Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien [1 ed.] 9783428484645, 9783428084647


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Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien [1 ed.]
 9783428484645, 9783428084647

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KERSTIN PRANGE

Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien

Schriften zum Prozessrecht Band 125

Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien

Von Kerstin Prange

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Prange, Kerstin: Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien / von Kerstin Prange. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum Prozessrecht ; Bd. 125) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08464-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-08464-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1994 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Die Untersuchung wurde im April 1994 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur konnten mitunter noch bis Dezember 1994 berücksichtigt werden. Für die Betreuung der Arbeit einschließlich der Erstellung des Erstgutachtens möchte ich Herrn Prof. Dr. Klaus Schreiber danken, der das Promotionsvorhaben stets unbürokratisch und zügig gefördert hat. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Walter Zeiss für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Anfertigung der Druckvorlage wäre ohne die geduldige Unterstützung von Herrn Thorsten Werning, dem ich in Freundschaft verbunden bin, nicht möglich gewesen.

Essen, im April 1995 Kerstin Prange

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

13

Erster Teil Haftungsgrundlagen A Allgemeine Haflungsvoraussetzungen I. Schadenseintritt 1. Schadensfalle im Zivilverfahren a) Beeinträchtigung streitbefangener Rechte und Interessen

15 15 15 16 16

aa) Urteilsschaden

16

bb) Beschlußschaden

18

cc) Vergleichsschaden b) Beeinträchtigung nicht streitbefangener Rechte und Interessen aa) Prozeßkosten bb) Sonstige Begleitschäden 2. Schadensfälle im Strafverfahren a) Verurteilungsschäden b) Begleitschäden 3. Entschädigung nach dem StrEG a) Anspruchskonkurrenz b) Vorteilsausgleichung II. Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht 1. Parteivortrag

18 19 19 19 20 20 21 22 23 24 25 26

a) Gegenstand der Wahrheitspflicht

26

b) Umfang der Wahrheitspflicht

26

2. Parteivernehmung

28

3. Zeugenvernehmung

28

a) Herleitung der Wahrheitspflicht

28

b) Ausgestaltung der Wahrheitspflicht

29

Inhaltsverzeichnis

10 III. Verschulden

32

IV. Kausalität

33

1. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs

36

2. Hypothetischer Schadensverlauf

38

V. Zusammenfassung

43

B. Vertragliche Anspruchsgrundlagen

44

I. Positive Forderungsverletzung

45

II. 'culpa in procedendo'

47

III. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

50

IV. Zusammenfassung

51

C. Deliktische Anspruchsgrundlagen I. Amtshaftung 1. Anwendung der Amtshaftungstatbestände auf den Zeugen a) Spruchrichterprivileg gem. § 839 Abs.2 BGB i.V.m. Art. 34 GG aa) Absicherung der materiellen Rechtskraft

52 52 53 53 53

bb) Schutz der richterlichen Unabhängigkeit

54

cc) Verhältnis beider Zwecke des Spruchrichterprivilegs zueinander

56

b) Amtshaftung gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG c) Zusammenfassung 2. Anwendung der Amtshaftungstatbestände auf die Partei II. Allgemeine Deliktshaftung 1. Haftung gem. § 823 Abs.l BGB a) Rechtsgutverletzung

57 59 60 60 60 60

aa) Freiheitsverletzung

61

bb) Eigentumsverletzung

62

cc) Das 'Recht auf Wahrheit' als sonstiges Recht

64

dd) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht

65

b) Rechtswidrigkeit

65

aa) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder Gebot

65

bb) Rechtfertigung durch 'Inanspruchnahme des Gerichts'

67

cc) Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen (§193 StGB)

67

2. Haftung gem. § 823 Abs.2 BGB a) Schutzgesetzcharakter der Aussagedelikte (§§ 153, 154, 163 StGB)

70 71

b) Schutzgesetzcharakter des in den §§ 392, 395,451, 452 Abs.2 ZPO und §§ 57, 66c StPO enthaltenen prozessualen Wahrheitsgebotes

73

c) Schutzgesetzcharakter des § 138 Abs.l ZPO

78

d) Weitere Schutzgesetze (§§ 164, 185 f f , 239, 240, 263 StGB und 1004 BGB)

81

Inhaltsverzeichnis 3. §824 BGB

82

4. §826 BGB

83

5. Zusammenfassung

83

Zweiter Teil Haftungsbeschränkungen de lege lata A Reichweite des Schutzzweckes der prozessualen Wahrheitspflicht B. Materielle Rechtskraft

84 84 87

I. Objektive Grenzen der materiellen Rechtskraft II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft 1. Zeugen

88 89 90

a) Lehre von der Drittwirkung der Rechtskraft

90

b) Lehre von der Rechtskrafterstreckung auf Dritte

91

2. Partei vortrag

92

3. Parteivemehmung

94

III. Zusammenfassung

97

C. Mitverschulden des Geschädigten

98

I. Klage auf Widerruf oder Unterlassung wahrheitswidriger Parteibehauptungen oder Falschaussagen

98

II. Einlegung von Rechtsmitteln und Wiederaufnahme des Verfahrens

101

1. Schadensersatz wegen unwahrer Aussagen von Beweispersonen

101

2. Schadensersatz wegen eines unwahren Partei Vortrages III. Zusammenfassung

103 105

D.Exkurs - Haftungsprivileg des gerichtlichen Sachverständigen?

106

Dritter Teil Haftungsbeschränkungen de lege ferenda A Haftungsbeschränkende Aspekte I. Auf den Zeugen zutreffende Gründe

108 108 108

1. Individuelle Belange des Zeugen

108

2. Öffentliche Belange

110

a) Interesse an einer ungestörten Wahrheitsfindung im Prozeß

110

b) Gedanke des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit

111

II. Auf die vernommene Partei zutreffende Gründe

112

12

Inhaltsverzeichnis Β. Dogmatische Einordnung der postulierten Haftungsbegrenzung I. Vorhandene Lösungsvorschläge

114 114

1. Amtshaftung

115

2. Subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab und Rechtskrafterstreckung

116

3. Evidenzhaftung

117

4. Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit

118

5. Tatbestandlicher Ausschluß zivilrechtlichen Ehrenschutzes

118

II. Stellungnahme

119

1. Materiell-rechtlicher oder prozessualer Lösungsansatz

119

2. Systematische Einordnung

120

a) Anknüpfung an Strafbarkeit von Zeugen- und Parteiaussagen

120

b) Anknüpfung an subjektives Verschulden

121

c) Anknüpfung an qualifiziertes Verschulden

122

aa) Vergleich mit anderen Haftungsbeschränkungen

123

bb) Differenzierungen auf der Verschuldensebene nach der herkömmlichen Zweiteilung und der arbeitsrechtlichen Haftungstrias

125

III. Reichweite der Haftungsbeschränkung

129

IV. Umsetzung der postulierten Haftungsregel

130

C.Zusammenfassung

131

Literaturverzeichnis

13 3

Einleitung Innerhalb der Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung nimmt der Zeuge eine herausragende Stellung ein. Er gilt als wichtigstes und zugleich mit Abstand schlechtestes Beweismittel. Einer Studie des Instituts für Rechtstatsachenforschung der Universität Konstanz zufolge gaben in 95 % der ausgewerteten Straf- und 70 % der Zivilprozesse die Zeugenaussagen bei der Urteilssprechung den Ausschlag. Daß aber nur 5 % bzw. 30 % aller Zeugen die Unwahrheit sagen, widerspricht den seit Jahrzehnten gefestigten Erkenntnissen der Aussagepsychologie, die höchstens die Hälfte der Zeugenaussagen für glaubwürdig hält. Diese allzu große Bereitschaft der Gerichte, einem Zeugen zu glauben, führt zu zahlreichen Fehlurteilen. Als jüngstes Beispiel mag das Verfahren gegen den einstigen DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel dienen, dem vorgeworfen wird, am 8. Februar 1993 einen Meineid geschworen zu haben. Nach einer Mitteilung der Berliner Justizsprecherin sei seine damalige Zeugenaussage, als Notar am 31. März 1989 einen notariellen Kaufvertrag über ein Grundstück in seiner Anwaltskanzlei eigenhändig beurkundet zu haben, für das die Rückerstattungsklage abweisende, letztinstanzliche Urteil des Kammergerichts entscheidend gewesen.1 Aber auch im Vorfeld von Justizirrtümern können falsche Zeugenaussagen negative Auswirkungen haben, indem sie etwa Ehre und Ansehen eines Prozeßbeteiligten verletzen. Das Wissen um den eingeschränkten Wahrheitsgehalt und Beweiswert von Zeugenaussagen hat in einigen Prozeßordnungen dazu geführt, den Zeugenbeweis von einem bestimmten Streitwert an auszuschließen oder einzelnen Personengruppen die Zeugnisfähigkeit abzusprechen.2 Dem deutschen Prozeßrecht sind solche Beschränkungen jedoch fremd. Um so dringlicher stellt sich daher die Frage nach der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Zeugen für Falschaussagen im Prozeß. Daß sich Rechtsprechung und Literatur zum Problem der Zeugenhaftung bislang kaum geäußert haben, mag zunächst auf praktischen Erwägungen beruhen. Zum einen bereitet der Nachweis eines Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht Schwierigkeiten, da Zeugenaussagen als Wiedergabe früherer Wahrnehmungen einer Verifizierung nur in geringem Maße zugänglich sind. Zum anderen wird die geschädigte Partei den Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Falschaussage und dem Schadenseintritt nicht immer ohne weiteres erbringen können.

1

2

s. FAZv. 20.7.1993. s. dazu die rechtsvergleichende Darstellung bei Nagel, S. 283 ff.

14

Einleitung

Hinter dem mangelnden Interesse an der Haftungsfrage verbirgt sich womöglich aber auch eine gewisse Scheu davor, dem in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht handelnden Zeugen neben strafrechtlichen Risiken noch die Last aufzubürden, sich in einem Zivilverfahren verantworten zu müssen. Während dieses Rechtsempfinden beim juristischen Laien in der geringen Klagebereitschaft gegenüber Zeugen zum Ausdruck kommt, sind manche Stimmen aus der Rechtswissenschaft darum bemüht, die materiellen und prozessualen Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht von Zeugen zu verneinen. So wird etwa der Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht abgelehnt, hypothetischen Zweitfehlern des Gerichts haftungsentlastende Wirkung beigemessen oder einer Rechtskrafterstreckung auf Zeugen das Wort geredet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die dem Zeugen zuteil werdende Schonung bereits im geltenden Schadensersatzrecht eine Stütze findet oder aber eine Haftungsbeschränkung, sofern die Forderung nach ihr berechtigt ist, vielmehr de lege ferenda erst noch der Umsetzung bedarf. Die vorliegende Arbeit ist der Klärung dieser Frage gewidmet. Im 1. Teil sollen zunächst alle für die Zeugenhaftung in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen auf ihre Anwendbarkeit hin untersucht werden. Der 2. Teil befaßt sich mit den materiellen und prozessualen Haftungsbeschränkungen, die nach der geltenden Rechtslage bestehen. Im 3. Teil soll schließlich der Frage nachgegangen werden, ob die derzeitige Haftungssituation des Zeugen in Zukunft einer weitergehenden Begrenzung bedarf und wie gegebenfalls ein solches Haftungsprivileg dogmatisch einzukleiden ist. Dieser schulmäßige Aufbau wurde nicht zuletzt nach den Erfahrungen aus der Diskussion zur Sachverständigenhaftung gewählt, die gezeigt haben, daß eine ergebnisorientierte Argumentation die Grenzen der methodischen Legitimität oftmals überschreitet. Parallel zum Problem der Zeugenhaftung behandelt die Arbeit die Schadensersatzpflicht der Verfahrenspartei wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht. Die Verwandtschaft beider Themengebiete wird über die Doppelrolle der Partei im Prozeß vermittelt, die neben ihrer Eigenschaft als Kläger oder Beklagter auch als Beweisobjekt im Rahmen der Parteivernehmung fungiert. Diese funktionelle Trennung erfordert eine gesonderte Behandlung von vortragender und vernommener Prozeßpartei. Unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten zwischen der Zeugenvernehmung und der Parteivernehmung soll aufgezeigt werden, inwieweit eine Gleichstellung beider Beweispersonen in der Haftungsfrage geboten ist. Besondere Bedeutung kommt dabei den subjektiven Rechtskraftgrenzen zu, die es im Hinblick auf die vernommene Partei festzulegen gilt.

Erster Teil

Haftungsgrundlagen A. Allgemeine Haftungsvoraussetzungen Verlangt ein Prozeßbeteiligter von seinem Prozeßgegner oder einem Zeugen Schadensersatz wegen eines unwahren Parteivortrags oder einer Falschaussage, so stellt sich fur alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen1 allgemein die Frage, ob der Inanspruchgenommene durch die schuldhafte Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht einen Schaden herbeigeführt hat.

I. Schadenseintritt Die Schäden, die einen Verfahrensbeteiligten als Folge einer Falschaussage oder Prozeßlüge treffen können, sind mannigfach. 2 Sie reichen von bloßen Unannehmlichkeiten bis hin zum Verlust von geschäftlichem Ansehen und wirtschaftlicher Existenz und sind keineswegs auf die Fälle des Prozeßverlustes beschränkt. Auch die obsiegende Partei hat an ein Interesse an Schadloshaltung, soweit ihr durch unwahre Prozeßbehauptungen Schäden entstanden sind, die von der Kostenerstattungspflicht der unterlegenen Partei nicht erfaßt werden.3

2

s. dazu unten 1. Teil B. und C.

Vgl. dazu auch die ausfuhrlichen Untersuchungen von Hopt, S. 141 ff, zu den Kosten und Schäden als Folge unberechtigter Anschuldigungen. 3 Vgl. etwa Titze, Festschrift fur Schlegelberger, S. 165, 185.

16

1. Teil: Haftungsgrundlagen

1. Schadensfälle im Zivilverfahren Die im Verlaufe eines Zivilrechtsstreites denkbaren Schadenssituationen lassen sich in die Beeinträchtigung von streitbefangenen und nicht streitbefangenen Rechten und Interessen einteilen.4

a) Beeinträchtigung streitbefangener

Rechte und Interessen

Der nächstliegende Schaden, der einem Verfahrensbeteiligten durch einen unwahren Parteivortrag oder eine Falschaussage entstehen kann, betrifft den Streitgegenstand selbst, um dessentwillen prozessiert wird.

aa) Urteilsschaden Zu einer besonders einschneidenden Beeinträchtigung der streitigen Rechtsposition fuhren Fehlurteile. Daß ein Gerichtsurteil als Schadensquelle in Betracht kommen kann, zeigen neben der Vorschrift des § 839 Abs.2 BGB auch die zahlreichen Überlegungen zu einer vertraglichen und deliktischen Haftung von Rechtsanwälten und Sachverständigen auf Ersatz des Urteilsschadens. Von einem Urteilsschaden kann allerdings nur dort die Rede sein, wo ein im Ergebnis falsches Urteil erlassen wurde. Die Prozeßpartei kann in einem anschließenden Schadensersatzprozeß weder gegen den Prozeßgegner, der unwahre Tatsachen behauptet oder falsch aussagt, noch gegen den falschaussagenden Zeugen geltend machen, daß das Gericht bei pflichtgemäßem Verhalten zu ihren Gunsten eine fehlerhafte Entscheidung getroffen hätte.6 Andernfalls könnten entgegen dem Gebot von Treu und Glauben aus Unrechtmäßigkeiten Rechte hergeleitet werden.7 Für die Schadensfrage ist vielmehr darauf abzustellen, welches Urteil der wahren Sach- und Rechtslage entsprochen hätte.8 So kann etwa ein Kläger die auf prozessuales Fehlverhalten des Zeugen gestützte Schadensersatzklage nicht allein mit der Behauptung erheben, daß ihm bei pflichtgemäßem Verhalten des Zeugen der begehrte Rechts-

Zu den Schadensfallen im Strafverfahren s. unten 1. Teil Α I. 2., zu den Schadensfällen im Verwaltungsverfahren s. Dresbach, S. 53 ff. 5 J. Blomeyer,S.21f., 140 f. 6 Vgl. Müller, MDR 1969, 797, 798, zur Anwaltshaftung. 7 Vgl. Rötelmann, NJW 1958, 1590, 1591, zur Anwaltshaftung. 8 Vgl. RG JW 1917, 102; Müller, MDR 1969,965, zur Anwaltshaftung.

Α. I. Schadenseintritt

17

Zuwachs im Urteil zugesprochen worden wäre. Er muß sich zusätzlich darauf berufen, daß der im Vorprozeß geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht. Die mit dem fehlerhaft zustande gekommenen Urteil auferlegte Rechtseinbuße muß also auch materiell ungerechtfertigt sein.9 Der zu Unrecht unterlegenen Partei eines Zivilprozesses können infolge eines Fehlurteils insbesondere aus der Abnötigung oder Vorenthaltung eines subjektiven Rechts Schäden erwachsen. So erleidet etwa der vorgebliche Schuldner durch ein fehlerhaftes Leistungsurteil einen Durchsetzungsschaden10, wenn er zu einer nicht geschuldeten Leistung gezwungen wird. Umgekehrt entsteht dem Gläubiger ein Verweigerungsschaden11, wenn er die ihm gebührende Leistung nicht erhält.12 Beispiel

(l): u

In einem früheren Rechtsstreit hatte Κ gegen die Erben des verstorbenen V unter Berufung auf eine von dem Erblasser ausgestellte Bescheinigung Klage auf Zahlung rückständigen Arbeitslohnes in Höhe von 1360 RM erhoben. Die Erben machten in jenem Prozeß geltend, daß V zur Zeit der Ausstellung der Bescheinigung geisteskrank gewesen sei. Die Klage wurde daraufhin mit der Begründung abgewiesen, daß die Bescheinigung in Ermangelung der Geschäftsfähigkeit des V nicht rechtswirksam gewesen sei. In einem anschließenden, unter den Miterben geführten Rechtsstreit ging es um die Feststellung, ob der zum Nachlaß des V gehörende Bauernhof ein Erbhof sei. Das Anerbengericht hatte dies unter Hinweis auf die Bauernfähigkeit des Erblassers, die wiederum von dessen Geschäftsfähigkeit abhing, bejaht. Κ verlangte daraufhin von den Erben Schadensersatz mit der Begründung, daß der Verlust des Vorprozesses auf die von den Erben wider besseres Wissen aufgestellte Behauptung, V sei geisteskrank gewesen, zurückzuführen sei.

9

Vgl. Hoffmann, S. 33 f., zur Sachverständigenhaftung; s. auch Klopfer, S. 61; Sax, ZZP 67, 21,

29. Zur Terminologie s. Häsemeyer, S. 7. Zur Terminologie s. Häsemeyer, S. 7. Zu den Schadensfolgen fehlerhafter Gestaltungs- und Feststellungsurteile s. Hoffmann, S. 50 fF. Nach L A G Krefeld ARS 29, 4; s. dazu auch unten 1. Teil A. II. 1. a); zum Ersatz eines Urteilsschadens s. auch RG Warn 1935, 185.

2 Prange

18

1. Teil: Haftungsgrundlagen

bb) Beschlußschaden Die Prozeßparteien können auch durch gerichtliche Fehlentscheidungen, die in Form eines Beschlusses ergehen, geschädigt werden. Beispiel (2) u\

K, der mit einer Ehescheidungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden war, beantragte zwecks Durchfuhrung der Berufung das Armenrecht. In dem Bewilligungsverfahren sagte der als Zeuge vernommene Β wahrheitswidrig aus, daß zwischen ihm und der Ehefrau des Κ keinerlei ehewidrige Beziehungen bestanden hätten. Das Armenrechtsgesuch wurde daraufhin mangels hinreichender Erfolgsaussicht der von Κ beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt. Infolge der dem Κ gestatteten ratenweisen Zahlung des Gerichtskostenvorschusses für die Berufungsinstanz erfolgte die Terminbestimmung erst zwei Monate später als im Falle einer Bewilligung des Armenrechts. Die Ehe des Κ wurde schließlich unter Schuldigerklärung beider Ehegatten geschieden, nachdem Β in dem Beweistermin die Aussage gem. § 384 ZPO verweigert hatte. Κ verlangte anschließend von Β Schadensersatz mit der Begründung, daß die eine Befreiung von seiner Unterhaltspflicht auslösende Schuldigerklärung seiner Ehefrau durch Β verzögert worden sei. Β wurde zur Erstattung des für zwei Monate zuviel gezahlten Unterhalts gem. § 823 Abs.2 BGB i.V.m. §§ 391, 392 ZPO verurteilt.

cc) Vergleichsschaden Den Verfahrensbeteiligten kann schließlich auch dadurch ein Schaden erwachsen, daß sie sich aufgrund eines unwahren Parteivortrages oder einer Falschaussage auf einen ungünstigen Vergleich einlassen. Beispiel (3): 15

Κ hatte S in einem Vorprozeß auf Zahlung von 68.000 RM verklagt. Aufgrund einer fahrlässigen Falschaussage des als Zeugen vernommenen Β sah Κ sich genötigt, einen Vergleich abzuschließen, nach welchem er sich gegen Zahlung von 20.000 RM für befriedigt erklärte. Das RG hat der Klage des Κ gegen Β auf Schadensersatz gem. § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 163 Abs.l StGB stattgegeben. 14

Nach LG Köln JW 1939, 40. Nach RGZ 59, 236 = JW 1905, 81; zum Ersatz eines Vergleichsschadens s. auch RG Warn 1935,35. 15

19

Α. I. Schadenseintritt

b) Beeinträchtigung nicht streitbefangener

Rechte und Interessen

Neben den Schäden, die unmittelbar aus der zwangshaften Abnötigung oder Vorenthaltung der streitigen Rechtsposition selbst erwachsen, können unzutreffende Prozeßbehauptungen oder Bekundungen eines Zeugen oder einer Partei zusätzliche Folgeschäden auslösen. Auch diese hier als Begleitschäden16 bezeichneten Einbußen stehen in einem inneren, zweckhaften Zusammenhang mit dem Rechtsstreit. Im Gegensatz zu den Durchsetzungs- und Verweigerungsschäden betreffen sie aber Rechte und Interessen der Parteien, die nicht streitbefangen sind.

aa) Prozeßkosten Den Begleitschäden sind vor allem die Prozeßkosten zuzurechnen, soweit sie von der zu Unrecht unterliegenen Partei nach einem Fehlurteil, fehlerhaften Beschluß oder Vergleich zu tragen sind. Der durch eine unrichtige Kostenentscheidung betroffenen Partei können bei einem hohen Streitwert und langen Instanzenzug Schäden in erheblicher Höhe entstehen. Wird ein Rechtsstreit infolge einer Falschaussage oder unwahren Prozeßbehauptung durch eine materiell unrichtige Entscheidung oder einen ungünstigen Vergleich beendet, so ist zwangsläufig auch die durch die §§ 91 ff. ZPO in Streitabhängigkeit gebrachte Kostenentscheidung fehlerbehaftet. Bei einem der materiellen Rechtslage entsprechenden Streitergebnis wären die Kosten des Rechtsstreits - zumindest teilweise - der gegnerischen Partei auferlegt worden.

bb) Sonstige Begleitschäden Darüber hinaus können einer Prozeßpartei durch den Vortrag unwahrer Tatsachen oder infolge einer Falschaussage weitere, vom Ausgang des Rechtsstreits unabhängige Begleitschäden entstehen. Zum einen kann sich die betroffene Partei zu einem erhöhten Prozeßaufwand veranlaßt fühlen. 17 Um die fehlerhaften Ausführungen zu widerlegen und zu verhindern, daß sie zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden, wird der Betroffene möglicherweise von sich aus Beweismittel beschaffen, mehrere Anwälte mit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung befassen oder mit

16 17

2*

Zur Terminologie s. Häsemeyer, S. 7, 139. s. Eisele, S. 48; Klopfer, S. 54 f.; Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 185.

20

1. Teil: Haftungsgrundlagen

einem besonders qualifizierten Anwalt eine über den gesetzlichen Beträgen der BRAGO liegende Vergütung vereinbaren. Diese oft kostspieligen und zeitraubenden Aufwendungen mögen der Prozeßpartei unter dem Eindruck des unwahren Parteivortrags oder der Falschaussage als unerläßlich erscheinen. Sie sind jedoch mangels objektiver Notwendigkeit im Sinne des Kostenrechts nicht erstattungsfahig und stellen daher einen Schaden dar.18 Zum anderen können ein unwahrer Parteivortrag oder eine Falschaussage den Verlust an Ruf, Vertrauen oder geschäftlichem good-will zur Folge haben.19 Dritte, etwa der Kreditgeber, Geschäftspartner oder Kunde, sehen sich möglicherweise dazu veranlaßt, Maßnahmen zu treffen, die für die betroffene Partei nachteilig sind. Neben den dadurch erlittenen Vermögenseinbußen können diskriminierende Prozeßbehauptungen oder Bekundungen auch Ehre und Ansehen des Betroffenen verletzen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Beklagte einer Zahlungsklage mit dem unzutreffenden Einwand begegnet, der Vertrag, aus dem geklagt wird, sei nur durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zustande gekommen.20 Denkbar sind schließlich auch gesundheitliche Schäden, die als Folge der psychischen Belastung einer Falschaussage oder eines unwahren Parteivortrags davongetragen werden.21 Die Partei eines Zivilprozesses kann also durch den Vortrag unwahrer Tatsachen oder infolge einer Falschaussage unabhängig davon, ob sich die Äußerung des Prozeßbeteiligten als entscheidungserheblich erweist, eine Vielzahl an materiellen und immateriellen Schäden erleiden.

2. Schadensfälle im Strafverfahren a)

Verurteilungsschäden

Im Rahmen eines Strafverfahrens kann eine aufgrund einer Falschaussage zu Unrecht erfolgte Verurteilung für den Angeklagten den Verlust von Freiheit und Vermögen bedeuten. Typische Vermögensschäden infolge einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe sind etwa der Ausfall von Arbeitslohn oder Einkommen, entgangener Urlaub, sozialversicherungsrechtliche Nachteile, Schließung eines Gewerbebetriebes, Auferlegung der Verfahrenskosten sowie

18 19 20

21

Vgl. Hopt, S. 144. s. Häsemeyer, S. 139; Hopt, S. 145 f.; vgl. auch BGH NJW 1986, 2502, 2503. Fenn ZHR 132, 344, 347; Hopt, S. 149 f. s. auch Häsemeyer, S. 139; Hopt, S. 150.

Α. I. Schadenseintritt

21

Aufwendungen zur Wiederherstellung der durch die Haft beeinträchtigten Gesundheit.2 Beispiel (4)\ 23

Aufgrund einer von Β verfaßten anonymen Anzeige wurde gegen den jüdischen Kaufmann L ein Strafverfahren wegen Rassenschande eingeleitet. L sollte mit der im selben Haus wohnenden Κ geschlechtlich verkehrt haben, was von Κ in der Hauptverhandlung eidlich abgeleugnet wurde. Im Anschluß an die Verurteilung des L zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr wurde Κ in einem gegen sie wegen Meineides eingeleiteten Strafverfahren zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Der in beiden Strafverfahren als Zeuge vernommene Β hatte seine angeblichen Beobachtungen unter Eid aufrechterhalten. Nachdem Κ auf ihre Revision hin ein halbes Jahr später wegen erwiesener Unschuld aus der Haft entlassen wurde, erfolgte gegen Β eine Verurteilung wegen Meineides. In dem anschließend von Κ angestrengten Zivilprozeß wurde Β zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1500 RM wegen Freiheitsentziehung gem. §§ 823 Abs.l, 847 BGB verurteilt.

b) Begleitschäden

Ein Angeklagter kann durch eine falsche Zeugenaussage aber auch dann geschädigt werden, wenn die Aussage für den Verlauf des Strafverfahrens nicht mitbestimmend ist oder eine zunächst erfolgte Verurteilung aufgehoben wird. Mit jeder in einem öffentlichen Strafverfahren erfolgten Anschuldigung ist ein Makel verbunden, unter dem die Stellung des Angeklagten im Privatleben und Beruf leiden kann. Der Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben, verletzt nahezu immer Ehre und Ansehen des Betroffenen und mag manchen Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Angeklagten veranlassen. Beispiel (5): 24

In einem gegen den Grafen X anhängigen Strafverfahren wurde diesem zur Last gelegt, das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft zu haben. X hatte 1952 in zwei Zeitungsartikeln die Behauptung aufgestellt, die Ermordung des Legationssekretärs Ernst vom Rath am 7. November 1938 in der Deutschen Botschaft in Paris sei allein auf ein Zerwürfnis mit dem Attentäter Herschel Grünspan wegen der von ihnen zueinander unterhaltenen homosexuellen 22 23 24

Vgl. Meyer, § 7 Rdn. 11 ; Schätzler, § 7 Rdn. 9. Nach KG DR (Ausgabe A) 1940, 393; s. dazu auch unten 1. Teil Α. IV. 1. Nach OLG Köln JZ 1970, 657; s. dazu auch unten 1. Teil Α. IV.

22

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Beziehungen zurückzuführen und die von deutscher Seite damals herausgestellten politischen Hintergründe des Anschlages seien nicht zutreffend gewesen.25 Im Verlauf des Strafverfahrens gegen X wurde B, der zur selben Zeit wie der Verstorbene an der Pariser Botschaft tätig war, zweimal als Zeuge eidlich vernommen. Nachdem Β die geläufige Darstellung des Attentates bestätigt hatte, wurde X wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nach § 189 StGB verurteilt. Auf die Revision des X hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache an das LG zurück, welches das Verfahren gegen X einstellte. In einem darauffolgenden Zivilverfahren machte X gegen Β Schadensersatzansprüche in Höhe von 30.000 DM mit der Behauptung geltend, Β habe bei seiner Zeugenvernehmung mit Rücksicht auf seine berufliche Stellung im Auswärtigen Amt sein Wissen um die wahren Hintergründe verschwiegen und nur die geläufige politisch motivierte Darstellung des Attentates wiedergegeben. Insbesondere habe er nicht bekundet, mit vom Rath eng befreundet gewesen zu sein und gemeinsam in homosexuellen Kreisen in Paris verkehrt zu haben. Infolge der von X behaupteten Falschaussage des Β sei der Ruf des damaligen Angeklagten und jetzigen Klägers in erheblichem Maße geschädigt worden. Bedeutende Illustrierte und Verlage hätten ihn als bekannten Autor boykottiert, wodurch er keinerlei Verdienstmöglichkeiten mehr aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit habe. Nach Aufhebung des klageabweisenden landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung in den ersten Rechtszug durch das OLG wurde der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet. Der Beklagte verpflichtete sich darin zur Zahlung von 30.000 DM an den Kläger, während letzterer die Zusage abgab, über den Beklagten nichts zu publizieren.

3. Entschädigung nach dem StrEG Bei den im Rahmen eines Strafverfahrens erlittenen Beeinträchtigungen stellt sich jedoch die Frage, ob sie in einem Schadensersatzprozeß gegen den falschaussagenden Zeugen überhaupt als ersatzfähiger Schaden geltend gemacht werden können. Dagegen spricht möglicherweise der Umstand, daß der Gesetzgeber in den §§ 1 ff. StrEG bereits eine Entschädigung für StrafVerfolgungsmaßnahmen vorgesehen hat. Es bedarf daher der Klärung, ob und inwieweit neben der Regelung des StrEG Schadensersatzansprüche aufgrund anderer Haftungsnormen bestehen.

Dieser dem deutschen Botschafter gegoltene Mord diente als Vorwand der von Goebbels gesteuerten nationalsozialistischen Terroraktionen gegen jüdische Bürger und Geschäfte in ganz Deutschland in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 ("Reichskristallnacht").

Α. I. Schadenseintritt

23

a) Anspruchskonkurrenz

Sollten die im Zusammenhang mit einem Strafverfahren denkbaren Schadensfalle durch das StrEG eine abschließende Regelung erfahren haben, käme eine Inanspruchnahme des falschaussagenden Zeugen nach allgemeinem Haftungsrecht nicht in Betracht. Gegen einen derart abschließenden Charakter spricht jedoch die eingeschränkte Tragweite des StrEG. Es handelt sich hierbei nicht etwa um ein globales, generalklauselartiges Wiedergutmachungsrecht, neben welchem sich weitere Regreßansprüche gegen Prozeßbeteiligte für den Bereich des Strafverfahrens erübrigten. Die §§ 1 ff. StrEG statuieren vielmehr bestimmte, an eine Reihe von Voraussetzungen gebundene, in Umfang und Modalität näher geregelte und begrenzte Einzelansprüche.6 So ist eine obligatorische Entschädigung durch den Staat nur für die Fälle vorgesehen, in denen eine rechtskräftige Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten korrigiert wird (§ 1 StrEG) oder in denen sich der Vollzug bestimmter vorläufiger StrafVerfolgungsmaßnahmen am Ende des Verfahrens als ungerechtfertigt herausstellt (§ 2 StrEG). Nicht vom Regelungsbereich erfaßt sind dagegen solche Fälle, in denen das Urteil nicht in Rechtskraft erwachsen ist oder rechtskräftig geworden und bei Bestand geblieben ist. Ferner ist zu bedenken, daß Gegenstand der Entschädigung grundsätzlich nur der dem Beschuldigten infolge der Strafverfolgungsmaßnahme entstandene Vermögensschaden ist, sofern dieser eine gewisse Bagatellgrenze überschritten hat (§ 7 Abs.l Hs.l und Abs.2 StrEG). Ersatz des immateriellen Schadens ist dagegen nur für den in § 7 Abs.l Hs.2 StrEG geregelten Ausnahmefall, also bei Freiheitsentziehung, vorgesehen und der Höhe nach durch eine Tagessatzpauschale von 20 DM begrenzt (§ 7 Abs.3 StrEG). Darüber hinaus kann ein Entschädigungsanspruch nach dem StrEG aus zahlreichen Gründen versagt werden oder ausgeschlossen sein (§§ 5, 6 StrEG) und unterliegt schließlich besonders kurzen Anmelde- und Ausschlußfristen (§§ 10, 12 StrEG). Vom StrEG werden demnach bei weitem nicht alle im Zusammenhang mit einer Falschaussage denkbaren Schadenssituationen erfaßt 27, mögen mit ihnen auch Nachteile verbunden sein, die den Folgen einer entschädigungspflichtigen Maßnahme gleichstehen. Entschädigungslos bleiben insbesondere die durch ein Strafverfahren ausgelösten Rufschäden. Soweit der gute Ruf ein immaterielles Gut ist, kommt eine Entschädigung wegen § 7 Abs.3 StrEG nicht in Betracht, weil das Gesetz den Ersatz für immateriellen Schaden auf die Freiheitsentziehung beschränkt. Eine Entschädigung wird aber auch in den Fällen versagt, in denen die Beeinträchtigung des guten Rufes zu einem nach26 27

Vgl. J. Blomeyer, S. 105. Vgl. auch Hopt, S. 149.

24

1. Teil: Haftungsgrundlagen

weisbaren Vermögensschaden geführt hat, da bloße mittelbare Folgeschäden nicht mehr in den Schutzbereich des StrEG fallen. 28 Es besteht demnach ein über die vom StrEG erfaßten Fälle hinausgehendes Bedürfnis nach Schadensersatz, dem nur das allgemeine Schadensersatzrecht gerecht zu werden vermag. Letzteres aber wird durch das StrEG nicht verdrängt, da nach der ratio legis speziell der im Strafverfahren Verfolgte gerade zusätzliche Vorteile genießen, aber nicht der sonstigen allgemeinen Möglichkeiten, zu Schadensersatz zu kommen, beraubt werden soll. 9 Der Begründung des Regierungsentwurfs zum StrEG30 zufolge gilt dieses Konkurrenzverhältnis zunächst im Hinblick auf weitere gegen den Staat gerichtete Schadensersatzansprüche. Daß daneben aber auch Ansprüche gegen prozeßbeteiligte Dritte von der Regelung des StREG unberührt bleiben, ergibt sich aus der Vorschrift des § 15 Abs.2 StREG. Der dort geregelte Forderungsübergang betrifft gerade solche Ansprüche, die dem Entschädigungsberechtigten nach bürgerlichem Recht gegen Personen zustehen, welche durch eine rechtswidrige Handlung die Strafverfolgungsmaßnahme herbeigeführt haben.31 Würden diese Ansprüche durch das StrEG verdrängt, liefe die zugunsten der Staatskasse angeordnete Legalzession ins Leere. Eine Inanspruchnahme des falschaussagenden Zeugen wegen eines Schadenseintritts in einem Strafverfahren scheitert daher nicht an dem Konkurrenzverhältnis des StrEG zu allgemeinem Schadensersatzrecht.

b) Vorteilsausgleichung

Steht demnach die Regelung des StrEG der Möglichkeit einer Schadloshaltung an Zeugen nicht grundsätzlich entgegen, so bleibt zu klären, ob dort normierte Entschädigungsansprüche bei der Schadensberechnung im Rahmen der Zeugenhaftung zu berücksichtigen sind. Soweit das StrEG eine Entschädigungspflicht des Staates für Strafverfolgungsmaßnahmen vorsieht, könnte hierin ein anrechenbarer Vorteil für den durch die Falschaussage Geschädigten liegen. Gegen die Annahme einer Vorteilsausgleichung spricht jedoch die Vorschrift des § 15 Abs.2 S. 1 StrEG, die den Anspruch des Entschädigungsberechtigten gegen eine Person, welche die Strafverfolgungsmaßnahme rechtswidrig herbeigeführt hat, in Höhe der geleisteten Entschädigung auf den

28 BGH MDR 1979, 562; OLG Hamm MDR 1988, 414; OLG Köln NJW 1985, 2145; OLG München MDR 1976, 228; Meyer, § 7 Rdn. 13. 29 Vgl. J. Blomeyer, S. 8 f.; Meyer, Einl. Rdn. 59 ff; Schätzler, Einl. Rdn. 42, zum Verhältnis des StrEG zu anderen Anspruchsgrundlagen. 30 BT-Drucks. VI/460, S. 6. 31 Meyer, § 15 Rdn.3; Schätzler, § 15 Rdn. 5.

A- II. Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht

25

Staat überleitet. Geht, wie in diesem Falle, der Ersatzanspruch gegen den Schädiger im Wege der Legalzession auf einen Dritten über, findet nach einhelliger Meinung eine Vorteilsausgleichung nicht statt.32 Infolge des durch § 15 Abs.2 S. 1 StrEG angeordneten Forderungsübergangs wird der abzutretende, gegen den Schädiger gerichtete Anspruch von vornherein in das Rechtsverhältnis zwischen dem Ersatzberechtigten und dem entschädigungspflichtigen Staat einbezogen. Diese Einbeziehung kommt einer Minderung des nach dem StrEG gewährten Entschädigungsanspruchs gleich. Insofern erwächst dem Geschädigten durch die staatlicherseits geleistete Entschädigung kein Vorteil, der auf den Schadensersatzanspruch gegen den Zeugen mindernd angerechnet werden könnte. Wer im Verlaufe eines Strafverfahrens durch eine falsche Zeugenaussage Schäden erleidet, kann diese also ungeachtet der nach dem StrEG vorgesehenen Entschädigungsmöglichkeiten in einem Regreßprozeß gegen den Zeugen geltend machen.

II.

Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht

Um aus einem unwahren Parteivortrag oder einer Falschaussage Schadensersatzansprüche herleiten zu können, muß ferner ein Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht vorliegen. Innerhalb welcher Haftungsvoraussetzung dieses Merkmal zu prüfen ist, hängt von der jeweiligen Anspruchsgrundlage ab. Bei vertraglichen und vertragsähnlichen Anspüchen stellt sich die Frage nach dem Verstoß gegen die Wahrheitspflicht bereits auf der Tatbestandsebene im Rahmen der Pflichtverletzung. Gleiches gilt für die besonderen Amtshaftungstatbestände des § 839 Abs.l und Abs.2 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Bei der allgemeinen Deliktshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB sowie bei einem Anspruch aus § 824 BGB ist das Merkmal der prozessualen Pflichtwidrigkeit dagegen für die Prüfung der Rechtswidrigkeit von Bedeutung. Wird ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.2 BGB geprüft, kommt der Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht als eine Schutzgesetzverletzung in Betracht. Bei einem Anspruch aus § 826 BGB stellt sich schließlich die Frage, ob das prozessual pflichtwidrige Verhalten eine sittenwidrige Handlung darstellt.

32 Thiele, AcP 167, 193, 213 ff.; Lange, § 9 III 4; Larenz, SR AT, § 30 II c; Erman/Kuckuck, Vorb. § 249 Rdn. 102; Soergel/Mertens, Vorb. § 249 Rdn. 223; Staudinger/Medicus, § 249 Rdn. 140.

26

1. Teil: Haftungsgrundlagen

1. Parteivortrag Nach § 138 Abs.l ZPO sind die Prozeßparteien verpflichtet, die Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

a) Gegenstand der Wahrheitspflicht

Die Wahrheitspflicht bezieht sich nur auf die von den Parteien vorgetragenen tatsächlichen Umstände. Rechtliche Ausfuhrungen werden von § 138 Abs. 1 ZPO dagegen nicht erfaßt 33, da sie als Tatbestandssubsumtion das Ergebnis von Schlußfolgerungen und daher Beweisen nicht zugänglich sind.34 Beispiel (Forts. I): 35

In dem von Κ gegen die Erben des V geführten Rechtsstreit hatte das LAG die auf eine Wahrheitspflichtverletzung gestützte Schadensersatzklage abgewiesen. Zur Begründung führte es an, daß ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO einen Schadensersatzanspruch der Gegenseite nur dann auslösen könne, wenn diese durch die Aufstellung unwahrer tatsächlicher Behauptungen geschädigt worden ist. Wenn die Erben im Vorprozeß eingewandt hätten, V sei zur Zeit der Ausstellung der Bescheinigung geschäftsunfähig gewesen, so handele es sich nicht um tatsächliche Angaben, sondern um eine Schlußfolgerung aus den Krankheitserscheinungen (Arterienverkalkung), die tatsächlich bei dem Erblasser bestanden hatten und ärztlicherseits festgestellt worden waren. Für eine Schlußfolgerung aus wirklich gegebenen Tatsachen, die vielleicht einer Nachprüfung nicht standhält, könne eine Prozeßpartei aber nicht verantwortlich gemacht werden.

b)

Umfang der Wahrheitspflicht

Nach herrschender Lehre verbietet § 138 Abs.l ZPO der Partei lediglich, bewußt die Unwahrheit zu sagen.36 Die Partei darf nicht zu Lasten des Gegners 33

BGH JR 1958, 106; Kress, S. bach/Lauterbach/Hartmann, § 138 Rdn. 14. 34 Nelte, S. 23. 35

25;

Rosenberg/Schwab,

§

65

VIII

1;

Baum-

LAG Krefeld ARS 29, 4; s. oben 1. Teil A. 1. 1. a) aa). BGHZ 116, 56; Henckel, S. 146, 298; Olzen, ZZP 98, 403, 415; Rosenberg, ZZP 58, 283, 287 f.; Schönke, S. 24; Schreiber, ZZP 105, 129, 130, 143; Staab, S. 21 f., 27 f.; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 46; A. Blomeyer, § 30 V I I 3; Rosenberg/Schwab, § 65 V i l i 4; Schellhammer, Rdn. 36

A- II. Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht

27

eine Tatsache behaupten, von deren Unwahrheit sie Kenntnis hat oder überzeugt ist. Ebensowenig darf sie eine gegnerische Behauptung bestreiten, wenn sie von deren Wahrheit Kenntnis hat oder überzeugt ist. Die Pflicht zielt also nicht auf die objektive Wahrheit, sondern auf die subjektive Wahrhaftigkeit und will nur der bewußten Prozeßlüge entgegentreten.3 Ein Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht liegt demnach nur bei einem wissentlich unwahren Parteivortrag vor. Einer Mindermeinung zufolge macht sich die Partei einer Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht dagegen bereits dann schuldig, wenn sie es unterläßt, vor Aufstellung von Behauptungen über deren Richtigkeit die jeweils zumutbare Information einzuholen. Als besondere Ausprägung der allgemeinen Pflicht zur redlichen Prozeßführung enthalte § 138 Abs.l ZPO nicht nur ein Verbot der bewußten Unwahrheit, sondern auch ein Gebot zu gewissenhafter Wahrheitsermittlung. 39 Eine Verletzung des Wahrheitsgebots läge danach auch bei nur fahrlässig falschen Parteibehauptungen vor. Ein derart weit gefaßtes Verständnis der Wahrheitspflicht brächte jedoch eine Verkümmerung des Rechtsschutzes mit sich. Wollte man von den Parteien verlangen, nur solche Tatsachenbehauptungen aufzustellen, von deren Wahrheit sie auch nach eingehenden Erkundigungen völlig überzeugt sind bliebe für den eigentlichen Prozeß praktisch nur noch die Rechtsfrage übrig. Die Wahrheitspflicht bezweckt aber keine Entlastung der Gerichte.41 Vielmehr soll gerade der Prozeß der objektiven Wahrheitsfindung dienen.42 Folglich hat jede Partei ein Recht darauf, trotz eigener Zweifel an der Wahrheit der Tatsachen diese im Prozeß zu behaupten und ihren geltend gemachten Standpunkt durch ein unabhängiges Gericht überprüfen zu lassen.43 Eine dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (§§ 160 ff. StPO) entsprechende Vorprüfüngspflicht der Parteien hinsichtlich ihrer Prozeßbehauptungen ist der ZPO daher fremd. Die Parteien können also fahrlässig falsche Prozeßbehauptungen aufstellen, ohne befürchten zu müssen, sich gegenüber dem Prozeßgegner wegen Verletzung der Wahrheitspflicht schadensersatzpflichtig zu machen.

