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German Pages 198 [199] Year 1983
Burkhard Mojsisch · Meister Eckhart
BURKHARD MOJSISCH
MEISTER ECKHART Analogie, Univozität und Einheit
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-0595-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2750-8
© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1983. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de
INHALT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis der Werke Meister Eckharts . . . . . . . . . Andere Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
x
1.
1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 3.3.
Einleitung ........................................ . Rücksicht - ein methodologisches Prinzip ............... . Meister Eckharts "nach dem nemenne" ................. . "Per rationes naturales philosophorum" - Eckharts Programm Disposition ....................................... . Vernunft und vernünftiges Erkennen Gottes: die Nicht-Relationalität absoluter Intellektualität Die Wende ....................................... . Von Albert dem Großen über Dietrich von Freiberg zu Meister Eckhart ................................... . Albert der Große: der tätige Intellekt als Komparativinstanz für die göttliche Vernunft ...................... . Dietrich von Freiberg: Gott als intellectivum und die Theorie der causa essentialis .......................... . Meister Eckhart: causa essentialis und principium essentiale .. . Die Gedankenentwicklung in der ,Quaestio Parisiensis I' .... . "Intelligere fundamenturn ipsius esse" .................. . Die Disjunktion ,göttliche Vernunft- geschaffenes Sein' ... . Präsuppositionen .................................. . Fortgang zum Erweisziel: die göttliche Vernunft in ihrer nicht-relationalen Geschiedenheit von allem, was sie nicht ist ... Das Wesen Gottes als Vernunft: Vernunft als Grund des göttlichen Seins ................................... . Der Ertrag der ,Quaestio Parisiensis I' und ein mit ihm verknüpftes Unbehagen ............................. . Analogie ......................................... Derterminus generalis ,Sein' und sein Zusammenhang mit der causa-essentialis-Theorie .......................... "Esse est deus": die Argumente zur Identität von Sein und Gott ........................................ Das bestimmte Sein als Bestimmtes und als Sein ..........
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VI
3.4.
Inhalt
Analogie und Sein ................................. .
Univozität ....................................... Die Differenz zwischen dem analogen Relationsverhältnis und der Univozität ................................. 4.2. Univoke Korrelationalität im Bereich der Natur ........... 4.3. Die Struktur univoker Korrelationalität im Gegensatz zur analogen Relationalität im Bereich der Natur wie der Fertigkeit und im göttlich-geistigen Bereich .............. 4.3.1. Das Paradigma ,Gerechtigkeit - Gerechter' .............. Guter - Gutheit und Gerechter - Gerechtigkeit im 4.3.2. ,Buoch der goetlichen troestunge' und in den Predigten 6 und 39 ......................................... Das Paradigma ,Urbild- Bild' ........................ 4.3.3. 4.3.3.1. Eckhart und J ohannes Picardi von Lichtenberg ........... 4.3.3.2. Johannes Picardi von Lichtenbergs imago-Theorie: Charakterisierung und Beurteilung ..................... 4.3.3.3. Eckharts imago-Theorie ............................. 4. 4.1.
5.
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Einheit .......................................... . 5.1. Negatio negationis ................................. . Das unum in der Transzendentalientheorie Dietrich von 5.1.1. Freibergs: privatio privationis als privatio - die Unaufhebbarkeit negativer Bestimmtheit des unum ................ . unum bei Eckhart: Grund des Seins oder Einheit ...... . Das 5.1.2. Objektive Paradoxaltheorie: das unum als indistinctum ..... . 5.2. Die indistinctum-Argumente: das Ununterschiedene in 5.2.1. seiner Unterschiedenheit und Ununterschiedenheit gegenüber allem Unterschiedenen .......................... . Rezeption der indistinctum-Theorie durch Nikolaus Die 5.2.2. von Kues ........................................ . Die Leistung der indistinctum-Theorie Eckharts: 5.2.3. Verknüpfung der Theorieteile ,Analogie', ,Univozität' und ,Einheit' ......................................... . Einheit, Wesen, Vernunft, Sein, Nichts in ihrer Konvergenz 5.2.4. und Differenz ..................................... . 5.2.4.1. Die Priorität der göttlichen Vernunft gegenüber dem mit ihr identischen Sein: das transzendentale principium als Einheit von Wesen und Sein und die Perspektive der Eigenständigkeit des Wesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4.2. Jakob von Metz: Zur Duplizität des Wesensbegriffs (die essentia secundum se et absolute considerata als Ursprung des göttlichen Seins und die essentia qua attributum) und zur Identität von absolutem Wesen und Vernunft . . . . . . . . . .
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Inhalt
5.2.4.3. ,Isticheit' bei Eckhart: das dem transzendentalen principium immanente Wesen .............................. 5.2.4.4. Einheit, Wesen, Sein, Vernunft: ihre unterschiedlichen Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4.5. Das Nichts als essentia divina oder als transzendentales Sein . . . . 5.2.4.6. Die sog. ,Rechtfertigungsschrift' als Spiegel des Perspektivenwechsels: die Identität von transzendentalem Sein und göttlichem Erkennen und die Priorität der Vernunft als indistinctum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.1. 6.4.2. 6.5.1. 6.5.2. 6.5.3. 7.
Theorie der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhart auf dem Grat zwischen progressiver Orthodoxie und Häresie: seine Erweisabsicht, das Selbstverständnis des Menschen zu revolutionieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Werden Gottes durch das Ich als causa sui ............. Eckharts Aristoteleskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seele und ihre Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Lassen als ein Mit-nichts-etwas-gemein-Haben: die mögliche Vernunft als Möglichkeit transzendentalunivoker Erkenntnis ................................. Der Grund oder das Fünklein der Seele in seiner analogen Relationalität und univoken Korrelationalität . . . . . . . . . . . . . Das Univozitätstheorem der Gottesgeburt im Seelengrund: seine Bedeutung und weiterweisende Grenze .............. Der Seelengrund als Einheit: Verlassen des Eigenen und aus dem Eigenen leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
100 105 106
108 111
111 118 12 0 12 3 126 130 135 139
Schluß ........................................... 145
Anhang .......... ........................................ Iohannes Picardi de Lichtenberg: Quaestio XXII - Utrum imago trinitatis sit in anima vel secund um actus vel secund um potentiam . . . . A.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.l.l. Handschriftliche Uberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.l.2. Abfassungszeit der Quaestio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.l.3. Gliederung der Quaestio .............................. Text der Quaestio XXII .............................. A.2.
14 7 14 7 14 7 14 7 14 7 14 7 148
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 7 5 Sachregister .............................................. 181
VORWORT
Eine neue Interpretation zu Meister Eckhart verdient nur dann den Titel "neu", wenn es ihr gelingt, dem Denken Eckharts den Schein seiner Undurchschaubarkeit zu nehmen, bisher unbeachtete philosophiehistorische wie systematische Zusammenhänge als für dieses Denkeri konstitutiv zu erweisen und damit ein prinzipielles Umdenken beim Nachdenken über dieses Denken zu evozieren. Gelegenheit zu eigenem Nachdenken über Eckhart bot mir Herr Prof. Dr. Kurt Flasch, der der Arbeit stets besondere Aufmerksamkeit schenkte; dafür danke ich ihm herzlich. Für kritische Hinweise danke ich den Herren Prof. Dr. Günter Gawlick, Prof. Dr. Ludwig Hödl, Prof. Dr. Klaus Hufeland, Prof. Dr. Jakob Muth, Prof. Dr. Willi Oelmüller und Prof. Dr. Bernhard Waldenfels. Dankbar gedenke ich ferner der Gespräche mit meinen Freunden StR Peter Gardeya (Westerholt), Prof. Dr. Ruedi Imbach (Fribourg), Alain de Libera (Attache de recherche au C.N.R.S., Paris), Dr. Maria Rita Pagnoni-Sturlese (Pisa), Dr. Rudolf Rehn (Bochum), StR Dr. Hartmut Steffan (Dorsten), Dr. Loris Sturlese (Pisa) und Emilie Zum Brunn (Chercheur au C.N.R.S., Paris), Gespräche, die meinem Nachdenken über Eckhart sehr förderlich gewesen sind. Meinem Freund OStR Gerd Ludwig (Hagen) danke ich darüber hinaus für seine hilfreiche Unterstützung beim Lesen der Druckfahnen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich wegen einer großzügigen Druckbeihilfe zu Dank verpflichtet. Schließlich gebührt mein Dank dem Felix Meiner Verlag, einem Verlag, mit dem die Zusammenarbeit nicht besser hätte sein können. Bochum, im März 1983
Burkhard Mojsisch
ABKüRZUNGSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis der Werke Meister Eckharts 1293-1294 Coll. in Sent. Sermo Paschalis
Collatio in libros Sententiarum U. Koch, LW V, 17-26). Sermo Paschalis a. 1294 Parisius habitus (Th. Kaeppeli).
1293-1294 (?) Sermo die b.Augustini Sermo die beati Augustini Parisius habitus (B. Geyer, LW V, Parisius habitus 89-99). Tract. s. orat. dom. Tractatus super oratione dominica (E. Seeberg, LW V, 109-128). 1302-1303 Quaest. Par. I Quaest. Par. II ,Quaest. Par. 111'
1305 Ep.
Quaestio Parisiensis 1: Utrum in deo sit idem esse et intelligere (B. Geyer, LW V, 37-48). Quaestio Parisiensis II: Utrum intelligere angeli, ut dicit actionem, sit suum esse (B. Geyer, LW V, 49-54). ,Quaestio Parisiensis 111': Utrum laus dei in patria sit nobilior eius dilectione in via (B. Geyer, LW V, 59-64).
Epistula Eckardi (J. Koch, Kleine Schriften I, 268).
1311-1312 Quaest. Par. IV Quaest. Par. V
1302-1325 (?) Pro!. gener. Pro!. op. prop. Pro!. op. expos. I Pro!. op. expos. II In Gen. I In Gen. II In Exod. In Eccli. In Sap. In Cant. Cant. In loh. Serm.
Quaestio Parisiensis IV: Utrum aliquem motum esse sine termino implicet contradictionem (B. Geyer, LW V, 72-76). Quaestio Parisiensis V: Utrum in corpore Christi morientis in cruce remanserint formae eiementarum (B. Geyer, LW V, 77-83).
Prologus generalis in opus tripartitum (K. Weiß, LW I, 148-165). Prologus in opus propositionum (K. Weiß, LW I, 166-182). Prologus in opus expositionum I (K. Weiß, LW I, 183 ). Prologus in opus expositionum II (K. Weiß, LW I, 183-184). Expositio libri Genesis (K. Weiß, LW I, 185-444). Liber parabolarum Genesis (K. Weiß, LW I, 447-702). Expositio libri Exodi (K. Weiß, LW li, 1-227). Sermones et lectiones super Ecclesiastici c. 24, 23-31 U. Koch, LW li, 231-300). Expositio libri Sapientiae U· Koch, LW li, 303-634). Expositianis Cantici Canticorum quae supersunt (H. Fischer, LW li, 637-639). Expositio sancti evangelii secundum Iohannem (K. Christ, B. Decker,J. Koch, H. Fischer, A. Zimmermann, LW III, 3-624). Sermones (E. Benz, B. Decker,J. Koch, LW IV, 3-468).
Abkürzungsverzeichnis
1326-1329 Proc. Co!. I Proc. Co!. II Gutachten Acten Pr.
RdU BgT VeM Von abegesch.
XI
Processus Coloniensis Parsprior (G. Thery, 157-207). Processus Coloniensis Pars altera (G. Thery, 208-268). Ein Gutachten aus dem Eckehart·Prozeß in Avignon (Fr. Pelster). Acten zum Processe Meister Eckebarts (H. Denifle). Predigten (1-24: J. Quint, DW I, 3-423; 25-59: J. Quint, DW II, 3-636; 60-86: J. Quint, DW 111, 3-503). Die rede der underscheidunge (vor 1298;J. Quint, DW V, 137376). Daz buoch der goetlichen troestunge (zwischen 1308 und 13111314;]. Quint, DW V, 1-105). Von dem edeln menschen (zwischen 1308 und 1311-1314; J. Quint, DW V, 106-136). Von abegescheidenheit (J. Quint, DW V, 377-468).
Andere Abkürzungen a
a.
ad I. arg. art. b c.
cc
cf. cod. comm. CSEL dist. DW;LW ed. Ed. Colon. fol. hom. ibid. in contr. inqu. I. lect. membr. n. N. F.
N. S.
p.
1. Kolumne articulus ad locum argurnenturn articulus 2. Kolumne capitulum Corpus Christianorum confer codex commentum Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum distinctio Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg. im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart 1936ff. (DW =Deutsche Werke; LW= Lateinische Werke). edidit Editio Coloniensis folio homilia ibidem in contrarium inquisitio liber lectio membrum numerus Neue Folge New Series pars
XII Pf. PG PL prooem. prop. q. q. un. Quint P/T r
resp. SC.
sect. solut. t. comm. tr. tr. introduct. V
v.
Abkürzungsverzeichnis Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hrsg. von Fr. Pfeiffer, Bd. 2: Meister Eckhart, Aalen 1962 (Neudr. der Ausgabe Leipzig 1857). Patrologia Graeca Patrologia Latina prooemium propositio quaestio quaestio unica Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. und übers. vonJ. Quint, München, 2. Auf!., 1963. recto responsio scilicet sectio solutio textus commentum tractatus tractatus introductorius ver so versus
1. EINLEITUNG
1.1. Rücksicht -ein methodologisches Prinzip Denken ist seit Platon der Perspektivität der Perspektive oder Rücksicht ver· pflichtet 1• Dem Denken, verstanden als Rede 2, ist es möglich, stets neu und unbegrenzt Gedachtes zur Sprache zu bringen, dies jedoch deshalb, weil das Denken in jeder bestimmten Rede sich der Begrenztheit dieser Rede bewußt ist. Denken ist somit nicht nur Vollzug von Determinationen, sondern bedenkt in einem derartigen Vollzug sich selbst auch als ein solches, das sich selbst nur insofern zu legitimieren vermag, als es nicht versäumt, seine Determinationen zu rechtfertigen. Die Selbstlegitimation des Denkens als Rechtfertigung seiner Determinationen manifestiert sich aber im Aufweis der Rücksichten, unter denen jegliche Determination erfolgt und die gerade dadurch, daß sie die Vorläufigkeit von Determinationen zu erkennen geben, den Determinationen erlauben, ihren - wenngleich begrenzten - Anspruch zu behaupten. Wer bei bloßen Namen stehenbleibt, liefert sich etikettenhaftem Denken aus, das vorgibt, die Bedeutung des zu Bedenkenden adäquat zu erfassen, vergißt dabei jedoch, daß eben diese Bedeutung sich überhaupt erst konstituiert im Bedenken der Rücksichten, denen eine Bestimmung unterliegt. Der Name ist daher an ihm selbst bereits ein Beziehungsgeflecht einer Vielfalt von Bestimmungen, somit eine bloße Abstraktion, wenn er ohne diese Vielfalt vorgestellt wird, eine sinnvolle Bedeutungseinheit hingegen, wenn er als bestimmter gewußt wird, als ein solcher, der sich aus dem Relationsgeflecht von Bestimmungen ausgegliedert hat, ohne seine Konstitutionsprinzipien vergessen zu lassen. Eine sinnvolle Bedeutungseinheit stellt dann auch die Bedeutungslosigkeit der Bedeutung eines Namens dar, wenn nur die Rücksicht angegeben wird, aufgrund deren ein Name als bedeutungsleer zu denken ist. Was auf den Namen zutrifft, gilt auch für den Satz. Der Satz kann selbst wieder als Bedeutungsvielheit und zugleich als Bedeutungseinheit gedacht werden. Als Bedeutungsvielheit dient er dazu, einen sinnvollen Gedanken in seiner Verzweigtheit zum Ausdruck zu bringen, als Bedeutungseinheit, diese Vielheit noch als einen Sinn erscheinen zu lassen. Dieser eine Sinn ist jedoch nur herauslösbar aus einer Vielheit von Sätzen, die, gesprochen oder nicht, den einen Satz begründen. Ein Kontext, ein Beziehungsgeflecht von Sätzen, 1 Vgl. Plato, Soph. 259 c 7-d 7. Vgl. C. L. W. Heyder, Kritische Darstellung und Vergleichung der Methoden Aristotelischer und Hegel'scher Dialektik, Bd. I, 1. Abt.: Die Methodologie der Aristotelischen Philosophie und der früheren griechischen Systeme, Erlangen 1845, 98-100, bes. Anm. 2. 2 Vgl. Plato, Theaet. 189 e 4-190 a 6.
2
Einleitung
ist aber wieder nur ein vorläufiger Anhalt der Sinnbegründung, daher eine vorläufige Rücksicht. Die Notwendigkeit jedoch, an dieser vorläufigen Rücksicht festzuhalten, liegt darin begründet, daß selbst die Angabe von Rücksichten überhaupt doch nur wieder begrenzt sein kann. Die Kenntnis der Unabschließbarkeit von Rücksichtsangaben rechtfertigt den Schritt, durch Aufweis bestimmter Rücksichten einen Satz oder auch eine bestimmte Vielzahl von Sätzen als - wenn auch nur stets vorläufige - Sinneinheit zu denken. Hinter die Einsicht, daß ein bestimmter Gedanke als bestimmter nur gewußt werden kann, wenn seine Bestimmtheit durch Angabe bestimmter Rücksichten (auch die Nicht-Angabe ist eine Angabe) gesichert ist und dennoch nur Sicherheit suggeriert, kann aber durch eine Erkenntnis zurückgegangen werden, daß gerade diese Einsicht darin Bestand hat, daß sie sich in ihrem eigenen Sinn zugleich manifestiert und verzehrt. Da diese erweiterte Erkenntnis selbst jedoch den Bedingungen dieser Einsicht unterliegt, stellt sie nur eine Scheinerweiterung dar: Noch das Aussprechen dieser Einsicht als Erkenntnis ist nur insofern möglich, als es sich selbst von jeglichem Transzendieren dieser Einsicht femhält. Damit steht alles in Sätzen sich vollziehende Denken unter der Bedingung, sein eigenes Vorgehen ständig im Hinweis auf die Rücksicht zu legitimieren. Wenn Denken aber als stets sich vollziehende Legitimation seiner selbst gefaßt wird, ist Nachdenken der stets sich vollziehende Mitvollzug erfolgter oder auch vergessener Legitimation, der selbst wieder unter eigenen Legitimationsbedingungen steht, jedoch so, daß eben das Nachdenken beim Bedenken des zu Bedenkenden im Horizont der Legitimationsrücksichten desselben seine eigenen Legitimationsbedingungen auch erst entdeckt. Indem das Nachdenken sie auffindet, erkennt es sich selbst als Denken. Was bedeuten diese überlegungenfür ein erneutes Verstehen des Denkens Meister Eckharts? I. Degenhardt 3 hat gezeigt, wie häufig Eckharts Denken zum Gegenstand des Nachdenkens geworden ist, anders: wie oft Eckhart kritisiert wurde, wie oft er benutzt wurde, um eigene Interessen hervorheben zu können, wie oft er liebevoll einseitig ausgelegt wurde, um allein bestimmte Aspekte seines Denkens hervortreten lassen zu können, wie oft man bei ihm ein abgeschlossenes System zu finden glaubte, obwohl er selbst gelegentlich, besonders in seinen lateinischen Predigtentwürfen, nur Hinweise oder Andeutungen gab und damit zum selbständigen Weiterdenken anregen wollte, er selbst auch dem Leser empfiehlt, nach Belieben auszuwählen 4 , wie oft man 3 Vgl. I. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (Studien zur Problemgeschichte der antiken und mittelalterlichen Philosophie 111), Leiden 196 7. Vgl. zur kritischen Würdigung dieser Arbeit: E. von Bracken, Meister Eckhart: Legende und Wirklichkeit. Beiträge zu einem neuen Eckhartbild (Monographien zur philosophischen Forschung 85), Meisenheim am Glan 1972,6-28. 4 Vgl. Prol. op. expos. II n. 5; LW I, 184, 16-18. LW II, 322,6-8. In Gen. In. 285; LW I, 420, 5-9. Eine derartige Empfehlung findet sich auch bei: Albertus Magnus, De causis et proc. univ. II tr. 5 c. 26; Borgnet 10,619 b: "Eligat ergo unusquisque quod sibi placuerit ... ", ferner bei: Nicolaus de Strassburg, Summa philosophiae II; Cod. Vat. Lat.
Rücksicht - ein methodologisches Prinzip
3
ihn bewußt mißdeutete, um eben diese Mißdeutungen auf ihn zuriickwirken zu lassen, wie oft er ungewollten Fehldeutungen ausgesetzt war, weil das, was er selbst ausgesprochen hatte, mit dem, was man für originär hielt, vermengt wurde - woriiber Eckhart selbst bereits klagt 5 - , wie oft schließlich explizit oder implizit der Rat erging, von einer Eckhartdeutung gänzlich abzusehen, da gerade dieses extraordinäre Denken (oder Nicht-Denken) - wenn überhaupt - allein sich selbst bekannt gewesen sei und einen nachträglichen Zugang nicht erlaube, der Deutungsversuch somit nur im Abraten von jedem Deutungsversuch bestand. Schon das historische Faktum, wie das Denken Eckbarts Gegenstand des Nachdenkens geworden ist, scheint in seiner schier unüberschaubaren Facettenhaftigkeit6 einerseits jeden erneuten Deutungsversuch zu legitimieren: Wie andere das Recht beanspruchten, sich Eckhart-wie auch immer - zu nähern, so kann man auch für sich dieses Recht reklamieren. Ein Kaschieren dieses Rechts wäre es nur, wenn noch einmal der Versuch unternommen würde, das zu Bedenkende in ein methodologisches Korsett zu zwängen, das von sich 3091, fol. 193 vb (nach einem Referat divergierender Theorien zur Zeit): "Eligat quilibet, quod sibi placet." 5 Vgl. Proc. Col. I § 3, 4; Thery 196: "Porro de aliis articulis extractis ex sermonibus qui michi ascribuntur, respondere non haberem cum passim et frequenter etiam a clericis studiosis et doctis diminute et falso que audiunt reportantur." 6 Vgl. zur bibliographischen Information: H. Ebeling, Meister Eckharts Mystik. Studien zu den Geisteskämpfen um die Wende des 13. Jahrhunderts, Aalen 1966 (Neudr. d. Ausg. Stuttgart 1941 ), 348-356. V. Lossky, Theologie negative et connaissance de Dieu chez Maltre Eckhart (Etudes de philosophie medievale XLVIII), Paris 1960,381-387. I. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, 329-340. T. SchaUer, Die Meister Eckhart-Forschungvon der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 15 (1968) 262-316. 403426. T. SchaUer, Zur Eckhart-Deutung der letzten dreißig Jahre, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 16 (1969) 22-39. F. W. Wentzlaff-Eggebert, Deutsche Mystik. Einheit und Wandlung ihrer Erscheinungsformen, Berlin, 3. Auf!., 1969, 272-339. E. Soudek, Meister Eckhart (Sammlung Metzler 120), Stuttgart 1973, 3. 9-15. 22f. 27-29.31-33.44-46. 49f. 68-73. W. Totok, Handbuch der Geschichte der Philosophie II, Frankfurt a.M. 1973, 548556. H. Fischer, Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken, Freiburg/ München 1974, 142-163. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum, KasteUaun 1976,267-272. R. Imbach, Deus est inteUigere. Das Verhältnis von Sein und Denken in seiner Bedeutung für das Gottesverständnis bei Thomas von Aquin und in den Pariser Quaestionen Meister Eckharts (Studia Friburgensia N. F. 53), Freiburg/Schweiz 1976,307-315. A. Klein, Meister Eckhart. La dottrina mistica deUa giustificazione (Biblioteca di Filosofia. Ricerche 4), Milano 1978, 133-182. Th. F. O'Meara, R. Schürmann, J. CampbeU, Ph. Stein, Th. McGonigle, An Eckhart Bibliography, in: The Thomist 42 (1978) 313-336. B. Weite, Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken, Freiburg/Basel/Wien 1979, 263-268.
4
Einleitung
her ein Nachdenken als gerechtfertigt erscheinen ließe; erneut würde gerade die Perspektivität des Nachdenkenden der Interpretation von vomherein als Maßstab gesetzt. Gescheitert wäre der Deutungsversuch andererseits schon daran, daß er sich eben nur in die Kette der Deutungsversuche eingliederte, daher als solcher bereits seine Relativität eingestehen müßte. Dieses Dilemma muß ertragen werden, indem man die eigene Begrenztheit erkennt, die einen adäquaten Zugang verhindert und ihn dadurch erlaubt. Die Adäquatheit des Zugangs besteht gerade darin, die Rücksichten aufzudecken, denen ein Denken explizit oder unausgesprochen verpflichtet ist, wobei noch gewußt wird, daß das Nachdenken der Rücksichten selbst wieder eine Rücksicht darstellt, sich jetzt aber nicht wieder als Gegenüber der aufzudeckenden Rücksichten im Sinne einer relevanteren Rücksicht etabliert, sondern allein darin sein Recht beansprucht, Entdecken der Rücksichten zu sein, und zwar unter der Rücksicht, sich selbst so zu berücksichtigen, daß im Aufdecken von Rücksichten die eigenen Rücksichten auch erst gewonnen werden. Der nachdenkende Gedanke muß sich vom Gedachten selbst tragen lassen, muß sich gegen sich selbst wenden, wenn er glaubt, das Gedachte wende sich gegen ihn. Das Prüfen vorliegender Inhalte besteht somit zugleich im Prüfen dieses Prüfens. Gerade der Inhalt, der den Prüfenden stört, der ihn sich fragen läßt, ob er auf ein Prüfen verzichten soll, eröffnet das Gespräch zwischen Geschichte und Gegenwart: Wir selbst gewinnen einen veränderten Begriff von uns, wenn wir erkennen, warum uns das Fremde stört, und wenn wir uns fragen müssen, ob wir nicht das Fremde, das uns deshalb fremd ist, weil es bisher verdeckt war, gegen uns in seinem Anspruch verteidigen müssen. Th. W. Adomo formuliert als dialektischen Grundsatz: "Widerspruch in der Realität, ist sie" (die Dialektik) "Widerspruch gegen diese" 7• Die aufgrund des in ihr selbst liegenden Widerspruchs nicht einmal mit sich selbst zur Versöhnung fähige Realität sperrt sich gegen den Zugriff eines bloß identifizierenden Denkens, das somit - den Widerspruch in der Realität und sich selbst als Widerspruch zur Realität wissend - selbst nur in Widersprüchen zu denken vermag, ist doch der Widerspruch eigenes Produkt des Denkens, Reflexionskategorie, denkende Konfrontation von Begriff und Ding. Was dem Denken, welches seinem eigenen Anspruch, Widerspruch zu sein, gerecht wird, gelingt, ist dies, sein Gegenüber nicht unmittelbar in seinen Bannkreis zu ziehen. Es verzichtet auf Selbstidentitätssetzung mit dem Anderen, um das Andere als es selbst Bestand haben zu lassen, um es sich nicht zu unterwerfen .. Darin gewinnt sich Denken stets neu, ist Prozeß. Prozessualität kann freilich auf Identifikationen nicht verzichten, muß jedoch für Selbstkorrekturen aufgrund des sich der Identifikation wehrenden widersprüchlichen Gegenübers, eines Dinges oder eines Gedankens, offen sein.
146.
