Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat [1 ed.] 9783428470426, 9783428070428


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Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat [1 ed.]
 9783428470426, 9783428070428

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WILFRIED BOTTKE

Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat

Schriften zum Prozess recht Band 98

Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat

Von

Prof. Dr. Wilfried Bottke

DUßcker & Humblot . Berliß

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Bottke, Wilfried: Materielle und fonnelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat / von Wilfried Bottke. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Prozessrecht; Bd. 98) ISBN 3-428-07042-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Gennany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-07042-9

Vorwort Die vorliegende Arbeit verbindet in essayhafter Form die Suche nach Kriterien ergebnisrichtiger Rechtsgewinnung mit der Frage nach der prozessualen Ausgestaltung und Verortung solcher Rechtsgewinnung. Die Arbeit entstand aus der Teilnahme an einem interdisziplinären Kolloquium, das unter dem Titel "Gerechtigkeit als zentrales Problem der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialethik" im Wintersemester 1989/90 an der Universität Augsburg veranstaltet wurde. Mein Dank gilt auch an dieser Stelle dem Inhaber des Lehrstuhles für Christliche Gesellschaftslehre, Herrn Professor Dr. Anton Rauscher, sowie dem Inhaber des Lehrstuhles für Volkswirtschaftslehre, Herrn Professor Dr. Heinz Lambert. Nicht minder herzlich danken möchte ich sodann allen anderen Teilnehmern an dem Kolloquium. Und schließlich seien auch bedankt die Mitarbeiter an meinem Lehrstuhl, insonderheit Frau Colleen Wunsch und Herr Markus Mayer, für die Erstellung des Typoskripts und der Register. Augsburg den 1. 10. 1990

Wilfried Bottke

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. MaterieUe Verfahrensgerechtigkeit der EinzelfaUentscheidung ...

13

I. Wahrheit des Werturteilsbasissatzes

13

11. Selektion bei der Aufstellung des Werturteilsbasissatzes

13

111. Die Vierheit von ,Norm', ,Regel', ,Fall' und ,Lebenssachverhalt' sowie die normgerechte Konstituierung des ,Falles'

14

IV. Methodengerechte Konstituierung der fallrelevanten ,Regel'

15

V. Erstes Zwischenergebnis ....... . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

B. Kriterien formeUer Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . .

33

I. Effektive Teilhabe als Chancen der Einflußnahme und Gegen-

wehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

c.

34

11. Zweites Zwischenergebnis ........ .

63

Verfahrensgerechtigkeit der Normensetzung

65

I. ,Wahrheit', normative ,Richtigkeit' und Konsens in einer Demo-

kratie

.....................................

65

11. Kriterien der Rechtsnormsetzung in demokratischen Rechtsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

Ill. Drittes Zwischenergebnis

77

D. Fazit und Ausblick

78

Literaturverzeichnis

80

Stichwortregister

87

Einleitung Das Stichwort ,Verfahrensgerechtigkeit'l bedarf, um in ein diskutables Thema eingehen zu können, der präzisierenden Ergänzung. Denn obschon Verfahrensgerechtigkeit allgemein mit der Angemessenheit oder Sachrichtigkeit des Vorgehens oder der Art und Weise einer Entscheidungsfindung gleichgesetzt werden mag2 , so wird dem Doppelwort ,Verfahrensgerechtigkeit' doch von keinen anerkannten Gebrauchsregeln jene Festdeutigkeit verliehen, die es zum paraten Begriffsträger werden ließe. Sicher, ein Strafrechtler wird qua professione bei ,Verfahrensgerechtigkeit' an den Strafprozeß und die Gerechtigkeit denken, die das geltende Recht den von einem Tatverdacht und seiner Aufklärung Betroffenen verspricht3 • Juristen anderer Rechtsgebiete werden bei ,Verfahrensgerechtigkeit' andere Verfahrensarten samt den in ihnen obwaltenden Besonderheiten in den Sinn kommen4 • Verfahrenstheoretiker, die 1 Die Literatur zur Verlahrensgerechtigkeit ist unüberschaubar. Vgl. nur die bibliographischen Angaben bei Alexy, Die Idee einer prozeduralen Theorie der juristischen Argumentation, in: Rechtstheorie, 1981, Beiheft 2, S. 177 ff.; Dörr, Faires Verfahren, 1984; Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1983; Habermas, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des Kommunikativen Handeins, 1984; Heubel, Der fair-trial- Ein Grundsatz des Strafverfahrens?, 1981; Arthur Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1989; Kern / Müller (Hrsg.), Gerechtigkeit, Diskurs oder Markt?, 1986; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969; Neumann, Materiale und prozedurale Gerechtigkeit im Strafverfahren, ZStW 101 (1989), S. 52 ff.; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975. 2 Nur wenig wird gewonnen, wenn formal exakter definiert würde, Verfahrensgerechtigkeit heiße der Inbegriff jener Regeln, die die Angemessenheit oder Sachrichtigkeit des Vorgehens oder der Art und Weise einer Entscheidungsfindung befördern. 3 V gl. dazu etwa Schreiber, Widersprüche und Brüche in heutigen Strafkonzeptionen, in: ZStW 94 (1982), S. 279 ff. 4 Vgl. etwa zur Gerechtigkeit des Zivilprozesses Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 157 ff.; Vollkommer, Der Anspruch der Parteien auf ein faires Verfahren im Zivilprozeß, in: Gedächtnisschrift für Bruns, 1980, S. 195 ff.

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Einleitung

der Rechtsprozeßlehre ein Mindestmaß an Wissenschaftlichkeit sichern wollen, werden nach Gemeinsamkeiten suchen und in ein System integrieren5 • Wer an den Methoden akzeptabler Gesetzgebung interessiert ist, mag sich des Procedere des Aufstellens rechtsverbindlicher Allsätze zu vergewissern wünschen, das mit seiner Gerechtigkeit die der lex ferenda, des zukünftigen Rechts und seiner Verhaltensregeln, befördert6 • Jeder, der Normensetzung und -applikation als werturteilen des Handeln begreift, das in einem Rechtsstaat allüberall der Iustitia verpflichtet ist?, wird sich von einer Explikation dessen, was Verfahrensgerechtigkeit (ver-)heißt, mehr als den Aufweis dezisionistischen Geschehens erhoffen; er wird sich von ,gerechten Verfahren' erwarten, daß sie die Akzeptabilität der an ihrem Ende stehenden Entscheide steigern, und Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit benannt wissen wollen, deren Beachtung und Realisierung Entscheidannahme legitimiert. Und rechtsphilosophisch Denkende werden darüber reflektieren, welche Regeln jenseits des positiven Rechts oder positivrechtlicher Bestätigung das Lösen von Konflikten zwischen verschiedenen Interessenträgern zu einem Verfahren erhebt, in dem die Konflikte nicht durch die realen Kräfteverhältnisse entschieden werden, sondern so, daß auch der Schwächere zu seinem Recht kommt8 . Um durch das Gestrüpp einander überwuchernder Vorverständnisse hindurchzufinden, sei dem, was einem Juristen ,Verfahrensgerechtigkeit' heißen kann, in drei Schritten nachgegangen. Erstens sei erörtert, welche Gebote ,materiell verfahrensgerechten' Handelns das juristische Urteilen über einen Einzelfall zu leiten beanspruchen (A). Zweitens sei diskutiert, welche Kriterien ,formeller 5 Zum "Systemcharakter" einer Wissenschaft vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 806. Vgl. dazu Lambert, Abhandlungen zum Systembegriff, in: Diemer (Hrsg.), System und Klassifikation, 1968, S. 161 ff. 6 Zur Gerechtigkeit des Gesetzgebungsverfahrens vgl. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, 1980, S. 45, S. 51 u. Ö. Aus der Rechtsprechung des BVerfG vgl. BVerfGE 6, S. 389 ff., S. 439; 25, S. 269 ff.; S. 286. 7 Vgl. Art. 20 III GG, § 35 I 2 BRRG. 8 Vgl. Joerden, Drei Ebenen des Denkens über Gerechtigkeit, in: ARSP 1988, S. 307 ff., 308.

Einleitung

11

Verfahrensgerechtigkeit' in rechtlich geregelten Verfahren sozialer Konfliktlösung bestehen (B). Und drittens sei bedacht, welche Momente der Verfahrensgerechtigkeit das Setzen von Rechtsnormen für eine unbestimmte Anzahl von Fällen leiten mögen (C). Dabei sei von vorneherein konzediert, daß die genannte Fragentrias das, was an Themen der Verfahrensgerechtigkeit in den Sinn kommen kann, weder zu erschöpfen beansprucht noch - trotz der Fokussierung der Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat - auf einen Punkt zu bringen sucht, von dem aus sich stringent dezidieren ließe, was Verfahrensgerechtigkeit jenseits einer bloß formalen Begriffsannäherung materiell sei. Verfahrensgerechtigkeit sei hier als normativer Typusbegriff für alle jene Entscheidakzeptabilität vermittelnden Regeln rechtlich geordneter sozialer Konfliktlösung gedeutet, für die wegen der objektiven Umstreitbarkeit der involvierten Wertfragen und des Versperrtseins eines direkten Zugriffs auf das, was in der konkreten Situation konfligierender Interessen objektiv gerecht ist, Feststellungsbedarf besteht; dabei wird von der Konfliktdezision erhofft, sie sei dank der Art und Weise ihres Zustandekommens protestabsorbierend9 , dürfe begründet Akzeptanz der Interessenträger erwarten und nehme so an dem Ziel jedes materiellen, den Menschen- und Bürgerrechten verpflichteten Rechtsstaats teil, das freiheitlich-friedliche Zusammenleben aller Mitglieder des Gemeinwesens und deren individuelle Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Der Inbegriff von Regeln, die die rechtsrichtige Rechtsgewinnung inner- oder außerhalb eines Prozesses ergebnisorientiert zu steuern beanspruchen, heiße materielle Verfahrensgerechtigkeit; materiell verfahrensgerecht zustandegekommen heißen der Entscheid eines Einzelfalles oder die Regelung unbestimmt vieler Sachverhalte, wenn der Entscheider oder Normsetzer die für sie jeweils verbindlichen Standards der juristischen Rechtsgewinnungslehre eines demokratischen Rechtstaats beachtet haben und insofern die Richtigkeit oder Vertretbarkeit des Ergebnisses verbürgt ist. Der Inbegriff von Regeln, die die prozessuale Gewinnung verbindlicher Entscheide 9

Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969.

12

Einleitung

zu steuern beanspruchen, heiße formelle Verfahrensgerechtigkeit; formell verfahrensgerecht zustandegekommen möge der Entscheid dann heißen, wenn die rechtliche geregelte und faktisch geübte Art und Weise seiner prozessualen Produktion den Wertmaßstäben einer rechtsstaatlichen Demokratie - ohne Bedachtnahme auf die Vertretbarkeit oder Richtigkeit des Ergebnisses - genügt. Solchem Verständnisvorschlag folgend, seien insbesondere jene Verfahren betrachtet, an denen staatliche Instanzen, ausgestattet mit der Rechtsmacht, autoritativ soziale Konflikte zu entscheiden, beteiligt sind. Verfahren, in denen Gesellschaftsmitglieder ihren Interessenwiderstreit autonom und konsensuell finden, seien ausgeklammert; consentibus non fit iniuria dicienda. Zugleich sei betont, daß die Suche nach Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit Elemente aufzeigen wird, die in der Rechtswirklichkeit nur mehr oder minder ausgeprägt vorhanden sind oder gar fehlen können 10 ; und so wie es generell leichter ist, Unrecht und Ungerechtigkeit zu markieren, als die einzig gerechte Konfliktlösung auszumachen ll , so wird es auch leichter sein, notwendige Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit zu benennen, als hinreichende darzutun.

10 Hierin zeigt sich der typologische Charakter vieler Rechtsbegriffe, vgl. Arthur Kaufmann, Beiträge zur Juristischen Hermeneutik, 1984. 11 Vgl. Noll (Hrsg.), Rechtsfindung, 1969.

A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung Um mit Elementen der materiellen Verfahrensgerechtigkeit zu beginnen, die in jeder Entscheidung eines Einzelfalles Beachtung erheischen: I. Wahrheit des Werturteilsbasissatzes

Jedes Werturteil über einen Einzelfall setzt, will es gerecht und d. h. zunächst: dem Sachverhalt gerecht werdend sein, voraus, daß es sachrichtig ist, will zumindest sagen, die werturteilsrelevante Datenbasis korrekt bestimmt hat. Verzeichnet das Werturteil in tatsächlicher Hinsicht die Realität, ist es falsch oder unwahr und in der Art und Weise seines Zustandekommens verfahrensungerecht. Dies gilt auch und insbesondere für juristische Werturteile; besagte etwa ein strafrechtliches Erkenntnis, der Bürger A habe wegen seiner Äußerung, alle Soldaten seien potentielle Mörder, eine Beleidigung begangen und deshalb eine Strafe zu erdulden, so wäre es schon dann falsch, wenn nicht A sondern B realiter diese Äußerung getan hätte 12 . 11. Selektion bei der Aufstellung des Werturteilsbasissatzes

Sieht man von der gleichsam seinswissenschaftlichen Problematik des Aufstellens deskriptiver Sätze der Art ,Der Sachverhalt X ist so und so' ab, so ist normatives Grundproblem jeder gerechten Bestimmung der Werturteilsbasis die Werturteils relevanz der zu 12 Zur Wahrheitsfinalität juristischer Entscheide vgl. Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 78 ff.

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A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

sammelnden und in die Basis des Werturteils einzufügenden Daten. Geböte das Gefüge präskriptiver Sätze, auf das hin die jeweilige Werturteils relevanz zu beziehen ist, zu viel an Datensammlung, so würde es unter dem Druck, in angemessener Zeit einen Sachverhalt zu definieren und be- sowie abzuurteilen, zerbrechen oder unbeachtet bleiben; Lebensvorgänge und Geschehnisse wären, sollten sie in ihrer vollen Wahrheit ungeschmälert abgebildet werden, viel zu komplex, um als Werturteilsbasis zu taugen. Eben deshalb haben normative Urteile über Sachverhalte die Eigenart, selektiv zu verfahren und aus den abundanten Merkmalen einzelne herauszugreifen; kommt es etwa nach langjährigem Auseinanderleben und qualvollem Dauerzerwürfnis beim Abschluß eines ,letzten Aussöhnungsversuchs' zu einern gescheiterten Konflikttötungsversuch, so sind im Gegensatz zum mißlungenen Tötungsakt nach den hier relevanzbestimmenden Strafrechtsnormen weder die gesamte Vorgeschichte noch das vielleicht von Reue getragene Nachtatverhalten für das Strafbegründungsurteil, der Angeklagte habe in vorwerfbarer Weise einen anderen Menschen zu töten versucht, entscheidungsbedeutsam . 111. Die Vierheit von ,Norm', ,Regel', ,Fall' und ,Lebenssachverhalt' sowie die normgerechte Konstitutierung des ,Falles'

Auf den ersten Blick müssen die Maßstäbe, die den Prozeß der Selektion urteilsrelevanter Daten steuern, dem Urteilenden schon zur Hand sein, wenn er mit der Sachverhaltsanalyse beginnt. Re vera konstituiert der Urteiler aber in und mit seiner Fachsprache nicht nur den zu beurteilenden ,Fall', indern er seinen Blick von dem alltagssprachlich gefaßten ,Lebenssachverhalt' (A lebte mit B unglücklich zusammen ... A würgte B, die bewußtlos wurde. B wurde gerettet) zur rechtssprachlichen ,Norm' (wer einen Menschen zu töten versucht ... §§ 212, 22 StGB) hin und her wandern läßt. Er schafft auch erst die fallrelevanten ,Regeln', indem er die rechts-(gesetzes- oder präjudizien-)sprachliche abstrakte ,Norm' fachsprachlich interpretiert und mit Blick auf den ,Lebenssachver-

IV. Methodengerechte Konstituierung der fallrelevanten ,Regel'

15

halt' und ,Fall' zur applikationsfähigen ,Regel' aufbereitet. Wer so reden will, mag den Prozeß des Einanderannäherns von weitem ,Lebenssachverhalt' und abstrakter ,Norm' oder abstrakten Normengesamt als hermeneutische Spirale kennzeichnen, in der dem Urteilenden der ,Lebenssachverhalt' zum konkreten ,Fall' und die abstrakte(n) rechtssprachliche(n) ,Norm(en)' zur fachsprachlich interpretierten, auf den Fall anwendbaren ,Regel' wird; erst im Moment der Subsumtion des - verglichen mit dem ,wahrheitsvollen' Lebenssachverhalt - ,verengten' Falles unter die Regel als konkretisierte Norm ist diese und mit ihr die Regel ,fertig', ,zur Hand' . ,Verfahrensgerecht' verfährt der Urteiler, so sei gemutmaßt, wenn er sich dieser hermeneutischen Grundstruktur des Werdens und Aneinandernäherns von Sachverhalt, Fall, Regel und Norm bewußt ist und im Wege denkenden Gehorsams dem Lebenssachverhalt und der Norm gerecht wird 13 • IV. Methodengerechte Konstituierung der faUrelevanten ,Regel' 1. Kontinentaleuropäische Juristen, deren Fall-Urteilen an die von einem demokratisch legitimierten Organ erlassenen Normen gebunden ist, finden die zu konkretisierende Norm typischerweise in den förmlichen Gesetzen als Ausdruck des von jedem Bürger theoretisch in gleicher Weise beeinflußbaren allgemeinen Willens. Gerichtsentscheide binden, wenn sie rechtskräftig geworden, d. h. nicht mit Rechtsmitteln mehr anfechtbar sind, jenseits des § 31 BVerfGG und hier nicht weiter zu diskutierenden Vorlagevorschriften 14 nur die Beteiligten dieses Prozesses und deren Rechtsnachfolger, nicht hingegen unbeteiligte Dritte. Juristen des common law entnehmen die zu konkretisierende Norm auch gerichtlichen Vorentscheiden, die bei hinreichender Fallähnlichkeit trotz ihrer schon theoretischen Unbeeinflußbarkeit auch für Prozeßunbeteiligte zugunsten der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle zu relevanten Präjudizien werden. 13 Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl., 1983, Kap. III. 14 Vgl. z. B. § 12111 GVG.

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A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

2. Das Verfahren, in dem die abstrakte Rechtsnorm - sei es eine der lex scripta, sei es eine solche des Gewohnheits- oder Richterrechts - zur fachsprachlich konkretisierten und auf den Fall anwendbaren Regel wird, muß methodengerecht voranschreiten, d. h.: die Interpretationsstandards befolgen, die rechtsverbindlich gelten; wären der Prozeß der Normkonkretisierung rechtlich frei und der Richter oder das Exekutivorgan demzufolge befugt, nach ihrem interpretatorischen Belieben die fallrelevante Entscheidungsregel zu konstituieren, wären Rechtsgewinnung und Rechtsanwendung der Kadi- und Verwaltungswillkür preisgegeben. a) Um einer willkürlichen Normkonkretisierung zu begegnen, bindet die deutschsprachige juristische Methodenlehre Judikative und Exekutive an den objektiven ,Sinn und Zweck' einer Gesetzesvorschrift, dem es sich methodenpluralistisch durch grammatische, historische, systematische und teleologische Auslegung zu nähern gelte 15 • Skeptiker erkennen in solcher Aufzählung keine löbliche Methodenvielfalt, sondern Methodensynkretismus 16 • Wohlmeinende sprechen der juristischen Interpretationsrealität topischen Charakter zu, in der sich im Abwägen der Gesichtspunkte das Sachrichtige durchsetze 17 • Phänomenologen und Existenzialontologen sehen in dem Bemühen des Juristen, judizgeleitet offen auf den Normtext zuzugehen und teleologisch seinen objektiv-aktualen Sinn für den hic et nunc gegebenen Lebenssachverhalt zu entfalten, eine exemplarische Leistung, die aller Hermeneutik notwendig aufgegeben sei: nämlich Sinngehalte in die jeweilige Gegenwart zu vermitteln 18 • Sieht man dies so, kann prinzipiell der Prozeß der Normkonkretisierung im angelsächsischen case law nicht anders struk15 Zur juristischen Methodenlehre vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl., 1983; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 1981. 16 "Methodensynkretismus" heißt das Verschmelzen der Auslegungsschritte zu einem ungeordneten Topoiganzen, vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, Fn. 80 m. w. N. 17 Grundlegend Vieh weg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl. 1974. 18 Gadamer, Wahrheit und Methode, 4. Aufl. 1975, S. 311 ff.

IV. Methodengerechte Konstituierung der fallrelevanten ,Regel'

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turiert sein, mag man auch z. B. statt von eindeutigem Wortlaut von ,plain meaning' und (in bezug auf die Applikation von ,statutes') statt von historischer Regelungsabsieht von ,original intent' sprechen; allemal bleibt es bei der Aufgabe, fallbezogen den Sinn und Zweck einer Norm interpretatorisch festzulegen, der über den normgeberisch bedachten oder bedenkbaren hinausgeht 19 , Vorentscheide als ,rule'-stiftende ,precedents' zu erkennen oder die Regel nach ,careful distinction' und ,poliey consideration' dort zu konstituieren, ,where the law is not settled yet'. b) Unter dem Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit, verstanden als Postulat größtmöglicher Willkürfreiheit des Prozesses der Rechtsgewinnung, vermag der derzeitige Stand der juristischen Methodenlehre kaum zu befriedigen. Denn indem sie der teleologischen Auslegung im Wettstreit ergebnisdivergierender Auslegungsschritte stets den Vorrang zubilligt20 , ohne aufzuzeigen, in welcher nachvollziehbaren Weise der fallrelevante Sinn der Norm zu konstituieren sei und irrige Vorverständnisse zu eliminieren seien, gibt sie statt Mittel methodischer Kontrolle nur das Ziel jeder Auslegung an, die keine Unterlegung sein will. Zudem weist sie einseitig dem Interpreten trotz dessen Gesetzesgebundenheit und der Rechtssetzungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers die Definitionshoheit über die ratio legis zu, die die ideologische Behauptung, der Gesetzestext sei in semantischer Autonomie klüger als sein Autor, nur verschleiert, nieht aber legitimiert und zugunsten der Freiheitsbelange und Interessen der rechtsspruchunterworfenen Konfliktparteien begrenzt. 3. Es bleibt daher Aufgabe jeder juristischen Einzelfallentscheidlehre, die Belange derjenigen mitzubedenken, deren Interessen durch staatliche Normkonkretisierung und verbindliche Fallbewertung betroffen sind. Formell ist, dies sei zum zweiten Fragekreis (B) vorweggreifend schon hier gesagt, die Teilhabe der Betroffenen an den staatlichen Verfahren sozialer Konfliktlösung je nach der 19 Zur richterlichen Rechtsgewinnung im common law vgl. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 4. Auf!. 1990. 20 Vgl. BGH NJW 1973, 2035.