1276; Zeiss, Rdn. 202; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 138 Rdn. 15; Jauernig, ZPO, § 26 III; MünchKomm./ Peters, ZPO, § 138 Rdn. 2 f.; Thomas/Putzo, § 138 Rdn. 3; Zöller/ Stephan, § 138 Rdn. 2. J. Blomeyer, S. 155; Konzen, S. 284; Rosenberg/Schwab, § 65 V I I I 4; MünchKomm./Peters, ZPO, § 138 Rdn. 2. Hopt, S. 272; Jaquet S. 62; Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 180; Wildermuth, S. 21 f. 39 Titze, a.a.O., S. 165, 170. 40

41 42 43

J. Blomeyer, S. 41. Henckel, S. 146. Henckel, S. 146, 298; Konzen, S. 285. J. Blomeyer, S. 45; Henckel, S. 298.

28

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Die restriktive Auslegung des § 138 Abs.l ZPO steht auch nicht im Widerspruch zu den strafrechtlichen Regelungen über die Eidesdelikte. Daß in den §§ 153 ff. StGB nicht nur die vorsätzliche, sondern auch die auf Fahrlässigkeit beruhende Unwahrheit unter Strafe gestellt wird (§ 163 StGB), läßt keine Rückschlüsse auf den Umfang der Wahrheitspflicht nach § 138 Abs.l ZPO zu.44 Prozeßparteien können sich nämlich nur im Rahmen der Parteivernehmung wegen vorsätzlichen oder fahrlässigen Meineides strafbar machen. § 138 Abs.l ZPO stellt indes Verhaltensanforderungen auf, die beim Parteivortrag zu beachten sind und deren Mißachtung in den §§ 153 ff. StGB nicht strafbewehrt ist.

2. Parteivernehmung Parteien sind nicht nur im Rahmen ihres Parteivortrages, sondern auch bei ihrer Vernehmung (§§ 445 ff. ZPO) zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. 45 Die Wahrheitspflicht, die die Parteien in ihrer Funktion als Beweismittel trifft, kommt in den §§ 452 Abs.2, 451, 395 Abs.l ZPO, §§ 154, 163 StGB sowie in § 580 Nr.l ZPO zum Ausdruck. Sie entspricht ihrer Herleitung und ihrem Umfang nach der Wahrheitspflicht von Zeugen.46

3. Zeugenvernehmung Während die Wahrheitspflicht der Parteien durch die ZPO-Novelle von 1933 expressis verbis in das Gesetz aufgenommen wurde (§ 138 Abs.l ZPO), fehlt für Zeugen eine entsprechende ausdrückliche Vorschrift. Es gibt jedoch einen allgemein anerkannten, ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, wonach jeder Zeuge zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet ist.

a) Herleitung der Wahrheitspflicht

Die Wahrheitspflicht des Zeugen ergibt sich bereits aus dessen Funktion als Beweisperson.47 Der Zeuge wird zum Verfahren ebenso wie der Sachverständige im Hinblick auf das Prozeßziel herangezogen, daß im Urteil die Wahrheit

44 45

47

So aber Hopt, s. 272. Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 174; Schneider, Rdn. 132. Zur Wahrheitspflicht von Zeugen s. sogleich unten im Text. J. Blomeyer,S. 155 f.

Α. II. Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht

29

gefunden und damit die wirkliche materielle Rechtslage festgestellt werde.48 Soll die Wahrheitsfindung durch die Mitwirkung des Zeugen gefordert werden, muß er aber zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet sein. Daher wird die Wahrheitspflicht von Zeugen für selbstverständlich und ihre ausdrückliche Statuierung für überflüssig gehalten.49 Wenngleich der Gesetzgeber auf eine Normierung der Wahrheitspflicht von Zeugen in den Verfahrensordnungen verzichtet hat, kommt ein Wahrheitsgebot zumindest mittelbar in den Vorschriften über den Zeugenbeweis zum Ausdruck. So setzen § 392 ZPO und § 66c StPO eine entsprechende Verpflichtung voraus, wenn sie für die Bekräftigung einer Aussage durch Eid die Formel vorschreiben, daß der Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt habe.50 Ferner lassen sich § 395 ZPO und § 57 StPO, die eine Ermahnung des Zeugen zur Wahrheit vorschreiben, als Hilfsnormen zu dem Rechtsgrundsatz deuten, wonach der Zeuge zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet ist.51 Außerhalb der Prozeßordnungen geben die strafrechtlichen Sanktionen der §§ 153, 154, 163 StGB zu erkennen, daß für den Zeugen eine Wahrheitspflicht besteht.52 Aus den Wiederaufnahmeregelungen des § 580 Nr. 3 ZPO und der §§ 359 Nr.2 und 362 Nr.2 StPO läßt sich schließlich ableiten, daß die Wahrheitspflicht von Zeugen nicht auf die in den §§ 153 ff. StGB strafbewehrten Fälle beschränkt ist, sondern gleichermaßen für den eidlich und uneidlich vernommenen Zeugen gilt. 53 Andernfalls hätte der Gesetzgeber die Wiederaufnahmemöglichkeit eines Verfahrens nicht auf die Fälle einer Falschaussage beschränken müssen, in denen sich der Zeuge einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat. Es besteht demnach kein Zweifel an der Existenz einer umfassenden prozessualen Wahrheitspflicht von Zeugen.

b) Ausgestaltung der Wahrheitspflicht

Über den Inhalt der Wahrheitspflicht von Zeugen geben die Prozeßgesetze keinen Aufschluß.

48 49 50 51 52 53

Schmidhäuser, ZZP 72, 365, 381. LG Köln JW 39,40, 41 m. Anm. Herschel; J. Blomeyer, S. 156. LG Köln, JW 39, 40, 41; J. Blomeyer, S. 156. J. Blomeyer, S. 156. J. Blomeyer, S. 156. J. Blomeyer, S. 157.

30

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Man könnte daran denken, eine Zeugenaussage in Anlehnung an die im Strafrecht vorherrschende sog. objektive Theorie5 als pflichtwidrig und damit zugleich als falsch im Sinne der Aussagedelikte anzusehen, wenn sie inhaltlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.55 Ein solches Verständnis der Wahrheitspflicht ließe sich jedoch nicht mit der Funktion des Zeugen im Prozeß vereinbaren. Der Zeuge soll sein Wissen über bestimmte Tatsachen im Prozeß bekunden.56 Das Wissen eines Zeugen zu dem Beweisthema beschränkt sich aber stets auf seine eigene gegenwärtige Kenntnis, sei es, daß diese auf eigener Wahrnehmung und Erinnerung beruht oder durch Mitteilung fremder Wahrnehmung erlangt ist.57 Der Zeuge kann und soll daher gar keine objektiv gültigen, von seinem eigenen Erleben unabhängigen Feststellungen treffen, sondern nur ein subjektives Bild des wirklichen Geschehens wiedergeben.58 Da seine Wahrnehmungen einmalig sind, ist er im Gegensatz zum Sachverständigen als Beweisperson auch unersetzbar.59 Die Feststellung, wie das Geschehen sich tatsächlich ereignete, ist hingegen Aufgabe richterlicher Beweiswürdigung.60 Zu diesem Zwecke prüft das von dem unmittelbaren Erleben des prozeßwesentlichen Geschehens distanzierte Gericht die Zeugenaussage auf ihren Gehalt an objektiver Wahrheit. Hätte dagegen anstelle des Richters der Zeuge selbst die objektive Wahrheit aufzudecken, wäre es unverständlich, warum ein Richter nach § 41 Nr. 5 ZPO und § 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung seines Amtes kraft Gesetzes in solchen Fällen ausgeschlossen ist, in denen er als Zeuge vernommen worden ist.61 Daß sich der Begriff der prozessualen Pflichtwidrigkeit einer Aussage mit dem im Strafrecht vorherrschenden Verständnis von der Falschheit einer Aussage demnach nicht deckt, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Eine solche Gleichstellung mag zwar zweckmäßig sein. Sie ist jedoch nicht zwingend geboten, da prozeßrechtliche Begriffe nicht durch solche des Strafrechts festgelegt sind.63 Im übrigen wirft ein vom strafrechtlich relevanten Inhalt der Aussage abweichendes Verständnis von der prozessualen Wahrheitspflicht 54 RGSt 64, 278; 65, 27; 76, 96; BGHSt 7, 147, 148; Wolf, JuS 1991, 177, 179 f.; Dreher/Tröndle, Vorb. § 153 Rdn. 4 f.; Kleinknecht/Paulus, § 66c Rdn. 9; Lackner, Vorb. § 153 Rdn. 3; Schönke/Schröder/ Lenckner, Vorb. §§ 153 ff. Rdn. 6 mit weiteren Nachweisen in Rdn. 5. 55 So Klopfer, S. 70 f. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Übers. § 373 Rdn. 1. 57 Vgl. Otto, JuS 1984, 161, 162.

Otto, JuS 1984, 161, 162 f.: 'Der Aussagende ist Beweismittel, nicht Orakel.'. Schreiber, ZZP 105, 129, 130; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Übers. § 373 Rdn. 1. 60 Otto, JuS 1984, 161, 163; Schmidhäuser, Festschrift fur OLG Celle, 207, 217. 61 Schmidhäuser, Festschrift für OLG Celle, 207, 217. 62 Vgl. J. Blomeyer, S. 159. Gegen eine grundsätzliche Akzessorietät zwischen Begriffen des Zivilrechts und solchen des Strafrechts spricht bereits der Umstand, daß die strafrechtlichen Begriffsbestimmungen oftmals an dem Srafbarkeitsbedürfnis von Teilnehmern und mittelbaren Tätem orientiert sind. 59

II. Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht

31

auch keine Wertungswidersprüche zum Strafrecht auf. Eine prozessual pflichtgemäße Zeugenaussage, die bei Abweichung vom tatsächlichen Geschehen bereits als falsch und damit als objektiv tatbestandsmäßig i.S.d. §§ 153 ff. StGB eingestuft wird, führt nämlich nur dann zur Strafbarkeit des Zeugen, wenn neben der objektiven Tatbestandsmäßigkeit auch noch die weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Die dabei zu klärende Frage, ob der Zeuge vorsätzlich oder fahrlässig falsch ausgesagt hat, entspricht aber regelmäßig der Frage nach der prozessualen Pflichtwidrigkeit. 64 Bei prozeßordnungsgemäßem Verhalten macht sich der Zeuge mangels vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens daher nicht strafbar. Ein Zeuge ist infolge der prozessualen Wahrheitspflicht also nicht schlechthin zu einer der Wirklichkeit entsprechenden Aussage verpflichtet. Vielmehr hat er seine eigenen, auf die erfragten Geschehnisse bezogenen Wahrnehmungen wiederzugeben.65 Dabei ist fraglich, ob sich der Zeuge mit der Wiedergabe seines gegenwärtigen Wissens begnügen darf oder ob ihn eine darüber hinausgehende Pflicht zur Gedächtnisbemühung trifft. Müßte der Zeuge zu dem maßgeblichen Geschehen nur jenes Erinnerungsbild schildern, dessen er sich im Augenblick seiner Aussage bewußt ist. so wäre der richterlichen Überzeugungsbildung nicht hinreichend gedient.6 Will ein Richter seiner Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO genügen, darf er sich mit einer Zeugenaussage nicht zufrieden geben, solange anzunehmen ist, daß der Zeuge bei Besprechung der kritischen Punkte doch noch zu einer anderen Aussage kommen könne. Zum Zwecke einer Verbesserung der Zeugenaussage wird er von seinem richterlichen Fragerecht gem. § 396 Abs.2 ZPO und § 69 Abs.2 StPO Gebrauch machen und bei Abweichung von einer früheren Vernehmung nötigenfalls die Verlesung eines Protokolls über die frühere Aussage zulassen ( 253 Abs.2 StPO). Die Pflicht und das Recht des Richters zur weiteren Bemühung um die Zeugenaussage machen aber nur dann einen Sinn, wenn ihnen eine Verpflichtung des Zeugen entspricht, unter Umständen mehr oder anderes auszusagen, als er zunächst gesagt hat.67 Folglich erschöpft sich die Wahrheitspflicht des Zeugen nicht in der Wiedergabe seines aktuell-bewußten Wissens.68 Der Zeuge ist darüber hinaus verpflichtet, das in ihm ruhende, wenn auch unbewußte, so doch durch Bemühen des Gedächtnisses reproduzierbare Wissen zu vergegenwärtigen.69 Diese Konzentrationspflicht erstreckt sich zwar nicht schon auf die

64 65 66 6 68 69

Vgl. Schönke/Schröder/Lenckner, Vorb. §§ 153 ff. Rdn. 6. J. Blomeyer, S. 161. Vgl. Otto, JuS 1984, 161, 163. Schmidhausen Festschrift für OLG Celle, 207, 215. Dedes,JR 1977, 441, 444. Schmidhausen Festschrift für OLG Celle, 207, 217 f.

32

1. Teil: Hafungsgrundlagen

Zeit vor der Vernehmung70, aber auf die Dauer der Vernehmung selbst.71 Die Pflichterfüllung des Zeugen spielt sich demnach auf zwei Stufen ab: Der Zeuge hat zunächst jenes subjektive Erinnerungsbild vom Geschehen, das er in sich trägt, in sein Bewußtsein zu rufen, soweit ihm dies unter den gegebenen Umständen der Vernehmung, seines Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögens möglich ist. Sodann hat er das auf diese Weise gewonnene Erlebnisbild vollständig und richtig wiederzugeben. Demzufolge verstößt ein Zeuge gegen die prozessuale Wahrheitspflicht, wenn er in seiner Aussage nicht das Wissen wiedergibt, das er nach einer seinem individuellen Können entsprechenden Gedächtnisbemühung während der Vernehmung reproduzieren könnte.72 Gleiches gilt für die Partei in ihrer Funktion als Beweisobjekt während der Parteivernehmung.73

III.

Verschulden

Die Haftung von Parteien und Zeugen wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht wird von keinem der Fälle erfaßt, in denen sich der Schuldner, wie etwa bei der Gefahrdungshaftung, ohne Rücksicht auf Verschulden schadensersatzpflichtig macht. Im Zusammenhang mit einem unwahren Parteivortrag oder einer Falschaussage sind vielmehr nur solche vertraglichen, vertragsähnlichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen anwendbar, die ein Verschulden des Schädigers voraussetzen. Eine Inanspruchnahme von Parteien und Zeugen kommt somit nur dann in Betracht, wenn die Verfahrensbeteiligten die prozessuale Wahrheitspflicht schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig (§ 276 Abs.l S.l BGB) verletzt haben. Da sich die Wahrheitspflicht der Parteien im Rahmen ihres Parteivortrages nach § 138 Abs.l ZPO auf ein Verbot der bewußten Prozeßlüge beschränkt74, ist schuldhaftes Verhalten nur in Form von Vorsatz denkbar. Handelt es sich dagegen um einen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht durch Parteien bei ihrer Vernehmung (§§ 445 ff. ZPO) oder durch Zeugen, kommt neben vorsätzlichem auch fahrlässiges Verhalten in Betracht. Nach § 276 Abs.l S.2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt.

Eine Pflicht des Zeugen zur Vorbereitung auf die Vernehmung wird allgemein abgelehnt, s. dazu Dedes, JR 1983, 99 f f , mit weiteren Nachweisen, der aber selber für eine gemäßigte Vorbereitungspflicht auch vor der Vernehmung eintritt. 71 Schmidhäuser, Festschrift für OLG Celle, 207, 218. 72 Otto, JuS 1984, 161, 163; Schmidhäuser, Festschrift für OLG Celle, 207, 218; ähnlich J. Blomeyer, S. 161. s. auch oben 1. Teil A. II. 2. 74 s. oben 1. Teil A . I I . l.b).

A- IV. Kausalität

33

Legt man die oben dargelegte Auffassung zugrunde, wonach ein Aussagender der Wahrheitspflicht zuwider handelt, wenn seine Aussage das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungsbild nicht vollständig und richtig wiedergibt, so lassen sich folgende Fälle fahrlässiger Verhaltensweisen unterscheiden: die Fälle, in denen sich der Aussagende sein Erlebnisbild, das er reproduzierbar in sich trägt, gar nicht bewußt macht, obwohl er es könnte; sodann die Fälle, in denen der Aussagende das richtig ins Bewußtsein gerufene Erlebnisbild etwa infolge Versprechens oder mißverständlicher Ausdrucksweise nicht richtig oder nur unvollständig wiedergibt; schließlich die Fälle, in denen der Aussagende eine feste Überzeugung bekundet, obwohl es sich dabei nicht um ein sicheres Erinnerungsbild handelt.75 Zeugen und vernommene Parteien können einen schuldhaften Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht bereits durch leichte Fahrlässigkeit begehen. Damit steht allerdings nicht zugleich fest, daß fahrlässiges Verhalten jeden Grades eine Haftung auszulösen vermag. Die Frage, ob und inwieweit eine Haftungsbeschränkung auf einen bestimmten Grad der Sorgfaltswidrigkeit geboten ist, soll im Anschluß an die Ausfuhrungen zu den Haftungsgrundlagen erörtert werden.76

IV.

Kausalität

Eine weitere gemeinsame Voraussetzung der Anspruchsgrundlagen, die für die Haftung von Parteien und Zeugen in Betracht kommen, ist ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht und dem eingetretenen Schaden. Im Rahmen vertraglicher und vertragsähnlicher Schadensersatzansprüche muß eine Pflichtverletzung den Schaden verursacht haben. Gleiches gilt für die besonderen Amtshaftungstatbestände des § 839 Abs.l und Abs.2 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Die allgemeinen Deliktstatbestände des § 823 Abs.l und Abs.2 BGB verlangen einen Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsgut- bzw. Schutzgesetzverletzung und dem Schaden. Steht ein Schadensersatzanspruch aus § 824 BGB oder § 826 BGB in Frage, muß der Schaden durch eine kredit- oder erwerbsschädigende Tatsachenäußerung bzw. eine sittenwidrige Handlung verursacht worden sein. Daß Falschaussagen im Prozeß häufige Auslöser von Fehlentscheidungen sind, ist seit langem bekannt.77 Ihrer Bedeutung für den weiteren Gang eines

75

Schmidhäuser, Festschrift für OLG Celle, 207, 224. s. unten 3. Teil. 77 Vgl. Reinecke MDR 1986, 630, 631, 636; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd.2, S. 52 f.; s. auch die von Peters besprochenen Fälle in: 'Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd.l' und 'Zeugenlüge und Prozeßausgang'.

3 Prange

34

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Verfahrens wird nicht zuletzt in den verfahrensrechtlichen Regelungen über die Wiederaufnahme Rechnung getragen. Während es nach § 580 Nr.l und Nr. 3 ZPO noch auf einen Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Partei- bzw. Zeugenaussage und dem angefochtenen Urteil ankommt, läßt § 359 Nr.2 StPO bereits das bloße Vorliegen einer strafbaren Falschaussage als Wiederaufnahmegrund genügen. Letztere Regelung ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Grundlagen eines Strafurteils durch eine falsche eidliche Zeugenaussage auch ohne einen besonderen Kausalitätsnachweis regelmäßig als erschüttert betrachtet werden.78 Bei der Frage nach dem Ursachenzusammenhang zwischen unwahrem Parteivorbringen und Prozeßschaden ist danach zu unterscheiden, ob die Partei im Rahmen des Parteivortrages oder der Parteivernehmung gegen die prozessuale Wahrheitspflicht verstößt. Sofern der Parteivortrag vom Gegner nicht bestritten wird, stützt das Gericht im Bereich des Verhandlungsgrundsatzes darauf sein Urteil (§138 Abs.3 ZPO). Im Rahmen der Parteivernehmung wird das Gericht hingegen seltener bereit sein, der falschen Parteiaussage zu fol79

gen.

Zeugenaussagen schenkt das Gericht in der überwiegenden Zahl Glauben, obwohl eine solche statistische Wahrheitshäufüng mit den Erkenntnissen der Aussagepsychologie unvereinbar ist. In einer Untersuchung des Instituts für Rechtstatsachenforschung der Universität Konstanz wurde festgestellt, daß in 95 % aller Straf- und in 70 % aller Ziviljjjrozesse die Zeugenaussagen bei der Urteilssprechung den Ausschlag gaben. Diese forensische Praxis steht in krassem Widerspruch zur Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen. Bei der Frage, wieviele Zeugen die Wahrheit sagen und wieviele die Unwahrheit, kann zwar auf keine genaue Statistik zurückgegriffen werden. Man hält jedoch eine 'neutrale' Anfangswahrscheinlichkeit von 50:50 bei Aussagen von Zeugen, über die noch keinerlei Informationen vorliegen, für empirisch gerechtfertigt. 8 Allgemein läßt sich daher festhalten, daß Falschaussagen von Prozeßbeteiligten oftmals als Schadensquelle in Betracht kommen. Der Kausalzusammenhang setzt im einzelnen zunächst nach der Äquivalenztheorie82 voraus, daß die Falschaussage nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der eingetretene Prozeßschaden entfiele (conditio sine qua non). Besteht letzterer in einer gerichtlichen Fehlentscheidung, können die Ent78

Vgl. OLG Köln JZ 1970, 657. Schreiber, ZZP 105, 129, 144; s. auch Wittschier, Rdn. 217 f. 80 s. dazu Unger NJW 1984, 415, 417; s. auch Bender/Röder/Nack, S. 210; Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht, S. 137 f. 81 Bender/Röder/Nack, S. 210; s. auch "Zeitgeschehen", Kölnische Rundschau v. 12.1.1984. 82 s. dazuBGHZ2, 138, 141. 79

Α. IV. Kausalität

35

scheidungsgründe ( § 286 Abs.l S.2 ZPO und § 267 Abs.l StPO) Aufschluß über die Verursachung geben.83 Wenn aus ihnen hervorgeht, daß die Entscheidung auf der vermeintlich glaubhaften Aussage einer Partei oder eines Zeugen beruht, kann davon ausgegangen werden, daß das Gericht bei wahrheitsgemäßer Aussage ein für die benachteiligte Partei günstigeres Urteil gefallt hätte.84 Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht und der Fehlentscheidung ist jedoch nicht gegeben, wenn das Gericht ungeachtet der Falschaussage etwa aufgrund eigener Beweiserhebung zu einer unrichtigen tatsächlichen Würdigung oder zu einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung gelangt ist.85 Für die Prüfung, ob die Aussage eines Zeugen oder einer Partei in der gerichtlichen Entscheidung berücksichtigt und damit für letztere ursächlich geworden ist, bedarf es einer genauen Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Aussage. Beispiel (Forts. 5): S6

In dem von X gegen Β geführten Rechtsstreit hatte das LG die Schadensersatzklage abgewiesen, da es selbst bei Vorliegen eines Meineides den Ursachenzusammenhang zwischen der Aussage des Beklagten und der den Schaden herbeiführenden Verurteilung von X nicht als gegeben ansah. Das LG meinte, die Frage eines von Β begangenen Meineides dahingestellt sein lassen zu können, weil seiner Ansicht zufolge die Verurteilung von X selbst bei einer wahrheitsgemäßen Aussage des Β erfolgt wäre. Es begründete dies mit der Überlegung, daß im Rahmen einer Anklage nach § 189 StGB ein Freispruch nur dann erfolgen könne, wenn dem Angeklagten der Wahrheitsbeweis hinsichtlich der von ihm aufgestellten verunglimpfenden Behauptungen gelinge. Nach Ansicht des LG wäre dieser Beweis aber mit Sicherheit auch bei der von X gewünschten Bekundung des Β mißlungen. In dieser Vorgehensweise sah das OLG einen wesentlichen Verfahrensmangel (§ 539 ZPO). Zur Klärung der Kausalitätsfrage hätte das LG sich nicht mit den von ihm angestellten Mutmaßungen über den Verlauf des Strafprozesses begnügen dürfen, sondern zuvor aufklären müssen, ob Β bei seinen Vernehmungen falsch ausgesagt hat oder nicht. Eine falsche eidliche Zeugenaussage vor Gericht stelle nämlich eine so schwere Erschütterung des gesamten Verfahrens dar, daß infolgedessen zumeist das den Prozeß abschließende Urteil hinsichtlich seines Gehalts an materieller Gerechtigkeit in Frage gestellt sei. Es sei daher regelmäßig nicht möglich, eine Feststellung dahin zu treffen, daß eine wahrheitsgemäße Aussage des meineidigen Zeugen den Verlauf des

83

J. Blomeyer, S. 209; Klopfer, S. 61. J. Blomeyer, S. 209; zum Problem des hypothetischen Zweitfehlers s. sogleich unten 1. Teil A.

IV. 2. 85 86

3:

Vgl. LAG Krefeld, ARS 29, 4 f., mit Anm. Volkmar; Klopfer, S. 61; Kress, S. 69. OLG Köln JZ 1970, 657; s. oben 1. Teil Α. I. 2. b).

36

1. Teil: Hafungsgrundlagen

Strafverfahrens nicht geändert haben würde. Eine solche Überlegung sei nur dann begründet, wenn es geradezu offensichtlich ist, daß die in Frage stehende Aussage in keinem Falle die auch nur im entferntesten in Betracht kommenden Tatsachenfeststellungen, auf denen das Strafurteil beruht, beeinflußt haben könnte. Zu einem derartigen Ergebnis könne man aber erst gelangen, nachdem man sich mit dem Inhalt der Aussage befaßt habe. Neben einer Verursachung im naturwissenschaftlichen Sinne setzt der Kausalzusammenhang noch eine Schadenszurechnung voraus. Nach der Adäquanztheorie ist ein Schaden dem Handelnden dann zuzurechnen, wenn die von ihm gesetzte Bedingung im allgemeinen und nicht nur unter ganz besonders eigenartigen, gänzlich unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Erfolges geeignet war. 87 Soweit aufgrund einer Prozeßlüge oder Falschaussage eine fehlerhafte Entscheidung des Gerichts ergeht oder von Seiten Dritter entsprechend nachteilige Maßnahmen getroffen werden88, ist die Möglichkeit des jeweiligen Schadenseintritts durchaus nicht so entfernt, daß sie nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden könnte. So wurde auch in drei der oben aufgeführten Beispielsfalle der Kausalzusammenhang zwischen der Falschaussage und dem durch die darauf ergangene richterliche Entscheidung herbeigeführten Schaden bejaht und der betroffenen Partei ein Schadensersatzanspruch gegen den Zeugen wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht zugebilligt.89 Der Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Falschaussage und dem Schadenseintritt wird für die geschädigte Partei allerdings nicht immer ohne weiteres zu erbringen sein.90

1. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs Besteht der Schaden in einer fehlerhaften gerichtlichen Entscheidung, stellt sich die Frage, ob der Kausalzusammenhang zwischen der Falschaussage und der Fehlentscheidung durch die freie richterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO, § 261 StPO) unterbrochen wird. Zwar erstreckt sich nach allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts der Zurechnungszusammenhang

87 RGZ 133, 126, 127; BGHZ 7, 198, 204; 57, 137, 141; BGH NJW 1976, 1143, 1144; 86, 1329, 1331; 90, 2882, 2883; 91, 1109, 1110.

88

Zu den denkbaren Schadenssituationen im Zusammenhang mit einer Falschaussage s. oben 1. egΑ. I. 1. und 2. Teil s. LG Köln JW 1939, 40, 41; KG DR (Ausg. A) 1940, 393; RG JW 1905, 81. 90 s. auch Schreiber, ZZP 105, 129, 140; Hauser, S. 114.

IV. Kausalität

37

grundsätzlich auch auf nur mittelbare Folgen eines Fehlverhaltens.91 Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, daß die Schadensvermittlung nicht auf irgendeine Art und Weise, sondern durch den 'Voluntativakt eines Dritten' 92, nämlich die Überzeugungsbildung des Richters erfolgt. Mag die Falschaussage eines Zeugen oder einer Partei das richterliche Urteil im Einzelfall auch beeinflussen, so ist diese Auswirkung gleichwohl doch nicht zwingend. Anstatt eine der Aussage entsprechende Entscheidung zu treffen, hätte der Richter im Rahmen seiner Beweiswürdigungsfreiheit ebensogut zum gegenteiligen Ergebnis gelangen können. Diese Überlegungen scheinen dafür zu sprechen, daß eine gerichtliche Fehlentscheidung außerhalb des Verantwortungsbereichs eines falschaussagenden Prozeßbeteiligten liegt.93 Gegen eine solche Schlußfolgerung spricht jedoch der Umstand, daß nach allgemeiner Auffassung der Zurechnungszusammenhang durch ein Verhalten, das auf dem freien Willensentschluß eines Dritten beruht, nicht unterbrochen wird. 94 Der Erstschädiger scheidet selbst dann nicht aus der Kausalkette aus, wenn der Schaden überhaupt erst durch das Verhalten Dritter vermittelt wird, solange sein eigenes Fehlverhalten nur tendenziell geeignet war, den späteren Eingriff zu begünstigen.95 Die zustimmende Verwertung von Falschbekundungen ist aber keine untypische Folge der Aussagetätigkeit eines Prozeßbeteiligten, sondern liegt durchaus im Bereich des normalen Geschehensablaufs, da der Richter den Wahrheitsgehalt einer Aussage nicht immer sicher einzuschätzen vermag. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht und der gerichtlichen Fehlentscheidung wird daher durch das Dazwischentreten der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht unter1

ι

brochen.

96

Eine gegenteilige Betrachtungsweise würde sich zudem in Widerspruch zu dem Schutzzweck der prozessualen Wahrheitspflicht setzen. Der Gesetzgeber hat mit Einführung der an die Parteien und Zeugen gerichteten Wahrheitspflicht den Zweck verfolgt, daß ein richtiges Urteil gefällt wird 97. Stellt man

91

s. Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdn. 72, mit weiteren Nachweisen. J. Blomeyer, ZRP 1974, 214, 218. Vgl. Mohrbotter, JZ 1969, 491, 495, im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortung des Staatsanwalts für gerichtliche Fehlentscheidungen. 94 BGHZ 12, 206, 211; Erman/Kuckuk, Vorb. § 249 Rdn. 65 f; MünchKomm./ Grunsky, Vorb. § 249 Rdn. 57; Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdn. 73, 77. 95 Esser/Schmidt, § 33 II 2 b. 96 Vgl. auch BGH NJW 1988, 3013, 3016, zur Anwaltshaftung und BGH NJW 1990, 176, 178, zur Haftung des Urkundsbeamten, wonach gerichtliche Fehlurteile regelmäßig im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs liegen; s. auch Soergel/Mertens, Vorb. § 249 Rdn. 144. s. dazu ausführlich unten 1. Teil C. II. 2. b). 92

38

1. Teil: Haftungsgrundlagen

mit der Lehre vom Schutzzweck98 bei der Schadenszurechnung auf den Schutzbereich der haftungsbegründenen Norm oder Pflicht ab, so muß daher der falschaussagenden Beweisperson ein durch die Wahrheitspflichtverletzung ausgelöstes Fehlurteil als Schadensfolge ihres Verhaltens zugerechnet werden.99 Dieses Ergebnis wird nicht zuletzt durch eine im Strafrecht vorgedrungene Erkenntnis bekräftigt, wonach beispielsweise in den Fällen des Prozeßbetruges100 oder bei der Freiheitsberaubung101 unter Einschaltung des Gerichts das Dazwischentreten einer richterlichen Entscheidung die Ursachenkette nicht abreißen läßt. Beispiel (Forts.

4):m

In dem von Κ gegen Β geführten Rechtsstreit hatte das LG die Schadensersatzklage abgewiesen, da seiner Ansicht nach die auf dem Haftbefehl beruhende Freiheitsentziehung durch das Verhalten des Β nicht verursacht worden sei. Vielmehr beruhe der Haftbefehl auf einer selbständigen und einen etwaigen Ursachenzusammenhang unterbrechenden Entscheidung des Gerichts. Demgegenüber sah das KG in dem Erlaß des Haftbefehls keine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, sondern nur den Beginn einer zweiten Ursachenreihe, welche durch die Anzeige und die Aussagen überhaupt erst ermöglicht wurde. Dementsprechend sei der infolge der Freiheitsentziehung entstandene Schaden durch das Verhalten des Β verursacht worden.

2. Hypothetischer Schadensverlauf Neben der Frage nach der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs tritt bei Schäden, die aus einer fehlerhaften Entscheidung resultieren, noch ein weiteres Problem auf. Fraglich ist, ob der in Anspruch genommene Prozeßbeteiligte sich darauf berufen kann, daß der Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten wäre. So ist denkbar, daß das Gericht auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Partei oder des Zeugen eine fehlerhafte Entscheidung getroffen hätte. Dabei kann dem Richter ein solcher hypothetischer 98

s. dazu die Nachweise bei Larenz, SR AT, § 27 III 2. J. Blomeyer, S. 210; ders., ZRP 1974, 214, 218; Klopfer, S. 62. Demgegenüber wurde früher die Möglichkeit des Prozeßbetruges (§ 263 StGB) gerade mit dem Argument abgelehnt, die Täuschung des Betrügers werde nicht kausal, weil der Richter die Sach- und Rechtslage selbstständig beurteile und die Vermögensverfügung selbstständig treffe. S. dazu Benkendorff f DRiZ 1934, 206; Rosenberg, ZZP 58, 283, 292. Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) in mittelbarer Täterschaft. 102 KG DR (Ausg. A) 1940, 393, 394; s. oben 1. Teil Α. I. 2. a). 99

IV. Kausalität

39

Zweitfehler sowohl im Rahmen als auch außerhalb der Beweiswürdigung unterlaufen. Beispiel (6):

Der Richter weist eine Schadensersatzklage ab, weil er aufgrund der wahrheitswidrigen Zeugenaussage die Überzeugung gewonnen hat, daß der Beklagte den Schaden nicht verursacht hat. Im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage wäre er zu demselben Ergebnis gelangt, da er, anstelle dieses Mal der Zeugenaussage zu folgen, einem falschen Sachverständigengutachten Glauben geschenkt hätte. Beispiel (7)\

Hätte der Zeuge in Bsp. (6) wahrheitsgemäß ausgesagt, dann hätte der Richter den Schadensersatzanspruch des Klägers zwar bejaht, die Klage aber aufgrund der unzutreffenden Rechtserwägung, der Anspruch sei bereits verjährt, gleichwohl abgewiesen. Bei den auch unter dem Stichwort der sog. überholenden Kausalität behandelten Fällen geht es um das Problem, ob der wirkliche Schadensstifter durch die hypothetisch gebliebene Reserverursache entlastet werden soll. Einigkeit besteht darüber, daß das hypothetische Zweitereignis sich nicht mehr auf den realen Kausalverlauf auswirken kann, weil die Erstursache bereits zu einem Schaden gefuhrt hat.103 Dagegen ist umstritten, ob die Reserveursache bei der Schadenszurechnung zugunsten des auf Schadensersatz in Anspruch Genommenen berücksichtigt werden muß. Das Gesetz nimmt zu diesem Problem keine eindeutige Stellung. So bleibt in § 249 S. 1 BGB offen, inwieweit hypothetische Schadensereignisse bei der Schadensersatzleistung zu berücksichtigen sind. Daß der Schaden, den das haftungsbegründende Ereignis verursacht hat, später auch durch einen anderen Umstand herbeigeführt worden wäre, wird in §§ 440 Abs.2 a.E. BGB und 844 Abs.l HGB für unbeachtlich, in den §§ 287 S.2, 848 BGB, §§ 565, 705 HGB und § 44 BinnSchG hingegen für beachtlich erklärt. Diese Vorschriften sind jedoch zu speziell, als daß aus ihnen ein allgemeines Prinzip für die Behandlung hypothetischer Schadensereignisse gewonnen werden könnte.104 In Ermangelung einer vergleichbaren Interessenlage kommt auch keine Analogie zu einer dieser Sonderregelungen in Betracht. Wollte 103 BGHZ 104, 355, 360; Esser/Schmidt § 33 IV; Larenz, SR AT, § 30 I; MünchKomm./Grunsky, Vorb. § 249 Rdn. 79; Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdn. 96; Staudinger/Medicus, § 249 Rdn. 98. 104 Frank/Löffler, JuS 1985, 689; Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdn. 97; Soergel/Mertens, Vorb. § 249 Rdn. 152; Staudinger/Medicus, § 249 Rdn. 99.

40

1. Teil: Haftungsgrundlagen

man bei der Urteilshaftung von Parteien und Zeugen hypothetische Zweitfehler des Gerichts berücksichtigen, so bedeutete dies eine Befreiung von der Haftung für schuldhaftes Fehlverhalten. Die in den §§ 287 S.2, 848 BGB vorgesehene Berücksichtigung hypothetischer Schadensereignisse entlastet den Schuldner dagegen nur insoweit, als er für einen zufälligen, nicht verschuldeten Schaden haften müßte.105 Auch die Haftungsentlastungen gem. § 565 HGB und § 44 BinnSchG sind auf die Fälle beschränkt, in denen jemand allein deshalb haftet, weil er eine Sache ihrem bestimmungsgemäßen Bereich vorenthält.106 Ebensowenig läßt sich eine Berücksichtigung hypothetischer Zweitfehler des Gerichts mit dem Normzweck des § 705 HGB begründen. Der Einfluß einer späteren besonderen Haverei auf die Vergütungsberechtigung des durch eine große Haverei Geschädigten beruht nämlich auf dem Gedanken, daß die Seereise ein Ganzes bildet und demzufolge für die Ansprüche unter den Havereibeteiligten die Sachlage am Ende der Reise entscheidend ist. 107 Andererseits lassen sich auch aus den Regelungen des § 440 Abs.2 a.E. BGB und des § 844 Abs. 1 HGB keine Rückschlüsse für die Behandlung von Reserveursachen im Rahmen der Urteilshaftung ziehen. Nach der kaufvertragsrechtlichen Bestimmung führt der Untergang der rechtsmangelbehafteten Sache nur deswegen zur Entsperrung des Schadensersatzanspruches, weil die vom Gesetzgeber befürchtete Lage, der Käufer könne eine Entschädigung erhalten und gleichwohl im Genuß der Sache verbleiben, nicht eintreten kann.108 Auch die seeversicherungsrechtliche Bestimmung des § 844 HGB, die hypothetische Ereignisse für unbeachtlich erklärt, ist für eine Analogie auf Tatbestände außerhalb des Versicherungsrechts zu speziell. Das RG lehnte die Beachtlichkeit hypothetischer Schadensursachen grundsätzlich ab.109 Nach Ansicht des BGH ist zwischen dem unmittelbaren, d.h. an dem verletzten Rechtsgut eingetretenen Schaden, und dem nur mittelbaren Vermögensfolgeschaden zu differenzieren. 110 Ersterer sei unabhängig davon zu ersetzen, ob er später aufgrund anderer Umstände ebenfalls eingetreten wäre. Dagegen seien hypothetische Schadensursachen bei mittelbaren Schäden zu berücksichtigen. Die im Schrifttum vertretenen Auffassungen reichen von einer völligen Ablehnung111 bis zu einer weitgehenden Berücksichtigung von Reserveursachen112.

105

Niederländer, AcP 153, 41, 76. s. Kahrs, S. 47 f. Schaps/Abraham, § 705 Einl. 108 Soergel/Huber, § 440 Rdn. 51, 57. 106

109

RGZ 141, 365, 367 f.; 144, 80, 82 f.; 169, 117, 119 f. BGHZ 29, 207, 215; JZ 1960, 409; VersR 1969, 803. 111 Keuk, S. 89 ff.; Zeuner, AcP 157, 441, 446. 112 Lemhöfer, JuS 1966, 337 ff.; Rother, S. 197 ff.; Esser/Schmidt, § 33 MünchKomm./Grunsky, Vorb. § 249 Rdn. 83; Soergel/Mertens, Vorb. § 249 Rdn. 152 f. 110

IV

lb;

IV. Kausalität

41

Der Meinungsstreit bedarf an dieser Stelle jedoch keiner abschließenden Erörterung. Wenn nämlich der hypothetische Schadensverlauf überhaupt berücksichtigt werden darf, hat dies jedenfalls nur mit allen seinen zu erwartenden Folgen, also nicht nur mit den für den Schädiger, sondern auch den für den Geschädigten günstigen zu geschehen.113 Zu den letztgenannten Folgen zählen aber auch Schadensersatzansprüche, die der Geschädigte bei Wirksamwerden der Reserverursache anderweitig erworben haben würde. Nach einhelliger Auffassung entlastet die Reserveursache den Schädiger daher nicht, wenn dem Geschädigten ohne das Verhalten des Erstschädigers aus der hypothetischen Ursache ein Ersatzanspruch gegen den potentiellen Zweitschädiger erwachsen wäre.114 In diesem Falle hätte die Reserveursache nicht zu einem ersatzlosen Wegfall des verletzten Rechtsguts geführt. Infolge der eingetretenen Erstursache kann der 'Reserveschädiger' sich aber darauf berufen, keinen Schaden mehr angerichtet zu haben, und deshalb nicht haftbar gemacht werden. Vergleicht man diese Vermögenslage mit der, in welcher sich der Geschädigte ohne das schadensbegründende Erstereignis befunden haben würde, ergibt sich nach der Differenztheorie ein vom Erstschädiger zu ersetzender Schaden.115 Dieser kann sich der Ersatzpflicht unter Berufung auf die Reserverursache nicht entziehen. Andernfalls bekäme der Geschädigte seinen Schaden überhaupt nicht ersetzt, obwohl doch feststeht, daß beide Schadensereignisse, das tatsächlich eingetretene und das hypothetisch gebliebene, nicht in seinen Risikobereich fallen. 116 Die Haftung eines Prozeßbeteiligten wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht wird durch einen hypothetischen Zweitfehler des Gerichts demnach zumindest dann nicht ausgeschlossen, wenn sich der Richter wegen Rechtsbeugung (§ 336 StGB) oder Richterbestechlichkeit (§ 332 Abs.2 StGB) strafbar gemacht haben würde. In diesem Falle ist der geschädigten Partei ein Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung gegen den Staat gem. § 839 Abs.2 BGB i.V.m. Art. 34 GG durch das pflichtwidrige Verhalten des Prozeßbeteiligten entgangen. Daß das hinzugedachte richterliche Fehlverhalten in einer Straftat besteht, bildet indes eine Ausnahme.117 Es stellt sich daher die Frage, ob die Berufung auf einen hypothetischen Zweitfehler des Gerichts nicht auch in anderen Fällen ausgeschlossen sein sollte. Die bei Berücksichtigung des hypothetischen Schadensverlaufs miteinzubeziehenden günstigen Folgen sind regelmäßig Schadensersatzansprüche, 113

BGH MDR 1958, 333. BGH NJW 1958, 705; 67, 551, 552; Backhaus, VersR 1982, 210, 213; von Caemmerer, S. 21; Mertens, S. 225; Esser/Schmidt, § 33 IV lb; Larenz, SR AT § 30 I; MünchKomm./Grunsky, Vorb. § 249 Rdn. 84; Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdn. 100; Staudinger/Medicus, § 249 Rdn. 100. 115 Backhaus, VersR 1982, 210, 213; Larenz, SR AT § 30 I. 116 Esser/Schmidt, § 33 IV 1 b. 117 Vgl. auch Hoffmann, S. 134 Fn. 189. 114

42

1. Teil: Haftungsgrundlagen

die der Geschädigte gegen den Zweitschädiger gehabt hätte.118 Besteht der Schaden in einer gerichtlichen Fehlentscheidung, hätte sich jedoch noch eine weitere Möglichkeit der Schadenskompensation ergeben. Der Prozeßverlierer hätte gegen die Entscheidung im Wege der Berufung oder Revision vorgehen und so deren Aufhebung erzielen können. Der durch die fehlerhafte Entscheidung hervorgerufene Schaden wäre also auch im Falle eines straflosen hypothetischen Zweitfehlers des Gerichts nicht ersatzlos geblieben, hätte sich die Reserveursache noch auswirken können. Dieser Umstand muß aber bei der hypothetischen Schadensprognose ebenso berücksichtigt werden wie etwaige Ersatzansprüche, die der geschädigten Partei gegen den Zweitschädiger entstanden wären. Sofern die gerichtliche Fehlentscheidung mit Hilfe eines Rechtsmittels hätte angefochten werden können, kann sich der Erstschädiger unter Berufung auf den hypothetischen Zweitfehler des Gerichts daher nicht entlasten. Ein gegenteiliges Ergebnis läßt sich auch nicht aus der besonderen Situation von Beweispersonen im Prozeß gewinnen. Nach der Ansicht von J. Blomeyer ginge es zu weit, nur als Hilfsorgane füngierende Beweispersonen, also etwa Zeugen, auch noch dafür büßen zu lassen, daß der Prozeßpartei ein günstiges Urteil entgeht, welches ihr der Richter, das Hauptorgan des Prozesses, ohnehin nicht gegeben hätte.119 Zwar ist J. Blomeyer darin beizupflichten, daß die Haftung von Prozeßbeteiligten in manchen Fällen als unbillig erscheint. Der Grund für dieses Unbehagen liegt jedoch nicht in der Nichtberücksichtigung hypothetischer Schadensursachen, sondern in der Einheitslösung des BGB, das grundsätzlich keine Abstufung der Ersatzpflicht nach den verschiedenen Verschuldensgraden kennt.120 Etwaige Billigkeitserwägungen gegen die Haftung eines Zeugen, dessen leicht fahrlässige Falschaussage zu einem Fehlurteil geführt hat, greifen nämlich ebensogut, wenn feststeht, daß es ohne sein Fehlverhalten in Ermangelung einer Reserveursache zu keiner Fehlentscheidung gekommen wäre. Den hypothetischen Zweitfehler des Gerichts aus Gründen der Billigkeit für beachtlich zu halten, hieße daher, die Frage nach der Schadenszurechnung mit der nach einer eventuell notwendigen Haftungsbeschränkung in unzulässiger Weise zu vermengen. Die Berücksichtigung eines hypothetischen Schadensereignisses würde sich zudem in Widerspruch zu einem allgemeinen, auch in § 830 Abs.l S.2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken setzen, wonach ein Schädiger aus dem pflichtwidrigen Verhalten eines Dritten keine Vorteile ziehen darf. 121 Wenn sich im Rahmen der Schadensfeststellung eine Prozeßpartei nicht darauf berufen kann, daß das Gericht bei einer wahrheitsgemäßen Aussage zu 11R 119

s. oben 1. Teil Α. IV. 2.

