „nicht nur.... sondern vielmehr" (non modo sed) will Eckhart nicht die vorigen Argumente als hinfällig erklären, sondern strebt eine paradoxe Steigerung des Arguments an. Wenn zwischen Sein und Erkennen die Funktion von Grund (fundamentum) und Vollendung (perfectio) umkehrbar ist, dann ergibt sich, wie Eckhart im ersten Satz der quaestio andeutet, vielleicht nicht nur eine sachliche, sondern sogar eine begriffliche Identität zwischen Gottes Sein und Erkennen. Eckhart stellt sein folgendes Theologumenon sicher bewußt anderslautenden entgegen. Interessante Hinweise dazu in Edouard-Henri Webers Beitrag in diesem Band, 99-103. ....

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Perger

wir alle sagen, daß das Werk der Natur Werk eines Vernunftwesens ist." (LW V, 42, 3.) Damit werde doch das, was Vernunft hat, höher eingeschätzt als das, was sie

nicht hat. Den Einwand, daß das Erkennen damit ja nur in Hinsicht auf dasjenige, was durch verschiedene Vermögen einen bestimmten Anteil am Sein hat, höher als Leben und (bloßes) Sein geschätzt wird, nicht aber für sich genommen, läßt Eckhart nicht gelten. Das Gegenteil ist richtig! Zur Begründung führt er wiederum den Anfang des Johannesevangeliums an: „Im Anfang war das Wort" damit sei ganz und gar Vernunft angesprochen, vor deren Erkenntnistätigkeit es keinen höheren Vollkommenheitsgrad geben könne (43, 3-5). Die zweite Annahme schreibt etwas ausführlicher, als es das fünfte Argument der zweiten quaestio tat, den mathematischen, den als wahr und falsch bestimmbaren, den von einer Ursachenkette unabhängigen geistigen Phänomenen eine ganz andere Bedingtheit zu als dem Sein mit seinen Prädikaten ,gut' und ,böse' und als dessen verursachbaren Substanzen (43, 6-12). Hinzu treten Überlegungen zur Nicht-Seiendheit eines Bildes, insofern es wirklich zum Original hinführt, und ebenso, wie auch aus der zweiten quaestio bekannt, zur Nicht-Seiendheit einer species, insofern sie wirklich die Erkenntnis eines Dinges ermöglicht (43, 13-44, 6). Sogar die Erkenntnis von etwas, was Gott unmöglich schaffen könnte, ist der Vernunft möglich: Sie kann e. g. die Wesensform von der natürlichen Eigenschaft eines Dinges trennen, etwa Feuer erkennen unter Absehung von der Wärme, die bloß eine Eigenschaft des Feuers ist (44, 6-9). Die dritte Annahme geht auf das letzte Argument der zweiten quaestio zurück. Das von den Dingen verursachte Wissen im Geschöpf ist durch die verursachten Dinge und deren erstes, das Sein, von ihrem Schöpfer getrennt: Zwischen dem Wissen des Menschen und demjenigen Gottes steht das Sein, die Vorstellung vermag diese Schranke nicht zu durchbrechen (44, 10-14). Die folgenden vier Argumente sind jedes in sich wohlbegründet; die drei Annahmen werden insgesamt nicht eigentlich für die Erschließung der Argumente benötigt, sondern für die (jedenfalls nach der reportatio) z. T. nurmehr stillschweigend an die Hörer ergehende Aufforderung, die jeweils erwiesene Negation ,Gott ist kein Sein' auszufüllen durch ,Gott ist Erkennen'. Denn durch die Annahmen wurde das Erkennen so bestimmt, daß es das Sein sowohl unterschreiten als auch, soweit unserer Vorstellungskraft zu trauen ist, übertreffen kann. Eine der Thesen freilich, die zur zweiten Annahme gehören, spielt auch für die ersten drei Argumente in sich eine wichtige Rolle: daß alles Seiende dadurch gegenüber Nicht-Seiendem (wie den Akzidentien) bestimmt ist, daß es eine Ursache habe (43, 11 sq.) was auf Gott als die Ursache von allem natürlich nicht zutreffen kann, aber eben auch, wie das dritte Argument ausdrücklich feststellt, auf das Erkennen nicht zutrifft, so daß es zum Wesen Gottes stimmt (46, 3-6). Die ersten drei Argumente bringen bestimmte Aspekte des Ursachebegriffs für Gott als die Ursache alles Seins oder alles Seienden zur Geltung. Eine „wahre" Ursache wie Gott enthält nicht selbst die Formbestimmtheit des Verursachten (45, 1-5); als Prinzip, aus dem sich das von ihr Abhängige entfaltet, muß sie selbst von solcher Ent-

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sein der Punkt als Prinzip der Linie ist nicht selbst Linie (45, 6-11); indem sie das Verursachte potentiell oder virtuell in sich trägt, kommt es ihr so, wie es verursacht ist, gerade nicht zu (46, 1-6). Das vierte Argument setzt voraus, daß die Hörer die Rede vom „Sein Gottes" und „Sein der Geschöpfe" jedenfalls nicht univok, sondern im Sinne der Analogie verstehen. Eckhart bestimmt die Geschöpfe als diejenigen, die in formaler Hinsicht ,Seiende' heißen; dies kann dann für das andere Glied der Analogie, Gott, nicht gelten (46, 7-10). Hieran könnte Eckhart bereits die Schlußpassage fügen, in welcher er unter Rückgriff auf die Intellektlehre des Aristoteles und auf ein rhetorisch wirkungsvoll umgedrehtes Zitat aus Johannes Damascenus versichert, daß er mit der Zumutung, in Gott das Sein zu negieren, keinerlei herabsetzende, sondern im Gegenteil eine erhöhende Intention verbindet. Doch zuvor ergreift er die Gelegenheit zu einem Einschub. Beim Stichwort ,Analogie' erinnert er an frühere eigene Darlegungen zum Analogieverhältnis, das zwischen dem Sein der Substanz und dem der Akzidentien besteht.32 Seither ist ihm offenbar ein Einwand dagegen zu Ohren gekommen, den er jetzt widerlegt, wobei er sich rhetorisch mächtig in die Brust wirft (47, 8-12): ,Ich habe nämlich gelernt, daß unter den und den Bedingungen x vorliegt Wenn aber sich etwas aus einem Akzidens in ein anderes verwandelt, dann habe ich nicht gelernt, man nenne das ,x', sondern [man nenne es] ,y'!' Von einem über vierzigjährigen magister actu regens gesprochen, darf man diese Worte kaum als bescheidenen Hinweis auf irgendwann einmal aufgenommenen Lehrstoff hören; der arme Autor des Einwands wird hier autoritativ abgeschmettert. Das macht natürlich Eindruck in bezug auf die Hauptthese, die Eckhart nun als Umkehrung der Akzidens-These erneut einführt. In dem kleinen Exkurs hat Eckhart sich massiv gegen das Ansinnen gestellt, den Akzidentien auch nur eine eingeschränkte Bestimmung als Seiendes einzuräumen. Die Verzahnung dieses Themas mit der Hauptthese erfolgt so: „Daher spreche ich den Akzidentien nicht ab, was ihnen gehört, aber will ihnen auch nicht zugestehen, was ihnen nicht gehört. Aber33 ich sage auch, daß Gott nicht Sein zukommt und daß er kein Seiendes ist, sondern er ist etwas Höheres als das Seiende. So nämlich, wie Aristoteles sagt, Nichts also spreche ich Gott ab, insofern es ihm von Natur aus zukommt." (47, 12-48, 6.) Wie das Verhältnis zwischen Gottes Erkennen und dem Sein das auf den Kopf gestellte Verhältnis zwischen dem Sein und dem Erkennen der Geschöpfe ist, so ist das Analogieverhältnis zwischen Gott und dem Sein die Kehrseite desjenigen zwischen Akzidens und Substanz. Akzidens und Gott sind beide ,seiend' nur in analogem, nicht im Wortsinne; doch sind sie es vom Sein aus betrachtet auf verschiedenen Seiten und mit höchst unterschiedlicher Wertigkeit. Im Schlußsatz gibt sich Eckhart als Exeget: Seine kühne These sei nichts anderes als die richtige Auslegung von Gottes Selbstaussage: „Ich bin, der ich bin". Wie er schon

faltung frei

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32 33

Cf. dazu e. g. Aristoteles: Metaphysica VII, 1030a 28-b 3. Gegen Geyer möchte ich das handschriftliche ,sed' nicht in .sie' ändern (cf. LW V, 47, 14).

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im zweiten Argument ausgeführt hatte: Dies kann nicht als Name Gottes dern als Aussage, durch die Gott seinen Namen gerade verschweigen will kat ,sein' zeigt reflexiv auf den, der rein vor allem Sein ist.

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gelten,

son-

das Prädi-

Predigt 70/70A

Die Form, in der Eckhart das disputative Aufeinandertreffen von Thesen als Predigtmotiv einsetzt, ist gegenüber den komplexen Gebilden der Quaestiones Parisienses höchst vereinfacht. Ich finde drei Beispiele.34 Die ersten beiden sind thematisch eng verwandt, alle drei aber strukturell recht verschieden. „Nun spricht unser Herr: ,Über ein kleines, und ihr werdet mich nicht sehen.' Die besten Meister sprechen, daß der Kern der Seligkeit in der Erkenntnis liege. Ein hoher Geistlicher kam neulich nach Paris, der war dagegen und schrie und regte sich gewaltig auf. Da sprach ein anderer Meister, wohl besser, als es all die in Paris ansässigen gekonnt hätten, welche zur besseren Lehre hielten: ,Meister, Ihr schreit und regt Euch mächtig auf; wäre es nicht Gottes Wort im Heiligen Evangelium, so möchtet Ihr wohl gewaltig schreien und Euch aufregen.'... Unser Herr spricht: ,Das ist das ewige Leben, daß man dich allein als einen wahren Gott erkennt'." (Predigt 70, DW III, 188.) Vor dem zweiten Schriftzitat (loh. 17, 3) steht in Quints Text der Satz: „Erkenntnis berührt in Blöße das, was sie erkennt." Nach dem Zitat folgt: „Die Vollendung der Seligkeit liegt an beidem, an Erkenntnis und an Liebe." In dem entsprechenden Passus einer zweiten Version dieser Predigt (70 Anhang, DW III, 199, 11-200, 3) fehlen die beiden Sätze. Zwar stimmen sie sachlich durchaus zum Kontext, stören aber die Gedankenführung; sie wirken eher wie Einschübe in der ersten Fassung, statt daß man annehmen wollte, in der zweiten seien sie ausgefallen. Denn anders, als Quint durch seine Interpunktion anzeigt, muß das Schriftzitat zur referierten Rede des Meisters gehören, der dem unbequemen Gast entgegentritt. Sein schlagendes Argument besteht Eine Sonderrolle spielt, falls authentisch, Predigt 37 (ed. Pfeiffer (n. 3)), welche die Personifikationen von Erkenntnis und Liebe in einem Streitgespräch zeigt. Die von Referaten über die Gelehrtendiskussionen nur so strotzende Predigt 107 (ed. Pfeiffer) verfährt auffälligerweise durchweg doxographisch; sogar wenn Eckhart betont, er selbst habe eine an ihn gerichtete Frage beantwortet, verzichtet er auf jegliche Inszenierung (352, 27-31; 354,17-19). Seine eigenen Stellungnahmen zu bestimmten Streitfragen erscheinen in den Predigten 105-110, die Pfeiffer aus einer Melker Handschrift ediert und in die Jahre nach Eckharts erstem Pariser Magisterium eingeordnet hat, verdächtig diplomatisch oder unentschieden. Die zweite der oben angeführten Stellen lautet: „Einst fragte man mich auf der Universität zu Paris, ob die Seele eine natürliche Kraft habe, durch die sie sich von jedweder Kreatur unterscheiden könnte? Darauf sagte ich: Ja und nein!" Und in Predigt 109 (ed. Pfeiffer, 359, 5-7) heißt es: „Unter den Meistern wird disputiert: Was ist der eigentliche Kern des ewigen Lebens? Dazu sagen sie, es sei Erkenntnis, und viele sagen, es sei die Liebe. Und so sage ich: Sie sind es beide." Damit sind die in der folgenden Anmerkung aufgeführten Varianten einer anderen Predigtstelle zu kontrastieren.

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Disputatio

Die Hervorhebung der Art und Weise, wie die Erkenntnis das Erkannte berührt, tritt zwischen Ankündigung und Einlösung des Zitats; und die versöhnliche Einbeziehung auch des Willens in die Vollendung der Seligkeit ist weder für den Fortgang der Predigt wenn schon nicht in den „Kern" von Bedeutung, noch hatte Eckhart vorher darauf hingewiesen, daß der fremde Geistliche zugunsten eines anderen Seelenvermögens, eben des Willens oder der Liebe, gegen die „bessere" Lehre vom Vorrang der Erkenntnis angetreten war.35 Der Frage, mit welchen uns bekannten Persönlichkeiten die beiden Protagonisten der Erzählung etwa zu identifizieren wären, möchte ich hier nicht weiter nachgehen. Mit

ja in der Berufung auf die Heilige Schrift.