2 Bottke

18

A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

Eigenart des Konfliktes zu entwickeln und zu sichern. Materiell geht es darum, die Norm so interpretatorisch zu konkretisieren, daß der Auslegungsvorgang möglichst methodisch kontrolliert und - wenn nicht en detail, so doch in seinem wesentlichen Ablauf und Ergebnis - für seine Adressaten nachvollziehbar und akzeptabel wird; die herkömmlichen Auslegungsschritte sind zu präzisieren und für den Fall ihrer Ergebnisdivergenz in eine Rangordnung zu bringen, die aus den staatstheoretischen Prämissen und Wertentscheiden einer rechtsstaatlichen Demokratie normativ ableitbar ist. a) Dabei sei davon ausgegangen, daß im Gesamtprozeß sinnschöpfender Normapplikation der heuristische Vorgang des judizgeleiteten AufsteIlens VOn Sinnhypothesen keiner methodischen Kontrolle zugänglich ist; Mutmaßungen über den fallrelevanten Sinn und Zweck einer Norm und über den gerechten Konfliktentscheid durch sinnadäquate Normapplikation sind - mögen sie auch in intuitiver Gewißheit gefunden und für richtig gehalten sein - divinatorisch. Schon deshalb sind aufgestellte Interpretationshypothesen einer kritischen Geltungsprüfung zu unterwerfen, erst recht dann, wenn sie ergebnis- und fallentscheiddivergierend ausfallen. b) Grundsätzlich stellt die Wissenschaftstheorie der Jurisprudenz als Verfahren maximaler Hypothesenkritik nur die der empirischen Forschung und Logik bereit; auch wenn es hiernach nicht möglich ist, Sollenssätze in ihrem Geltungsanspruch zu begründen, so ist es doch möglich, Hypothesen über den Inhalt und die Konsequenzen von als verbindlich unterstellten Normtexten und Normbefehlen kritisch zu diskutieren 21 . Allerdings sind die Ressourcen des Rechts und der Rechtsgewinnung begrenzt; den staatlichen Organen, die Lebenssachverhalte normgeleitet zu entscheiden haben, stehen weder die Zeit noch die Mittel zur Verfügung, die eine wissenschaftliche Diskussion aller Hypothesen über den Norminhalt und die Folgen einer Norman21 Vgl. statt aller: Albert, Das Werturteilsproblem im Lichte der logischen Analyse, in: Gäfgen (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, 1966, S. 25 ff.; Albert, Wertfreiheit als methodisches Prinzip, in: Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, 1972, S. 181 ff.

IV. Methodengerechte Konstituierung der fallrelevanten ,Regel'

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wendung erforderte. Ein Rechtsstaat verbürgt, daß Recht in angemessener Zeit dem Betroffenen administriert oder gesprochen wird; er überfordert die hierzu Berufenen im Interesse ,realistischer' alsbaldiger Rechtsgewährung nicht und gestattet, das Verfahren der Interpretation bei hinreichend plausibel begründeten Norminhaltshypothesen abzubrechen. c) Um die herkömmlichen Deutungsschritte wissenschaftsnäher auszugestalten und für eine kritische Diskussion aufzubereiten: aa) Was die grammatische Auslegung angeht, so gestattet dem Interpreten die Kenntnis der Allgemeinsprache, der der Normgeber die rechtssprachlichen Ausdrücke entlehnt hat, Hypothesen über den im Moment der Normapplikation sprachlich möglichen Anwendungsspielraum aufzustellen. Hinter der Rede vom ,Wortlaut' gesetzessprachlicher Ausdrücke, wie sie von Juristen meist geübt wird, verbirgt sich der heuristisch intuitive Zugriff auf einen Anwendungsspielraum, der theoretisch fixierbar und kontrollierbarer Aufhellung zugänglich ist22 • Denn er ist nicht notwendig mit der ,zukunftsoffenen' Menge aller je nur denkbaren oder erdeutbaren Gebrauchsfälle normsprachlicher Begriffsträger identisch, sondern auf die im Zeitpunkt der Normapplikation ,schon gegebenen Gebrauchsfälle' beziehbar. Akzeptiert man dies, so ist trotz aller Vagheit, Porösität und Diffusität der natürlichen Sprachen, in denen die leges scriptae formuliert sind, die Bedeutung rechtssprachlicher Normtatbestandsmerkmale als Summe ihrer (sei es auch nur allgemeinsprachlich) hic et nunc schon ereigneten Anwendungsfälle definierbar; Hypothesen über den sprachlich hier und jetzt schon möglichen interpretenunabhängigen Sinn eines bedeutungsfraglichen Normausdrucks sind dann mit den Mitteln deskriptiver Semantik in ihrem empirischen Wahrheitsanspruch überprüfbar23 • Geht es etwa darum, in Fällen politisch intendierter Sitzstreiks vor den Toren von Militäranlagen den Blockadeeffekt auf seine Subsumierbarkeit unter das Merkmal ,Gewalt' des Nötigungstatbe22 Vgl. dazu Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, 1929; RabIes, Rechtsregeln und Spielregeln, 1987, S. 122 u. ö. 23 Vgl. Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, 1929.

2'

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A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

standes (§ 240 I StGB) zu untersuchen, so ist dartubar, daß die deutsche Sprache schon vorstrafrechtlich zwischen Gewalt und Gewalttätigkeit unterscheiden und von passiver sowie struktureller Gewalt reden läßt, die über effekthafte Machtausübung auf andere hinaus kein aktives oder gar aggressives Verhalten fordert; Gewalt hat inne und übt über andere auch aus, wer weder verwerflich handelt noch gewalttätig ist 24 • Ist rechtssprachlich zu beantworten, ob ein HIV-Infizierter, der mit einem risikoblinden Partner sekretintromittierenden Intimverkehr hat, unmittelbar dazu ansetzt, einen Menschen ,zu töten', so ist klär- und kritisierbar, ob und wie in der Allgemeinsprache die bedeutungsfraglichen Ausdrucksträger der §§ 22, 212 StGB gebraucht werden; anders als dem Wort ,Totschlag', das einen in ferner Zukunft liegenden Todeseintritt kaum einschließt, erfaßt ,tötet' auch Geschehnisse, die nicht aktual-handgreiflich zu einem Lebensverlust führen 25 • bb) Mit empirischem Wahrheits anspruch sind auch die Hypothesen historischer Auslegung diskutierbar. Zwar ist die Maxime romantischer Hermeneutik, der Interpret habe den subjektiven Willen des Gesetzgebers, des Normtextautors, im Wege psychologischen Einfühlens zu verstehen und nachzuzeichnen, mannigfachen Einwänden ausgesetzt; Nachfühlen liefert allenfalls Mutmaßungen über ein autoriales Verständnis. Theoretisch rekonstruierbar sind hingegen explizite Hinweise der entscheidungsprägenden relevanten Mehrheit in demokratisch legitimierten Parlamenten, wie sie sich etwa in den Beratungs- und Begründungsmaterialien über den legislatorischen Sinn eines Normmerkmals oder die ratio legis finden lassen. Neben expliziten sind auch implizite Sinnzuweise denkVgl. dazu BVerfGE 73, S. 206 ff. Vgl. zur Problematik Bottke, Strafrechtliche Probleme von AIDS und der AIDS-Bekämpfung, in: Schünemann / Pfeiffer, Die Rechtsprobleme von AIDS, 1988, S. 171 ff.; Bottke, Die Immission infektiösen Ejakulats bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwischen HIV-Infizierten und minderjährigen Jugendlichen, in: AIFO 1988, S. 628 ff.; Bottke, Transmission of the AIDS Virus as a Criminal Law Problem, in: AIFO 1989, S. 152 ff.; Bottke, Rechtsfragen beim ungeschützten Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten, in: AIFO 1989, S. 468 ff. 24 25

IV. Methodengerechte Konstituierung der fallrelevanten ,Regel'

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bar. So läßt sich der Bedeutungsspielraum, den die im Zeitpunkt des Gesetzgebungserlasses gegebene Summe von Gebrauchsfällen legislatorisch benützter Normausdrücke absteckt, als historischer Sprachgebrauch begreifen, den die ausschlaggebende Gesetzgebungsmehrheit - wenn nicht aktuell mitbedachte - so doch sinn prägend mitbedenken konnte. Geht es etwa um die Auslegung des Merkmals ,Gewalt', so ist erörterbar, ob das legislatorische Sinnverständnis aufgrund eines kargeren historischen Sprachgebrauchs nur die Entfaltung körperlicher Kraft meinte. Da im Jahre des Inkrafttretens des RStGB elektrische Energie nicht als wegnehmbare Sache begreifbar war, umgriff das implizite legislatorische Sinnverständnis eines Diebstahls als Wegnahme körperlicher, handgreiflicher Gegenstände mangels hinreichender Familienähnlichkeit nicht die unbefugte Entziehung ungreifbarer elektrischer Energie26 • cc) Den hermeneutischen Kanon der ,Ganzheit und Einheit' bemüht die juristische Methodenlehre mit dem Verlangen nach systematischer Auslegung, die in der Rechtsordnung ein in sich stimmiges übersummatives Ganzes sieht, das mehr sei als die Addition seiner auf das Ganze hin zu interpretierenden Teile. Qualifizierte man solche Schau als spekulative Istbehauptung, bliebe die Einsicht, daß Normen und Normmerkmale Wortfolgen und Wörter sind, die Begriffe tragen, deren Bedeutungen durch ihre Kontexte geprägt sind. Kontextelemente sind neben der jeweiligen Redesituation und deren Verständnishorizont die das bedeutungsfragliche Normmerkmal umgebenden ,Normwörter' , Rechtsprinzipien und regulativen Leitideen, darunter auch die Vorstellung einer in sich stimmigen Werteordnung. Die Jurisprudenz konstitutionell verfaßter Rechtssysteme erkennt daher z. B. nicht nur Auslegungsregeln wie ,lex posterior derogat legi priori' an. Sie hält auch zu verfassungskonformer Interpretation einfachgesetzlicher Vorschriften an und ergänzt diese Maxime im Falle verfassungsrechtlicher Souveränitätsrelativierung (Art. 25 GG) durch das Gebot völkerrechtsfreundlicher Deutung27 . 26

Vgl. nummehr § 248 c StGB.

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A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

Wegen der Armut an hinreichend vielen Begriffsträgern, die natürlichen Sprachen eigen ist und an der die natürlichsprachlich formulierten Rechtssprachen teilhaben, ist es denkbar und notwendig, mit Homonymen zu rechnen und z. B. den Ausdruck ,Schuld' trotz gleicher Phonem- und Graphemgestalt je nach rechtssprachlichem Kontext zu spezifizieren; Schuld i. S. des § 241 BGB meint etwas anderes als in § 20 StGB; Schuld im Sinne der Strafbegründung ist mit sittlicher Schuld nicht (voll)identisch. dd) Freilich ist die Crux systematischer Auslegung nicht zu übersehen - ihr Einmünden in das Aufzeigen verschiedener Elemente des Kontextes, die wegen seiner Offenheit überreich als Topoi im Interpretationsprozeß fungieren; nicht Armut, sondern Überfülle an diskutierbedürftigen Gesichtspunkten erschwert die Konstitution der fallrelevanten Regeln. Erst recht verschärft sich die Aufgabe, den dezisionistischen Charakter der Rechtsgewinnung wenigstens bei der Normenapplikation zu mindern, auf ihrer 4. Stufe28 , der sog. teleologischen Auslegung. Denn wissenschaftsnah können allenfalls der Sachgehalt eines juristischen Werturteils und die Folge einer Normapplikation analysiert werden, ohne im entscheidungsnotwendigen Detail hinreichen zu müssen; für eine teleologische Interpretation, die ihren Blick starr auf das Ziel jeder Deutung, Sinn zu finden, gerichtet hält und ihre Grenzen ausblendet, ist topische Argumentation auf der Suche nach einer konsensfähigen plausiblen Interpretation der Tatbestandsseite einer Norm unausweichlich und bei konditionalen, also kein Rechtsfolgeermessen kennenden Rechtsnormen (z. B. § 211 StGB) allein fallentscheidend. d) Um so wichtiger ist, potentiell ergebnisdivergierende Auslegungsschritte vor jeder Einzelfallentscheidung in eine Rangordnung 27 Freilich ist diese Deutung umstritten, vgl. Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 91 f. 28 Vgl. Schünemann, Die vier Stufen der Rechtsgewinnung, unveröff. Habilitationsschrift, 1974; Schünemann, Methodologische Prolegomena im Besonderen Teil des Strafrechts, in: Festschr. f. Bockelmann, 1980, S. 177.

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einzubringen, die die Fundamentalwerturteile demokratischer Rechtsstaaten in eine Hierarchie der Auslegungsschritte umsetzt. aa) Soweit es um die Auslegung von Motivationsnormen geht, ist schon auf Grund des ihnen eigenen Regelungsgehalts, der intendierten Orientierungsleistung, auf den Verständnishorizont des angesprochenen Adressatenkreises Bedacht zu nehmen. Wenden sich Normen z. B. an Großunternehmer, die unfriendly take over versuchen, müssen sie nicht für jedermann schon aufgrund gemeinsprachlicher Kompetenz in ihren Regelungsinhalten zugänglich sein, um Orientierung zu ermöglichen, sondern können allein für jene Adressaten verständliche Termini verwenden; selbst strafrechtliche Annexmaterie- oder Sonderpflichtdelikte können ,eigenjargonartig' formuliert sein, ohne disfunktional zu wirken. Hingegen ginge es nicht an, Deliktstatbestände staatlichen Strafrechts, die sich an jedermann wenden, etwa in der Ursprache des codex iuris canonici zu formulieren. Zwar richten sich die Vorschriften des allgemeinen ius criminale et poenale unmittelbar nur an die Organe des staatlichen Deliktsverfolgungsapparates, denen sie Verfolgungskompetenzen in bezug auf kriminalisierte Devianz zusprechen; im Hinblick auf diesen besonders schulbaren Adressatenkreis könnten sie auch fremdsprachlich oder esoterisch gefaßt sein. Indem derartige Strafrechtsnormen aber unrechtes Verhalten mit Strafbarkeitsrisiken belegen, schließen sie sich an vorstrafrechtliche Motivationsnormen an, die jedermann entsprechende Handelns-, Unterlassungs- und/oder Duldenspflichten auferlegen. aaa) Um die Möglichkeit, sich vor dem inkriminierten Verhalten über die rechtlichen Verhaltensgebote zu unterrichten, sicherzustellen, gilt im Bereich des Störer- und Deliktsrechts allgemein, daß Normmerkmale, die in die an jedermann gerichteten Verhaltensbefehle eingehen, umgangssprachlich zu formulieren und umgangssprachkonform zu interpretieren sind. Verbietet etwa - wie § 353 d Nr. 3 StGB - das positive Recht nur die Veröffentlichung von Anklageschriften ,im Wortlaut', so ist es unstatthaft, die massenmediale Veröffentlichung in indirekter Rede wegen ihrer raffinierten und das Anonymitätsinteresse eines Beschuldigten erheblich und vermehrt gefährdenden Begehungsweise interpretatorisch zu krimi-

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A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

nalisieren - mag dies auch der legislatorischen ratio legis zuwiderlaufen29 und wegen seiner axiologischen Unsinnigkeit Gutmeinenden ein ,Ärgernis'3o sein. Mit anderen Worten: Unter ergebnisdivergierenden Interpretationshypothesen kommt einer grammatischen oder ,literalen', die den allgemeinsprachlichen Gebrauch eines bedeutungsfraglichen, der Normalsprache entlehnten Ausdrucks offenlegt, dann sinnzuweislimitierende Wirkung zu, wenn es sich um ein Normtatbestandsmerkmal handelt, das in die an jedermann gerichteten Verhaltensnormen eingeht und an deren Motivationsfunktion teilhat. Der ,Wortlaut', die gemeinsprachliche Bedeutung oder genauer: die Summe der Gebrauchsfälle eines Begriffsträgers in der Alltagssprache, engt bei solchen Motivationsmerkmalen unrechtsinformierender Art die Deutungskompetenz von Gesetzgebern und Normanwende rn ein; es wäre widersprüchlich, dank der Allgemeinsprache ubiquitäre Motivierbarkeit zu rechtstreuern Verhalten zu erwarten und den Normmerkmalen einen umgangssprachfernen esoterischen Sinn zu geben. Dies gilt in einem demokratischen Rechtsstaat, der Recht ,im Namen des Volkes' setzt, spricht und exekutiert, um so mehr, wenn und soweit das Abweichen von an jedermann gerichteten Verhaltensregeln sanktioniert wird - sei es durch Tatfolgen strafrechtlicher oder sonst öffentlichrechtlicher Art 31 , sei es durch zivilistischen Schadensausgleich32 . Denn er belegt deviantes Verhalten nur dann mit Sanktionsrisiken, wenn der Adressat des Normbefehls sich vor dem intendierten Verhalten über ein etwaiges Sanktionsrisiko zumutbar informieren konnte. In kodifizierten Rechtsordnungen ist allgemein zugängliche Informationsquelle vor allem der Normtext. Was dem Normbefehlsempfän29 Vgl. dazu Bottke, Bemerkungen zum Beschluß des BVerfG zu § 353 d Nr. 3 StGB, Beschluß vom 3. 12. 1985 - 1 BvL 15/84, NStZ 1987, S. 321, in: NStZ 1987, S. 314 ff. 30 Anders Titel VII Can. 1399 Codex Iuris Canonici. 31 Zu denken ist hier insbesondere an polizei rechtliche oder allgemein sicherheitsrechtliche Störerhaftung, vgl. Art. 7 Bay PAG, Art. 9 Bay LStVG. 32 Vgl. §§ 823,249 ff. BGB. Etwas anderes gilt für § 904 S. 2 BGB, der eine Entschädigung auch bei rechtmäßigem Verhalten vorschreibt.

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ger nicht durch Lektüre und adressatenmögliche Interpretation vermittelbar ist, bindet ihn nicht. Demokratien sind einem Recht abhold, das von einer Nomenklatura in dem Arkanbereich eines geheimnisumwitterten Fachjargons geschaffen wird; sie wollen ein ,civiles' Recht, das mit seinen Inhalten dem Bürger als Rechtsunterworfenen und Souverän offen ist und ihm in seine Lebenswirklichkeit legitimitätssichernd, weil verstehbar, rückübersetzt wird. bbb) Subsysteme des Rechts, denen wie dem Strafrecht auf Grund des Satzes ,nullum crimen, nulla poena sine lege scripta' eine gesteigert positivistische Struktur eigen ist33, sind in besonderer Weise bei der Auslegung von Normmerkmalen, die unrechtes und sanktionsbedrohtes Verhalten umschreiben und sich an jedermann wenden, der Umgangssprachtreue verpflichtet; jede strafbegründende oder straferschwerende Applikation solcher Normmerkmale, die außerhalb ihrer gemeinsprachlichen Bedeutung siedelt, ist verbotene Rechtsgewinnung contra oder praeter legern scriptarn. Infolgedessen tut der professionelle Deuter solcher Strafnormelemente gut daran, nicht selbstvergessen nach innen, sondern nach außen, zum Bürger hin, zu reden; die Dogmatik eines demokratischen Bürgerstrafrechts darf das, was an Weisheit und Sinnregeln in der Alltagssprache gehortet ist, getrost ans Licht der Interpretation holen und sich dem Medium der Kritik aussetzen, über das auch juristische Laien verfügen: der bedachtsam geübten Alltagssprache und dem verständigen civilen Rechtsgefühl, der ordinary language und ihrem common sense. Es darf daher z. B. gegen die Anwendung des Tat33 Zum nullum-crimen-Satz vgl. Schünemann, nulla poena sine lege?, 1978. Aus der Literatur vgl. ferner de Asua, Nullum crimen nulla poena sine lege, in: ZStW 63 (1951), S. 166 ff.; Grünwald, Bedeutung und Begründung des Satzes Nulla poena si ne lege, in: ZStW 76 (1964), S. 1 ff.; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, 1983; Mangakis, Über die Wirksamkeit des Satzes, nulla poena si ne lege, in: ZStW 81 (1969), S. 997 ff.; Rüping, Nullum crimen si ne poena, in: Festschr. für Oehler, 1985, S. 27 ff. Freilich ist anzumerken, daß dies nicht weltweit gilt, vgl. Art. 15 I IPbpR (= Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte vom 16. 12. 1966, in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 23. 3. 1976; UN Doc A/6316). Auch der codex iuris canonici erklärt sich dem Satz ,nullum crimen sine lege' nicht verpflichtet, vgl. Titel VII can. 1399 Codex luris Canonici.

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bestandes der gefährlichen Körperverletzung auf die Benützung der Fäuste durch einen Karateanhänger darauf insistiert werden, daß der Mensch weder zur Gänze noch mit seinen ungetrennten Teilen sich oder anderen ,Zeug' ist; auch seine Fäuste sind danach nicht ,Werk-Zeug' i. S. des § 223 a StGB. Ebensowenig ,vergiftet' ein sekretintromittierender HIV-Infizierter seinen Intimpartner; er ist auch mit seinen Viren weder sich noch anderen ,Stoff' i. S. des § 229 StGB, mag der historische Sprachgebrauch von Juristen auch von Pockengift und anderem mehr geredet haben 34 • ccc) Hingegen scheitern legislatorische oder interpretatorische Sinnzuweise, die die Bedeutung eines Normmerkmals ohne Motivationsfunktion entfalten, nicht an ihrer Umgangssprachferne. So ist es z. B. statthaft, Normen strafrechtlicher Entschuldigung wie z. B. § 20 StGB in Anlehnung an humanwissenschaftliche Terminologien zu formulieren und fachverständnisadäquat zu interpretieren35 ; was z. B. eine ,krankhafte seelische Störung' oder ,eine andere schwere seelische Abartigkeit' ist, hängt entscheidend von dem sinnprägenden Verständnisstand der Wissenschaften von der Seele und deren Krankheiten ab. Und möglich ist etwa auch, die Vorschrift des § 24 I S. 1 StGB, wonach nicht wegen Versuchs bestraft wird, wer ,freiwillig' von seiner Tat zurücktritt, wegen fehlender Motivationsfunktion ohne Rücksicht auf das gemeinsprachliche Verständnis, ,freiwillig' handele, wer ungehindert, ungezwungen oder Herr seiner Entschlüsse sei, zu deuten: Wer von seinem Gewissen derart gedrückt wurde, daß er nicht anders konnte, als auf dem iter criminis umzukehren, tritt ,freiwillig' zurück, weil er Rechtstreue signalisiert; hingegen verhält sich weiterhin rechtsgutfeindlich und daher ,unfreiwillig', wer risiko- und chancengerecht darauf verzichtet, eine fluchthinderliche Tatbeute mitzunehmen, wenn Polizeisirenen dröhnen 36 • 34 Vgl. Bottke, Die Immission infektiösen Ejakulats bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwischen HIV-Infizierten und minderjährigen Jugendlichen, in: AIFO 1988, S. 628 ff., S. 636. 35 Vgl. zu § 20 StGB und dem Einfluß psychiatrischen Erfahrungswissens auf dessen Interpretation Blau / Kammeier (Hrsg.), Straftäter in der Psychiatrie, 1984; Wüter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht, 1987.