7
Th. W. Adomo, Negative Dialektik, Frankfurt a.M. 1970 (Nachdr. d. Ausg. 1966),
"nach dem nemenne"
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1.2. Meister Eckharts "nach dem nemenne" Eckhart selbst besaß das Bewußtsein davon, daß Inhalte stets nach Angabe der Rücksicht verlangen, um Konturen zu gewinnen, um bestimmte Inhalte zu werden. Das "nach dem nemenne" 8 erlaubt entweder, bei einem Inhalt von etwas abzusehen, das unter einer anderen Rücksicht für ihn konstitutiv sein mag, oder - bei aller Vorläufigkeit -unmittelbar den Sinn anzuzeigen, der einem Inhalt zueigen sein soll 9 . Die Schwierigkeit jedoch, sich dem Denken Eckharts zu nähern, besteht - abgesehen davon, daß er bestimmte Schriften wie ,Daz buoch der goetll chen troestunge' oder den ,Sermo die beati Augustini Parisius habitus' zu bestimmten Gelegenheiten abgefaßt und damit eine bestimmte Zielsetzung, Paränese oder Laudatio, verfolgt hat, daß die ,Quaestiones Parisienses' wie auch die deutschen Predigten jeweils einem genau fixierten Problem gewidmet sind und somit stets auch über sich hinausweisen, daß die ,Sermones' ohnehin nur Anleitungen zu gedanklicher Fortführung sein wollten und schließlich das ,Opus tripartitum', in der Planung gewaltig, doch nur Fragment geblieben ist - darin, daß dieses Denken von der lebendigen Spontaneität des momentanen Einfalls lebt 10• Unter methodologischer Perspektive verbleibt somit ein Gedanke nicht selten in einer Aporie, die nur eine Lösung erwarten läßt. Die Angabe neuer Rücksichten macht das Expulsive der Eckhartsehen aporetisch-progressiven Methode aus; der Gedanke bleibt in Bewegung, ruft bei erreichter Ruhe den Zweifel wach und sollizitiert zum Fortdenken. Dies sollte immer dann berücksichtigt werden, wenn Eckhart glaubt, Akzente setzen zu müssen: "Swer underscheit verstat von gerehticheit und von gerehtem, der verstat allez, daz ich sage" 11 • Das "allez" verweist auf ein Programm, das Eckhart selbst näher ausführt: "Allez, daz ich nu han gesprochen von dem guoten und von der güete, daz ist ouch gliche war von dem waren und der warheit, von dem gerehten und der gerehticheit, von dem wisen und der wisheit, von gotes sune und von gote dem vater, von allem dem, daz von gote gebom ist und daz niht enhiit vater Pr. 40; DW II, 277, 15. Vgl. Pr. 40; DW II, 280, 3f. Pr. 46; DW II, 382, 3f. 10 Vgl. Pr. 2; DW I, 39, 1-4: "Ich han underwilen gesprochen ... Ich spriche aber
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nU ... "
Pr. 22; DW I, 385, 4: "Ich gedihte underwilen, do ich her giene ... " Pr. 39; DW II, 252, lf.: "Etwenne han ich gesprochen, waz ein gereht mensche si; aber nu spriche ich in einem andern sinne anders." Pr. 51; DW ll, 468, 8: "Ich gedacht in disernacht ... " lbid.; DW li, 471, 4. Ibid.; DW ll, 475, 5. Pr. 52; DW ll, 499, 9-450, 3: "Ich han ez ofte gesprochen ... Nu sagen wir anders." Pr. LVI; Pf. 179, 23: "Nu merkent, ich wil nu sprechen daz ich nie me gesprach." lbid.; Pf. 180, 7.lbid.; Pf. 180, 14f.Ibid.; Pf. 180, 16. II Pr. 6; DW I, 105, 2f.
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Einleitung
Uf ertrichc, in daz sich niht gebirt allez, daz geschaffen ist, allez, daz niht got enist, in dem kein bilde enist dan got bloz luter aleine" 12 • Dennoch schöpfen die hier angesprochenen, wie auch immer zu beurteilenden Bezugsverhältnisse das Denken Eckharts nicht aus, weisen doch Inhalte wie Gutheit oder Gerechtigkeit noch einmal über sich hinaus, da sie Gott, sofern er ein Eines ist, nur umkleiden 13 , das Eine als Einesaufgrund dessen, daß sie ihm etwas beilegen 14 , verdecken, es nicht als es selbst zur Sprache bringen. Aus diesem Beispiel fortschreitender Selbstkorrektur Eckharts, deren Mitvollzug noch dadurch erschwert wird, daß nicht selten derselbe Terminus bei unterschiedlichem gedanklichen Niveau verwandt wird, erhellt freilich nur das Faktum seiner aporetisch-progressiven Methode. Es bleibt noch ungeklärt, welchen methodologischen Kriterien Eckhart selbst folgt, die dann ein prinzipielles überprüfen eines gedanklichen Fortschritts in seiner Notwendigkeit ermöglichen.
1.3. "Per rationes naturales philosophorum"- Eckharts Programm Eckhart nennt zu Beginn seiner ,Auslegung des Johannesevangeliums' sem methodologisches Programm: "In cuius verbi" (sc. ,in principio erat verbum') "expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum" 15 • BgTI;DWV,10,11-16. Vgl. Pr. 40; DW li, 274, 3f. Pr. 59; DW li, 636, 2. 14 Vgl. Pr. 13; DW 1, 219, 4f. 15 In loh. n. 2; LW III, 4, 4-6. Vgl. zu den unterschiedlichen Auslegungen dieses Programms: L. Hödl, Naturphilosophie und Heilsbotschaft in Meister Eckbarts Auslegung des Johannes-Evangeliums, in: La filosofia della natura nel medioevo. Atti del terzo congresso internazianale di filosofia medioevale. Passo della Mendola (Trento). 31 agosto-5 settembre 1964, Milano 1966, 641-651. E. von Bracken, Meister Eckhart: Legende und Wirklichkeit, 93-99. J. Kopper, Die Analysis der Sohnesgeburt bei Meister Eckhart, in: Kant-Studien 57 (1966) 100-112. K. Flasch, Die Intention Meister Eckharts, in: Sprache und Begriff. Festschr. B. Liebrucks, Meisenheim am Glan 1974,292-318. K. Albert, Meister Eckbarts These vom Sein, 30-36. H. Fischer, Meister Eckhart, 32. U. Kern, Eckbarts Intention, in: Freiheit und Gelassenheit. Meister Eckhart heute, hrsg. von U. Kern, Miinchen/Mainz 1980, 24-33. Dieses methodelogisch bedeutsame Programm steht nicht im Gegensatz zu anderen programmatischen Erklärungen Eckbarts (vgl. Pr. 53; DW II, 528, 5-529, 2), die lediglich inhaltlich orientiert sind und unter den Inhalten stets auch nur einige akzentuiert herausstellen, welche sich beliebig ergänzen ließen (vgl. Pr. 6; DW I, 105, 2f.). Für eine ungerechtfertigte Disjunktion zwischen den methodologisch und inhaltlich orientierten programmatischen Erklärungen Eckbarts tritt ein: A. M. Haas, Meister Eckbarts geistliches Predigtprogramm, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 29 (1982) 189-209. 12
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Das, was demnach Eckharts Expositionen prinzipiell zugrunde liegt, sind Glaube und ,Schrift'; was Glaube und ,Schrift' aber versichern, soll durch natürliche Begründungen der Philosophen expliziert werden. Eckhart zitiert anerkennend die Passage aus den ,Confessiones' Augustins, wo davon die Rede ist, daß er, Augustin, den Anfang des ,Johannesevangeliums' in den Büchern Platons- d.h. der Platoniker (Plotins und des Porphyrius) -gelesen habe 16. Eckhart läßtjedoch die Möglichkeit vernünftiger Argumentation nicht auf den sog. Logoshymnus (Joh. 1, 1-5) beschränkt sein, sondern korrigiert Augustin insofern, als auch das, was dieser nicht in den Büchern der Platoniker gefunden habe, natürlicher Begründung zugänglich sei: Für das "in sua propria venit" (J oh. 1, 11) wie auch das Folgende gebe es eine ratio naturalis in den Naturdingen 17, während umgekehrt das "verbum caro factum est" (J oh. 1, 14) und einige sich anschließende Gedanken die Eigentümlichkeiten der Naturdinge, sittlicher und der Fertigkeit zuzurechnender Inhalte enthielten und lehrten 18. Eckharts methodologischer Anspruch besteht somit darin, zu zeigen, wie der göttliche Bereich (divina) und der des Menschen (humana)19 - der der naturalia (res naturales), artificialia und moralia 20 - sich wechselseitig erhellen.
Vgl. in loh. n. 2; LW 111, 4, 9-11, u. Anm. 3 ad 1. Vgl. in loh. n. 96; LW 111, 83, 8f. Eckbarts Kritik an Augustin ist insofern bemerkenswert, als gerade Augustin die im Mittelalter für die Interpretation des Johannesevangeliums ausschlaggebende Autorität gewesen ist; vgl. dazu neben den bekannten Kommentatoren Albertus Magnus und Thomas von Aquin: Guerricus deS. Quintino; Universitätsbibliothek Basel, Cod. B IV 21, fol. 1 ra-44 vb. Guillelmus de Altona Anglicus; Bibliotheca Comunale, Assisi, Ms. 49. Bernardus de Trilia; Cod. Vat. Lat. 5723, fol. 1 ra-195 rb. Vgl. zu weiteren Mss. der genannten Autoren: Th. Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, Vol. II: G-1, Romae Ad S. Sabinae 197 5, 68 (zu Guerricus). 86 (zu Guillelmus). Mit seiner Kritik steht Eckhart auch im Gegensatz zur Tradition der mystischen Theologie des Dionysius Pseudo-Areopagita. Albert der Große rechtfertigt den areopagitischen Begriff ,mystisches Wissen' gerade dadurch, daß er es abgesetzt sein läßt vom menschlichen Wissen (vgl. Albertus Magnus, Super myst. theol. 1; Ed. Colon. XXXVII/2, 454, 13-455, 64). Albert versteht das von ihm explizit angeführte - von Eckhart kritisierte - dieturn Augustins als Bestätigung der scientia mystica des Dionysius. 18 Vgl. In. loh. n. 124f.; LW III, 108, 3-11. Die historische Wahrheit des in der ,Schrift' Angesprochenen ist für Eckhart stets vorausgesetzt (" ... supposita veritate semper historiae ... "; vgl. auch: In loh. n. 142; LW Ill, 119, 14), bildetjedoch keinen integrativen Bestandteil seines eigenen Fragens, noch schärfer: Das historische Faktum der Inkarnation bedeute ihm nur wenig (parum), wenn sich die Fleischwerdung des Wortes nicht auch in ihm als eigener Person (personaliter) vollziehe (vgl. In loh. n. 117; LW III, 101, 14-102, 2). 19 Vgl. In loh. n. 166; LW III, 136, 16. 20 Vgl. zum Ternar ,divina, naturalia et moralia': In Gen. II n. 1; LW I, 44 7, 8. lbid. n. 2; LW I, 451, 3. lbid. n. 4; LW I, 454, 7-9. lbid. n. 7; LW I, 456, 4f. V gl. zum Ternar ,naturalia (oder res natural es), moralia et artificialia': In loh. n. 12 5; LW III, 108, 10. Vgl. K. Weiß, Meister Eckbarts biblische Hermeneutik, in: La Mystique Rhenane, Paris 1963, 102-106 (zur historischen Genesis des Ternars ,divina, naturalia et moralia'). 16 17
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Einleitung
Daher formuliert er als für die ,Auslegung des J ohannesevangeliums' spezifische Intention: "Rursus intentio operis est ostendere, quomodo veritates principiorum et conclusionum et proprietatum naturalium innuuntur luculenter - ,qui habet aures audiendi!' -in ipsis verbis sacrae scripturae, quae per illa naturalia exponuntur. Interdum etiam ponuntur expositiones aliquae morales" 21 • Eckhart will zeigen, auf welche Weise die Wahrheiten der Prinzipien, Schlußfolgerungen und Eigentümlichkeiten der Naturdinge in den Worten der ,Schrift', die durchjene Naturdinge 22 ausgelegt werden, klar angedeutet sind, und gelegentlich einige Explikationen aus dem Bereich des Sittlichen aufführen; d.h. er will zwei philosophische Disziplinen, Metaphysik und Naturphilosophie (bisweilen auch Ethik), aufeinander Bezug nehmen lassen, wobei die metaphysischen Inhalte die der Naturphilosophie erhellen und die naturphilosophischen Inhalte Licht werfen auf die der Metaphysik 23 . Abgesehen davon, daß das Zugleich der beiden Bereiche von divina und naturalia (im Verein mit den artificialia 24 und moralia) selbst unter philosophischen Prämissen erfolgt ist, von denen Eckhart Kenntnis besitzt, da er die Disjunktion zwischen mundus intelligibilis und sensibilis, zwischen veritas und verisimile, zwischen scientia und opinio 25 , zwischen mundus et regio supernaturalis und regio naturae et mundus inferior 26 über Augustin auf den von Augustin so rezipierten Platon zurückführt, bleibt die Schwierigkeit, bezüglich der verba ,sacrae scripturae' überhaupt von metaphysischen Inhalten reden zu können. Eckhart ist sich dieser Schwierigkeit bewußt und bringt gerade dieses Problem mehrfach vor. Er spricht das Verhältnis von Philosophie und Theologie zunächst häufiger unter dem Titel ,Konkordanz' an und weist damit auf das Zusammenstimmen (consonare) von Evangelium und Naturphilosophie (nicht aber
In loh. n. 3; LW III, 4, 14-17. H. Fischer, Meister Eckhart, 32, verkennt Eckbarts Absicht, da er ,per illa naturalia' durch "mit philosophischen Begriffen" wiedergibt. 23 Dieses neuartige methodologische Konzept verdient zunächst zumindest additiv neben den von L. Oeing-Hanhoff erwähnten Methoden der Metaphysik im Mittelalter Beachtung. Vgl. L. Oeing-Hanhoff, Die Methoden der Metaphysik im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 2), Berlin 1963,71-91. 24 Die Bedeutung der artificialia (d.h. des Bereichs, der sich von der Technik über die Medizin bis zur Alchemie erstreckt) für die Explikation der divina akzentuiert: H. Bayer, Mystische Ethik und ernpraktische Denkform. Zur Begriffswelt Meister Eckharts, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50 (1976) 377-405. Es sollte jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß Eckhart zum Vergleich auf die naturalia und auch artificialia rekurriert, dennoch der Bereich der divina, des Wissens als solchen, die Grundlage bildet für alles besondere Wissen, auch das der artificialia (vgl. In loh. n. 435; LW III, 372, 4f.). 25 Vgl. In Gen. In. 78; LW I, 239, 8-11. In Gen. II n. 67; LW I, 533, 12-534, 2. In Eccli. n. 10; LW II, 240, 5-7. 26 Vgl. In Sap. n. 274; LW II, 604, 7-9. 21
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Philosophie schlechthin) oder auch Ethik hin 27 • Wie ernst ihm diese Konsonanz ist, erhellt exemplarisch daraus, daß er aus dem, durch den und in dem Bereich der Naturdinge (ex naturalibus, per naturalia et in naturalibus) den Nachweis zu erbringen sucht, daß es im Bereich des Göttlichen und vornehmlich in Gott notwendig sei, von Vater, Sohn und Hl. Geist bekennend zu sprechen 28 • Den Konkordanzgedanken läßt Eckhart schließlich in eine umgreifende Überschau der Disziplinen münden: " ... ex eadem vena descendit veritas et doctrina theologiae, philosophiae naturalis, moralis, artis factibilium et speculabilium et etiam iuris positivi ... " 29 . Die Theologie wird hier im Verein mit Naturphilosophie, Ethik, der Techne des Herstellbaren wie der des Theoretischen, nämlich der Logik 30 , und endlich dem positiven Recht aufgeführt. Die Ermöglichung der Konkordanz aber setzt die Identität von Theologie als Wissenschaft des Evangeliums und Philosophie als Metaphysik voraus. Der Parallelisierung -das Evangelium und die lex vetus verhalten sich zueinander wie der, der einen strengen Beweis führt, zum Topiker, wie der Metaphysiker zum Naturphilosophen - folgt die typisch Eckhartsehe Identifizierung von Theologie, sofern sie Wissenschaft des Evangeliums ist, und Metaphysik, denn: "evangelium contemplatur ens in quantum ens" 31 • Damit besitzt die Theologie als Wissenschaft des Evangeliums nur einen Gegenstand, das Seiende als Seiendes, den Gegenstand der Metaphysik 32 . Eckhart vertritt somit eine Theologie des Evangeliums, die l'vletaphysik und deren einziger Gegenstand das Seiende als Seiendes ist, ohne jedoch bei der aristotelischen Metaphysik stehengeblieben zu sein. In seiner l\letaphysik Vgl. In loh. n. 185; LW III, 154, 14-16. Ibid. n. 361; LW III, 306, 5-9. Ibid. n. 441; LW III, 378, 8f. Ibid.n.486;LWIII,417,12. Ibid. n. 509; LW 111,441, 10f.: .,Ergo concordant theologia et philosophia moralis et naturalis, quod fortassis in omnibus sollers inveniet indagator." 28 Vgl. In loh. n. 160; LW III, 131, 13-132,6. Vgl. auch: In loh. n. 67; LW 111, 55, 13-56, 2: .,natura ab uno semper incipit et ad unum recurrit. In divinis etiam actus nationales: ipsorum radix essentia una, tria ipsa una essentia." Die Methode, per viam. comparationis Konsonanz zu erzielen, ist nicht zu verwechseln mit dem traditionellen kosmologischen Gottesbeweis, der per viam reductionis erfolgt. 29 In loh. n. 444; LW III, 381, 5f. 30 ,Ars speculabilium' meint ,Logik'. Vgl. In Gen. 11 n. 88; LW I, 550, 3f. 31 In loh. n. 444; LW 111, 380, 12-14. J. Koch, Sinn und Struktur der Schriftauslegungen Meister Eckharts, in: J. Koch, Kleine Schriften I (Storia et Letteratura. Raccolta di Studie Testi 127), Roma 1973, 405-407,läßt diese bedeutsame Sentenz Eckharts unberücksichtigt. E. Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart (Beiträge zur Geschichte der biblischen Hermeneutik 6), Tübingen 1965, 45, nennt zwar Eckharts dictum, interpretiert es jedoch nur im Blick auf die Differenz zwischen Iex vetus und Iex nova. 32 Vgl. Aristoteles, Metaph. IV 1, 1003 a 21. Ibid. XI 3, 1061 b 25-27. Ibid. XI 4, 1061 b 30-32. Vgl. In Gen. 11 n. 121; LW I, 586, 9-11. In loh. n. 443; LW III, 380, 8. In Exod. n. 169; LW 11, 147, 11-14. 27
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Einleitung
berücksichtigt er das gesamte ihm zugängliche Traditionsgut, sei es theologischer, sei es philosophischer Provenienz 33 , und begründet dadurch eine neue Metaphysik, die Inhalte wie Trinität oder Inkarnation nicht zurückstellt, sondern diskutiert, deshalb aber gerade grundlegende Wissenschaft ist, weil sie vornehmlich den Bereich des Göttlichen (divina) erforscht, dem alles andere nachgebildet (exemplata) ist 34• Daß sich damit auch der Gegenstand der aristotelischen Metaphysik, das ens in quantum ens, verwandelt, ist nicht nur eine notwendige, sondern auch einsehbare Konsequenz. Bei Eckhart liegt somit das bemerkenswerte Faktum vor, daß er noch im Festhalten am Gegenstand der Metaphysik des Aristoteles den Metaphysiker Aristoteles kritisiert 35 , dies mit den Worten des Maimonides: " ,quidquid dixit Aristoteles in omnibus entibus, quae sunt a sphaera lunae usque ad centrum terrae, verum est sine dubio, nec repellit illud' ,nisi qui non intelligit'. ,Quidquid vero locutus est Aristoteles de his, quae sunt a sphaera lunae superius, est verisimile' " 36. Die Erkenntnis des translunaren Bereichs (cognitio divinorum) bleibt somit der Theologie vorbehalten, die Eckhart noch im Anschluß an Aristoteles37 neben Naturphilosophie und Mathematik zu den wesentlichen Teilen der Philosophie zählt 38 und damit die Identität von Theologie und Metaphysik erneut anspricht 39 . Jetzt wird auch Eckbarts Bemerkung verständlich, warum Moses, Christus und der Philosoph dasselbe lehrten, der Gesichtspunkt der Betrachtung jedoch ein unterschiedlicher gewesen sei, so daß sich das Alte Testament (Moses) zum Neuen (Christus) wie das Glaubbare zum Wißbaren verhält - Glauben und vollkommenes Erkennen verhalten sich nämlich zueinander wie die 1\leinung zum Beweis; daher ist der Glaubende proprie noch nicht Sohn 40 -,die Lehre des Aristoteles zu der Christi aber wie das Annehmbare oder der Wahr-
Vgl. Pr. 9; DW I, 152,2-5. Vgl. In loh. n. 435; LW III, 372, 4f. Unberücksichtigt bleibt diese Aristoteleskritik Eckbarts bei: B. Weite, Meister Eckhart als Aristoteliker, in: Philosophisches Jahrbuch 69 (1961) 64-74. 36 In Sap. n. 208; LW II, 542, 2-5. Vgl. Maimonides, Dux neutr. II 23; Parisiis 1520, 54 r, 17-20. Zum Einfluß des Maimonides auf das Mittelalter, bes. auf Eckhart, vgl.: J. Koch, Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters, in: Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur 101 (1928) 134-148. W. Kluxen, Maimonides und die Hochscholastik, in: Philosophischesjahrbuch 63 (1955) 164f. W. Kluxen, Die Geschichte des Maimonides im lateinischen Abendland als Beispiel einer christlich-jüdischen Begegnung (Miscellanea Mediaevalia 4), Berlin 1966, 146-182. 37 Vgl. Aristoteles, Metaph. VI 1, 1026 a 18. Ibid. XI 7, 1064 b 1-3. 38 Vgl. In Sap. n. 207; LW II, 541, 7-9, u. Anm. 2 ad 1. 39 Vgl. In loh. n. 336; LW III, 284, 8-10 (der Bereich des Göttlichen und Metaphysischen - divina et metaphysica - transzendiert den des Mathematischen). Ibid. n. 338; LW 111, 287, 1-4. 40 Vgl. In loh. n. 158; LW 111, 130, 8-13. 33 34 35
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heit Ähnliche 41 zur Wahrheit - wie Naturphilosophie (nicht Philosophie überhaupt) zur mit der Theologie des Evangeliums identischen Metaphysik oder wie die aristotelischen dicta metaphysicae verisimilia zu den vera dicta der vera metaphysica_ Daß die neue Metaphysik Meister Eckbarts keine erlebnishaft-irrationale, ekstatische, auf eher zu verschweigenden unmittelbaren Privaterfahrungen beruhende Mystik 42 ist - denn auch dort, wo er in den deutschen Predigten 41 Vgl. In loh. n. 185; LW III, 155, 5-7: "!dem ergo est quod docet Moyses, Christus et philosophus, solum quantum ad modum differens, scilicet ut credibile, prohabile sive verisimile et veritas." Der Terminus ,verisimile' entstammt der Aristoteleskritik des Maimonides. 42 Nach E. von Bracken, Meister Eckhart als Philosoph, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 24 (1950) 32-52, ist Eckharts Methode gekennzeichnet durch eine " ... Parallelität zwischen Begriff und Erlebnis, zwischen philosophischem System und mystischer Erfahrung ... " (50); "Begriff und Erlebnis schließen einander nicht aus, sondern sind unmittelbar aufeinander bezogen. Das Denken erschöpft sich nicht im eigenen Kreis, genügt sich nicht selbst, sondern weist über sich hinaus in eine Region irrationaler persönlicher Erfahrung (,von wizzene' - bei Pfeiffer hingegen: wizzenne - ,so! man komen in ein unwizzen', Pf. 15, 7). Die innere Erfahrung aber bedarf des Begriffs zu ihrer Selbstverständigung und Kontrolle" (51). Während von Bracken zunächst verdienstvollerweise zu zeigen versucht, daß man zu Eckhart nur Zugang gewinnt, wenn man ihn auch als Philosophen anerkennt, d.h. für von Bracken: auch Eckharts lateinische Schriften zur Kenntnis nimmt, konstruiert er dann eine historisch nicht zu rechtfertigende Parallelität zwischen Begriff und Erlebnis, philosophischem System und mystischer Erfahrung, Denken und irrationaler persönlicher Erfahrung, wobei der Begriff nur noch Kontrollfunktion ausüben soll. Abgesehen davon, daß der Eckhartsehe Terminus ,unwizzen' unerklärt durch "irrationale persönliche Erfahrung" ersetzt wird, läßt von Bracken den Kontext, in dem sich das von ihm zitierte dieturn Eckharts findet, unberücksichtigt. Der Kontext allein läßt das ,unwizzen' aber im Sinne Eckharts verstehbar werden: "Man so! hie komen in ein überformet wizzen, noch diz unwizzen ensol niht komen von unwizzenne, mer: von wizzenne so! man komen in ein unwizzen. Danne sullen wir werden wizzende mit dem gotlichen wizzenne (bei Pfeiffer hingegen: unwizzenne; vgL zum Korrekturvorschlag: Pr. 58; Quint P/T 430, 24) unde danne wirtgeadelt unde gezieret unser unwizzen mit dem übernatiurlichen wizzenne" (Pr. li; Pf. 15, 5-10). Wenn das Unwissen eine bestimmte Weise von Wissen transzendiert hat, ist es selbst jedoch wieder Wissen, nämlich überformtes Wissen, göttliches Wissen, übernatürliches Wissen, nicht jedoch mystische Privaterfahrung. Zum Wissensbegriff Eckharts vgl. unten: 6.4.2. Auch in von Brackens jüngstem Eckhart-Buch, Meister Eckhart: Legende und Wirklichkeit, findet sich dasselbe Eckhart-Zitaterneut verkürzt angeführt: "Eckhart gebraucht die Vernunft, solange sie ihm nützlich sein kann; dann entläßt er sie: ,von wizzene' -bei Pfeiffer hingegen: wizzenne - ,so! man komen in ein unwizzen'" (143). Daraus folgert von Bracken: "Bei Thomas und Eckhart ist das Verhältnis zwischen Vernunft und Glaube Uberordnung, bei Ockham Nebenordnung" (143). Diese Konstruktion, daß der Glaube der Vernunft bei Eckhart übergeordnet sei, widerspricht der Eckhartsehen Verhältnisbestimmung. Zu vergleichen ist besonders: In loh. n. 110; LW III, 95, 2-7; im Glauben wandeln wir (,perfidem enim ambulamus'); der Glaube ist nur der Weg zum Wissen und Erkennen; Wissen und Erkennen sind die vollendete Gerechtigkeit, die Wurzel der Unsterblichkeit (Scire enim et nosse ,consummata iustitia est' et ,radix immortalitatis'). Vgl. In loh. n. 158; LW 111, 130,8-131,5. Vgl. auch: Pr. 39; DW II, 253,3: "Und diz ist groben liuten ze gloubenne und erliuhten ze wizzenne." Zur Verhältnisbestimmung zwischen Glauben und Wissen bei Johannes Eriugena, die der Eckharts entspricht, vgl.: H. Liebeschütz, Mittelalterlicher Platonismus bei Johannes Eriugena und Meister Eckhart, in: Archiv für Kulturgeschichte 56 (1974) 255f.
