Masse & Apokalypse: Zur narrativen Entfaltung einer autoritären Konstruktion im Zombie-Genre 9783839448236

Whether in zombie genres or authoritarian theoretical discourses: The unveiling dynamics of collectivised bodies is a to

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German Pages 202 Year 2020

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Inhalt
1. Einleitung
2. Korpus: (K)eine Genre-Geschichte
3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse
3.1. Das Ende der Ordnung im Jüngsten Gericht.Carl Schmitts »Politische Theologie«
3.2. Apokalypse als Naturzustand.Carl Schmitts »Begriff des Politischen«
3.3. Die Masse als enthüllte Natur. Gustave Le Bon und Sigmund Freud
4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre
4.1. Kontrolle und Kontrollverlust. Von »White Zombie« zu »Night of the Living Dead«
4.2. Kontrollverlust und Untergang.»Night of the Living Dead« und »Dawn of the Dead«
4.3. Nach dem Untergang. »28 Days Later« und »The Walking Dead«
5. Schlusswort
Literaturverzeichnis
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Masse & Apokalypse: Zur narrativen Entfaltung einer autoritären Konstruktion im Zombie-Genre
 9783839448236

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Yannic Han Biao Federer Masse & Apokalypse

Edition Kulturwissenschaft  | Band 208

Yannic Han Biao Federer, geb. 1986, arbeitet im Literaturhaus Köln. Er studierte Germanistik und Romanistik in Bonn, Florenz und Oxford und promovierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Erste Erzählungen publizierte er in Literaturzeitschriften und -anthologien und veröffentlichte 2019 seinen Debütroman Und alles wie aus Pappmaché (Suhrkamp Nova). 2016 erhielt er den Förderpreis der Wuppertaler Literatur Biennale, 2017 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium sowie 2018 den Harder Literaturpreis und den Hauptpreis der Wuppertaler Literatur Biennale. 2019 wurde ihm beim Ingeborg-BachmannWettbewerb in Klagenfurt der 3sat-Preis zugesprochen.

Yannic Han Biao Federer

Masse & Apokalypse Zur narrativen Entfaltung einer autoritären Konstruktion im Zombie-Genre

Zugleich Dissertation unter dem Titel »Masse – Apokalypse. Zur narrativen Entfaltung einer autoritären Konstruktion im Zombie-Genre« an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2020.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4823-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4823-6 https://doi.org/10.14361/9783839448236 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

1.

Einleitung .........................................................................................7

2.

Korpus: (K)eine Genre-Geschichte .......................................................... 13

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse .... 37 3.1. Das Ende der Ordnung im Jüngsten Gericht. Carl Schmitts »Politische Theologie« ................................................................. 41 3.2. Apokalypse als Naturzustand. Carl Schmitts »Begriff des Politischen« .............................................................56 3.3. Die Masse als enthüllte Natur. Gustave Le Bon und Sigmund Freud ................................................................... 71 4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre .......................... 95 4.1. Kontrolle und Kontrollverlust. Von »White Zombie« zu »Night of the Living Dead« ..............................................96 4.2. Kontrollverlust und Untergang. »Night of the Living Dead« und »Dawn of the Dead«............................................ 129 4.3. Nach dem Untergang. »28 Days Later« und »The Walking Dead«............................ 146 5.

Schlusswort ................................................................................... 183

Literaturverzeichnis ................................................................................ 187

1. Einleitung

In Danny Boyles »28 Days Later« aus dem Jahr 2002 wird der Fahrradkurier Jim in einen Verkehrsunfall verwickelt und fällt ins Koma. Als er einigermaßen abgemagert und verwirrt wieder aufwacht, findet er sich allein in einem verwüsteten Krankenhaus wieder. Niemand antwortet auf seine Rufe. Die Hörer der Telefonzellen hängen nutzlos an ihren Kabeln im Foyer. Draußen wandert er durch die verlassenen Straßen der Londoner Innenstadt. Vor dem Palace of Westminster liegen Touristensouvenirs verstreut, die sämtlich die Wahrzeichen des Vereinigten Königreichs zeigen, am Buckingham Palace wehen nutzlos gewordene Geldscheine im Wind.1 Ganz offensichtlich ist hier etwas zu Ende gegangen, hat hier etwas aufgehört, oder zumindest wurde etwas unterbrochen, das sich vor Jims Komaschlaf noch einer munteren Operativität erfreut hatte. Seit George A. Romeros »Night of the Living Dead« von 1968 kreist das ZombieGenre in seiner schwindelerregenden Produktivität von Spielfilmen, TV-Serien, Comic-Serien, Romanen und Computerspielen beständig um diese Unterbrechung des hergebrachten, gewohnten gesellschaftlichen Funktionierens. Mehr noch, sie ist in den knapp fünfzig Jahren seit Romeros Debütfilm derart selbstverständlich geworden, dass der eigentliche Vorgang der Unterbrechung inzwischen sogar gänzlich übersprungen werden kann, d.h. er wird vorausgesetzt, ohne weiter ausgeführt werden zu müssen. Während »28 Days Later« der oben beschriebenen Krankenhaus-Szene immerhin noch einige wenige Sequenzen vorschaltet, die sich der einsetzenden Unterbrechung widmen2 , ist dies in der ersten Heftfolge von Robert Kirkmans Comic-Serie »The Walking Dead«, die nur ein Jahr später erscheint, schon nicht mehr der Fall: Die ersten sechs Panels zeigen, wie der Polizist Rick Grimes im Einsatz angeschossen wird. Im siebten Panel erwacht Rick, wie vor ihm der Fahrradkurier Jim, im verlassenen und verwüsteten Krankenhaus.3 Die Unterbrechung des gesellschaftlichen Funktionierens findet hier also irgendwo zwischen 1 Vgl. 28 Days Later. Regie: Danny Boyle, Großbritannien 2002, 108 Min., DVD, Vertrieb: Twentieth Century Fox, 0:06:30-0:10:30. 2 Vgl. ebd., 0:03:35-0:05:12. 3 Vgl. Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Compendium One, Berkeley (CA): Image Comics 7 2013, S. 5f.

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Masse & Apokalypse

sechstem und siebten Panel statt und wird ansonsten nur noch textuell, also in den per Sprechblase wiedergegebenen Schilderungen der Figuren, ausgeführt.4 Im Unterschied zu Jim wird Rick aber wesentlich früher und noch im Krankenhaus mit der mutmaßlichen Ursache des gesellschaftlichen Zusammenbruchs konfrontiert. Nämlich: Mit einer Masse bewusstlos umherschlurfender, anthropophager Untoter.5 Freilich ist das, was die Figur des Zombies im Einzelnen ausmacht, in den vielen Filmen und Film-Reihen, TV-Serien, Comics und Romanen äußerst unterschiedlich ausgestaltet; nicht zuletzt »28 Days Later« ersetzt die verwesenden Menschenfresser durch massiv beschleunigte, gänzlich appetitlose, aber darum nicht weniger gefährliche Infizierte.6 Das Szenario der unterbrochenen gesamtgesellschaftlichen Operativität koinzidiert aber dennoch zuverlässig mit dem massenhaften Auftritt wie auch immer gestalteter Zombies und deshalb bezieht dieses Szenario von ihnen auch seinen Namen, firmiert es doch unlängst in paratextuellen Rahmungen sowie in der Forschung unter dem Begriff der »Zombie Apocalypse«.7 Es besteht also ein Zusammenhang, eine Verschaltung zwischen der ebenso bewusstlosen wie aggressiven Masse einerseits und dem als Apokalypse verstandenen Verstummen gesellschaftlicher Operativitäten andererseits. Eine solche lässt sich aber auch abseits untoter Menschenfresser oder rasender Infizierter beobachten, etwa im Feld der Massenpsychologie Gustave Le Bons und Sigmund Freuds wie auch im umstrittenen Werk des Staatsrechtlers Carl Schmitt. Erstere fürchtet das »Zeitalter der Massen«, in dem diese »[v]ermöge ihrer nur zerstörerischen Macht« den »Zusammenbruch« einer »morsch geworden[en]« Kultur einleite.8 Letzteres imaginiert dagegen eine transzendente Sphäre der Gewalt, die sich unter allen regelhaften Operationen der Gesellschaft verbirgt und sich immer dann enthüllen kann, wenn die bellizistisch kollektivierte, souveräne Volksmasse, das »unorganisierbar Organisierende«9 , den Ernstfall erklärt.10 Die Kopplung aus Masse und 4 5 6 7

Vgl. etwa ebd., S. 20. Vgl. ebd, S. 10f. Vgl. 28 Days Later, 0:03:35-0:05:12. Zum Forschungsdiskurs vgl. nur Balaji, Murali (Hg.): Thinking Dead. What the Zombie Apocalypse means, Lanham u.a.: Lexington 2013. Zur paratextuellen Verwendung vgl. bspw. Zombie Apocalypse. Regie: Nick Lyon, Großbritannien/USA, 83 Min., DVD, Vertrieb: Asylum. Vgl. außerdem Rowlands, Diana: White Trash Zombie Apocalypse, New York: Daw Books 2013. 8 Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen, autorisierte Übersetzung von Rudolf Eisler, bearbeitet von Rudolf Marx, Stuttgart: Kröner 15 1982, S. 2-5. Die apokalyptische Folie ist bei Freud zwar anders konfiguriert, in dieser Hinsicht aber strukturell kongruent. Vgl. Kapitel 3.3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 86-89. 9 Schmitt, Carl: Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, achte, korrigierte Auflage, Berlin: Duncker & Humblot 2015, S. 138. 10 Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2 in dieser Arbeit.

1. Einleitung

Apokalypse scheint einer autoritären Politisierung demnach äußerst zugänglich zu sein. Aus diesen, noch sehr kursorischen, Betrachtungen lässt sich eine erste Vermutung ableiten: Das Zombiegenre, so meine These, speist sich aus einer politisierbaren Kopplung von Masse und Apokalypse. Um dies einerseits im Detail nachweisen und andererseits in seiner diachronen Entfaltung untersuchen zu können, bedarf es eines Korpus, das aus der Fülle der knapp einhundertjährigen Genregeschichte eine spezifische Auswahl trifft. Die Kriterien dieser Auswahl aber wären damit noch nicht geklärt. Sie müssen daher zunächst im zweiten Kapitel dieser Arbeit diskutiert werden und zwar anhand der grundsätzlichen Überlegungen, was unter einem Genre überhaupt zu verstehen ist, wie sich die Figur des Zombies genau bestimmen lässt, auf welche Weise sie in der Folge ein bestimmtes Genre, eben das Zombiegenre, zu differenzieren in der Lage ist und, zuletzt, wie die Geschichte des so verstandenen Zombiegenres beschrieben werden kann. Innerhalb der Gattungsund Genretheorie wird hierbei auf diejenigen Entwürfe zurückgegriffen, die ihren Gegenstand eher als historisch wandelbare Institutionen denn als definierbare Positionen innerhalb einer ahistorischen Systematik beschreiben. Anschließend muss ein etablierter Topos der Zombiegenre-Forschung kritisch beleuchtet werden, demzufolge die Geschichte des Zombiegenres anhand unterscheidbarer Zombie-Typen in drei Phasen unterteilt werden könne. Es wird sich zeigen, dass die vorgeschlagene Unterteilung der Genregeschichte durchaus begründbar ist, allerdings weniger durch typologische Argumentationen als durch solche, die sich divergierenden Serialisierungsmodi zuwenden. Im dritten Kapitel wird es dann um die Erarbeitung einer ausreichend komplexen Theoriesprache gehen, mit deren Hilfe sich die Kopplung aus Masse und Apokalypse überhaupt erst hinreichend präzise formulieren und untersuchen lassen wird. Im massenpsychologischen Feld stehen dafür Gustave Le Bons »Psychologie der Massen« von 189511 , Sigmund Freuds »Massenpsychologie und Ich-Analyse« von 192112 sowie »Die Zukunft einer Illusion« von 192713 im Zentrum. Aus dem Werk Carl Schmitts müssen vorrangig die »Politische Theologie« von 192214 sowie »Der Begriff des Politischen« in der Fassung von 193215 betrachtet werden, gerade auch in ihrem 11 Zur genutzten Ausgabe vgl. Fußnote 8 in diesem Kapitel. 12 Vgl. Freud, Sigmund: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, in: ders.: Studienausgabe, hg. v. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey, 11 Bde., Frankfurt a.M.: S. Fischer 1969-1975, Bd. 9, S. 61-134. 13 Vgl. Freud, Sigmund: »Die Zukunft einer Illusion«, in: ders.: Studienausgabe, Bd.9, S. 135-189. 14 Vgl. Schmitt, Carl: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin: Duncker & Humblot 10 2015. 15 Vgl. Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, 9., korrigierte Auflage, Berlin: Duncker & Humblot 2015.

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Bezug zum zeitgenössischen Weimarer Methodenstreit und in ihrer fundamentalen Abgrenzung gegenüber Hans Kelsens Rechtspositivismus. Die genannten Texte werden dabei einer ausführlichen und kritischen Lektüre unterzogen und dies aus zwei Gründen. Zum einen krankt die bisherige Forschungsliteratur zum Zombiegenre oft an rudimentär vollzogenen Theorieimporten16 und ungenauen Terminologien, die durch häufige und verdeckte Resemantisierungsbewegungen ihre Bedeutung zunehmend verunklaren.17 Zum anderen erweist sich, dass die Spezifika der hier diskutierten Theorien sich nicht allein aus einzelnen Begrifflichkeiten und Definitionen extrahieren lassen, vielmehr erlaubt erst die Beobachtung ihrer jeweiligen Argumentationsweise einen entscheidenden Blick auf das Funktionieren der in ihnen dargelegten Theoreme. Während bei Schmitt damit vor allem das Apokalypsemodell gemeint ist, das in seiner eigenen argumentativen Entfaltung zugleich vollumfänglich und exemplarisch zur Anwendung gelangt, geht es im Bereich der Massenpsychologie vor allem um Le Bons problematischen Zuschnitt seines Theoriedesigns und dessen libidotheoretische Umschrift in Freuds Arbeiten. Dass die Vereindeutigung des Le Bon’schen Entwurfs dabei durch einen grundlegenden Verlust an Komplexität erkauft wird, ist dann ein Befund, der sich erst im Verlauf der analytischen Anwendung dieser Theoreme zu kristallisieren beginnt. Das letzte Kapitel unternimmt die derart vorbereitete Analyse des ZombieGenres in drei Abschnitten, die den im Korpus abgebildeten drei Phasen der Genregeschichte entsprechen. Im frühen Zombiegenre zeigt sich vor allem die massenpsychologische Kopplung aus Masse und Apokalypse hochgradig adaptiv, um den Übergang einzelner mittels Hypnose oder Voodoo-Zauber unterworfener Menschen zu einer anschwellenden Masse bedrohlicher Untoter, die das gesellschaftliche und zivilisatorische Gefüge existentiell gefährden, nachvollziehen zu können. Diskutiert werden dabei der expressionistische Stummfilm »Das Cabinet des Dr. Caligari« von 192018 , William Seabrooks Reisebericht »The Magic Island« von 192919 , 16 Als exemplarisch mag hier ein Aufsatz von Tyson E. Lewis gelten, der Romeros »Land of the Dead« mit einer ganzen Kette von Theorie-Schlagworten stillzustellen sucht, etwa Foucaults Biopolitik, Agambens Homo Sacer, Benjamins mythische und göttliche Gewalt, Hardt und Negris Multitude u.a.m., ohne auch nur eines der dadurch anzitierten Theoreme in ihrer vollen Tragweite zum Einsatz bringen oder die Problematik ihrer umstandslosen Überblendung reflektieren zu können. Vgl. Lewis, Tyson E.: »Ztopia. Lessons in Post-Vital Politics in George Romero’s Zombie Films«, in: Stephanie Boluk, Lenz Wylie (Hg.): Generation Zombie. Essays on the Living Dead in Modern Culture, Jefferson (NC)/London: McFarland 2011, S. 90-100, hier insbesondere: S. 90f, 95-97. 17 Vgl. hierzu Kapitel 3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 39f. 18 Vgl. Das Cabinet des Dr. Caligari. Regie: Robert Wiene, Deutschland 1920, 74 Min., DVD: Transit Classics – Deluxe Edition, Vertrieb: Transit Film GmbH/Universum Film. 19 Vgl. Seabrook, William: The Magic Island, Hamburg/Paris/Mailand: The Albatross 1932 (= Modern Continental Library, 15).