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In der Fassung 70A ist die Paris-Erzählung aus der Anfangsstellung etwas nach hinten gerutscht: Statt der Ankündigung einer vierfachen Deutung des Schriftwortes voranzugehen, folgt sie jetzt darauf. Meiner Interpretation des Passus lege ich also seinen Wortlaut nach Fassung 70A. aber seine Position nach Fassung 70 zugrunde: ein fragwürdiges Verfahren, aber vorderhand sehe ich keine bessere Lösung. Die Predigt war als Nr. 28 auch in der berühmten thüringischen dominikanischen Sammelhandschrift enthalten: Paradisus anime intelligentis (Paradis der fornuftigen sele). Aus der Oxforder Handschrift Cod. Laud. Misc. 479 nach E. Sievers' Abschrift. Ed. Ph. Strauch. Berlin: Weidmann, 1919. Ausgerechnet hier kam, jedenfalls nach der Oxforder Version zu schließen, die Erzählung vom Pariser Disput nicht vor, doch ist der Passus in dieser Fassung gedanklich ebenso schlüssig wie in der von Quint im Anhang zu Fassung 70 wiedergegebenen: Daß die Erkenntnis ihren Gegenstand unverhüllt nehme, begründet nun die Lehre der „besten Meister", wonach die Erkenntnis den Kern der Seligkeit ausmacht, und das Schriftzitat belegt dies autoritativ. Derart zweifach befestigt, wird die Lehre vom Erkennen als dem Kern der Seligkeit dann ergänzt, indem der Prediger in die Vollendung der Seligkeit auch den Willen einbezieht. Predigt 70 scheint eine Kompilation der beiden anderen Fassungen zu sein. Man vergleiche: 1. Paradisus anime intelligentis, Predigt 28: „,Modicum et non videbitis me etc', di beistin meistere sprechin daz der kerne der selikeit lige an bekentnisse. bekentnisse rurit bloz daz ez bekennit. Christus sprichit: ,daz ist daz ewige lebin das man bekenne", vollinbrengunge der selikeit lit an beidin: an bekentnisse und an minnen. nu sprichit unsir herre: ,ein cleiniz und ...'" (Ed. Strauch, 62, 36-63, 3.) 2. DW III, Predigt 70 Anhang: „Der kerne des ersten begriffes unde der ewiger selikeit lît an bekentnüsse. Ein meister sprach ze Paris unde ruofte unde donde unde wolte wîsen, daz des niht enwêre. Dô sprach ein ander meister. wol bezzer denne alle die von Paris bezzere haben: meister, ir ruofet harte vaste: hiet ez got im êwangeliô niht gesprochen, sô ruoftent und dondint ir harte sêre. Unser herre sprach .daz ist êwic leben, daz sie dich bekennen einen gewären got.' .Ein kleine unde ...'" (199. 11-200, 3.) 3. DW III, Predigt 70: „Nu sprichet unser herre: .ein kleine, und ir ensehet mich niht'. Die besten meister sprechent, daz der kerne der saelicheit lige an bekantnisse. Ein grözer pfaffe kam niuwelîche ze Paris, der was dâ wider und ruofte und donte gar sêre. Dô sprach ein ander meister wol bezzer dan alle, die von Paris bezzer hielten: .meister, ir ruofet und donet vaste; enwaere ez niht gotes wort in dem heiligen êwangeliô, sô ruoftet ir und dontet ir gar sêre'. Bekantnisse rüeret bloz, daz ez bekennet. Unser herre sprichet: ,daz ist daz ewige leben, daz man dich aleine bekenne einen wären got'. Volbringunge der saelicheit liget an beiden: an bekantnisse und an minne. Nu sprichet er: .ein kleine, und ...'"(188, 1-189, 1.) -

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der Vermutung Quints allerdings, der sich so übel gebärdende „große Pfaffe" sei niemand anderer als Gonsalv von Spanien, wird sich schwertun, wer die differenzierenden und moderat abwägenden quaestiones Gonsalvs im Ohr hat; sie haben eher etwas von einem Pedanten als von einem Wüterich an sich.36 Und gerade wenn Quint primär denjenigen Meister, der laut Predigt 9 gegen Eckhart argumentierte und dort zunächst recht gut wegkommt, als Gonsalv zu identifizieren vorschlägt, verbietet es sich, ohne weitere Begründung die Karikatur aus Predigt 70 auf dieselbe Person zu beziehen. Wohl aber fordert die Person des Erzählers zu Spekulationen heraus. Was ist das für ein Eckhart? Wer beobachtet so, und wer spricht so von den anderen, den Protagonisten und den übrigen Meistern von Paris? Üblicherweise wird diese Predigt unmittelbar nach Eckharts erstem Magisterium datiert. Doch wenn Eckhart selbst zu den Meistern gehörte, warum kommt er in der Erzählung dann nicht selber vor? Warum sagt er nicht: ,Da sprach ein anderer Meister, besser als wir alle es konnten ...'? Und warum sagt er nicht: ,Neulich, als ich noch in Paris war ...'? Klingt die Wendung: .Neulich kam X nach Paris' nicht so, als ob er zu Hause eine Begebenheit aus der Universitätsstadt erzählt, in die er demnächst wieder zurückkehren wird,37 zu deren Koryphäen er sich selbst aber gar nicht oder noch nicht zählen darf? Doch widerlegen läßt sich wohl auch kaum die gegenteilige Vermutung, der „andere" Meister, der vor den zu Paris ansässigen Anhängern der „besseren" dominikanischen Lehre das rechte Gegenwort findet, sei Eckhart selbst (cf. dagegen Quint zur Stelle). Der Johanneskommentar enthält eine Auslegung des entsprechenden Jesuswortes ganz im Sinne der Priorität der Vernunfterkenntnis vor dem Willen (LW III, 587-597). Wenn Eckhart von dem „anderen" Meister mit einem Augenzwinkern gesprochen, es aber für nicht geboten erachtet hätte, sich hier am Anfang der Predigt in den Vordergrund was wäre anstößig daran? zu spielen Die Funktion dieser Erzählung ist die Befestigung des Predigtthemas. Ein sich übel gebärdender Eindringling wird durch ein wohlplaziertes Schriftwort zum Schweigen -

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Man lese nur folgenden Abschnitt in Gonsalvs Quaestio dispútala IV A. ed. Amorós (n. 7), 55, letzter Absatz: „Die andere Meinung lautet, daß der Wille vornehmer ist als die Vernunft, und diese scheint mir die akzeptablere zu sein nicht, daß ich großes Gewicht darauf legte, welche vornehmer sei, denn ich habe ja beide, sondern weil ich finde, daß bezüglich der Vernunft einiges sehr schlecht Gesagte im Umlauf ist [quia circa hanc videntur aliqua valde male dicta]: nicht, daß ich etwas sagen wollte gegen den, der das sagt, sondern gegen das, was er sagt." Wie einer, der bloß zeitweilig außerhalb von Paris predigt, spricht Eckhart auch sonst: „Wenn ich in Paris predige, dann zögere ich nicht zu sagen: All die Leute von Paris können mit all ihren Wissenschaften nicht begreifen, was Gott in der geringsten Kreatur ist, nicht einmal in einer Mücke. Aber jetzt sage ich: All diese Welt kann es nicht begreifen." Die Predigt, aus der dieses Zitat stammt Predigt 51. ed. Pfeiffer (n. 3), 169, 30-34 -, ist in einer Straßburger Handschrift überliefert; M.-A. Vannier („L'homme noble, figure de l'œuvre d'Eckhart à Strasbourg". In: Revue des sciences religieuses 70 (1996). 73-89. hier 75 mit n. 22) ordnet sie auch in Eckharts Straßburger Zeit ein. also nach dem zweiten Pariser Magisterium. -

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Disputatio

gebracht. Tatsächlich wird er sich dadurch kaum geschlagen gegeben haben; doch für Eckhart kommt es hier nur darauf an, die Hörer auf die Seite seiner Ausgangsthese zu bringen: Wenn er jetzt über die Schau Gottes sprechen wird, so geht es um nichts Geringeres als um den Kern der Seligkeit. Nicht, daß es darüber keine theologischen Streitereien gäbe; aber idealiter und exemplarisch siegt das Wort Gottes. Dieser Predigtbeginn ist rhetorisch lebhaft, einprägsam, lehrreich; dem Leser mag er zu handstreichartig, zu glatt vor sich gehen, den Hörer aber dürfte Eckhart gewonnen haben. 5.

Predigt 9

Die Disputation, von der Eckhart in Predigt 9 erzählt, hat eine komplexere Funktion als ihre Schwester in Predigt 70; das wird schon daran deutlich, daß Eckhart sich hier ausdrücklich selbst als Agierenden mit ins Spiel bringt. Während der überragende Meister in Predigt 70 den Kampf durch ein Jesuswort aus dem Evangelium gewinnt, behält der Disputator Eckhart in Predigt 9 durch ein heidnisches Argument recht. Wenn Bescheidenheit der Mittel zur Eleganz und Evidenz einer Widerlegung beiträgt, dann verdient die zweite Lösung in dieser Hinsicht den Vorzug. Und auf solche Bescheidenheit, will sagen auf die heidnische Herkunft seines Arguments, legt Eckhart hier deutlich Wert. Die Episode steht mitten in der Predigt, deren Gliederung zunächst skizziert sei etwas abweichend von Nikiaus Largier (I, 835-837). Das zugrundeliegende Schriftwort (Eccli. 50, 6 sq.) gibt Eckhart so wieder: „Wie ein Morgenstern mitten im Nebel, wie ein Vollmond in seinen Tagen, wie eine widerscheinende Sonne so hat dieser geleuchtet im Tempel Gottes." „Dieser", das meint im Schrifttext den Hohenpriester Simon II, der um die Wende zum zweiten vorchristlichen Jahrhundert lebte; bei Eckhart vertritt er ohne weiteres diejenigen Menschen, die sich ihre Gottesnähe bewahren. In einem ersten Teil der Predigt (DW I, 141, 6-154, 6) will Eckhart zwei Fragen klären, welche die letzten beiden Worte dieses Bibelverses betreffen: Was ist Gott, und was ist, bildlich gesprochen, der Tempel Gottes? Ein zweiter Teil (154, 7-158, 9) gilt dann der Rolle, die uns, den Menschen, im „Tempel Gottes" zugedacht ist. Die Fragen ,Was ist Gott?' und ,Was ist Gottes Tempel?' untersucht Eckhart anhand von drei Zitaten aus dem Buch der vierundzwanzig Philosophen oder „Meister" (siehe dazu unten den Anhang). Das erste Zitat wird nicht ausdrücklich herangezogen, wohl weil das zweite es sofort überbietet; anhand des zweiten Zitats bestimmt Eckhart Gott negativ als jenseits des Seins, und das dritte dient als Ausgangspunkt dafür, den „Tempel", in dem Gott recht eigentlich wohne, als Vernunft zu deuten. Dabei grenzt Eckhart die Vernunft der menschlichen Seele, die sich mit ihren Vermögen auf Gott richtet, vom Willen oder von der Liebe ab und weist ihr einen bestimmten Vorzug zu; diese Passage (152, 1-154, 6) beschließt den ersten Teil der Predigt. Eckhart kehrt dann zum Schriftwort zurück und legt dar, inwiefern der Mensch wie ein Morgenstern oder ein Mond nahe der Sonne sein könne und solle: als ein „Beiwort" zum göttlichen -

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„Wort", das den göttlichen Vater, der es spricht, niemals verläßt. Dieser zweite und kürzere Teil, gleichsam der Gipfel der Predigt, geht überraschenderweise anfangs sogleich zu einer neuerlichen Bestimmung dessen, was Gott ist, über (154, 9-155, 1). Die bisherigen Überlegungen, die vom „Überseienden" und der „Vernunft" ausgingen, so, wie sich diese Gottesbestimmungen im Buch der vierundzwanzig Meister fanden, bilden also zwar ein Fundament, reichen aber für Eckharts Zielpunkt noch nicht aus. Die göttliche Vernunft muß noch als das göttliche Wort bestimmt werden; denn das „Wort" enthält in sich den Aspekt des Hervorgehens und Hervorbringens, der sich in der „Vernunft" nicht ohne weiteres findet. Das anagogische Interesse, das Eckharts Predigt zugrundeliegt, muß darauf zielen, Gott in bezug auf die Geschöpfe und insbesondere auf den Menschen zu bestimmen oder in der Bestimmung Gottes einen Ort für die des Menschen zu finden. Gegen Ende des ersten Teils (152, 1-8) zitiert Eckhart einmal mehr einen „heidnischen Meister": Die Vernunft habe die Fähigkeit, Gott das „Fell der Güte" abzuziehen und ihn, anders als der Wille, ohne dieses hinderliche, besondere Prädikat aufzufassen. In Parenthese bemerkt Eckhart dabei: „Noch sind es alles Worte heidnischer Meister, die bislang zitiert wurden; deren Erkenntnis erfolgte bloß in natürlichem Licht. Zu den Worten der heiligen Meister, die in einem viel höheren Licht erkannten, bin ich noch nicht gekommen." (2-5.) Hieran knüpft sich die Erzählung, die nicht namentlich situiert wird und an jedem Ort denkbar wäre, wo eine ,Schule' der Dominikaner mit der eines anderen Ordens konkurrierte inhaltlich und atmosphärisch aber erinnert sie an die Universität von Paris. Das nächstfolgende Zitat verwendet Eckhart zur Erläuterung, wie die göttliche Vernunft, im Unterschied zur göttlichen Güte, als die seligmachende und überhaupt das bildliche Sein begründende Kraft für die Geschöpfe zu begreifen ist (153, 12-154, 1). Da im Zitat von Engeln die Rede ist, die von der Vernunft Gottes abhängig seien, könnte es sich um ein christliches Zitat handeln.38 Hat uns Eckhart also hier endlich zum Wissen der durch ein „viel höheres" Licht erleuchteten Meister geführt? Dieser Schluß ist mit Rücksicht auf die sonst von Eckhart verfolgte Strategie nicht zwingend, denn auch vor der Bemerkung, mit der Eckhart das bisher Gesagte auf die heidnischen Zitate zurückführt, hatte er Bibelzitate verwendet; nur die Ausgangspunkte seiner Überlegungen waren die Thesen aus dem Buch der vierundzwanzig Meister. Und sachlich-argumentativ wäre ein solcher Übergang hier gar nicht überzeugend, denn um jegliches geschaffene Sein (also auch das der Engel) von einer als „überseiend" konzipierten Vernunft Gottes abhängig zu denken, ist christliche Offenbarung nicht nötig. So bliebe denn die Annahme zu prüfen, daß Eckhart erst mit dem zweiten, dem Gipfel'-Abschnitt der Predigt die Autorität des „viel höheren" Lichtes eigentlich in Anspruch nimmt und fruchtbar macht. Diese Annahme trüge erheblich dazu bei, den -

Weder dieses noch das worden.

vorangehende, heidnische

Zitat sind meines Wissens

bislang

identifiziert

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Disputatio

Aufbau des Ganzen formal wie inhaltlich zu klären. Indem Eckhart erneut bei dem Schriftwort ansetzt, das der Predigt zugrundeliegt, zieht er als erstes Zitat den Anfang des Johannesevangeliums heran: „Sant Johannes sprach: ..." (155, 2.) Dies ist ja nun in der Tat ein überaus „heiliger Meister". Die Deutung des göttlichen Intellekts als das „Wort" Gottes und die Entfaltung dieses Terminus durch die Trinitätstheologie und trinitarische Soteriologie ist ein geistesgeschichtlich auch für Eckhart nicht völlig

unvorbereiteter, wohl aber in seiner Entfaltung ein spezifisch christlicher und durch

göttliche Offenbarung gegründeter Weg der Erkenntnis Gottes und des menschlichen Bezugs zu Gott. Die Predigtstruktur entspricht somit dem, was Eckhart für seine Argumentation im Streit um Vernunft und Willen beansprucht: Diese aus Paris mitgenommene Streitfrage wird im Einzugsbereich der natürlichen Erkenntnis gestellt und entschieden.