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Einleitung
den Metaphysiker Aristoteles kritisiert, setzt er den aristotelischen Inhalten eigene Inhalte gegenüber43 - , haben bereits seine Zeitgenossen erkannt. Es mußte zu seiner Zeit befremdlich wirken, daß ein Inhalt wie ,Seligkeit' nicht nur Gegenstand einer wie auch immer gearteten philosophischen Reflexion, sondern Resultat von Beweiswissen war. Daher bemerkt Eckhart von Gründig in deutlicher Allusion auf Eckharts Intention, per rationes naturales philosophorum verfahren zu wollen: "Wan daz verstentnisse alsus muoz liden die überformunge gotes, dar umbe spricht meister Eckhart, daz saelicheit lige an got liden, wan er spricht, daz saelicheit dar an si, daz man sich mit got vereine. Daz bewiset er mit naturliehen meistern, da sie sprechent alsus her zuo: wa zwei sulnt ein werden, da muoz sich daz ein halten in eime lutern liden, daz ander in eime lutern würken"44. Während Eckhart von Gründig Eckharts Intention nicht allein kennt, sondern auch anerkennt, verhält es sich anders mit J ohannes Tauler. Er kritisiert nicht nur generell die so sehr gelehrten Meister von Paris mit all ihrem Scharfsinn, bei denen nicht nur die natürlichen Mittel, sondern auch aller Reichtum der Gnade versage, und verlangt einen demütigen, empfindenden und fühlenden Menschen 45 , er weist nicht nur generell die ,Vernünftler' mit ihrer natürlichen Einsicht in ihre Schranken46 , er schilt nicht nur generell diejenigen, die über Ähnlich wie von Bracken urteilt auch H. Ebeling, Meister Eckharts Mystik, 105: "Von Mystik ist überall da zu sprechen, wo das Erlebnis der Einheit oder der Identität der Seele mit Gott existent wird." Vgl. auch: G. Leff, Heresy in the later Middle Ages, Vol. I, New York 1967, 260: "His metaphysics formed the basis of his mysticism; his mysticism was the response to his metaphysics. The one posits the nature of God and creation; the other the means by which men must act in order to grasp the truth and so attain unity with God." Vgl. auch: G. Stephenson, Gottheit und Gott in der spekulativen Mystik Meister Eckharts, Diss. Bonn 1954, 294: "Wenn wir noch einmal zusammenfassen, welche Momente auf Grund empirischer Religionsforschung aller Mystik im engeren Sinne (impersonal!) eigen sind, so wird unmittelbar evident werden, daß auch Eckhart im Vollsinne Mystiker gewesen ist und demzufolge nur von der Mystik her richtig verstanden werden kann." Vgl. zur Kritik am Etikett , Eckhart als Mystiker', das im Anschluß an R. OttoJ. Quint, Die gegenwärtige Problemstellung der Eckehart-Forschung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 52 (1927) 276-278, erneuert: K. Flasch, Die Intention Meister Eckharts, 30lf., bes. Anm. 16. Vgl. zur Verwendung des Begriffs ,mysticus' bei Eckhart: H. Fischer, Grundgedanken der deutschen Predigten, in: Meister Eckhart, der Prediger. Festschr. zum Eckhart-Gedenkjahr, hrsg. von U. M. Nix/R. öchslin, Freiburg/Basel/Wien 1960, 55-59. 43 Vgl. Pr. 15; DW I, 249, 1-251, 15. 44 Eckhartus de Gründig, Von der wirkenden und möglichen Vernunft, in: W. Preger, Der altdeutsche Tractat von der wirkenden und möglichen Vernunft (Sitzungsb. der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k.b. Akademie der Wissenschaften I), München 1871, 177f. Zur Rezeption Meister Eckharts durch Eckhart von Gründig vgl.: Ph. Merlan, Aristoteles, Averroes und die beiden Eckharts, in: Autour d'Aristote. Recueil d'etudes de philosophie ancienne et medievale offert Monseigneur A. Mansion, Louvain 1955, 543-566. L. Sturlese, Alle origini della mistica speculativa tedesca. Antichi testi su Teodorico di Freiberg, in: Medioeva 3 (1977) 21-87. 45 Vgl.Johannes Tauler, Pr. 81; Vetter 431,29-432, 10. 46 Vgl.Johannes Tauler, Pr. 40; Vetter 167,6-25.
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die Gottheit nach den Sätzen der Vernunft disputierten - denn wollte man sich nach Vernunftweise verhalten und reden, würde man sich selbst und die, denen man solches mitteilte, zugrunde richten - 47 , sondern nennt auch Inhalte, die es zugunsten eines wahren, einfältigen, ganzen Glaubens zu meiden gelte: " ... und m1t enfroge von der verborgenheit Gotz, von dem usflusse und influsse und von dem ihte in dem nihte und von dem funcken der seien in der istekeit " 48 . Das aber sind gerade Inhalte Eckhartsehen Philosophierens 49 , die dadurch, daß Tauler dem Gläubigen nahelegt, nicht nach ihnen zu fragen, noch einmal auf Eckbarts philosophischen Anspruch zurückweisen. Schon hier wird deutlich: Es gab keinen ,mystischen Strom', kein linear verlaufendes mystisches Denken. Denken wurde aber auch nicht ersetzt durch Schilderung mystischer Erlebnisse, besonders nicht bei Eckhart, dem Magister der Theologie von Paris, der sein Schulwissen darauf verwandte zu prüfen, wieweit es ihm erlaubte, ein von ihm stets beklagtes Problem seiner Zeit, die Selbstentfremdung des Menschen, überwinden zu helfen. Seine Wissenschaft blieb nicht die eines esoterischen Theoretikers. Er lehrte, predigte, saß in Gesprächen mit Schülern zusammen, ermöglichte somit Kritik an seiner Theorie, prüfte kritisch diese Kritik, bis ihm ein derartiges Prüfen nur noch reaktiv und ohne ErkenntnisVgl. Johannes Tauler, Pr. 60 e; Vetter 309, 5-10. Johannes Tauler, Pr. 16; Vetter 74, 26-28. Der Text bei Vetter(" ... von dem funcken der seien in der seien in der istekeit") wurde auf der Grundlage neuer Handschriften bereits korrigiert durch: Ph. Strauch, Zu Taulers Predigten, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 44 (1920) 21: " ... von dem funcken der seien in der istekeit." Derselbe Vorschlag zur Textkorrektur findet sich bei: P. Wyser, Der Seelengrund in Taulers Predigten, in: Lebendiges Mittelalter. Festg. W. Stammler, Freiburg/ Schweiz 1958, 257 (vgl. auch: Anm. 136). 49 Vgl. dazu bereits den Hinweis bei: Ph. Strauch, Zu Taulers Predigten, 21, und die Interpretation dieses Passus durch: P. Wyser, Der Seelengrund, 257-267. Entgegen der Meinung Wysers jedoch, daß unter dem von Tauler angesprochenen Eckhartsehen "ihte in dem nihte" der Seelengrund als Etwas in der Nichtigkeit der Seele zu verstehen sei (vgl. P. Wyser, Der Seelengrund, 258: "Das ,ihte in dem nihte' ist nichts anderes als Eckharts Seelenfunke oder Seelengrund, der das Göttlich-Onerschaffene ist in der ,Nichtigkeit' der kreatürlichen Seele"), dürfte mit diesem Ausdruck eher eine Anspielung auf Pr. 1; DW I, 14, 3-6, vorliegen: "Swenne diu sele kumet in daz ungemischte lieht, sö sieht si in ir nihtes niht sö verre von dem geschaffenen ihte in dem nihtes nihte, daz si mit nihte enmac wider kamen von ir kraft in ir geschaffen iht. Und got der understit mit siner ungeschaf· fenheit ir nihtes niht und entheltet die sele in sinem ihtes ihte." Der Gedanke: Die Seele muß sich als geschaffenes Etwas verlassen, muß von ihrem geschaffenen Etwas in ihr reines Nichts, ein Nichts, unter das sich Gott als ungeschaffenes Etwas stellt und damit die Seele in diesem seinem reinen Etwas hält. Vgl. auch: Pr. 83; DW 111, 448, 9: " ... vnd in dem einen svlen wir ewiklich versinken von ite z~ nvte." In Gott, sofern er Eines ist, sollen wir ewiglich versinken von Etwas, von unserem geschaffenen Etwas, zum Nichts, zu unserem Nichts, und dann zum Seelenfunken, zum Seelenfunken im Wesen (Gottes) -so Tauler -, zum Seelenfunken, der Gott ganz entblößt in seinem wesenhaften Sein nimmt und damit eins in der Einheit, nicht nur gleich mit der Gleichheit ist- so Eckhart, Pr. 13; DW I, 221, 1-222, 3: "Disiu kraft nimet got blöz zemale in sinem istigen wesene; si ist ein in der einicheit, niht glich mit der glicheit." 47
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gewinn möglich war, bis die Kirche schließlich ihr von ihm nicht mehr priifbares Urteil sprach 50. Eckharts neue Metaphysik hält sich außerhalb einer derartigen Entgegen· setzung von Theologie und Philosophie, daß die Philosophie nur Hilfswissenschaft der Theologie wäre 51, daß die Theologie als letztgültige Instanz die Philosophie hinter sich zuriickließe 52 oder daß die Philosophie für sich prozedierte und der Theologie einen ihr eigentümlichen Gegenstandsbereich einräumte53; Eckharts neue Metaphysik ist auch nicht Einheit von Philosophie so Zur Vita Eckharts vgl.: J. Koch, Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts, in: Kleine Schriften I, 247-347. Um 1260 in Hochheim (bei Erfurt) geboren; in Erfurt Eintritt in den Dominikanerorden. Vor 1280: Beginn des Studiums der Theologie in Köln (gegen Kochs These, Eckhart sei 1277 in Paris Student der artes gewesen, vgl.: L. Hödl, Meister Eckharts theologische Kritik des reinen Glaubensbewußtseins, in: Freiheit und Gelassenheit. Meister Eckhart heute, hrsg. von U. Kern, München/Mainz 1980, 37f.). 1293/94: 1. Lehrtätigkeit als Lektor in Paris. Nach 1294: Vikar von Thüringen und Prior des Konvents von Erfurt. 1302/03: Magisterium und 2. Lehrtätigkeit in Paris. 1303-1311: Provinzial der Ordensprovinz Saxonia; Teilnahme an 3 Generalkapiteln: 1304 in Toulouse, 1307 in Straßburg, 1310 in Piacenza. 1311-1314: Erneute Lehrtätigkeit in Paris. 13141322: Eckhart in Straßburg (mögliche Begegnung mit Tauler und Seuse). Nach 1322: Rückkehr nach Köln; Leiter des von Albertus Magnus begründeten ,Studium generale' (einer der Lektoren war Nikolaus von Straßburg; Prior des Klosters wohl Johannes von Greiffenstein; Eckharts Sekretär wahrscheinlich Konrad von Halberstadt; unter Eckharts Hörern befand sich Johannes von Dambach). Vor dem 26.9.1326: Empfang von 2 Errores· Listen mit 49 bzw. 59 inkriminierten Artikeln. 13.2.1327: öffentliche Erklärung Eckharts in der Kölner Dominikanerkirche. Die Kölner Materialien werden nach Avignon zur Prü· fung übersandt. Eine Prüfungskommission erklärt 28 Artikel für häresieverdächtig (Gut· achten von Avignon). Es sind dies die Artikel, die in der Verurteilungsbulle ,In agro domi· nico' vom 27.3.1329 wieder auftauchen; von den 28 Artikeln werden 15 für häretisch und 11 für häresieverdächtig erklärt; bei 2 Artikeln wird bezweifelt, ob Eckhart sie vorgebracht habe. Eckhart hat seine Verurteilung nicht mehr erlebt; er verstarb vor dem 30.4.1328 (möglicherweise in Avignon). 51 Vgl. Petnis Damianus, De perfectione monachorum 5; PL 145, 603: "Quae tarnen artis humanae peritia, si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius magisterii sibimet arroganter arripere, sed velut ancilla dominae quodam famulatus obsequio subservire." 52 Vgl. Matthaeus ab Aquasparta, Quaestiones de cognitione q. I; Quaracchi/Fiorentiae 1957, 213: "Iste modus est philosophicus et congruus; non tarnen puto quod sufficiat. Et fortassis hic deficiunt principia philosophiae, et recurrendum est ad principia theologica." S3 Vgl. Albertus Magnus, De generatione et corruptione I tr. 1 c. 22; Borgnet 4, 363 b: " ... nihil ad me de Dei miraculis, cum ego de naturalibus disseram." Siger de Brabant, De anima intellectiva 111; Bazan 83f.: "Quaerimus enim hic solum intentionem philosophorum et praecipue ARISTOTELIS, etsi forte PHILOSOPHUS senserit aliter quam veritas se habeat et sapientia, quae per revelationem de anima sint tradita, quae per rationes naturales concludi non possunt. Sed nihil ad nos nunc de Dei miraculis, cum de naturalibus naturaliter disseramus." Johannes de Janduno, In Metaph. I q. 16; Venetiis 1525, 13 ra: "Notandum, quod licet haec dicta sint disputative et secundum principia Aristotelis et Commentatoris, tarnen firmiter secundum fidem et veritatem respondendum, mundum non esse perpetuum, nec per consequens generationem singularium et universalium, et de hoc non oportet plus insistere quia dicit Albertus primo de generatione: ,Quid mihi de dei miraculis cum de natura loquamur', quasi dicat: nihil. Sie ego dicam: Quid mihi de virtute et potentia dei qui ex nihilo aliquid potest facere et aliquid in nihil convertere, cum de universalitate,
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und Theologie in der Weise, daß die Philosophie zur Theologie qua Glaubenswissenschaft würde, hat er doch selbst deutlich genug den Glauben nur als Weg, der noch nicht Wissen als vollkommenes Erkennen ist, bezeichnet 54. Eckharts neue Metaphysik ist Identität von Theologie des Evangeliums und Philosophie qua Metaphysik, da die Inhalte der Iex novanichts anderes sind als der Gegenstand der Metaphysik, den das metaphysische Wissen erforscht, ohne sich dabei selbst zu vergessen: Auch das Wissen wird sich selbst Gegenstand und lernt seine Möglichkeiten und Grenzen kennen, wobei nicht nur nicht auszuschließen, sondern vielmehr zu erwarten ist, daß Eckharts Kritik an der aristotelischen Metaphysik auch das Wissen mit Inhalten bekannt werden läßt, die es über das ens in quantum ens hinausweisen, das aufgrundseiner Beziehung zum Sein selbst seiende Wissen sich gegen sich wenden lassen. Eckharts neue Metaphysik weist jedoch noch eine andere Perspektive auf: Neben die Identifikation von Theologie des Evangeliums und Metaphysik tritt die im Anschluß an die von Boethius und seinem Kommentator Clarenbaldus von Arras erfolgte Wissenschaftseinteilung vorgenommene Identifikation von Theologie und Ethik 55 • Beachtung verdient aber, daß der Gegenstand dieser Theologie qua Ethik mit einer metaphysischen Passage aus Boethius' Schrift ,De trinitate' und dem entsprechenden Kommentar des Clarenbaldus expliziert wird 56 , so daß die Ethik in die Identität von Theologie des Evangeliums und Metaphysik aufgenommen ist, Eckharts stetes Bemühen, sein Philosophieren zugleich als ethische Theorie 57 zu verstehen, einsehbar wird. Die Dyade ,Theologie des Evangeliums - Metaphysik' wird somit zur Triade ,Theologie des Evangeliums- Metaphysik- Ethik', Dyade und Triadejedoch als identisch genommen. Damit steht Eckharts neue Metaphysik auch im Gegensatz zur deutschen Dominikanerschule, vornehmlich zu Albert dem Großen und Dietrich von Freiberg. Albert bemerkt: "Theologia autem non de ente ut ens nec de partibus entis est, ut partes entis sunt, sed est de ente determinato per formam analogiae ad id quo fruendum est, et est de partibus entis, secundum quod specialem habent analogiam ad illud. Et ideo non simpliciter est universalis vel particularis, sed quodammodo immo cum (de) generabilitate et corruptibilitate universalium loquar; credo melius esse quoad salutem animarum nostrarum assentire, et simpliciter credere quam rationibus sophisticis eam probare, et rationes ex sensibus electas debiliter et minus evidenter anno· tare."
Vgl. In loh. n. 158; LW 111, 130,8-13. Vgl. Sermo die b. Augustini Parisius habitus; LW V, 89, 13-90, 1. 5 6 Vgl. Sermo die b. Augustini Parisius habitus; LW V, 90, 1-5. 8-10. 57 Zu beachten ist, daß die Ethik als ethische Theorie nicht mit den "expositiones aliquae morales" (In loh. n. 2; LW III, 4, 1 7) verwechselt werden darf. Die expositiones morales beziehen sich auf den Bereich der moralia oder res morales, der sittlichen Inhalte, während die Ethik als theoretisch-metaphysische Wissenschaft das erkundet, was den moralia zugrunde liegt, und somit expositiones morales überhaupt erst ermöglicht. Vgl. zur doppelten Perspektive der habitus morales: In loh. n. 142; LW 111, 119, 15-120, 4. 54 55
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est universalis et particularis, sicut et ethica, quae quodammodo de omnibus est et moralibus et fortuitis, ut de potentatu et divitiis et partibus utriusque istorum, prout organice vel decorative ad civilem faciunt felicitatem" 58 . Albert lehnt es ab, das ens ut ens als eminenten Gegenstand der Theologie zu bezeichnen; Theologie ist auch nicht Ethik, sondern Quasi-Ethik, eine Wissenschaft, die sich göttlicher Glaubensoffenbarung verdankt 5 9• Dietrich von Freiberg gründet einerseits die Inhalte seiner spekulativen Theologie auf intellekttheoretische Argumente 60 , trifft andererseits aber eine deutliche Unterscheidung zwischen der scientia divina seu theologia der Philosophen, nämlich der Metaphysik, und derjenigen Wissenschaft, die wahrhaft und schlechthin Theologie genannt zu werden verdient: "Scientia enim divina philosophorum considerat universitatem entium secundum ordinem providentiae naturalis, quod videlicet res stant in sui natura et secundum suos modos et proprietates naturales gubernantur per principem universitatis, nec ultra hunc nature ordinem aliquem ulteriorem finem adtendit. Nostra autem divina sanetarum scientia adtenditur in entibus secundum quod stant et disponuntur sub ordine voluntarie providentie in quo adtenditur ratio meriti et premii et ea que adtenduntur circa bonam et sanctam vitam et adeptionem eterne beatitudinis et perventionem ad finem ulteriorem sive in bono sive in malo etiam post terminum huius mundi, quando scientia divina sapientium huius mundi destruetur, I. Gor. 13" 61 . Durch den Hinweis auf den ordo voluntarie providentie nähert sich Dietrich der Auffassung Alberts an, die Theologie sei Quasi-Ethik, und gibt durch die Bemerkung "post terminum huius mundi" zu erkennen, daß die von der nicht-philosophischen Theologie abgehandelten Inhalte auch nach der Destruktion der Weisheit dieser Welt Gültigkeit besäßen, d.h.: Der Vollzug der in der nicht-philosophischen Theologie angesprochenen Inhalte bleibt vornehmlich einem jenseitigen Leben vorbehalten. Was den Menschen jedoch erwartet, kann nach Dietrich durch intellekttheoretische Argumentation gewußt werden: die visio beatifica per essentiam. Um dies einsichtig werden zu lassen, kritisiert auch Dietrich eine Metaphysik, die als unhinterfragbaren Gegenstand das ens in quantum ens statuiert, und läßt den Intellekt als Intellekt Urbild des gesamten Seienden sein 62 , so daß der dem Menschen immanente tätige Intellekt nicht nur gemäß seinem eigenen Wesen erkennt, Albertus Magnus, S. theol. I tr. 1 q. 3 c. 4; Ed. Colon. XXXIV/I, 14, 29-39. Vgl. Albertus Magnus, S. theol. I tr. 1 q. 4; Ed. Colon. XXXIV /1, 15, 33-35. 60 Vgl. B. Mojsisch, Die Theorie des Intellekts bei Dietrich von Freiberg (Beihefte zu D. v. F., Opera omnia, Beih. 1 ), Harnburg 1977, 83-92. 61 Theodoricus de Freiberg, De subiecto theologiae; Sturlese XCI, 71-XCII, 81. Vgl. dazu: K. Flasch, Einleitung zu: Dietrich von Freiberg, Opera omnia, Tom. II: Schriften zur Metaphysik und Theologie, hrsg. von R. Imbach, M. R. Pagnoni-Sturlese, H. Steffan, L. Sturlese, Harnburg 1980, XXII-XXV. 62 Vgl. Theodoricus de Freiberg, Quaest. utrum in Deo 7; Pagnoni Sturlese 146, 2030. De visione beatifica 1.1.4., 1; Mojsisch 28, 2-4. De intellectu et intelligibili li 1, 1; Mojsisch 146, 5-12. 58
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sondern auch auf die Weise seines Prinzips, auf die Weise Gottes 63 , um in dieser Erkenntnis überhaupt erst sich selbst und die Gesamtheit der Seienden zu erkennen. Das hat wohl Eckhart von Gründig veranlaßt, mit Dietrich von einer natürlichen Seligkeit des tätigen Intellekts zu sprechen: "Diz wil meister Dietrich, daz daz niht ensi unde sprichet: ,ich spriche, daz des niht si und sage, daz etwaz si in der sei, daz sö edel si, daz sin wesen sin vernunftec würken si; ich spriche, daz diz saelec si von nature' " 64 • M. Schmaus' Urteil dürfte zwar berechtigt sein: "Roland von Cremona, Hugo von St. Cher, Albert der Große, Hugo von Straftburg, Ulrich von Straßburg, Petrus von Tarantasia, Romanus von Rom, Hannibaldus de Hannibaldis, Johannes Quidort von Paris, Wilhelm von Macklesfield betonen einstimmig die Unmöglichkeit, mit den Mitteln der ratio die Tatsache der Dreipersönlichkeit Gottes zu entdecken. Nach Remigius ist die Trinität Gegenstand des Glaubens" 65 ; damit entfällt ein Gegenstandsbereich, der der Trinität, natürlicher Argumentation. "Eine Verwischung der im ganzen 13. Jahrhundert sorgfältig beobachteten Grenze von Vernunfterkenntnis und Glaubenserkenntnis hinsichtlich der Trinität ... " trete erst bei Petrus Aureoli und Heinrich Harclay auf6 6 . M. Schmaus, der in seiner umfangreichen Untersuchung auch auf die deutsche Dominikanerschule zu sprechen kommt, so auf J ohannes von Lichtenberg und Heinrich von Lübeck 67, berücksichtigt aber nirgends Dietrich von Freiberg, der die Umbruchphase eingeleitet haben dürfte. Noch im Festhalten an der Differenz zwischen nicht-philosophischer und philosophischer Theologie läßt Dietrich die Inhalte der nicht-philosophischen Theologie durch auf der Intellekttheorie basierende Argumentationen seiner spekulativen Theologie wißbar werden. Nur in der Konsequenz der Dietrichsehen Intention- damit aber auch in einer Korrektur dieser Intention - liegt Meister Eckharts Absicht, sein Philosophieren unmittelbar als Identität von Theologie des Evangeliums, l\1etaphysik und Ethik zu verstehen, dabei jedoch naturphilosophische, sittliche und der Fertigkeit zugehörige (gelegentlich auch logische und auf das positive Recht bezogene) Expositionen stets als gültige Komparativmomente anzufühTheodoricus de Freiberg, De int. II 38, 1; Mojsisch 176, 32-44. Ibid. II 40, 3; 177, 72-77. Ibid. II 41, 2; 178, 83-90. Ibid. II 42, 1; 178, 101-105. Vgl. auch: Dietrich von Freiberg, Abhandlung über den Intellekt und den Erkenntnisinhalt, übers. und mit einer Einl. hrsg. von B. Mojsisch (Philosophische Bibliothek 322), Harnburg 1980, XXIIf. 64 Eckhartus de Gründig, Von der wirkenden und möglichen Vernunft, 180. 65 M. Schmaus, Der Liber Propugnatorius des Thomas Anglicus und die Lehrunterschiede zwischen Thomas von Aquin und Duns Scotus, II. Teil: Die trinilarischen Lehrdifferenzen, 1. Bd.: Systematische Darstellung und historische Würdigung (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters XXIX/1), Münster/Westf.1930, 26-28. 66 M. Schmaus, Der Liber Propugnatorius, 39. 6? Vgl. M. Schmaus, Der Liber Propugnatorius, 44, Anm. 88; 412-41 7; 627, Anm. 94 (zu Johannes von Lichtenberg); 45, Anm. 88; 439-441 (zu Heinrich von Lübeck). 63
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ren. Eine auch noch von Dietrich angesprochene Disjunktion zwischen praesens vitaund vita illa 68 evoziert bei Eckhart nur noch Verwunderung: "Nu wundert mich von etlichen pfaffen, die wol geleret sint und groze pfaffen wellent sin, daz sie sich also schiere lazent genüegen und lazent sich betoeren und nement daz wort, daz unser herre sprach: ,allez, daz ich gehoeret han von mfnem vater, daz han ich iu kunt getan' - daz wellent sie also verstan und sprechent also, er habe uns geoffenbaret Uf dem wege, als vil uns notdürftic waere ze unser ewiger saelicheit. Des enhalte ich niht, daz ez also ze verstanne si, wan ez enist kein warheit. War umbe ist got mensche worden? Dar umbe, daz ich got geborn würde der selbe. Dar umbe ist got gestorben, daz ich sterbe aller der werlt und allen geschaffenen dingen" 69 •
1.4. Disposition Eckharts methodologisch programmatische Bemerkungen sind von ihm selbst noch vertieft worden, präziser: Grundlage seiner komparativen Methode bildet eine Relationstheorie, die sich in den Theorieteilen ,Analogie', ,Univozität' und ,Einheit' manifestiert. Die Arbeit sucht zu erweisen, wie sich diese ·Relationstheorie in Anlehnung an die im 13. Jahrhundert erstarkte causa-essentialis-Theorie und im Bruch mit ihr entwickelt hat, wie zugleich mit dieser Entwicklung auch den Inhalten des Eckhartsehen Denkens jeweils ein entsprechender Stellenwert zukommt. Da die Theorieteile ,Analogie', ,Univozität' und ,Einheit' von Eckhart aber auch eigens thematisiert worden sind, erlaubt es die Kenntnis ihrer lnhaltlichkeit, sie.voneinander abgesetzt sein zu lassen und so ihre Bedeutung füreinander herauszustellen, dies zunächst im Rahmen der objektiven Metaphysik Eckharts, die ihre Inhalte als solche diskutiert, ohne die Bewegung des sie analysierenden Denkens selbst zu analysieren. Zurückgestelltes wird eingeholt in Eckharts Theorie der Seele, deren Betrachtung erkennbar werden läßt, daß die Relationstheorie ihr einerseits zugrunde liegt, andererseits das Entstehen dieser Theorie überhaupt erst in der Analyse des Ich, seiner Selbstbegründung, Selbstaufhebung und Neubegründung mitzuvollziehen ist: Relationalität, Korrelationalität, Nicht-Relationalität, Nicht-Korrelationalität, Werden von Korrelationalität wie Relationalität sind nicht nur methodologisch instrumentelle Kategorien des Denkens, sondern das sich selbst thematisierende Denken in seiner Prozessualität selbst 70 • Vgl. Theodoricus de Freiberg, De vis. beat. 2.2., 1-2; Mojsisch 64, 46-65, 64. Pr. 29; DW II, 83, 4-84, 3. Die Verwendung der Begriffe ,Relationalität' und ,Korrelationalität' wird inhaltlich erst verstehbar im Zusammenhang mit der durchgeführten Analogietheorie (Relationalität meint innerhalb eines Begründungsverhältnisses: Bezogenheit bei einseitiger Prävalenz eines der relata, der gründenden Instanz der Relation) und Univozitätstheorie (Korrelationalität meint innerhalb eines Begründungsverhältnisses: wechselseitige Bezogenheit, wechselseitiges Sich-Durchdringen der relata). 68
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Besondere Beachtung verdient aber die Theorie der Univozität. Univozität schien kein Fragegegenstand Eckbarts zu sein, war damit bisher auch kein Fragegegenstand seiner Interpreten, obwohl Eckhart selbst noch in seiner sog. ,Rechtfertigungsschrift' betont: "Ad quintum, cum dicitur: Equivoca distinguuntur per res diversas, etc." (etc., id est: "univoca per diversas rei differentias, analoga vero non per diversas res, nec per rerum differentias, sed per solos modos unius et ejusdem rei in numero" 71 ), "dicendum quod verum est, et est radix multarum cognitionum et expositionum" 72 . Exponierte Brisanz gewann im 13. Jahrhundert der Univozitätsgedanke bei der Frage nach der Konvenienz zwischen Gott und Geschaff€nem. Alexander von Haies setzte im Anschluß an Boethius, der die Univozitätstheorie des Aristoteles (genus, species und differentia sind univok aussagbar) und des Porphyrius (zu den drei genannten Prädikabilien tritt als ebenfalls univok aussagbar das proprium hinzu) erweiterte (auch das accidens ist univok aussagbar)73, die Zeichen: "A d p r im um dicendum quod est convenientia secundum univocationem et est convenientia secundum analogiam. Secundum univocationem est convenientia in genere vel in specie vel in numero. Convenientia secundum analogiam: ut substantia et accidens conveniunt in ente, quia dicitur secundum prius et posterius de illis: quia ens substantia est principium accidentis, et ideo per prius dicitur ens de substantia, quae est ens per se; per posterius de accidente, quod est ens in alio. - Dicendum ergo quod non est convenientia Dei et creaturae secundum univocationem, sed per analogiam: ut si dicatur bonum de Deo et de creatura, de Deo dicitur per naturam, de creatura per participationem. Similiter omne bonum de Deo et de creatura dicitur secundum analogiam" 74. Die convenientia secundum analogiam oder per participationem vertrat auch Wilhelm von Auvergne 75 . Analogie überhaupt bestimmte das metaphysische Denken bis zu Thomas von Aquin mit seinen verwickelten und nicht grundsätzlich harmonisierbaren Analogiemodellen 76 . Eckhart stand in dieser Tradition, entwickelte sogar eine eigene Analogietheorie, um ihre Bedeutung zugleich zu relativieren, dies aufgrund der Einsicht, daß die Lösung des Problems ,Verhältnisbestimmung von Gott und Geschaffenem' nureine partielle Antwort auf die Frage nach der Übereinkunft zwischen Gott und dem Menschen impliziert. Sein differenzierter Gottes· Proc. Co!. I§ 2, 2 art. 5; Thery 169. Proc. Co!. I§ 3, 2 ad 5; Thery 192. 73 Vgl. Th. Barth, Zum Problem der Eindeutigkeit, in: Philosophisches Jahrbuch 55 (1942) 300-321. 74 Alexander Halensis, Summa theologica I tr. introduct. q. 2 membr. 3 c. 2 resp., n. 21; Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1924, 32 a. 75 Vgl. Guillelmus Parisiensis, De trin. 7; Switalski 44, 90-45, 7. 7 6 Vgl. W. Kluxen, Analogie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1: A-C, hrsg. vonJ. Ritter, Basel1971, 220-223. 71
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begriff und sein differenzierter Begriff des Menschen erlaubten ihm, über das Analogiedenken hinauszugehen und dem Univozitätsgedanken grundlegende Geltung zu verschaffen. Gegenüber Johannes Duns Scotus, der das ens inquantum ens in einer Metaphysik ,für uns' ansiedelte, damit der Metaphysik innerhalb seiner theologischen Synthese einen Freiraum schuf und - auch gegen die Tradition - die univoke Prädizierbarkeit des ens inquantum ens vornehmlich gegen Heinrich von Gents Analogiedenken vertrat 77 , inaugurierte Eckhart ein Univozitätsdenken, das keinen Restriktionen seitens einer regulativen Theologie ausgesetzt war: Univozität ist integrativer Bestandteil seines metaphysisch-theologisch-ethischen Denkens und weist aus sich heraus auf den Theorieteil ,Einheit' fort. Der Aufweis von Univozität - und dies wird zu zeigen sein - erfolgte jedoch nicht von ungefähr; Eckhart verfuhr getreu seiner komparativen I'vlethode: Da sich Univozität bereits naturphilosophisch nachweisen läßt, müssen univoke Strukturen auch im Bereich der Metaphysik antreffbar sein, besitzen doch die Inhalte der Metaphysik Urbildfunktion für die res naturae. Man hätte Eckhart wohl weniger beachtet, wohl auch nicht verurteilt, wenn seine Relationstheorie nur Theorie geblieben wäre. Noch indem er theoretisch gerade die Selbstbewegung des Wissens analysierte, sprach er unmittelbar durch seine Predigten - den Einzelnen an, um ihn aufzufordern, sich selbst zu ergründen - mit allen Konsequenzen, die die Relationstheorie implizierte - und in sich selbst das zu entdecken, was er beim Anderen, beim Staat und bei der Kirche vergeblich suchte: sich selbst. Erst darin, daß der Einzelne selbstbewußt aus seinem Eigenen zu leben versteht, sah Eckhart die Bestimmung tätig gestaltender Individualität.