1. Einleitung

die Spielfilme »White Zombie« von 193220 , »I Walked with a Zombie« von 194321 , »Invasion of the Body Snatchers« von 195622 , außerdem Richard Mathesons Roman »I am Legend« von 195423 und dessen Filmadaption »The Last Man on Earth« von 196424 sowie »The Plague of the Zombies« von 1966.25 Wie die so beschriebenen Dynamiken letztlich in Romeros Debütfilm »Night of the Living Dead« von 196826 münden, soll noch am Ende dieses ersten Analyseschritts umrissen werden. Auf welche Weise Romeros Zombiefilme sich dann aber vom Vorhergehenden absetzen, serialisieren und dabei eine neue prototypische Kopplung aus Masse und Apokalypse entwerfen, die sich nun weniger über massenpsychologische Termini als über die der Politischen Theologie und Theorie Carl Schmitts aufschlüsseln lassen, kann erst im zweiten Unterkapitel beschrieben werden. Neben Romeros Debüt muss hier vor allem »Dawn of the Dead« von 197827 Beachtung finden. Der letzte Teil der Analyse untersucht dann anhand von »28 Days Later« aus dem Jahr 200228 und der seit 2003 erscheinenden Comic-Serie »The Walking Dead«29 die jüngste Rekonfiguration der Masse-Apokalypse-Kopplung. Hier bleiben sowohl die massenpsychologisch beschreibbaren wie auch die schmittianisch zu formulierenden Genreprämissen präsent, allerdings führen die spezifischen Serialisierungsmodi, die sich seit der Jahrtausendwende in der Genreproduktivität herausgebildet haben, zu einer veränderten Perspektivierung, die dann auch Wirkung auf das zeitigt, was im Verlauf der Analyse als apokalyptische bzw. postapokalyptische Politik formulierbar wird. Bereits aus diesen einführenden Bemerkungen zum Ansatz der vorliegenden Arbeit wird ersichtlich, dass es sich hier um keine film- oder medienwissenschaftliche Lektüre des Zombie-Genres handelt, sondern um die theoretisch informier20 Vgl. White Zombie. Regie: Victor Halperin, USA 1932, 67 Min., DVD: Horror Classic Collection, Vertrieb: MiB. 21 Vgl. I Walked With a Zombie. Regie: Jacques Tourneur, USA 1943, 66 Min., DVD: Ich folgte einem Zombie. Arthaus Retrospektive, Vertrieb: Studiocanal GmbH/Arthaus. 22 Vgl. Invasion of the Body Snatchers. Regie: Don Siegel, USA 1956, 80 Min., DVD, Vertrieb: Universal/Republic Pictures. 23 Vgl. Matheson, Richard: I am Legend, New York: Tor 2 2007. 24 Vgl. The Last Man on Earth. Regie: Ubaldo Ragona/Sidney Salkow, USA 1964, 86 Min., DVD, Vertrieb: Elstree Hill. 25 Vgl. The Plague of the Zombies. Regie: John Gilling, England 1966, 86 Min., DVD: Hammer Horror DVD Collecton, Vertrieb: Studiocanal GmbH. 26 Vgl. Night of the Living Dead. Regie: George A. Romero, USA 1968, 96 Min., DVD: Night of the Living Dead. Dawn of the Dead. Day of the Dead. Limited Edition Box Set, Vertrieb: Arrow Films. 27 Vgl. Dawn of the Dead. Regie: George A. Romero, USA 1978, 127 Min., DVD: Night of the Living Dead. Dawn of the Dead. Day of the Dead. Limited Edition Box Set, Vertrieb: Arrow Films. 28 Vgl. Fußnote 1 in diesem Kapitel. 29 Vgl. Fußnote 3 in diesem Kapitel. Vgl. auch Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. C ompendium Two, Berkeley (C A): Image C omics 2012. Vgl. außerdem die Tradepaperback-Serie: Kirkman, Robert/Adlard, C harlie/Moore, Tony/Rathburn, C liff/ Gaudiano, Stefano: The Walking Dead. Vol. 1, Berkeley (C A): Image C omics 2010.

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te Analyse eines autoritären Konstrukts, das im Verlauf der Genregeschichte auf je unterschiedliche Weise zur Entfaltung kommt. Um diese Rekonstruktion dabei nicht allein einem Publikum aus Genre-Connaisseurs und Enthusiasten zu eröffnen, die sich unlängst in dessen einschlägigen wie abseitigen Windungen zurechtfinden, ist es unumgänglich, relevante Plot-, Handlungs- und Dialogverläufe sowie ausreichend Kontextinformation in die Analysearbeit einzuflechten, deren Dosierung aber, so hoffe ich, nicht gänzlich misslungen ist.

2. Korpus: (K)eine Genre-Geschichte

Wenn diese Arbeit sich also zum Ziel gesetzt hat, eine politisierbare Kopplung aus Masse und Apokalypse in den Filmen, TV-Serien, Romanen und Comics des Zombie-Genres nachzuweisen und ihre diachrone Varianz zu beschreiben, so scheint damit das zu untersuchende Material bereits weitgehend impliziert zu sein. Das Korpus der Analyse müsste sich schlicht aus der Geschichte des Zombie-Genres ergeben. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass dies die Frage nach dem Untersuchungsmaterial weniger beantworten als durch mindestens fünf neue Fragen ersetzen würde, nämlich: Was ist ein Genre? Was ist ein Zombie? Und inwiefern lässt sich etwas, das ein Genre ist, durch etwas, das ein Zombie ist, differenzieren und spezifizieren? Wie wäre dessen Geschichtlichkeit zu denken? Und auf welche Weise würde das Korpus auf diese zugreifen? Zunächst der Begriff des Genres: Bei diesem scheint sich die Gattungstheorie uneins zu sein, ob er in synonymischer, hyponymischer oder antonymischer Relation zum eigenen, konstitutiven Gegenstandsbegriff steht. Im »Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie« dient das Lemma »Gattungsvermischung« etwa allein der Weiterleitung auf den Artikel »Hybride Genres«1 , mit denen »literarische Textsorten« gemeint seien, »die Merkmale unterschiedlicher Gattungen in sich vereinen«.2 Und auch im Artikel »Gattungsgeschichte«, der vor allem biologische Modelle zum Verständnis der Evolution literarischer Gattungen vorschlägt, wird die Herausbildung »hybrider Genres« als mögliche Anpassungsleistung von Gattungen an veränderte Umweltbedingungen geführt.3 Ähnliches lässt sich in Klaus MüllerDyesʼ Artikel »Gattungsfragen« im einschlägigen Einführungsband »Grundzüge der Literaturwissenschaft« beobachten. Müller-Dyes unterscheidet zwei mögliche Gattungskonzeptionen, von der die eine auf eine ahistorische Systematik von Gattungen ziele, während die andere Gattungen eher als historisch wandelbare Institutionen beschreibe. Die systematisch-ahistorische Sichtweise befasse sich demnach, in Müller-Dyesʼ Terminologie, allein mit Gattungsbegriffen, während sich 1 Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart/Weimar: Metzler 2004, S. 214. 2 Ernst, Jutta: »Hybride Genres«, in: Nünning (Hg.): Metzler Lexikon, S. 267f, hier: S. 267. 3 Wenzel, Peter: »Gattungsgeschichte«, in: Nünning (Hg.): Metzler Lexikon, S. 210f, hier: S. 211.

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die historisch-institutionelle Perspektive den veränderlichen Gattungen selbst widme.4 Diese Unterscheidung dürfe aber nicht mit der nach den »Hauptgattungen Lyrik, Epik und Dramatik« einerseits und »kleineren Gattungen wie Elegie, Novelle, Komödie usw.« andererseits verwechselt werden. Seine Unterscheidung betreffe allein den methodischen Zugriff, »auch wenn durch den größeren Begriffsumfang der ›Naturformen‹ der Eindruck entstehen mag, diese seien im Unterschied zu den kleineren Genres zeitlos«.5 In der insistierenden Reformulierung zeigt sich: Hier wie dort wird der Genrebegriff weitgehend synonymisch zu dem der Gattung verwendet.6 Interessanterweise führt ein strukturgleicher Ansatz bei Rüdiger Zymner zu einer vollkommen anderen, nämlich hyponymischen Begriffsrelationierung. Auch er unterscheidet eine systematisch-ahistorische von einer historisch-institutionellen Betrachtungsweise, schlägt den Begriff der Gattung nun aber als Hyperonym vor, dem er zwei Hyponyme, die literarische Textsorte und das Genre, unterordnet. Wende man eine systematisch-ahistorische Betrachtungsweise an, so müsse man den Begriff der literarischen Textsorte verwenden. Arbeite man dagegen in historisch-institutioneller Perspektive, so sei der Begriff des Genres vorzuziehen.7 Claudia Liebrand, endlich, konstruiert eine, wenn auch nicht deckungsgleiche, so doch verwandte Theorie, wählt dabei aber ein antonymisches Verhältnis von Genre und Gattung. Zwar weist sie dessen hergebrachte Version ab, mit der sich »niedere«, kommerziellere Texte gegen »höhere«, prestigeträchtigere gruppieren lassen. Doch sieht sie im Gattungsbegriff eine normative Stabilität, eine kanonisierte Regelpoetik am Werk, die dem Genre abgehe. Dieses sei dagegen nur »in seiner Historizität und Hybridität […], in seinem Vernetzt-Sein mit anderen Genre-Filmen« verstehbar.8 Auch wenn Liebrand glaubt, Gattung und Genre weiterhin »synonym gebraucht« und nur leichte »Bedeutungsnuancen« eingebracht zu haben9 , ist die antonymische Begriffsrelation in ihrem Vorschlag doch überdeut4 Diese etwas diffizil anmutende Terminologie wählt Müller-Dyes, um hervorzuheben, dass es sich bei den systematisch-ahistorisch betrachteten Gattungsbegriffen nicht um »wie auch immer geartete überzeitliche Wesenheiten« handele, während die historischen Gattungen de facto einen »›realen‹ institutionellen Status« besäßen. Vgl. Müller-Dyes, Klaus: »Gattungsfragen«, in: Heinz Ludwig Arnold, Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 5 2002, S. 323-348, hier: S. 325. 5 Ebd., S. 325f. 6 Befördert wird diese Synonymie nicht zuletzt dort, wo der gattungstheoretische Diskurs sich ins Englische übersetzt sieht. Vgl. Fohrmann, Jürgen: »Remarks towards a theory of literary genres«, in: Poetics 17 (1988), 273-285. 7 Vgl. Zymner, Rüdiger (Hg.): Handbuch Gattungstheorie, Stuttgart/Weimar: Metzler 2010, S. 20. 8 Liebrand, Claudia: »Casino Royale. Genre-Fragen und James-Bond-Filme«, in: dies., Oliver Kohns (Hg.): Gattung und Geschichte. Literatur- und medienwissenschaftliche Ansätze zu einer neuen Gattungstheorie, Bielefeld: transcript 2012, S. 293-312, hier: S. 295f. 9 Ebd., S. 296.

2. Korpus: (K)eine Genre-Geschichte

lich ausgeprägt, schließlich handelt es sich hier, anders als bei Zymner und MüllerDyes, nicht nur um eine terminologische Differenzierung des methodischen Zugriffs, sondern auch um eine Unterscheidung der Objekte, auf die sich dieser Zugriff richten darf. Wenn Genre-Filme über keine Regelpoetik verfügen, können sie auch nicht als Gattung im Liebrand’schen Sinne behandelt werden, und umgekehrt wird sich die Betrachtung einer normativ durchsetzten Gattung kaum allein auf das »Vernetzt-Sein« ihrer Einzeltexte verlassen können, ohne diese je mit der regelpoetischen Folie abzugleichen. Ob Genre und Gattung nun aber miteinander identisch sind, ob das eine Teilmenge des anderen oder aber dessen Gegenteil ist, die divergenten gattungsbzw- genretheoretischen Einlassungen haben doch eine gemeinsame Linie: Entweder sind Genre und Gattung dasselbe und lassen sich, zumindest auch, als historisch veränderliches Konstrukt beschreiben. Oder Genre ist etwas anderes als Gattung und dann ausschließlich historische Prozessualität. Die ahistorischsystematische Hinsicht heißt, sofern sie separiert wird, immer Gattung. Wenn man den Begriff des Genres also gattungstheoretisch aufschlüsseln möchte, so kann man die ahistorisch-systematische Betrachtungsweise getrost außen vor lassen, anschlussfähig scheint allein die historisch-institutionelle. Einschlägig für diese ist Wilhelm Voßkamp, der die literarische Gattung, mit Niklas Luhmanns Institutionalisierungstheorie, als »möglichkeitsreiche[] Selektion[]« versteht10 , »in der die Komplexität des literarischen Lebens auf bestimmte kommunikative Modelle reduziert ist«11 und die, sobald sie sich stabilisiert hat, dazu dient, »Konsens erfolgreich zu überschätzen« und so beim Rezipienten »Kontinuitätserwartungen« zu generieren.12 Diese Komplexitätsreduktion ist aber alles andere als ahistorisch, sie ist vielmehr permanente Prozessualität zwischen Institutionalisierung und Entinstitutionalisierung, und das heißt: zwischen Redundanz und Modifikation, denn die Erwartungen, die der Rezipient an das Werk stellt, werden vom 10 Voßkamp, Wilhelm: »Gattungen als literarisch-soziale Institutionen. Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie«, in: Walter Hinck (Hg.): Textsortenlehre – Gattungsgeschichte, Heidelberg: Quelle & Meyer 1977 (=medium literatur, 4), S. 2744, hier: S. 29. Voßkamp zitiert hier aus Luhmann, Niklas: »Institutionalisierung – Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft«, in: Helmut Schelsky (Hg.): Zur Theorie der Institution, Düsseldorf: Bertelsmann Universitätsverlag 1970 (=Interdisziplinäre Studien, 1), S. 27-41, hier: S. 29. Allerdings ist der Bezug an dieser Stelle ungenau, beschreibt Luhmann mit den »möglichkeitsreichen Selektionen« doch eigentlich zunächst den »komplex-selektiv erlebend[en] und handelnd[en]« Mitmenschen. Die Komplexitäten von Erwartungen und Erwartungserwartungen, die sich in der Interaktion mit diesem ergeben, müssen dann erst über den »Mechanismus der Institutionalisierung« reduziert werden. Statt die Ebene der Institution, auf die Voßkamp hier zielen müsste, trifft sein Zitat fälschlicherweise das, was Objekt der Institutionalisierung ist. Vgl. ebd., S. 29f. 11 Voßkamp: »Gattungen«, S. 29. 12 Ebd., S. 30. Voßkamp zitiert hier noch einmal aus Luhmann: »Institutionalisierung«, S. 30f.

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Produzenten mit Erwartungserwartungen antizipiert und im Werk beantwortet, wodurch die Werkantworten wiederum die Erwartungen an das darauffolgende Werk formen und diese wiederum die erwartete Erwartung des Produzenten, usf. Voßkamp beschreibt Gattungen demnach als ein betriebsames, iteratives Geschehen zwischen Erwartungen und Erwartungserwartungen, das sich als literarische Reihe niederschlägt.13 Die literarische Reihe aber, so ist sie von Jurij Tynjanov fünfzig Jahre zuvor eingeführt worden, lässt sich nur schwer von ihrem Umfeld separieren, denn die »isolierte Analyse ihrer Evolution stößt ununterbrochen auf die benachbarten kulturellen und gesellschaftlichen, auf die im weitesten Sinne sozialen Reihen und ist folglich zur Unvollständigkeit verurteilt«.14 Ganz in diesem Sinne beschreibt Voßkamp Gattungen daher auch als »geschichtliche ›Bedürfnissynthesen‹«, in denen »historische Problemstellungen bzw. Problemlösungen oder gesellschaftliche Widersprüche artikuliert und aufbewahrt« seien.15 Prosaischer formulieren es die Film- und Fernsehwissenschaften im Bezug auf die industrialisierte Filmproduktion in Hollywood: Die Entwicklung der Genres, ihre Ausdifferenzierung in andere Genres, ihr Auftauchen und ihr Verschwinden lassen sich so begreifen als ein ständiges Variieren und Modifizieren, das sich in Abhängigkeit von ökonomischen Erfolgen, kulturellen Entwicklungen und historischen Ereignissen vollzieht.16 Die Iteration des Genres, so scheint es, ist anhaltenden, veränderlichen und vielfältigen Reizen der gesellschaftlichen Umwelt ausgesetzt. Das Schwingen zwischen Redundanz und Modifikation ermöglicht es demnach, auch, diese Umweltreize intern zu prozessieren. Dies ist also gemeint, wenn im Folgenden von Genre gesprochen wird. Nun die zweite und dritte Frage: Was ist ein Zombie und wie ist er in der Lage, ein spezifisches Genre, das Zombie-Genre, zu differenzieren? Man könnte hier vermuten, dass sich Letzteres einfacher klären ließe als Ersteres, ja dass die Frage nach dem Zombie-Genre sich schon dann kaum mehr stellte, wenn die nach dem Zombie 13 Vgl. Voßkamp: »Gattungen«, S. 30f. Voßkamp ruft das Theorem der literarischen Reihe nicht direkt über Jurij Tynjanov auf, sondern vermittelt durch ein Zitat des Altphilologen Reinhart Herzog, dem zufolge Gattungsgeschichte verstanden werden kann als »Ablauf einer durch die Responsion von konstanten Erwartungen und einander beeinflussenden Werkantworten hervorgebrachten literarischen Reihe«. Vgl. Herzog, Reinhart: Die Bibelepik der lateinischen Spätantike. Formgeschichte einer erbaulichen Gattung, Bd. 1, München: Fink 1975 (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste, 37), S. XXXVI. Hervorhebungen stets im Original. 14 Tynjanov, Jurij: »Über die literarische Evolution«, in: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Theorie der Prosa, München: Fink 2 1971, S. 434-461, hier: S. 434. 15 Voßkamp: »Gattungen«, S. 32. 16 Brostnar, Nils/Pabst, Eckhard/Wulff, Hans Jürgen: Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, 2. überarbeitete Auflage, Konstanz: UVK 2008, S. 66.

