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German Pages 237 [242] Year 2013
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung
Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW) --------------------------------------------------------------------------Herausgegeben von Dieter Euler Reinhold Nickolaus Peter F. E. Sloane Ralf Tenberg Redaktion: Gerhard Hauptmeier
BEIHEFTE
Heft 26
Mathematischnaturwissenschaftliche Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung Stand der Forschung und Desiderata Herausgegeben von Reinhold Nickolaus, Jan Retelsdorf, Esther Winther und Olaf Köller
Franz Steiner Verlag
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INHALTSVERZEICHNIS Reinhold Nickolaus, Jan Retelsdorf, Esther Winther & Olaf Köller Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung – Stand der Forschung und Desiderata: Einleitung zum Themenheft ....................................................................................................... 7 Teil 1: Ziele beruflicher Bildung Gerhard Minnameier Ziele der beruflichen Bildung und ihre Einlösung ........................................... 11 Teil 2: Relevanz schulischer Kompetenzen für den Übergang in die Erstausbildung und für die Entwicklung beruflicher Kompetenzen Bernd Geißel, Reinhold Nickolaus, Florina Ştefănică, Hendrik Härtig & Knut Neumann Die Relevanz mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen für die fachliche Kompetenzentwicklung in gewerblich-technischen Berufen ..................................................................................................................... 39 Susan Seeber Mathematische Kompetenzen an der Schwelle und am Ende der kaufmännischen Berufsausbildung.................................................................................. 67 Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt Relevanz schulischer Kompetenzen für den Übergang in die Erstausbildung und für die Entwicklung beruflicher Kompetenzen: Biologie- und Chemielaboranten ............................................................................................. 95 Teil 3: Kompetenzstrukturmodelle und Implikationen für die Analyse der Zusammenhänge zwischen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen Knut Neumann, Maike Vollstedt, Anke Lindmeier, Sascha Bernholt, Marc Eckhardt, Ute Harms, Hendrik Härtig, Aiso Heinze & Ilka Parchmann Strukturmodelle allgemeiner Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften und Implikationen für die Kompetenzentwicklung im Rahmen der beruflichen Ausbildung in ausgewählten kaufmännischen und gewerblich-technischen Berufen ............................................................ 113
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Inhaltsverzeichnis
Esther Winther, Julia Sangmeister & Ann Katrin Schade Zusammenhänge zwischen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen in der kaufmännischen Erstausbildung ....................................................... 139 Teil 4: Kompetenzmessung im beruflichen und allgemeinbildenden System – Forschungsstand und Entwicklungsperspektiven Anke Lindmeier, Knut Neumann, Sascha Bernholt, Marc Eckhardt, Ute Harms, Hendrik Härtig, Aiso Heinze & Ilka Parchmann Diagnostische Instrumente für die Erfassung mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen und deren Adaption für die Analyse der Zusammenhänge zwischen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen .. 161 Reinhold Nickolaus, Tobias Gschwendtner & Stephan Abele Herausforderungen und Wege der Diagnose berufsfachlicher Kompetenzen in der gewerblich-technischen Berufsbildung........................................... 183 Esther Winther & Frank Achtenhagen Kompetenzdiagnostik im kaufmännischen Bereich – Ein Umsetzungsbeispiel ....................................................................... 203 Teil 5: Perspektiven Jan Retelsdorf, Christoph Lindner, Reinhold Nickolaus, Esther Winther & Olaf Köller Forschungsdesiderate und Perspektiven – Ausblick auf ein Projekt zur Untersuchung mathematisch-naturwissenschaftlicher Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung (ManKobE) ................................................. 227 Autorenverzeichnis ........................................................................................... 235
MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE KOMPETENZEN IN DER BERUFLICHEN ERSTAUSBILDUNG – STAND DER FORSCHUNG UND DESIDERATA: EINLEITUNG ZUM THEMENHEFT Reinhold Nickolaus, Jan Retelsdorf, Esther Winther & Olaf Köller Ziel des vorliegenden Themenhefts ist es, einen zusammenfassenden Überblick über den Stand der Forschung zu mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung zu geben und basierend darauf Forschungsdesiderata in diesem Bereich zu identifizieren. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Verknüpfung schulisch erworbener Kompetenzen und beruflicher Kompetenzen in MINT-Berufen (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Entsprechend geben die Beiträge von Expertinnen und Experten aus der empirischen Schulleistungsforschung und der beruflichen Bildungsforschung einen Überblick über den Zusammenhang zwischen Kompetenzen, wie sie an allgemeinbildenden Schulen erworben werden und beruflichen Kompetenzen, deren Entwicklung sowohl in betrieblichen als auch schulischen Kontexten stimuliert wird. Darüber hinaus werden Herausforderungen und Möglichkeiten der Kompetenzmodellierung und -messung in beiden Bereichen vor dem Hintergrund des Forschungsstandes sowie bislang durchgeführter Studien dargestellt. Der Aufbau des Beihefts folgt dem Gedanken, dass zunächst eine Vergewisserung zu den Zielperspektiven beruflicher Bildung wünschenswert ist, die Minnameier in seinem Beitrag „Ziele beruflicher Bildung und ihre Einlösung“ vornimmt. Daran schließen sich drei Beiträge zur Bedeutung schulisch erworbener Kompetenzen in verschiedenen Berufsfeldern, a) in gewerblich-technischen Berufen (Geißel, Nickolaus, Ştefănică, Härtig & Neumann), b) in kaufmännischen Berufen (Seeber) und c) für Chemie- und Biologielaborantinnen und -laboranten (Harms, Eckhardt & Bernholt) an, in denen der Forschungsstand referiert, Ergebnisse von vertiefenden Sekundäranalysen vorgestellt und Forschungsdesiderata aufgezeigt werden. Ein weiterer Abschnitt ist Kompetenzstrukturmodellen und deren Implikationen für die Analyse der Zusammenhänge zwischen allgemeinbildenden und beruflichen Kompetenzen gewidmet. Dazu stellen zunächst Neumann, Vollstedt, Lindmeier, Bernholt, Eckhardt, Harms, Härtig, Heinze und Parchmann den Erkenntnisstand für den allgemeinbildenden Bereich vor, gefolgt von einem Beitrag von Winther, Sangmeister und Schade, die am Beispiel des kaufmännischen Bereichs einen Modellierungsvorschlag einbringen, in dem allgemeinbildende und berufliche Kompetenzen integrativ modelliert werden.
Teil 1: Ziele beruflicher Bildung
ZIELE DER BERUFLICHEN BILDUNG UND IHRE EINLÖSUNG Gerhard Minnameier KURZFASSUNG: Moderne berufliche Bildung zielt auf Kompetenzen, deren Modellierung und Messung trotz großer Fortschritte auch heute noch hoch problematisch ist. Speziell im Bereich der Berufsbildung lassen sich Kompetenzen zudem nicht – oder zumindest nicht direkt – auf Fächer bezogen konzipieren, was weitergehende Schwierigkeiten mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Kompetenzen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht in befriedigender Weise expliziert werden können. Wissenschaftliche Kompetenzmodellierungen werden vorgestellt, die in dieser Frage weiterführen. Vor diesem Hintergrund werden auch Resultate der beruflichen Bildung zusammengefasst, präsentiert und diskutiert. Der Beitrag schließt mit Anregungen für (fachdidaktisch fruchtbare) Struktur- und Niveaumodellierungen und für eine verstärkte Hinwendung zu den Prozessen der Kompetenzentwicklung. ABSTRACT: Modern VET aims at competences. However, despite major advances modeling and measuring them has proved to be difficult. Especially in VET, competences cannot be related, at least not directly, to “subject matters”, which entails further difficulties. It comes as no surprise, therefore, that competencies cannot be satisfactorily explicated up to now. Research-based competence models that may take us further are discussed, and also the results they yield with respect to attained competence levels among apprentices (as compared to regular examinations). The paper ends with suggestions for the domain-related didactic explication of structures and levels of competences and calls for a closer analysis of the processes of knowledge acquisition and the development of competences. 1. PROBLEMSTELLUNG In gewisser Weise ist die Frage nach den Zielen der beruflichen Bildung trivial, denn „berufliche Bildung“ ist ja selbst das Ziel! Und wenn man schon wüsste, was man unter „Bildung“ im beruflichen Kontext (und unter „Beruf“!) zu verstehen hätte, dann wäre zumindest der Anspruch klar, und man könnte sich mit der Frage der Einlösung dieses Anspruchs beschäftigen. Aber so einfach liegen die Dinge nicht und das hat vor allem systematische Gründe, die z. T. historisch bedingt sind. Die berufliche Bildung begann sich erst vor gut hundert Jahren institutionell und flächendeckend durchzusetzen und zwar zum einen vor dem Hintergrund ge-
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stiegener Qualifikationsanforderungen im Bereich der Industriearbeit bei gleichzeitiger geographischer und beschäftigungsbezogener Mobilität (vgl. Büchter & Meyer, 2010; Kutscha, 1992), zum anderen im Zuge der etwa mit Beginn des 20. Jahrhunderts entstehenden Berufsbildungstheorie, die von der Möglichkeit und Notwendigkeit einer „Bildung im und durch den Beruf“ ausgeht (vgl. Bruchhäuser & Horlebein, 2010; Gonon, Reinisch & Schütte, 2010). Der erste Aspekt verweist auf „Verberuflichung“ im Sinne der Herausbildung betriebsunabhängiger bzw. -übergreifender Funktionsbündel, der zweite auf die mit dem Beruf verbundene Position und Rolle im gesellschaftlichen Ganzen, deren Reflexion und verantwortungsvolle Ausgestaltung. Beide Aspekte zusammen markieren, was wir heute unter Beruflichkeit im Sinne funktionaler und metafunktionaler Bildungsansprüche (Kutscha 1992; 2008) bzw. zu vermittelnder oder vom Individuum auszuprägender Kognitionen und Einstellungen (vgl. Beck 1997) verstehen. Gerade in diesem Zusammenhang geht man heute im Zuge gestiegener Anforderungen, Handlungsspielräume, Innovationsgeschwindigkeiten etc. von einer „Neuen Beruflichkeit“ (Kutscha, 1992) und einer „Konvergenz“ pädagogischer und ökonomischer Zielsetzungen aus (vgl. ebd.; Harteis, 2000), auch wenn auf der anderen Seite argumentiert wird, das Berufskonzept sei zu starr und müsse vom Konzept der Beschäftigungsfähigkeit abgelöst werden (vgl. z. B. Baethge, 2004; Kraus, 2005). Gleichgültig welcher Auffassung man zuneigt, die Bedingungen heutiger Erwerbsarbeit erfordern sowohl ein solides, grundlegendes und transferierbares fachliches Systemverständnis und Orientierungswissen als auch angemessene Einstellungen zur eigenen Arbeit und deren Einbettung in umfassendere Sozialstrukturen sowie Fähigkeiten des Umgangs mit anderen und vieles mehr. Mit anderen Worten: Bildung im Modus des Berufs ist heute überhaupt nur noch denkbar im Sinne von „Kompetenzen“, und zwar mit einem Anspruch, der die Kompetenzdiskussion im allgemeinbildenden Bereich sogar noch übersteigt. Während man dort Kompetenzen nämlich meist fachspezifisch ausdifferenziert – weil die Fächer zugleich die (schulischen) Lebensbereiche sind, in denen man reüssieren soll – sind berufliche Kompetenzen auf (mittlerweile relative umfassende und allgemeine, schwer greifbare) Funktionenbündel gerichtet. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Frage zu beantworten, wie solche Kompetenzen zu fassen bzw. auf den Begriff zu bringen und systematisch auszudifferenzieren sind, sondern im Weiteren auch, wie man sie erreichen und wie man ihre Erreichung überprüfen kann. Alle diese Fragen zu erörtern, übersteigt freilich die im vorliegenden Rahmen gegebenen Möglichkeiten. Deshalb soll hier vor allem überblickshaft dargestellt werden, wie sich der Stand der Konzeptualisierung von Kompetenzen in curricularer Sicht und beim gegenwärtigen Stand der Forschung darstellt (Abschnitt 2). Im darauffolgenden Schritt wird erörtert, inwieweit die so gefassten Ziele heute eingelöst werden (Abschnitt 3). Wie sich zeigt, erweisen sich die Resultate beim aktuellen Kenntnisstand als eher dürftig, so dass sich die Frage stellt, wie Forschung und Berufsbildungspraxis darauf reagieren können. Hierzu werden in Abschnitt 4 einige Überlegungen und Desiderate
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für die Ausrichtung der Forschung zur Diskussion gestellt, die auch den hier vernachlässigten Aspekt der Bildungsprozesse thematisieren. 2. ZIELE BERUFLICHER BILDUNG IN CURRICULARER UND SYSTEMATISCHER SICHT 2.1. Curriculare Zielvorgaben für die berufliche Ausbildung Die generelle Kompetenzorientierung kommt im Berufsbildungsgesetz unmissverständlich zum Ausdruck: „Die Berufsausbildung hat die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln“ (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BBiG). Gemäß der KMK-Rahmenvereinbarung über die Berufsschule sind deren generelle Ziele die Vermittlung einer beruflichen Grund- und Fachbildung sowie die Erweiterung der vorher erworbenen allgemeinen Bildung (KMK, 1991, 2; vgl. auch KMK, 2011, 10). „Damit will sie zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung befähigen“ (ebd.). Die Ziele der beruflichen (Erstaus-) Bildung im dualen System sowie in vollschulischen Ausbildungsgängen beschränken sich damit nicht auf tätigkeitsbezogene Kompetenzen, sondern umfassen auch die Bereitschaft und Fähigkeit, die dem gewählten Berufsfeld entsprechenden Aufgaben und Tätigkeiten im Hinblick auf gesellschaftliche Belange, die wir heute unter dem Konzept der „Nachhaltigkeit“ diskutieren, kritisch zu reflektieren und mitzugestalten. Allgemein wird damit eine „umfassende Handlungskompetenz“ angestrebt, „verstanden als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (KMK, 2011, 15, worin auch der o. g. Aspekt der „Beruflichkeit“ deutlich wird). Diese umfassende Handlungskompetenz wird als ein übergreifendes Konstrukt konzipiert, das sich aus (mindestens) drei Komponenten zusammensetzt, und zwar einer Fachkompetenz, einer Selbst- und einer Sozialkompetenz (vgl. ebd.). Die KMK bzw. die Lehrpläne orientieren sich damit an einer auf Heinrich Roth (1971) zurückgehenden Terminologie und Konzeptualisierung (die damals im Übrigen vom Deutschen Bildungsrat speziell im Kontext der Verbindung allgemeiner und beruflicher Bildung aufgegriffen wurde; vgl. Deutscher Bildungsrat, 1974). Ohne auf die Beschreibungen und deren Probleme hier im Einzelnen einzugehen (zur Kritik vgl. z. B. Minnameier, 1997; 2004; Straka, 2005; 2007) sei angemerkt, dass diese „Kompetenzen“ bislang weder in wissenschaftlich noch praktisch brauchbarer Weise expliziert wurden. Die Konzepte sind alltagssprachlich umschrieben, weisen zahlreiche Unschärfen und Überschneidungen auf und beschreiben nur, wozu befähigt werden soll, nicht jedoch, worin die Fähigkeiten und
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Bereitschaften tatsächlich bestehen – ein Problem, das Bildungswissenschaft und Bildungspraxis gleichermaßen plagt. Praktisch gesehen besteht das Problem darin, dass derart allgemeine Kompetenzbegriffe eher nichtssagend und zudem noch nicht einmal trennscharf sind. So heißt es etwa zur Selbstkompetenz: „Sie umfasst Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte“ (KMK, 2011, 15). Man wird aber schwerlich bestreiten können, dass diese Eigenschaften auch zur Sozialkompetenz gehören. Versucht man dagegen, diese allgemeinen Formulierungen zu spezifizieren, gelangt man schnell zu einer nicht mehr beherrschbaren Menge an Unterkompetenzen.1 Dieses praktische Problem hat einen aus theoretischer Sicht zentralen Grund. Die Kompetenzen werden nämlich stets durch Rekurs auf dasjenige Verhalten spezifiziert, zu dem sie befähigen bzw. das sie hervorbringen sollen. Mit dem Kompetenzkonzept wird daher auf Konstituenten der überdauernden psychischen Struktur von Individuen verwiesen, aber diese selbst bleiben völlig im Dunkeln, d.h. die Psyche verbleibt bei diesem Zugang als eine „Black Box“. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass genuin wissenschaftliche Kompetenzkonzepte heute auf andere Weise konzipiert und begründet werden. Nicht verbessert wird die Situation durch den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) (vgl. Europäische Kommission, 2008) und den derzeit noch in Entwicklung befindlichen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR). Abgesehen von der Tendenz, dass der Aspekt einer übergreifenden beruflichen Kompetenz zugunsten einzelner und einzeln zertifizierbarer Qualifikationen verloren gehen könnte (und zwar über das ECVET-Leistungspunktesystem; vgl. Rauner, 2006; Hanf & Rein, 2007), wird hier sogar der didaktisch fokussierte Kompetenzaspekt (s.o.) vernachlässigt. Zwar werden auch im EQR Kompetenzen spezifiziert, aber diese dieser Kompetenzbegriff bezieht sich auf Verantwortlichkeitsdimensionen (Entscheidungskompetenzen) und geht am erziehungswissenschaftliche Kompetenzkonzept – gleich, ob man an das von Large Scale Assessments oder das berufspädagogische denkt – glatt vorbei (vgl. Straka, 2007). Des Weiteren werden „Kenntnisse“ und „Fertigkeiten“ spezifiziert, deren Beschreibungen aber sehr allgemein bleiben und zumindest pädagogisch kaum verwendet werden können. Im Wesentlichen geht es bei EQR und DQR auch nicht um die Explikation von Bildungszielen, sondern um den Vergleich und die Zuordnung verschiedener Abschlüsse in den jeweiligen Ländern. Was z. B. Niveau 6 und 7 der insgesamt 8 Qualifikationsstufen ist, erschließt sich vor allem über Zuordnung zu den Studi 1
Verwiesen sei hier auf eine Studie von Didi et al. (1993) die über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren über 600 verschiedene Schlüsselqualifikationskonzepte aus der Literatur extrahiert haben, sowie auf Gapski (2001), der es bei einer ähnlichen Recherche über vier Jahre allein zur Frage nach der „Medienkompetenz“ auf über 100 verschiedene Definitionen brachte.
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enanschlüssen Bachelor und Master, weniger über die Deskriptoren.2 So verwundert es nicht, dass man sich in der für die Erarbeitung des DQR eingerichteten Bund-Länder-Gruppe über Jahre hinweg nicht einigen konnte, wie man 3- und 3,5-jährige Ausbildungsberufe auf der einen Seite und Schulabschlüsse mit allgemeiner Hochschulreife oder Fachhochschulreife auf der anderen Seite hinsichtlich der Niveaustufen zueinander ins Verhältnis setzen sollte (vgl. Esser, 2012). Kompetenz(niveau)relevante Kriterien hierfür scheint es nicht zu geben. Die Frage scheint allein politisch entschieden zu werden.3 Vor diesem Hintergrund erscheint es insgesamt dringend nötig, die bildungspraktische Kompetenzdiskussion auf tragfähige wissenschaftliche Füße zu stellen, um schließlich feststellen bzw. festlegen zu können, was kompetenzorientierte Bildungsziele im pädagogischen Sinne überhaupt sind bzw. sein können (im Allgemeinen wie im Speziellen), und so auch aufklären zu können, wie man sie erreichen und wie man ihre Erreichung messen kann. 2.2. Wissenschaftliche Kompetenzkonzepte im Bereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik Generell werden Kompetenzen relativ breit gefasst, sowohl in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Tradition als auch im Rahmen des auf Weinert (vgl. 2001) zurückgehenden Konzepts, das motivationale und volitionale Aspekte der Verhaltensgenese mit einschließt. Die Einteilung nach Handlungskontexten – Sozialkompetenz, Selbstkompetenz, interkulturelle Kompetenz, Teamkompetenz etc. – hat zwar einen wichtigen heuristischen Wert, ist aber, wie schon erwähnt, in systematischer Hinsicht nicht zielführend. Diese Konzepte umfassen jeweils verschiedenste psychologische Aspekte, bleiben einfachen Verhaltens- und Dispositionsbegriffen verhaftet und sind inhaltlich nicht trennscharf. So verwundert es nicht, dass übergreifende Strukturmodelle bislang noch ausstehen (vgl. Nickolaus, 2
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Für den Bachelorabschluss lauten diese z. B.: (Kenntnisse:) „Fortgeschrittene Kenntnisse in einem Arbeits- oder Lernbereich unter Einsatz eines kritischen Verständnisses von Theorien und Grundsätzen“, (Fertigkeiten:) „Fortgeschrittene Fertigkeiten, die die Beherrschung des Faches sowie Innovationsfähigkeit erkennen lassen, und zur Lösung komplexer und nicht vorhersehbarer Probleme in einem spezialisierten Arbeits- oder Lernbereich nötig sind“ und (Kompetenzen:) „Leitung komplexer fachlicher oder beruflicher Tätigkeiten oder Projekte und Übernahme von Entscheidungsverantwortung in nicht vorhersehbaren Arbeits- oder Lernkontexten; Übernahme der Verantwortung für die berufliche Entwicklung von Einzelpersonen und Gruppen“ (Europäische Kommission, 2008, 12–13). Die genannten Ausbildungsabschlüsse sollten nach Auffassung der KMK mit wenigen Ausnahmen, allerdings nicht näher spezifizierter „höherwertiger Berufsabschlüsse“ dem Niveau 4 zugeordnet werden, während Abschlüsse, die zur Hochschulreife führen, dem Niveau 5 zugeordnet werden sollten. Ein praktisches Problem wäre, dass Personen, die nach dem Abitur eine Berufsausbildung aufnehmen, damit einen Abschluss anstreben, der niedriger angesiedelt ist als ihr Abitur.
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2011a, 165). Versuche, solchen Kompetenzen auf den Grund zu gehen, führen stets und unweigerlich zu heterogenen psychologischen Bezügen, die im Grunde je für sich zu präzisieren sind und bei denen zudem jeweils noch erheblicher Forschungsbedarf besteht – für „Sozialkompetenz“ vgl. z. B. Kanning (2009), für „Lernkompetenz“ z. B. Tenberg (2008). Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich deshalb auf den zum gegenwärtigen Zeitpunkt besser erforschten Bereich der Fachkompetenz. Eingegangen werden soll darüber hinaus aber auch auf die moralische Urteils- und Handlungskompetenz, da diese gerade auch im berufspädagogischen Bereich Gegenstand intensiver Forschung war und ist, und sie gegenüber dem Gros sonstiger Kompetenzen auf einem elaborierten psychologischen Fundament basiert. Wie weiter unten noch zu diskutieren sein wird, kann diese Forschung insofern als Beispiel für einen alternativen Zugang zur Modellierung von Kompetenzstrukturen und -niveaus dienen, der möglicherweise einen Weg zur Konzeptualisierung und Erforschung weiterer Aspekte umfassender beruflicher Handlungskompetenz eröffnet (auch im Kontext der Fachkompetenz). Vor dem Hintergrund der angesprochenen konzeptuellen Problematik ist vielleicht verständlich, warum sich die Kompetenzforschung bislang vor allem auf kognitive Leistungen richtet. Dabei interessiert zum einen die (empirische) Unterscheidbarkeit von Subdomänen des jeweiligen Fachwissens, zum anderen die Frage nach Faktoren, die zusätzlich zum Wissen als solchem erforderlich sind, damit Wissen situationsspezifisch und -adäquat aktiviert sowie umgesetzt wird (vgl. z. B. Klieme & Hartig, 2007). Letztere sollen verhindern, dass Wissen „träge“ bleibt, und umgekehrt gewährleisten, dass das Individuum in der Lage ist, „reale Anforderungssituationen zu bewältigen. Und dies nicht nur einmalig oder gar zufällig, sondern auf der Basis eines latenten Merkmals, das gewissermaßen garantiert, dass der kompetent Handelnde in immer neuen Situationen adäquate Handlungen ‚generieren‘ kann“ (ebd., 14). Im Bereich der mathematischen Kompetenz kommt es etwa darauf an, Realmodelle in mathematische Modelle zu überführen, daraus wiederum Konsequenzen für Realmodelle abzuleiten und diese zu implementieren und zu evaluieren (vgl. Blum et al., 2004). Ähnliche Transformationsleistungen gelten – neben dem Fachwissen und dessen Struktur – auch als konstitutiv für die berufliche Fachkompetenz (vgl. z. B. Breuer, 2006; Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Spöttl, Becker & Musekamp, 2011; Winther 2010, 56–58; Winther & Achtenhagen, 2008). Mit der Fokussierung auf solche Modellierungsaktivitäten im Rahmen der situationsspezifischen Aktivierung von Wissen ist eine wesentliche und spezifische Leistungsdimension des Umgangs mit Wissen herausgearbeitet und in Large Scale Assessments untersucht worden. Noch nicht geklärt ist freilich, worin diese Disposition besteht, d.h. welche kognitiven (und nicht-kognitiven) Prozesse dabei ablaufen (müssen). Was die kognitiven Prozesse betrifft, so scheinen diese jedoch als abduktive Denkprozesse explizierbar zu sein (vgl. hierzu z. B. Minnameier 2005a; für erste Analysen im wirtschaftskundlichen Bereich vgl. Minnameier, 2006; Minnameier & Berg, 2010).
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Kompetenzstrukturmodellierungen In welchen Strukturen domänenbezogenes Wissen repräsentiert und organisiert ist, ist im beruflichen Bereich bislang erst in Teilbereichen systematisch erforscht worden. Im wirtschaftskundlichen Bereich wird standardmäßig zwischen volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kompetenzen unterschieden, was sich auch darin niedergeschlagen hat, dass Instrumente zur Messung der wirtschaftskundlichen Bildung in der Regel auf jeweils einen dieser beiden Bereiche zugeschnitten sind. Der „Wirtschaftskundliche Bildungs-Tests“ (WBT) (Beck & Krumm, 1998) ist auf volkswirtschaftliche Fragen bezogen. Im Vergleich mit einem Test zum betriebswirtschaftlichen Wissen und Denken wurden nur mäßige Korrelationen festgestellt (vgl. Förster, Happ & Zlatkin-Troitschanskaia, 2012), was die Trennung in volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Kompetenzen unterstützt. Innerhalb des mit dem WBT erfassten Kompetenzbereichs (er ist in die vier Teilgebiete „Grundlagen“, „Mikroökonomie“, „Makroökonomie“ und „internationale Beziehungen“ untergliedert) zeigen sich dagegen keine systematischen intraindividuellen Leistungsunterschiede. Zur Modellierung und Messung wirtschaftlicher Kompetenzen im betriebswirtschaftlichen Bereich und auf Berufsausbildungsniveau liegen inzwischen einige Forschungsarbeiten vor (vgl. insbes. Achtenhagen & Winther, 2009; Rosendahl & Straka, 2011; Seeber, 2007; Seeber, 2008; Tramm & Seeber, 2006; Winther, 2010). Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Untersuchungen orientieren sich in ihren Anforderungen und inhaltlichen Spezifikationen an sog. kaufmännischen Leit- bzw. Kernberufen, nehmen jedoch auch berufsübergreifende Fragestellungen mit in den Blick. In den Untersuchungen von Achtenhagen und Winther zu den Kompetenzstrukturen von Industriekaufleuten (Winther & Achtenhagen, 2008; 2009; Winther, 2010) wurde die kaufmännische Fachkompetenz empirisch insbes. in einer zweidimensionalen Struktur abgebildet, bei der zwischen einer sog. „handlungsbasierten Kompetenz“ und einer „verstehensbasierten Kompetenz“ unterschieden wird. Im Rahmen der ULME-III-Studie war eine eigenständige Dimensionen wertschöpfungsbezogener Anforderungen identifiziert worden (vgl. Tramm & Seeber, 2006; Seeber, 2007; 2008), auch legen Befunde an der Universität Mainz bei Bachelor-Studierenden eine solche Ausdifferenzierung nahe (vgl. Förster & Zlatkin-Troitschanskaia, 2010). Für die gewerblich-technische Bildung ergibt sich ein ähnliches Bild wie in der allgemeinen und der wirtschaftspädagogischen Kompetenzforschung. Inhaltliche Subdomänen der Fachkompetenz lassen sich bei Kfz-Mechatronikern und Elektronikern allerdings meist erst am Ende der Ausbildung feststellen.4 Ansons 4
Bei Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik sind dies „traditionelle Installationstechnik“, „elektrotechnische Grundlagen“ sowie „Steuerungstechnik/moderne Installationstechnik“ (vgl. Nickolaus et al. 2011). Bei Kfz-Mechatronikern handelt es sich um die Bereiche
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ten stellt sich Fachkompetenz im gewerblich-technischen Bereich als ein mindestens zweidimensionales Konstrukt dar, wobei eine Komponente durch das konzeptuelle Wissen gebildet wird, eine zweite durch die Fähigkeit zur situationsspezifischen problembezogenen Wissensanwendung (vgl. Gschwendtner, Abele & Nickolaus, 2009; Nickolaus et al., 2012; Spöttl, Becker & Musekamp, 2011). Die inhaltliche Präzisierung dieser Dispositionen ist jedoch noch nicht vollständig geklärt; zumindest fallen sie nicht mit der Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen zusammen (vgl. Gschwendtner, Abele & Nickolaus, 2009). Als weiterer Kompetenzaspekt im technischen Zusammenhang werden manuelle Fähigkeiten angenommen. Sie wurden aber bislang kaum untersucht und hatten dort, wo sie erfasst wurden, keinen signifikanten Einfluss auf die Leistung (vgl. ebd.). Insgesamt unterstreichen die bisher vorliegenden Befunde die Notwendigkeit, wirtschaftliche und technische Fachkompetenz in einem mehrdimensionalen Bezugsrahmen zu konstruieren. Dabei ist allerdings noch offen, ob und inwiefern weitere relevante Bereiche (z. B. mathematische oder rechtswissenschaftliche Bezüge) oder typische kognitive Anforderungen über handlungsbasierte und verstehensbasierte Anforderungen hinaus unter dem Kompetenzaspekt zu differenzieren wären (s. a. weiter unten). Auf jeden Fall machen die bisherigen Ergebnisse aber auch deutlich, dass domänenspezifische kognitive Kompetenzen auch Basiskompetenzen der allgemeinen Bildung implizieren. Neben dem fachlichen Vorwissen erwies sich vor allem die mathematische Kompetenz als bedeutsamer und stabiler Prädiktor für die weitere Entwicklung der Fachkompetenz (vgl. Hoffmann & Lehmann, 2007; Nickolaus et al., 2012; Seeber, 2007; 2008; Seeber & Lehmann, 2011). Ein direkter Einfluss der Lesekompetenz konnte bislang nicht nachgewiesen werden, sie gilt dennoch als zentral, vor allem im kaufmännischen Bereich (vgl. hierzu auch Nickolaus et al. 2012; Winther & Achtenhagen, 2010). Zur Klärung des Einflusses der Lesekompetenz trägt möglicherweise ein neues Verfahren zur Messung der „funktionalen Lesekompetenz“ (Ziegler et al., 2012) bei. Zur Untersuchung der Relevanz und Entwicklung mathematischer (und naturwissenschaftlicher) Kompetenzen wurde das in diesem Band beschriebene Projekt „Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung“ (ManKobE) unter Federführung des IPN ins Leben gerufen. In einem weiteren, über die Fachkompetenz hinausgehenden, Kontext hat Beck (1989) schon sehr frühzeitig einen Vorschlag für die übergreifende Modellierung wirtschaftskundlicher Bildung gemacht, der auch heute noch tragfähig zu sein scheint (vgl. z. B. die analoge Konzeptualisierung von Macha und Schuhen, 2011). Beck unterscheidet dabei (1) ökonomisches Wissen und Denken, (2) ökonomiebezogene Einstellungen und (3) eine ökonomiebezogene moralische Ur „Service“, „Motor“, „Motormanagement/Beleuchtung“, „Kraftübertragung“ und „Fahrwerk“ (vgl. Geschwendtner, 2011). Im Rahmen der ULME-Studie ließen sich allerdings keine inhaltlichen Kompetenzbereiche nachweisen (vgl. Hoffmann & Lehmann, 2007).
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teilskompetenz. Im Unterschied zu den o. g. Konzepten der Sozialkompetenz, Selbstkompetenz etc. sind diese Kompetenzbereiche nicht direkt aus den jeweiligen Handlungsbezügen heraus konzipiert, sondern an bewährten psychologischen Differenzierungen orientiert, was angesichts der bereits erwähnten Kritik wohl eine fruchtbarere Strategie der Explikation und Differenzierung von Kompetenzen sein dürfte. Einschlägige Erkenntnisse zur Entwicklung der moralischen Urteilskompetenz und entsprechende theoretische Weiterentwicklungen liegen sowohl für den kaufmännischen als auch für den gewerblich-technischen Bereich vor (vgl. z. B. Beck et al., 1998; 2001; Corsten & Lempert, 1997; Hoff, Lempert & Lappe, 1991). Über den moralkognitiven Aspekt hinaus – und damit bezogen auf den Aspekt von Einstellungen – legen mehrere Studien nahe, dass die Wettbewerbsaffinität bzw. -aversion von Schülerinnen und Schülern maßgeblich von der sozialen Herkunft, vom Bildungsstand sowie von der schulischen Sozialisation abhängt (Kahneman, Knetsch & Thaler, 1986; Frey, Pommerehne & Gygi, 1993; Bundesverband deutscher Banken, 2006; Enste, Haferkamp & Fetchenhauer, 2009). Ein weiterer zentraler, in der allgemeinen Kompetenzdiskussion aber eher vernachlässigter Kompetenzaspekt besteht im sog. „impliziten Wissen“, das eine kaum zu überschätzende Rolle in allen beruflichen Kontexten spielt (für einen Überblick vgl. Neuweg, 2005; 2008). Gerade vieles dessen, was etwa unter dem Konzept der Sozialkompetenz thematisiert wird, wird sich wohl lediglich als implizites Wissen manifestieren. Wie beim sprichwörtlichen „Eisberg“ dürfte insgesamt nur ein kleiner Teil unserer Kompetenzen bewusstseinsfähig und damit in Form expliziten Wissens nutzbar sein und genutzt werden. Der größte Teil wird sich eher unterhalb dieser Schwelle befinden und müsste deshalb sowohl für didaktische als auch für evaluatorische Zwecke entsprechend konzeptualisiert und erforscht werden. Kompetenzniveaumodellierungen Über Kompetenzniveaus wird versucht, Grade der Ausprägungen von Kompetenzen bzw. Kompetenzkomponenten zu bestimmen. Eine solche Gradierung ist im vorliegenden Zusammenhang hoch bedeutsam, da sich die unterschiedenen Kompetenzkonzepte und -komponenten in aller Regel nicht dichotom modellieren lassen. In einem gewissen Maß verfügt schließlich jeder über Lese-, mathematische, wirtschaftskundliche oder technische Kompetenz; die Frage von Bildungszielen und ihrer Erreichung muss daher auf spezifische Ausprägungen der Kompetenzen relativiert werden. Kompetenzniveaus werden derzeit und in den angesprochenen Zusammenhängen überwiegend empirisch über probabilistische Testmodelle ermittelt. Damit werden Items zu Klassen unterschiedlicher Schwierigkeit gruppiert. Die so bestimmten Kompetenzniveaus stellen somit Schnitte in ein unterliegendes Kontinuum ansteigender Itemschwierigkeiten (bzw. analog: Personenfähigkeiten) dar. „(T)here are no natural breaking points to mark borderlines between stages along
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these continua. Dividing each of these continua into levels, though useful for communication about students’ development, is essentially arbitrary“ (Turner, 2002, 197). Eine rein empiristische Festlegung von Kompetenzniveaus ist – zumindest unter pädagogischen Gesichtspunkten – freilich nicht befriedigend, weshalb seit einiger Zeit versucht wird, schwierigkeitsrelevante Parameter zunächst theoretisch zu explizieren und dann mittels Regressionsanalyse zu validieren (vgl. Hartig, 2007). So setzte man auch bei einigen Studien im berufs- und wirtschaftspädagogischen Kontext an (vgl. z. B. Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008; Seeber, 2008; Winther & Achtenhagen, 2009). Diese ersten Ansätze, da sind sich auch die Autoren der Studien selbst einig, erlauben allerdings weder Generalisierungen, noch sind sie hinreichend differenziert und theoretisch fundiert. Die Beschreibungen der Kompetenzniveaus geben uns zwar sicherlich wichtige Anhaltspunkte für die Unterscheidung von simpleren und anspruchsvolleren Leistungsbereichen innerhalb der Domänen, sie bleiben jedoch auch im Rahmen der genannten Untersuchungen eher allgemein und unpräzise. In Tabelle 1 sind die wesentlichen Deskriptoren zusammengefasst (vgl. Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008, 65; Rosendahl & Straka, 2011, 205 f.; Seeber, 2008, 91–93; Winther & Achtenhagen, 2009, 547). Kompetenztheoretisch betrachtet sind auch diese Deskriptionen vor allem von heuristischem Wert. Sie erlauben uns weder in einem allgemeinen noch in einem fachlich bzw. fachdidaktisch spezifischen Bezug, Bildungsziele substantiell und informativ zu beschreiben. In ähnlicher Weise wie die Kompetenzbeschreibungen in den Lehrplänen bleiben sie dabei über weite Strecken auf relevantes Verhalten (entscheiden, analysieren, evaluieren, modellieren, Berechnungen durchführen etc.) fixiert. Und auch die übrigen – auf Wissen abstellenden – Konzepte wären entsprechend präzisierungs- und erklärungsbedürftig. So müsste z. B. geklärt werden, was ein „vertieftes ökonomisches Verständnis“ bzw. ein „anspruchsvolles Abstraktionsniveau“ ist und worin sich dieses von einfacheren Denk- bzw. Wissensformen unterscheidet.
21
Ziele der beruflichen Bildung und ihre Einlösung
KfzMechatroniker5
Bürokaufleute
Industriekaufleute
I
rudimentäre Kfz-Kenntnisse
Alltagsverständnis
kfm. Grundund Regelwissen
Begriffswissen und rechtliche Regeln aus jüngst behandelten Lernfeldern
II
basale KfzKenntnisse
Einfache wirtschaftsmathematische Prozeduren
kfm. Handlungswissen
Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte von gängigen Wertpapieren; einfache Berechnungen und Buchungssätze
III
strukturelle und systemische Kfz-Kenntnisse
Fähigkeit, komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge zu modellieren
kfm. Analysewissen
Detailwissen zu wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten
IV
evaluative KfzKenntnisse
Vertieftes ökonomisches Verständnis; anspruchsvolles Abstraktionsniveau
kfm. Entscheidungswissen
Fähigkeit zu umfangreicheren und schwierigeren Berechnungen
Bankkaufleute
Tab. 1: Inhaltliche Beschreibungen von Kompetenzniveaus
Es stellt sich damit die Frage, ob man Kompetenzniveaus nicht anderweitig in den Griff bekommen könnte, und wenn ja, wie. In diesem Zusammenhang ließe sich etwa an strukturgenetische Modellierungen denken, wie sie in der Piaget/Kohlberg-Tradition entwickelt und ausführlich beforscht wurden. Zwar haben sich sowohl das klassische piagetsche 4-Stufen-Modell der Intelligenzentwicklung als auch die 6-stufige Moralstufentaxonomie von Kohlberg als nur bedingt brauchbar erwiesen (s. auch oben), aber das ändert nichts an der prinzipiellen Leistungsfähigkeit der strukturgenetischen Theorie (vgl. z. B. Commons et al., 1998; Reusser, 2006), die sich inzwischen auch auf vielfältige naturwissenschaftliche und grundlagentheoretische Erkenntnisse stützen kann (vgl. z. B. Minnameier, 2000a; Spencer, Thomas & McClelland, 2009; Witherington, 2007; 2011). 5
Inzwischen liegen für die Kfz-Mechatroniker neue Modellierungen zur Problemlösefähigkeit im Kontext der Fehlerdiagnose vor. Dabei ergeben sich drei Niveaus: (1) Routiniertes und computergestütztes Lösen einfacher Kfz-Probleme, (2) Computergestütztes und nicht geführtes Lösen mittelkomplexer Kfz-Probleme, (3) Eigenständiges Lösen komplexer Kfz-Probleme (vgl. Nickolaus et al., 2012)
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Gerhard Minnameier
Kritisiert wurde neben den faktischen Stufeneinteilungen vor allem die Annahme, das Erreichen bestimmter Niveaus würde zu „flächendeckenden“ Anpassungen über alle Domänen führen. Die Domänenspezifität kognitiver Strukturen konstituiert aber keinen systematischen Einwand gegen den strukturgenetischen Ansatz. Im Gegenteil! Sie entspricht sogar in höherem Maße der These vom konstruktiven Aufbau der Stufen. Klieme und Hartig (2007) weisen darauf hin, dass es in der Kompetenzforschung im Wesentlichen zwei psychologisch fundierte Kompetenzkonzepte gibt: das eine, das auf Faktoren referiert, die im Kontext der Wissensanwendung bedeutsam sind und dafür sorgen sollen, dass Wissen nicht träge ist bzw. bleibt; und das andere, das die prinzipielle Fähigkeit fokussiert, bestimmte Inhalte bzw. Sachverhalte überhaupt assimilieren zu können. Mit Letzterem sind stets, wenngleich meist implizit, kognitive Strukturen im strukturgenetischen Sinne angesprochen (vgl. auch Nickolaus, Beck & Dubs, 2010, 144). Gerade vor dem Hintergrund, dass der Anwendungsaspekt mehr im Allgemeinen gilt und auf allen Kompetenzniveaus – qua Kompetenz und aufgrund der stets anwendungsorientierten Aufgabengestaltung – eingelöst werden muss, spräche einiges dafür, Kompetenzniveaus speziell auch im Sinne strukturgenetischer Komplexitätsstufen zu explizieren, ebenso wie man im Anwendungskontext spezifische Leistungen unterscheidet.6 Im wirtschaftskundlichen Bereich wurde dies z. B. für ökonomische Wertkonzepte bzw. den Gewinnbegriff und für Strukturen des Rechnungswesens versucht (Berti & Bombi, 1988; Claar, 1990; Minnameier, 2005c; Minnameier & Link, 2010).