J. Blomeyer, S. 209. s. auch Niederländer, AcP 153, 41, 79 f. 121 OGHZ 1, 308. 120

Α. V. Zusammenfassung

43

ihren Gunsten eine fehlerhafte Entscheidung getroffen hätte122, so muß es dem falschaussagenden Prozeßbeteiligten umgekehrt auch verwehrt sein, ein vom Gericht zu erwartendes Unrecht vorzutragen, um der eigenen Haftung zu entgehen.123 Nicht zuletzt werden bei Außerachtlassung hypothetischer Schadensursachen Beweisschwierigkeiten vermieden, die mit dem Nachweis eines hypothetischen gerichtlichen Zweitfehlers verbunden wären. In einem späteren Schadensersatzprozeß ließe sich nämlich nicht mit Sicherheit sagen, zu welcher Entscheidung das damalige Prozeßgericht ohne das Fehlverhalten des Parteigegners oder Zeugen gelangt wäre. Das mit der Schadensersatzklage befaßte Gericht müßte in Anwendung des § 287 ZPO, der für die Ermittlung der haftungsausfüllenden Kausalität herangezogen wird 124 , frei würdigen, ob eine Fehlentscheidung zuungunsten der betroffenen Partei auch bei ordnungsgemäßem Verhalten des Prozeßbeteilgten getroffen worden wäre. Die Möglichkeiten, im Rahmen dieser Beweiswürdigung eine dem Standpunkt des damaligen Gerichts gerecht werdende Beurteilung des Rechtsstreits zu treffen, sind freilich sehr beschränkt.125 Dabei dürfte der Fall, daß in der Urteilsbegründung Hilfserwägungen, die für einen hypothetischen Zweitfehler des Gerichts sprechen, enthalten sind, eher eine Ausnahme bilden.

V. Zusammenfassung Eine Haftung wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht setzt allgemein voraus, daß der Inanspruchgenommene durch schuldhafte Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht einen Schaden herbeigeführt hat. Während das Wahrheitsgebot, das die Partei im Rahmen ihres Parteivortrages trifft, auf ein Verbot der bewußten Prozeßlüge beschränkt ist und dementsprechend nur vorsätzlich verletzt werden kann, liegt ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht bei der Partei- und Zeugenvernehmung bereits immer dann vor, wenn die Aussage das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungsbild unvollständig oder nicht richtig wiedergibt. In diesen Fällen ist auch ein fahrlässiger Verstoß gegen die Wahrheitspflicht denkbar. Die im Zusammenhang mit einer Prozeßlüge oder Falschaussage denkbaren Schadensfolgen lassen sich in die Beeinträchtigung streitbefangener und nicht

122

s. dazu oben 1. Teil Α. I. 1. a) aa). Vgl. auch Müller, MDR 1969, 797, 798, zur Anwaltshaftung. 124 BGH NJW 1951, 405 ; BGHZ 2, 138, 140; 4, 192, 196; 7, 287, 295; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann, § 287 Rdn. 6; vgl. auch Müller, MDR 1969, 797, 799; Rötelmann, NJW 1958, 1590, 159^ zur Anwaltshaftung. Vgl. J. Blomeyer, S. 70, zur Haftung des Staatsanwalts. 123

44

1. Teil: Haftungsgrundlagen

streitbefangener Rechte und Interessen einteilen. Bei letzteren sog. Begleitschäden ist wiederum danach zu unterscheiden, ob sie zum Prozeßausgang in Abhängigkeit stehen oder nicht. Ob der eingetretene Schaden auf den Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht zurückzufuhren ist, beurteilt sich nach allgemeinen Kausalitätskriterien. Steht danach der Kausalzusammenhang fest, wird er weder durch die freie richterliche Beweiswürdigung unterbrochen, noch fallt er durch das Hinzudenken eines hypothetisch gebliebenen Zweitfehlers des Gerichts weg. Wenngleich die Kausalitätsprüfung eine Frage des Einzelfalls bleibt, lassen bereits die Erkenntnisse der Aussagepsychologie und der Rechtstatsachenforschung den allgemeinen Rückschluß zu, daß zumindest Falschaussagen von Zeugen häufige Schadensquellen von Fehlurteilen sind.

B. Vertragliche Anspruchsgrundlagen Bei der Frage nach der zivilrechtlichen Haftung für Verstöße gegen die Wahrheitspflicht stehen deliktische Anspruchsgrundlagen im Vordergrund. Sofern jedoch im Einzelfall auch eine Haftung aus der Verletzung vertraglicher Pflichten in Betracht kommt, kann damit ein weitergehender Schutz vor unwahren Parteivorträgen und Falschaussagen erzielt werden. Zunächst unterliegt ein Ersatzanspruch auf vertraglicher Grundlage nicht der kurzen Veqährungsfrist des § 852 Abs.l BGB, sondern der des § 195 BGB. Darüber hinaus muß die schadensersatzpflichtige Prozeßpartei für das Verschulden ihres Prozeßvertreters gem. § 278 BGB einstehen1, ohne auf den Exkulpationsbeweis nach § 831 Abs.l S.2 BGB zurückgreifen zu können. Ein weiterer Vorteil liegt für die geschädigte Partei darin, daß bei Ansprüchen aus positiver Forderungsverletzung und aus culpa in contrahendo in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 282 BGB die Beweislast nach Gefahrenbereichen verteilt wird. 2 Stammt die Schadensursache aus dem Herrschaftsbereich des Schuldners, so muß dieser in Umkehr der allgemeinen Beweislastgrundsätze nachweisen, daß ihn kein Verschulden an der Pflichtverletzung trifft. Schließlich bietet ein vertraglicher Schadensersatzanspruch einen umfassenderen Vermögensschutz als die §§ 823 ff. BGB, da das Vermögen als solches kein sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs.l BGB ist.3 Bloße Vermögensbeschädigungen

1 2

Hopt, S. 269; Konzen, S. 288; A. Blomeyer, S. 175; Rosenberg/ Schwab, S. 378.

s. insb. BGHZ 8, 239, 241 f.; 23, 288, 290 f.; 27, 236, 238 f.; 28,251, 254; 34, 216, 221 f.; 48, 310, 312; 59, 303, 309; BGH NJW 1986, 2757; 1988, 60, 62; s. auch Emmerich, § 35 I I 2 b; Larenz, SR AT, § 24 I b; Erman/Battes, § 282 Rdn. 6 ff.; MünchKomm./Emmerich Vorb. § 275 Rdn. 150 ff, jeweils mit weiteren Nachweisen. 3 BGHZ 41, 123, 126 f.

Β. I. Positive Forderungsverletzung

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werden als Folge einer deliktischen Handlung daher nur unter den Voraussetzungen der §§ 823 Abs.2, 824, 826 und 839 BGB ersetzt4, während sie als Folge der Verletzung einer vertraglichen Pflicht stets ersatzfähig sind. Das Hinzutreten vertraglicher Haftungsgrundlagen neben deliktische Ansprüche ist demnach von praktischer Bedeutung. Ob sich Ersatzansprüche wegen wahrheitswidriger Prozeßbehauptungen und Bekundungen auf eine vertragliche Grundlage stützen lassen, hängt von der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen unter den Prozeßbeteiligten ab. Von Interesse ist dabei das Verhältnis des Zeugen und der gegnerischen Partei zu der geschädigten Partei einerseits und zu dem Prozeßgericht andererseits.

I. Positive Forderungsverletzung Oftmals treten Parteien und Zeugen nicht erst durch den Prozeß, sondern bereits durch ein vorher begründetes Vertragsverhältnis zueinander in Kontakt.5 Möglicherweise gibt gerade dieses Rechtsverhältnis dazu Anlaß, gegen den Vertragspartner zu prozessieren oder in dessen Prozeß als Zeuge auszusagen. Sofern sich aus dem jeweiligen Vertrag eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Wissensbekundung vor Gericht ergibt, kommt für den Verfahrensbeteiligten, der durch eine unwahre Prozeßbehauptung oder eine Falschaussage seines Vertragspartners einen Schaden erlitten hat, ein Ersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung in Betracht.6 Ein solcher Schadensersatzanspruch setzt voraus, daß der Schuldner eine vertragliche Pflicht schuldhaft verletzt und hierdurch den Gläubiger geschädigt hat. Ob in einem Vertrag die Pflicht zu wahrheitsgemäßem Prozeßvorbringen begründet wird, hängt von der konkreten Vertragsausgestaltung ab. Auf prozessuales Verhalten bezogene Pflichten können entweder ausdrücklich vereinbart worden sein oder als vertragliche Nebenpflichten aus dem Vertragszweck folgen (§ 157 BGB).8 Daß die Parteien eines Vertrages häufig schon bei Vertragsschluß an eventuelle künftige Meinungsverschiedenheiten denken, zeigt die Aufnahme von Gerichtsstandsvereinbarungen, Schiedsklauseln usw. in den Vertrag. Dabei ist

4

Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 31, § 826, Rdn. 1. Zur Frage, ob allein durch die Prozeßbeziehung ein vertragsähnliches Rechtsverhältnis begründet wird, s. unten 1. Teil Β. II. s. auch J. Blomeyer, S. 151. Zu den Merkmalen Schaden, Verschulden und Kausalität s. S. 4 ff., 23 ff. 8 Hopt, S. 266; Zeiss, NJW 1967, 703, 705. 5

46

1. Teil: Haftungsgrundlagen

jedoch weniger an die Konstellation zu denken, daß die Vertragspartner sich gegenseitig versichern, als Partei oder Zeuge vor Gericht stets wahre Tatsachen vorzutragen oder richtig auszusagen.9 Von einer ausdrücklich vereinbarten Vertragspflicht zu einem wahrheitsgetreuen Parteivortrag oder einer richtigen Aussage im Prozeß kann in aller Regel nicht ausgegangen werden. Näherliegend sind dagegen solche Fälle, in denen sich die Pflicht zur richtigen Wissensbekundung vor Gericht als stillschweigend vereinbarte oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermittelte Nebenpflicht (§ 157 BGB) aus dem Vertragszweck ergibt. Hierbei ist an Verträge außerprozessualen Inhalts zu denken, in denen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine besondere Ausprägung gefunden hat. Beispielsweise folgen aus einem Arbeitsverhältnis wegen seines starken personen- und gemeinschaftsgebundenen Charakters gesteigerte Nebenpflichten, welche in die Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers10 und die Treuepflicht des Arbeitsnehmers11 unterteilt werden. Die Parteien eines Arbeitsvertrages sind hiernach in erhöhtem Maße zur gegenseitigen Rücksichtnahme und Interessenwahrung verpflichtet. 12 Wer aber dafür Sorge zu tragen hat, daß sein Vertragspartner nicht in dessen Rechtsgütern verletzt wird, muß grundsätzlich auch sein Verhalten als Partei oder Zeuge vor Gericht dementsprechend ausrichten.13 Ein Arbeitnehmer, der unternehmensschädliche Äußerungen über den Arbeitgeber zu unterlassen verpflichtet ist, verstößt daher gegen seine Treuepflicht etwa auch dann, wenn er als Zeuge zum Nachteil seines Arbeitsgebers bewußt wahrheitswidrig aussagt.14 Vertragliche Nebenpflichten zum Schutze der Rechtsgüter des Vertragspartners bestehen jedoch nur hinsichtlich solcher Schädigungen, die sich aus den besonderen Einwirkungsmöglichkeiten bei der Durchführung des Vertrages ergeben können.15 Die Falschaussage eines Arbeitnehmers im Prozeß seines Arbeitgebers kommt als Verstoß gegen die Treuepflicht daher nur dort in Betracht, wo über Geschäfts- und Betriebsvorgänge ausgesagt wird, die dem Zeugen in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer bekannt sind. Sagt ein Arbeitnehmer dagegen über einen zufallig beobachteten außerbetrieblichen Verkehrsunfall, an dem sein Arbeitsgeber beteiligt ist, aus, folgt insoweit aus den

9

s. auch J. Blomeyer, S. 151. Erman/Hanau, § 611 Rdn. 486 ff.; MünchKomm./Söllner, § 611 Rdn. 380 ff ; Palandt/Putzo, § 611 Rdn. 96 ff. 11 Erman/Hanau, § 611 Rdn. 490 ff; MünchKomm./Söllner, § 611 Rdn. 392 ff; Palandt/Putzo, § 611 Rdn. 39 ff. 12 Erman/Wemer, § 242 Rdn. 26; Münchener Handbuch Arbeitsrecht/ Blomeyer, § 49 Rdn. 17. 13 Vgl. auch J. Blomeyer, S. 151. 14 Vgl. Motzer, S. 111 f.; Münchener Handbuch Arbeitsrecht/Blomeyer, § 51 Rdn. 50, 72. 15 Emmerich, S. 242; Schünemann, JuS 1987, 1, 7. 10

Β. II. 'culpa in procedendo'

47

arbeitsvertraelichen Nebenpflichten keine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Zeugenaussage.1 Neben der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses und der Art des entstandenen Schadens sind bei der Herleitung einer vertraglichen Nebenpflicht zu einem bestimmten prozessualen Verhalten auch die der allgemeinen Treuepflicht gezogenen Zumutbarkeitsgrenzen zu berücksichtigen. Der Schutz von Rechtsgütern des Vertragspartners ist um so eher zumutbar, je niedriger die eigene Belastung im Vergleich zur Gefahrdung des anderen ist.17 Während eine Partei von ihrem Vortrag oder ihrer Aussage im Prozeß in aller Regel ohne weiteres selbst betroffen ist, müssen bei der Aussage eines Zeugen erst besondere Umstände hinzutreten, die sein Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits begründen. Ein Zeuge läuft daher weniger Gefahr, durch Befolgung der Wahrheitspflicht eigene Interessen preiszugeben, als eine Prozeßpartei, deren Belange mit denen des Prozeßgegners konkurrieren. Treffen die Vertragspartner vor Gericht als Prozeßgegner aufeinander, schwindet zudem das Vertrauen, die Rechtsgütersphäre werde vom anderen Teil respektiert. Bei der Annahme einer vertraglichen Nebenpflicht zu einem wahrheitsgemäßen Parteivortrag oder einer richtigen Aussage vor Gericht ist daher Zurückhaltung geboten. Sofern im Einzelfall aus einem Vertragsverhältnis eine solche Nebenpflicht abgeleitet werden kann und ein Vertragspartner durch schuldhafte Verletzung dieser Pflicht einen Schaden kausal herbeigeführt hat, besteht ein Ersatzanspruch aus positiver Forderungverletzung.

II.

'culpa in procedendo'

Bei der Frage, welche zivilrechtlichen Sanktionen die Verletzung der Wahrheitspflicht vor Gericht auslösen kann, bleibt neben einem Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung eine weitere Variante der vertraglichen Haftung zu erwägen. Ein Teil der Literatur sieht in dem zwischen den Prozeßparteien bestehenden prozessualen Verhandlungsverhältnis die Grundlage für eine Schadensersatzpflicht bei 'culpa in procedendo'.18 Den Hintergrund dieser Ansicht bildet die Vorstellung, daß die Prozeßparteien durch den Rechtsstreit in eine Sonderbeziehung geraten, die derjenigen ähnelt, welche zwischen zwei Personen eine 16 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob sich eine solche Verhaltenspflicht aus dem Prozeßrecht selbst ergibt. 17 Teichmann, JA 1984,709, 713. 18 Berges, NJW 1965, 1505, 1508; Dölle, Festschrift für Riese, S. 279, 290 f.; Görres, ZZP 35, 313, 318 f f ; Hellwig, NJW 1968, 1072, 1076; Jaquet, S. 74 f.; Lent, ZZP 67, 344, 356; Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 170, 184; A. Blomeyer, S. 175; Nikisch, S. 203; Rosenberg/Schwab, S. 378; offengelassen bei Staab, S. 94 f.

48

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Haftung aus culpa in contrahendo begründet.19 Angesichts der zum Schuldverhältnis bestehenden Parallelen müsse auch ein Verstoß gegen die Pflichten aus dem Prozeßrechtsverhältnis ohne Rücksicht auf vertragliche oder gesetzliche Anspruchsgrundlagen zu einer quasi-kontraktlichen Haftung führen. Mit der Haftung aus 'culpa in procedendo' soll insbesondere eine schuldhafte Verletzung der Wahrheitspflicht sanktioniert werden, wobei unterschiedliche Anforderungen an den Grad des Verschuldens gestellt werden.20 Der Lehre von der 'culpa in procedendo' ist zuzugeben, daß die Parteien durch das Prozeßrechtsverhältnis in eine rechtliche Sonderverbindung treten, die ihnen neben den prozessualen Lasten auch eine Reihe an prozessualen Verhaltenspflichten aufbürdet. Hierzu zählt in erster Linie die Pflicht zur redlichen Prozeßführung, die in § 138 Abs.l ZPO eine besondere Ausprägung gefunden hat.21 Allein aus diesem Umstand lassen sich jedoch keine zwingenden Rückschlüsse für eine selbständige Ersatzpflicht aus 'culpa in procedendo' ziehen. Die im Rahmen eines Prozeßrechtsverhältnis geltenden Parteipflichten sind von denen eines Schuldverhältnisses nämlich grundlegend verschieden. Wenngleich beim Schuldverhältnis die Klagbarkeit und die Vollstreckbarkeit kein begrifflich-notwendiges, sondern nur ein typisches Element der Forderung darstellen22, sind die Verhaltenspflichten, deren Verletzung vertragliche oder vertragsähnliche Schadensersatzansprüche auslöst, grundsätzlich erzwingbar.23 Durch das Prozeßrechtsverhältnis werden indes keine erzwingbaren Parteipflichten begründet. 2 4 Das Gericht kann pflichtwidriges prozessuales Verhalten zwar zurückweisen und die Rechtswirkung versagen, die ihm ohne Unrechtscharakter zugekommen wäre. Die Parteipflichten sind jedoch nicht Gegenstand eines konkreten gerichtlichen Befehls und eines entsprechenden Vollstreckungszwanges.25 Ein weiterer Unterschied zum Schuldverhältnis besteht darin, daß mit den prozessualen Parteipflichten keine Rechte des Parteigegners korrespondieren, die zu dessen Disposition stehen. So folgt etwa aus der Wahrheitspflicht für den jeweiligen Parteigegner keine Berechtigung in dem Sinne, über das 'Recht auf Wahrheit', beispielsweise durch Verzicht, beliebig zu verfügen. Indes kann

19

Vgl. Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 170, 184. Für eine Begrenzung auf die vorsätzliche bzw. grob fahrlässige Verletzung der Wahrheitspflicht: Jaquet, S. 75 und Rosenberg/ Schwab, S. 379, dagegen: Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 179 f., 185. s. Zeiss, Rdn. 202. 22 Larenz, SR AT, § 2 III; Medicus, SR I AT, § 3 I. s. dazu Medicus, SR I AT, § 35 III 2; ders., BR, Rdn. 208, mit weiteren Nachweisen. 24 Zeiss, NJW 1967, 703, 707 Fn. 55; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Grdz. § 128 Rdn. 11. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall einer Anordnung des persönlichen Erscheinens, vgl. §§ 141, 613 ZPO. Vgl. insoweit auch Dölle, Festschrift für Riese, S. 279, 291.

Β. II. 'culpa in procedendo'

49

über Rechte, deren Verletzung zu einer vertraglichen oder vertragsähnlichen Haftung fuhrt, in aller Regel disponiert werden.6 Gegen eine Gleichsetzung des Prozeßrechtsverhältnisses mit einem Schuldverhältnis spricht ferner der Umstand, daß sich der Prozeßgegner auf den gegen ihn angestrengten Prozeß einlassen muß.27 Zwar kommt eine Haftung aus culpa in contrahendo auch dann zum Tragen, wenn im Falle eines Kontrahierungszwanges der eine Teil sich dem Vertragsschluß nicht entziehen kann. Die Monopolstellung, die hierbei die eine Vertragspartei innehat, kommt der Prozeßpartei, sei es Klägerin oder als Beklagte, aber nicht zu.28 Eine Gleichstellung mit vertraglichen und vertragsähnlichen Schuldverhältnissen würde sich zudem in Widerspruch zur Natur des Prozeßrechtsverhältnisses setzen. Die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Prozeß29 kann nicht darüber hinweg täuschen, daß es sich bei einem Zivilprozeß um ein kontradiktorisches Verfahren handelt, in dem die Parteien miteinander streiten, einander bekämpfen und auf Kosten des Gegners ihre eigenen Interessen verfolgen. 30 Während die Prozeßführung typischerweise antagonistisch ist, fehlt einem Schuldverhältnis, das durch die Anbahnung geschäftlicher Kontakte oder den Vertragsschluß selbst entstanden ist, regelmäßig ein solch schroffer Interessengegensatz.31 Die Befürworter einer Haftung aus 'culpa in procedendo' gehen demnach von einer unzutreffenden Prämisse aus, wenn sie auf die Vergleichbarkeit zwischen dem Prozeßrechtsverhältnis und dem Schuldverhältnis abstellen. Eine Schadensersatzpflicht aus 'culpa in procedendo' ist daher aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen.32 Damit steht zugleich fest, daß sich bei Verletzung der Wahrheitspflicht unmittelbar aus dem Prozeßrechtsverhältnis keine Schadensersatzansprüche herleiten lassen. Ebensowenig entsteht zwischen dem Zeugen und den Prozeßparteien durch die Zeugenstellung eine vertragliche Beziehung33, auf die Schadensersatzansprüche des im Prozeß Unterlegenen gestützt werden könnten.

26

29 30 31 32

Kress, S. 64. Kress, S. 64; a.A. Titze, Festschrift für Schlegelberger, S. 165, 170. Kress, S. 64. s. dazu Baumbach/Lauterbach/H artmann, Einl. III 6 A, mit weiteren Nachweisen. Vgl. Walter, JZ 1986, 614; Zeiss, NJW 1967, 703, 706; Schellhammer, Rdn. 1271. Vgl. Konzen, S. 289. Ebenso Götz, S. 128 f.; Konzen, S. 290; Kress, S. 63; vgl. auch Gaul, AcP 168, 27, 32 Fn. 23. Vgl. für den sachverständigen Zeugen Döbereiner/von Keyserlingk, Rdn. 277.

4 Prange

50

1. Teil: Haftungsgrundlagen

III. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Scheiden die prozessualen Rechtsbeziehungen unter Zeugen und Prozeßparteien als Grundlage für eine Haftung wegen Verletzung der Wahrheitspflicht aus, so stellt sich die Frage, ob nicht durch das Rechtsverhältnis zwischen dem Gericht und den Prozeßbeteiligten vertragliche Rechte zugunsten der im Prozeß geschädigten Partei begründet werden. In Betracht kommen Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung, sofern es sich bei diesem Rechtsverhältnis um einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (§ 328 BGB analog) handelt. Da die Zeugnispflicht zu den öffentlich-rechtlichen Pflichten zählt34, wird zwischen dem Gericht und dem Zeugen infolge seiner Ernennung ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründet. Ansprüche Dritter lassen sich hieraus in entsprechender Anwendung des § 328 BGB aber nur herleiten, wenn mit der Zeugenernennung zugleich ein öffentlichrechtlicher Vertrag abgeschlossen wäre. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag setzt die Einigung zweier oder mehrerer Rechtssubjekte über die Herbeiführung eines bestimmten Rechtserfolges auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts voraus.36 Er kommt durch die Abgabe einander entsprechender Willenserklärungen zustande. Fehlt eine solche Willenseinigung, so scheidet ein öffentlich-rechtlicher Vertrag von vornherein aus.37 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist den Rechtsbeziehungen zwischen dem Gericht und dem Zeugen der Charakter eines öffentlichrechtlichen Vertrages abzusprechen. Zum einen hängt die Ernennung des Zeugen nicht von seinem Einverständnis ab. Zum anderen wird das Rechtsverhältnis zwischen dem Gericht und dem Zeugen ausschließlich durch die gesetzlichen Vorschriften über den Zeugenbeweis (§§ 373 ff. ZPO, §§ 48 ff. StPO) und über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) bestimmt. Daneben bleibt für vertragliche Vereinbarungen der an dem Rechtsverhältnis Beteiligten kein Raum. Zwischen dem Gericht und dem Zeugen bestehen daher keine öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehungen, die als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in Anlehnung an § 328 BGB vertragliche Rechte zugunsten einer Prozeßpartei begründen könnten.

34 35 36 37

Görres, ZZP 35, 313, 394; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Übers. § 373 Rdn. 26. Vgl. Wasner, NJW 1986, 119, 120. Maurer, S. 320. Maurer, S. 320.

Β. IV. Zusammenfassung

51

Ebensowenig handelt es sich bei dem Rechtsverhältnis zwischen dem Gericht und einer Prozeßpartei um einen Vertrag, aus dem Schutzpflichten zugunsten der gegnerischen Partei abgleitet werden könnten. Gegen die Gleichsetzung mit einem vertraglichen Rechtsverhältnis spricht zunächst der Umstand, daß dieses Prozeßrechtsverhältnis nicht durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen des Gerichts und der Partei, sondern einseitig durch Klageerhebung begründet wird. 38 Ferner unterliegt der streng geordnete und formalisierte Verfahrensablauf 39 nicht der für Verträge typischen Gestaltungsfreiheit 40 des Gerichts und der Partei. Ein Anspruch der im Prozeß geschädigten Partei aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte müßte im übrigen auch daran scheitern, daß ihre Einbeziehung in den vermeintlichen Vertragsschutz zu einer über das Maß einer zulässigen Haftungserweiterung hinausgehenden Haftungsbegründung führen würde.41 Im Gegensatz zur Prozeßpartei kann das Gericht als vermeintlicher Vertragsgläubiger durch Wahrheitspflichtverletzungen überhaupt nicht geschädigt werden. Nach dem Rechtsgedanken des § 328 BGB verdienen jedoch nur solche Personen in den vertraglichen Drittschutz einbezogen zu werden, die den Risiken von Schutzverletzungen ebenso ausgesetzt sind wie der Gläubiger selbst.42 Das Rechtsverhältnis des Gerichts zum Zeugen und zur Prozeßpartei dient daher nicht als Grundlage für vertragliche Schadensersatzansprüche der im Prozeß geschädigten Partei.

IV. Zusammenfassung Vertragliche Schadensersatzansprüche des im Prozeß Geschädigten gegen den Zeugen oder die gegnerische Partei kommen nur in solchen Fällen in Betracht, in denen die Wahrheitspflicht zwischen den Vertragsparteien entweder ausdrücklich vereinbart worden ist oder als vertragliche Nebenpflicht aus dem Vertragszweck folgt. Aus dem Gedanken einer Haftung aus 'culpa in procedendo' oder eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte lassen sich dagegen keine Ersatzansprüche wegen Verletzung der Wahrheitspflicht vor Gericht herleiten.

38

40 41

42

Jauernig, § 32 III; MünchKomm./Lüke, Einl. Rdn. 28. s. MünchKomm./Lüke, Einl. Rdn. 33. s. dazu Larenz,» SR AT,» §β 4. Vgl. Schreiber, ZZP 105, 129, 133, zur Haftung des Sachverstandigen.

BGHZ 49, 350, 354; 70,327, 329; Jauemig/Vollkommer, § 328 III 2 b) aa); Palandt/Heinrichs, § 328 Rdn. 16.

4*

52

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Da bei der Annahme einer auf wahrheitsgemäße Wissensbekundung bezogenen Verhaltenspflicht Zurückhaltung geboten ist, wird die geschädigte Partei vornehmlich auf deliktische Schadensersatzansprüche angewiesen sein.

C. Deliktische Anspruchsgrundlagen I. Amtshaftung Der Weg zu einer Haftung von Zeugen und Parteien nach allgemeinem Deliktsrecht wäre versperrt, wenn das Auftreten dieser Personen vor Gericht unter einen der besonderen Haftungstatbestände des § 839 BGB i. V.m. Art. 34 GG fiele. § 839 BGB schließt als lex specialis die allgemeinen Deliktsvorschriften aus.1 Die Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG brächte einerseits eine Erweiterung gegenüber der allgemeinen Deliktshaftung mit sich, weil nicht nur bei Verletzung bestimmter Rechte, Rechtsgüter und Schutzgesetze, sondern auch bei bloßen Vermögensverletzungen Ersatz gewährt wird. 2 Im Hinblick auf den Charakter als Aushilfshaftung (§ 839 Abs.l S.2 BGB), auf das Spruchrichterprivileg (§ 839 Abs.2 BGB) sowie auf den Haftungsausschluß, der bei schuldhafter Versäumung der Einlegung eines Rechtsmittels eintritt (§ 839 Abs.3 BGB), gingen andererseits aber wesentliche Haftungsbeschränkungen einher. Im übrigen wären Zeugen und Parteien infolge einer Haftungsübernahme durch den Staat von einer deliktischen Eigenhaftung befreit und nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit im Falle eines Rückgriffsanspruchs des Staates regreßpflichtig (Art. 34 S.l und 2 GG). Es stellt sich daher die Frage, ob einer der Amthaftungstatbestände des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG unmittelbar oder im Wege der Analogie auf die Haftung von Zeugen und Parteien Anwendung findet.

1 2

BGHZ 34, 99, 104; Maurer, S. 594; Palandt/Thomas, § 839 Rdn.l. Maurer, S. 594; Palandt/Thomas, § 839 Rdn. 1.

C. I. Amtshaftung

53

1. Anwendung der Amtshaftungstatbestände auf den Zeugen a) Spruchrichterprivileg

gem. § 839 Abs. 2 BGB i. V.m. Art. 34 GG

Daß eine direkte Anwendung des § 839 Abs.2 S.l BGB i.V.m. Art. 34 GG auf die Zeugenhaftung ausscheidet, ergibt sich bereits aus der Funktion des Zeugen als Beweismittel. Unter den Beamtenbegriff des § 839 Abs.2 BGB fallen nur Richter der staatlichen Gerichte bei Ausübung der Rechtsprechung.3 Der vom Gericht zugezogene Zeuge wird aber nicht Mitglied desselben, sondern bleibt Dritter, der lediglich im Rahmen des Beweisverfahrens dem Gericht sein Wissen über bestimmte Tatsachen zur Verfügung stellen soll.4 Eine entsprechende Anwendung des § 839 Abs.2 S.l BGB i.V.m. Art. 34 GG würde voraussetzen, daß die das Haftungsprivileg des Spruchrichters tragenden Grundgedanken auf die Situation des Zeugen übertragbar sind.

aa) Absicherung der materiellen Rechtskraft Hinter der Regelung des § 839 Abs.2 BGB steht zum einen der Zweck, die materielle Rechtskraft des Urteilsspruchs abzusichern.5 Die Rechtskraft eines Urteils wirkt grundsätzlich nur zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien (inter-partes-Wirkung, § 325 Abs.l ZPO). Eine Schadensersatzklage der unterlegenen Partei gegen den Zeugen ließe das zwischen den Parteien ergangene rechtskräftige Urteil insofern unangetastet.6 Das Wesen der Rechtskraft erschöpft sich jedoch nicht in dem Zweck, der obsiegenden Partei ihre in dem vorangegangenen Prozeß erstrittenen Rechte zu erhalten. Vielmehr soll darüber hinaus im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens verhindert werden, daß ein bereits abgeschlossenes Verfahren wiederaufgerollt wird. 7

3

BGHZ 10, 55, 57 f. Vgl. BVerfGE 38, 105, 112. 5 BGHZ 57, 33, 45; BGH NJW 1975, 1829, 1830; Bartling, S. 102; J. Blomeyer, S. 96; ders. NJW 1977, 557, 560 f.; Hagen, NJW 1970, 1017, 1019; Leipold, JZ 1967, 737, 739; Schreiber, ZZP 105, 129, 139; Steffen, DRiZ 1968, 237, 238; Maurer, S. 597; MünchKomm./Papier, § 839 Rdn. 278; Soergel/Glaser, § 839 Rdn. 217; Staudinger/Schäfer, § 839 Rdn. 424. 6 s. Hopt, S. 295. 7 BGH NJW 1971, 1986, 1989; J. Blomeyer, S. 223; ders., ZRP 1974, 214, 219 mit weiteren Nachweisen; Leipold, JZ 1967, 737, 739. 4

54

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Diesem Zweck liefe aber nicht nur die uneingeschränkte Zulassung einer Amtshaftungsklage gegen den Richter bzw. den Staat zuwider. Ebenso würde durch einen Regreßprozeß der geschädigten Partei gegen einen Zeugen die Richtigkeit des Urteils in Frage gestellt. Allein die Feststellung, daß das Fehlverhalten des Zeugen für den Inhalt der Entscheidung kausal geworden ist, begründet nämlich noch keine Ersatzpflicht. Es bliebe weiterhin zu prüfen, ob durch den Inhalt des Urteils überhaupt ein Schaden entstanden ist. Ähnlich wie eine auf richterliches Fehlverhalten gestützte Schadensersatzklage führt daher auch eine Regreßklage gegen Zeugen zu einer mittelbaren Wiederaufrollung des vorangegangenen Verfahrens. Im Hinblick auf die Absicherung der Rechtskraft ist es aber gleichgültig, welcher Verfahrensbeteiligte sich pflichtwidrig verhalten hat.8 Der dem Spruchrichterprivileg zugrundeliegende Gedanke der Rechtskraftabsicherung trifft demnach auch auf die Zeugenhaftung zu.9

bb) Schutz derrichterlichen Unabhängigkeit Das Haftungsprivileg des § 839 Abs. 2 BGB dient zum anderen dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit.10 Der Richter soll bei seiner Entscheidung nicht befürchten müssen, von einer Partei später haftbar gemacht zu werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß er sich auf die Seite der Partei schlägt, die zu erkennen gegeben hat, vor einem Regreßverfahren nicht zurückzuschrecken.11 Eine haftungsrechtliche Verantwortung erscheint erst dort angemessen, wo der Richter die durch das Strafrecht gezogenen Grenzen überschreitet. Dabei wird die richterliche Unabhängigkeit nicht als Selbstzweck verstanden.12 Vielmehr soll der Richter unabhängig entscheiden, damit dem von ihm zu fallenden Urteil, welches in Rechtskraft zu erwachsen bestimmt ist, eine möglichst hohe Richtigkeitsgewähr innewohnt.13 Auch ein Zeuge soll möglichst unbefangen und unparteilich sein.14 Ähnlich wie ein Richter könnte auch er sich davon beeinflussen lassen, welche Partei bei einer für sie ungünstigen Zeugenaussage ihn wohl eher auf Schadensersatz

8

Grunsky, Festschrift fur Raiser, S. 141, 151.

9

Vgl. Bartling, S. 113; J. Blomeyer, S. 223; Hopt, S. 295. Bartling, S. 102; J. Blomeyer, S. 92; Grunsky, Festschrift fur Raiser, S. 141, 151; Leipold, JZ 1967, 737, 739; Müller, Rdn. 961 b. 11 Grunsky, Festschrift fur Raiser, S. 141, 152. 10

13 14

Grunsky, Festschrift fur Raiser, S. 141, 154. J. Blomeyer, S. 92. J. Blomeyer, S. 176,223.

C. I. Amtshaftung

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in Anspruch nehmen würde.15 Die Vergleichbarkeit der Unabhängigkeit von Zeugen und Richtern schwindet jedoch vor dem Hintergrund, daß das Spruchrichterprivileg die richterliche Unabhängigkeit nicht erst isoliert konstituieren soll. § 839 Abs.2 BGB ist in ein System anderer Garantien eingebettet, welche die sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters gewährleisten sollen.16 Hierbei ist vor allem an die grundgesetzlichen Unabhängigkeitsgarantien des Art. 97 Abs.l und 2 GG sowie an die §§ 25 ff. DRiG zu denken. Insofern vervollständigt das richterliche Haftungsprivileg nur die bereits andernorts begründete unabhängige Position des Richters.17 Daß mit § 839 Abs.2 BGB kein eigenständiger Unbefangenheitsschutz geschaffen werden sollte, kann auch nicht mit der Überlegung angezweifelt werden, daß sich die verfassungsrechtliche Unabhängigkeitsgarantie auf das Verhältnis zwischen Richter und Trägern anderer Staatsgewalt ('Staatsunabhängigkeit'18), das richterliche Haftungsprivileg hingegen auf die Unabhängigkeit des Richters von den Verfahrensbeteiligten ('Parteiunabhängigkeit'19) beziehe.20 Die unterschiedlichen Schutzrichtungen dieser Normen hindern nicht daran, sie als Bestandteile einer umfassenden Unabhängigkeitsgarantie aufzufassen. Für den Zeugen indes fehlt es an einer gesetzlich eingebauten Sicherung richterähnlicher Unabhängigkeit, die durch das Haftungsprivileg des § 839 Abs. 2 BGB abgerundet werden könnte.21 Die Prozeßordnungen lassen mit Ausnahme der Parteien selbst und ihrer Vertreter jedermann Zeuge sein. Die Zeugnisfähigkeit ist nicht auf Personen beschränkt, bei denen größere Neutralität zu vermuten und damit einhergehend größere Objektivität zu erwarten ist.22 Gegenüber einem Zeugen besteht auch kein dem § 406 ZPO vergleichbares Ablehnungsrecht, wonach ein Sachverständiger wie ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§§ 406 Abs.l i.V.m. 42 ZPO). Dieser Ablehnungsgrund dient den Gegnern einer unbeschränkten Sachverständigenhaftung als Argument für ein Haftungsprivileg, das dem Sachverständigen vor allem wegen seiner angeblichenrichterähnlichen Unabhängigkeit zukommen soll.23

15 16

Vgl. auch OLG München, NJW 1971, 618. J. Blomeyer, S. 95; Damm, JuS 1976, 359, 361; Hoffmann, S. 182 f. J. Blomeyer, S. 95; Hoffmann, S. 183.

Bettermann/Nipperdey/Scheuner, S. 528. Bettermann/Nipperdey/Scheuner, S. 526. 20 So aber Bartling, S. 129 f. 21 J. Blomeyer, S. 176, 223 f. 22 Meyke, NJW 1989, 2032, 2033. 23 So ausdrücklich LG Stuttgart, NJW 1954, 1411, 1412; s. auch BGHZ 42, 313, 316; 62, 54, 59. Gegen eine analoge Anwendung des § 839 Abs.2 BGB auf den Sachverständigen zu Recht Blomeyer,

56

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Der dem Spruchrichterprivileg zugrundeliegende Gedanke der Unabhängigkeitssicherung läßt sich auf die Zeugenhaftung daher nicht übertragen.24

cc) Verhältnis beider Zwecke des Spruchrichterprivilegs zueinander Von den das Spruchrichterprivileg tragenden Gründen trifft auf den Zeugen demnach nur der Gedanke der Rechtskraftabsicherung zu. Dieser Gesichtspunkt könnte eine analoge Anwendung des § 839 Abs.2 BGB auf die Zeugenhaftung rechtfertigen, wenn der Gedanke des Rechtskraftschutzes gewichtig genug wäre, das Spruchrichterprivileg auch allein zu tragen. Dagegen spricht zunächst der Umstand, daß die Vorschrift mit mehreren Gedanken zu deuten versucht wird. 25 Der dadurch nahegelegte Schluß, daß ein Zweck allein zur Erklärung nicht ausreicht, wird schließlich auch durch die Folgen einer 'Zweckalternation'26 bestätigt. Wollte man die Rechtskraftabsicherung als allein tragfahiges Fundament des § 839 Abs.2 BGB betrachten, müßte man konsequenterweise sämtliche Regreßprozesse, die sich auf der Grundlage von fehlerhafter Prozeßführung ergeben, als unzulässig ausschließen.27 So könnten dann aus dem gleichen Gesichtspunkt heraus etwa auch Anwälte und Sachverständige nicht wegen fehlerhafter Prozeßführung in Anspruch genommen werden. Einer Erweiterung des § 839 Abs.2 BGB auf diesen Personenkreis redet aber kaum einer das Wort. 28 Der Zweck des Rechtskraftschutzes vermag das Spruchrichterprivileg daher nicht alternativ, sondern nur kumulativ mit dem Gedanken der Unabhängigkeitsgewähr zu stützen.29 Mithin scheidet eine analoge Anwendung des § 839

S. 226 f.; ders., ZRP 1974, 214, 220 f.; Damm, JuS 1976, 359, 360 f.; Hopt, S. 284 f.; Müller, Rdn. 961 b; Schreiber, ΖΖΡ, 105, 129, 138 f.; s. auch LG Ansbach, NJW 1956, 1205, und unten 2. Teil D. 24 J. Blomeyer, S. 223 f.; vgl. auch LG Stuttgart, NJW 1954, 1411,1412. s. dazu Vorstehendes, S. 48 f f ; J. Blomeyer, S. 102; s. auch bereits die Motive zum BGB, Bd. 2, S. 460, 1270, 1390. 26 J. Blomeyer, S. 100. 27 Vgl. Bartling, S. 113; J. Blomeyer, S. 103; ders. ZRP 1974, 214, 220; Grunsky, Festschrift für Raiser, S. 141, 150 f.; Hoffmann, S. 179 Fn. 279; Müller, Rdn. 961 b. Zur Anwaltshaftung s. J. Blomeyer, S. 235 f., mit weiteren Nachweisen; vgl. aber auch Schröder, FamRZ 1969, 348, 351, für ein 'Anwaltsprivileg' in Anlehnung an § 839 Abs.2 BGB. Zur Sachverständigenhaftung s. LG Ansbach NJW 1956, 1205; Bartling, S. 101 f f ; J. Blomeyer, S. 226; Hoffmann, S. 175; Hopt, S. 284 f.; Müller, Rdn. 961 b; Schreiber, ZZP 105, 129, 138 f., jew. mit weiteren Nachweisen; s. aber auch BGHZ 42, 313 f f ; 62, 54 ff, wo das Haftungsprivileg des Sachverstandigen zwar nicht ausdrücklich, aber doch der Argumentationstruktur nach auf § 839 Abs.2 BGB gestützt wird. 29

BGHZ 50, 14, 19 f. = NJW 1968, 989, 990; RGZ 116, 90, 91; Bartling, S. 103 ff, 118 f.; J. Blomeyer, S. 97 f f , 102 ff; ders., ZRP 1974, 214, 220; Hoffmann, S. 181; Leipold, Anm. zu BGH (Urt.v.l 1.3.1968) JZ 1968, 463, 465; Stein/Jonas/Leipold, Vorb. § 300 Rdn. 17.