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bb) Da hoheitliche Eingriffe in subjektive Rechte in demokratischen Rechtsstaaten mit positivierten Rechtsordnungen prinzipiell nur durch Gesetze oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen dürfen, hat der Betroffene auch jenseits der Applikation sanktionsbewehrter Verhaltensnormen mit Motivationsfunktion grundsätzlich nur solche Freiheitseingriffe zu dulden, die ihm der legislatorisch bedachte oder bedenkbare gemeine oder betroffenenkreisadäquate Sprachgebrauch vermittelt. Allerdings wird die Rechtseingriffsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers auch noch durch eine behutsame Einzelnormanalogie gewahrt, die die Lükken, die eine strikt wortlautgetreue Auslegung von Eingriffsnormtatbeständen wider den legislatorischen Regelungsplan reißt, axiologisch zweifelsfrei sinnvoll und für den Normadressaten und Laien voraussehbar schließt. Solche Einzelnormanalogie wäre, gäbe es die polizei- und sicherheitsrechtlichen Generalklauseln nicht, etwa im Bereich der Zustandsgefahr und -störung zur (Quasi-)Legalisierung von Gefahrerforschungseingriffen zur Aufdeckung von bodenkontaminierenden Altlasten diskutierbedürftig37 • Sie ist unter anderem im Strafverfahrensrecht praktiziert, um bei wortlautgetreuer Auslegung gesetzes(text)gemäß angeordnete Rechtseingriffe vollziehen zu können, und wegen des bloßen Annexcharakters des mit einem Vollzug verbundenen weiteren Rechtseingriffs hinnehmbar; wäre es anders, könnte z. B. weder ein legalgerecht erlassener Steckbrief rechtmäßig verbreitet38 noch die legalgerecht angeordnete körperliche Untersuchung eines Beschuldigten im Falle des Nichtduldens rechtmäßig mit unmittelbarem Zwang vollzogen werden, obschon die lex scripta unmittelbaren Zwang nur für die Durchsetzung der Untersuchung von Nichtbeschuldigten für zulässig erklärt39 • 36 Vgl. dazu Battke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, S. 472 ff. 37 Die Zu lässigkeit eines Gefahrerforschungseingriffs bejahend BayVGH, BayVBl1986, S. 590 ff. 38 Vgl. § 131 StPO. Siehe dazu Battke, Strafprozessuale Probleme massenmedialer Fahndung, in: ZStW 93 (1981), S. 425 ff. 39 Vgl. §§ 81 a, 81 c VI S. 2 StPO.

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A. Materielle Verfahrens gerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

Eine Absage ist dagegen allen Versuchen zu erteilen, Freiheitseingriffe, mit deren Notwendigkeit und Regelungsbedürftigkeit der Gesetzgeber auf Grund vorgekommener oder sonst erwartbarer Konfliktsituationen rechnen konnte, auf Gesamtanalogien, die die Rechtsgedanken mehrerer, dem Wortlaut nach unanwendbarer Tatbestände bemühen, oder auf die Grundsätze des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) zu stützen. Denn beide Versuche heben letztlich sowohl die Rechtseingriffsprärogative des Gesetzgebers als auch die demokratische Chance des Rechtsunterworfenen, als Mitglied der Gemeinschaft freier Bürger an der Satzung von Rechtsnormen mitzuwirken, partiell (vgl. unten C) auf; ,Not kennt kein Gebot' ist kein Grundsatz gerechter Rechtseingriffsbegründung in einem demokratischen Rechtsstaat, der sich in Befolgung des aufklärerischen Gesellschaftsvertragsmodells zum formenstrengen ,vorbehalt des Gesetzes' bekannt hat. cc) Wegen der ausschließlichen Kriminalisierungsbefugnis des Strafgesetzgebers in Rechtsordnungen, die sich dem nullum-crimen-sine-Iege-scripta-Satz verpflichtet haben, können explizite und implizite legislatorische Sinnzuweise den im Moment der etwaigen Tatbegehung oder Normapplikation objektiv schon gegebenen, Normadressaten und -interpreten zugänglichen Bedeutungsspielraum auf einen autorialen Sinn strafhindernd verengen, der auch durch teleologische Erwägungen der Strafbedürftigkeit nicht überspielbar ist. Kriminalisierte etwa der historische Gesetzgeber die Beschädigung einer Sache in der Vorstellung, Sachbeschädigung sei die erhebliche Substanzverletzung eines körperlich greifbaren Gegenstandes, kann weder die Zerstörung einer Langlaufloipe4o noch die (sei es auch erheblich ärgerliche) Veränderung der äußeren Erscheinung eines Gegenstandes durch wildes Plakatieren41 als Sachbeschädigung interpretatorisch qualifiziert werden. War dem 40 Eine Loipe ist keine Sache, vgl. BayObLG, NJW 1980, S. 132 ff. mit Anm., Schmid, JR 1980, S. 430 ff. Neuerdings offengelassen bei BGH, NJWRR 1989, S. 673. 41 Vgl. BGHSt. 29, S. 129 ff. m. Nachw. der abw. OLG-Rechtspr.

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historischen Gesetzgeber als ,Schaden' nur die Vorstellung eines materiellen Vermögensschadens eigen, so kann die gerichtliche Entwicklung der Haftung auch für immaterielle Schäden über gesetzlich anerkannte Ausnahmen hinaus allenfalls zivilrechtlichen Beifall beanspruchen42 . dd) Wegen des legislatorischen Rechtssetzungsvorrechts ist der gesetzesgebundene Interpret auch jenseits des Aufzeigens von Sprachgebräuchen und gesetzgeberischer Sinnzuweise gehalten, die Werturteile des Normgebers in ihrer Hierarchie und damit wertkonfliktschlichtenden Wirkung zu erkennen sowie bei der fallentscheidenden Regelgewinnung fruchtbar zu machen; unter mehreren, nach bisher skizzierter Auslegungsmethodik möglichen Deutungen ist die systematisch stimmige, und d. h. auch die völkerrechtsfreundlich(st)e und verfassungskonform(st)e, vorrangig. Die vielleicht wichtigste Aufgabe der Rechtsdogmatik, soweit sie Lehre von geltendem Recht ist, besteht darin, die legislatorischen Wertsetzungen, Rechtsprinzipien und Maximen zu ordnen und zu einem System genereller Regeln aufzubereiten. Andernfalls böte sie statt eines Gesamtgefüges entscheidungsleitender Rechtssätze, auf das das staatliche Fallentscheidungsorgan zurückgreifen kann, nur den orientierungsschwachen Hinweis, es gelte, die relevanten Gesichtspunkte sachgerecht abzuwägen; ein solcher Wegweiser führte nicht zur willkürarmen Rechtssicherheit, sondern leitete in die Flut der Details und Topoi des Einzelfalls. Es versteht sich von selbst, daß es hier nicht möglich ist, den Arbeitswert eines von der Rechtsdogmatik vorinterpretierten Rechtssystems zu belegen. Gleichwohl sei dem Verdacht, der Verfechter einer geordneten Auslegungslehre raspele nur das dürre Holz rauer Theorie, durch ein Beispiel - wenn nicht begegnet so doch - ein Fragezeichen beigefügt. Wie Strafjuristen bekannt, ist die Gewinnung deskriptiver Sätze der Art: "Der Sachverhalt X ist so und so" für die Untergruppe 42 Zur Rolle subjektiv-historischer Auslegung beim Betrugstatbestand vgl. Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964.

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A. Materielle Verfahrens gerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

strafrechtlicher Tatfeststellung prozeßrechtlich durch Beweiserhebungsvorschriften teilgeregelt, die z. B. die körperliche Untersuchung und Identifizierung eines Beschuldigten an bestimmte Voraussetzungen und Mittel binden. Verstöße gegen derartige Beweiserhebungsnormen ziehen aber nur ausnahmsweise Beweisverwertungsverbote de lege scripta nach sich. Die (insonderheit verfassungsgerichtliche und verfassungsgerichtlich inspirierte) Judikatur macht daher grundsätzlich die gerichtliche Verwertung rechtswidrig, etwa polizeilich erlangter Beweismittel von einer topischen Güterabwägung abhängig, in der unter anderem das Interesse an der Bekräftigung hochwichtiger Verhaltensnormen durch eine Verurteilung und die Belange des Beschuldigten und der Allgemeinheit an der Einhaltung strikt ordnungsgemäßen Verfahrens gegenübergestellt werden; eine in sich schlüssige Beweisverwertungsverbotslehre, die Voraussagen über die gerichtliche Verwertbarkeit oder Unverwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel zuließe, ist so nicht formuliert worden43 . Verläßliche Entscheidungsregeln stellte die Dogmatik hingegen dann bereit, wenn sie den grundgesetzlichen Basiswertentscheid für die gerichtliche Überprüfung aller Rechtseingriffe (Art. 19 IV GG) gleichsam materialisierte: Alle rechtswidrigen Beweiserhebungen, gegen die der Betroffene sich de iure oder de facto aus in die Zurechnungssphäre des Staates fallenden Gründen trotz der konstitutionell gebotenen eigenständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit der Verletzung subjektiver Rechte nicht mit Rechtsbehelfen wehren konnte und wehren kann, ziehen ein Beweisverwertungsverbot nach sich, das mit dem dadurch bewirkten Beweismittelverlust und Freispruchsrisiko die Strafverfolgungsorgane zu rechtmäßigem Procedere diszipliniert und die Abwehrbelange des Betroffenen wahrt; allein rechtswidrige Beweiserhebungen, die der Betroffene nicht anficht, obwohl er sie als in 43 Vgl. etwa Rogall, Gegenwärtiger Stand und Entwicklungstendenzen der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, in: ZStW 91 (1979), S. 1 ff.; Gössel, Überlegungen zu einer neuen Beweisverbotslehre, in: NJW 1981, S. 2217 ff.; Otto, Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Beweismitteln, die durch Eingriff in Rechte anderer von Privaten erlangt wurden, in: Festschr. f. Kleinknecht, 1985, S. 319 ff.

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seinen subjektiven Rechten Beschwerter der vollzugshindernden Überprüfung durch einen Richter hätte zuführen können, sind verwertbar. Wird etwa (wegen fehlender verfassungskonformer gesetzlicher Eingriffsbefugnis:) rechtswidrig die Stimme eines der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer Beschuldigten heimlich aufgenommen, um ihn durch Stimmvergleich als tatbeteiligten Anrufer überführen zu können, so bedarf es keiner Abwägung zwischen der exorbitanten Schwere der Delikte und der hohen Würde der Selbstbezichtigungsfreiheit, um mit dem Bundesgerichtshof die Unverwertbarkeit zu begründen; Resultate heimlicher rechtswidriger Beweiserhebungen, die in die subjektiven Rechte des Beschuldigten eingreifen, sind mangels Anfechtbarkeit der dem Betroffenen verborgenen Maßnahme stets unverwertbar44. e) Freilich excludieren weder die Präzisierung noch das Aufstellen einer Rangordnung unter ergebnisdivergierenden Interpretationsvorschriften den dezisionistischen Charakter juristischer Einzelfallentscheide - selbst wenn und soweit es gelingt, auf der Tatbestandsseite von Rechtsnormen die heuristisch notwendige Idee, es gebe nur eine richtige Interpretation, durch den Aufweis einer bestbestätigten Sinnhypothese approximativ einzulösen. Denn moderne Rechtsordnungen formulieren ihre Normen häufig als Finalprogramm, indem sie dem Normanwender auf der Rechtsfolgenseite Entschließungs- und/oder Gestaltungsermessen zusprechen. Dieses Ermessen hat der Normvollzieher ratio-Iegis-gerecht auszuüben. Häufig sind ihm auch Wirkprognosen über die Folgen möglicher Entscheide abverlangt, ohne daß die Rechtslehre bislang eine Dogmatik entwickelt hätte, in die die Einsichten der jeweils prognoserelevanten Wirklichkeitswissenschaften mit integriert wären; nicht zuletzt deshalb ist z. B. Strafzumessung, die nach § 46 StGB unter anderem auf die Folgen der Strafe für das zukünftige Leben des Verurteilten Bedacht zu nehmen hat, trotz allen Bemühens um Verrechtlichung tatsächlich weithin noch Domäne des Tatrichters, 44 BGHSt 34, 39 ff. VgJ. dazu Battke, Anfertigung und Verwertung heimlicher Wort- und Stimm aufzeichnungen auf Tonträger außerhalb des Fernmeldeverkehrs, in: Jura 1987, S. 356 ff.

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A. Materielle Verfahrensgerechtigkeit der Einzelfallentscheidung

in der die normativ zu berücksichtigenden Faktoren wegen ihrer Überfülle zu ritualistisch zu nennenden Gesichtspunkten von ergebnisneutraler Gewichtigkeit zu verkommen drohen. V. Erstes Zwischenergebnis

Um ein erstes Zwischenergebnis zu ziehen: Materiell verfahrensgerecht heiße ein juristischer Einzelfallentscheid zustandegekommen, wenn die relevanten Fakten des umgangssprachlichen Lebenssachverhalts zutreffend zum fachsprachlichen Fall erhoben und die relevanten rechtssprachlichen Normen korrekt zur fachsprachlichen Regel interpretiert wurden. Die hermeneutische Aufgabe, den fallrelevanten aktualen Sinn aus der logischen, je nur möglichen Bedeutung der Norm herauszufiltern, ist wissenschaftsnah und unter Befolgung eines hierarchischen Kanons von Interpretationsregeln zu lösen, der auf den Verständnishorizont des Adressatenkreises der Norm Rücksicht nimmt und die Rechtssetzungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers wahrt. Das, was ,juristischen Laien' im umgangssprachlichen Zugriff gerechtes Interpretationsergebnis deutungsbedürftiger Jedermanns-Motivationsnormen ist, begrenzt das, was professionelle Jurisprudenz als rechtlich-richtiges fachsprachlich konstituieren darf. Indem die Theorie materieller Verfahrensgerechtigkeit als Auslegungslehre die Rechtsdogmatik dem Medium der Kritik, das Laien zur Hand ist, seiner Sprache und den ihr innewohnenden oder durch sie ausdrückbaren Sinn- und Gerechtigkeitsvorstellungen, stellt, bewahrt sie die Rechtsdogmatik davor, in die Unverständlichkeit des Spezialistischen zu versinken und unterwirft ihr Tun der Kontrolle des Rechtssouveräns, des Volkes, in dessen Namen dem Bürger Recht gesprochen und administriert wird.

B. Kriterien formeller Verfahrensgerechtigkeit Trotz allen Bemühens, den Verbindlichkeitsanspruch positiven Rechts möglichst willkürfrei auf den juristischen Entscheid eines sozialen Interessenkonflikts überzuleiten, sind weder dezionistische Reste noch gänzliche Fehlentscheide auszuschließen. Schon deshalb ist die irrtumskontrollierende, effektive Teilhabe des oder der Betroffenen am Zustandekommen bestands- oder rechtskräftiger Konfliktentscheidungen, im folgenden kurz: ,Verfahrensteilhabe' , geboten. Zudem ist es letztes Ziel aller hoheitlichen Konfliktentscheide in rechtstaatlichen Demokratien, statt der Friedhofsruhe eines wertentleerten Rechtsfriedens das grundwertegemäße, freiheitlich-friedliche Zusammenleben aller und in diesem die freie Entfaltung des einzelnen zu sichern. Diesen Beitrag leisten staatliche Einzelfallregelungen unbeschadet der objektiven Umstreitbarkeit ihres in rechts angemessener Zeit verbindlich festgestellten Inhalts um so eher, je besser das Procedere ihres Zustandekommens Proteste absorbiert und (- wenn nicht die unmittelbar Fallinvolvierten zur einsichtsvollen Akzeptanz in die materiale Gerechtigkeit oder Vertretbarkeit des Fallentscheides bringt und so faktischen Konsens erzielt so doch -) verständigen Dritten, deren zukünftiges Involviertsein in hinreichend ähnlichen Fallkonstellationen unterstellt wird, Akzeptabilität vermittelt. Infolgedessen sind nicht nur die Ergebnisse staatlichen Handeins auf ihre verfassungs- und völkerrechtliche Grundwertekonformität hin zu befragen. Auch das Procedere staatlicher Verfahren muß grundwertegemäß ablaufen, will es nicht wegen materieller Rechtsstaatswidrigkeit dysfunktional, weil proteststimulierend und unfriedenstiftend, wirken. Man mag - in Anlehnung an das (englischsprachige) Internationale Recht (Art. 6 I EuMRK45, 14 I IPbpR)46 oder US-ameri45 Weitere authentische Vertragssprache i. S. d. Art. 33 Wiener Vertragskonvention (WVK) für die EuMRK ist die französische Sprache.

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B. Kriterien fonneller Verfahrensgerechtigkeit

kanische Verfahrenskultur - statt von einem materiell rechtsstaatlichen Verfahren von einem ,fair trial' oder ,due process' reden. Allemal geht es darum, den entscheidbetroffenen Konfliktbeteiligten im staatlichen Verfahren Eigenwert zu sichern und ihnen durch die Art und Weise der Verfahrensbeteiligung Kontrolle und Akzeptabilität der Konfliktlösung erfahren zu lassen. I. Effektive Teilhabe als Chancen der Einflußnahme und Gegenwehr

Akzeptabilität vermittelnde und Kontrolle ermöglichende Teilhabe der von einem hoheitlichen Fallentscheid Betroffenen an dem zu dem Exekutivakt oder Rechtsspruch führenden Verfahren ist je nach der Eigenart des Regelungsgegenstandes und dem erreichten Regelungsstadium formal als Einflußnahme und/oder Gegenwehr konstruierbar. Der Charakter des Regelungsgegenstandes wird maßgeblich durch die involvierten Interessen und Interessenträger bestimmt; diese sind - anders als es z. B. die Präambel und § 2 I der in der DDR einst gültigen Zivilprozeßordnung weis(s)machen wollten typischerweise im Konflikt und. nicht in prästabilisierter "Übereinstimmung" "mit den gesellschaftlichen Erfordernissen". Das Regelungsstadium bemißt sich wesentlich danach, ob Private oder Hoheitsträger bereits rechtsgestaltend oder rechtseingreifend tätig wurden oder nicht. 1. Geht es etwa darum, den Streit zweier gleichberechtigter und rechtlich wesentlich gleichrnächtiger Mitglieder der Gesellschaft über die gerechte Regelung ihres Interessenkonflikts zu entscheiden, kann die organisierte Gesellschaft ihren Mitgliedern eine Instanz zur Verfügung stellen, die den an sie herangetragenen Entscheidbedarf in einem die ,Privatheit' des Interessenkonflikts respektierend ,individualistisch' gestalteten Verfahrens stillt. 46 Weitere authentische Vertragssprachen i. S. d. Art. 33 Wiener Vertragskonvention (WVK) für den IPbpR sind chinesisch, französisch, russisch und spanisch, vgl. Art. 53 I IPbpR.

I. Effektive Teilhabe der Einflußnahme und Gegenwehr

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Prototyp des Verfahrens, dem eine solche Situation zugrundeliegt, ist der Zivilprozeß47. In ihm geht es wie im Schiedsgerichtsverfahren darum, ein Lebensverhältnis, das vom materiellen Recht vornehmlich durch subjektive Rechte und Pflichten zweier oder mehrerer gleichrangiger Personen definiert ist, so zu gestalten, daß der vorstaatliche Interessenwiderstreit durch den Konsens oder durch den verbindlichen Entscheid eines unbefangenen Dritten gelöst wird. Der unbefangene Dritte ist der persönlich und sachlich unabhängige, nicht in den Interessenwiderstreit involvierte und vor dem Rechtsstreit in seiner Zuständigkeit abstrakt bestimmte Richter. Er fungiert, obschon staatliches Organ, gleichsam als rechtssprachrnächtiger und rechtspruchbefugter Vertreter der Gesellschaft; er ist Mund des Gesetzes und trägt, der Gerechtigkeit verpflichtet und diese schaffend, im angelsächsischen Rechtskreis als Mitglied höchster Gerichte den Edelnamen ,justice'. Aus der ,Privatheit' des Lebensverhältnisses folgt, daß die streitenden Interessenträger nicht nur vorprozessual eigenmächtig ihre Interessen definieren, sondern selbst entscheiden, ob und mit welchem Gegenstand das Verfahren in Gang kommt; indem ein Interessentäger seinen Interessengegner als rechtlich Verpflichteten verklagt, macht er sich und den Verklagten zur Prozeßpartei und hat mit ihm die private Disposition über den Fortgang des Verfahrens sowie die Verantwortung für die Beibringung des Prozeßstoffes, des Verfahrensgegenstandes und der Beweismittel, inne48 . Wo kein Kläger und kein Antrag sind, sind nicht nur kein Richter, sondern auch kein Prozeß und kein durch den Antrag ermöglichtes Urteil 49 ("ne eat iudex ultra petita partium") - selbst dann, wenn materieller Gerechtigkeit eine andere vom Richter erreichbare Regelung des Interessenkonflikts entspräche als die, die sich vorprozessual 47 Zum Zivilprozeß vgl. Jauernig, Zivilprozeßrecht, 21. Auf!. 1985, Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1987. 48 Zur Dispositionsmaxime vgl. Brehm, Die Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung, 1982; Damrau, Die Entwicklung einzelner Prozeßmaximen seit der Reichszivilprozeßordnung von 1877, 1975; Stürner, Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses und Verfassung, in: Festschr. für Baur, 1981, S. 647 ff. 49 Vgl. § 308 I ZPO. 3*

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B. Kriterien fonneller Verfahrensgerechtigkeit

machtgesteuert ohne Rechtsspruch ergeben würde oder innerprozessual erwirkt ist. Dispositions- und - als Absage an richterliche Untersuchungsbefugnis in rechtstatsächlicher Hinsicht - Verhandlungsmaxime50 charakterisieren den in die Hand der Parteien gelegten Zivilprozeß; der Richter hat, wie es der Satz "iura novit curia" anzudeuten weiß, jenseits der Würdigung parteilich vorgetragener Beweistatsachen grundsätzlich allein über Rechtsfragen zu entscheiden, also darüber, ob und wie das Verlangen des Klägers unter eine Rechtsnorm anspruchsbegründend subsumierbar ist. a) Konsequenz der Dispositionsmaxime ist es, daß der konsensgetragene Vergleich der Parteien, auch wenn er erst in foro nach richterlich geleitetem Rechtsgespräch zustandekommt, jedes hoheitliche Urteil ausschließt; Konsequenz der Verhandlungsmaxime ist, daß der Zivilprozeß die Parteien nicht zur objektiven Wahrheit verpflichtet, sondern nur zur subjektiven Wahrhaftigkeit51 . b) Freilich gerät der zivilprozessuale Grundsatz der Verhandlungsmaxime in Konflikt mit dem Gebot materieller Verfahrensgerechtigkeit, jedes Werturteil müsse, wolle es richtig sein, den gewerteten Sachverhalt korrekt konstituieren. Indessen, ,relevante' Datenbasis zivilgerichtlicher Urteile ist prinzipiell nur das, was die Parteien jeweils in Befolgung ihrer Darlegungslast dem Richter an Tatsachenbehauptung unterbreiten, ohne unwahrhaft zu sein. Infolgedessen darf jede Partei auch solche ihr günstigen Tatsachenbehauptungen, von deren Wahrheit sie nicht überzeugt ist, vorbringen, es sei denn, sie weiß von deren Unwahrheit; entsprechend darf jede Partei eine gegnerische Behauptung auch dann bestreiten, wenn sie deren Zutreffen nicht kennt oder nur möglicherweise für wahr hält. Wenn man so reden will, gilt im Zivilprozeß statt eines ,absoluten' ein ,dialogischer' Wahrheitsbegriff, der den Konsens 50 Die Ausdrücke Untersuchungs- und Verhandlungsmaxime stammen von Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, 1. Auf!., 1801. Zur Verhandlungsmaxime des deutschen Zivilprozesses vgl. BVerfGE 67, S. 42; Bettermann, Hundert Jahre ZPO - Das Schicksal einer liberalen Kodifikation, in: ZZP 91 (1987), S. 365 ff., S. 390. 51 Vgl. § 138 I ZPO. Dazu: otzen, Die Wahrheitspf!icht der Parteien im Zivilprozeß, in: ZZP 98 (1985), S. 403 ff.