6
Wie im Bereich der mathematischen Kompetenz (vgl. PISA), wurden z. B. auch für die kaufmännische Kompetenz Modelle vorgeschlagen, die verschiedene Phasen – von der Situationsmodellierung zur theoretischen Modellierung, der Ableitung von Konsequenzen zur Implementierung – der Wissensanwendung unterscheiden (vgl. z. B. Preiß, 2005, 72-74). Für die kognitiven Aspekte dieser Anwendungsprozesse lassen sich sogar spezifische Inferenzen explizieren und differenzieren (vgl. Minnameier, 2005a; Minnameier & Berg, 2010)
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Ziele der beruflichen Bildung und ihre Einlösung
3. RESULTATE ZUM KOMPETENZERWERB IN DER BERUFLICHEN ERSTAUSBILDUNG 3.1. Ergebnisse der Ausbildungsabschlussprüfungen Die Prüfungsstatistik der IHK-Abschlussprüfungen weist für die hier diskutierten Berufe die in Tabelle 2 zusammengestellten Ergebnisse aus.7 Noten (%) Ausbildungsberufe
bestanden (%)
N
1
2
3
4
5
6
Bankkaufleute
2,3
31,0
48,3
16,8
1,4
0,2
96,8
8357
Bürokaufleute
4,6
24,1
33,9
30,2
6,2
1,1
86,8
6443
Industriekaufleute
12,8
45,2
29,6
11,1
1,1
0,2
97,5
7082
Kfz-Mech. (Nutzfz.)
0,0
19,9
61,7
17,9
0,0
0,5
97,0
201
Kfz-Mech. (Pkw)
2,9
32,5
51,6
11,9
1,0
0,0
97,1
477
Elektr. (Geb./Infra)
1,5
16,4
58,2
20,9
3,0
0,0
89,6
67
Tab. 2: Bundesweite Ergebnisse der IHK-Abschlussprüfung Winter 2011/2012 für ausgewählt Berufe (Quelle: IHK Frankfurt am Main)
Die Ergebnisse zeichnen ein sehr positives Bild mit oftmals verschwindend geringen Durchfallquoten und Noten, die vorwiegend im 2er- und 3er-Bereich liegen. Demnach müssten die Ziele der beruflichen Bildung im Großen und Ganzen erreicht worden sein, was sich auch in entsprechenden messbaren Kompetenzen widerspiegeln sollte. Wie die nachfolgend zusammengefassten – bislang freilich nur einen engen Bereich abdeckenden – Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zeigen, scheinen als befriedigend zu bezeichnende Kompetenzniveaus aber gerade eher die Ausnahme zu sein. So weist Nickolaus (2011, 169) darauf hin, dass diese Ergebnisse, nach denen die Absolventen in manchen Berufen mit bis zu 80% im 1er- und 2er-Bereich liegen, wohl kaum reliabel sein dürften und auch kaum mit betrieblichen Beurteilungen korrelieren. Obwohl auch für Berufsabschlussprüfungen valide Prüfverfahren angestrebt werden und einige Entwicklungen auf diesem Gebiet stattgefunden haben (vgl. Breuer, 2005), scheinen hier noch diagnostische Defizite zu bestehen. Es sei in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass bisherige Evaluationen neuer Prüfungsformen vor allem Machbarkeitsstudien darstellen und deren Qualität 7
Die Statistik enthält keine Daten zu den Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik. Ersatzweise werden hier die Ergebnisse für Elektroniker für Gebäude- und Infrastruktursysteme berichtet.
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Gerhard Minnameier
höchstens im Ansatz prüfen (vgl. Breuer & Schmidt, 2010; Ebbinghaus, Görmar & Stöhr, 2001). 3.2. Zum Status der Fachkompetenz im Lichte der berufs- und wirtschaftspädagogischen Kompetenzforschung Wie bereits erwähnt, ist das Spektrum an elaborierten Kompetenzmessungen im berufsbildenden Bereich derzeit noch begrenzt. Für die in den jeweiligen Ausbildungsbereichen untersuchten Themen bzw. Teilgebiete können die bestehenden Untersuchungen jedoch curriculare und ökologische Validität für sich beanspruchen (vgl. etwa Nickolaus, Gschwendtner & Geißel, 2008, 61; Rosendahl & Straka, 2011, 196; Seeber, 2008, 75 f.; Winther & Achtenhagen, 2009, 525 f.). Umso mehr interessiert im Lichte der vorliegenden Fragestellung, wie die Probanden in den Tests abgeschnitten haben. Die zentralen Ergebnisse zu den jeweils erreichten Niveaus sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Berufe
< Niveau I
Niveau I
Niveau II
Niveau III
Niveau IV
KfzMechatroniker*8
Vollzeit
-
57%
42%
1%
0%
Teilzeit
-
13%
80%
6%
1%
Elektroniker*
Vollzeit
-
61%
33%
6%
0%
Teilzeit
-
38%
35%
26%
1%
-
13%
60%
22%
5%
Bürokaufleute* Industriekaufleute**
Verstehen
36%
43%
21%
0%
0%
Handeln
3%
20%
53
23%
2%
Bankkaufleute**
AWK9
-
13%
55%
28%
4%
BWK
-
15%
49%
30%
7%
* Item-Lösungswahrscheinlichkeit 65%; ** Item-Lösungswahrscheinlichkeit 50% Tab. 3: Erreichte Kompetenzniveaus im Rahmen wissenschaftlicher Studien
8
9
Für Kfz-Mechatroniker und Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik liegen mittlerweile neuere Daten zur fachspezifischen Problemlösefähigkeit vor (s. Fußnote 5), die vorteilhafter ausfallen (s. hierzu weiter unten im Text). AWK = Allgemeinwirtschaftliche Kompetenz; BWK = Bankwirtschaftliche Kompetenz.
25
Ziele der beruflichen Bildung und ihre Einlösung
Wie weiter oben erläutert (s. Tab. 1), verfügen Personen auf den ersten beiden Niveaus lediglich über basale Kenntnisse und sind auch nur zu begrenzten Anwendungsleistungen im Sinne einfacher Routinen bzw. gut geübter Abläufe in der Lage. Bedenkt man, dass berufliche Bildung unter dem Kompetenzaspekt und mit der Zielperspektive einer „neuen Beruflichkeit“ (s. Abschn. 1) auf flexible und kreative Problemlösekompetenz(en) sowie Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Arbeitsprozesse und -strukturen abzielt, muss man nüchtern (und ernüchtert) feststellen, dass das Gros der Auszubildenden dieses Ziel verfehlt (entgegen den in Abschnitt 3.1. berichteten Ergebnissen der IHK-Abschlussprüfungen). Tabelle 4, in der die die Daten auf zwei Niveaus verdichtet sind (bis einschließlich Niveau II und über Niveau II, macht dies noch einmal deutlich. Kfz-Mech.
Elektroniker
VZ
TZ
VZ
TZ
≤ Niv. II
99%
93%
94%
73%
> Niv. II
1%
7%
6%
27%
Büro
Industrie
Bank
Verst.
Hdl.10
AWK
BWK
73%
100%
76%
68%
64%
27%
0%
25%
32%
34%
Tab. 4: Vergleich eher angemessener und eher nicht angemessener Kompetenzniveaus
Lediglich im Bankbereich erreicht ca. ein Drittel der Testpersonen (von denen 72% die Hochschulreife erworben haben) das in den Ordnungsmitteln angestrebte Niveau, bei Elektronikern (TZ), Büro- und Industriekaufleuten ist es ca. je ein Viertel (wenn man bei den Industriekaufleuten die handlungsbasierte Kompetenz als Maß zugrunde legt). Soweit diese Ergebnisse auf die nicht untersuchten Gegenstände der Ausbildung und auf andere Ausbildungsberufe generalisierbar sind, legen diese Ergebnisse den Schluss nahe, dass die curricular gesetzten Ziele deutlich verfehlt werden. Allerdings liegen inzwischen auch Daten zu KfzMechatronikern und Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik vor, bei denen auf den oberen beiden Niveaus (die ähnlich beschrieben werden wie in den übrigen Studien) jeweils 48,3% (Kfz-Mechatroniker) bzw. 36,9% (Elektroniker) angesiedelt sind (vgl. Nickolaus et al., 2012, 254–256). Über die hier näher betrachteten Studien hinaus sei in diesem Zusammenhang auch auf die im Rahmen der ULME-Studie untersuchten gewerblich-technischen Berufe der Anlagenmechaniker, Industriemechaniker, Fluggerätemechaniker, Elektroinstallateure und Tischler verwiesen, aus der ähnlich bedenkliche Ergebnisse berichtet werden. In ihrer Zusammenfassung betonen Hoffmann und Leh 10
Rundungsbedingt addieren sich die Prozentwerte zu den einzelnen Niveaus auf 101.
26
Gerhard Minnameier
mann (2007, 189), dass die Aufgaben zwar den curricularen Vorgaben entsprachen, sich aber für die Schüler als zu schwer erwiesen haben (und dabei habe man noch anspruchsvolle und hoch normativ geladene Aspekte wie „kritische Reflexion“ gar nicht getestet). 3.3. Entwicklung der moralischen Urteils- und Handlungskompetenz Nicht besser sieht es im Übrigen bzgl. der moralischen Urteils- und Handlungskompetenz aus. Im gewerblich-technischen Bereich befindet sich die weit überwiegende Anzahl der Auszubildenden auf präkonventionellem oder konventionellem Niveau und ist von fatalistischen oder externalen Kontrollüberzeugungen geleitet (vgl. Hoff, Lempert & Lappe 1991; Corsten & Lempert, 1997). Auch im kaufmännischen Bereich sind die erreichten Niveaus vergleichbar (in betrieblichen Situationsgeschichten verteilen sich die Probanden auf die ersten drei Stufen). Hier wurden darüber hinaus erhebliche bereichs- bzw. kontextspezifische Differenzierungen des Moralurteils sowie Regressionen deutlich (vgl. insbes. Beck et al., 2001; Beck & Parche-Kawik, 2004), die sich auch in anderen Studien gezeigt haben (vgl. zusammenfassend Krebs & Denton, 2005). Zurückgeführt werden diese Differenzierungen auf situative Bedingungen der Aktualgenese (vgl. hierzu z. B. Beck, 1999; 2000; 2003; 2008; Bienengräber, 2011; Minnameier, 2011; 2012a; 2012b) sowie stabile segmentbezogene Entwicklungsbedingungen (vgl. Beck et al., 1998; Beck, Bienengräber & Parche-Kawik, 2000; Bienengräber, 2002; Corsten & Lempert, 1997). Die Frage, ob und inwieweit situative Anpassungen – auch nach unten – im Sinne einer flexiblen Handlungskompetenz nicht nur nicht schädlich, sondern sogar wünschenswert wären, ist nach wie vor offen. Während man anfangs im Lichte der Kohlbergtheorie davon ausging, dass solche intraindividuellen Unterschiede nicht nur nicht möglich (weil theorieunverträglich), sondern im Eintretensfall sogar schädlich (weil identitätsgefährdend) seien, wird heute auch die Auffassung vertreten, dass sie eher Ausdruck eine flexiblen moralischen Handlungskompetenz sind (vgl. hierzu Beck, 1999; 2000; 2003; 2008; Minnameier, 2011). Vor allem Zabeck (2002) und Lempert (2003) haben für eine durchgängig an hohen und höchsten ethischen Prinzipien ausgerichtetes berufliches Handeln argumentiert; dagegen wurden aber über ökonomische und pädagogische Gründe hinaus auch ethische Argumente ins Feld geführt (vgl. Beck, 2003; 2008; Minnameier, 2004; 2005d; 2012b). Darüber hinaus wurde jedoch ebenfalls deutlich, dass in der kaufmännischen (sowie mutatis mutandis auch in der gewerblich-technischen) Berufspraxis oftmals auch sehr hohe moralische Ansprüche zu stellen sind, insbesondere dann, wenn es um die Austragung von Konflikten in Teams, um die kooperative Gestaltung der Arbeit oder auch um die Interaktion mit Kunden geht. Immer dann, wenn neue Verhaltensregeln etabliert und begründet werden müssen, ist postkonventionelles Denken vonnöten, wozu nur ein geringer Anteil der Auszubildenden – auch am Ende ihrer Ausbildungszeit – in der Lage ist.
Ziele der beruflichen Bildung und ihre Einlösung
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4. DISKUSSION UND DESIDERATE Die vorliegenden Ergebnisse zum Stand der Kompetenzforschung im berufsbildenden Bereich und zum Stand der bislang erforschten Kompetenzen bzw. Kompetenzfacetten machen zweierlei deutlich: Zum einen erreichen weite Teile der Adressaten die curricular vorgegebenen und zentral mit dem Kompetenzkonzept als solchem verbundenen Ziele nicht oder nur zu einem unbefriedigenden Grad. Prinzipiell müssten damit die meisten Absolventen als „nicht kompetent“ im Sinne des Kompetenzkonzepts eingestuft werden. Zum anderen ist man in der Forschung bislang noch nicht zu psychologisch überzeugenden Kompetenzkonzepten vorgedrungen. In psychometrischer Hinsicht lassen sich zwar relevante Differenzierungsbereiche (Subdomänen) identifizieren, aber die dahinter liegenden psychischen Entitäten und Prozesse (Motive/Motivationen; relevante Persönlichkeitsmerkmale und Emotionen; Wissensstrukturen und -prozeduren; Einstellungen und Einstellungsgenese) bedürfen noch der genauen Erforschung, vor allem im Hinblick auf ihre Relevanz für bestimmte Verhaltensdispositionen (vgl. hierzu auch Nickolaus, 2011c). Insofern sind noch gewaltige Forschungsanstrengungen vonnöten, um Kompetenzen in angemessener Weise zu explizieren und sie sowohl in ihrem Status diagnostizieren als auch in ihrer Entwicklung beschreiben und beeinflussen zu können. Angesichts dieser Ausgangslage und im Hinblick auf die Frage nach der Einlösung von Zielen der beruflichen Bildung sind m. E. vor allem zwei Aspekte stärker als bisher zu fokussieren: (1) die Frage des strukturellen Aufbaus (sub-) domänenspezifischen Wissens und (2) die Frage der Kompetenzentwicklung im fachdidaktischen Zusammenhang und den entsprechend gestalteten bzw. zu gestaltenden Lehr-Lern-Prozessen. Zur Entwicklung von Kompetenzkonzepten Während die (Weiter-)Entwicklung konkreter Testaufgaben und Simulationen m. E. auch und vor allem aus unaufschiebbaren pragmatischen Erfordernissen heraus zu erfolgen hätte, müssten parallel dazu verstärkte Anstrengungen zu einer psychologisch und fachdidaktisch fundierten Explikation von Kompetenzstrukturen und -niveaus unternommen werden (vgl. auch Winther, 2011). Allerdings werden diese Arbeiten noch einiges an Zeit und anderen Ressourcen beanspruchen. Angesprochen wurde weiter oben die Frage nach einer strukturgenetischen Modellierung von Fachwissenskorpora bzw. auch spezifischen moralischen Anforderungen. Wenn man angesichts notorisch überladener Lehrpläne heute mehr denn je die Frage aufwirft, worin das entscheidende Struktur- und Orientierungswissen besteht, das man für eine flexible Anpassung an künftige Herausforderungen benötigt, dann wäre nichts wichtiger als die Grundzusammenhänge herauszuarbeiten, die es in der jeweiligen Domäne zu verstehen gilt. Die Frage nach solchen Zusammenhängen führt geradewegs zu Wissens- und Urteilsstrukturen im strukturgenetischen Sinne. Das Gesagte wird noch verschärft
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Gerhard Minnameier
durch die Tatsache, dass heute im EU-weit verbindlichen Rahmen Ausbildungsabschlüsse in allen beruflichen Bereichen und auf allen Niveaus miteinander vergleichbar und aufeinander anrechenbar sein sollen, obwohl sie in Inhalten und Organisation teils sehr heterogen sind (s. o., Abschnitt 2.1.; zum aktuellen Stand der Diskussion um den DQR vgl. insbes. Esser, 2012). Um diesen Bewertungsspagat sinnvoll zustande zu bringen, benötigt man klare Vorstellungen der Kernelemente, die Menschen in unterschiedlichen Zusammenhängen erworben haben könnten, die sie aber unabhängig von diesen spezifischen Bedingungen und Hintergründen nachweisen (können) müssten (vgl. Minnameier & Berg, 2010; vgl. in diesem Kontext auch Witt, 2011). Hierzu wäre weit mehr als bisher an konzeptueller Entwicklungsarbeit zu leisten. Zur Lehr-Lern-Prozessforschung Kompetenzen zu messen ist eine Sache, sie zu vermitteln eine andere. Bildungspraktisch gesehen ist die Kompetenzentwicklung sogar das, worauf es ankommt. Aber es geht nicht nur um die simple Frage, mit welchen Methoden man Kompetenzen entwickeln oder vermitteln kann, sondern letztlich um eine ähnliche Frage wie im Bereich der Kompetenzkonzepte: So, wie man Kompetenzen über möglichst umfassende, komplexe und ganzheitliche Aufgaben (bislang wenig erfolgreich) theoretisch und empirisch zu fassen versucht hat, ist auch die vergleichende Methodenforschung im Sinne klassischer Experimentalforschung so verfahren, dass man ganze (und ganzheitliche) Unterrichtskonzepte und lehr-lerntheoretische Konzeptionen (wie z. B. handlungsorientiertes oder selbstorganisiertes Lernen) als Experimentalbedingungen modelliert und gegen direktiven bzw. traditionellen Unterricht als Kontrollbedingung getestet hat. Die mit modernen, i. w. S. handlungsorientierten Ansätzen erzielten Ergebnisse fallen dabei insgesamt eher mager aus (für einen Überblick vgl. Nickolaus, 2011b). Abgesehen davon, dass die genannten Reinformen im realen Unterricht nie über ganze Stunden und noch weniger über größere Lerneinheiten durchzuhalten waren, ist doch deutlich geworden, dass innerhalb solcher Unterrichtssequenzen eine Vielzahl verschiedener Interaktionen stattfindet, die im Detail untersucht werden müssten. Teilweise sind hierzu zwar Prozessdaten erhoben worden (vgl. Sembill et al. 1998; Lewalter, Wild & Krapp, 2001), dies aber nie fachdidaktisch fokussiert und nicht bezogen auf spezifische (fachliche) Lernprozesse. Vonnöten ist deshalb eine „Verschränkung von fachdidaktischer und kognitionspsychologischer Forschung“ (Seeber & Nickolaus, 2010, 256; vgl. auch Achtenhagen & Winther, 2011) und in diesem Zusammenhang die Analyse konkreter Lehr-LernProzesse. Zu untersuchen wären dabei die Interaktionen von Lernenden mit ihrer Lernumwelt (Lehrpersonen, Mitlernende, Lernmaterial) im Lernprozess und im Umgang mit spezifischen fachlichen Problemen (vgl. z. B. Tenberg, 2008, 552). Mit anderen Worten: Im Arsenal der berufs- und wirtschaftspädagogischen Bildungsforschung müsste zusätzlich zur Frage der Kompetenzmessung und der Outputevaluation der Aspekt fachbezogenen Lehrens und Lernens im Sinne einer
Ziele der beruflichen Bildung und ihre Einlösung
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„Lehr-Lern-Prozessevaluation“ systematisch entwickelt und bearbeitet werden (vgl. Minnameier, 2012c). Ansätze hierzu bestehen bereits, und zwar insbesondere im Kontext des Lernens aus Fehlern (vgl. z. B. Link & Minnameier, 2008; Minnameier, 2008; Wuttke & Seifried, 2012a; 2012b; Türling et al., 2011). LITERATUR Achtenhagen, F. & Winther, E. (2011). Fachdidaktische Perspektiven der Kompetenzmessung – am Beispiel des kaufmännisch-verwaltenden Bereichs. In O. Zlatkin-Troitschanskaia (Hrsg.), Stationen empirischer Bildungsforschung – Traditionslinien und Perspektiven (S. 352–367). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Baethge, M. (2004). Entwicklungstendenzen der Beruflichkeit – neue Befunde aus der industriesoziologischen Forschung. ZBW, 100, 336–347. Beck, K. (1989). "Ökonomische Bildung" – Zur Anatomie eines wirtschaftspädagogischen Begriffs, Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 85, 570–596. Beck, K. (1997). Die Zukunft der Beruflichkeit. In M. Liedtke (Hrsg.), Berufliche Bildung: Geschichte, Gegenwart, Zukunft (S. 351–369). Bad Heilbrunn. Beck, K. (1999). Wirtschaftserziehung und Moralerziehung – ein Widerspruch in sich? Zur Kritik der Kohlbergschen Moralentwicklungstheorie. Pädagogische Rundschau, 53, 9–28. Beck, K. (2000). Ethische Differenzierung als Grundlage, Aufgabe und Movens Lebenslangen Lernens. In F. Achtenhagen (Hrsg.), Lebenslanges Lernen im Beruf – seine Grundlegung im Kindes- und Jugendalter, Bd. 5: Erziehungstheorie und Bildungsforschung (S. 30–51). Opladen: Leske + Budrich. Beck, K. (2003). Ethischer Universalismus als moralische Verunsicherung? Zur Diskussion um die Grundlegung der Moralerziehung. ZBW, 99, 274–298. Beck, K. (2008). Moral judgment in economic situations. Towards systemic ethics. In F. F. K. Oser & W. Veugelers (Eds), Getting involved: Gobal citizenship development and sources of moral values (pp. 359–370). Rotterdam: Sense. Beck, K. Bienengräber, T. Heinrichs, K. Lang, B., Lüdecke-Plümer, S., Minnameier, G., ParcheKawik, K. & Zirkel, A. (1998). Die moralische Urteils- und Handlungskompetenz von kaufmännischen Lehrlingen – Entwicklungsbedingungen und ihre pädagogische Gestaltung. In K. Beck & R. Dubs (Hrsg.), Kompetenzentwicklung in der Berufserziehung: Kognitive, motivationale und moralische Dimensionen kaufmännischer Qualifizierungsprozesse (ZBW-Beiheft 14) (S. 188–210), Stuttgart: Steiner. Beck, K., Bienengräber, T., Mitulla, C. & Parche-Kawik, K. (2001). Progression, Stagnation, Regression – Zur Entwicklung der moralischen Urteilskompetenz während der kaufmännischen Berufsausbildung. In K. Beck & V. Krumm (Hrsg.), Lehren und Lernen in der beruflichen Erstausbildung. Grundlagen einer modernen kaufmännischen Berufsqualifizierung (S. 139– 161). Opladen: Leske + Budrich. Beck, K. & Krumm, V. (1998). Wirtschaftskundlicher Bildungs-Test (WBT). Göttingen: Hogrefe. Beck, K. & Parche-Kawik, K. (2004). Das Mäntelchen im Wind? Zur Domänespezifität moralischen Urteilens. Zeitschrift für Pädagogik, 50, 244–265. Berti, A.E. & Mombi, A.S. (1988). The child’s construction of economics. Cambridge, MA: Cambridge University Press. Bienengräber, T. (2002). Vom Egozentrismus zum Universalismus: Entwicklungsbedingungen moralischer Urteilskompetenz. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Bienengräber, T. (2011). Situierung oder Segmentierung? Zur Entstehung einer differenzierten moralischen Urteilskompetenz. ZBW, 107, 499–519.
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Gerhard Minnameier
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Teil 2: Relevanz schulischer Kompetenzen für den Übergang in die Erstausbildung und für die Entwicklung beruflicher Kompetenzen
DIE RELEVANZ MATHEMATISCHER UND NATURWISSENSCHAFTLICHER KOMPETENZEN FÜR DIE FACHLICHE KOMPETENZENTWICKLUNG IN GEWERBLICHTECHNISCHEN BERUFEN Bernd Geißel, Reinhold Nickolaus, Florina Ştefănică, Hendrik Härtig & Knut Neumann KURZFASSUNG: Der Beitrag gibt einen Überblick zur Relevanz mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen für die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen in gewerblich – technischen Berufen sowie den Aussagemöglichkeiten zur Ausprägung und Entwicklung mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen im Ausbildungsverlauf. Am Beispiel von zwei Ausbildungsberufen wird ergänzend gezeigt, dass die hohe prädiktive Kraft, die den mathematischen Fähigkeiten für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung zukommt, auch für jene berufsfachlichen Leistungsanforderungen beobachtet werden kann, in welchen mathematische Anforderungen keine Rolle spielen. Die Implikationen dieses Befundes werden abschließend diskutiert. ABSTRACT: This contribution gives an overview of the evidence we have about mathematical and scientific competencies and their influence on the development of professional competencies in vocational-technical professions. Additionally, we present what is known about the respective competence levels and the development of mathematical and scientific competencies during the course of vocational education. Based on the example of two vocational-technical professions, it is shown that the high predictive validity of mathematical competencies for the development of professional competencies is even observed when the professional tasks do not require mathematical skills. Finally, the implications of this result are discussed. 1. EINLEITUNG Eine solide Grundbildung aller Schülerinnen und Schüler vor allem in Mathematik und den Naturwissenschaften kann, so die bei politischen Entscheidungsträgern weit verbreitete Annahme, im globalen Wettbewerb den entscheidenden Vorteil bringen und den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg einer Nation bedeuten (deBoer 2011). Internationale Vergleichsstudien wie die Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS) oder das Programme for International Student Asses-
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B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
sment (PISA) sollen Informationen über die Grundbildung der Schülerinnen und Schülern in den partizipierenden Ländern generieren. Zur Sicherung einer soliden Grundbildung gehen darüber hinaus immer mehr Länder – darunter auch Deutschland – dazu über, die Erwartungen an eine solide Grundbildung durch Standards zu konkretisieren (vgl. deBoer 2011). Die Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern benennen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler am Ende der Sekundarstufe I erworben haben sollten (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland [KMK], 2004, 2005a, 2005b, 2005c; vgl. Klieme u.a. 2003). Diese Kompetenzen sollen Schülerinnen und Schülern die aktive Partizipation „an gesellschaftlicher Kommunikation und Meinungsbildung über technische Entwicklung und naturwissenschaftliche Forschung“ (KMK 2005c, S. 6) ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Schülerinnen und Schüler aber auch auf eine Ausbildung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, als Ingenieur, Wissenschaftler und insbesondere Berufe im gewerblich-technischen Bereich vorbereitet werden. Die Befunde der internationalen Vergleichsstudien lassen jedoch vermuten, dass dies z. T. nicht gelingt. In der 1995 durchgeführten Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) fand sich ein beträchtlicher Teil von Schülerinnen und Schüler im unteren Leistungsspektrum. Und auch zehn Jahre nach der ersten PISA-Studie erreicht ein Großteil der Schülerinnen und Schüler maximal das Niveau naturwissenschaftlichen Alltagswissens (Klieme u.a. 2010). Dies gilt insbesondere für Schülerinnen und Schüler der Hauptschule. In der Folge wird diesen Schülerinnen und Schülern häufig eine mangelnde Ausbildungsfähigkeit unterstellt (Artelt u.a. 2001). Dass diese Schülerinnen und Schüler tatsächlich das Ausbildungsziel verfehlen oder zumindest eine schwächere Kompetenzentwicklung in der Ausbildung zeigen, ist jedoch empirisch nicht gesichert. Grundsätzlich haben sich in der Berufsbildungsforschung mathematische Fähigkeiten als prognostisch valide erwiesen – insbesondere für Selektionsprozesse im Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung und das Studium. Auch naturwissenschaftliche, insbesondere physikalisch-technische Kompetenzen dienen in gewerblich-technischen Berufen als ergänzendes Selektionskriterium (Abele 2011, 2013, S. 71; Beier/ Ackerman 2005; Nickolaus/ Gschwendtner/ Geißel 2008). Annahmen über die Relevanz mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung beruhen dabei aber häufig auf Korrelationen zwischen Schulnoten und Noten in Zwischen- oder Abschlussprüfungen der beruflichen Ausbildung (z.B. Schuler 2010). Analysen, die auf einer differenzierteren Erfassung mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen einerseits und berufsfachlicher Kompetenzen andererseits beruhen, sind selten (z.B. Lehmann/ Seeber 2007). Dabei wäre eine differenzierte Erfassung von Kompetenzen notwendig, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, inwieweit mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen für die Entwicklung spezifischer beruflicher Kompetenzen bedeutsam sind. Nur dadurch ließe sich klären, ob die in nationalen wie internationalen Vergleichsstudien postulierten Kompetenzniveaus eine Einschätzung der Ausbildungsfähigkeit zulassen.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
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Im vorliegenden Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Schülerinnen und Schüler, die in Vergleichsstudien lediglich die unteren Kompetenzniveaus erreichen, auch eine entsprechend eingeschränkte Kompetenzentwicklung im Verlauf der beruflichen Ausbildung aufweisen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden zunächst die entsprechenden Befunde der internationalen Vergleichsstudien zum Kompetenzstand von Jugendlichen im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften zusammengefasst. Darauf aufbauend werden Erkenntnisse zum Zusammenhang mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen und berufsfachlicher Kompetenzentwicklung skizziert, wobei der Schwerpunkt auf gewerblich-technischen Berufen liegt. Diese werden durch Befunde aus Sekundäranalysen zu Zusammenhängen mathematischer und beruflicher Kompetenzen anhand ausgewählter Studien zur berufsfachlichen Kompetenzentwicklung vertieft. Schließlich werden vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse mögliche Schlussfolgerungen über die Relevanz mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen für die fachliche Kompetenzentwicklung in gewerblich-technischen Berufen diskutiert. 2. MATHEMATISCHE UND NATURWISSENSCHAFTLICHE KOMPETENZEN VON JUGENDLICHEN IN DEUTSCHLAND Mit den Ergebnissen der Third International Science and Mathematics Study (TIMSS) wurden 1995 Erkenntnisse zum Stand der Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Mathematik und den Naturwissenschaften vorgelegt. Getestet wurden Schülerinnen und Schüler am Ende von Jahrgang 7 und 8 sowie am Ende der Pflichtschulzeit mit Hilfe eines Tests, der die Schnittmenge der curricularen Inhalte der allgemeinbildenden Schule in den teilnehmenden Ländern abbildete. Der internationale Vergleich zeigte, dass die durchschnittlichen Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler am Ende von Jahrgang 8 und am Ende der Pflichtschulzeit in Mathematik und den Naturwissenschaften im Mittelfeld lagen (vgl. Baumert u.a. 1997). Zudem konnte eine vergleichsweise hohe Varianz in den Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler beobachtet werden. Dies lag unter anderem darin begründet, dass ungefähr ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler die Erwartungen an eine mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung deutlich verfehlte (Baumert u.a. 1997, S. 83). Vergleichende Analysen der Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler am Ende von Jahrgang 7 und 8 zeigten darüber hinaus, dass die Leistungen vom Ende der siebten Jahrgangsstufe zum Ende der achten Jahrgangsstufe nur in geringem Maße zunahmen (ebd.). Unter der Annahme, dass die Leistungsentwicklung in höheren Jahrgängen ähnlich gering ausfällt, ergab sich der Schluss, dass ein beträchtlicher Anteil von Schülerinnen und Schülern die allgemeinbildende Schule mit mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen deutlich unterhalb der Erwartungen verlässt. Untersucht wurde dies im Rahmen der TIMS Studie jedoch nicht. Allerdings wurden die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen von Schülerinnen und Schülern, die sich für eine Berufsausbildung entschieden haben, erhoben.
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B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Dabei zeigte sich, dass auch am Ende der Berufsausbildung noch immer ungefähr 20 Prozent aller Schülerinnen und Schüler nicht über das niedrigste Niveau mathematischer bzw. naturwissenschaftlicher Kompetenz hinauskommen und ungefähr 47 Prozent aller Schülerinnen und Schüler maximal das zweithöchste Niveau erreichen (Watermann/ Baumert 2000). Der mangelhafte Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler im Bereich mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen wurde also durch die Berufsausbildung nicht kompensiert. Auch differenziertere Analysen für einzelne Berufsgruppen boten keine Hinweise auf eine Entwicklung mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen in der Berufsausbildung. Zwar zeigten sich im Vergleich von Auszubildenden techniknaher und -ferner Berufe Unterschiede in den Leistungen am Ende der Berufsausbildung, diese waren jedoch in der Selektion im Berufseingang begründet: Schülerinnen und Schüler mit höheren Leistungen im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften wählten scheinbar bevorzugt mathematik- und techniknahe Berufe (Watermann/ Baumert 2000). Ein Vergleich der Leistungen im Bereich Mathematik mit denen im Bereich der Naturwissenschaften zeigte ebenfalls keine nennenswerten Unterschiede, obwohl z.B. zu erwarten wäre, dass Auszubildende in gewerblich-technischen Berufen eine höhere naturwissenschaftliche Kompetenz entwickeln, als Auszubildende kaufmännischer Berufe. Bei Kontrolle der Schulform war jedoch kein Effekt der Sachgebietsnähe auf die Naturwissenschaftsleistungen mehr zu konstatieren. Gegen eine nennenswerte Entwicklung mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen in der Berufsausbildung sprach darüber hinaus der fehlende Einfluss des Ausbildungsjahres auf die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen der Auszubildenden (vgl. Watermann/ Baumert 2000, S. 223). Die Ergebnisse der TIMS Studie wurden durch die PISA Studien weitgehend bestätigt. PISA hebt sich bewusst von einer (ausschließlich) curricularen Orientierung der Testinhalte ab und fokussiert auf die Idee einer mathematischen bzw. naturwissenschaftlichen Grundbildung. Damit ließe sich im Gegensatz zur TIMSS Erhebung annehmen, dass die Aufgaben nicht nur den Bildungskanon erfassen, der den Schulen in den partizipierenden Ländern gemein ist, sondern tatsächlich Kompetenzen, die für die Ausbildung relevant bzw. für den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zwingend nötig sind. In diesem Fall sollte PISA prognostisch valider als TIMSS sein. In PISA werden die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler wie in der TIMS Studie auf einer Skala verortet, die nachträglich in Bereiche, so genannte Kompetenzstufen, eingeteilt wurde (vgl. Prenzel u.a. 2001). Die niedrigste Stufe bezeichnet dabei ein eng begrenztes Wissen und die mangelnde Fähigkeit, dieses Wissen in unbekannten Kontexten anwenden zu können (Frey/ Heinze/ Mildner/ Hochweber/ Asseburg 2010).
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
Bildungsgang Hauptschule Integrierte Gesamtschule Realschule Gymnasium Gesamt
Naturwissenschaften StandardMittelwert abweichung 431 76
43
Mathematik StandardMittelwert abweichung 424 75
500
79
480
73
521 602 520
72 67 101
512 595 513
72 67 98
Tab. 1: Erreichte mittlere Leistungspunkte in den Naturwissenschaften und Mathematik in der PISA Studie 2009 nach Schulformen (Rönnebeck u.a. 2010; Frey u.a. 2010)
Es zeigt sich ferner, dass in der Hauptschule und der Realschule über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler höchstens die dritte Kompetenzstufe erreichen. Damit sind diese Schülerinnen und Schüler im Mittel nicht in der Lage, naturwissenschaftliche Erklärungen auf reale (neue) Situationen eigenständig anzuwenden bzw. effektiv mit expliziten Modellen komplexer konkreter Situationen zu arbeiten (Rönnebeck u.a. 2010; Frey u.a. 2010). Kritisch erscheint im Hinblick auf eine zukünftige Ausbildungschance vor allem, dass in der Hauptschule jede zehnte Schülerin bzw. jeder zehnte Schüler nicht über elementares naturwissenschaftliches Faktenwissen verfügt und sogar jeder fünfte Schüler bzw. jede fünfte Schülerin nicht in vertrauten Kontexten einfachste mathematische Verfahren anwenden können. Über welche mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen Auszubildende im Verlauf oder am Ende der Berufsausbildung verfügen, wurde in PISA nicht untersucht. Inwieweit die Befunde der internationalen Vergleichsstudien wirklich so dramatisch sind, wie häufig angenommen wird, ist bisher empirisch nicht belegt. So ist z.B. nicht befriedigend geklärt, ob Schülerinnen und Schüler der so genannten Risikogruppen tatsächlich inkommensurable Schwierigkeiten in der Berufsausbildung bekommen11. Es ist im Gegenteil möglich, dass die in TIMSS und PISA erfassten Kompetenzen für eine Berufsausbildung nicht oder nicht im angenommenen Umfang von Bedeutung sind. Ein starker Fokus auf die Fähigkeit, die in der Schule erworbenen Fähigkeiten in alltäglichen Kontexten einzusetzen, ist vermutlich nur bedingt prädiktiv für die Kompetenzentwicklung in der beruflichen Ausbildung, da die relevanten Kontexte Gesundheit, natürliche Ressourcen, Umwelt, Risiken sowie die Grenzen von Naturwissenschaften und Technik nur sehr eingeschränkt mit den späteren beruflichen Anforderungen übereinstimmen. Zudem repräsentiert die Art und Weise, wie die Kompetenzen von Schülerinnen 11
Die vorliegenden Befunde aus der beruflichen Bildung zeigen allerdings, dass zumindest die mathematischen Kompetenzen erhebliche prädiktive Kraft entfalten (s.u.) und Auszubildende häufig an berufsfachlichen Anforderungen scheitern, bei welchen berufsfachliche Probleme mathematisch zu modellieren sind (Petsch/Norwig/Nickolaus, 2011).