77 Vgl. L. Honnefelder, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus (Beiträge zur Ge· schichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N. F. 16), Münster/Westf. 1979, bes. 19. 268-313. - Vgl. B. Mojsisch, Rezension zu: L. Honnefelder, Ens inquantum ens, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 36 (1982) 302-306.- Da Eckharts undJo· hannes Duns Scotus' Univozitätstheorien in systematischer Hinsicht divergieren, erübrigt sich hier ein eingehender Vergleich.
2. VERNUNFT UND VERNÜNFTIGES ERKENNEN GOTTES: DIE NICHT-RELATIONALlTAT ABSOLUTER INTELLEKTUALITAT
2.1. Die Wende Das Denken Eckharts ist zunächst geprägt vom Thomismus. Bereits eine flüchtige Durchsicht seiner frühesten Schriften bestätigt dieses Urteil 1, und E. Seeberg weist ausdrücklich darauf hin, " ... daß die thomistischen Grundlagen in der Gesamtdeutung Eckharts überhaupt nicht übersehen werden dür· fen" 2 ; speziell der ,Tractatus super oratione dominica' lasse Originalität ver· missen 3 , eine Originalität, die H. Ebeling Eckhart sogar grundsätzlich ab· spricht 4 • Selbst J. Koch sieht sich zu dem Urteil veranlaßt, Eckhart sei ein "unklarer Kopf" gewesen 5, und stimmt damit der gegenüber Eckhart vernich· tenden Kritik H. Denifles 6 nachträglich zu. Ein Bruch mit Traditionen, auf die ein Denker sich selbst festgelegt hat oder festgelegt worden ist, stiftet stets Verwirrung. Besondere Beachtung ver· dient jedoch ein derartiger Bruch, wenn er offen eingestanden wird. Ein solches Bekenntnis findet sich bei Eckhart: "Tertio ostendo quod non ita videtur mihi modo, ut quia sit, ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamenturn ipsius esse" 7• Vgl. Coll. in Sent.; Sermo Paschalis. E. Seeberg, Einleitung zu: Tract. s. orat. dom.; LW V, 106. 3 Vgl. E. Seeberg, Einleitung zu: Tract. s. orat. dom.; LW V, 106. 4 Vgl. H. Ebeling, Meister Eckharts Mystik, 341-34 7. s Vgl. M. Grabmann, Heinrich Denifle 0. P. und Kardinal Franz Ehrle S. J ., in: Philo· sophischesjahrbuch 56 (1946) 11 (briefliche Mitteilung]. Kochs an M. Grabmann). 6 Vgl. H. Denifle, Meister Eckeharts lateinische Schriften, und die Grundanschauung seiner Lehre, in: Archiv für Literatur· und Kirchengeschichte des Mittelalters 2 (1886) 518-532. 7 Quaest. Par. In. 4; LW V, 40, 5-7. Vgl. zur Interpretation dieser Quaestio: M. Grabmann, Neuaufgefundene Pariser Quaestionen Meister Eckharts und ihre Stellung in seinem geistigen Entwicklungsgange. Untersuchungen und Texte (Abhandlungen der Bayer. Akad. der Wissenschaften. Philosophisch-philologische und historische Klasse XXXII, Abh. 7), München 1927,48-75. W. Bange, Meister Eckeharts Lehre vom göttlichen und geschöpfliehen Sein, Limburg a. d. Lahn 193 7, 50-70. H. Ebeling, Meister Eckharts Mystik, 83-102. H. Nolz, Die Erkenntnislehre Meister Eckharts und ihre psychologischen und meta· physischen Grundlagen, Diss. (masch.) Wien 1949, 110-158. J. Kopper, Die Metaphysik Meister Eckharts, Saarbrücken 1955, 43f. P. Kelly, Meister Eckhart's Doctrine of Divine Subjectivity, in: Downside Review 76 (1958) 65-103. W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus (Philosophische Abhandlungen 40), Frankfurt a.M. 1972, 50-54. J. D. Caputo, The Nothingness of the Intellect in Meister Eckhart's "Parisian Ques· tions", in: The Thomist 39 (1975) 85-115. I
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Vernunft und vernünftiges Erkennen Gottes
Nivellierende Interpretationen nehmen dieses Bekenntnis zur Wende nicht emst 8 , verkennen, daß gerade in der deutschen Dominikanerschule, vornehmlich bei Albert dem Großen und Dietrich von Freiberg, eine Vernunfttheorie entwickelt worden ist, die Eckhart aufgreift, durchdenkt und - für seine Wende bezeichnend - rigoros faßt, so daß er sogar zu seiner Zeit, nämlich in Paris in den Jahren 1302/1303, auf Unverständnis stieß, später aufgrundder Modernität seines Denkens einen langwährenden Prozeß über sich ergehen lassen mußte. Die Wende vollzieht Eckhart während seiner zweiten Pariser Lehrtätigkeit in der ,Quaestio Parisiensis I'. Er diskutiert den Zusammenhang zwischen Sein und Denken und akzentuiert die Priorität der Vernunft oder des vernünftigen Erkennens Gottes gegenüber einem wie auch immer bestimmten Sein. Er bezieht sich bewußt auf Thomas von Aquins Gottesbegriff, zeigt dessen Grenzen auf, weist auf die Revisionsbedürftigkeit eigener früherer Ansichten hin und stellt den neuen Gedanken heraus: Während das menschliche Denken sich durch seine mittelbare oder unmittelbare Relation zum extramentalen Sein von eben diesem Sein unterscheidet und aufgrund dieser Entgegensetzung als relationales Nicht-Sein angesprochen werden kann, verdienen die Vernunft und das vernünftige Erkennen Gottes als relationsloses NichtSein bezeichnet zu werden, da jegliche Relationalität ihre Absolutheit einschränkte. Eckhart entlehnt seine Argumente getreu seiner Methode aus den unterschiedlichsten Bereichen, die der Metaphysik qua Theologie, der Naturphilosophie oder der Kosmologie zuordenbar sind. Der Quaestionencharakter der ,Quaestio' wird deutlich: In zugespitzter, einzig auf die verfolgte Intention ausgerichteter Weise determiniert Eckhart diese ,Quaestio'. Es wird sich zeigen, wie er nicht nur das aristotelisch-thomistische Denken weiterdenkt, nicht nur Transpositionen von durch Autoritäten verbürgten Sentenzen in seine Theorie vornimmt, ohne auf den entsprechenden Kontext dieser Sentenzen zu achten, sondern sogar Theoreme zur Explikation so verwendet, daß er nur einen bestimmten Aspekt, der in diesen Theoremen auch angesprochen ist, heraushebt und ihn als seiner Absicht zuträglich erweist, dabei aber die spezifische Aussageintention dieser Theoreme unberücksichtigt läßt, sie in ihrem ursprünglichen Aussagegehalt geradezu destruiert. Eckhart scheut sich nicht, so zu prozedieren, um in der Verknüpfung von Rigorosität und Innovationsfrische seine Absicht deutlich werden zu lassen: Akzentuierung absoluter Intellektualität, Herauslösung der göttlichen Vernunft, des göttlichen vernünftigen Erkennens, aus jeglicher einschränkenden SeinsgebundenK. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 75-96. R. Imbach, Deus est intelligere, 144-212. Vgl. auch die Einleitung zur englischen Obersetzung von: A. A. Maurer, Master Eckhart, Parisian Questionsand Prologues, Toronto/Can. 1974, 12-21. 8 Vgl. 0. Karrer, Das Göttliche in der Seele bei Meister Eckhart (Abhandlungen zur Philosophie und Psychologie der Religion 19), Würzburg 1928, 26. 32.
Albert der Große - Dietrich von Freiberg - Meister Eckart
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heit, sei dieses Sein ein bedingtes, sei es ein absolutes. Die göttliche Vernunft als Nicht-Sein transzendiert jeden Grad von Sein überhaupt, um als absolute Vernunft Prinzip oder Fundament, um in ihrer absoluten Geschiedenheit von jedem Sein Grund für alles Sein zu sein, da Sein in der Vernunft nichts anderes als die Vernunft selbst ist.
2.2. Von Albert dem Großen über Dietrich von Freiberg zu Meister Eckhart Albert der Große, Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart kommen darin überein, Gott als absolute Vernunft zu bestimmen, und suchen ihr Erweisziel dadurch zu erreichen, daß sie die dem Menschen eigentümlichen Erkenntnisweisen betrachten und die bezüglich des Intellekts gewonnenen Einsichten auf die göttliche Vernunft applizieren. 2.2.1. Albert der Große: der tätige Intellekt als Komparativinstanz für die göttliche Vernunft Albert vergleicht in seiner ,Summa theologiae' die göttliche Vernunfttätigkeit mit dem tätigen Intellekt (intellectus agens) 9 • Gegenüber dem möglichen Intellekt (intellectus possibilis), der das Produkt der Generationsaktivität des tätigen Intellekts ist und somit durch Passivität gekennzeichnet ist, bestimmt Albert den tätigen Intellekt einerseits als ein unvollkommenes agens, zum anderen als ein solches, das aus sich vollkommen ist. Der noch unvollkommene aktive Intellekt ist tätig aufgrund von Fertigkeit (ars), die aber erst auffindet, Belehrung erfährt, Lerneifer zeigt, überhaupt erst entsteht und Vermehrung des Wissensstoffes zuläßt; daher besitzt diese Generationsaktivität nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der göttlichen generatio. Anders verhält es sich mit dem tätigen Intellekt, der aus sich selbst und aufgrund seines wesentlichen Lichtes die Erkenntnisformen hervorbringt, die allgemeinen Bestimmungen (rationes), die in Ununterschiedenheit wesentlich der Intellekt selbst sind und dennoch aus ihm als koessentielle Inhalte gebildet werden 10• Diese Generationsaktivität besitzt eine größere Ähnlichkeit mit der göttlichen generatio, aber eben doch nur eine unvollkommene Ähnlichkeit, da die Vollkommenheit des Schöpfers nicht die des Geschöpfes sein kann, die causa prima als prima intelligentia sich von jeder anderen Intelligenz dadurch abhebt, daß sie sich in nichts von sich selbst unterscheidet, jede andere Intelligenz aber durch ihr Hingeneigt-Sein auf ihren Ursprung ein 9 Vgl. zum Ganzen: Albertus Magnus, S. theol. I tr. 7 q. 30 c. 1 solut.; Ed. Colon. XXXIV/I, 228,31-229,26. 10 Zur näheren Entfaltung dieser Theorie vgl.: Albertus Magnus, De int. et int. II tr. un. c. 3; Borgnet 9, 506 b-508 b.
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Anderes, ein Gegenüber, zuläßt und damit zu sich selbst Differenz aufweist 11 • Die vortrefflichste menschliche Erkenntnisweise, die des universell tätigen Intellekts, ist dennoch am ehesten geeignet, die Generationsaktivität der göttlichen Intelligenz, das Zeugen des Wortes, des Sohnes, verstehbar werden zu lassen. Darin stimmen nach Albert Platon, Augustin,Johannes von Damaskus und J ohannes Chrysostomus überein, Platon freilich nur insofern, als er zwar einen paternus intellectus annimmt, dessen Generationsaktivität sich aber nicht auf das göttliche verbum, sondern auf den mundus archetypus bezieht 12 • 2.2.2. Dietrich von Freiberg: Gott als intellectivum und die Theorie der causa essen tialis Dietrichs ,Quaestio utrum in Deo sit aliqua vis cognitiva inferior intellectu' steht zeitlich zwischen Alberts um 1270 abgefaßter ,Summa theologiae' 13 und Eckharts 1302/1303 proponierter ,Quaestio Parisiensis I': Dietrich neben Albert der einzige deutsche Dominikaner, der im 13. Jahrhundert in Paris den Titel ,magister in theologia' erwarb, und zwar im akademischen Jahr 1296/1297 - dürfte seine ,Quaestio Parisiensis' zwischen 1296 und 1298 (wahrscheinlich war er im akademischen Jahr 1297/1298 magister actu regens auf dem Nicht-Franzosen vorbehaltenen Lehrstuhl für Theologie in Paris) determiniert haben 14 • Wie Albert analysiert Dietrich in dieser ,Quaestio' spezifische Erkenntnisweisen, so die sensitive, die rationale und die intellektive Erkenntnis. Wie Albert erkennt auch Dietrich dem intellectivum eine den anderen Erkenntnisweisen gegenüber vorrangige Funktion zu, da dessen Erkenntnistätigkeit in einem einfachen Vernunftakt gründet, die Vernunft aber nicht nur einfach ist, sondern eine durch ihr Wesen immer in Wirklichkeit seiende Vernunft ist, bei der die Erkenntnisform und diese Vernunft selbst eine einfache Substanz sind 15 • Dietrich hat bereits in der Schrift ,De visione beatifica' gezeigt, wie dem tätigen Intellekt diese Bestimmungen zuzuerkennen sind: Er ist eine Substanz, erkennt immer in wirklichem Erkenntnisvollzug, ist ein wesentlich erkennender Intellekt 16 • In der Schrift ,De intellectu et intelligibili' weist Vgl. Albertus Magnus, S. theol. I tr. 7 q. 30 c. 2; Ed. Colon. XXXIV/I, 229, 6I-67. Vgl. auch: Albertus Magnus, S. theol. I tr. 3 q. I3 c. 3; Ed. Colon. XXXIV/I, 43, I2-I7. 44, I4-21. 13 Vgl. Prolegomena zu: Albertus Magnus, S. theol.; Ed. Colon. XXXIV/I, XVI, 73XVII, 45. 14 Vgl. Theodoricus de Freiberg, De int. I 7, 4; Mojsisch I4I, 40f.: " ... in scholis per modum quaestionis proposui et determinavi ... " Vgl. zur Edition und Interpretation dieser Quaestio: M. R. Pagnoni Sturlese, La "Quaestio utrum in Deo sit aliqua vis cognitiva inferior intellectu" di Teodorico di Freiberg, in: Xenia medii aevi historiam illustrantia oblata Thomae Kaeppeli O.P., Roma I978, IOI-I74. 15 Vgl. Theodoricus de Freiberg, Quaest. utrum in Deo 2; Pagnoni Sturlese I43, I4-I9. 16 Vgl. Theodoricus, De vis. beat. 1.1.-1.2.1.3; Mojsisch I5-46. II
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Dietrich darauf hin, daß er diese Vernunftbestimmungen der neuplatonischen Intelligenzentheorie entlehnt hat 17. Daher kann er in der ,Quaestio' konstatieren, all diese Bestimmungen träfen auf Gott und die geschaffenen Intelligenzen zu 18. Wenn Dietrich als Objekt der intellektiven Erkenntnis das einfache Wesen der Vernunft nennt, das auf sich das ganze Seiende insofern versammelt, als es alle Seienden und ihre Eigentümlichkeiten auf einfache Weise, auf vortrefflichere Weise, als sie in sich selbst sind, zuvor in sich besitzt 19 - dies gilt für jedes intellectivum, für das des Menschen, der kosmischen Intelligenz oder Gottes -, wenn er bemerkt, daß die von ihm explizit angesprochene intellektive Erkenntnis Gottes in ihrer Einfachheit die sensitive und rationale Erkenntniskraft nicht nur transzendiert, sondern auch auf ihr eigentümliche Weise, auf einfache Weise, auf unvergleichlich hervorragendere Weise, als sie in sich selbst sind, in sich umfaßt, so daß nicht nur die Vollkommenheiten aller Gattungen der Seienden, sondern auch alle Erkenntnisweisen in ihrer Einheit eins sind, in Gott somit keine Erkenntniskraft, die niedriger als die Vernunft ist, angenommen werden darf 20 , spricht er Elemente einer Theorie an, die in einer Vielzahl seiner Schriften leitend ist: die Theorie der causa essentialis. Er entwickelt sie ausführlich in der Frühschrift ,De animatione caeli', verwendet sie in ,De visione beatifica' und ,De intellectu et intelligibili' und erörtert sie erneut in den an kosmologischen Problemen orientierten späteren Werken ,De substantiis spiritualibus et corporibus futurae resurrectionis', ,De cognitione entium separatarum et maximeanimarum separatarum' und ,De intelligentiis et motoribus caelorum'. Im Traktat ,De animatione caeli' 21 zeigt Dietrich den Zusammenhang zwischen aristotelischer Naturphilosophie und neuplatonischer Kosmologie anband der Theorie der causa essentialis auf. In der Region der sublunaren Welt mit ihrer vierfachen Ursächlichkeit - causa materialis, formalis, efficiens und finalis -begegnet eine doppelte Wesensordnung: 1) Die genera causarum stehen untereinander in einem wesentlichen Abhängigkeitsverhältnis - die Materie untersteht der Ordnung nach der Form, Materie und Form dem Wirkenden, Materie, Form und Wirkendes dem Ziel. 17 Vgl. Theodoricus de Freiberg, De int. I 4-10; Mojsisch 138-143, bes. I 9, 2; 140, 29-32: "Ad istud genus intellectuum pertinet intellectus agens noster, qui ad similitudinem substantiarum separatarum nullo modo est in potentia passiva secundum modum illarum substantiarum et est substantia, nulli accidenti substratus vel substernibilis, sed quidquid est in eo, pure substantia sua est." 18 Vgl. Theodoricus de Freiberg, Quaest. utrum in Deo 2; Pagnoni Sturlese 143, 19f. 19 Vgl. Theodoricus de Freiberg, Quaest. utrum in Deo 3; Pagnoni Sturlese 144,20-23. 20 Vgl. Theodoricus de Freiberg, Quaest. utrum in Deo 6; Pagnoni Sturlese 145, 11-28. lbid. 7; Pagnoni Sturlese 145, 1-3. 21 Vgl. Theodoricus de Freiberg, De anim. 2, 2-5; Sturlese 13, 25-14, 50. Vgl. auch: L. Sturlese, Il "DE ANIMATIONE CAELI" di Teodorico di Freiberg, in: Xenia medii aevi historiam illustrantia oblata Thomae Kaeppeli O.P., Roma 1978, 175-247.
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2) Innerhalb eines jeden genus als solchen ist ebenfalls eine wesentliche Dependenz anzutreffen -ein Zweites untersteht der Ordnung nach einem Ersten, ein Drittes einem Zweiten; das Strukturgesetz: Die späteren Ursachen unterstehen der Ordnung nach den früheren, alle insgesamt aber einer ersten Ursache 22 . Dieses dependenzgeprägte Strukturgesetz läßt sich nach Dietrich gewissermaßen analog auf die neuplatonisch gefaßte translunare Welt übertragen 23 : Aus dem göttlichen Intellekt emanieren die Intelligenzen und die Himmelsseelen, die als intellektuelle Substanzen den Himmelskörpern wesentlich geeint sind. Der göttliche Intellekt ist causa essentialis der Intelligenzen, die Intelligenzen causaeessentiales der Himmelsseelen, die Himmelsseelencausae essentiales der Himmelskörper. Für die causa essentialis als solche aber gilt: 1) Sie bringt unmittelbar die Wesenheitendes von ihr Verursachten hervor. 2) Sie besitzt auf vortrefflichere Weise ihr Verursachtes zuvor in sich, als das Verursachte in sich selbst ist. 3) Sie ist ihr Verursachtes, jedoch gemäß einem anderen Sein, ist ihr Verursachtes in der Weise, daß sie im Verursachten in sich selbst als im Anderen ihrer selbst ist. 4) Sie steht schließlich - allgemein formuliert -der ganzen Gattung ihres Verursachten voran 24. Dietrich resümiert seine causa-essentialis-Theorie im späten Traktat ,De cognitione entium separatorum et maxime animarum separatarum' 25 : Causa essentialis ist 1. substantia, 2. substantia viva, 3. substantia viva essentialiter, wobei 4. die vita vita intellectualis ist, diese vita intellectualis 5. intellectus in actu ist; alle diese Bedingungen seien bei Gott, den Intelligenzen und den Himmelsseelen, aber auch beim intellectus agens des Menschen anzutreffen. Dietrichs Absicht ist deutlich: Er kombiniert die aristotelischen Gedanken zur causa essentialis (oder causa per se) 26 mit Theoremen des Proklus 27 und Dionysius Pseudo-Areopagita 28 auf dem Hintergrund der augustinischen ordoTheorie29, um zwei Sentenzen des ,Liber de causis' Geltung zu verschaffen:
Vgl. Theodoricus de Freiberg, De anim. 3, 1-4, 3; Sturlese 14, 52-16, 95. Vgl. Theodoricus de Freiberg, De anim. 5, 2; Sturlese 16, 11-18. 24 Vgl. Theodoricus de Freiberg, De anim. 8, 1-4; Sturlese 19, 3-20, 38. 25 Vgl. Theodoricus de Freiberg, De cog. ent. 23, 1-6; Steffan 186, 93-187, llO. Vgl. dazu: H. Steffan, Dietrich von Freibergs Traktat De cognitione entium separatorum. Studie und Text, Diss. (masch.) Bochum 1977, 30-32. 26 Vgl. zur Bestimmung der causa essentialis (oder causa per se): Aristoteles, Phys. II 6, 198 a 5-9. lbid. VIII 4-5, 255 a 30-256 b 7. Averroes, In Aristotelis Phys. II, t. comm. 66; Venetiis 1562, 73 rB. 27 Vgl. Proclus, Eiern. theol., prop. 31; Vansteenkiste 278. Ibid. prop. 34; Vansteen· kiste 279. 28 Vgl. Dionysius Areopagita, De coel. hier. IV 3; PG 3, 180f. lbid. X 3; PG 3, 273. Theodoricus de Freiberg, De vis. beat., prooem. 1; Mojsisch 13, 3-11. 29 Vgl. Augustinus, De civ. dei XIX 13; CC 4 7, Dom bart/Kalb 6 79, 1lf. Theodoricus de Freiberg, De vis. beat., prooem. 1; Mojsisch 13, 11-13. 22
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" ... causa prima creavit esse animae mediante intelligentia" 30• "Causatum ergo in causa est per modum causae ... " 31 . In diesen Sentenzen kommt unmittelbar zum Ausdruck, daß die Wesensordnung statisch und dynamisch zugleich gedacht wird: Was in der Ursache ist, ist dort auf die Weise der Ursache, ist nichts anderes als die Ursache selbst, ist die durch Selbstidentität ausgezeichnete Ursache; daher besitzt die Ursache ihr Verursachtes zuvor in sich - wie nicht erst Dietrich, sondern bereits Proklus formuliert 32 -,und zwar in vortrefflicherer Weise, als es in sich selbst ist, steht der ganzen Gattung des Verursachten voran, ist Substanz, ist intellektuelles Leben und wesentlich wirklicher Intellekt - Proklus spricht vom wesentlichen Leben ( vita essentialis) und wesentlichen Intellekt (intellectus essentialis) 33 • Die Dynamik wesentlicher Prozessualität besteht darin, daß die Ursache produktiv ist, indem sie ihr Verursachtes begründet, damit aber selbst im Verursachten ist, ihr Verursachtes gemäß einem anderen Sein selbst ist. 2.2.3. Meister Eckhart: causa essentialis und principium essentiale Bei der Analyse des Schriftwortes ,In principio erat verbum' in der ,Auslegung des Johannesevangeliums' trägt Eckhart konzentriert seine principium-essentiale- (oder causa-essentialis-)Theorie vor und nennt vier natürliche Bedingungen eines jeden principium essentiale: "Prima ( condicio ), q uod in ipso contineatur suum principiatum sicut effectus in causa. Et hoc notatur, cum dicitur: in principio erat. Secunda, quod in ipsa (causa) non solum sit, sed etiam praesit et eminentius sit suum principiatum quam illud in se ipso. Tertia, quod ipsum principium semper est intellectus purus, in quo non sit aliud esse quam intelligere, nihilo nihil habens commune, ut ait A n a x agoras, III De anima. Quarta condicio, quod in ipso et apud ipsum principium sit effectus virtute coaevus principio. Et haec tria notantur, cum dicitur verbum, quod est ratio. Ratio enim non solum habet, sed praehabet et eminentius habet, quia virtute, quod effectus habet formaliter. lterum et ratio in intellectu est, intelligendo formatur, nihil praeter intelligere est. lterum etiam coaeva est intellectui, cum sit ipsum
L. de causis, prop. III, cornrn.; Pattin 140, 13f. L. de causis, prop. XI (XII), cornrn.; Pattin 162, 76. 32 Vgl. Proclus, Eiern. theol., prop. 65, cornrn.; Vansteenkiste 289: " ... ornnis causa praehabet in seipsa causaturn ... " 33 Vgl. Proclus, Eiern. theol., prop. 103, cornrn.; Vansteenkiste 492: " ... et in ente ergo vita praesurnpta est et intellectus, unoquoque autern secundurn subsistentiarn caracterizato et neque secundurn causarn: aliorurn enirn est causa, neque secundurn posthabi· tionern: aliunde enirn habet hoc quod posthabet. Sie est ibi et vivere et intelligere, vita essentialis et intellectus essentialis." 30 31
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intelligere et ipse intellectus. Et hoc est quod sequitur: verbum erat apud deum, et deus erat verbum, hoc erat in principio apud deum" 34• Auch bei Eckhart zeichnet sich somit das principium essentiale dadurch aus, daß sein Prinzipiat in ihm ist wie die Wirkung in der Ursache, ferner zuvor und auf hervorragendere Weise, als es in sich selbst ist, in ihm ist; daiüber hinaus ist das Prinzip stets reiner Intellekt, dessen Sein nichts anderes ist als Erkennen in dem Sinne, daß alles Sein in seinem Erkennen das Erkennen selbst ist; schließlich ist die Wirkung in und bei ihrem Ursprung der Kraft nach von gleicher Überzeitlichkeit wie ihr Ursprung. In nuce spricht Eckhart hier seine Theorie der Analogie und Univozität an und faßt insofern die causa essentialis weiter als Dietrich 35 . Das verbum (die ratio) wird von Eckhart einerseits selbst als reiner Intellekt gedacht unter dieser Rücksicht ist es causa primordialis 36, essentialis et originalis für das Universum 37 , ist causa analoga -, andererseits aber als dem ursprungs· losen Ursprung und wesentlich Tätigen (deus-pater) immanente Wirkung 38 das verbum ist insofern bei Gott als der causa univoca. Diese Momente des analogen und univoken Verhältnisses zwischen Wirkung und Ursache - oder besser: zwischen Prinzipiat und Prinzip -werden von Eckhart noch verdeutlicht: "Carissimi, in causis essentialibus universaliter, etiam secundo-primis, causa se tota descendit in causatum, ita ut quodlibet sit in quolibet modo quolibet, sicut in D e c a u s i s dicitur. In causis autem primordialibus sive originalibus primo-primis, ubi magis proprie nomen est principii quam causae, principium se toto et cum omnibus suis proprietatibus descendit in principiatum. Audeo dicere quod etiam cum suis propriis -loh. 14: ,ego in patre et pater in me est' - ut non solum hoc sit in illo, quodlibet in quolibet, sed hoc sit illud, quodlibet quodlibet, loh. 10: ,ego et pater unum sumus' " 39 • Eckhart verbindet mit dem Hinweis auf das In-Sein des principium essentiale in seinem Prinzipiat eine Korrektur der im ,Liber de causis' angesprochenen Immanenz der Wesensursache: Fürcausae essentiales im allgemeinen- somit auch für causae essentiales secundo-primae - gilt, daß sie im Verursachten sind - quodlibet in quolibet; analoges Bezugsverhältnis -; mit den causae essentiales qua causae primordiales oder originales primo-primae verhält es 34 In loh. n. 38; LW III, 32,7-33, 6. Vgl. J. Eberle, Die Schöpfung in ihren Ursachen. Untersuchung zum Begriff der Idee in den lateinischen Werken Meister Eckharts, Diss. Köln 1972, 71. 3 5 Unzureichend ist der Hinweis von: J. Eberle, Die Schöpfung in ihren Ursachen, 69: "Eckhart gebraucht daher synonym für die analoge Ursache auch häufig die Bezeichnung ,causa essentialis'." ,Causa essentialis' ist nicht auf ,causa analoga' beschränkt, umfaßt
auch ,causa univoca'.