C. I. Amtshaftung

57

Abs.2 BGB i.V.m. Art. 34 GG auf die Zeugenhaftung trotz Übertragbarkeit des Rechtskraftgedankens aus.30

b) Amtshaftung gem. § 839 Abs. 1 BGB i. V.m. Art. 34 GG

Der Ausschluß einer Analogie zum Spruchrichterprivileg führt zur Prüfung des allgemeinen Amtshaftungsanspruchs. 31 Ein Schadensersatzanspruch nach § 839 Abs.l BGB i.V.m. Art. 34 GG setzt voraus, daß jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes eine ihm gegenüber dem Geschädigten obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt hat. Im Hinblick auf Schadensersatzansprüche gegen einen Zeugen kommt eine Amtshaftung also nur dann in Betracht, wenn der Zeuge bei seiner Aussage vor Gericht ein öffentliches Amt ausübt. Damit stellt sich die Frage, ob ein Zeuge unter den Beamtenbegriff des § 839 Abs.l BGB i.V.m. Art. 34 GG fällt. Art. 34 GG bezieht sich nicht nur auf den in § 839 Abs.l BGB genannten Personenkreis, also Beamte im staatsrechtlichen Sinne. Von der Amtshaftung werden darüber hinaus solche Personen erfaßt, die mit öffentlicher Gewalt betraut sind, ohne in das Beamtenverhältnis berufen zu sein.32 Um unter diesen haftungsrechtlichen Beamtenbegriff zu fallen, müßte der Zeuge also eine hoheitliche Aufgabe wahrnehmen. Dafür könnte zunächst der Umstand sprechen, daß der Zeuge mit seiner Aussage vor Gericht eine staatsbürgerliche, also eine öffentlich-rechtliche Pflicht erfüllt. 33 Die Frage, aufgrund welcher Pflicht jemand tätig wird, betrifft jedoch nur das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Für die Einstufung einer Tätigkeit als eine öffentliche Aufgabe ist sie hingegen irrelevant. 34 Aus der Art des Pflichtenverhältnisses lassen sich für die Anwendbarkeit des Art. 34 GG daher keine zwingenden Rückschlüsse ziehen. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, wie das schadensverursachende Verhalten selbst rechtlich zu würdigen ist.35

30

J. Blomeyer, S. 223; Schreiber, ZZP 105, 129, 141. Zum Verhältnis der allgemeinen Amtshaftung und dem Haftungsprivileg des Spruchrichters s. J. Blomeyer, S. 222; Damm, JuS 1976, 359, 361. 32 Brox, Rdn. 484; Maurer, S. 575 f.; Maunz/Dürig, Art. 34 Rdn. 91 ff.; Palandt/Thomas, § 839 Rdn. 29. 33 BVerfG NJW 1979, 32; 1988, 897, 898; OLG Köln NJW 1981, 2480, 2481; Görres, ZZP 35, 313 394; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Übers. § 373 Rdn. 26. 3 Bartling, S. 160 f.; v. Mutius, VerwArch 64, 433, 435 f.; vgl. auch BGH NJW 1973, 757 f. 35 Bartling, S. 161; v. Mutius, VerwArch 64, 433, 436.

58

1. Teil: Haftungsgrundlagen

Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Zeuge im Zusammenhang mit der gerichtlichen Spruchtätigkeit gewissermaßen als 'Gehilfe des Richters'36 oder als dessen 'erweitertes Auge'37 herangezogen wird. Insofern entspräche die Einordnung der Zeugenaussage als hoheitliche Aufgabe einer im Staatsrecht zu beobachtenden Tendenz38, alle Privatpersonen, die irgendwie 'Verwaltungshilfe' leisten, als öffentliche Amtswalter im haftungsrechtlichen Sinn anzusehen. Wäre indes jeder, der vom Staat für die Bewältigung seiner Aufgaben zur Unterstützung herangezogen wird, bereits aufgrund dieser Inanspruchnahme mit einem öffentlichen Amt betraut, so liefe die Staatshaftung auf eine Haftung für jedermann hinaus.39 Im Interesse einer notwendigen Begrenzung wird daher überwiegend verlangt, daß zwischen der schädigenden Handlung und der öffentlichen Aufgabe ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung besteht.40 Der Staat soll nur für diejenige Tätigkeit Dritter einstehen, die primär ihm selbst obliegen würde und allein aus praktischen Erwägungen bestimmten Privatpersonen übertragen wird. 41 Gegen eine derart enge Verknüpfung zwischen der Tätigkeit des Zeugen und der gerichtlichen Spruchtätigkeit spricht die originäre Aufgabenteilung unter Zeugen und Richtern. Zeugen sind funktionell Beweismittel und als solche nicht Teil der richterlichen Tätigkeit, sondern dieser vorgegeben.42 Hiergegen läßt sich nicht einwenden, daß eine Zeugenaussage das richterliche Urteil zu beeinflussen vermag. Selbst wenn man die Entscheidungserheblichkeit der Tätigkeit des Privaten für den Ausgang des Rechtsstreits als ein maßgebliches Kriterium für die Anwendbarkeit der Amtshaftungsgrundsätze betrachtet43, kann es auf den bloßen, tatsächlichen Kausalzusammenhang zwischen der Zeugenaussage und dem Urteil nicht ankommen.44 Für welche Tätigkeiten Dritter der Staat gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 Abs.l BGB einzustehen hat, betrifft die Frage der rechtlichen Zuordnung. Zur Beantwortung dieser Frage kann jedoch nicht auf rein tatsächliche Umstände, sondern nur auf die formale, verfahrensrechtliche Konzeption abgestellt werden. Danach aber unterliegt die Zeugenaussage uneingeschränkt dem Grundsatz der freien Be-

36

J. Blomeyer, S. 120. Geppert, Jura 1991,80,81. 38 J. Blomeyer, S. 119; ders., ZRP 1974, 214, 217; Damm, JuS 1976, 359, 361; Ossenbühl, S. 196 mit weiteren Nachweisen in Fn. 261 ff. 39 Vgl. auch J. Blomeyer, S. 119; ders., ZRP 1974, 214, 217. 37

40 BGHZ 42, 176; 59, 310, 312; BGH JZ 1968, 298, 299; BGH NJW 1971, 2220, 2221; v. Mutius. VerwArch 64, 433, 437 mit weiteren Nachweisen. 4 J. Blomeyer, S. 119 f.; ders., ZRP 1974, 214, 217; Damm, JuS 1976, 359, 362. 42 J. Blomeyer, S. 120; ders., ZRP 1974, 214, 217; Damm, JuS 1976, 359, 362; vgl. auch Müller, Rdn. 981 a. 43 Dazu kritisch v. Mutius, VerwArch 64, 433, 437. 44 Ähnlich J. Blomeyer, S. 120; Hoffmann, S. 29; a.A. Bartling, S. 182 ff. zur Sachverständigenhaftung.

C. I. Amtshaftung

59

weiswlirdigung (§ 286 Abs.l S.l ZPO).45 Die Beurteilung einer Zeugenaussage verlangt auch keine besondere Sachkunde, in Ermangelung derer der Richter nicht in der Lage wäre, die Zeugenaussage kritisch zu würdigen. Anders als beim Sachverständigen, auf dessen Kompetenz und Autorität der Richter wegen fehlenden fachspezifischen Grundlagenwissens regelmäßig bauen muß, kann bei einem Zeugen von einer 'weitgehend institutionalisierten Stellung im Entscheidungsprozeß des Spruchkörpers' 46 nicht die Rede sein. Ungeachtet der tatsächlichen Grenzen freier Beweiswürdigung bei Zeugenaussagen47 beruht das Urteil daher letztlich allein auf der Entscheidung des Gerichts. Die Tätigkeit des Zeugen endet also dort, wo die des Richters beginnt.48 Der Zeuge nimmt nach der Prozeßordnung keine Aufgaben wahr, die zum Pflichtenkreis der staatlichen Gewalt gehören. Der Funktionszusammenhang zwischen der Tätigkeit eines Zeugen und der gerichtlichen Spruchtätigkeit ist demnach nicht eng genug, um die Zeugenaussage vor Gericht als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu charakterisieren. Eine Schadensersatzpflicht des Zeugen nach den Grundsätzen der Amtshaftung gem. § 839 Abs.l BGB i.V.m. Art. 34 GG kommt daher nicht in Betracht.49

c) Zusammenfassung

Eine analoge Anwendung des richterlichen Haftungsprivilegs gem. § 839 Abs.2 BGB scheidet für den Zeugen aus, da sich auf dessen Haftungssituation einer der beiden das Spruchrichterprivileg kumulativ tragenden Gedanken der Schutz derrichterlichen Unabhängigkeit - nicht übertragen läßt. Ebensowenig unterliegt die Zeugenhaftung den Regeln eines allgemeinen Amtshaftungsanspruchs gem. § 839 Abs.l BGB, da der Zeuge nicht unter den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff des Art. 34 GG fallt. Damit steht der Zeuge außerhalb des Anwendungsbereichs der besonderen Haftungstatbestände des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. 45 Bartling, S. 179; Reinecke, MDR 1986, 630; Schneider, Rdn. 646; Thomas/Putzo, § 286 Rdn. 2.

46

Vgl. v. Mutius, VerwArch 64, 433, 438, zur Stellung des Sachverständigen. s. dazu Reinecke, MDR 1986, 630 ff. Vgl. J. Blomeyer, S. 120; ders., ZRP 1974, 214, 217; Damm, JuS 1976, 359, 362. 49 J. Blomeyer, S. 120; ders., ZRP 1974, 214, 217; vgl. auch BGHZ 59, 310, 315 f.; Bartling, S. 179; Damm, JuS 1976, 359, 362; Pieper, Gedächtnisschrift ftir Bruns, S. 167, 177, sowie zur Zeugenhaftung im schweizerischen Recht Klopfer, S. 14. 47 48

60

1. Teil: Hafungsgndlagen

2. Anwendung der Amtshaftungstatbestände auf die Partei Während eine Anwendung der Amtshaftungstatbestände von der Literatur zur Zeugenhaftung zumindest in Betracht gezogen wird 50, kommt diese Möglichkeit im Schrifttum zur Haftung von Parteien nirgendwo zur Sprache. Es wäre in der Tat abwegig, das Verhalten der vortragenden Partei einem der Haftungstatbestände des § 839 BGB zuordnen zu wollen. Eine Anwendung des § 839 Abs.2 BGB scheitert bereits daran, daß Kläger und Beklagte von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen sind (§ 41 Nr.l ZPO). Die vortragende Partei fällt auch nicht unter den in § 839 Abs.l BGB genannten Personenkreis, da sie sich staatlichen Rechtsschutzes gerade bedient, ohne selbst mit öffentlicher Gewalt betraut zu sein. Ebensowenig trifft auf die vernommene Partei, die als Beweisobjekt dem Zeugen gleichzustellen ist, einer der Haftungstatbestände des § 839 BGB zu.51

IL Allgemeine Deliktshaftung 1. Haftung gem. § 823 Abs.l BGB Eine Haftung nach dieser Vorschrift setzt voraus, daß der Prozeßgegner oder Zeuge durch Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht widerrechtlich und schuldhaft ein in § 823 Abs. 1 BGB aufgeführtes Rechtsgut oder absolutes Recht verletzt und dadurch einen Schaden verursacht hat.52

a) Rechtsgutverletzung

Bereits die Ausführungen zu den denkbaren Schadenssituationen53 lassen erkennen, daß wahrheitswidriges Prozeßvorbringen die Verletzung nahezu eines jeden in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgutes zur Folge haben kann. Von besonderem Interesse ist dabei die Verletzung von Freiheit und Eigentum der betroffenen Prozeßpartei.

50

s. etwa die in Fn. 50 Genannten. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 839 Abs.l S. 2 BGB auf Zeugen s. oben 1. Teil C. I. 1. b). Zum Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht, Verschulden, Schaden sowie zur Kausalität s. bereits oben 1. Teil A. s. oben 1. Teil Α. I. 1. und 2.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

61

aa) Freiheitsverletzung Ergeht aufgrund einer falschen Zeugenaussage ein Strafurteil, infolge dessen einem Angeklagten zu Unrecht die Freiheit entzogen wird, kommt eine Haftung wegen Freiheitsverletzung gem. § 823 Abs.l BGB in Betracht.54 Eine Verletzung der Freiheit im Sinne dieser Vorschrift ist bei Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit gegeben.55 Angesichts dieser eindeutigen Formulierung erscheint dem unbefangenen Betrachter der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB als einschlägig. Der BGH hatte dagegen in einem Urteil zur Sachverständigenhaftung die Gleichsetzung einer von einem Gericht nach einem mit allen Rechtsgarantien ausgestatteten Verfahren ausgesprochenen Freiheitsentziehung mit einer Freiheitsverletzung nach § 823 Abs.l BGB abgelehnt.56 Seiner Ansicht nach würde die Anwendung dieser Vorschrift zu einem vom Gesetzgeber mit Sicherheit nicht gewollten Ergebnis fuhren. Diese Überlegung vermag jedoch nicht zu begründen, warum eine gerichtlich angeordnete Freiheitsentziehung, die aus Sicht des Betroffenen viel einschneidendere Wirkung haben mag als beispielsweise ein kurzes Kidnapping57, keine tatbestandsmäßige Freiheitsverletzung darstellen soll. Für den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist nämlich lediglich von Bedeutung, daß die Falschaussage des Zeugen die Freiheitsentziehung adäquat verursacht hat. Auf welchem Wege die Falschaussage diese Wirkung erzielt hat, ist dagegen belanglos.58 Entsprechend der strafrechtlichen Betrachtung zur Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 239, 25 Abs.l Alt.2 StGB59 ist das Fehlverhalten einer Beweisperson demnach auch dann tatbestandsmäßig i.S.d. § 823 Abs.l BGB, wenn der Freiheitsentzug durch eine gerichtliche Entscheidung ausgesprochen wird, sofern diese auf der Falschaussage beruht.60 So hatte das KG in Bsp. (4)61 keine Bedenken, den B, dessen Anzeige und Zeugenaussage für die Verhängung einer Freiheitsstrafe ausschlaggebend waren, aus §§ 823 Abs.l, 847 BGB zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen Freiheitsentziehung zu verurteilen. 62 In einer späteren Entscheidung hat auch der BGH die von ihm bezweckte Haftungsbeschränkung zugunsten eines sich fahrlässig fehl54

Auch im Zivilprozeß sind Fälle denkbar, in denen der Schuldner zu Unrecht inhaftiert wird (s. §§ 888, 889, 890, 901 ZPO). Die Frage einer Schadensersatzpflicht des Prozeßgegners oder Zeugen wegen Freiheitsverletzung stellt sich hier jedoch nicht so dringlich, weil sich das Gericht bei der Prüfung der Haftvoraussetzungen häufig nicht auf die Angaben dieser Personen stützt. So ist etwa im Fall des § 901 ZPO das Vorliegen eines Haftgrundes offensichtlich, wenn der Schuldner in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestimmten Termin nicht erscheint. Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 6. 56 BGH NJW 1968,787,788. 57 s. Schreiber, ZZP 105, 129, 134. 58 Vgl. BGH NJW 1964, 650 f. 59

60 61

s. dazu Wessels, § 8 II 2, mit weiteren Nachweisen. Hoffmann, S. 40; Müller, Rdn. 962. KG DR (Ausg. A) 1940, 393, S. 10. Vgl. auch LG Ansbach NJW 1956, 1205, 1206, zur Sachverständigenhaftung.

62

1. Teil: Haftungsgrundlagen

verhaltenden Sachverständigen vorgenommen, ohne bereits den Tatbestand einer Freiheitsverletzung zu verneinen.63 Ein Zeuge, dessen Falschaussage eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zur Folge hat, begeht somit eine Rechtsgutverletzung i.S.d. § 823 Abs.l BGB.64

bb) Eigentumsverletzung Eine Verletzung des Eigentums liegt vor, wenn der Eigentümer etwa durch Entziehung seines Eigentums in einer ihm durch § 903 BGB eingeräumten Befugnis beeinträchtigt wird. 65 Im Zusammenhang mit prozessualem Fehlverhalten kommt eine Eigentumsverletzung daher in Betracht, wenn aufgrund eines unwahren Parteivortrages oder einer Falschaussage dem wahren Eigentümer das Eigentum an seiner Sache aberkannt und der anderen Prozeßpartei zugesprochen wird. Der Eigentümer kann dabei als Kläger oder als Beklagter betroffen sein je nachdem, ob es sich um eine erfolglose Herausgabeklage des Eigentümers gegen den Nichteigentümer oder um dessen erfolgreiche Herausgabeklage gegen den Eigentümer handelt. Letzterenfalls liegt eine Eigentumsverletzung aber noch nicht mit dem auf Sachübereignung lautenden Urteil als solchem, sondern erst mit dessen Vollstreckung vor. 66 Wird der Beklagte zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache verurteilt, erfolgt die Vollstreckung durch Fiktion seiner Einigungserklärung im Zeitpunkt des Rechtskrafteintritts (§ 894 Abs.l S.l ZPO) und durch Wegnahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher (§ 897 ZPO). Möglicherweise kommt eine Eigentumsverletzung auch dann in Betracht, wenn infolge wahrheitswidrigen Prozeßvorbringens der Beklagte zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt wird. Da das Vermögen als solches kein sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs.l BGB ist67, müßte durch das Zahlungsurteil ein konkreter Individualgegenstand vom Vermögen des Beklagten betroffen sein. Dies ist insofern fraglich, als die Verurteilung zur Geldzahlung den Zugriff auf das Vermögen als Ganzes eröffnet (§§ 803 ff. ZPO). Zwar konzentriert sich der konkrete Vollstreckungszugriff auf einen bestimmten Gegenstand aus dem Vermögen des Beklagten, für den es zudem gleich sein mag, ob der Eingriff nach §§ 803 ff. ZPO durch Pfändung und Verwertung der Pfandsache oder aber nach §§ 883 ff. ZPO durch Wegnahme und Übergabe an den Gläubiger 63 64 65

67

BGHZ 62, 54, 57 ff. s. auch J. Blomeyer, S. 142; Hopt, S. 287 Fn. 2. Brox, Rdn. 443. J. Blomeyer, S. 142; vgl. auch Hoffmann, S. 42 f., zur Sachverständigenhaftung. BGHZ 41, 123, 127.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

63

erfolgt. Hieraus läßt sich jedoch nicht schließen, daß eine Verurteilung zur Zahlung eines Geldbetrages mit einer Eigentumsverletzung unmittelbar gleichbedeutend ist.68 Einer Verurteilung folgt nämlich nicht zwingend eine Zwangsvollstreckung. Der verurteilte Beklagte kann die drohende Vollstrekkung etwa durch freiwillige Erfüllung der Forderung des Klägers abwenden. Anders als im Falle der Verurteilung zur Herausgabe einer Sache wird dabei nicht das Eigentum an einem bestimmten Gegenstand, sondern nur das Vermögen als solches in Mitleidenschaft gezogen. Eine Eigentumsverletzung kann auch nicht darin gesehen werden, daß eine Zwangsvollstreckung im Urteil bereits 'angelegt'69 ist. Das Eigentum des Beklagten wird durch einen möglicherweise bevorstehenden Eingriff in einen Individualgegenstand seines Vermögens allenfalls gefährdet. Die bloße Gefahrdung des Eigentums reicht für eine Rechtsgutverletzung i.S.d. § 823 Abs.l BGB jedoch nicht aus.70 Die Gleichstellung einer Eigentumsgefahrdung mit einer Eigentumsverletzung ist auch nicht unter dem strafrechtlichen Blickwinkel der sog. schadensgleichen konkreten Vermögensgefahrdung 71 geboten. Eine konkrete Vermögensgefahrdung wird als Vermögensbeschädigung i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB nur dann anerkannt, wenn mit ihr bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage verbunden ist.72 Während dies etwa auf Einzelfalle des Kreditbetruges oder des Gutglaubenserwerbes zutreffen mag73, ändert sich an der Eigentumslage des Vollstreckungsschuldners durch das Zahlungsurteil als solches noch nichts. Eine gegenteilige Betrachtung bedeutete zudem eine ungerechtfertigte Privilegierung des Beklagten, der zu Unrecht zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt wird, gegenüber dem Kläger, dessen Zahlungsklage zu Unrecht abgewiesen wird. Eine Eigentumsverletzung scheidet daher aus, wenn der Beklagte infolge einer falschen Partei- oder Zeugenaussage zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt wird. Der Deliktstatbestand des § 823 Abs.l BGB ist schließlich auch dann nicht erfüllt, wenn der Kläger mit seiner Klage auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages abgewiesen wird. Forderungsrechte sind, da sie im Gegensatz zu den absoluten Rechten nur bestimmte Personen verpflichten, keine sonstigen Rechte i.S.d. § 823 Abs.l BGB.74 Letztere Vorschrift schützt nur das bereits

68

So aber J. Blomeyer, S. 142 f.; vgl. auch Hoflmann, S. 42 f., zur Sachverstandigenhaflung. s. J. Blomeyer, S. 142. 70 RGZ 50, 225, 227. 71 s. dazu Wessels, StrafR BT-2, § 13 II 4b.5. 72 BGHSt. 15, 24; 21, 112; Schönke/Schröder/Cramer, § 263, Rn. 143 ff. 73 s. dazu Wessels, StrafR BT-2, § 13 II 4b.5. 74 H.M. in Rspr. und Lit., s. BGHZ 12, 308, 317 f.; Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 31; s. auch RGZ 59, 326, 237 (Bsp. (3), S. 7).

64

1. Teil: Haftungsgrundlagen

erworbene Eigentum, nicht aber die Aussicht auf einen Rechtszuwachs, dessen Verhinderung einen bloßen Vermögensschaden darstellt.75

cc) Das 'Recht auf Wahrheit' als sonstiges Recht Den bisherigen Ausfuhrungen zufolge ist die praktische Bedeutung des § 823 Abs. 1 BGB für Schadensfalle im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht gering. Daß ein Prozeßbeteiligter in einem der vier genannten Rechtsgüter oder in seinem Eigentumsrecht verletzt wird, bleibt wohl eher eine Ausnahme. Insbesondere im Rahmen eines Zivilrechtsstreites handelt es sich überwiegend um Vermögensschäden, die sich gerade nicht als Folge der Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgutes oder Rechtes darstellen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wäre jedoch auch in diesen Fällen eröffnet, wenn es ein Recht auf Wahrheit als ein sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs.l BGB gäbe. Nach einer von Görres vertretenen Ansicht zählt zu den sonstigen Rechten auch das Recht auf Wahrheit, dessen Verletzung eine Schadensersatzpflicht begründe.76 Görres sah hierin die einzige Möglichkeit, den Delikten des Meineides und des Betruges 'zivilrechtlich beizukommen', da er es für völlig ausgeschlossen hielt, die §§ 153 ff., 263 StGB als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs.2 BGB zu verstehen. Seine Ansicht setzt voraus, daß mit der prozessualen Wahrheitspflicht ein subjektives Recht der Prozeßparteien korrespondiert. Legte man die Auffassung zugrunde, wonach ein subjektives Recht allgemein jede durch eine Rechtsvorschrift hergestellte vorteilhafte Lage einer Person, also die begünstigende Seite einer Rechtsnorm ist78, würde man in der Tat zu einem subjektiven Recht auf Wahrheit gelangen. Ein derart weites Verständnis von dem Begriff des subjektiven Rechts würde jedoch einen uferlosen Anwendungsbereich des § 823 Abs.l BGB zur Folge haben und sich somit in Widerspruch zu der gesetzgeberischen Entscheidung gegen eine deliktische Generalklausel setzen. Nach zutreffender Ansicht kann daher von einem subjektiven Recht nur da gesprochen werden, wo es von dem Willen des durch die Norm Geschützten abhängt, ob er sich auf sie berufen und damit ihren Schutz in Anspruch nehmen will. 9 Der Träger eines subjektiven Rechts hat somit

75 76 77 78

J. Blomeyer, S. 143 Fn. 81; s. auch Schreiber, ΖΖΡ 105, 129, 133. Görres, ZZP 34, 37 f. Görres, ZZP 34, 37 f. So Eitzbacher, 61, 106 ff. Hercher, S. 164; Lehmann, S. 81.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

65

typischerweise einen in seiner Person begründeten Vorzug inne.80 Die Wahrheitspflicht ist jedoch weniger individual- als vielmehr institutionsbezogen.81 Sie besteht in erster Linie dem Gericht gegenüber.82 Soweit sie daneben auch dem einzelnen Rechtssuchenden zugute kommt, handelt es sich um keinen in seiner Person begründeten Vorzug. Das Recht auf Wahrheit genießt vielmehr jede Prozeßpartei gegenüber ihrem Prozeßgegner unabhängig davon, ob sie sich darauf beruft oder nicht.83 Kommt dem einzelnen Rechtssuchenden demnach keine Berechtigung zu, entspricht der Wahrheitspflicht auch kein subjektives Recht. Das Recht auf Wahrheit ist daher kein sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs.l BGB.

dd) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht Im Zusammenhang mit einem unwahren Parteivortrag oder einer Falschaussage können Parteien und Zeugen den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB aber unter dem Aspekt einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als sonstiges Recht anerkannt wird 84, verletzen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann etwa durch Preisgabe von Angelegenheiten der Privat- und Intimsphäre85 oder durch ansehensschädigende Äußerungen86 tangiert werden. In den Beispielen (2)87, (4)88 und (S)89 hätte eine Schadensersatzpflicht der falschaussagenden Zeugen demnach auch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht gezogen werden können.

b) Rechtswidrigkeit

aa) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder Gebot Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt neben einer Verletzungshandlung und einem dadurch verursachten Schaden die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens voraus. In Rechtsprechung und Literatur ist heftig umstritten, 80 81 82 83

85 86 87 88 89

Hercher, S. 164; Lehmann, S. 81. Vgl. Eisele, S. 47; Kress, S. 66. s. den Vorspruch zur Novelle vom 27.10.1933 in RGBl 1933 Teil 1, S. 780. Kress, S. 66; Nelte, S. 62. BGHZ 13, 334 ff.; 24, 72 ff; Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 177, mit weiteren Nachweisen. Vgl. BGH NJW 1988, 1984 f. Vgl. BGH NJW 1980, 2801 ff. LG Köln JW 1939, 40; s. oben 1. Teil Α. I. 1. a) bb). KG DR (Ausg. A) 1940, 393; s. oben 1. Teil Α. I. 2. a). OLG Köln JZ 1970, 657; s. oben 1. Teil Α. I. 2. b).

5 Prange

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1. Teil: Haftungsgrundlagen

wann ein Verhalten als widerrechtlich zu beurteilen ist. Nach herkömmlicher Auffassung ist jede Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte oder Rechtsgüter rechtswidrig, sofern es nicht ausnahmsweise gerechtfertigt ist.90 Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert demnach die Rechtswidrigkeit. Eine neuere Lehre beurteilt die Rechtswidrigkeit dagegen nicht nach dem eingetretenen Verletzungserfolg, sondern prüft, ob die Verletzungshandlung gegen die Rechtsordnung verstößt und deshalb widerrechtlich ist. 1 Ein Verhalten ist danach nur rechtswidrig, wenn der Handelnde gegen eine von der Rechtsordnung aufgestellte spezielle Verhaltensregel verstoßen oder die zur Vermeidung des Schadenseintritts generell erforderliche Sorgfalt verletzt hat. Einer differenzierenden Ansicht zufolge löst bei unmittelbarer Schadensverursachung bereits die tatbestandsmäßige Verletzung fremder Rechte oder Rechtsgüter ohne Rechtfertigungsgrund das Rechtswidrigkeitsurteil aus, während bei nur mittelbarer Schadensverursachung eine positive Rechtswidrigkeits^nifung im Sinne der zuvor genannten Lehre vorgenommen werden Nach allen zum Begriff der Rechtswidrigkeit vertretenen Auffassungen ist eine Verletzungshandlung aber jedenfalls dann widerrechtlich, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot oder Gebot verstößt.93 Sofern die Rechtsgutverletzung auf einem Sachgebiet liegt, das spezialgesetzlichen Verhaltensregeln unterworfen ist, gelangen die genannten Auffassungen also nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen.94 Für prozessuale Schadensfalle sind demnach die in den Verfahrensordnungen enthaltenen Wertungen als Maßstab für die Rechtswidrigkeitsprüfüng heranzuziehen. Die ZPO und StPO enthalten ein an Parteien und Zeugen gerichtetes Wahrheitsgebot.95 Prozeßlügen und Falschaussagen sind nach der prozessualen Wertung verboten. Mit der Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht steht daher zugleich das Rechtswidrigkeitsurteil über das schädigende Prozeßverhalten fest. 96 Dabei spielt es keine Rolle, daß die Prozeßordnungen an den Verstoß gegen die Wahrheitspflicht keine eigenen Rechtsfolgen knüpfen. Schließlich können auch 'leges imperfecta', zu denen etwa § 138

90 Zur Lehre vom Erfolgsunrecht s. BGHZ 74, 9 ff.; Baur, AcP 160, 465 ff; Brox, Rdn. 455; Fikentscher, § 52 I; Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 32 f., jew. mit weiteren Nachweisen. 91 Zur Lehre vom Handlungsunrecht s. BGHZ 24, 21 ff ; J. Blomeyer, S. 38 f., 145 ff ; Nipperdey, NJW 1957, 1777 f.; Welzel, NJW 1968, 425, 427 f.; Esser/Schmidt § 9 II. 92 Von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 77 ff ; Deutsch, S. 225 ff ; Hopt, S. 229 f.; Larenz, SR BT; § 72 I c. 93 Fikentscher, § 52 I I 3. 94 s. J. Blomeyer, S. 39. s. dazu oben 1. Teil A. II. 96 Vgl. auch Nikisch, § 53 IV 1; Schönke-Kuchinke, § 4 III.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

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Abs.l ZPO zählt97, Rechtspflichten statuieren, deren Nichtbefolgung das Rechtswidrigkeitsurteil auslöst.98 Wer durch einen unwahren Parteivortrag oder eine Falschaussage einen Verfahrensbeteiligten in dessen durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechten oder Rechtsgütern verletzt, handelt daher widerrechtlich, sofern sein Verhalten nicht ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die speziellen Rechtfertigungsgründe der 'Inanspruchnahme des Gerichts' und der Wahrnehmung berechtigter Interessen.

bb) Rechtfertigung durch 'Inanspruchnahme des Gerichts' Im Hinblick auf wahrheitswidrige Prozeßbehauptungen der Parteien könnte daran gedacht werden, daß das Parteiverhalten nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu der 'Inanspruchnahme des Gerichts'99 gerechtfertigt ist. Der 'Inanspruchnahme des Gerichts' wird jedoch nur insoweit rechtfertigende Wirkung beigemessen, als das schädigende Parteiverhalten nicht gegen besondere vertragliche oder gesetzliche Pflichten verstößt.100 Wollte man das Gebrauchmachen eines gerichtlichen Verfahrens auch bei einer Verletzung derartiger Verhaltenspflichten als Rechtfertigungsgrund heranziehen, würde dies zu einer Entleerung der betreffenden Pflicht führen. 101 Da zu den auf prozessuales Verhalten bezogenen Pflichten auch die in den Verfahrensordnungen normierte Wahrheitspflicht zählt, kommt eine Rechtfertigung schädigenden Parteiverhaltens, das gegen das Wahrheitsgebot verstößt, durch die 'Inanspruchnahme des Gerichts' nicht in Betracht.

cc) Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtiger Interessen (§ 193 StGB) Der auf Beleidigungen i.S.d. §§ 185 ff. StGB zugeschnittene Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen findet nach allgemeiner Auffassung auch auf unerlaubte Handlungen Anwendung, soweit Ehr- und 97 98 99

s. Schneider, DRiZ 1963, 342, mit weiteren Nachweisen. Zeiss, NJW 1967, 703, 704; vgl. auch Dolle, Festschrift fur Riese, 279, 291.

Der Grundsatz, daß das Gebrauchmachen von einem staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahren nicht rechtswidrig sein könne, ist vom BGH in den folgenden Entscheidungen entwickelt worden: BGH L M Nr. 4 zu § 823 BGB; BGHZ 20, 169; 36, 18, 20 f.; 38, 200; BGH NJW 1962, 243; BGHZ 74, 9, 14 f.; 95, 10, 19; s.auch BGH NJW 1992, 2014, 2015; BVerfG NJW 1987, 1929. Die Lehre hat sich dieser Rechtsprechung weitgehend angeschlossen, s. z.B. Hellwig NJW 1968, 1072 if.; Palandt/ Thomas, § 823, Rdn. 41; a.A. Hopt, S. 236 f f ; Zeiss, NJW 1967, 703, 704. Hellwig, NJW 1968, 1772, 1774, mit weiteren Nachweisen. 101

*

Hellwig, NJW 1968, 1772, 1774.

1. Teil: Haftungsgrundlagen

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Rufverletzungen in Frage stehen.102 Äußerungen, die den Ruf oder die Ehre eines Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen, sind danach nicht widerrechtlich, wenn sie zur Ausfuhrung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden. Prozeßbehauptungen, die zum Zwecke der Rechtsausübung in einem Zivilverfahren aufgestellt werden, können daher entsprechend dem Regelungsgedanken des § 193 StGB gerechtfertigt sein.103 Der Parteivortrag muß dabei subjektiv von dem Zweck der Interessenwahrung getragen werden. Ferner muß neben dem verfolgten Interesse die Art der Interessenwahrung berechtigt sein.104 Demzufolge entfallt eine Rechtfertigung nach § 193 StGB bei vorsätzlich falschen oder leichtfertig aufgestellten Behauptungen.105 Eine Prozeßpartei, die im Rahmen ihres Parteivortrages unter Verstoß gegen § 138 Abs.l ZPO absichtlich unwahre Tatsachen vorträgt, kann sich daher nicht auf § 193 StGB berufen. 106 Den Schutz des § 193 StGB genießen auch Zeugenaussagen, die den Ruf oder die Ehre eines Prozeßbeteiligten beeinträchtigen. Der Zeuge handelt bei seiner Aussage in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht, die ihm die Verfahrensgesetze auferlegen. 1 Dabei handelt es sich um einen Fall, welcher der in § 193 StGB ausdrücklich genannten Rechtsausübung und -Verteidigung ähnelt.108 Im Gegensatz hierzu soll bei Zeugenaussagen die Berufung auf § 193 StGB aber nicht bereits im Falle leichtfertigen Verhaltens, sondern erst bei Behauptungen wider besseren Wissens ausgeschlossen sein.109 Diese Privilegierung wird mit einer Interessenbewertung begründet, wonach gegenüber der öffentlich-rechtlichen Zeugenpflicht, die im Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung besteht, privatrechtliche Belange zurücktreten müssen.110 Letztere betrachtet man durch die Strafandrohung für falsche eidliche und uneidliche Aussagen als hinreichend gesichert.111 Zudem wird die Gefahr einer Beeinträchtigung von Ehre und Ruf eines Prozeßbeteiligten nicht sonderlich hoch eingeschätzt, da die verletzende Äußerung über den Rahmen desjenigen Verfahrens, für das sie bestimmt ist, in der Regel nicht hinausdringt. Sofern dies - etwa bei Aussagen in Aufsehen erregenden 102 1 0 3 Hopt,

S. 232, 234, mit weiteren Nachweisen. s. BayObLG JR 1953, 192. Wessels, § 11 V 3. 105 RGSt 58, 39; 59, 414, 417; 63, 92, 94; 63, 202, 204; BGHSt 14, 48, 51; BGH NJW 1953, 1722· Dreher/Tröndle, § 193 Rdn. 8. 10 s. KG DStrR 39,92; BayObLG JR 1953, 192. s. oben 1. Teil C. I. b). 108 RGZ 142, 116, 121; BGH MDR 1953, 147; E. Helle, S. 130; Dreher/Tröndle, § 193, Rdn. 19; a.A. J. Blomeyer, S. 157. 109 RGSt 41, 254, 255; RGZ 142, 116, 120. 110 RGZ 78, 210, 215; 142, 116, 120; OLG Hbg. MDR 1947, 266, 267; s. auch Hopt, S. 234. 111 E. Helle, S. 130, 131. 104

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öffentlichen Hauptverhandlungen - ausnahmsweise doch der Fall ist, wird die Ehrverletzung im rechtsstaatlichen Interesse hingenommen.112 Ein Zeuge, der im Glauben an die Richtigkeit seiner Behauptungen den Ruf oder die Ehre eines anderen beeinträchtigt, handelt demzufolge nicht widerrechtlich. Demgegenüber will J. Blomeyer einer Beweisperson, deren Angaben unrichtig sind, den Schutz des § 193 StGB versagen.113 Er hält diese Vorschrift auf falschaussagende Zeugen für unanwendbar, da ein Zeuge nur insoweit berechtigt handele, als er die Wahrheit sage.114 Diese Argumentation kann indes nicht überzeugen. § 193 StGB knüpft als Rechtfertigungsgrund nämlich gerade an ein Verhalten an, das zunächst als unrechtmäßig zu bewerten ist, da rechtmäßiges Verhalten keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Die Anwendbarkeit des § 193 StGB scheitert daher nicht an einem unberechtigten Verhalten, sondern setzt ein solches vielmehr voraus. Gelangt man zu einem vorläufigen Unwerturteil über eine Zeugenaussage aber erst mit der Feststellung ihrer prozessualen Pflichtwidrigkeit 115, so darf die Falschheit der Aussage bei der Frage, ob der Zeuge berechtigt i.S.d. § 193 StGB gehandelt hat, nicht nochmals zu seinem Nachteil berücksichtigt werden. Andernfalls fiele der Umstand, daß der Zeuge gegen das Wahrheitsgebot verstoßen hat, gleich zweimal nachteilig ins Gewicht: sowohl bei der Begründung des Unrechtsurteils als auch bei der Ablehnung eines Rechtfertigungsgrundes. Beeinträchtigungen von Ruf und Ehre einer Prozeßpartei durch eine Zeugenaussage sind daher nach dem Regelungsgedanken des § 193 StGB gerechtfertigt, sofern sich der Zeuge nicht einer vorsätzlichen Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat. Beispiel (8): U6

In einem Verwaltungsverfahren wurde Β als Zeuge über die politische Vergangenheit des K, der als Kläger an dem Verfahren beteiligt war, vernommen. Β sagte aus, daß Κ früher stets das Parteiabzeichen der NSDAP getragen habe. Κ behauptete dagegen, der NSDAP nicht angehört und niemals das Parteiabzeichen besessen oder angesteckt zu haben. Seine Klage auf Widerruf der ehrverletzenden Zeugenbekundung des Β wurde mit der Begründung abgewiesen, daß Β als Zeuge in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB, § 824 Abs.2 BGB) gehandelt habe, da für eine Aussage wider besseres Wissen keine Anhaltspunkte bestünden. Die Rechtmäßigkeit der ehrverletzenden

112

E. Helle, S. 131. J. Blomeyer, S. 157. 114 . _ J. Blomeyer, a.a.O. 115 s. oben 1. Teil C. II. 1. b) aa). 116 Nach OLG Hamburg MDR 1947, 266.

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1. Teil: Haftungsgrundlagen

Zeugenaussage bliebe selbst dann unangetastet, wenn dem Verletzten der Nachweis ihrer Unwahrheit gelänge.

2. Haftung gem. § 823 Abs.2 BGB Die Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht löst einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs.2 BGB aus, wenn ein rechtswidriger und schuldhafter Verstoß gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz und ein dadurch verursachter Schaden vorliegt. 117 Eine Norm ist dann Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs.2 BGB, wenn sie neben dem Schutz der Allgemeinheit gerade auch den Schutz des einzelnen vor Verletzung seiner Rechte, Rechtsgüter oder rechtlich geschützten Interessen bezweckt.11 Gesetze, die lediglich die Ordnung des Staatsganzen, seine Verfassung und seine Verwaltung zum Gegenstand haben, scheiden danach als Schutzgesetze aus, mögen sie mittelbar auch dem einzelnen zugute kommen können.1 Die Norm braucht jedoch nicht strafbewehrt zu sein.1 Es genügt vielmehr, daß sie ein bestimmtes Gebot oder Verbot enthält.121 Im Zusammenhang mit einer wahrheitswidrigen Partei- und Zeugenaussage kommt zunächst eine Verletzung der §§154 und 163 StGB in Betracht, sofern die Beweisperson beeidigt wird und vorsätzlich oder fahrlässig falsch aussagt. Ein unbeeidigter Zeuge kann sich darüber hinaus auch wegen vorsätzlicher Falschaussage einer Verletzung des § 153 StGB schuldig machen. Unabhängig vom Grad des Verschuldens und von einer Beeidigung verletzt die Falschaussage einer Beweisperson schließlich auch das in den Verfahrensordnungen normierte prozessuale Wahrheitsgebot. Im Rahmen ihres Parteivortrages kann eine Prozeßpartei gegen die ihr in § 138 Abs.l ZPO auferlegte Wahrheitspflicht verstoßen. Neben den §§ 153 ff. StGB gibt es noch weitere Strafvorschriften, deren Verletzung im Zusammenhang mit wahrheitswidrigem Prozeßvorbringen von Zeugen und Parteien denkbar ist. Als ein verletztes Schutzgesetz kommt schließlich auch die Vorschrift des § 1004 BGB in Frage. Ob diese hier aufgeführten Rechtsnormen auch zum Schutze des einzelnen bestimmt sind, läßt sich mangels schematischer Richtlinien nur aus dem Gesamtzusammenhang der jeweiligen Vorschriften klären. 122 Die Frage der 117 Zum Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht, Verschulden, Schaden sowie zur Kausalität s. oben 1. Teil Α., zur Rechtswidrigkeit s. oben 1. Teil C. II. 1. b). 118 BGHZ 12, 146, 148; 19, 114, 126; 22, 293, 297; BGH NJW 1965, 534; Brox, Rdn. 465. 119 RGZ 100, 142, 147; Brox, Rdn. 465. 120 RG Recht 1917, 1412. 121 RGZ 128, 298, 300. 122 s. J. Blomeyer, S. 195.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

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Schutzgesetzeigenschaft ist daher im Hinblick auf jede in Betracht kommende Norm einzeln zu behandeln.

a) Schutzgesetzcharakter

der Aussagedelikte (§§ 153, 154, 163 StGB)

Der Schutzgesetzcharakter der in den §§ 153 ff. StGB normierten Aussagedelikte wird nahezu einhellig bejaht. Bereits die Motive zum BGB haben eine Beweisperson nach § 704 des ersten BGB-Entwurfs (= § 823 Abs.2 BGB) i.V.m. den §§ 153 ff. StGB für haftbar erklärt und damit anerkannt, daß diese Strafvorschriften die Verfahrensbeteiligten schützen wollen.123 Diese Ansicht wird durch die Entscheidung des Reichsgerichts in Bsp. (3) bestätigt.124 Dort wurde der Klage gegen einen in einem Vorprozeß beeidigten Zeugen stattgegeben, dessen fahrlässige Falschaussage den Kläger zum Abschluß eines für ihn ungünstigen Vergleichs bewogen hatte. Das Reichsgericht leitete den Schutzzweck des § 163 StGB daraus her, daß in § 158 StGB eine Vergünstigung für denjenigen Täter vorgesehen ist, der seine Aussage berichtigt, bevor daraus ein Nachteil für einen anderen, also für den Prozeßbeteiligten, entstanden ist. Diese Entscheidung ist in der Rechtsprechung und Literatur zur Sachverständigenhaftung auf breite Zustimmung gestoßen.125 Daß die Verletzung der §§ 153 ff. StGB demnach einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs.2 BGB begründet, steht nicht im Widerspruch zu der verbreiteten strafrechtlichen Betrachtung, für die sich der Zweck der Aussagedelikte in dem Schutz der staatlichen Rechtspflege erschöpft. 126 Mit dieser Zweckbestimmung soll nämlich nur klargestellt werden, daß eine von einer Falschaussage nachteilig betroffene Privatperson nicht der alleinige Träger des in den §§ 153 ff. StGB geschützten Rechtsgutes ist und deshalb mangels Dispositionsbefugnis keine rechtfertigende Einwilligung erteilen kann. Daneben ist es aber nicht ausgeschlossen, den Aussagedelikten auch den Zweck zuzuschreiben. die Prozeßbeteiligten vor den Nachteilen einer Falschaussage zu schützen.27 Einer gegenteiligen Ansicht zufolge handelt es sich bei den §§ 153 ff. StGB nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs.2 BGB. Diese von Görres vertretene Auffassung 128 stand unter dem Eindruck der Entstehungsgeschichte des § 823 123

Mot. zum BGB, Bd. 2, S. 827 ff. RGZ 59, 236; s. oben 1. Teil Α. I. 1. a) cc). 125 BGHZ 42, 313, 318; 62, 54, 57; BGH L M Nr. 8 zu § 823 BGB (BE); RG Wam. 1908 Nr. 211; Bartling, S. 32 f.; J. Blomeyer, S. 198; Döbereiner/von Keyserlingk, Rdn. 244 f.; Jessnitzer, S. 313· Schreiber,ZZP 105, 129, 134; Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 149. 6 s. BGHSt 8, 301, 309; Wessels, § 17 I 1; Dreher/Tröndle, Vorb. § 153 Rdn.l. 127 BGH L M Nr. 8 zu § 823 (BE); s. auch Bartling, S. 33. 128 Görres, ZZP 34, 35, 37 f. 124