44
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
und Schülern durch Aufgaben erfasst werden, nur bedingt berufliche Anforderungssituationen. Dafür sprechen vor allem auch die Befunde, dass sich die erfassten Basiskompetenzen während der Berufsausbildung nur geringfügig weiter entwickeln. Damit ist unklar, ob die in den internationalen Vergleichsstudien eingesetzten Instrumente – und damit die ähnlich ausgerichteten Instrumente zur Erfassung des Entwicklungsstands von Schülerinnen und Schüler mit Bezug auf die Bildungsstandards in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern – überhaupt geeignet sind Prognosen über die Entwicklung beruflicher Kompetenzen zu formulieren. Dies stellt insbesondere auch die Kategorisierung von Schülerinnen und Schülern, die in den großen Leistungsvergleichsstudien im unteren Leistungsspektrum verortet werden, als so genannte „Risikogruppe“ in Frage. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden zunächst weitere Erkenntnisse zum Einfluss mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen auf die Entwicklung beruflicher Kompetenzen – vornehmlich aus der Berufsbildungsforschung – berichtet. Aus diesem Grund sollen im Folgenden zunächst theoretisch und – sofern möglich – empirisch fundierte Zusammenhänge zwischen mathematischen, naturwissenschaftlichen und berufsfachlichen Kompetenzen skizziert werden. 3. ZUSAMMENHÄNGE MATHEMATISCHER, NATURWISSENSCHAFTLICHER UND BERUFSFACHLICHER KOMPETENZEN Bezüglich der Zusammenhänge zwischen mathematischen, naturwissenschaftlichen und berufsfachlichen Kompetenzen lassen sich grob zwei Forschungsrichtungen unterscheiden: a) Studien im Kontext von Selektionsprozessen, in welchen meist die prädiktive Kraft von Schulnoten oder Auswahltests für den Ausbildungs- bzw. Studienerfolg im Mittelpunkt steht (z.B. Schuler 2010; Abele 2011; Abele 2013) Studien zur Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung, in welchen testbasiert Eingangskompetenzen (u.a. fachspezifisches Vorwissen) und berufsfachliche Kompetenzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden und in denen einerseits die Entwicklung von Basiskompetenzen und andererseits der Einfluss der Basiskompetenzen auf die Fachkompetenzentwicklung Gegenstand ist (z.B. Lehmann/ Seeber 2007; Nickolaus/ Gschwendtner/ Geißel 2008; Nickolaus u.a. 2010; Nickolaus u.a. 2011; Seeber/ Lehmann 2011 Darüber hinaus wurde und wird im Kontext der Intelligenzforschung der Frage nachgegangen, inwieweit fluide und insbesondere mathematische und grundlegende technische Facetten kristalliner Intelligenz zur Erklärung domänenspezifischen Wissens beitragen (Abele 2013, S. 66 ff; Ackerman 1996, 2003). In den Studien, die im Kontext von Selektionsprozessen entstanden, wird für die mathematischen Fähigkeiten nahezu durchgängig eine hohe Vorhersagekraft für den beruflichen Ausbildungserfolg berichtet, die lediglich von Gesamtnoten (z.B. Abi-
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
45
turdurchschnittsnoten) übertroffen wird (im Überblick Abele 2011; 2013; siehe auch Trapmann/ Hell/ Weigand/ Schuler 2007; Baron-Boldt/ Schuler/ Funke 1988; Hell/ Linsner/ Kurz 2008; Nickolaus/ Abele 2009). Generell ist allerdings davon auszugehen, dass die Effekte, die für kognitive Grundfähigkeiten ermittelt werden, von der Wahl des Kriteriums abhängig sind, in der Regel bei theoretischen Leistungen höher als bei praktischen ausfallen und zudem von der Komplexität der beruflichen Anforderungen abhängig sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass die prognostische Validität der Mathematik von Berufen/ Studienfächern abhängig ist und in technischen Domänen z.B. höher ausfällt als in Sprach- und Kulturwissenschaften (Trapmann/ Hell/ Weigand/ Schuler 2007) oder personenbezogenen Dienstleistungsberufen (Lehmann/ Seeber 2007). Die berufsspezifisch variierende Assoziation mathematischer und beruflicher Leistungsdaten korrespondiert vermutlich auch mit den berufsspezifisch ausgeprägten Relevanzen mathematischer Anforderungen in den Arbeitskontexten. Obgleich vorliegende Studien zu mathematischen Anforderungen in verschiedenen beruflichen Handlungsfeldern bisher wenig differenzierte Ergebnisse erbrachten, deutet sich zumindest eine hohe Varianz bezüglich der mathematischen Anforderungen sowohl zwischen Berufsgruppen, als auch innerhalb von Berufsgruppen an (z.B. Parmentier 2001). Dies führt einerseits zu berufsspezifischen Gewichtungen einzelner Fachnoten in Auswahlprozessen, die ihrerseits zu stark unterschiedlichen berufsspezifischen Kompetenzprofilen der Ausbildungs- bzw. Studienanfänger führen und andererseits in der Tätigkeitsausübung zu unterschiedlichen Entwicklungspotentialen. Generell ist davon auszugehen, dass sich Selektions- und Sozialisationsprozesse gegenseitig verstärken. D. h., Jugendliche mit eher schwachen Leistungen in Mathematik haben bessere Chancen, in Berufe mit unterdurchschnittlichen mathematischen Anforderungen einzumünden und finden in diesen Berufen vermutlich auch eher ungünstige Entwicklungsbedingungen für mathematische Fähigkeiten vor (Lehmann/ Seeber/ Hunger 2006). Vorliegende Studien zur Entwicklung mathematischer Fähigkeiten im Ausbildungsverlauf dokumentieren bereichsbzw. phasenspezifisch zum Teil eher Stagnationen, z.T. jedoch auch Progressionen. Für die Stagnation sprechen z.B. die Befunde der TIMS Studie (Watermann/ Baumert 2000), aber auch längsschnittlich angelegte Untersuchungen im ersten Ausbildungsjahr bei Elektronikern und Kfz-Mechatronikern (Nickolaus/ Gschwendtner/ Geißel 2008). Dafür, dass die Progression vom Berufsfeld abhängt, sprechen die Arbeiten von Lehmann, Seeber und Hunger (2006). Nickolaus u.a. (2012) konstatieren aber z.B. auch eine progressive Entwicklung mathematischer Fähigkeiten im späteren Verlauf der Ausbildung12 für Elektroniker und KfzMechatroniker, was bei den Kfz-Mechatronikern überraschend ist, da in diesem Beruf u.a. im Vergleich zu den Elektronikern eher geringe mathematische Anforderungen gestellt werden (Parmentier 2001). 12
Im ersten Ausbildungsjahr waren in beiden Berufen Stagnationen zu beobachten.
46
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Die in den Studien zur prognostischen Validität von Mathematiknoten dokumentierte prädiktive Kraft für fachliche Leistungen bestätigt sich auch in komplexer angelegten Erklärungsmodellen, in die neben allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten und mathematischen Leistungen auch weitere potentielle Prädiktoren einbezogen wurden, wie z.B. das Vorwissen, Lesekompetenz, berufliche Interessen, Motivationsausprägungen und motivationale Bedingungen sowie Qualitätsmerkmale der pädagogischen Handlungsprogramme (Abele u.a. 2012; Nickolaus u.a. 2010, 2011, 2012; Rosendahl/ Straka 2011) oder auch soziodemographische Merkmale (Lehmann/ Seeber 2007). Bemerkenswert sind dabei einerseits berufsbzw. domänenspezifische Erklärungsmuster und andererseits die für die meisten Berufe beobachtbare prädiktive Kraft mathematischer Kompetenzen für die erreichten fachlichen Kompetenzausprägungen. Eher vereinzelt (z.B. für die Berufe Friseur/Friseurin; Medizinische Fachangestellte) zeigten sich in den ULMEStudien keine signifikanten Zusammenhänge zwischen mathematischen Leistungen zu Beginn der Ausbildung und dem am Ende der Ausbildung erhobenen Fachwissen (Lehmann/ Seeber 2007). Naturwissenschaftliche Kompetenzen als potentielle Prädiktoren wurden in diesen Studien nicht systematisch erfasst, zum Teil allerdings mit berufsspezifischen Akzentuierungen in den Tests zur Erfassung des berufsspezifischen Vorwissens erhoben, dem in den Erklärungsmodellen in aller Regel die größte prädiktive Kraft für die fachliche Kompetenzentwicklung zukommt (z.B. Nickolaus u.a. 2010, 2011). Bemerkenswert scheint, dass die mathematischen Fähigkeiten partiell auch für die fachspezifische Problemlösefähigkeit, die über die Fehleranalysefähigkeit erhoben wurde, mit relativ großem Gewicht (Pfadkoeffizient 0.3) als erklärungsrelevant ausgewiesen werden (vgl. Nickolaus u.a. 2012), obgleich mathematische Anforderungen bei diesen Fehleranalysen wenn überhaupt, dann nur eine randständige Rolle spielen (z.B. bei der Messung elektrotechnischer Größen). Dies lässt die Frage virulent werden, ob tatsächlich die mathematischen Fähigkeiten oder in solchen Leistungsdaten darüber hinaus enthaltene Personenmerkmale erklärungsrelevant sind. Generell sollte ein Test lediglich jenes Konstrukt messen, für das er konzipiert wurde (Hartig 2008, S. 71). Dies scheint angesichts der hohen prädiktiven Kraft der mathematischen Leistungsdaten für fachspezifische Leistungen, in welchen mathematische Anforderungen bestenfalls eine randständige Rolle spielen, allerdings zweifelhaft. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche weiteren in den Leistungsdaten der Mathematik inkludierten Fähigkeiten bzw. Personenmerkmale für die Erklärung fachlicher Kompetenz bedeutsam werden. Zudem scheint von Interesse, ob dieses Phänomen in anderen Kontexten repliziert werden kann, was gegebenenfalls als Hinweis auf partielle Überschätzungen mathematischer Fähigkeiten für die fachliche Leistungserbringung gedeutet werden könnte.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
47
4. MATHEMATISCHE UND NATURWISSENSCHAFTLICHE KOMPETENZEN ALS PRÄDIKTOREN BERUFSFACHLICHER KOMPETENZENTWICKLUNG Um die aufgeworfenen Fragen einer Klärung näher zu bringen, werden im Folgenden Sekundäranalysen von in verschiedenen Projekten generierten Datensätzen vorgenommen, deren Zuschnitt einschlägige Analysen ermöglicht. Dabei wird zunächst ausführlich auf die Rolle mathematischer Kompetenzen innerhalb berufsfachlicher Anforderungen eingegangen. Im Anschluss wird deren Bedeutung als Prädiktoren der Fachkompetenzentwicklung untersucht (Kap. 4.1). Theoretisch ist hier insbesondere zu erwarten, dass bei bivariaten Korrelationen zwischen mathematischen und berufsfachlichen Leistungen die fluide Intelligenz bis zu einem gewissen Grad für die gemeinsame Varianz bei der Leistungsmessung verantwortlich ist. Denkbar wäre auch, dass die Verfügbarkeit allgemeiner Problemlöseheuristiken sensu Greif und Funke (2010), sowohl bei mathematischen als auch berufsspezifischen Problemstellungen relevant wird. Im Anschluss an die Klärung dieser Fragen werden (die wenigen) empirischen Befunde zur Relevanz naturwissenschaftlicher Kompetenzen für die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen zusammengefasst (Kap. 4.2). 4.1. Mathematische Kompetenzen und die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen 4.1.1 Die Relevanz mathematischer Kompetenzen in gewerblich-technischen Ausbildungsberufen Die folgenden Analysen erfolgen in drei Schritten. Der erste Analyseschritt dient der Klärung, inwieweit und welche mathematischen Anforderungen in ausgewählten technischen Domänen im beruflichen Kontext relevant werden. Dazu werden (1) in Kürze Ergebnisse einer Studie referiert, in der u.a. die Frage bearbeitet wurde, welche Rolle mathematische Anforderungen im beruflichen Alltag spielen, (2) differenziertere inhaltliche Analysen zu den konkreten mathematischen Anforderungen, die sich bei der Bewältigung berufsfachlicher (Lernfeld)Aufgaben stellen, (exemplarisch) vorgestellt und (3) qualitative Analyseergebnisse der Fachwissenstests zu den darin inkorporierten mathematischen Anforderungen expliziert. Mathematische Anforderungen in beruflichen Handlungskontexten Obgleich domänenübergreifend unterstellt wird, dass mathematische Fähigkeiten in vielfältiger Weise die berufliche Leistungsfähigkeit beeinflussen, liegen nur wenige Studien vor, die diese Annahme auf der Basis von Tätigkeitsanalysen erhärten. Verfügbar sind allerdings Einschätzungen der Beschäftigten selbst, inwieweit in ihren beruflichen Handlungskontexten mathematische Anforderungen re-
48
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
levant werden. Erhoben wurden in einer Studie von Parmentier (2001) nicht nur Relevanzzuschreibungen für mathematische Anforderungen, sondern ebenso zu anderen Anforderungssegmenten, so dass relationale Aussagen möglich werden13. Einen Überblick zu den Relevanzzuschreibungen in einem relativ breiten Spektrum gewerblich-technischer Berufe gibt Tabelle 2. Deutlich werden hier zunächst substanzielle Unterschiede innerhalb der Berufsfelder. Auffällig sind z.B. die deutlich unterdurchschnittlichen mathematischen Anforderungen bei Kfz-Mechatronikern im Berufsfeld Metall. Im Berufsfeld Bau zeichnen sich die Bauzeichner(innen) durch besonders ausgeprägte und die Maurer durch relativ niedrige mathematische Anforderungen aus. Im Berufsfeld Elektrotechnik sind die Unterschiede geringer, aber immer noch deutlich. Die Unterschiede zwischen den Berufsfeldern sind weniger stark ausgeprägt, lassen allerdings erkennen, dass in den Bauberufen, in welche häufig eher Jugendliche einmünden, die ausgeprägte mathematische Schwächen aufweisen, die mathematischen Anforderungen eher überdurchschnittlich sind. Bezogen auf die in die weiteren Analysen einbezogenen Berufe des Elektroinstallateurs (Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik), des Kfz-Mechatronikers und der Bauberufe Maurer/Fliesenleger/Stuckateure ergibt sich eine Rangreihe der mathematischen Anforderungen, an deren Spitze der Beruf des Elektroinstallateurs und an dessen Ende der Beruf des Kfz-Mechatronikers steht. Dies sollte sich auch in den Testanforderungen widerspiegeln.
13
Die Untersuchung von Parmentier (2001) beansprucht selbst keine Repräsentativität, gibt jedoch erste Anhaltspunkte zu den zugeschriebenen Relevanzen mathematischer Anforderungen in berufsfachlichen Handlungsfeldern, die zu den im Folgenden präsentierten eigenen Analyseergebnissen konsistent scheinen.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen Berufsfeld / Beruf
49
Rechnen,
Deutsch, Recht-
Anwendung von
Mathema-
schreibung,
Computer / PC-
tik, Statistik
schriftl. Ausdruck
Standardprogr.
Metalltechnik
29,9
8,6
11,9
221 221226 261 262, 263 27 284, 285 291
Dreher(in) Fräser(in) u.a. spanende Berufe
32,0 34,4
4,0
22,9 21,7
Feinblechner(in) Rohrinstallateur(in)
31,6 32,3
11,8 10,8
13,2 6,9
Schlosser(in) (Fein)mechaniker(in)
30,9 38,0
7,3 7,6
8,0 23,9
Werkzeugmechaniker(in) Kraftfahrzeug-, Automobilme2810 chaniker(in) 2820 Landmaschinenmechaniker 3031 Zahntechniker(in) 3041 Augenoptiker(in) Elektrotechnik 311 Elektroinstallateur(in) Fernmeldemonteure, Handwer312 ker(in) 314 Elektrogerätebauer(in) 315 Funk-, Tongerätemechaniker(in) Bau-, Holztechnik 6350 Technische(r) Zeichner(in) 6352 Bauzeichner(in) 441 Maurer(in) 442 Betonbauer 451 Zimmer(er/in) 452 Dachdecker 483 Fliesenleger 501 Tischler(in)
42,4
5,4
23,9
20,3
11,8
15,2
31,3 12,7 50,0 36,8 35,5
9,5 17,6 9,4 8,9
11,1 29,4 24,8 18,0
42,5
22,5
32,5
42,4 29,0
6,1 9,7
51,5 29,0
40,7 61,1 72,5 34,4 36,5 47,4 36,5 42,2 46,9
10,5 20,4 22,5 8,8 5,6 7,7 8,3 12,5 10,6
10,4 68,5 77,85 2,4 5,2 4,7 7,5
Tab. 2: Kenntnisse, die aus der Sicht betrieblich ausgebildeter Fachkräfte bei der Arbeit besonders benötigt werden (in %; Mehrfachangaben)14 (Parmentier 2001, S. 53)
14
Die von Parmentier vorgenommene Zuordnung des Technischen Zeichners wurde hier beibehalten. Formal wäre eine Zuordnung in den Bereich der Metalltechnik angemessen.
50
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Mathematische Anforderungen in beruflichen Handlungskontexten Zur inhaltlichen Analyse der mathematischen Anforderungen wurde auf das Kompetenzmodell der KMK (2004) zurückgegriffen, in dem die inhaltlichen Anforderungen in sogenannten Leitideen klassifiziert werden. Ausdifferenziert werden dort fünf Leitideen (Zahl, Messen, Raum und Form, funktionaler Zusammenhang, Daten und Zufall) wovon in letzterer (Daten und Zufall) nach den curricularen Analysen in gewerblich-technischen Berufen die Anforderungen auf den Umgang mit Daten beschränkt bleiben und Zufallserscheinungen kaum eine Rolle spielen. Abbildung 1 illustriert am Beispiel der bautechnischen und der Ausbildung von Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik beispielhaft die in diesen Feldern relevanten Anforderungen. Leitidee L1
Konkrete Aspekte der Leitidee (Inhaltsbereiche)
Ausgewählte Bereiche (Bau/ET)
Rechnen mit Zahlen, die im täglichen Leben vorkommen Dem Sachverhalt entsprechend sinnvolles Runden von Zahlen Nutzen von Rechengesetzen
(Zahl)
Sachgerechte Verwendung von Prozent- und Zinsrechnung
L2
Prüfen und Interpretieren von Ergebnissen in Sachsituationen Nutzen des Grundprinzips des Messens (insbesondere Längen-, Flächen- und Volumenmessung)
Alle Berechnungen Alle Berechnungen B: Erstellen von Stahllisten ET: Berechnung des Materialbedarfs B: Berechnung der Mörtelausbeute ET: Berechnung des Wirkungsgrades Eingekleidete Aufgaben B: Einrichten einer Baustelle ET: geometirische+ elektrotechnische Größen B: Berechnen des Materialbedarfs für den Außenputz eines Hauses; ET: Einheiten umrechnen B: Berechnung einer Giebelfläche, ET: Antriebstechnik B: Berechnung des Volumens einer Baugrube B: Einrichten einer Baustelle ET: Erfassung elektrotechnischer Größen und Weiterverarbeitung
(Messen)
Situationsgerechtes Auswählen und ggf. Umwandeln der Einheiten von Größen Ermitteln von Flächeninhalt und Umfang Ermitteln von Volumen und Oberflächeninhalt
L3
(Raum und Form) L4
(Funkt. Zusamsammenh.)
Gezieltes Vornehmen von Messungen oder Entnehmen von Maßgaben aus Quellenmaterial; Durchführen von Berechnungen auf der Basis der durchgeführten Messungen und Bewerten der Ergebnisse Gedankliches Operieren mit Strecken, Flächen und Körpern Anfertigen von Netzen, Schrägbildern und Modellen ausgewählter Körpern aus ihren entsprechenden Darstellungen Zeichnen und Konstruieren geometrischer Figuren Anwendung von Sätzen der ebenen Geometrie bei Konstruktionen und Berechnungen, insbesondere des Satzes Pythagoras Beschreiben und Interpretieren funktionaler Zusammenhänge und ihrer Darstellung in Alltagssituationen Verwendung unterschiedlicher Darstellungsformen für funktionale Zusammenhänge Unterscheiden proportionaler und antiproportionaler Zuordnungen in Sachzusammenhängen einschließlich deren Berechnung Situationsgerechtes Nutzen von Maßstäben beim Lesen und Anfertigen von Zeichnungen Lösen einfacher linearer Gleichungen
Grundlage für technische Zeichnungen B: Anfertigen von Schrägbildern (Isometrie, Dimetrie) B: Anfertigen von Schrägbildern (Isometrie, Dimetrie) B: Berechnung von Schnittlängen bei Stahleinlagen ET: Sinus/Cosinus (Wechselspannung) B: Berechnung der Ausdehnung von Stahlbetonteilen ET: Zusammenhänge zwischen elektr. Größen Verwendung von Tortendiagrammen zur Darstellung von Mischungsverhältnissen Berechnung von Arbeitszeiten B: Anfertigen von Bauzeichnungen ET: Lesen von Zeichnungen Umformen von Formeln
Abb. 1: Übersicht über beispielhafte Anwendungssituationen mathematischen Wissens bzw. mathematischer Inhalte (Leitideen) im Bereich Bautechnik und Elektrotechnik (vgl. auch Averweg 2007, S. 10f.); ohne Leitidee 5 (Daten und Zufall)
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
51
Darüber hinaus lassen sich für beide Berufe bezogen auf diese Leitideen vielfältige weitere Beispiele anführen. Deutlich werden bereits bei diesen wenigen Beispielen einerseits Gemeinsamkeiten aber auch berufsspezifische Akzentuierungen, die sich aus den spezifischen fachlichen Anforderungen ergeben. Stärkeres Gewicht erhalten bei den Elektronikern z.B. funktionale Zusammenhänge, die Anforderungen im Bereich Raum und Form erhalten durch die Winkelfunktionen in Wechsel- und Drehstromsystemen15 ihren berufsspezifischen Akzent. Im KfzBereich gilt ebenso, dass die Leitideen Zahl, Messen, Raum und Form und funktionaler Zusammenhang als inhaltliche Anforderungen belegbar sind. Zu prüfen wäre, inwieweit sich diese mathematischen Anforderungen in den Lern- und Arbeitskontexten unterscheiden. Zu erwarten sind Unterschiede zwischen diesen Anforderungskontexten insoweit, als beim Aufbau des Wissens über technologische Zusammenhänge mathematische Darstellungsformen von hohem Wert sind, in der Anwendungssituation am Arbeitsplatz aber z.T. vermutlich nur noch rudimentär genutzt werden. Mathematische Anforderungen in berufsfachlichen Kompetenztests In den berufsfachlichen Kompetenztests spiegeln sich die oben angedeuteten Akzentsetzungen mehr oder weniger wieder. Bestätigt wird der relativ geringe Stellenwert, den mathematische Anforderungen bei Kfz-Mechatronikern nach Aussage der Betroffenen selbst spielen, in den Anteilen an Testaufgaben mit mathematischen Anforderungen (Abb. 2).
15
U.a. Kompensation, Zeigerbilder wie Leistungsdreiecke zur Darstellung von Wirk-, Blindund Scheinleistung.
52
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Abb. 2: Anteil von Aufgaben mit und ohne mathematische Anforderungen in den Kompetenztests ausgewählter Berufe (AT= Abschlusstest; ZT= Zwischentest)
Einbezogen sind hier ergänzend auch andere Berufe, um das Spektrum etwas weiter aufzuspannen und die Einordnung der drei im Mittelpunkt der weiteren Analyse stehenden Berufe zu erleichtern. Deutlich wird der große Stellenwert mathematischer Anforderungen in den Tests für die Bauberufe und Elektroniker und die dagegen deutlich abfallenden Anforderungen bei den Kfz-Mechatronikern, was vor dem Hintergrund der obigen Ergebnisse zu den Anforderungen im beruflichen Handlungssegment auch als Hinweis auf die Validität der Testzuschnitte gedeutet werden kann. Zum Stellenwert der Inhaltsbereiche zeigen die Analysen der Tests berufsübergreifend die Dominanz der Leitidee Zahl. Eine Ausnahme bildet hier lediglich der Test zur Bautechnik, in dem die Leitidee Messen einen gleich hohen Level erreicht. Funktionale Zusammenhänge und Messen haben im Mittel ähnliches Gewicht (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Leitideen (KMK Mathematik-Standards für den mittleren Schulabschluss) (AT= Abschlusstest; ZT= Zwischentest)
Von den in den KMK-Standards ausgewiesenen mathematischen Kompetenzen (K1: mathematisch argumentieren, K2: Probleme mathematisch lösen, K3: mathematisch modellieren, K4: mathematische Darstellungen verwenden, K5: mit Mathematik symbolisch/formal/technisch umgehen, K6: mathematisch kommunizieren) scheinen insbesondere K2 bis K5 relevant. Beispielhaft wiedergegeben sind die Testanforderungen für K3 (mathematisch Modellieren) in Abb. 4.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
53
Abb. 4: Erforderliche Modellierungsleistung (AT= Abschlusstest; ZT= Zwischentest)
Eigenständige Modellierungen werden danach in den Tests kaum abgefordert, in der Regel liegen die Modellierungen bereits vor und müssen situationsadäquat herangezogen werden. Beim größten Teil der fachspezifischen Aufgaben sind zudem eher reproduktive Leistungen zu erbringen. Bei den Bautechnikern und Elektronikern müssen jedoch häufig auch Zusammenhänge hergestellt werden. Mathematische Verallgemeinerungen spielen in den Aufgaben keine Rolle, Reflexionen sind vor allem im Hinblick auf die Plausibilität von Ergebnissen gefragt. Insgesamt zeigen diese qualitativen Analysen über die verschiedene Relevanzbereiche hinweg den relativ hohen Stellenwert mathematischer Anforderungen in den einbezogenen Bau- und Elektroberufen und deren deutlich geringeres Gewicht bei den Kfz-Mechatronikern. Die Anforderungsbereiche liegen inhaltlich weitgehend im Bereich der Leitideen 1-4, die Anforderungsniveaus sind eher niedrig, eigenständige mathematische Modellierungen werden zwar in einem Teil der Berufe eingefordert, nicht jedoch bei den Kfz-Mechatronikern. Insgesamt dominieren in den fachlichen Anwendungskontexten mathematischer Fähigkeiten Reproduktionsleistungen und die Herstellung von Zusammenhängen. 4.1.2 Mathematische Fähigkeiten als Prädiktor beruflichen Wissens Offen blieb bislang die Relevanz mathematischer Fähigkeiten als Bestimmungsgrößen berufsfachlicher Kompetenzen. Dieser Frage soll im Weiteren auf der Basis von Zusammenhangsanalysen zunächst zwischen berufsfachlichem Wissen und mathematischen Fähigkeiten nachgegangen werden, wobei parallel geprüft wird, inwieweit die fluide Intelligenz als übergeordneter Faktor die gemeinsame Varianz beider Leistungsmerkmale erklärt. Durchgeführt werden die Analysen am Beispiel von drei gewerblich-technischen Domänen, in welchen nach den vorliegenden Studien in unterschiedlichem Grade mathematische Anforderungen relevant werden. Im dritten Schritt wenden wir uns schließlich der oben bereits ange-
54
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
deuteten Frage zu, wie sich die hohe prädiktive Kraft mathematischer Kompetenzen für die berufsfachliche Problemlösefähigkeit erklären lässt, obgleich in diesen problemhaltigen Anforderungssituationen mathematische Anforderungen (z.T.) weitgehend irrelevant sind. Die prädiktive Kraft mathematischer Fähigkeiten für die Bewältigung berufsfachlicher Anforderungen Die prädiktive Kraft mathematischer Leistungsdaten ist sowohl für Studien zu Zusammenhängen zwischen Mathematiknoten und dem Ausbildungs- bzw. Studienerfolg, meist operationalisiert über Noten, z.T. auch durch betriebliche Beurteilungen (z.B. Abele 2011; Schmidt-Atzert/ Deter 1993; Schuler u.a. 1984), als auch für Zusammenhänge zwischen testbasiert erhobenen mathematischen und fachlichen Kompetenzen (z.B. Lehmann/ Seeber 2007; Nickolaus u.a. 2010, 2011; Seeber/ Lehmann 2011) gut belegt. Bei Einbezug weiterer potentieller Prädiktoren zeigen sich berufsübergreifend ähnliche, z.T. jedoch auch berufsspezifische Erklärungsmuster, was möglicherweise auch auf die oben dokumentierten Varianzen der berufsspezifischen Anforderungen zurückzuführen ist. So gehen z.B. bei den Elektronikern die mathematischen Fähigkeiten direkt in die Erklärung des Fachwissens am Ende des ersten Ausbildungsjahres ein (Nickolaus/ Gschwendtner/ Geißel 2008), während bei den Kfz-Mechatronikern lediglich moderiert über das fachspezifische Vorwissen mathematischen Kompetenzen Erklärungskraft für das Fachwissen am Ende des ersten Ausbildungsjahres zukommt (ebd.). Diese Grundstruktur bestätigt sich auch am Ende der Ausbildung und könnte im Anschluss an die oben referierten Ergebnisse der qualitativen Analysen auch so gedeutet werden, dass letztlich die unterschiedliche Relevanz mathematischer Anforderungen im beruflichen Handlungsfeld und den Tests für diese differente Struktur verantwortlich sind. Diesem Gedanken weiter nachgehend werden im Folgenden für die Berufe des Elektronikers für Energie- und Gebäudetechnik und die Grundstufe Bau die Hypothesen geprüft, dass (H1) die mathematischen Fähigkeiten eine deutlich höhere gemeinsame Varianz mit jenen fachlichen Anforderungen aufweisen, in welchen selbst mathematische Anforderungen bewältigt werden müssen und (H2) bei Kontrolle des IQ die mathematischen Fähigkeiten für die Erbringung von fachlichen Aufgaben, die keine mathematischen Anforderungen enthalten, keine prädiktive Kraft entfalten. Zur Prüfung der Hypothesen stellen wir zunächst berufsspezifisch bivariate Korrelationen vor und führen im Anschluss Regressionsanalysen mit dem fachspezifischen Wissen (ohne/mit) mathematischen Anforderungen durch.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
AT: Gesamtes Wissen (wle-Schätzer) AT: Aufgaben mit mathematischen Anforderungen AT: Aufgaben ohne mathematische Anforderungen Mathematik (Summenscore)
Lesen (Summenscore)
Korrelation nach Pearson
AT: Gesamtes Wissen (wleSchätzer)
AT: Aufgaben mit mathematischen Anforderungen
AT: Aufgaben ohne mathematische Anforderungen
Mathematik (Summenscore)
Lesen (Summenscore)
1
,861**
,760**
,562**
,287**
,000
,000
,000
,000
150
150
150
139
141
,861**
1
,534**
,502**
,225**
,000
,000
,004
Signifikanz (1-seitig) N Korrelation nach Pearson Signifikanz (1-seitig)
,000
N
150
150
150
139
141
1
,507**
,363**
,000
,000
Korrelation nach Pearson
,760**
,534**
Signifikanz (1-seitig)
,000
,000
N
150
150
150
139
141
,562**
,502**
,507**
1
,349**
Signifikanz (1-seitig)
,000
,000
,000
N
139
139
139
183
179
,287**
,225**
,363**
,349**
1
Signifikanz (1-seitig)
,000
,004
,000
,000
N
141
141
141
179
Korrelation nach Pearson
Korrelation nach Pearson
55
,000
187
**. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (1-seitig) signifikant.
Tab. 3: Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik, Ende 1. Ausbildungsjahr (Messzeitpunkt AT), bivariate Korrelationen
Tabelle 3 zeigt zunächst die bivariaten Korrelationen zwischen den verschiedenen Leistungsdaten für die Elektroniker am Ende des ersten Ausbildungsjahres. Bemerkenswert sind dabei insbesondere die Daten zu den Korrelationen zwischen den mathematischen und fachlichen Leistungsmaßen. Mit nahezu identischen Korrelationen zwischen den mathematischen Leistungen und den fachlichen Leistungen mit und ohne mathematische Anforderungen deutet sich bereits an, dass die prädiktive Kraft der mathematischen Leistungen auch in mathematikfreien Leistungsbereichen beobachtet werden kann und auf dieser Basis H1 zurückgewiesen werden muss (vgl. die Hervorhebungen der Tab. 3). Zieht man zusätzlich die Daten am Ende der Ausbildung heran, was angesichts der deutlich geringeren Aufgabenanteile mit mathematischen Anforderungen allerdings mit Reliabilitätsproblemen für den Testteil mit mathematischen Anforderungen einhergeht, ergibt sich eine deutlich höhere Korrelation der mathematischen Leistungsdaten mit dem Fachwissen ohne mathematische Anforderungen (0.47**) als mit dem Fachwissen mit mathematischen Anforderungen (0.29**). D.h. auch diese Daten sprechen für eine Zurückweisung von H1 (nicht in Tab. 3 dargestellt).
56
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Regressionsanalysen mit den Basiskompetenzen und dem IQ als unabhängige Variablen (nicht jedoch mit dem ansonsten dominanten fachspezifischen Vorwissen) und dem Fachwissen als abhängige Variable (gesamt, mit und ohne mathematische Anforderungen) führen zu nahezu identischen Erklärungsbeiträgen der mathematischen Leistungsdaten für das Fachwissen mit und ohne mathematische Anforderungen. Der IQ erbringt keinen zusätzlichen Erklärungsbeitrag. Wird der IQ als erster Erklärungsfaktor gesetzt, so trägt der IQ mit 5.5% zur Varianzaufklärung der fachlichen Leistungen ohne mathematische Anforderungen bei, die mathematischen Leistungen erbringen zusätzlich ca. 20% Varianzaufklärung. Zieht man als Kriteriumsvariable das Fachwissen mit mathematischen Anforderungen heran, sinkt die Varianzaufklärung insgesamt ab (8.1%), wovon bei Setzen des IQ als erstem Prädiktor ca. 3% und den mathematischen Leistungsdaten ca. 5% erklärt werden. Damit ist auch H2 zu verwerfen. Wenn sich dieser Befund replizieren ließe, spräche dies dafür, dass in den mathematischen Leistungsdaten neben den mathematischen Fähigkeiten weitere Fähigkeitsfacetten oder auch weichere Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. Anstrengungsbereitschaft enthalten sind. Eine Replikation mit den fachlichen Leistungsdaten der Kfz-Mechatroniker scheint nur bedingt zielführend, da aufgrund der geringen Anzahl an Aufgaben mit mathematischen Anforderungen eine Testsplittung aus Reliabilitätsgründen nicht angezeigt scheint. Die Replikation erfolgt vor diesem Hintergrund im Baubereich. Auch hier bestätigen sich die für die Elektroniker identifizierten Zusammenhangsstrukturen (Tabelle 4), wobei die Korrelation der mathematischen Leistungsdaten mit berufsfachlichen Leistungen, in die mathematische Anforderungen inkludiert sind, höher ausfällt als bei fachlichen Anforderungen ohne mathematische Anforderungen. Zu berücksichtigen bleibt, dass die fachlichen Aufgaben mit mathematischen Anforderungen in diesem Falle zugleich auch komplexer sind.
IQ Mathematik
Korrelation nach Pearson
Mathematik (Summenscore)
1
,453**
,317**
,000
,000
,000
1
,426**
,512**
Signifikanz (2-seitig) Korrelation nach Pearson Signifikanz (2-seitig)
Aufgaben ohne mathematische Anforderungen
Korrelation nach Pearson
Komplexere Aufgaben mit mathematischen Anforderungen (Problemlösen)
Korrelation nach Pearson
Signifikanz (2-seitig)
Signifikanz (2-seitig)
Komplexere Aufgaben ohne Aufgaben mit mathematische mathematischen Anforderungen Anforderungen (Problemlösen)
IQ
,453** ,000
,471**
,000
,000
1
,513**
,317**
,426**
,000
,000
,471**
,512**
,513**
,000
,000
,000
,000
**. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. Korrelation Listenweise N = 140
Reliabilität: Problemlösen: Cronbachs α: 0,78; Fachwissen: Cronbachs α: 0,70 Tab. 4: Bautechniker, Grundausbildung, bivariate Korrelationen am Ende des 1. Aj.
1
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
57
Ergänzend gerechnete Regressionsanalysen zeigen auch, dass die mathematischen Leistungsdaten ca. 17% der Varianz des Fachwissens ohne inkludierte mathematische Anforderungen erklären, wovon ca. 9% auf den IQ zurückgeführt werden können. Die prädiktive Kraft mathematischer Fähigkeiten für die fachspezifische Problemlösefähigkeit (Grundausbildung Bau) In den komplexeren Anforderungskontexten der fachspezifischen Problemlöseleistungen16, zu deren Bewältigung generell sowohl rein fachliche, mathematische und Kompetenzen im Bereich des Fachzeichnens aktualisiert werden müssen, steigt die Erklärungskraft der mathematischen Leistungsdaten erwartungskonform nochmals deutlich an, wobei auch der IQ theoriekonform eine höhere prädiktive Kraft erreicht (vgl. Tabelle 5). Bemerkenswert ist auch in diesem Beruf der relativ hohe Varianzanteil des Fachwissens ohne mathematische Anforderungsgehalte, der durch die Mathematikleistungen auch dann noch erklärt wird, wenn der IQ kontrolliert wird. Da dieses Erklärungsmoment auch bei Kontrolle des IQ in beiden Berufen erhalten bleibt, stellt sich die Frage, welche anderen Personenmerkmale für diese in den Mathematikleistungen enthaltene Prädiktionskraft verantwortlich sein könnten. Denkbar wäre beispielsweise die Verfügbarkeit allgemeiner Problemlöseheuristiken, die wir bei den Elektronikern und den KfzMechatronikern in einer speziellen Querschnittstudie gemeinsam mit dem IQ, dem Fachwissen und der fachspezifischen Problemlösefähigkeit erhoben haben. Abhängige Variable: Fachwissen ohne mathe. Anforderungen Korrigiertes R² Modell 1: Modell 2, IQ gesetzt:
Einflussvariablen 0,176
Mathematik
0,094
IQ
0,189
1.IQ, 2.Mathematik
Abhängige Variable: Problemlösen, alle Aufgaben mit mathe. Anforderungen Korrigiertes R²
Einflussvariablen
Modell 1:
0,291 0,348
Mathematik 1.Mathematik, 2.IQ
Modell 2, IQ gesetzt:
0,197
IQ
0,348
1.IQ, 2.Mathematik
Tab. 5: Bautechniker, Regression (schrittweise) am Ausbildungsende (ohne Vorwissen)
16
Operationalisiert wurde die berufsfachliche Problemlösefähigkeit im Baubereich über komplexe Aufgaben im Paper-Pencil-Format, welchen mathematische Teilleistungen inkludierende typische Handlungsanforderungen zugrunde lagen.