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beantwortet wäre. Denn schon eine kursorische Durchsicht einschlägiger GenreTitel legt die wenig überraschende Annahme nahe, dass ein Film, ein Roman oder ein Comic genau dann dem Zombie-Genre zugerechnet wird, wenn mindestens ein Zombie darin in Erscheinung tritt, dass der Zombie für das Zombie-Genre also das darstellt, was die Film- und Fernsehwissenschaften als eine vom Publikum erwartete »Strukturkonvention[]« beschreiben würden.17 So einleuchtend diese Vermutung auch sein mag, sie ist wenig hilfreich, bedenkt man, wie heterogen das ist, was innerhalb des Zombie-Genres als Zombie zu gelten hat, wie unzugänglich er sich einer abschließenden Definition zeigt. Mancherorts begegnet er einem als wankender Untoter18 , andernorts als infizierter Lebender.19 Mancherorts giert er nach Menschenfleisch20 , andernorts allein nach menschlichem Hirn21 und wiederum andernorts nach nichts dergleichen.22 Mancherorts ist die Zombifizierung reversibel, etwa durch den Verzehr von gesalzenen Nüssen23 , andernorts könnten alle gesalzenen Nüsse der Welt nichts gegen die dort eingetretene Zombifizierung ausrichten.24 Mancherorts ist der Zombie ein gehorsamer Sklave25 , andernorts keinem Befehl mehr zugänglich, ja nicht einmal ungehorsam, da zu Gehorsam schlicht nicht mehr fähig.26 Mancherorts ist er gänzlich bewusstlos, durch Magie27 , Hypnose28 , Infektion29 oder Hirntod30 , andernorts bleibt das Bewusstsein intakt.31 Die Liste der divergierenden Zombie-Konfigurationselemente 17 Auch innerhalb der Film- und Fernsehwissenschaften wird das Genre als Instanz der Erwartungsorganisation zwischen Produzent und Publikum gehandelt, das sich hier nun in erster Linie über historisch veränderliche und äußerst disparat angelegte Strukturkonventionen manifestiert. Vgl. ebd., S. 65-68. Das oben Zitierte stammt von ebd., S. 67. 18 Vgl. bspw. Night of the Living Dead, 0:56:25-0:56:28. 19 Vgl. bspw. 28 Days Later, 0:03:30-0:04:55. 20 Vgl. bspw. Dawn of the Dead, 0:54:58-0:55:27. 21 Vgl. bspw. Return of the Living Dead. Regie: Dan O’Bannon, USA 1985, 87 Min., DVD, Vertrieb: MGM/Orion Pictures, 1:00:35-1:01:15. 22 Vgl. bspw. I Walked With a Zombie, 0:10:11-0:12:19. 23 Vgl. Seabrook, William: The Magic Island, S. 86-89. 24 Neben Eliminierung und Ausbeutung eröffnet sich dann höchstens noch die zombiefreundlichere Option begrenzter Koexistenz. So sperrt Shaun seinen zombifizierten besten Freund in die Gartenlaube und hält ihn mit Videospielen bei Laune. Vgl. Shaun of the Dead. Regie: Edgar Wright, Großbritannien/Frankreich 2004, 95 Min., DVD, Vertrieb: Universal, 1:29:40-1:30:15. 25 Vgl. bspw. White Zombie, 0:28:00-0:28:15. 26 Vgl. bspw. Zombieland. Regie: Ruben Fleischer, USA 2009, 84 Min., DVD, Vertrieb: Sony Pictures, 0:15:45-0:17:50. 27 Vgl. bspw. The Plague of the Zombies, 0:00:00-0:03:17. 28 Vgl. bspw. Das Cabinet des Dr. Caligari, 0:58:20-1:01:03. Vgl. dazu auch Kapitel 4.1 in dieser Arbeit, insbesondere S. 97f. 29 Vgl. bspw. 28 Days Later, 0:03:30-0:04:55. 30 Vgl. bspw. Night of the Living Dead, 0:56:25-0:56:28. 31 Vgl. bspw. Die Nacht der lebenden Loser. Regie: Matthias Dinter, Deutschland 2004, 90 Min., DVD, Vertrieb: Constantin Film, 0:17:57-0:19:10.

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ließe sich fortsetzen. Wenn also die Zuordnung eines Films, eines Romans, eines Comics usf. auf das Vorhandensein eines Zombies angewiesen wäre, dieser Zombie aber nicht eindeutig zu definieren wäre, könnte der Zombie dann noch als Zuordnungskriterium dienen? Oder verhält es sich umgekehrt? Bestimmt sich am Ende das, was ein Zombie ist, erst dadurch, dass der Film, der Roman oder der Comic, in dem er auftritt, dem Zombie-Genre zuzurechnen ist? Durch welches Kriterium wäre diese Zurechnung dann aber zu leisten? Die Frage, wie der Zombie sein Genre differenziert, erledigt sich somit nicht mit der Frage, was ein Zombie ist, vielmehr klären sich beide Fragen erst, wenn sie mit der oben diskutiertieren Genretheorie verbunden werden: Der Zombie mag das Zombie-Genre differenzieren wie das Zombie-Genre den Zombie, letztendlich ergibt sich aber beides, Zombie wie Zombie-Genre, aus der iterativen Prozessualität von rezipientenseitiger Erwartung und produzentenseitiger Erwartungserwartung und der durch sie generierten Werkantwort. Zombie wie Zombie-Genre lassen sich deshalb nicht auf eine Definition bringen, weil sie nichts anderes sind als ein unstetes Wechselspiel aus Redundanz und Modifikation. Damit ist nun aber nicht gesagt, dass nicht mehr angebbar wäre, was als Zombie gilt und was als dem Zombie-Genre zugehörig, denn die Reihe, die der genannte Prozess hinterlässt, besteht ja aus jenen Romanen, Filmen, Comics, usf., die offenbar erfolgreich Erwartungen erfüllt und neue Erwartungen modifiziert haben. Beobachtbar wird dies, wo solcherlei erfüllte wie modifizierte Erwartungen, implizit oder explizit, diskursiviert werden, tradiert werden, wo also Kanonisierungsprozesse ablaufen. Dieser Ort wäre, zumindest unter anderen, die Forschungsliteratur. Das Korpus der vorliegenden Arbeit verlässt sich demnach auf einschlägige Titel, die in einschlägiger Forschungsliteratur als dem Zombie-Genre zugehörig diskursiviert und tradiert werden, da dieser Diskursraum professionialisierter Rezipientinnen und Rezipienten eine stabilisierte Ansammlung von Werken hervorbringt, die die an sie gestellten Erwartungen zumindest insofern erfüllen konnten, als sie dort dem Zombie-Genre zugerechnet werden und dabei, nicht zuletzt, eine spezifische Konfiguration dessen einbringen, was als Zombiefigur akzeptiert wird. Damit wären wir bei der vierten und vorletzten der oben angeführten Fragen angelangt, bei der Geschichte des Zombie-Genres also, und auch in der Forschungsliteratur nimmt deren Erörterung breiten Raum ein. In ihren historiographischen Darstellungen verfällt sie regelmäßig darauf, den genealogischen Verlauf der Genregeschichte anhand typologischer Kriterien zu kartieren und auf diese Weise drei separate Phasen zu identifizieren. So nutzt etwa Florian Krautkrämer, Mitherausgeber des einschlägigen Bandes »Untot. Zombie. Film. Theorie«32 , in sei32 Laut den Herausgebern stellt dieser Band die erste Sammlung deutschsprachiger Forschungsbeiträge zum Zombiegenre dar. Vgl. Fürst, Michael/Krautkrämer, Florian/Wiemer, Serjoscha: »Einleitung«, in: dies. (Hg.): Untot. Zombie Film Theorie, München: Belville 2010, S. 7-15, hier: S. 10.

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nem Beitrag eine Zombietypologie des Schriftstellers Max Brooks, um seine genregeschichtliche Darstellung zu strukturieren: Zombiespezialist Max Brooks unterscheidet den Voodoo-, den Virus- und den Hollywood-Zombie. Auch wenn der Begriff Zombie aus dem haitianischen Voodoo-Kult stammt, geht Brooks davon aus, dass das ›Zombie-Sein‹ durch ein Virus übertragen wird und eine Art Krankheit darstellt. Brooks’ Klassifizierung lässt sich auch auf die Genese des Zombiefilms übertragen, in dem sich der Zombie vom haitianischen Mythos (Voodoo-Zombie) über den Romero’schen Fleischfresser (Hollywood-Zombie) bis hin zum heutigen (Virus-)Zombie entwickelte, der eher einer biologischen Waffe gleicht als einer Ausgeburt der Hölle.33 Krautkrämers Adaption der Brook’schen Terminologie steht dabei aber auf brüchigem Grund. Brooks »The Zombie Survival Guide« ist ein fiktionaler Text und versteht sich als Anleitung zur Zombieabwehr. Die Prämisse des Textes muss es demnach sein, von der faktischen Existenz des Zombies auszugehen.34 Folglich kann der Begriff des Hollywood-Zombies hier kaum als Kategorie für einen Teil der Gesamtheit aller Filmzombies herangezogen werden, da er bereits diese Gesamtheit meint. Im Kompositum »Hollywood-Zombie« zeigt das Kompositionsglied »Hollywood« nicht die Differenz zum italienischen, deutschen oder französischen Zombiefilm an, die Brooks hier gänzlich übergeht, vielmehr verweist es auf die Fiktionalität, auf die »artistic license«, die in Zombiefilmen zum Tragen komme, um jenes »good storytelling« hervorzubringen, das ihr eigentliches Anliegen sei. »Hollywood zombie films stray, in some cases wildly, from the reality on which they are based«, warnt der Zombieexperte daher.35 Entsprechend irrt Krautkrämer auch, wenn er annimmt, bei Brooks werde jedwedes »Zombie-Sein« viral übertragen, denn Brooks ist umsichtig genug, nicht allein seinem Virus-Zombie, sondern auch der Praxis der haitianischen Voodoo-Zombifizierung den Status der Faktizität zuzusprechen und sich dabei eng am Modell von Seabrooks »Magic Island« zu orientieren. Mit Hilfe eines Giftes versetze der Voodoo-Priester sein Opfer 33 Krautkrämer, Florian: »A Matter of Life and Death. Leben und Tod im Zombiefilm«, in: ders. et al.: Untot, S. 19-36, hier S. 24. 34 »Do not discount any section of this book as hypothetical drama«, heißt es bereits in der Einleitung. Vgl. Brooks, Max: The Zombie Survival Guide. Complete Protection from the Living Dead, Duckworth Overlook 2013, S. XIV. 35 Ebd., S. 23. In einer Fußnote verweist auch Krautkrämer auf Brooks gänzlich anders strukturiertes Verständnis des »Hollywood-Zombies«. Statt daraus aber zu folgern, dass Brooks’ Begriff demnach mit dem eigenen Ansatz gänzlich inkompatibel ist, schließt Krautkrämer erstaunlicherweise, er »übernehme […] den Begriff des Hollywood-Zombie im Sinne Brooks«, obwohl er zu Beginn der Fußnote noch festgestellt hatte, dass er dies gerade nicht tut. Vgl. Krautkrämer: »A Matter of Life and Death«, S. 24.

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in einen zeitweiligen Scheintod, um es später aus dessen Grab zu stehlen und als willenlosen, automatenhaften Sklaven zu gebrauchen. »So what makes this living human being a zombie? The answer is simple: brain damage.«36 Wenn Brooks also sämtliche Filmzombies in die Kategorie des Hollywood-Zombies rechnet, egal ob sie durch einen Hollywood-Voodoo-Magier oder einen Hollywood-Virus hervorgebracht werden, und demgegenüber nur die angeblich faktisch existierenden Virus-Zombies als Virus-Zombies und die angeblich ebenso faktisch existierenden Voodoo-Zombies als Voodoo-Zombies wertet, dann ist »Brooksʼ Klassifizierung« gerade nicht »auf die Genese des Zombiefilms« übertragbar, wie Krautkrämer meint37 , zumindest nicht ohne eine grundlegende Neudefinition der Terminologie, die den Rückgriff auf Brooks dann aber zugleich auch ganz überflüssig machen würde. Die Strukturierung, die Krautkrämer mithilfe der Brooks’schen Typologie zu gewinnen hofft, lässt sich demnach ebenso gut ohne diese Anleihe behaupten. Die Herausgeberinnen des Bandes »Better Off Dead«, Deborah Christie und Sarah Juliet Lauro, setzen sie etwa bereits in der Einleitung als strukturierendes Moment der Genregeschichte voraus, um aus dieser apriorischen Annahme die Argumentationsstruktur des gesamten Herausgeberbandes abzuleiten: We structured our collection around a basic rising – or evolving – principle. The book consists of three parts, representing the three most recognizable stages of twentieth- and twenty-first-century zombie configurations: the classic mindless corpse, the relentless instinct-driven newly dead, and the millennial voracious and fast-moving predator.38 Auch die nicht minder einschlägige Monographie »American Zombie Gothic« des Literatur- und Filmwissenschaftlers Kyle William Bishop, um ein letztes Beispiel zu nennen, verfährt in ähnlicher Weise, identifiziert also in den HollywoodProduktionen »White Zombie« und »I Walked with a Zombie« eine »intitial wave of zombie films«, die von einer haitianischen Voodoo-Zombifizierung ausgehe39 , macht in Romeros »Night of the Living Dead« die Geburt eines neuen Typus aus, den menschenfressenden Massenzombie, mit dem die »›classical‹ period of the subgenre« etabliert worden sei40 , und schließt mit der »zombie renaissance« der 36 Brooks: The Zombie Survival Guide, S. 20. Zu Seabrook vgl. Kapitel 4.1 in dieser Arbeit, insbesondere S. 99-102. 37 Krautkrämer: »A Matter of Life and Death«, S. 24. 38 Christie, Deborah/Lauro, Sarah Juliet: »Introduction«, in: dies. (Hg.): Better Off Dead. The Evolution of the Zombie as Post-Human, New York: Fordham UP 2011, S. 1-4, hier: S. 2. 39 Bishop, Kyle William: American Zombie Gothic. The Rise and Fall (and Rise) of the Walking Dead in Popular Culture, Jefferson (NC)/London: McFarland 2010, S. 13. 40 Ebd., S. 15. Vgl. auch ebd., S. 13f.

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Jahrtausendwende, die mit Boyles »28 Days Later« und deren »faster, more feral zombie creatures« einsetze.41 Wenn die Geschichte des Zombie-Genres demnach beharrlich in drei typologisch geschiedene Phasen unterteilt wird, als Abfolge aus Voodoo-Zombie, anthropophagem Massenzombie und beschleunigtem Infektionszombie, hat die GenreHistoriographie damit aber nicht nur an Orientierung gewonnen, sie hat sich zugleich auch neue Probleme eingehandelt. Kaum hat etwa Krautkrämer über seine fragwürdige Adaption der Brooks’schen Terminologie eine typologische Unterteilung der Genregeschichte eingeführt, ist er schon damit beschäftigt, deren Unschärfen ausargumentieren zu müssen. Sämtliche Zombie-Filme der 1950er, von »Creature with the Atom Brain« über »Zombies of Mora Tau« bis hin zu »Invisible Invaders«, stellen sich nun als Zwischenstufen im Übergang von Voodoo- zu Hollywood-Zombie dar.42 Und damit nicht genug, auch der Virus-Zombie tritt nicht erst mit Boyles »28 Days Later« auf, er ist bereits über vierzig Jahre zuvor in Richard Marthesons Roman »I am Legend« sowie in dessen Filmadaption, »Last Man on Earth«, maßgeblich vorbereitet.43 Ähnlich problematisch verhält es sich mit dem Sammelband von Christie und Lauro. Entsprechend der apriorisch angenommenen Genregeschichte als Abfolge dreier Zombietypen strukturiert sich der Band in drei Sektionen, denen jeweils ein eigenes Einleitungskapitel vorangestellt wird. Doch bereits im Einleitungskapitel zur ersten der drei Sektionen sieht sich Kevin Boon dazu genötigt, die komplette Anlage des Bandes dadurch zu unterminieren, dass er sich nicht allein auf drei unterschiedlich konfigurierte Zombie-Typen beschränken möchte, sondern derer neun aufzählt – und dies nicht im Wege der Addition weiterer kategorialer Zuordnungsmöglichkeiten, sondern durch den Entwurf einer gänzlich entgegengesetzten Typologie: The nine types, briefly defined, are as follows: (1) zombie drone: a person whose will has been taken from him or her, resulting in a slavish obedience; (2) zombie ghoul: fusion of the zombie and the ghoul, which has lost volition and feeds on flesh; (3) tech zombie: people who have lost their volition through the use of some technological device; (4) bio zombie: similar to tech zombies, except some biological, natural, or chemical element is the medium that robs people of their will; (5) zombie channel: a person who has been resurrected and some other entity has possessed his or her form; (6) psychological zombie: a person who has lost his or her 41 Ebd., S. 16. 42 Vgl. Krautkrämer: »A Matter of Life and Death«, S. 26f. 43 Vgl. ebd., S. 29f. Zwar ist strittig, ob Mathesons Roman und dessen Verfilmung dem ZombieGenre im engeren Sinn zugerechnet werden, deren Vorbildlichkeit für Romeros »Night of the Living Dead« ist aber Konsens. Vgl. hierzu Kap. 4.1 und 4.2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 116f, 129-131.

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will as a result of some psychological conditioning; (7) cultural zombie: in general, refers to the type of zombie we locate within popular culture; (8) zombie ghost: not actually a zombie, rather someone who has returned from the dead with all or most of his or her faculties intact; and (9) zombie ruse: slight of hand common in young adult novels where the ›zombies‹ turn out to not be zombies at all.44 Boon selbst beeilt sich einzuräumen, dass diese Kategorien nicht immer überschneidungsfrei blieben, da etwa der somnambule Cesare in »Das Cabinet des Dr. Caligari« sowohl als »psychological zombie« wie auch als »zombie drone« gelten müsse.45 Fraglich bleibt indes, inwiefern die Kategorie des »cultural zombie« sinnvoll sein kann, wenn sie ohnehin mit jeder der übrigen Kategorien zusammenfällt, denn welcher dieser Zombie-Typen sollte nicht »within popular culture« zu verorten sein? Auch kann Boon nicht plausibilisieren, inwiefern eine typologische Abteilung sinnvoll ist, deren Definition bereits mit den Worten »not actually a zombie« einsetzt, oder worin der analytische Mehrwert einer Zombie-Teilmenge besteht, in die all jene Zombies fallen sollen, die nur vortäuschen, Zombie zu sein, in Wirklichkeit aber keine Zombies sind. Die Liste der offenen Fragen ließe sich fortsetzen. Einigermaßen eindeutig äußert Boon sich immerhin zur typologisch induzierten Dreiteilung der Genregeschichte, aus der sich der Zuschnitt seines Einleitungstextes, wie es die Herausgeberinnen Christie und Lauro zu Beginn des Bandes erläutert haben, überhaupt erst ableitet. Wenn er nämlich die »sometimes fluid boundaries« seiner neun Zombiekategorien beschreibt und deren Nutzen dort sieht, wo »the flux between categories« auf »teleological transformation« oder aber auf die Koexistenz von »several kinds of zombies« schließen lasse46 , dann ist eindeutig, dass Boon sich nicht allein mit Hilfe seiner gänzlich divergierenden Zombie-Typologie von den Herausgeberinnen des Bandes absetzt, sondern dass er auch deren apriorisch gesetzte Annahme einer historischen Abfolge der einmal unterschiedenen Zombietypen in Frage stellt. Sie ist für Boon ein zwar mögliches, aber ansonsten erst noch zu beweisendes Ergebnis jener Untersuchung, deren methodologische Grundlegung er in seiner ausufernden Gegentypologie geleistet haben will. Dass Boons Zombietypologie die Geschichte des Genres tatsächlich als eine Abfolge komplexer Überlagerungs- und Verschiebungsmomente darzustellen in der Lage wäre, darf als gesichert gelten. Allerdings wäre dies weniger den inhärenten Prozessualitäten der Genre-Evolution zuzurechnen als dem problematischen Zuschnitt, den Boon seiner typologischen Kategorienbildung selbst eingeschrieben hat. 44 Boon, Kevin: »And the Dead Shall Rise. Part introduction by Kevin Boon«, in: Christie et al.: Better Off Dead, S. 5-8, hier: S. 8. 45 Vgl. ebd. 46 Ebd.