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beider Parteien über den Sachvortrag und auch den einseitig wahrhaftigen Sachvortrag einer Partei toleriert; schweigt eine Partei, so kann es ihr zum Nachteil gereichen, mag der dann allein relevante Tatsachenvortrag einer Partei auch objektiv unwahr sein52 . Seine Grenze findet ein solcher Wahrheitsbegriff in dem Verbot der Lüge und des bewußt falschen Zugeständnisses; eines von beiden oder beides zuzulassen, hieße, die Glaubwürdigkeit von Parteivorbringen auf lange Sicht zu zerstören und dem Prozeß eine kommunikationstheoretisch notwendige Prämisse, die der erwartbar redlichen Rede, zu versagen. c) Ein demokratischer Rechtsstaat will transparente, will sagen: den Betroffenen vermittelbare und dem Volk verständliche, Rechtsgewinnung. Grundsätzlich hat daher der Richter sein Urteil aufgrund einer Verhandlung zu gewinnen, die mündlich und öffentlich in der Sprache des Volkes durchgeführt wird, dem Richter seine Überzeugung vom Gegebensein der relevanten Datenbasis vermittelt und in der er Recht nach möglicherweise widerstreitenden Überlegungen und Darlegungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht spricht; Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit einer Verhandlung, in der die Parteien anwesend sein und ihre Tatsachen- und Rechtsversion effektiv zu Gehör bringen53 können, sind trotz der Möglichkeiten, ohne Hauptverhandlung das Verfahren abzuschließen, geradezu klassische Charakteristika eines rechts staatlichen Gerichtsverfahrens. Die Parteien haben als Verfahrensrechtssubjekte nicht nur Dispositions- und Verhandlungshoheit. Sie können auch z. B. Richter, deren Befangenheit sie verständig befürchten, ablehnen und Beweismittel anbieten; ihnen ist rechtliches Gehör verbürgt. Dieses "Urrecht" verheißt den unmittelbar vom Rechtsspruch Betroffenen nicht bloß, daß sie sich in tatsächlicher und rechtlicher 52 Vgl. § 138 11 ZPO; Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, in: NJW 1981, S. 1757 ff., 1759 f. 53 Vgl. Art. 6 I EuMRK, 14 I IPbpR, 103 I GG. Zum rechtlichen Gehör vgl. statt aller Zeuner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, in: Festschr. f. Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 1013 ff.

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Beziehung zu allem äußern können, was entscheidungsrelevant wird. Es sichert sie auch davor, durch den richterlichen Entscheid "überrascht" zu werden und in ihren Ausführungen unberücksichtigt zu bleiben. Der Richter hat daher z. B. nicht sphynxhaft lächelnd in patriarchalischer Gewißheit, das allerletzte Wort zu haben, unterschiedliche Rechtsversionen der Parteien anzuhören. Er muß unbeschadet seiner Rechtsspruchhoheit mit den Parteien ein möglichst verständliches und umfassendes Rechtsgespräch führen, in dem deren Rechtsnormverständnisse und Gerechtigkeitsvorstellungen auch in ihrem Widerstreit zu richterlichen, nach Sachstand artikulierten Vormeinungen erörtert werden 54 • Indem sich so richterliche Rechtsgewinnung dem Verständnishorizont juristischer Laien und ihrem Kritikmedium, der Umgangssprache und den in ihr formulierbaren Werturteilen über die gerechte Rechtsnorminterpretation, Fallkonstituierung und Fallösung stellt, sind durch offenes, umfassendes Sach- und Rechtsgespräch nicht nur Überraschungsurteile in jedem Verfahren ausgeschlossen. Vielmehr findet das, was die Theorie materieller Verfahrensgerechigkeit als Auslegungslehre (A) zur Rolle gemeinsprachlicher Verständnisse bedeutungsfraglicher Normmerkmale sagt, im rechtlichen Gehör seine prozessuale Entsprechung; ein so ausgestaltetes rechtliches Gehör ist wesentliche Konstituante eines materiell rechtsstaatlichen Zivilprozesses, der weder zwischenparteilich lüghafte Übertölpelung toleriert noch die Parteien richterlich zu rechsgesprächsunmündigen Tölpeln denaturiert. Vor dem Hintergrund einer solchen Deutung des rechtlichen Gehörs ist § 139 ZPO, der dem Richter (bundes )deutscher Zivilprozesse Frage- und Erörterungspflichten auferlegt, keineswegs als mißliebiges Arbeitsbeschaffungsprogramm restriktiv zu interpretieren 55 ; willkommener Nebeneffekt eines umfassenden - auch rich54 Vgl. § 139 I ZPO. Allerdings fordert Art. 103 I GG nach h. M. nicht, daß der Richter seine Rechtsansicht zur Diskussion der Parteien stellt, vgl. BVerfGE 67, S. 95 f.; BGHZ 85, S. 291. Vgl. insg. Laumen, Das Rechtsgespräch, 1984.

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terliche Rechtsmeinungen einschließenden - Rechtsgesprächs ist die prozeßökonomisch nützliche Anregung eines Vergleichs oder einer KlagefÜcknahme, in denen sich die realistische Rechtseinsicht manifestiert, die nicht störrische Rechthaberei ist. Die Erörterung des Sach- und Rechtsstandes ist namentlich auch bei asymmetrisch verteilter Prozeßmächtigkeit der Parteien ubiquitär jürsorglich 56 zu fördern. Ein materiell rechtsstaatsgemäßes Verfahren kann zwar vorprozessual angelegte Benachteiligungen nicht beheben. Es nimmt hierauf aber Bedacht und arbeitet fairneßwidriger Startungerechtigkeit durchgängig innerprozessual entgegen - sei es durch richterliche Belehrungen über prozessual mögliche Handlungen und deren Bedeutung, sei es durch Kostentragungshilfen 57 . 2. Die Extremgegensituation zu der zwischen zwei Privaten streitigen Lösung ihres offenen Interessenkonflikts, die von einer Partei erst eingeklagt wird, ist auch unter dem Aspekt der Mächtigkeit der Konfliktparteien und deren Rechtsnatur die hoheitliche Regelung eines Interessenkonfliktes, die sofort - u. U. mit unmittelbarem Zwang - exekutiert wird. Eine solche Regelung erleidet z. B., wer im Allgemeininteresse von der Polizei angehalten oder mit dem Knüppel zum Verlassen eines Platzes gezwungen wird, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, sich vollzugshindernd zu diesem Realakt58 zu äußern; gleiches gilt für denjenigen, dessen Lebensäußerungen im Strafverfolgungsinteresse heimlich (etwa durch Telephonüberwachung, Stimmaufnahme oder Observation) überwacht oder anderen (etwa durch vertrauliche Presseinformationen) mitge55 Zu § 139 ZPO vgl. Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozeß, 1983; Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, 1982. 56 Durchaus str., vgl. abw. z. B. Hartmann, in: Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, 48. Auf!., 1990, § 139 Anm. 1A. Vgl. aber z. B. auch Val/kammer, Der Anspruch der Parteien auf ein faires Verfahren im Zivilprozeß, in: Gedächtnisschrift für Bruns, 1980, S. 195 ff. 57 Vgl. §§ 114 ff. ZPO. Zur Prozeßkostenhilfe vgl. statt aller Schuster, Das Gesetz über die Prozeßkostenhilfe, in: ZZP 93 (1980), S. 361 ff. 58 Zum Realakt vgl. Haffmann, Der Abwehranspruch gegen rechtswidrige hoheitliche Realakte, 1969. Rechtssprechungsnachweise bei Erichsen / Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auf!. 1988, § 34, Fn. 17.

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teilt werden. Das Interesse des einzelnen am Erhalt seiner persönlichen Freiheiten (etwa der räumlichen Fortbewegungsfreiheit, des Rechtes, all eine gelassen zu werden, oder der Hoheit über die Daten des eigenen Lebens) ist in diesen Sachverhalten bereits dem vermeintlich oder realiter höheren Allgemeininteresse hoheitlich geopfert worden; ja, indem dem Betroffenen nicht einmal vor dem Exekutivakt Gelegenheit gegeben wurde, sich zum Eingriff in seine Interessensphäre zu äußern, erfuhr er faktische Rechtsunmündigkeit. Das Recht des vorherigen rechtlichen Gehörs wandelt sich in das Interesse um, wenigstens nachträglich als gesprächsfähiger Rechtsträger die Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Konfliktlösung geltend machen zu können und/oder beeinträchtigende Folgen der hoheitlichen Konfliktlösung beseitigt zu wissen. a) Ein materieller Rechtsstaat will weder dauerhaft rechtsunmündige Bürger, noch weist er fairneßwidrig zu Lasten effektiver Rechtsschutzchancen die Rechtsgewinnung einseitig der Exekutive zu; er gesellt daher nicht hoheitlicher Exekutionsmacht die dauerhafte Rechtsohnmacht des Betroffenen bei, sondern formt vereitelten vorherigen Rechtsschutz in nachträglichen um 59 • Ein solcher Rechtsschutz bietet mehr, als der einem Untertanenstaat ziemende Satz "Dulde und liquidiere"60 verheißt. Er offeriert nicht nur Schadensersatz oder Entschädigung für schuldhaftes oder rechtswidriges hoheitliches Handeln. Er reduziert den in seinen Rechten Betroffenen - unbeschadet des auch ,kommunikativen' Wertes einer ,monetären Übersetzung' konfligierender Interessen - nicht korrumpierend auf den Träger geldwerter Interessen, sondern erkennt in ihm den Rechtsträger , dem durch den Realakt die Teilhabe am Rechtsgewinnungsgespräch entmündigend genommen wurde. Ein materieller, ,civiler' Rechtsstaat holt rechtliches Gehör nach, wenn nach dem schlüssigen Sachvortrag des Betroffenen an seinem Ende eine richterliche Markierung geschehenen Unrechts stehen kann, die den in seinen Rechten Beeinträchtigten vom Makel des präsumptiv Vgl. etwa §§ 113 IV VwGO, 28 I S. 4 EGGVG. Vgl. dazu Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG-Kommentar, Stand 1989, Art. 14 Rz. 640. 59

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Rechtsgesprächsunfähigen befreit, ihn als Bürger zu einem rechtsgesprächsfähigen verständigen ,civis' ,rehabilitiert'. Nachträgliche richterliche Feststellung rechtswidrigen Exekutivhandelns ist auch begehrbar , wenn aus anderen Gründen das Interesse an solcher Feststellung berechtigt ist, etwa deshalb, weil zu befürchten ist, daß dem Feststellungsbegehrenden gleiches Handeln erneut widerfahren wird 61 . b) Mit Abstrichen hat das Rechtsbehelfsrecht der Bundesrepublik Deutschland das eben skizzierte Rechtsschutzniveau erreicht; Defizite im nachträglichen Rechtsschutz weist insbesondere das Strafverfahrensrecht auf62 • Soweit das gerichtliche Erkenntnisverfahren wegen seiner Tatvorwurfsfixiertheit Rechtsverletzungen, begangen durch Strafverfolgungsorgane im Ermittlungsverfahren (etwa den Beschuldigten dissozialisierende staatsanwaltschaftliche Mitteilungen an Medien), nicht thematisiert, ist nachträglicher Rechtsschutz, der diese etwaige Rechtsverletzung fokussiert, zu gewähren; auch Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, die Grundrechte des Betroffenen antasten, sind daher entgegen ganz h. M. durchgängig einer nachträglichen Rechtskontrolle zu unterwerfen. Dies gilt selbst dann, wenn ein Richter den Grundrechtseingriff anordnete und - wie z. B. bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen oder eilbedürftigen Akten der Fall- ohne Einspruchsmöglichkeit des Grundrechtsträgers vollziehen ließ. Denn die richterliche Informationsbasis im Anordnungszeitpunkt wird typischerweise einseitig durch den Strafverfolgungsapparat bestimmt. Es wäre realitätsblind und fairneßwidrig, dem Richter die Fähigkeit zu askribieren, er könne sich von einseitigem Daten-Input durch die Organe des Straftatverfolgungsapparates psychologisch freimachen, und dem Betroffenen die ihn ,rechtsbürgerlich' rehabilitie-

61 Zum berechtigten Interesse an nachträglicher Feststellung rechtswidrigen Exekutivhandelns vgl. Becker, Das "berechtigte Interesse" bei den Feststellungsklagen der VwGO, in: MDR 1972, S. 920 ff.; Redecker / von Oertzen, VwGO-Kommentar, 9. Auf!. 1988, § 43 Rz. 20 ff. 62 Vgl. dazu statt aller Roxin, Strafverfahrensrecht, 21. Auf!., 1989, § 29 D mit zahlr. Nachw.

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rende Darlegung seiner Wahrheit vor diesem oder einem anderen Richter zu verwehren63 • 3. Zwischen den polaren Typen eines offenen Interessenkonflikts unter zwei wesentlich gleichrnächtigen Privaten und der erfolgten Unterwerfung eines Privaten unter einzelfallgestaltende Exekutivmacht des Staates siedeln Konfliktsituationen mit fließenden Übergängen. a) So ist z. B. denkbar, daß sich ein Privater gegen die einseitig rechtsgestaltende Handlung eines rechtsgestaltungsmächtigen anderen zu wehren sucht - etwa gegen die Kündigung eines Pachtverhältnisses durch den Verpächter. Die in einer einseitigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit liegende Ungleichgewichtigkeit begründet noch keine prozessuale Startungerechtigkeit. Dies geschieht erst durch eine vorprozessual angelegte soziale Ungleichmächtigkeit der Konfliktbeteiligten, die ihre Chance, sich effektiv Gehör und Einfluß im Gerichtsverfahren zu verschaffen, mit asymmetrischem Verteilungseffekt beeinflußt. Obschon die Idee der Gesellschaft freier gleichberechtigter Bürger fingiert, daß ihre Mitglieder hinreichend rede- und finanzkompetent sind, um an einem Rechtsgespräch allüberall mit gleichen Chancen teilzunehmen, wird ein materieller Rechtsstaat um so bereitwilliger die Konzeption eines individualistischen Zivilprozesses in fürsorglicher Bedachtnahme auf realiter gegebene vorprozessuale Kompetenzdefizite und Machtgefälle zu Gunsten fairer Chancenverteilung korrigieren, je mehr er sich wirklichkeitsbewußt und der demokratischen Idee des Rechtsbürgerstaates folgend dem Sozialstaatsgedanken öffnet: Prozessuale Rechte sind namentlich einer faktisch rechtsunkundigen Partei durch richterliche Rechtsbelehrung zu effektuieren; unbemittelten Rechtssuchenden ist bei nicht willkürlichen Klageverlangen Prozeßkostenhilfe zu gewähren 64 • Kann eine Partei typi63 A. A. die ganz h. M. die Art. 19 IV GG auf richterliche Rechtseingriffe auch dann nicht anwendet, wenn der Richter gleichsam als notwendig befangenes, weil einseitig informiertes Entscheidorgan fungiert, vgl. BVerfGE 49, S. 220 ff. 64 Zur Prozeßkostenhilfe vgl. § 114 ff. ZPO.

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scherweise nicht in den Tätigkeitsbereich ihres Kontrahenten hineinleuchten, kann - wie im Bereich der Produkthaftung geschehen - neben oder statt der materiellrechtlichen Entwicklung strikter Haftung (,strict liability') die klageaussichtsteigernde Umkehr klassischer Beweislastverteilung geboten sein, um, Startgerechtigkeit schaffend, prozessualer Fairneß zu genügen. b) Statt derart allgemeiner, in Rede-, Finanz- und Informationsschwäche begründeter Kompetenzdefizite und Ungleichgewichte gibt es auch Machtgefälle unter Privaten, die in besonders abgrenzbaren Lebensbereichen typischerweise angelegt sind. aa) Eine derartige Situation charakterisiert etwa das Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, der regelmäßig seine Arbeitskraft mangels anderweitiger Finanzquellen auf Dauer seinem Vertragspartner zur Verfügung stellt. Eben deshalb kennt das deutsche Recht innerhalb des Zivilrechtswegs eine eigenständige Arbeitsgerichtsbarkeit, die für Arbeitssachen, u. a. auch für den Entscheid von Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, zuständig ist65 • Anders als die allgemeinen Zivilgerichte sind die besonderen Gerichte für Arbeitssachen stets nicht nur mit Berufsrichtern, sondern auch mit Laienrichtern aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber besetzt66 . Diese entscheiden - wie auch sonst bei Gerichten, die unter Einschluß von Laienrichtern besetzt sind67 , - über den Fall sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht; ja, sie können dies auch gegen das Votum der Berufsrichter. Um so wichtiger wird daher das Rechtsgespräch und die Teilhabe aller juristischen Laien an ihm. So wie das, was der Berufsrichter an professioneller Rechtsdogmatik für den Konfliktentscheid einzubringen weiß, sich den umgangssprachlichen Gerechtigkeitsverständnissen der Laien rechtsgewinnungskritisch stel65 V gl. § 2 I NI. 3 a ArbGG. Zum Arbeitsgerichtsverfahren vgl. Stahlhacke , ArbGG-Kommentar, 2. Auf!. 1986. 66 Vgl. § 6 ArbGG. 67 Laienrichter kennen §§ 105 - 114 GVG (Kammer für Handelssachen); 28 ff. GVG (Schöffengerichte); §§ 22,23 ArbGG; § 49 BDO; § 16 FGO; § 19 VwGO; § 19 SGG.

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len muß, so sind diese mit den fachsprachlichen Rechtsnorminterpretationen zu konfrontieren. Beteiligung und lebenssachverhaltsverständige Entscheidungskompetenz von Laienrichtern sichern formellrechtlich den Normadressaten die ihnen sprachlich und sachlich adäquate Vermittelbarkeit der Rechtsgewinnung, wie sie von der juristischen Auslegungslehre als Theorie materieller Verfahrensgerechtigkeit allgemein gefordert wird. Verstärkt wird die Tendenz zur normadressatenadäquaten Kontrolle juristischprofessioneller Rechtsgewinnung noch durch die Möglichkeit der Parteien eines erst- oder zweitinstanzlichen Arbeitsgerichtsprozesses, sich statt durch Rechtsanwälte durch Vertreter von Gewerkschaften oder von Arbeitgebervereinigungen vertreten zu lassen68 ; das Prozeßverhalten der Verbandsvertreter dient nicht nur dem einseitigen Beistand für eine Prozeßpartei, sondern auch den Belangen und Gerechtigkeitsvorstellungen ihres jeweiligen Kollektivs 69 . bb) Gingen das Vertrags- und Zivilprozeßrecht des 19. Jahrhunderts von einem zwischen zwei gleichrnächtigen Interessenträgern bestehenden Interessenkonflikt aus, der frei ausgehandelt wird oder richterliche Schlichtung verlangt, so notiert ein moderner demokratischer sozialer Rechtsstaat, daß Produzenten von Massengütern oder Anbieter von Massenleistungen dank ihrer wirtschaftlichen Macht standardisierte Verträge im Wege des AufsteIlens und der faktischen Unterwerfung unter Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) durchsetzen; anders als im Arbeitsrecht steht der Marktrnacht des einen nicht die gebündelte Solidarität einzelner entgegen, die die Anerkennung einer Kollektivvertragsautonomie erlaubte. Ein demokratischer sozialer Rechtsstaat hat ein legitimes Interesse daran, keine (privatrnächtigen) fairneßwidrigen Abänderungen der (kollektivethisch als plausibel geltenden,) im dispositiven Gesetzesrecht als verlautbarter Vertragsgerechtigkeit enthaltenen Risikenverteilungen zuzulassen. In der Bundesrepublik § 11 S. 2 ArbGG. Zur Prozeßtätigkeit von Verbandsvertretern im Arbeitsgerichtsprozeß vgl. Blankenburg / Schönholz, Zur Soziologie des Arbeitsgerichtsverfahrens, 1979; G/obig, Gerichtsbarkeit als Mittel sozialer Befriedung, dargestellt am Beispiel der Entstehung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Deutschland, 1985. 68 69

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Deutschland ist diesem Interesse durch die zunächst richterliche und so dann legislatorische Ausgestaltung eines Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen partiell Rechnung getragen worden, das dem unangemessenen Ausnutzen des wirtschaftlichen oder intellektuellen Machtgefälles in einseitiger Ausübung der Vertragsautonomie zu Lasten der Rechte des Marktschwachen durch den Marktstarken wehrt. Um die inhaltliche Kontrolle von vorformulierten AGBs sicherzustellen, hat der Gesetzgeber sich statt für eine präventive Kontrolle durch staatliche Exekutivorgane oder gesellschaftliche Verbraucherinstitutionen, die zivilprozessuale Tradition des Schlichtens privater Interessenkonflikte fortsetzend, für eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle entschieden. Da dem einzelnen marktschwachen Verbraucher typischerweise die Mittel fehlen, einen - u. U. mehrinstanzigen - Prozeß gegen seinen marktstarken Kontrahenten zu führen, räumte der Gesetzgeber Verbraucher- und Wirtschaftsverbänden, die nicht Vertragsparteien sind, Unterlassungsansprüche gegen den Empfehler und Verwend er unwirksamer AGBs ein, gegenüber Empfehlern auch einen Widerrufsanspruch 70 • Das damit installierte AGB-Kontrollverfahren modifiziert auf einem Teilbereich die ,individualistische' Konzeption eines Zivilrechts streits erheblich; der Zivilprozeß wird die Stätte, an der gesellschaftliche Machtinteressen sowie Regelungsbedürfnisse verhandelt und - wie beim arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit unter Tarifparteien über die Gültigkeit eines Tarifvertrages71 die Validität privatrechtlicher Vertragsinhalte und der Rechtssetzungsteilhabe marktschwacher Vertragsparteien kontrolliert werden. c) Selbst dann, wenn die privaten Konfliktparteien extra- und intraprozessual wesentlich gleichrnächtig sind, können in den Konflikt neben privaten auch öffentliche Interessen involviert sein, die materiell- und verfahrensrechtliche Beachtung erheischen. Dies gilt etwa für Familiensachen und die mit der Auflösung einer Ehe zusammenhängenden Fragen. Eine freiheitlich verfaßte Gesellschaft, die die Ehe als sozial hochwichtige Institution ansieht, stellt sie durchgängig unter ihren Schutz. 70 71

Vgl. § 13 AGBG. Vgl. § 2 I Nr. 1 ArbGG.