58
B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Wie eingangs dargelegt, kommt bei den Elektronikern den mathematischen Leistungsdaten für die berufsfachliche Problemlösefähigkeit auch dann erhebliche Erklärungskraft zu, wenn in diese keine bzw. nur marginale mathematische Anforderungen inkludiert sind (Fehleranalysen). Die oben bereits im Kontext des Fachwissens eingebrachte Vermutung, dafür könnte neben dem IQ auch die Verfügbarkeit allgemeiner Problemlöseheuristiken verantwortlich sein, scheint im Falle der Problemlösefähigkeit besonders plausibel. In einer ergänzenden Querschnittstudie bei Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik und KfzMechatronikern (ausführlicher Abele u.a. 2012; Nickolaus u.a. 2012) wurden, wie oben bereits erwähnt, neben dem Fachwissen, der fachspezifischen Problemlösefähigkeit und dem IQ auch allgemeine Problemlöseheuristiken, genauer die „Dynamische Problemlösefähigkeit“ sensu Greif und Funke (2010), erfasst. Prüft man, inwieweit in diesem Fall der IQ oder auch allgemeine Problemlöseheuristiken geeignet sind, die fachspezifischen Problemlöseleistungen zu erklären, können im Falle der Elektroniker durch die fluide Intelligenz und die „Dynamische Problemlösefähigkeit“ 35% der Varianz aufgeklärt werden. Im Falle der KfzMechatroniker sinkt die Erklärungskraft vermutlich auch bedingt durch Reliabilitätsprobleme deutlich ab (R2=0.04) und ist allein dem IQ zuzuschreiben (Abele u.a. 2012). D.h., die Dynamische Problemlösefähigkeit wird in diesem Fall anders als bei den Elektronikern nicht erklärungsrelevant. Bei Einbezug des Fachwissens als potentiellem Prädiktor, der seinerseits vom mathematischen Leistungsvermögen beeinflusst ist (Nickolaus u.a. 2012), kommt der fluiden Intelligenz und den allgemeinen Problemlöseheuristiken in beiden Berufen nur noch indirekt Erklärungskraft zu, zugleich steigt der Anteil an aufgeklärter Varianz deutlich an (Elektroniker: R2=0.44; Kfz-Mechatroniker: R2=0.22). Zentral für die hier verfolgte Fragestellung scheint, dass bei Einbezug des Fachwissens als potentiellem Prädiktor der fachspezifischen Problemlösefähigkeit, die Dynamische Problemlösefähigkeit nur noch indirekt in das Erklärungsmodell eingeht und das auch nur bei den Elektronikern. Bei den Kfz-Mechatronikern trägt die Dynamische Problemlösefähigkeit, wie oben bereits erwähnt, erwartungswidrig nicht zur Erklärung der fachspezifischen Problemlösefähigkeit bei. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die prädiktive Kraft mathematischer Leistungsdaten für berufsfachliche Leistungen zu erheblichen Anteilen nicht primär bzw. nicht nur auf mathematische Kompetenzen, sondern ebenso auf darin inkorporierte allgemeine kognitive Fähigkeiten sowie weitere Personenmerkmale zurückzuführen ist, die offensichtlich durch mathematische Leistungstests mit erfasst werden. Zu denken ist dabei über den IQ hinaus insbesondere an (1) die Anstrengungsbereitschaft, (2) die in beiden Leistungssegmenten (Mathematik, berufsfachliche Anforderungen) vermutlich relevante Bereitschaft, sich auf Abstraktes einzulassen bzw. sich mit kognitiv anspruchsvollen Gegenständen auseinander zu setzen (Abele 2013), (3) bereichsspezifische, sich in diesen Anforderungsbereichen möglicherweise auch überlappende Selbstkonzepte, (4) die sowohl in mathematischen als auch berufsfachlichen Anforderungskontexten notwendige/hilfreiche Darstellungsklarheit bzw. Präzision oder (5) auch eine zusätzliche kognitive Dimension. Die diskrepanten Befunde zur Erklärungskraft allgemeiner
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in gewerblich-technischen Berufen
59
bzw. dynamischer Problemlösefähigkeit in den beiden Domänen begründen Zweifel, ob es sich bei dieser zusätzlichen kognitiven Dimension um so etwas wie allgemeine Problemlösekompetenz handelt. Für einen genaueren Aufschluss wäre ein längsschnittliches Untersuchungsdesign erforderlich, in dem neben den Basiskompetenzen, dem IQ, fachlichen Leistungsdispositionen und der dynamischen Problemlösefähigkeit auch die oben als „verdächtig“ ausgewiesenen „weichen“ Erklärungsfaktoren einzubeziehen wären. Deutlich wurde im Kontext dieser Analysen auch, dass fachliche Leistungsdaten in aller Regel „mehrdimensional“ sein dürften, selbst wenn Dimensionalitätsprüfungen für die Eindimensionalität sprechen. Im Sinne der Investmenttheorie sind sie letztlich als Produkt investierter kognitiver Ressourcen, Interessen etc. zu begreifen. 4.2. Naturwissenschaftliche Kompetenzen und die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen Während die Rolle mathematischer Kompetenzen für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung gut belegt ist, liegen für naturwissenschaftliche Kompetenzen bisher kaum Untersuchungen vor. Bezieht man solche Untersuchungen mit ein, in welchen der Frage nachgegangen wurde, inwieweit dem technischen bzw. fachspezifischen Vorwissen prädiktive Kraft für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung zukommt, werden die Aussagemöglichkeiten vielfältiger (im Überblick Abele 2013). Für den Einbezug des fachspezifischen (Vor)Wissens in die Untersuchung der Prädiktivität naturwissenschaftlicher Kompetenzen für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung spricht das darin integrierte naturwissenschaftliche Wissen, das je nach Berufsfeld z.B. eher physikalisches (z.B. Elektro- und Metallberufe) oder auch eher oder zusätzlich chemisches Grundlagenwissen (z.B. chemisch-technische Assistenten) umfasst. Bei der Rezeption der Befundlagen zur Erklärung berufsfachlicher Leistungen bleibt zu berücksichtigen, dass (1) die prognostische Validität ausgewählter Prädiktoren von den herangezogenen Kriterien des Ausbildungserfolges abhängig ist (Abele 2011) und (2) die verschiedenen Leistungsmaße letztlich immer mehr oder weniger integrierte Informationen zu weiteren kognitiven und nichtkognitiven Merkmalen bereitstellen (ebd. S. 16; Sauer 2006; siehe auch Abschnitt 3). Während in einem Teil der Studien (im Überblick Abele 2011; 2013) immer wieder berichtet wird, dass Intelligenz gegenüber anderen spezifischen Leistungsmaßen eine höhere prognostische Validität für den „Ausbildungserfolg“ aufweist (Abele 2011), weisen Studien zur Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen in der gewerblich-technischen Ausbildung insbesondere das fachspezifische Vorwissen als besonders mächtigen Prädiktor aus (Nickolaus u.a. 2008, 2010, 2011, 2012). Je nach Ausbildungsberuf und z.T. auch in Abhängigkeit von der gewählten Kompetenzfacette werden mathematische Kompetenzen und der IQ als zusätzlich direkt oder auch nur indirekt wirksame Einflussfaktoren der Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen ausgewiesen, bleiben in ihrer prädiktiven Kraft aber immer hinter dem fachspezifischen Vorwissen zurück. Diese Befundlage und ihre Kon-
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B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
trastierung zu Studien, in welchen lediglich die Intelligenz, Schulnoten oder auch Testdaten zur Lese- oder mathematischen Kompetenz als potentielle Prädiktoren einbezogen wurden, legen den Schluss nahe, dass mit dem fachspezifischen Vorwissen als Produkt investierter Intelligenz, persönlichen Interessen und subjektspezifischen Lernbiographien (Abele 2011; Amelang/ Bartussek/ Stemmler/ Hagemann 2006) ein Prädiktor der Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen verfügbar ist, der je nach Testzuschnitt zugleich auch naturwissenschaftliche und mathematische Fähigkeiten inkludiert. Die Isolation der in das Vorwissen inkorporierten naturwissenschaftlichen Kompetenzen ist nach unserem Kenntnisstand bisher nicht erfolgt. Erschwert wird dies auch dadurch, dass eine Trennung naturwissenschaftlichen Wissens und fachspezifischen Grundlagenwissens erhebliche Schwierigkeiten bereitet, was sich z.B. an Aufgaben zu elektrotechnischen Grundschaltungen illustrieren lässt. Denkbar wäre, eine Grenzziehung so vorzunehmen, dass Aufgabentypen, in welchen die Aufdeckung von Gesetzmäßigkeiten im Vordergrund steht, den Naturwissenschaften und Vorkehrungen, sich diese Gesetzmäßigkeiten in technologischen Kontexten nutzbar zu machen, dem fachspezifischen technologischen Wissen zugeordnet werden. Die vorliegenden Ergebnisse zur Strukturmodellierung der berufsfachlichen Kompetenz von Elektronikern (Nickolaus u.a. 2011) sprechen allerdings dafür, dass diese Trennung empirisch nicht gestützt wird. D.h., das elektrotechnische Grundlagenwissen, das in den dort zugrundeliegenden Tests primär über Aufgabentypen erhoben wurde, in welchen Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge elektrotechnischer Größen in Grundschaltungen im Vordergrund standen, wird zwar als eigenständige Subdimension des Fachwissens ausgewiesen, kann jedoch in einem Generalfaktormodell als eine zentrale Subdimension des elektrotechnischen Fachwissens modelliert werden. Dass dieses Grundlagenwissen mit der fachspezifischen Problemlösefähigkeit hoch korreliert (latente Korrelation = .85), ist wohl auch in diesem Falle auf die in dieses Grundlagenwissen investierte Intelligenz, einschlägige Interessen etc. zurückzuführen. Eine präzisere Abschätzung der prädiktiven Kraft naturwissenschaftlicher Kompetenzen setzt u.E. Testzuschnitte voraus, in welchen das in das technologische Wissen inkorporierte naturwissenschaftliche Wissen a) losgelöst vom technologischen Anwendungskontext und b) im Anwendungskontext erhoben wird. Zu rechnen ist dabei mit hohen Korrelationen der beiden Leistungsmaße, die vermutlich umso höher ausfallen, je tiefer das naturwissenschaftliche Wissen durchdrungen ist. Ob bei einer Untersuchungsgruppe wie den Auszubildenden, die ihr technologisches und das dafür relevante naturwissenschaftliche Wissen zumindest während der Ausbildungszeit in enger Verknüpfung erworben haben, überhaupt Transferprobleme, d.h. Schwierigkeiten, das einschlägige naturwissenschaftliche Wissen anzuwenden, identifiziert werden können, wäre zu prüfen. Von Interesse wäre in diesem Kontext auch eine Kontrollgruppe, die ihr naturwissenschaftliches Wissen primär in einer fachsystematischen (z.B. physikalischen) Perspektive erworben hat. Zu berücksichtigen bleibt bei einschlägigen Studien auch die vermutlich primär in Bau- und Metallberufen bedeutsame und verschiedentlich belegte prädiktive Kraft des räumlichen Vorstellungsvermögens für fachliche Leistungen (vgl. z.B. Schmidt-Atzert/ Deter 1993), die vor allem
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61
auch bei praktischen Prüfungsleistungen relevant zu werden scheinen (im Überblick auch Abele 2013). 5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Schülerinnen und Schüler sollen im Verlauf der Sekundarstufe I unter anderem auch für ein möglichst erfolgreiches Eintreten in die Arbeitswelt vorbereitet werden. Die Bildungsstandards für Mathematik, Biologie, Chemie und Physik sehen vor, dass Lernende mit Abschluss der Pflichtschulzeit über Kompetenzen verfügen, die Ihnen Zugänge zur Arbeitswelt ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse großer internationaler Vergleichsstudien ist dies jedoch in Frage zu stellen. So zeigt sich in TIMSS III, dass etwa jeder fünfte Schüler bzw. jede fünfte Schülerin nicht über das niedrigste erfasste Leistungsniveau hinauskommen. Ähnlich fallen die Ergebnisse in PISA 2009 aus. Auch hier ist die Heterogenität deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich sehr hoch, Hauptschülerinnen und Hauptschüler stehen fast zwei Schuljahre hinter gleichaltrigen Gymnasiasten. Bedenklich scheint dabei, dass die Schulform aus Sicht der Bildungspolitik positiv selektieren soll, also unterschiedliche Leistungsgruppen trennen, optimal fördern und auf das weitere Berufsleben vorbereiten soll. In der Realität überlappen sich die Schülerleistungen der einzelnen Schulformen aber mitunter erheblich. Dies ist insofern problematisch, da der jeweilig erworbene Bildungsabschluss „Eintrittskarte“ zu bestimmten Berufswegen ist, gleichzeitig die Durchlässigkeit des Schulsystems eher gering ist und damit bei Selektionsprozessen das Leistungsvermögen nicht angemessen berücksichtigt wird. Gleichzeitig zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Schulleistungen und Berufswahl. So zeigen Auszubildende in techniknahen Berufen eine höhere Leistung in Mathematik und den Naturwissenschaften als solche in technikfernen Berufen. Eine Entwicklung der mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen von Auszubildenden während der dualen Berufsausbildung scheint gemessen an den Ergebnissen der TIMS Studie nicht gegeben. Die Studien im Bereich der Beruflichen Bildung, die längsschnittlich angelegt waren, bestätigen diesen Befund für die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten weitgehend, wenngleich auch leichte Zuwächse dokumentiert werden können, die allerdings in beruflichen Vollzeitschulen berufsfeldspezifisch wesentlich deutlicher ausfallen. Identifizieren lässt sich eine beträchtliche prädiktive Vorhersagekraft mathematischer und naturwissenschaftlicher Leistungen für den beruflichen Ausbildungserfolg, wobei aufgrund der höheren Affinität leistungsstarker Gruppen zu naturwissenschaftlichtechnischen Ausbildungsgängen hier die prädiktive Kraft höher ausfällt. Ferner gilt zu berücksichtigen, dass sich die Effekte durch den Selektionsprozess zu perpetuieren scheinen: Schülerinnen und Schüler mit hohen Leistungen wählen eher naturwissenschaftlich-technisch geprägte Berufe und haben auch höhere Einmündungschancen. D.h., Selektions- und Sozialisationsprozesse verstärken sich gegenseitig.
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B. Geißel, R. Nickolaus, F. Ştefănică, H. Härtig & K. Neumann
Detaillierte Befunde liegen zu den Zusammenhängen zwischen berufsfachlichen Kompetenzen und der Mathematik vor. Dabei erstaunt zunächst der Befund, dass Mathematikleistungen nicht nur über eine hohe prädiktive Kraft für mathematiknahe Anforderungen während der Ausbildung verfügen, sondern ferner auch für Aufgaben, die eher mit allgemeinen Problemlösestellungen in fachspezifischen Kontexten zu tun haben. Dies lässt darauf schließen, dass bei der Erfassung mathematischer Fähigkeiten auch darin inkorporierte allgemeine kognitive Fähigkeiten sowie weitere Personenmerkmale erfasst werden, z.B. der IQ, aber auch motivationale und volitionale und weitere kognitive Facetten der Kompetenz. Vor dem Hintergrund des dargestellten Forschungsstandes ergeben sich folgende zentrale Forschungsdesiderata: 1. Es fehlen nahezu völlig Untersuchungen, die Aussagen zur Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenzen während der Berufsausbildung gestatten. 2. Es bleibt zu klären, welche kognitiven, motivationalen und volitionalen Kompetenzfacetten in den mathematischen Leistungsdaten neben der fluiden Intelligenz enthalten sind und unter welchen Bedingungen die teilweise beobachtbaren Entwicklungen mathematischer Kompetenzen begünstigt bzw. gehemmt werden. 3. Es stehen Untersuchungen aus, in welchen die Einflüsse naturwissenschaftlicher Kompetenzen auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung untersucht werden, wobei unterstellt werden kann, dass diese Einflüsse domänenspezifisch unterschiedlich ausfallen. Eine besondere Herausforderung dürfte in diesem Kontext die getrennte Erfassung naturwissenschaftlicher Kompetenzen und technischen Vorwissens darstellen. 4. Offen ist ebenso, inwieweit die Einlösung der für den allgemeinbildenden Bereich formulierten Bildungsstandards notwendig ist, um erfolgreich eine spezifische Ausbildung zu durchlaufen. 5. Weiter wäre zu elaborieren, inwieweit Qualitätsmerkmale der Ausbildung und motivationale/volitionale Aspekte für die berufsfachliche Kompetenzentwicklung erklärungsrelevant werden. Dazu liegen zwar verschiedene Untersuchungen vor, deren Ergebnisse zum Einfluss der Qualitätsmerkmale jedoch die Vermutung nahe legen, dass deren Einfluss unterschätzt wird und insbesondere curriculare Schwerpunktsetzungen prädiktive Kraft entfalten. Angesichts der Komplexität dieser Fragestellungen ist nicht zu erwarten, dass die Fragen in einer Untersuchung allein geklärt werden können. Die Anlage des in diesem Beiheft beschriebenen Projekts ManKobE lässt zumindest partiell Aufschlüsse zu den aufgeworfenen Fragen erwarten.
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MATHEMATISCHE KOMPETENZEN AN DER SCHWELLE UND AM ENDE DER KAUFMÄNNISCHEN BERUFSAUSBILDUNG Susan Seeber KURZFASSUNG: Mathematische Kompetenzen zählen zu den kulturellen Grundqualifikationen, die für ein selbstständiges Handeln in der Gesellschaft, für ökonomische, politische, soziale und kulturelle Partizipation erforderlich sind. Ein Grundverständnis für mathematische Zusammenhänge ist dabei sowohl im Alltagsleben als auch in nahezu allen Berufen eine notwendige Voraussetzung und unentbehrliche Bezugsgröße für erfolgreiches Handeln; auch ist die wissenschaftspropädeutische Funktion der Mathematik gesellschaftlich breit akzeptiert. Im vorliegenden Beitrag wird aufgezeigt, welchen spezifischen Beitrag mathematische Kompetenzen im Zusammenwirken mit anderen Faktoren beim Übergang in einzelne kaufmännische Ausbildungen haben und welche Bedeutung den mathematischen Kompetenzen zu Beginn der Ausbildung für berufliches Lernen und den Ausbildungserfolg zukommt. Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen einer Tagung des Instituts für Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) der Universität Kiel im März 2012, auf der eine Gesamtschau der Befunde zur Relevanz mathematischer Kompetenzen für den Berufsübergang und die Ausprägung beruflicher Fachkompetenz aus den Hamburger ULME-Studien gegeben werden sollte. Daher werden in diesem Beitrag bereits publizierte allgemeine Befunde knapp referiert sowie weiterführende neue Analysen vorgestellt, die differenziertere Einblicke in den Übergang in kaufmännische Berufe, in mathematische Kompetenzstrukturen kaufmännischer Auszubildender am Beginn der Ausbildung und in deren Einfluss auf die Ausprägung kaufmännischer Fachkompetenz am Ausbildungsende geben. ABSTRACT: Mathematical abilities rank high among the cultural fundamentals which are required for an independent life in society, namely for full economic, political, social, and cultural participation. Some basic understanding of mathematical structures is a necessary precondition for everyday life as well as for virtually all vocations and thus an indispensable criterion of a successful pursuit of one’s goals. Similarly, the preparatory function of mathematics for higher education studies is largely uncontested, as this domain plays a fundamental role in many fields of study, above all science and technical as well as economic studies, but also in the humanities including social and political studies. There is, however, a definite lack of inquiries into the specific contribution which mathematics render – in conjunction with a host of other factors –at the point of transition into vocational education and training and into the relevance of mathematics for the
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actual learning processes in vocational education and training and their outcomes at the end of the respective programmes. The present paper, based on the ULME studies conducted in the City of Hamburg, is intended to shed light on the significance of mathematics for a successful transition into vocational training in general and business-related training in particular. In the analyses, performed for one different programme of vocational education and training in the commercial sector, mathematical abilities as measured at the beginning of the programme are related to the achievement levels attained at the end. 1. ZUR BEDEUTUNG MATHEMATISCHER KOMPETENZEN IM LEBENSLAUF Die Bedeutung mathematischer Kompetenzen wird in der öffentlichen Diskussion unter verschiedenen Perspektiven geführt: Einerseits gilt die Mathematik als "kulturelle Basiskompetenz zur Erschließung von Welt" (vgl. Tenorth et al. 2010, S. 16), andererseits als "formalisierte Sprache, ... die in unterschiedlicher Form zu einem selbstverständlichen Kommunikationsmittel in vielen Berufen und wissenschaftlichen Disziplinen geworden ist" (Klieme et al. 2000, S. 85). Ihr wird eine herausragende Stellung im Umgang mit wirtschaftlichen Abläufen und in der Bewältigung beruflicher Anforderungen zugesprochen (OECD 2010, S. 3ff.), erst recht unter den Bedingungen des technisch-technologischen Wandels und einer demografisch bedingten Verknappung von personellen Ressourcen auf dem Arbeitsmarkt. Dass hiervon nicht nur hoch spezialisierte akademische Berufe wie der des Ingenieurs oder des Versicherungsmathematikers betroffen sind, ist keine neue Erkenntnis. Bereits die Mitte der neunziger Jahre realisierte erste „International Adult Literacy Study“ (OECD/Statistics Canada 2000) hatte mit der „quantitativen“ Domäne, dem länger schon etablierten englischen Begriff „numeracy“ entsprechend, die basale Funktion mathematischer Kompetenzen anerkannt und entsprechend in die Untersuchungen einbezogen. Hier konnte, ebenso wie in der nachfolgenden Studie Adult Literacy and Lifeskills (ALL) Survey, aber anders als in den schulbezogenen Untersuchungen – auch der effektive Zusammenhang zwischen mathematischen Grundfähigkeiten und Kriterien späteren Erfolgs – etwa der Einkommensentwicklung und den Beschäftigungsaussichten – zumindest nahegelegt werden. Doch auch in der „Third International Mathematics and Science Study“ (TIMMS) (Baumert/Bos/Lehmann 2000) war mit der Unterscheidung von „mathematisch-naturwissenschaftlicher Grundbildung“ und „voruniversitärer Mathematik (bzw. Physik)“ die Bedeutung mathematischer Grundlagen für die berufliche Bildung bereits implizit angelegt.
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2. FORSCHUNGSSTAND In der empirischen Berufsbildungsforschung liegen für ausgewählte Berufe erste empirisch belastbare Befunde über die spezifische Rolle mathematischer Fähigkeiten für berufliches Lernen und beruflichen Erfolg vor (vgl. z. B. Ivanov/Lehmann 2005; Nickolaus/Geißel/Gschwendtner2008; Nickolaus/Norwig 2009; Rosendahl/Straka 2011), die jedoch aufgrund ihrer Anlage und ihres methodischen Designs keine kausalen Interpretationen zulassen. Insofern ist eher von einem Forschungsdesiderat als von einer elaborierten Befundlage auszugehen. Wie die Forschung belegt, sind mathematische Fähigkeiten für ausbildende Unternehmen zumindest in den technik- und mathematiknahen Berufen ein wichtiges Kriterium der Bewerberauswahl. Allerdings würde eine einseitige humankapitalorientierte Sichtweise auf den Einfluss mathematischer Kompetenzen am Übergang in die Ausbildung den komplexen Wechselwirkungen von Einflussfaktoren nicht gerecht werden. Es gehört zu den relativ gut dokumentierten Befunden, dass gerade an Schnittstellen im Bildungssystem auch soziale Selektionsmuster wirksam sind (im allgemeinbildenden Schulwesen vgl. z. B. Baumert/Stanat/ Watermann 2006; Maaz et al. 2010; für Übergänge in berufliche Ausbildung vgl. z. B. Beicht/Friedrich/Ulrich 2008; Eberhard 2012; Seeber 2011). Daher werden den Analysen für die Erklärung von Übergängen verschiedene Theorien zugrunde gelegt, zumeist Modelle mit einer Verknüpfung von humankapitaltheoretischen und mikrosoziologischen Ansätzen (vgl. Abschnitt 2.1). Auch in der Aufdeckung von Zusammenhängen zwischen individuellen und schulischen Bedingungen und den Ergebnissen von institutionalisierten Lernprozessen lassen sich in den Erklärungsmustern ökonomische und soziologische Anleihen finden. So basierten die ersten Schuleffektivitätsmodelle zunächst auf einfachen ökonomischen Produktivitätsüberlegungen, die erst gegen Ende der 1990er Jahre zu komplexen Angebots-Nutzungs-Modellen unter simultaner Berücksichtigung von Kontextfaktoren, Input-, Prozess- und Outputmerkmalen und schließlich auch der Mehrebenenstruktur im Bildungsbereich ausdifferenziert wurden. Schülerseitige Voraussetzungen stellen in diesen Modellen einen zentralen Erklärungsblock dar (ein Überblick bei Reynolds/Teddlie 2000, S. 4ff.; Creemers/Kyriakides 2008). Schließlich unterliegen Überlegungen zur Definition und Operationalisierung von Input- und Outputmaßen in Bildungsprozessen ihrerseits theoretischen und konzeptuellen Grundannahmen, die in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen verankert sind. Es würde die Möglichkeit des Beitrags überschreiten, den Forschungsstand hierzu jeweils elaboriert darzustellen. Deshalb wird nachfolgend den Hauptfragestellungen des Beitrags folgend - der Forschungsstand zur Operationalisierung mathematischer Fähigkeiten und zu deren Bedeutung für den Übergang in die Berufsausbildung und für berufliche Fachleistungen an deren Ende referiert. Zur Messung und Operationalisierung beruflicher Kompetenzen als Erfolgskriterium sei an dieser Stelle auf die einschlägigen Auseinandersetzungen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik verwiesen (vgl. Sloane/Dilger 2005;
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Baethge et al. 2006; Achtenhagen/Winther 2009; Winther 2010; Seeber/Nickolaus 2010; Nickolaus 2011). 2.1 Übergänge in die Ausbildung Neben einer berufsbiografischen Forschung, die auf der Grundlage von Selbstberichten, Selbstzuschreibungen und Deutungen Fragen der Selbst- und Fremdselektion, der Segmentation und Differenzierung am Übergang in den Beruf nachgeht (vgl. Harney/Ebbert 2006), wird in empirisch-quantitativen Ansätzen vor allem das Zusammenspiel von Ressourcen, Bildungsentscheidungen und erwartetem Ertrag bzw. Nutzen betrachtet. Für die Erklärung von Bildungswegen und Bildungsentscheidungen von Individuen wird neben humankapitaltheoretischen Überlegungen vor allem auf den mikrosoziologischen Ansatz von Boudon (1974) zurückgegriffen, der zwischen primären und sekundären Effekten der Sozialschichtzugehörigkeit unterscheidet. Dieser Ansatz hat werterwartungstheoretische Erweiterungen von Esser (1999, S. 266ff.) erfahren. Während sich humankapitaltheoretische und soziologische werterwartungstheoretische Ansätze wechselseitig beeinflussten, blieben Wert-Erwartungsmodelle der Psychologie (z. B. Ajzen 1991) bei der Analyse von Übergängen und Entscheidungen für Bildungswege zunächst unberücksichtigt (zur Kritik vgl. Maaz et al. 2010, S. 81f.). In aktuellen Forschungen zu Übergängen im Bildungswesen wird in der simultanen Berücksichtigung von bildungssoziologischen und psychologischen Erklärungsfaktoren ein vielversprechender Ansatz gesehen, Zusammenhänge besser beschreiben zu können, wie Baumert, Maaz und Jonkmann (2010) anhand erster Analysen zum Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen zeigen. Da beim Übergang in eine berufliche Ausbildung nicht nur ein Wechsel zwischen verschiedenen Bereichen des Bildungssystems, sondern zumindest für den dualen Teil der Berufsausbildung auch ein Wechsel in den Arbeitsmarkt stattfindet, sind für die Erklärung von Übergangsprozessen beispielsweise auch arbeitsmarktbezogene Ansätze wie Segmentationstheorien einzubeziehen, die von Mobilitätsbarrieren zwischen einzelnen Bereichen des Arbeitsmarkts ausgehen (vgl. Reineke 1986). Auf dieser Grundlage werden beispielsweise Schwierigkeiten im Zugang zu bestimmten Bereichen des Ausbildungsmarkts für Gruppen wie Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss erklärt (zur Berufssegmentation nach Vorbildungsstruktur vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 110f.). Im Unterschied dazu steht in den signaltheoretischen Ansätzen die Selektion der Bewerber und Bewerberinnen aufgrund bestimmter Merkmale und Eigenschaften aus der Sicht der Arbeitgeber im Vordergrund (vgl. Spence 1973; Solga 2005; Connelly et al. 2012). In Anlehnung an makrosoziologische Vorstellungen beschränken sich Analysen zum Übergang in eine berufliche Ausbildung auf deskriptive Darstellungen zur Platzierung von Jugendlichen im beruflichen Ausbildungssystem nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, 2010 und 2012; Konietzka 2004). Eberhard (2012) geht über
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diesen Forschungsstand hinaus, indem sie einen ressourcentheoretischen Ansatz entwickelt, um Mechanismen des Zugangs zum Ausbildungsmarkt unter Berücksichtigung von individuellen, institutionellen und systemischen Merkmalen darzustellen. Dies ist insofern ein interessanter Ansatz, als er den Wechselwirkungen verschiedener Ebenen Rechnung trägt, allerdings stehen auf der individuellen Ebene lediglich Schulabschluss und Abschlussnote zur Verfügung, die angesichts der erheblichen Varianz zwischen Schulen und Regionen keine objektiven Informationen über die tatsächlichen Leistungsressourcen der Jugendlichen darstellen. Differenziertere Aufschlüsse zu den individuellen Merkmalen konnte die für Hamburg repräsentative ULME-I-Studie bieten (vgl. Lehmann et al. 2005), die beispielsweise eine Modellierung der Zusammenhänge zwischen Zertifikaten, leistungsbezogenen und sozioökonomischen Indikatoren sowie lern- und motivationsbezogenen Merkmalen bei Einmündung in die berufliche Ausbildung gestattete, wodurch gruppenspezifische Ausbildungschancen herausgearbeitet werden konnten. Im Ergebnis dieser Analysen erwiesen sich – wie zu erwarten – besonders die Zertifikats- und Kompetenzmerkmale als erklärungsmächtig, wobei innerhalb der kognitiven Faktoren die mathematischen Kompetenzen für den Übergang in das duale Ausbildungssystem eine besondere Rolle spielten. Auch zeigte sich ein erhebliches Maß sozialer Selektivität beim Zugang in die duale Ausbildung, insbesondere für Jugendliche mit Migrationsgeschichte und zwar auch bei (statistisch berücksichtigter) gleicher Eingangsleistung (Lehmann et al. 2005; für bestimmte ethnische Gruppe vgl. Seeber 2011). Derartige soziale Zugangsbarrieren waren für die an Formalqualifikationen gebundene Einmündung in vollzeitschulische Ausbildungsgänge nicht festzustellen (vgl. Seeber 2009, S. 60). Bei der dualen Ausbildung handelt es sich um ein nach Berufsprestige geordnetes System, dessen Abschlüsse in Abhängigkeit vom Beruf unterschiedliche Chancen für die Stabilität des Berufsverlaufs, für Aufstiegs- und berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Einkommen und soziale Anerkennung implizieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche übergangsrelevanten Ressourcen bei der Einmündung in spezifische prestigeträchtige Berufe wirksam werden. Eindeutige Antworten der Berufsbildungsforschung hierzu stehen noch aus; erste Aufschlüsse liefern die exemplarischen Analysen zu ausgewählten kaufmännischen Berufen im Abschnitt 5.2, wobei den "mathematischen Fähigkeiten" im Zusammenspiel mit anderen Faktoren besondere Beachtung zukommt. 2.2 Mathematische Fähigkeiten und ihre Bedeutung für die Berufsausbildung Angesichts der zuvor erwähnten Befunde zur Bedeutung mathematischer Fähigkeiten beim Berufsübergang kann die von Sträßer (2010, S. 6f.) geäußerte Bemerkung, "die Allokations- und Selektionsfunktion der Mathematik ist durch das Verschwinden des Faches Fachrechnen/kaufmännisches Rechnen aus dem Lehrplan der Berufsschulen – und damit auch aus den Kammerprüfungen – deutlich geschwächt", zumindest bezogen auf den Berufsübergang, nicht uneingeschränkt geteilt werden. Auch belegt der hohe Anteil mathematischer Anforderungen im
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Rahmen von beruflichen Auswahlverfahren die Bedeutung dieser Fähigkeiten (vgl. z. B. den Eignungstest für den Kaufmann/die Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen bei Guth/Mery 2010). Allerdings variiert das Verständnis darüber, was unter mathematischer Kompetenz zu verstehen ist und welches Qualifikationsniveau am Beginn einer Berufsausbildung vorauszusetzen ist sowohl aus wissenschaftlicher als auch bildungspolitischer Perspektive beträchtlich. Ebenso haben die aufnehmenden berufsbildenden Institutionen (Betrieb, Schule) unterschiedliche Vorstellungen darüber. Nachfolgend sollen aus der Forschungsperspektive Fragen der Konzeptualisierung mathematischer Kompetenz knapp aufgegriffen werden. Für die bildungspolitische und -praktische Diskussionsebene wird an dieser Stelle auf einschlägige Publikationen und Gutachten verwiesen, die vor allem im Zusammenhang mit den Diskussionen um Ausbildungsfähigkeit oder Ausbildungsreife entstanden sind (z. B. Dobischat/Kühnlein/Schurgatz 2012; Frommberger 2010). In der Konzeptualisierung mathematischer Fähigkeiten sind vor allem Unterschiede im Hinblick auf die Funktion, die der Mathematik zugewiesen wird, festzustellen. Hier wird zumeist zwischen einer wissenschaftspropädeutischen und anwendungsbezogenen Perspektive unterschieden (vgl. Tenorth et. al. 2010, S. 16ff.). Aus wissenschaftspropädeutischer Sicht werden mathematische Kompetenzen in der Rückbindung an die Inhaltsbereiche der sog. Schulmathematik ausdifferenziert, die sich aus den Teilgebieten Arithmetik, Algebra, Analysis, Geometrie und Stochastik konstituiert (z.B. Blömeke et al. 2008). Die Messung der mathematischen Kompetenzen unter einem solchen Blickwinkel folgt meist der Sichtweise traditionellen Mathematikunterrichts, indem die Bearbeitung von Aufgaben primär formales Wissen erfordert. Die Aufgaben sind dementsprechend weitgehend kontextfrei gestaltet (vgl. Ulfig 2013, S. 12). Eine funktionale Perspektive auf mathematische Fähigkeiten erfordert eine "Verbindung von Phänomen und Begriff" (vgl. Freudenthal 1983) und beschreibt mathematische Fähigkeiten im Umgang mit anwendungsbezogenen Aufgaben. Einer solchen Perspektive folgend werden mathematische Inhalte nach ihren phänomenologischen Wurzeln in übergreifende inhaltliche Leitideen (engl. "overarching ideas") gegliedert. Zu diesen übergreifenden Leitideen gehören beispielsweise Quantität (Verwendung von Zahlen zur Beschreibung von Strukturen und Situationen), Veränderung und Beziehungen (relationale und funktionale Beziehungen), Raum und Form (ebene und räumliche Konfigurationen) sowie Unsicherheit (statistische Daten oder Zufall) (vgl. Frey at al., 2010; auch Blum et al. 2004), die nicht völlig identisch sind mit den oben genannten mathematischen Inhaltsbereichen, wohl aber substanzielle Überschneidungen damit aufweisen. Im Konzept der anwendungsbezogenen Mathematik oder der Mathematical Literacy wird der funktionale Gebrauch der Mathematik in außermathematischen Situationen betont, wofür Realsituationen in eine mathematische Sprache zu übersetzen und mathematische Sachverhalte auf derartige Situationen anzuwenden sind (Blum et al. 2004, S. 48). Abbildung 1 zeigt ein Kreislaufschema des mathematischen Modellierens im Anwendungskontext.
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Mathematischess Modell
Mathematik
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Mathematische Ergebnisse
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Realität
1
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Realmodell
Reale Ergebnisse
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Realsituation
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Abb. 1: Schema des mathematischen Modellierens (Quelle: Blum et al. 2004, S. 48)
Wie eingangs ausgeführt, wird davon ausgegangen, dass mathematische Fähigkeiten eine hohe Relevanz für berufliches Lernen im Allgemeinen und für mathematikaffine Berufe im Besonderen haben, und zwar in einer doppelten Weise: (1) Folgt man der Sicht von Heinrich Winter (1995) auf die Funktion von Mathematik, so unterstützt die Auseinandersetzung mit mathematischen Aufgaben nicht zuletzt die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten, die transferfähig auch jenseits der Mathematik genutzt werden können und somit berufliches Lernen überhaupt beeinflussen. (2) Für eine Vielzahl von Berufen zeigt sich jedoch auch eine engere mathematische Beziehung, indem die Mathematik eine "Hilfswissenschaft" ist oder "Servicefunktion" (Törner 2009) für den jeweiligen Berufsbereich besitzt. Jedoch sind Aussagen über die beruflichen Anforderungen mathematischer Bildung nicht eindeutig, denn "der Transfer von allgemein vermittelter mathematischer Kompetenz, wie sie aus dem schulischen Unterricht mitgebracht wird, in spezifische Anwendungen in der beruflichen Praxis wird kontrovers diskutiert und ist bislang im Wesentlichen ungeklärt" (Tenorth et al. 2010, S. 43f.; auch Evans 2000). Trotz der widersprüchlichen Befundlage hinsichtlich des Transfers mathematischer Fähigkeiten auf berufliche Inhaltsbereiche bleibt festzuhalten, dass in einer Reihe von Berufen Aufgaben ohne Rückgriff auf mathematische Routinen, Algorithmen und Modelle nicht zu lösen sind. In kaufmännischen Handlungszusammenhängen geht es beispielsweise um die Modellierung und Abbildung innerbetrieblicher Geschäfts- und Unterstützungsprozesse sowie wirtschaftlicher Austauschbeziehungen, ausgedrückt in monetären und nichtmonetären Einheiten, für die die Mathematik abstrakte Strukturen, Operationen und Algorithmen zur Verfügung stellt. In Anlehnung an den wirtschaftsinstrumentellen Ansatz im Rechnungswesen (Preiß/Tramm 1996) lassen sich Parallelen zu den Modellierungsprozessen in der realistischen bzw. funktionalen Mathematik finden (Abb. 1), die
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prinzipiell auch auf verschiedene kaufmännische Inhalts- bzw. Tätigkeitsbereiche anwendbar sind (Preiß 2005, S. 71ff.). Insofern kann eine durchaus substanzielle Rolle mathematischer Fähigkeiten für den kaufmännischen Kompetenzerwerb unterstellt werden. Curriculare Analysen in kaufmännischen Kernberufen (z. B. Industriekaufmann, Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen, Kaufmann im Einzelhandel, Bürokaufmann) bestätigen, dass mathematische Anforderungen kaufmännischen Handlungs- und Entscheidungssituationen immanent sind, die ein Verständnis von Zahlen und Beziehungen zwischen Größen, Fertigkeiten in der Anwendung mathematischer Operationen sowie rechnerische Modellierungen erfordern. Ökonomische Aufgaben mit mathematischem Anforderungsgehalt auf der Ebene der Berufsausbildung beziehen sich vor allem auf Quantifizierungen, d. h. auf die Verwendung von Zahlen zur Beschreibung ökonomischer Situationen, auf die Anwendung von Rechenoperation, auf einfache relationale und funktionale Beziehungen, auf die Interpretation von statistischen Kennzahlen, dargestellt in Tabellen, Diagrammen oder Grafiken sowie in Einzelfällen auf Situationen, in denen der Zufall eine Rolle spielt, wie dies beispielsweise in der Versicherungsund Bankwirtschaft oder im Marketing der Fall ist. Allerdings sind die Auszubildenden, dies zeigen die Analysen von Zwischen- und Abschlussprüfungen sowie Lehrbüchern, vergleichsweise selten mit den letztgenannten Anforderungen befasst. Raum und Form als weitere übergreifende mathematische Idee spielt in den meisten kaufmännischen Berufen ebenfalls eine eher untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme bildet unter anderem der Beruf des Kaufmanns für Spedition und Logistikdienstleistungen, der durch Routen- oder Volumenberechnungen für Beladungen unterschiedlicher Transportmittel mathematische Teilkompetenzen auf diesem Gebiet erforderlich macht. Die oben erwähnten Analysen belegen, dass von den Auszubildenden überwiegend reproduktive und verknüpfende Leistungen zu erbringen sind, indem mathematische Routinen angewandt und unterschiedliche mathematische Operationen für die Lösung kaufmännischer Aufgaben kombiniert werden müssen (vgl. Ceglarek 2011; Hotop 2012). Da in den meisten beruflichen Ausbildungsordnungen das Fachrechnen als eigenständiger curricularer Bestandteil nicht mehr enthalten ist, sondern in die beruflichen Lernfelder und Inhaltsbereiche integriert wurde, "ist zu erwarten, dass höchst unterschiedliche Teile der Mathematik zur Bewältigung beruflicher Probleme in Anspruch genommen werden" (Sträßer 2010, S. 2). Ob eine angemessene mathematische Modellierung gelingt, ob diese im kaufmännischen Unterricht analog zu den Schritten des mathematischen Modellierens (Abb. 1) explizit gemacht wird und inwiefern auch mathematische Fähigkeiten in der kaufmännischen Berufsausbildung weiterentwickelt werden, sind derzeit nicht beantwortete Forschungsfragen.