Vgl. zur Funktion der causae primordiales beijohannes Eriugena: H. Liebeschütz, Mittelalterlicher Platonismus beijohannes Eriugena und Meister Eckhart, 250 u. Anm. 21. 37 Vgl. In loh. n. 45; LW III, 37,8-12. 38 Vgl. auch: In loh. n. 31; LW III, 25,8-10. 39 Serm. II, 1 n. 6; LW IV, 8, 4-11. Vgl. In Gen. II n. 47; LW I, 515, 5-ll. L. de causis, prop. XI (XII) et comm.; Pattin 161,64-162, 77. 36
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sich bezüglich der Immanenz jedoch insofern anders, als über eine terminologische Korrektur hinaus - principium statt causa - das Prinzip nicht nur im Prinzipiat, sondern das Prinzipiat selbst ist - quodlibet quodlibet; univokes Bezugsverhältnis -; damit will Eckhart andeuten, daß sich dort, wo Prinzip und Prinzipiat Vernunft sind, das Prinzip nichts vergibt, wenn es das Prinzipiat selbst ist, wenn sich Prinzip und Prinzipiat in univoker Korrelationalität wechselseitig durchdringen. Alscausae essentiales qua primordiales et originales primo-primae werden von Eckhart Gott, "supremum et prima causa essentialis omnium" 40 , dann der Logos, dasverbumoder die ratio 41 , betrachtet. Die Theorieteile ,Univozität' und ,Einheit' werden in Verbindung mit der Theorie der Seele erkennbar werden lassen, welche Zusammenhänge zwischen der causa essentialis als causa analogaoder univoca, der Einheit und dem menschlichen Denken bestehen. Besitzt so die Theorie der causa essentialis oder des principium essentiale für· Eckhart grundsätzlich konstitutive Bedeutung, verhilft er in der ,Quaestio Parisiensis I' jedoch allein einem Gedanken zu seinem Recht: Superius ordine essentiali totum est extra suum inferius quodlibet. Das hat zur Folge, daß er einerseits die Perspektive des Geschiedenseins der causa essentialis qua causa analoga von ihrem causaturn hervorhebt, zum anderen aber auch das Verhältnis zwischen causa essentialis qua causa univoca und causaturn univocum berücksichtigt. Bezüglich der Methode der Transposition und Applikation bestimmter Strukturen des menschlichen Geistes auf die göttliche Vernunft wird Eckhart wie Albert und Dietrich verfahren. Anders als Albert wird Eckhart jedoch nicht den universell tätigen Intellekt als - wenngleich nur unvollkommenes Paradigma für die göttliche Vernunft wählen, sondern den möglichen Intellekt, wird Gott auch nicht zuerst als Sein denken, um dann allein die göttliche Generationsaktivität als intellektuelle Produktivität zu bestimmen. Von Dietrich wird Eckhart insofern abweichen, als die causa essentialis nicht nur als causa analoga diskutiert wird, sondern auch als principium essentiale univocum, obwohl zu berücksichtigen ist, daß auch Dietrich den ordo essentialis mit seiner dependenzgeprägten analogen Kausalitätsstruktur durchbricht 42 , dies jedoch nicht unter dem Titel ,causa essentialis primo-prima' qua ,causa univoca', auch nicht im Rekurs auf die gerade von Eckhart betonten univoken Korrelationsverhältnisse.
40 In loh. n. 195; LW III, 163, lOf. Vgl. dazu: Albertus Magnus, Super Dionysium, De div. nom. 4 n. 177, solut.; Ed. Colon. XXXVII/I, 262, 6-14: "Dicendum ad primum, quod causa essentialis dupliciter dieitur: uno modo eausa essentialis dicitur, quae intrat essentiam rei sieut materia et forma, et sie deus nullius ereati est essentialis eausa; dieitur etiam essentialis eausa, quae eausat per essentiam suam, et sie prima eausa maxime essen· tialis eausa est et eausat omnia per suam essentiam, quae est sua bonitas, et sie nihil potest eausari ex ipso nisi bonum." 41 Vgl. In loh. n. 31; LW III, 25,8-10. Ibid. n. 45; LW III, 37,8-12. 42 Vgl. oben S. 17, Anm. 63.
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Die Gedankenentwicklung in der ,Quaestio Parisiensis /'
2.3.1. "Intelligere fundamenturn ipsius esse" Zu dem in der ,Quaestio Parisiensis I' gestellten Problem, ob in Gott Sein und vernünftiges Erkennen identisch seien, führt Eckhart zunächst sechs Argumente an, mit denen Thomas von Aquin seine Lösung im Sinne der Realidentität von Sein und Erkennen - wegen der Erstheit und Einfachheit Gottes -begründet hatte 43 . Für Eckhart stellt diese Lösung nur einen Lösungsversuch dar und findet bei ihm ebensowenig Anerkennung wie eine von ihm dann angedeutete eigene frühere Ansicht: Der Gedanke, daß der Mensch nicht deshalb ist, weil er verstandesbegabt ist, sondern verstandesbegabt ist, weil er ist, bedeutet in seiner Applikation auf das vollkommenste Sein, das mit Gott identisch ist, daß Gott durch dieses sein Sein alles wirkt, trotz der Identität von Sein und vernünftigem Erkennen in Gott somit ein Vorrang des Seins anzunehmen ist, da auch das Erkennen durch das Sein erfolgt 44 • Schließlich spricht Eckhart das in seinerneuen Einsicht gründende Erweisziel an: "Tertio ostendo quod non ita videtur mihi modo, ut quia sit, ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamenturn ipsius esse" 45 • Weder Identität von Sein und vernünftigem Erkennen noch eine in dieser Identität zu akzentuierende Priorität des Seins gegenüber dem Erkennen sind als Problemlösungen annehmbar. Eckhart begnügt sich auch nicht mit einer bloßen Perspektivenverschiebung zugunsten einer Priorität des Erkennens. Sein Anspruch, den er mit seinem Erweisziel verknüpft, ist radikaler: Gott ist nur, weil er erkennt; Gott ist Vernunft, ist vernünftiges Erkennen, und eben dieses Erkennen ist Fundament seines Seins. 2.3.2. Die Disjunktion ,göttliche Vernunft- geschaffenes Sein' Die Begründungen lassen Eckbarts methodologisches Konzept deutlich werden. Zuerst führt er das Johanneische dieturn ,In principio erat verbum, et Vgl. Quaest. Par. In. 1-2; LW V, 37-39. Vgl. zur ausführlichen Darstellung des Verhältnisses von esse und intelligere in deo bei Thomas von Aquin: R. Imbach, Deus est intelligere, 8-143. 44 Vgl. Quaest. Par. In. 3; LW V, 39f. In seinem bisher nicht wiederaufgefundenen Sentenzenkommentar ((anders: J. Koch, Ein neuer Eckhart-Fund: der Sentenzenkommentar, in: Kleine Schriften I, 239-246; dagegen: G. Meersseman, De Sententienkommentaar (Cod. Brugen. 491) van de Gentse Iektor Philip O.P. (1302-04), in: Studia mediaevalia in honorem . . . R. J. Martin O.P., Brugis Flandorum 194 7, 383-407; B. Decker, Die Gotteslehre des Jakob von Metz. Untersuchungen zur Dominikanertheologie zu Beginn des 14. Jahrhunderts, hrsg. von R. Haubst (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters XLII/1 ), Münster/Westf. 196 7, 49-72)) dürfte Eckhart diese Theorie vertreten haben. Vgl. dazu die Andeutung in: Coll. in Sent. n. 6; LW V, 23, 7-12. 45 Quaest. Par. In. 4; LW V, 40, 5-7. 43
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verbum erat apud deum, et deus erat verbum' an, weist mit unverhohlener Ironie darauf hin, daß beim Evangelisten nicht von einem ,In principio erat ens, et deus erat ens' die Rede sei, und bemerkt, daß das verbum, das Wort, völlig auf den Intellekt bezogen sei und dort sprechend oder gesprochen, nicht jedoch ein (aus Vernunft oder Sprechen und Sein} vermischtes Sein oder Seiendes sei 46 • Dieses Argument bleibt unverständlich, wenn Eckharts Theorie der causa essentialis nicht berücksichtigt wird, die das sich wechselseitige Durchdringen von Vernunft und Wort, durch das die Vernunft spricht und das selbst gesprochen ist, erklärbar werden läßt: "ltem consequenter omnis causa essentialis generaliter dicit effectum suum et dicit se ipsam totam ut sie in effectu, et ipse effectus est verbum, quo dicens dicit, et est ipsum verbum, quod dicitur et quo solo innotescit dicens, loh. 1: ,deum nemo unquam vidit, unigenitus' ,ipse enarravit' " 47 • Was für den Vernunftbezug des verbum gilt, trifft auch auf den der Wahrheit zu, da Wahrheit eine Relation, die zur Vernunft, impliziert, die Relation aber ihr ganzes Sein der Seele verdankt und als solche eine reale Kategorie ist - Gleiches gilt von der Zeit 48 • Abgesehen davon, daß Eckhart hier andeutet, was Dietrich von Freiberg ausführlich entwickelt, nämlich die das prädikamentale Sein und besonders die Zeit begründende Funktion der ratio (des intellectus possibilis) 49 , setzt er nun mit seiner Methode der Transposition ein: Die Wahrheit ist seinslos, nur auf die Vernunft bezogen; wie aber gerade die Relation allein der Seele ein vernünftiges Sein verdankt, das zugleich als reales Sein anzusprechen ist, so ist auch das nach Augustin mit der Wahrheit identische göttliche verbum als Wahrheit relational, insofern ausschließlich auf Vernunft bezogen. Für Eckhart ist ein erstes Teilziel erbracht: Der Vernunftbezug des verbum als der veritas rechtfertigt die Rede von einer göttlichen Vernunft, die nichts anderes ist als Vernunft und in ihrem Erkennen, gedacht als Sprechen, ihr Erkanntes erkennt, das auf sie zurückweist. Befremdlich wirkt allerdings die unmittelbare - nur auf Autorität sich stützende - Identifikation von verbum und veritas, noch befremdlicher, in welcher Unmittelbarkeit der Wahrheitsbegriff überhaupt eingeführt und daß auf jegliche inhaltliche Diskussion des Problems ,Wahrheit' verzichtet wird, einzig der Gesichtspunkt der im Wahrheitsbegriff implizierten Vernunftrelation für sich angesprochen wird. Eckhart setzt in der ,Quaestio' die von ihm selbst später explizierte Vgl. Quaest. Par. In. 4; LW V, 40, 7-12. In Gen. li n. 47; LW I, 515,5-8. 48 Vgl. Quaest. Par. In. 4; LW V, 40, 11-41, 3. 49 Vgl. K. Flasch, Kennt die mittelalterliche Philosophie die konstitutive Funktion des menschlichen Denkens? Eine Untersuchung zu Dietrich von Freiberg, in: Kant-Studien 63 (1972) 182-206 (Interpretation der Schrift ,De origine rerum praedicamentalium'). Zur konstitutiven Funktion derratiobezüglich der Zeit vgl.: Theodoricus de Freiberg, De natura et proprietate continuorum; Rehn 249-273. Weite Passagen aus dieser Schrift Dietrichs referiert: Nicolaus de Strassburg, Summa philosophiae: De tempore nostro; Cod. Vat. Lat. 3091, fol. 179 ra-204 vb. 46 47
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Transzendentalientheorie 50 mit ihrer These der Konvertibilität von ens und verum als bekannt voraus, ersetzt jedoch hier das ens durch den intellectus, da der ens-Begriff zunächst restriktiv als nicht-transzendentalgefaßt wird. Diese Nicht-Transzendentalität des ens (oder esse) kommt darin zum Ausdruck, daß Eckhart Sein und Geschaffen-Sein identifiziert, gerechtfertigt durch das Johanneswort ,omnia per ipsum facta sunt' (alles durch ihn Gewordene ist), so daß Sein dem Gewordenen erst nachträglich zukommt 51 • Das Gewordene ist demnach Inhalt der göttlichen Vernunft, ist diese selbst, trennt sich jedoch von ihr, sofern es Sein ist; als solches ist es Geschaffenes. Daher kann Eckhart die der Kosmologie des ,Liber de causis' entnommene Sentenz ,prima rerum creatarum est esse' anführen, um zu folgern: "Unde statim cum venimus ad esse, venimus ad creaturam. Esse ergo primo habet rationem creabilis ... " 52 • Der Sinn, den Eckhart der Liber-de-causis-Sentenz verleiht, nämlich das Sein restriktiv als dem Geschöpf eigentümlich zu fassen, läßt seine selektive Interpretationstechnik hervortreten: Ein dieturn wird aus sich selbst heraus verstanden; der ursprüngliche Kontext bleibt unberücksichtigt. Daß die Sentenz nicht ausschließt, Gott auch als Sein zu denken, kann bereits durch den Liber-de-causis-Kommentator Albert den Großen belegt werden 5 3 ; die Erläuterung zur zweiten Proposition dieser Schrift erklärt aber auch selbst: "Esse vero quod est ante aetemitatem est causa prima, quoniam est causa ei"s4. Eckhart ist dieser Text nicht unbekannt, bringt er ihn doch selbst im ,Genesiskommentar I' mit der Sentenz ,prima rerum creatarum est esse' in Verbindung: "Et in D e c- aus i s dicitur quod ,prima rerum creatarum est esse', id est secundum unum intelleeturn quod esse est prima causa rerum creatarum et creationis" 55 • Dieser Hinweis ist insofern von Bedeutung, als Eckhart zu erkennen gibt, daß er bisweilen einem bestimmten Verständnis seiner Autoritäten (secundum unum intellectum) folgt, damit aber sich seiner der ,Quaestio Parisiensis I' zugrundeliegenden selektiven Interpretationstechnik noch bewußt ist und ihre Legitimität nachträglich bestätigt.
so Vgl. unten: 3.3.-3.4. st Vgl. Quaest. Par. In. 4; LW V, 41, 4-6. 52 Quaest. Par. In. 4; LW V, 41, 7f. 53 Vgl. Albertus Magnus, De causis et proc. univ. II tr. 1 c. 7; Borgnet 10, 446 a. 54 L. de causis, prop. II, comm.; Pattin 138, 74f. ss In Gen. In.141; LW I, 294, 13-295, 1. Vgl. auch: In Sap. n. 26; LW II, 346, 5-8: ,.Et hoc est quod in D e c a u s i s dicitur: ,prima rerum creatarum est esse'. Hoc est dicere, secundum unum intellectum, quod rerum creatarum ipsum esse est prima causa earum, id est finis; prima enim causacausarum est finis." lbid. n. 27; LW II, 346, 1334 7, 1: "Deus esse, et ab ipso omne esse."
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2.3.3. Präsuppositionen Die nun folgenden Voraussetzungen, die Eckhart trifft, um den Erweis zu erbringen, daß Gott Schöpfer und nicht erschaffbar, Vernunft und vernünftiges Erkennen und nicht Seiendes oder Sein ist, lassen erneut seine Methode des Konnexes von Seiektivität und Transposition deutlich werden. Dafür, daß die Vernunft höher (altius) als das Sein ist, führt Eckhart den Grundsatz an, daß das Werk der Natur das Werk einer Intelligenz sei, und nennt als Quellen den ,Liber de causis' und Averroes, der sich auf Themistius beziehe 56 • Er hätte auch Albert den Großen und Thomas von Aquin berücksichtigen können 57 • Einem Einwand, daß dem höheren Rang des intelligere wohl die Abfolge des Ternars ,esse- vivere- intelligere', sofern sie als solche, nicht bezogen auf die daran Partizipierenden genommen werde, widerspreche, begegnet er kurzerhand mit dem Hinweis: Das intelligere nehme grundsätzlich den ersten Rang ein, ihm folge das esse 58• Mit weiteren Argumenten sucht Eckhart zu zeigen, daß das vernünftige Erkennen und seine Inhalte von anderer Bestimmtheit (alterius condicionis) sind als das Sein: Die mathematischen Inhalte, das Wahre wie überhaupt alles, was in der Seele begegne (etwa die species als Vermittlungsinstanz der Erkenntnis), seien Nicht-Seiende; die Relation zum Nicht-Seienden erweise aber auch die Vernunft überhaupt als nicht-seiend, somit auch die göttliche Vernunft. Dadurch, daß das göttliche Wissen Ursache für die Wirklichkeit, die Wirklichkeit hinwiederum Ursache für unser Wissen sei, werde unmittelbar angezeigt, daß alles, was in Gott sei, das Sein transzendiere und ganz vernünftiges Erkennen sei 59• Diese Argumente finden sich erneut in der ,Quaestio Parisiensis 11' 60 , wo sich Eckhart arbeitsökonomisch streng im Bereich des aristotelisch-thomistiVgl. Quaest. Par. In. 5; LW V, 42, 7-11. In Gen. In. 6; LW I, 189,9-13. In Gen. li n. 203; LW I, 676, 3-6. lbid. n. 214; LW I, 690, 5-9. 5 7 Vgl. Albertus Magnus, De causis et proc. univ. I tr. 2 c. 8; Borgnet 10, 399 a. Thomas Aquinas, In Phys. li lect. IV c. 2 n. 6. De pot. q. 3 a. 15 resp. 58 Vgl. Quaest. Par. In. 6; LW V, 42, 8-43, 5. Eckhart kritisiert damit Thomas von Aquin (vgl. S. theol. I 4, 2 ad 3), indem er der L.-de-causis-Sentenz ..... in intelligentia sunt esse et vita" ((L. de causis, prop. XI (XII), comm.; Pattin 161, 68f.))- ohne Berücksichtigung des Zusatzes "Verumtamen esse et vita in intelligentia sunt duae alachili, id est intelligentiae ... " ((L. de causis, prop. XI (XII), comm.; Pattin 161, 70f.))- grundsätzlich Geltung verschafft. Vgl. dazu: In loh. n. 61; LW li I, 51, 3f.: "Et ibidem in commento: esse et vivere in intelligentia intelligentia et simplex intelligere est ... " Mit diesem Gedanken legitimiert Eckhart auch seine Theorie, daß das Seiende nicht nur in seiner Ursache auf die Weise der Ursache, sondern auch in seiner Ursache als reiner Vernunft sei. Der L. de causis ist damit vorrangig als Quelle für Eckharts Vernunftbegriff in der Quaest. Par. I zu betrachten. Zum Ursprung des Ternars ,esse - vivere - intelligere' vgl.: P. Hadot, Etre, vic, pensee chez Platin et avant Platin, in: Les sources de Platin, Geneve 1960, 107-141. 59 Vgl. Quaest. Par. In. 7-8; LW V, 43, 6-44, 14. 60 R. Klibansky (vgl. Magistri Eckardi Quaestiones Parisienses, ed. A. Dondaine. Commentariolum de Eckardi Magisterio adiunxit R. Klibansky, Lipsiae 1936, XXIVf.) ist 56
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sehen Denkens bewegt, dessen Grenzen aufzeigt und damit erkennbar werden läßt, wie gerade der Geltungsbereich der Vernunft als Vernunft nicht auf das menschliche Denken beschränkt ist, sondern auch die Intellektualität Gottes ausmacht, einzig mit dem Unterschied, daß die menschliche Vernunft allein von ihrem Bezug zum Seienden her als diesem Seienden entgegen verstanden wird, die göttliche Vernunft aber durch relationslose Geschiedenheit gegenüber jeglichem determinierten Seienden ausgezeichnet ist. Es wird deutlich, warum Eckhart in den genannten Argumenten der ,Quaestio Parisiensis I' die Nicht-Seiendheit der menschlichen Vernunft anführt, um diese Bestimmung dann auch auf die göttliche Vernunft zu applizieren. Eckbarts Bestimmungen der Vernunft in der ,Quaestio Parisiensis II': Die Vernunft als Vernunft ist nichts von dem, was ist, bevor sie erkennt; sie ist unvermischt, hat mit nichts etwas gemein, um alles erkennen zu können 61 ; wenn die Vernunft als Vernunft aber nichts ist, dann ist auch das vernünftige Erkennen kein Sein 62 . - Das Objekt der Vernunft ist draußen, das Sein (als Sein der Seele) aber etwas Inneres; aufgrundder Abhängigkeit der Vernunft vom Objekt, dem realen Sein, besitzt sie kein Sein 63 • -Die species ist principium quo der Erkenntnis und als Repräsentation des Seienden selbst kein Seiendes; da die intellektive Tätigkeit aber nicht mehr an Seiendheit besitzt als das principium quo, ist auch das Erkennen in keiner Weise Seiendes 64 • Die Vernunft ist weder hier noch jetzt, noch ein Dieses, insofern kein Seiendes, weder die Vernunft noch das vernünftige Erkennen; diese Vernunft ist jedoch nicht gänzlich nichts, sondern Naturpotenz der Seele und als solche ein Etwas, prinzipiiert von der Seele 65 • - Die abstrakten mathematischen Gegenstände sind nicht-seiend, auch das Allgemeine; sind sie aber Gegenstände der Vernunft, ist auch die Vernunft nicht-seiend 66 • - Grundsätzlich gilt: Gegenüber dem Seienden als einem Bestimmten sind Vernunft und vernünftiges Erkennen unbestimmt, kein Seiendes 67 • - Ein letztes Argument: Das Seiende in seiner Ursache ist kein Seiendes. Kein Univokes (nullum univocum) besitzt nämlich wahrhaft die Bestimmtheit der Ursache. Die Bestimmtheit des Seienden ist somit einzig bei dem anzutreffen, das von der Ursache herabsteigt. In Gott begegnet daher die Bestimmtheit des Seienden der Annahme, daß die sog. Quaest. Par. II vor der sog. Quaest. Par. I determiniert worden ist, dies entgegen der handschriftlichen Oberlieferung. Zwei Bedenken sind jedoch anzumelden: I) Den Gedanken zur Wende spricht Eckhart allein in der Quaest. Par. I explizit an. 2) Thematisch besitzt die Quaest. Par. I eine Priorität gegenüber der Quaest. Par. II, so daß Eckhart dem vorzüglicheren Gegenstand zuerst in Paris eine Quaestio gewidmet haben dürfte. Klibanskys Argumente sind damit nicht widerlegt, eine endgültige Entscheidung hinsichtlich des ordo quaestionum jedoch steht noch aus. 61 Vgl. Aristoteles, De an. 111 4, 429 a 18. a 24. b 23. 62 Vgl. Quaest. Par. II n. 2; LW V, 50, 1-5. 6 3 Vgl. Quaest. Par. II n. 3; LW V, 50, 6-ll. Ibid. n. 6; LW V, 52, 12-15. 64 Vgl. Quaest. Par. II n. 4; LW V, 50, 12-51, 7. Nähere Begründung: n. 5-6. 65 Vgl. Quaest. Par. II n. 7; LW V, 52, 16-53,8. 66 Vgl. Quaest. Par. II n. 8-9; LW V, 53,9-15. 67 Vgl. Quaest. Par. II n. 9; LW V, 53, 16-18.