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Das deutsche Eherecht stellt die Auflösung einer Ehe daher materiellrechtlich nicht in das konsensuelle Belieben der Eheleute, sondern bindet sie an die eine Zerrüttung feststellende, Ehescheidung konstitutiv aussprechende Erklärung eines Familiengerichts. Dem öffentlichen Interesse am Erhalt der Ehe und einer verständigen Regelung der Scheidungsfolgen Rechnung tragend, wandelt das Prozeßrecht die Hoheit der Parteien über den Verhandlungs stoff zugunsten der Inquisitionsmaxime 72 durch Einschränkung von Dispositions- und Verhandlungsmaxime ab. So ist das Familiengericht nicht gezwungen, Tatsachenvorbringen einer Partei bei Zugeständnis als bindend festgestellt hinzunehmen oder Anerkenntnissen zu folgen; Vorbringen der Parteien hat es frei zu würdigen (§ 286 I ZPO). Bei bestimmten Familiensachen, wie z. B. der Regelung der elterlichen Sorge (§ 620 I Nr. 1 ZPO) oder des Versorgungsausgleichs (§ 621 I Nr. 6 ZPO), gilt auch vor den Familiengerichten statt des zivilgerichtlichen das Verfahrensrecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 621 aI ZPO); daher gilt grundsätzlich das Amtsermittlungsprinzip, so daß etwa das, was dem Wohl der Kinder dient, ex officio erforscht wird. d) Von bunter Vielgestaltigkeit sind die Klassifikationen der Einzelfallkonflikte, die zwischen Privaten und Staatsorganen entstehen können. aa) Soweit der Staat seinen Bürgern im Gleichordnungsverhältnis gegenübertritt - z. B. beim Abschluß zivilrechtlicher Verträge oder dem Ausgleich von Schäden -, unterwirft er sich den Grundsätzen zivilrechtlicher Privat autonomie und zivilgerichtlichen Verfahrens. Ein materieller Rechtsstaat trägt dabei Sorge dafür, daß sich das jeweils agierende Staatsorgan nicht zu Lasten der Belange des Bürgers den Regeln entzieht, die seiner Machtausübung Richtung weisen, Inhalt geben und Grenzen ziehen. Kommt es - etwa im Ablauf eines legal zivilrechtlich gestalteten Lebensverhältnisses zwischen Staat und Bürger - zu zivilgerichtlichem Streit, ist innerprozessual eine effektiv gleichgewichtige Teilhabe des Bürgers am Verfahren 72 Vgl. §§ 606 ff. ZPO. Vgl. insg. Walter, Der Prozeß in Familiensachen, 1985.

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zu sichern. Hierfür genügt das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens anwaltlicher Hilfe zu bedienen, nicht. De lege ferenda ist vielmehr angesichts der regelmäßig rechts kundigen Vertretung des Staates in Prozessen über die Fälle des § 78 a ZPO hinaus aus Gründen fair gestalteter Prozeßmächtigkeit beider Parteien auch in anwaltsfreien Amtsgerichtsprozessen dann die gerichtliche Bestellung eines Anwalts für den einseitig anwalt losen Bürger zu befürworten, wenn sie vom Bürger nach etwaiger Belehrung erbeten wird, seine Sache weder mutwillig noch aussichtslos ist, und er trotz zumutbarer Eigenanstrengung keinen Anwalt findet; namentlich bei minderbemittelten Bürgern darf die Ausweitung amtsgerichtlicher Zuständigkeit nicht zur Rechtsschmälerung führen. bb) Soweit Staatsorgane einen Einzelfall hoheitlich regeln können, müssen dem betroffenen Bürger je nach Eigenart des Handelns und der Interessenlage machtausgleichende Beteiligungs-, Erwirkungs- oder Gegenwehrmöglichkeiten bereitstehen. Im Bereich der Daseinsvorsorge steht für den Bürger die Durchsetzung von Leistungsansprüchen im Vordergrund; im Bereich der Sicherheitsverwaltung zielt sein Interesse vorrangig auf die Erwirkung von behördlichem Handeln, das ihn bedrohenden Gefahren oder Störungen entgegentritt, oder auf die Abwehr von beabsichtigten oder schon angeordneten Eingriffen in seine Rechte. Ein materieller Rechtsstaat sichert dem Betroffenen durch frühzeitige effektive Teilhabe an der Administrativentscheidung soweit wie möglich Rechtsverletzungsfreiheit zu. Ist der Entscheid getroffen, verbürgt ein materieller Rechtsstaat ubiquitären gerichtlichen Rechtsschutz in zweierlei Hinsicht: Erstens gewährleistet er zumindest grundsätzlich einstweiligen Rechtsschutz, der die Vollziehbarkeit belastenden Exekutivhandelns hemmt, insbesondere irreparablen Folgen eines etwaig rechtswidrigen Exekutivhandelns entgegenwirkt. Und zweitens garantiert er richterliche Kontrolle. Das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu diesem Rechtsschutzkonzept. Denn die constitutio scripta verbürgt dem Träger subjektiver Rechte grundrechtlich durch Art. 19 IV GG gerichtlichen Rechtsschutz gegen jedwedes hoheitliche Handeln, das ihn in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt.

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Das Wort vom Rechtsmittel- oder Rechtswegstaat, in dem jedwede staatliche Machtausübung mit Rechtseingriffscharakter vom betroffenen Rechtsträger als Gesellschaftsmitglied gleichsam gesellschaftlicher, von einem staatsrnachtunabhängigen Richter ausgeübter Rechtskontrolle unterworfen werden kann, schändet den Rechtsstaat freier Bürger nicht; es ziert ihn. Daher sind den Verwaltungsverfahrensgesetzen73 und den Rechtsprinzipien, die für behördliches Handeln gelten, Gerichtsgesetze beigeordnet, die dem in seinen Rechten Betroffenen auf seinen Antrag hin die gerichtliche Erwirkung oder Abwehr von behördlichem Verhalten, das seine Rechte tangiert, garantieren; insbesondere die Verwaltungsgerichtsordnung ist insoweit zum Eckstein gerichtlichen Rechtsschutzes geworden. Dabei sichert das für Situationen, die den Bürger besonders intensiv treffen, verwaltungsverfahrensgesetzlich enumerativ befohlene förmliche Verwaltungsverfahren die faire frühzeitige Teilhabe des Bürgers namentlich durch eine mündliche Verhandlung 74 , in der er unter fakultativer Zuhilfenahme rechtskundigen Beistands seine Sicht der Dinge zu Gehör bringen kann; die fallrelevanten Daten sind von Amts wegen auch durch Einvernahme aussagepflichtiger Zeugen und Sachverständiger zu inquirieren75. Ist ein förmliches Verwaltungsverfahren durchgeführt worden, bedarf es vor Erhebung einer Klage beim Verwaltungs gericht keiner inneradministrativen Nachprüfung in einem Widerspruchsverfahren. Ist kein förmliches Verwaltungsverfahren durchgeführt worden, wird vorläufiger, die Vollziehbarkeit des hoheitlichen Entscheids grundsätzlich hemmender Rechtsschutz76 bei verwaltungsaktlichem Belastungshandeln durch Widerspruch erreicht, der dem Betroffenen ein administration sintern es Kontrollverfahren mit Gehör eröffnet; auf diese Rechtsmöglichkeit ist der Betroffene fair-fürsorglich hin73 Für den Bund vgl. Kopp, VwVfG-Kommentar, 4. Auf!. 1986. Für die Länder vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auf!. 1986, § 19. 74 Vgl. §§ 63 ff. VwVfG. 75 §§ 67 ff. VwVfG. 76 § 70 VwGO.

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zuweisen. Hilft die - verglichen zur Ausgangsbehörde prinzipiell staatsorganisatorisch höherrangige - Widerspruchsbehörde77 nicht ab, so sind die Klagemöglichkeiten zu den Verwaltungsgerichten78 begründet. Diese erforschen wahrheitsverpflichtet von Amts wegen den Sachverhalt79 , ohne an die Beweisanträge und das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten gebunden zu sein. Das Administrativinteresse wird in der für die Beweisaufnahme notwendigen mündlichen Verhandlung80 durch die Bundes- bzw. Landesanwaltschaft als Vertreterin des öffentlichen Interesses artikuliert81 . Der klagende Träger subjektiver Rechte kann sich stets anwaltlichen Beistandes bedienen82 ; rechtsunerfahrene Kläger sind fürsorglich auf ihre prozessualen Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte aufmerksam zu machen83 . cc) Kontinentaleuropäische Juristen, deren Ausschauwille im Alltagsgetriebe ihrer forensischen Praxis zerrieben wird, mögen wähnen, Straftatverfolgung gegenüber einem Beschuldigten zeichne das eindeutigste Gegenbild zu der zwischen zwei privaten, rechtlich gleichrnächtigen Interessenträgern gegebenen Konfliktsituation und deren gleichberechtigter ,waffengleicher' Austragung in einem Zivilprozeß. Denn es ist ihnen vertraut geworden, daß der Staat und seine objektiver Gerechtigkeit verpflichteten Straftatverfolgungsorgane im integrationspräventiven Interesse der Bekräftigung erschütterten Rechtsvertrauens durchgängig wahrheitsfinal 77 Vgl. § 73 I 2 Nr. 1 VwGO. Vgl. aber die Ausnahmen in § 73 I 2 Nr. 2, Nr. 3 VwGO. 78 Vgl. §§ 40 ff., 42, 43 VwGO. 79 § 86 I 1 VwGO. Vgl. hierzu statt aller Marx, Die Notwendigkeit und Tragweite der Untersuchungsmaxime in den Verwaltungsprozeßgesetzen (VwGO, SGG, FGO), Jur. Diss. Gießen 1984. 80 Vgl. § 101 I VwGO. 81 Vgl. §§ 35, 36 VwGO. 82 Vgl. § 6711 1 VwGO. 83 Vgl. § 86 III VwGO; § 104 VwGO. Aus der Literatur vgl. Berg, Grundsätze des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, in: Festsehr. für Menger, 1985, S. 537 ff.; Lüke / Schröder, Grundsätze des Verwaltungsprozesses, in: JuS 1961, S. 41 ff.; Turegg, Die Prozeßmaximen im Verwaltungsprozeß, in: Festsehr. f. Lehmann, 1956, S. 849 ff.

4 Bottke

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dem Verdacht, es habe sich eine Straftat ereignet, aufklärend nachgehen, Tatzuständige ermitteln, diese bei genügendem Anlaß anklagen, Angeklagte in einern strafgerichtlichen Verfahren mit richterlicher Inquisition zur Verantwortung ziehen, Schuldige zu Strafen verurteilen und Verurteilte das gerichtlich bestimmte Strafübel erleiden lassen. aaa) Notwendig ist ein strikt hoheitliches, zivilprozeßfernes Strafverfahren jedoch nicht, um die durch Straftatverdacht erschütterte kollektive Bereitschaft, sich selber regelmäßig normgetreu zu verhalten, kontrafaktisch zu stabilisieren. Dies gilt namentlich dann, wenn die mutmaßliche Straftat ein individuelles Opfer in seinen (vorstrafrechtlich verfassungs- und/oder völkerrechtlich definierten) Rechtsgütern beeinträchtigte, das selber tatverdachtsermittelnd tätig werden und den Tatzuständigen seiner Tat bis in das Gerichtsverfahren hinein beschuldigen kann. Regierungsrnachtkritischer Gesellschaftstradition folgend, ist das angelsächsische Gerichtsverfahren traditionell eher in Anlehnung an den Zivilprozeß konzipiert. So gibt es im englischen Strafverfahren keine Staatsanwaltschaft und für die Anklage kein behördliches Anklagemonopol. Theoretisch kann jedermann die Anklage erheben; nur wegen der faktischen Macht der Polizei wächst dieser meist die Verdachtsaufklärung und in Nichtgeschworenensachen auch die Anklage ZU84 . Das gerichtliche Verfahren wird im englischen und US-amerikanischen Strafprozeß von der Verhandlungsmaxime bestimmt. Beschuldigte und Zeugen werden weder gerichtlich geladen noch in der Hauptverhandlung richterlich vernommen. Beschuldigte können als Zeugen in eigener Sache aussagen und sind dann einern Kreuzverhör unterwerfbar. Namentlich in den einzelstaatlichen Strafverfahren der USA sind Elemente einer Dispositionsmaxime selbst in Gestalt eines zwischen Verteidiger und Anklagevertreter ausgehandelten plea bargaining trotz rechtsstaatlicher due-process-Bedenken akzeptiert85 • Leitbild des gerichtVgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, 21. Aufl. 1989, § 73 A 11, S. 429. Der US Supreme Court steht dem plea bargaining skeptisch gegenüber, vgl. Santobello v. New York, 92 S.Ct 495 (1971). Zum plea bargaining in den 84 85

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lichen Verfahrens ist die Idee eines ,fair trial' bzw. ,due process', dessen iudikative Entfaltung den angeklagten Bürger vor ,unziemlieher', ,unverständiger' Beeinträchtigung seiner Freiheitsinteressen in einem ,waffenungleichen' , ,undialogischen' Verfahren schützt. Von daher erklärt es sich, daß US-Bürgern manche Gerichtsentscheidungen des US Supreme Court zu nahezu allgemeinbekannten ,famous cases' werden, die z. B. mit ,Miranda-rules'86 den althergebrachten Rechtssatz ,nemo tenetur se ipsum accusare' repetieren und die fairneßgerechte Pflicht von Vernehmungsorganen, Beschuldigte über deren Selbstbezichtigungsfreiheit und deren Recht auf anwaltliche Verteidigungshilfe zu belehren, tragen. Vielen rechtsgebildeten Angelsachsen sind die richterliche Verhandlungsführung und andere inquisitorische Elemente eines strikt obrigkeitlichen Strafverfahrens ein Greuel, das sie an mittelalterliche Inquisitionsprozesse erinnert und historisch rückschlägig dünkt; sie sind von der Güte ihrer Richterpersönlichkeiten als Garanten einer freien Gesellschaft und eines ihr würdigen: ,civilen' Strafverfahrens überzeugt: ,We are civilized countries and have established the rule of law'87; ihr, so ist man mit Blick auf eigene Traditionen

USA vgl. Alschuler, Plea Bargaining and its History, 79 Columbia-L.R. 1 (1979); Bond, Plea Bargaining and Guilty Pleas, New York 1975; Finkelstein, A Statistical Analysis of Guilty Plea Practices in the Federal Courts, 89 Harv.L.Rev. 293 (1975); Rosett / Cressey, lustice by Consent: Plea Bargains in the American Courthouse, Philadelphia 1976; White, A Proposal for Reform of the Plea Bargaining Process, 119 U.P.L.Rev. 439 (1971). 86 US Supreme Court, Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436 (1966). 87 Als Beleg dafür mag dienen, daß sich die Alliierten in der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Strafverfolgungsbefugnisse auch im Glauben an die Überlegenheit ihres Verfahrens vorbehalten haben, vgl. Art. VII Abs. 3 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut BGBI., 11 1961, S. 1190): (3) In allen Fällen konkurrierender Gerichtsbarkeit gelten die folgenden Regeln: (a) Die Militärbehörden des Entsendestaates haben das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit über ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges in bezug auf (i) strafbare Handlungen, die nur gegen das Vermögen oder die Sicherheit dieses Staates oder nur gegen die Person oder das Vermögen eines anderen 4·

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versucht hinzuzufügen, habt vielleicht in Bälde eine Theorie fairen Strafprozesses dogmatisch entwickelt, aber eventuell-schließlich trotz aller akademischer Anstrengung keine faire Strafverfahrenskultur. Aber auch wenn man derlei pre-judgement nicht teilt und den Blick von der Ferne in die Nähe lenkt: Auch das deutsche Strafprozeßrecht kennt mit der Privatklage gegenüber erwachsenen Beschuldigten Einsprengsel des Zivilverfahrens88 : Opfer bestimmter Delikte können Anklage erheben und das Strafverfahren betreiben, ohne wie der Staatsanwalt zur Prosekution und Objektivität verpflichtet zu sein; das Opfer als Privatkläger kann - unter Umständen mit dem Privatbeklagten auch nach Eröffnung des gerichtlichen Hauptverfahrens - die Klage zurücknehmen89 • Zudem gehören die deutschen Strafgerichte traditionell zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Obschon daher die alleinige Einblendung eines strikt hoheitlichen Strafverfahrens, etwa bundesdeutscher Ausprägung, das strafprozessuale Blickfeld nur mangelhaft ausleuchtet, sei es als naheliegendes Objekt gewählt. Denn wie immer auch die Basisstruktur des Strafverfahrens bestimmt sein mag, allemal geht es unter Aspekten der Verfahrensgerechtigkeit auch hierzulande darum, dem BeschulMitglieds der Gruppe oder des zivilen Gefolges dieses Staates oder eines Angehörigen gerichtet sind; (ii) strafbare Handlungen, die sich aus einer Handlung oder Unterlassung in Ausübung des Dienstes ergeben. (b) Bei allen sonstigen strafbaren Handlungen haben die Behörden des Aufnahmestaates das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit. (c) Beschließt der bevorrechtigte Staat, die Gerichtsbarkeit nicht auszuüben, so teilt er dies den Behörden des anderen Staates so bald wie möglich mit. Die Behörden des bevorrechtigten Staates ziehen die von den Behörden des anderen Staates an sie gerichteten Ersuchen um Verzicht auf das Vorrecht in wohlwollende Erwägung, wenn der andere Staat einem derartigen Verzicht besondere Wichtigkeit beim ißt. 88 Zum Privatklageverfahren vgl. §§ 374 - 394 StPO. Aus der Literatur vgl. v. Schacky, Das Privatklageverfahren und seine Berechtigung heute, Jur. Diss. München 1975. 89 Vgl. § 391 StPO.

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digten ein faires Strafverfahren zu geben, in dem der Allgemeinbelang, auf Tatverdachte integrationspräventiv sinnvoll durch Verdachtsaufklärung, Tatfeststellung und ggf. Verurteilung des Tatzuständigen zu reagieren, legitime Opferbedürfnisse und die Freiheitsinteressen des Beschuldigten, Angeklagten und ggf. Verurteilten zu einem gerechten Ausgleich kommen. Die Leitidee prozessualer Fairneß steht einer hoheitlichen inquisitorischen Strafverfahrensstruktur nicht entgegen. Zwar sicherte ein Strafverfahren, in dem der Richter weder die Anklage zuließe noch mit dem Ziel objektiver Wahrheitsfindung Beweismittel erhöbe, sondern Parteien über den Sach- und Rechtsstoff disponierten und die Verhandlung vorantrieben, eher die Unvoreingenommenheit des Richters als ein Strafprozeß, der dem Gericht nicht nur die Antwort auf die Schuld- und Straffrage zuschiebt, sondern auch die Aufgabe der Beweisaufnahme und Prozeßführung. Denn es ist empirisch erhärtete psychologische Einsicht, daß auch Richter dem Perseveranzphänomen unterliegen 90 : Indem sie als Berufsrichter Aktenkenntnis haben, die Anklage zulassen, aktenkundig von der Staatsanwaltschaft benannte Belastungszeugen befragen oder Sachverständige beauftragen, machen sie sich nolens volens Informationen und Hypothesen zu eigen, die auf den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwurf hindeuten. Zweitdaten und -deutungen, die mit den primär aufgenommenen Informationen und Hypothesen konfligieren, werden eher abgeschwächt, bestätigende eher verstärkt ,wahr'-genommen. Zum einen ist diesem ,basalen Nachteil' aber durch die Entwicklung effektiver Beteiligungs- und Gegenwehrrechte des Beschuldigten wehrbar , die ihm trotz berufsrichterlicher Aktenkenntnis, Verhandlungsleitung und Inquisition sowohl einen ,unparteiischen' Richter als auch umfassende Verfahrensteilhabe in einem fairen Strafprozeß verbürgen. Und zum anderen ist jeden90 Vgl. Schünemann et al., Experimentelle Untersuchungen zur Reform der Hauptverhandlung in Strafsachen. Forschungsbericht aus dem Sonderforschungsbereich 24, Mannheim 1983; Bandilla et al., Informationsverzerrung in der Hauptverhandlung des deutschen Strafverfahrens in Abhängigkeit von Vorinformationen. Bericht aus dem Sonderforschungsbereich 24, Mannheim, 1983.

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falls eine Dispositionshoheit von Anklagevertreter und Beschuldigten, die den ,Deal' über den richterlich aburteilbaren Tatvorwurf und über die verhängbare Sanktion erlaubte, verfahrensungerecht, rechtswidrig und kriminalpolitisch bedenklich. Denn sie läuft re vera auf eine Absprache zwischen Anklagevertreter , Verteidiger und Gericht hinaus, an der der Beschuldigte nicht teilhat, die vorrangig deren Arbeitsökonomie dient und das Opfer sowie die Gesellschaftsmitglieder um die integrationspräventiv sinnvolle Markierung des geschehenen kriminellen Unrechts durch das Gericht zum Abschluß und auf Grund der Hauptverhandlung bringt; ein Schuld- und Strafspruch, der nicht die geschehene Tat dem materiellen Recht gemäß bewertet, ist kein Wahrspruch 91 , kein ,Verdict', den ohne Kluft oder Widerspruch zu den rechtlich gesetzten Schuld- und Strafmaßen zu erleiden und zu erhalten, Pflicht und Recht des Schuldigen ist. bbb) Ein faires Strafverfahren, das in integrationspräventiver Funktion durch Tatverdachtsaufklärungen, Anklagen und Wahrsprüche die Normbefolgungsbereitschaft potentieller Delinquenten gegen enttäuschte Verhaltenserwartungen und kriminogene Imitationsneigung stabilisiert, nimmt Rechtstreue nicht nur in Anspruch; es lebt sie durch strikte Beachtung aller prozessual relevanten Rechtsnormen auch vor. Die formale Befolgung aller strafprozessual relevanten Rechtsnormen, i. e. die Formenstrenge des Strafverfahrens, ist material durch ein Maximum an Grundwertetreue unterfüttert. So wie ein ,civiles' Kriminalrecht nur solche vorstrafrechtlichen Verhaltensnormen strafbewehrt, die verfassungsrechtlich anerkannte Güter wahren und deren Beachtung letztlich zur Personenautonomie und Selbstverwirklichung des einzelnen oder zum Erhalt eines diesem Letztziel verpflichteten Gemeinwesens notwendig ist, so ist ein ,civiles' Strafverfahren prinzipiell auf eben diese Grundwerte eines freiheitlich verfaßten Gemeinwesens bezogen. 91 Dazu, daß die empirische Verifizierbarkeit eines singulären empirischen Satzes der Art: ,X hat am so und so vielten die Tat so und so begangen' möglich ist, vgl. Popper, Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, 1979, S.378.