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Wenn die Forschungsliteratur sich nun aber in ihren typologischen Argumentationen regelmäßig in diesen und ähnlichen Widersprüchen verstrickt, liegt die Vermutung nahe, dass das typologische Argument per se Gefahr läuft, über der Betonung der Brüche die inhärenten Kontinuitäten zu vernachlässigen, die sie anschließend wieder mit den selbst eingezogenen Differenzierungen vereinbaren muss. So mag mit Romeros Zombie-Debut Ende der sechziger Jahre erstmals die Massenhaftigkeit der Untoten ins Auge stechen47 , sie ist aber an und für sich bereits vor Romero, etwa in »Zombies of Mora Tau«48 und »Invisible Invaders«49 , erprobt worden. An »28 Days Later« mag nach der Jahrtausendwende vor allem die virale Infektiösität der Zombies auffallen50 , sie wird aber bereits in Romeros Filmen als mögliche Ursache der Zombifizierung geführt51 und stammt letztlich aus einem wichtigen Vorläufer von Romeros »Night of the Living Dead«, nämlich »Last Man on Earth«, der Verfilmung von Richard Mathesons Roman »I am Legend«, die zudem auch die Anthropophagie der Untoten in Teilen vorwegnimmt.52 Damit taugen weder Massierung und Anthropophagie als Abgrenzungskriterium zwischen einer ersten und einer zweiten Genrephase, noch kann die virale Infektiösität eine dritte Phase stabil differenzieren. Auch die Bewegungsgeschwindigkeit kann hier nicht aushelfen, sind rennende Zombies doch lange vor »28 Days Later« im Repertoires der Zombiekonfigurationen präsent.53 Zudem ist die Beschleunigung der Zombies nach 2002 alles andere als ubiquitär, vielmehr bewegen sie sich vielerorts noch mit unbeirrt schlurfender Trägheit, etwa in Romeros »Land of the Dead«, »Survival of the Dead« und »Diary of the Dead«54 , aber auch abseits von Romeros Filmen, etwa in »Shaun of the Dead«, »Fido« und Robert Kirkmans Comic-, TV-, Roman- und Computerspiel-Serie »The Walking Dead«.55 47 Vgl. nur Night of the Living Dead, 1:25:27-1:26:21. 48 Vgl. Zombies of Mora Tau. Regie: Edward L. Cahn, USA 1957, 70 Min., DVD: Il segreto di Mora Tau. Horror d’Esssai, Vertrieb: Sinister Film/CG Home Video, 0:41:01-0:42:17. 49 Vgl. Invisible Invaders. Regie: Edward L. Cahn, USA 1959, 65 Min., DVD: Assalto Dallo Spazio. Sci-Fi d’Essai, Vertrieb: Sinister Film, 0:22:09-0:22:24. 50 Vgl. 28 Days Later, 0:03:30-0:04:55. 51 Vgl. Dawn of the Dead, 0:56:19-0:56:35. 52 Die Anthropophagie wird lediglich vom Blutdurst der Massenvampire auf untote Vollverwerter umgestellt. Zum Verhältnis von »Last Man on Earth« zu »Night of the Living Dead« vgl. Kapitel 4.1 in dieser Arbeit, insbesondere S. 121-128. 53 Vgl. nur Return of the Living Dead, 0:21:45. 54 Vgl. Land of the Dead. Regie: George A. Romero, Kanada/Frankreich/USA 2005, 93 Min., DVD: Director’s Cut, Vertrieb: Universal, 0:31:35-0:31:47; Survival of the Dead. Regie: George A. Romero, USA/Kanada 2009, 86 Min., DVD, Vertrieb: Optimum Home, 1:06:26-1:06:53; Diary of the Dead. Regie: George A. Romero, USA 2007, 95 Min., DVD, Vertrieb: Optimum Home, 0:24:19-0:24:30. 55 Vgl. Shaun of the Dead, 0:28:15-0:28:28; Fido. Good dead are hard to find, Regie: Andrew Currie, Kanada 2006, 88 Min., DVD, Vertrieb: Entertainment in Video, 0:31:45-0:31:58. Vgl. außerdem bspw. Kirkman et al.: The Walking Dead. Compendium One, S. 10f.

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Die Vergeblichkeit einer typologisch gegliederten Genre-Geschichte ergibt sich somit aus der Vergeblichkeit der Zombie-Typologie und diese wiederum aus dessen heterogener Konfiguration, die sich nicht in definierte Genre-Phasen einhegen lässt. Nun ist die vorliegende Arbeit keine historiographische und die vollumfängliche Rekonstruktion und Strukturierung der Geschichte des Zombie-Genres kann nicht ihr Anliegen sein. Das gesuchte Korpus aber soll kein beliebiger oder alphabetisch geordneter Zugriff auf die Filme, Romane, TV-Serien und Comics des Genres darstellen, es bedarf einer diachronen Dimension schon allein aus dem Grund, dass, wie gezeigt wurde, Genre sich durch wenig mehr als durch dessen iterativprozessualer Hervorbringung beschreiben lässt, und das heißt: eben durch seine Geschichte, die dabei »ununterbrochen auf die benachbarten kulturellen und gesellschaftlichen, auf die im weitesten Sinne sozialen Reihen«56 verwiesen ist, und das heißt: auf die Geschichte seiner Umwelt. Wenn die typologische Strukturierung der Geschichte des Zombie-Genres also ausfällt, erscheint es zumindest aus heuristischer Sicht lohnenswert, das Feld der überbordenden Genre-Produktivität in zwei Hinsichten vorzustrukturieren, von denen eine die oben verworfene Dreiteilung der Genregeschichte auf neuer Basis wieder einzuführen in der Lage ist und die andere eine diese Dreiteilung überspannende Subgenre-Differenzierung hinzufügt. Eine sinnfällige Unterscheidung von Entwicklungsstufen innerhalb der Geschichte des Zombie-Genres muss, so mein Vorschlag, den Zusammenhang von Produktionsweise und Erzählstruktur in den Blick nehmen. Auffallend ist nämlich, dass es sich bei den Zombie-Filmen vor Romero, also etwa bei »White Zombie«, »I Walked with a Zombie«, »Creature with the Atom Brain« oder »The Plague of the Zombies«, stets um Einzelproduktionen handelt, während das Genre seit Romero stark zur Serialität neigt. Romeros erster Trilogie aus »Night of the Living Dead«, »Dawn of the Dead« und »Day of the Dead« steht die »Return of the Living Dead«-Trilogie gegenüber. Bereits vor Romeros zweiter Trilogie aus »Land of the Dead«, »Survival of the Dead« und »Diary of the Dead« setzt die zumindest als Trilogie angelegte Reihe57 aus »28 Days Later« und »28 Weeks Later« ein sowie das aus sechs Filmen bestehende Franchise »Resident Evil«. Kurz darauf folgt die Comic-, TV-, Roman- und Computerspiel-Serie »The Walking Dead«, die TV-Serie »Dead Set«, die TV-Serie »In the Flesh« und der als Trilogieauftakt konzipierte Film »World War Z«, um nur einige zentrale Titel zu nennen.58 Die Produktivität des Genres lässt sich nun aber nicht allein in eine erste, nicht-serielle Phase vor 56 Tynjanov: »Über die literarische Evolution«, S. 434. 57 Vgl. IGN: Alex Garland says 28 Months Later is being discussed (14.01.15), www.ign.com/arti cles/2015/01/14/alex-garland-says-28-months-later-is-being-discussed (16.07.15). 58 Zu »World War Z« als Trilogie vgl. Boucher, Geoff: Brad Pitt’s Double Play (03.01.2012), http:// articles.latimes.com/2012/jan/03/news/la-en-brad-pitt-20120103 (17.07.2015).

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Romero und eine zweite, überwiegend serielle Phase nach Romero unterscheiden. Vielmehr zeigt sich bei einem Vergleich der Serialität jener Produktionen, die ab dem Jahr 2002 veröffentlicht wurden, mit der Serialität der Produktionen, die vor 2002 veröffentlicht wurden, dass sich hier eine dritte Phase unterscheiden lässt. Es verändert sich nämlich die Qualität der jeweils vorhandenen bzw. eingesetzten seriellen Produktions- und Erzählstruktur. Zunächst: Für den gesellschaftlichen wie zivilisatorischen Zusammenbruch, den die Massenzombifizierung zur Folge hat, findet häufig der Begriff der (Post-) Apokalypse Verwendung. In den Filmen, C omics, C omputerspielen und Romanen fällt dieser eher selten59 , dafür um so häufiger im Umfeld ihrer paratextuellen Rahmung.60 Auch die Forschungsliteratur ist inzwischen dazu übergegangen, die Er59 Auffälligerweise handelt es sich bei den wenigen expliziten Nennungen des ApokalypseBegriffs und verwandter Termini (Jüngstes Gericht, Endzeit etc.) innerhalb der Texte meist um solche, die nach der Jahrtausendwende erschienen sind. In der britischen Produktion »Shaun of the Dead« (2004) rasen die Protagonisten Shaun und Ed im Auto durch ihre zunehmend zombifizierte Nachbarschaft, während eine Nachrichtensprecherin im Radio berichtet, die Church of England habe sich extremen religiösen Gruppierungen angeschlossen und bewerte die Vorgänge nun ebenfalls als »sign of a coming apocalypse«. Vgl. Shaun of the Dead, 0:39:25-0:39:40. In Zack Snyders Remake von »Dawn of the Dead« fragt sich einer der Überlebenden, ob der Einbruch der Zombies das »end of times« einläute. Vgl. Dawn of the Dead. Regie: Zack Snyder, USA/Kanada/Japan/Frankreich 2004, 104 Min., DVD: The Director’s Cut, Vertrieb: Entertainment in Video/Universal, 0:37:35-0:37:40. Und auch in der TV-Serie »Dead Set« vermuten die Überlebenden, dass die gefräßigen Untoten ein Zeichen des angebrochenen »Judgement Day« seien. Vgl. Dead Set. Regie: Al Campbell, Großbritannien 2008, 141 Min., DVD, Vertrieb: 4 DVD, Episode 4, 0:17:45-0:18:03. In Brooks »Zombie Survival Guide« werden vier mögliche Ausbruchsszenarien entworfen, von einem »Class 1«-Szenario eines »low-level outbreak«, über ein »Class 2«-Szenario, in dem bereits städtische Gebiete betroffen sind, bis hin zu einer »true crisis« im »Class 3«-Szenario, die zuletzt in ein »Class 4«-Szenario, dem »doomsday outbreak«, eskalieren kann, in dem die Menschheit sich an der »brink of extinction« wiederfindet. Vgl. Brooks: The Zombie Survival Guide, S. 24f, 154. Interessanterweise wird dieser »doomsday outbreak« hier noch als ein zwar unwahrscheinliches, aber nicht unmögliches Szenario gehandelt. Brooks wenig später erschienener Roman »World War Z« versteht sich dagegen als »Oral History of the Zombie War«. Das »doomsday«-Szenario liegt hier also bereits in der Vergangenheit und auf den ersten Seiten rekapituliert der Erzähler die in der Zwischenzeit gebräuchlich gewordenen Schlagwörter, unter denen die Menschheit ihre nur knapp abgewendete Ausrottung führt. Diese lauten von »The Crisis« über »The Dark Years« bis hin zum titelgebenden »World War Z«. Vgl. Brooks, Max: World War Z, New York: Broadway Paperbacks 2007, S. 1. Der »Survival Guide« hat es demnach nicht geschafft, sein endzeitlich-apokalyptisches Vokabular in die Epochenterminologie der »Oral History« einzuspeisen. 60 Dies ist einerseits in Film- und Buchtiteln zu beobachten, etwa im zweiten Teil der »Resident Evil«-Reihe »Resident Evil: Apocalypse«, in der Low-Budget-Produktion »Zombie Apocalypse« oder im Roman »White Trash Zombie Apocalypse«. Vgl. Resident Evil: Apocalypse. Regie: Alexander Witt, Deutschland/Frankreich/Großbritannien/Kanada/USA 2004, 90 Min., DVD: The Resident Evil C ollection, Vertrieb: Sony Pictures. Vgl außerdem Fußnote 7 in Kapitel 1 dieser Arbeit. Andererseits ist der Begriff auch fester Bestandteil auf den Klappentexten der »The Walking Dead«-Sammelbände, indem dort etwa von einer »epidemic of apocalyptic

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scheinung der Zombies als »apokalyptische Bedrohung«61 zu werten, oder, bei erfolgreicher Disruption, als »grim view of the modern apocalypse in which society’s supportive infrastructure irrevocably breaks down«62 , wodurch alles, was darauf folgt, einer »post-apocalyptic storyline« entspreche, die sich in »post-apocalyptic settings« abspiele.63 Greift man diesen Sprachgebrauch auf, stellt sich der Zusammenhang von Produktions- und Erzählstruktur so dar, dass bereits vor Romero der apokalyptische Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft durch den Einfall untoter Massen in Einzelproduktionen wie »Invasion of the Body Snatchers« oder »The Last Man on Earth« inszeniert wird.64 Mit Romero setzt dann insofern eine zweite Phase des Genres ein, als nun nicht mehr Einzelproduktionen, sondern vor allem Film-Trilogien das endzeitliche Szenario beschreiben. Der strukturellen Herausforderung aber, den einmaligen und endgültigen Zusammenbruch der Apokalypse in Serie inszenieren zu müssen, begegnet man hier, indem das apokalyptische Geschehen schlicht immer wieder von vorn erzählt wird. In jedem Teil einer Trilogie tritt die apokalyptische Bedrohung daher von Neuem ein, ohne dass an den vorhergehenden Plot oder die zuvor geschilderten Umstände angeschlossen werden müsste. »Night of the Living Dead« und »Dawn of the Dead« erzählen das einmalige Ereignis der Zombie-Apokalypse zu einem jeweils gänzlich unterschiedlichen historischen Zeitpunkt.65 »Day of the Dead« könnte man als sehr lose konzipierte Fortsetzung von »Dawn of the Dead« verstehen, allerdings nur insofern,

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proportions« die Rede ist. Vgl. Kirkman et al.: The Walking Dead. C ompendium One, S. 1080. Dies setzt sich auch in der Adaption als TV-Serie fort: Auf der in Deutschland erhältlichen DVD-Box der dritten Serienstaffel heißt es, die Überlebenden wären in der »völlig verwüsteten post-apokalyptischen Welt« noch immer auf der Suche »nach einem sicheren Ort«. Vgl. The Walking Dead. Season 3. C reator: Frank Darabont/Robert Kirkman, USA 2012 13, 662 Min ., DVD: Die komplette dritte Staffel. Uncut, Vertrieb: eone Entertainment. Fürst et al.: »Einleitung«, S. 8. Bishop: American Zombie Gothic, S. 11. Ambrosius, Joshua D./Valenzano III, Joseph M.: »›People in Hell Want Slurpees‹: The Redefinition of the Zombie Genre through the Salvific Portrayal of Family on AMC’s The Walking Dead«, in: Communication Monographs 2015, S. 1-25, hier: S. 2, 20. Dass die terminologische Unterscheidung von Apokalypse und Postapokalypse sich indes durchaus nicht stabil verhält und unscharf Verwendung findet, wird weiter unten thematisiert. Vgl. insbesondere S. 149f. Zur Frage, ob es sich bei dieser untoten Masse im engeren Sinne um Zombies handelt, vgl. Kapitel 4.1 in dieser Arbeit, insbesondere S. 117. Darauf lässt zumindest der divergierende technologische Entwicklungsstand schließen, der an den gezeigten TV- und Radio-Empfangsgeräten sowie an Fahrzeugen u.a.m. abzulesen ist. Vgl. etwa Night of the Living Dead, 0:02:12, 0:32:01, 0:56:25. Vgl. dagegen Dawn of the Dead, 0:52:18, 1:15:40, 1:29:29.