1. Teil: Haftungsgrundlagen

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BGB. Der erste Entwurf des BGB hatte in § 704 Abs.l das Handeln gegen ein Verbotsgesetz für schadensersatzpflichtig erklärt. Die zweite Kommission aber ersetzte den Begriff des Verbotsgesetzes durch den des Schutzgesetzes. Görres betrachtete die §§ 153 ff. StGB zwar als Verbotsgesetze, eine Einordnung unter den Begriff des Schutzgesetzes lehnte er aber ab. Seiner Ansicht nach tue die Auslegung, derzufolge in diese Gruppe der Zivildelikte auch Tötung, Körperverletzung, Meineid u.a. fallen, "dem Wortlaut und Sinne der Protokolle offenbar Gewalt an".129 Entgegen der Auffassung von Görres läßt sich seine ablehnende Haltung jedoch weder mit dem Wortlaut der Protokolle130 noch mit der dahinterstehenden Bedeutung begründen. Zwar soll danach der Verstoß gegen Vorschriften, die nicht den Schutz individueller Interessen, sondern nur den der Allgemeinheit bezwecken, keine deliktsrechtlichen Folgen auslösen. An anderer Stelle ist aber davon die Rede, daß viele Rechte, die unter den Schutz einer Strafandrohung gestellt seien, in dem Anspruch auf Schadensersatz einen ergänzenden Schutz fanden. 131 Dieser Hinweis legt zusammen mit den dort angeführten Beispielen aus dem StGB den Schluß nahe, daß nur solche Strafvorschriften als Schutzgesetze ausscheiden, deren Erlaß hauptsächlich im Interesse der Allgemeinheit liegt - wie etwa das früher in § 368 Nr.2 StGB strafbewehrte Unterlassen des landschaftlichen Befreiens von Raupen. Die Mehrzahl der Strafvorschriften bezweckt jedoch den Schutz des einzelnen vor Beeinträchtigungen. Dies gilt auch für die Aussagedelikte, da anderenfalls die in § 158 StGB vorgesehene Vergünstigung unterblieben worden wäre. Daß daneben auch der Schutz der staatlichen Rechtspflege bezweckt wird, steht einer Einordnung der §§ 153 ff. StGB als Schutzgesetze nicht entgegen. Auch Wellmann vertritt die Auffassung, daß die Schadensersatzpflicht einer Beweisperson nach § 823 Abs.2 BGB nicht auf den Verstoß gegen die §§ 153 ff. StGB gestützt werden kann.132 Im Gegensatz zu Görres betrachtet er die Straftatbestände des Meineides und des fahrlässigen Falscheides zwar als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs.2 BGB. Letztendlich versagt jedoch auch er 129

Görres, ZZP 34, 35, 38. Görres stützt seine Ansicht auf folgenden Auszug aus den Protokollen, Bd.2, S. 567 f.: "Die Rechtskreise seien aber auch noch in der Weise voneinander abgegrenzt, daß das Gesetz dem Einen im Interesse eines Anderen gewisse Pflichten auferlege, ihm ein bestimmtes Verhalten gebiete oder verbiete. Dabei können jedoch nur solche Gebote und Verbote in Betracht kommen, welche darauf abzielen, die Interessen des Einen vor der Beeinträchtigung durch den Anderen zu bewahren, nicht dagegen die im Interesse der Gesammtheit auferlegten gesetzlichen Pflichten, welche, weil sie den Interessen Aller förderlich seien, auch jedem irgendwie Betheiligten zu gute kommen. (Beispiele aus dem StGB: einerseits das Verbot des § 360 Nr.6, Warenempfehlungskarten und andere Drucksachen dem Papiergeld ähnlich herzustellen, das Gebot des Raupens in dem § 368 Nr.2; andererseits das Verbot des § 299, einen verschlossenen Brief unbefugt zu öffnen, nur zum Schutze des Empfangers und des Absenders bestimmt)". 131 Protokolle, Bd. 2, S. 568. 132

Wellmann, S. 30.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

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den Verfahrensbeteiligten einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.2 BGB mit der Begründung, daß sich auf den Schutzzweck der §§ 154 und 163 StGB nur der berufen könne, demgegenüber die falsche Erklärung abgegeben sei, nicht aber auch der Dritte, dem die Erklärung später präsentiert werde. Daß sich die Parteien eines Zivilprozesses oder Angeklagte in einem Strafverfahren nicht auf den Schutzzweck der Aussagedelikte berufen können sollen, überzeugt indes nicht - sind es doch gerade sie, die von einer Falschaussage am stärksten betroffen sind und denen die in den §§ 153 ff. StGB enthaltenen Sanktionen über die Präventivwirkung der angedrohten Strafe am ehesten zugute kommen.133 Der Zeuge haftet bei Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht daher aus § 823 Abs.2 BGB i.V.m. §§ 153 ff. StGB, wenn er im Falle seiner Beeidigung eine vorsätzlich oder fahrlässig falsche Aussage trifft oder unbeeidigt bewußt falsch aussagt. Die falschaussagende Prozeßpartei trifft eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. §§ 154, 163 StGB dagegen nur im Falle ihrer Beeidung.134

b) Schutzgesetzcharakter des in den §§ 392, 395, 451, 452 Abs.2 ZPO und §§ 57, 66c StPO enthaltenen prozessualen Wahrheitsgebotes

Der Nachweis, daß Zeugen oder Parteien im Rahmen ihrer Vernehmung vorsätzlich falsch ausgesagt haben, ist in der Praxis nicht ohne weiteres zu führen. Da sich das wissentliche Abweichen vom eigenen Vorstellungsbild allein im subjektiven Bereich abspielt, läßt es sich nach außen schwer aufdekken. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht können daher nur selten auf einen Verstoß gegen § 823 Abs.2 BGB i.V.m. den §§ 153, 154 StGB gestützt werden. Aber auch eine Verletzung des § 163 StGB als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB kommt lediglich in Ausnahmefallen in Betracht, da Zeugen und Parteien grundsätzlich uneidlich zu vernehmen sind. Während sich der Grundsatz der Uneidlichkeit für den Zivilprozeß aus dem Gesetz selbst ergibt (vgl. §§ 391, 452 Abs.l ZPO)135, ist die Vereidigung des Zeugen im Strafprozeß nach § 59 StPO die Regel. Auch hier aber macht die Praxis von den zahlreichen gesetzlichen Ausnahmen, insbesondere der des § 61 Nr. 5 StPO, so reichlichen Gebrauch, daß das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis weitgehend umgedreht ist und zumindest von einer 'inflatorischen Verwendung' des Eides136 nicht mehr

133

s. auch Bartling, S. 35. Zur Haftung der falsch vortragenden Partei nach § 823 Abs.2 BGB s. unten 1. Teil C. II. 2. c). s. auch Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 391 Rdn.l, § 452 Rdn.l. 136 Vgl. Roxin, § 26 Β III. 134

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1. Teil: Haftungsgrundlagen

die Rede sein kann.137 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch eine fahrlässig falschaussagende unbeeidigte Beweisperson wegen Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs.2 BGB in Anspruch genommen werden kann. Der Schutzgetzcharakter des in den Prozeßordnungen enthaltenen, an Zeugen und Parteien gerichteten Wahrheitsgebotes ist umstritten. Das OLG Celle verneint den Schutzgesetzcharakter des § 392 ZPO mit der Begründung, daß in dieser Bestimmung nur die Frage des Zeitpunktes der Vereidigung und die Eidesfassung festgelegt seien.1 Seiner Ansicht nach widerspreche es dem Willen des Gesetzes, den Prozeßbeteiligten gegenüber einem Zeugen auch bei einer fahrlässigen uneidlichen Falschaussage einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zuzubilligen. Nur fahrlässig falsche Zeugenaussagen seien schließlich weder mit Strafe bedroht (vgl. §§ 153, 163 StGB), noch könnten sie zu einer Restitutionsklage fuhren (§ 580 ZPO). Gegen die Einordnung des § 392 ZPO als Schutzgesetz spreche zudem die unausweichliche Folge einer großen Zahl von Schadensersatzansprüchen. Hätte der Gesetzgeber gewollt, daß unterliegende Parteien die ihnen ungünstigen Prozeßergebnisse gegenüber Zeugen auf diese Weise auszugleichen versuchen, so hätte er seinen Willen nach Ansicht des Gerichts unmißverständlich geäußert. Die vom OLG Celle eingenommene Haltung entspricht der überwiegenden Meinung in der zur Sachverständigenhaftung zahlreich ergangenen Rechtsprechung und Literatur, wonach § 410 ZPO und § 79 StPO die Voraussetzungen eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs.2 BGB nicht erfüllen. 139 Folgte man dieser Auffassung, so bräuchte der unbeeidigte Zeuge einen von ihm durch eine fahrlässige Falschaussage verursachten Vermögensschaden nicht zu ersetzen. Dem OLG Celle ist zuzugeben, daß § 392 ZPO seinem Wortlaut nach nur verfahrensrechtliche Formalitäten für den Fall einer Beeidigung des Zeugen regelt. Hieraus lassen sich indes keine Rückschlüsse auf den Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht ziehen. Als haftungsauslösende Schutzgesetze kommen nämlich nicht die in den §§ 392, 395, 451, 452 Abs.2 ZPO und §§ 57, 66c StPO enthaltenen Formvorschriften als solche in Frage. Maßgeblich ist vielmehr die in diesen Rechtsnormen vorausgesetzte, aber

137

Geppert, Jura 1991, 132, 134. OLG Celle NJW 1960, 387, 388. 139 s. BGHZ 42, 313, 318; OLG Köln NJW 1962, 1773; OLG Hamm MDR 1983, 933, 934; OLG Düsseldorf NJW 1986, 2891; LG Stuttgart, NJW 1954, 1411, 1412; Döbereiner/Keyserlingk, Rdn. 248; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann, § 410 Rdn. 2; Zöller/Stephan, § 410 Rdn. 4; offengelassen in BGH NJW 1984, 870; a.A. Schreiber, ZZP 105, 129, 135. 138

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nicht ausdrücklich normierte prozessuale Verpflichtung von Zeugen und Parteien, bei ihrer Vernehmung wahrheitsgemäß auszusagen.140 Die Frage, ob diese Vorschriften zumindest auch den Schutz der Prozeßbeteiligten bezwecken, ist also auf die ihnen vorgelagerte und zugrundeliegende Wahrheitspflicht zu beziehen. In objektiver Hinsicht soll mit der Wahrheitspflicht von Zeugen und Parteien die Wahrheitsfindung im Urteil gefördert werden.141 Deren Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage dient somit dem eigentlichen Prozeßzweck, der dahin geht, die wahre Rechtslage im Urteil aufzudecken. 142 Dieser Zweck der Rechtsfeststellung wird aber weder um seiner selbst willen noch im ausschließlichen Interesse der Güte der Rechtspflege verfolgt. 143 Der Prozeßzweck zielt in einem rechtsstaatlichen Verfahren in erster Linie vielmehr darauf ab, dem Rechtssuchenden zur Anerkennung und Durchsetzung seiner Rechte zu verhelfen. 144 Nach dem Postulat der Rechtsstaatlichkeit ist der Gesetzgeber gehalten, den Prozeßbeteiligten eine optimale Gewähr dafür zu bieten, daß ihnen im Prozeß materiell kein Unrecht widerfahrt. 145 Die zu diesem Zwecke erlassenen Verfahrensvorschriften dienen somit dem Rechtsschutz des einzelnen Prozeßbeteiligten. Damit steht aber auch in subjektiver Hinsicht die Schutzrichtung der prozessualen Wahrheitspflicht von Beweispersonen fest. Zeugen und Parteien sind bei ihrer Vernehmung zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet, um die Prozeßbeteiligten vor einer sachlich ungerechtfertigten Entscheidung zu bewahren.146 Entgegen der vom OLG Celle vertretenen Ansicht bezweckt die den §§ 392, 395, 451, 452 Abs.2 ZPO und 57, 66c StPO zugrundeliegende prozessuale Wahrheitspflicht daher den Schutz der Prozeßbeteiligten. Gegen eine den Schutzgesetzcharakter dieser Vorschriften ablehnende Betrachtung spricht ferner ein Vergleich der verfahrensrechtlichen Vorschriften, welche die Wahrheitspflicht von Beweispersonen betreffen, mit den Aussagedelikten des materiellen Strafrechts. Wenn man anerkennt, daß die in den §§ 153, 154 und 163 StGB enthaltenen strafrechtlichen Sanktionen auch dem Schutz des einzelnen Prozeßbeteiligten dienen, kann man dies im Hinblick auf

140

J. Blomeyer, ZRP 1974, 214, 217; s. auch Damm, JuS 1976, 359, 362. J. Blomeyer, S. 190; s. auch Schmidhäuser, ZZP 72, 365, 385. 142 J. Blomeyer, S. 197; ders. ZRP 1974, 214, 217. 143 144 145

J. Blomeyer, S. 197; ders. ZRP 1974, 214, 217; vgl. auch Bartling, S. 44. J. Blomeyer, S. 197; ders. ZRP 1974, 214, 217; Damm, JuS 1976,359, 362.

Müller, Rdn. 974. LG Köln JW 1939, 40, 41; J. Blomeyer, S. 188 ff.; ders. ZRP 1974, 214, 217; Damm, JuS 1976, 359, 362; Herschel, JW 1939, 41, 42; Honsell, JuS 1976, 621, 627; Hopt, S. 289; Klopfer, S. 65 f. 146

76

1. Teil: Haftungsgrundlagen

die prozessuale Wahrheitspflicht nicht in Abrede stellen.147 Die §§ 153 ff. StGB knüpfen nämlich gerade an die prozessuale Wahrheitspflicht an, indem sie Sanktionen für den Fall androhen, daß durch Verletzung dieser Pflicht die mit ihr bezweckte Wahrheitsfindung in Gefahr gerät. Soll aber die Bestrafung der Wahrheitspflichtverletzung dem Schutz des einzelnen Prozeßbeteiligten dienen, kann für die ihr zugrundeliegende Verhaltensnorm nicht anderes gelten, da andernfalls der Schutzgesetzcharakter davon abhinge, ob der Gesetzgeber eine Bestrafung für opportun gehalten hat. In der neueren Literatur zur Dogmatik der Schutzgesetzverletzung wird dementsprechend auch gefordert, nicht die StrafVorschriften, sondern die ihnen jeweils zugrundeliegenden ungeschriebenen Verhaltensnormen als Schutzgesetze zu bezeichnen, da nur die in ihnen angesprochenen Handlungsanweisungen den Schutz anderer bezwekken können.48 Die eingangs genannte Meinung vermag schließlich auch wegen ihrer haftungsrechtlichen Konsequenzen nicht zu überzeugen. Da die uneidliche fahrlässige Falschaussage eines Zeugen und die uneidliche Falschaussage einer Partei nicht strafbar sind, hinge die zivilrechtliche Haftung dieser Beweispersonen für Vermögensschäden von ihrer Beeidigung ab, wenn man den Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht ablehnen wollte. Daß für die Haftung eines Zeugen oder einer vernommenen Partei aber gerade ihre Beeidigung den Ausschlag geben soll, ist nicht einzusehen, wird doch durch die Eidesleistung als formalisierter Rechtsakt die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage nicht begründet, sondern ihre Einhaltung nur bekräftigt. 19 Die Abhängigkeit von einer Beeidigung wäre um so unbefriedigender, als die Prozeßbeteiligten zwar darauf verzichten können, daß der Zeuge oder die vernommene Partei beeidigt wird (s. §§ 391 ZPO und 61 Nr.5 StPO bzw. 452 Abs. 3 ZPO), eine Beeidigung dieser Beweispersonen aber nicht erzwingen können. Aus Sicht der Prozeßparteien und der Beweispersonen müßte sich die derart mit der Beeidigung gekoppelte Haftungsfrage somit als reine Zufälligkeit darstellen.150 Auch der zur Sachverständigenhaftung ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung151, die den Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht bislang verneint hat, wird vorgeworfen, dem Sachverständigeneid eine Bedeutung beizumessen, die ihm nicht zukommt.152 Diese Kritik kommt andeutungsweise in einer Entscheidung des BVerfG 153 zum Ausdruck, derzufolge "es nicht unbedingt überzeugend sein" mag, "wenn Grund und Umfang einer Haftung davon abhängig sind, ob der Sachverständi147 1 4 8 Vgl. 149

150

auch Bartling, S. 44; J. Blomeyer, S. 198; Hoffmann, S. 162; Hopt, S. 289. Dömer, JuS 1987, 522, 524 f. Vgl. Müller, Rdn. 973 a.

Vgl. Müller, Rdn. 975, zur Sachverständigenhaftung. s. oben 1. Teil C. II. 2. b) Fn. 139. Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977, S. 143. 153 BVerfG NJW 1979, 305. 151

152

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

77

ge beeidet worden ist oder nicht". Einen wesentlich deutlicheren Standpunkt hatte bereits das OLG Hamm154 vertreten, dem es "als ein Gebot der Gerechtigkeit" erschien, "daß der Sachverständige bei einer fahrlässigen Verletzung seiner Pflicht auch ohne Beeidigung der Partei für den entstehenden Schaden einzustehen hat". Durchgreifende Bedenken gegen den Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht zu begründen vermag schließlich auch nicht der Hinweis auf die Nichtpönalisierung der fahrlässigen uneidlichen Falschaussage, durch die der Gesetzgeber einen deutlichen Unterschied zwischen eidlicher und uneidlicher Falschaussage gemacht habe, der sich auch in den Vorschriften über die Wiederaufnahme von Verfahren niederschlage.155 Wollte man hieraus Rückschlüsse auf den Schutzgesetzcharakter der Wahrheitspflicht ziehen, so ließe man die unterschiedliche Bedeutung von Zivilrecht und Strafrecht außer acht. Während letzteres die Ahndung strafrechtlicher Schuld bezweckt, geht es im Zivilrecht um die von strafrechtlicher Verantwortung unabhängige Frage der Schadensregulierung.156 Ein schadensersatzauslösendes Verhalten erfüllt daher nicht notwendigerweise zugleich einen Straftatbestand. Wer etwa fahrlässig das Eigentum eines anderen beschädigt, macht sich zwar schadensersatzpflichtig, aber nicht strafbar. 157 Ebensowenig besagt der Umstand, daß der Gesetzgeber die straflose fahrlässige Falschaussage eines unbeeidigten Zeugen nicht als Wiederaufnahmegrund statuiert hat (s. § 580 Nr. 3 ZPO und § 359 Nr.2 StPO), etwas über den Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht. Die Befürchtung, das Anwendungsgebiet der Wiederaufnahme könne unter Umgehung der Prozeßvorschriften mit Hilfe des sachlichen Rechts erweitert werden, mag sich zwar als berechtigt herausstellen. Systematisch gehört sie jedoch nicht zu der hier zu erörternden Frage, sondern kann allenfalls bei der Frage nach einer eventuell notwendigen Haftungsbeschränkung berücksichtigt werden.158 Gleiches gilt für den Hinweis auf einen zu erwartenden Anstieg von Schadensersatzprozessen, in denen durch Falschaussagen geschädigte Prozeßbeteiligte gegen Beweispersonen vorzugehen versuchen. Die in den Prozeßordnungen normierte Verpflichtung von Beweispersonen, während ihrer Vernehmung wahrheitsgemäß auszusagen, verkörpert demnach ein Schutzgesetz, dessen Verletzung einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs.2 BGB auslöst.

IM 1 5 5 OLG 156 157

158

Hamm, MDR 1950, 221, 222. So das OLG Celle NJW 1960, 387, 388; OLG Köln NJW 1962, 1773. Hopt, S. 287 f. s. Hopt, S. 288.

s. auch J. Blomeyer, S. 193 f.; ähnlich Hopt, S. 288.

78

1. Teil: Haftungsgrundlagen

So ist auch das LG Köln in Bsp. (2)159 zu dem Ergebnis gelangt, daß sich ein unbeeidigter Zeuge wegen einer fahrlässigen Falschaussage gem. § 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit der prozessualen Wahrheitspflicht schadensersatzpflichtig macht.

c) Schutzgesetzcharakter

des § 138 Abs.l ZPO

Die Einführung des δ 138 Abs.l ZPO in das Zivilprozeßrecht durch die Novelle vom 27.10.1933 6 0 hat eine bis heute anhaltende Diskussion über den Schutzgesetzcharakter der prozessualen Wahrheitspflicht ausgelöst. Ein großer Teil der Literatur ist sich darin einig, daß § 138 Abs.l ZPO kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB sein soll. Die hierzu vorgetragenen Begründungen weichen jedoch voneinander ab. Häsemeyer lehnt den Schutzgesetzcharakter des § 138 Abs.l ZPO ab, da Fehlverhalten im Prozeß, also auch die Unwahrhaftigkeit der Parteien, seiner Ansicht nach nur innerprozessual, d.h. mit der Entscheidung, aber nicht gegen sie und auch nicht unabhängig von ihr korrigiert werden könne.161 Aus seiner Sicht kommt ein selbständiger, auf Fehlverhalten von Prozeßparteien gegründeter Schadensausgleich und somit auch eine Haftung wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht grundsätzlich nicht in Betracht.162 Häsemeyers Betrachtung ist im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einer Neuorientierung des Schadensrechts zu sehen. Anstatt für die haftungsrechtliche Beurteilung des zivilrechtlichen Streitverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner auf die allgemeine Deliktshaftung zurückzugreifen, redet Häsemeyer der Konstituierung einer besonderen 'Rechtsstreithaftung' das Wort. 163 Vor diesem Hintergrund mag es verständlich sein, daß er eine Einordnung des § 138 Abs.l ZPO als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB ablehnt. Da sich die vorliegende Arbeit jedoch an dem positiv-rechtlichen Haftungssystem des BGB orientiert, erübrigt sich an dieser Stelle eine weitere Auseinandersetzung mit der von Häsemeyer eingenommenen Haltung. Auch Henckel scheint sich gegen die Einstufung des § 138 Abs.l ZPO als Schutzgesetz auszusprechen, wenngleich er zu diesem Problem keine eindeu-

159 160

161 162

LG Köln JW 1939, 40,41 (s. oben 1. Teil Α. I. 1. a) bb)), mitzust. Anm. v. Herschel. RGBl 1933 Teil I, S. 780. Häsemeyer, S. 29. Häsemeyer, S. 69 f. Häsemeyer, S. 4 f.

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

79

tige Stellung einnimmt.164 Eine Einordnung des § 138 Abs.l ZPO als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB hängt seiner Ansicht nach davon ab, ob diese Vorschrift nur die bewußte Lüge verbietet oder auch die fahrlässig falsche Prozeßbehauptung.165 Letzterenfalls könnte nämlich die notwendige materiellrechtliche Sanktion nur durch die Einordnung des § 138 Abs.l ZPO unter die Schutzgesetze eröffnet werden, während bei der Beschränkung des § 138 Abs. 1 ZPO auf die bewußte Lüge jedes pflichtwidrige Verhalten, das zu Vermögensschäden führt, zum Schadensersatz nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 263 StGB führen würde. Da Henckel zu dem Ergebnis gelangt, daß § 138 Abs. 1 ZPO nur die bewußte Prozeßlüge verbietet, hält er das Bedürfnis nach materiell-rechtlichen Sanktionen durch den Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 263 StGB für hinreichend gesichert. Entgegen seinen Ausführungen erübrigt sich hierdurch jedoch nicht ein weiteres Eingehen auf den Schutzgesetzcharakter des § 138 Abs.l ZPO, da eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht neben Vermögensschäden auch noch zu weiteren, nicht durch § 263 StGB erfaßten Schäden führen kann.166 Den Schutzgesetzcharakter des § 138 Abs.l ZPO lehnt auch ein großer Teil der Literatur ab, die sich mit dem Schutzzweck der Vorschrift befaßt hat.167 Danach sei die Wahrheitspflicht nur um des Ansehens des Staates und seiner Gerichte willen, also im Interesse der Rechtspflege erlassen worden. Soweit sich § 138 Abs.l ZPO zugunsten der gegnerischen Partei auswirke, handele es sich lediglich um eine Reflexwirkung 6 , von der nicht auf den Schutzgesetzcharakter der Vorschrift geschlossen werden könne. Diese Ansicht steht im Widerspruch zu dem Willen des damaligen Gesetzgebers. In der Präambel zur Novelle von 1933 hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß die Rechtspflege, um derentwillen die prozeßrechtlichen Erneuerungen eingeführt wurden, bei aller Betonung der "Rechtssicherheit des Volksganzen" doch zugleich den Parteien dient.169 Bereits aus dem Wortlaut dieses Vorspruchs geht hervor, daß der Gesetzgeber den Schutz des einzelnen Prozeßbeteiligten zwar nicht in erster Linie, aber zumindest mitbezweckt

164

Henckel, S. 296 f.; s. auch die unterschiedlichen Interpretationen seiner Ausführungen bei Rosenberg/Schwab, § 65 V I I I 7 c in Fn. 94, einerseits und Konzen, S. 285 in Fn. 257, andererseits. 165 Henckel, S. 297. s. oben Teil Α. I. 1. und 2. 167 Ficht, S. 53; Götz, S. 132 f.; Hildebrandt, S. 14; Lorenz JW 1934, 875, 876 f.; Weimar, VersR 1955,263, 264; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, § 138 Rdn. 65. Ficht, S. 53; Lorenz JW 1934, 875, 877. 169 RGBl 1933 Teil I, S. 780: "Die Parteien und ihre Vertreter müssen sich bewußt sein, daß die Rechtspflege nicht nur ihnen, sondern zugleich und vornehmlich der Rechtssicherheit des Volksganzen dient. Keiner Partei kann gestattet werden, das Gericht durch Unwahrheiten irrezuführen oder seine Arbeitskraft durch böswillige oder nachlässige Prozeßverschleppung zu mißbrauchen. Dem Rechtsschutz, auf den jeder Anrecht hat, entspricht die Pflicht, durch redliche und sorgfaltige Prozeßführung dem Richter die Findung des Rechts zu erleichtern."

80

1. Teil: Haftungsgrundlagen

hat.170 Zu den Schutzgesetzen i.S.d. § 823 Abs.2 BGB gehören jedoch keineswegs nur die Gesetze, die den Schutz von Einzelpersonen als Hauptzweck im Auge haben. Es genügt vielmehr, daß der Gesetzgeber neben dem primär verfolgten Schutz der Allgemeinheit auch den Schutz des einzelnen mitgewollt hat.171 Mit Rücksicht auf den geschichtlichen Hintergrund sollte jedoch nicht der subjektive Wille des damaligen Gesetzgebers bemüht werden, um den Schutzzweck des § 138 Abs.l ZPO zu bestimmen. Bei seiner Einführung in die Zivilprozeßordnung wurde § 138 Abs.l ZPO im Sinne einer heute als untragbar empfundenen Ideologie interpretiert. So lassen bereits die programmatischen Worte des Vorspruchs zur Novelle von 1933172 erkennen, daß die Gemeinschafts- und Volksganzheitsideologie Pate gestanden haben.173 Auch die sich anschließende Diskussion um den Schutzgesetzcharakter der Wahrheitspflicht wurde von der Phraseologie des Nationalsozialismus beherrscht. 174 Anstatt sich dadurch in der Auslegung binden zu lassen, ist auf den objektivierten, sich aus §138 Abs.l ZPO selbst ergebenden Willen zurückzugreifen. 175 Dabei kann für die Wahrheitspflicht von Parteien aber nichts anderes gelten als für das an Beweispersonen gerichtete Wahrheitsgebot. Hier wie dort dient das Gebot zur wahrheitsgemäßen Äußerung im Prozeß dazu, die wahre Rechtslage im Urteil aufzudecken. Aus diesem in objektiver Hinsicht auf die Wahrheitsfindung gerichteten Zweck läßt sich auch hier auf die subjektive Schutzrichtung schließen: die Wahrheit soll nicht um ihrer selbst willen ermittelt werden, ihre Ermittlung dient vielmehr dem durch das Rechtsstaatsprinzip postulierten Rechtsschutz des einzelnen Prozeßbeteiligten.176 § 138 Abs.l ZPO weist daher die für eine Einordnung als Schutzgesetz erforderliche Schutzrichtung auf. 177 Daß es sich bei § 138 Abs.l ZPO demnach um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB handelt, bestätigt auch ein Vergleich mit den §§ 153 ff. StGB. Wenn die Aussagedelikte als Schutzgesetze zugunsten der geschädigten Partei angesehen werden, obwohl sie in erster Linie der Aufrechterhaltung der 170

Hopt, S. 271; Kress, S. 67 f.; Nelte, S. 65; Welzel, S. 26. BGHZ 12, 146, 148; 19, 114, 126; 22, 293, 297; BGH NJW 1965, 534; Brox, Rdn. 465; s. auch oben 1. Teil C. II. 2. 172 s. oben Fn. 169. 173 Hopt, S. 271; s. auch Brehm, S. 160 ff. 174 Vgl. nur Eisele, S. 47; Hildebrandt, S. 14; Weigelt, DJZ 1934, 533, 534. 175 So zutreffend Hopt, S. 271. 176 LG Köln JW 1939, 40, 41; J. Blomeyer, S. 49; Nelte, S. 64. 177 LG Köln JW 1939, 40, 41; Benkendorff, DRiZ 1934, 205, 207; J. Blomeyer, S. 49; Gerold, S. 31; Hercher, S. 167; Herschel, JW 1939, 41, 42; Hopt, S. 271; Jaquet, S. 74; Konzen, S. 285; Kress, S. 67 f.; Rosenberg, ZZP 58, 283, 292; Staab, S. 94; Welzel, S. 26; Rosenberg/Schwab, § 65 V I I I 7 c; s. auch Baumbach, DJZ 1933, 1459, 1460; Goldschmidt, S. 127. 171

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

81

Rechtsordnung und Rechtspflege dienen178, kann der Schutzgesetzcharakter im Hinblick auf § 138 Abs.l ZPO nicht geleugnet werden. Die §§ 153 ff. StGB und § 138 Abs.l ZPO werden nämlich von demselben Grundgedanken der Wahrheitsfindung getragen.179 Daß der Gesetzgeber bei § 138 Abs.l ZPO von einer strafrechtlichen Sanktion abgesehen hat, ist dabei bedeutungslos.180 Die gegenteilige Auffassung vermag schließlich auch insofern nicht zu überzeugen, als ein bewußt unwahrer Vortrag zugunsten der gegnerischen Partei keine Verletzung der Wahrheitspflicht darstellen soll.181 Gerade diese Beschränkung der Wahrheitspflicht zeigt, daß § 138 Abs.l ZPO auch im Interesse des Prozeßgegners erlassen wurde.182 Unter Berücksichtigung dieses Schutzzweckes hat auch das LAG Krefeld in Bsp. (3) 183 einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht in Betracht gezogen. Wenngleich sich dieser Anspruch im Ergebnis als unbegründet erwies, ist durch diese Entscheidung zumindest dem Grundsatz nach anerkannt worden, daß der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht bei Vermögensschäden zu einer Ersatzpflicht gem. § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 138 Abs.l ZPO führen kann.

d) Weitere Schutzgesetze (§§ 164, 185ff, 239, 240, 263 StGB und 1004 BGB)

Neben den §§ 153 ff. StGB und dem an Zeugen und Parteien gerichteten prozessualen Wahrheitsgebot können ein unwahrer Parteivortrag oder eine Falschaussage schließlich noch gegen weitere als Schutzgesetze anerkannte Vorschriften verstoßen. Sofern die nach § 138 Abs.l ZPO verbotene Prozeßlüge einen Vermögensschaden des Prozeßgegners herbeiführt, sind regelmäßig die Voraussetzungen eines Prozeßbetruges gem. § 263 Abs.l StGB erfüllt. 185 Wird ferner etwa anläßlich einer Zeugenvernehmung wider besseres Wissen eine falsche Verdächtigung erhoben 6 , um gegen den Prozeßbeteiligten ein behördliches Ver-

178

s. oben 1. Teil C. II. 2. a). Benkendorff, DRiZ 1934, 205, 207; Hopt, S. 271 f. 180 Vgl. RG Recht 1917, 1412. 181 s. Thomas/Putzo, § 138 Rdn. 7; Stein/Jonas/Leipold, § 138 Rdn. 5. Konzen, S. 285.

179

183

L A G Krefeld ARS 29, 4, mit zust. Anm. v. Volkmar (s. oben 1. Teil Α. I. 1. a) aa)). Zum Schutzgesetzcharakter des § 263 StGB s. BGHZ 57, 137, 142. Henckel, S. 297; Jaquet, S. 74; Lorenz, JW 1939, 875, 876. 186 s. z.B. RG JW 1938, 1387. 184

185

6 Prange

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1. Teil: Hatungsgrundlagen

fahren oder eine sonstige behördliche Maßnahme herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, kommt eine Haftimg aus § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 164 StGB in Betracht.187 Ein unwahrer Parteivortrag oder eine Falschaussage können auch die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 239 oder 240 StGB188 bilden, wenn die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erfolgt oder der Prozeßgegner sich etwa zu dem Abschluß eines ungünstigen Vergleichs genötigt sieht.1 Unwahre Prozeßbehauptungen oder Falschbekundungen, welche die Ehre, Persönlichkeit etc. eines Prozeßbeteiligten antasten, können schließlich einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 1004 BGB oder §§ 185 ff. StGB190 zur Folge haben.

3. §824 BGB Soweit ein unwahrer Parteivortrag oder eine Falschaussage objektiv dazu geeignet sind, den Kredit einer Partei oder eines Angeklagten zu gefährden oder sonstige Nachteile für deren Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 824 Abs. 1 BGB in Betracht. Der Zeuge oder die Partei muß die Unrichtigkeit der kredit- oder erwerbsschädigenden Tatsachenäußerung gekannt oder schuldhaft nicht gekannt haben. Eine Haftung für Kreditgefährdung entfällt gem. § 824 Abs.2 BGB wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen bereits dann, wenn die Unwahrheit der Tatsache dem Aussagenden unbekannt ist und dieser oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Dieser Rechtfertigungsgrund geht über § 193 StGB insoweit noch hinaus, als ein berechtigtes Interesse des Mitteilungsempfangers, also auch des Gerichts, genügt und selbst grobe Fahrlässigkeit des Aussagenden nicht schadet. Angesichts seiner engen Fassung und des § 824 Abs.2 BGB ist § 824 Abs. 1 BGB neben dem allgemeinen Deliktsrecht praktisch bedeutungslos.191 Da § 824 BGB keine Spezialvorschrift gegenüber § 823 Abs.l und 2 BGB darstellt192, werden die Fälle schuldhafter Kreditgefahrdung regelmäßig bereits über § 823 Abs.l BGB i.V.m. einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder über § 823 Abs.2 BGB i.V.m. den §§ 185 ff. StGB erfaßt. 193

187

Zum Schutzgesetzcharakter des § 164 StGB s. BGH L M Nr.3 zu § 823 BGB. Zum Schutzgesetzcharakter des § 239 StGB s. Warn. 17, 118, zu dem des § 240 StGB s. BGH NJW 1962,910. 188

189

s. etwa RGZ 59, 236 (Bsp. 3, s. oben 1. Teil Α. I. 1. a) cc)). Zum Schutzgesetzcharakter des § 1004 BGB s. BGH NJW 1988, 1778, zu dem der §§ 185 ff. StGB s. BGHZ 95, 212. 191 Deutsch, JZ 1964, 510; Hopt, S. 274. 192 BGH NJW 1983, 1183. 193 s. auch Palandt/Thomas, § 824 Rdn.l. 190

C. II. Allgemeine Deliktshaftung

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4. §826 BGB Seit Einfuhrung des § 138 Abs.l ZPO in die Zivilprozeßordnung wird die vorsätzliche Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht einhellig als Verstoß gegen die guten Sitten betrachtet.194 Unter den weiteren Voraussetzungen des § 826 BGB 9 5 können eine Prozeßlüge oder eine vorsätzliche Falschaussage daher auch einen Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung auslösen.196 Da ein bewußt falscher Parteivortrag oder eine vorsätzliche Falschaussage jedoch gegen die prozessuale Wahrheitspflicht und somit gegen ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB verstoßen, kommt § 826 BGB insoweit keine eigenständige Bedeutung zu.197

5. Zusammenfassung In Verbindung mit den verfahrensrechtlichen Vorschriften über die prozessuale Wahrheitspflicht bietet § 823 Abs.2 BGB einen umfassenden Schutz vor Schäden eines Prozeßbeteiligten, die ein Zeuge oder Parteigegner durch schuldhafte Verletzung der Wahrheitspflicht verursacht hat. Dieser Schutz wird über die als Schutzgesetze anerkannten strafrechtlichen Regelungen der §§ 153 ff StGB sowie der §§ 164, 185 ff, 239 f., 263 StGB ergänzt. Daneben kommt § 823 Abs.l BGB insbesondere dann zur Anwendung, wenn durch einen unwahren Parteivortrag oder eine Falschaussage die Freiheit, das Eigentum oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Prozeßbeteiligten in Mitleidenschaft geraten ist. Letzterenfalls kann die falschaussagende Beweisperson aber unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gerechtfertigt sein. Die Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht kann schließlich auch Schadensersatzansprüche gem. den §§ 824, 826 BGB auslösen, deren praktische Bedeutung aber weit hinter der des § 823 BGB zurückbleibt.

194 Gerold, S. 31; Kress, S. 70; Nelte, S. 65; Rosenberg, ZZP 58, 283, 292; Wildermuth, S. 26; Palandt/Thomas, § 826 Rdn. 45; s.auch RG 95, 310, 312 f.; RG Wam 1935, 184; die gegenteilige Auffassung wurde noch in RG Recht 1933,388, vertreten. § 826 BGB verlangt neben der sittenwidrigen Handlung eine vorsätzliche Schadenszufügung sowie die Kenntnis der Tatumstande, welche die Sittenwidrigkeit ausmachen, s. dazu Palandt/Thomas, § 826 Rdn. 9 f. s. neben den in Fn. 194 Genannten auch Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 7 c; Staab, S. 95 f.; Zöller/Stephan, § 138 Rdn.7, mit weiteren Nachweisen. 197 s. auch J. Blomeyer, S. 123 f.; Hopt, S. 274.

6*

Zweiter Teil

Haftungsbeschränkungen de lege lata A. Reichweite des Schutzzweckes der prozessualen Wahrheitspflicht Die bislang gewonnenen Ergebnisse zur Haftung bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht bedürfen im Hinblick auf deren sachlichen Schutzbereich möglicherweise einer Korrektur. Grundsätzlich haftet deijenige, der pflichtwidrig ein schädigendes Ereignis verursacht hat, für alle Schadensfolgen. Dieser Grundsatz gilt jedoch mit der Einschränkung, daß der Schaden nach Art und Entstehung aus dem Bereich der Gefahren stammen muß, zu deren Abwendung die verletzte Pflicht bestimmt war.1 Es erhebt sich daher die Frage, ob die prozessuale Wahrheitspflicht vor allen im Zusammenhang mit ihrer Verletzung denkbaren Schadensfolgen2 schützen soll. Die vorangegangenen Überlegungen zur Herleitung des Schutzgesetzcharakters haben gezeigt, daß die prozessuale Wahrheitspflicht die Parteien zumindest vor einer sachlich unrichtigen Entscheidung bewahren will. 3 Schäden, die durch ein Fehlurteil entstanden sind, werden vom Normzweck der §§ 138 Abs.l, 392, 395, 451, 452 Abs.2 ZPO bzw. der §§ 57, 66c StPO daher erfaßt. Mit der Einordnung dieser Vorschriften als Schutzgesetze ist jedoch noch keine verbindliche Aussage darüber getroffen, ob die prozessuale Wahrheitspflicht auch sonstigen, vom Prozeßausgang unabhängigen Begleitschäden4 entgegenwirken soll. J. Blomeyer hält neben dem Ersatz von Urteilsschäden auch den Ersatz solcher Schäden für normzweckadäquat, die der Partei ohne das Dazwischentreten einer richterlichen Entscheidung allein aufgrund der Prozeßlüge oder

1

3

4

BGHZ 95, 199, 209 f.; BGH W M 1991, 246, 248; 1991, 1629; NJW 1992, 555. s. dazu oben 1. Teil Α. I. 1. und 2. s. d a z u o b e n l . T e i l C . i l . 2. s. dazu oben 1. Teil Α. I. 1. b) und 2. b).

Α. Reichweite des Schutzzweckes der prozessualen Wahrheitspflicht

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Falschaussage entstanden sind.5 Zwar räumt er ein, daß mit der prozessualen Wahrheitspflicht in erster Linie die Wahrheitsfindung im Urteil gefördert und damit der Gefahr ungerechtfertigter Verurteilung des Gegners entgegengetreten werden soll. Darüber hinaus sei dieser Pflicht aber auch der Zweck zuzuschreiben, die Parteien vor unmittelbar aus unwahren Äußerungen drohenden Schäden etwa an ihrer Ehre oder Persönlichkeit zu bewahren.6 Nach dieser Ansicht sind die Parteien durch die prozessuale Wahrheitspflicht vor jeder Folgewirkung einer Falschaussage oder Prozeßlüge geschützt. Demgegenüber ist nach Ansicht von Konzen und Henckel der Zweck des prozessualen Wahrheitsgebotes darauf beschränkt, gerichtliche Fehlentscheidungen zu vermeiden.7 Die ausschließliche Urteilsfinalität sei bereits durch die systematische Stellung der Wahrheitspflicht in den Prozeßordnungen indiziert und werde durch den Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelle von 19338 bestätigt, wonach den Parteien lediglich der Schutz der Gerichte vor Irreführung zugute komme. Gegen eine Ausweitung des Normzwecks spreche auch der Vergleich zwischen außerprozessualen und den durch Parteihandlungen verursachten Schäden eines anderen.9 Schließlich sei im Hinblick auf die Parteihaftung angesichts des verfolgten Rechtsschutzziels eher eine Milderung der Haftungsgrundlagen als deren Ergänzung zugunsten des gegnerischen Rechtsgüterschutzes geboten.10 Dies gelte auch im Falle einer vorsätzlichen Verletzung der Wahrheitspflicht, da diese dadurch verursacht sein könne, daß die Partei eine andere (wahre) Sachdarstellung nicht beweisen zu können glaube.11 Dieser Auffassung zufolge kann der Verstoß gegen das prozessuale Wahrheitsgebot als Schutzgesetzverletzung nur im Hinblick auf den Ersatz eines Urteilsschadens geltend gemacht werden.12 Während J. Blomeyer bei der Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs der prozessualen Wahrheitspflicht eine Begründung schuldig bleibt, sprechen die von Konzen und Henckel vorgebrachten Argumente in der Tat für eine restriktive Normzweckinterpretation. Zudem zeigt ein Vergleich mit den in § 580 Nr. 1 - 5 ZPO genannten Wiederaufnahmegründen, daß mit einer auf

J. Blomeyer, S. 43 Fn. 121, S. 191 Fn. 249; s. femer Hopt, S. 272 f., der die Ausweitung der prozessualen Wahrheitspflicht gerade mit Rücksicht auf außerprozessuale Schädigungen befürwortet, s. dazu Henckel, S. 297 Fn. 198. J. Blomeyer, S. 43 Fn. 121. 7 Konzen, S. 285 f.; Henckel, S. 297 f.; s. auch Götz, S. 134. 8 RGBl 1933 Teil I, S. 780; s. dazu oben 1. Teil C. II. 2. c) Fn. 169. 9 Konzen, S. 286; Henckel, S. 298. 10 Konzen, S. 286. 11 Konzen, S. 286 Fn. 261. 12

Da Konzen und Henckel an anderer Stelle (S. 297 bzw. S. 299) den Schutzzweck der prozessualen Wahrheitspflicht allgemein auf Schäden beziehen, die aus einem infolge der Unwahrhaftigkeit eines Verfahrensbeteiligten gestörten Prozeßablauf resultieren, soll eine Ersatzpflicht wohl auch für Beschluß· und Vergleichsschäden bestehen.

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prozessuales Fehlverhalten gestützten Klage nur der Urteilsschaden, nicht aber ein über das Prozeßergebnis hinausgreifender Schaden geltend gemacht werden kann. Schließlich soll durch die dort vorgesehenen Möglichkeiten der Wiederaufnahme verhindert werden, daß das Ansehen der Gerichte und das Vertrauen in die Rechtsprechung gerade durch ein Urteil beeinträchtigt werden, dessen Grundlagen infolge eines ursächlichen Zusammenhangs mit einer Straftat unerträglich erschüttert sind.13 Rückschlüsse auf die Reichweite des Schutzzwecks der prozessualen Wahrheitspflicht lassen sich schließlich auch aus den Grundsätzen zu der 'Inanspruchnahme des Gerichts'14 ziehen. Diesem Rechtfertigungsgrund wird nur insoweit rechtfertigende Wirkung beigemessen, als eine Parteihandlung zu Schäden führt, die in Zusammenhang mit dem Prozeßablauf stehen. Soweit hingegen eine Partei durch das prozessuale Verhalten des Gegners außerhalb der durch den Streitgegenstand begrenzten Prozeßrechtsbeziehung einen Schaden erleidet, ist das gegnerische Verhalten nicht durch die 'Inanspruchnahme des Gerichts' gerechtfertigt. Eine Parteihandlung, die im Hinblick auf innerprozessuale Schäden gerechtfertigt ist, kann im Hinblick auf Schäden, die unabhängig vom Prozeßablauf entstehen, daher sehr wohl rechtswidrig sein.15 Was für die Außenwirkung des Prozesses auf die Rechtswidrigkeit von Verfahrenshandlungen gilt, läßt sich jedoch auch auf die Frage übertragen, inwieweit ein Schadensersatzanspruch auf prozessuales Fehlverhalten gestützt werden kann: Die Reichweite der Ersatzpflicht wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht endet wie die Reichweite der Rechtfertigung durch 'Inanspruchnahme des Gerichts' dort, wo ein Parteiverhalten zu nicht streitabhängigen, jenseits des Prozesses auftretenden Schäden geführt hat.16 Folgt man daher der Auffassung, daß die prozessuale Wahrheitspflicht als Schutznorm nur vor gerichtlichen Fehlentscheidungen schützen will 17 , scheidet ihre Verletzung als unmittelbare Haftungsgrundlage i.V.m. § 823 Abs.2 BGB für den Ersatz streitunabhängiger Begleitschäden aus. Hinsichtlich dieser vom Schutzzweck der prozessualen Wahrheitspflicht ausgeklammerten Schäden braucht die betroffene Partei jedoch nur dann Haftungsbeschränkungen zu befürchten, wenn eine Ersatzpflicht des Gegners nicht aus anderen Verhaltensanforderungen, die innerhalb und außerhalb des Prozesses gleichermaßen gelten, hergeleitet werden kann.