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2.3 Zusammenhänge zwischen mathematischer und beruflicher Fachkompetenz In den aus der Schuleffektivitätsforschung hervorgegangenen Modellen zur Beschreibung von Bildungs- und Qualifikationsprozessen gehören kognitive Lernvoraussetzungen und soziokulturelle Herkunftsmerkmale zu den am stärksten erforschten Einflussfaktoren, zumindest im allgemeinbildenden Schulsystem. In der beruflichen Bildung zeigt eine Reihe von Studien, dass entsprechende Zusammenhänge auch dort gelten. So stellten Nickolaus, Geißel und Gschwendtner (2008, S. 2) in einer Studie bei Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnikern fest, "dass die mathematische Kompetenz nicht nur einen beachtlichen Beitrag zur Varianzaufklärung des fachspezifischen Vorwissens erbringt, sondern auch als substanzieller Prädiktor des Fachwissens zum Zeitpunkt des Abschlusstests in Erscheinung tritt". Auch bei KfZ-Mechatronikern konnte ein deutlicher Einfluss der mathematischen Fähigkeiten auf die berufliche Kompetenzentwicklung gezeigt werden, wenngleich abgeschwächter als bei den Elektronikern (ebd., S. 3f.). In der sich auf Bankkaufleute beziehenden Studie von Rosendahl/Straka (2011) konnte gleichfalls empirisch belegt werden, dass die bereichsunspezifischen kognitiven Fähigkeiten und die Basiskompetenzen im Lesen und in der Mathematik am Beginn der Ausbildung ihre Vorhersagekraft für die Leistungen am Ende der Ausbildung auch durch die Einbeziehung des berufsspezifischen Vorwissens (erhoben in der Mitte der Ausbildung) nicht verlieren, wenngleich in dieser Studie die mathematischen Fähigkeiten überraschenderweise einen geringeren Einfluss als die Lesefähigkeiten auf die berufliche Fachkompetenzentwicklung aufwiesen. Für schulische Merkmale (z. B. Instruktionsqualität, Interesse der Lehrkräfte) konnte in dieser Studie kein direkter, sondern lediglich ein indirekter über die Erlebnisqualitäten wie Autonomie in der Aufgabenbearbeitung, soziale Einbindung etc. und Motivation vermittelter Einfluss belegt werden (vgl. ebd. S. 30f.). Bereits im Rahmen des Abschlussberichts der ULME-III-Studie wurden für verschiedene Berufe Zusammenhänge zwischen kognitiven und motivationalen Merkmalen der Jugendlichen zu Beginn und der beruflichen Fachleistungen am Ende der Ausbildung geprüft, wobei sich signifikante Zusammenhänge zwischen mathematischen und sprachlichen, zum Teil auch metakognitiven Fähigkeiten und den beruflichen Leistungen zeigten, allerdings variierte die Stärke der Zusammenhänge zwischen den Berufen erheblich (für einen Überblick vgl. die Befunde in den Kapiteln 5 bis 8 in Lehmann/Seeber 2007). Die relativ große Bedeutung allgemeiner Basiskompetenzen für erfolgreiches berufliches Lernen bedeutet keinesfalls, dass diese Grundqualifikationen etwa berufliches Wissen ersetzen oder an dessen Stelle treten könnten. Dagegen spricht schon die in allen Schulleistungsstudien und so auch in den Studien zur beruflichen Ausbildung herausgearbeitete Bedeutung des Vorwissens der jeweiligen Domäne für die berufliche Fachkompetenz (z. B. Rosendahl/Straka 2011 für Bankkaufleute; Nickolaus et al. 2010 für KfZ-Mechatroniker und Elektroinstallateure; Weber 1994 für Industriekaufleute; Senkbeil 2006, S. 299f. für Mathematik und Naturwissenschaften im Schulalter). Die im Abschnitt 5.3 ermittelten und diskutierten Befunde zeigen darüber hinaus, dass sich gerade mit Blick auf spezia-
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lisierte berufliche Fachkompetenzen, wie sie etwa für den Bereich Rechnungswesen und Controlling erforderlich sind, mathematische Kompetenzen und Fähigkeiten in anderen berufsübergreifende Domänen an prädiktiver Kraft verlieren und nur noch begrenzt Unterschiede zwischen leistungsstärkeren und leistungsschwächeren Schülern zu erklären vermögen. 3. FORSCHUNGSFRAGEN UND FORSCHUNGSHYPOTHESEN Die leistungsbezogenen Voraussetzungen der Jugendlichen haben in Abhängigkeit von den spezifischen beruflichen Anforderungen jeweils unterschiedliche Relevanz für die berufliche Kompetenzentwicklung. Dies zeigt sich selbst innerhalb von Berufen einer Berufsgruppe. So werden aktuell nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) 54 verschiedene kaufmännisch-verwaltende Berufe ausgebildet, mit denen unterschiedliche Anforderungen an kaufmännisches Denken und Handeln verbunden sind, nicht zuletzt, weil verschiedene Schwerpunktsetzungen in den kaufmännisch-verwaltenden Handlungsfeldern den jeweiligen Berufsbildern zugrunde liegen. In einer Reihe von Berufen stehen verwaltende Tätigkeiten im Zentrum des Anforderungsprofils, so etwa beim Kaufmann für Bürokommunikation; andere Berufe konzentrieren sich auf einen bestimmtes betriebswirtschaftliches Segment, wie dies beispielsweise beim Kaufmann für Marketingkommunikation (ehemals Werbekaufmann) der Fall ist. In einem Teil der kaufmännischen Berufe sind attraktive Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, gute Verdienstmöglichkeiten und eine hohes Maß an Arbeitsplatzstabilität gegeben wie für Bank- oder Versicherungskaufleute. Jugendliche hingegen, die z. B. eine Ausbildung im Einzelhandel abgeschlossen haben, sind überzufällig häufig von instabilen Ausbildungsverläufen (vgl. Autorengruppe Bildungserstattung 2012, S. 115), schwierigen Berufseinmündungsphasen (vgl. Kutscha/Besener/Debie 2009) sowie prekären Beschäftigungsverhältnissen (Bundesinstitut für Berufsbildung 2010, S. 357ff.) betroffen. Darüber hinaus sind Absolventen dieses Berufs zu einem höheren Anteil in inadäquater Beschäftigung zu finden, und sie haben zudem geringere Weiterbildungsmöglichkeiten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 114 und 143). Auch zeigen sich erhebliche Unterschiede in den Verdienstmöglichkeiten zwischen verschiedenen kaufmännischen Berufen bzw. Berufsgruppen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 120). Nicht zuletzt deshalb weisen die kaufmännisch-verwaltenden Berufe auch hinsichtlich ihres Berufsprestiges erhebliche Unterschiede auf. Nachfolgend soll der Frage des Einflusses mathematischer Kompetenzen für verschiedene kaufmännische Berufe an der Schwelle zum Übergang in die Berufsausbildung und für die kaufmännische Fachkompetenz am Ende der Ausbildung nachgegangen werden. Ausgehend von den im Abschnitt 3.1 referierten Forschungsbefunden zu den Prädiktoren des Erfolgs bei der Berufseinmündung sollen nachfolgende Hypothesen geprüft werden: – Hypothese 1a: Jugendliche mit günstigeren kognitiven Voraussetzungen münden in attraktivere kaufmännische Berufe ein als Jugendliche mit niedri-
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in kaufmännischen Berufen
–
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geren Fachleistungen. Die Fachleistungen in Mathematik erweisen sich dabei als besonders bedeutsam. Hypothese 1b: Bei sonst gleichen Fachleistungen haben Jugendliche aus bildungsnäheren Elternhäusern und ohne Migrationsgeschichte höhere Chancen in attraktive kaufmännische Berufe einzumünden als Jugendliche aus bildungsferneren Schichten.
Aufgrund der Bedeutung mathematischer Fähigkeiten für die Planung, Analyse, Durchführung und Reflektion kaufmännischer Handlungen wird davon ausgegangen, dass die mathematischen Fähigkeiten einen relativ hohen Erklärungsbeitrag für die berufliche Fachkompetenz liefern. Als besonders gewichtig wird der Erklärungsbeitrag in den Aufgabenanforderungen zur Modellierung von Geschäftsprozessen und der kaufmännischen Steuerung und Kontrolle eingeschätzt, denn dort haben Lehrbuchanalysen sowie Analysen von Prüfungsaufgaben, exemplarisch für die Berufe Industriekaufmann, Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen und Bürokaufmann, ergeben, dass Aufgaben aus diesen Bereichen zu etwa zwei Dritteln einen mathematischen Anforderungsbezug aufweisen (vgl. Ceglark 2011; Hotop 2012). Allgemeine wirtschafts- und sozialkundliche Themenstellungen hingegen erfordern von den Jugendlichen seltener explizit den Rückbezug auf mathematische Operationen. Zudem haben sich bei regressionsanalytischen Betrachtungen insbesondere die mathematischen Leistungen zu Beginn der Ausbildung für die kaufmännische Fachleistung am Ende der Ausbildung als prädiktiv erwiesen (vgl. Seeber 2007). Daher soll exemplarisch für den Ausbildungsberuf des Bürokaufmanns auch der Frage nach den Zusammenhängen zwischen mathematischen Fähigkeiten und beruflichen Fachleistungen unter Berücksichtigung weiterer individueller Einflussfaktoren anhand von Strukturgleichungsanalysen differenzierter nachgegangen werden. Die abhängige Variable "Berufliche Fachkompetenz" wird dabei in zwei Subdimensionen abgebildet: Kompetenzen im Bereich "Allgemeinwirtschaftlicher, wirtschaftsrechtlicher und betriebswirtschaftlicher Unterstützungsprozesse" und Kompetenzen im "Rechnungswesen/Controlling" (vgl. zu dieser Differenzierung Seeber 2008). Folgende Hypothesen werden in diesem Zusammenhang geprüft: – Hypothese 2a: Allgemeine bereichsunspezifische kognitive Grundfähigkeiten wirken vermittelt über die schulisch geprägten mathematischen und sprachlichen Fachleistungen auf die berufliche Fachkompetenz, und zwar in beiden Subdimensionen. Aufgrund der an der ersten Schwelle stattfindenden Selektionsprozesse wird – anders als für die Leistungsentwicklung im Schulalter belegt – erwartet, dass soziale Hintergrundfaktoren allenfalls als primäre Faktoren über verschiedene kognitive Leistungen zu Beginn der Ausbildung wirksam werden, jedoch als sekundäre Faktoren keinen direkten Erklärungsbeitrag für die berufliche Fachkompetenz am Ende der Ausbildung besitzen. – Hypothese 2b: Aufgrund der hohen Affinität von Rechnungswesen/Controlling zur Mathematik wird angenommen, dass die mathematischen Fähigkeiten eine höhere prädiktive Kraft für die Erklärung von Fachleistungsunterschieden besitzen als andere berufsübergreifende Fähigkeiten.
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Susan Seeber
4. DATENGRUNDLAGEN Als Datengrundlagen dienen die beiden Datensätze aus der ULME-I-Studie (zu den Testinstrumenten und zur Stichprobe vgl. Lehmann et.al 2005 S. 7ff.) und der ULME-III-Studie (zu den Testinstrumenten und zur Stichprobe vgl. Lehmann/Hunger 2007, S. 21ff.). Die zu Beginn der beruflichen Ausbildung eingesetzten Leistungstests umfassen die Domänen Deutsche Muttersprache, Mathematik und Fremdsprache Englisch. Die Tests zur Lesefähigkeiten und schriftsprachlichen Kompetenzen (Textproduktion und Rechtschreibung) wurden ergänzt durch die Erfassung metakognitiver Strategien zur Texterschließung. Die mathematischen Kompetenzen wurden über zwei Tests erfasst. Während der Mathematik-I-Test eine enge curriculare Anbindung aufwies, orientierte sich der Mathematik-II-Test am praktischen Alltagshandeln und verfolgte damit eher ein Konzept der funktionalen Anwendung von mathematischen Fähigkeiten (vgl. Abschnitt 2.2). Weiterhin standen für beide Erhebungen Angaben aus den Schülerakten der Befragten (Schulabschlüsse, vorausgegangene Berufsvorbereitung, Zeugnisnoten) sowie zur sozialen und ethnischen Herkunft (Bildungsabschlüsse der Eltern, Berufstätigkeit der Eltern, Migrationshintergrund) zur Verfügung. Darüber hinaus wurden ausbildungsbezogene Motivation, Lern- und Arbeitseinstellungen sowie Selbsteinschätzungen zu den Lernstrategien erhoben. In der ULME-III-Studie wurden die Schülerinnen und Schüler in den Abschlussklassen dualer Ausbildungsgänge in 17 ausgewählten Berufen auf ihre erreichten berufsfachlichen Kompetenzen einschließlich Fachenglisch sowie in Anlehnung an das Konzept der IALS-Studie (OEDC/Statistics Canada 2000) auf ihre Grundqualifikationen hin untersucht, namentlich auf ihr Verständnis diskontinuierlicher Texte (Testkomponente "Texte und Tabellen"). Hierin eingeschlossen waren sieben Berufe des Berufsfelds „Wirtschaft und Verwaltung“, auf die sich die nachfolgenden Analysen beziehen. 5. BEFUNDE 5.1 Re-Analysen zur Struktur mathematischer Kompetenzen am Beginn der Ausbildung Zunächst erfolgten Re-Analysen der beiden zur Beginn der Ausbildung eingesetzten Mathematiktests. In einem ersten Schritt wurden die insgesamt 104 mathematischen Testitems den übergreifenden mathematischen Leitideen "Quantität", "Verbindungen", "Raum und Form" und "Unsicherheit und Daten" zugeordnet. Anschließend wurde ein vierdimensionales Modell spezifiziert und mit dem einparametrischen Rasch-Modell auf der Grundlage des Anwenderprogramms ConQuest geprüft (Wu/Adams/Wilson /Haldane 2007). Im Ergebnis sprachen sowohl die Anpassungsindizes als auch die hohen messfehlerbereinigten Korrelationen zwischen den Dimensionen von jeweils knapp über .90 gegen eine Ausdif-
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in kaufmännischen Berufen
79
ferenzierung nach Leitideen, ein Befund, der durchaus konform ist mit Analysen im Rahmen von PISA-Analysen. In einem nächsten Schritt erfolgte entsprechend der im Abschnitt 2.2 dargestellten unterschiedlichen Konzeptualisierung mathematischer Kompetenzen eine Ausdifferenzierung in drei Dimensionen: Die curricular orientierten und weitgehend kontextfreien Aufgaben des Mathematik-I-Tests (78 Testitems in drei Testversionen für Haupt-, Realschul- und Gymnasialniveau) wurden dabei der ersten Dimension zugeordnet, die anwendungsbezogenen Aufgaben des Mathematik-II-Tests der zweiten und schließlich die Aufgaben zum Umgang mit numerischen Informationen aus Tabellen und Grafiken, die ebenfalls im Mathematik-II-Test enthalten waren, einer dritten Dimension (16 bzw. 10 Testitems). Die Ergebnisse der Analysen mit dem einparametrischen Rasch-Modell wiesen substanzielle messfehlerbereinigte Korrelationen zwischen dem curricular orientierten Mathematik-I-Test und den eher anwendungsbezogenen Mathematikaufgaben aus dem Mathematik-II-Test (r=.772) auf. Etwas niedrigere, aber dennoch bemerkenswerte Korrelationen waren zwischen Aufgaben zum Umgang mit numerischen Informationen aus Tabellen und Grafiken und den anwendungsbezogenen Mathematik-II-Aufgaben (r=.768) sowie dem eng curricular orientierten und kontextfreien Mathematik-I-Test (r=.723) festzustellen. Aufgrund der insgesamt recht hohen Korrelationen zwischen den drei spezifizierten Testkomponenten wäre ein gemeinsamer Testscore für die mathematischen Fähigkeiten zu rechtfertigen; denn nach diesen Befunden handelt es sich lediglich um differenzierende Aspekte derselben Fähigkeit (zu ähnlichen Befunden für den curricular angelehnten und den grundbildungsorientierten Mathematik-Test in PISA 2003 vgl. Carstens 2006, S. 313). Da jedoch ein gemeinsamer Testscore mögliche differenzielle Effekte in Bezug auf den funktionalen Gebrauch mathematischer Fähigkeiten (Dimensionen 2 und 3) zwischen Gruppen (z. B. nach Berufen, nach Geschlecht etc.) verdeckt, werden für die Auswertungen die Testleistungen in der curricular orientierten mathematischen Kompetenz (Dimension 1) und der funktional ausgerichteten mathematischen Kompetenz für lebensnahe Fragestellungen (gemeinsamer Testscore der Dimensionen 2 und 3) separat einbezogen. 5.2 Zur Relevanz mathematischer Kompetenzen bei der Einmündung in verschiedene kaufmännische Ausbildungen Deskriptive Befunde Tabelle 1 enthält zunächst die deskriptiven Befunde zu den kognitiven Grundfähigkeiten und den mathematischen, sprachlichen und fremdsprachlichen Kompetenzen am Beginn der Ausbildung für sieben ausgewählte Berufe aus dem Bereich Wirtschaft und Verwaltung.
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Susan Seeber
Testkomponenten Kognitive Grundfähigkeiten
Kaufmännische Berufe Bankkaufmann Bürokaufmann Einzelhandelskaufmann Industriekaufmann Rechtsanwalts- u. Notarfachan. Speditionskaufmann Werbekaufmann Gesamt
Punkte CFT
Sprachkompetenzen
Mathematische Kompetenzen
Fremdsprachliche Kompetenzen Englisch
Anzahl
anwenMetakog. LeseverWissen curricular dungs- Wortschatz, Leseverständnis (Max100%) bezogen bezogen Grammatik ständnis
N
MW
37,38
141,65
85,70
144,74
126,79
156,49
106,87
264
SD MW SD
4,36 33,78 5,33
13,07 134,01 16,13
9,557 80,27 11,89
14,79 123,62 17,11
19,84 102,55 19,20
13,81 135,29 17,45
23,85 85,34 25,81
288
MW SD
32,23 5,63
132,40 16,42
74,38 12,77
119,09 16,76
94,72 19,53
126,32 17,48
75,74 24,28
468
MW SD MW
38,30 3,28 34,20
145,03 14,38 137,91
86,79 9,39 82,46
145,26 14,78 127,90
124,90 19,01 106,61
154,63 16,17 145,65
108,35 22,98 98,16
SD
5,10
12,37
9,50
17,86
20,353
18,85
27,27
MW SD MW SD MW SD
34,91 5,43 36,40 4,55 34,35 5,52
137,25 12,96 141,66 11,36 136,39 15,12
81,45 11,27 83,50 12,66 80,03 12,32
132,45 17,93 133,74 15,35 128,25 19,01
110,57 20,54 115,75 22,58 106,75 23,03
145,87 21,28 159,23 17,07 141,03 21,44
96,84 26,81 111,36 26,49 91,53 28,54
31 181
176 147 1.555
Tab.1: Deskriptive Befunde zu den kognitiven Grundfähigkeiten und den Kompetenzen in den Domänen Mathematik, deutsche Sprache und Fremdsprache Englisch am Beginn der Ausbildung in ausgewählten kaufmännischen Berufen
Bereits an diesen Befunden wird deutlich, dass sich die Jugendlichen in den verschiedenen kaufmännischen Berufen in den Eingangsvoraussetzungen erheblich unterscheiden. Diese Unterschiede waren allein aufgrund der unterschiedlichen Zugangsmuster zu erwarten, beispielsweise bei den Bank- und Industriekaufleuten mit einem hohen Abiturientenanteil, bei den Büro- und Einzelhandelskaufleuten mit überwiegend Haupt- und Realschulabsolventen. Besonders hoch fallen die Differenzen in den mathematischen Fachleistungen aus, bei denen zwischen Einzelhandels- und Industriekaufleuten eine Leistungsdifferenz von rund 25 Punkten in Mathematik I und in der anwendungsbezogenen Mathematik von rund 30 Punkten zugunsten der letztgenannten Gruppe besteht. Weiterhin fällt auf, dass gerade in Berufen wie in den Büro- und Einzelhandelsberufen, in die überwiegend Haupt- und Realschulabsolventen einmünden, die Leistungsstreuungen größer sind, und zwar nicht nur bei den mathematischen Fähigkeiten, sondern auch in den allgemeinen kognitiven Voraussetzungen und in den Lesekompetenzen. Sowohl bei den Einzelhandels- als auch bei den Bürokaufleuten sind durchaus auch Jugendliche anzutreffen, die sich mit ihren Eingangsvoraussetzungen im mittleren Leistungsspektrum der Ausbildungsanfänger in attraktiveren Berufen wie den Bank- oder Industriekaufleuten befinden.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in kaufmännischen Berufen
81
Für den anwendungsbezogenen Mathematik-II-Test wurden bewährte, dem Bereich der mathematischen Grundbildung zugeordnete Items aus der TIMSStudie übernommen, die zudem von betrieblichen Experten als relevant für eine kaufmännische Ausbildung eingeschätzt wurden (vgl. dazu Watermann/Baumert 2000). Dabei konnten die vier Kompetenzstufen der TIMSS-III-Aufgaben näherungsweise reproduziert und damit inhaltlich den Auswertungen zugrunde gelegt werden (zum methodischen Vorgehen vgl. Ivanov/Lehmann 2005). Nachfolgende Tabelle zeigt die Verteilung der Jugendlichen nach Berufen auf die Kompetenzniveaus17. Im Gesamtbild zeigt sich, dass die Mehrheit der kaufmännischen Auszubildenden nur eines der unteren Kompetenzniveaus erreicht. Rund einem Drittel der Jugendlichen gelingen allenfalls alltagsnahe mathematische Schlussfolgerungen, knapp ein weiteres Drittel bewältigt hinreichend intuitive, alltagsnahe mathematische Überlegungen, ist jedoch nicht sicher in der Anwendung mathematischer Routinen. Ein weiteres Fünftel kann die in Alltagssituationen geforderten mathematischen Routinen erkennen und sicher ausführen. Nur einem kleinen Teil der Jugendlichen gelingen Verknüpfungen von mathematischen Operationen und mathematische Modellieren auf einfachem (Stufe 3) und auf komplexerem Niveau (Stufe 4). Analog zu den Befunden aus Tabelle 1 zeigen sich auch in dieser Darstellung erhebliche Unterschiede zwischen den kaufmännischen Berufen. Mit besonders niedrigen Testleistungen fallen die Auszubildenden im Einzelhandel auf, bei denen die Mehrzahl der Jugendlichen zu Beginn der Ausbildung einfache mathematische Routinen, die sich aus dem Kontext ergeben, nicht hinreichend sicher identifizieren und anwenden kann. In einem ähnlichen und nur geringfügig besseren Leistungsspektrum befinden sich die angehenden Bürokaufleute. Am sichersten können die künftigen Industriekaufleute mit alltagsbezogenen mathematischen Aufgabenstellungen umgehen; in dieser Gruppe erreichen immerhin rund 40% mindestens Kompetenzniveau 3. Ein erheblicher Erklärungswert für die Unterschiede mathematischer Kompetenzen zu Beginn der Ausbildung zwischen kaufmännischen Berufen dürfte auf die unterschiedlichen Schulabschlüsse und fachspezifischen Interessen entfallen. Ähnliches legen auch entsprechende Analysen der TIMS-III-Studie nahe (vgl. Watermann/Baumert 2000, S. 217ff.).
17
Ivanov und Lehmann (2005) hatten in ihren Analysen die strengere Niveaustufeneinteilung aus Baumert et al. 1998 zugrunde gelegt und waren deshalb genötigt, unterhalb der TIMSSKompetenzschwelle I (ab 450 Punkte) eine Stufe 0 einzuführen (< 450 Punkte auf der TIMSS-Skala bzw. < 109 Punkte auf der ULME-Skala).
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Susan Seeber RechtsEinzel-
Indust-
anwalts-
Spedi-
Bank-
Büro-
handels-
rie-
u. Notar-
tions-
Werbe-
Ge-
kaufm.
kaufm.
kaufm.
kaufm.
fachang.
kaufm.
kaufm.
samt
%
8,0
42,0
56,9
12,9
34,8
24,4
21,8
36,5
%
21,7
35,1
30,5
16,1
37,0
35,2
30,6
30,8
%
34,6
17,7
11,1
32,3
16,6
27,8
27,9
20,4
%
27,0
4,2
1,3
32,3
9,9
10,8
15,0
9,7
Stufe 0 (N=596) Stufe 1 (N=504) Stufe 2 (N=333) Stufe 3 (N=159) Stufe 4 (N= 42) % Anzahl
%
8,7
1,0
0,2
6,5
1,7
1,7
4,8
2,6
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
263
288
548
31
181
176
147
1.634
Stufe 1: intuitive, alltagsnahe Überlegungen; Stufe 2: Anwendung einfacher Routinen; Stufe 3: mathematisches Modellieren auf einfachem Niveau; Stufe 4: Anwendung komplexer Routinen im Rahmen eigenständiger Modellierungen sowie mathematisches Argumentieren. Tab.2: Mathematik II: Verteilung der Schülerinnen und Schüler nach Beruf auf die Kompetenzniveaus (in Prozent)
Während sich in den kognitiven Bereichen erhebliche Differenzen zwischen den kaufmännischen Berufen zeigen, sind die Unterschiede in den motivations- und einstellungsbezogenen Merkmalen weniger gravierend. Mehr als die Hälfte aller Befragten gab an, eine Ausbildung im Wunschberuf erreicht zu haben. Bei den Auszubildenden im Einzelhandel und den Rechtswalt- und Notarfachangestellten waren dies jeweils knapp über 60%, in den anderen kaufmännischen Berufen bejahten dies 70 bis zu über 80% der Befragten. Das ausbildungsbezogene Selbstkonzept war mit einem Mittelwert von 3,67 (SD = 0,24) auf einer vierstufigen Antwortskala (von 1 = trifft überhaupt nicht zu ... bis ... 4 = trifft voll zu) besonders hoch bei den angehenden Bankkaufleuten ausgeprägt. In den übrigen sechs betrachteten Berufen lag dieser Wert jeweils deutlich über dem theoretischen Mittelwert zwischen 2,9 und 3,1. Kaum Unterschiede sind mit Blick auf die Selbsteinschätzungen zum lernstrategisches Verhalten nach Straka/Schäfer (2002) festzustellen, wobei auf eine Ausdifferenzierung in einzelne Dimensionen aufgrund der hohen Interkorrelationen der Sub-Skalen verzichtet wurde. Die Jugendlichen schätzen ihr lernstrategisches Verhalten mit einem Mittelwert von 3,05 (SD = 0,39) auf einer ebenfalls vierstufigen Antwortskala überwiegend sehr positiv ein, wobei sich kaum Differenzen nach Berufen zeigen. Wegen dieser geringen Differenzierung zwischen den Berufen wirft allerdings das von Straka und Schäfer zugrunde gelegte Konzept zur Erfassung lernstrategischen Verhaltens über Selbsteinschätzungen hinsichtlich der Validität Fragen auf. In Bezug auf die Bedeut-
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in kaufmännischen Berufen
83
samkeit, die einer beruflichen Tätigkeit für die eigene Lebensplanung beigemessen wird, zeigen sich ebenfalls ein hohes Maß an Zustimmung und geringe Unterschiede zwischen den Gruppen. Multivariate Analysen Um den Einfluss der leistungsbezogenen Erklärungsfaktoren im Zusammenspiel mit bildungsrelevanten Herkunftsmerkmalen sowie Merkmalen der Ausbildungsmotivation, der Einstellungen zu Arbeit und Beruf auf die Einmündung in prestigeträchtigere kaufmännische Berufe (Bank- und Industrie- sowie Werbe- und Speditionskaufmann) und in weniger attraktive kaufmännische Berufe (Einzelhandelskaufmann, Bürokaufmann) zu untersuchen, wurden diese Merkmale simultan betrachtet. Da es in der Analyse primär um die Frage geht, ob bei der Einmündung in unterschiedlich entwicklungsförderliche Ausbildungswege primär Leistungskriterien, und hier insbesondere die von den Unternehmen bei der Bewerberauswahl betonten mathematischen und sprachlichen Kompetenzen, eine besonders wichtige Rolle spielen, wurde ein Modell spezifiziert, das in Anlehnung an Boudon (1974) die Unterscheidung von primären und sekundären Herkunftseffekten erlaubt. Als primäre Herkunftsfaktoren wurden einerseits die objektiven Testleistungen und zum anderen die Noten auf dem Abschlusszeugnis betrachtet. Als sekundäre Herkunftseffekte wurden der Bildungshintergrund des Elternhauses und der Migrationshintergrund im Modell erfasst. Tabelle 3 enthält die Ergebnisse einer entsprechend spezifizierten binomial-logistischen Regressionsanalyse. Motivations- und einstellungsbezogene Merkmale erwiesen sich nicht als signifikant und wurden daher aus dem Modell ausgeschlossen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass sie irrelevant wären; denn für die schulleistungsbezogenen Merkmale oder die Abschlussnoten sind diese Charakteristiken immer auch konstitutiv (zum Einfluss von Fachinteresse und Anstrengungsbereitschaft auf die Notengebung in Mathematik vgl. Hochweber 2010, S. 205ff.), aber sie haben in der Stichprobe keinen eigenen Erklärungsbeitrag über die kognitiven und herkunftsbedingten Merkmale hinaus. Von den schulleistungsbezogenen Variablen haben vor allem die anwendungsbezogenen mathematischen Fähigkeiten (Mathematik II) über den gemeinsamen Varianzanteil mit den curricularen mathematischen Fähigkeiten hinaus ein starkes Gewicht. Die relativ hohe Bedeutung der Fremdsprache Englisch dürfte auf die Besonderheiten der Hamburger Wirtschaftsstruktur zurückzuführen sein, die durch vielfältige internationale Beziehungen geprägt ist. Bei gleichen familialen Hintergrundmerkmalen und bei gleichen Fachleistungen sind diejenigen Jugendlichen im Vorteil, die darüber hinaus auf dem Abschlusszeugnis eine gute oder sehr gute Mathematiknote aufweisen. Offenbar verbinden sich mit der Mathematiknote für die Arbeitgeber bei der Bewerberauswahl auch andere Merkmale der Jugendlichen wie Anstrengungsbereitschaft, erwartungskonformes Verhalten etc., so dass bei – in der Regel ja allenfalls vermuteter – gleicher Fachleistung offenbar Bewerbern mit einer besseren Note ein Vorzug gegeben wird. Hierin
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Susan Seeber
wird man eine gewisse Bestätigung der humankapital- und signaltheoretischen Annahmen sehen dürfen. Hypothese 1a kann somit als bestätigt betrachtet werden. RegressionsKoeffizient B
Standardfehler
Wald
df
Sig.
Exp(B) R2=0,058
Block 1 Schul-/BA Eltern (CASMIN) Block 2 Geschlecht (Ref. weibl.) Block 3 MH (Ref. deutsch ohne MH) Deutsch, andere Mutterspr. Ausländ. Staatsangeh. Block 4 Mathematik I (curr.) Mathematik II (anwend.) Metakogn. Strat. Texterschl. Englisch C-Test Block 5 Mathematiknote (Ref.: < 3) Konstante 2
Pseudo-R nach Nagelkerke
,211
,068
9,585
1
,001
1,235
-,202
,198
1,046
1
,306
,817
-,247 ,375
,344 ,335
1,362 ,514 ,747
2 1 1
,506 ,474 ,388
,781 1,456
,009 ,025 ,009 ,065
,008 ,006 ,008 ,007
1,432 16,386 1,259 89,412
1 1 1 1
,231 ,000 ,266 ,000
1,009 1,025 1,009 1,067
n.s. n.s.
ΔR =0,443
ΔR2=0,009
-,294 -13,841
,092
10,198
1
,001
0,757
1,058
157,12 5
1
,000
,000 R2=.510
Tab. 3: Ergebnisse einer schrittweisen binomial-logistischen Regression (Besuch einer prestigeträchtigeren kaufmännischen Ausbildung vs. Besuch einer weniger lukrativen kaufmännischen Ausbildung)
Ferner spielt offenbar der Bildungshintergrund des Elternhauses bei der Einmündung in attraktive kaufmännische Berufe eine bemerkenswerte Rolle. Überraschenderweise und abweichend von den berufsübergreifenden Analysen (vgl. dazu Seeber 2009, S. 60f.) sind Jugendliche mit Migrationshintergrund bei sonst gleichen kognitiven und sozialen Ausgangslagen zwischen unterschiedlich attraktiven kaufmännischen Berufen nicht im Nachteil, aber zu belegen ist der sekundäre Herkunftseffekt des Elternhauses. Hypothese 1b, dass Jugendliche aus bildungsnäheren Elternhäusern bei Einmündung in attraktivere kaufmännische Berufe einen Vorteil haben, kann also auch als bestätigt betrachtet werden. Vor dem Hintergrund dieser Befunde zur sozialen Selektivität bei der Einmündung in kaufmännisch attraktivere und weniger lukrative Berufe ist zu befürchten, dass sich für leistungsstärkere Jugendliche, die eine Ausbildung in den weniger lukrativen Berufen, also auch in einem weniger anspruchsvollen Lernmilieu absolvieren, Bildungsnachteile (weiter) kumulieren können, wenn eine adäquate individuelle Förderung in der Ausbildung nicht gelingt (zu differenziellen Lernmilieus vgl. Baumert/Trautwein/Artelt 2003).
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in kaufmännischen Berufen
85
5. 3 Mathematische Kompetenzen als Prädiktoren berufsfachlicher Kompetenzen in kaufmännischen Berufen Exemplarisch soll nun für den Ausbildungsberuf Bürokaufmann der Einfluss schülerseitiger Voraussetzungen auf die berufsspezifische Fachkompetenzentwicklung bestimmt werden. Verwendet wurde hierzu das Anwenderprogramm „Mplus“, Version 6.0 (Muthén/Muthén 2007). Folgende Variablen wurden in das Modell aufgenommen: ausbildungsbezogene Motivation; kognitive Grundfähigkeiten, erhoben mit dem „Culture Fair Test“ CFT-20 (Weiß 1998); Leseverständnis zu Beginn der Ausbildung, metakognitive Strategien zur Texterschließung (Schlagmüller & Schneider 1999), curricular- und anwendungsbezogene Mathematik (Mathematik I und II), Umgang mit Texten und Tabellen als spezifische Fähigkeit im Umgang mit Dokumentationen, die gerade im beruflichen Situationen gefordert ist. Aus Gründen der Kollinearität wurden die beiden Tests Mathematik I und II als Manifestationen derselben latenten Variablen betrachtet. Variierende Einflüsse der mit unterschiedlichen Messkonzepten erfassten mathematischen Fähigkeiten können daher lediglich über die Korrelation mit dem latenten Konstrukt erfasst werden. Als Kontrollvariablen wurden Hintergrundfaktoren des Elternhauses, Merkmale des Migrationshintergrunds sowie das Geschlecht aufgenommen. Die Analysen zeigen keine direkten Zusammenhänge zwischen ausbildungsbezogener Motivation und Fachleistungen in den beiden Subdimensionen. Auch lässt sich unter den Bürokaufleuten – anders als beispielsweise bei Einzelhandelskaufleuten (vgl. dazu Seeber/Lehmann in press) – die Wirksamkeit von Hintergrundfaktoren des Elternhauses nicht mehr nachweisen. Allerdings waren solche Einflüsse im Vorfeld beim Übergang in eine berufliche Ausbildung zu belegen (vgl. Abschnitt 5.2). Für die Bürokaufleute wurden zwei empirisch unterscheidbare Komponenten kaufmännischer Fachkompetzenz auf ihre kognitiven Voraussetzungen hin untersucht (vgl. dazu Seeber 2008), einerseits die Fähigkeit, allgemeine betriebswirtschaftliche und wirtschaftsrechtliche Zusammenhänge zu erkennen, zu verstehen und zu bearbeiten, andererseits spezielle Kompetenzen im Bereich Rechnungswesens/Controlling. Abbildung 2 präsentiert zunächst das Strukturgleichungsmodell für die erste Subdimension. Entgegen der Annahme, dass die anwendungsbezogenen mathematischen Fähigkeiten einen stärkeren Bezug zu den beruflichen Fachleistungen aufweisen, zeigte sich bei der latenten Modellierung ein stärkerer Einfluss der curricular bezogenen mathematischen Fähigkeiten, erkennbar an der stärkeren Korrelation mit der latenten Variable. Ferner ist bemerkenswert, wie stark die kaufmännische Kompetenz in diesem Bereich mit der Fähigkeit zum Umgang mit diskontinuierlichen Texten („Texten und Tabellen“) kovariiert, was ihrerseits die Relevanz der Mathematik für den Erfolg der Ausbildung offenbar deutlich verstärkt. Anders als bei Studien im Schulalter konnte ein direkter Einfluss des elterlichen Bildungshintergrunds auf die nunmehr beruflichen Fachleistungen nicht festgestellt werden. Dies ist wohl vor allem auf Effekte der Selbst- und Fremdsselektion an der ersten Schwelle
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Susan Seeber
zurückzuführen. Hypothese 2a kann insofern als bestätigt betrachtet werden, als sich ein substanzieller Einfluss berufsübergreifender Fähigkeiten zu Beginn der Ausbildung erkennen lässt. Allerdings überrascht, dass hier kein direkter Einfluss der Lesekompetenz auf die berufliche Fachkompetenz festzustellen ist wie dies in anderen kaufmännischen Studien gezeigt werden konnte (z.B. Rosendahl/Straka 2011).
Abb. 2: Strukturgleichungsmodell zur Erklärung von Fachleistungsunterschieden im Bereich allgemeiner wirtschaftlicher und wirtschaftsrechtlicher Kompetenzen für den Bürokaufmann/die Bürokauffrau am Ende der Ausbildung
Der Gesamtzusammenhang zwischen Mathematik und Fachkompetenz – also die Summe aus direkten und indirekten Effekten – hat sich etwas abgeschwächt darstellt, und zwar zugunsten des direkten Einflusses der Fähigkeit zum Umgang mit diskontinuierlichen Texten. Etwas anders stellen sich die strukturellen Zusammenhänge für den Bereich des Rechnungswesens und Controllings dar (Abb. 3).
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in kaufmännischen Berufen
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Abb.3: Strukturgleichungsmodell zur Erklärung von Fachleistungsunterschieden im Bereich Controlling/Rechnungswesen für den Bürokaufmann am Ende der Ausbildung
Das vielleicht Überraschende hier liegt darin, dass im Rechnungswesen die prädiktive Relevanz anfänglicher mathematischer Kompetenz für den Erwerb der beruflichen Kompetenz zwar etwas höher ist als bei allgemeinwirtschaftlichen und wirtschaftsrechtlichen Anforderungen, allerdings sinkt das Vorhersagepotenzial mathematischer Kompetenzen sowie weiterer berufsübergreifender Fähigkeiten deutlich. Hypothese 2a kann hinsichtlich der hohen Relevanz mathematischer Kompetenz zwar als bestätigt gelten, erstaunlich ist jedoch, dass eine zu vermutende, scheinbar affinere Fähigkeit zum Umgang mit Tabellen hier praktisch keine Rolle mehr spielt. Eine plausible Erklärung für die Zusammenhänge liegt wohl darin, dass für die Bearbeitung von Aufgaben im Rechnungswesen und Controlling in der Tat, wie bereits angedeutet, vor allem hoch spezifisches, erst in der Ausbildung erworbenes konzeptuelles und prozedurales Wissen entscheidend ist. 6. ABSCHLIESSENDE DISKUSSION DER BEFUNDE Mit den hier vorgelegten Analysen konnte gezeigt werden, dass schulisch erworbene mathematische Kompetenzen, gemessen zu Beginn einer kaufmännischen Ausbildung, ein bedeutender Prädiktor für die Einmündung in attraktive kaufmännische Berufe ist. Aber es konnte ebenso belegt werden, dass beim Zugang in unterschiedliche attraktive kaufmännische Berufsausbildungen in der hier untersuchten Gruppe sekundäre Herkunftsfaktoren wirken. Mit der Verteilung auf unterschiedliche kaufmännische Berufe verbinden sich unterschiedliche Lernumwelten und Lerngelegenheiten sowie verschiedene berufliche Integrations- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten, durch die bestimmte Schülergruppen bessere Entwicklungschancen erhalten als andere Jugendliche mit ähnlichen kognitiven Voraussetzungen (zur Diskussion differenzieller Lernmilieus vgl. Baumert/ Traut-
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wein/Artelt 2003; in teilqualifizierenden Berufsfachschulen im Bereich Wirtschaft und Verwaltung vgl. Seeber 2010). Gerade in den weniger attraktiven kaufmännischen Ausbildungsberufen wie den Berufen des Büro- und Einzelhandelskaufmanns stehen die Lehrenden vor der Herausforderung, der heterogenen Eingangsqualifikation der Jugendlichen Rechnung zu tragen. Einerseits heißt dies, jene Jugendlichen zum Ausbildungsziel zu führen, die im allgemeinbildenden Schulsystem nicht hinreichend gefördert werden konnten und mit ungünstigeren Startbedingungen ihre Ausbildung durchlaufen. Andererseits bedeutet es, jene Auszubildende optimal zu fördern, die trotz guter kognitiver Voraussetzungen aufgrund sozialer Disparitäten in weniger lukrative Berufe und herausfordernde Lernumwelten eingemündet sind und für die sich Nachteile der Herkunftseffekte über die allgemeinbildende Schule hinaus auch in der beruflichen Ausbildung und Berufslaufbahn fortzusetzen drohen. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass mathematische Fähigkeiten essentiell für den Erwerb kaufmännischer Kompetenzen und nicht etwa durch den Verweis auf allgemeine kognitive Voraussetzungen wie der Intelligenz zu substituieren sind. In den bisher untersuchten kaufmännischen Berufen (für Bankkaufleute vgl. Rosendahl/Straka 2011; für Einzelhandelskaufleute vgl. Seeber/Lehmann in press) und den hier präsentierten Befunden zum Bürokaufmann zeigt sich ein direkter Zusammenhang zwischen mathematischen und beruflichen Fachkompetenzen sowie ein über andere Kompetenzbereiche hinweg vermittelter Einfluss mathematischer Fähigkeiten. Für den Erwerb mathematischer Kompetenzen sind kognitive Grundfähigkeiten selbstverständlich ihrerseits bedeutsam. Neben den sichtbaren mathematischen Kompetenzanforderungen bei der Lösung kaufmännischer Aufgaben, die sich zumeist auf die Anwendung mathematischer Routinen und Algorithmen beschränken, ist vor allem der von den Mathematikdidaktikern angenommene Einfluss mathematischer Fähigkeiten auf das Problemlösungsverhalten in anderen, nichtmathematischen Kontexten bislang kaum systematisch untersucht. Hier dürften vor allem Modellierungsfähigkeiten und mathematisches Argumentieren angesprochen sein, die nach den vorliegenden Erkenntnissen von Schulleistungsstudien allenfalls in der Spitzengruppe der oberen 10% auf sicherem Niveau beherrscht werden. Insofern ist, bezogen auf die angesprochene Transferfrage, immer noch "... unklar, inwieweit der mathematische Kompetenzerwerb in der Schule bedeutsam für die Ausbildung dieser „versteckten“ mathematischen Kompetenzen im Berufsalltag ist" (Heinze 2010, S. 2). Offen bleiben muss ferner, inwiefern der kaufmännische Unterricht dazu beiträgt, die mathematischen Kompetenzen selbst weiterzuentwickeln. Um differenzierter den Einfluss mathematischer Kompetenzen auf den Berufsübergang und auf die berufliche Kompetenzentwicklung herauszuarbeiten, sind Längsschnittstudien mit mehreren Messzeitpunkten erforderlich, wie sie beispielsweise das IPN mit dem Projekt ManKobE (http://www.ipn.uni-kiel.de/projekte/mankobe/) in Kooperation mit Partnern der Berufsbildungsforschung u.a. für die KfZ-Mechatroniker und die Industriekaufleute derzeit durchführt.