Allein die oben genannte These eines heidnischen Meisters, entstanden aus „natürlichem", nicht durch Offenbarung erleuchtetem, vernünftigem Denken, genügt Eckhart zur Rettung seiner Behauptung, Vernunft sei edler als der Wille (153, 3-6). Daß diese Behauptung mit der gegenteiligen konkurriert, der Wille sei edler als die Vernunft, illustriert er autobiographisch: In der „Schule" habe er, Eckhart, für die Priorität der Vernunft argumentiert, und in einer anderen „Schule" wohl der franziskanischen

sei ein anderer Meister mit einer gegenteiligen These aufgetreten. Das ist offenbar eine Anspielung auf eine Auseinandersetzung ähnlich der mit Gonsalv. Die quaestiones disputatae zu Paris wurden in der Regel vom Magister in der eigenen Schule, mit vorweg verteilten Diskussionsrollen, veranstaltet;39 wie die Überlieferung der Rationes Equardi bei Gonsalv, so spricht auch hier die Formulierung Eckharts nicht für ein unmittelbares Streitgespräch der beiden Meister, sondern für getrennte Veranstaltungen mit indirekter oder nachträglicher Bezugnahme aufeinander. Der Spannung des knappen Berichtes tut dies keinen Abbruch. Eckhart vermeidet es, von vornherein für die eigene Sache zu sprechen, und legt überhaupt die Entscheidung des Streits in die Gegenwart, vor seine Hörer; zunächst stimmt er dem Gegenargument sogar zu. Die Stelle im ganzen lautet: „Ich sagte in der Schule, Vernunft sei edler als Wille, und doch gehören beide in dieses Licht [das Licht der göttlichen Gnade]. Da sprach ein Meister in einer anderen Schule, Wille sei edler als Vernunft, denn Wille nimmt die Dinge, wie sie in sich selber sind, und Vernunft nimmt die Dinge, wie sie in ihr sind. Das ist wahr. Ein Auge ist edler in sich selbst als ein Auge, das an eine Wand gemalt ist. Ich sage aber, daß Vernunft edler ist als Wille. Wille nimmt Gott unter dem Kleid der Güte. Vernunft nimmt Gott in Blöße, wie er der Güte und des Seins entkleidet ist. Güte ist ein Kleid, unter dem Gott verborgen ist, und Wille nimmt Gott unter dem Kleid der Güte. Wäre -

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Cf. P. Glorieux: „L'enseignement au moyen âge. Techniques et méthodes en usage à la Faculté de Théologie de Paris, au XIIIe siècle". In: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 35 (1968), 65-186, hier 123-128.

142

Mischa

von

Perger

Güte nicht an Gott, würde mein Wille ihn nicht wollen. Wer einen König an dem Tage, da man ihm zum König machte, ankleiden wollte, und ihn in graue Kleider kleidete, der hätte ihn nicht gut gekleidet. Davon bin ich nicht selig, daß Gott gut ist. Ich will niemals begehren, daß mich Gott mit seiner Güte selig machte, denn das vermöchte er nicht zu tun. Davon allein bin ich selig, daß Gott vernünftig ist und ich das erkenne." (152, 9-153. 12.) Diese Erzählung erinnert an Paris, spiegelt aber keinen Vorgang, der uns aus den Pariser Zeugnissen von 1302/1303 bekannt wäre. Dort stellt Gonsalv sich selbst als Autor einer These hin, Eckhart als seinen Widerredner, und er selbst antwortet wieder darauf. Hier erzählt Eckhart einen Fall mit umgekehrten Rollen, wobei nicht einmal deutlich wird, ob der „andere" Meister seine These als Antwort auf diejenige Eckharts verstanden wissen wollte; lediglich durch die Erzählfolge bekommt sie diesen Status. Und das Argument, das Eckhart seinem Widerpart in den Mund legt, kennen wir nicht als Argument Gonsalvs. Die Struktur der Episode läßt sich folgendermaßen kennzeichnen: Der argumentative Dreischritt entspricht rudimentär einer quaestio dispútala: These Gegenthese Entscheidung. Eckhart tritt sowohl als Vertreter der These wie auch als Autor der determinatio auf, wobei letztere aus der erzählten Vergangenheit in die Gegenwart verlegt scheint. Eckhart ist von vornherein bemüht, nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle den Willen von der Gottesnähe ausschließen: und doch gehören beide in dieses Licht" (152, 9 sq.). Diese Worte beziehen sich auf die wenige Zeilen früher angeführte Unterscheidung zwischen dem natürlichen Licht, welches das Denken der heidnischen, und dem „viel höheren", dem Licht der Gnade, welches das Denken der heiligen Meister erleuchtete; auf das letztgenannte weist wohl das Demonstrativpronomen „dieses" zurück (cf. Quint zur Stelle: 152 n. 2). In den Fassungen von Predigt 70 entspricht dem der Satz, an beiden Vermögen liege die Vollendung der

-

-

-

-

,,...

Seligkeit. Argumentation

Die -

des Gegners wird nicht destruiert, sondern übertrumpft: ,Sein aber stimmt, ich, Eckhart, habe größeres Recht auf meiner Seite.'40 Argument Diese Figur findet sich auch in Eckharts Quaestio Parisiensis I, dort verschärft

durch die Eigentümlichkeit, daß Thomas währsleute der übertrumpften These sind. Giselher

dagegen bezeugt in

einer

Aquin

Predigt, daß

und Eckhart selbst die Ge-

Dominikaner dem gegnerischen Ares sei ,wahr'. Diese Predigt geht denn auch von loh. 17, 3 aus, dem .schlagenden' Jesuswort in der weniger konzilianten Erzählung, mit der Eckhart seine Predial 70 einleitet (s. o.). Giselhers Predigl isl die Nr. 41 im Paradisus anime intelligentis, ed. Strauch (n. 35), 90-92; eine andere Version bei F. Pfeiffer: „Predigten und Sprüche deutscher Mystiker I." In: Zeitschrift für deutsches Alterthum 8 (1851), 209-258, hier 211-214. Der besagte Passus findet sich bei Strauch: 92, 8-15; bei Pfeiffer: 213 sq. von

Slatheim

von

gument auch direkt widersprachen, ohne jedes Zugeständnis,

143

Disputatio

-

Eckhart stellt die Entscheidung auf Messers Schneide. Für seine These gibt er zunächst keine Begründung an; der Hörer muß darauf vertrauen, daß der Prediger wohl nicht grundlos gesprochen hatte. Das Gegenargument hingegen hat eine Begründung, und Eckhart konzediert ihre Richtigkeit. Die Spannung hat ihren Höhepunkt erreicht: Hat der Prediger sich in eine Sackgasse manövriert? Wie hat er damals seiner derart überzeugend angegriffenen These beispringen können, oder wie kann er es heute? Oder muß er klein beigeben?

Dieses letzte Kennzeichen unterscheidet die Erzählung von einer Disputation, wie sie in situ stattgefunden haben könnte. Während in der Erzählung die These Eckharts der Gegenthese unmittelbar ausgeliefert zu sein scheint, konnte das während einer Disputation etwa zu Paris nicht geschehen aus dem einfachen Grund, daß Eckhart dieses Gegenargument längst vorauswissen mußte. Es findet sich bei Thomas von Aquin. den es dazu führt, daß er dem Willen nicht schlechthin, wohl aber bezogen auf Gott als Gegenstand, den Vorzug gegenüber der Vernunft einräumt;41 es findet sich bei Gottfried von Fontaines, der es seinem Gegner Heinrich von Gent sozusagen an die Hand gibt;42 und es findet sich bei Gonsalv, der es, wie gesagt, nicht etwa selbst verwendet, sondern ganz im Sinne des Thomas referiert als ein Argument, aufgrund dessen die Parteigänger der Vernunft zu gewissen Zugeständnissen an den Willen bereit sind.43 Eckhart wird zu Paris seine These niemals derart simpel vorgetragen haben, daß er ein seit Thomas in eine bestimmte dominikanische Position integriertes Argument ganz unberücksichtigt gelassen und jedem Gegner somit leichtes Spiel bereitet hätte. Entweder wird er in seiner Argumentation von vornherein auf dieses Gegenargument eingegangen sein. Oder aber er verschwieg es, und dann mußte jeder wissen, daß er nur darauf wartete, jemand möge es vorbringen und er könnte dann seine vorbereitete Antwort daraufsetzen. Während Eckhart also in der Erzählung seine eigene Autorität in spannende Ungewißheit taucht, so muß, wenn es überhaupt in Paris einen realen Vorgang dazu gab, dies ein ebenso wohlinszeniertes Schaugefecht gewesen sein: Seine Zuhörer konnten nicht durch das Gegenargument überrascht werden und wußten, daß auch Eckhart es nicht konnte; die Spannung lag allein darin, welche neuartige Antwort Eckhart vorbereitet haben könnte. Mit dieser Intensivierung der Spannung geht die idealtypische Vereinfachung der Disputation in der Erzählung einher. Sie ist durchaus sinnvoll, wenn man annimmt, Eck-

Cf. Thomas von Aquin: S. th. I. q. 82, a. 3. Das Argument wird von Thomas überdies durch Verweis auf den von Eckhart so gerne herangezogenen Liber de causis (prop. 9 [10]) gestützt: Quaestiones disputatae de vertíate, q. 22. a. 11. resp. Cf. Gottfried von Fontaines: Quodlibet 6. q. 10; in: Les Quodlibet cinq, six et sept de Godefroid de Fontaines, ed. M. de Wulf. J. Hoffmans. Löwen: Institut supérieur de philosophie de l'Université, 1914, 185, letzter Absatz. Cf. Gonsalv von Spanien: Quaestio disputata IV A. ed. Amorós (n. 7), 53, Mitte des ersten Ab-

satzes.

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Mischa

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Perger

hart habe die weit verzweigte Auseinandersetzung derart in ein einziges Paar aus These und Gegenthese zusammengefaßt, daß er für die franziskanische Seite dasjenige Argument herausgriff, das seiner Meinung nach das stichhaltigste war, das man überhaupt vorbringen konnte. Auf dieses Argument sagt er, was er wohl zu keinem der Argumente Gonsalvs gesagt hat: „Das ist wahr." (153, 2.) Es ist so wahr, daß sich Thomas diesem Argument sogar gebeugt hatte. Das aber tut Eckhart nun eben nicht. Und anders als der hervorragende Meister von Predigt 70 hat Eckhart ein „heidnisches", ein vernünftigem Nachdenken ohne Offenbarung zugängliches Gegenargument

6.

aufgefunden.

Predigt 50

Ende der im ganzen anscheinend sehr verkürzt überlieferten Predigt 50 führt Eckhart aus, die menschliche Seele habe, indem sie mit dem Gottessohn aus Gottvater „ausgeflossen" sei, „das Bild der Gottheit eingedrückt" bekommen (DW II, 458, 4 sq.). Diesen Gedanken nimmt er zum Anlaß, von einer Diskussion zu erzählen, die in einer wiederum nicht näher bezeichneten „Schule", also wohl einem Studium seines Ordens, stattgefunden habe. Drei Thesen kommen zur Sprache, und da die letzte, von Eckhart als die beste herausgestellte These vom „fünften" der „Meister" vorgetragen wird, müssen die ersten beiden wohl von je zwei Meistern vertreten worden sein (anders Quint, 459 n. 3). Der Text lautet: „Man diskutierte in der Schule, und einige Meister sagten, Gott habe das Bild so in die Seele gedrückt wie einer, der ein Bild an die Wand malt, und das vergeht. Dem wurde widersprochen. Andere Meister sprachen besser und sagten, Gott habe das Bild in die Seele gedrückt als etwas, das in einem bleibt, so wie einen in ihr bleibenden Gedanken so etwa: Ich habe heute einen Willen und habe morgen ebendenselben Gedanken und halte das Bild [das Vorstellungsbild] aufrecht durch meinen vergegenwärtigenden Einfluß. Und demgemäß sagten sie, daß Gottes Werke vollkommen sind. Denn wäre der Zimmermann vollkommen in seinem Werk, so bedürfte er der Materie nicht; sobald er nämlich seine Gedanken darauf richtete, wäre das Haus vollendet. Ebenso ist es mit den Werken in Gott: Sobald er seine Gedanken darauf richtet, sind die Werke in einem gegenwärtigen Nun vollbracht. Da kam der fünfte Meister und sprach am besten und sagte: Da gibt es kein ...,44 sondern da ist ein Nun, ein Werden ohne Werden, ein Neusein ohne Erneuerung, und das Werden ist sein Sein. In Gott ist eine Kleinigkeit, in die keine Erneuerung hinein kann. Ebenso ist auch in der Seele eine Kleinigkeit, die so lauter und so zart ist, daß abermals dort keine Erneuerung hinein kann; denn alles, was in Gott ist, das ist ein gegenwärtiges Nun ohne Erneuerung."