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als der apokalyptische Zusammenbruch hier bereits länger zurückliegt66 und die Handlung sich somit potentiell an die von »Dawn of the Dead« anschließen könnte, auch wenn weder in den Figuren, noch in Orten oder Gegenständen eine erkennbare Kontinuität nachzuweisen wäre. Eindeutiger noch verhält es sich mit der »Return of the Living Dead«-Trilogie. In einem postmodernistisch geführten Spiel mit den Fiktionsebenen beschreibt »Return of the Living Dead« Romeros »Night of the Living Dead« als fiktionalisierte Verarbeitung eines tatsächlich geschehenen, kleineren Zombie-Ausbruchs, der vom Militär vertuscht wurde und dessen Überreste in Form von konservierten Zombies fälschlicherweise in jenem Lagerhaus landen, das in »Return of the Living Dead« als Haupthandlungsort dient.67 Natürlich entspinnt sich aus diesem Setting eine zweite, jetzt pandemisch ausgeweitete Zombie-Katastrophe. Diese Ausgangssituation wird nun in »Return of the Living Dead. Part II« mit leicht veränderten Rahmenbedingungen, aber mit der weitgehend identischen Besetzung erneut aufgeführt, was die Figur Joey zu folgender sowohl selbstrefentiellen wie metafiktionalen Feststellung verleitet: »I feel so…I just got this feeling. […] It’s like we’ve been here before. It’s like a dream, this whole thing. You, me, them.«68 Im dritten Teil ist sowohl die Besetzung als auch die Handlungsstruktur stark verändert, die Ausgangslage aber gänzlich redundant: Wieder hat der Ausbruch seinen Ursprung in den konservierten Zombies jenes ersten, kleineren Ausbruchs, der in »Night of the Living Dead« dokumentarisch festgehalten worden sei.69 Mit dem Jahr 2002 setzt in der Produktivität des Zombiegenres nun eine Serialität ein, die anders gelagert ist als die der Variation redundanter ApokalypseSzenarien. Anstatt die apokalyptische Disruption dadurch zu serialisieren, dass man sie immer wieder von Neuem ablaufen lässt, wird der apokalyptische Ausund Zusammenbruch nun vielmehr seriell auserzählt. So beschreibt »28 Days Later« den erstmaligen Ausbruch der Zombie-Infektion in Großbritannien, während 66 Vgl. etwa Day of the Dead. Regie: George A. Romero, USA 1985, 97 Min., DVD: Night of the Living Dead. Dawn of the Dead. Day of the Dead. Limited Edition Box Set, Vertrieb: Arrow Films, 0:03:25. 67 Vgl. Return of the Living Dead, 04:50-06:45. 68 Return of the Living Dead. Part II. Regie: Ken Wiederhorn, USA: 1988, 86 Min., DVD, Vertrieb: Warner Home Video, 0:45:45-0:46:05. 69 Zwar endet nur der erste Teil der Trilogie mit einer Pandemie apokalyptischen Ausmaßes, während der zweite und dritte Teil diese jeweils im letzten Moment abwenden, indem die Zombies mittels einer erfolgreichen militärischen Intervention eingedämmt werden können. Dessen ungeachtet wird die um sich greifende Zombie-Epidemie und die Potentialität der Apokalypse hier in dreifacher Variation entfaltet und, im Fall der letzten beiden Filme, erst am Filmende zurückgenommen. Vgl. Return of the Living Dead, 1:21:30-1:23:30; Return of the Living Dead. Part II, 1:17:45-1:21:13; Return of the Living Dead 3. Regie: Brian Yuzna, USA/Japan 1993, 93 Min., DVD: Full Uncut Version, Vertrieb: Trimark/High Fliers/Cinema Club, 1:03:19-1:16:49.

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»28 Weeks Later« das katastrophale Fehlschlagen der Wiederbesiedelung der britischen Insel schildert, was zur Infektion des europäischen Festlandes führt.70 Das Franchise »Resident Evil« verfolgt ebenfalls ab dem ersten pandemischen Ausbruch des T-Virus kontinuierlich die darauffolgenden Ereignisse, sodass der sechste und letzte Teil der Reihe, »Resident Evil: The Final Chapter«, sich weit ins Feld des Postapokalyptischen vorgearbeitet hat.71 Ähnliches ist in der Comic-, TV-, Roman- und Computerspielserie »The Walking Dead« festzustellen, die auch erst nach dem apokalyptischen Untergang der Gesellschaftsordnung einsetzt und anschließend die politischen, wirtschaftlichen, technologischen wie kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten jener Gemeinschaften erkundet, die sich lange nach dem apokalyptischen Untergang der bekannten gesellschaftlichen und zivilisatorischen Ordnung herauszubilden beginnen.72 Der schleifenförmigen, immer wieder von Neuem und in immer neuen Variationen ablaufenden Serialität, die sich in der zweiten Phase des Genres seit Romeros »Night of the Living Dead« beschreiben lässt, wird hier demnach eine andere, eine linear sich fortsetzende und in ihrer Fortsetzung potentiell unabschließbare Serialität entgegengesetzt. Dadurch entleert sich aber zugleich auch der Begriff der Apokalypse. Denn das unendliche Vordringen ins Postapokalyptische zeigt ja immer deutlicher, dass die Apokalypse so apokalyptisch nicht sein kann, dass kein Jüngstes Gericht, kein Ende der Geschichte, kein Zusammenfallen von Dies- und Jenseits eingetreten ist, sondern höchstens: ein einschneidendes krisenhaftes Ereignis, das ein zuvor existentes Gesellschaftsgefüge zwar zu unterbrechen im Stande ist, anschließend aber lediglich eine auf die veränderten Gegebenheiten kalibrierte Reorganisation desselben zur Folge hat. Die Apokalypse wird aufgeweicht. Interessanterweise treten neben diese unendlich fortspinnbaren, seriellen Produktionen, in denen die Apokalypse mehr und mehr vom Weltende zu einer bloß noch krisenhaften Transitorik verkümmert, nach einer kurzen Latenzphase auch Einzelproduktionen, die nach 2002 weiterhin produziert werden und von denen sich nun einige ebenso wenig oder überhaupt nicht mehr für den mehr oder minder apokalyptischen Zusammenbruch der Gesellschaft interessieren, sondern vielmehr für das, was sich danach abspielt. In »Fido. Good Dead are Hard to Find« ist der Zombie-Krieg längst ausgefochten und der Film handelt nun von der Ausbeutung der Zombies innerhalb einer staatsähnlichen Struktur, zu der sich der 70 Vgl. 28 Days Later, 0:00:00-0:05:00; 28 Weeks Later. Regie: Juan Carlos Fresnadillo, Großbritannien/Spanien 2007, 95 Min., DVD, Vertrieb: Twentieth Century Fox, 0:40:00-0:46:00; 1:26:211:29:30. 71 Vgl. nur Resident Evil. The Final Chapter. Regie: Paul W.S. Anderson, Großbritannien, Frankreich, USA, Deutschland, Südafrika, Kanada, Japan, Australien, 102 Min., DVD, Vertrieb: Sony Pictures, 0:01:18-0:05:12; 0:13:01-0:15:12; 0:51:30-0:54:25. 72 Vgl. Kapitel. 4.3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 170-177.

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kriegsentscheidende Konzern Zomcon ausgewachsen hat.73 Noch radikaler geht »The Returned« vor, in dem Zombies so gut wie gar nicht mehr vorkommen, nur sehr vage wird von einigen Zombie-Ausbrüchen der Vergangenheit berichtet. Diese sind dank eines Antivirus, mit dem infizierte Menschen ihre irreversible Zombifizierung aufhalten können, nun nicht mehr zu befürchten. Eigentliches Thema des Films ist eine kurzzeitige Knappheit in der Produktion des Antivirus, die eine vorübergehende Internierung infizierter Menschen zur Folge hat.74 Von einem drohenden apokalyptischen Zusammenbruch ist nicht die Rede, im Zentrum steht ein krisenhafter Engpass in der medizinischen Versorgung potentiell infektiöser Bevölkerungsschichten, die diese zum Spielball gouvernemental-biopolitischer Handlungsräume der Nicht-Infizierten macht. Die Geschichte des Zombie-Genres ließe sich demnach folgendermaßen beschreiben: Auf eine erste Phase, die ausschließlich aus Einzelproduktionen besteht, folgt ab Romeros »Night of the Living Dead« eine zweite Phase, die sich wesentlich stärker durch Serialität auszeichnet, sich dabei in Variationsschleifen bewegt und daher die erzählerische Struktur des apokalyptischen Zusammenbruchs immer wieder von Neuem ablaufen lässt. Nachdem das Zombie-Genre sich gegen Ende der 90er Jahre erschöpft zu haben scheint75 , erfährt es mit dem Jahr 2002 eine starke Wiederbelebung und ist nun durch eine lineare, unendlich fortspinnbare Serialität geprägt, die das Zeitmodell der Apokalypse zunehmend abzuschwächen beginnt, was sich wenig später auch in den weiterhin bestehenden Einzelproduktionen bemerkbar zu machen beginnt. Wenn sich die fünfte und letzte der oben eingeführten Fragen auf die Art und Weise richtet, mit der das Korpus auf die Geschichte des Zombie-Genres zugreift, so lässt sich bereits antworten, dass die hier erarbeiteten Entwicklungsstufen innerhalb der Genre-Geschichte das Korpus bereits einer ersten heuristisch dienlichen Unterteilung zuführen können. Es bedarf aber noch einer letzten vorstrukturierenden Differenzierung. Vergleicht man die Zombiefilme von George Romero mit der »Return of the Living Dead«-Trilogie seines ehemaligen Weggefährten John A. Russo76 oder mit Lucio Fulcis »Zombi 2«, das sich als Sequel zu Romeros »Dawn of the Dead« ausgibt, ohne dessen Rechte tatsächlich erworben zu haben77 , und 73 Vgl. Fido, 0:00-5:50. 74 Vgl. The Returned. Regie: Manuel Carballo, Spanien/Kanada 2013, 98 Min., DVD, Vertrieb: Uncork’d, 19:30-26:30, 48:25. 75 Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 15f. 76 Das Drehbuch zu »Night of the Living Dead« haben Russo und Romero noch gemeinsam geschrieben, sich anschließend aber überworfen. Vgl. Boluk, Stephanie/Wylie, Lenz: »Introduction. Generation Z, the Age of Apocalypse«, in: dies. (Hg.): Generation Zombie, S. 1-17, hier: S. 5. 77 Fulci bezieht sich dabei auf den italienischen Titel »Zombi«, unter dem Romeros »Dawn of the Dead« in Italien vermarktet wurde. Vgl. Maier, Christian: »Festschmaus für Fans. Der italienische Zombiefilm«, in: Fürst et al. (Hg.): Untot, S. 85-96, hier: S. 86f. Im anglophonen Raum firmiert

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damit zum Ausgangspunkt des italienischen Zombiefilms wurde78 , so zeigt sich eine Differenz vor allem in der Stabilität der Zombie-Konfigurationen sowie im Stellenwert der jeweils eingesetzten Techniken des Überlebenskampfes, derer sich die verbliebenen Menschen zur Abwehr der Untoten bedienen müssen. In Fulcis »Zombi 2« geht es zunächst um eine mysteriöse Krankheit, deren Ursache unklar ist und die zum Tod und danach zur Zombifizierung führt. Die Dauer zwischen Ansteckung und Zombifizierung variiert stark und zwar je nach dramaturgischer Notwendigkeit. Während anfangs erkrankte Patienten über Tage gepflegt werden können, bis man sie nach ihrem Ableben per Kopfschuss von der anschließenden Zombifizierung bewahren muss79 , verwandelt sich ein gebissener Protagonist am Ende des Filmes innerhalb kürzester Zeit, um dadurch selbst zur Bedrohung für die übrigen Handlungsträger werden zu können.80 Die Überlebendengruppe agiert dabei einigermaßen planlos und ohne jede Kommunikation darüber, wie man sich gegen die anstürmenden Zombiemassen zu verteidigen hat.81 In der Trilogie von »Return of the Living Dead« ist dann gleich eine ganze Reihe von Inkonsistenzen zu konstatieren. Erstens schwankt die Bewegungsgeschwindigkeit der Zombies, schlurfende und rasant umherrennende Zombies koexistieren ohne jede erläuternde Vermittlung.82 Zweitens scheinen die Zombies unentschieden, ob sie es ausschließlich auf die Gehirne der Menschen abgesehen haben, wie sie dies selbst explizit zu Protokoll geben83 , oder ob sie sich nicht doch auch an anderen Körperteilen gütlich tun können.84 Drittens lautet die biopathologisch formulierte Begründung des Hirnhungers in den ersten beiden Teilen, die Zombies könnten durch den Verzehr von menschlichem Hirn jene Schmerzen lindern, die der Tod und die Verwesung ihnen zufügten.85 Im dritten Teil der Reihe funktioniert dieser Mechanismus dagegen genau umgekehrt: die zombifizierte Julie fügt sich absichtlich Schmerzen zu, um ihren Hunger nach menschlichem Fleisch bzw. Hirn einzudämmen86 – und das weil sie im Gegensatz zu den ersten beiden Teilen, viertens, weiterhin bei Bewusstsein ist und daher auch (zeitweise) steuern kann, wen sie anfällt.87 Neben diesen Inkonsistenzen in der Konfiguration des Zombies

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Fulcis Film dagegen unter dem Titel »Zombie Flesh Eaters«. Vgl. hierzu auch Lockhurst, Roger: Zombies. A Cultural History, London: Reaktion 2015, S. 159f. Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 160f. Vgl. Zombi 2. Regie: Lucio Fulci, Italien 1979, 88 Min., 88 Min., DVD: Zombie Flesh Eaters, Vertrieb: Arrow Video, 0:50:00-0:53:15. Vgl. ebd., 1:17:22-1:18:50. Vgl. ebd., 1:13:45-1:23-25. Vgl. Return of the Living Dead, 0:21:45-0:21:54; 0:42:45-0:43:15. Vgl. ebd., 1:00:35-1:01:15. Vgl. Return of the Living Dead 3, 0:12:15-0:12:26; 0:14:30-0:14:36; 0:36:15-0:36:19. Vgl. Return of the Living Dead, 1:00:35-1:01:15. Vgl. Return of the Living Dead 3, 0:43:00-0:43:41. Vgl. ebd., 0:25:30-0:31:15. In den ersten beiden Filmen stellt die Zombifizierung dagegen eine deutliche Zäsur dar, die das ursprüngliche Bewusstsein vollständig unterminiert. So hat Fred-

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sind auch hier die Überlebenstechniken stark unterbelichtet und erscheinen höchstens in parodistischer Manier. So erproben beispielsweise Freddie, Frank und Burt, die im ersten Teil der Reihe erstmals mit einem Zombie konfrontiert werden, jene Überlebenstechniken, die ihnen aus dem Film »Night of the Living Dead« bekannt sind, doch die Zerstörung des Zombiehirns stellt sich in »Return of the Living Dead« als wirkungslos heraus. Entrüstet ruft Frank: »It worked in the movie!«, und Freddie antwortet: »You mean, the movie lied?«88 Romeros Zombie-Filme stellen sich demgegenüber gänzlich anders dar. Bewegungs- und Verhaltensmuster der Zombies verbleiben hier innerhalb eines weitgehend stabil durchgehaltenen Regelwerks: Durch eine ungeklärte Ursache werden »persons who have recently died« zur Bedrohung für die Lebenden, indem sie als motorisch eingeschränkte, in Massen auftretende Untote umherschlurfen und nach Menschenfleisch gieren. Einzig die Zerstörung des Zombiehirns durch Kopfschuss oder ähnliche Gewalteinwirkung bleibt den Menschen als Verteidigungsmöglichkeit.89 Dort, wo Romero seinen Zombies doch eine gewisse Varianz zugesteht, wird diese als Ergebnis gezielter Konditionierung90 oder aber als Resultat evolutionärer Fortentwicklung91 auserzählt und so in das vorherige Regel-Set reintegriert. Zugleich zehren Romeros Filme ganz wesentlich von der Darstellung, Verhandlung und narrativen Erprobung verschiedener Überlebenstechniken und -strategien, welche die verbliebenen Menschen einsetzen müssen, um sich der Untoten erwehren zu können.92 Inmitten des gesellschaftlichen Zusammenbruchs inszeniert Romero kleine Verbünde von Überlebenden, deren weiteres Überleben maßgeblich dadurch bestimmt ist, ob und wie sie sich auf ein gemeinsames Handeln verständigen können, auf die Koordinierung und Aufteilung lebensgefährlicher Arbeiten in der Abwehr der Untoten sowie auf die Zu- und Aufteilung von Lebensmitteln, Waffen, Informationsquellen etc. Diese Verständigung misslingt aber beständig und in der Überlebendengruppe wiederholt sich somit das Versagen der gesamtgesellschaftlichen Ordnung, deren Unterminierung sie hervorgebracht hatte.93 die, nachdem er im ersten Teil mit der zombifizierenden Chemikalie 245-Trioxin in Kontakt gekommen ist, zwar bald keine messbaren Vitalzeichen mehr, er bleibt aber zunächst bei Bewusstsein und für seine Mitmenschen ungefährlich. Erst nachdem er das Bewusstsein verliert, wird er als untoter, hirnhungriger und gemeingefährlicher Zombie reaktiviert und hat anschließend, anders als Julie im dritten Teil, keinerlei Möglichkeit mehr, sich seines Hirnhungers zu enthalten. Vgl. Return of the Living Dead, 0:45:30-0:49:00; 1:06:45-1:08:00. 88 Vgl. ebd., 0:20:30-0:23:40. 89 Night of the Living Dead, 0:56:25-0:56:28. Vgl. außerdem ebd., 1:18:45-1:18:57. 90 Vgl. Day of the Dead, 0:46:36-0:51:00. 91 Vgl. Land of the Dead, 0:03:15-0:09:25. 92 Vgl. nur Night of the Living Dead, 0:41:09-0:45:00; Dawn of the Dead, 0:58:47-1:19:00; Day of the Dead, 0:18:00-0:19:25; 0:27:25-0:31:36. 93 Vgl. nur ebd., 1:10:20-1:31:27. Vgl. außerdem Kapitel 4.2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 131-135.