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RELEVANZ SCHULISCHER KOMPETENZEN FÜR DEN ÜBERGANG IN DIE ERSTAUSBILDUNG UND FÜR DIE ENTWICKLUNG BERUFLICHER KOMPETENZEN: BIOLOGIEUND CHEMIELABORANTEN.18 Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt KURZFASSUNG: Sind Kompetenzen, die in den Fächern Biologie und Chemie im schulischen Unterricht erworben wurden, für den Übergang in die Erstausbildung und die Entwicklung beruflicher Kompetenzen für Biologie- bzw. Chemielaboranten prädiktiv? Regelstandards beschreiben für beide Fächer Kompetenzen, die am Ende der Sekundarstufe I ausgebildet sein sollen. Rahmenlehrpläne geben die Kompetenzen vor, die in den Ausbildungsgängen Biologie- bzw. Chemielaborant entwickelt werden sollen. Übergänge von einem Bildungsabschnitt in den nächsten sind nachgewiesenermaßen kritische Momente im Bildungsverlauf. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag analysiert, ob die normativen Vorgaben für die Ausbildung von Biologie- bzw. Chemielaboranten anschlussfähig sind an die für den Mittleren Schulabschluss formulierten Standards. Mit dieser Analyse soll eine theoretische Grundlage für die empirische Erfassung von Kompetenzen Auszubildender in den genannten Ausbildungszweigen gelegt werden. ABSTRACT: Can competencies acquired in biology and chemistry education at the regular school system be used to predict successful transitions and further development in initial vocational education to become a laboratory technician in biology or chemistry? General standards define the achieved competencies in both subjects at the end of middle school education (‘Sekundarstufe I’). And curriculum frameworks of vocational educations define the competencies which should be reached in the training courses for biology or chemistry laboratory professions. In general, every transition from one educational level to the next is very critical in the development of careers. Knowing this, this study analyzes whether the normative standards for training biology or chemistry laboratory technicians will 18
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Vereinfachung wird in diesem Beitrag nicht zwischen Biologielaborantin und Biologielaborant bzw. Chemielaborantin und Chemielaborant unterschieden. Die Bezeichnung „Laborant“ schließt die weibliche Form mit ein. Mit dem Begriff „Schüler“ bzw. „Schulabgänger“ wird äquivalent verfahren.
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Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt
link with the educational standards. This analysis will provide a theoretical basis for an empirical assessment of trainees’ competencies in vocational education. 1. EINLEITUNG Die Frage nach der Bedeutung fachlicher, im Schulunterricht erlangter Kompetenzen für einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die berufliche Erstausbildung hat spätestens seit der Durchführung der großen Schulleistungsstudien wie TIMSS und PISA hohe wissenschaftliche Relevanz erhalten. Das Literacybzw. Kompetenzkonzept der OECD (z.B. 2009) rekurriert explizit auf die besondere Bedeutung der in der Schule erworbenen Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften für die gesellschaftliche und somit auch berufliche Teilhabe. Für die naturwissenschaftlichen Schulfächer Biologie, Chemie und Physik wurden diese in dem Begriff einer scientific literacy (naturwissenschaftliche Grundbildung) zusammengefasst. Dieses Konzept liegt auch den im Jahr 2004 von der Kultusministerkonferenz (KMK) festgeschriebenen, länderübergreifenden Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2005) zu Grunde. Die Standards beschreiben in Regelstandards die entsprechenden Kompetenzen und legen somit fest, welche Kompetenzen Schüler am Ende der Sekundarstufe I in der Regel erlangt haben sollen. Das heißt, dass diese fachlichen Kompetenzen aus normativer Sicht als der Ausgangspunkt für die anschließende Kompetenzentwicklung in der beruflichen Erstausbildung angenommen werden können. Es wird vermutet, dass diese schulisch erworbenen Kompetenzen relevante Einflussfaktoren der Fachkompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung darstellen (vgl. Averweg et al., 2009). Während für die berufliche Erstausbildung im technischen und kaufmännischen Bereich bereits erste Studien zur Entwicklung berufsfeldbezogener und beruflicher Kompetenzen in der dualen Erstausbildung vorliegen (Lehmann & Seeber, 2007; Nickolaus, Gschwendtner, & Geißel, 2008), ist dies für die Biologie- bzw. Chemie-bezogenen Berufe bisher nicht der Fall. Mit dem im Januar 2012 vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik begonnenen Projekt „Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung“ (ManKobE), das von der Leibniz-Gemeinschaft im Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation finanziert wird, wird für diese Ausbildungsberufe somit Neuland betreten. Mit Blick auf eine Untersuchung des Überganges zwischen schulischer und beruflicher Bildung und angesichts des Mangels empirischer Erkenntnisse bezüglich der Ausbildung von Biologie- und Chemielaboranten, stellt sich die Frage, in wie weit auf Basis der normativen Vorgaben für diese beiden Bildungsabschnitte eine kohärente Kompetenzentwicklung – und damit ein „Übergangs-Erfolg“ – beim Wechsel in die berufliche Erstausbildung zu erwarten ist. Über die tatsächlichen Kompetenzen der Schüler, die in die Ausbildung zum Biologie- bzw. Chemielaboranten übergehen, lassen sich zu diesem Zeitpunkt keine belastbaren Aussagen machen, da hierzu keine validen empirischen Daten
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vorliegen. Die Instrumente zur Überprüfung der Standards, die die KMK für den Mittleren Schulabschluss für die Fächer Biologie bzw. Chemie Ende 2004 festgelegt hat, werden zur Zeit noch entwickelt. Das entsprechende Bildungsmonitoring ist für das Jahr 2013 vorgesehen. Testinstrumente zur Erfassung berufsfeldbezogener sowie beruflicher biologischer und chemischer Kompetenzen Auszubildender für die Berufe Biologie- bzw. Chemielaborant liegen derzeit ebenfalls nicht vor (siehe Lindmeier et al. in diesem Band). Mit der Einführung der Bildungsstandards wurde das deutsche Bildungssystem von einer eher Input- auf eine klare Output-Orientierung umgestellt. Dieser in Form von fachlichen Kompetenzen festgelegte Output ist der anzunehmende Ausgangspunkt für die Lernprozesse, die Auszubildende sowohl im theoretischen als auch im praktischen Teil ihrer Ausbildungszeit durchlaufen. Aus diesem Grunde wird im Folgenden zunächst auf die in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss für die Fächer Biologie und Chemie festgelegten Kompetenzen eingegangen (1). Anschließend wird der Bezug dieser Kompetenzen zu den im geltenden Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Biologielaborant (vgl. Beschluss der KMK vom 13.01.2004) bzw. Chemielaborant (vgl. Beschluss der KMK vom 13.01.2004) festgelegten Zielen hergestellt (2). Abschließend wird kurz auf die Vorgehensweise zur Erfassung der Entwicklung professionsbezogener und professioneller Kompetenzen im ManKobE-Projekt in Abhängigkeit der in der Schule erworbenen Kompetenzen in den Fächern Biologie und Chemie für die Ausbildungsgänge Biologie- bzw. Chemielaborant eingegangen (3). Weitere Ausführungen hierzu finden sich in Teil 3 in diesem Band. 2. SCHULISCH ERWORBENE KOMPETENZEN IN DEN FÄCHERN BIOLOGIE UND CHEMIE AM ENDE DER SEKUNDARSTUFE I Die in den länderübergreifenden Bildungsstandards der KMK formulierten Kompetenzen wurden normativ festgelegt. Bezugspunkt für die normativ festgelegten Standards war zum einen das Kompetenzkonzept der OECD, das für die Fächer Biologie, Chemie und Physik mit dem Begriff einer Naturwissenschaftlichen Grundbildung beschrieben wird. Diese umfasst die Fähigkeit: – naturwissenschaftliches Wissen anzuwenden, – naturwissenschaftliche Fragen zu erkennen – und aus Belegen Schlussfolgerungen zu ziehen, um Entscheidungen zu verstehen und zu treffen, die die natürliche Welt und die durch menschliches Handeln an ihr vorgenommenen Veränderungen betreffen (http://pisa.ipn.unikiel.de/). Diese Fähigkeit adressiert fachlich gesehen also drei Ebenen: Zum einen wird hier die Ebene der naturwissenschaftlichen Konzepte angesprochen, deren Verständnis notwendig ist, um Vorgänge in der Natur sowie durch den Menschen an ihr bewirkte Veränderungen zu verstehen. Für die Biologie wäre dies beispielsweise das
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Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt
Zellkonzept, für die Chemie das Materiekonzept. Die zweite fachliche Ebene stellt die Ebene der naturwissenschaftlichen Prozesse dar. Hier geht es darum, Fragestellungen zu erkennen, die naturwissenschaftlich untersucht werden können, Belege und Nachweise zu identifizieren, die in einer naturwissenschaftlichen Untersuchung benötigt werden sowie Schlussfolgerungen (z.B. aus erhobenen Daten) zu ziehen, diese zu bewerten und / oder diese zu kommunizieren. Die dritte Ebene adressiert Situationen und Anwendungsbereiche, für die die Naturwissenschaften zentral sind. Ihre Bedeutung kann dabei persönlich, lokal oder global sein; das heißt sie betrifft entweder das Individuum (den Schüler direkt), eine Gemeinschaft (wie zum Beispiel eine Kommune) oder die gesamte Erde. Beispiele für Themenfelder sind hier Kontexte wie Leben und Gesundheit, Erde und Umwelt, Naturwissenschaft und Technik. Beispiele für Themen sind Ernährung, Trinkwasseraufbereitung oder Treibhauseffekt. Deutlich wird, dass das Konzept der naturwissenschaftlichen Grundbildung darauf gerichtet ist, die Schüler zu befähigen, mit naturwissenschaftlichem Wissen umzugehen und nicht nur im Sinne eines „trägen Wissens“ anzuhäufen. Dieser Anspruch wird ebenfalls in der Kompetenzbeschreibung von Franz E. Weinert (2001) formuliert, die die zweite Säule für die in den Bildungsstandards formulierten Kompetenzbeschreibungen darstellt. Hier wird Kompetenz (im Allgemeinen) verstanden als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können" (Weinert, 2001, S. 27). Es ist darauf hinzuweisen, dass die in den Bildungsstandards festgelegten Kompetenzen sich schwerpunktmäßig auf die kognitive Dimension des Lernens beziehen (siehe hierzu auch Abschnitt (3) in diesem Kapitel sowie der Beitrag Neumann et al. in diesem Band). Für die Biologie und die Chemie wurden in den Bildungsstandards vier Kompetenzbereiche festgelegt. Dieses sind die Bereiche (Umgang mit) Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Bewertung und Kommunikation. Während der Kompetenzbereich (Umgang mit) Fachwissen vorwiegend die inhaltliche Dimension der Fächer umfasst, adressieren die drei übrigen die Handlungsdimension des Lernens von Biologie und Chemie. Die inhaltliche Dimension wird durch sogenannte Basiskonzepte (KMK 2005a & 2005b) abgebildet. Es wird angenommen, dass der kontinuierliche Bezug der einzelnen Fachinhalte auf diese Basiskonzepte kumulatives, kontextbezogenes Lernen begünstigt. Mit diesen analysieren Schüler Anwendungssituationen, strukturieren und systematisieren diese. Für das Fach Biologie wurden als Basiskonzepte festgelegt: – System – Struktur und Funktion – Entwicklung. Die Basiskonzepte des Fachs Chemie sind: – Stoff-Teilchen-Konzept – Struktur-Eigenschafts-Konzept
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen bei Biologie- und Chemielaboranten
– –
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Chemische Reaktion Energie.
Diese erfüllen die Funktion einer „biologischen" bzw. "chemischen Brille“, durch die Kontexte gefiltert, Inhalte fokussiert, Wesentliches von Unwesentlichem unterschieden sowie fachliche Querverbindungen geknüpft werden können. Durch die Verbindung der abstrakten Basiskonzepte mit konkreten biologischen Konzepten werden grundlegende biologische Prinzipien herausgearbeitet, die die Vernetzung der einzelnen fachlichen Inhalte (Phänomene, Fakten, Begriffe) unterstützen sollen. Beispiele für Standards zum Kompetenzbereich (Umgang mit) Fachwissen werden in Tabelle 1 gegeben. Die drei Kompetenzbereiche Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung bilden die Handlungsdimension der Fächer Biologie und Chemie ab. Hier stehen im Zentrum grundlegende Elemente der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung wie das Beobachten, Vergleichen, Experimentieren, das Nutzen von Modellen sowie die Anwendung fachbezogener Arbeitstechniken. Im Bereich der Kommunikation geht es darum, Informationen sach- und fachbezogen zu erschließen und auszutauschen. Die Bewertung umfasst das Erkennen und Bewerten biologischer und chemischer Sachverhalte in verschiedenen Kontexten (vgl. KMK 2005a & 2005b). Beispiele für Kompetenzen aus diesen drei Kompetenzbereichen zeigt Tabelle 2.
100 Fach
Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt
Basiskonzept
– –
System
–
Struktur Funktion
und
–
Biologie
– –
Entwicklung
– – –
Stoff-TeilchenKonzept
–
Chemie
–
StrukturEigenschaftsKonzept
–
Chemische Reaktion
–
–
– Energie
– –
Kompetenzbeschreibung Schülerinnen und Schüler... verstehen die Zelle als System. erklären den Organismus und Organismengruppen als System. beschreiben und erklären Wechselwirkungen im Organismus, zwischen Organismen sowie zwischen Organismen und unbelebter Materie. beschreiben Zellen als strukturelle und funktionelle Grundbaueinheiten von Lebewesen. stellen strukturelle und funktionelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Organismen und Organismengruppen dar. beschreiben die strukturelle und funktionelle Organisation im Ökosystem.
erläutern die Bedeutung der Zellteilung für Wachstum, Fortpflanzung und Vermehrung. beschreiben ein Ökosystem in zeitlicher Veränderung. beschreiben und erklären stammesgeschichtliche Verwandtschaft von Organismen. beschreiben modellhaft den submikroskopischen Bau ausgewählter Stoffe. verwenden Bindungsmodelle zur Interpretation von Teilchenaggregationen, räumlichen Strukturen und zwischenmolekularen Wechselwirkungen. beschreiben und begründen Ordnungsprinzipien für Stoffe. schließen aus den Eigenschaften der Stoffe auf ihre Verwendungsmöglichkeiten und auf damit verbundene Vor- und Nachteile. beschreiben Phänomene der Stoff- und Energieumwandlung bei chemischen Reaktionen. beschreiben Möglichkeiten der Steuerung chemischer Reaktionen durch Variation von Reaktionsbedingungen. führen energetische Erscheinungen bei chemischen Reaktionen auf die Umwandlung eines Teils der in Stoffen gespeicherten Energie in andere Energieformen zurück. beschreiben die Beeinflussbarkeit chemischer Reaktionen durch den Einsatz von Katalysatoren.
Tab. 1: Beispiele für Kompetenzen im Bereich (Umgang mit) Fachwissen für die Biologie (KMK 2005a) und Chemie (KMK 2005b)
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen bei Biologie- und Chemielaboranten 101 Kompetenzen im Fach Biologie Schülerinnen und Schüler ...
Kompetenz-
Kompetenzen im Fach Chemie Schülerinnen und Schüler ...
bereich
Erkenntnisgewinnung
– – – –
mikroskopieren Zellen und stellen sie in einer Zeichnung dar. führen Untersuchungen mit geeigneten qualifizierenden oder quantifizierenden Verfahren durch. wenden Schritte aus dem experimentellen Weg der Erkenntnisgewinnung an. wenden Modelle zur Veranschaulichung von Struktur und Funktion an.
– – –
– –
Kommunikation
–
– –
kommunizieren und argumentieren in verschiedenen Sozialformen. veranschaulichen Daten messbarer Größen zu Systemen, Struktur und Funktion sowie Entwicklung angemessen mit sprachlichen, mathematischen oder bildlichen Gestaltungsmitteln. stellen Ergebnisse und Methoden biologischer Untersuchung dar und argumentieren damit. wenden idealtypische Darstellungen, Schemazeichnungen, Diagramme und Symbolsprache auf komplexe Sachverhalte an.
– – –
–
planen geeignete Untersuchungen zur Überprüfung von Vermutungen und Hypothesen. beachten beim Experimentieren Sicherheits- und Umweltaspekte. finden in erhobenen oder recherchierten Daten Trends, Strukturen und Beziehungen, erklären diese und ziehen geeignete Schlussfolgerungen. nutzen geeignete Modelle (z.B. Atommodelle, PSE) um chemische Fragestellungen zu bearbeiten. recherchieren zu einem chemischen Sachverhalt in unterschiedlichen Quellen. prüfen Darstellungen in Medien hinsichtlich ihrer fachlichen Richtigkeit. stellen Zusammenhänge zwischen chemischen Sachverhalten und Alltagserscheinungen her und übersetzen dabei bewusst Fachsprache in Alltagssprache und umgekehrt. vertreten ihre Standpunkte zu chemischen Sachverhalten und reflektieren Einwände selbstkritisch.
Tab. 2: Beispiele für Kompetenzen in den Bereichen Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung für die Biologie (KMK 2005a) und Chemie (KMK 2005b)
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Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt Kompetenzen im Fach Biologie Schülerinnen und Schüler ...
Kompetenz-
Kompetenzen im Fach Chemie Schülerinnen und Schüler ...
bereich
–
Bewertung
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–
–
unterscheiden zwischen beschreibenden (naturwissenschaftlichen) und normativen (ethischen) Aussagen. beurteilen verschiedene Maßnahmen und Verhaltensweisen zur Erhaltung der eigenen Gesundheit und zur sozialen Verantwortung. beschreiben und beurteilen Erkenntnisse und Methoden in ausgewählten aktuellen Bezügen wie zu Medizin, Biotechnik und Gentechnik, und zwar unter Berücksichtigung gesellschaftlich verhandelbarer Werte. erörtern Handlungsoptionen einer umwelt- und naturverträglichen Teilhabe im Sinne der Nachhaltigkeit.
– –
– –
stellen Anwendungsbereiche und Berufsfelder dar, in denen chemische Kenntnisse bedeutsam sind. nutzen fachtypische und vernetzte Kenntnisse und Fertigkeiten, um lebenspraktisch bedeutsame Zusammenhänge zu erschließen. diskutieren und bewerten gesellschaftsrelevante Aussagen aus unterschiedlichen Perspektiven. binden chemische Sachverhalte in Problemzusammenhänge ein, entwickeln Lösungsstrategien und wenden diese an.
Tab. 2: Beispiele für Kompetenzen in den Bereichen Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung für die Biologie (KMK 2005a) und Chemie (KMK 2005b) (Fortsetzung)
Die Bildungsstandards legen die Grundlage für die Erfassung der Kompetenzen von Schülern am Ende der Sekundarstufe I. Sowohl zur Förderung der festgelegten Kompetenzen im Unterricht als auch zur Erfassung des Kompetenzstandes sind Aufgaben notwendig. Diese werden in den Bildungsstandards in Anlehnung an die Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA) in drei Anforderungsstufen, bezüglich ihres kognitiven Anspruchsniveaus, kategorisiert. Bei diesen Stufen handelt es sich um Aufgabenmerkmale, die verschiedene Schwierigkeitsgrade innerhalb ein und derselben Kompetenz abbilden können. Charakterisierende Kriterien zur Einordnung in einen der Anforderungsbereiche sind folgende (z.B. KMK 2005a, S. 16): – Für den Anforderungsbereich I: Sachverhalte, Methoden und Fertigkeiten reproduzieren. (Wiedergabe von Fachwissen und Wiederverwendung von Methoden und Fertigkeiten) – Für den Anforderungsbereich II: Sachverhalte, Methoden und Fertigkeiten in neuem Zusammenhang benutzen. (Bearbeitung grundlegender bekannter Sachverhalte in neuen Kontexten) – Für den Anforderungsbereich III: Sachverhalte neu erarbeiten und reflektieren, Methoden und Fertigkeiten eigenständig anwenden. (Eigenständige Erarbeitung und Reflexion unbekannter Sachverhalte und Probleme auf der Grundlage des Vorwissens; Nutzung von Konzeptwissen und Kompetenzen für eigene Erklärungen, Untersuchungen, Modellbildungen oder Stellungnahmen)
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen bei Biologie- und Chemielaboranten 103
Für die valide und reliable Erfassung der Kompetenzen von Schülern in der Biologie bzw. Chemie am Ende des Mittleren Bildungsabschlusses ist die Beschreibung der Kompetenzniveaus durch diese drei Anforderungsbereiche zu ungenau. Zur Erstellung der Testitems für das für das Jahr 2012 geplante Bildungsmonitoring in den naturwissenschaftlichen Fächern wurde daher ein präziseres, dreidimensionales Modell entwickelt, das die Dimensionen (i) Kompetenzbereiche, (ii) Kognitive Prozesse und (iii) Komplexität vereinigt. Die Dimension ‚Komplexität‘ beschreibt dabei die Komplexität desjenigen Wissens, das die Schüler zur Beantwortung eines Items heranziehen müssen (siehe Neumann et al. in diesem Band sowie Kauertz et al., 2010; Kremer et al. 2012). 3. SCHULISCH ERWORBENE KOMPETENZEN IN DEN FÄCHERN BIOLOGIE UND CHEMIE AM ENDE DER SEKUNDARSTUFE I ALS EINFLUSSFAKTOREN FÜR ANSCHLIEßENDES LERNEN IN DER BERUFLICHEN ERSTAUSBILDUNG Im Hinblick auf die prädiktive Wirkung mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen zu Beginn der Ausbildungszeit gibt es abgesehen von Studien, die Schulnoten als Indikatoren heranziehen, nur wenige Untersuchungen. So zeigte sich in ULME III, dass die mathematischen Kompetenzen zu Ausbildungsbeginn für eine Reihe der betrachteten Ausbildungsberufe eine signifikante prädiktive Wirkung aufwiesen (Lehmann & Seeber, 2007). Dabei erwies sich die mathematische Kompetenz speziell bei den Berufen aus dem gewerblich-technischen Bereich zumeist als stärkster Prädiktor. In anderen Berufen war dagegen kein Einfluss festzustellen (z.B. Medizinischer Fachangestellter, Friseur). Nickolaus, Gschwendtner und Geißel (2008) stellten in ihren Untersuchungen mit KFZMechatronikern und Elektronikern fest, dass das mathematische Vorwissen mit Abstand die stärkste Prädiktionskraft hat. Sie weisen allerdings darauf hin, dass die berechneten Pfadmodelle durch die Testaufgaben selbst beeinflusst werden: So zeigte sich etwa bei Elektronikern, dass das mathematische Vorwissen auch noch einen direkten Einfluss auf die Ergebnisse des mathematiknahen Berufsfachwissenstests am Ausbildungsende hatte, während dies bei dem mathematikfernen Berufsfachwissenstests für KFZ-Mechatroniker nicht der Fall war. Analoge Untersuchungen für die Naturwissenschaften liegen bisher nicht vor. Übergänge von einem Bildungsabschnitt in den nächsten sind nachgewiesenermaßen kritische Momente im Bildungsverlauf. Dies gilt für den Wechsel von der Schule zur Universität ebenso wie für den von der Schule in die berufliche Erstausbildung. Die Entwicklung der Regularien und Vorgaben, die den einzelnen Bildungsabschnitten zu Grunde liegen, erfolgt größtenteils unabhängig voneinander. Mit der Festlegung von Standards ist für die Fächer Biologie und Chemie nun ein verbindlicher Bezugsrahmen dafür geschaffen worden, welche Kompetenzen ein Schüler nach Abschluss der Sekundarstufe I in der Regel in die berufliche Erstausbildung einbringen sollte. Ob die in den Standards festgelegten Kompetenzen tatsächlich für die berufliche Erstausbildung relevant sind und ob sie einen
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Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt
Prädiktor für den Erfolg in der Ausbildung darstellen, kann nur empirisch geprüft werden. Eine notwendige Voraussetzung für diese Überprüfung ist aber zunächst eine Analyse, ob und inwieweit die für die berufliche Erstausbildung geltenden Inhalte und Ziele überhaupt anschlussfähig an die in den fachlichen Bildungsstandards formulierten Kompetenzen sind. Dies soll für die Ausbildungsgänge Biologie- bzw. Chemielaborant im folgenden Abschnitt geschehen. Grundlage für diese Analyse bildet der Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Biologielaborant (vgl. Beschluss der KMK vom 13.01.2000) bzw. Chemielaborant (Beschluss der KMK vom 13.01.2000). Diese Rahmenlehrpläne bilden zugleich eine Basis für die Entwicklung von Items zur Erfassung des Entwicklungsverlaufs professioneller Kompetenz in diesen beiden Berufen ausgehend von den in der Schule erreichten fachlichen Kompetenzen in Biologie und Chemie (siehe Abschnitt 3 in diesem Kapitel sowie Lindmeier et al. in diesem Band) im oben beschriebenen ManKobE-Projekt. Die im Rahmenlehrplan für Biologie- bzw. Chemielaboranten festgelegten Ziele der Ausbildung sind auf die Entwicklung von Handlungskompetenz gerichtet. Hierunter wird die Bereitschaft und Fähigkeit des einzelnen verstanden, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten (vgl. KMK 2000a, S. 4). Diese Handlungskompetenz wird differenziert in Fachkompetenz, Personalund Sozialkompetenz (vgl. Tabelle 3). Diese wiederum werden als notwendige Voraussetzung für Methoden- und Lernkompetenz beschrieben. Fachkompetenz Bereitschaft und Fähigkeit, auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen.
Personalkompetenz Bereitschaft und Fähigkeit, als individuelle Persönlichkeit Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen in Familie, Beruf und öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken, zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Personale Eigenschaften: Selbständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein, Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte.
Sozialkompetenz Bereitschaft und Fähigkeit, soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten, Zuwendungen und Spannungen zu erfassen, zu verstehen sowie sich mit anderen rational und verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen. Hierzu gehört insbesondere auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität.
Tab. 3: Beschreibung von Fach -, Personal – und Sozialkompetenz als Facetten von Handlungskompetenz (nach KMK 2000a; KMK 2000b)
Kompetenz bezeichnet hier „den Lernerfolg in Bezug auf den einzelnen Lernenden und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln in beruflichen, ge-
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen bei Biologie- und Chemielaboranten 105
sellschaftlichen und privaten Situationen“ (KMK 2000a, S. 4). Dieser Kompetenzbegriff zeigt eine deutliche Nähe zu der oben zitierten Kompetenzbeschreibung von Weinert (2001). Die Handlungskompetenz, die hier in drei Facetten im Rahmenlehrplan definiert wird, entspricht eher der Beschreibung einer allgemeinen Kompetenz. Hinsichtlich der Anschlussfähigkeit der im schulischen Unterricht erreichten biologischen bzw. chemischen Kompetenzen ist die Facette der Fachkompetenz relevant. Diese drückt sich insbesondere in den Zielbeschreibungen der einzelnen Lernfelder im Rahmenlehrplan (LF) für die Biologie- bzw. für die Chemielaboranten aus (KMK 2000a, KMK 2000b). Daher werden im Folgenden nun die Zielformulierungen zu den Lernfeldern hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit an die in den Bildungsstandards festgelegten Kompetenzen bzw. Kompetenzbereiche exemplarisch untersucht. Für alle Lernfelder lässt sich feststellen, dass die Zielbeschreibungen an Kompetenzen der Bildungsstandards Biologie und Chemie anknüpfen. Es überwiegen Ziele, die einen Bezug zu dem Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung haben, hier insbesondere zu dem Aspekt Arbeitstechniken anwenden. Darüber hinaus sind vor allem die Methoden der Erkenntnisgewinnung wie Beobachten, Vergleichen und Untersuchen Ziele der Ausbildung. Diese Methoden werden bezogen auf konkrete biologische und biochemische Phänomene (z.B. zu LF 9: Die Schülerinnen und Schüler prüfen Wirkstoffe auf Wirksamkeit und Umweltverträglichkeit und protokollieren diese) bzw. chemische Phänomene (z.B. zu LF 10: Strukturaufklärung organischer Verbindungen durchführen) angewendet. Hierfür wiederum ist ein breites Fachwissen der Biologie bzw. Chemie notwendig. Mit Blick auf die Ausbildung zum Biolaboranten umfassen die in den Zielbeschreibungen angegebenen Aspekte, die das Fachwissen betreffen, zentrale biologische Systemebenen (von der Zelle über Gewebe, Organe, Organismen bis hin zum Ökosystem), erfordern ein Verständnis des Zusammenhangs von Struktur und Funktion oder von Entwicklungsprozessen (z.B. zu LF 8: Die Schülerinnen und Schüler können Blutbestandteile sowie tierisches und pflanzliches Gewebe identifizieren und den entsprechenden Organen zuordnen). Auch Kompetenzen aus dem Kompetenzbereich Kommunikation der Bildungsstandards werden hier weiter entwickelt (z.B. zu LF 7: Sie führen Dokumentationen nach geltenden Qualitätsregularien durch; zu LF 4: Sie setzen Rechner zur Messwertaufnahme, auswertung und -präsentation ein). Der Kompetenzbereich der Bewertung hat die geringste Relevanz, zu diesem werden kaum Ziele im geltenden Rahmenlehrplan formuliert. Ein ähnliches Bild ergibt der Rahmenlehrplan für die Chemielaboranten. Hier sind sowohl präparative (z.B. zu LF 6: Präparate unterschiedlicher Stoffklassen synthetisieren) als auch analytische Kenntnisse (z.B. zu LF 4: Stoffe fotometrisch und chromatografisch analysieren) notwendig. Dabei werden ebenfalls unterschiedliche Betrachtungsebenen (Stoff- und Teilchenebene, Formeldarstellungen) einbezogen. Auch Bezüge zu den Kompetenzbereichen Erkenntnisgewinnung (z.B. zu LF 5: Die Schülerinnen und Schüler setzen unter Berücksichtigung der jeweiligen Vorschriften zur Arbeitssicherheit, zum Gesundheits- und Umwelt-
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Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt
schutz geeignete Apparaturen für die Synthesen ein), Kommunikation (z.B. zu LF 3: Die Schülerinnen und Schüler nutzen unterschiedliche – auch fremdsprachliche – Informationsquellen) und Bewertung (z.B. zu LF 16: Sie werten die Ergebnisse mit Hilfe gültiger Regelwerke aus und schlagen geeignete Maßnahmen zur Schonung der Umwelt vor) lassen sich herstellen, wobei auch hier der Kompetenzbereich Bewertung mit der geringsten Relevanz heraussticht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass theoretisch, d.h. nach den Vorgaben für die Ausbildung von Biologie- bzw. Chemielaboranten, die mit dem Abschluss der Sekundarstufe I bei Schulabgängern in der Regel erworbenen Kompetenzen eine relevante Grundlage für die weitere, erfolgreiche Ausbildung bilden. Anders gewendet sollte daher die Qualität dieser Kompetenzen einen Effekt auf den Erfolg in der beruflichen Erstausbildung zeigen. Ein empirischer Beleg hierfür steht jedoch bisher für die Berufsausbildung von Biologie- und Chemielaboranten aus. Eine notwendige Voraussetzung für die Klärung der Frage, ob die in der Allgemeinbildenden Schule erworbenen allgemeinen mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen prädiktiv sind für die Ausbildung entsprechender berufsfeldbezogener und beruflicher Kompetenzen, ist die Entwicklung valider Instrumente zur Erfassung eben dieser zwei letztgenannten Kompetenzdimensionen (siehe auch die Beiträge Neumann et al. sowie Lindmeier et al. in diesem Band). 4. ERFASSUNG DER ENTWICKLUNG PROFESSIONSBEZOGENER UND PROFESSIONELLER KOMPETENZEN IM MANKOBEPROJEKT FÜR DIE AUSBILDUNGSGÄNGE BIOLOGIE- BZW. CHEMIELABORANT Im Rahmen der zunehmenden Fokussierung auf Bildungsziele und deren Konkretisierung in Bildungsstandards hat die Definition von Kompetenzen (Klieme & Leutner, 2006; Weinert, 2001) sowie die Entwicklung von Kompetenzmodellen in der deutschsprachigen pädagogisch-psychologischen und fachdidaktischen Forschung im Laufe der letzten Jahre einen zentralen Platz eingenommen (z.B. Klieme, Hartig, & Rauch, 2008; Klieme et al., 2010; Viering, Fischer, & Neumann, 2010) und zunehmend auch international Anschluss gefunden (vgl. Connell, Sheridan, & Gardner, 2003; Köller & Parchmann, 2012; Zilker et al., 2010). Kompetenzen wurden „als Systeme aus spezifischen, prinzipiell erlernbaren Fertigkeiten, Kenntnissen und metakognitiven Wissen definiert, die es erlauben, eine Reihe von Anforderungen in bestimmten Alltags-, Schul- und Arbeitsumgebungen zu bewältigen“ (Mayer, Grube, & Möller, 2008, S. 64). Die Erlernbarkeit und Domänenspezifität von Kompetenzen grenzt diese von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten ab (z.B. Thorndike & Hagen, 1971); somit sind Kompetenzen durch pädagogische Interventionen oder Bildungsprozesse beeinflussbar (Klieme & Leutner, 2006). Den meisten Forschungsarbeiten im Bereich der Kompetenzforschung liegt eine Fokussierung auf den kognitiven Aspekt von Kompetenzen zugrunde; Kompetenzen sind dann definiert als „kontextspezifische kognitive Leistungsdispositi-
Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen bei Biologie- und Chemielaboranten 107
onen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen im Sinne von spezifischen Lern- und Handlungsbereichen beziehen“ (Klieme & Leutner, 2006, S. 1, siehe auch Neumann et al. in diesem Band). Durch diese Fokussierung wird gewährleistet, dass Kompetenzen bei Lernenden durch die Güte von Aufgabenbearbeitungen beobachtbar sind (Fischer & Draxler, 2006) und sich effizient über Paper-Pencil-Tests erfassen lassen, wie dies zum Beispiel für die naturwissenschaftlichen Fächer gezeigt wurde (Kauertz et al., 2010). Die Rolle schulischer Kompetenzen für die erfolgreiche Einfädelung in die berufliche Erstausbildung ist lange Zeit über das Zusammenspiel von Abschlussnoten und Ausbildungserfolg (Noten in theoretischen und praktischen Prüfungen; vgl. z.B. Schuler, 2010) sowie den Zusammenhang zwischen erworbenem Schulabschluss und Wahl des Ausbildungsberufs (Baethge, Solga, & Wieck, 2007) untersucht worden. Die prädiktive Kraft von schulischen Abschlussnoten für Ausbildungserfolg belegt der Überblick bei Schuler (2010). Die Korrelationen zwischen Abschlussnoten in der Schule und Leistungen in den theoretischen Abschlussprüfungen der Berufsausbildung liegen im Spektrum von r = .30 bis r = .50 und deuten auf die Relevanz schulischer Leistungen für eine erfolgreiche berufliche Ausbildung hin. Die Grenzen dieser Untersuchungen liegen allerdings darin, dass nicht direkte Maße für die schulischen und beruflichen Kompetenzen verwendet wurden. Ein Ziel des ManKobE-Projekts ist es daher für die Ausbildungsberufe Biologie- bzw. Chemielaborant reliable und valide Testinstrumente zu entwickeln, mit denen es möglich ist, heraus zu finden, ob (und inwieweit) die schulisch erworbenen fachlichen Kompetenzen prädiktiv für den Ausbildungsverlauf bis zum Ausbildungsabschluss sind. Dies ist im Vergleich zu entsprechenden Untersuchungen in anderen Ausbildungsberufen (vgl. Geißel et al. sowie Seeber in diesem Band) eine größere Herausforderung, da für diese Ausbildungsberufe bisher kaum Forschungsergebnisse vorliegen, auf denen aufgebaut werden könnte. Mit diesem Beitrag sollte zunächst geprüft werden, ob unter der Voraussetzung der aktuellen, normativ gesetzten Vorgaben eine kohärente Entwicklung biologischer und chemischer Kompetenzen ausgehend von den in der Allgemeinbildenden Schule erworbenen hin zu den berufsfeldbezogenen und beruflichen Kompetenzen angenommen werden kann. Die Analyse der relevanten Curricula zeigt, dass theoretisch ein erfolgreicher Übergang geleistet werden kann. Inwieweit sich dies in der Praxis wiederfindet, bedarf der wissenschaftlichen Überprüfung (siehe auch Lindmeier et al. in diesem Band). LITERATUR Averweg, A., Schürg, U., Geißel, B., & Nickolaus, R. (2009). Förderungsbedarf im Bereich der Mathematik bei Berufsschülern im Berufsfeld Bautechnik. Die berufsbildende Schule, 61(1), 22–28. Baethge, M., Solga, H., & Wieck, M. (2007). Berufsbildung im Umbruch. Signale eines überfälligen Aufbruchs. Gutachten zur beruflichen Bildung in Deutschland im Auftrag der FriedrichEbert-Stiftung, Netzwerk-Bildung, Berlin.