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nicht, weil er Ursache für das ganze Seiende ist. Da unser Erkennen aber vom Seienden verursacht wird, entfernt es sich vom Seienden, strebt zum NichtSeienden, besitzt kein Sein 68 • Gerade dieses letzte Argument verdient insofern Beachtung, als Eckhart seine Theorie der Analogie und Univozität zumindest andeutet, den Terminus ,univocum' zum ersten Mal nennt. Der Sinn des Arguments: Das Seiende in seiner Ursache ist kein Seiendes, da die Ursache, sofern sie in sich selbst ist, als causa univoca gedacht wird, die nicht als causa analoga wirkt, sondern als principium (causa essentialis primo-prima als principium) begründet. Einzig dort, wo ein solches Verursachungsverhältnis vorliegt, daß das Seiende aus seiner Ursache herabsteigt, wird die Ursache zur Ursache des Seienden, das dann überhaupt erst und ausschließlich den Namen ,Seiendes' verdient. Gott als causa univoca ist kein Seiendes, da er als derartige causaVernunftist und nicht Ursache für Seiendes. Allein als causaanalogaermöglicht er dem Seienden, Seiendes zu sein. Das Seiende trennt sich dann aber von Gott, sofern er causa univoca und Vernunft ist. Gegenüber dieser Vernunft ist Seiendes zwar Seiendes, läßt aber vergessen, daß es in seiner causa univoca nichts ist als Vernunft, die gegenüber diesem Seienden nicht-seiend ist. Das Seiende in seiner causa analoga ist aber deshalb Vernunft als causa univoca, weil die causa analoga, die Seiendes werden läßt, selbst erst durch den Bezug zum Seienden causa analoga, ohne diesen Bezug aber causa univoca ist. Daß das menschliche Erkennen deswegen kein Sein besitzt, weil es vom Seienden verursacht ist, gründet jedoch in Eckharts Anerkennung des neuplatonisch-averroistischen Dependenzmodells 69 • Was in der ,Quaestio Parisiensis II' als Abfall vom Sein pejoratives Kolorit trägt, wird später Auszeichnung der Vernunft: Wenngleich auf Seiendes bezogen, besitzt sie die lVlöglichkeit, das Seiende zu lassen. Diese Vernunft ist von Eckhart bereits in den ,Quaestiones' als intellectus possibilis gedacht, als die Vernunft, die, bevor sie erkennt, nichts ist, um alles werden zu können, die zugleich aber die Möglichkeit ist, zu nichts zu werden. Der intellectus agens liegt außerhalb Eckhartsehen Interesses 70 • Der anonyme Thomist der von M. Grabmann edierten Baseler ,Quaestio' 71 hat auch in bezug aufThomas von Aquin einen derartigen Vorrang des intellectus possibilis gegenüber dem intellectus agens behauptet, dies in polemisierendem Gegensatz zu Dietrich von Freiberg 72 , der unter dem Vgl. Quaest. Par. II n. 10; LW V, 54, 1-5. Vgl. Averroes, In Aristotelis Metaph. XII, t. comm. 51; Venetiis 1562, 33 7 rB: "Et ideo hoc nomen scientia aequivoce dicitur de scientia sua et nostra. Sua enim scientia est causa entis: ens autem est causa nostrae scientiae." 70 Vgl. R. Siller, Zur Ermöglichung von Freiheit bei Meister Eckhart, Diss. (masch.) München 1972, 100-108. Die wenigen bei Eckhart auffindbaren Hinweise auf den intellectus agens werden von Siller diskutiert. 71 Vgl. M. Grabmann, Mittelalterliche Deutung und Umbildung der aristotelischen Lehre vom NOY~ nOIHTIKO~ nach einer Zusammenstellung im Cod. B 111 22 der Universitätsbibliothek Basel (Sitzungsb. der Bayer. Akad. der Wissenschaften, Philosophischhistorische Abteilung 4), München 1936, 1 Olf. 72 Vgl. M. Grabmann, Mittelalterliche Deutung, 94-100. 68
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Titel ,Intellekt als Intellekt' die Einheit von möglichem und tätigem Intellekt betont 73 • Eckhart folgt somit zunächst eher Thomas, distanziert sich jedoch von ihm insofern, als er die Implikate der im Begriff des möglichen Intellekts liegenden Möglichkeit für seine ihm eigentümliche Univozitätstheorie fruchtbar werden läßt 74• 2.3.4. Fortgang zum Erweisziel: die göttliche Vernunft in ihrer nicht-relationalen Geschiedenheit von allem, was sie nicht ist Wenn Eckhart in der ,Quaestio Parisiensis I' zum Beweisziel, daß in Gott weder Sein noch Seiendes anzutreffen seien, fortschreitet, werden erneut seine methodologischen Prinzipien wie sein Vorhaben, die göttliche Vernunft in ihrer nicht-relationalen Geschiedenheit von allem, was sie nicht ist, auf dem Hintergrund der in der causa-essentialis-Theorie angesprochenen Perspektive ,ens in sua causanon est ens' zu denken, deutlich. Eckhart gemäß ist nichts der eigentümlichen Bestimmtheit nach (formaliter) zugleich in der Ursache und im Verursachten. Da Gott aber Ursache des Seins ist, begegnet in ihm formaliter kein Sein. Gleiches gilt für Prinzip und Prinzipiat, sofern sie dem Verhältnis zwischen Ursache und Verursachtem entsprechen. Wie ferner der Stein der Möglichkeit nach oder in seiner Ursache nicht Stein ist 75 , so ist auch das Seiende in seiner Ursache kein Seiendes. Gott als Ursache besitzt daher nicht die Bestimmtheit des Seienden, sondern die der Vernunft und des vernünftigen Erkennens. Das vernünftige Erkennen ist aber selbst ohne Ursache, befasse vielmehr der Kraft nach (virtualiter) alles in sich 76 • Die Differenzierung zwischen virtualiter und formaliter führt Eckhart einerseits auf den ,Liber de causis' zurück 77 , andererseits auf ein von Aristoteles verwandtes Analogiebeispiel 78 , bedient sich aber des Analogiegedankens in einer eigentümlichen Weise: In einem analogen Bezugsverhältnis sei das, was sich in einem Glied der Analogie finde, formaliter nicht im anderen anzutreffen, wie z.B. die Gesundheit formaliter allein im Lebewesen, in der Speise oder im Harn aber nicht mehr an Gesundheit als im Stein sei; da nun alles Verursachte Seiendes sei, und zwar formaliter, sei Gott formaliter kein Seiendes. Der Analogiegedanke hätte es hingegen eher nahegelegt, Gott, die Ursache, als Sein anzusprechen, allem Verursachten ohne seine Ursache aber Vgl. Theodoricus de Freiberg, Oe int. II 1, 1; Mojsisch 146, 2-12. Vgl. unten: 6.4.2. 75 Vgl. auch: In Gen. II n. 47; LW I, 515, 12-14: "Nam ignis in causa sua non est ignis, nec nomen ipsi competit nec diffinitio nec ignire nec calefacere." In Eccli. n. 38; LW II, 266, 3-5. In Sap. n. 21; LW II, 342, 5f. Serm. VIII n. 90; LW IV, 86, 2f. 76 Vgl. Quaest. Par. In. 8-10; LW V, 45, 1-46, 6. 77 Vgl. In Sap. n. 157; LW II, 493, 6-8. 78 Vgl. Quaest. Par. In. 11; LW V, 46,7-10. Vgl. Aristoteles, Metaph. IV 2, 1003 a 33ff. 73
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jegliches Sein abzuerkennen, da der Relationsbegriff ,Verursachtes' bei Absenz von Relationalität sich selbst aufhebt, und trotzder der Ursache zuzuerkennenden formalitas ,Sein' eben dieses Sein so differenziert zu denken, daß auch das Verursachte in seiner Relation zum Sein selbst als seiend hätte bezeichnet werden können 79 • Wie Eckhart sich des aristotelischen Analogiebeispiels bedient, verrät nicht nur erneut seinen Umgang mit Autoritäten, sondern auch seine Intention, durch neuartige Interpretationen bekannter Theoriemodelle seinerneuen Einsicht zum Durchbruch zu verhelfen: 1) Eckhart kommt es allein auf die Geschiedenheit von Ursache und Verursachtem an, die sich hinreichend in der Differenz zwischen ,formaliter' und ,virtualiter' überhaupt ausdrückt. 2) Eckhart selbst verwendet die Analogie auch und bevorzugt im Sinne der Attributionsanalogie 80, die ihm jedoch dazu dient, Gott als sich mit sich selbst vermittelndes und sich dem Geschaffenen mitteilendes Sein, nicht aber als geschiedene Vernunft zu denken. 3) Durch Eckharts neuartige Fassung des Analogiemodells fällt noch einmal Licht auf die causa-essentialis-Theorie: Gott als Vernunft ist nicht bloß causa essentialis universaliter, sondern causa essentialis primo-prima; wenn Gott als Vernunft zu etwas in Beziehung tritt, dann nur zu Vernunft (quodlibet quodlibet), wobei die relata dieser Beziehung sich wechselseitig durchdringen; Geschiedenheit der Vernunft meint somit relationslose Unterschiedenheit vom Geschaffenen als vom Sein, impliziert jedoch gerade Vernunft-Vernunft-Relationalität. 2.3.5. Das Wesen Gottes als Vernunft: Vernunft als Grund des göttlichen Seins Obwohl Eckhart auch in einem letzten Argumentationsgang zunächst noch einmal die nicht-relationale Geschiedenheit der göttlichen Vernunft von dem 79 Gleiches gilt für das Substanz-Akzidens-Beispiel: Quaest. Par. I n. 11; LW V, 46, 10-47,5. H. Hof, Scintilla animae. Eine Studie zu einem Grundbegriff in Meister Eckharts Philosophie mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Eckhartsehen Philosophie zur neuplatonischen und thomistischen Anschauung, Lund/Bonn 1952, 93f., versucht, auch bezüglich der Quaest. Par. I die Attributionsanalogie als gültiges Interpretationsmodell anzunehmen. Dieser Versuch darf jedoch als gescheitert betrachtet werden. Da die Quaest. Par. I sich gegen einen derartigen Interpretationsversuch sperrt, findet sie bei Hof nur geringe Beachtung. Hof selbst dürften Zweifel an seinem Unterfangen gekommen sein: "Hauptzweck der quaestio wie der in ihrem Dienst stehenden attributiven Analogielehre ist es, Gottes totales Anders-Sein zu beweisen, und ein Folgesatz aus diesem Beweis ist die Bestimmung der Beziehung zwischen ungeschaffen und geschaffen als etwas nicht Statisches, sondern durch und durch Dynamisches" (94). Die Dynamik der Beziehung zwischen absoluter Vernunft und geschaffenem Sein läßt sich somit nur einem .,Folgesatz" entnehmen; dieser .,Folgesatz" ist jedoch eine Zusatzannahme Hofs, nicht Eckharts, da Eckhart allein die Geschiedenheil der absoluten Vernunft gegenüber dem geschaffenen Sein zum Ausdruck bringt. 80 Vgl. unten: 3.4.
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der creatura zuzuerkennenden Sein hervorhebt - wie nach Aristoteles der Gesichtssinn farblos ist, umjede Farbe erkennen zu können, wie der Intellekt aller Naturformen bar ist, um alle erkennen zu können, so ist auch Gott des Seins ledig, besitzt jedoch alles zuvor in Reinheit, Fülle und Vollkommenheit als Wurzel und Ursache von allem in sich, ist somit weder Sein noch Seiendes, ist reine Vernunft und vernünftiges Erkennen 81 - , versäumt er es jedoch nicht, auf den immer noch möglichen Einwand, daß in Gott dennoch ein Sein anzutreffen sei, einzugehen: Man könnte das vernünftige Erkennen ein Sein nennen. Dazu Eckhart: "Et si tu intelligere velis vocare esse, placet mihi. Dico nihilominus quod, si in deo est aliquid, quod velis vocare esse, sibi competit per intelligere . . . . Et ideo cum esse conveniat creaturis, non est in deo nisi sicut in causa, et ideo in deonon est esse, sed puritas essendi. Sicut quando quaeritur de nocte ab aliquo, qui vult latere et non nominare se: quis es tu? respondet: ,ego sum qui sum', ita dominus volens ostendere puritatem essendi esse in se dixit: ,ego sum qui sum'. Non dixit simpliciter ,ego sum', sed addidit: ,qui sum'. Deo ergo non competit esse, nisi talem puritatem voces esse" 82 • Eckhart konzediert somit die Möglichkeit, das vernünftige Erkennen Sein zu nennen. Dennoch hält er daran fest, daß, wenn in Gott etwas ist, das man Sein nennen will, das Erkennen Grund für dieses Sein ist, da Gott Sein allein durch das Erkennen zukommt 83• Das Etwas-in-Gott ist das Sein Gottes, das gegenüber dem Sein der Geschöpfe auch als Reinheit des Seins bezeichnet werden kann und dennoch seinen Grund hat im Erkennen. Den Hintergrund der Disjunktion zwischen göttlichem Sein qua puritas essendi und göttlichem Erkennen bildet die zwischen göttlichem Sein und göttlichem Wesen, wobei einzig das Wesen, die göttliche Einheit, selbst als Geist gedacht wird: "Quantum ergo ad primum ait: spiritus. In quo notatur divinae essentiae impermixta puritas ... " 84. "Patet hoc in D e c a u s i s 24 in commento, ubi haec tria: spiritus, unum sive unitas et aeternitas pro eodem accipiuntur condivise contra
Vgl. Quaest. Par. In. 12; LW V, 47,14-48,8. Quaest. Par. In. 8-9; LW V, 45,3-15. 83 Diesen Hinweis Eckbarts verkehrt K. Weiß ins Gegenteil, wenn er bemerkt: "Deshalb darf, auch wenn man die Pariser Quaestionen in Betracht zieht, weiterhin von einem Intellektuellsein als einer Seinsart innerhalb eines allumfassenden Seins geredet werden. Das Sein, das Meister Eckhart dem intelligere nachgeordnet wissen will, ist immer ein schon verfestigtes, geschaffenes, dingliches Sein, nicht der oberste Begriff des Seins überhaupt" ((K. Weiß, Die Seelenmetaphysik des Meister Eckhart, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 3=52 (1933) 488)). Hätte Eckhart dies gelehrt, wäre er hinter seine neue Einsicht in seine alte Ansicht, daß selbst das Erkennen durch das Sein erfolge, zurückgefallen. Es ist jedoch gerade der "oberste Begriff des Seins überhaupt" - gemäß der Terminologie von K. Weiß -,das Sein als das Etwas-in-Gott, das Gott durch das Erkennen zuteil wird. 84 in Eccli. n. 34; LW II, 262, 12f. 81
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eorum opposita quae sunt corpus, multitudo et tempus. ,Deus autem unus est', aeternitas est, et ideo spiritus est " 85 . Seinslos ist somit der göttliche Intellekt nicht nur gegenüber dem Sein der Geschöpfe, sondern auch gegenüber dem Sein als dem Etwas-in-Gott, das selbst gegenüber dem Sein der Geschöpfe als Reinheit des Seins und zugleich als vom Erkennen, dem göttlichen Wesen, begrundet gedacht wird. Eckhart identifiziert somit nicht göttliches Sein und göttliches Erkennen in der Weise, daß er das göttliche Sein nur Erkennen nennt 86 - er nennt nicht das Sein Erkennen, vielmehr läßt er es gelten, wenn man das Erkennen Sein nennt, gibt jedoch zu bedenken, daß diese Benennung nur vorläufig ist, da dann, wenn überhaupt in Gott etwas Sein genannt wird, das Erkennen Grund für dieses Sein ist, mag dieses Sein auch gegenüber dem Sein der Geschöpfe bereits als Reinheit des Seins bezeichnet werden. Er faßt aber auch nicht reines Erkennen als bloßen modus entis 87 • Im Gegenteil: Eckhart distinguiert zwischen dem Etwas-in-Gott als Sein oder Reinheit des Seins und dem in jeder Hinsicht seinslosen Erkennen (oder Wesen) Gottes, das für das Etwasin-Gott, für das Sein, Grund ist. Damit ist das Erweisziel erreicht: " ... quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamenturn ipsius esse" 88• Einen Profstein für die Bedeutung, die die Differenzierung zwischen göttlichem Sein und göttlichem Wesen, der Vernunft in der ,Quaestio Parisiensis 1', im Denken Eckharts grundsätzlich besitzt, bildet die Theorie der negatio negationis, die erkennbar werden läßt, wie er im Bedenken des Inhalts des transzendentalen Einen das transzendentale Niveau durchbricht, zum göttlichen Wesen vordringt und es Grund für das transzendentale Sein, für das Etwas-in-Gott, sein läßt 89• Dem Eckhartgegner Gonsalvus Hispanus hätte es noch eingeleuchtet, wenn das vernünftige Erkennen Gottes subsistierend genannt worden wäre 90 ; von Gott aber zu behaupten, er sei vernünftiges Erkennen und nicht Sein, sei nur der Schwäche unseres Erkennens und unserer Sprechweise zuzurechnen, nicht aber der bezeichneten Sache selbst: Gott sei das Sein selbst (ipsum esse) 91 • Gonsalvus restauriert, was Eckhart seinerseits bewußt nicht mehr für restaurabei hält.
In loh. n. 376; LW 111,320, 12-321,3. So aber: H. Nolz, Die Erkenntnislehre Meister Eckharts, 11 7. 120f. J. Kopper, Die Metaphysik Meister Eckharts, 44. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 83. 85. 87 So aber: W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 51, Anm. 208. Vgl. bereits: K. Weiß, Die Seelenmetaphysik des Meister Eckhart, 488 (oben, Anm. 83). 88 Quaest. Par. In. 4; LW V, 40, 6f. 89 Vgl. unten: 5.1.2. 90 Vgl. ,Quaest. Par. 111' n. 25; LW V, 66, 6. 91 Vgl. ,Quaest. Par. 111' n. 24; LW V, 65, 17-66, 4. 85
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Vernunft und vernünftiges Erkennen Gottes
2.4 Der Ertrag der ,Quaestio Parisiensis I' und ein mit ihm verknüpftes Unbehagen Eckharts ,Quaestio Parisiensis I' lebt von der Innovationsabsicht, einen Gedanken als der Tradition entgegen herauszustellen: die seinslose Intellektualität der göttlichen Vernunft, die ihren Halt nicht in einem ihr zugrundeliegenden oder mit ihr identischen Sein besitzt, sondern in sich selbst. Eckhart wollte zeigen, daß die in der Tradition entwickelte causa-essentialis-Theorie es ermöglicht, im Ausgang von zunächst kosmologischen, dann zur Intellekttheorie gekehrten Perspektiven von einem Intellektualität voraussetzenden Sein, wie auch immer es gedacht werden mag, zu reden. Die Methode der Explikation der neuen Einsicht, absolute Intellektualität als nicht-seiende Vernunft zu denken, mag ihre Schwächen besitzen -die neue Einsicht selbst ist maßgebend: Ein Gott, dessen Wesen als Vernunft angesprochen wird, ist ein Gott, der keine Willkürakte ausübt, durch den nichts wird denn vernunftgeprägtes Werden - ein Gewordenes, das ist, hat sich bereits getrennt-, der selbst sein eigenes Sein rechtfertigen muß, indem er es für vernünftig hält zu sein. Eckhart spricht selbst nicht von "reiner Subjektivität"; dennoch trifft das von W. Schulz gefällte Urteil auf Eckharts neue Einsicht zu: "Gott wird nicht mehr bestimmt als vorhandenes Seiendes, dem sachhaltig angehbare Eigenschaften zukommen, Gott ist vielmehr Vollzug, und zwar Vollzug des eigenen Denkens" 92 • Es läßt sich ergänzen: Nicht nur wird Gott nicht mehr bestimmt als vorhandenes Seiendes, sondern zugleich auch als seinem eigenen Sein entgegen, für das er in seinem Wesen als Vernunft und vernünftiges Erkennen konstitutiver Grund ist. Daß Eckhart nicht nur das aristotelisch-thomistische Denken weiterführt, sondern methodologisch auch in Albert dem Großen und Dietrich von Freiberg philosophiegeschichtlich bedeutsame Vorbilder besitzt, auf deren causaessentialis-Theorie er zudem inhaltlich zurückgreift und sie zugleich erweitert, ist gezeigt. Dennoch bleibt ein nicht zu verschweigendes Unbehagen, das J. Kopper unter dem Titel ,reallogisches Denken' ausspricht, ein Denken, das - allgemein- das Sein vom Seienden her faßt und- speziell- den göttlichen Intellekt als etwas Vorhandenes und Faßbares an die Stelle des Seins setzt 93 • Wenngleich diese Deutung unzutreffend sein dürfte - Eckhart denkt den absoluten Intellekt nicht vom Seienden her, ist dieser doch als Vernunft vom Seienden geschieden, relationslos geschieden, ist dieser doch ferner nur mit dem Intellekt als Intellekt zu vergleichen, der selbst aber ein Nichts des Seienden ist, ist dieser doch schließlich seinem eigenen Sein entgegen, um als 92 W. Schulz, Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, Pfullingen, 6. Aufl., 1978, 13. Vgl. auch: E. Wulf, Das Aufkommen neuzeitlicher Subjektivität im Vernunftbegriff Meister Eckharts, Diss. Tübingen 1972, 29. 93 Vgl. J. Kopper, Die Metaphysik Meister Eckharts, 43.
Quaestio Parisiensis 1: Ertrag und Unbehagen
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göttliches Wesen Grund für dieses sein Sein zu sein, wird somit nicht etwa an die Stelle des Seins gesetzt -, regt sie zum Eingeständnis eines Unbehagens an: Das menschliche Denken, das Eckhart zwar als Komparativinstanz dient, wird selbst nicht so thematisiert, daß allseine Möglichkeiten zur Sprache gebracht werden; es wird nicht sich selbst als Bedingung des Redens über sich selbst wie über die göttliche Vernunft zum Gegenstand. Diese Freizügigkeit, die sich Eckhart in der ,Quaestio Parisiensis I' erlaubt, verweist auf seine aporetisch-progressive Methode, die es in Anerkennung dieser Methode - was das Unbehagen keineswegs verdrängt, es jedoch erklärt -zu ertragen gilt. Indem die ,Quaestio' aber deutlich werden läßt, daß in Gott selbst ein Unterschied begegnet, nämlich der zwischen seinem Wesen, dem vernünftigen Erkennen oder der Vernunft, und seinem Sein als dem Etwas-in-Gott, für das sein Wesen als Vernunft konstitutiver Grund ist, weist sie über sich hinaus auf das ,Opus tripartitum' mit seiner grundlegenden Proposition ,esse est deus', wo Eckhart nicht etwa das Wesen Gottes untersucht, sondern das transzendentale Sein 94 •
94 Der Terminus ,transzendentales Sein' ist nicht im Sinne der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie zu verstehen, sondern im Anschluß an Eckharts Transzendentalientheorie gewählt (vgl. unten: 3.).
3. ANALOGIE
3.1. Der terminus generalis ,Sein' und sein Zusammenhang mit der causaessentialis- Theorie Die Theorie des Seins nimmt im Denken Eckharts einen breiten Raum ein 1• Entscheidend jedoch ist zunächst, wie der Seinsbegriff von Eckhart selbst eingeführt wird: Er bildet vor anderen metaphysischen Allgemeinbegriffen wie Einheit, Wahrheit, Gutheit, Liebe, Tugend, Ganzem, Gemeinsamem und Ununterschiedenem, Oberem, Erstem, Idee und Bestimmung, dem, wodurch etwas ist, Gott als dem höchsten Sein und schließlich Substanz den ersten und grundlegenden terminus generalis 2 , mit dem gemäß Eckharts Programm für das ,Opus tripartitum' eine erste These (propositio) aufgestellt und expliziert wird, aufgrund deren dann ein erstes Problem (quaestio) gelöst und ein erstes Schriftwort eine Auslegung ( expositio) erfährt\ dies in Anbetracht der allgemeinen Prämisse, daß das ,Opus propositionum' für das ,Opus quaestionum' und das ,Opus expositionum' konstitutive Bedeutung besitzt 4 • Dieser methodische Hinweis wird ergänzt durch zwei inhaltliche Vorbemerkungen: 1) Die termini generales, nämlich das Sein und das, was mit ihm bis zur Konvertibilität identisch ist, dürfen nicht nach Art der Akzidentien, die ihr Sein als Sein an etwas wie auch ihre Zahl und Einteilung von einem Zugrundeliegenden empfangen, vorgestellt werden, sondern sind entgegen dieser Nachträglichkeit früher in den Dingen. Vom Sein gilt, daß es sein Sein nicht an etwas noch von etwas, noch durch etwas erhält, auch nicht von außen herbeikommt und nicht zu etwas hinzutritt, sondern allem vorausgeht, eben früher ist als alles. Als Früher-Sein ist das Sein von nichts Anderem, da dieses Andere von ihm verschieden wäre, das von ihm Verschiedene aber nicht oder nichts ist. Sein bedeutet Verwirklichung und Vollkommenheit, ist die Wirklichkeit aller Dinge, auch der Formen. Das, wonach jedes Ding daher verlangt, ist das Sein und die Vollkommenheit des Seins, insofern es Sein ist -so Eckhart im
Vgl. W. Bange, Meister Eckeharts Lehre vom göttlichen und geschöpfliehen Sein. B. J. Muller-Thym, The Establishment of the University of Being in the Doctrine of Meister Eckhart of Hochheim, New York/London 1939, 68-115. H. Ebeling, Meister Eckharts Mystik, 35-83. W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, 37-67. H. Fischer, Meister Eckhart, 36-141. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. 2 Vgl. Prol. gener. n. 4; LW I, 150, 1-151, I. 3 Vgl. Prol. gener. n. 11; LW I, 156,11-14. 4 Vgl. Pro I. gener. n. Il; LW I, 156, 4-7. 1
Sein und causa-essentialis-Theorie
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Anschluß an Avicenna 5• Festzuhalten bleibt: Sein ist kein Akzidens, aber auch keine naturdinghafte Substanz, auch nicht bloße Form 6 , sondern Wirklichkeit von allem im Sinne des Früher-Seins, eine Wirklichkeit, die kein von ihr Verschiedenes zuläßt, da jegliches Vom-Sein-verschieden-Sein Nichtsein meint. 2) Die Autarkie des Früheren - oder Höheren - besteht darin, nichts vom Späteren -oder Niederen- zu empfangen, vielmehr selbst in das Spätere - oder Niedere - herabzusteigen, und zwar mit seinen Eigentümlichkeiten, und somit sich als Ursache und Tätigem alles andere als Verursachtes und Erleidendes anzugleichen. Die dem ,Liber de causis' entnommene Bestimmung "dives per se" 7 ermöglicht es dem Höheren, mit seinen Eigentümlichkeiten in das Niedere einzufließen, nicht etwa, daß es dadurch geteilt würde, vielmehr bleibt das Höhere, dem das geteilte Niedere als Eines und Ungeteiltes innewohnt, auch im Niederen ungeteilt. Das Eine erlaubt keine Differenzierung gemäß Entfernung, Gestalt, Rang oder Wirklichkeit 8 . Festzuhalten bleibt: Das Früher-Sein als Höher-Sein verbürgt eine Einheit von Früherem als Höherem und Späterem als Niederem, in der das Spätere sein Geteilt-Sein vergessen läßt, da das Frühere sich mit all seinen Eigentümlichkeiten in das Spätere ergießt und dadurch alles Spätere gemäß der dem Früheren eigentümlichen Einheit eint. Kaum klarer hätte Eckhart zum Ausdruck bringen können, daß er bisher Ausgeblendetes einzuholen gedenkt, daß er der in seiner causa-essentialisTheorie angesprochenen Perspektive ,ens in sua causanon est ens' den Aspekt ,causa est in suis causatis' beizugesellen beabsichtigt. In der Theorie der Vernunft und des vernünftigen Erkennens war besonders der Gedanke des unvermittelten und Vermittlung ausschließenden Geschieden-Seins der Ursache von ihrem Verursachten, der Vernunft und des vernünftigen Erkennens vom Sein als einem Geschaffenen, herausgestellt worden. In der Theorie des Seins soll die Einheit von Ursache und Verursachtem aufgrund der Einheit des Seins hervorgekehrt werden. Dabei werden methodologisch Vernunft und vernünftiges Erkennen nicht in die Argumentation mit einbezogen, wird das Nichtsein allein als Außerhalb-des-Seins, als kontradiktorischer Gegensatz zum Sein 9 , betrachtet und damit nur als negatives Kriterium für den absoluVgl. Pro!. gener. n. 8; LW I, 152, 8-153, 11, u. 153, Anm. 7. Schon hier wird deutlich, daß die Interpretation H. Ebelings, Meister Eckbarts Mystik, 71: .,Die Lehre Eckbarts hat zur Konsequenz, daß Gott das esse rerum formale ist", dem Eckhartsehen Gedanken, daß das esse actualitas auch für die Formen, nicht etwa ausschließlich esse rerum formale ist, nicht gerecht wird. Vgl. auch: In Sap. n. 80; LW II, 411, 13-412, 3. lbid. n. 189; LW ll, 525, lf.: .,Deus autem, sapientia, ipsa est actualitas et forma actuum omnium et formarum." Proc. Col. I § 2, 3 art. 3; Thery 171. Ibid. I § 3, 3 ad3;Thery I93. 7 L. de causis, prop. XX (XXI); Patt in 180, 48f. B Vgl. Pro!. gener. n. 10; LW I, 154, 13-156, 3. 9 Vgl. in Sap. n. 221; LW ll, 557, 7f.: .,Hoc enim, puta nihil, oppositum est directe contradictorie ipsi esse." lbid. n. 255; LW ll, 587, 6. 5
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Analogie
ten Gültigkeitsanspruch des Seins, nicht als dem Sein selbst immanent, nicht als für es selbst bestimmend angesehen 10 •
3.2. "Esse est deus": die Argumente zur Identität von Sein und Gott Wenn Eckhart nun die Gültigkeit des Satzes ,esse est deus' zu begründen sucht, setzt er keinen prädeterminierten Gottesbegriff voraus, wohl aber einen gemäß den Vorbemerkungen eingegrenzten Seinsbegriff, da das Sein grundsätzlich als dem Nichtsein kontradiktorisch entgegengesetzt, als allen Dingen gegenüber früher und als Ursache und Tätiges, das, unberührt von Späterem, mit seinen Eigentümlichkeiten in alles Niedere ungeteilt herabsteigt, gedacht wird. Die Proposition ,esse est deus' ist in dieser Form von Eckhart bewußt gewählt, um den metaphysischen terminus generalis ,esse' einer Untersuchung zu unterziehen und zugleich auszuschließen, daß der Gottesbegriff im Fall einer Identität von ,esse' und ,deus' auf den Seinsbegriff festgelegt ist. Sie hat freilich im Neuplatonismus ein bestimmendes Vorbild. Der ,Liber de causis' versteht sich auch als Untersuchung des ,esse': "Omne esse superius aut est superius aeternitate et ante ipsam, aut est cum aeternitate, aut est post aeternitatem et supra tempus" 11 . Das ,esse quod est ante aeternitatem' wird mit der ersten Ursache (oder Gott) identifiziert: "Esse vero quod est ante aeternitatem est causa prima, quoniam est causa ei "12. Die Bedeutung aber, die der Eckhartsehe Satz für Eckhart selbst besaß, erhellt daraus, daß er samt den sich anschließenden Argumenten im Kölner Anklageverfahren inkriminiert und dennoch von Eckhart nicht retrahiert worden ist 13 • Eckhart diskutiert die Proposition ,esse est deus' im ,Prologus generalis in opus tripartitum': ,,Esse est deus. ( 1) Patet haec propositio primo, quia si esse est aliud ab ipso deo, deus nec est nec deus est. Quomodo enim est aut aliquid est, a quo esse aliud, alienum et distinctum est? Aut si est deus, alio utique est, cum esse sit aliud ab ipso. Deus igitur et esse idem, aut deus ab alio habet esse. Et sie non ipse deus, ut praemissum est, sed aliud ab ipso, prius ipso, est et est sibi causa, ut sit.