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Wenn also das Vorhandensein einer stabilen Zombiekonfiguration mit der deutlichen Thematisierung von Überlebenstechniken korreliert, dann erstens deshalb, weil sich eine eingehendere Diskussion von Überlebenstechniken nur dort lohnt, wo sie ein weitgehend stabilisiertes Spielfeld, eben eine stabilie Zombiekonfiguration, vorfindet, und weil zweitens diese Überlebenstechniken damit wiederum selbst zum Spielfeld werden können – und zwar für jene politischen und sozialen Verständigungsprozesse, an denen Romero zunächst die gesamtgesellschaftliche Ordnung und dann die verbliebene Überlebendengruppe scheitern lässt. Dort aber, wo weder eine stabile Zombiekonfiguration noch eine Verhandlung von Überlebenstechniken stattfindet, verlässt sich das Genre offenbar vor allem auf das, was Arno Meteling als »Körperhorror« bezeichnet hat. Nach Meteling richtet sich dieser in erster Linie »auf den verwundeten, deformierten und geöffneten Körper, der zunehmend das Opfer von menschlichen Monstern wie Serienmördern (Slashern) oder Kannibalen ist«.94 Dabei entsteht eine »moderne Logik der Überbietung«95 , die, wie es scheint, sowohl ein fixiertes Set an Regeln in der Zombiekonfiguration wie auch eine detaillierte Ausarbeitung von Überlebenstechniken als hinderlich erscheinen lassen muss. Auf diese Weise könnte man das Zombie-Genre seit Romero in zwei Lager geteilt sehen, von denen eines sich in erster Linie auf das inszenatorische Potential des Körperhorrors und dessen Steigerungsmöglichkeiten verlässt, und eines, das wie Romero vor allem um das Scheitern menschlicher Sozialordnungen kreist, dessen Aufmerksamkeit also weniger dem »verwundeten, deformierten und geöffneten Körper«96 des einzelnen Menschen gilt als dem verwundeten, deformierten und geöffneten Gesellschaftskörper, der den Zombies immer zuerst makroperspektivisch zum Opfer fällt und dann mikroperspektivisch oder exemplarisch in der untergehenden Überlebendengruppe. Allerdings: Derart eng formuliert, träfe dies Gesellschaftshorror-Subgenre allein auf Romero zu, ja es würde unter Umständen nicht einmal sämtliche seiner Zombiefilme umfassen, denn in »Night of the Living Dead« wird zumindest der makroperspektivische Zusammenbruch am Ende zurückgenommen97 und auch in »Land of the Dead« geht zwar die Herrschaft des tyrannischen Kaufman unter, die übrigen Lebenden können in ihrer Siedlung aber einen politischen Neuanfang wagen.98 Weniger spezifisch, und dadurch zugleich treffender, formuliert es Robert Kirkman, der sich in der Einleitung zur ersten Folge seiner Comic-Serie »The Walking Dead«, dreieinhalb Jahrzehnte nach »Night of the Living Dead«, explizit auf Romero beruft: 94 Meteling, Arno: Monster. Zur Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm, Bielefeld: transcript 2006, S. 15. Vgl. auch ebd., S. 72f. 95 Ebd., S. 74. 96 Ebd., S. 15. 97 Vgl. Night of the Living Dead, 1:29:18-1:33:58. 98 Vgl. Land of the Dead, 1:22:46-1:24:16, 1:26:24-1:26:42.

2. Korpus: (K)eine Genre-Geschichte

To me, the best zombie movies aren’t the splatter fests of gore and violence with goofy characters and tongue in cheek antics. Good zombie movies show us how messed up we are, they make us question our station in society… and our society’s station in the world. They show us gore and violence and all that cool stuff too… but there’s always an undercurrent of social commentary and thoughtfulness. Give me »Dawn of the Dead« over »Return of the Living Dead« any day. To me, zombie movies are thought provoking, dramatic fiction, on par with any Oscar worthy garbage that’s rolled out year after year. Movies that make you question the fabric of our very society are what I like. And in GOOD zombie movies… you get that by the truckload. With The Walking Dead, I want to explore how people deal with extreme situations and how these events CHANGE them.99 Kirkmans Comic-Reihe, aus der sich später TV-Serien, Computerspiele und Fortsetzungsromane entspinnen werden, positioniert sich anschließend deutlich in jenem Genrelager, das sich einer stabilen Zombiekonfiguration unterwirft und zugleich einigen Aufwand in der Beleuchtung jener Techniken und Strategien betreibt, die das Überleben innerhalb der so gravierend veränderten Umweltbedingungen erlauben100 ; und so gibt auch dies Anlass zur Vermutung, dass der »undercurrent of social commentary« sowie die Untersuchung des »fabric of our very society« etwas mit dieser Stabilität der Zombiekonfiguration zu tun haben, ja dass diese Stabilität notwendig ist, um die Erprobung der Überlebenstechniken und deren konfliktreiche politische Ausverhandlung als einen zentralen Gegenstand der Erzählung etablieren zu können. Wichtig ist dabei aber die Relationierung von Körper- und Gesellschaftshorror, die Kirkman hier programmatisch ausformuliert, denn »The Walking Dead« entzieht sich keineswegs der blutigen Ausschlachtung des menschlichen Körpers, es zeigt durchaus »gore and violence and all that cool stuff too«, wie Kirkman schreibt, jedoch gewinnt es nicht allein daraus sein erzählerisches Sujet. Der Gesellschaftshorror brüstet sich demnach explizit damit, als Instanz des »social commentary and thoughtfulness« fungieren zu wollen und dem inszenatorischen Arsenal des Körperhorrors eine nur sekundäre und, um es vorwegzunehmen, instrumentale Funktion einzuräumen. Zwei Einwände könnten hier nun erhoben werden. Erstens mag bemängelt werden, dass die obige Unterscheidung letztlich die Existenz zweier Subgenres nahelegt, die sich nun aber nicht mehr auf die Zuordnungsleistung diskursivierter Erwartungserfüllungen in der Forschungsliteratur stützen kann, wie dies für das Genre im Ganzen behauptet wurde.101 Warum sollte für Subgenres anderes gelten 99 Kirkman, Robert/Moore, Tony: The Walking Dead Vol. 1. Days gone by, Berkeley (CA): Image Comics 2010, S. 5f. 100 Vgl. Kapitel 4.3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 160-177. 101 Vereinzelt werden zwar Subgenres zur Unterteilung des Gesamtgenres vorgeschlagen, die Unterscheidungskriterien sind aber weder einheitlich noch überzeugend. Joachim Schätz

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Masse & Apokalypse

als für Genres? Demnach kann man die oben beobachtete Differenz, wenn man sie als Unterscheidung zweier Subgenres auffassen möchte, nur in einem heuristischen Sinne als solche gelten lassen. Dass dies dennoch vielversprechend ist, hat einen einfachen Grund: Eine politisierbare Kopplung aus Masse und Apokalypse lässt sich schlicht dort besser nachweisen und beobachten, wo politische und soziale Ausverhandlungsprozesse offen zutage treten. Ein zweiter Einwand könnte lauten, dass eine solche Subgenre-Unterteilung die oben verworfenen, typologisch umrissenen Entwicklungsstufen des Genres durch die Hintertür wieder einführen, denn eine Unterscheidung von Körper- und Gesellschaftshorror kann ja erst dort wirksam werden, wo ein ausreichend massierter und gemeingefährlicher Zombie sich mehr oder weniger stabil verhalten kann, auf den sich dann mehr oder weniger ausführlich diskutierte Überlebenstechniken richten lassen. Dieser Einwand lässt sich jedoch entkräften, wenn man bedenkt, dass die in Rede stehenden Merkmale ganz wesentlich auf Mathesons »I am Legend« und dessen Verfilmung »The Last Man on Earth« zurückgehen, die zwar noch (Massen-)Vampire zum Gegenstand haben, den engen Zusammenhang von Überlebenstechnik und Konfiguration der Untoten aber bereits lange vor Romero vollständig ausformulieren.102 Die heuristisch formulierten Subgenres beschränken sich gerade nicht auf eine der drei Entwicklungsstufen, sondern unterhalten Affinitäten, Kontinuitäten und genealogische Fortsetzungen über die vorgeschlagenen Phasengrenzen schlägt etwa vor, Zombie-Romanze, Kriegsheimkehrer-Zombiefilm, Zombie-Invasionsfilm und Krypto-Zombiefilm zu unterscheiden. Problematisch ist, dass sich diese nicht eindeutig gegeneinander abgrenzen lassen. So rechnet er etwa »Return of the living Dead 3« der ZombieRomanze zu, muss dabei aber zwangsläufig die aus den ersten beiden Teilen der Trilogie stammenden und auch im dritten Teil noch stark präsenten Elemente des Zombie-Invasionsgenres vollständig ausblenden. Auch die typologische Unterscheidung von (untotem) Zombie und (lebendem) Krypto-Zombie ist wenig zielführend, bedenkt man, dass die Differenz zwischen den lebenden Infizierten aus »28 Days Later« und den untoten Infizierten aus »World War Z« zu vernachlässigen ist, beide bewegen sich in rasanter Geschwindigkeit, attackieren alles und jeden in wilder Raserei und vermehren sich per viraler Infektion. Für das Sub-Genre des Kriegsheimkehrer-Zombiefilms führt Schätz dann »Dead of Night« (1974) und »Uncle Sam« (1997) an, deren Zurechnung zum Zombiegenre aber durchaus fraglich (und selten) ist, immerhin haben die untoten Kriegsheimkehrer nur wenig mit den ansonsten kanonisierten Zombiefiguren gemein, gleicht »Uncle Sam« doch eher der Figur des Slashers bzw. Serialkillers, während »Dead of Night« eine intravenöse Form des Vampirismus beschreibt. Vgl. Schätz, Joachim: »Mit den Untoten leben. Sozietäten im Zombie-Invasionsfilm«, in: Fürst et al. (Hg.): Untot, S. 45-63, hier: S. 45, 49; Return of the Living Dead 3, 0:36:11-0:36:30; 1:03:30-1:16:40; 28 Days Later, 0:03:30-0:04:55. Vgl. außerdem World War Z. Regie: Marc Forster, USA 2013, 111 Min., DVD, Vertrieb: Paramount, 0:09:05-0:09:40; Uncle Sam. Regie: William Lustig, USA 1996, 85 Min., DVD, Vertrieb: Laser Paradise, 0:41:13-0:45:39; 0:46:40-0:47:04; 1:00:25-1:00:01, 1:07:05-1:08:41; Dead of Night, Regie: Bob Clark, Kanada/Großbritannien/USA 1974, DVD: Bob Clark Grindhouse Double Feature, Vertrieb: Nucleus, 0:50:41-0:55:24. 102 Vgl. etwa Last Man on Earth, 0:00:00-0:09:14; 0:29:30-0:37:45.

2. Korpus: (K)eine Genre-Geschichte

hinweg. Nur so ist es zu erklären, dass im Jahr 2002, als das totgeglaubte ZombieGenre sich mit Nachdruck aus den popkulturellen Archiven heraus reaktualisieren konnte, mit »28 Days Later« sowohl ein im Gesellschaftshorror verankerter Film veröffentlicht wird als auch »Resident Evil«, das ganz eindeutig auf die perpetuierte Steigerbarkeit des Körperhorrors setzt. Während die lineare Serialität für »Resident Evil« demnach aber schlicht eine Spielwiese immer neuer und immer spektakulärerer Splatter-Innovationen zur Verfügung stellt, etwa zombifizierte Rabenschwärme, die, Hitchcocks »The Birds« zitierend, über Menschen wie Zombies gleichermaßen herfallen103 , hat die Aufweichung des Apokalypse-Modells für das Gesellschaftshorror-Subgenre weitreichendere Folgen. Wenn darin nämlich das Modell der Apokalypse, in der die von Menschen geordnete Welt ein dauerhaftes Ende findet, zu einem Modell eines nur noch krisenhaft transitorischen Moments verschliffen wird, in dem die menschliche Ordnung zwar bedroht, gefährdet oder destabilisiert ist, die Gefährdung, Bedrohung und Destabilisierung aber immer, zumindest potentiell, überwindbar bleibt, handelt es sich letztlich um gänzlich gegensätzliche, (post-)apokalyptisch induzierte Rahmungen bzw. Motivierungen von Handlungsprogrammen, die, nicht nur innerdiegetisch, zutiefst politische Implikationen mit sich führen. Auch darin zeigt sich also das heuristische Potential der hier vorgeschlagenen Unterscheidung. Damit wären die eingangs entwickelten fünf Fragen beantwortet. Das Genre, erstens, ist als ein iterativer Prozess zu verstehen, in dem sich rezipientenseitige Erwartung und produzentenseitige Erwartungserwartung verschränken und in den daraus generierten Werkantworten eine literarische Reihe ergeben, die im Schwingen zwischen Redundanz und Modifikation Reize der gesellschaftlichen Umwelt prozessieren kann. Zombie wie Zombie-Genre konturieren sich dann, zweitens und drittens, immer dadurch, dass in diesem evolutiven Geschehen etwas als Zombie verstanden bzw. etwas als dem Zombie-Genre zugehörig gesehen wurde, indem also erfüllte Erwartungen vorliegen, die sich in der einschlägigen Forschungsliteratur als einschlägige Titel bzw. einschlägige Zombiekonfigurationen diskursiviert und tradiert finden. Die Geschichte des Zombie-Genres lässt sich dann, viertens, in drei Entwicklungsstufen unterteilen, eine erste, in der ausschließlich Einzelproduktionen vorliegen, eine zweite, in der eine Serialisierung einsetzt und dadurch eine apokalyptische Erzählstruktur redundant in immer neuen Variationen abzulaufen beginnt, und zuletzt eine dritte, in der die Serialisierung zur unabschließbaren Auserzählung der postapokalyptischen Verhältnisse ansetzt und damit den ursprünglich einmaligen und endgültigen 103 Vgl. Resident Evil Extinction. Regie: Russell Mulcahy, Frankreich/Deutschland, Australien/Großbritannien/Kanada/USA 2007, 90 Min., DVD: The Resident Evil Collection, Vertrieb: Sony Pictures, 35:00-39:55; 52:20.

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Masse & Apokalypse

Untergang der Apokalypse zum nur noch krisenhaften Durchgangsmoment verschleift. Fünftens greift das Korpus nun auf diese Genregeschichte zu, indem es einerseits die beschriebene Dreiteilung strukturell übernimmt und sich dabei andererseits auf jenes heuristisch postulierte Subgenre verlässt, das sich verstärkt dem Gesellschaftshorror widmet. In exakt diesem Sinne ergibt sich das Korpus der folgenden Analyse aus der Geschichte des Zombie-Genres. Bevor diese Analyse nun aber in Gang kommen kann, bedarf es einer ausreichend komplexen Theoriesprache, mit deren Hilfe die politisierbare Kopplung aus Masse und Apokalypse überhaupt erst ausführlich formulierbar und eingehend analysierbar wird. Diese wird im Folgenden an den massenpsychologischen Schriften von Gustave Le Bon und Sigmund Freud erarbeitet sowie am umstrittenen Werk Carl Schmitts.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

Die Inszenierung des vollständigen Zusammenbruchs, wie er in George Romeros »Dawn of the Dead« erstmals1 und prägend2 ausformuliert wurde, ist zweieinhalb Jahrzehnte später für das Genre bereits derart selbstverständlich geworden, dass er in der Comic-Serie »The Walking Dead« vollständig übersprungen werden kann. Der Polizist Rick Grimes wird im Dienst angeschossen und erwacht aus dem Koma, als Staat und Gesellschaft bereits zusammengebrochen sind.3 Er findet das Krankenhaus verlassen vor, niemand antwortet, wenn er nach der Schwester klingelt oder um Hilfe ruft, und als er sich in die Cafeteria schleppt, sieht er sich erstmals mit Zombies konfrontiert. Draußen sind die Straßen wie leer gefegt und auch das suburbane Wohnviertel, in dem er seine Frau Lori und seinen Sohn Carl zu suchen beginnt, liegt verwüstet und menschenleer vor ihm. Elektrizität und moderne Kommunikationsmittel sind nicht mehr in Funktion, an den Tankstellen lässt sich kein Treibstoff zapfen und im örtlichen Polizeirevier, in dem er zuvor Dienst hatte, sind keine Polizeibeamten mehr tätig.4 Ganz offensichtlich liegt hier das vor, was die Forschungsliteratur regelmäßig als (Post-)Apokalypse bezeichnet und dabei eine potentiell dauerhafte Unterbrechung der gewohnten Funktionen von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen versucht. In einer Analyse der TV-Adaption von »The Walking Dead«, deren Einstieg sehr ähnlich zu dem der ursprünglichen Comic-Serie verläuft5 , beschreibt auch der Literaturwissenschaftler Niels Werber die radikel veränderte Umwelt des 1 In »Night of the Living Dead« geht zwar die im Farmhaus zusammengewürfelte Gruppe von Überlebenden am Ende in Gänze zu Grunde, der gesellschaftliche Zusammenbruch wird aber im letzten Moment zurückgenommen. Vgl. Night of the Living Dead, 1:29:20-1:33:43. In »Dawn of the Dead« erfolgt dieser dagegen uneingeschränkt. Vgl. Dawn of the Dead, 2:04:27-2:06:52. 2 Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 14f. 3 Vgl. Kirkman et al.: Compendium One, S. 5-11. »The Walking Dead« ist hierbei eng an »28 Days Later« angelehnt. Vgl. S. 7f in dieser Arbeit. 4 Vgl. Kirkman et al.: The Walking Dead. Compendium One, S. 5-31. 5 Vgl. The Walking Dead. Creator: Frank Darabont/Robert Kirkman, USA 2020, 4135 Min. (7 Staffeln), Streaming, Vertrieb: Netflix, Staffel 1, Episode 1, 0:00-0:25:30.