Gegen

-

-

(DW II, 458, 6-460, 3.) Hier fehlt ein Wort im überlieferten Text. Quint ergänzt sinnvoll wäre aber das im folgenden prominente ,vermwen

.gewerden' (Werden): '

(Erneuern).

mindestens

so

Disputatio

145

Nach der ersten These kann die Seele das Bild der Gottheit und der Mensch damit wohl seine Gottebenbildlichkeit verlieren. Die Leiblichkeit, der Sündenfall, ein böser Wille wären womöglich für einen solchen Verlust verantwortlich zu machen. Die anderen Meister lehnen es ab, das der Seele „eingedrückte" Bild als ein Werk Gottes auf eine bloß vergängliche, also in irgendeiner Weise stoffliche Ausprägung zu reduzieren. Nach der zweiten These gehört das Bild der Gottheit zu Gottes vollkommenen Werken, deren Sein nicht erst durch irgendeinen Stoff, sondern schon allein dadurch realisiert ist, daß Gott sie denkt. Man fragt sich: Ist denn aber die Seele nicht jedenfalls eine Art Stoff, in den das Bild der Gottheit eingedrückt würde? Eckhart müßte dies wohl verneinen: Hier, im Denken Gottes, sind das Bild und die Seele, die es tragen soll, nicht unterschieden. Die Erläuterung der These endet mit dem Ausdruck „gegenwertig nv" (459, 6): Daß Gott seine Werke denkt und daß sie vollbracht werden, geschieht in ein und demselben gegenwärtigen Jetzt, es bedarf keiner zeitlichen Vermittlung. Damit ist, im Kontrast zur ersten These, das Niveau der zuvor dargelegten Lehre vom Ausfließen der Seele aus Gott, das mit der ewigen Geburt des Gottessohnes in dasselbe „gegenwärtige Jetzt" fällt (458, 3-5), wieder erreicht. Doch Eckhart schlug diesen Umweg nicht ein, um bloß ein zweitesmal dort anzukommen: Der fünfte Meister überbietet noch die zweite These. Worin wies auch sie noch einen Mangel auf? Das zeigen ihre beiden Beispiele: Ein Mensch erhält einen Gedanken oder Willen über Tage hin aufrecht, ein idealer, von der Materie unabhängiger Zimmermann baute allein durch seinen gedachten Plan instantan ein Haus was aber wäre, wenn beide Denker einmal aufhörten, ihren Gedanken, ihr Haus zu denken? Gedanke und Haus müßten offenbar vergehen. Der Vergänglichkeit des Bildes der Gottheit, das die Seele empfangen hat, vermag die zweite These also bloß unter der stillschweigenden Annahme zu wehren, der seine Werke denkende und sie so realisierende Gott würde dieses Denken, dieses Eindrücken des Bildes in die Seele beständig erneuern. Diese Vorstellung überwindet der fünfte Meister. Das Bild der Gottheit in der Seele ist nicht als ein einmaliger, vergänglicher Eindruck, aber eben auch nicht als ein beständig erneuerter Einfluß des denkendwirkenden Gottes zu fassen, sondern in dem, dessen Bild es ist: dem von aller Zeit und allem „Geruch" nach Zeit (456) freien, nicht-sukzessiven und nicht erneuerungsbedürftigen, sondern ewigen, instantan-aktuellen Wesenskern Gottes, an dem auch die Seele, die in Gott ist, aus ihm fließt und wieder in ihn fließt, Anteil hat. Zwei Vertreter der schlechteren These, zwei der besseren, schließlich einer, der die Frage aufs beste entscheidet. Zwei Thesen, die sich durch Beispiele illustrieren lassen, und schließlich die eine, welche Zuflucht zu in sich kontradiktorischen Ausdrücken nehmen muß („Werden ohne Werden", „Neusein ohne Erneuerung"). Die Konzeptionen einer stofflichen Mittelbarkeit des Bildes, das von Gott her in die Seele kommt, einerseits, einer Unmittelbarkeit des Bildes andererseits, überboten durch die Annahme einer punktuellen Wesensgleichheit zwischen Gott und der Seele, sofern sie in ihm ist. All dies ist deutlich stilisiert, ein komplizierter Gedankengang findet ein ein-

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-

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Perger

fâches erzählerisches Gerüst: die Disputation im Studium oder an der Universität, die Konkurrenz der Ordensschulen und ihrer Lehrer, die Aufgabe des leitenden Magisters, die von ihm anberaumte, mehr oder weniger auch inszenierte quaestio auf eine eindrucksvolle, dabei für die Lernenden möglichst fruchtbare und weitgreifende Weise zu entscheiden.

7. Resümee Soweit aus den spärlichen Textzeugen zu schließen, liegt die Stärke des Disputators Eckhart zu Paris in der strategischen Anordnung seiner Argumente. Thesenhaft und argumentativ geschliffen bieten die frühen Quaestiones Parisienses Facetten seiner in Theologie gewendeten Erkenntnistheorie dar; durch ihre Anordnung inszeniert der magister mit Vorliebe begriffliche Reibungen, einen Umschlag ins Paradoxe, einen Kopfstand: Wissen scheint unter seinen Worten unversehens zur höchsten und „allein freien" Tugend, Vernunft zu einem Nichts, und das reine, alles begründende Sein Gottes zur Manifestation (statt zum Grund) göttlicher Vernunfttätigkeit zu werden. Strategie erfordert auch das Ziel des Predigers, zu seinen Hörern Zugang zu gewinnen und seine Lehren in ihnen zu verankern; doch ist die Virtuosität der Argumentation und das Gegeneinanderausspielen von Begriffen hierfür kein hauptsächliches Mittel. Die Disputationsform selbst kann Eckhart nicht einmal stückweise ohne Modifikation in die Predigt übernehmen; wo er entsprechende Reminiszenzen als Motiv gebrauchen kann, werden sie auf ein überschaubares, zwei- oder dreiteiliges Schema gebracht und inhaltlich auf eine Entweder-Oder-Entscheidung hin pointiert, wobei das eine Argument das andere übertrumpfen kann (Predigt 9) oder zwei Thesen einer extremen dritten unterliegen (Predigt 50). Wichtig ist, daß sich der Hörer zwischen den Positionen klar orientieren kann; wichtig auch, daß die Position des Erzählers, sei es als Beobachter, sei es als beteiligter Disputant, klar erkennbar und entschieden ist. Daß sich die von Eckhart in Predigten erzählten Dispute so nicht anderweitig dokumentiert finden, dürfte mehr als bloß ein ungünstiger Zufall sein.

Anhang: Zitate aus dem Liber XXIVphilosophorum in Predigt 9 Eckhart legt, wie oben gezeigt, großes Gewicht auf den Status der in der Predigt verwendeten Zitate. Er betont, daß die drei eingangs zitierten Aussagen über Gott aus einer heidnischen Quelle stammen, also Früchte eines nicht durch Offenbarung geleiteten, natürlich-vernünftigen Nachdenkens sind. Diese Präzisierung wäre aber irreführend, würde Eckhart die Zitate selbst nicht präzise wiedergeben. Im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht lassen sich denn auch alle drei Sprüche, die Eckhart hier aus dem anonymen Liber XXIV philosophorum zitiert, genau identifizie-

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Disputatio ren.45 Die

folgende Gegenüberstellung der Passagen aus der Predigt und aus Clemens möge dies zeigen:

Baeumkers Edition des Liber46 1. DW I, 142, 3-5:

Liber, prop. 6; 209, 11 sq. Baeumker:

got ist etwaz, gegen dem alliu wandelbaeriu und zîtlîchiu dine niht ensint, und allez, daz wesen hat, daz ist vor im kleine." „...

„Deus est, cuius comparatione substantia aeeidens, aeeidens nihil."

est

In der Übertragung meidet Eckhart die Fachtermini und kehrt die beiden Satzglieder Das „aeeidens" wird einmal zum „wandelbaren und zeitlichen Ding", das andere Mal zu etwas „Kleinem". „Substantia" gibt er wieder als solches, „was Wesen hat". Daß der Spruch nun mit dem „Kleinen" endet, nicht mit dem „Nichts", entspricht der Zielrichtung der Predigt: Die Menschen sollen nicht nichts werden, sondern zu ihrem wesentlichen Sein finden, und damit wären sie ein kleines „Beiwort" zum Wort, das Gott selbst ist. um.

2. DW I, 142, 5 sq.:

Liber, prop. 11; 211, 5 sq. Baeumker:

„...got ist etwaz, daz dâ ist über wesene von not, daz in im selber niemannes be-

„Deus est superens, necesse, solus sibi habundanter sufficiens."

darf und des alliu dinc bedürfen." Cf. 8 sq.: daz got etwaz ist, daz wesene sîn muoz." „...

von

not über

Dieser

Spruch wird von Eckhart zunächst sehr genau übertragen, die zuletzt genannte Selbstgenügsamkeit Gottes allerdings drückt er negativ aus und ergänzt sie um die Cf. J. Quint: n. 3 ad p. 142. In: DW I. 142 sq.; K. Ruh: Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker. München: Beck, 1985: 2.. Überarb. Aufl. 1989, 64; id.: „Neuplatonische Quellen Meister Eckharts". In: Contémplala aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität, ed. C. Brinker et al„ Bern: Lang, 1995, 317-352, hier 335; N. Largier: Kommentar ad p. 104. 11-17. In: Largier I, 838. Demnach ließe sich nur das dritte Zitat eindeutig verifizieren. C. Baeumker: Studien und Charakteristiken zur Geschichte der Philosophie, insbesondere des Mittelalters. Gesammelte Vorträge und Aufsätze. Ed. M. Grabmann, Münster i. W.: Aschendorff, 1927, 194-214 (= Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 25, 1/2). Die von Françoise Hudry herausgegebene ältere Überlieferung des Liber weicht unter den hier interessierenden drei propositiones nur bei der elften ab: „Deus est [superJens, necesse, solus sibi habundanter, sufficienter." Cf. Le Livre des XXIVphilosophes. Ed. et trad. F. Hudry, Grenoble: Millón, 1989. Zur Beurteilung der Schrift insgesamt cf. W. Beierwaltes: Artikel „Liber XXIV philosophorum". In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., völlig neu bearb. Aufl., ed. K. Ruh et al., Berlin: de Gruyter, V, 1985. col. 767-770. -

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Perger

Kehrseite: Alles Geschaffene bedarf des selbstgenügsamen Gottes. Auch diese Berücksichtigung der Kehrseite bereitet die Hörer darauf vor, daß Eckhart das Wesen Gottes hier deshalb bestimmt, weil er dem Menschen seinen Ort in bezug auf dieses Wesen zeigen will. Das Beiwort hat keinen Anhalt in sich, sondern gehört voll und ganz zum selbständigen Wort. 3. DW I, 142, 7:

Liber, prop. 20; 212, 32 Baeumker:

got ist ein vernünfticheit, diu dâ lebet in sîn aleines bekantnisse."

„Deus est, qui solus sui intellectu vivit."

„...

Eckhart fügt hier zwischen das definiens und das definiendum ,Gott', auf das sich jenes im lateinischen Text direkt bezieht, ein Prädikat Gottes ein: Nicht „Gott ist der, welcher ...", sondern: „Gott ist eine Vernunft, die ...". Dieses Prädikat ist aus dem Relativsatz herausgezogen und dient ganz offensichtlich der leichteren Verwendbarkeit des Zitats im Sinne von Eckharts These, wie er sie in der Quaestio Parisiensis I dargelegt hatte. Indem Eckhart im definiens Gott als Objekt der (Selbst-) Erkenntnis beläßt, wandelt er das Wort ,solus' aus einer Bestimmung des Subjekts zu einer des Objekts um Gott in seiner Einzigkeit erkennt sich in seiner Einzigkeit*. Ein ähnliches Dreifachzitat findet sich übrigens in Predigt 107, ed. Pfeiffer (n. 4), 350, 2-5; vor prop. 11 in einer stärker bearbeiteten, aber im gleichen Sinne wie oben ergänzten Fassung sowie vor prop. 20 tritt hier die erste Hälfte von prop. 17: „Deus est intellectus sui, solus praedicationem non recipiens." Die Sätze lauten im Zitat: „...got ist etwaz, daz in sîner eigenen bekentnüsse würket. got ist ein eigen, des alliu dinc bedürfent, unde daz in ime selber nihtes bedarf. got ist ein vernünftikeit, diu in ir selbes wesen lebet." -

...

...

ECKHART IN STRASSBURG

DER STRASSBURGER KONVENT DER PREDIGERBRÜDER IN DER ZEIT ECKHARTS

Eugen Hillenbrand (Freiburg i. Br.)

Nur drei Zeugnisse belegen Meister Eckharts Tätigkeit in Straßburg: zwei Schenkungsurkunden von 1314 und 1316 und ein Schreiben des Generalmagisters aus dem

Jahre 1322. Sie allein verbinden seinen Namen mit dem oberrheinischen Raum.1 Sie markieren vermutlich nicht den Beginn und das Ende, aber zumindest einige genaue Zeitpunkte einer Lebensphase Eckharts, die wie keine andere das spätere Bild des Lese- und Lebemeisters bestimmt hat. Kurt Ruh spricht vom „Straßburger Jahrzehnt" als der „eigentlichen Zeit des Predigers Eckhart".2 Sie hat gerade deshalb immer wieder das besondere Interesse der Forschung gefunden.3 Drei Zeugnisse zehnjährigen Wirkens. Dieser Mangel regte nicht selten zu lebhafter Phantasie an; Josef Koch hat sie in seinen Kritischen Studien auf die belegbaren Tatsachen zurückgestutzt.4 Dieser Mangel legte es nahe, in dem unter Eckharts Namen überlieferten Schriftgut nach Spuren seines Lebens zu suchen, obwohl darin „die Zeitläufte so gut wie gar nicht zur Sprache kommen", wie Dietmar Mieth lapidar feststellte.5 Dieser Mangel verleitete andererseits auch dazu, den geistlichen Lehrer des späten Mittelalters sozusagen in die Zeitlosigkeit zu erheben, wie das etwa Gerhard Wehr in seiner Bildmonographie über Eckhart konsequent praktizierte.6 Das Bändchen beginnt mit dem Foto eines Zen-Buddhisten unserer Tage und endet mit dem Bild einer Zen-Meditation. -

-

-

1

Cf. „Acta Echardiana", n. 38-40; ed. et comment. L Sturlese, in: LW V, 182-187. K. Ruh: Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker. München: Beck, 1985; 2., Überarb. Aufl. 1989, 136. 3 M.-A. Vannier: „Maître Eckhart à Strasbourg (1313-1323/1324)". In: Voici Maître Eckhart. Textes et études, ed. E. Zum Brunn, Grenoble: Millón, 1994, 341-353, mit zahlreichen Literaturhinweisen. Ead.: „L'homme noble, figure de l'œuvre d'Eckhart à Strasbourg". In: Revue des sciences religieuses 70 (1996), 73-89. 4 J. Koch: „Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts". In: Archivum Fratrum Praedicatorum 29 (1959), 5-51; 30 (1960). 5-52, auch in: id.: Kleine Schriften I, Rom: Storia e Letteratura, 2

1973,247-347.