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Ute Harms, Marc Eckhardt & Sascha Bernholt
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Teil 3: Kompetenzstrukturmodelle und Implikationen für die Analyse der Zusammenhänge zwischen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen
STRUKTURMODELLE ALLGEMEINER KOMPETENZ IN MATHEMATIK UND DEN NATURWISSENSCHAFTEN UND IMPLIKATIONEN FÜR DIE KOMPETENZENTWICKLUNG IM RAHMEN DER BERUFLICHEN AUSBILDUNG IN AUSGEWÄHLTEN KAUFMÄNNISCHEN UND GEWERBLICHTECHNISCHEN BERUFEN Knut Neumann, Maike Vollstedt, Anke Lindmeier, Sascha Bernholt, Marc Eckhardt, Ute Harms, Hendrik Härtig, Aiso Heinze & Ilka Parchmann KURZFASSUNG: Die Berufsausbildung soll Auszubildende mit den für die Ausübung ihres Berufes notwendigen Kompetenzen ausstatten. In ähnlicher Weise soll die allgemeinbildende Schule Schülerinnen und Schülern grundlegende Kompetenzen für weiteres Lernen z.B. im Rahmen der Berufsausbildung vermitteln. Dass der allgemeinbildenden Schule dies im Bereich mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen gelingt, wird gerade auch auf Basis der Befunde nationaler und internationaler Vergleichsstudien wie TIMSS oder PISA bezweifelt. Allerdings liegen bisher keine empirischen Untersuchungen vor, die detaillierte Erkenntnisse über die Entwicklung beruflicher Kompetenzen auf der Grundlage schulisch erworbener mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen bieten. Ausgehend von einer Gegenüberstellung der im Bereich der schulischen und beruflichen Bildung verwendeten Kompetenzdefinitionen werden in diesem Beitrag aktuelle Erkenntnisse zur Struktur mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen im allgemeinbildenden Bereich und entsprechenden Berufsausbildungen zusammengetragen. Darauf aufbauend ein Rahmenmodell für die Untersuchung der Entwicklung allgemeiner Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften sowie beruflicher Kompetenz im Verlauf der beruflichen Ausbildung begründet. ABSTRACT: In scope of vocational training trainees are expected to obtain the professional competences required in the respective vocation. Similarly, in school students are expected to obtain the competences required for further learning, for example in vocational training. Based on findings from large scale assessments such as TIMSS or PISA it has been questioned whether schools can actually meet this goal – in particular for mathematical and scientific competences. However, up to now, little is known about students’ progression in developing the required professional competences based on mathematical and scientific competences they have obtained at school. Based on a discussion of the different notions of competences utilized in professional education and general education research, this arti-
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cle discusses recent developments in the field of the structure of mathematical, scientific and professional competences. Finally, a theoretical framework for investigating the development of mathematical and scientific as well as professional competences in scope of vocational training is derived. 1. EINLEITUNG Ziel der Berufsausbildung ist es, die Auszubildenden auf die vielfältigen, veränderbaren Anforderungen des Berufslebens vorzubereiten (§1 BBiG). Dazu sollen die Auszubildenden berufliche Handlungskompetenz erwerben (Nickolaus 2011). Die Grundlage für den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz im Rahmen der Ausbildung soll die allgemeinbildende Schule schaffen: Sie soll die Schülerinnen und Schüler zu einer Ausbildungsreife führen (vgl. §4(3) SchG SH). Dass dies gelingt, wurde in Folge der Befunde internationaler Leistungsvergleichsstudien angezweifelt (Baumert u. a. 2001). Zur Sicherung der Qualität der schulischen Bildung u. a. als Voraussetzung für den Eintritt in die berufliche Ausbildung hat die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland daher im Jahr 2003 die Einführung von Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss beschlossen (Sekretariat der Ständigen Kultusministerkonferenz der Länder der Bundesrepublik Deutschland [KMK] 2003). Diese benennen für das jeweilige Fach, für das sie formuliert sind, die Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler mit dem Erreichen des Mittleren Schulabschlusses in der Regel erworben haben sollen. Der Erwerb dieser allgemeinen Kompetenzen in der Schule soll die Schülerinnen und Schüler für die weitere schulische und berufliche Ausbildung befähigen und damit den Grundstein für lebenslanges Lernen legen (ebd.). Die bisherige Forschung zur Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung zeigt, dass sich die Entwicklung beruflicher Kompetenzen neben allgemeinen kognitiven Dispositionen wie Intelligenz auch durch Kompetenzen vorhersagen lässt, die in der allgemeinbildenden Schule erworben werden, wie z. B. mathematische Kompetenz (u. a. Lehmann/Seeber 2007; Gschwendtner 2011; Nickolaus/Geißel/Abele/Nitzschke 2011; s. auch Geißel/Nickolaus/Ştefănică/Neumann/ Härtig in diesem Heft). Als Maße wurden dabei überwiegend globale Maße wie die Abschlussnote im entsprechenden Fach oder die Leistungen in einem spezifisch für die jeweilige Domäne – vornehmlich Mathematik – entwickelten Leistungstest zu Beginn der Berufsausbildung herangezogen. Eine differenzierte Erfassung der Kompetenz in einer Domäne findet sich eher selten (in Ansätzen z. B. bei Lehmann/Seeber 2007). Arbeiten, die die Entwicklung allgemeiner Kompetenzen im Verlauf der Berufsausbildung oder sogar den Zusammenhang zwischen der Entwicklung allgemeiner Kompetenzen und der Entwicklung beruflicher Kompetenzen untersuchen, liegen bisher nicht vor. Mit eben dieser Frage, wie sich allgemeine Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften beim Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung verändern und wie diese
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Veränderung mit der Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen zusammenhängt, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag. Den Rahmen dafür bildet die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Konzeptualisierungen des Begriffs Kompetenz im Bereich der allgemeinen und im Bereich der beruflichen Bildung. Ausgehend von der Auffassung, dass es sich bei der im Kontext allgemeiner Bildung verwendeten Konzeptualisierung im Prinzip um ein engeres Verständnis der in der beruflichen Bildung vorherrschenden Konzeptualisierung handelt, werden anschließend bestehende Modellierungen von Kompetenzstrukturen zusammengefasst: die Struktur allgemeiner Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften auf der einen Seite, sowie auf der anderen Seite die Struktur beruflicher Kompetenz für ausgewählte Berufe, für die sich mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenz als relevant erwiesen hat oder als relevant angenommen wird. Anschließend wird ein Rahmenmodell für die Untersuchung der Entwicklung allgemeiner Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften sowie beruflicher Kompetenz im Verlauf der beruflichen Ausbildung entwickelt. 2. KOMPETENZ IN DER ALLGEMEINEN UND DER BERUFLICHEN BILDUNG Das Konzept der Kompetenz ist im Bereich der beruflichen Bildung fest etabliert. Konstituierend ist dabei die Fähigkeit zu erfolgreichem Handeln in komplexen beruflichen Anforderungssituationen (Seeber/Nickolaus 2010). Bereits McClelland (1973) betont, dass klassische Maße wie z. B. Wissenstests nicht ausreichen, um erfolgreiches Handeln im Beruf vorherzusagen (vgl. Spencer/ McClelland/ Spencer 1994). Im Kontext der zunehmenden Bedeutung einer Handlungsorientierung in der beruflichen Bildung in den 90er Jahren etablierte sich in Deutschland der Begriff der Handlungskompetenz (Nickolaus 2011). Das diesem Begriff zugrundeliegende Verständnis geht auf Heinrich Roth zurück (Franke 2005). Roth (1971) versteht Kompetenz als die Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln. In diesem Sinne bezeichnet Kompetenz zunächst das Vorhandensein solcher Dispositionen, von denen angenommen wird, dass sie zur Bewältigung variabler Anforderungssituationen benötigt werden, oder die es zumindest erlauben, sich die zur Bewältigung notwendigen Dispositionen anzueignen (Seeber/Nickolaus 2010). Das schließt neben kognitiven Dispositionen auch affektiv-motivationale Aspekte einer umfassenden Handlungsfähigkeit ein (Nickolaus/Seeber im Druck). Charakteristisch für die Konzeptualisierung von Kompetenz in der beruflichen Bildung ist zudem die damit verbundene Selbstständigkeit des Individuums (Erpenbeck 2009). Erpenbeck (1997) betont, dass Kompetenz „im Unterschied zu anderen Konstrukten wie Können, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Qualifikation usw. die als Disposition vorhandene Selbstorganisationsfähigkeit des konkreten Individuums auf den Begriff“ (S. 312) bringt. Damit werden auch die mit der beruflichen Bildung verbundenen Ansprüche an die individuelle Entwicklung berücksichtigt, „bezogen auf berufliche Handlungsfelder häufig auch verbunden mit der Vorstel-
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lung der Entwicklung beruflicher und berufsübergreifender Gestaltungskompetenzen als Ausdruck beruflicher Mündigkeit.“ (Nickolaus/Seeber, im Druck, S. 4). Insgesamt werden unter dem Begriff der Handlungskompetenz also diejenigen Kompetenzen subsummiert, die zur erfolgreichen Bewältigung beruflicher Anforderungssituationen benötigt werden (vgl. Franke 2005). Welche Kompetenzen in spezifischen Anforderungssituationen benötigt werden, wird dabei üblicherweise ausgehend von der Performanz bestimmt (Erpenbeck 2009). Das heißt, prototypische Anforderungssituationen eines Berufs werden auf Performanzerfordernisse (d. h. die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten) und Performanzkriterien (d. h. in welchem Maße die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten angewandt werden müssen) analysiert (Franke 2005). Die Diagnose beruflicher Handlungskompetenzen erfolgt schließlich als Rückschluss von der Performanz in (idealerweise einer Vielzahl) verschiedener Anforderungssituationen auf die jeweilige Kompetenz. Mit Referenz auf Chomsky (1969) wird deshalb Kompetenz in Abgrenzung zur Performanz auch als „Tiefenstruktur des menschlichen Handelns“ bezeichnet (Gillen, 2004). Im Kontext des deutschen Allgemeinbildungssystems findet der Begriff Kompetenz erstmalig Erwähnung in einem Gutachten des Deutschen Bildungsrats (1974) zur Neuordnung der Sekundarstufe II. Interessanterweise sollte gerade durch dieses Gutachten eine Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung überwunden werden. Relevanz erhielt das Konzept der Kompetenz in der allgemeinen Bildung jedoch erst gut 25 Jahre später im Zuge der Einführung von Bildungsstandards zur Sicherung einer Grundbildung durch die allgemeinbildende Schule. Das den Bildungsstandards zugrundeliegende Verständnis geht zurück auf eine Definition von Weinert (2001), nach der Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (S. 27), sind. Derart konzeptualisiert drückt sich Kompetenz also vor allem in einer erfolgreichen Bearbeitung von Problemen in spezifischen Anforderungssituationen aus. Aus der Zusammenfassung spezifischer Anforderungssituationen zu einer Domäne ergibt sich, dass Kompetenz domänenspezifisch zu verstehen ist (Klieme u. a. 2003). In Folge der zunehmenden Bedeutung des Kompetenzbegriffs für die allgemeine Bildung stand in der empirischen Bildungsforschung vermehrt die Frage im Vordergrund, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb einer Domäne Kompetenz konstituieren. Dabei werden häufig Einschränkungen vorgenommen, die das komplexe Konstrukt Kompetenz einer empirischen Erfassung zugänglich machen sollen (vgl. Nickolaus/Seeber im Druck). Zum Beispiel schränken Klieme und Leutner (2006) den Kompetenzbegriff nach Weinert (2001) auf „kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen“ (S. 879), ein. Dadurch werden insbesondere die von Weinert (2001) explizit betonten motivationalen, volitionalen und sozialen Dispositionen ausgeschlossen. Klieme und Leutner (2006) zufol-
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ge ist diese Einschränkung jedoch eher pragmatischer Natur und dient der inhaltlichen Fokussierung des von den Autoren vertretenen Forschungsprogramms. Und obwohl diese Einschränkung auch in der Operationalisierung der Bildungsstandards zum Zweck ihrer Evaluation Anwendung findet (vgl. Kauertz u. a. 2010), ist sie eben genau das: Eine Einschränkung mit dem Ziel einfacherer Operationalisierbarkeit und keinesfalls eine Einschränkung des Kompetenzbegriffs wie er der Formulierung der Ziele allgemeiner Bildung zugrundeliegt.. Erpenbeck (2009) kontrastiert beide Konzeptualisierungen. Die Konzeptualisierung, die sich in der beruflichen Bildung entwickelt hat, bezeichnet er als Performanzrichtung, die, die sich im Bereich der schulischen Bildung etabliert hat, bezeichnet er als Kognitionsrichtung. Während Erpenbeck (2009) in der Performanzrichtung die Idee der Menschenbildung realisiert sieht, geht es ihm zufolge in der Kognitionsrichtung im Wesentlichen um Wissensbildung. Er betont als charakteristisches Element der Performanzrichtung, dass die Modellierung ausgehend von der Situation (und der Bestimmung welche Kompetenzen notwendig sind, um die jeweilige Situation erfolgreich zu bewältigen) erfolgt, während in der Kognitionsrichtung Kompetenzen als kontextspezifische kognitive Dispositionen verstanden werden, die strikt funktional auf die Bewältigung domänenspezifischer Situationen und Anforderungen bezogen sind (Erpenbeck 2009, S. 18). In der Performanzrichtung erkennt Erpenbeck (2009) eine Integration von Wissen, Qualifikationen und Handeln: „Die kognitiven Voraussetzungen von Kompetenzen werden für die Performanzrichtung erst dann und dort interessant, wo sie in personale, aktivitätsbezogene, sozialkommunikative oder auch fachlich-methodische Kompetenzen einfließen.“ (Erpenbeck 2009, S. 21). Ihm zufolge steht im Zentrum der Performanzrichtung die Frage, „ob und inwieweit solche Kompetenzen von einer Domäne zur anderen übertragbar sind, also eben nicht nur domänen- und kontextspezifisch zum Einsatz kommen.“ (Erpenbeck 2009, S. 18). Im Versuch, zugunsten der Performanzrichtung vor allem die Unterschiede zur Kognitionsrichtung herauszuarbeiten, unterlässt es Erpenbeck (2009), Gemeinsamkeiten oder zumindest eine Anschlussfähigkeit der unterschiedlichen Konzeptualisierungen zu diskutieren. Die jeweiligen Konzeptualisierungen haben sich schließlich in den jeweiligen Bereichen aus gutem Grund durchgesetzt: So kommt es im Beruf vor allem auf die Bewältigung spezifischer Anforderungssituationen an. Darauf muss die Berufsbildung vorbereiten. Es ist hier von besonderer Wichtigkeit, dass verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten zur erfolgreichen Bewältigung zusammengebracht werden können. Fehlende Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen sich von den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Idealfall selbstständig und eigenverantwortlich angeeignet werden (vgl. Erpenbeck 2009). Demgegenüber steht in der allgemeinen Bildung der Auftrag, im Wesentlichen Kompetenzen zu vermitteln, die ein lebenslanges Lernen ermöglichen. Das sind zunächst grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb einer Domäne, die es den Schülerinnen und Schülern erlauben, sich weitere Fähigkeiten und Fertigkeiten, z. B. neues Wissen, innerhalb der Domäne und angrenzender Domänen, zu erschließen. In diesem Sinne ist Kompetenzentwicklung nicht nur innerhalb der Domänen sondern über die Domänen hinweg dadurch gekennzeichnet, dass die Lernenden
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über eine zunehmende Zahl von Situationen hinweg in der Lage sind, die ihnen verfügbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten zur erfolgreichen Bewältigung von Problemen zu bündeln. Die von Erpenbeck (2009) als Charakteristikum beruflicher Kompetenz erkannte Domänenunabhängigkeit ist damit vielmehr ein zunehmend erkennbares Merkmal einer Kompetenzentwicklung über die Lebensspanne (vgl. Neumann/ Kauertz/ Lau/ Notarp/ Fischer 2007). Selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Lernen ist dabei in allen Stadien der Kompetenzentwicklung wünschenswert, aber auch für sich genommen eine Fähigkeit, die sich im Verlauf der Lebensspanne entwickelt. In diesem Sinne sind die Konzeptualisierungen von Kompetenz in der allgemeinen und beruflichen Bildung anschlussfähig zueinander, wobei Kompetenzen, wie sie in der allgemeinen Schule erworben werden, im Idealfall die Grundlage für die Entwicklung beruflicher Kompetenz bilden. Dabei könnte sich die allgemeinbildende Schule zunächst auf die Vermittlung spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, z. B. Wissen, beschränken und die Anwendbarkeit außen vor lassen. Diese Form des Lernens auf Vorrat scheint sich gerade nicht bewährt zu haben. Wie wäre sonst zu erklären, dass die Ausbildungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern trotz spezifischer Stärken im Bereich des Faktenwissens (vgl. Baumert u. a. 2001) häufig in Frage gestellt wird. Der wesentliche Unterschied scheint – durchaus in Kongruenz mit Erpenbecks (2009) Sichtweise – in der Domänenspezifizität zu liegen. Demnach wäre die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler beim Verlassen der allgemeinen Schule schlicht und ergreifend auf weniger Situationen beschränkt. Im Übergang sollten sie ihre Kompetenz auf neue Situationen ausdehnen und selbstverständlich auch neue Kompetenzen hinzugewinnen. Für die Untersuchung der Entwicklung beruflicher Kompetenz ist damit gleichermaßen die Frage interessant, in welcher Weise sich die bereits in der allgemeinbildenden Schule erworbenen Kompetenzen weiterentwickeln, als auch welche Kompetenzen hinzukommen. 3. STRUKTUREN ALLGEMEINER KOMPETENZ IN MATHEMATIK UND DEN NATURWISSENSCHAFTEN Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten Kompetenz in einer Domäne konstituieren, soll nach Klieme u. a. (2003) durch Kompetenzmodelle konkretisiert werden. Diese sollen die Kompetenzen in Kompetenzbereiche gliedern und darauf bezogen Ausprägungen von Kompetenz beschreiben (vgl. Schecker/Parchmann 2006). Damit definieren diese Modelle die Struktur der Kompetenz in einer Domäne; sie werden entsprechend auch häufig als Kompetenzstrukturmodelle bezeichnet. Im Gegensatz zum Bereich der beruflichen Bildung lassen sich im Bereich der allgemeinen Bildung die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Kompetenz konstituieren, nicht aus (späteren) Anforderungssituationen ableiten. Stattdessen werden Kompetenzstrukturmodelle in diesem Bereich üblicherweise normativ aus der Didaktik des jeweiligen Faches begründet und anschließend empirisch geprüft. Den Ausgangspunkt dafür bildeten die internationalen Leistungsvergleichsstudien, in deren Folge sich verstärkt mit der Frage der Bildungsziele, deren Operati-
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onalisierbarkeit und damit verbunden auch mit Kompetenzstrukturen in Mathematik und den Naturwissenschaften beschäftigt wurde. Ein Teil dieser Arbeiten floss in die Formulierung von Bildungsstandards ein, ein Teil entstand erst in Folge der Bildungsstandards. Die wesentlichen Konzeptionen und Erkenntnisse zu Kompetenzstrukturen in Mathematik und den Naturwissenschaften werden im Folgenden kurz dargestellt. 3.1. Mathematik Bezugnehmend auf eine theoretische Fundierung u. a. in den Arbeiten von Freudenthal (1983) und Winter (1995) bzw. auf die in den USA entwickelten Mathematikstandards des National Council of Teachers of Mathematics (2000) werden mathematische Kompetenzen üblicherweise in eine inhaltsbezogene Dimension und eine Dimension mathematikbezogener kognitiver Prozesse unterteilt. Je nach Konzeption beziehen sich die Modelle dabei unterschiedlich stark auf das schulische Curriculum bzw. auf eine Bewältigung von mathematikhaltigen Situationen im Alltag. Letztgenanntes steht insbesondere bei den Kompetenzmodellen im Vordergrund, die PISA (Organisation for Economic Cooperation and Development [OECD] 2003), den Bildungsstandards Mathematik (KMK 2004b) und dem Nationalen Bildungspanel NEPS zu Grunde liegen (Weinert/ Artelt/ Prenzel/ Senkbeil/ Ehmke/ Carstensen 2011). Die verschiedenen Kompetenzmodelle zeigen dementsprechend eine große Überschneidung in ihrer jeweiligen Struktur. Im Folgenden werden daher zunächst die unterschiedlichen Kompetenzmodelle vorgestellt und anschließend die inhärenten Ähnlichkeiten aufgezeigt. Empirisch validierte Kompetenzstrukturmodelle für die Sekundarstufe liegen (im Gegensatz zur Primarstufe, vgl. u. a. Grüßing 2002; Reiss 2004; Reiss/ Winkelmann 2009; Ufer/Reiss/Heinze 2009; Walther/ Geiser/ Langeheine/ Lobemeier 2004) in der Mathematik bisher lediglich zu einzelnen Facetten der Kompetenzmodelle vor. Den PISA-Studien liegt das Konzept der Mathematical Literacy zugrunde, das die Fähigkeit einer Person beschreibt, die Rolle der Mathematik in der Welt zu erkennen und zu verstehen und auf dieser Basis fundierte mathematische Urteile abzugeben. Darüber hinaus charakterisiert Mathematical Literacy die Fähigkeit, Mathematik als konstruktive, engagierte und reflektierte Bürgerinnen und Bürger im Leben anzuwenden (Blum/ Neubrand/ Ehmke/ Senkbeil/ Jordan/ Ulfig/ Carstensen 2004; OECD 2003). Dabei wird in der Mathematik bei der Lösung von Problemen unterschieden zwischen (1) den Kontexten oder Situationen, in denen die Probleme lokalisiert sind, (2) den mathematischen Inhalten, die genutzt werden, um die Probleme zu lösen, und (3) den Kompetenzen (kognitiven Prozessen), die aktiviert werden müssen, um die reale Welt zur Lösung der Probleme mit der Mathematik zu verknüpfen (OECD 2003). Auch die Bildungsstandards Mathematik für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004b) beschreiben mathematische Leitideen als inhaltsbezogene mathematische Kompetenzen sowie allgemeine mathematische Kompetenzen als mathematikbezogene kognitive Prozesse. Diese Kompetenzen sollen es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, die Welt mit
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mathematischen Augen zu sehen, also mathematische Grunderfahrungen wie die Wahrnehmung der sozialen und kulturellen Bedeutung von Mathematik sowie allgemeine Problemlösefähigkeit zu erwerben (ebd., vgl. auch Winter 1995). Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Rahmenkonzeptionen Mathematik in PISA und den Bildungsstandards Mathematik für den Mittleren Schulabschluss sehr ähnlich aufgebaut sind. In einer Untersuchung mit N = 9577 Schülerinnen und Schülern der 9. Klassenstufe konnten Hartig und Frey (2012) auch empirisch einen sehr hohen Zusammenhang zwischen der in PISA und der in den Bildungsstandards gemessenen mathematischen Kompetenz (r = .94) von Schülerinnen und Schülern nachweisen. Eine weitere Konzeption mathematischer Kompetenz wurde für das Nationale Bildungspanel NEPS entwickelt. Das Nationale Bildungspanel wurde mit dem Ziel gestartet, den Kompetenzerwerb über die Lebensspanne zu untersuchen, sowie Bildungsverläufe nachzuzeichnen. Dabei werden verschiedene Alterskohorten längsschnittlich untersucht (Blossfeld/von Maurice/Schneider 2011). Anders als bei PISA oder den Bildungsstandards dient das NEPS-Kompetenzmodell für Mathematik daher nicht der Entwicklung von Maßen für eine punktuelle, summative Kompetenzmessung, sondern es ist Grundlage für die Untersuchung der lebenslangen Entwicklung mathematischer Kompetenz. Um dennoch punktuell eine Anschlussfähigkeit mit den Bildungsstandards und PISA zu erreichen, schließt sich auch die Rahmenkonzeption von NEPS an die Untergliederung in inhaltliche und prozessbezogene Komponenten mathematischer Kompetenz an und vereint die Modelle von PISA und den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss in einer eigenen Rahmenkonzeption (vgl. Neumann/Duchhardt/Ehmke/Grüßing/ Heinze/Knopp eingereicht). Dementsprechend werden die inhaltlichen Bereiche unterteilt in Quantität, Veränderung und Beziehung, Raum und Form sowie Daten und Zufall. Die prozessbezogenen Komponenten untergliedern sich in Mathematisch kommunizieren, Mathematisch argumentieren, Modellieren, Darstellungen verwenden, Probleme mathematisch lösen sowie Technische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Auch wenn es eine deutliche Übereinstimmung mit den Kompetenzmodellen aus PISA und den Bildungsstandards gibt, so fokussiert die Operationalisierung für die verschiedenen Altersstufen auf die Entwicklung von Kompetenzen (ebd.). Insgesamt ist bei der Konstruktion des Kompetenzmodells Mathematik von NEPS eine Berücksichtigung lebenslangen, also über die Schule hinausgehenden Lernens intendiert, wobei jedoch auch eine curriculare Anschlussfähigkeit sichergestellt werden soll. Die empirische Prüfung der normativ angenommenen Strukturmodelle mathematischer Kompetenz steht aufgrund der Komplexität dieser Modelle erst am Anfang. Als diesbezüglich erste Schritte können Analysen zur empirischen Trennung verschiedener Komponenten angesehen werden. So wurden etwa im Rahmen von PISA korrelative Analysen von Subskalen durchgeführt, die jeweils Korrelation von .80 bis .95 zwischen unterschiedlichen inhaltsbezogenen Komponenten aufzeigten (z. B. Klieme/Neubrand/Lüdtke 2001; Blum u. a. 2004). Winkelmann und Robitzsch (2009) konnten für die Bildungsstandards Mathematik der Primarstufe zeigen, dass – vergleicht man die Güte verschiedener Modelle – so-
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wohl für die inhaltsbezogenen Leitideen als auch für die allgemeinen mathematischen Kompetenzen Mehrdimensionalität angenommen werden kann. In einer Folgestudie verglichen Winkelmann, Robitzsch, Stanat und Köller (2012) auf Basis von umfangreichen IQB-Datensätzen für die Primarstufe ein eindimensionales Modell mathematischer Kompetenz mit zwei mehrdimensionalen Modellen, die nach den fünf Leitideen bzw. nach den sechs allgemeinen mathematischen Kompetenzen strukturiert waren. Dabei stellte sich heraus, dass das Modell auf Basis der inhaltlichen Leitideen den anderen beiden Modellen überlegen war. Für die Schätzung eines elfdimensionalen Modells auf Basis von fünf inhaltsbezogenen und sechs allgemeinen mathematischen Kompetenzen konnte keine Konvergenz erreicht werden (ebd.). Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch für die Sekundarstufe. So wies Brunner (2006) in einer vertiefenden Analyse der Daten von PISA-E 2000 nach, dass ein vierdimensionales Modell nach mathematischen Stoffgebieten (hier: Algebra, Arithmetik, Geometrie und Stochastik) die vorliegenden Daten deutlich besser modelliert als ein dreidimensionales Modell nach mathematischen Fertigkeiten und Fähigkeiten (technische Fertigkeiten, rechnerisches Modellieren und begriffliches Modellieren) bzw. ein übergreifendes eindimensionales Modell. Die Untersuchung komplexerer Modelle – etwa im Sinne der Bildungsstandards für die Sekundarstufe – steht noch aus. Von Interesse ist dabei vor allem die empirisch zu prüfende Frage, ob eine Modellierung unter Berücksichtigung der mathematikbezogenen kognitiven Prozesse eine bessere Modellpassung aufweist als eine Strukturierung nur auf Basis der mathematischen Inhaltsbereiche. Dies ist insbesondere für die Betrachtung mathematischer Kompetenzen im beruflichen Bereich relevant, da es hier um eine Anwendung mathematischen Wissens in außermathematischen Kontexten geht, innermathematische Strukturen also ein weniger wichtiges Charakteristikum von Problemen sein dürften. 3.2. Naturwissenschaften Erste Ansätze zur Modellierung der Struktur naturwissenschaftlicher Kompetenz entstammen, ähnlich wie in der Mathematik, den großen internationalen Vergleichsstudien wie z. B. PISA. Dort wurde naturwissenschaftliche Kompetenz in Anlehnung an die Konzeption der Scientific Literacy nach Bybee (1997) in die Dimensionen naturwissenschaftliche Prozesse, naturwissenschaftliche Konzepte und Anwendungsbereiche gegliedert (Prenzel u. a. 2001). Bezogen auf eine Differenzierung der Dimension naturwissenschaftliche Prozesse durch vier prototypische naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen wurden jeweils getrennt fünf Kompetenzstufen beschrieben. Bei der Skalierung wurde naturwissenschaftliche Kompetenz jedoch als eindimensionales Konstrukt aufgefasst. Zudem erlaubte die geringe Zahl von Aufgaben im internationalen Test keine belastbare Zuordnung von Testleistungen zu den post hoc bestimmten Kompetenzstufen (ebd.). Im Rahmen der nationalen Ergänzungsstudie zu PISA 2000 wurde ein a priori entwickeltes Kompetenzmodell verwendet, das die Dimensionen Fach (Bio-
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logie, Chemie, Physik) und kognitive Anforderungen (Faktenwissen anwenden, Konvergentes Denken, Umgang mit Graphen, Umgang mit mentalen Modellen, Sachverhalte verbalisieren) unterscheidet (Senkbeil u. a. 2005). Die Untersuchung der Kompetenzstruktur auf Basis der Daten aus der nationalen Ergänzung ergab Korrelationen von r = .87 bis r = .90 zwischen den fachbezogenen Teilkompetenzen. Die Interkorrelationen zwischen den fachbezogenen Teilkompetenzen fallen damit höher aus, als die Korrelationen naturwissenschaftlicher Kompetenz mit mathematischer und Lesekompetenz. Für die Korrelationen zwischen den kognitiven Anforderungen ergaben sich Werte zwischen .65 und .87. Inwieweit eine Unterscheidung fachspezifischer Kompetenzbereiche angemessen ist, lässt sich damit nicht eindeutig feststellen (vgl. Prenzel u. a. 2001), insbesondere da sich im Vergleich unterschiedlicher Strukturmodelle die beste Passung auf die Daten für dasjenige Modell ergeben hat, das lediglich zwischen kognitiven Anforderungen im Sinne von Teilkompetenzen unterschied (Senkbeil u. a. 2005). Auf eine inhaltliche Beschreibung von Kompetenzstufen wurde in den Analysen der nationalen Ergänzung verzichtet. Aus fachdidaktischer Sicht sind Kompetenzstufen jedoch ein wesentliches Element bei der Beschreibung von Kompetenzstrukturen. Sie erlauben eine inhaltliche Charakterisierung dessen was Schülerinnen und Schüler bereits können und was sie noch lernen müssen (vgl. Neumann u. a. 2007). In der Folge wurde daher im Bereich der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken vermehrt an der Beschreibung von Stufen naturwissenschaftlicher Kompetenz gearbeitet. Den Rahmen für diese Arbeiten bildeten die 2005 veröffentlichten Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss in den naturwissenschaftlichen Fächern (KMK 2005a, 2005b, 2005c). Diese differenzieren jeweils die vier Kompetenzbereiche: Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung. Der Bereich Fachwissen bezieht sich dabei auf die Verfügbarkeit eines strukturierten Fachwissens auf der Grundlage fachspezifischer Basiskonzepte. Basiskonzepte sind zentrale Konzepte des jeweiligen Fachs, die den für die Sekundarstufe I relevanten Inhaltsbereich im Sinne von Leitideen strukturieren (vgl. Neumann/Fischer/Sumfleth 2008), und die es Schülerinnen und Schülern erlauben sollen, sich diesen Inhaltsbereich systematisch zu erschließen (vgl. Parchmann 2007). Der Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung umfasst Kompetenzen wie z. B. die Planung, Durchführung und Auswertungen von Untersuchungen. In den Kompetenzbereich Kommunikation fällt beispielsweise der sach- bzw. adressatengerechte Austausch von Informationen. Der Bereich Bewertung umfasst das „Bewerten und Einordnen von Aussagen, Beobachtungen, Erkenntnissen und Entscheidungsprozessen“ (Parchmann u. a. 2006, S. 126). Die Bildungsstandards verzichten auf eine explizite Beschreibung von Kompetenzstufen mit Verweis darauf, dass noch keine abgesicherten Erkenntnisse vorliegen, die eine Beschreibung von Kompetenzstufen erlauben würden (KMK 2005c). Stattdessen werden, bezogen auf die vier Kompetenzbereiche, jeweils drei Anforderungsbereiche beschrieben, wobei betont wird, dass es sich dabei nicht um Ausprägungen oder Stufen von Kompetenz handelt (ebd., S. 15).
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Ein erstes, ausgehend von den Bildungsstandards formuliertes Kompetenzstrukturmodell naturwissenschaftlicher Kompetenz wurde von Schecker und Parchmann (2006) vorgeschlagen. Die empirische Prüfung des Modells hat jedoch zentrale Annahmen des Modells nicht bestätigen können (vgl. Einhaus 2007; Schmidt 2008). Kauertz (2007) entwickelte parallel ein Strukturmodell für das Fachwissen in Physik. Dieses Modell unterscheidet die Dimensionen Leitidee, Kognitive Aktivität und Komplexität. Die Dimension Leitidee umfasst die in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss im Fach Physik benannten Basiskonzepte Energie, Wechselwirkung, System und Materie. Die Dimension Kognitive Aktivität besteht aus drei kognitiven Verarbeitungsstrategien beim Umgang mit Fachwissen: Erinnern, Strukturieren und Explorieren. Die Dimension Komplexität unterscheidet sechs hierarchisch geordnete Stufen der Komplexität des Fachwissens im Sinne von Kompetenzstufen: Ein Fakt, Mehrere Fakten, Ein Zusammenhang, Mehrere unverbundene Zusammenhänge, Mehrere verbundene Zusammenhänge, Übergeordnetes Konzept. Die empirische Untersuchung des Modells ergab unter anderem Korrelationen zwischen den Fähigkeiten der Personen in Bezug auf die Leitideen zwischen r = .18 und r = .37. Für die Korrelation zwischen Komplexität und Schwierigkeit der Aufgaben ergab sich ein Wert von ρ = .36. Entsprechend lässt sich der Umgang mit Fachwissen unter den gegebenen Leitideen als Teilkompetenzen und die Komplexitätsniveaus als Kompetenzstufen interpretieren (vgl. Kauertz 2007). Für die Chemie wurde ein ähnliches Modell von Bernholt, Parchmann und Commons (2009) vorgeschlagen. Dieses unterscheidet fünf hierarchisch geordnete Stufen der Komplexität des Fachwissens im Bereich: Unreflektiertes Erfahrungswissen, Faktenwissen, Prozessbeschreibungen, Lineare Kausalität und Multivariate Interdependenz. Bernholt u. a. (2009) gelang es für verschiedene Teilbereiche der Chemie zu zeigen, dass sich die Schwierigkeit der Aufgaben durch die ihnen theoretisch zugeschriebene Komplexität vorhersagen lässt, wobei je nach Inhaltsbereich (z. B. Verbrennungen oder Säuren und Basen) eine Varianzaufklärung bezüglich der Aufgabenschwierigkeit zwischen R² = .54 und R² = .57 erreicht werden konnte (vgl. Bernholt/Parchmann 2011). Weitere Arbeiten haben sich den Kompetenzbereichen Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung gewidmet. Mayer (2007) begründet ausgehend von den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss in Biologie ein Rahmenmodell für den Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung mit den drei Dimensionen Wissenschaftliche Arbeitstechniken (practical work), Wissenschaftliche Untersuchungen (scientific inquiry) und Charakteristika der Naturwissenschaften (nature of science). Er interpretiert diese Dimensionen als eigenständige Kompetenzen und bezeichnet sie in Anlehnung an kognitionspsychologische Konstrukte als Manuelle Fertigkeiten (practical skills), Wissenschaftliches Denken (scientific reasoning) und Wissenschaftsverständnis (epistemological views) (vgl. Kremer 2010). Für die Kompetenz Wissenschaftliches Denken entwickelt Mayer (2007) ein Strukturmodell mit den Teilkompetenzen Naturwissenschaftliche Fragen formulieren, Hypothesen generieren, Experimente planen sowie Daten analysieren/Schlussfolgerungen. Diese konnten empirisch als eigenständige Teilkompe-
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tenzen einer übergeordneten Kompetenz bestätigt werden (Grube/Möller/Mayer 2007). Mayer u. a. (2008) erweitern das Modell schließlich um die Beschreibung von Kompetenzstufen. Analog zu Kauertz (2007) werden die Kompetenzstufen über die Komplexität sowohl im Hinblick auf die Zahl der Variablen einer wissenschaftlichen Untersuchung wie auch die Beziehungen zwischen den Variablen beschrieben: Untersuchung eines Faktors, Untersuchung von Zusammenhängen, Kontrollierte Untersuchung auf Basis von Konzeptverständnis, Elaborierte Untersuchung allgemeiner Zusammenhänge und Selbständiges Lösen von offenen Problemen. Die empirische Prüfung dieses erweiterten Modells bestätigt sowohl die Teilkompetenzen wie eingeschränkt auch die Graduierung der Teilkompetenzen durch die postulierten Kompetenzstufen (Mayer u. a. 2008). Ein Strukturmodell für den Bereich Kommunizieren wurde von Kulgemeyer und Schecker (2012) theoretisch begründet und empirisch fundiert (vgl. auch Kulgemeyer/Schecker 2009; Kulgemeyer 2010). Das Modell umfasst drei Dimensionen: Perspektive, Aspekt und kognitiver Beiwert. Die Dimension Perspektive bezieht sich darauf, ob ein Kommunikator bei der Kommunikation eher eine sachoder eine adressatengerechte Perspektive bezüglich des zu kommunizierenden Inhalts einnimmt. Die Dimension Aspekt umfasst vier Aspekte der Kommunikation (Inhalt, Kontext, Form und Kode). Die Dimension Kognitiver Beiwert beschreibt bezogen auf die beiden anderen Dimensionen eine Graduierung von Kompetenz im Sinne von Kompetenzstufen (vgl. Kulgemeyer/Schecker 2010). Die empirische Validierung des Modells bestätigt klar die Unterscheidbarkeit der beiden Perspektiven im Sinne von Teilkompetenzen. Die Aspekte ließen sich nicht durchgehend voneinander unterscheiden und können dementsprechend zunächst nicht als Teilkompetenzen aufgefasst werden. Der kognitive Beiwert konnte als schwierigkeitsgenerierendes Merkmal der verwendeten Aufgaben identifiziert werden. Der dreistufige kognitive Beiwert kann zur Definition von Kompetenzstufen herangezogen werden. Für den Bereich der Bewertungskompetenz wurde ein Strukturmodell von Eggert und Bögeholz (2006) erarbeitet. Dieses umfasst vier Teilkompetenzen: Kennen und Verstehen nachhaltiger Entwicklung, Kennen und Verstehen von Werten und Normen, Generieren und Reflektieren von Sachinformation und Bewerten, Entscheiden und Reflektieren. Eggert und Bögeholz (ebd.) beschreiben bezogen auf diese Teilkompetenzen jeweils vier Kompetenzstufen von einem eher intuitiven Vorgehen unter Berücksichtigung einzelner Kriterien hin zu einem systematischen Vorgehen bei Berücksichtigung und unter Herstellen von Bezügen zwischen verschiedenen Kriterien. Auf Basis eines zur Operationalisierung der Teilkompetenz Bewerten, Entscheiden und Reflektieren und der darauf bezogenen Kompetenzstufen entwickelten Instruments gelang es Eggert und Bögeholz (2010) die postulierten Kompetenzstufen für die Teilkompetenz Bewerten, Entscheiden und Reflektieren empirisch zu bestätigen. Die beschriebenen Arbeiten flossen ausnahmslos in die Entwicklung und empirische Prüfung eines Strukturmodells naturwissenschaftlicher Kompetenz zur Normierung der Bildungsstandards im Rahmen des Projekts „Evaluation der Standards in den Naturwissenschaften für die Sekundarstufe I“ (ESNaS) ein.
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Abb. 1: Rahmenmodell naturwissenschaftlicher Kompetenz (Kauertz u. a. 2010).