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Masse & Apokalypse

Protagonisten als die »überaus harten Bedingungen einer Zombie-Apokalypse«.6 Er kommt dabei zu dem Schluss, dass zwar »jede Ordnung« suspendiert und damit »eine perfekte politische tabula rasa« geschaffen werde, auf der dann in evolutionistischer Weise Überlebensstrategien erprobt werden könnten.7 Gleichwohl seien hier aber sowohl der Begriff des Naturzustandes, wie ihn Hobbes und Rousseau verwendeten, als auch der Begriff des Ausnahmezustandes, wie ihn Carl Schmitt und später Giorgio Agamben aufgriffen, der Zombie-Apokalypse unangemessen. Mit dem Naturzustand könne man nämlich »der höchst voraussetzungsvollen Lage in The Walking Dead nicht gerecht werden« und für den Ausnahmezustand fehle es an einem Souverän, der im Sinne Carl Schmitts über ihn zu entscheiden hätte, oder, wenn man sich auf Agambens Verarbeitung des schmittianischen Ausnahmezustandes einlässt, am biopolitischen Zugriff auf das nackte Leben durch einen modernen Staat, der in der Fiktion ja gerade nicht mehr existiere.8 Für Werber bleibt somit nichts als jene tabula rasa, die er als fiktional erzeugte Laborbedingungen auffasst, unter denen das Genre einen »spieltheoretischen Versuch zur Evolution von Kooperation« unternehmen könne.9 Wie im Vorübergehen räumt Werber somit nicht nur die naheliegenden Topoi der poststrukturalistischen Kritik moderner Staatsmacht ab, sondern auch die ihr vorausgehenden Begrifflichkeiten der Politischen Philosophie und Theorie. So verlockend es aber auch sein mag, diesen theoretischen Ballast einfach über Bord zu werfen, um das Politische in dieser Erzählung vom Ende der Gesellschaft allein über eine evolutionistisch gewendete Spieltheorie aufzuschlüsseln, so ist doch zu fragen, ob die Abweisung der theoretischen und philosophischen Diskursivierungen von Politik, Staat und Gesellschaft tatsächlich derart zwingend ist, wie Werber sie darstellt, ob die Begriffe von Naturzustand und Ausnahmezustand also tatsächlich derart fehl gehen, wenn sie auf »The Walking Dead« und das Zombie-Genre im Allgemeinen angewendet werden. Als ein erstes Indiz, das diesen Zweifel stützen könnte, mag ein Paratext dienen, der »The Walking Dead« programmatisch vorangestellt ist und der oben bereits in anderem Zusammenhang zitiert wurde. Wenn Robert Kirkman nämlich in der Einleitung zum ersten Band seiner Comic-Serie darauf verweist, dass er sich jenem Teil des Zombie-Genres verpflichtet fühlt, in dem stets ein »undercurrent of social commentary and thoughtfulness« präsent sei, in dem es also in zentraler Weise um »the fabric of our very society« gehe, um dann die spezifische Programmatik von »The Walking Dead« als eine Frage 6 Werber, Niels: Überleben im Ausnahmezustand. Politische Experimente in The Walking Dead. Vortrag auf der Tagung »Medialisierung der Macht. Filmische Inszenierungen politischer Praxis«, Berlin: 7.-9. Mai 2015. Ich zitiere aus dem unveröffentlichten Vortragsmanuskript, das mir Niels Werber freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Hier: S. 17. 7 Ebd., S. 10. 8 Ebd., S. 8f. 9 Ebd. S. 11.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

danach zu beschreiben, »how people deal with extreme situations and how these events CHANGE them«10 , so ist hier ganz offensichtlich eine Epistemologie des Extremfalls am Werk, die zur Beleuchtung der gesellschaftlichen Substanz aufgefahren und eingesetzt werden soll. Dass sich aber die Substanz eines Gemeinwesens nicht in der Befragung ihres regelhaften Funktionierens, sondern ausgerechnet in der Beobachtung ihrer extremsten Szenarien offenbart, ist nun eine Gedankenfigur, die sich erst dort vollständig fassen lässt, wo diejenigen Diskurse, die Niels Werber so umstandslos abgeräumt hatte, wieder in die Analyse des Zombie-Genres hineingetragen werden. Eine Erhellung dessen, was es mit dem Zusammenbruch des staatlichen und gesellschaftlichen Funktionierens im Zombie-Genre und dem mit solcher Insistenz dafür in Anschlag gebrachten Begriff der (Post-)Apokalypse auf sich haben könnte, ist daher, so meine These, in erster Linie über Theoreme aus dem umstrittenen Werk Carl Schmitts zu leisten, vor allem, da ihnen die theoretischen Anstrengungen noch deutlich eingeschrieben sind, die Schmitt investieren musste, um die zugrunde liegenden theologischen Konzepte überhaupt erst in seine politischen, souveränitäts- und staatstheoretischen Grundlegungen einarbeiten zu können. Statt also Begriff und Konzept der Apokalypse unhinterfragt und vage resemantisiert aus dem Feld der Theologie in das des Politischen zu überführen, wie dies in der Forschung zum Zombiegenre regelmäßig geschieht11 , lassen sich 10 Kirkman et al.: The Walking Dead. Vol. 1, S. 5f. 11 Problematisch ist hier vor allem der inflationäre Gebrauch des Begriffs, der nicht nur ein ausreichend spezifizierbares theoretisches Fundament vermissen lässt, sondern zugleich auch vielfältige, ebenso beliebige wie unterschwellige, Resemantisierungsbewegungen vollzieht und dadurch zunehmend verunklart, was mit ›Apokalypse‹ genau bezeichnet, impliziert und vorausgesetzt wird. Während Christie und Pagano die Apokalypse etwa bereits in Romeros Debütfilm, also lange vor der Jahrtausendwende, vom Weltende zum transitorischen Durchgangsmoment verkümmert ist, bedeutet sie Cunningham etwas gänzlich anderes, nämlich »a decidedly non-Gothic continuous present, always already happening and apparently endless in its unfolding«, und das heißt: »ceaseless disintegration«, eine unendliche Abwärtsspirale also. Andernorts herrscht Uneinigkeit darüber, ob das Geschehen nach dem Zusammenbruch, wie es in »The Walking Dead« seriell auserzählt wird, nun als »post-apocalyptic setting«, als Szenario nach der Apokalypse, zu werten ist (Ambrosius et al.), oder aber als »ongoing global apocalypse«, als auf Dauer gestellte Apokalypse, gewissermaßen einer apokalyptischen Stasis (Bishop). Gänzlich anders gelagert, und zugleich noch weniger greifbar, verhält es sich bei Schönfellner, der zufolge »Shaun of the Dead« eine robuste Konsumgesellschaft zeige, »it not only overcomes the zombie apocalypse, but even profits from it«, während sich in der Episode »Homecoming« der TV-Serie »Masters of Horror« eine nicht mehr abwendbare und daher finale Apokalypse ereigne, »a final apocalypse«. Wie es scheint, hat sich hier die Bedrohung, die nur potentiell apokalyptisch ist, metonymisch an die Stelle der Apokalypse selbst verschoben. Cortiel ist dann immerhin bereit, die terminologische Diffusion zu konstatieren. Der Rückgriff auf das biblische Begriffsgerüst, nach dem auf das Weltende ein Himmlisches Jerusalem folgen müsse, bringt ihre Analyse von »The Walking Dead« aber nicht weiter, entspricht der Versuch der Überlebenden, eine »new society« zu gründen, doch weniger einem »New Jerusalem that remains always out of reach«, wie

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Masse & Apokalypse

bei Schmitt nicht nur die dabei eingesetzten, komplex gearbeiteten argumentatorischen Verfahren beobachten. Vielmehr zeigt sich auch, dass diese Argumentationsverfahren, die Schmitt zur Gewinnung seines politisierten Apokalypsemodells aufwendet und einsetzt, dies Apokalypsemodell bereits selbst zur Anwendung bringen, ja dass es kaum ein geeigneteres Untersuchungsobjekt gibt, um Schmitts Theoretisierung der Apokalypse auf die Spur zu kommen. Das resultierende politische Relationierungsmodell, das Innen und Außen, Immanenz und Transzendenz, Ordnung und Unordnung auf spezifische – eben apokalyptische –Weise verschaltet, wird bei Schmitt zudem, in einem zweiten Schritt, als intensitätsabhängiges Unterbrechungsmoment ausgearbeitet, an dessen Ende ein Naturzustand bellizistischer Kollektive zu stehen kommt. Das derart theoretisierte Szenario wird sich für die Zwecke der vorliegenden Analyse als äußerst adaptiv erweisen, zugleich aber dort eine entscheidende Leerstelle lassen, wo es um die prekären Mechanismen politischer Aggegationsprozesse geht. Wie sich zeigen wird, können hier die Theoreme von Masse und Massenpsyche, wie sie Gustave Le Bon und Sigmund Freud entworfen haben, als aufschlussreiche Vergleichspunkte dienen, nicht nur ob ihrer eigenen, zwar vagen, aber dennoch vorhandenen, primitivistisch grundierten Apokalyptizität, sondern auch und vor allem, da sie Schmitts Forderung, den Menschen »als ›gefährliches‹ und dynamisches Wesen«12 zu begreifen, deutlicher nachkommen, als Schmitt dies selbst an den entscheidenden Schaltstellen seines Theoriedesigns getan hat. Die Politische Theologie und Theorie Carl Schmitts und Cortiel in der Folge annehmen muss, als vielmehr einer detailliert ausgearbeiteten Erzählung von der Gründung und Aufrechterhaltung eines äußerst diesseitigen, sehr verfügbaren, politischen Gemeinwesens. Vgl. Christie, Deborah: »A Dead New World. Richard Matheson and the Modern Zombie«, in: dies. et al. (Hg.): Better Off Dead, S. 67-80, hier: S. 67f; Pagano, David: »The Space of Apocalypse in Zombie Cinema«, in: Shawn McIntosh, Marc Leverette (Hg.): Zombie Culture. Autopsies of the Living Dead, Lanham (Maryland) u.a.: Scarescrow Press 2008, S. 71-86, hier: S. 71; Cunningham, David/Warwick, Alexandra: »The Ambassador of Nil: Notes on the Zombie Apocalypse«, in: Monica Germaná, Aris Mousoutzanis (Hg.): Apocalyptic Discourse in Contemporary Culture. Post-Millenial Perspectives on the End of the World, New York: Routledge 2014, S. 175189, hier: S. 178f; Ambrosius et al.: »›People in Hell Want Slurpees‹«, S. 20; Bishop, Kyle William: »Battling monsters and becoming monstrous. Human devolution in The Walking Dead«, in: Marina Levina, Diem-My T. Bui (Hg.): Monster Culture in the 21st Century, London: Bloomsbury 2013, S. 73-85, hier: S. 74; Schönfellner, Sabine: »Appropriating the undead. Zombies ouside the horror genre«, in: Paul Ferstl (Hg.): Quote, double quote. Aesthetics between high and popular culture, Amsterdam: Rodopi 2014, S. 135-150, hier: S. 144f; Cortiel, Jeanne: »Travels with Carl: Apocalyptic Zombiescape, Masculinity and Seriality in Robert Kirkman’s The Walking Dead«, in: Peter Freese (Hg.): The Journey of Life in American Life and Literature, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2015, S. 187-204, hier: S. 195, 201. Zu »The Walking Dead« vgl. Kapitel 4.3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 170-177. 12 Schmitt: Begriff des Politischen, S. 57.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

die Massenpsychologie Gustave Le Bons und Sigmund Freuds greifen also ineinander, sie lassen eine enge Kopplung von Masse und Apokalypse sichtbar werden, die sich, als autoritäres Konstrukt, immer dort zu aktualisieren beginnt, wo ihre Prämissen Raum zur Entfaltung finden. Um dies am oben definierten Korpus zeigen zu können, folgt hier nun die Ausarbeitung einer Theoriesprache, die sich aus der kritischen Lektüre Schmitts, Le Bons und Freuds ergeben wird.

3.1.

Das Ende der Ordnung im Jüngsten Gericht. Carl Schmitts »Politische Theologie«

Carl Schmitts 1922 erstmals veröffentlichte »Politische Theologie« ist, wie der Untertitel verrät, ein Beitrag »zur Lehre von der Souveränität«.13 Das erste Kapitel, das als »Definition der Souveränität«14 ausgewiesen ist, liefert diese bereits im allerersten Satz: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.«15 In dieser knappen Wendung verknüpft und verschaltet Schmitt drei Begriffe, die den theoretischen Kernbestand der kurzen Schrift ergeben werden: Souveränität, Ausnahmezustand und Entscheidung. Es handelt sich dabei um drei theoretische Konstruktionen, die – sowohl jeweils für sich genommen als auch in ihrer gegenseitigen Verschaltung – von vornherein darauf angelegt sind, das positive Recht, d.h. das »von menschlichen Akten gesetzte, das geltende, im großen und ganzen angewendete und befolgte Recht«16 , zu marginalisieren und zum Verschwinden zu bringen. Der Ausnahmezustand leistet dies gleich auf zweifache Art und Weise. Zum einen entzieht er sich jeder positiven Norm, denn innerhalb der Rechtsordnung ist er der »nicht umschriebene Fall«, er kann nur abstrakt als Zustand »äußerster Not, Gefährdung der Existenz des Staates oder dergleichen« umrissen werden. Wann dieser Zustand aber genau vorliegt, kann das positive Recht »mit subsumierbarer Klarheit« nicht angeben.17 Zum anderen kommt es im Ausnahmezustand, sobald er in Kraft ist, zur vollständigen Suspendierung des Rechts. »Die Existenz des Staates bewährt hier eine zweifellose Überlegenheit über die Geltung der Rechtsnorm.«18 Interessanterweise versagt Schmitt aber bereits an dieser sehr frühen und entscheidenden Stelle das so apodiktisch eingeführte Begriffsgerüst und zwar auf Schmitt, Carl: Politische Theologie, S. 3. Ebd., S. 11. Ebd., S. 13. Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Wien: Verlag Österreich 2000, S. 112. 17 Schmitt: Politische Theologie, 13f. 18 Ebd., S. 18f. 13 14 15 16

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Masse & Apokalypse

engstem Textraum19 : So führt er zunächst aus, dass Ausnahmezustand »die Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung« bedeute. Zugleich sei dieser aber »noch etwas anderes als Anarchie und Chaos«, es bestehe »im juristischen Sinne immer noch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung«. Somit ist Ausnahmezustand also die Suspendierung der Rechtsordnung bei gleichzeitiger Beibehaltung einer, wie auch immer gearteten, anderen Ordnung. Unmittelbar darauf folgert er aber, im Ausnahmezustand komme es zur Disjunktion des Kompositums »Rechtsordnung«, denn die »zwei Elemente des Begriffes ›Rechts-Ordnung‹ treten hier einander gegenüber«. Jede Norm benötige »ein homogenes Medium«, die »faktische Normalität«, d.h. die »Ordnung muß hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muß eine normale Situation geschaffen werden«, denn es »gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre«. Hier ist der Ausnahmezustand also doch Chaos und Anarchie, es besteht eben keine Ordnung, sie muss erst erneut hergestellt werden, da erst in ihr Recht wieder Geltung erlangen kann. Zwischen diesen beiden völlig konträren Konfigurationen des Ausnahmezustandes, einmal als Ordnung ohne Recht und einmal als Chaos ohne Ordnung und Recht, findet sich der Satz: »Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht, kraft eines Selbsterhaltungsrechtes, wie man sagt.« Auch wenn Schmitt über die nachgestellte Relativierung den Begriff des »Selbsterhaltungsrechtes« als eine Art Redewendung hinzustellen sucht, kann er damit dennoch nicht den eklatanten Widerspruch kaschieren, dass die staatlich sanktionierte Suspendierung allen Rechts sich auf ein Recht stützen soll, das aber doch mit dieser Suspendierung selbst keinerlei Geltung mehr beanspruchen kann. Man mag Schmitt hier helfend zur Hand gehen und mutmaßen, dass er mit dem einen Recht das positive und mit dem zweiten ein überpositives gemeint haben könnte, aber für eine Schrift, die sich vornimmt, fernab von »der unsaubern [!] Terminologie populärer Literatur« zu operieren20 , um eine »Soziologie juristischer Begriffe« zu betreiben, mittels derer die »letzte, radikal systematische Struktur« dieser Begriffe ermittelt werden soll und zwar mit »eine[r] bis zum Metaphysischen und zum Theologischen weitergetriebene[n] Konsequenz«21 , ist dieses terminologische und konzeptuelle Changieren zumindest überraschend – und doch keinesfalls zufällig. Dass Schmitt nämlich nicht genau fassen kann, ob der Ausnahmezustand nun eine Ordnung jenseits der Rechtsordnung darstellen soll, oder ein Chaos jenseits von Recht und Ordnung oder vielmehr eine paradoxe Suspendierung des Rechts durch Recht, liegt letztlich daran, dass der Ausnahmezustand sich nicht nur der positivrechtlichen Subsumierbarkeit, sondern auch Schmitts eigener Beschreibungs19 Das Folgende bezieht sich auf zwei knappe, unmittelbar aufeinander folgende Absätze im ersten Kapitel der »Politische[n] Theologie«. Vgl. ebd., S. 18f. 20 Ebd., S. 14. 21 Ebd., S. 50.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

fähigkeit entzieht. Was genau als Ordnung und was als ihre Gefährdung zu gelten hat, kann Schmitt nicht allgemeingültig angeben, nur feststellen, dass sich dies »sehr verschieden dar[stellt], je nachdem etwa eine militaristische Bureaukratie, eine von kaufmännischem Geist beherrschte Selbstverwaltung oder eine radikale Parteiorganisation darüber entscheidet«.22 Der Ausnahmezustand ist also das, was einer als solchen begreift, der über ihn zu entscheiden hat. Somit verweist uns der Ausnahmezustand unmittelbar auf das zweite der drei theoretischen Konstrukte, die Schmitt zu Beginn der Abhandlung, im ersten Satz seiner Souveränitätsdefinition, einführt, nämlich auf die Entscheidung. Diese verhandelt Schmitt zentral im zweiten Kapitel der Schrift, in der das »Problem der Souveränität als Problem der Rechtsform und der Entscheidung« analysiert werden soll.23 Schmitt führt hier aus, dass eine »Rechtsidee« nie vollständig und »in ihrer Reinheit« verwirklicht werden könne. Vielmehr bedürfe das Recht in seiner Allgemeinheit einer »Transformation«, durch welche es erst auf »ein konkretes Faktum« anwendbar werde, es müsse also »in einen anderen Aggregatzustand« versetzt werden, wobei ihr »ein Moment hinzu[gefügt]« werde und zwar »ein Moment inhaltlicher Indifferenz«.24 Die Entscheidung sei somit, »normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren«.25 Wie schon der Ausnahmezustand ist somit auch die Entscheidung bereits für sich genommen eine Marginalisierung der von Menschen gesetzten Rechtsnormen, denn sie verweist diese ins Reich der Allgemeinheit und beansprucht für sich, bei deren Verwandlung ins Konkrete etwas Neues und Eigenes hinzusetzen zu dürfen, das der Norm äußerlich und fremd ist, das also erst im Akt der Entscheidung und durch das Subjekt desjenigen, der die Entscheidung trifft, ex nihilo erschaffen wird. In diesem Sinne ist die Entscheidung tatsächlich ein »unabhängiges determinierendes Moment«.26 Im Verbund mit dem Ausnahmezustand potenzieren sich dann ihre Unabhängigkeit wie auch ihre Determination, d.h. die Indifferenz gegenüber dem gesetzten Recht steigert sich noch weiter und wird »frei von jeder normativen Gebundenheit und […] im eigentlichen Sinne absolut.«27 Wenn nun aber die Entscheidung derart entscheidend ist, drängt sich um so mehr die Frage auf, wer denn nun der ist, der diese Entscheidung in letzter Instanz zu treffen hat. »Der Rechtssatz als Entscheidungsnorm besagt nur, wie entschieden werden soll, aber nicht, wer entscheiden soll«, moniert Schmitt. »Kompetenzfragen damit zu beantworten, daß auf das materielle [i.e. das materielle Recht] hingewiesen wird, heißt, einen zum Narren halten.«28 Das gesetzte Recht kann 22 23 24 25 26 27 28

Ebd., S. 16. Ebd., S. 23. Ebd. S. 36f. Ebd., S. 38. Ebd., S. 36. Ebd., S. 18. Ebd., S. 38f.