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aaaa) Da eine demokratische Gesellschaft hoheitliche Eingriffe in die Freiheiten ihrer Mitglieder formal auf den kollektiven Willen und material auf rationale Zwecktauglichkeit zurückführt, bedürfen sämtliche strafprozessualen Akte durch hoheitliche Organe, die in Grundrechte einzelner eingreifen, spezialgesetzlicher Ermächtigung und müssen bei Beachtung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgebots und Übermaßverbots erforderlich und geeignet sein, das integrationspräventive Straftatverfolgungsinteresse zu befördern. Gemeinwesen, deren constitutiones scriptae über einen limitierten Set einzelner Spezialfreiheiten hinaus wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein zunehmend extensiv interpretiertes Grundrecht der allgemeinen Verhaltensfreiheit kennen (Art. 2 I GG), müssen mit zunehmender Sensibilität für die Rechtseingriffsqualität strafprozessualer Akte rechnen; kriminalistische Tradition und Nützlichkeit klassischer Fahndungsmittel (wie der Observation), die in das Recht, nicht dauerhafter obrigkeitlicher Lebensüberwachung unterzogen zu werden 92 , eingreifen, ersetzen die notwendige Spezialbefugnisnorm nicht. Erst recht sind neu entwickelte oder im Wege technischen Fortschritts auf eine höhere Qualitätsstufe gehobene Mittel, wie der Einsatz der EDV bei der Speicherung personenbezogener Daten93 , neuer Kompetenzgesetze bedürftig. Darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß im Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit das Urrecht auf Sozialisation aufgehoben ist, das das aufklärerische Modell des Gesellschaftsvertrages, verstanden als staatstheoretische normative Leitidee, implizit vorrangig mitbeinhaltet; ohne Recht auf Vergesellschaftung dürfte der einzelne sich nicht mit anderen vorstaatlich assoziieren. 92 Zur Observation vgl. BGH, NJW 1975, S. 2075; Riegel, Probleme der Polizeilichen Beobachtung und Observation, in: JZ 1980, S. 224 ff. Eine spezialgesetzliche Grundlage hierfür findet sich in der StPO nicht, vgl. aber §§ 163 e - 163 n StPO Entwurf StV ÄG 1988, abgedruckt in: StV 1989, S. 172 ff. 93 Vgl. dazu OLG Frankfurt, NJW 1989, S. 47 ff. = NStZ 1989, S. 584 f. m. Anm. Scholderer.

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Akzeptiert man dies, ist allgemein dafür Sorge zu tragen, daß das im Kollektivinteresse betriebene Strafverfahren möglichst dissozialisationsarm abläuft; weder intendierte ,Erziehung' noch Resozialisierung, wohl aber Dissozialisationsarmut ist ein Gebot materiell rechtsstaatlichen Strafverfahrens, das das Grundrecht auf Sozialisation und damit auf Erhalt erreichten Standards freier Assoziation mit anderen Gesellschaftsmitgliedern achtet. Soweit mit legalen strafprozessualen Maßnahmen, wie z. B. dem Ermitteln und Befragen von Zeugen, die reputationsschädigende Benennung eines Tatverdachtes und dessen Askription einem Beschuldigten gegenüber als dissozialisierender Nebeneffekt verbunden ist, reicht dieser allerdings nicht aus, um eine einzelfallgesetzliche Befugnisnorm einzufordern. Ferner steht häufig bei extrem dissozialisierenden Akten, wie z. B. der den Betroffenen aus der Gemeinschaft frei lebender Bürger herausreißenden Untersuchungshaft, der Eingriff in ein Spezialfreiheitsrecht, in exemplo: der Fortbewegungsfreiheit, Art. 211 GG, im Vordergrund; der insoweit legislatorisch geschaffene Ermächtigungstatbestand deckt den Dissozialisierungseffekt mit ab. Maßnahmen, die allein den sozialen Status des Beschuldigten antasten, wie z. B. die Fahndungshilfe erbittende oder aus ,PRnahen' Gründen erfolgende Mitteilung von identifizierenden Angaben über den Beschuldigten durch Strafverfolgungsorgane an Massenmedien, ohne gesetzlich abgesichert zu sein, erheischen jedoch wegen ihres dissozialisierenden Eingriffs in das grundrechtlich geschützte Anonymitätsinteresse der Beschuldigten, zukünftig spezialgesetzliche Befugnis94 . bbbb) Dem allgemeinen, auch im Strafprozeß gültigen Prinzip des Gesetzesvorbehalts gesellt eine materiell sozial- sowie rechtsstaatliche Demokratie spezifische Maximen bei, die die Rechtssubjektrolle des Beschuldigten und seine Gegenwehrchancen verstärken. aa aaa) So gilt der Beschuldigte bis zu seiner rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung als unschuldig95 . Obschon in die Sprache 94 Vgl. dazu jetzt StV ÄG 1988 (Referentenentwurf) § 131 b 11 2 StPO. Vgl. auch Bouke, Strafprozessuale Rechtsprobleme massenmedialer Fahndung, in: ZStW 93 (1981), S. 425 ff.

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der Fiktion gefaßt, wohnt der Unschuldsvermutung materialer Gehalt inne, die sie weit über eine fa~on de parler erhebt: für jede civilisierte Gesellschaft ist es selbstverständlich, daß der mutmaßliche Rechtsbrecher Mitglied der Gesellschaft und Träger vorstaatlich begründeter Grundfreiheiten ist und bleibt, ohne Rücksicht darauf, ob und wie sehr ihm Tatverdacht und Tatzuständigkeit askribiert werden; Art. 18 GG kennt vor einer gerichtlichen Verurteilung keine Grundrechtsverwirkung. Eben deshalb sind bis zur rechtskräftigen Verurteilung nur solche Eingriffe in die Rechte des Beschuldigten zulässig, die auch gegenüber einem in Wahrheit Unschuldigen im kollektiven Tatverfolgungsinteresse noch zumutbar wären. Infolgedessen müssen Ermittlungsmaßnahmen, die seine Dispositionshoheiten tangieren, nicht nur auf eine gesetzliche Kompetenznorm gestützt werden können. Selbst befugnisnormgestattete Freiheitseingriffe werden rechtswidrig, wenn sie für einen in Wahrheit Unschuldigen schlechterdings unzumutbar sein würden und so das mit der Unschuldsmaxime verkoppelte Übermaßverbot verletzen. Untersuchungshaft darf z. B. nicht übermäßig lange dauern96 und als härtestes Mittel des Strafverfahrens, den Beschuldigten gegen Flucht oder Fluchtgefahr als Beweismittel und potentiell Tatzuständigen dem staatlichen Zugriff zu erhalten oder ihn von der Trübung anderer Beweisquellen abzuhalten, zu vorweggenommener Strafe oder Maßregel der Besserung verkommen97 • bb bbb) Ein ,civiles' Strafverfahren achtet die Selbstbezichtigungsfreiheit9 8 des Beschuldigten. Untersuchungshaftvollzug darf 9S Vgl. Art. 1411 IPbpR. Zur Unschuldsvermutung vgl. aus der Literatur, Frowein, Bedeutung der Unschuldsvermutung, in: Festsehr. f. Huber, 1981, S. 534; Kühl, Unschuldsvermutung, Freispruch und Einstellung, 1983. 96 Zur Untersuchungshaft vgl. Paeffgen, Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaftrechts, 1986; Seebade, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1985. 97 Die Haftgründe ,Schwere der Tat' und ,Wiederholungsgefahr' des Bundes deutschen U-haftrechtes stehen an der Grenze des Zulässigen, vgl. BVerfGE 19, S. 342 ff.; Walter, Untersuchungshaft, Vorbeugungshaft und vorläufige Sanktionen, in: ZStW 93 (1981), S. 452 ff. 98 Vgl. Günther, Schweigebefugnis des Tatverdächtigen im Straf- und Bußgeldverfahren aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: GA 1978, S. 193 ff.; Stür-

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daher z. B. nicht zur Beugehaft verkargt werden. Das Sonderopfer, das der Beschuldigte im integrationspräventiven Interesse der Allgemeinheit zu erbringen hat, ist auch deshalb so zu gestalten, daß es den Beschuldigten nicht in bedrückender Vollzugsrealität zur Aussage nötigt. Die sog. ,Bequemlichkeitsgarantie' des § 119 IV StPO drückt aus, daß ein grundwertegemäßer Untersuchungshaftvollzug dem als unschuldig geltenden Beschuldigten soviel an Freiheit gewährt, wie der Sicherungszweck der U-haft toleriert, und ihm nur soviel an extramuraler Lebensqualität nimmt, wie mit der Unschuldsmaxime vereinbar ist; wer außerhalb von Anstaltsmauern sich mehr als andere leisten kann, darf dies auf seine Kosten auch als Häftling tun: Der U-haftraum ist kein Ort sozialer Gleichheit. Die Aussagefreiheit des Beschuldigten ist intra- und extramural ubiquitär zu respektieren. Der Beschuldigte hat ein Recht darauf, die Folgen seines Verhaltens antizipieren zu können und ist nicht gehalten, aktiv an seiner Überführung mitzuwirken. Er muß zwar z. B. seinen Körper untersuchen lassen; sein Wissen zur Verfügung stellen oder sonst kooperieren muß er nicht. cc ccc) Dem Recht auf Verweigerung gesellt ein faires Strafverfahrensrecht Rechte auf Gegenwehr, darunter das Recht, sich in jeder Lage eines Strafverfahrens eines Verteidigers zu bedienen99 , bei. Zwar ist der Ausdruck ,Waffengleichheit' sowohl altväterlicher Militärsprache entschlüpft als auch außerstande, ein realistisches Normativum zu transportieren. Unter den einer Straftat Beschuldigten sind Unterschichtsangehörige überrepräsentiert und dem ner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, in: NJW 1981, S. 1757 ff.; Wesseis, Schweigen und Leugnen im Strafverfahren, in: JuS 1966, S. 169 ff. 99 Vgl. § 137 StPO, Art. 6 III lit. c EuMRK, Art. 14 III lit. d IPpbR. Aus der Literatur: Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980; Gössel, Die Stellung des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren, in: ZStW 94 (1982), S. 5 ff.; Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger, 1984; Holfort, Der Anwalt als soziale Gegenmacht, 1977; Holfort (Hrsg.), Strafverteidiger als Interessenvertreter, 79; Eb. Schmidt, Rechte und Pflichten, Funktionen und Konflikte des Strafverteidiges, in: JZ 1969, S. 316 ff.

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obrigkeitlichen Machtvorsprung allemal unterlegen; dieser ist zudem gerade auch gegenüber Oberschichtsangehörigen notwendig zu erhalten, um ihnen gegenüber Straftatverfolgung zu sichern. Ein materiell rechtsstaatliches, ,civiles' Strafverfahren strebt aber keine solche Machtüberlegenheit staatlicher Repressionsorgane an, der gegenüber nur ritualistisches Demutsverhalten oder passivistisches Geschehenlassen durch Aussageverweigerung möglich wäre. Es will in prozessualer Fairneß eine angemessen ausbalancierte Machtverteilung, dank der der Beschuldigte als Rechtssubjekt mitreden, mitgestalten, effektive Gegenwehr entfalten und schließlich seine Freiheit ,gewinnen' kann. Hierfür sind nicht nur Rechte, Anträge auf Erhebung von Entlastungsbeweisen zu stellen oder Grundrechtseingriffe richterlicher Kontrolle zuzuführen, notwendig. Es bedarf der professionellen Hilfe durch einen rechtskundigen Verteidiger, der, obschon Organ fairer Strafrechtspflege, einseitiger Fürsprecher und Beistand des Beschuldigten ist. Der Hilfe eines Verteidigers bedarf es nicht bloß, um Rechtsunkundigkeit und psychologische Bedrängnis auszugleichen. In Rechtsordnungen wie der Bundesrepublik Deutschland, die - wenn auch spätestens erst mit Abschluß des Ermittlungsverfahrens allein dem Verteidiger das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen 1OO , geben, dem Beschuldigten aber dieses Recht in persona verwehren, wächst die Macht der Information dem Beschuldigten nur über einen Verteidiger zu; ohne die ,subversive' Macht des Wissens über das, was der Strafverfolgungsapparat an Belastungsmaterial im Vorverfahren gesammelt hat, läßt sich effiziente, gegengewichtreiche Verteidigung in der durch die Resultate des Ermittlungsverfahrens vorgeprägten Hauptverhandlung nicht führen. dd ddd) Eine lex scripta, die dem regelmäßig rechtsunkundigen Beschuldigten nur auf dem Papier der Gesetzesurkunde Rechte der Verweigerung, Gegenwehr und Teilhabe gewährte, wäre mit der 100 § 147 StPO. Zum Akteneinsichtsrecht vgl. Lüttger, Das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht, in: NJW 1951, S. 744 ff.; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, in: Festgabe für Peters, 1984, S. 309 ff.; Welp, Rechtsschutz gegen verweigerte Akteneinsicht, in: StrV 1986, S. 446 ff.

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schwarzen Tinte des Zynismus geschrieben, wenn sie nicht zugleich alle Agenten des Repressionsapparates verpflichtete, den Betroffenen über die jeweils relevante Befugnis fürsorglich 101 zu belehren. Daher ist z. B. von allen ,Organen', die mit dem Beschuldigten Vernehmungen führen, eingangs jeder neuen Vernehmung der Beschuldigte über sein Recht, die Aussage zur Sache, zu allen strafbegründungs- oder strafzumessungsrelevanten Daten, zu verweigern, zu belehren 102 • Aussageverweigerungsrecht und Belehrungspflicht sind auch gegenüber und von Personen zu wahren, deren berufliches Autound Heterostereotyp zwar nicht auf Tadel und Repression zielt, die aber durch oder auf seiten von klassischen Repressionsorganen (wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht) in den Strafprozeß involviert sind; dies ist z. B. bei Sozialarbeitern, die als Gerichtshelfer ermittelnd tätig werden, sowie bei Angehörigen therapeutischer Berufe, die ,von der Gegenseite' als Sachverständige beauftragt sind, der Fall 103 . Denn gerade bei einer ,Befragung', einem ,Gespräch' oder einer ,Exploration' durch diese rollendiffusen Hilfsorgane steht zu befürchten, daß der Beschuldigte dem Vorverständnis aufsitzt, ihm würde Hilfe geleistet. Ein faires Strafverfahren lügt aber weder durch aktive Täuschung noch durch Verschweigen; es gaukelt dem Beschuldigten weder durch euphemistische Gesprächsführung noch durch Nichtbelehrung vor, er erreiche in irgendeinem Stadium des Verfahrens vor dem Schuld- und Straf101 Zum Gedanken der Fürsorge im Strafverfahren vgl. Plätz, Die gerichtliche Fürsorgepflicht im Strafverfahren, Jur. Diss. Mannheim 1980. 102 Die Praxis, einige strafzumessungsrelevante Daten in der Vernehmung zur Person vor jeder Belehrung über das Aussageverweigerungsrecht zu erfragen, ist abzulehnen, vgl. Kleinknecht / Meyer, StPO-Kommentar, 39. Aufl. 1989, § 243 Rz. 7. 103 Zur Belehrungspflicht bei Jugendgerichtshelfern vgl. Bottke, Das Jugendamt als ermittelnde Jugendrechtshilfe - ein Unding?, in: ZBIJugR, 1980, S. 12 ff. Zur Belehrungspflicht von Erwachsenengerichtshelfern vgl. Bottke, Bemerkungen zur Gerichtshilfe für Erwachsene, in: MSchKrim 1981, S. 62 ff. Zur Belehrungspflicht von Sachverständigen, vgl. Fincke, Die Pflicht des Sachverständigen zur Belehrung des Beschuldigten, in: ZStW 86 (1974), S. 656 ff.

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spruch einen Ort, an dem statt der Probleme, die er durch seine Tat und So-Sein anderen bereitet hat, ausschließlich oder vorrangig die Probleme, die andere ihm bereitet haben, in Hilfsabsicht zur Sprache kämen. Ein faires Strafverfahren täuscht keine problemlösende Gemeinschaft vor, in die der Beschuldigte unbelehrt zur Kooperation mit Benevolenten zu verleiten wäre; es ehrt bereitwillig die Würde und Personenautonomie des Beschuldigten durch umfassende Aufklärungen über die Ermittlungsfunktion eines ,Gesprächs' und sein Recht, sich zu verweigern, gerade dann, wenn diese von sozial- oder anderstherapeutischen Vorverständnissen zugeschüttet zu werden drohen. ee eee) Die damit bemühte Idee eines fairen Strafverfahrens bündelt gleichsam leitmotivisch die Grundregeln eines Strafprozesses, der dem Beschuldigten angemessene Gegenrechte zur Seite stellt und diese fürsorglich effektuiert. Zwar ist es ungewöhnlich, daß ein zentraler Topos deutschsprachiger Verfahrensrechtslehre einer fremden Sprache entlehnt ist. Und richtig ist auch, daß er in seiner Offenheit und Konkretisierungsbedürftigkeit exakter Begrifflichkeit ermangelt. Gleichwohl ist er als normativer Typus keine bloße Leerformel oder auch nur entbehrlich; wer ihn so einschätzte 104 , zielte mit seiner Kritik zu kurz und übersähe, welchen produktiven Beitrag er zur interpretatorischen und legislatorischen Fortentwicklung positiven Strafverfahrensrechts zugunsten eines ,Mehr' an strafprozessualer Gerechtigkeit schon geleistet hat und noch leisten wird. Um dies an Beispielen aus dem Verteidigerrecht, Jugendstrafrecht und Rechtsmittelrecht zu belegen: (1) Effiziente Gegenwehr setzt voraus, daß der Beschuldigte auch dann, wenn er sich keinen Wahlverteidiger leisten kann, fachkundig verteidigt wird. Dies gilt zumindest dann, wenn die Tat, deren er bedroht ist, gravierende Rechtsfolgen nach sich ziehen kann oder der Beschuldigte - sei es aus in seiner Person, sei es aus in der Sach104 So aber Heubel, Der fair trial- ein Grundsatz des Strafverfahrens?, 1981, S. 30 ff.

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oder Rechtslage liegenden Gründen - sich nicht selbst verteidigen kann. Dabei gebietet prozessuale Fairneß, ihm grundsätzlich einen Anwalt seines Vertrauens zu bestellen; Zwangsverteidiger sind einem fairen Strafverfahren suspekt. Dies hat das BVerfG schon zu Zeiten anerkannt, als das geschriebene Recht dies nicht explizit sagte 105 - nunmehr ist es auch kodifiziertes Recht lO6 . (2) Die Scheinkontinuität positiven Rechts entlarvt die Idee strafprozessualer Fairneß besonders anschaulich bei fairneßgerechter Interpretation des seit 1923 in Kernbereichen unveränderten formellen Jugendstrafrechts, das in ,erzieherischer Benevolenz' gegenwehrschädlich gedeutet werden könnte. Denn der Grundsatz prozessualer Fairneß gebietet, jugendlichen Beschuldigten, deren Alter als naturhaft zufallender Zustand ihnen wie die Rasse nicht zur Diskrimination gereichen darflO7 , mindestens die gleichen Chancen prozessualer Gegenwehr zu belassen, die Erwachsenen in vergleichbarer prozessualer Situation zustehen. Die Vergleichbarkeit der prozessualen Situation bei der Altersgruppen wird nicht durch die realiter ohnehin weithin ideologische - erzieherische Zielkomponente des jugendstrafrechtlichen Handeins bestimmt, sondern durch den Rechtseingriffscharakter jugendstrafrechtlichen Procedierens begründet. Infolgedessen sind Jugendlichen - verglichen mit eher finanz- und redekräftigen Erwachsenen - eher mehr als weniger notwendige Verteidigungen zu gewähren l08 • Chancen zur registrierungsfreien Einstellung eines Verfahrens, die Erwachsene nach §§ 153 ff. StPO haben, sind entgegen ganz herrschender Meinung nicht fairneßwidrig Jugendlichen zu nehmen lO9 , sondern vorBVerfGE 39, S. 238 ff.; 66, S. 313 ff. Vgl. § 141 IStPO. 107 Vgl. Art. 14 IV IPbpR. lOB Vgl. Beulke, Die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers, Interpretation der §§ 140 ff. StPO unter jugendrechtlichen Gesichtspunkten, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Verteidigung in Jugendstrafsachen, 1987, S. 170 ff.; Battke, Entwurf einer Teleologie des fairen Jugendstrafverfahrens, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Verteidigung in Jugendstrafsachen, 1987, S. 46 ff. 109 Vgl. Battke, Zur Ideologie und Teleologie des Jugendstrafverfahrens, in: ZStW 95 (1983), S. 69 ff., S. 77. 105

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rangig vor denen nach §§ 45,47 JGG zu applizieren. Im vereinfachten Verfahren nach §§ 76 ff. JGG ist § 78 III S. 1 JGG, dem zufolge "zur Vereinfachung, Beschleunigung" - im interpretierten Klartext: aus Gründen der Arbeitsökonomie - "und jugendgemäßen Gestaltung des Verfahrens" von Verfahrensvorschriften abgewichen werden darf, "soweit dadurch die Erforschung der Wahrheit nicht beeinträchtigt wird", verfassungs- und völkerrechtskonform dahin zu interpretieren, daß auch die Gebote strafprozessualer Fairneß nicht im autoritär-edukationistischen Streben beeinträchtigt werden dürfen. Daher kann z. B. auch im vereinfachten Verfahren fürsorgliche Verteidigerbestellung notwendig sein. Fairneßgerecht sind auch jene Vorschriften des JGG auszulegen, die dem jugendlichen Beschuldigten oder Verurteilten nach Ansicht der Strafverfolgungsorgane erziehungsschädliche Information vorzuenthalten erlauben llO : prozessuale Teilhaberechte und Gegenwehrbelange des jugendlichen Beschuldigten dürfen nicht patriarchalischer Erziehungsmanier geopfert werden. (3) Schließlich sind Rechtsmittelverzichte und Klagerücknahmen entgegen herkömmlicher Prozeßhandlungsdogmatik innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist widerruf- bzw. anfechtbar, wenn sie vom Richter oder Staatsanwalt fairneßwidrig - etwa durch die Vortäuschung einer besonders milden Verurteilung - stimuliert wurden ll1 • 11. Zweites Zwischenergebnis

Um ein zweites Zwischenergebnis zu ziehen: Formal verfahrensgerecht prozediert juristisches hoheitliches Entscheiden im Einzelfall dann, wenn die Art und Weise des Zustandekommens des Entscheids - ohne Bedachtnahme auf die Ergebnisrichtigkeit verheiVgl. §§ 46,4711 4,5411 JGG. Vgl. auch §§ 57 IV 2,65 III 3 JWG. Vgl. dazu Roxin, Strafverfahrensrecht, 21. Auf!. 1989, § 51 V 3 b. Vgl. weiter Dahs, Zur Rechtswirksamkeit des nach Urteilsverkündung "herausgefragten" Rechtsmittelverzichts, in: Festschr. für Schmidt-Leichner, 1977, S. 17 ff.; Dencker, Willensfehler bei Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelzurücknahme im Strafprozeß, 1972. 110 111

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B. Kriterien fonneller Verfahrensgerechtigkeit

ßende Methodik der Fall- und Regelkonstitution - grundwertekonform abläuft und den Betroffenen die effektive Teilhabe am Verfahren garantiert. Diese trägt allüberall vorhandener Rechtsungewißheit Rechnung. Formelle Verfahrensgerechtigkeit gebietet, den Betroffenen je nach Eigenart der Regelungsmaterie effiziente Beteiligungs- und Gegenrechte zu geben und diese durch Belehrung und Gewährung finanziellen sowie personellen Beistands fürsorglich zu effektuieren. Durchgängig gewährtes rechtliches Gehör und effektive Rechtsbehelfe sind Essentiale jedes fairen, grundwerteachtenden Verfahrens. Gegengewichtreicher Rechtsbeistand ist Wesensmerkmal aller gegen einen Grundrechtsträger betriebenen hoheitlichen Verfahren, die mit massiven Freiheitseingriffen (z. B. Unterbringung, Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Fürsorgeerziehung) enden können. Kommunikativen Assymetrien, die die angemessene Verteilung von Prozeßgewinnchancen und damit die Startgerechtigkeit im Prozeß beeinträchtigen, ist ubiquitär entgegenzuwirken, um ein faires Verfahren zu ermöglichen, in dem auch der Schwächere aussichtsreich zu Wort und zu seinem Recht kommen kann.