5

6

D. Mieth: „Meister Eckhart. Authentische Erfahrung als Einheit von Denken, Sein und Leben". In: Das „einig Ein". Studien zu Theorie und Sprache der deutschen Mystik, ed. A. M. Haas, H. Stirnimann, Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag, 1980, 11-61, hier 15. G. Wehr: Meister Eckhart. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg:

Rowohlt, 1989.

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Eugen Hillenbrand

Ich möchte versuchen, etwas über Meister Eckhart zu erfahren, indem ich nach der Gemeinschaft frage, in der er zehn Jahre lang gelebt und gelehrt hat.7 Als Mitglied des einflußreichen Predigerkonvents war er in die gesellschaftlichen Strukturen der Bischofsstadt eingebunden, gefördert und gefordert durch Laien und Klerus. Meine erste Beobachtung erscheint recht trivial: Meister Eckhart lebte, solange er sich in Straßburg aufhielt, auf einer Baustelle. Seine Brüder hatten sich 1307 dazu entschlossen, ihre Klosterkirche in großem Stile umzubauen. Das ist schon bemerkenswert, da die Weihe dieser ersten Kirche noch keine fünfzig Jahre zurücklag. Damals hatten die Prediger mitten im Straßburger Altstadtgebiet einen Hof gekauft und zu einem Klosterkomplex ausgebaut. Die besondere Lage in der kirchlichen Topographie spiegeln spätere Stadtansichten deutlich wider: Der Merian-Plan von 1643 (Abb. 1) zeigt als Ergänzung zu dem bekannten großen Panorama von 1624 die Wasserläufe und Befestigungen der „Statt Straßburg, wie sie Jetziger Zeit im wesen steht"8 und benutzt als Orientierungshilfe ihre wichtigsten kirchlichen Gebäude. Den Mittelpunkt der von zwei Ill-Armen umschlossenen Stadtinsel bildete die Bischofskirche. Um sie herum lag ein Kranz alter Stiftskirchen: St. Stefan, St. Thomas, Alt-St.-Peter, Jung-St.-Peter. Sie gaben zusammen mit St. Aurelien dem Pfarrsystem der Stadt den organisatorischen Rahmen. Während des dreizehnten Jahrhunderts stieg die Zahl der Straßburger Kirchen durch die Gründung von Männer- und Frauenklöstern der Bettelorden, mit der am Franziskanerkirche beginnend Rindsüttergraben (1221), sprunghaft an. Direkt im Zentrum konnte sich nur der Predigerkonvent niederlassen, aber erst, nachdem er fünfundzwanzig Jahre lang außerhalb der Stadt darauf gewartet hatte. Obwohl die Dominikaner ihr neues Klosterareal nahe der Bischofskirche rechtmäßig erworben hatten, stellten sich einige Kleriker zunächst quer, unter ihnen sogar der Dekan des Domkapitels.9 Ein päpstlicher Legat und der Bischof selbst mußten sich einschalten, damit die Brüder 1254 den Grundstein legen konnten. Ihre Gebäude vor der Stadtmauer übernahm eine Frauengemeinschaft, die 7

Cf. M. Barth: „Handbuch der elsässischen Kirchen im Mittelalter". In: Archives de l'Eglise d'Alsace 27-29 (1960-1962/63). hier 29 (1962/63), col. 1363-1368; Ch. Schmidt: „Notice sur le couvent et l'église des Dominicains de Strasbourg jusqu'au seizième siècle". In: Bulletin de la Société pour la conservation des monuments historiques d'Alsace II/9 (1876), 161-224; H. Ch. Scheeben: „Der Konvent der Predigerbrüder in Straßburg die religiöse Heimat Taulers". In: Johannes Tauler. Ein deutscher Mystiker. Gedenkschrift zum 600. Geburtstag, ed. E. Filthaut OP, Essen: Driewer, 1961, 37-74; F. Rapp: „Die Mendikanten und die Straßburger Gesellschaft am Ende des Mittelalters". In: Stellung und Wirksamkeit der Bettelorden in der städtischen Gesellschaft, ed. K. Elm, Berlin: Duncker & Humblot, 1981, 85-102. M. Merian: Topographia Alsatiae. Frankfurt a. M.: Merian, 1644; ND (der 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Spörlin, 1663) Kassel: Bärenreiter, 1964, nach 54; auch in: Strasbourg. Panorama monumental et architectural des origines à 1914, ed. G. Fœssel et al., Straßburg: Contades, 1984, 23 Abb. 3. Cf. Urkundenbuch der Stadt Straßburg I. Bearb. v. W. Wiegand, Straßburg: Trübner, 1879, 253 n. 339 (1250 IX 6); 269 n. 354 (1251 VIII 7); 316 n. 420 (1258 II 21). -

8

9

Der Straßburger Konvent der Predigerbrüder

153

sich wie sechs weitere der geistlichen Führung der Dominikaner unterstellte. Der Stich zeigt noch fünf von ihnen; zwei waren im fünfzehnten Jahrhundert bereits abgerissen worden.10 Das Kloster, das sich die Predigerbrüder einen Steinwurf von der Bischofskirche entfernt errichtet hatten, genügte ihnen schon zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts nicht mehr. Den Anstoß zu einem großen Umbau könnte das Generalkapitel des Ordens gegeben haben, das im März 1307 in Straßburg zusammenkam. ' ' Unter den Teilnehmern befand sich auch Eckhart in seiner Funktion als Prior der neugegründeten Ordensprovinz Saxonia.12 Er wurde hier zum Generalvikar für die böhmische Provinz ernannt. Im darauffolgenden Jahr begannen die Straßburger Prediger mit dem Neubau ihres Chores, wie der Straßburger Geschichtsschreiber Fritsche Closener berichtet.13 Das Bild dieses Chores hat Hans Baidung Grien etwa 1510 mit dem Zeichenstift festgehalten (Abb. 2):14 Ein eleganter Hochchor ragt aus dichtem Häusergewirr heraus; durch elf schlanke Fenster konnte das Licht in sein Inneres strömen. Ihm schließt sich der etwas niedrigere, doch breite Langhausbau an. Die Stiftskirche von Jung-St.-Peter, die im Hintergrund erkennbar ist, wirkt dagegen fast wie eine einfache Dorfkirche. Wie stark die bisherige Bausubstanz der Predigerkirche verändert wurde, läßt sich am Grundriß der neuen Anlage leicht ablesen (Abb. 3):15 Die dreischiffige Basilika von zehn Jochen mit dem einschiffigen Chor wandelte sich in eine mächtige vierschiffige Halle mit einem Chor von über zweiunddreißig Metern Länge und 11,70 Metern Breite. Das Kirchenschiff wurde etwa um die Hälfte, der Chorraum gar auf das Dreifache vergrößert. Beide Räume waren durch einen Lettner getrennt. Der Umbau machte aus dem Kirchengebäude, zumindest von außen, nicht gerade ein architektonisches Juwel. Eine Zeichnung von 1834 genügt wohl zur Illustration dieser kühnen Behauptung (Abb. 4).16 10

Cf. Barth: „Handbuch der elsässischen Kirchen" (n. 7), col. 1369-1388. Cf. P. von Loë OP: Statistisches über die Ordensprovinz Teutonia. Leipzig: Harrassowitz, 1907, 33 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 1 ). 12 Cf. „Acta Echardiana" (n. 1), n. 18; LW V, 169; Acta capitulorum generalium Ordinis Praedicatorum 1220-1303. Ed. B. M. Reichert, Rom: Institutum Historicum Fratrum Praedicatorum, II, 1899, 28 (= Monumenta Ordinis Praedicatorum Histórica 4). 13 Fritsche Closener's Chronik. Ed. C. Hegel, in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte: Straßburg I, Leipzig: Hirzel, 1870, 131 (= Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 8): „Do man zalt 1308 jor. do wart der köre zu den brediern anegevangen. do man zalte 1345 jor, do wart der bredier köre gewihet, an dem dirten tage noch des heiligen crützes tage zu 11

herbeste."

14 15

16

Strasbourg (n. 8), 99 Abb. 55 u. 56. E. Salomon: „Notice sur l'ancien Temple-Neuf et

l'ancien

Gymnase de Strasbourg".

In: Bulletin

de la Société pour la conservation des monuments historiques d'Alsace II/9 (1876), 225-230, hier nach 226; auch in: R. Recht: L'Alsace gothique de 1300 à 1365. Colmar: Alsatia, 1974, 100. Strasbourg (n. 8), 179 Abb. 129.

154

Eugen Hillenbrand

Das Innere des Kirchenraumes hielt ein Straßburger Gesangbuch von 1703 fest (Abb. 5).17 Die Abbildung führt den Blick des Betrachters vom Hauptportal aus in einen weiten Raum, der wie geschaffen war für eine große Hörergemeinde. Hier konnten sich die Brüder des heiligen Dominikus ihrer eigentlichen Aufgabe widmen, der Predigt. „Unser Orden", so lasen sie im Prolog ihrer Constitutiones, „wurde von allem Anfang an in erster Linie zur Predigt und zum Heil der Seelen eingerichtet, und unser Studium muß vorrangig und mit allem Nachdruck das Ziel haben, den Seelen unserer Nächsten nützlich zu sein."18 Die Räume, in denen das Studium gepflegt wurde, lagen hinter der Kirche. Die dazu notwendigen Konventsgebäude waren um zwei Höfe gruppiert. Der östliche Hof diente als Gemüse- und Obstgarten, den westlichen umschloß der Kreuzgang. Wir erfahren darüber aus einer Urkunde von 1286, worin die Brüder einen Nachbarn dazu verpflichteten, sein Haus nicht höher zu bauen, um nicht in ihren „ortus aut pomerium" sehen zu können.19 Sie gingen sogar noch weiter: Falls er sein Haus verkaufen wollte, beanspruchten sie das Vorkaufsrecht. Auf keinen Fall aber durfte er das Haus an einen Wirt, einen Möbelschreiner oder einen Gewerbetreibenden ähnlicher Art verkaufen, damit die Brüder nicht durch Lärm belästigt würden. 1306 erlaubten sie einem Nachbarn „non de jure, sed ex gratia" -, seine Gebäude direkt an ihre Klostermauern anzuschließen, aber er durfte keine Fenster und keinen Wasserlauf anbringen.20 Offensichtlich hatten sich die bettelnden Wanderprediger ohne besondere Schwierigkeiten in ihre neue Rolle als Inhaber eines großen Seelsorgezentrums und ansehnlicher Besitzrechte eingewöhnt. Man muß aber auch hinzufügen, daß sich dieses Straßburger Predigerkloster bereits in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts zu einem intellektuellen Zentrum des Ordens und der Stadt entwickelt hatte. In der deutschen Ordensprovinz galt es nach Köln als wichtigste Ausbildungsstätte für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Dementsprechend mußte auch das Raumprogramm der Konventsgebäude ausgelegt sein. Der weite Chorraum, in dem sich die Brüder zu gemeinsamem Gottesdienst versammelten, erlaubt den Schluß auf eine stattliche Konventsgröße. Zahlen darüber haben wir nicht. In den Urkunden zwischen 1300 und 1305 finden wir zu einem Jahr im Höchstfall elf verschiedene Namen von Ordensbrüdern, in der Regel aber nur drei bis fünf. Das Generalkapitel von 1325 schickte zwanzig Theologiestudenten, die in -

17

Recht: L'Alsace gothique (n. 15), 112. M. v. Perger machte mich darauf aufmerksam, daß der Blick des Betrachters von Westen ausgehen muß. Der Chor wurde bekanntlich im 16. Jahrhundert vom Kirchenraum abgetrennt. 18 A. H. Thomas OP: De oudste constituties van de Dominicanen. Voorgeschiedenis, tekst, brennen, ontstaan en ontwikkeling (1215-1237). Löwen: Bureel van de R. H. E. Universiteitsbibliotheek. 1965, 311. Die Übersetzungen stammen hier wie im folgenden, wenn nicht anders angegeben, vom Verfasser. 19 Urkundenbuch der Stadt Straßburg III. Bearb. v. A. Schulte, Straßburg: Trübner, 1884, 63 n. 194. 20 Ibid. 178 n. 572. -

Der Straßburger Konvent der

Predigerbrüder

155

Straßburg ausgebildet wurden, in ihre Heimatkonvente zurück. (Ob in dieser Zahl alle eingeschlossen waren, wissen wir nicht.)21

1470 würdigte der Ordenschronist und -reformer Johannes Meyer den großen Umbau mit folgenden Worten: „In den selben zeitten do hetten die brüder prediger ordens zu Stroszburg nit ein benugen an dem core yres conventes, do ir alt vordem den götlichen dienst unn vil gebettz mit groszer andacht in volbrocht hetten, sunder sie liessent den groszen schonen lustberlichen köre von gründe uffmachen, der do in Schönheit den kor der hohen stifft des münsters derselben statt Stroszburg verre übertriffet, do wol zu verwundern ist an einem semlichen armen orden."22 Ein Unbehagen empfand der spätmittelalterliche Predigerbruder, wenn er den mächtigen Chor seiner Klosterkirche mit dem der benachbarten Bischofskirche verglich. Er vermißte den Geist der Armut, den die Ordensväter noch ganz ernst genommen hatten. Der Straßburg-Plan, den der Basler Maler Konrad Morant 1548 anfertigte (Abb. 6),23 könnte diesem kritischen Bericht beinahe Recht geben. In Morants Bild zieht die Predigerkirche sofort den Blick des Betrachters auf sich. Dies liegt am Standort des Zeichners: Er schaut von der Plattform des Münsters herab und hält das Panorama, das sich ihm bietet, auf seinem Blatt fest. Deshalb kann er nur das langgezogene Dach des Münsters skizzieren, nicht aber den Turm, auf dem er selbst steht. An dessen Stelle trägt er Notizen über die Geschichte der ehrwürdigen freien Stadt Straßburg ein. Sein Blick aus der Vogelperspektive nimmt im Nordwesten den großen Baukörper des Predigerklosters wahr. Mit diesem kann in der hierarchischen Abstufung der Gebäude nur der Pfennigturm westlich davon konkurrieren, der übrigens 1321 fertiggestellt und als Schatzhaus und Archiv der Stadt benutzt wurde. Also doch eine bildliche Botschaft für den Betrachter des sechzehnten Jahrhunderts! In der Tat, aber nicht mehr im Dienste der Predigerbrüder. Diese mußten 1531, mit einer lebenslänglichen Rente versorgt, ihr Kloster verlassen; es waren gerade noch fünf. Ihre Kirche wurde den Protestanten zum Gottesdienst übertragen. In den Konventsgebäuden richtete Johannes Sturm das berühmte protestantische Gymnasium ein. Der Chor wurde zur Bibliothek umgebaut. Drei Jahrhunderte dominikanischen Wirkens in Straßburg waren abgeschlossen durch eine Neubestimmung des Klosters: zu Predigt und Studium im Dienste der neuen Lehre. Zurück in die Zeit, als der Baulärm in Eckharts Arbeitszimmer drang und er die Zimmerleute bei ihrer Arbeit beobachten konnte, wie sie die Gerüste erstellten oder den Dachstuhl aufrichteten. Überraschend häufig griff Eckhart das lebensnahe Motiv der Zimmerleute in seinen Predigten auf.24 Sie bildeten in Straßburg eine wichtige und -

Cf. Acta capitulorum generalium II (n. 12), 160. Johannes Meyer: Papstchronik, fol. 40r, zit. n. Scheeben: „Der Konvent der

(n.7),71.