13

BGHZ 38, 333, 336; 57, 211, 214; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 580 Rn. 1. s. dazu bereits oben 1. Teil C. II. 1. b) bb); Fn. 99. 15 s. dazu Hellwig NJW 1968, 1072, 1073; vgl. auch Henckel, S. 297 Fn. 199. Vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1985, 1848, 1849, wonach anspruchsneutrale Angaben, d.h. solche, die den Ausgang des betreffenden Verfahrens unter keinen irgendwie gearteten rechtlichen Gesichtspunkten beeinflussen können, nicht von der prozessualen Wahrheitspflicht umfaßt werden, s. aber auch oben 2. Teil A Fn. 12 hinsichtlich eines Vergleichs- oder Beschlußschadens. 14

Β. Materielle Rechtskraft

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Wer durch wahrheitswidriges Prozeßvorbringen streitunabhängige Begleitschäden verursacht, verstößt damit regelmäßig zugleich gegen außerprozessuale Schutzgesetze.18 So begründen etwa Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre, Ehre oder Gesundheit einer Partei regelmäßig Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 1004 BGB bzw. 185, 223 ff. StGB. Mit diesen Eingriffen liegt zugleich eine Rechtsgutverletzung nach § 823 Abs.l BGB vor. Schließlich besteht im Falle einer vorsätzlichen, sittenwidrigen Schadenszufügung nach § 826 BGB unabhängig von der Art des erlittenen Schadens ein Ersatzanspruch.19 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Schutzzweck der prozessualen Wahrheitspflicht zwar auf die Vermeidung von Fehlentscheidungen beschränkt ist, hieraus resultierende Haftungslücken aber durch andere Verhaltensnormen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Prozesses gelten, geschlossen werden.

B. Materielle Rechtskraft Die Schadensersatzpflicht wegen unwahren Prozeßvorbringens erfahrt jedoch möglicherweise durch die verfahrensrechtlichen Regeln über die materielle Rechtskraft Beschränkungen. Wird im Verlaufe eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens eine Partei oder ein Angeklagter durch einen unwahren Parteivortrag oder eine Falschaussage geschädigt, stellt sich die Frage, ob der Geltendmachung des Schadens in einem Folgeprozeß nicht die Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung entgegensteht. Die primäre Wirkung der Rechtskraft ist darauf gerichtet, den Parteien zu verbieten, denselben Streitgegenstand oder sein kontradiktorisches Gegenteil noch einmal zurrichterlichen Entscheidung zu stellen ('ne bis in idem'). Darüber hinaus bindet eine rechtskräftige Entscheidung die Parteien auch in einem Folgeprozeß mit anderem Streitgegenstand, für den die entschiedene Rechtsfolge vorgreiflich ist. Da jede Verhandlung, Beweisaufnahme oder Entscheidung über das schon rechtskräftig festgestellte Tatbestandsmerkmal unzulässig ist, muß der Richter des Folgeprozesses die rechtskräftige Vorentscheidung über das präjudizielle Rechtsverhältnis seiner Entscheidung zugrunde

18

s. o b e n l . T e i l C . i l . 2. d). s. o b e n l . T e i l C . i l . 4. So die prozessuale Rechtskrafttheorie in ihrer herrschenden Ausprägung, s. BGHZ 36, 365, 367; Rosenberg/Schwab, § 152 II 2; Baumbach/Lauterbach//Hartmann, Einl. §§ 322-327 Rdn. 11; Zöller/Vollkommer, Vorb. § 322 Rdn. 19. 19

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legen.2 Eine auf Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht gestützte Schadensersatzklage scheitert an diesen Rechtskraftwirkungen jedoch nur dann, wenn die materielle Rechtskraft in ihren objektiven und subjektiven Grenzen tangiert ist.

I. Objektive Grenzen der materiellen Rechtskraft Nach § 322 Abs.l ZPO ist ein Urteil der materiellen Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den erhobenen Anspruch entschieden wird. Rechtsverhältnisse, die bei der Entscheidung mitgeprüft werden müssen, aber nicht Streitgegenstand sind, erwachsen dagegen nicht in Rechtskraft. 3 Die insoweit objektiv begrenzte Rechtskraft wird daher nicht tangiert, wenn in einem Folgeprozeß der Ersatz von Begleitschäden zur Entscheidung steht, die zwar anläßlich des ersten Rechtsstreits, aber unabhängig vom Ausgang desselben eingetreten sind.4 Wer etwa durch einen wahrheitswidrigen Parteivortrag des Prozeßgegners einen Rufschaden erlitten hat, kann die gegnerische Partei in einem nachfolgenden Prozeß ungeachtet der Rechtskraft des zuvor ergangenen Urteils auf Schadensersatz verklagen.5 Der Erfolg der Schadensersatzklage hängt nicht davon ab, ob die schadensauslösende Partei- oder Zeugenaussage der Entscheidung als wahr zugrunde gelegt wurde oder nicht. Diesbezügliche Feststellungen nehmen als bloße Entscheidungselemente nicht gesondert an der materiellen Rechtskraft der Entscheidung teil.6 Ein rechtskräftiges Urteil entfaltet im Hinblick auf streitunabhängige Begleitschäden daher auch dann keine Präjudizialität, wenn die geschädigte Partei in der Hauptsache unterlegen ist. Anders verhält es sich indes im Falle einer Schadensersatzklage, die auf den Ersatz streitabhängiger Schäden7 gerichtet ist. Behauptet der im Prozeß Unterlegene, durch ein rechtskräftiges, sachlich falsches Zivilurteil oder durch eine strafgerichtliche Fehlverurteilung geschädigt worden zu sein, müßte in dem nachfolgenden Prozeß zum Zwecke der Schadensfeststellung das Streitverhältnis des Vorprozesses zumindest teilweise wieder aufgerollt und neu beurteilt werden.8 Maßgeblich für den Erfolg der Schadensersatzklage ist die Feststellung, daß durch das im Vorprozeß ergangene Urteil ein Schaden ent-

2 Doderer, NJW 1991, 878 f.; Schack, NJW 1988, 865; Zeiss Rdn. 560; Zöller/Vollkommer, Vorb. § 322 Rdn. 19, 22 ff. Zeiss Rdn. 573.

4 5

8

Zu den nicht streitabhängigen Begleitschäden s. oben 1. Teil Α. I. 1. b). s. J. Blomeyer, S. 50; Gerold, S. 29; Häsemeyer, S. 141. Häsemeyer, S. 141. Zu den streitabhängigen Schäden s. oben 1. Teil Α. I. 1. a). s. auch Gerold, S. 29.

Β. II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft

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standen ist. Von einem Urteilsschaden kann aber nur dort die Rede sein, wo ein sachlich falsches Urteil erlassen wurde.9 Gerade an einer solchen auf die Richtigkeit der Entscheidung bezogenen Nachprüfung ist der Richter des nachfolgenden Verfahrens aufgrund der materiellen Rechtskraft gehindert. Eine nochmalige Prüfung der bereits rechtskräftig festgestellten Tatbestandselemente würde mit der Rechtskraft der Entscheidung kollidieren. Diese Bedenken hat ein Teil der Literatur mit der Überlegung auszuräumen versucht, daß durch den Schadensersatzprozeß der durch das frühere Urteil entstandene Schaden nur vermögensrechtlich ausgeglichen werden solle.10 Der Bestand der rechtskräftigen Entscheidung werde hierdurch nicht in Frage gestellt, da die Schadensersatzklage nur auf das prozessuale Fehlverhalten eines Verfahrensbeteiligten gestützt sei, nicht aber die Rechtsfrage des Vorprozesses zu wiederholter Entscheidung bringe.11 An das rechtskräftige Urteil müsse vielmehr gerade angeknüpft werden, um den entstandenen Schaden zu ermitteln.12 Die materielle Rechtskraft des Vorprozesses werde durch einen nachfolgenden Schadensersatzprozeß daher nicht tangiert.13 Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sie beruht auf einer formalen Betrachtungsweise, die sich an den unterschiedlichen Zielen der Restitutionsklage und der auf materielles Recht gestützten Schadensersatzklage orientiert. Erstere ist darauf gerichtet, die formelle Rechtskraft des Urteils zu beseitigen. Eine Schadensersatzklage läßt das Urteil dagegen formell bestehen. Dieser Umstand kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch im letzteren Fall die rechtskräftige Entscheidung materiell umgestoßen werden soll.14 Der Erfolg einer solchen Schadensersatzklage setzt notwendigerweise die Feststellung voraus, daß die geschädigte Partei infolge des Fehlurteils eine materiell ungerechtfertigte Rechtseinbuße erlitten hat. Diese Feststellung soll durch die Rechtskraft des Urteils aber gerade verhindert werden. Eine Kollision mit den objektiven Rechtskraftgrenzen läßt sich daher nicht leugnen.15

II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft Die subjektiven Rechtskraftgrenzen werden durch § 325 Abs.l ZPO bestimmt. Danach entfaltet das rechtskräftige Urteil seine Wirkung grundsätzlich nur zwischen den Parteien. Nach dem formellen Parteibegriff sind Partei9 10 11 12 13 14

s. oben 1. Teil Α. I. 1. a) aa). s. Hercher,S. 159. Kress, S. 74; vgl. auch Dölle, Festschrift ftir Riese, S. 279, 293 Fn. 37. Kress, S. 74. Benkendorff, DRiZ 1934, 205, 207; Eisele, S. 69 f.; Roth, JW 1937, 452; Wildermuth, S. 27. s. auch Gerold, S. 30. Ebenso Jaquet, S. 76.

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en diejenigen Personen, die als Kläger oder als Beklagter am Prozeß mitwirken.16 Der Erfolg einer auf Ersatz des Urteilsschadens gerichteten Klage scheint demnach davon abzuhängen, gegen welchen Verfahrensbeteiligten die Schadensersatzklage gerichtet ist.

1. Zeugen Der von dem formellen Parteibegriff ausgegrenzte Zeuge könnte sich gegenüber einer Schadensersatzklage nur dann mit dem Hinweis auf die Rechtskraft des Fehlurteils verteidigen, wenn von der in § 325 Abs.l ZPO angeordneten inter-partes-Wirkung eine Ausnahme zu machen wäre.

a) Lehre von der Drittwirkung

der Rechtskraft

Nach der Lehre von der Drittwirkung der Rechtskraft gilt die zwischen den Parteien getroffene gerichtliche Entscheidung auch im Verhältnis zu solchen Dritten als richtig, denen gegenüber das Rechtsverhältnis des Vorprozesses Wirkungen äußert.17 Für den auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Zeugen ist das rechtskräftig entschiedene Rechtsverhältnis im Hinblick auf die Frage von Bedeutung, ob dem Kläger durch den Vorprozeß überhaupt ein Schaden entstanden ist. Angesichts dieser Vorgreiflichkeit könnte sich der Zeuge seiner Haftung unter Berufung auf die Rechtskraft der von ihm pflichtwidrig herbeigeführten Entscheidung entziehen. Die Lehre von der Drittwirkung der Rechtskraft ist jedoch mit der herrschenden Meinung abzulehnen.18 Bereits der Wortlaut des § 325 Abs.l ZPO gibt eindeutig zu verstehen, daß Dritte an den Rechtskraftwirkungen eines Urteils grundsätzlich nicht teilhaben sollen. Wollte man die Rechtskraft aber gegenüber jedem Dritten wirken lassen, für den das rechtskräftig entschiedene Rechtsverhältnis Wirkungen äußert, würde der in § 325 Abs.l ZPO ausgesprochene Grundsatz in sein Gegenteil verkehrt. Sofern ein rechtskräftig entschiedenes Rechtsverhältnis aus einem Vorprozeß gegenüber einem Dritten, der Partei eines nachfolgenden Verfahrens ist, keine Wirkung entfaltet, stellt sich mangels Präjudizialität erst gar nicht die Frage nach den subjektiven

16 Schreiber, Parteien des Zivilprozesses, LDR, S. 1; Wittschier, Rdn. 11; Schellhammer, Rdn. 1168; Zeiss Rdn. 125; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, Grdz. § 50 Rdn. 2; Zöller/Vollkommer, Vorb. § 50 Rdn. 2. 17 Schwab, ZZP 77, 124, 160; Rosenberg/Schwab, § 157 II. 18 s. J. Blomeyer, S. 215, mit weiteren Nachweisen; Schack, NJW 1988, 865, 872, mit weiteren Nachweisen in Fn. 151.

Β. II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft

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Grenzen der Rechtskraft. Diese Frage erlangt überhaupt nur, aber stets gerade dann Bedeutung, wenn das präjudizielle Rechtsverhältnis gegenüber dem Dritten Wirkungen entfaltet. Allein in diesem Falle kann sich die spätere Entscheidung zu der des Vorprozesses in Widerspruch setzen. Somit würde die Rechtskraftwirkung gegenüber Dritten zur Regel erklärt. Die Lehre von der Drittwirkung der Rechtskraft muß sich schließlich entgegenhalten lassen, daß in der von ihr behaupteten "absoluten Geltung der relativen Feststellung"19 einer rechtskräftigen Entscheidung eine heimliche Rückkehr zur überwundenen materiellrechtlichen Rechtskrafttheorie liegt, derzufolge das unrichtige Urteil die materielle Rechtslage umgestalten sollte. Eine solche Auffassung ist angesichts des in Art. 103 Abs. 1 GG enthaltenen verfassungsrechtlichen Gebots, dem Dritten rechtliches Gehör zu verschaffen, heutzutage nicht mehr vertretbar. 20

b) Lehre von der Rechtskrafterstreckung

auf Dritte

Von anderer Seite wird vertreten, die Rechtskraft des Urteils in besonders zu begründenden Einzelfallen auf Dritte zu erstrecken.21 Der Grundsatz der inter-partes-Wirkung müsse dort eine Ausnahme erfahren, wo ein spezielles Bedürfnis nach einer Erweiterung der subjektiven Rechtskraftgrenzen bestehe. Eine Rechtskrafterstreckung sei unter anderem dann interessengerecht, wenn das Rechtsverhältnis eines Dritten zu einer der Parteien des Vorprozesses durch die entschiedene Rechtslage begünstigt werde.22 In Anlehnung hieran befürwortet Hopt eine Rechtskrafterstreckung auf Zeugen.23 Wie die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahren zeigten, sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Wahrheit im Verfahren selbst geklärt werde und daß mit Ergehen eines rechtskräftigen Endurteils Rechtsfriede herrschen solle, sofern nicht ausnahmsweise ein Wiederaufnahmegrund vorliege.24 Eine Erstreckung der Rechtskraft auf Zeugen dränge sich daher aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens auf. Folgte man dieser Auffassung, könnte die im Prozeß Unterlegene Partei einen Zeugen wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht nicht in Anspruch nehmen.25

19 20

21 22 23 24 25

Schwab, ZZP 77, 124, 132 ff, 160. Schack, NJW 1988, 865, 872. s. A. Blomeyer, §§91, 93, mit weiteren Nachweisen. A. Blomeyer ZZP 75, 10 f.; Bettermann, S. 79 ff, 88. Hopt, S. 296. Hopt, S. 295 f. s. Hopt, S. 295.

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Der von Hopt eingeschlagene Weg kann jedoch nicht überzeugen. Da die materielle Rechtskraft nicht materiell-rechtlichen, sondern prozessualen Zwecken dient, sollte eine Rechtskrafterstreckung gegenüber Dritten auf die prozessual notwendigen Fälle beschränkt sein.26 Zwar führt auch Hopt prozessuale Gründe an, indem er behauptet, daß eine Rechtskrafterstreckung auf Zeugen aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens geboten sei. Dahinter verbirgt sich jedoch die Befürchtung, andernfalls eine als unbillig empfundene Haftung von Zeugen in Kauf nehmen zu müssen.27 Bei dem Versuch, die in der Haftungsfrage erwünschten Ergebnisse mit einer Rechtskrafterstreckung auf Zeugen dogmatisch zu untermauern, zieht Hopt daher materiellrechtlichen Erwägungen ein "prozessuales Rechtskraftmäntelchen" 28 über. Gegen eine Rechtskrafterstreckung auf Zeugen spricht ferner allgemein, daß das Verlustrisiko für die unterlegene Partei unabsehbar würde, wenn man die Rechtskraft immer zugunsten Dritter wirken ließe.29 Eine Erweiterung der subjektiven Rechtskraftgrenzen gegenüber Zeugen ist deshalb abzulehnen. Die Haftung eines Zeugen wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht wird durch die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen demnach nicht begrenzt.

2. Parteivortrag Die subjektiven Rechtskraftgrenzen sind hingegen tangiert, wenn der im Prozeß Unterlegene von der gegnerischen Partei mit der Begründung Schadensersatz verlangt, daß letztere während ihres Parteivortrags unter Verstoß gegen die in § 138 Abs.l ZPO normierte Wahrheitspflicht falsche Behauptungen aufgestellt habe. Einer gegen die obsiegende Partei gerichteten Schadensersatzklage steht daher grundsätzlich die Rechtskraft des Ersturteils entgegen.30 Bei der Rechtskraft handelt es sich jedoch um kein unzerstörbares Dogma, sofern ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO vorliegt.31 Da § 138 Abs.l ZPO nur bewußt falsches Prozeßvorbringen mißbilligt32, macht sich eine Partei, die durch ihren wahrheitswidrigen Parteivortrag zum Nachteil des Gegners ein 26 27 28 29 30 31 32

Schack, NJW 1988, 865, 871 f. s. auch J. Blomeyer, S. 216; Klopfer, S. 92. Schack, NJW 1988, 865, 871. Schack, NJW 1988, 865, 872. s. auch Schreiber, ZZP 105, 129, 143 f. Schreiber, ZZP 105, 129, 144. s. oben 1. Teil A. II. l . b ) .

Β. II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft

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Fehlurteil erwirkt hat, regelmäßig des Prozeßbetruges gem. § 263 Abs. 1 StGB schuldig.33 Die Rechtskraft des auf einer solchen Straftat beruhenden Urteils kann nach § 580 Nr. 4 ZPO im Wege der Wiederaufnahmeklage beseitigt werden. Seit der zur Klage aus § 826 BGB ergangenen Rechtsprechung ist anerkannt. daß dieses Ziel auch mit Mitteln des materiellen Rechts erreicht werden kann. In Anknüpfung an die Rechtsprechung des RG35 hält der BGH eine Durchbrechung der Rechtskraft über eine Schadensersatzklage nach § 826 BGB für zulässig, wenn der Titelgläubiger eine falsche Entscheidung erschlichen hat oder einen nicht erschlichenen Titel in Kenntnis seiner Unrichtigkeit nachträglich sittenwidrig ausnutzt.36 In diesen besonders gelagerten Fällen sei es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar, daß die obsiegende Partei ihre formelle Rechtsstellung unter Mißachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutze. Der Grundsatz der Rechtskraft, der dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit diene, müsse unter eng begrenzten Voraussetzungen daher ausnahmsweise zurückstehen. Dies soll insbesondere für den Fall gelten, daß eine Partei ihren Gegner durch einen wissentlich unwahren Vortrag in sittenwidriger Weise37 schädigt.38 Läßt man mit der Rechtsprechung einen Rückgriff auf § 826 BGB im Falle der Urteilserschleichung zu, so bestehen keine Bedenken, die für die Durchbrechung der Rechtskraft geltenden Grundsätze auf die allgemeinen Deliktstatbestände des § 823 Abs.l und 2 BGB auszudehnen.39 § 138 Abs.l ZPO verbietet nur die bewußte Prozeßlüge, die als Prozeßbetrug gem. § 263 StGB unter Strafe gestellt ist. Zumindest im Hinblick auf den abschließenden Charakter der in § 580 ZPO aufgeführten Restitutionsgründe (s. § 580 Nr.4 ZPO i.V.m. § 263 StGB) stellt weder die Schadensersatzklage aus § 826 BGB noch die aus § 823 Abs. 1 oder Abs.2 BGB eine unzulässige Ausdehnung des Wiederaufnahmerechts dar.40 Im Falle einer Schadensersatzklage, die anläßlich eines vorsätzlich falschen Parteivortrags erhoben wird, zessiert somit die Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozeß. Die Inanspruchnahme einer Prozeßpartei wegen Verletzung der

33

34

s. oben 1. Teil C. II. 2. d).

s. dazu Prütting, S. 31 ff, mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung und Stellungnahme3 der Literatur. 5 s. zuletzt RGZ 163, 287; 165, 26; 168, 1. 36 So die standige Rechtsprechung, s. BGH NJW 1951, 759; BGHZ 40, 130, 132; BGH NJW 1964, 1672, 1673; BGHZ 50, 115, 117 f.; BGH NJW 1974,557; 1987, 3256, 3257. s. dazu bereits oben 1. Teil C. II. 4. 38

Vgl. MünchKomm./Gottwald, ZPO, § 322, Rdn. 207 f. Ebenso Benkendorff, DRiZ 1934, 205, 207; Hercher, S. 158 ff, 163; Weigelt, DJZ 1934, 533, 534j vgl. auch Hopt, S. 295 Fn. 2. Zur Vereinbarkeit mit den weiteren Einzel Voraussetzungen der Restitutionsklage (§§ 581, 582, 586 ZPO) s. unten 2. Teil C. II. 39

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prozessualen Wahrheitspflicht scheitert daher nicht an der Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung.41

3. Parteivernehmung Bei rein formaler Betrachtung sind die in § 325 Abs.l ZPO festgelegten subjektiven Rechtskraftgrenzen auch dann tangiert, wenn wegen einer Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht, die im Rahmen der Parteivernehmung begangen wurde, auf Schadensersatz geklagt wird. Daß der formelle Parteibegriff unabhängig von der Funktion gilt, welche die Partei im Prozeß wahrnimmt, zeigt die Definition zur Parteivernehmung. Hierunter wird die Abnahme einer mündlichen Aussage von einer Partei im formellen Sinne vor dem Gericht über einen bestimmten Gegenstand verstanden.42 Eine Schadensersatzklage hätte demnach allenfalls dann Aussicht auf Erfolg, wenn die vernommene Partei die Wahrheitspflicht in strafbarer Weise, also vorsätzlich oder unter Eid schuldhaft verletzt hat. Denn nur fur diese Fälle sieht die Zivilprozeßordnung in § 580 Nr. 1 und Nr.4 ZPO43 die Möglichkeit vor, im Wege der Restitutionsklage die Beseitigung des rechtskräftigen Urteils zu erwirken. 44 Im Falle nicht strafbewehrter Verstöße gegen die prozessuale Wahrheitspflicht bedeutete die Rechtskraft für einen nachfolgenden Schadensersatzprozeß dagegen ein unüberwindbares Hindernis. Für den Bereich fahrlässigen Handelns hinge die Schadensersatzpflicht der vernommenen Partei somit von dem zufalligen Umstand ihrer Beeidigung ab.45 Da der Nachweis einer vorsätzlichen Falschaussage nur selten gelingt und die Partei in der zivilprozessualen Praxis grundsätzlich uneidlich vernommen wird 46 , müßte die Schadensersatzklage in den praktisch relevanten Fällen an der Rechtskraft der Entscheidung scheitern. Die Haftungssituation der vernommenen Partei scheint gegenüber der des Zeugen demnach deutliche Unterschiede aufzuweisen. Dieses Ergebnis überrascht, wenn man bedenkt, daß es sich bei beiden Verfahrensbeteiligten um Beweispersonen handelt. Es besteht daher Anlaß zu einer genaueren Untersuchung der Frage, ob eine Partei auch in ihrer Funkti-

41

s. aber sogleich unten 2. Teil C. II. zum Verhältnis zwischen Schadensersatz- und Restitutions·

klage. Wittschier, Rdn. 13. I.V.m. §§ 154, 163 bzw. 263 StGB. 44 Vgl. dazu bereits die Ausführungen auf S. 96 f. 45 s. auch Schreiber, ZZP 105, 129, 144. 46 Wittschier, Rdn. 207. 43

Β. II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft

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on als Beweismittel im Rahmen der Parteivernehmung nach den §§ 445 ff. ZPO von den subjektiven Rechtskraftgrenzen erfaßt wird. Wenn in § 325 Abs.l ZPO die Rede von den Parteien ist, so handelt es sich dabei nach dem formellen Parteibegriff 17 um diejenigen Personen, die im Prozeß als Kläger oder Beklagter auftreten. In dieser Eigenschaft bedienen sich die Parteien des Parteivortrags, der bei Unstimmigkeiten durch eine nach § 141 Abs.l ZPO angeordnete Anhörung klargestellt und ergänzt werden kann. Die anläßlich einer Parteianhörung gemachten Angaben werden nicht Bestandteil des Beweisstoffes, sondern dienen der Beschaflung und Klarstellung des Streitstofifes. Hiervon scharf zu unterscheiden sind Parteierklärungen, die im Rahmen einer Parteivernehmung gem. den §§ 445 ff. ZPO abgegeben werden. Die Befragung bei der Parteivernehmung dient dem Beweis streitiger Behauptungen, die sich etwa aus der Anhörung der Parteien ergeben können.48 Die Parteianhörung und Parteivernehmung lassen sich neben ihren unterschiedlichen Funktionen auch in formaler Hinsicht voneinander abgrenzen. Während erstere jederzeit erfolgen kann und regelmäßig vor der Beweisaufnahme stattfindet, darf letztere wegen der in § 445 Abs. 1 ZPO angeordneten Subsidiarität erst nach der übrigen Beweisaufnahme und nur auf Antrag der beweisbelasteten Partei (§ 445 ZPO), mit Zustimmung des Gegners (§ 447 ZPO) oder in den engen Grenzen des § 448 ZPO von Amts wegen durchgeführt werden. Im Gegensatz zur formlos angeordneten Parteianhörung erfordert die Parteivernehmung einen formellen Beweisbeschluß (§ 450 Abs.l S.l ZPO) und wird gem. § 160 Abs.3 Nr.4 ZPO protokolliert. Ein weiterer Unterschied besteht in der Anordnung des persönlichen Erscheinens, die bei der Parteianhörung formlos geschehen kann (§ 141 Abs.2 S.2 ZPO), bei der Parteivernehmung hingegen der formlichen Zustellung (§ 450 Abs.l S.2 ZPO) bedarf. Schließlich ist bei der Parteivernehmung in § 452 ZPO die Möglichkeit einer Beeidigung vorgesehen, während der Parteianhörung das Institut der Beeidigung fremd ist. Neben der gesetzlichen Konzeption gibt auch der entstehungsgeschichtliche Hintergrund Aufschluß über die unterschiedliche Rechtsnatur von Parteianhörung und Parteivernehmung. Letztere trat mit der ZPO-Novelle vom 27.10.1933 an die Stelle des Parteieides49, der als Relikt des Gemeinen Prozesses aufgrund seines religiösen Charakters mit formeller Beweiskraft ausgestattet war. 50 Obwohl mit Einführung der Partei Vernehmung ein neues, frei zu würdigendes Beweismittel zur Sachverhaltsfeststellung zur Verfügung stand, wurde die ältere, bereits in § 132 der CPO von 1877 geregelte Parteiarihörung 47 48

Zum Parteibegriff s. bereits oben 2. Teil Β. II. Meyke, MDR 1987, 358, 359; Wittschier, Rdn. 17. s. die Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. 635 ff. Näheres dazu bei Brüggemann, S. 59, und Polyzogopoulos, S. 54 ff.

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beibehalten. Es gab also nunmehr zwei Institute, die das Parteiwissen auszunutzen vermochten. Dies aber legt den Schluß nahe, daß der Gesetzgeber die Parteivernehmung von der Parteianhörung deutlich abgegrenzt wissen wollte51, da die Existenz zweier identischer Institute den Grundsätzen eines ökonomisch ausgerichteten Verfahrensrechts widersprechen würde.52 Ungeachtet der tatsächlichen Schwierigkeiten, diese dogmatischen Konturen in der Praxis einzuhalten53, ist daher festzustellen, daß sich die Parteivernehmung und Parteianhörung im Systemgefuge der ZPO wesentlich voneinander unterscheiden.54 Entsprechend dieser systematischen Trennung sind im Zivilprozeß zwei unterschiedliche Parteirollen vorgesehen: bei der Parteivernehmung fungiert die Partei als Beweisobjekt, bei der Parteianhörung dagegen, im allgemeinen Rahmen ihrer Eigenschaft als Prozeßsubjekt, als Auskunftsperson. 5 Daß die Partei bei ihrer Vernehmung nicht die Stellung eines Prozeßsubjekts innehat, folgt auch daraus, daß sie im Anwaltsprozeß nicht von ihrem Prozeßvertreter begleitet werden muß, ohne der Gefahr eines Versäumnisurteils ausgesetzt zu sein.56 Wenn demnach die Partei bei der Vernehmung nicht als Prozeßsubjekt, sondern vielmehr als Beweisobjekt fungiert, kommt insoweit auch nicht der formelle Parteibegriff zum Tragen. In ihrer Funktion als Beweisobjekt handelt die Partei gerade nicht als Kläger oder Beklagter, der sein Recht durchzusetzen versucht, sondern vielmehr als Zeuge in eigener Sache.57 Der nahen Verwandtschaft zwischen einer vernommenen Partei und einem Zeugen hat der

Daß in den Materialien zu diesem Punkt geschwiegen wird, kann nur so verstanden werden, daß der Gesetzgeber ein selbständiges Nebeneinander von Parteianhörung und Parteivemehmung fur selbstverständlich hielt. Dieser Auslegung folgen auch die Befürworter einer Verschmelzung der §§ 141, 445 ff. ZPO zu einem einheitlichen Institut, welche die gesetzgeberische Konzeption nach der Novelle vom 27.10.1933 für rechtspolitsich verfehlt halten: Der 'sonderbare Parallelismus' (vgl. Polyzogopoulos, S. 118, 139) sei darauf zurückzuführen, daß der Gesetzgeber die für das Verhältnis der Parteierklärungen zum gestabten Parteieid entwickelte Abgrenzungslehre auch für das an seine Stelle getretene Verhältnis der Parteianhörung zur Parteivemehmung übernommen habe. Der Gesetzgeber habe dabei jedoch übersehen, daß mit dem Wegfall der formellen Beweiskraft des früheren Parteieids und seiner Ersetzung durch die frei zu würdigende Parteivernehmung zugleich die Notwendigkeit entfallen sei, die Parteianhörung und Parteivernehmung unterschiedlich zu behandeln. Die derzeitige Regelung sei daher künftig (!) in der Richtung zu verbessern, daß die Parteianhörung mit der Parteivemehmung verschmolzen werde (Polyzogopoulos, S. 138 ff. mit weiteren Nachweisen). Zur funktionellen Abgrenzung beider Institute s. auch RG JW 1936, 45 f. mit Anm. Roquette; Glücklich, S. 193 ff. 52

S.auch Polyzogopoulos, S. 119. Zur gerichtlichen Praxis, die Parteianhörung auch zur Klärung streitigen Vorbringens einzusetzen^. Brüggemann, S. 381 ff., und Meyke, MDR 1987, 358, 359. 4 S.auch Brüggemann, S. 381; Nelte, S. 39 f.; Polyzogopoulos, S. 118 ff 55 Polyzogopoulos, S. 75, 119; s. auch Häsemeyer S. 134 Fn. 24, S. 166 Fn. 67, S. 167 Fn. 70. s. Polyzogopoulos, S. 75. Vgl. auch den von Nelte verwendeten Begriff der "zeugenschaftlichen Parteivemehmung" (S. 41).

. III. Zusammenfassung

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Gesetzgeber unter anderem dadurch Rechnung getragen, daß er in § 451 ZPO zahlreiche Vorschriften über die Zeugenvernehmung auf die Parteivernehmung für entsprechend anwendbar erklärt. Hinzu kommt, daß eine falsche Vernehmung der Partei als Zeuge oder des Zeugen als Partei als heilbar (§ 295 Abs.l ZPO) betrachtet wird. 58 Angesichts dieser Vergleichbarkeit beider Beweispersonen ist es geboten, die Partei für die Dauer ihrer Vernehmung einem Zeugen auch im Hinblick auf die subjektiven Rechtskraftgrenzen gleichzustellen. Wird letzterer von den in § 325 Abs.l ZPO aufgestellten Grenzen nicht erfaßt 59, so kann für die Partei im Rahmen der Beweisaufnahme nach den § 445 ff. ZPO demnach nichts anderes gelten. Eine Schadensersatzklage, die auf das Fehlverhalten einer Partei während ihrer Vernehmung in einem Vorprozeß gestützt ist, scheitert daher auch dann nicht an der Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung, wenn sich die Partei bloß eines nicht strafbewehrten Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat.

III. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich daher festhalten, daß die materielle Rechtskraft der vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung einer Inanspruchnahme von Zeugen und Parteien wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht nicht entgegensteht. Der Ersatz streitunabhängiger Begleitschäden60 vollzieht sich bereits außerhalb der durch § 322 Abs.l ZPO festgelegten objektiven Grenzen der Rechtskraft. Dagegen sind die objektiven Rechtskraftgrenzen tangiert, wenn Schadensersatz wegen streitabhängiger Schäden61 begehrt wird. Stützt sich eine solche Schadensersatzklage auf eine von einem Zeugen begangene Wahrheitspflichtverletzung, wird die in § 325 Abs.l ZPO angeordnete inter-partesWirkung der Rechtskraft nicht beeinträchtigt. Gleiches gilt für den Fall, daß die Wahrheitspflichtverletzung von einer Partei im Laufe ihrer Vernehmung begangen wurde, da Parteien in ihrer Funktion als Beweismittel ebenso wie Zeugen von der Rechtskraftwirkung des § 325 Abs. 1 ZPO ausgenommen sind. Die subjektiven Rechtskraftgrenzen sind hingegen tangiert, wenn Schadensersatz wegen eines wahrheitswidrigen Parteivortrages verlangt wird. Auch hier scheitert die Inanspruchnahme der Partei aber nicht an der materiellen Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung, da die Rechtskraft wegen 58

BGH W M 1968, 1099, 1100; 1977, 1007, 1008. s. dazu oben 2. Teil B. II. 1. s. dazu oben 1. Teil A I . l . b). s. dazu oben 1. Teil Α. I. 1. a).

7 Prange

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Vorliegens eines Restitutionsgrundes nach § 580 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 263 StGB zessiert.62

C. Mitverschulden des Geschädigten Zu prüfen bleibt, inwieweit sich auf den Umfang des Schadensersatzanspruchs, der wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht zu leisten ist, gem. § 254 BGB ein Mitverschulden des geschädigten Prozeßbeteiligten anspruchsmindernd auswirken kann. Bei der Rechtsverfolgung und Verteidigung erhebt sich vor allem die Frage, welche zumutbaren rechtlichen Maßnahmen der Geschädigte im Laufe oder nach Abschluß des Verfahrens zur Schadensabwendung oder -minderung hätte treffen können. Damit ist eine in § 254 Abs.2 S.l BGB geregelte Form des Unterlassungsverschuldens angesprochen, die als besonderer Anwendungsfall des § 254 Abs.l BGB dessen allgemeinen Grundsätzen unterliegt.1

I. Klage auf Widerruf oder Unterlassung wahrheitswidriger Parteibehauptungen oder Falschaussagen Möglicherweise lassen sich Schäden, die aus unwahren Parteibehauptungen oder Falschaussagen erwachsen, mittels einer auf Widerruf oder Unterlassung gerichteten Klage abwenden. Im Hinblick auf die Vermeidung von Urteilsschäden entfallt für die Verfahrensparteien bereits das Rechtsschutzinteresse für eine solche Klage. Mit ihr soll erreicht werden, daß sich der wahrheitswidrige Vortrag oder die Falschaussage des Prozeßgegners oder Zeugen nicht in einem für die Partei nachteiligen Fehlurteil niederschlägt. Das mit einem derartigen Parallelprozeß verfolgte Rechtsschutzziel läßt sich aber ebensogut auf innerprozessualem Wege verwirklichen. Ein als unwahr erkannter Parteivortrag des Prozeßgegners kann von der Partei bestritten und vom Gericht als unbeachtlich übergangen werden. Auch gegenüber Falschaussagen steht der Partei die Möglichkeit offen, Einwendungen gegen die Glaubhaftigkeit von Zeugen- und Parteibekundungen zu erheben und ihre abweichende Ansicht vorzutragen.2 Ferner ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das Gericht den Beweiswert der Zeugenund Parteiaussagen im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung 62

s. aber sogleich unten 2. Teil C. II. zum Verhältnis zwischen Schadensersatz- und Restitutions-

klage. s. Lange, S. 535 f., 576; Erman/Kuckuk, § 254 Rdn. 53; Palandt/Heinrichs, § 254 Rdn. 32. J. Blomeyer, S. 204.

C. I. Klage auf Widerruf oder Unterlassung

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richtig einzuschätzen vermag.3 Sofern es dabei einen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht feststellt, hat es das auf die Falschaussage gestützte Prozeßbegehren abzuweisen.4 Durch ein gegen den Prozeßgegner oder Zeugen erwirktes Urteil auf Widerruf oder Unterlassung wäre der Richter des ursprünglichen Verfahrens im übrigen nicht der Pflicht enthoben, die Glaubhaftigkeit der strittigen Aussage selbständig zu würdigen5, da nicht deren Unrichtigkeit, sondern nur der Anspruch des Klägers auf Widerruf oder Unterlassung rechtskräftig festgestellt würde.6 Indes ist bei der Verhinderung von Schäden, die über den Prozeß hinausgreifen 7, ein Bedürfnis fur eine selbständige Klage, mit welcher der Widerruf oder die Unterlassung ehr- oder persönlichkeitsverletzender Äußerungen oder geschäftsschädigender Behauptungen verlangt wird, nicht von der Hand zu weisen. Mit innerprozessualen Mitteln allein kann nämlich nicht vermieden werden, daß der unwahre Parteivortrag oder die Falschaussage an die Öffentlichkeit dringen und einer Prozeßpartei hierdurch Nachteile entstehen. Die schädigenden Behauptungen oder Bekundungen stehen auch dann weiter im Raum, wenn der Richter ihnen keinen Glauben schenkt und sie deshalb bei seiner Entscheidung unberücksichtigt läßt. Abhilfe könnte nur ein Parallelprozeß schaffen, in dem auf Widerruf oder Unterlassung geklagt wird. Wenngleich dieses Rechtsschutzinteresse sowohl im Hinblick auf einen unwahren Parteivortrag als auch im Hinblick auf eine Falschaussage besteht, wird ein Widerrufs- oder Unterlassungsanspruch nur gegenüber schädigenden Prozeßbehauptungen der gegnerischen Partei8, nicht aber gegenüber Falschbekundungen eines Zeugen oder der vernommenen Partei anerkannt.9 Der Grund für diese Differenzierung liegt in den unterschiedlichen Anforderungen an den Verschuldensgrad, bei dem eine pflicht- und somit rechtswidrige Prozeßbehauptung vorliegt. Im Rahmen des Parteivortrags ist ein Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nur im Falle einer bewußten Prozeßlüge

3

s. BGH NJW 1965, 1803. J. Blomeyer, S. 52. 5 s. BGH NJW 1965, 1803. J. Blomeyer, S. 204. 7 Zu den streitunabhängigen Begleitschäden s. oben 1. Teil Α. I. 1. b) und 2. b). 8 Baumgärtel, Festschrift für Schima, S. 41, 54 f f ; J. Blomeyer, S. 51 f. 9 RG Seuffert's Archiv 69 (1914), 196, 198; BGH NJW 1965, 1803; 1971, 1749; 1986, 2502, 2503; OLG Hbg. MDR 1947, 266, 267; OLG München NJW 1971, 618; J. Blomeyer, S. 205 f.; J. Helle, NJW 1987, 233; ders., GRUR 1982, 207 ff; Walter, JZ 1986, 1057, 1058; a.A. Hoffmann, S. 204 f. Über die dogmatische Einordnung dieses Anspruchsausschlusses besteht Unklarheit. Eine Widerrufs- oder Unterlassungsklage wird teilweise bereits als unzulässig abgelehnt, indem die Einklagbarkeit der Prozeßpflichten oder aber das Rechtsschutzinteresse geleugnet werden. Andere halten die materiellrechtlichen Voraussetzungen eines negatorischen Anspruchs für nicht erfüllt, weil Äußerungen in rechtlich geordneten Verfahren schon tatbestandlich keine Ehrverletzung darstellen könnten, zumindest aber gerechtfertigt seien. Zum Meinungsstand s. Helle, GRUR 1982, 207, 211 f.

τ

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denkbar.10 Dagegen verstößt eine Beweisperson gegen die ihr auferlegte Wahrheitspflicht bereits dann, wenn sie in ihrer Aussage das ihr reproduzierbare Wissen nicht richtig oder unvollständig wiedergibt, ohne daß es auf ein Verschulden ankäme.11 Eine Widerrufs- oder Unterlassungsklage wegen unwahrer rufschädigender Aussagen von Beweispersonen hätte somit vor allem in Strafprozessen ein unübersehbar weites Anwendungsfeld. Ihre Zulassung brächte für den ursprünglichen Prozeß eine empfindliche Störung mit sich. Zwar wäre der Richter bei seiner Beweiswürdigung nicht an ein etwaiges, der Widerrufs- oder Unterlassungsklage stattgebendes Urteil gebunden. Es ließe sich jedoch nicht vermeiden, daß seine Überzeugungsbildung durch die Einschätzung der strittigen Aussage im Parallelprozeß faktisch beeinflußt wird. 12 Scheidet eine Klage auf Widerruf oder Unterlassung wahrheitswidriger Aussagen von Beweispersonen demnach aus, kann der geschädigten Partei insoweit auch kein Mitverschulden gem. § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB vorgeworfen werden. Gegenüber einer Klage, die auf Ersatz der durch einen bewußt unwahren Parteivortrag hervorgerufenen Begleitschäden gerichtet ist, kann der Schädiger dagegen im Einzelfall einwenden, daß der Geschädigte die Einreichung einer Widerrufs- oder Unterlassungsklage versäumt hat. Ein solches Unterlassen wirkt sich nach § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB aber nur haftungsreduzierend aus, wenn dem Geschädigten ein Parallelprozeß unter Berücksichtigung der zu erwartenden Aufwendungen und Erfolgsaussichten zumutbar ist. Da zudem nach § 254 Abs.l a.E. BGB, dessen Grundsätze zugleich für Abs.2 maßgeblich sind13, neben dem Grad der beiderseitigen Verursachung auch das Maß des beiderseitigen Verschuldens gegeneinander abzuwägen ist14, bildet eine Minderung des Schadensersatzumfangs zum Nachteil des Geschädigten eher eine Ausnahme. Im Rahmen des Mitverschuldens bleibt jedoch stets zu erwägen, ob der Geschädigte dem Schadensverlauf durch Ausschöpfung aller innerprozessualen Mittel hätte entgegenwirken können.15 Hat er etwa versäumt, gegenüber den ungünstigen Prozeßbehauptungen und Bekundungen anderer seine abweichende Auffassung vorzutragen, um eine ihm nachteilige richterliche Überzeugungsbildung zu verhindern, und stattdessen den Prozeß treiben lassen, ist der Umfang des Schadensersatzanspruchs gem. § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB zu mindern. 10

s. oben 1. Teil A l l . l . b ) . s. oben 1. Teil A l l . 3. b). 12 s. auch J. Blomeyer, S. 206. Erman/Kuckuk, § 254 Rdn. 53; Palandt/ Heinrichs, § 254 Rdn. 32; s. auch oben 2. Teil C. 14 s. dazu Palandt/Heinrichs, § 254 Rdn. 45 f. 15 Vgl. LG Ansbach NJW 1956, 1205, 1206; s. auch Fenn ZHR 132, 344, 369. 11

C. II. Einlegung von Rechtsmitteln und Wiederaufnahme des Verfahrens

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II. Einlegung von Rechtsmitteln und Wiederaufnahme des Verfahrens Eine nach § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB zu berücksichtigende Mitverantwortung für Urteilsschäden kann sich auch daraus ergeben, daß die Partei von den ihr zustehenden Rechtsbehelfen keinen Gebrauch gemacht hat.16 Entsprechend der Reichweite subjektiver Rechtskraftgrenzen zeigt ein solcher Nichtgebrauch jedoch unterschiedliche Wirkungen, je nachdem, ob von einer Beweisperson oder von der vortragenden Prozeßpartei Schadensersatz wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht verlangt wird.