C. Verfahrensgerechtigkeit der Normensetzung Wer vom Juristen verlangt, dieser solle das für rechtens Erklärte ,begründen', wird im Streben nach Gerechtigkeit mehr erwarten als den Aufweis eines Deduktionszusammenhanges, der von der rechtssprachlichen Norm über die fallrelevante Regel zur für den Sachverhalt gültigen Rechtsfolge weist. Wer kritisch weiterfragt, ist auch nicht befriedigt, wenn er vom Juristen als Gesetzesanwender de lege lata auf die Verbindlichkeit positiven Rechts, den Befolgungsanspruch juristischer Auslegungsregeln, die dialogisch oder inquisitorisch herzustellende, im Wege richterlicher Beweiswürdigung zu beglaubigende Wahrheit empirische Fallannahmen und die Wahrung prozessualer Fairneß als Prämissen der Akzeptabilität juristischer Einzelfallentscheide hingewiesen wird 112 • Er wird vom Juristen wissen wollen, ob geltende Rechtsnormen ihren Namen zu Recht tragen, ,wahres' oder ,richtiges' Recht sind und daher als nach Interpretation regelstiftender Obers atz eines modus ponendo ponens (immer wenn alle Norm-Regelvoraussetzungen T erfüllt sind, gilt die Rechtsfolge R) bzw. eines modus barbara (alle T sollen R sein) taugen. I. ,Wahrheit', normative ,Richtigkeit' und Konsens in einer Demokratie

Auf die Gefahr hin, der allzu großen Vereinfachung geziehen zu werden: Von den Standpunkten des Scientismus und des kritischen Rationalismus ursprünglicher Fassung aus ist das Begehren, sich eines objektiven Geltungsgrundes für die Verbindlichkeit von RechtsnorJl2 Zur Bildung und rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Auf!. 1983, S. 266 ff.

5 Bottke

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c. Verfahrensgerechtigkeit der Nonnensetzung

men zu vergewissern, der von dem machtvoll durchgesetzten Willen eines Einzel- oder Kollektivsubjektes unabhängig ist, in seinem verzweifelten Bemühen um Letztbegründung eines Don Quijote würdig. Denn wenn objektiver Sinn nur solchen Sätzen zukommt, die logisch oder empirisch verifizier- oder falsifizierbar sind, entbehren präskriptive Allsätze, darunter auch Rechtsnormen, notwendig wissenschaftlich dartubaren Sinns; die Geltung positiven Rechts ist danach nicht auf seine Finalität, der Rechtsidee zu dienen, gründbar 113 • Die Ansicht, eine Rechtsnorm sei mit ihren Imperativen und/oder Kompetenzzuweisen (verknüpft mit Duldungspflichten) objektiv gerecht, ist hiernach bestenfalls Ausdruck subjektiver, von anderen wahrhaftig geteilter Überzeugung, nicht aber imstande, als Einsicht in ihrem absoluten Objektivitätsanspruch wissenschaftlich eingelöst zu werden. Von ,wahrem', ,richtigem' Recht wird hingegen reden, wer Werte im objektiv Seienden verortet, das in phänomenologischer Schau als Sich-Zeigendes erkannt, zur Sprache gebracht und anderen mit Wahrheitsanspruch mitgeteilt werden kann. Eine ,realistische' Lehre der Rechtsbegründung in rechtsstaatlichen Demokratien notiert zumindest fünferlei: Erstens ist - vorbehaltlich der Gnade transcendaler, geoffenbarter Einsicht - letzte Sicherheit im Sinne absoluter Verifikation weder im Prozeß des erscheinungswissenschaftlichen Aufzeigens von als Allsätzen formulierten Naturgesetzen noch in dem des Aufstellens von normativen Gesetzen möglich. Jenseits des Bereichs einer allgemein geoffenbarten und allseits konsentierten Erkenntnis, außerhalb deren die Menschen hic et nunc für ihr instinktungesteuertes Handeln der präsumptiv kollektiven Regelannahme bedürfen, ist Gesetzesfixierung vonnöten, die den infiniten Prozeß der Gesetzesbegründung abbricht. Aufgabe der Verfahrensgerechtigkeit ist es, diesen Abbruch am sachgerechten Punkt vorzunehmen und den Prozeß der Gesetzessatzung gerecht im Einklang mit den Basiswerturteilen des auszuformulierenden Gesetzessystems auszugestalten. 113 Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 1950, S. 168 ff. (vor seiner ,naturrechtlichen' Wende).

I. ,Wahrheit', nonnative ,Richtigkeit' und Konsens

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Zweitens sind ein freiheitlich-friedliches Zusammenleben aller und in diesem die für andere tolerable freie Entfaltung des einzelnen als Letztziel freier Gesellschaften nur erwartbar, wenn das Minimalbegehr der einer solchen Gesellschaft inhärenten Gerechtigkeitsidee, die Gleichbehandlung gleicher und die willkürlose Ungleichbehandlung ungleicher Fälle, wenn nicht allüberall erfüllt, so doch zur Erfüllungsreife gebracht ist; erwartbare Gleichbehandlung ist undenkbar ohne Regeln, die die fallrelevanten Kriterien nennen und die für eine hinreichend familienähnliche Sachverhaltsgruppe angemessene Rechtsfolge festsetzen. Drittens kommt das, was als ,wahres' oder ,richtiges' Recht gelten könnte, nicht von selbst zur Sprache. Auch dieses Recht muß gesatzt und gesetzt werden; Recht wird anders als eine vorsprachlich schon daseiende Dingwelt erst mit und durch sprachliche Konfiguration, mögen sich auch schon vor solcher Satzung die ,Sache' und deren ,Natur' mit einem als wertvoll erscheinenden Zustand oder sinnhaft zu deutenden Verhalten der gemeinen Intuition, dem professionellen Iudiz oder phänomenologischer Wesens schau ,zeigen'. Viertens mögen sich einige Demokratien, wie die der Bundesrepublik Deutschland, unrechtsund schreckenserfahren mit guten Gründen zu ihrer "Verantwortung vor Gott und den Menschen"1l4 bekennen und so vorstaatlich gesatztes Naturrecht anerkennen. In allen Demokratien sind jedoch weder göttliche Offenbarung noch philosophische Schulen Rechtsquelle. Souverän sind und bleiben wir: das Volk mit all unseren Anschauungen (namentlich auch denen, die in den Grundstrukturen und Grenzen unserer Sprache angelegt sind). ,Wahres', ,richtiges' Recht bindet in Demokratien die Sozietätsmitglieder als volonte generale mithin nur dann unmittelbar, soweit faktischer Konsens (etwa über das grundsätzliche Tötungsverbot) besteht. Zwar zerbricht ein faktischer Konsens über werthaft Gesolltes weder an vereinzelten noch an massenhaften Normbrüchen, die die Werthaftigkeit des kollektiv Gewollten nicht argumentativ vertretbar bestreiten, sondern dem Sollen nur ein logisch irrelevantes Sein 114 Präambel des GG. Zur Rechtsverbindlichkeit vgl. BVerfGE 5, S. 127 ff.; 36, S. 17 ff. In der Präambel des IPbpR findet sich die Berufung auf Gott nicht, vgl. hierzu Nowak, CCPR-Kommentar, 1989, Präambel.

S'

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C. Verfahrensgerechtigkeit der Norrnensetzung

entgegensetzen, etwa zur Tötung von Geisteskranken oder Juden anhalten; erst recht waren Geheimbefehle eines Führers, die wegen ihres gewußten Unrechts in hyperpyretischer Atrozität das Licht der Öffentlichkeit scheuten und sich nicht einmal formal als Ausdruck des allgemeinen Willens ausgaben, nur eines Verbrechersyndikats würdig, nicht aber potentiell dissensstiftende Träger pub liken, abweichenden Werturteils, dem Vertretbarkeit innewohnte. Sind aber unterschiedliche relevante Ansichten über die Werthaftigkeit des Gesollten geäußert, zerbricht mit dem faktischen Konsens zwar noch nicht das vorstaatlich Gesollte in seiner Wahrheit. Wohl aber zerbricht es in seinem Anspruch, es sei ein Normbefehl, dem die Sozietät ohne weiteren demokratischen legitimitätsstiftenden Akt mit Zwang Achtung und Respekt gegenüber Normbrüchen verschaffen darf. Sind wir uns z. B. uneins, ob der einzelne sich ohne Gefährdung anderer töten darf, sprechen wir nicht mit einer Stimme; publiker Dissens in normativer Bewertung hindert an der Annahme eines allgemeinen Willens und sperrt so die unmittelbare Transformation des naturrechtlich vielleicht richtig Gesollten in das zu vollziehende Recht einer Demokratie. Und fünftens charakterisiert es die Rechtsgewinnung in entwickelten Gesellschaften, daß die akzeptierten Basiswerturteile (zugunsten von Demokratie, Rechtsstaat, Würde und Personen autonomie des einzelnen) sowohl ausformungsbedürftig sind als auch mit ihren Ableitungen umstreitbar und in wertpluralistisch zersplitterten Sozietäten mit Interessenkonflikten umstritten werden. Scheitert der direkte Durchgriff auf das, was ubiquitär konsentiertes ,wahres' Recht ist, in der Lebenswirklichkeit allermeist am Dissens, ist als ,second best' explizit formal demokratisch legitimiertes Recht vonnöten, das den Regelbedarf stillt und dem über das Verfahren der Normproduktion die Vermutung zuwächst, es werde der Sozietät und den geregelten Lebenswirklichkeiten vertretbar gerecht. 11. Kriterien der Rechtsnormsetzung in demokratischen Rechtsstaaten

1. Alle demokratischen Rechtsstaaten müssen die Kompetenz, am Normsatzungsprozeß teilzunehmen, allen Bürgern gleicherma-

11. Kriterien der Rechtsnonnsetzung

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ßen ohne willkürliche Differenzierung zukommen lassen. Demokratien tolerieren nicht die gleichheitswidrige Verfestigung sozialer Ungleichgewichte im aktiven Stimmrecht. Erst recht unterliegen Gegebenheiten, die wie Rasse oder Geschlecht dem Bürger schicksalshaft zufallen, ohne seine intellektuell-durchschnittliche Befähigung zur Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozeß zu beeinflussen, dem Statusdiskriminierungsverbot 115 • Die Allgemeinheit der aktiven Stimmberechtigung und Gleichheit der Stimmwertung sind - entgegen manchen Traditionen - allen Demokratien wesentlich. 2. In Demokratien, die dem aktiven Stimmverhalten der Bürger unmittelbaren Einfluß auf die Setzung von Rechtsnormen oder sonstiger legislativer Akte geben, ist das aktive Stimmrecht fairneßgerecht zumindest allen solchen Bürgern zu geben, die alle wesentlichen Staatsbürgerpflichten zu tragen haben; es wäre einseitig vorteilssuchend, wenn die Sozietät z. B. Bürger dazu verpflichtete, ihr Leben und ihre Person der Gemeinschaft als Wehrdienstverpflichtete zur Verfügung zu stellen, ihnen aber nicht wenigstens mittelbaren Einfluß auf die Bestimmung der Gefährdungssituation einräumte. Darüber hinaus verbietet sich die Annahme, in direkten Demokratien sei der aktiv stimmberechtigte Bürger zur Gänze den Rationalitätskriterien einer normativen Entscheidungstheorie verpflichtet und habe sich daher als Entscheidungssubjekt vollständige Klarheit über die zur Disposition stehenden Entscheidungsalternativen, die möglichen Folgen einer jeden Alternative, den zu definierenden Nutzen einer jeden möglichen Folge zu verschaffen 1l6 . Weder ist der einzelne Bürger im Sinne einer Wirksamkeitsvoraussetzung aktiver Stimmabgabe gehalten, unter widerstreitenden Werten eine Präferenzordnung zu entwickeln, noch hat er die Utilität seiner Dezision zu präzisieren oder Folgen zu antizipieren, um einen gültigen Stimmentscheid abzugeben; er ist typischerweise selbst wenn er wollte - auch nicht imstande, seine diffusen Präferenzen und Folgeannahmen zu klären und sich zu einem rationalen 115 116

Art. 14 IV IPbpR. Vgl. Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 396 ff.

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C. Verfahrensgerechtigkeit der Nonnensetzung

Entscheidungssubjekt zu läutern. Wem das Volk aus Gleichheitsund Fairneßgründen das Amt des aktiv Stimmberechtigten gibt, der erhält damit zwar nicht den zu möglichst rationaler Gesetzgebung notwendigen Sachverstand, wohl aber die Kompetenz, i. e.: die normative Befugnis zur Gesetzgebung. Denkbar ist allein, die Befugnisausübung themenmäßig vorzustrukturieren und an Grenzen zu binden, die die normative Vertretbarkeit des kollektiven Willens betreffen: Ein Volk, dessen Mitglieder in demokratischen Akten Bürgerrechte in Anspruch nehmen, handelte inkonsistent und historisch rückschlägig, würde es die legislative Schmälerung des erreichten Niveaus an Rechtskultur , an Wertcivilisation, tolerieren und z. B. die Abschaffung der Grundrechte auf Gleichheit, Eigentum und persönliche Freiheit mehrheitlich beschließen. Oder anders gesagt: Unmittelbare Demokratien kennen sehr wohl gleichsam ,immanente Schranken' der aktiven kollektiven Stimmrechtsausübung, die unrechtssetzende Gesetzgebung definieren und als solche verwerfen lassen; auch richterliche und u. U. bei einem höchsten Gericht monopolisierte Verwerfung eines schrankenmißachtenden Mehrheitswillens ist denkbar und für die Rechtskultur förderlich. Die Beachtung rationaler Entscheidungskriterien ist aber nicht Gültigkeitsbedingung aktiver individueller Stimmrechtsausübung. 3. In repräsentativen Demokratien, in denen durch freie, geheime, allgemeine und gleiche Wahlen legitimierte Abgeordnete zur Gesetzgebung berufen sind, gilt hinsichtlich einer Rationalitätsbindung des einzelnen Abgeordneten mutatis mutandis Entsprechendes. Sicher, Gesetze, die nicht unter fachkundiger Hilfe vorbereitet werden oder nach mangelhafter Folgeanalyse zustandekommen, erregen Argwohn und Kritik; die Diskussion um das in Vorbereitung befindliche Gentechnologiegesetz l17 liefert dafür ein junges Beispiel. Und richtig ist auch, daß die Zuarbeit durch Experten 117 Vgl. den Bericht der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie" (BT-Drs. 10/6775) und den Entwurf der Bundesreg.ierung v. 11. 8. 89 (BR-Drs. 387/89), dazu die kritische Stellungnahme des Oko-Instituts FreiburglDarmstadt, KJ 1989, S. 349 ff.

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die Akzeptabilität der lex ferenda steigert. Indessen, die Parlamentsmitglieder sind auch in dem Sinne normativ ,frei', daß sie nicht die plausibelste Folgenprognose und Utilitätsschätzung teilen müssen: sie müssen weder die Expertensprache noch deren Urteile verstehen noch falsifizieren können, um ihre gesetzessetzende Stimmabgabe zu legitimieren; der fachkundig vorbereitete und der kenntnisschwache Abgeordnete haben gleiches Stimmrecht. 4. Die Einsicht, daß das Postulat materieller Verfahrensgerechtigkeit, sich um eine größtmögliche Rationalität der Gesetzessetzung zu bemühen, gegenüber dem zur legislativen Entscheidung befugten einzelnen weder in unmittelbaren noch in repräsentativen Demokratien eine Gültigkeitshürde aufrichtet, bedeutet nicht, daß der Prozeß der Gesetzgebung notwendig von rechtlichen Vorgaben frei wäre, die mit der durch sie präskribierten Methodik der Legislation das Setzen ,richtigen' Rechts fördern. Denn die Prärogative, verbindliche, abstrakt generelle Normen mit Zukunftswirkung zu erlassen oder alle sonst für die Sozietät wesentlichen und grundlegenden Entscheide zu fällen, steht in repräsentativen Demokratien den demokratisch legitimierten Parlamenten zu. Diese verfügen zum einen über Ressourcen, die die des einzelnen Abgeordneten übersteigen; Parlamente können Informationen und andere fachkundige Hilfen von Exekutiv- und Gesellschaftsorganen einholen und so die Rationalität des Legislativaktes steigern. Zum anderen ist die Legislativmacht der Parlamente oder anderer zur Rechtssetzung beaufgabter demokratisch legitimierter Gremien nicht von rechtlichen Bindungen entfesselt, sondern den konstitutionellen Basiswerturteilen und Staatszielbestimmungen verpflichtet. a) Die Autoren einer wissenschaftlichen Theorie der Gesetzgebung 1l8 trachten daher danach, über die bloß juristische Deutung 118 Zur Gesetzgebungstheorie vgl. Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, 1977; Bender, Zur Notwendigkeit einer Gesetzgebungslehre, 1974; Böhrel (Hrsg.), Gesetzgebungspraxis und Gesetzgebungslehre, 1980; Hili, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982; Hugger, Gesetze - Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung, 1983; Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982; Klug / Ramm / Rittner / Schmiedel (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie, juristische Logik, Zivil-

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C. Verfahrensgerechtigkeit der Norrnensetzung

und Systematisierung der Rechtsvorschriften, die wie z. B. die parlamentarischen Geschäftsordnungen das ,äußere' Gesetzgebungsverfahren normieren, hinauszugelangen - hin zu der Strukturierung und dem Aufweis eines methodische Rationalität sichernden ,inneren' Gesetzgebungsverfahrens 119 • Adaptiert werden dabei Ablaufund Entscheidungsmodelle, mit denen die Einzelphasen des Gesetzgebungsprozesses gesondert werden (etwa in die Stufen der Problemsuche und Problemidentifikation, der Analyse der Ausgangssitution, der Zieldefinition und Bewertung der Analyse der Möglichkeiten zur Zielerreichung, der Bewertung und der Auswahl von Handlungsalternativen, der problemlösenden Entscheidung, der Implementierung und der Erfolgskontrolle 120) und in denen Kriterien wissenschaftsnaher Phasenbewältigung aufgezeigt werden (etwa der Notwendigkeit empirisch wahrer Tatsachenfeststellung, von Konsequenz- und Wirkungsprognosen, von Nutzen-KostenAnalysen und Experimenten 121 ). Neben eine ,deskriptive' Gesetzgebungstheorie, die die Realität von Gesetzgebungsverfahren beschreibt, tritt so eine ,analytische', die die bestmögliche Methodik rationaler Gesetzesproduktion an entscheidungstheoretischen Modellen orientiert. b) Zur ,Gesetzgebungslehre' wird die Gesetzgebungstheorie, wenn und soweit sie in Gestalt von Rechtssätzen oder -maximen, die dem Gesetzgeber gegenüber rechtsverbindlich gelten, Brückenund Prozeßrecht, Gedächtnisschrift für Rödig, 1978; Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl. 1968; Nall, Gesetzgebungslehre, 1973; Öhlinger (Hrsg.), Methodik der Gesetzgebung, 1982; Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976; Rödig / Baden / Kindermann, Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1975; Schäffer / Triffterer (Hrsg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, 1984; Schneider, Gesetzgebung, 1982; Winkler / Schilcher, Gesetzgebung, 1981. 119 Vgl. etwa Hili, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, insb. S. 62 ff. 120 Vgl. Wallmann, Gesetzgebung als experimentelle Politik - Möglichkeiten, Varianten und Grenzen erfahrungswissenschaftlich fundierter Gesetzgebungsarbeit, in: Schreckenberger (Hrsg.), Gesetzgebungslehre, 1986, S. 72 ff. 121 Vgl. Fricke / Hugger, Test von Gesetzentwürfen, Speyerer Forschungsberichte, Bd. 12/1, 1980, S. 140 ff.

11. Kriterien der Rechtsnorrnsetzung

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prinzipien aufweist, mit deren Hilfe sie über eine aus wissenschaftlich-entscheidungstheoretischer oder/und rechtspolitischer Sicht abgebbare Empfehlung über die anrät liehe Gesetzgebungsmethodik zu Rechtsregeln der Gesetzgebungsmethodik vordringt. Ein derartiger Fortschritt stellt dem Gesetzgeber gleichsam das bereit, was für den gesetzesgebundenen Interpreten die juristische Auslegungsdogmatik mit ihrem System von verbindlichen Rechtsgewinnungsregeln ist; eine präskriptive Gesetzgebungslehre ist Kernstück der legislativ zu übenden materiellen Verfahrensgerechtigkeit. c) Verbindlichkeit gegenüber dem einfachen Gesetzgeber beanspruchen Verfassungs- und (in modifizierter Form!) Völkerrecht. aa) Zwar schreiben beide Rechte dem Gesetzgeber nicht explizit eine möglichst rationale Methodik der Gesetzessetzung vor. Indem sie aber wie z. B. das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte alle staatliche Gewalt den Maximen und Grundfreiheiten eines materiellen Rechtsstaates unterstellen, binden sie auch die Legislative an die grundrechtsbezogene Anforderung, daß Eingriffe in die Grundfreiheiten des einzelnen nur statthaft sind, wenn und soweit sie ohne Verstoß gegen das Übermaßverbot oder sonstige Preisgabe des Rechtsstaates geeignet, erforderlich, verhältnismäßig und willkürfrei gestaltet sind, um Gefahren für ein höherrangiges, konstitutionell anerkanntes Interesse abzuwehren. Die genannten Rechtsstaatsprinzipien werden so zum Einfallstor für entscheidungstheoretische Desiderate. Dies gilt etwa für das Postulat hinreichender Sachverhaltsanalyse oder der Entwicklung und Diskussion alternativer Lösungsmodelle, unter denen das zur Zielerreichung geeignete, erforderliche und verhältnismäßig am besten grundfreiheitenachtende zu wählen ist. In den zitierten Geboten rechtsstaatsgemäßer Grundrechtseingriffe findet auch das entscheidungstheoretische Verlangen rationaler Effizienzkriterien, des Erstellens von Wirkprognosen und der Erfolgskontrolle seine rechtliche Heimstatt; erweisen sich legislatorische Freiheitsbeschränkungen in ihren Zieltauglichkeitsvoraussagen als Irrtum, ist der Gesetzgeber zur Korrektur verpflichtet und Untätigbleiben verfassungswidrig.