Predigerbrüder"

Strasbourg (n. 8), 26 sq. Karte I. In

Predigt 6, 17, 38, 47, Erfahrung.

50 und 61 vermittelte Eckhart seinen Hörern mit diesem Bild konkrete

156

gefragte Berufsgruppe. So gefragt, daß der städtische Rat

Eugen Hillenbrand 1307 ihren Höchstlohn fest-

legen mußte und ihnen 1322 ausdrücklich verbot, mehr als zwei Aufträge gleichzeitig

anzunehmen.25 Solange das hohe Dach der Klosterkirche noch nicht den Blick versperrte, konnte Meister Eckhart wohl direkt hinüber zum Münster schauen. Dort ging es zur selben Zeit noch lebhafter zu, da man eben dabei war, das Westwerk der Bischofskirche unter der Bauleitung des Erwin von Steinbach fertigzustellen. 1318 setzte man das prachtvolle Rosenfenster ein. Etwa gleichzeitig wurde auch die Marienkapelle im nördlichen Langhauswinkel errichtet. Sie nahm den Altar der Bruderschaft unserer lieben Frau auf, an dem die Messen für die Wohltäter gefeiert wurden. Jeden Sonntag las der Priester ihre Namen aus dem Liber donationum des Münsters vor. Der stattliche Pergamentband war am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts angelegt worden und erinnerte an alle Schenkungen, meist in Form einer Seelmeßstiftung am Todestag des Gebers. „Lieben kinder", so beginnt er, „helffent mir got getruwentlichen bitten vor alle die menschen, lebenden und totten, die ir almusen und stür habent geben an das werck unser lieben frouw."26 In der gleichen Zeit, in der das Westwerk der Straßburger Kirche, nach den berühmten Worten des Bischofs, „wie die Blumen des Mai in mannigfaltigem Schmuck in die Höhe stieg",27 erweiterten die Predigerbrüder ihre Klosterkirche zum zweitgrößten Gotteshaus der Stadt. Auch sie waren für ihren Bau auf almusen und stür ihrer Mitbürger angewiesen. Und diese zeigten sich nicht kleinlich. Unversehens wurden so die Dominikaner zu Konkurrenten des die Stadt und das Bistum einigenden Opus sanctae Mariae. In einer Schenkungsurkunde von 1307 wird die bauliche Erweiterung ihres Klosters erstmals als Stiftungsanlaß erwähnt;28 in den folgenden Jahren heißt es noch viermal: „ad fabricam seu structuram chori et domus ordinis praedicatorum" o. ä. An einer Säule des rechten Seitenschiffs, gleich neben dem Haupteingang, auf den die Predigergasse vom Münster aus hinführt, erinnerte ein Epitaph an einen Wohltäter: „Am 22. April 1317 verstarb Frau Engula von Rodesheim, Gattin des Herrn Nikolaus |Zorn|, des Schultheißen der Stadt, der diese Säule errichten ließ nach der Anordnung des Bruders Konrad Cyps. Sie ruhe in Frieden. Amen."29 Möglicherweise war dieser Konrad Cyps Werkmeister. Jedenfalls scheint er zu den führenden Mitgliedern des 25 26 27 28

Cf. Urkundenbuch der Stadt Straßburg IV/2. Bearb. v. A. Schulte, G. Wolfram, Straßburg: Trübner, 1888, 25 sq. n. 20; 165 sq. n. 499f. L. Pfleger: „Das Schenkungsbuch des Straßburger Münsters". In: Elsaßland. Lothringer Heimat 15(1935), 101-106, hier 101. Indulgenzbrief des Straßburger Bischofs vom 28. 1. 1275. In: Urkundenbuch der Stadt Straßburg II, bearb. v. W. Wiegand, Straßburg: Trübner, 1886, 28 n. 42. Cf. Anm. 2 in: Urkundenbuch der Stadt Straßburg III (n. 19), 179. Die folgenden Aussagen zur wirtschaftlichen Situation des Klosters beruhen hauptsächlich auf der Auswertung der Bände III und VII des Straßburger Urkundenbuchs. Schmidt: „Notice" (n. 7), 201 n. 3. -

29

Der Straßburger Konvent der Predigerbrüder

157

Konvents gehört zu haben; 1321 folgt sein Name gleich hinter denen des Priors und des Subpriors. Eine Säule für die neue Kirche war nun nicht gerade das übliche Stiftungsgut, mit dem die Prediger rechnen konnten. In den Urkunden lesen wir von Geldspenden, wertvollen Gegenständen wie Silberkästchen oder Handschriften, vor allem aber von Natural- und Bodenrenten, Äckern, Grundstücken, Häusern und Hofstätten. Nicht selten wurde einem Bruder aus dem Konvent die lebenslängliche Nutzung einer Leibrente vorbehalten; erst nach seinem Tode sollte das Gut in die Verfügungsgewalt des Priors übergehen. Wird in den Urkunden der Stiftungszweck genannt, so waren Jahrtagsmessen und Gebete die selbstverständlichen liturgischen Leistungen, die der Stifter von den Brüdern erwartete. Das lag vor allem dann nahe, wenn eine Bestattung auf dem Klosterfriedhof vorgesehen war. Einige Stiftungen zielten auf eine verstärkte Zusammenarbeit der Dominikaner mit den Frauenklöstern ihres Ordens, indem die Nonnen als Adressatinnen verpflichtet wurden, jährlich einen bestimmten Ertrag aus dem Schenkungsgut an ihre Seelsorger weiterzugeben. Einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestritten die Brüder mit Einnahmen der Frauenklöster. Verschiedene Urkunden aber legten bereits fest, daß den Predigern das Stiftungsgut entzogen werden konnte, falls sie die eingegangenen Verpflichtungen nicht korrekt erfüllten. Fast immer war die Münsterbauhütte als mögliche Alternative angegeben: „Si fratres secus facerent, tune redditus debent cederé fabricae [ecclesiae Argentinensis]." („Wenn die Brüder sich nicht daran halten, müssen die Einnahmen an die Münsterfabrik übergehen.") In den zwanzig Jahren von 1306 bis 1325 wurden die Dominikaner über fünfzigmal als Stiftungsempfänger in den Urkunden bedacht. Vergleicht man Anzahl und Größe der Zuwendungen mit denen anderer geistlicher Institutionen der Stadt, so ergibt sich ein recht aufschlußreiches Bild. In diesen zwei Jahrzehnten erhielten die anderen Bettelordensgemeinschaften (Franziskaner und Augustiner-Eremiten) etwa ein Dutzend Schenkungen, die Wilhelmiten acht, die Dominikaner rund fünfzig. Dabei löste ihre Bautätigkeit zunächst keineswegs eine stärkere Hilfsbereitschaft der Bürger aus. 1306-1315 waren sie vierzehnmal in der Rolle des Empfängers, 1316-1325 aber fünfunddreißigmal. Die Prokuratoren der Münsterbauhütte konnten zwischen 1306 und 1315 etwa zwanzig Namen ins Stifterbuch eintragen, 1316-1325 kaum mehr, d.h. zum ersten Mal seit langer Zeit weniger als die Predigerbrüder. Das war bis dahin nur ein einziges Mal der Fall gewesen: in den siebziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts, als die Bürger sich gegen ihren bischöflichen Stadtherrn durchgesetzt hatten, ihre Entscheidungskompetenzen in Sachen Münsterbau jedoch noch ungeklärt waren.

Was haben diese

Beobachtungen Straßburger Predigerkonvents mit

Gewiß,

er

zur baulichen und wirtschaftlichen Situation des Meister Eckhart zu tun? Nichts oder ganz wenig. ist selbst namentlich in zwei Schenkungsvorgänge einbezogen, und er pro-

Eugen Hillenbrand

158

fitierte als Mitglied des Konvents auch von den verschiedenen Stiftungen der Piktantien, die allen Konventualen zugute kamen. Aber dem Prokurator des Klosters dürften die Haare zu Berge gestanden haben, falls er zufällig unter den Hörern saß, als der Meister über ein Wort aus dem Jakobusbrief predigte: „Die allerbeste Gabe und Vollkommenheit kommen von oben herab vom Vater der Lichter." (Predigt 4, DW I, 60; Übersetzung Josef Quint.) Da sinnierte der Prediger: „Wohlan, hört auf ein wahres Wort! Gäbe ein Mensch tausend Mark Goldes, auf daß man damit Kirchen und Klöster baute, das wäre eine große Sache. Und trotzdem hätte derjenige viel mehr gegeben, der tausend Mark für nichts achten könnte. Der hätte bei weitem mehr getan als jener!" (Predigt 4, DW I, 71; Übersetzung in Anlehnung an Quint.) Der Gedanke war Eckhart wichtig. Er formulierte ihn schon in seinen Reden der Unterscheidung, als er von den „innerlichen und ûzerlîchen werken" sprach (DW V, 300). Trotz seines Lobes der inneren Gesinnung scheint es mit dem Bau der Predigerkirche in Straßburg zügig weitergegangen zu sein. Denn es ist kaum denkbar, daß die deutschen Dominikaner ihr Provinzialkapitel 1331 nach Straßburg berufen hätten,30 wenn die Teilnehmer ihre Versammlungen nur zwischen Baugerüsten hätten abhalten können. Théodore Rieger datiert das Tympanon über dem Haupteingang in das zweite Jahrzehnt des vierzehnten Jahrhunderts und charakterisiert es als „véritable défi lancé à la cathédrale voisine"; das Maßwerk der Chorfenster entstand nach Roland Recht in der Zeit um 1325.31 Die in den Chroniken überlieferte Weihe der Kirche im Dezember 1345 erfolgte vermutlich lange nach dem Abschluß der Bauarbeiten. Eine andere Frage ist freilich, ob Meister Eckhart selbst schon in der im Umbau befindlichen Kirche seines Klosters predigen konnte. Loris Sturlese scheint davon auszugehen. Erst kürzlich gab er zu bedenken, man habe bei den allermeisten Predigten Eckharts nicht den geringsten Hinweis, daß sie vor Frauen vorgetragen wurden: „Ich würde bis zum Gegenbeweis annehmen, daß sie anläßlich der üblichen pastoralen Tätigkeit eines Dominikaners (d. h. vor dem Volk in der Kirche) stattfanden."32 Dieses Plädoyer für Meister Eckhart als Volksprediger bringt mich in Verlegenheit. Die äußeren Umstände und die inhaltlichen Kriterien seiner Predigten sprechen eher gegen Sturleses Annahme. *

* *

Während Eckhart in Straßburg wirkte, mußte sich seine Gemeinschaft drei Konflikten stellen, die das kirchliche und politische Leben der Stadt über Jahre hinweg stark belasteten. Im ersten ging es um Glaubensfragen, im zweiten um Verantwortung und Zuständigkeiten in der Seelsorge, im dritten um Reichspolitik. Alle drei Konflikte Cf. v. Loë: Statistisches (n. 11), 34. Th. Rieger: „Roses romanes et roses gothiques dans l'architecture religieuse alsacienne". In: Cahiers alsaciens d'archéologie, d'art et d'histoire 22 (1979), 67-105. hier 83 sq.; 102 Abb. 18; cf. Recht: L'Alsace gothique (n. 15), 127. L. Sturlese: Meister Eckhart. Ein Porträt. Regensburg: Pustet, 1993, 26 n. 84.