I. Schadensersatz wegen unwahrer Aussagen von Beweispersonen Die Ausführungen zur Reichweite subjektiver Rechtskraftgrenzen haben gezeigt, daß die materielle Rechtskraft nicht gegenüber Zeugen wirkt. 17 Die Möglichkeit, einen Zeugen auf Ersatz des Urteilsschadens zu verklagen, besteht daher unabhängig von der unterbliebenen oder erfolgslosen Durchsetzung einer Wiederaufnahme des Verfahrens. 18 Die geschädigte Partei braucht also nicht erst die Aufhebung des Urteils im Wege der Wiederaufnahme zu erwirken, wenn sie den Zeugen wegen des Urteilsschadens in Anspruch nehmen will. Ebensowenig ist sie durch den Mißerfolg eines Wiederaufnahmeverfahrens, das sie unter Berufung auf strafbares Fehlverhalten des Zeugen betrieben hat, daran gehindert, anschließend gegen den Zeugen ein Schadensersatzverfahren anzustrengen. Für eine Schadensersatzklage gegen eine Partei, die als Beweisperson bei ihrer Vernehmung eine unwahre Aussage getroffen hat, gilt nichts anderes, da Parteien für die Dauer der Vernehmung im Hinblick auf die subjektiven Rechtskraftgrenzen den Zeugen gleichzustellen sind.19 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die geschädigte Partei im Rahmen ihrer aus § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB folgenden Schadensminderungspflicht nicht gehalten ist, den Eintritt der Rechtskraft durch Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels zu verhindern oder die Folgen des rechtskräftigen Fehlurteils durch eine Wiederaufnahmeklage rückgängig zu machen.

16 Daß in dem Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen ein Mitverschulden liegen kann, ist z.B. in RGZ 98 345, 347; BGHZ 90, 17, 32; 110, 323, 330 anerkannt. 7 s. oben 2. Teil B.II. 1. s. auch J. Blomeyer, S. 212; Eisele, S. 70; Hercher, S. 163. s. dazu oben 2. Teil B. II. 3.

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Im Falle einer Zeugenaussage widerspräche es dem in § 254 BGB konkretisierten Grundsatz von Treu und Glauben20, wenn die geschädigte Partei die falsche Zeugenaussage und das hierauf beruhende Fehlurteil gegenüber der gegnerischen Partei unter Verzicht auf die weitere Verfolgung ihrer Rechte akzeptieren würde, jedoch zum Anknüpfungspunkt einer Schadensersatzklage gegenüber dem Zeugen machen würde. Die geschädigte Partei muß zunächst versuchen, ihre Rechte gegenüber dem Prozeßgegner mittels der ihr zustehenden erfolgversprechenden Rechtsbehelfe durchzusetzen und den Schaden hierdurch so gering wie möglich zu halten.21 Nimmt sie ungeachtet dieser Möglichkeit der Schadensminderung allein den Zeugen in Anspruch, würde sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, nämlich dem Untätigbleiben gegenüber dem zu Unrecht obsiegenden Prozeßgegner, setzen.22 Soll dagegen eine Partei wegen ihres Fehlverhaltens bei der Vernehmung nach §§ 445 ff. ZPO in Anspruch genommen werden, wirkt sich der Nichtgebrauch von Rechtsmitteln als solcher noch nicht haftungsreduzierend aus. Aus Sicht der vernommenen Partei macht es nämlich zunächst keinen Unterschied, ob der Urteilsgeschädigte sich an ihr als ehemaliger Beweisperson in einem späteren Regreßprozeß oder als Gegenpartei eines Berufungs- oder Revisionsverfahrens schadlos hält. Denn in jedem Falle ist die falschaussagende Partei zur Rückerstattung des an sie aufgrund des aufgehobenen Urteils Geleisteten verpflichtet, letzterenfalls aufgrund eines Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruchs aus § 717 Abs.2 bzw. Abs.3 ZPO, der im Wege einer selbständigen Klage oder mittels eines Inzidentantrages in dem anhängigen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht wird. 23 Sofern jedoch durch Einlegung von Berufung oder Revision das Umschlagen der noch vorläufigen Nachteile in einen endgültigen Schaden hätte vermieden werden können, liegt in dem Nichtgebrauch von Rechtsmitteln ein Mitverschulden der geschädigten Partei. An eine Haftungsminderung nach § 254 Abs. 2 S.l Alt.2 BGB könnte auch gedacht werden, wenn die Folgen eines bereits rechtskräftigen Fehlurteils durch eine Wiederaufnahmeklage und eine damit verbundene Schadensersatzklage24 hätten rückgängig gemacht werden können. Da der in den §§581 Abs.l i.V.m. 580 Nr. 1 und 4 ZPO verlangte strafrechtliche Nachweis eines falschen Parteieides oder eines Prozeßbetruges aber stets schwerer zu führen 20

Zur besonderen Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben in § 254 BGB s. BGHZ 34, 355, 363; BGH NJW 1972, 334, 335; 1978, 2024, 2025; 1979; 495, 496; Erman/Kuckuk, § 254 Rdn. 4; Palandt/ Heinrichs, § 254 Rdn. 1. 21 J. Blomeyer, S. 228; Klopfer, S. 94; s. auch BGH NJW 1965, 1803. In der Forderung nach vollem Schadensersatz trotz Mit(Unterlassungs-)verschuldens wird ein Verstoß gegen das Verbot des Venire contra factum proprium' gesehen; s. neben den in Fn. 21 Genannten auch Henke, JuS 1988, 753 f. 23 s. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 717 Rdn. 13; Thomas/Putzo, § 717 Rdn. 15, 21. Zum Erstattungsanspruch nach begründeter Wiederaufnahmeklage s. Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, § 590 Rdn. 9; Thomas/Putzo, § 590 Rdn. 5.

C. II. Einlegung von Rechtsmitteln und Wiederaufnahme des Verfahrens

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sein wird, als der zivilrechtliche Nachweis einer schuldhaften Wahrheitspflichtverletzung, ist dem Urteilsgeschädigten im Verhältnis zu seinem Prozeßgegner das Betreiben eines Wiederaufnahmeverfahrens nur ausnahmsweise zumutbar. Berücksichtigt man ferner, daß der gegnerischen Partei infolge des Nichteinreichens einer Restitutionsklage ein gegen sie gerichtetes Strafverfahren erspart bleibt25, kann der geschädigten Partei insoweit in der Regel kein Mitverschulden nach § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB entgegengehalten werden.26

2. Schadensersatz wegen eines unwahren Parteivortrages Die Möglichkeit der Schadensminderung oder -abwendung durch Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels oder Einreichung der Wiederaufnahmeklage besteht auch in solchen Fällen, in denen eine Prozeßpartei ihren Gegner durch unwahren Parteivortrag geschädigt hat. Sofern die vorläufigen Nachteile eines noch nicht rechtskräftigen Fehlurteils auf dem Rechtsmittelweg hätten behoben werden können, verstößt die Nichteinlegung von Berufung oder Revision gegen die nach § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB bestehende Schadensminderungspflicht. Der Nichtgebrauch von Rechtsmitteln wirkt sich bei der Inanspruchnahme von Parteien in ihrer Funktion als Prozeßsubjekt daher ebenso wie bei der Inanspruchnahme von Beweispersonen haftungsreduzierend aus. Macht die geschädigte Partei dagegen nicht von der Möglichkeit einer Restitutionsklage Gebrauch, ergeben sich gegenüber der Haftung von Beweispersonen deutliche Unterschiede. Während ein solches Versäumnis dort erst bei der Verteilung des Schadens als Mitverschulden gem. § 254 Abs.2 S.l BGB berücksichtigt wird 27, führt es im Falle der Verletzung des in § 138 Abs.l ZPO normierten Wahrheitsgebotes bereits zur Unzulässigkeit einer gegen den Prozeßgegner gerichteten Klage auf Ersatz des Urteilsschadens. Die Inanspruchnahme einer Prozeßpartei wegen eines unwahren Parteivortrages scheitert nämlich nur dann nicht an der Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils, wenn diese zessiert.28 Eine Durchbrechung der Rechtskraft hat der Gesetzgeber lediglich für die Fälle vorgesehen, in denen ein Wiederaufnahmeverfahren erfolgreich abgeschlossen wird. Demnach ist eine auf den Verstoß gegen § 138 Abs.l ZPO gestützte Schadensersatzklage nur zuzulassen, wenn 25

Das Erfordernis eines erfolgreich durchgeführten Strafverfahrens hätte für die gegnerische Partei in diesem Falle keine Schutzfunktion, da eine Schadensersatzklage wegen Fehlverhaltens während der Parteivemehmung auch noch im Anschluß an eine gescheiterte Wiederaufnahmeklage erhoben werden könnte; s. auch oben 1. Teil C. II. 1. s. auch Eisele, S. 71. 27 s. dazu oben 1. Teil C. II. 1. 28 s. auch Schreiber, ZZP 105, 129, 144.

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zugleich alle Voraussetzungen erfüllt sind, die zum Erfolg einer Restitutionsklage geführt hätten. Neben dem Vorliegen eines Restitutionsgrundes, der bei einem Verstoß gegen § 138 Abs.l ZPO regelmäßig in Form eines Prozeßbetruges gem. §§ 580 Nr.4 ZPO i.V.m. 263 StGB gegeben ist, müßte nach § 581 Abs. 1 ZPO wegen der Straftat grundsätzlich eine rechtskräftige Verurteilung ergangen sein. Ferner müßte die Partei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen sein, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO). Schließlich dürfte die in § 586 vorgesehene einmonatige Klagefrist noch nicht abgelaufen sein. Wollte man dagegen eine Klage auf Ersatz des Urteilsschadens, der durch ein Fehlverhalten während des Parteivortrages ausgelöst wurde, ungeachtet der Erfolgsaussichten einer entsprechenden Restitutionsklage zulassen30, so wäre damit ein unzulässiger Eingriff in die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen verbunden. Beispiel (9): 3X

Κ verkaufte durch notariellen Vertrag mit Β ihr Anwesen (§§ 433, 313 S.l BGB). Nachdem Κ die Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen Unterverbriefung (§ 125 S.l BGB), nämlich Nichtbeurkundung eines bar zu zahlenden Kaufpreisteils von 8000 DM gerichtlich hatte feststellen lassen, beantragte sie, den Β zur Räumung und Herausgabe des Anwesens zu verurteilen. Mit der Widerklage beantragte B, die Κ zur Auflassung und Eintragungsbewilligung im Wege der Schadensersatzleistung zu verurteilen. Β vertrat die Meinung, daß Κ sich auf das Urteil im Vorprozeß nicht berufen könne, weil sie es in sittenwidriger Weise durch bewußt falsche Angaben im Prozeß unter Ausnutzung der falschen Zeugenaussage ihres Ehemannes erschlichen habe. Das Urteil sei sachlich unrichtig, weil das Gericht es aufgrund der falschen Zeugenaussage für erwiesen angesehen habe, daß mündlich ein Kaufpreis von 68.000 DM vereinbart, aber nur in Höhe von 60.000 DM notariell beurkundet worden sei. Tatsächlich sei aber nur ein Kaufpreis von 60.000 DM vereinbart gewesen. Κ habe die Unrichtigkeit der Aussage ihres Ehemannes gekannt und sich ihrer trotzdem im Vorprozeß bedient, um die zu ihren Gunsten ergangene Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages zu erwirken. Der BGH hielt die Widerklage der Β für unbegründet. Zwar schloß er sich der zur § 826 BGB ergangenen Rechtsprechung grundsätzlich an, wonach deijenige, der vorsätzlich und sittenwidrig ein unrichtiges Urteil gegen einen

Ein solches Strafverfahren hat für die vortragende Partei im Gegensatz zur vernommenen Partei eine Schutzfunktion, da im Falle eines Freispruchs eine Restitutionsklage, somit also auch eine Schadensersatzklage, nicht statthaft ist; vgl. auch oben 1. Teil C. II. 1. Fn. 25. 30 So aber Benkendorff, DRiZ 1934, 205, 207; Eisele, S. 70; Hercher, S. 163. 31

Nach BGH NJW 1964, 1672.

C. III. Zusammenfassung

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Dritten erwirkt, diesem zum Schadensersatz verpflichtet ist.32 Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB lagen nach Ansicht des Berufungsgerichts auch vor. Eine Durchbrechung der Rechtskraft im Falle der Urteilserschieichung kann dem BGH zufolge jedoch nur mit der Einschränkung gebilligt werden, daß gem. § 581 ZPO wegen der strafbaren Handlung eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt oder die Einleitung bzw. Durchfuhrung des Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht stattfinden kann. An dieser Voraussetzung fehlte es aber vorliegend, da ein gegen Κ und ihren Ehemann laufendes Strafverfahren wegen Prozeßbetruges und uneidlicher Falschaussage von der Staatsanwaltschaft mangels Beweises eingestellt worden war (§ 170 Abs.2 S.l StPO) und auch das von Β erwirkte Klageerzwingungsverfahren nach § 172 StPO ohne Erfolg blieb.

III. Zusammenfassung Im Rahmen ihrer aus § 254 Abs.2 S.l Alt.2 BGB folgenden Schadensminderungspflicht ist eine Prozeßpartei dazu gehalten, dem Schadensverlauf durch Ausschöpfung aller innerprozessualen Mittel entgegenzuwirken, indem sie etwa Einwendungen gegen die Glaubhaftigkeit von Zeugen- und Parteibekundungen erhebt. Soweit es um die Abwendung von streitunabhängigen Begleitschäden geht, die auf einem bewußt unwahren Parteivortrag des Prozeßgegners beruhen, steht der Partei die Möglichkeit der Widerrufs- oder Unterlassungsklage zu. Um zu verhindern, daß die vorläufigen Nachteile eines noch nicht rechtskräftigen Urteils in einen endgültigen Urteilsschaden umschlagen, kann die Partei von den gesetzlich vorgesehenen Rechtsmitteln Gebrauch machen. Ist ein Fehlurteil bereits in Rechtskraft erwachsen, steht der Partei unter den Voraussetzungen der §§ 578 ff. ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens offen. Das Nichteinreichen einer Wiederaufnahmeklage ist bei der Haftung von Beweispersonen, auf die sich die Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils nicht erstreckt, erst als Mitverschulden im Rahmen der Schadensverteilung zu berücksichtigen. Bei der Haftung des Prozeßgegners wegen Verletzung der in § 138 Abs.l ZPO normierten Wahrheitspflicht kommt es dagegen bereits bei der Zulässigkeit der Schadensersatzklage darauf an, ob eine entsprechende Restitutionsklage unter Berücksichtigung der §§ 581 Abs.l, 582, 586 ZPO zum Erfolg geführt hätte, da andernfalls die Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils in unzulässiger Weise durchbrochen würde. Ob und inwieweit das Verhalten der geschädigten Partei zu einer Haftungsreduzierung gem. § 254 Abs.2 S.l BGB führt, hängt insbesondere davon ab, ob die unterlassenen Maßnahmen zumutbar und erfolgversprechend gewesen wären. So die ständige Rechtsprechung des BGH; s. etwa BGH NJW 1951, 759; BGHZ 40, 130, 132; BGH NJW 1964, 1672, 1673; BGHZ 50, 115, 117 f.; BGH NJW 1974, 557; 1987, 3256, 3257; im Anschluß an RGZ 61, 359; 155, 55; 165, 26; 168, 1; s. auch Prutting, S. 40, mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen.

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. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege a

D. Exkurs - Haftungsprivileg des gerichtlichen Sachverständigen? Wenn in Rechtsprechung und Literatur die Haftung Dritter wegen prozessualen Fehlverhaltens diskutiert wird, liegt das Hauptaugenmerk stets auf der zivilrechtlichen Inanspruchnahme von gerichtlichen Sachverständigen. Das vielfach postulierte Haftungsprivileg des Sachverständigen erlaubt möglicherweise Rückschlüsse für die Frage, inwieweit andere Beweispersonen, nämlich Zeugen und vernommene Parteien, nach dem geltenden Deliktsrecht für die Schadensfolgen einer Falschaussage verantwortlich sind. Jedoch lassen sich etwaige Parallelen überhaupt nur dann ziehen, wenn die für Sachverständige geforderte Haftungsbeschränkung de lege lata zu begründen ist. In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1973 lehnte der BGH jegliche deliktische Haftung des unbeeidigten, fahrlässig falsch begutachtenden Sachverständigen ab.1 Bereits in zwei früheren Entscheidungen hatte er eine Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 410 ZPO bzw. § 79 Abs.2 StPO unter Hinweis auf den angeblich fehlenden Schutzgesetzcharakter dieser Prozeß Vorschriften verneint.2 Nunmehr lag der Begründungsschwerpunkt auf der Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB, deren Anwendungsbereich nach Auffassung des BGH auf vorsätzliches Fehlverhalten des Sachverständigen beschränkt sein sollte. Dieser weitreichende Haftungsausschluß sei vor allem deshalb geboten, weil die Stellung des Sachverständigen als Gehilfe des Richters den Schutz seiner Unabhängigkeit verlange. Ferner werde hierdurch die Gefahr der Wiederaufrollung des Verfahrens vermieden, die bei einer Haftung für jedes fahrlässige prozessuale Fehlverhalten bestehe. Schließlich handele der Sachverständige in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht, hinter der privatrechtliche Belange zurücktreten müßten. Nachdem die Argumentation des BGH zunächst in der Literatur starken Widerspruch hervorgerufen hatte3, hob das BVerfG die Entscheidung insoweit auf, als durch sie eine Haftung für grob fahrlässiges Fehlverhalten des Sachverständigen ausgeschlossen werden sollte.4 Hierin sah es zum einen eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs.2 GG und zum anderen eine Überschreitung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Darüber hinaus ist 1 2

BGHZ 62, 54 = NJW 1974, 312.

BGH NJW 1968, 787, 788; BGHZ 42, 313, 317; s. auch OLG Celle NJW 1960, 387, 388; OLG Düsseldorf NJW 1986, 2891, 2892; OLG Hamm MDR 1983, 934; OLG Köln NJW 1962, 1773; OLG München MDR 1983, 403; OLG Stuttgart NJW 1954, 1411, 1412; Herold, B1GWB 1956, 372; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 410 Rdn. 2; Thomas/Putzo, Vorb. § 402 Rdn. 6; Zöller/Stephan, § 410 Rdn. 4; vgl. jedoch neuerdings BGH NJW 1984, 870. 3 s. Arndt, DRiZ 1974, 185 f; Blomeyer, S. 226 f.; ders. ZRP 1974, 214 ff; Damm, JuS 1976, 359 ff; Hellmer, NJW 1974, 556 f.; Hopt, JZ 1974, 551 ff; Rasehorn, NJW 1974, 1172 f.; Schneider, JurBüro 1975,434 ff; s. auch in der neueren Literatur Schreiber ZZP 105, 129 ff. 4 BVerfGE 49, 304 = NJW 1979, 305.

D. Exkurs - Haftungsprivileg des gerichtlichen Sachverständigen?

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auch die Haftungsfreistellung für leichte Fahrlässigkeit, die auf Vorschlag der Kommission für das Zivilprozeßrecht durch Einfügung eines § 839a BGB verwirklicht werden sollte5, auf Kritik gestoßen. Nach Ansicht von vier Richtern des erkennenden BVerfG-Senats müßten die gegen eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz vorgebrachten Einwände gleichermaßen für eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit gelten.6 Ungeachtet der Frage, ob eine solche Privilegierung des Sachverständigen de lege ferenda wünschenswert ist, besteht schließlich auch im Schrifttum weitgehend Einigkeit darüber, daß ein Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit mit dem geltenden Deliktsrecht nicht im Einklang steht.7 Begründet wird diese ablehnende Haltung vor allem mit der ansonsten zu erwartenden Diskrepanz zur Schadensersatzpflicht vereidigter Sachverständiger und anderer Prozeßbeteiligter, denen ein solches Haftungsprivileg nicht zukomme. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommenen Versuche zur Privilegierung des Sachverständigen vermögen demnach keine de lege lata gültigen Haftungsbeschränkungen zu begründen, aus denen sich Rückschlüsse auf die nach derzeitigem Deliktsrecht bestehende Haftung anderer Beweispersonen ziehen ließen.

6 7

Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977, S. 143. s. BVerfG NJW 1979, 305, 307. s. Bartling, S. 90 f.; Götz, S. 167; Schreiber, ZZP 105, 129, 138 f.

Dritter Teil

Haftungsbeschränkungen de lege ferenda A. Haftungsbeschränkende Aspekte Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß für Zeugen und Prozeßparteien de lege lata eine unbeschränkte Haftung wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht besteht, die allenfalls ihrem Umfang nach durch ein etwaiges Mitverschulden der geschädigten Partei gemildert wird. Im Hinblick auf Parteien in ihrer Funktion als Prozeßsubjekt, also als Kläger oder Beklagter, begegnet dieses Ergebnis keinen Bedenken, da ein Verstoß gegen § 138 Abs.l ZPO ohnehin nur im Falle einer bewußten Prozeßlüge in Betracht kommt.1 Anders verhält es sich indes bei Zeugen und Parteien in ihrer Rolle als Beweisobjekt während der Vernehmung. Diese Beweispersonen machen sich bereits wegen Schadenszufügung durch leicht fahrlässige Falschaussagen ersatzpflichtig. Eine Reihe von Gründen sprechen dafür, die Haftung dieser Prozeßbeteiligten de lege ferenda einzuschränken.

I. Auf den Zeugen zutreffende Gründe 1. Individuelle Belange des Zeugen Die öffentlich-rechtliche Zeugnispflicht birgt eine Vielfalt an prozessualen (§§ 380, 390 ZPO bzw. 51, 70 StPO), strafrechtlichen (§§ 153 ff. StGB) und haftungsrechtlichen Risiken, denen sich der Zeuge anders als ein Sachverständiger nicht durch vorgebliche Arbeitsüberlastung2 entziehen kann. Der Zeuge wird ohne sein Zutun und ohne Rücksicht auf seine Disposition in einen Prozeß hineingezogen. Ihn trifft auch dann eine Pflicht zur Aussage, wenn er befürchtet, den Anforderungen an sein Auftreten vor Gericht nicht gewachsen zu sein.3 Die als unangenehme Last empfundene Aussagepflicht löst bei den 1

s. dazu oben 1. Teil A. II. 1. b). s. dazu J. Blomeyer, S. 227; Götz, S. 165; Rasehom, NJW 1974, 1172, 1173; Schreiber, ZZP 105, 129, 137. s. auch Hopt, S. 293. 2

Α. I. Auf den Zeugen zutreffende Gründe

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meisten Zeugen Angst und Unsicherheit aus.4 Viele Zeugen sehen in sich trotz ihrer formalen Stellung als Beweisperson einen potentiell Beschuldigten.5 Die hierdurch in ihrer Aussagefahigkeit und -bereitschaft gehemmten Zeugen sind infolgedessen oftmals nicht imstande, ihr Wissen zutreffend zum Ausdruck zu bringen.6 Der im allgemeinen rechtsunkundige Zeuge vermag trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung die prozessualen und strafrechtlichen Folgen einer fehlerhaften Aussage nicht sicher zu übersehen.7 Dies gilt fur zivilrechtliche Sanktionen um so mehr, als auf die Gefahr einer Schadensersatzpflicht wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht weder in der Ladung noch während der Belehrung hingewiesen wird. Die mit der Aussagepflicht verbundenen unwägbaren Risiken treffen den Zeugen in besonderem Maße, da er mit seiner Aussage in aller Regel keine eigennützigen Ziele verfolgt. Ihm stehen auch keine Rechte zur Verfahrensgestaltung zu.8 Während sich für den Sachverständigen die Erstattung von Gutachten als eine lukrativ entlohnte Erwerbstätigkeit und deren möglichen rechtlichen Folgen als Berufsrisiko darstellen, werden Zeugenaussagen vor Gericht nur unzureichend honoriert. Der Zeuge erlangt zwar nach dem ZSEG eine Entschädigung für seinen Verdienstausfall sowie Ersatz seiner Auslagen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine angemessene Entlohnung, durch die etwa den Gefahren eines Auftretens vor Gericht Rechnung getragen werden soll.9 Für die zivilrechtliche Inanspruchnahme wegen einer falschen Zeugenaussage besteht in aller Regel auch kein Versicherungsschutz.10 Angesichts dieser einseitigen Risiken wird zu Recht davon gesprochen, daß der Zeuge von allen an einem Zivilprozeß beteiligten Personen "den bedauernswertesten Part" hat.11 Auch im Strafprozeß wird seine Situation nur noch durch die des Beschuldigten übertroffen. Es herrscht daher Einigkeit darüber, daß der Zeuge Schonung verdient12 und vor unverhältnismäßigen Belastungen durch Erfüllung der Zeugnispflicht geschützt werden muß.13 Dieses Ziel läßt sich unter anderem dadurch verwirklichen, daß die Haftung wegen unwahrer Zeugenaussagen begrenzt wird.

4

Schmidt, S. 8 f., mit weiteren Nachweisen. Vgl. BVerfGE 38, 105, 113; Geerds, Festschrift für Stock, S. 171, 185 f. Vgl. BVerfGE 38, 105, 117. 7 s. auch BVerGE 38, 105, 113; OLG Hamm MDR 1950, 221, 222; J. Blomeyer, S. 220; Klopfer S. 97. s. auch BVerfGE 38, 105, 116. 9 s. auch Schreiber, ZZP 105, 129, 141. 10 s. Hopt, S. 291. 11 s. Unger, NJW 1984, 415. 5

6

12

s. MünchKomm./Peters, ZPO, § 138 Rdn. 15; s. auch die Abhandlung von Findeisen speziell zum Schutz des mindeijährigen Zeugen im Zivilprozeß. s. den Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977, S. 134.

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3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

2. Öffentliche Belange a) Interesse an einer ungestörten Wahrheitsfindung

im Prozeß

Neben dem schützenswerten Individualinteresse des Zeugen spricht auch der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit für eine Einschränkung der Zeugenhaftung. Wesentlicher Bestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung ist die Idee der Gerechtigkeit, der nur durch Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege zum Durchbruch verholfen werden kann.14 Die Justiz vermag ihrer Aufgabe, Recht zu sprechen, nur durch eine möglichst vollständige Wahrheitsermittlung nachzukommen. Die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung beruhen dabei im wesentlichen auf dem Zeugenbeweis.15 Die zivilrechtliche Inanspruchnahme wegen einer Falschaussage, die einem Zeugen bereits bei leicht fahrlässigem Fehlverhalten droht, kann jedoch eine empfindliche Störung für den Wahrheitsfindungsprozeß mit sich bringen. Zwar ist einerseits denkbar, daß sich der Zeuge durch die Gefahr einer Schadensersatzpflicht zu erhöhter Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt veranlaßt sieht. Andererseits läßt sich aber nicht ausschließen, daß der unter dem "Damoklesschwert"16 einer drohenden Haftung stehende Zeuge einen Teil seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit verliert. Wenn ihn dieser Umstand nicht bereits davon abhält, sich als Beweisperson in einem Prozeß überhaupt zur Verfügung zu stellen, so könnte er zumindest in Versuchung geraten, seine Aussagen so allgemein wie möglich und nicht zugunsten der einen oder anderen Partei zu formulieren. 17 Unter dem Druck einer möglichen ungerechtfertigten Inanspruchnahme könnte sich der Zeuge sogar von der Überlegung leiten lassen, welche der beiden Prozeßparteien ihn ihm Falle einer ungünstigen Aussage wohl eher auf Schadensersatz in Anspruch nehmen würde.18 Diese unerwünschten Auswirkungen treffen in gleicher Weise auf Zeugenaussagen zu, die in einem Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten gemacht werden. Der Prognose, die Zeugenaussage könne nicht allein nach bestem Wissen erfolgen, läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß ein Zeuge in einem späteren Schadensersatzprozeß nichts zu befürchten habe, sofern er nur die reine Wahrheit gesagt habe. Allgemein gilt, daß jeder Rechtsstreit mit einem gewissen Prozeßrisiko behaftet ist, aufgrund dessen ein Obsiegen des Rückgriffsklägers nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Für den besonderen Fall des Ehrenschutzverfahrens kommt hinzu, daß den Zeugen, der sich wegen einer angeblichen Ehrverletzung zu verantworten hat, eine un-

1

s. Schmidt, s. 12. BVerfGE 38, 105, 116, für den Strafprozeß; s. auch Meyke, NJW 1989, 2032, 2033, für den Zivilprozeß. s. J. Blomeyer, S. 219. s. auch J. Blomeyer, S. 224; Klopfer, S. 95. s. auch J. Blomeyer, S. 219. 15

Α. I. Auf den Zeugen zutreffende Gründe

111

günstige Beweislastverteilung treffen kann: Während ihm in einem Strafverfahren wegen falscher Aussage nach dem Grundsatz 'in dubio pro reo' deren Unwahrheit nachzuweisen ist, ist ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 186 StGB schon dann begründet, wenn die ehrverletzende Tatsachenbehauptung nicht erweislich wahr ist. Da die Strafbarkeit nach § 186 StGB, der zugleich Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs.2 BGB ist19, nicht den positiven Nachweis der Unwahrheit der behaupteten Tatsache voraussetzt und diese Beweisregel über § 823 Abs.2 BGB in das Zivilrecht transformiert wird, obliegt es dem beklagten Zeugen, die Wahrheit seiner ehrverletzenden Behauptung zu beweisen.20 Diese für den Zeugen nachteilige Beweislastverteilung erfährt allein dann eine Ausnahme, wenn er sich vor Gericht mit Erfolg auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen21 beruft. Nur in diesem Fall wird für die nach Art. 5 Abs.l GG und § 193 StGB vorzunehmende Güterabwägung die Wahrheit der behaupteten Tatsache solange unterstellt, bis der Kläger deren Unwahrheit nachgewiesen hat.22 Im übrigen ist es weniger die Gefahr, in einem Schadensersatzprozeß als Beklagter zu unterliegen, als vielmehr bereits die bloße Aussicht, mit einem langwierigen Rechtsstreit - unabhängig von dessen Ausgang - überzogen zu werden, die sich auf die Unbefangenheit des Zeugen nachteilig auswirkt.23 Demnach verlangt auch das öffentliche Interesse an einer geordneten Wahrheitsfindung im Prozeß, daß ein Zeuge allein nach bestem Wissen aussagen kann, ohne daß ihm bereits im Falle leichter Fahrlässigkeit die Gefahr einer Schadensersatzklage droht.

b) Gedanke des Rechtsfriedens

und der Rechtssicherheit

Schließlich spricht auch der Gedanke des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit gegen eine unbegrenzte Inanspruchnahme des Zeugen durch die geschädigte Partei. Zwar kann ein gegen den Zeugen gerichteter Ersatzanspruch die 'Rechtskraft im technischen Sinne'24 nicht beeinträchtigen, da die materielle Rechtskraft grundsätzlich nur inter partes wirkt. 25 Dem hinter der Rechtskraft stehenden Zweck, die Wiederaufrollung bereits abgeschlossener Verfahren zu vermeiden, widerspräche jedoch auch eine gegen den Zeugen gerichtete Schadensersatzklage wegen der Folgen eines Urteils, dessen Rechtskraft nicht 19

Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 149. s. BGH NJW 1993, 930, 931; NJW 1987, 2225, 2226; 1985, 1621, 1622; s. auch Erman/Schiemann, § 824 Rdn. 12; Palandt/Thomas, § 823 Rdn. 13. 21 zu § 193 StGB s. oben 1. Teil C. II. 1. b) cc). 22 s. BGH NJW 1993, 930, 931; NJW 1987, 2225, 2226; 1985, 1621, 1622. 23 Vgl. auch BGHZ 62, 54, 59. 24 Leipold, JZ 1967, 737, 739. s. dazu oben 2. Teil Β. II. 20

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3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt werden kann. Die Geltendmachung des Ersatzanspruches, der die Unrichtigkeit des vorangegangenen Urteils voraussetzt, führte Inzident zu einer Überprüfung des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens. 26 Infolge dieses faktischen Wiederaufrollens wäre die Rechtskraft der früheren Entscheidung mittelbar berührt. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gebieten daher zumindest eine Einschränkung des zivilrechtlichen Schutzes gegenüber unbeeidigten, fahrlässig falschen Zeugenaussagen. Daß diese, auf die 'Rechtskraft im weiteren Sinne'27 abstellenden Überlegungen die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung mit darzulegen vermögen, zeigt auch ein Vergleich mit dem Spruchrichterprivileg. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich ebensowenig auf Richter wie auf Zeugen. Die unbeschränkte Haftung eines Spruchrichters bedeutete daher keine direkte Einschränkung der Rechstkraft. Gleichwohl ist anerkannt, daß die Vorschrift des § 839 Abs.2 BGB den Schutz der Rechtskraft mitbezweckt und hierin neben dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit gerade ihre Rechtfertigung findet. 28 Der hinter der Rechtskraft stehende allgemeine Gedanke des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit, also die 'Rechtskraft im weiteren Sinne', kann demnach auch als Argument für ein Haftungsprivileg solcher Verfahrensbeteiligter dienen, die an den Rechtskraftwirkungen eines Urteils nicht teilhaben. Das Postulat einer Haftungsbeschränkung für Zeugen läßt sich demnach von den unerwünschten Auswirkungen der de lege lata bestehenden Haftungssituation her hinreichend begründen.

II. Auf die vernommene Partei zutreffende Gründe Bis auf den Gedanken des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit lassen sich die gegen eine uneingeschränkte Zeugenhaftung angeführten Gründe nicht auf die Haftung von Parteien in ihrer Funktion als Beweisobjekt übertragen. Die Partei erfüllt im Gegensatz zum Zeugen keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, wenn sie im Rahmen der Parteivernehmung aussagt.29 Auch ist das Interesse des Staates an der Ermittlung der materiellen Wahrheit im Wege der Parteivernehmung geringer als bei der Zeugenvernehmung. Zum einen ist die Parteivernehmung als Beweismittel ausschließlich in Zivilprozessen vorge6 s. dazu oben 1. Teil C. I. 1. a) aa); vgl. auch J. Blomeyer, S. 218 f.; Häsemeyer, S. 159; Hopt, JZ 1974, 551, 553; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. 3, S. 193. 27 Leipold, JZ 1967, 737, 739. 28 s. oben 1. Teil C. I. l.a)aa).

29

s. Schellhammer, Rdn. 670.

A- II. Auf die vernommene Partei zutreffende Grunde

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sehen, wo es vorrangig um den Konflikt zwischen privaten Interessen geht.30 Demgegenüber werden Zeugen auch in Strafprozessen vernommen, durch welche öffentliche Belange in viel stärkerem Maße betroffen sind. Zum anderen ist die Parteivernehmung infolge des gesetzgeberischen Mißtrauens gegenüber ihrem Beweiswert31 als subsidiäres Beweismittel ausgestaltet, das erst nach Ausschöpfung aller anderen zur Verfügung stehenden Beweismittel eingesetzt werden darf. 32 Im Gegensatz zur Zeugenvernehmung handelt es sich bei der Parteivernehmung daher nicht um ein schlechthin unverzichtbares Beweismittel. Diese Überlegungen lassen indes nicht den Schluß zu, daß die Parteivernehmung im alleinigen Interesse der aussagenden Partei liegt und eine bereits an leicht fahrlässiges Fehlverhalten anknüpfende Schadensersatzpflicht daher angemessen ist. Die Vernehmung der beweisbelasteten Partei auf Antrag des Gegners oder mit dessen Einverständnis (§ 447 ZPO) ist in der zivilprozessualen Praxis eine Seltenheit, da der Beweisgegner in einer für ihn günstigen Prozeßsituation der beweispflichtigen Partei die Beweisführung regelmäßig nicht erleichtern will. 33 Vielmehr dient die Parteivernehmung zumindest unmittelbar in aller Regel keinen eigenen, sondern fremden Interessen. So ist der Antrag auf Vernehmung des Beweisgegners gem. § 445 ZPO "der letzte Strohhalm"34, nach dem die beweisbelastete Partei in ihrer Beweisnot greift. Auch die Parteivernehmung von Amts wegen gem. § 448 ZPO ist aus Sicht der vernommenen Partei fremdnützig, besteht doch ihr Zweck darin, dem Gericht die noch fehlende Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der bestrittenen Tatsachen zu ermöglichen.35 Die Parteivernehmung steht damit im Dienste des richtigen Urteils, dessen Erlaß wiederum dem Gegner der vernommenen Partei zugute kommt, sofern er das Recht auf seiner Seite hat. Daß die mit der Parteivernehmung bezweckte Klärung streitigen Vorbringens letztendlich auch im Interesse der vernommenen Partei liegt, gerät daneben in den Hintergrund. Von den Vorteilen eines der materiellen Rechtslage entsprechenden Urteils mag sie zwar in ihrer Rolle als obsiegender Kläger oder Beklagter profitieren, nicht aber in ihrer Funktion als Beweisobjekt während der Vernehmung. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Aussage einer Partei mit Ausnahme der von ihr selbst beantragten eigenen Vernehmung (§ 447 ZPO) unter einem

30

32

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Vgl. Hopt, S. 193, 196. s. dazu Polyzogopoulos, S. 64. s. Wittschier, Rdn. 3. s. Wittschier, Rdn.8; Schellhammer, Rdn. 668. Schellhammer, Rdn. 667; s.auch Wittschier, Rdn. 79. s. Wittschier, Rdn. 137, mit weiteren Nachweisen.

8 Prange

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3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

Druck erfolgt, der dem einer öffentlich-rechtlichen Zeugnispflicht gleichkommt. Zwar kann die Aussage einer Partei nicht durch Ordnungsgeld oder Ordnungshaft erzwungen werden. Lehnt eine Partei es jedoch ab, sich vernehmen zu lassen, so hat das Gericht unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es die behauptete Tatsache als erwiesen ansehen will (§§ 446, 453 Abs.2 ZPO). Die Schlüsse, die das Gericht aus der Weigerung zieht, werden regelmäßig zum Nachteil der verweigernden Partei ausfallen. 36 Zudem unterliegt eine Parteiaussage den Strafandrohungen der §§ 154, 163 StGB, wobei der Vorteil der Straffreiheit für uneidliche Falschaussagen dadurch ausgeglichen wird, daß gegenüber Parteien eine größere Bereitschaft zur Vereidigung besteht als gegenüber Zeugen.37 Parteien sind demnach auch ohne eine staatsbürgerliche Verpflichtung zur Aussage wie ein Zeuge der Gefahr prozessualer und strafrechtlicher Sanktionen ausgesetzt. Die Lage einer Partei während ihrer Vernehmung weist damit enge Bezüge zu der Situation eines Zeugen auf. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, an die Partei in ihrer Funktion als Beweisobjekt keine strengeren Haftungsmaßstäbe anzulegen als an den Zeugen. Das Postulat einer Beschränkung zivilrechtlichen Schutzes gegenüber Zeugenaussagen gilt daher gleichermaßen für Aussagen, die im Rahmen der Parteivernehmung fallen. 38

B. Dogmatische Einordnung der postulierten Haftungsbegrenzung L Vorhandene Lösungsvorschläge Die Forderung nach einer Einschränkung zivilrechtlichen Schutzes gegenüber Aussagen von Beweispersonen ist nicht neu. In der zur Sachverständigenhaftung ergangenen Rechtsprechung und Literatur hat sie heftige Kontroversen um ihre systematische Einordnung und Reichweite ausgelöst.1 Seinen Höhepunkt fand dieser Meinungsstreit mit dem als 'Weigand-Affare' 2 in die bundesdeutsche Justizgeschichte eingegangenen Rechtsstreit zwischen einem Münsteraner Rechtsanwalt und einem Sachverständigen, der bis vor das

36

37

Wittschier, Rdn. 81; Schellhammer, Rdn. 670.

s. Schellhammer, Rdn. 670. 38 Vgl. auch Schreiber, ZZP 105, 129, 143; Häsemeyer, S. 134 Fn. 24, S. 166 Fn. 67, S. 167 Fn. 70. s. etwa die Dissertationen von Bartling und Hoflmann; die Monographien von J. Blomeyer und Hopt sowie die Abhandlung von Schreiber, jew. mit ausführlichen Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen. 2 Hopt, JZ 1974, 551.

Β. I. Vorhandene Lösungsvorschläge

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BVerfG gelangte.3 Anläßlich der Diskussion zur Sachverständigenhaftung finden sich einige beiläufige Stellungnahmen, die größtenteils auf ein Unbehagen gegenüber einer unbeschränkten Zeugenhaftung4, mitunter aber auch auf Zustimmung5 schließen lassen. Daneben gibt es jedoch eine Reihe an Untersuchungen, die eigens dem Thema der Haftung von Zeugen und Parteien gewidmet sind und konkrete Lösungsvorschläge für eine Haftungsbeschränkung unterbreiten.

1. Amtshaftung In Anlehnung an § 839 Abs.2 BGB leitet J. Blomeyer6 eine Freistellung von der Haftung für Urteilsschäden her, die durch fahrlässige, unbeeidigte Zeugenaussagen entstehen. Zwar sei eine Analogie zu dieser Norm im rechtstechnischen Sinne nicht vertretbar, da in Ermangelung einer richterähnlichen Unabhängigkeit von den beiden das Spruchrichterprivileg tragenden Gründen nur einer, nämlich die Absicherung der Rechtskraft, auf die Haftungssituation des Zeugen zutreffe. 7 Mit der Unzumutbarkeit einer unbeschränkten Urteilshaftung, die sich aus der besonderen prozessualen Situation des Zeugen ergebe, trete jedoch ein anderer, gleichwertiger Gedanke an die Stelle der Absicherungrichterähnlicher Unabhängigkeit. Dieser rechtfertige zusammen mit dem Gedanken der Rechtskraftabsicherung die Gewährung einer dem Spruchrichterprivileg nachgebildeten Haftungserleicherung im Wege einer Analogie im weiteren Sinne. Danach sei der Zeuge der Urteilshaftung für nicht strafbare Pflichtverletzung enthoben. Dagegen lehnt Peters8 eine entsprechende Anwendung des § 839 Abs.2 BGB ab und fordert stattdessen eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Dieses Ergebnis lasse sich aus dem Gedanken des § 839 Abs.l BGB i.V.m. Art. 34 GG gewinnen, der auf die unmittelbare Haftung des Zeugen übertragbar sei. Da es sich bei der Mitwirkung des Zeugen als verantwortliches Beweismittel im Prozeß um die Erfüllung einer öffentlichrechtlichen Pflicht handele, übe der Zeuge in gleicher Weise wie der private Sachverständige ein ihm anvertrautes Amt aus. Beide Beweispersonen dürften 3 s. BGHZ 62, 54 = NJW 1974, 312, mit Anm. Hellmer, NJW 1974, 556; BVerfG JZ 1979, 60, mit Anm. Starck. 4 s. BGHZ 42, 313, 318 = NJW 1965, 298; OLG Celle NJW 1960, 387, 388; OLG Hamm M D R 1950, 221, 222; Rasehorn, NJW 1974, 1172, 1173; Stoll, AcP 162, 203, 215; Wasner, NJW 1986, 119, 120. 5 LG Stuttgart NJW 1954, 1411, 1412; Arndt, DRiZ 1974, 185, 186; Schneider, JurBüro 1975, 434. 6 S. 222 ff. s. dazu auch oben 1. Teil C. I. 1. a). 8 S. 191 f.

8*

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3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

dann aber nicht weiter haften, als der beamtete Sachverständige nach § 839 Abs.l BGB i.V.m. Art. 34 GG haften würde. Der Verletzte könne seine Ansprüche aus unerlaubter Handlung daher nur im Rahmen des nach Art. 34 S.2 GG vorgesehenen Verschuldensmaßstabes, also nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, unmittelbar gegen den Zeugen geltend machen. Werde dabei der Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht allzu großzügig verstanden, so sei das nach unserer Gesetzeslage höchstmögliche Maß des Schutzes von Zeugen gesichert. Für das schweizerische Recht, das mit Art. 41 OR9 eine dem § 823 Abs.2 BGB entsprechende Haftungsnorm für Zeugen enthält, fordert Klopfer 10 die Einführung einer Staatshaftung. Das Interesse des Staates an wahrheitsgemäßen Zeugenaussagen gebiete, daß der Zeuge nicht von den Parteien auf Schadensersatz verklagt werden könne. Die durch Zeugenaussagen geschädigten Parteien hätten sich mit ihren Schadensersatzforderungen vielmehr an den Staat zu halten. Dieser wiederum müsse seine Regreßpraxis so einrichten, daß ein gesundes Verhältnis zwischen dem Interesse an der Verfügbarkeit von Zeugen und der Ermahnung an die gewissenhafte Erfüllung der Zeugenpflichten entstehe. Der Zeuge sähe sich somit vermögensrechtlich wie auch strafrechtlich nur dem Staate gegenüber verantwortlich.

2. Subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab und Rechtskrafterstreckung Hopt11 gelangt zu einer Haftungsbeschränkung für Zeugen zum einen dadurch, daß er den objektivierten Verschuldensmaßstab des § 276 Abs.l S.2 BGB in einen subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab modifiziert. Eine solche, dem Grundsatz nach auch anderweitig anerkannte Modifizierung sei angesichts der besonderen Prozeßsituation, in der sich der Zeuge befinde, geboten. Zum anderen spricht sich Hopt für eine Erweiterung der subjektiven Rechtskraftgrenzen auf Zeugen aus.2 Die Notwendigkeit einer solchen Rechtskrafterstreckung dränge sich aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens auf. Nur auf diese Weise ließe sich vermeiden, daß Verfahren, für die das Gesetz keine Wiederaufnahmegründe vorgesehen habe, wieder aufgerollt würden. Dieser Ansicht zufolge ist der fahrlässig handelnde, unbeeidigte Zeuge gänzlich von der Haftung für Schäden befreit, die in einem rechtskräfigen

9 10 11

12

Zu dessen Haftungsvoraussetzungen s. Klopfer, S. 37 ff. S. 100 f. S. 293 ff. s. dazu bereits oben 2. Teil B. II. 1. b).