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C. Verfahrensgerechtigkeit der Nonnensetzung

Beispiele für die verfassungsrechtliche Relevanz entscheidungstheoretischer Rationalitätskriterien im Gewande rechtsstaatlicher Eingriffsvoraussetzungen bietet die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur zur Genüge. So ist z. B. die gesetzliche Verankerung lebenslanger Freiheitsstrafe im Lichte humanwissenschaftlicher Erkenntnisse über die Langzeitfolgen lebenslangen Freiheitsentzuges auf ihre Verfassungsmäßigkeit befragt worden 122 . Freilich ist zugleich hervorzuheben, daß die mittelbare Relevanz entscheidungstheoretischer Rationalitätsanforderungen für rechtsstaatliehe Legislativakte häufig sowohl im politischen Prozeß zerrieben als auch verfassungsgerichtlich nicht voll durchgesetzt wird. So wird dem Strafgesetzgeber z. B. nicht bundesverfassungsgerichtlieh angesonnen, die prognostizierte Effizienz der strafrechtlichen Bewehrung von Verhaltensnormen für die kollektive Rechtsbefolgungsbereitschaft für jeden einzelnen Deliktstatbestand nachzuweisen. Ob etwa das in § 353 d Nr. 3 StGB ausgesprochene Verbot der wortidentischen Veröffentlichung von amtlichen Schriftstücken eines anhängigen Strafverfahrens bei gleichzeitiger Gestattung sinngemäßer Veröffentlichung zweckgeeignet ist, mag trotz des Diktums des Bundesverfassungsgerichts123 bezweifelbar bleiben; im Fall der Abtreibungsregelung hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu verpflichtet, im Interesse des Schutzes ungeborenen Lebens trotz fehlender Detailkenntnis über die gemutmaßte integrationspräventive Wirkung am Strafrechtsschutz und dem Nein zur Fristenlösung innerhalb eines Gesamtbündels staatlicher Maßnahmen festzuhalten 124. bb) Auch jenseits von Gesetzen, die Grundfreiheiten einschränken, ebnet das Rechtsstaatsprinzip entscheidungstheoretischen Rationalitätsanforderungen den Weg in das ,innere' Gesetzgebungsverfahren. Da der ,kollektive' Gesetzgeber einer rechtsstaatlichen Demokratie alle wesentlichen und grundlegenden Fragen bei hinreichender Problemkenntnis entscheiden muß, ist etwa die Ein122 123 124

VgJ. BVerfGE 45, S. 187 ff. VgJ. BVerfG, NStZ 1987, S. 321 ff. VgJ. BVerfGE 39, S. 1 ff.

II. Kriterien der Rechtsnonnsetzung

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führung der Gentechnologie vom Gesetzgeber unter Einbezug relevanten Fachwissens auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen; ergeben sich - wie wohl bei der Atomenergie - gravierende neue Problemeinschätzungen durch die Wissenschaft und ,das Leben', ist er zur nachträglichen Korrektur verpflichtet 125. Und selbstverständlich sind auch rechtliche Vorgaben, die sich in Kompetenzzuweisen oder Regelungsaufträgen konstitutioneller und einfachgesetzlicher Art finden, imstande, zur Rationalität der Gesetzgebungsmethodik zu obligieren: Setzt etwa nach Art. 72 II GG die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung voraus, ist legislatorisch darzutun, daß dieses Regelungsbedürfnis besteht. d) Hingegen kennt - soweit ersichtlich - keine Verfassung eines demokratischen Rechtsstaates eine explizite Kompetenzschranke des Inhalts, daß das jeweils gewählte Gesetzgebungsorgan nur Legislativakte mit Wirkung für die jeweilige Wahlperiode treffen dürfte; eine solche Einengung wäre widersinnig und der Zukunftsgestaltung abträglich. Diskutabel ist allein, ob es ein implizites Gebot materieller Verfahrensgerechtigkeit ist, künftigen Generationen keine irreparablen Dauerlasten und Risiken zu hinterlassen - etwa keine über Jahrtausende hinweg strahlenden Abfälle legislativ gestatteter Kernenergietechnologie. Einerseits ist die Denkfigur ,künftige Generationen' kein Rechtsbegriff und sind seit altersher alle Folgen des Handelns von Vorvätern den Nachkommenden unentrinnbar zugefügt; welche Lasten irreparabel bleiben, ist häufig im dunklen Nebel der Zukunft verbogen und rechtlicher Bewertung hic et nunc entzogen. Andererseits ließe sich aus einem etwaigen ökologischen Staatsziel eine Schutzverpflichtung herleiten, die den Gesetzgeber zur legislativen Rücksichtnahme bis hin zum Verzicht auf voraussichtlich irreparable Schadenszufügung verpflichtete. Eine solche Staatszielkomponente ist jedoch derzeit in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls nicht explizit enthalten. Zwar ließe sich der Aufgabe, die freie Entfaltung des einzelnen zu sichern, auch der 125

BVerfGE 49, S. 89 ff., 130.

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C. Verfahrensgerechtigkeit der Nonnensetzung

objektive Wert befehl entnehmen, alles zu unterlassen, was in der Zuknft die freie Entfaltung des einzelnen in einer lebenswerten Umwelt unmöglich machen würde. Daß die Errichtung und der (Weiter)Betrieb von Kernenergieanlagen die extreme Negativfolge einer lebensunwerten Umwelt zeitigen wird, läßt sich dezisionsfrei derzeit aber nicht behaupten; die Umweltschäden der Nutzung fossiler Energieträger sind evident und haben bislang faktischen Konsens über die Illegitimität der Kernenergienutzung vereitelt. 5. Soweit Verfassungen und Geschäftsordnungen den äußeren Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens regeln, sind sie final zugunsten formaler Verfahrensgerechtigkeit der effektiven Verfahrensteilhabe aller zur Gesetzgebung Befugten verpflichtet. a) Es ginge daher z. B. nicht an, in Demokratien das Initiativrecht zur Legislation Minderheiten völlig zu versagen oder die Mitwirkung oppositioneller Abgeordneter durch Redeentzug oder Ausschluß von Ausschußsitzungen zu exc1udieren. Zwar ist Parlamentsrecht "zu einem großen Teil ,lex de iure imperfecta, de politicis perfecta" 126. Es ist aber hochbedeutsam, entscheidet sich doch auch in und mit ihm, welche Demokratiekultur eine Gesellschaft erreicht hat: Jede parlamentarische Opposition ist Opposition des Souveräns, legitimer Sprecher des Volkes; welche Mindestquantität etwa für eine initiativberechtigte Fraktion festgelegt wird, wie Ausschüsse besetzt und wie die Mitwirkungschancen ausgestaltet werden, ist wahrhaft grundlegend. Richtschnur hat dabei trotz aller Notwendigkeit, der parlamentarischen Mehrheit die Macht der Dezision zu lassen, die faire Verteilung von Informations- und Beteiligungschancen zu sein; die Opposition und ihre Teile müssen die Chance er- und behalten, sich im parlamentarischen Willensbildungsprozeß effektiv zu äußern und mit der Macht der Rede und der Argumentation Zustimmung zu erfahren. Und nicht zuletzt ist der Grad, in dem oppositionelle Teile des Parlaments Informationsund Beteiligungsrechte haben, Gradmesser dafür, wie es dem Par126 Achterberg, Das Parlament im modernen Staat, in: DVBI. 1974, S. 693 ff., 701. Zum Parlamentsrecht grundlegend Achterberg, Parlamentsrecht, 1984.

111. Drittes Zwischenergebnis

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lament gelingt, die Regierung samt ihrem Administrationsapparat zu kontrollieren. b) Betrifft die Gestaltung der Teilhabe von Abgeordneten am Gesetzgebungsverfahren das parlamentarische Innenverhältnis, so geht es bei der Einbeziehung von Verbänden im Gesetzgebungsverfahren 127 auch um das Verhältnis nach außen. Grundsätzlich muß der Bürger in repräsentativen Demokratien keinen anderen rechtlich abgesicherten Einfluß auf die Bildung des allgemeinen Willens haben als den der Wahl von Volksvertretern und der Beteiligung am außerparlamentarischen politischen Prozeß. Soweit jedoch Verbände in besonderer Weise von legislatorischen Dezisionen betroffen sind, empfiehlt es sich, ihnen Anhörungsrechte zu geben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der gesetzgeberische Akt Materien betrifft, die sonst in die Rechtssetzungsautonomie der Betroffenen fielen; § 94 Bundesbeamtengesetz bestimmt daher bindend, daß die Gewerkschaften bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse zu beteiligen sind. 111. Drittes Zwischenergebnis

Als drittes Zwischenergebnis darf festgehalten werden, daß auch die Normsetzung in rechtsstaatlichen Demokratien die Erfordernisse materieller und formeller Verfahrensgerechtigkeit zu beachten hat. Dabei versprechen die aus dem Rechtsstaatsprinzip herleitbaren Anforderungen materieller Verfahrensgerechtigkeit Rationalitätsgewinn, wenigstens partiell Kontrolle der Normsetzung und Minderung des dezisionistischen Charakters legislativer Akte. Der Gefahr zur ,Expertokratie' darf eine Demokratie freilich widerstehen - etwa auch durch Einführung plebiszitärer Elemente. Die formelle Verfahrensgerechtigkeit verlangt auch im Prozeß der Normsetzung faire, angemessene Verteilung der Chancen, die Normgebung zu beeinflussen; Oppositionen oder Meinungsdissidenten sind nicht Feinde, sondern Teil des Volkes. 127 Vgl. etwa §§ 24,25 der ,Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil', § 7311 bis V GeschOBT; § 94 BBG.

D. Fazit und Ausblick Um ein Resümee und den Blick auf offene Fragen zu wagen: Die hier veranstaltete Skizze dessen, was einem Juristen in einer rechtsund sozialstaatlichen Demokratie ,Verfahrensgerechtigkeit' heißen kann, hat einen zweigliedrigen Begriff der Verfahrensgerechtigkeit formuliert: Materielle Verfahrensgerechtigkeit wurde ihr der Inbegriff solcher rechtsverbindlichen Regeln, die die Nachvollziehbarkeit, Rationalität und Ergebnisrichtigkeit der Rechtsgewinnung, der Gesetzesapplikation und Gesetzessetzung befördern. Formelle Verfahrensgerechtigkeit wurde ihr der Inbegriff an Regeln, die die faire Teilhabe der Betroffenen am Prozeß der Rechtsgewinnung de lege lata in rechtlich geordneten Verfahren der staatlichen Lösung gesellschaftlicher Konflikte bzw. die angemessene Teilhabe der zur Rechtsnormsatzung Befugten am Prozeß der Legislation sichern. Mit der expliziten Bindung aller staatlichen Akte an das Ziel, ein grundfreiheitengemäßes freiheitlich-friedliches Zusammenleben aller und in diesem die freie Entfaltung des einzelnen zu sichern, ist das Bestreben verknüpft, die legitimitätserzeugende, protestabsorbierende Wirkung von Verfahren mit Grund und Wert in Anspruch zu nehmen: Den von staatlichen Konfliktentscheidverfahren betroffenen Individuen werden mit der genannten Zielbindung und dem Aufweis von Rechtsgewinnungsschritten Toleranzgrenzen genannt, innerhalb deren sie den Konfliktentscheid als mutmaßlich richtiges Recht hinzunehmen haben 128 ; bleibende Proteste werden (insbesondere auch: verfassungs)gerichtlicher Kontrolle zugeführt. Zugleich beläßt solche Begrifflichkeit, die die konstitutionellen Fundamentalwerturteile in ihre Theorie der Verfahrensgerechtigkeit inkorporiert, dem einzelnen die Chance, sein Verständnis von 128 Vgl. demgegenüber Luhmann, Legitimität durch Verfahren, 1969, S. 28, 156, wo er trotz Anerkennung von Grundrechten nur von "gewissen" Toleranzangaben und einem "wertfreien Begriff der Legitimität" spricht.

D. Fazit und Ausblick

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Gerechtigkeit auszuprägen und es als kritisches Medium gegenüber dem Rechtsverständnis professioneller Rechtsanwender oder demokratisch legitimierter Gesetzesgeber in prozessual institutionalisierten ,Rechtsgesprächen' oder politischer Meinungsbildung zu nützen. Indem sie dies tut, wahrt sie sowohl die Möglichkeit zur Irrturnskorrektur als auch den Eigenwert des Individuums; ihr fehlt es weder an einem anthropologischen, die Personenautonomie achtenden Grundverständnis noch an der Idee eines stets verbesserungswürdigen Rechts, das dezidiert anders sein will als ein "arcanum dominationis"129: Mittel zum Schutz des einzelnen und zum Ausbau einer humanen, ,civilisierten' Sozietät. Im Wohlklang solchen Bekenntnisses sei jedoch nicht zugetönt, daß das zur Verfahrensgerechtigkeit in demokratischen Rechtsstaaten Vorgetragene in einem eigentümlichen Schwebe- und Zwischenzustand verharrt. Indem es sich - wenngleich fragmentarisch und ohne hinreichende Falltypologie - zur juristischen Methodik und zu Legitimitätskriterien äußert, erhebt es sich über die Lösung eines konkreten Falles oder einer konkreten Rechtsfrage; insofern ist es praxisfern. Indem es weder gesellschafts- und wissenschaftstheoretische Rationalitätskonzepte noch die rechtsphilosophischen Beiträge des Denkens über Verfahrensgerechtigkeit 130 reflektiert, ist es theorie- und philosophiefern; es nähert sich nicht dem Orte, an dem das Sprechen über Verfahrensgerechtigkeit zum Unternehmen werden könnte, eine diskursive Rechtsethik zu entwickeln. Auch hierin liegt seine Schwäche.

129 So die Charakterisierung nationalsozialistischer Unrechtsordnung durch Neumann, Die Herrschaft des Gesetzes, 1980 (Typoskript 1936 ,The Governance of the Rule of Law'). 130 Vgl. etwa Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 1975, insb. S. 74 ff.; Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1983: Habermas, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handeins, 1984; Arthur Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1989.

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Stichwortregister Abgeordneter 76 Abtreibung 74 Allgemeine Geschäftsbedingungen 44ff. Altlasten 27 Analogie 27f. Angeklagte 14,50,53 Anklage 50, 52f. Anklageschrift 23 Antrag 35, 48 Arbeitgeber 43 Arbeitgebervereinigung 44 Arbeitnehmer 43 Arbeitgerichtsprozeß 44 Arbeitsrecht 44 Arbeitssachen 43 Atomenergie 75 Auslegung 16 - 29,32,39,44,65 Ausschußsitzung 76 Beleidigung 13 Berufsrichter 43,53 Beweiserhebung 30f., 41 Beweislastverteilung 43 Beweismittel 30,35,37,53,57 Beweistatsache 36 Beweisverwertungsverbot 30 Blockade 19 Bundesgerichtshof 31 Case law 16 Codex iuris canonici 23 Common law 15 Daseinsvorsorge 47 Daten 13f., 36f., 40f., 48, 53, 55, 60

Deliktsrecht 23 Demokratie 12,18,25,33,56,65 -72, 75 -78 Deviantes Verhalten 24 Diebstahl 21 Dispositionsmaxime 36,50 Dogmatik 25, 30f., 63, 73 Due process 34, 51 Ehe 45f. Eigentum 70 Einstellung eines Verfahrens 62 Einzelfall lOf., 13, 17,22,29,31- 33, 42, 46f., 56, 63, 65 Elektrische Energie 21 Elterliche Sorge 46 Empirische Forschung 18 Entscheidakzeptabilität 11 Ermessen 31 Ermittlungsverfahren 41,59 Exekutivakt 34, 40 Exekutive 16, 40 Exekutivorgan 16,45 Existenzialontologen 16 Fair trial 34, 51 Faimeß 43,53,59, 62f., 65, 70 Fall 14 - 18, 32 - 34, 38, 43, 65, 79 Familiensachen 45f. Fluchtgefahr 57 Formelle Verfahrensgerechtigkeit 12,77f. Fortbewegungsfreiheit 40, 56 Freie Entfaltung des einzelnen 33, 67, 75f., 78 Freiheit 40,51,53,55 - 59,64,70,73

88

Stichwortregister

Freiheitlich-friedliches Zusammenleben 11,33,67,78 Freiheitsstrafe 64, 74 Freispruch 30 Gefahrerforschungseingriff 27 Gegenwehr 34,47,53,56, 58f., 61- 63 Generalklausel 27 Gentechnologie 70, 75 Gerechtigkeit 9f., 33, 35, 43, 49, 61, 65,67,79 Gerechtigkeitsvorstellung 32, 38, 44 Gericht 35,43,52 - 54, 60, 70 Gesellschaftsmitglieder 12, 54, 56 Gesellschaftsvertrag 28,55 Gesetzgeber 17,20,24,27 - 29,32, 45,72-75 Gesetzgebung 10, 70f., 76 Gesetzgebungstheorie 72 Gesetzgebungsverfahren 72, 74, 76f. Gewalt 19 - 21,73 Gewerkschaft 44,77 Gleichbehandlung 15,67 Grammatische Auslegung 19 Grundrechte 41,55, 70 Grundrechtseingriff 41,59,73 Grundrechtsverwirkung 57 Güterabwägung 30 Hauptverhandlung 37, 50, 54, 59 Hermeneutik 16, 20 Hermeneutisch 15,21,32 Hermeneutische Spirale 15 Heuristisch 18f.,31 Historische Auslegung 16,20,29 Inquisitionsmaxime 46 Integrationspräventiv 49, 53f., 58,74 Interessenwiderstreit 12, 35 Interpretationshypothese 18, 24 Interpretationsprozeß 22 Interpretationsstandards 16

Jugendstrafrecht 6lf. Jurisprudenz 18,21, 32 Justice 35 KJagerücknahme 39,63 Konfliktentscheide 33 Konfliktlösung 11f., 17,34,40 Körperliche Untersuchung 27, 30 Kreuzverhör 50 Laienrichter 43 f. Lebenssachverhalt 14 - 16, 18, 32, 44 Materielle Vefahrensgerechtigkeit 11,13,78 Menschen- und Bürgerrechte 11 Methode 10,15 - 17 Methodenlehre 16f., 21 Miranda-rules 51 Mündlichkeit 37 Nachtatverhalten 14 Norm 14f., 17 - 28, 3lf., 65, 71 Normadressat 22f., 44 Normapplikation 18f.,28 Normative Urteile 14 Normativer Typusbegriff 11 Normenapplikation 22 Normensetzung 10,65,68,77 Normkonkretisierung 16f. Notstand 28 Nötigung 19 Nullum crimen, nulla poena sine lege scripta 25 Nutzen-Kosten-Analyse 72 Objektiv gerecht 11,66 Observation 39,55 Öffentlichkeit 37, 68 Phänomenologen 16 Polizei 39,50, 60 Präjudiz 15 Privatkläger 52

Stichwortregister Produkthaftung 43 Prozeß 16,35,37,45,64 Prozeßkostenhilfe 42 Prozeßpartei 35,44 Rationalismus 65 Realakt 39 f. Recht 9f., 19,37,62,71,78 Rechtliches Gehör 37f., 40 Rechtsanwälte 44 Rechtsanwendung 16 Rechtsbehelf 30,41 Rechtsdogmatik 29,32,43 Rechtsethik 79 Rechtsfolge 31 Rechtsfolgeermessen 22 Rechtsfrage 36 Rechtsgedanke 28 Rechtsgespräch 38f., 41ff. Rechtsgewinnung 11, 16ff., 22, 25, 37f.,40,44,68, 73, 78 Rechtskräftig 15,56 Rechtsmacht 12 Rechtsmittel 15 Rechtsnachfolger 15 Rechtsnormen 11 Rechtsordnung 24, 27f., 31 Rechtsprozeßlehre 10 Rechtsschutz 40f., 47 Rechtssicherheit 29 Rechtsstaat 10,19, 23ff., 42 - 47, 68, 74f. Rechtssystem 21,29 Rechtsverletzung 41 Rechtswirklichkeit 12 Regel 15,32,65 Richter 16, 31 - 42 Richterliche Belehrung 39 Sachbeschädigung 28 Sachverhalt 13ff., 29, 49, 67, 73 Sachverhaltsanalyse 14 Sachverständiger 48 Schaden 40, 75

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Schadenausgleich 24 Scheidung 46 Schuld 22 Scientismus 65 Selbstbezichtigungsfreiheit 31, 51, 57 Selbstverwirklichung 11 Sitzstreik 19 Souveränität 13 Sozialization 55 f. Sozialstaatsgedanke 42 Staatliche Instanzen 12 Staatsanwalt 63 Staatsanwaltschaft 50, 53, 60 Startungerechtigkeit 39, 42 Steckbrief 27 Stimmaufnahme 39 Strafbedürftigkeit 28 Strafbegründungsurteil 14 Strafe 13,31 Strafprozeß 9 Strafrechtsnormen 14 Straftatverfolgungsorgane 49 Strafverfahren 62 Strafverfahrensrecht 27,41 Strafverfolgungsorgane 30,41, 63 Strafzumessung 31,60 Subjektive Rechte 27, 30f., 47 Subsumtion 15 System 10 Systematische Auslegung 21,22 Tarifvertrag 45 Tatbestand 22, 24 f., 31 Tatsachenbehauptung 36 Tatsachenvortrag 37 Tatverdacht 9 Teleologisch 16 Teleologische Auslegung 22 Telephonüberwachung 39 Totschlag 20 Tötung 67 Tötungsakt 14 Ungerechtigkeit 12 Unmittelbarer Zwang 27, 39

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Stichwortregister

Unmittelbarkeit 37 Unrecht 12 Unschuldsmaxime 57f. Untersuchungshaft 57 Urteil 35ff. Übermaßverbot 55,57,73 Verbandsvertreter 44 Verbraucher 45 Verbraucherinstitutionen 45 Verfahren lOff., 16,30, 33ff., 37, 78 Verfahrensarten 9 Verfahrensgerecht 15 Verfahrensgerechtigkeit 9ff., 17,32, 52, 78 Verfahrensungerecht 13 Verfassung 21,33,47,50,54,63,73, 76 Vergleich der Parteien 36 Verhaltens regeln 10 Verhandlungsmaxime 36,46,50 Verhältnismäßigkeitsgebot 55 Vermögensschaden 29 Versorgungsausgleich 46

Versuch 26 Verteidiger 54,59,62 Vertragsautonomie 45 Vertragsgerechtigkeit 44 Verwaitungsakt 48 Verwaltungsverfahren 48 Vorbehalt des Gesetzes 28 Völkerrecht 21, 33, 50, 63, 73 Wahrheit 14, 19f., 36f., 42, 49, 53, 66 Wehrdienst 69 Werteordnung 21 Werturteil 13f., 22f., 36, 38, 68, 71 Werturteilsbasis 13f. Werturteilsrelevanz 13 f. Widerspruchsverfahren 48 Willkür 16,29, 33, 42, 67 Willkürfreiheit 17 Wissenschaftstheorie 18 Zeuge 48,50 Zivilprozeß 35f., 38, 42, 44f., 49 Zivilprozeßordnung 34