10 Vgl. H. Ebeling, Meister Eckharts Mystik, 72: .,Aber das Nichts ist weder Privation noch Negation noch Determination des göttlichen Seins, sondern rein konstitutiver, konstruktiver, peripherischer Gegensatz mit der Absicht, die totale Einheit und Universalität des göttlichen Seins negativ zu begründen und zu bejahen." II L. de causis, prop. II; Pattin 138, 71-73. 12 L. de causis, prop. II, comm.; Pattin 138, 74f. Die Annahme K. Alberts, Meister Eckharts These vom Sein, 38, die These ,.esse est deus" sei eine Eigenlehre Eckharts, ist entsprechend zu relativieren. 13 Vgl. Proc. Col. I§ 2, 3 art. 5; Thery 172. Ibid. I§ 3, 3 ad 5; Thery 193.
Esse est deus
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(2) Praeterea: omne quod est per esse et ab esse habet, quod sit s1ve quod est. Igitur si esse est aliud a deo, res ab alio habet esse quam a deo. (3) Praeterea: ante esse est nihil. Propter quod conferens esse creat et creator est. Creare quippe est dare esse ex nihilo. Constat autem quod omnia habent esse ab ipso esse, sicut omnia sunt alba ab albedine. Igitur si esse est aliud a deo, creator erit aliud quam deus. ( 4) Rursus quarto: omne habensesse est, quocumque alio circumscripto, sicut habens albedinem album est. Igitur si esse est aliud quam deus, res poterunt esse sine deo; et sie deus non est prima causa, sed nec causa rebus quod sint. (5) Amplius quinto: extra esse et ante esse solum est nihil. Igitur si esse est aliud quam deus et alienum deo, deus esset nihil aut, ut prius, esset ab alio a se et a priori se. Et istud esset ipsi deo deus et omnium deus. Praemissis alludit illud Exodi 3: ,ego sum qui sum' " 14. Zu (1 ): Alles, was überhaupt ist oder Etwas ist, ist und ist Etwas nur insofern, als das Sein nicht von ihm verschieden ist. Das gilt somit auch für Gott. Das heißt: Sowohl das Sein von Etwas (Seinsaspekt) wie das Etwas-Sein von Etwas (Identitätsaspekt) setzen das Sein selbst voraus, und zwar so, daß nur als Sein alles ist und Etwas ist. Einzig die Verschiedenheit vom Sein verhindert, daß Etwas ist und es Etwas ist, anders: Wenn Etwas ist und es Etwas ist, ist es dies nur durch seine Nicht-Unterschiedenheit vom Sein. Wenn das Sein somit etwas Anderes als Gott ist, ist er nicht und ist nicht Gott, ist er nicht und ist nicht Etwas. Diese allgemeine überlegung mündet in ein Spezialproblem: Gesetzt nun, daß Gott ist (prägnant verstanden: daß er Etwas ist und daß er ist), das Sein aber von ihm verschieden ist, dann kann er das Sein und das Etwas-Sein nur dadurch besitzen, daß er durch ein Anderes ist, welches dann eben Etwas ist und ist. Entweder sind Gott und Sein also identisch, oder es stellt sich der Widerspruch ein, daß das Sein als Gott (denn: Gott ist), das allein durch sich selbst und nicht durch ein Anderes ist (vgl. die Vorbemerkungen), eben durch ein Anderes ist, das Andere aber gerade es selbst ist, nämlich Sein. Das, was nur durch sich selbst ist, somit ist und als Etwas mit sich identisch ist, ist durch ein Anderes, was es auch selbst ist und was zugleich von ihm verschieden ist, ein Anderes, welches den Anspruch erhebt, als Sein allein das Sein zu sein, früher als das Sein zu sein, Ursache für das Sein zu sein. Der Ungedanke: Das Sein als Durch-sich-selbst-Sein, das seine Ursache in sich selbst hat, wäre durch das Sein, das vom Sein schlechthin verschieden wäre; das ursachelose Sein hätte sich selbst zur Ursache, aber so, daß es von sich selbst verschieden wäre. Das Andere als das Vom-Sein-Verschiedene erhebt somit zwar den Anspruch, das Sein zu sein, reklamiert für sich zwar das Recht, das zu sein, was das Sein bereits ist, scheitert jedoch in diesem An14
Pro!. gener. n. 12; LW I, 156, 15-158,4.
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spruch. Dieses Scheitern rechtfertigt aber die Identitätssetzung von Sein und Gott 15 • Zu (2): Die Identität des Seins mit sich selbst erlaubt eine Differenz, die zwischen causa und causatum. Ist das Sein selbst in bezug auf sich selbst auch voraussetzungslos, so ist es gerade darin Ursache für alles, was ist, Ursache in der Weise, daß alles, was ist, durch es und von ihm Sein hat (vgl. die Vorbemerkungen). Wäre das Sein nun aber von Gott verschieden, hätten auch die Dinge ihr Sein nicht von Gott, sondern von einem Anderen als Gott. Dieses Andere aber wäre gerade dem Widerspruch ausgesetzt, den Eckhart im ersten Argumentationsgang aufgewiesen hat. Daher haben die Dinge ihr Sein nicht von einem Anderen als Gott, sondern vom Sein, das mit Gott identisch ist, da auch Gott das Sein nicht von einem Anderen hat, vielmehr das Sein selbst ist. Zu (3): Das dritte Argument greift auf das zweite zurück, indem es sich des dort verwandten Partizipationsgedankens 16 von einer anderen Perspektive her bedient: Die Analyse wendet sich der Funktion dessen zu, das Teilhabe ermöglicht. Da nichts vor dem Sein ist, vollzieht sich Seinsmitteilung oder Schaffen aus dem Nichts zum Sein durch das Sein. Alles, was ist, besitzt daher Sein allein vom Sein. Wenn das Sein aber von Gott verschieden wäre, könnte Etwas Sein mitteilen, was selbst nicht Sein wäre: das vom Sein verschiedene Sein, welches nur den Anspruch erhebt, Sein zu sein (vgl. den 1. Argumentationsgang). Also ist Gott mit dem Sein identisch und daher das, was Sein mitteilt, oder Schöpfer. Zu ( 4): Das vierte Argument akzentuiert einen besonderen Aspekt des dritten Argumentationsganges: das Nicht-ohne-Sein-als-Gott-sein-Können der Dinge. Wenn nämlich alles, was Sein hat, ist, wäre es ein Widerspruch zu behaupten, daß es ohne das Sein sein kann. Ist das Sein mit Gott identisch, 15 Bei dieser Interpretation des 1. Arguments bedarf es keiner textverändernden Konjekturen, wie sie K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 38-41 (das Eckhart-Zitat auf S. 38, Anm. 164, ist unvollständig) vorschlägt, die allein schon insofern nicht gerechtfertigt sein dürften, als die Kölner Prozeßakten (vgl. Proc. Col. I § 2, 3 art. 5; Thery 1 72) dem Text des Prol. gener. gegenüber keine Abweichung erkennen lassen. Fruchtbar sind hingegen Alberts Korrekturvorschläge bezüglich der den Eckhartsehen Seinsbegriff äquivok verstehenden Interpretation W. Banges (vgl. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 39-42). 16 Der hier verwandte Partizipationsgedanke- der ,mittleren' Dialoge Platons- liegt historisch auch der causa-essentialis-Theorie zugrunde. H. Fischer, Meister Eckhart, 50, konstatiert aber: "Bereits hier wird verzichtet auf die Theorie von der Partizipation, der Teilhabe-Gedanke gilt nicht als philosophischer Grundbegriff; als solcher bedürfte er zuvor mannigfacher Erläuterung und ErheBung, und das geschieht nicht, nicht einmal andeutungsweise, im gesamten übrigen Werk." Mannigfacher Erläuterung hätte dann bereits die Augustin-Referenz bedurft, innerhalb deren sich Eckhart explizit des Terminus ,participatio' bedient (vgl. Prol. gener. n. 9; LW I, 154, 612). Eckhart versäumt es auch nicht, eine falsche Verwendung des Teilhabegedankens zu diskutieren (vgl. In Exod. n. 171; LW II, 148, 11-14). Fischers Einführung in das Seinsdenken Eckharts (vgl. bes.: H. Fischer, Meister Eckhart, 36-54) trägt zu stark aristotelisierendes Kolorit.
Das bestimmte Sein
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können die Dinge nicht ohne Gott sein. Ist das Sein aber von Gott verschieden, können die Dinge auch ohne Gott sein, und so ist Gott nicht erste Ursache, aber auch nicht Ursache für das Sein der Dinge. Der erste Argumentationsgang hat jedoch erwiesen: Das Sein ist von Gott nicht verschieden. Daraus folgt, daß die Dinge nicht ohne Gott sein können, der somit erste Ursache und Ursache für das Sein der Dinge ist, schlechthin notwendige Ursache. Zu (5): Im fünften Argument wird schließlich aufgedeckt, was in allen Argumenten subkutan anklingt: Wenn von einem Außerhalb-des-Scins oder Vor-dem-Sein die Rede ist, dann vom Nichts. Das Vor-dem-Sein hat Eckhart aber im ersten Argumentationsgang als mit dem Vom-Sein-verschieden-Sein, mit dem alle Argumente operieren, identisch erklärt (aliud ab ipso, prius ipso ). Wenn das Sein nun von Gott verschieden wäre, wäre er, da das VomSein-verschieden-Sein mit dem Vor-dem-Sein und das Vor-dem-Sein mit dem Nichts identisch ist, das Nichts. Das Vom-Sein-Verschiedene, das stets den Anspruch erhoben hat, das Sein zu sein, entlarvt sich als das Nichts, das aber Gott wäre, für Gott wie für alles Gott wäre, wenn Gott selbst vom Sein verschieden wäre. Da Eckhart bereits in den Vorbemerkungen hat deutlich werden lassen, daß das Nichts allein den unmittelbaren und unvermittelbaren Gegensatz zum Sein bildet, wäre Gott, wenn er vom Sein verschieden wäre, nicht Gott, wäre nicht Etwas, wäre überhaupt nicht, da er als Nichts sich nicht zu sich als Sein vermitteln könnte. Sein und Gott sind daher identisch. Darauf spielt grundsätzlich das ,ego sum qui sum' aus ,Exodus' 3, 14 an.
3.3. Das bestimmte Sein als Bestimmtes und als Sein Die Absolutheit des mit Gott identischen Seins ist von Eckhart dadurch zum Ausdruck gebracht worden, daß selbst dann, wenn vom Sein der Dinge die Rede ist, dieses Sein der Dinge, sofern es Sein ist, das eine Sein ist, da sich bei jeglicher Verschiedenheit vom Sein das Nichtsein an die Stelle des Seins setzt. Die Einheit von causa und causaturn ist von Eckhart so streng gedacht, daß sie, sofern sie in ihrem Sein genommen werden, uneingeschränkt identisch sind. Das Sein kann sich von sich selbst nicht trennen 17 ; besäße es in sich selbst einen Gegensatz, würde das Entgegengesetzte von ihm Besitz ergreifen, würde es vernichten. Eine Weise von Entgegensetzung ist das esse formaliter inhaerens, das durch die spezifizierende Bestimmung ,formaliter inhaerens' dem esse absolutum entgegen ist. Eine Festlegung des esse absolutum auf das esse formaliter inhaerens wäre gleichbedeutend mit der Vernichtung des esse absolutum. Das Unverständnis der Inkriminatoren war es, eine derartige Restriktion des esse absolutum bei Eckhart anzunehmen, so daß er diesem 17 Vgl. In Exod. n. 74; LW II, 78, 2f.: "Esse non potest negare esse se ipsum esse: ,nihil se ipsum deserit'." Vgl. dazu: Augustinus, De immortal. an. VII 15; PL 32, 1028. Vgl. Prol. gener. n. 13; LW I, 158, 14.
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Analogie
Unverständnis durch eine schlichte Sentenz hinreichend zu begegnen in der Lage zu sein glaubte: "esse est deus, dicendum quod hoc verum est, de esse absoluto, non de esse formaliter inherente" 18 . Dennoch dürfte er Mißverständnissen insofern Vorschub geleistet haben, als er überhaupt vom Sein als einem mit Gott identischen und von dem der Dinge sprach, so daß man oberflächlich die Proposition ,esse est deus' als ,esse formale rerum est deus' - also restriktiv - auslegen konnte, ohne Eckbarts Absicht zu berücksichtigen, die Einheit der Dinge und Gott nur in dem ansprechen zu wollen, daß einzig das absolute Sein das Sein der Dinge und zugleich Gottes ist, da einzig das absolute Sein keinen Gegensatz, der es vernichten würde, zuläßt. Selbst dort, wo Eckhart das jeweilige Seiende, das ens hoc et hoc, durch ein ihm eigentümliches Sein, esse hoc et hoc, bestimmt sein läßt, ist seine Intention deutlich: Akzentuierung der gegensatzlosen Einheit des absoluten Seins. Im ,Prologus in opus propositionum' spricht Eckhart zunächst den Unterschied zwischen ens und ens hoc et hoc, esse absolute und esse huius et huius an: " ... aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc. Similiter autem de esse absolute et simpliciter nullo addito, et aliter de esse huius et huius" 19• Der Differenzierung zwischen Seiendem und Dies-und-das-Seiendem, Sein und Sein dieses oder jenes Bestimmten tritt die zwischen Gutem und Diesund-das-Gutem, Einem und Dies-und-das-Einem, Wahrem und Dies-und-dasWahrem zur Seite 20 • Die hier aufgewiesenen Transzendentalien (transcendentia, termini transcendentales, terriüni generales) bedurften als solche keiner weiteren Explikation, da sie im Mittelalter hinreichend bekannt waren 21 • Im Gegensatz zu Thomas von Aquin identifiziert Eckhart jedoch diese Transzendentalien mit Gott: " ... solus deus proprie est ens, unum, verum et bonum" 22 . Mit der Konvertibilität der Transzendentalien verknüpft Eckhart den Gedanken, daß einzig von Gott alles das Sein, das Eines-Sein, das Wahres-Sein 18 Proc. Col. I § 3, 3 ad 5; Thery 193. Vgl. zur Interpretation des Seinsbegriffs in der sog. Rechtfertigungsschrift Eckharts: K. Albert, Meister Eckbarts These vom Sein, 67-7 5. 19 Prol. op. prop. n. 3; LW I, 166, 12-167, 1. 20 Vgl. Prol. op. prop. n. 3; LW I, 167, 1-8. 21 Vgl. zur Lehre der Transzendentalien bes.: Thomas Aquinas, Oe ver. I 1. Vgl. auch: L. Oeing-Hanhoff, Ens et unum convertuntur. Stellung und Gehalt des Grundsatzes in der Philosophie des hl. Thomas von Aquin (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theo· logie des Mittelalters XXXVII/3), Münster/Westf. 1953. Vgl. zur Geschichte dieser Lehre: K. Albert, Meister Eckbarts These vom Sein, llOf. 22 Pro I. op. prop. n. 4; LW I, 167, 9f. Vgl. dazu: H. Wackerzapp, Der Einfluß Meister Eckbarts auf die ersten philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues (1440-1450) (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters XXXIX/3), Miin· ster/Westf. 1962, 17.
Das bestimmte Sein
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und das Gutes-Sein besitzt 23 , und ergänzt, daß auch den Zweitursachen eine seinsspendende Funktion eignet, diese ihre Funktion sich jedoch im Fall des esse auf das hoc esse beschränkt 24• Er begrenzt das Funktionsfeld der allein bestimmtes Sein spendenden individuellen Substantialform als der Zweitursache aber noch stärker, indem er ihr jegliche seinsmitteilende Tätigkeit abspricht: "Igitur nihil ens hoc vel hoc dat esse, quamvis formae dent esse hoc aut hoc, in quantum hoc aut hoc, non autem in quantum esse" 25 • Damit gibt er zu erkennen, daß das bestimmte Sein von sich her nur beansprucht, als Sein auftreten zu können. In seiner Selbstbestimmung ist das Bestimmte nur Bestimmtes (hoc aut hoc) 26 . Sein verdankt das bestimmte Sein stets dem absoluten Sein, da das absolute Sein kein Gegenüber außerhalb seiner zuläßt. Aus Rücksicht des Geschaffenen kann daher zwar von einem doppelten Sein (duplex esse) geredet werden 27 , niemals jedoch aus Rücksicht des absoluten Seins; denn gäbe es zwei Sein, besäße jedes Geschaffene zwei Sein, und folglich wäre jedes Seiende zwei Seiende 28 . Diese Schärfe in der Disjunktion zwischen absolutem esse und hoc aut hoc läßt sich bereits bei Albert dem Großen nachweisen. In Anlehnung an Boethius formuliert Albert: "Omne quod est in mundo, habet esse et quod hoc est. Ergo ab alio habet esse et quod hoc est. A causa autem determinata habet, quod hoc est; ergo non habet esse ab eadem; omnis causa secunda determinata est; ergo a nulla causarum secundarum habet esse, sed quod hoc est. Est autem aliqua causa eius quod est esse in entibus factis. Cum autem non sit nisi causa prima vel secunda, oportet, quod esse causaturn sit a causa prima in omnibus quae sunt. Causam autem primam vocamus deum" 29 . Alles, was Sein hat, hat somit das Sein ausschließlich von der ersten Ursache. Die Bestimmtheit gewinnt auch nach Albert das Bestimmte durch die Zweitursachen, die jedoch Sein zu verleihen nicht vermögend sind. Wenn daher bei Eckhart auch in Anbetracht des esse hoc aut hoc von der formal bestimmtes Sein spendenden Tätigkeit der Zweitursachen die Rede ist - dies auch noch kurz nach der Einschränkung ihres Funktionsbereichs auf das hoc aut hoc 30 - , dann nicht etwa deshalb, um den allumfassenden Vgl. Pro!. op. prop. n. 9; LW I, 170, 14f. Vgl. Pro!. op. prop. n. 11; LW I, 171, 11-15. 2s Pro!. op. prop. n. 21; LW I, 178, 12f. 26 Vgl. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 63. 27 Vgl. In Gen. In. 77; LW I, 238, 1-7. 28 Vgl. In Sap. n. 146; LW II, 484,9-12. 29 Albertus Magnus, S. theol. I tr. 3 q. 18 c. 1; Ed. Colon. XXXIV /1, 8 7, 85-88, 5. Vgl. auch: De an. 111 tr. 2 c. 11; Ed. Colon. VII/1, 192, 1f.: " ... in omni quod est citra primum, est hoc et hoc." De int. et int. I tr. 2 c. 1; Borgnet 9, 491 b. Vgl. zur Terminologie und zum Gedanken: In loh. n. 52; LW 111,43, 1lf.: "Omne autem citra deum est ens hoc aut hoc, non autem ens aut esse absolute, sed hoc est solius primae causae, quae deus est." 30 Vgl. Pro!. op. prop. n. 23; LW I, 180,3-5. 23
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Geltungsbereich des esse absolute einzuschränken, sondern vielmehr in der Absicht hervorzuheben, daß das Bestimmte nicht nichts ist: "Hoc enim et hocnon est nihil, rursus hoc et hocnon est deus" 31 . Gegenüber dem Nichts verleiht somit selbst die bestimmte Form noch Sein, freilich bestimmtes Sein; gegenüber dem absoluten Sein kann von Seinsverleihung seitens der Form nicht mehr die Rede sein, da diese vermittelnde Funktion der Form die Unmittelbarkeit der Präsenz des absoluten Seins wie auch der anderen mit Gott identischen Transzendentalien ausschlösse, für Eckhart aber gerade diese Unmittelbarkeit der Präsenz uneingeschränkt ein Charakteristikum eben dieser Transzendentalien ist: " ... omne ens et singulum non solum habet, sed et immediate absque omni prorsus medio, habet a deo totum esse, totam suam unitatem, veritatem et totam suam bonitatem" 32 • Bezüglich des absoluten Seins bemerkt er: "Quidquid enim rei cuiuslibet ab ipso esse immediate non attingitur nec penetratur et formatur, nihil est" 33 • Allein die unmittelbare Präsenz des Seins verbürgt, daß etwas überhaupt ist. Selbst wenn von Seinsweise oder Seinsdifferenz die Rede ist, so ist dies nur möglich aufgrund dessen, daß dem Sein keine seiner Weisen oder Differenzen fehlt, da jede Weise oder Differenz, die nicht Weise oder Differenz des Seins wäre, dem Nichts anheimfiele 34• Dem möglichen Einwand, daß dort, wo überhaupt von Weise oder Differenz gesprochen wird, das Sein selbst nicht mehr als unmittelbar präsent bezeichnet werden kann, begegnet Eckhart mit dem bedeutsamen Hinweis, daß das Sein seine eigene Vermittlung sei: "Ratio est prim"o, quia esse ex sui natura est primum et novissimum, principium et finis, nequaquam medium; quin immo ipsum est medium ipsum, quo solo mediante sunt et insunt et amantur omnia sive quaeruntur. Deus autem ipse est esse ipsum" 35 • Unmittelbare Präsenz als Selbstvermittlung in Weisen und Differenzen ist das Signum aller Transzendentalien: "Et sicut se habet de ente ad entia, sie se habet de uno ad omne quod unum est quocumque modo sive differentia unius, et de vero ad vera omnia, et de bono ad bona omnia et singula" 36 • Diese Selbstvermittlung der Transzendentalien schließt es aus, daß das Bestimmte, sofern es als solches in den Blick genommen wird, ihnen in irgendeiner Weise etwas beigesellen könnte, das sie nicht selbst wären: 31 In Gen. II n. 66; LW I, 532, 9f. Vgl. auch: In loh. n. 220; LW III, 185, 6-8: " ... totum universum camparaturn deo se habet sicut nihil camparaturn ipsi universo, ita ut ipsum universum, ens omne, sit quasi medium inter deum et nihil." 32 Prol. op. prop. n. 13; LW I, 172, 15-173, 2. 33 Prol. op. prop. n. 13; LW I, 173, 6f. 34 Vgl. Prol. op. prop. n. 15; LW I, 175, 6-8. 35 In Sap. n. 284; LW II, 616, 9-11. 36 Prol. op. prop. n. 15; LW I, 175, 15-176,2.
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"Nihil ergo entitatis, unitatis, veritatis et bonitatis penitus addit sive confert ens hoc aut hoc, unum hoc aut hoc, verum hoc aut istud, bonum hoc aut istud, in quantum hoc vel hoc" 37 • Das bestimmte Sein vermag als Bestimmtes daher nur zu beanspruchen zu sein; es scheitert in diesem Anspruch, da allein das Sein schlechthin aufgrund der in seiner Selbstvermittlung liegenden unmittelbaren Präsenz das Sein des bestimmten Seins verbürgt 38 . Daher ist außer dem Sein und ohne das Sein alles nichts, auch das Gewordene 39. Wie sehr das Bestimmte als Bestimmtes gegenüber dem in seinen Weisen und Differenzen sich mit sich selbst vermittelnden Sein Defizienz erkennen läßt, wird von Eckhart mit aller Schärfe in den ,Sermones' zum Ausdruck gebracht: "Hoc enim et hoc creatura est, proprium est, mendacium est" 40. Das Dies und Das ist demnach nicht nur Geschöpf, ist nicht nur Eigenes, sondern ist vielmehr Lüge: Ohnmacht des Bestimmten gegenüber der undurchschauten sich mit sich selbst vermittelnden Andersheit, dem Sein. Das Bestimmte als solches ist Lüge, ist Versagen, ist Ohnmacht, ist nicht allein nichts, sondern das Nichts schlechthin: nihileitas oder nulleitas 41 , Nichtheit oder Nichtigkeit.
3.4. Analogie und Sein Einzig zum Zweck der Hervorhebung der Schwachheit der Geschöpfe gegenüber der Erhabenheit Gottes, zum Zweck der l\Iarkierung ihrer Nichtigkeit, sofern sie in sich selbst genommen werden, dient, wie Eckhart selbst bemerkt42, die Analogielehre 43 . Prol. op. prop. n. 15; LW I, 176, 3-5. lbid. n. 20; LW I, 178,6: "lgitur nihil hoc aut hoc dat esse." Ibid. n. 23; LW I, 179, 5f. 38 Vgl. Prol. op. prop. n. 15; LW I, 176, 6f. 39 Vgl. Prol. op. prop. n. 22; LW I, 178, 16f. Vgl. auch: In Sap. n. 19; LW Il, 340, 8-10. 40 Serm. XXV, 2 n. 264; LW IV,240,llf. Vgl. Pr.l3;DWI,219,6-8,u.Anm.3 ad 1. 41 Vgl. Serm. XXXVII n. 375; LW IV, 321, 1 (nihileitas). In Eccli. n. 61; LW Il, 290, 7f. (nulleitas). Serm. XV, 2 n. 158; LW IV, 150,5 (nulleitas). 42 Vgl. In Eccli. n. 61; LW Il, 290,4-8. 43 V gl. zur Analogielehre: H. Nolz, Die Erkenntnislehre Meister Eckharts, 244-261. H. Hof, Scintilla animae, SOff. J. Kopper, Die Metaphysik Meister Eckharts, 61-63. J. Koch, Zur Analogielehre Meister Eckharts, in: Kleine Schriften I, 367-397. V. Lossky, Theologie negative, 286-332. F. Brunner, L'analogie chez Maitre Eckhart, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 16 (1969) 333-349. R. Siller, Zur Ermöglichung von Freiheit, 78-88. J. Eberle, Die Schöpfung in ihren Ursachen, 112-122. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, 172-189. A. Klein, Meister Eckhart, 16-31. 37
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Analogie
Dietrich von Freiberg hat bereits deutlich werden lassen, daß die Proportions- oder Attributionsanalogie der Proportionalitätsanalogie zu präferieren sei, wenngleich selbst bei attributiver Relationalität zweier aufeinander Bezogener vollkommene Ähnlichkeit noch nicht erreicht sei 44 • Auch Eckhart bedient sich der Attributionsanalogie, die er, wie H. Hof und J. Koch gezeigt haben 45 , zunächst in Anlehnung an Thomas von Aquin, dann aber neu konzipiert46. Eckharts Innovation spricht prägnant J. Kopper an: "Die Seinsstruktur des Seienden kann nicht mehr an der Einheit des göttlichen Seins gemessen werden, sondern sie muß ganz in der Einheit des göttlichen Seins aufgehen" 47 . Nicht jedoch nur das Sein, sondern alle Transzendentalien wie generellen Vollkommenheiten gelten von Gott und den Geschöpfen analog. Der für die Analogielehre Eckharts grundlegende Text: "Rursus nono advertendum quod distinguuntur haec tria: ,univocum, aequivocum et analogum. Nam aequivoca dividuntur per diversas res significatas, univoca vero per diversas rei differentias, analoga' vero non distinguuntur per res, sed nec per rerum differentias, sed ,per modos' unius eiusdemque rei simpliciter. Verbi gratia: sanitas una eademque, quae est in animali, ipsa est, non alia, in diaeta et urina, ita quod sanitatis, ut sanitas, nihil prorsus est in diaeta et urina, non plus quam in lapide, sed hoc solo dicitur urina sana, quia significat illam sanitatem eandem numero quae est in animali, sicut circulus vinum, qui nihil vini in se habet. Ens autem sive esse et omnis perfectio, maxime E. Waldschütz, Meister Eckhart. Eine philosophische Interpretation der Traktate (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 71), Bonn 1978, 338-343. A. de Libera •. Le Probleme de l'f:tre chez Maitre Eckhart: logique et metaphysique de l'analogie (Cahiers de Ia Revue de Theologie et de Philosophie 4), Geneve/Lausanne/ Neuchatel 1980. 44 Vgl. Theodoricus de Freiberg, De vis. beat. 1.2.2.4.2.1., 1-1.2.2.4.2.3., 2; Mojsisch
51-53.