Β. I. Vorhandene Lösungsvorschläge

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Urteil bestehen. Im Falle anderer Schäden sowie bei strafbarer Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht soll der Zeuge hingegen nur für subjekive Fahrlässigkeit haften.

3. Evidenzhaftung Der Sicherung bestandskräftiger Urteile wegen befürwortet auch Häsemeyer13 eine Haftungsbeschränkung für Zeugen. Ihre Einbeziehung in die subjektiven Rechtskraftgrenzen lehnt er im Gegensatz zu Hopt jedoch ab.14 Die dogmatische Grundlage für eine Haftungsbeschränkung sieht er stattdessen in einer Evidenzhaftung, wonach Dritte nur dann zur Verantwortung gezogen werden sollen, wenn ihr Fehlverhalten so offenkundig ist, daß es auch die Verbindlichkeit der Entscheidung zwischen den Parteien ausschließt. Die Bestandskraft eines Urteils dürfe im Hinblick auf Fehlverhalten im Rechtsstreit nur allseitig-einheitlich in Frage gestellt werden. Die Unteilbarkeit der Fehlerrelevanz verbiete es, einen Fehler einerseits als so unerheblich einzuschätzen, daß der obsiegenden Partei die streitbefangene Position belassen bleibe, andererseits aber als so erheblich, daß ein prozeßbeteiligter Dritter regreßpflichtig werde. Eine Haftung Dritter komme demnach nur in den von der Bestandskraft der Entscheidung und damit von der Fehlerevidenz bestimmten Grenzen in Betracht. Den aus den Restitutionsgründen zu entnehmenden Maßstab für die Fehlerevidenz hält Häsemeyer im Falle der Zeugenaussage jedoch für zu gering angesetzt. Da die Zeugenaussage lediglich die eigene Wahrnehmung und nicht den objektiven Hergang wiedergeben könne, sei sie einer Verifizierung nur in geringem Maße zugänglich. Die subjektiv auszurichtende Unrichtigkeitsevidenz müsse daher wenigstens an ein qualifiziertes Verschulden anknüpfen. Der Gesetzgeber sei dann verpflichtet, fiir eine sachgerechte Harmonisierung der Restitutionsgründe und der Haftungsvoraussetzungen zu sorgen. Nach Häsemeyer kommt eine Zeugenhaftung für Urteilsschäden demnach nur dort in Betracht, wo auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens betrieben werden könnte. Die derzeitige Anknüpfung des § 580 Nr.3 ZPO an eine strafbare Verletzung der Wahrheitspflicht hält er jedoch im Hinblick auf die Zeugenhaftung insoweit für unangemessen, als ein Zeuge im Falle seiner Beeidigung bereits für leichte Fahrlässigkeit haften müsse. Die Grundsätze der von ihm favorisierten Evidenzhaftung für qualifiziertes Verschulden sollen im

13 14

S. 157 ff. So ausdrücklich auf S. 159 Fn. 17.

118

3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

übrigen auch für die vernommene Partei als Beweisobjekt gelten, da deren Verhalten von dem Prozeß vortrag einer Partei zu trennen sei.1

4. Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit Der jüngste Vorschlag stammt von Schreiber16, der die Zeugenhaftung entsprechend den arbeitsrechtlichen Grundsätzen einer Schadensersatzpflicht bei gefahrgeneigter Arbeit beschränken will. Ebenso wie der Arbeitnehmer sehe sich auch der Zeuge unausweichlich der Gefahr eines schadensersatzpflichtigen Fehlverhaltens ausgesetzt, die er regelmäßig in vollem Umfang zu tragen habe. Dieses Risiko treffe den Zeugen vorrangig im Interesse der Parteien, da jene von seiner Aussage profitieren könnten. Angesichts dieser vergleichbaren Interessenlage könne der Gedanke der betrieblichen Risikoverteilung fruchtbar gemacht werden, der die Risikohaftung bei Tätigkeiten in fremdem Interesse mildere. In Abhängigkeit vom Verschuldensgrad werde der Schaden daher entweder alleine von der geschädigten Partei (bei leichter Fahrlässigkeit des Zeugen), von dem Zeugen (bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz) oder von beiden zusammen nach quotenmäßiger Verteilung (bei normaler Fahrlässigkeit) getragen. Die zur Zeugenhaftung entwickelten Grundsätze erklärt Schreiber unter Hinweis auf den Zweck der Parteivernehmung auch auf die Einstandspflicht der vernommenen Partei für anwendbar. Deren Aussage stehe ebenso wie die eines Zeugen im Dienste des richtigen Urteils und diene somit den Parteiinteressen. Die Haftungsbefreiung für leichte Fahrlässigkeit und quotenmäßige Haftungsbeschränkung für normale Fahrlässigkeit gelte daher auch hier. Eine Abweichung gegenüber der Zeugenhaftung ergebe sich jedoch daraus, daß die Rechtskraft eines Urteils im Bereich einer unbeeidigten fahrlässigen Falschaussage nicht durchbrochen werden könne.17 Daher sei die unbeeidigte, fahrlässig falsch aussagende Partei von der Haftung für rechtskräftige Fehlurteile ohne Rücksicht auf den Fahrlässigkeitsgrad gänzlich befreit.

5. Tatbestandlicher Ausschluß zivilrechtlichen Ehrenschutzes Für den Bereich zivilrechtlichen Ehrenschutzes will J. Helle18 Partei- und Zeugenaussagen von Schadensersatzansprüchen gänzlich freigestellt wissen. 15

S. 166 Fn. 67; S. 167 Fn. 70. ZZP 105, 129, 141 ff. Zum Problem der subjektiven Rechtskraftgrenzen im Hinblick auf die Rolle der vernommenen Partei als Beweisobjekt s. aber bereits oben 2. Teil B. II. 3. 18 GRUR 1982, 207 f f ; NJW 1987, 233, 234. 16

Β. II. Stellungnahme

119

Die in einem rechtlich geordneten Verfahren vorgebrachten Äußerungen seien in einen Funktionszusammenhang eingegliedert, durch den ihr meinungsbildender Charakter überlagert werde. Angesichts der Eigengesetzlichkeit des Verfahrens seien die hier gemachten Äußerungen den Regulativen, die für Äußerungen auf dem 'freien Markt' gälten, nicht zugänglich. Äußerungen in rechtlich geordneten Verfahren schlössen daher schon tatbestandlich zivilrechtliche Ansprüche zum Schutz der Ehre und der Persönlichkeit aus. Diese Tatbestandsreduktion gelte nicht nur für negatorische Ansprüche, sondern auch für Schadensersatzansprüche, deren Zulassung eine unerträgliche Beeinträchtigung des Erstverfahrens mit sich brächte. Demgegenüber könne das Interesse des Verletzten am Schutz seiner Ehre und Persönlichkeit vernachlässigt werden, weil seine Belange durch Schadensersatzansprüche, die dem Schutz anderer Rechtsgüter dienten, hinreichend geschützt seien. Der von J. Helle begangene Weg geht demnach über die anderen Lösungsvorschläge teilweise hinaus, weil eine Haftungsfreistellung unabhängig vom Verschuldensgrad erfolgen soll. Er bleibt aber insoweit dahinter zurück, als er Schadensersatzansprüche zum Schutze anderer Rechtsgüter als der Ehre oder der Persönlichkeit unberührt läßt.

II.

Stellungnahme

1. Materiell-rechtlicher oder prozessualer Losungsansatz Die dargestellten Lösungswege unterscheiden sich zunächst darin, daß sie zum Teil materiell-rechtlicher, zum Teil prozessualer Natur sind. Soweit Hopt zu einer eingeschränkten Zeugenhaftung für rechtskräftige Fehlurteile im Wege einer Erweiterung der subjektiven Rechtskraftgrenzen gelangt19, stellt sich die Haftungsbegrenzung als eine rein prozessuale Folgerung dar. Bei nicht strafbarer Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht könnte in Ermangelung eines Wiederaufnahmegrundes die geschädigte Partei den Zeugen zwar nicht auf Schadensersatz verklagen. Ihr könnte jedoch auf andere Weise als durch eine Klage zur Durchsetzung ihrer Ansprüche verholfen werden. So ist etwa denkbar, daß der Zeuge in Verkennung der Rechtslage zunächst freiwillig Schadensersatz leistet, ohne seine Leistung später kondizieren zu können. Ferner hätte die geschädigte Partei die Möglichkeit, ihre Schadensersatzforderung im Wege der Aufrechnung gegen eine Forderung des Schuldners durchzusetzen, da das Aufrechnungsverbot des § 390 BGB nur materielle Einreden betrifft. 20 Mit einer prozessualen Haftungsbeschränkung lassen sich die unerwünschten Auswirkungen einer uferlosen Haftung von Beweisperso-

19

Hopt, S. 294 ff. MünchKomm./v. Feldmann, § 390 Rdn.l; Palandt/Heinrichs § 390 Rdn. 1.

120

3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

nen demnach nicht gänzlich vermeiden. Die Begrenzung muß neben der klageweisen Durchsetzbarkeit vielmehr auch den materiell-rechtlichen Anspruch als solchen erfassen. Eine Rechtskrafterstreckung auf Beweispersonen ist daher nicht der geeignete Weg zu einer interessengerechten Haftungsbegrenzung.21

2. Systematische Einordnung Steht damit fest, daß die Haftungsbeschränkung auf materiell-rechtlichem Wege zu erfolgen hat, so stellt sich als nächstes die Frage nach der hierfür maßgeblichen Anknüpfung.

a) Anknüpfung an Strafbarkeit

von Zeugen- und Parteiaussagen

Ein Teil der vorhandenen Lösungsvorschläge orientiert sich an der Strafbarkeit prozessualen Fehlverhaltens.22 Hinge die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Beweispersonen von der strafrechtlichen Würdigung ihrer Aussage ab, wäre die unbeeidigte fahrlässige Falschaussage gegenüber Schadensersatzansprüchen freigestellt. Diese Privilegierung begegnet jedoch in mehrfacher Hinsicht Bedenken. Zum einen kann nicht überzeugen, daß die zivilrechtliche Haftung von Zeugen und Parteien von ihrer Beeidigung und damit von einem Umstand abhängen soll, der sich aus Sicht der Prozeßbeteiligten als reine Zufälligkeit darstellt und mit der von strafrechtlicher Verantwortung zu trennenden Frage der Schadensregulierung in keinem Zusammenhang steht.23 Zum anderen führte die im Falle der Nichtbeeidigung auf Vorsatz beschränkte Haftung zu rechtspolitisch unerwünschten Ergebnissen. Wäre die Haftung der unbeeidigten Beweisperson selbst für grob fahrlässiges Verhalten ausgeschlossen, entfiele damit ein wichtiges Mittel der Schadensprävention. Wer unter dem Druck der Fahrlässigkeitshaftung steht, sieht sich zu erhöhter Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit veranlaßt. Dieser erwünschte Effekt mag zwar dadurch überschattet werden, daß die Beweisperson in einen Konflikt zwischen der Wahrheitspflicht und der

21

Zu den grundsätzlichen Bedenken gegen eine Erweiterung der subjektiven Rechtskraftgrenzen s. oben 2. Teil B. II. 1. b). 22

Zu diesem Ergebnis gelangen, wenn auch auf unterschiedlichem Wege, J. Blomeyer, S. 225, und Hopt, S. 296; s. auch Schreiber zur Haftung der vernommenen Partei, ZZP 105, 129, 143, und Häsemeyer, der jedoch Kritik an der derzeitigen Anknüpfung der Wiederaufnahmegründe an das Strafrecht übt,23S. 166 ff. s. dazu auch oben 1. Teil C. II. 2. b).

Β. II. Stellungnahme

121

Furcht vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme geraten könnte.24 Je höhere Anforderungen für den Verschuldensgrad gelten, um so geringer fallt jedoch die Gefahr aus, von der Prozeßpartei, zu deren Nachteil die Aussage getroffen wird, zu Unrecht und mit Erfolg auf Schadensersatz verklagt zu werden. Der Nachweis, die Beweisperson habe leicht fahrlässig falsch ausgesagt, wird in der Regel deutlich leichter gelingen als der Nachweis grober Fahrlässigkeit. Der zu befürchtende Verlust der Unbefangenheit von Beweispersonen spricht daher eher für eine Milderung als für einen völligen Ausschluß der Fahrlässigkeitshaftung. Eine derart weitgehende Haftungsbegrenzung hätte im übrigen eine unbefriedigende Schadensverteilung zur Folge. Der Geschädigte hätte die Folgen einer unbeeidigten Falschaussage selbst zu tragen, sofern ihm nicht ausnahmsweise der Nachweis einer vorsätzlichen Verletzung der Wahrheitspflicht gelänge. Die im Interesse des Staates und der Beweispersonen vorzunehmende Haftungsbegrenzung darf jedoch nicht dazu führen, daß das grundrechtlich geschützte Restitutionsinteresse des Geschädigten deliktsrechtlich nur noch unzureichend abgesichert ist. Nach einer zur Sachverständigenhaftung ergangenen Entscheidung sieht auch das BVerfG 25 die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung jedenfalls dann als überschritten an, wenn sogar die gesetzliche Haftung für grob fahrlässiges Handeln ausgeschlossen wird. Ist eine auf Vorsatz beschränkte Haftung von Beweispersonen unabhängig vom Umstand ihrer Beeidigung demnach abzulehnen, so ist nach einem Lösungsweg zu suchen, der sich an anderen Kriterien als der Strafbarkeit von Zeugen- und Parteiaussagen orientiert.

b) Anknüpfung an subjektives Verschulden

Hopt26 will zu einer Haftungsbegrenzung gelangen, indem er den objektivierten Verschuldensmaßstab des § 276 Abs.l S.2 BGB27 dahingehend modifiziert, daß für die Haftung des Zeugen ausnahmsweise subjektive Fahrlässigkeit notwendig sein soll. Die Anlegung eines subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes vermag die derzeitige Haftungssituation von Beweispersonen jedoch nicht wesentlich zu verbessern. Das prozessuale Wahrheitsgebot verpflichtet die Beweisperson nicht zu einer der Wirklichkeit entsprechenden Aussage. Verlangt wird viel24 25 26

27

s. dazu bereits oben 3. Teil Α. I. 2. a). BVerfG JZ 1979,60,61,62. S. 293. Zum Merkmal Verschulden s. oben 1. Teil A. III.

122

3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

mehr nur die Wiedergabe des Wissens, das nach einer dem individuellen Können entsprechenden Gedächtnisbemühung während der Vernehmung reproduzierbar ist.28 Den subjektiven Fähigkeiten des Aussagenden wird insoweit bereits hinreichend Rechnung getragen.29 Wollte man sie im Rahmen des Verschuldens nochmals berücksichtigen, fiele das Pflichtwidrigkeitsurteil mit dem Fahrlässigkeitsurteil nur zusammen. Eine Korrektur der gegenwärtigen Haftungslage fände dagegen trotz des subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes nicht statt. Es besteht daher kein Anlaß, den herkömmlichen, objektiven Verschuldensmaßstab des § 276 Abs.l S.2 BGB in der von Hopt vorgeschlagenen Weise zu modifizieren.

c) Anknüpfung an qualifiziertes

Verschulden

Neben den Anknüpfungen an die Strafbarkeit sowie an subjektives Verschulden kann auch der von J. Helle vertretene Lösungsweg nicht überzeugen. Mit dem tatbestandlichen Ausschluß zivilrechtlichen Ehrenschutzes allein ist den unerwünschten Auswirkungen einer Haftung von Beweispersonen nicht wirksam beizukommen. Eine Tatbestandsreduktion hinsichtlich sonstiger Schadensersatzansprüche, die dem Schutz anderer Rechtsgüter als der Ehre und der Persönlichkeit dienen, kommt jedoch nicht in Betracht, da die Haftungsfreistellung ehrverletzender Äußerungen gerade unter Hinweis auf anderweitige Ersatzmöglichkeiten mit dem Interesse des Geschädigten für vereinbar erklärt wird. 30 Im übrigen wären bei einem derart weitreichenden, selbst bei vorsätzlichem Fehlverhalten eintretenden31 Haftungsausschluß die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung offensichtlich überschritten, gewährt doch das geltende Deliktsrecht gegen jedermann, der eine rechtswidrige und schuldhafte Rechtsgutverletzung begeht, einen Schadensersatzanspruch.32 Zu erwägen bleibt damit die Möglichkeit einer Anknüpfung an qualifiziertes Verschulden, über die sich Schreiber33 und Peters34, wenn auch in Anlehnung an unterschiedliche Rechtsgedanken, im Ergebnis einig sind.

28

30 31

32

s. dazu die Ausführungen auf S. 18 ff. Vgl. auch Häsemeyer, S. 167. s. J. Helle, GRUR 1982, 207, 210, 216. Vgl. J.Helle, GRUR 1982, 207, 218 f.

Vgl. auch BVerfG JZ 1979, 60, 61, 62 zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Falle einer 3 3 auf Vorsatz beschränkten Sachverständigenhaftung. ZZP 105, 129, 141 ff. 34

s. 192.

Β. II. Stellungnahme

123

aa) Vergleich mit anderen Haftungsbeschränkungen Dem Grad des Verschuldens wird in einer Vielzahl haftungsrechtlicher Normen Rechnung getragen. Zu denken ist etwa an die auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkte Haftung des Schenkers (§ 521 BGB), des Verleihers (§ 599 BGB), des Notgeschäftsführers (§ 680 BGB), des Finders (§ 968 BGB) sowie des Schuldners bei Gläubigerverzug (§ 300 Abs. 1 BGB). Entsprechende Haftungsbeschränkungen gelten u.a. auch für Beamte (§ 46 BRRG, § 78 BBG), Soldaten (§ 24 Abs.l S.2 SDG, s.a. § 34 Abs.l S. 2 ZDG) und Gemeinderatsmitglieder (s. etwa § 43 Abs.4 lit. a GO NW, vgl. auch § 28 Abs.3 lit. a KrO NW und § 19 Abs.2 lit.a RuhrgebietsG). Darüber hinaus ist in Rechtsprechung und Literatur seit langem anerkannt, daß der Grad des Verschuldens Einfluß auf den schadensersatzrechtlichen Haftungsumfang haben kann. Beispielhaft hierfür sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung 35 sowie zur Inanspruchnahme Mindeijähriger für fahrlässig verursachte hohe Sachschäden.36 Die Berücksichtigung des Verschuldensgrades spielt ferner eine Rolle in der Diskussion um die Geltung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes im Schadensersatzrecht.37 So wird etwa im Schrifttum unter Berufung auf Art. 5 Abs.3 GG die These vertreten, daß die Deliktshaftung für wissenschaftliche Aktivitäten auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist.38 Den dargestellten Fallgruppen ist gemein, daß eine als unbillig empfundene oder von ihren Auswirkungen her unerwünschte Haftung auf ein gesteigertes Verschulden reduziert wird. Das Ausgleichsinteresse des Geschädigten tritt bei den schuldrechtlichen Haftungsmilderungen des BGB in den Hintergrund, weil der Schädiger unentgeltlich oder uneigennützig handelt.39 Auf das Utilitätsprinzip läßt sich auch die Haftungserleichterung für Arbeitnehmer zurückführen, die mit der Weisungsgebundenheit und Fremdnützigkeit ihrer Tätigkeit sowie der Äquivalenz von Arbeitsentgelt und Risikotragung begründet wird. 40 Die Haftungsbeschränkung für Beamte beruht dagegen nicht auf dem Bestreben nach gerechter Schadensaufteilung. Vielmehr soll mit ihr die Entscheidungsfreude des Beamten und damit die Effizienz der Verwaltung ge-

35

s. dazu Fleig, ZRP 1992, 460; ; Schalt, MDR 1992, 12; Worzalla, ΝΖΑ 1991, 166, jew. mit zahlreichen Rechtprechungsnachweisen. 36 s. OLG Celle JZ 1990, 294; LG Bremen NJW-RR 1991, 1432; s. dazu auch Canaris, JZ 1990, 679· Kuhlen, JZ 1990, 273. 3 s. dazu Canaris, JZ 1987, 993; ders., JuS 1989, 161. 38

s. Canaris, JuS 1989, 161, 172, mit weiteren Nachweisen. s. Röhl, JZ 1974, 521, 523; Esser/Schmidt, § 26 II 3a. 40 s. zuletzt BAG NJW 1993, 1732, 1733 f.; Däubler, NJW 1986, 867, 869; Marhold, JuS 1991, 921,922. 39

124

3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

stärkt werden.41 Dem öffentlichen Wohl dienen schließlich auch die Haftungsmilderungen fur Gemeinderatsmitglieder und Soldaten. Bei letzteren tritt noch der Umstand hinzu, daß sie in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Verpflichtung handeln und als hoheitlich Tätige nicht durch das Risiko einer Verpflichtung schon bei leicht fahrlässiger Schadenszufügung verunsichert werden sollen.42 Im Bereich der Mindeijährigenhaftung ist das oftmals krasse Mißverhältnis zwischen Verschulden und Haftungsfolgen der tragende Grund für den Versuch, zu einer Haftungsbeschränkung zu gelangen. Der Minderjährige soll vor exorbitant hohen, ruinösen Schadensersatzpflichten bewahrt werden, die ihn unter Verletzung seines grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts und des Sozialstaatsprinzips auf Dauer an den Rand des pfandungsfreien Existenzminimums brächten.3 Die Gründe, die für eine beschränkte Haftung von Beweispersonen sprechen44, stimmen mit den haftungsbeschränkenden Aspekten dieser Fallgruppen weitgehend überein. Auch Zeugen und vernommene Parteien verdienen Schutz vor unzumutbaren finanziellen Belastungen.45 Angesichts der Fremdnützigkeit ihrer unentgeltlichen Tätigkeit, derer sich der Zeuge überhaupt nicht und die vernommene Partei nur unter Inkaufnahme prozessualer Nachteile entziehen kann46, widerspricht eine unbegrenzte Haftung für jeden auch nur leicht fahrlässig verursachten Schaden dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Neben diesen auf das Individualinteresse des Schädigers zugeschnittenen Gründen verlangt auch das öffentliche Interesse an einer ungestörten Wahrheitsfindung im Prozeß, die für eine funktionsfähige Rechtspflege unerläßlich ist, eine Haftungserleichterung zugunsten von Beweispersonen.47 Haben in den dargestellten Fallgruppen gleichfalls an den Belangen einzelner und dem Gemeinwohl orientierte, also vergleichbare Gesichtpunkte für eine qualifizierte Verschuldenshaftung der Beteiligten gesprochen, so liegt es nahe, dieses Lösungsmodell de lege ferenda auch auf die Haftung von Zeugen und vernommenen Parteien zu übernehmen.

41 42 43

s. Fleig, ZRP 1992, 460, 461; s. auch Hilg, § 31 II 2e; Battis, RdA 1986, 216, 218. s. Fürst/Horst, § 24 Rdn. 12.

s. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. s. dazu oben 3. Teil Α. I. und II. 45 s. oben 3. Teil Α. I. 1. 46 s. oben 3. Teil Α. I. 1. und II. 47 s. oben 3. Teil Α. I. 2. 44

Β. II. Stellungnahme

125

bb) Differenzierungen auf der Verschuldensebene nach der herkömmlichen Zweiteilung und der arbeitsrechtlichen Haftungstrias Zu klären bleibt, ob diese verschuldensorientierte Haftungsbeschränkung der herkömmlichen Differenzierung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit oder aber dem zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Dreiteilungskonzept folgen soll.48 Entsprechend den Grundsätzen der dreistufigen Arbeitnehmerhaftung 49 trägt der Schädiger bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit den Schaden in der Regel allein, während eine Haftung für leichteste Fahrlässigkeit entfallt. Bei normaler Fahrlässigkeit ist der Schaden zwischen Schädiger und Geschädigtem quotai zu verteilen, wobei die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind. Im Falle existenzvernichtender Großschäden soll eine Schadensteilung in Einzelfallen aber auch bei grober Fahrlässigkeit stattfinden können.50 Die Unterscheidung zwischen mittlerer und grober Fahrlässigkeit ist daher bei Großschäden nur noch für das Ausmaß des Schadensersatzes von Bedeutung, nicht aber für die Frage, ob die Haftungserleichterung überhaupt Platz greift. 1 Gegenüber der Unterscheidung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit bringt dieses Lösungsmodell ein erhöhtes Maß an Einzelfallgerechtigkeit mit sich. Nach der herkömmlichen Differenzierung zieht ein im Vergleich zu normaler Fahrlässigkeit nur unwesentlich höheres Verschulden die volle Haftung nach sich, während bei einfacher Fahrlässigkeit eine Haftungsbefreiung eintritt. In Grenzfallen, in denen die Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit Schwierigkeiten bereitet, kann dieses 'Alles-oder-NichtsPrinzip' zu unbilligen Härten führen. Die Haftungstrias vermeidet diese Härten, indem sie eine Skala abgestufter Fahrlässigkeitsgrade bereitstellt, denen der Schadensersatzumfang fließend angepaßt ist. Die Haftungsquote beginnt bei leichtester Fahrlässigkeit mit 0 % und steigt über den untechnisch zu verstehenden52 Bereich der mittleren Fahrlässigkeit bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit bzw. bei Großschäden bis zur Vorsatzgrenze auf 100 %. Eine strikte Trennung zwischen den einzelnen Fahrlässigkeitsgraden ist insoweit entbehrlich.53 Fehler bei der Zuordnung eines Verhaltens zu einem bestimmten Verschuldensgrad mögen sich zwar auf den Umfang der Schadensersatzverpflichtung auswirken. Die Gefahr einer gänzlich ungerechtfertigten Haftungsfreistellung oder Vorenthaltung einer Haftungserleichterung ist aber weitge48

49

In ersterem Sinne Götz, S. 168, in letzterem Sinne Schreiber, ZZP 105, 129, 141 ff.

s. zuletzt BAG GS NJW 1993, 1732, s. auch Schalt, MDR 1992, 12, jew. m. w. Rechtsprechungsnachweisen. 50 BAG NJW 1990,468, 469 f. 51 Marhold, JuS 1991,921,924. 52 s. Worzalla, NZA 1991, 166, 169. 53 s. auch Marhold, JuS 1991, 921,924.

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3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

hend eingedämmt. Ferner wird eine den Bedürfnissen des Einzelfalles angemessene Schadensverteilung dadurch sichergestellt, daß neben der Feststellung des Verschuldensgrades auch Gesichtspunkte der Billigkeit und Zumutbarkeit für den Haftungsumfang mitbestimmend sind.54 Demnach sprechen beachtliche Gründe dafür, die postulierte Haftungsbeschränkung für Zeugen und vernommene Parteien entsprechend den Grundsätzen zur Arbeitnehmerhaftung auszugestalten. Andererseits darf nicht verkannt werden, daß ein an Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten orientiertes Haftungsprivileg zu Lasten der Rechtssicherheit geht.55 Bei den Kriterien der Billigkeit und Zumutbarkeit handelt es sich um unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe, die von verschiedenen Betrachtern unterschiedlich beurteilt werden können. Infolge der zwischenzeitlichen Schwankungen in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur 56 sind diese Begriffe trotz zahlreicher Präzisierungsversuche keineswegs hinreichend geklärt und gefestigt. Dies zeigt etwa der zur Konkretisierung der Billigkeitserwägungen entwickelte Begriff der Gefahrgeneigtheit der Arbeit, der lange Zeit eine widersprüchliche Handhabung erfahren hatte57, bevor er als Voraussetzung für die Haftungsbeschränkung für überflüssig erklärt wurde.58 Ungewiß ist auch die Entwicklung der zunächst über Jahre gefestigten Rechtsprechung zur Dreiteilung auf der Verschuldensebene, von der das BAG in zwei Urteilen aus dem Jahre 1983 aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zugunsten einer Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zeitweilig abgewichen ist.59 Weitere Bedenken gegen eine Übernahme der Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung ergeben sich daraus, daß eine Schadensteilung bei Großschäden selbst im Falle grob fahrlässiger Schadenszufügung stattfinden soll.60 Ein derart weitreichendes Haftungsprivileg mag im Arbeitsrecht gerechtfertigt sein, wo es um den sozialadäquaten Ausgleich zwischen dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers und der durch den Verdienst begrenzten Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers geht. Dem Arbeitsgeber wird ein durch das Schadensereignis eintretender hoher Vermögensverlust um so mehr zugemutet, als dieser einkalkuliert oder durch eine Versicherung abdeckbar ist. Die geschädigte Prozeßpartei hingegen wäre durch eine anteilige Schadenstragung ungerecht54

s. dazu Worzalla, ΝΖΑ 1991, 166, 169. Vgl. auch Worzalla, ΝΖΑ 1991, 166, 167. 56 s. etwa BAG AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO; Nr.8, 42, 69, 70, 72, 74, 82, 84, 86, 92, 93 zu § 611 BGB - Haftung des Arbeitnehmers. S. auch Marhold, JuS 1991, 921 f f ; Schalt, MDR 1992, 12 ff., und Münchener Handbuch Arbeitsrecht/Blomeyer, § 57 II, jeweils mit weiteren Nachweisen zu Rechtsprechung und Literatur. s. dazu Worzalla, NZA 1991, 166, 167, mit weiteren Nachweisen. 55

58

s. BAG GS NJW 1993, 1732, mit zahlreichen Schrifttumsnachweisen. BAGE 42, 130, 136; 44, 170, 175; s. dazu auch die Anmerkung v. Gamillscheg, AuR 1983, 317, 318. Vier Jahre später ist der 8. Senat des BAG jedoch zu seiner früheren Rechtsprechung zurückgekehrt, s. BAGE 57, 55, 64. 60 s. BAG NJW 1990, 468, 469 f. 59

Β. II. Stellungnahme

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fertigt in ihrem Ersatzinteresse beschnitten, da von einem Kräfteungleichgewicht, wie es unter den Arbeitsvertragsparteien besteht, zwischen ihr und dem Schädiger nicht die Rede sein kann. Eine selbst bei grober Fahrlässigkeit eintretende Haftungsmilderung ist im übrigen auch aus Gründen der Schadensprävention abzulehnen.61 Freilich ist an dieser Stelle einzuräumen, daß letzteren Einwänden durch eine eingeschränkte Übernahme der arbeitsrechtlichen Haftungsgrundsätze, von der die Besonderheiten für Großschäden ausgenommen sind, begegnet werden könnte. Daß es sich bei dem zur Arbeitsnehmerhaftung entwickelten Dreiteilungskonzept um ein Verschuldensmodell handelt, das nicht ohne weiteres auf andere Haftungssituationen übertragbar ist62, zeigt jedoch auch das Gesamtsystem unserer Rechtsordnung. Das Kriterium der mittleren Fahrlässigkeit hat in keiner einzigen Haftungsnorm gesetzliche Anerkennung gefunden, während die Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in zahlreichen Normen Vorbilder hat.63 Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Entwicklungen im Beamtenrecht. Vor der gesetzlichen Neuregelung des § 78 BBG und des § 46 BRRG hing der Umfang der Beamtenhaftung davon ab, ob der Schaden in Ausübung hoheitlichen oder fiskalischen Handelns entstanden war. Die Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit kam nur in ersterem Fall zum Tragen (s. § 78 Abs.l S.2 BBG, 46 Abs.l S.2 BRRG), während im nichthoheitlichen Bereich nach allgemeinen Haftungsgrundsätzen auch für leichte Fahrlässigkeit gehaftet wurde. Der strenge Haftungsmaßstab für privatrechtliche Tätigkeiten wurde jedoch durch eine entsprechende Anwendung der arbeitsrechtlichen Haftungsgrundsätze gemildert.64 Seit der ab dem 1.1.1993 geltenden Neufassung der beamtenrechtlichen Vorschriften ist das Bedürfnis nach einer Übertragung dieser Grundsätze entfallen, da Beamte nunmehr ohne Rücksicht auf die Art ihrer Tätigkeit nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit schadensersatzpflichtig sind. Daß der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Beamtenhaftung nicht dem Dreiteilungskonzept des BAG gefolgt ist, mag nicht zuletzt an dessen praktischer Handhabung liegen, die auf die herkömmliche Differenzierung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit hinausläuft. Fälle, in denen ein zur Schadensaufteilung führendes mittleres Verschulden bejaht worden ist, bilden in der forensischen Praxis eher eine Ausnahme.65 Fraglich ist zudem, ob mit der Neuregelung der Beamtenhaftung nicht zugleich auch die Weichen für die noch anstehende Neukodifizierung des Ar-

61

62

s. dazu bereits oben 3. Teil Β. II. 2. a).

Skeptisch auch Esser/Schmidt, § 26 II 3 c. 63 s. auch Hanau, Festschrift für Hübner, S. 467, 482; v. Hoyningen-Huene, BB 1989, 1889, 1893; Wohlgemuth, DB 1990, 910,911. 64 s. Battis, RdA 1986, 216, 219 f.; Hilg, § 31 II 2 e; Strunk, Rdn. 175. s. Esser/Schmidt, § 26 II 3c, mit weiteren Nachweisen.

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3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

beitsvertragsrechts 66 gestellt sind. Eine Anpassung an die beamtenrechtliche Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit liegt insofern nahe, als eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und Beamte gefordert wird. 67 Richtungsweisende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einer Initiative der SPD-Bundestagsfraktion zu.68 Ihr Gesetzesentwurf sieht unter anderem durch Einfügung eines § 619a in das BGB vor, daß der Arbeitnehmer bei jeglicher betrieblicher oder dienstlicher Tätigkeit nur noch für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten haftet, letzterenfalls bis zur Höhe von drei Nettomonatsvergütungen. Da der Gesetzgeber nach Art. 30 Abs.l Nr.l EinigungsV den Auftrag hat, das Arbeitsvertragsrecht möglichst bald einheitlich zu kodifizieren, ist die Wahrscheinlichkeit einer vorgezogenen isolierten Haftungsnorm für Arbeitnehmer zwar eher gering.69 Die gesetzgeberische Initiative behält jedoch für die Ausgestaltung eines einheitlichen Arbeitsvertragsrechts weiterhin ihre Bedeutung. Das Schicksal des arbeitsrechtlichen Verschuldensmodells ist daher ungewiß. Demgegenüber gewinnt die Entwicklung der Maßstäbe für einfache und grobe Fahrlässigkeit immer mehr an Gewicht.70 Dies gilt nicht erst seit der Neuregelung der Beamtenhaftung, hat doch bereits vorher ein Rechtszustand bestanden, der in einer Vielzahl sozial relevanter Haftungsfalle die volle persönliche Haftung erst bei grober Fahrlässigkeit einsetzen läßt.71 Die Unterscheidung zwischen beiden Fahrlässigkeitsarten ist bislang in ihrer praktischen Anwendung demnach nicht auf unüberwindbare Schwierigkeiten gestoßen. Die Gefahr, als nur leicht fahrlässig Handelnder dennoch einmal zu Schadensersatz verurteilt zu werden, bewegt sich vielmehr im Rahmen des allgemeinen Prozeßrisikos, gegen das sich niemand schützen kann.72 Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, daß das arbeitsrechtliche Dreiteilungskonzept zwar ein erhöhtes Maß an Einzelfallgerechtigkeit mit sich bringt, dieser Vorteil aber nur um den Preis der Rechtssicherheit erzielt werden kann. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die praktische Handhabung der von unbestimmten Rechtsbegriffen beherrschten Haftungsgrundsätze, als auch im weiteren Sinne für die Frage, ob das Verschuldensmodell des BAG von einem zukünftigen einheitlichen Arbeitsvertragsrecht überhaupt aufgegriffen wird. Daher ist trotz der beachtlichen Gründe, die für eine Dreiteilung auf der

66 67

s. Art. 30 Abs.l Nr. 1 EinigungsV. s. etwa Fleig, ZRP 1992,460, 462; Gamillscheg/Hanau, S. 126.

68

V. 21.8.1989 BT-Drucks. 11/5086.

69

s. Fleig, ZRP 1992, 460,461; s. auch Worzalla, NZA 1991, 166, 170. s. Fleig, ZRP 1992, 460, 462. s. Röhl, JZ 1974, 521; s. auch die oben aufgeführten Beispiele im 3. Teil B. II. 2. c) aa). Vgl. auch J. Blomeyer, ZRP 1974, 214, 221.

70 71 72

Β. III. Reichweite der Haftungsbeschränkung

129

Verschuldensebene sprechen, an der herkömmlichen Differenzierung zwischen grober und einfacher Fahrlässigkeit festzuhalten. 73 Dem Bedürfnis nach einer Haftungsbeschränkung kann demnach am ehesten durch eine Regelung Rechnung getragen werden, wonach Zeugen und vernommene Parteien nur für vorsätzlich und grob fahrlässig herbeigeführte Schäden der Prozeßbeteiligten haften. Eine solche Beschränkung schafft einen akzeptablen Kompromiß zwischen dem Ersatzinteresse des Geschädigten und dem erstrebenswerten Ziel, Zeugen und vernommene Parteien vor unverhältnismäßigen zivilrechtlichen Sanktionen zu schützen. Da diesen Beweispersonen nach der prozessualen Wahrheitspflicht aber bereits nicht mehr abverlangt wird, als ihnen entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten während der Vernehmung möglich ist,74 sollte bei der Bejahung grober Fahrlässigkeit nicht allzu große Zurückhaltung geübt werden.75

III. Reichweite der Haftungsbeschränkung Einer Klärung bedarf schließlich noch die Frage, welche Schadenssituationen von der Haftungsbeschränkung erfaßt werden. Einerseits ginge es zu weit, schädigende Äußerungen ohne Rücksicht auf ihren inneren Zusammenhang mit dem Erstverfahren von der Haftung für einfache Fahrlässigkeit freizustellen. Tragender Grund für die Haftungserleichterung ist nicht der räumlichzeitliche Zusammenhang der verletzenden Äußerung mit dem Erstverfahren, sondern ihre Bedeutung und Funktion für den Prozeß.76 Für Äußerungen, die nur bei Gelegenheit des Erstverfahrens, nicht aber in Ausübung der Pflichten einer Beweisperson abgegeben werden, haftet der Schädiger daher unbegrenzt. Es besteht kein Anlaß, für diese Fälle besondere Haftungsbegrenzungen zu suchen, die über die allgemeinen Rechtsregeln hinausgehen. Andererseits wäre die Haftungsbeschränkung zu restriktiv verstanden, wenn ihre Anwendung auf bestimmte Schadensfalle beschränkt bliebe. Den Ansichten J. Biomeyers77 und Häsemeyers78 zufolge soll das Haftungsprivileg nur in

73

Vgl. auch den Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977, S. 143, zur Neuregelung der Sachverständigenhaftung sowie Casanova, S. 146 f., zur Haftung der Parteien nach Art. 41 schweizer. OR. 74 s. oben 1. Teil Α. II. 2. und 3. b). 75

.

'

A.A. Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. 3, S. 192, der den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht allzu großzügig verstanden wissen will. s. oben 3. Teil A. 77 S. 225. 78 S. 168 f.

9 Prange

130

3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

solchen Fällen greifen, in denen der Schaden in einem rechtskräftigen Urteil besteht, das nicht im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens aufgehoben werden kann. Für alle übrigen Schadensfälle werde hingegen ohne Beschränkungen gehaftet. Diese schadensspezifische Differenzierung mag dort ihren Sinn haben, wo die Haftungserleichterung für Zeugen und vernommene Parteien als bloße Reflexwirkung 79 aus dem Erfordernis der Bestandskraft rechtskräftiger Entscheidungen aufgefaßt wird. Tragender Grund für das Haftungsprivileg ist nach der hier vertretenen Auffassung neben dem Gedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens indes gerade der Schutz vor unverhältnismäßigen Belastungen, der den Beweispersonen in ihrem eigenen Interesse, aber auch im öffentlichen Interesse an einer ungestörten Wahrheitsfindung im Prozeß gebührt.80 Dieses Motiv beansprucht auch für solche Fälle Geltung, in denen der Schaden nicht in einem bestandskräftigen Fehlurteil besteht, sondern andere streitbefangene sowie nicht streitbefangene Rechte und Interessen81 beeinträchtigt sind. Eine Beschränkung des Haftungsprivilegs auf besondere Schadenskonstellationen ist daher abzulehnen. Unabhängig von der Art des durch sie hervorgerufenen Schadens sollte demnach jede Äußerung bis zur Grenze grober Fahrlässigkeit von der Haftung freigestellt werden, sofern sich das Verhalten der Beweisperson als Wahrnehmung ihrer Zeugnispflicht bzw. pflichtenähnlichen Funktion82 darstellt.

IV. Umsetzung der postulierten Haftungsregel Fraglich bleibt, ob die Umsetzung der soeben gewonnenen Haftungsregel einer gesetzlichen Normierung bedarf oder derrichterlichen Rechtsfortbildung überlassen bleiben sollte. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der Sachverständigenhaftung haben gezeigt, daß ein wenngleich umstrittenes, so doch vielfach gefordertes Haftungsprivileg auch ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Anwendung kommen kann. Daß der Vorschlag der Kommission für das Zivilprozeßrecht zur Einfügung eines § 839a BGB als spezielle Haftungsregelung 3 bislang nicht in die Tat umgesetzt wurde, hat einer Weiterentwicklung dieser Haftungsfrage durch die Gerichte nicht im Wege gestanden.84 Ferner kommen Regreßprozesse gegen Beweispersonen, insbesondere gegen Zeugen oder vernommene Parteien, in der gerichtlichen Praxis nicht so häufig

79 8 0

Vgl. Häsemeyer, S. 167. w

τ τ

1 A

81 s. oben 3. Teil A Zu den denkbaren Schadenssituationen s. oben 1. Teil Α. I. 1. und 2. 82 s. die Ausführungen oben 3. Teil A II. zur Parteivernehmung. s. den Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977, S. 142 f. s. oben 2. Teil D.

C. Zusammenfassung

131

vor, daß mit einer Vielzahl sich womöglich widersprechender Entscheidungen gerechnet werden müßte. Anders als im Bereich der Arbeitnehmerhaftung, wo bisherige Grundsätze ständig aufgehoben oder modifiziert werden85, drängt sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Haftung von Beweispersonen deshalb auch nicht aus Gründen der Rechtssicherheit auf. Hinzu kommt, daß eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zugunsten von Beweispersonen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt86, die für einen Vorrang legislatorischer Normsetzung vor richterlicher Rechtsfortbildung sprechen könnten. Zeugen und vernommene Parteien können in Regreßprozessen daher auch ohne eine vorangegangene gesetzliche Regelung des postulierten Haftungsprivilegs von der Haftung für leichte Fahrlässigkeit freigestellt werden.

C. Zusammenfassung Die de lege lata bestehende Haftungssituation bei Schädigungen durch Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht erweist sich im Hinblick auf Zeugen und vernommene Parteien als unbefriedigend. Neben der Schutzwürdigkeit vor unverhältnismäßigen Belastungen durch Erfüllung der Zeugnispflicht spricht beim Zeugen vor allem das öffentliche Interesse an einer ungestörten Wahrheitsfindung im Prozeß für eine Haftungsbegrenzung. Angesichts der Funktionsverwandtschaft zwischen Zeugen und Parteien in ihrer Rolle als Beweisobjekt sowie aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens gilt die Forderung nach einer Haftungsmilderung auch für Aussagen, die im Rahmen der Parteivernehmung fallen. Während über das Bedürfnis nach einem Haftungsprivileg für diese Beweispersonen weitgehend Einigkeit besteht, gehen die Ansichten über die dogmatische Einordnung der postulierten Haftungserleichterung auseinander. Der Vergleich mit anderen Haftungsbeschränkungen zeigt, daß dem Sinn und Zweck eines solchen Privilegs am ehesten durch eine Anknüpfung an qualifiziertes Verschulden Rechnung getragen wird. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist der herkömmlichen Zweiteilung zwischen einfacher und grober Fahr-

85

86

s. Schalt, MDR 1992, 12, 15.

s. das Urteil des BVerfG, NJW 1979, 305, 307, zur Sachverstandigenhaftung, wonach die Versagung von Schadensersatzansprüchen im Falle einer leicht fahrlässigen Falschbegutachtung keine Grundrechtsverletzung darstellt. 9*

132

3. Teil: Haftungsbeschränkungen de lege ferenda

lässigkeit gegenüber der arbeitsrechtlichen Haftungstrias der Vorzug zu geben. De lege ferenda empfiehlt sich daher eine durch die Gerichte umzusetzende Haftungsregel, wonach Zeugen und vernommene Parteien den Verfahrensbeteiligten für die Schadensfolgen einer wahrheitswidrigen Aussage vor Gericht nur dann haften, wenn ihnen ein vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht zur Last fällt.

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