Der Straßburger Konvent der

Predigerbrüder

in Straßburg eng miteinander scharf zu wie gerade hier. waren

verknüpft

159 und

spitzten

sich wohl

nirgendwo

so

1. Am 13. August 1317 wandte sich Bischof Johann von Straßburg an den gesamten Welt- und Ordensklerus seines Bistums und legte das Ergebnis einer gründlichen Untersuchung (diligens inquisitio) vor: Es wohnten in Straßburg einige, die man im Volk Begarden und Schwestriones „Brot durch Gott" nenne, sie selbst bezeichneten sich als „aus der Sekte des freien Geistes" und als „Kinder, Schwestern und Brüder der freiwilligen Armut". Sie fänden in Stadt und Bistum Anhänger, „unter ihnen auch, worüber wir nur mit Schmerz sprechen, einige Ordensleute und Kleriker, auch einige Eheleute und viele andere, die eine alternative Lebensform suchten [ab aliis distincti diversis modis vivendi], Sie alle sind verstrickt in Irrtümer, die man bekämpfen muß."33 Unter sieben Aspekten versuchte der Bischof diese Irrtümer begrifflich zu fassen und zu ordnen, um sie als häretisch zu entlarven. Sie berührten Fragen der Theologie, Christologie, Ekklesiologie und Sakramentenlehre. Zum Schluß drohte er allen die Exkommunikation an, denen solche Aussagen nachgewiesen werden konnten, aber auch denen, die den Häretikern Verständnis und Wohlwollen entgegenbrachten, sie aufnahmen oder verteidigten. Diese Ketzer sollten aus ihren Häusern und Wohnungen ausgewiesen, der freiwerdende Wohnraum den Bedürftigen zur Verfügung gestellt, ihre Bücher verbrannt werden. Überraschenderweise aber forderte Bischof Johann am Ende seines umfangreichen Schreibens die Kleriker und Ordensleute zu genauer Differenzierung auf. Seine Verurteilung gelte weder den Tertiaren der Minderbrüder noch den ehrbaren weltlichen Beginen noch denen, die sich der Führung von Brüdern aus den approbierten Orden anvertraut hätten. Was der Straßburger Bischof im August 1317 verkündete, entsprach im Kern jenen beiden Dekreten, mit denen das Konzil von Vienne 1311 zum gleichen Konflikt Stellung bezogen hatte.34 Doch ging sein Brief der offiziellen Publikation der Konzilstexte durch Papst Johannes XXII. um fast ein Vierteljahr voraus; ein Beweis für die Dringlichkeit, mit der im Bistum Straßburg Richtlinien erwartet wurden! Und trotzdem konnten weder Bischof noch Konzil für Klarheit sorgen. „Es gibt", so klagte Bischof Johann dem Papst, „einige Prälaten und Pfarrherrn, die nicht in der

Patschovsky: „Straßburger Beginenverfolgungen im 14. Jahrhundert". In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 30 (1974), 56-198, hier 127-142; J.-Cl. Schmitt: Mort d'une hérésie. L'Eglise et les clercs face aux béguines et aux béghards du Rhin supérieur du XIVe au XVe

A.

siècle. Paris: Mouton, 1978. Clementinarum liber III, tit. 11, c. I: Cum de quibusdam mulieribus; V, tit. 3, c. 3: Ad nostrum (beide Vienne, November 1311). In: Corpus iuris canonici II: Decretalium collectiones, éd. E. Friedberg, Leipzig: Tauchnitz, 1881, col. 1 169; col. 1 183 sq; cf. E. Müller OFM: Das Konzil von Vienne 1311-1312. Seine Quellen und seine Geschichte. Münster i. W.: Aschendorff, 1934 (= Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 12).

Eugen Hillenbrand

160

Lage sind, zwischen guter und schlechter Lebensführung zu unterscheiden und die Spreu vom Weizen zu trennen."35 Die Konsequenz, die er daraus zog, war einfach. Im Januar 1319 verbot er den status beginarum grundsätzlich.36 Seine bisherige offene Haltung habe nur Ärgernisse und Gefährdungen (scandala et pericula) hervorgerufen. Nun verlangte er vom Klerus, alle Beginen ohne Unterschied (indifferenter) anzuweisen, ihren Stand aufzugeben, indem sie auf ihre besondere Kleidung verzichteten, regelmäßig ihre Pfarrkirche besuchten und sich wieder so wie andere Frauen verhielten (se conformando ceteris mulieribus). In einer zweiten Entscheidung vom selben Tage bezog der Bischof erstmals expressis verbis die beiden großen Bettelorden seiner Stadt in den Konflikt mit ein.37 Einigen unter ihnen werde von vielen Leuten vorgeworfen, die Beginen zu begünstigen, folglich seien sie selbst exkommuniziert und mit dem Makel der Irregularität behaftet, d. h. sie durften keine geistlichen Handlungen mehr vornehmen. Andere freilich würden dieser Auffassung völlig widersprechen. Deshalb bot der Bischof einen Kompromiß an: Er sprach sie von der Exkommunikation frei unter der Bedingung, daß sie sich in Zukunft ausdrücklich (effectualiter) von den Beginen distanzierten. Seitdem war auch Meister Eckhart dem Vorwurf der Begünstigung häretischer Lehren ausgesetzt. Er wurde, wie Ruh formuliert, „erst zum mystisch-spekulativen Prediger durch die dramatischen Ereignisse im 2. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts".38 Eckharts Ordensbruder Heinrich von Herford berichtet in seiner Weltchronik zum Jahre 1327, Papst Johannes XXII. habe eine Konstitution erlassen, die mit den Worten „In agro dominico" beginne, um besonders gefährliche, verdächtige und unbesonnene Lehren zu verurteilen. Es folgen einundzwanzig häretische Aussagen, von denen fast die Hälfte der gleichnamigen Verurteilungsbulle entstammt, die der Papst 1329 gegen ...

35

So zitiert Papst Johannes XXII. den Straßburger Bischof in einem Brief (vermutlich vom August 1318), worin er eine authentische Interpretation der Dekretale Cum de quibusdam mulieribus gibt: sicut in prefatis tuis inseruisti litteris, sunt nonnulli prelati et rectores ecclesiarum diversarum dyocesium, qui non discernentes inter bonam vitam et reproban!, ac frumenta non excutientes a paleis, occasione constitucionis nove posite tarn mulieres primas, que supersticiose, quam secundas, que laudabiliter vivunt, reprobant et indiscreta animadversione condempnant ..." (Patschovsky: „Straßburger Beginenverfolgungen" (n. 33), 150 sq.) 36 Cf. ibid. 153 sq. 37 Cf. ibid. 155 sq. 38 K. Ruh: „Meister Eckhart und die Spiritualität der Beginen". In: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 8 (1982), 323-334, hier 327, auch in: id.: Kleine Schriften II: Scholastik und Mystik im Spätmittelalter, ed. V. Mertens, Berlin: de Gruyter, 1984, 327-336, hier 330; cf. O. Langer: Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit. München: Artemis, 1987; Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter. Ed. P. Dinzelbacher, D. R. Bauer, Köln: Böhlau, 1988; Meister Eckhart and the Béguine Mystics. Hadewijch of Brabant, Mechthild of Magdeburg, and Marguerite Porete. Ed. B. McGinn, New York: Continuum. 1994. „...

...

...

Der Straßburger Konvent der Predigerbrüder

161

Meister Eckhart richtete. Aber Heinrich erwähnt Eckharts Namen nicht, sondern legt die Sätze häretischen Begarden und predigenden Beginen in den Mund.39 Eine ähnliche Mischform fand Ruh in einer mittelhochdeutschen Handschrift der Bibliothek Zürich.40 Die geistige Nähe der Dominikaner-Seelsorger zu den Beginen war durch die räumliche schon vorweggenommen.41 Dayton Phillips hat in seiner Untersuchung über die Beginen in Straßburg deren bevorzugte Niederlassungsgebiete in der unmittelbaren Nachbarschaft der beiden großen Bettelordensklöster beschrieben. Das Bild wird durch die überlieferten Schenkungsurkunden, worin Beginen erwähnt sind, klar bestätigt. Zwischen 1300 und 1320 findet man ca. vierzig solcher Urkunden. Über ein Drittel davon berücksichtigt die Dominikaner. Überraschend hoch ist die Zahl stattlicher testamentarischer Verfügungen im zweiten Jahrzehnt des vierzehnten Jahrhunderts. Ein Beispiel soll genügen: Im Februar 1318 wählte eine Begine namens Gertrud ihre Grabstätte auf dem Klosterfriedhof der Predigerbrüder, „wo das Wort Gottes gesät wird".42 Dafür vermachte sie den Brüdern ihr Haus mit Hof unter der Bedingung, daß diese das Haus gegen einen jährlichen Zins an ein oder zwei Personen verpachteten, die züchtig und keusch lebten. Der Begine standen wohl gute Berater des Klosters zur Seite, die in der Wortwahl auf die Beschlüsse des Konzils von Vienne achteten.

2. Von Anfang an wurden in der Beginenfrage die theologischen Probleme durch pastorale überlagert. Letztere fanden beim Klerus ein weitaus stärkeres Echo. Zur Diskussion standen nämlich die Privilegien der Seelsorgeorden. Obwohl Gratian die potestas praedicandi noch ganz selbstverständlich an das Weihesakrament und die seelsorgerliche Verantwortung gebunden hatte, war im dreizehnten Jahrhundert für viele Pfarrer die Lehraufgabe hinter dem sakramentalen Amt zurückgetreten. Deshalb unterstützten die Päpste den pastoralen Vorstoß der Bettelorden. Martin IV. entband sie 1281 sogar von der Zustimmung der Pfarrer und Bischöfe bei ihrer Seelsorgetätigkeit.43 Bonifaz VIII. aber schränkte 1300 den Freiraum durch die Bulle Super catheCf. Heinrich von Herford: Liber de rebus memorabilibus. Ed. A. Potthast, Göttingen: Dieterich, 1859, 247 sq. Cf. K. Ruh: „Volkssprachliches über Häresien". In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 110 (1981), 221-239, auch in: id.: Kleine Schriften II (n. 38), 255-274. Cf. D. Phillips: Béguines in Medieval Strasburg. A Study of the Social Aspect of Beguine Life. Thesis Stanford University, Calif., 1941; E. G. Neumann: Rheinisches Beginen- und Begardenwesen. Ein Mainzer Beitrag zur religiösen Bewegung am Rhein. Meisenheim am Glan: Hain, 1960; /. Grübet: Bettelorden und Frauenfrömmigkeit im 13. Jahrhundert. Das Verhältnis der Mendikanten zu Nonnenklöstern und Beginen am Beispiel Straßburg und Basel. München: tuduv, 1987. Urkundenbuch der Stadt Straßburg III (n. 19), 267 n. 880. Cf. Papst Martin IV.: Ad fructus uberes (1281 XII 13); Regesta pontificum Romanorum II, ed. A. Potthast, Berlin: de Decker, 1875; ND Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 1957, 1764 n. 21821.

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dram ein.44 Sein Nachfolger hob diese zwar wieder auf, doch 1311 verschafften die Konzilsväter in Vienne der Bonifaz-Dekretale erneut Geltung.45 Sie hatte einen modus vivendi im Verhältnis zwischen Säkular- und Regularklerus gesucht: Predigttätigkeit, Verwaltung des Bußsakramentes und Begräbnisrecht sollten in beiderseitigem Respekt und Vertrauen geregelt werden. Im Juli 1318 erläuterte der Straßburger Bischof seinem Weltklerus die Konzilsbeschlüsse.46 Vierzehn Tage später aber brachte das Domkapitel ein Aktionsbündnis von nicht weniger als achtunddreißig Klerikerstiften und alten Klöstern des Bistums gegen die Straßburger Dominikaner und Franziskaner zustande.47 Der Vorwurf lautete: Die Mendikanten unterliefen „mit ausgetüftelten Deutungen und ausgeklügelten Betrügereien" (excogitatis interpretationibus ac fraudibus exquisitis)4& die Konzilsbestimmungen. Ihr Handeln schade der Kirche, demonstriere Ungehorsam gegenüber der Kurie und fördere die Spaltung in der Kirche. Umgehend reagierten die Mendikanten auf diese massiven Vorwürfe. Der Guardian des Franziskanerklosters und der Prior des Dominikanerklosters sprachen gemeinsam beim Bischof vor. Das Ergebnis war ziemlich deprimierend. In einem Schreiben vom Februar 1319 teilte der Straßburger Oberhirte seinem Klerus mit, er habe beiden Orden zugestanden, daß ausgewählte und ihm präsentierte Brüder Beichte hören, Buße verhängen und Absolution erteilen dürften.49 Über andere geistliche Handlungen, zu denen Ordinierte berechtigt wären, wurde kein Wort gesagt. Bischof Johann beanspruchte also nicht nur die Kontrolle über die in der Seelsorge tätigen Ordensbrüder, er schränkte ihr Wirken auch so weit wie möglich ein. Ohne Zweifel gab er damit dem Druck seiner Domherren nach. Ein halbes Jahr später schloß er mit ebendiesen einen Vertrag,50 der sich nun gegen zwei Gruppen in seiner Stadt richtete: zum einen gegen die Mendikanten, die „suadente diabolo" den Klerikerstand mißachteten und dessen Rechte in den Pfarreien für sich beanspruchten „mit ausgeklügelten und unerlaubten Methoden" (exquisitis et illicitis viis et modis); zum anderen gegen Meister, Rat und Bürgerschaft der Stadt, die ebenfalls in ungerechter Weise den Klerikerstand unterdrückten und rücksichtslos die kirchliche Freiheit zerstörten. Was konkret damit gemeint ist, erfahren wir nicht. 44 45

46 47 48 49 50

Papst Bonifaz VIII: Super cathedram praeeminentiae (1300 II 18): Regesta pontificum Romanorum II (n. 43), 1992 n. 24913. Cf. Papst Benedikt XL: ínter cunetas sollicitudines ( 1304 II 17); Regesta pontificum Romanorum II (n. 43), 2031 n. 25370; Clementinarum liber III, tit. 7, c. 2: Dudum a Bonifacio (Konzil von Vienne, 1311/1312). In: Corpus iuris canonici II (n. 34), col. 1161-1164; Müller: Das Konzil von Vienne (n. 34), 491-564. Cf. St. A. Würdtwein: Nova subsidia diplomática ad selecta juris ecclesiastici Germaniae et historiarum capita elucidando XIII. Heidelberg: Goebhardt, 1789, 301-310. Cf. Urkundenbuch der Stadt Straßburg II (n. 27), 324-326 n. 370. Ibid. 325.

Cf. Patschovsky: „Straßburger Beginenverfolgungen" (n. 33), 158 sq. Urkundenbuch der Stadt Straßburg II (n. 27), 341-343 n. 388.

n.

8.