4S Vgl. H. Hof, Scintilla animae, 80-112, bes. 92. 103. J. Koch, Zur Analogielehre Meister Eckharts, 3 71. 46 Vgl. H. Hof, Scintilla animae, 109-111. J. Koch, Zur Analogielehre Meister Eckharts, 3 72ff. Speziell zur Analogielehre des Thomas von Aquin vgl.: W. Kluxen, Analogie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.l: A-C, hrsg. vonJ. Ritter, Basell971, 221-223 (mit Literaturhinweisen). Vgl. zum Verhältnis ,Thomas - Eckhart' bes.: A. de Libera, Le Probleme de l'Etre chez Maitre Eckhart, 8: "Dans le Contra Gentiles, Thomas distingue donc entre trois types de predication analogique: ad unum alterum comme ,sanum' relativement animal et ,sanativum'; ad unum ipsorum comme ,ens' relativement substance et accident; ad unum ipsorum comme ,iustus' relativement Dieu et aux creatures. Si nous considerons maintenant Maitre Eckhart, nous voyons que son originalite consiste principalement assimiler terme terme !es trois types d'analogie ,ad unum aliquid' si difficilement distingues par saint Thomas. La demarche d'Eckhart ne consiste donc pas troquer l'analogie thomiste de proportionnahte contre l'analogie d'attribution, mais supprimer !es frontieres metaphysiques marquees par Thomas a l'interieur de l'analogie ,ad unum aliquid' et donc assimiler, si l'on peut ainsi parler, Dieu, Ia substance et l'animal." Beachtenswert: de Liberas Explikation der metaphysischen Analogie Eckharts auf dem Fundament der Eckhartsehen Semantik (13-39). 47 J. Kopper, Die Metaphysik Meister Eckharts, 61.
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generalis, puta esse, unum, verum, bonum, Iux, iustitia et huiusmodi, dicuntur de deo et creaturis analogice. Ex quo sequitur quod bonitas et iustitia et similia bonitatem suam habent totaliter ab aliquo extra ad quod analogantur, deus scilicet. Et hoc est quod dicit A u g u s t i n u s de ipso esse quidem I Confessionum circa medium, quod nulla ,vena trahitur aliunde a qua esse' sit, praeterquam a deo, qui est summum et ,summe esse', ut dieturnest supra in secunda expositione. De iustitia vero dicit idem A u g u s t i n u s 1. III Confessionum: iustitia ,ubique et semper', ,non alibi alia nec alias aliter, secundum quam iusti' sunt ,omnes laudati ore dei'. De luce autem, vita et veritate frequenter idem dicit, ut patet super illo loh. 1: ,Iux vera illuminat omnem hominem'. Colligatur et formetur breviter sie ratio: analogata nihil in se habent positive radicatum formae secundum quam analogantur. Sed omne ens creatum habet a deo et in deo, non in se ipso ente creato, esse, vivere, sapere positive et radicaliter. Et sie semper edit, ut producturn est et creatum, sempertarnen esurit, quia semper ex se non est, sed ab alio. Notandum etiam quod hanc naturam analogiae q u i da m male intelligentes et improbantes erraverunt usque hodie. Nos autem secundum veritatem analogiae intelligendo, sicut ex primo L i b r o p r o p o s i t i o n u m declaratur, dicamus quod ad significandum hanc veritatem analogiae rerum omnium ad ipsum deum dieturnest optime: qui edunt me, adhuc esuriunt. Edunt, quia sunt, esuriunt, quia ab alio sunt" 48 • Eckharts Bedauern, daß bis zu seiner Zeit der Analogiegedanke Mißverständnissen ausgesetzt gewesen und daher verworfen worden sei, läßt den Rückschluß zu, daß er selbst sich intensiv um ein besseres Verständnis des Analogiegedankens bemühte, woraus dann seine ihm eigentümliche Analogiekonzeption resultierte: 1) Das jeweilige Analogon der analogata ist formaliter einzig im primum oder principale analogatum, ist dieses analogaturn selbst. 2) Das primum analogatum, die una et eadem res simpliciter selbst, besitzt modi, Weisen 49 . In Eccli. n. 52-53; LW II, 280, 5-282, 12. Koch, Zur Analogielehre Meister Eckharts, 393, Anm. 42 a, bemerkt, H. Fischer habe ihn darauf aufmerksam gemacht, daß Eckhart seinen Analogiebegriff anscheinend Albert dem Großen verdanke; als Text wird Sent. II dist. 16 a. 6; Borgnet 27, 293, genannt. An dieser Stelle tritt der für Kochs Interpretation selbst konstitutive Begriff des modus allerdings nicht auf, ist aber dennoch bei Albert nachweisbar. so daß Fischers Annahme hierin eine weitere Stütze findet. Vgl. Albertus Magnus, S. theol. I tr. 1 q. 3 c. 2; Ed. Colon. XXXIV/1, 13, 16-22: "Ad aliud dicendum, quod licet deus in nullo sit praedi· cabili cum aliquo, eo quod nec genus est nec species nec particulare, est tarnen in multis sicut per analogiam communibus. Tale enim commune in uno simpliciter est, et in aliis non sunt nisi modi eius, qui sunt extra ipsum, et realiter sunt in his quae respiciunt ad ipsum." Alberts Akzentuierung des ,extra ipsum' und des ,realiter' ist Eckhart jedoch fremd, steht vielmehr im Gegensatz zur Eckhartsehen Theorie der automedialen Funktion des Seins: Die Weisen des Seins sind nicht außerhalb des Seins, sondern sind das sich mit sich selbst vermittelnde Sein selbst. 48 49
J.
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Analogie
3) Diese Weisen sind aus Rücksicht des primum analogaturn dieses selbst, so daß keine dieser Weisen in dem durch das secundum analogaturn Bestimmten ist. In diesem Bestimmten finden sich die Weisen des primum analogaturn nur insofern, als das secundum analogaturn Verweisungscharakter auf das primum analogaturn besitzt, dies aus Rücksicht des Bestimmten_ 4) Das primum analogaturn und das Bestimmte stehen deshalb in einem Bezugsverhältnis, weil das Bestimmte das secundum analogaturn als Vermittlungsinstanz wähnt, dies aus Rücksicht des Bestimmten. Aus der Perspektive des primum analogaturn ist das secundum analogaturn das sich mit sich selbst vermittelnde primum analogaturn selbst. 5) Das Bestimmte ist von sich und aus sich nichts. Es besitzt nur vom und im primum analogaturn alles, besitzt nur, insofern es im primum analogaturn das primum analogaturn selbst ist. 6) Das secundum analogaturn ist somit aus Rücksicht des primum analogaturn insofern nur eine Scheininstanz, als das Bestimmte aus seiner Perspektive sich im Besitz des secundum analogaturn glaubt, die Selbstvermittlung des primum analogaturn aber nicht berücksichtigt. Das secund um analogaturn ist jedoch nur eine Leihgabe, ist geborgt, so daß es gerade dieser Scheinbesitz ist, der das Bestimmte immer neu nach dem Besitz des secundum analogatum, sofern es die dem Bestimmten freilich nicht erkennbare Selbstvermittlung des primum analogaturn ist, streben läßt. Zur Erhellung dieser Theorie diene der Seinsbegriff. Das Sein als Analogon ist mit Gott, dem primum analogatum, identisch: "Deus autem cum sit veritas et bonitas infinita et esse infinitum ... " 50• Da außerhalb des Seins oder der causa prima einzig das Nichts ist, vollzieht sich jegliche Differenzierung des Seins als Selbstmitteilung des sich mit sich selbst vermittelnden Seins: " ... omnis causa secundaria producit effectum a se quidem, sed non in se ... Causa vero prima omnem effectum producit ex se et in se. Ratio est, quia extra primam causam nihil est; quod enim extra causam primam, deum scilicet, est, extra esse est, quia deus est esse" 51 • " ... formae, per quas agunt secunda agentia, id, quod sunt formae et actus, a deo sunt, qui est primus actus formalis" 52 • Jedes Seiende, jedes Bestimmte, jedes Geschaffene, ist nun in sich und aus sich bloß: " ... omne ens utpote in se et ex se nudum ... " 53• Die terminologischen Festlegungen ,primum' (oder ,principale') ,analogatum' und ,secundum analogatum' sind vorgenommen worden in Anlehnung an: Quaest. Par. In. 11; LW V, 46, 7f. Vgl. auch: H. Hof, Scintilla animae, passim. so In Eccli. n. 43; LW II, 272, 8. SI In Eccli. n. 49; LW II, 277, 10-14. 52 In Eccli. n. 50; LW II, 278, 8f. Vgl. zur Besonderheit der forma divina qua esse: In loh. n. 338; LW 111,287,1-8. SJ In Eccli. n. 45; LW II, 274, 9f.
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Es vermag daher von sich aus nicht zu sein, wenn das Sein sich selbst nicht mitteilte. Diese Selbstmitteilung des Seins betrifft aber nicht unmittelbar das Geschöpf als solches, sondern nur das Geschöpf in seinem Innersten, im zweiten Analogat. Eckbarts Hinweis ist genau zu nehmen: "Ex quo sequitur quod bonitas et iustitia et similia bonitatem suam habent totaliter ab aliquo extra ad quod analogantur, deus scilicet" 54. Sofern die Gutheit, die Gerechtigkeit oder das Sein aber solche des Geschöpfes sind, besitzt es seine Gutheit, seine Gerechtigkeit oder sein Sein allein von einem ihm Äußerlichen, ab aliquo extra, zu dem es in analoger Beziehung steht. Dieser Besitz, der nur möglich ist aufgrund der Präsenz des sich selbst mitteilenden Seins, ist aus Rücksicht des Geschöpfesaufgrund der Vergessenheit der Selbstmitteilung des Seins nur ein ununterbrochenes Empfangen, kein fester, nicht einmal anfangender Besitz: "Propter hoc semper sitit praesentiam sui superioris, et potius et proprius accipit continue esse quam habeat fixum aut etiam inchoatum ipsum esse" 55 • Die Dynamik, die sich im Verhältnis von esse als primum analogaturn und esse als secundum analogaturn zeigt, ist aus Rücksicht des secundum analogaturn das ständige Empfangen des ihm Äußerlichen, das zugleich ein ununterbrochenes Dürsten oder Hungern, ein ununterbrochenes Streben, impliziert. Ständiges Empfangen ist vielmehr ständiges Streben. Die Dinge zehren vom Sein, weil sie sind, hungern aber nach dem Sein, weil sie von einem Anderen sind 5 6 • Wenn K. Albert bemerkt: "Vor allem ist zu beachten, daß das Verhältnis der Analogie überhaupt nicht zwischen dem göttlichen und dem geschöpfliehen Sein als solchem besteht, zwischen dem ,esse divinum' und dem ,esse creatum', zwischen dem ,esse absolute' und dem ,esse hoc et hoc', sondern allein zwischen den ,modi' des göttlichen Seins: zwischen dem göttlichen ,esse' Gottes und dem göttlichen ,esse' der Geschöpfe" 57 , bleibt der Rücksichtsgedanke außer acht. Das eine Sein ist aus Rücksicht seiner selbst das sich in seinen Differenzen oder Weisen mit sich selbst vermittelnde Sein. Insofern sind auch die Formen oder Akte der Zweitursachen als solche nur vom und im ersten actus formalis. Aus Rücksicht des Geschaffenen aber wird die Selbstvermittlung des Seins nicht erkannt. Daher wähnt sich das Geschaffene im Besitz des Seins, obwohl dieser Scheinbesitz nichts anderes ist als allein ein ständiges Von-außen-Empfangen und zugleich ein ständiges Streben. Ständiges Empfangen und ständiges Streben markieren im 54 In Eccli. n. 52; LW II, 281, 3-5. Vgl. In loh. n. 97; LW 111,84, 1-5: "Docemur ergo primo quod deus est et operatur in omnibus et venit ad omnes et ad omnia, in quantum sunt, in quantum unum sunt, in quantum vera, in quantum bona. Secundo docemur quod deus veniens et eius praesentia immediate et nullo cooperante operatur in omnibus entitatem, unitatem, veritatem et bonitatem analogice quidem." 55 In Eccli. n. 45; LW II, 274, 7-9. 5 6 Vgl. In Eccli. n. 53; LW II, 282, llf. 57 K. Albert, Meister Eckbarts These vom Sein, 185.
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analogen Verhältnis das zweite Analogat, dies jedoch aus Rücksicht des Geschaffenen. Würde der Rücksichtsgedanke nicht beachtet, fände sich ein Mangel im defizienzlosen Sein, da eben dieses defizienzlose Sein nach sich selbst hungerte, sich nach sich selbst sehnte -ein Widerspruch, den Eckhart vermeidet. Der Analogiegedanke läßt somit einerseits die immanente Dynamik des Seins und der mit diesem Sein konvertiblen Transzendentalien wie generellen Vollkommenheiten überhaupt offenbar werden: Das Absolute manifestiert sich in seinen modi, indem es sich mit sich selbst vermittelt, ist somit noch im Vermittelten Selbstbestätigung. Andererseits ermöglicht der Gedanke der Analogie den der Relation zwischen dem Absoluten und dem Geschaffenen, ohne freilich das Geschaffene als solches in seiner Bloßheit, Nacktheit, Nichtigkeit sich in die Dynamik des Absoluten vermitteln zu lassen: Im Absoluten ist das Geschaffene ohnehin das Absolute selbst, in keiner Weise Geschaffenes; da es aber als Geschaffenes die Selbstvermittlung des Absoluten nicht erkennt, vermag es sich nur im Besitz des mitgeteilten Seins zu wähnen, einem Besitz, der durch Besitzlosigkeit ausgezeichnet ist, einem Besitz, der zu erkennen gibt, daß er nichts Festes ist, und dessen Dynamik darin besteht, von sich selbst wegzuweisen auf das stets neu zu Erwerbende. Dem Analogiegedanken haftet somit immer das Signum der Defizienz an, einmal schon deshalb, weil das Absolute zum Geschaffenen in Beziehung tritt, das Frühere zum Späteren, das Höhere zum Niederen, Späteres und Niederes aber stets den Status der Dekadenz aufweisen, so daß das Geschaffene als Geschaffenes von der Beziehung nicht einmal tangiert wird, da es aufgrund äußerster Distanz zum Absoluten Nichtigkeit ist, sondern nur als eines, das in seinem Innersten genommen wird; selbst dieses Innerste jedoch ist aus Rücksicht des Geschaffenen nur Verweis, ist allein Hinweis auf das Absolute. Zum anderen zeigt sich diese Defizienz darin, daß selbst dann, wenn Relationalität zwischen dem Absoluten und dem Geschaffenen konzediert wird, selbst dann, wenn von besitzlosem Besitz und damit in gewisser Weise immer noch von Besitz die Rede ist, das Geschaffene selbst im Besitz dieses besitzlosen Besitzes zumindest insofern ohnmächtig ist, als es nicht einmal diesen Minimalbesitz erkennt, geschweige denn die Selbstvermittlung des Absoluten.
4. UNIVOZIT AT
4.1. Die Differenz zwischen dem analogen Relationsverhältnis und der Univozität
J. Koch hat geurteilt:
"Eckharts Denken ist vielmehr sozusagen eindimensional, es bewegt sich in der Vertikale: allenthalben achtet er weniger auf das Neben- und Miteinander der Dinge als auf ihre Üb e r- und Unterordnung. Man könnte auch sagen: er d e n k t h i er a r c h i s c h, dieses Wort im Sinne des Areopagiten genommen" 1 • Dieser Hinweis wird von Koch selbst ergänzt: "Die B e d e u t u n g d e r t r i n i t a r i s c h e n B e t r a c h t u n g liegt darin, dass Eckharts Denken, dessen vorwiegend vertikalen Charakter wir ja immer betonen müssen, in ihr den Zugang nicht nur zur horizontalen Linie, sondern überhaupt zur Mannigfaltigkeit des Weltalls findet. Denn die unendliche Vollkommenheit des trinitarischen Lebens Gottes kann im Geschöpflichen nur durch eine geordnete Vielheit irgendwie zur Abbildung kommen. Von diesem Gedanken erfüllt, betrachtet der Meister die irdische Welt und findet überall trinitarische Abbilder" 2 • J. Koch hat geahnt, daß Eckharts Denken sich nicht in ein hierarchisches Modell, dem einzig der Analogiegedanke zugrunde liegt, pressen läßt 3 . Wo er aber in seiner bildhaften Ausdrucksweise von einer "horizontalen Linie" spricht, wird diese zunächst im Bereich der "unendliche(n) Vollkommenheit des trinitarischen Lebens Gottes" angesiedelt, um sich dann in der Welt mannigfaltig in Abbildern zu manifestieren. Was Koch aber unter ,horizontaler Linie' versteht, hat Eckhart selbst auf den Begriff gebracht: causa univoca. Für die Theorie der Univozität ist bestimmend, das Vertikale in die Horizontale aufgehoben zu haben - um noch einmal Kochs bildhafte Terminologie zu verwenden -, anders: Das univoke Bezugsverhältnis zeichnet sich gegenüber dem analogen Relationsverhältnis dadurch aus, daß nicht mehr das Absolute zum Verschränkten, Gott zum Geschöpf, in Beziehung gesetzt wird, sondern Vernunft als solche zu Vernunft als solcher -theoretisch -, ethisches Prinzip als solches (Gerechtigkeit
J. J.
Koch, Meister Eckhart. Versuch eines Gesamtbildes, in: Kleine Schriften I, 214. Koch, Meister Eckhart. Versuch eines Gesamtbildes, in: Kleine Schriften I, 222. 3 Vgl. J. Koch, Meister Eckhart. Versuch eines Gesamtbildes, in: Kleine Schriften I, 222: "Dempf hat schon in seiner Metaphysik des Mittelalters und erneut in seinem Meister Eckhart auf die Bedeutung der dort entwickelten Prinzipienlehre aufmerksam gemacht; es ist aber doch wohl nicht richtig, wenn er sie nur als eine ,nochmalige Verallgemeinerung der Transzendentalienlehre des Opus propositionum' auffasst." Transzendentalienlehre und Analogietheorie stehen jedoch in untrennbarem Zusammenhang. 1
2
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Univozität
als solche) zu ethischem Prinzipiat als solchem (zum Gerechten als solchem) - praktisch. Damit besitzt die Theorie der Univozität eine Schlüsselfunktion im Denken Eckharts. Sie läßt erklärbar werden, warum der Mensch mehr ist als nur Geschöpf, erhellt Eckharts als mystisch oder kühn - ein Schlagwort, das in nahezu keinem Eckhartbuch fehlt - verstandene Gedanken. ,Kühn' verweist aber auf ein interpretierendes Denken, das aufgrunddogmatischer Befangenheit oder Ohnmacht der Einsicht am Zu-Bedenkenden gescheitert ist, dieses Scheiternjedoch nicht einzugestehen gewillt ist und daher das Zu-Bedenkende zu einer ein Bedenken nicht einmal mehr möglich erscheinen lassenden Sublimität stilisiert, so daß in negativer Perspektive sogar mit einem Werturteil wie ,Eckhart verfahre "in steigender Verstiegenheit" 'nicht zurückgehalten wird, bezüglich eines Predigtschlußwortes von "der ganzen Wucht seines verwegenen Sinnes" 4 die Rede ist. Es war Eckbarts Durchbrechen der Relation ,Schöpfer- Geschöpf', das zu solchen Urteilen veranlaßte. Vor einem rigorosen Durchbrechen dieser Relation scheute auch Wilhelm von Auxerre zurück, obwohl gerade er - und das ist zumindest beachtenswert - bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf dem Hintergrund der Disjunktion ,creatum- increatum' eine convenientia secundum univocationem zwischen dem iustus increatus und dem iustus creatus annahm, freilich nur eine convenientia in effectu, insofern der Gerechte überhaupt, sei es der geschaffene, sei es der ungeschaffene, jedem das Seine zuteil werden läßt: "Solutio. Re vera iustitia causata et iustitia incausata in nullo conveniunt: nec in genere nec in specie nec in proprio nec in accidente: ideo aequivoce dicitur iustus de deo et Petro. Sed quoniam aliquo modo conveniunt in effectu: ideo univocantur in hoc nomine iustus. Sicut enim iustitiae creatae est reddere unicuique quod suum est: ita illudidem convenit iustitiae increatae. Et ideo quia iustitia increata convenit cum iustitia creata in suo effectu essentiali: ideo univocantur" 5• Eckhart war sich der Problematik, die seine rigorose Theorie der Univozität mit sich brachte, bewußt und verfuhr daher getreu seinem Programm: ex naturalibus, per naturalia et in naturalibus den Gedanken der Univozität aufzuzeigen, um dann auch seine Geltung im geistigen Bereich, der zugleich Urbildfunktion gegenüber den naturalia besitzt, nachzuweisen. Naturphilosophie ist somit bei Eckhart mehr als nur Prüfstein abstrakter Ideen: Naturphilosophische Strukturen lassen sich - freilich mit Abstrichen entsprechend der exemplar-Funktion des geistigen Bereichs - aufgrund von Respondenz 4 M. St. Morard, Ist, istic, istikeit bei Meister Eckhart, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 3 (1956) 173. s Guillermus Altissiodorensis, S. aurea I c. 4; Parisiis 1496, VIII vb. Vgl. ibid. I c. 5; Parisiis 1496, X rb: "Quarta univocatio est secundum convenientiam effectuum sicut dieturn est superius de hoc nomine iustus. Et hoc modo hoc nomen persona univocum est ad personas creatas et increatas, quia rationalitas creata et rationalitas increata conveniunt in effectu."
Univozität im Bereich der Natur
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auf den geistigen Bereich übertragen, nehmen ihm damit eine auf den ersten Blick befremdlich wirkende oder gar prinzipiell als undurchschaubar erscheinende AndersheiL Breit erörtert Eckhart die Theorie der Univozität, auf die bereits in der ,Quaestio Parisiensis II' explizit angespielt ist, unter naturphilosophischer Perspektive im ,Genesiskommentar II', läßt dabei die causa univoca von der causa analoga abgesetzt sein 6 und verweist schließlich auf die Respondenz zwischen Naturbereich und geistigem Bereich 7 . Genetisch bedeutsam ist, daß die exemplarische Prinzipienlehre, die Theorie des Verhältnisses zwischen der Gerechtigkeit und dem Gerechten als solchen, in der ,Auslegung des Johannesevangeliums'8 zwischen der ,Quaestio Parisiensis II', dem Text des ,Genesiskommentars II', dem der Beginn der ,Auslegung desjohannesevangeliums'mit Erweiterung auf dengeistigen Bereich- entspricht 9 , und seinem Resümee in eben dieser ,Auslegung' 10 abgefaßt ist, so daß gerade diese Prinzipienlehre ohne den Univozitätsgedanken unverständlich bleibt 11 • Es ist bisher noch nicht bemerkt worden, daß diese Theorie der Einheit und Verschiedenheit von Gerechtigkeit und Gerechtem als solchen sich der Struktur nach bereits aus der naturphilosophisch gefaßten Univozitätstheorie erheben läßt. Nur noch anzudeuten bleibt, daß durch die Theorie der Univozität, geistig genommen, auch das in der causa-essentialis-Theorie angesprochene Problem bei der causa essentialis primo-prima ist nicht nur quodlibet in quolibet modo quolibet, sondern quodlibet quodlibet - lösbar wird, damit auch der bei der Betrachtung der Analogielehre aufgetretene Gedanke der Selbstvermittlung des Absoluten, der durch den Analogiegedanken selbst nicht erklärbar ist, verstehbar wird.
4.2. Univoke Korrelationalität im Bereich der Natur Im ,Genesiskommentar 11' 12 analysiert Eckhart die Natur (im Sinne von ,Wesen') und die Eigentümlichkeiten des Wirkenden (activum) und Erleidenden (passivum} im Bereich der Natur (in naturalibus) beim univoken Kausalitätsverhältnis (in causis univocis). Folgende Grundsätze sind festzuhalten: 1 }Jedem Wirkenden ist aufgrund seiner Materie Passivität beigemischt. 2}Jedes derartige Wirkende erleidet demnach im Wirken (agendo patitur). Vgl. In Gen. li n. 116-127; LW I, 582,3-592,2. Vgl. In Gen. li n. 206; LW I, 680,4-681,8. s Vgl. In loh. n. 14-22; LW III, 13, 1-19,2. 9 Vgl. In loh. n. 4-13; LW III, 5, 7-12, 17. 10 Vgl. In loh. n. 182-183; LW III, 150, 5-152, 5. II Auch B. Weite, Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken, 139-144, be· merkt, daß diese Prinzipienlehre nicht mit dem Transzendentalien· qua Analogieschema hinreichenderfaßt werden kann (vgl. auch: 140, Anm. 21). Da er aber den Schlüssel zur Interpretation, die Theorie der Univozität, nicht besitzt, spricht auch er schließlich von Eckharts "kühnen Oberwindung aller Metaphysik" (144). 12 Vgl. In Gen. li n. 116-127; LW I, 582,3-592,2. 6
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Univozität
3) Das naturhafte Wirken nimmt somit gegen Ende im Erleidenden an Intensität zu, läßt selbst jedoch nach und erschlafft im Wirkenden. 4) Das Erleidende wird dem ihm zugehörigen Wirkenden beim Vollzug des Wirkens ähnlich, und das Wirkende macht sich das Erleidende ähnlich, so daß es dieses zu einem Wirkenden macht. 5) Univok Wirkendes hat mit dem ihm zugehörigen Erleidenden den Namen und die Wesensart (species) gemeinsam (ein Beispiel: album ab albedine et speciem habet et nomen speciei), den Namen und die Natur, denn das Erleidende geht aus dem Wirkenden hervor (procedit). 6) Univok Wirkendes ist nicht Ursache seiner Wesensart -es wäre dann Ursache seiner selbst -; vielmehr ist es Partikularursache, wirkt auf ein passives Partikuläres. 7) Auch bei Abwesenheit des univok Wirkenden behält seine Wirkung Wesensart und Namen des Wirkenden. 8) Das univok Wirkende teilt den Erleidenden seine aktive Beschaffenheit nicht nur als vorobergehendes Moment mit, sondern als haftende und dauernde Beschaffenheit (ein Beispiel: Das Feuer bewirkt, daß etwas er· wärmt wird; dieses Erwärmte empfängt die Wirkung des Feuers aber als Erbe, so daß das Erwärmte auch selbst erwärmt). 9) Wirkendes und Erleidendes sind im Bereich univoker Kausalität aufgrund der Materie unterschieden oder zwei, durch die Form aber eins. 10) Form und Materie beziehen sich in ihrer beider Nacktheit gegenseitig aufeinander (semet mutuo respiciunt), ohne daß diese Nacktheit Unvollkommenheit wäre. Je nackter etwa die Materie, um so größer ihre Aufnahmefähigkeit, um so größer die Einung von Materie und Form. 11) Univok Wirkendes und ihm zugehöriges Erleidendes unterstehen stets ein und derselben Gattung, einer Natur. Das bedeutet: Ähnliches wirkt auf Ähnliches nur insofern, als sie auch unähnlich sind, entgegengesetzt sind; konträr Entgegengesetztes ist aber in ein und derselben Gattung aufgehoben. 12) Das Wirkende wirkt, das Erleidende erleidet. Die Bedeutung dieses Grundsatzes erhellt aus den Grundsätzen 1-11. In der ,Auslegung des J ohannesevangeliums