Dieses Modell (vgl. Abbildung 1) unterscheidet die vier in den Bildungsstandards beschriebenen Kompetenzbereiche. In Anlehnung an die Arbeiten von Kauertz (2007) wurde eine Dimension Komplexität zur Beschreibung von Stufen naturwissenschaftlicher Kompetenz aufgenommen. Da sich bei Kauertz (2007) für die Kompetenzstufen Mehrere Fakten (2) und Mehrere unverbundene Zusammenhänge (4) eine hohe Streuung bei der Schwierigkeit der jeweiligen Aufgaben zeigte, weil die Zahl der Fakten bzw. unverbundenen Zusammenhänge auf diesen Stufen nicht begrenzt war, wurde die Stufe Mehrere Fakten durch die Stufe Zwei Fakten ersetzt und die Stufe Mehrere unverbundene Zusammenhänge und Mehrere verbundene Zusammenhänge zu einer Stufe Zwei Zusammenhänge zusammengefasst. Zudem wurde ebenfalls in Anlehnung an Kauertz (2007) eine Dimension Kognitive Prozesse mit in das Modell aufgenommen, für die ebenfalls angenommen wird, dass sie sich zur Graduierung von Kompetenzen eignet (vgl. Kauertz u. a. 2010). Da sich die Dimension Kognitive Aktivitäten bei Kauertz (2007) als nicht schwierigkeitserzeugend herausgestellt hat, wurde die Dimension Kognitive Prozesse theoretisch neu begründet. Diese kognitiven Prozesse werden im ESNaS-Modell in Anlehnung an gängige Informationsverarbeitungsstrategien als Reproduzieren, Selegieren, Organisieren und Integrieren bezeichnet. Damit wird im Wesentlichen das in den Bildungsstandards formulierte Modell abgebildet, wobei die Anforderungsbereiche aufgrund der vorliegenden empirischen Befunde sowie fachdidaktischer und kognitionspsychologischer Theorien in die beiden Dimensionen Komplexität und Kognitive Prozesse aufgespalten werden (Kauertz u. a. 2010; vgl. auch die Revision der Lernzieltaxonomie von Bloom 1965 nach Andersson u.a. 2001). Bestehende Arbeiten fanden vor allem Eingang in Form
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einer Ausdifferenzierung der Kompetenzbereiche. So wird der Kompetenzbereich Fachwissen (im ESNaS-Modell als Umgang mit Fachwissen bezeichnet, um den Kompetenzcharakter zu betonen) durch Basiskonzepte fachspezifisch strukturiert. Der Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung wird in Anlehnung an Mayer (2007) in die Teilbereiche Naturwissenschaftliche Untersuchungen, Naturwissenschaftliche Modellbildung und Wissenschaftstheoretische Reflexion gegliedert (vgl. Kauertz u. a. 2010). Die in den beschriebenen Arbeiten teilweise unterschiedlich ausgeführten Kompetenzstufen wurden auf die Dimensionen Kognitive Prozesse und Komplexität zurückgeführt. Erste Pilotierungen bestätigen die angenommene Struktur für den Kompetenzbereich Umgang mit Fachwissen (Kauertz u. a. 2010) und Erkenntnisgewinnung (Wellnitz u. a. im Druck). Inzwischen wurden auch die Kompetenzbereiche Bewerten und Kommunikation ausgehend von den beschriebenen Arbeiten ausdifferenziert (u. a. Hostenbach/Fischer/Kauertz/Mayer/ Sumfleth/Walpuski 2011). Empirische Befunde zu diesen Kompetenzbereichen stehen noch aus. 4. KOMPETENZSTRUKTUREN IN DER BERUFLICHEN BILDUNG In Anlehnung an die Konzeption von Kompetenz nach Roth (1971) wird berufliche Handlungskompetenz in der beruflichen Bildung häufig in die Teilkompetenzen Sachkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz gegliedert (Nickolaus 2011). In den letzten Jahren hat sich ausgehend von der Handreichung der Kultusministerkonferenz zur Erarbeitung von Rahmenlehrplänen für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit den Ausbildungsordnungen (KMK 2000) zunehmend auch die Gliederung in die Dimensionen Fach-, Personal-, und Sozialkompetenz durchgesetzt (Nickolaus 2011). Andere Konzeptionen sehen zusätzlich einen Bereich Methodenkompetenz vor (Reetz 1989; Baethge u. a. 2006; vgl. Nickolaus 2011). Kompetenz in den genannten Bereichen soll Auszubildende zur möglichst selbständigen und eigenverantwortlichen Bewältigung beruflicher Anforderungssituationen befähigen. Diese Anforderungssituationen und damit auch die Kompetenzen, die zur Bewältigung dieser Anforderungssituationen erforderlich sind, sind hochgradig vom jeweiligen Beruf abhängig. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Fachkompetenz. Entsprechend erfolgt die Modellierung der Strukturen beruflicher Kompetenz häufig zunächst bezogen auf die Fachkompetenz für spezifische Berufe oder Berufsgruppen (Nickolaus 2011). Im Folgenden werden daher bestehende Erkenntnisse zur Kompetenzstruktur für solche Berufsgruppen zusammengefasst, für die sich mathematische und/oder naturwissenschaftliche Kompetenzen als besonders prädiktiv erwiesen haben oder als besonders prädiktiv gelten können. Für die Mathematik sind dies Berufe im kaufmännischen Bereich, für die Biologie und Chemie der Bereich der Biologie- und Chemielaboranten und für die Physik der gesamte Bereich der gewerblich-technischen Berufe. Für die kaufmännische Bildung schlägt Winther (2010; vgl. auch Winther/Achtenhagen 2008, 2009) ein Strukturmodell für kaufmännische Kompetenz
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vor. Dieses Modell differenziert eine Inhalts- und eine Zugriffsebene (Winther/Achtenhagen 2009). Auf der Inhaltsebene wird zwischen den domänenverbundenen Kompetenzbereichen Economic Literacy (Verständnis von Texten und Bildern sowie quantitativen Werten und Verhältnissen in wirtschaftlichen Alltagskontexten) und Economic Numeracy (grundlegende mathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten im Kontext konkreter Unternehmensprozesse) sowie einem domänenspezifischen Kompetenzbereich unterschieden. Letzterer ergibt sich aus konkreten Geschäftsvorfällen, d. h. beruflichen Anforderungssituationen, für die sich arbeitsplatzspezifische Anforderungen, Handlungsspielräume und intendierte Zielsetzungen charakterisieren lassen (ebd.; vgl. Winther 2010). In Anlehnung an die kognitiven Prozesse, wie sie bei der Bearbeitung von Inhaltsbereichen vorrangig auftreten, werden auf der Zugriffsebene die folgenden Kompetenzen unterschieden (vgl. Winther/Achtenhagen 2009): Zunächst ist die konkrete Anforderungssituation in ein berufliches Problem zu übersetzen (interpretative competence). In einem zweiten Schritt muss das Problem durch die Aktivierung deklarativer (conceptual competence) und prozeduraler (procedural competence) Wissensbestände und kognitive Strukturen gelöst werden. Conceptual competence wird dabei als verstehensbasierte, procedural competence als handlungsbasierte Komponenten der beruflichen Handlungskompetenz aufgefasst. Es gelingt Winther und Achtenhagen (2009) diese Dimensionen beruflicher Kompetenz im kaufmännischen Bereich empirisch nachzuweisen. Eine weitere Ausdifferenzierung der Dimensionen wird nicht berichtet. Im Bereich der gewerblich-technischen Berufe liegen vor allem Erkenntnisse zur Struktur der Fachkompetenz von KFZ-Mechatronikerinnen und -Mechatronikern und im Bereich der Elektrotechnik – speziell für Elektronikerinnen und Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik – vor. Ein Rahmenmodell für die Fachkompetenz von KFZ-Mechatronikerinnen und -Mechatronikern beschreibt Gschwendtner (2010). Er unterscheidet zwischen der Psychologischen Dimension, dem Tätigkeitsbereich, Technologischen Gegenständen und Arbeitsmitteln. Die sich aus der Kombination dieser vier Dimensionen ergebende Kompetenzstruktur deckt die üblichen Anforderungssituationen, wie sie im Berufsalltag der KFZ-Mechatronikerinnen und -Mechatroniker vorkommen, ab. Die psychologische Dimension umfasst dabei das berufsfachliche Wissen, fachspezifische Problemlösefähigkeit, und Motorische Fähigkeiten. Die Tätigkeitsbereiche sind in Anlehnung an Becker (2009) entsprechend den typischen Tätigkeitsbereichen von KFZ-Mechatronikerinnen und -Mechatronikern als Standardservice, Diagnose, Reparatur und Zusatzinstallation bezeichnet. Die Dimension Technologische Gegenstände umfasst typische Komponenten eines Fahrzeugs wie z. B. den Motor. Arbeitsmittel entsprechen den gängigen Arbeitsmitteln wie etwa elektronischen Prüfmitteln. Gschwendtner, Geißel und Nickolaus (2010) berichten, dass sich zu Beginn der Ausbildung eine zweidimensionale Struktur des berufsfachlichen Wissens zeigt, die eine Dimension zur Fahrzeugelektrik und eine Dimension zur Fahrzeugmechanik aufweist. Im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres scheinen diese Teilkompetenzen jedoch zu einer zu verschmelzen (Gschwendtner 2010). Den Befunden von Gschwendtner (2010) zufolge scheint sich das berufsfachliche
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Wissen über die Zeit wieder auszudifferenzieren und zwar entsprechend den Gegenstandsbereichen, wobei die genaue Zahl der Dimensionen nicht ganz eindeutig zu bestimmen ist. Hinsichtlich der Vorhersage der Entwicklung des berufsfachlichen Wissens scheint vor allem das ausbildungsspezifische Vorwissen für die Entwicklung prädiktiv zu sein (Nickolaus 2010). Die fachspezifische Problemlösefähigkeit ließ sich in der zugrundeliegenden Untersuchung vom beruflichen Fachwissen empirisch unterscheiden (Nickolaus/Gschwendtner/Geißel 2008). Die Struktur der Problemlösefähigkeit wurde dabei aber nicht weiter aufgelöst. Die Struktur der Fachkompetenz von Elektronikerinnen und Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik analysieren Nickolaus, Geißel, Abele und Nitzschke (2010). Ausgehend von älteren Arbeiten, die für Elektronikerinnen und Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik eine ebenfalls zweidimensionale Struktur mit den Dimensionen Berufliches Fachwissen und Fachspezifische Problemlösefähigkeit gezeigt haben, setzen sich Nickolaus u. a. (2010) mit der Struktur des Fachwissens auseinander. Dabei lässt sich zunächst erneut die erwähnte zweidimensionale Struktur bestätigten. Analog zu den KFZ-Mechatronikerinnen und -Mechatronikern können Nickolaus u. a. (2010) zudem zeigen, dass sich das Fachwissen über die Ausbildung hinweg ausdifferenziert. Es ergeben sich zum Ende der Ausbildungszeit drei Teildimensionen: Traditionelle Installationstechnik, Elektrotechnische Grundlagen und Steuerungs-/Moderne Installationstechnik. Auch hier erweist sich das berufsspezifische Fachwissen als wesentlicher Prädiktor (vgl. Nickolaus u. a. 2010). Beim Vergleich der verschiedenen Berufsgruppen kommt Nickolaus (2011) zu dem Schluss, dass sich Fachkompetenz berufsübergreifend in die Subdimensionen Fachwissen (für Industriekaufleute: Verstehensbasierte Kompetenzen) und die Fähigkeit, das Fachwissen in variablen Problemsituationen anwenden zu können (für Industriekaufleute: Handlungsorientierte Kompetenzen), unterscheiden lässt (Tabelle 1, vgl. Nickolaus 2011). Im gewerblich-technischen Bereich wird Nickolaus (2011) zufolge häufig noch eine weitere Dimension angenommen, die manuelle Fähigkeiten repräsentiert. Diese hat sich aber empirisch bisher nicht absichern lassen (ebd.). Wie beschrieben ergeben sich für die Berufe im gewerblich-technischen Bereich zudem im Verlauf der Ausbildung Ausdifferenzierungsund Verschmelzungsprozesse hinsichtlich der Dimensionen des Fachwissens (Nickolaus u. a. 2010; Gschwendtner 2010; vgl. Nickolaus 2011). Inwieweit damit entsprechende Ausdifferenzierungsprozesse im Bereich der Fähigkeit, das entsprechende Fachwissen anzuwenden, einhergehen, ist offen (Nickolaus 2011).
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Dimensionen der Fachkompetenz am Ende der Ausbildung Fachspezifische Fachwissen Problemlösefähigkeit Steuerungstechnik/ Traditionelle InstalElektrotechnische Moderne Installatilationstechnik Grundlagen onstechnik Fachspezifische Fachwissen Problemlösefähigkeit KraftFahrMotormanagement/ übertraService Motor werk Beleuchtung gung HandlungsorienVerstehensorientierte Kompetenzen tierte Kompetenzen
Tab. 1: Struktur der Fachkompetenz für verschiedene Ausbildungsberufe nach Nickolaus (2011)
Während für die berufliche Ausbildung im kaufmännischen und gewerblichtechnischen Bereich bereits erste Erkenntnisse zu beruflichen Kompetenzstrukturen und teilweise sogar zu deren Entwicklung vorliegen, ist dies für biologie- bzw. chemiebezogene Berufe bisher nicht der Fall. Die für die berufliche Erstausbildung als Biologie- bzw. Chemielaborantin bzw. -laborant bedeutsame respektive erwartbare Struktur der Fachkompetenz lässt sich gegenwärtig allenfalls auf Basis der jeweiligen curricularen Vorgaben skizzieren. Die Rahmenlehrpläne für die berufliche Erstausbildung von Biologie- und Chemielaborantinnen bzw. laboranten zeigen, dass neben der epistemologischen Bedeutung des Experiments (epistemological views) und dem wissenschaftlichen Denken (scientific reasoning), vor allem auch die manuellen Fertigkeiten (practical skills, vgl. Mayer 2007) eine wichtige Rolle spielen. Hier stehen also primär methodische Kompetenzen im Vordergrund. Allerdings basieren diese Kompetenzen in Teilen stark auf der Verfügbarkeit entsprechenden Fachwissens im Bereich der Biologie bzw. Chemie. So erfordert die Kompetenz, Blutbestandteile sowie tierisches und pflanzliches Gewebe zu identifizieren und den entsprechenden Organen zuordnen zu können, entsprechendes Fachwissen in der Biologie. Und die fotometrische und chromatografische Analyse von Stoffen setzt entsprechende fachliche Kenntnisse in der Chemie voraus (vgl. Harms/Eckardt/Bernholt in diesem Band). Entsprechend ließe sich auch für diese Berufe eine Gliederung der Fachkompetenz nach verstehens- und handlungsorientierte Kompetenzen annehmen. Aufgrund der engen Verbundenheit der dargestellten Berufe mit Mathematik bzw. den Naturwissenschaften lässt sich vermuten, dass mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen prädiktiv für die Entwicklung der Kompetenz – insbesondere der Fach- und tlw. auch der Methodenkompetenz – in den jeweiligen Berufen sind. Im Bereich der gewerblich-technischen Berufe scheint insbesondere das berufs- bzw. ausbildungsspezifische Vorwissen relevant zu sein. Hier deutet sich an, dass nicht unbedingt mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenz an sich sondern, abhängig vom jeweiligen Beruf, spezifische (Teil-) Kompetenzen bis hin zu einzelnen Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Entwick-
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lung beruflicher Kompetenzen von Bedeutung sind. Gleichzeitig kann vermutet werden, dass berufliche Lerngelegenheiten umgekehrt auch einen Einfluss auf die Entwicklung von bestimmten Fähigkeiten und Fertigkeiten aus dem Bereich allgemeiner Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften haben. Im Folgenden letzten Abschnitt dieses Beitrags soll daher auf Basis der bisherigen Erkenntnisse ein Rahmenmodell für die Untersuchung der Kompetenzentwicklung im Verlauf der beruflichen Erstausbildung formuliert werden. 5. IMPLIKATIONEN FÜR DIE KOMPETENZENTWICKLUNG IN DER BERUFLICHEN AUSBILDUNG Bisherige Arbeiten zur Struktur der Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften deuten darauf hin, dass sich Fähigkeiten und Fertigkeiten in diesen Fächern domänenspezifisch zu einer übergeordneten Kompetenz zusammenfassen und gegen Kompetenz in anderen Domänen abgrenzen lassen. Wie oben gezeigt, weisen die Arbeiten gleichzeitig darauf hin, dass sich innerhalb einer Domäne auch Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne von Teilkompetenzen gruppieren lassen. Die bisherigen Erkenntnisse zu Kompetenzstrukturen im Bereich solcher Berufe, für die mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen als besonders prädiktiv angenommen werden können, lassen vermuten, dass sich im Bereich der berufs- bzw. ausbildungsspezifischen Fachkompetenz grundsätzlich zwischen berufsspezifischem Fachwissen (bzw. einer verstehensorientierten Kompetenz) und der Fähigkeit, dieses Fachwissen auch anwenden zu können (bzw. handlungsorientierten Kompetenzen), unterscheiden lässt. Für den gewerblich-technischen Bereich haben sich bereits Ausdifferenzierungs- und Verschmelzungsprozesse im Verlauf der Berufsausbildung beobachten lassen. Für den Bereich der KFZ-Mechatronik hat sich z. B. gezeigt, dass der zu Beginn der Ausbildung vorhandene Unterschied zwischen Wissen im Bereich der KFZ-Elektrik und -Mechanik am Ende des ersten Ausbildungsjahres nicht mehr nachweisbar ist. Dies kann, wie von Gschwendtner (2010) vermutet wird, in der Organisation der Ausbildung in Lernfelder begründet sein. Es bleibt jedoch die Frage offen, woraus sich die Trennung zu Beginn der Ausbildung ergibt. Eine Möglichkeit wäre hier, dass die Auszubildenden unterschiedliches Vorwissen in diesen Bereichen aus der Schule mitbringen, und dass diese Unterschiede im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres durch die Berufsausbildung kompensiert werden. Für die Berufe in denen Kompetenzen im Bereich Biologie und Chemie eine besondere Rolle spielen, zeigen sich deutliche Übereinstimmungen zwischen den Rahmenlehrplänen und den Bildungsstandards für die Fächer Biologie und Chemie – insbesondere für den Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung. Die für diese Berufe wesentlichen Fertigkeiten wie beispielsweise der sichere Umgang mit biologischchemischen Stoffen oder der sachgemäße Umgang mit Laborgeräten und materialien bauen auf Fertigkeiten auf, die bereits in der Schule erworbenen wurden. Ähnliches trifft auch für das Fachwissen in Biologie (zentrale biologische Systemebenen, Entwicklungsprozesse etc.) und Chemie (präparative und analyti-
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sche Stoffkenntnisse, Stoff-Teilchen-Konzept) zu (vgl. Harms/Eckardt/Bernholt in diesem Band). Eine weitere offene Frage ist bisher, inwieweit die berufliche Ausbildung umgekehrt zu einer Entwicklung allgemeinbildender mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen beiträgt. So wäre denkbar, dass durch die Ausbildung zur KFZ-Mechatronikerin/zum KFZ-Mechatroniker nicht nur das berufsspezifische Fachwissen kompensiert wird, sondern auch allgemeines Wissen im Bereich Mechanik oder Elektrizitätslehre bzw. zumindest Wissen erworben wird, das es den Auszubildenden erlauben würde, auch in Situationen, die nicht für ihren Beruf spezifisch sind, Probleme aus den Bereichen Mechanik bzw. Elektrizitätslehre zu lösen. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass sich die Weiterentwicklung allgemeinbildender mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen in Folge der beruflichen Ausbildung nicht nur darin ausdrückt, dass die Auszubildenden Aufgaben aus dem Bereich ihres Berufs oder allgemein aus dem Alltag mit höherer Wahrscheinlichkeit bewältigen, sondern auch darin, dass sie ihre allgemeinbildenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen zunehmend zur erfolgreichen Bewältigung von Anforderungssituationen in beruflichen Kontexten für die kein berufsspezifisches Wissen notwendig ist, nutzen können. So hat etwa Sträßer (1996) basierend auf Ergebnissen qualitativer Studien mit technischen Zeichnerinnen und Zeichnern herausgearbeitet, dass je nach beruflicher Anforderungssituation mathematische Begriffe und Verfahren mit Konzepten aus anderen Domänen kognitiv zu einem neuen Konzept „verschmelzen“ können (sog. „problemorientierte Konzeptintegration“, Sträßer 1996). Die mathematischen Aspekte der beruflichen Kompetenzen werden dabei subjektiv möglicherweise gar nicht mehr als mathematisch wahrgenommen. Ausgehend von Zielen der beruflichen Ausbildung lassen sich drei Klassen von Anforderungssituationen unterscheiden: (1) berufsfeldspezifische Anforderungssituationen, die die Anwendung beruflicher Kompetenzen erfordern, (2) berufsfeldspezifische Anforderungssituationen, die (ausschließlich) mit allgemeinbildenden mathematischen oder naturwissenschaftlichen Kompetenzen zu bewältigen sind und (3) Anforderungssituationen mit starker Ähnlichkeit zu Anforderungssituationen aus dem Alltag oder aus dem mathematischen bzw. naturwissenschaftlichen Unterricht, die mit Hilfe allgemeinbildender mathematischer oder naturwissenschaftlicher Kompetenzen zu lösen sind. Für die Untersuchung der Kompetenzentwicklung in der beruflichen Ausbildung lassen sich entsprechend drei übergeordnete Kompetenzdimensionen unterscheiden (vgl. Abbildung 2): (1) allgemeine mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen, (2) berufsfeldbezogene mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen und (3) berufliche Kompetenzen.
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Abb. 2: Zusammenhang zwischen den verschiedenen, für die Kompetenzentwicklung in der beruflichen Ausbildung relevanten Kompetenzdimensionen
Sollen Kompetenzentwicklungen in der beruflichen Ausbildung untersucht werden, so müssen die Kompetenzen von Auszubildenden in diesen Bereichen zu verschiedenen Zeitpunkten der Ausbildung getrennt erfasst werden. Damit kann sowohl untersucht werden, inwieweit sich allgemeinbildende von berufsfeldbezogenen Kompetenzen unterscheiden lassen, als auch, ob diese in beruflichen Kompetenzen aufgehen oder empirisch trennbar bleiben. Für die empirische Untersuchung der Kompetenzentwicklung in der beruflichen Ausbildung stellt sich die Frage nach der Erfassung der schulischen bzw. beruflichen Kompetenzen. Vorliegende Instrumente zur Erfassung schulisch erworbener mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen sind auf die Erfassung von Kompetenz in Alltags- und Lebensweltsituationen geprägt. Sie lassen kaum einen Rückschluss auf ausbildungsrelevantes aber dem Bereich der Allgemeinbildung zuzuweisendes Wissen zu. Instrumente zur Erfassung beruflicher Kompetenzen sind stark auf die Bewältigung beruflicher Handlungssituationen ausgerichtet. Sie erfordern fast durchgehend berufsspezifisches Fachwissen. Insofern lassen sie keine Diagnose berufsfeldspezifischer allgemeiner Kompetenz zu. Eine ausführlichere Diskussion dieser Problematik findet sich im Beitrag von Lindmeier u. a. (in diesem Heft). LITERATUR Anderson, L. W./Krathwohl, D. R./Airasian, P. W./Cruikshank, K. A./Mayer, R. E./Pintrich, P. R. u. a. (2001): A taxonomy for learning, teaching, and assessing: A revision of Bloom's taxonomy of educational objectives. New York: Longman. Baumert, J./Klieme, E./Neubrand, M./Prenzel, M./Schiefele, U./Schneider, W. u.a. (2001): PISA 2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske+Budrich. Becker, M. (2009): Kompetenzmodell zur Erfassung beruflicher Kompetenz im Berufsfeld Fahrzeugtechnik. In C. Fenzl/G. Spöttl/F. Howe/M. Becker (Hrsg.): Berufsarbeit von mor-gen in gewerblich-technischen Domänen. Bielefeld: Bertelsmann.
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ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN ALLGEMEINEN UND BERUFLICHEN KOMPETENZEN IN DER KAUFMÄNNISCHEN ERSTAUSBILDUNG Esther Winther, Julia Sangmeister & Ann Katrin Schade KURZFASSUNG: Im vorliegenden Beitrag werden erste Forschungsergebnisse vorgestellt, die – zunächst in einem theoretischen Zugriff – die Zusammenhänge zwischen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen aufzeigen. Die deskriptiven Überlegungen gehen dabei von einem integrativen Kompetenzmodell für die kaufmännische Berufsbildung aus, das die berufliche Kompetenz in domänenverbundene und domänenspezifische Kompetenzen strukturiert. Die zentrale Modellvorstellung ist, dass die domänenverbundene Kompetenz als Mittler zwischen allgemeiner und domänenspezifischer Kompetenz fungiert. Diese Mittlerfunktion wird am Beispiel mathematischer Kompetenzen im berufsbildenden Bereich illustriert. Hierzu werden zunächst exemplarisch ausgewählte Curricula kaufmännischer Ausbildungsberufe auf mathematische Inhalte hin untersucht und anschließend über Beispielaufgaben konkretisiert. Als Tertium Comparationis dienen – unter einer möglichen Adaptationsperspektive – die mathematischen Bildungsstandards. ABSTRACT: This article presents the results of the correlation between general and professional competences. The analysis is based on an integrative competence model for vocational education, which splits the professional competences into domain-linked and domain-specific competencies. Results show that the domainlinked competence functions as a mediator between general and professional competences. Moreover the article focuses on the question of how mathematical competences influence the vocational field. For this purpose, selected educational curricula from vocational professions are investigated exemplarily with respect to mathematical content. Furthermore, the mathematical educational standards of the general-education school system are studied referring to a possible future adaption of examples of concrete test results from the vocational sector. 1. VORBEMERKUNG
Die bisherigen Untersuchungen zum Einfluss von Input- und Prozessmerkmalen auf die berufliche Kompetenzentwicklung von Jugendlichen haben noch keine einheitliche Befundlage zu den Zusammenhängen zwischen allgemeinen Grund-
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Esther Winther, Julia Sangmeister & Ann Katrin Schade
qualifikationen, Kontextbedingungen der Ausbildung und spezifischen Qualitätsmerkmalen in den beiden Lernorten Berufsschule und Betrieb ergeben. Im Zentrum dieses Beitrages stehen Ausführungen zu konzeptionellen sowie ersten empirischen Erkenntnissen, die den Zusammenhang von allgemeinen und beruflichen Kompetenzen beschreiben. ULME III belegt beispielsweise für einzelne Berufe, dass mathematische und sprachliche Fähigkeiten als Prädiktoren für berufliche Kompetenzen angesehen werden können (Lehmann & Seeber, 2007). Winther (2010; Winther & Achtenhagen, 2008) konnte zeigen, dass mathematische und sprachliche Grundfähigkeiten in spezifischen beruflichen Situationen unterschiedlich bedeutsam werden. So ergibt sich ein Zusammenhang zwischen mathematischen Grundfähigkeiten und dem Kompetenzerwerb in mathematischakzentuierten beruflichen Anforderungssituationen wie etwa im Bereich des Controlling, nicht jedoch für Anforderungssituationen aus der allgemeinen Betriebswirtschaft. Weitere Prädiktoren des beruflichen Kompetenzerwerbs sind das metakognitive Wissen sowie selbstregulative Fähigkeiten. Der Anteil an Varianzaufklärung ist jedoch für die kaufmännischen Berufe eher gering (Seeber, 2008; Winther, 2006), so dass geschlussfolgert wird, dass dem Konzept der domänenverbundenen Kompetenz (als berufsbezogene Literalität) eine höhere prädiktive Kraft zugesprochen wird, als dies für allgemeine Leistungsdispositionen (Lesen, Schreiben, Rechnen) angenommen werden kann (u. a. Winther, 2006). Ziel des Beitrags ist es, ausgehend von einer Dokumentenanalyse mögliche inhaltsbezogene Beziehungen zwischen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen aufzuzeigen. Als Bezugsnorm wird auf ein Kompetenzmodell rekurriert, das als Mittler zwischen Bildungszielen und Aufgabenstellungen die Analyse stützt. Um berufliche und allgemeine Kompetenzen adäquat beschreiben zu können, wird auf die Systematik der allgemeinen Bildungsstandards für das Fach Mathematik zurückgegriffen. So gelingt es, am Beispiel einer Testaufgabe aus dem kaufmännischen Bereich, mathematisch-naturwissenschaftliche Anforderungen zu identifizieren. 2
KOMPETENZSTRUKTURMODELL FÜR DIE BERUFLICHE BILDUNG 2.1
Modellstrukturen
In der Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ werden Kompetenzmodelle als Mittler zwischen abstrakten (curricularen) Bildungszielen und konkreten Aufgabenstellungen definiert (Klieme, Avenarius, Blum, Döbrich, Gruber et al., 2003, S. 71), deren Ziel es ist, zu einer theoretischen Beschreibung der Struktur spezifischer Fähigkeiten und der Stufen ihres Erwerbs beizutragen (ebd., S. 65). Im Zentrum des Beitrages steht ganz in dieser Tradition ein Integriertes Kompetenzmodell, das allgemeine Kompetenzen und berufliche Kompetenzen gleichermaßen abbildet (vgl. Abbildung 1):
Allgemeine und berufliche Kompetenzen in der kaufmännischen Erstausbildung
141
Abb. 1: Integriertes Kompetenzmodell für die kaufmännische Berufsbildung (Quelle: Eigene Darstellung)
Das vorgeschlagene Kompetenzstrukturmodell verbindet in Anlehnung an Winther (2010) die Zielsetzungen der gesellschaftlichen Teilhabe mit denen der Employability und der professionellen Entwicklung im Rahmen der Berufsausübung. Das Konzept der gesellschaftlichen Teilhabe wird im Rahmen berufsbezogener Kompetenzerfassung über generische Kompetenz (Lesen, Schreiben, Rech-
142
Esther Winther, Julia Sangmeister & Ann Katrin Schade
nen, Problemlösen) sowie im weitesten Sinne über allgemeine Arbeitsfähigkeiten operationalisiert (). Employability, als berufsbezogene Beschäftigungsfähigkeit, ist hingegen im Kompetenzmodell vorrangig über das Konstrukt der domänenverbundenen Kompetenz abgebildet. Domänenverbundene Kompetenz greift Aspekte der ökonomischen Grundbildung auf und strukturiert diese über Literalitätsannahmen, wie sie auch in den vergleichenden Studien des allgemeinbildenden Bereichs zur Anwendung kommen (vgl. u. a. OECD, 2005). Professionelle Entwicklung beschreibt in Weiterführung des Employability-Ansatzes die durch Instruktions- und Lernprozesse in formalen Ausbildungsgängen erworbene kaufmännische Kompetenz. Dabei wird davon ausgegangen, dass mit zunehmender fachlicher Fähigkeit und Fertigkeit, Übergänge zwischen domänenverbundener Literalität und domänenspezifischer Professionalität beschrieben werden können und dass für die Ausprägung der domänenspezifischen Kompetenz (Professionalitätskonzept) vorrangig die domänenverbundene Kompetenz (Literalitäts-/ Numeralitätskonzept) als entscheidende Einflussgröße angenommen werden kann. Insgesamt wird erwartet, dass allgemeine Kompetenzen den Aufbau beruflicher Kompetenz unterstützen (1), wobei ein direkter Zusammenhang nur im Hinblick auf das Konzept der domänenverbundenen Kompetenz angenommen wird (2), während die domänenverbundene Kompetenz jedoch eng mit den Maßen der domänenspezifischen Kompetenz korreliert (3). Die einzelnen, im Modell abgebildeten Kompetenzbereiche unterscheiden sich in der Art wie Aufgaben erschlossen und bearbeitet werden und folglich auch in der Frage wie die Aufgaben für die Kompetenzbereiche konstruiert werden müssen. In diesem Zusammenhang wird zwischen einem Fachzugang und einem Handlungszugang unterschieden: Die Inhalte fachlogisch organisierter Items lassen sich entweder auf eine spezifische Fachstruktur beziehen (z. B. mathematische Inhalte für generische Kompetenz) oder es werden mit ihnen – im weitesten Sinne kontextfrei – allgemeine Heuristiken (allgemeine Problemlösefähigkeit) und generelle Arbeitsfähigkeiten erfasst. Handlungslogisch strukturierte Aufgaben werden hingegen in komplexe Arbeits- und Geschäftsprozesse eingebunden, so dass domänentypische, authentische Situationen handlungsleitend erschlossen und bearbeitet werden müssen. Die Situationen unterscheiden sich dabei in dem Grad des eingeforderten fach- bzw. domänenspezifischen Wissens; zur Bewältigung domänenverbundener Aufgaben werden Reorganisationen sprachlicher, mathematischer und technischer Fähigkeiten eingefordert, während domänenspezifische Aufgaben über den aktiven Zugriff auf situationsspezifische Wissens- und Handlungsbestände in der Domäne definiert werden und damit auf die funktionale Anwendung von verstehens- und handlungsbasierten Fähigkeiten in der kaufmännischen Domäne abzielen.
Allgemeine und berufliche Kompetenzen in der kaufmännischen Erstausbildung
2.2
143
Domänenverbundene Kompetenz als Mittler zwischen allgemeiner und beruflicher Kompetenz
Domänenverbundene Kompetenz operationalisiert sich – im Sinne kognitiver Pick-up-Schemata – über Dispositionen, die die Bewältigung von einzelnen Anforderungen in einer spezifischen Domäne unterstützen. Dies erfolgt über verfügbare Repräsentationen und/oder Verhaltensmuster, die sich zwar auf allgemeine Fähigkeiten beziehen lassen, aber konkret in spezifischen Berufsinhalten zum Tragen kommen (Gelman & Greeno, 1989). Für den Bereich der ökonomischen Numeralität bedeutet dies beispielsweise, dass zur Lösung einiger berufstypischer Anforderungssituationen primär allgemeine mathematische Kenntnisse und Fähigkeiten herangezogen werden können und dadurch mögliche erworbene berufliche Kompetenzen überlagert werden. Für die Abbildung domänenverbundener kaufmännischer Kompetenz im Sinne der Numeralitätsidee ist die Herausforderung vor allem darin zu sehen, domänentypische ökonomische Situationen so zu gestalten, dass sie nur mit Hilfe allgemeiner Reorganisationen sprachlicher, mathematischer und technischer Fähigkeiten gelöst werden könnten. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, zur Erfassung domänenverbundener Kompetenz auf die Literacy/Numeracy-Konzeptionen der internationalen Vergleichsstudien zurückzugreifen (domänenverbundene Kompetenz als Literalitäts-/ Numeralitätskonzept). Die Literacy/Numeracy-Konzeption abstrahiert von der Fachwissenschaft und bindet Anforderungssituationen an Kontexte und Anwendungen des Alltags. Hierdurch wird deutlich gemacht, dass nicht Kenntnisse und Fähigkeiten, wie sie traditionell in den Curricula definiert werden, im Vordergrund stehen, sondern dass es um die funktionale Anwendung von allgemeinen Kenntnissen in der kaufmännischen Domäne geht. Hierbei wird auf text- und bildsprachliche Kenntnisse (economic literacy), auf das Verständnis von quantitativen Werten und Verhältnissen (economic numeracy) sowie auf den Umgang mit domänentypischer Software (z. B. Office-Produkte; ICT literacy) fokussiert, wobei der zugrunde gelegte Kontext verschiedene kaufmännische Inhaltsbereiche auf Alltagsniveau erfasst. Die Abbildung domänenverbundener kaufmännischer Kompetenzen auf Basis von domänentypischen, authentischen Situationen ist aus mindestens zwei Perspektiven von Interesse: Zum einen ist die domänenverbundene Literalität als wesentliche Voraussetzung für den Erwerb domänenspezifischer Kompetenzen und deren Anwendung in beruflichen Kontexten zu sehen (u. a. Winther & Achtenhagen, 2008; domänenspezifische Kompetenz als Professionalitätskonzept). Zum anderen verweisen erste Befunde darauf, dass es mit zunehmendem Fachbezug in der domänentypischen Anforderungssituation und mit zunehmenden domänenspezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu einer Überlagerung allgemeiner mathematischer und sprachlicher Konzepte kommen kann, selbst wenn mit diesen eine effizientere Lösung für die Anforderungssituation gefunden werden könnte (Winther, 2010). Dieses Phänomen wird als problemorientierte Konzeptintegration beschrieben (u. a. Sträßer, 1996) und verweist darauf, dass je nach Anforderungssituation allgemeine Fähigkeiten mit fachlichen Konzepten kognitiv verschmelzen und der Anteil der allgemeinen Fähigkeiten zur
144
Esther Winther, Julia Sangmeister & Ann Katrin Schade
Lösung der Anforderungssituation nicht mehr bestimmt werden kann. In diesem Zusammenhang ist dann nicht auszuschließen, dass empirische Artefakte erzeugt werden, wenn die zu erbringenden domänenverbundenen Leistungen nur Teilleistungen im Hinblick auf die Bewältigung einer komplexen beruflichen Situation darstellen. 2.3
Zum Zusammenhang zwischen domänenverbundener und domänenspezifischer Kompetenz
Die Annahme einer problemorientierten Konzeptintegration stellt eine wesentliche Begründung für die erwartete enge Verbindung zwischen domänenverbundener Literalität/Numeralität und domänenspezifischer Professionalität dar. Es liegen erste empirische Erkenntnisse darüber vor, welche Zusammenhänge sich zwischen einem domänenspezifischen betriebswirtschaftlichen Wissen sowie einem domänenverbundenen Wissen ergeben, das einmal als ‘‘economic literacy’’, betriebswirtschaftliche Termini im alltäglichen Sprachgebrauch, und zum anderen als kaufmännisches Rechnen (economic numeracy) gefasst wurde (Winther, 2006; Winther & Achtenhagen, 2008). Dieses Vorgehen entspricht in hohem Maße der Direktive eines fächerverbindenden Unterrichts, wie er für den Bereich der beruflichen Bildung Standard ist. Zugleich wird hier auf Zusammenhänge abgestellt, die den beruflichen Alltag typischerweise charakterisieren. Unterstellt ist diesem wechselseitigen System von Domänenspezifität und Domänenverbundenheit die These, dass Auszubildende domänenspezifische Ergebnisse durch die Anwendung von domänenverbundenem Regelwissen erzielen. Verarbeitet wird in diesen Annahmen die curriculare und fachdidaktische Frage des Zugriffs auf die Struktur eines Lernbereichs. Hierbei wird explizit davon ausgegangen, dass in beruflichen Domänen unterschiedliche fachliche Zugriffe unumgänglich sind und als authentisch für die Festlegung der inneren Konsistenz anzusehen sind. Für den kaufmännisch-verwaltenden Bereich erweisen sich die domänenverbundenen Bereiche „economic literacy’’ (α = ,771; mittlere Trennschärfe = ,364; Schwierigkeitsindex = ,478) im Sinne eines allgemein ökonomischen Zusammenhangswissens/Orientierungswissens sowie die auf kaufmännische Fallbeispiele abgestellte „economic numeracy“ (α = ,785; mittlere Trennschärfe = ,384; Schwierigkeitsindex = ,406) im Sinne einer „mathematisierten“ Anwendung grundlegender Algorithmen vor dem Hintergrund domänenspezifischer Anforderungen als einflussreich für die Bewältigung domänenspezifischen Situationen. Abbildung 2 zeigt diese Zusammenhänge auf: Die Daten belegen für den Betriebswirtschaftslehreunterricht im Fachgymnasium Wirtschaft den Einfluss domänenverbundener Leistungsbereiche. Betrachtet man die einfachen Korrelationen für den Wissenszuwachs nach 40 Unterrichtsstunden, so stellt man signifikante Zusammenhänge für die Entwicklung der domänenspezifischen Leistungen fest; das trifft sowohl für die eher betriebswirtschaftlichen Leistungen als auch für die Leistungen im Bereich Rechnungswesen/Controlling zu (rBWL = 0,189***; rREWE = 0,177***).
Allgemeine und berufliche Kompetenzen in der kaufmännischen Erstausbildung
Vergleich zwischen Einfache Korrelation zwischen Vorwissensleistung und domänenspezifischer Lernleistung Partialkorrelation zwischen Vorwissensleistung und domänenspezifischer Lernleistung bei Auspartialisierung der Leistung im Bereich “economic literacy“ Partialkorrelation zwischen Vorwissensleistung und domänenspezifischer Lernleistung bei Auspartialisierung der Leistung im Bereich „economic numeracy“
145
domänenspezifische Leistungsbereiche Betriebswirtschaftliche Rechnungswesen/ Inhalte Controlling ,189***
,177***
,004
,154**
,198***
,066
Anmerkung: Korrelation nach Pearson; ***p