Der

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Nur die Abwehrmaßnahmen gegen beide Gruppen sind klar formuliert. Im Streit mit den Mendikanten rechneten Bischof und Domkapitel nicht mehr mit einer bistumsinternen Schlichtung. Durch Prokuratoren sollten deshalb alle strittigen Punkte der Römischen Kurie zur Entscheidung vorgelegt werden. Im Konflikt mit den städtischen Behörden traf man am Bischofshof ernsthafte Kriegsvorbereitungen. Siebenmal erscheint in dem Vertrag das Wort .guerra'. Sämtliche Kirchen und Klöster des Bistums sollten eine Abgabe an den Bischof entrichten, damit er, falls es zum Krieg käme, genügend Mittel habe, um die Unterstützung des Adels zu gewinnen und Truppen auszurüsten. Diese Vereinbarung ist nur vor dem Hintergrund der Reichspolitik des Straßburger Bischofs erklärbar.51

3. Die politische Lage im Reich war seit der zwiespältigen Königswahl und -krönung im Herbst 1314 äußerst gespannt.52 Der eine der beiden Herrscher, Friedrich der Schöne von Habsburg, war bereits im März 1315 in Straßburg eingezogen. Aber: Obwohl er der Stadt alle bisherigen Rechte feierlich bestätigte, schickten die Räte dem anderen König, Ludwig dem Bayern, umgehend eine Botschaft. Beflissen versicherten sie ihm, die Bürgergemeinde habe den Habsburger nicht als König empfangen, dem man Rat und Hilfe schulde, sondern nur als einen Gast auf der Durchreise. Die Huldigung für den neuen König machten sie zur Sache des Klerus und der Ordensleute, nicht der Bürgerschaft.53 Straßburg war in zwei Lager geteilt. Der Bischof gehörte zu den entschiedensten Parteigängern Friedrichs des Schönen. Seine Habsburgernähe überrascht keineswegs, da er bereits 1303-1308 als Kanzler von Friedrichs Vater Albrecht I. tätig war. Die Bürgerschaft aber wollte nicht Handlanger seiner Reichspolitik sein, sondern sich strikt neutral verhalten. Im September 1319 beschworen Bischof und Domkapitel das Gespenst des Krieges. Zehn Monate später führte Friedrichs Bruder, Herzog Leopold von Habsburg, zusammen mit Bischof Johann ein Heer gegen Ludwig, der sich in aufhielt. Städte von Gallen bis St. Speyer Neunundachtzig Heidelberg, auch die Bischofsstädte Konstanz und Basel, hatten dazu Kontingente gestellt, die Straßburger nicht.54 Sie betrieben eine Politik gegen ihren Bischof. Im August empfingen sie den Cf. Patschovsky: „Straßburger Beginenverfolgungen" (n. 33), 94 n. 82; N. Rosenkränzer: Bischof Johann 1. von Straßburg genannt von Dürbheim. Trier: Dasbach, 1881 ; J. Bernoulli: „Propst Johann von Zürich. König Albrechts I. Kanzler". In: Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 42 (1917), 281-334. Cf. H. Thomas: Ludwig der Bayer (1282-1347). Kaiser und Ketzer. Regensburg: Pustet, 1993, bes. 43-109. Das geht aus einem Schreiben hervor, das Ludwig der Bayer am 11. April 1315 an Meister und Rat der Stadt Straßburg gerichtet hat; Constitutiones et acta publica imperatorum et regum V: Inde ab a. MCCCXU1 usque ad a. MCCCXXIV. Ed. J. Schwalm, Hannover: Hahn, 1909-1913, 218 sq. n. 255 (= Monumenta Germaniae Histórica, Leges IV). Urkunden zur Geschichte der Stadt Speyer. Ed. A. Hilgard, Straßburg: Trübner, 1885, 261 n. 328.

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Witteisbacher „in maiori ecclesia", also in der Bischofskirche, und ließen sich von ihm ihre Privilegien bestätigen.55 Die Konfrontation verschärfte sich noch mehr, als Papst Johannes XXII. im Herbst 1323 endgültig entschied, „daß kein König in Deutschland sein Amt ausüben darf, solange seine Wahl nicht durch den Papst geprüft und bestätigt ist" (examinata et confirmata).56 Die päpstlichen Prozesse gegen König Ludwig konnten die Lage nicht klären. Zwar beschwor der Papst den Straßburger Bischof, die Räte seiner Stadt von ihrer renitenten Sturheit (duritia renitens) abzubringen und zum Gehorsam gegenüber der heiligen Kirche zu bewegen. Sie aber erläuterten der Kurie ihr Festhalten an der Neutralität:57 „Wir haben uns beiden gewählten Königen gegenüber korrekt [legaliter\ verhalten, die Stadt hat keinen dem andern vorgezogen, sondern das Wohlwollen beider gewahrt und wurde so in Ruhe gelassen." Deshalb lehnten sie die Publikation der Prozesse gegen Ludwig den Bayern ab. Viele mächtige Adlige in der Nachbarschaft der Stadt stünden fest zum Witteisbacher, und in der Stadt selbst bräche sonst ein großes Gemetzel zwischen den Anhängern beider Seiten aus. Kühl machten sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf: „Uns wäre eine Publikation nur sehr schädlich, Eurer Heiligkeit würde sie keinen oder nur geringen Nutzen bringen." Eine Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Analyse lieferte ungewollt der Bischof selbst. Er meldete nach Avignon enorme Schäden, die seiner Kirche durch Brandstiftung, Verwüstung und Raub von den Feinden der Kirche zugefügt worden seien.58 Welche Rolle spielten in diesem Kampf die Straßburger Predigerbrüder? Sie waren dem Papst schon deshalb in besonderer Weise verpflichtet, weil er 1323 den großen Ordenslehrer Thomas von Aquin heiliggesprochen hatte. Zum Dank schärfte der Generalmagister seinen Brüdern ein: „Es ziemt sich, daß ihr den frommen und heiligen Eifer des Papstes mit den geistigen Waffen, die ihr besitzt, aus Kräften unterstützt!"59 Vergebens wird man in den Predigten Meister Eckharts nach Stellen suchen, die als geistige Waffen im Kampf der Kirche gegen äußere Feinde gedeutet werden könnten. Und wenn da ausnahmsweise ein Reizwort aus dem politischen Tagesgespräch auftaucht, wie etwa ,regnum', dann dürfte es nicht gerade im kurialen Sinne verwendet -

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Die Chronik des Mathias von Neuenburg. Ed. A. Hofmeister, Berlin: Weidmann, 1924-1940, 111 (= Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores, Nova series 4). Bericht des aragonesischen Gesandten über die Haltung des Papstes gegenüber dem deutschen König, Oktober 1323; Constitutiones V (n. 53), 612 sq. n. 788. Constitutiones V (n. 53), 703 sq. n. 889. Das ergibt sich aus einem Brief, den Papst Johannes XXII. am 28. September 1324 an den Straßburger Bischof geschickt hat. (S. Riezler: Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Ludwigs des Bayern. Innsbruck: Wagner, 1891, 193 n. 405.) Litterae encyclicae Magistrorum O. P. Ed. B. M. Reichert, Rom: Institutum Historicum Fratrum Praedicatorum. 1900, 236 (= Monumenta Ordinis Praedicatorum Histórica 5); E. Hillenbrand: „Kurie und Generalkapitel des Predigerordens unter Johannes XXII. (1316-1334)". In: Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, ed. J. Fleckenstein. K. Schmid, Freiburg: Herder, 1968, 499-515.

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worden sein. So fügte er dem Schriftwort: prope est regnum dei" die folgende bei: ich ein künic und waere ich des niht enweste, ich enwaere niht „Daz Überlegung ein künic. Aber, haete ich des einen ganzen wän, daz ich ein künic waere, und waenden des alle die Hute mit mir und ich weste das vür war, daz des alle die Hute waenden, so waere ich ein künic, und so waere aller der richtuom des küniges mîn, und des engebraeche mir nihtes niht." (Predigt 68, DW III, 140 sq.) Die Anerkennung durch die Gesamtheit macht demnach den König zum König, nicht die examinatio und confirmatio durch eine übergeordnete Instanz! Mit diesem Deutungsmuster dürfte Meister Eckhart den Vorstellungen vieler Brüder seines Straßburger Konventes entsprochen haben. Denn die Verflechtung der Klostergemeinschaft mit der städtischen Führungsschicht war, soweit das über die Namen in den Urkunden nachprüfbar ist, groß. Manchen Familien diente das Dominikanerkloster geradezu als eine Art Hauskloster, dem sie nicht nur Schenkungen zuführten, sondern auch Mitglieder. Die Straßburger Adelsfamilien der Kageneck, Großstein, Schäffolzheim, Küchenmeister, Erstein u. a. konnten dabei auch die Leitungsfunktionen im Konvent übernehmen. Dasselbe gilt für die Frauenklöster des Ordens. Diese Geschlechter gehörten zu den Entscheidungsträgern der Stadt. Etwa ein Drittel der Namen, die im Straßburger Ratsverzeichnis von 1322 aufgeführt sind, findet man auch bei den Dominikanern.60 Es ist deshalb kaum anzunehmen, daß die politischen Auseinandersetzungen dieser Jahre spurlos am Predigerkloster vorbeigegangen sind. Man muß sich hüten, die Gemeinschaft als eine homogene Gruppe zu sehen. Der Straßburger Geschichtsschreiber Jacob Twinger von Königshofen spricht in diesem Zusammenhang von „großer irrunge und zweiunge under der pfafheit in des riches stetten und in frigen stetten".61 Wenn die Generalkapitel des Ordens sich 1321 und 1325 gezwungen sahen, Disziplinarmaßnahmen gegen Mitglieder des Straßburger Konvents zu ergreifen, dann könnten die Ursachen auch in politischen Meinungsverschiedenheiten zu suchen sein. 1321 wurden zwei Brüder hart bestraft, weil sie den Provinzialprior verprügelt hatten,62 1325 wurden zwanzig Theologiestudenten in ihre Heimatkonvente zurückgeschickt, weil sie sich, angeführt von ihrem Studienleiter, gemeinsam gegen „ehrenhafte Entscheidungen" (ordinationes honéstete) des Priors gestellt hatten.63 In den Akten des Generalkapitels steht übrigens unmittelbar vor diesem Passus das Urteil gegen den Regensburger Prior, der strafversetzt wurde, weil er sich weigerte, die päpstlichen Prozesse gegen Ludwig den Bayern zu veröffentlichen. Zum Straßburger Konvent gehörte auch Wilhelm von Nidecke, einer der beiden Dominikanerbrüder, die Meister Eckhart der Häresie bezichtigten. Wilhelm soll während „...

60 61

62 63

Cf. Urkundenbuch der Stadt Straßburg III (n. 19), 429. Chronik des Jacob Twinger von Königshofen. Ed. C. schen Stcidte: Straßburg I (n. 13), 469. Cf. Acta capitulorum generalium (n. 12), 135. Ibid. 160.

Hegel,

in: Die Chroniken der oberrheini-

Eugen Hillenbrand

166 des Verfahrens damit Oberitalien begeben.64

gedroht haben,

er

werde sich

*

zu

Ludwig

dem

Bayern

nach

*

*

Straßburg als Lebensstation Meister Eckharts brachte den großen Gelehrten und Seelsorger in heftige Stürme. Seine Gemeinschaft mußte sich während dieser Jahre harten theologischen, kirchenrechtlichen und politischen Konflikten stellen. Man gewinnt

freilich den Eindruck, daß Eckhart das Fenster seiner Klosterzelle fest verschlossen hielt. Offen beschrieb er in einer Predigt den Erwartungsdruck, unter dem er als Seelsorger stand: „Die Leute sagen oft zu mir: ,Bittet für mich!'" (Predigt 5b, DW I, 95; Übersetzung Quint.) Diese Mittlerfunktion aber wollte er für sich nicht in Anspruch nehmen; er zeigte den Hilfesuchenden einen andern Weg: „war umbe gât ir ûz? war umbe blîbet ir niht in iu selben und grifet in iuwer eigen guot? ir traget doch alle wärheit wesenlich in iu." (Ibid., DW I, 95.) Der Ratschlag verweist auf das Grundanliegen seines Predigens: daß man des Adels den in die Seele auf daß der Mensch Gott großen gedenken soll, gelegt hat, damit auf wunderbare Weise zu Gott komme." (Predigt 53, DW II, 528; Übersetzung Quint.) Schon in den Reden der Unterscheidung, die Eckhart nach 1295 in Erfurt gehalten hatte, belehrte er seine Zuhörerinnen, daß alle, die „Gott haben" wollen, sich mühen müssen um „Fleiß und Liebe und ein rechtes Wahrnehmen ihres Innern und ein waches, wahrhaftiges, vernünftiges und wirkliches Wissen, worauf das Gemüt gerichtet ist mitten in den Dingen und unter den Leuten." „Diz enmac der mensche niht gelernen mit vliehenne, daz er diu dinc vliuhet und sich an die einœde kêret von ûzwendicheit; sunder er muoz ein innerlich einœde lernen, swâ oder bî swem er ist." (Rede der underscheidunge, c. 6: „Von der abegescheidenheit und von habenne gotes"; DW V, 200-209, hier 207.) In Straßburg lebte Meister Eckhart mitten in den Dingen und unter den Leuten. Eine Flucht kam für ihn nicht in Frage. Die ihm übertragene Aufgabe der religiösen Unterweisung in den zahlreichen Frauenklöstern seiner Ordensprovinz nahm er mit aller Konsequenz an. Für deren Spiritualität war er offen und suchte als Theologe, sie in die Orthodoxie einzubinden. Das Ötenbacher Schwesternbuch berichtet von einer Nonne, die in ihrer religiösen Not den Rat gelehrter Leute suchte; „ze einem male klagte si es meister eckhart, der sprach: do gehört kein zeitlich Weisheit zu, es ist ein lautter gottes werck; do hilffet nihtz für, denn das man sich jn einer freyen gelasenheit gottes treuen befelhe".65 „...

M.-H. Laurent OP: Autor du procès de Maître Eckhart. Les documents des Archives Vaticanes. In: Divus Thomas (Piacenza) 39 (= HI/13) (1936), 331-348; 430-447, hier 434. Die Stiftung des Klosters Oetenbach und das Leben der seligen Schwestern daselbst. Ed. H. Zeller-Werdmüller, J. Bächlold, in: Zürcher Taschenbuch. N. F. 12 (1889), 262 sq.; „Acta Echardiana" (n. 1). n. 42; LW V. 188.

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Die Kraft dieser inneren Freiheit, die Meister Eckhart einforderte, wird erst deutlich im Spannungsverhältnis zum gelebten Alltag unter den Menschen.

Eugen

168

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Abb. I. M. Merian,

Straßburg

1643.

Hillenbrand

Der

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169

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