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hier also wiederum nicht weiterhelfen, ist wiederum entwertet, weil es nicht einmal angeben kann, wer denn die Kompetenz hat, es in inhaltlich indifferenten und normativ entbundenen Entscheidungen zu entwerten. Schmitt nimmt stattdessen Thomas Hobbes als einen Gewährsmann für den Zusammenhang von Dezisionismus, d.h. dem »wissenschaftliche[n] Bewußtsein von der normativen Eigenheit der rechtlichen Entscheidung«, und Personalismus, d.h. die »konkrete[] Staatssouveränität«, in Anspruch. Hobbes habe erkannt, dass »bei der selbständigen Bedeutung der Entscheidung […] das Subjekt der Entscheidung eine selbständige Bedeutung« besitzen müsse. »Es kommt für die Wirklichkeit des Rechtslebens darauf an, wer entscheidet.«29 Wenn die Entscheidung derart entscheidend ist, so ist Schmitt hier zu verstehen, ist es eben entscheidend, wer entscheidet. Die Antwort auf diese Frage hat Schmitt freilich längst gegeben und zwar mit dem allerersten Satz der Abhandlung: Es ist der Souverän, der über den Ausnahmezustand entscheidet und potentiell auch über alles andere, denn »das Wesen der staatlichen Souveränität« ist nicht als »Zwangs- oder Herrschaftsmonopol« zu verstehen, »sondern als Entscheidungsmonopol«.30 Somit sind wir nun beim dritten und letzten der drei theoretischen Konstrukte angelangt, die Schmitt eingangs anführt, und auch der Souverän ist bereits für sich genommen eine Marginalisierung der positivrechtlichen Sphäre, denn »[e]r steht außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung«31 , er ist nicht an sie gebunden. Im Verbund mit Entscheidung und Ausnahmezustand potenziert sich wiederum die Marginalisierung der Rechtsordnung, denn in seiner Entscheidung über den Ausnahmezustand befindet er ja über die Frage, »ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann«32 , ob also »im Ausnahmefall die Norm vernichtet« wird.33 Wenn die Entscheidung über den Ausnahmefall aber jenseits jedweder allgemeingültiger Setzung zu erfolgen hat, wenn er allein zu entscheiden in der Lage ist, was als Ausnahme und was als Ordnung gelten darf, ist für den Souverän die Bindungswirkung des positiven Rechts nicht allein hier, sondern immer nur fakultativ. Da er sich jederzeit von diesem ent-binden kann, ist nicht nur diese eine Entscheidung »frei von jeder normativen Gebundenheit«34 , wie Schmitt dies suggerieren möchte, sondern jede Entscheidung des Souveräns ist absolut. Auch eine Entscheidung, die sich an gesetztes Recht hält, erfolgt nur, weil der Souverän es so wünscht, und nicht etwa, weil er sich daran gebunden fühlen müsste. Somit sind Ausnahme und Entscheidung jene Instrumente, die das souveräne Handeln innerhalb der Rechtsordnung erlauben, ohne dass sich dieser ihr dabei zu unterstellen hätte. Seine Operationen erfolgen jetzt permanent jenseits 29 30 31 32 33 34

Ebd, S. 39f. Ebd., S. 19. Ebd., S. 14. Ebd. Ebd., S. 19. Ebd., S. 18.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

der Rechtsordnung, die nur gilt, wenn er entscheidet, dass sie gelten soll. Sie ist nichts als der Annex seines Entscheidungsabsolutismus. Ausnahme, Entscheidung und Souverän erscheinen somit als ausgeklügelter Funktionszusammenhang, dessen Hauptanliegen die radikale Entwertung des positiven Rechts ist. Bei genauerer Betrachtung jedoch kann die derart nachgezeichnete Verschaltung von Ausnahmezustand, Entscheidung und Souverän das oben dargestellte Changieren der »radikal systematischen Struktur« in Schmitts »Soziologie juristischer Begriffe«35 keineswegs stillstellen. Wenn nämlich nicht genau zu benennen ist, was den Ausnahmezustand nun im Kern auszeichnet, ob er Ordnung ohne Recht, Chaos ohne Recht und Ordnung oder aber eine paradoxe Suspendierung des Rechts durch Recht sein soll, wenn der Ausnahmezustand sich also letztlich nur durch die Entscheidung dessen bestimmen lässt, der für die Entscheidung zuständig ist, die Entscheidung selbst aber nichts als eine Transformationsleistung von Abstraktem in Konkretes ist, die in Bezug auf den Ausnahmezustand inhaltlich vollkommen indifferent vorgehen muss und aus gesetztem Recht auch nicht erfahren kann, wer für sie eigentlich zuständig ist, zugleich aber die Bestimmung dessen, der entscheiden soll, was Ausnahmezustand ist, d.h. die Bestimmung des Souveräns, nur dadurch zu leisten ist, dass er eben genau derjenige ist, der diesen unterbestimmten Zustand mittels inhaltlich indifferenter Operation herbeiführt, dann stellt sich die Frage, was Schmitt bis hierher eigentlich anderes entworfen hat, als schillernd changierende und in einander verflochtene Begriffe, deren Delegitimierungsfunktion des gesetzten Rechts erfüllt wird, ohne dabei Genaueres über das aussagen zu können, was an seine Stelle treten soll. Verkürzt gesagt: Wenn Ausnahmezustand das ist, was der Souverän entscheidet, und der Souverän der ist, der über den Ausnahmezustand entscheidet, und die Entscheidung das ist, was zwischen Souverän und Ausnahmezustand erfolgt und dabei jede allgemeingültig formulierbare Regel entbehrlich macht, dann erweist sich Schmitts so prominent exponierter und apodiktisch formulierter Lehrsatz zu Beginn seiner Abhandlung eher als eine rekursiv verschleifte Kombination von Leerformeln denn als eine schlüssige Definition der Souveränität. Aus dem Text der ersten beiden Kapitel ist somit nicht wirklich ersichtlich, wer nun diesen nicht näher qualifizierbaren Zustand jenseits der Rechtsordnung auf welche Art und Weise herbeiführen mag, und mehrfach fügt Schmitt Formulierungen ein, die über den eigenen Text hinauszustreben scheinen: Eigentlich geht es ihm um »die Wirklichkeit des Rechtslebens«36 , um »die Kraft des wirklichen Lebens«, die im Ausnahmezustand liege. »Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles«37 , verspricht Schmitt, denn erst der »Ausnahmefall offenbart das 35 Ebd., S. 50. 36 Ebd., S. 40. 37 Ebd., S. 21.

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Wesen der staatlichen Autorität am klarsten.«38 Was also, wenn Schmitt zumindest hier beim Wort genommen werden müsste, wenn er gar nicht erst auf terminologisch ausgefeilte Begriffe und widerspruchslose Argumentationsketten zielte, um Souverän, Ausnahme und Entscheidung zu ergründen, wenn vielmehr eine von außerhalb hereintretende Offenbarung die Ausnahme als Ausnahme, den Souverän als Souverän und die Entscheidung als Entscheidung zu enthüllen in der Lage wäre?39 Vielleicht ist hieraus auch die Zentralität des dritten Kapitels ersichtlich, in dessen Überschrift erstmals der titelgebende Begriff der »Politische[n] Theologie« fällt.40 Dies dritte Kapitel hebt wiederum mit einem aufs Äußerste verdichteten Lehrsatz an: »Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.« Schon im nächsten Satz verunklart sich dieser aber wieder, wenn Schmitt ausführt, dass die Begriffe »[n]icht nur […] aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur« Säkularisate der Theologie seien.41 Sind die Begriffe der Staatslehre nun säkularisierte Begriffe der Theologie, weil sie aus ihr dorthin »übertragen« wurden, weil es also ein unmittelbares Austausch- und Kontaktverhältnis zwischen Theologie und Staatslehre gibt, oder handelt es sich eher um eine rein analogische, d.h. kontaktfreie, nur über systematische Strukturen sich manifestierende Parallelität, oder umfasst der Säkularisierungsvorgang für Schmitt schlicht beides, Übertragung wie Analogie? Während der oben zitierte zweite Satz des dritten Kapitels genau diese Koexistenz nahelegt, ist dem nur wenige Seiten später, als Schmitt sein Vorhaben einer methodischen Selbstreflexion unterzieht, schon wieder ganz anders. Die »radikale Begrifflichkeit«, die »Soziologie juristischer Begriffe«, die Schmitt sich nämlich in seiner Souveränitätslehre zu verfolgen vorgenommen hat, beruht nun allein auf einem analogischen Theorem: »Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet.«42 Schmitts Methode expliziert sich selbst als eine der zurückgenommenen Betrachtung, die analogische Parallelen zwischen Metaphysik und politischer Organisation über einen 38 Ebd., S. 19. 39 Eine solche Literalität durch Offenbarung, die jede Übersetzung bzw. Interpretation als Verunreinigung abweist, entspräche der »apokalyptischen Hermeneutik«, die Jürgen Fohrmann sowohl am Text der »Offenbarung des Johannes« nachweisen kann als auch an Johann Gottfried Herder, dessen »Hermeneutik der Wörtlichkeit« die rhetorischen Strategien des Offenbarungstextes nur perpetuieren statt sie offen- oder auszulegen. Vgl. Fohrmann, Jürgen: Feindschaft/Kultur, Bielefeld: Aisthesis 2017, S. 31-34. 40 Schmitt: Politische Theologie, S. 41. 41 Ebd., S. 43. 42 Ebd., S. 50.

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identischen historischen Zeitpunkt zu korrelieren sucht. Ob das Metaphysische dabei »die Folge« des Sozialen oder das Soziale vielmehr die des Metaphysischen ist, ob also das eine das andere hervorbringt, ob sich das eine ins andere überträgt, »kommt hierfür nicht in Betracht«, denn es geht lediglich darum, »zwei geistige, aber substantielle Identitäten nachzuweisen«.43 In dem Zusammenhang tut sich noch ein weiterer, irritierender Widerspruch auf: Zu Beginn des dritten Kapitels, wo Analogie und Übertragung noch als Säkularisierungsmodi koexistieren, preist er die »katholischen Staatsphilosophen der Gegenrevolution«, also Bonald, Donoso Cortés und de Maistre, als die »interessanteste politische Verwertung derartiger Analogien«.44 An der späteren, oben angeführten Stelle aber, an der er von Übertragung nichts mehr wissen will, unterzieht er die »politische Theologie der Restaurationszeit« einer überraschend harschen Kritik. Sie sei der »radikal materialistischen Geschichtsphilosophie« mit einer »ebenso radikal spiritualistische[n] Geschichtsphilosophie« begegnet und habe damit den Begründungszusammenhang nur in sein Gegenteil verkehrt. Während der Materialismus das Metaphysische auf das Materielle zurückführe, bei der sich »die Änderung im Denken« aus veränderten sozialen Bedingungen ergebe, habe der Spiritualismus der politischen Theologen dies schlicht ins Gegenteil verkehrt, denn ihnen zufolge resultieren »die politischen Änderungen aus einer Änderung der Weltanschauung«, das Soziale ergebe sich hier also aus dem Metaphysischen.45 Anders gesagt: Der Materialismus postuliert eine Übertragung vom Materiellen ins Metaphysische, der Spiritualismus eine Übertragung vom Metaphysischen ins Materielle. Schmitt wendet sich sehr deutlich gegen eine solche Verkehrung: Sie stellen erst einen Gegensatz zweier Sphären auf und lösen dann, durch die Reduzierung des einen auf das andere, diesen Gegensatz wieder in ein Nichts auf, ein Verfahren, das mit methodischer Notwendigkeit zur Karikatur werden muß.46 Zu Beginn des dritten Kapitels sind also sowohl Übertragung als auch Analogie legitime Modi, über die Begriffe der Staatsrechtslehre aus theologischen Begriffen 43 Ebd. Jürgen Brokoffs Analyse folgt Schmitt in dieser Darstellung und sieht es als Fehlinterpretation, Schmitts Säkularisierungsthese im Sinne einer Übertragung zu verstehen. Vgl. Brokoff, Jürgen: »Carl Schmitts Avantgardismus«, in: ders., Jürgen Fohrmann (Hg.): Politische Theologie. Formen und Funktionen im 20. Jahrhundert, München u.a.: Ferdinand Schöningh 2003 (=Studien zu Judentum und Christentum), 55-65, hier: S. 58. Eine solche Lesart homogenisiert aber die Widersprüche, die im Text selbst angelegt sind. 44 Schmitt: Politische Theologie, S. 43. 45 Ebd., S. 48. Dass die Gegenrevolution somit nur wieder auf den Kopf gestellt hätte, was Marx als Reaktion auf Hegel vom Kopf auf die Füße gestülpt zu haben meinte, ist ein Schluss, den Schmitt hier nicht ziehen mag. Zum Umstülpungstopos bei Marx vgl. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, 3 Bde., Berlin: Dietz 1962-1983 (= MEW 23-25), hier: Bd. 1, S. 27. 46 Schmitt: Politische Theologie, S. 48f.

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heraussäkularisiert werden können, und die politische Theologie der Gegenrevolution wird als glänzendes Beispiel für die »Verwertung« solcher Analogieverhältnisse gehandelt. In der Mitte des dritten Kapitels kann plötzlich nur noch die Analogie als legitime Heuristik für Parallelen zwischen Theologie und politischer Ordnung dienen, dagegen kommt die Übertragung des einen ins andere nicht mehr in Frage und gerade die zuvor gerühmten politischen Theologen müssen als Beispiel für die Nichtswürdigkeit jenes Übertragungstoposʼ herhalten, selbst wenn die Übertragung in ihrer Richtung verkehrt wird. Hier wird bereits deutlich, dass das Changieren in diesen zwei an und für sich verschiedenen Fragen, d.h. die der Säkularisierungsmodi und die der Bewertung von Bonald, Cortés etc., mit einander in Beziehung stehen. Bevor nach dem Grund dieses erneuten Changierens gefragt werden kann, muss zunächst Schmitts weitere Argumentation erschlossen werden. Gehen wir zunächst davon aus, es gehe allein um die Beobachtung analogischer Verhältnisse zwischen Metaphysik und politischer Organisation, zwischen theologischen Begriffen und Begriffen des Staatsrechts, und dieses analogische Verhältnis sei zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten unterschiedlich konfiguriert. Schmitts diachrone Analyse entfaltet in dieser Perspektive eine große Verfallsgeschichte, in der eine theistische Konfiguration durch eine deistische und anschließend durch eine immanentistische oder pantheistische abgelöst wird und so die Sphäre der Transzendenz abhandenkommt. Während in der theistischen Konfiguration »[d]er Ausnahmezustand […] für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung [hat] wie das Wunder für die Theologie«, tritt im Rationalismus der Aufklärung eine deistische Konfiguration zutage, in der die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit mit einer Metaphysik einhergeht, »die das Wunder aus der Welt verweist«. So wie der Deismus »den unmittelbaren Eingriff« Gottes in die Schöpfung ablehnt, durch den »eine Ausnahme statuierende Durchbrechung der Naturgesetze« entstünde, so unterbindet der Rechtsstaat »den unmittelbaren Eingriff des Souveräns in die geltende Rechtsordnung«.47 Der Souverän der deistischen Konfiguration bleibt als »Monteur der großen Maschine« zwar vorhanden, allein der Eingriff in die montierte Maschine ist ihm nun verwehrt. In der nächsten Entwicklungsstufe kommt es dagegen zur radikalen und vollständigen Verdrängung jeder übergeordneten Instanz. »Die Maschine läuft jetzt von selbst«, denn sowohl die Transzendenz Gottes über die Schöpfung als auch die Transzendenz des Souveräns über Staat und Gesellschaft sind verloren gegangen und mehr und mehr durch »Immanenzvorstellungen« ersetzt.48 »[B]ei der großen Masse der Gebildeten« sind »alle Vorstellungen von Transzendenz« im Untergang begriffen und weichen entweder einem »Immanenz-Pantheismus« oder aber einer »positivistische[n] Gleich47 Ebd., S. 43. 48 Ebd., S. 52f.

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gültigkeit gegen jede Metaphysik«.49 Immanenz bedeutet für Schmitt dabei offenbar vor allem Identität, denn unter »Immanenzvorstellungen« summiert er die demokratische These von der Identität der Regierenden mit den Regierten, die organische Staatslehre und ihre Identität von Staat und Souveränität, die rechtsstaatliche Lehre Krabbes und ihre Identität von Souveränität und Rechtsordnung, endlich Kelsens Lehre von der Identität des Staates mit der Rechtsordnung.50 Den demokratischen Identitätstopos wird Schmitt bereits in der ein Jahr später erstmals erscheinenden Parlamentarismus-Schrift gänzlich anders bewerten.51 Hugo Krabbes Rechtsstaatstheorie und Otto von Gierkes Genossenschaftstheorie, die hier als »organische Staatslehre« firmiert, werden von Schmitt zwar bereits im zweiten Kapitel der »Politische[n] Theologie« einer relativ ausführlichen Kritik unterzogen.52 Im Kern und der klimaktischen Struktur des oben Zitierten entsprechend geht es hier aber um Hans Kelsens Identifikation von Staat und Rechtsordnung und um den damals vorherrschenden Rechtspositivismus, dessen prominenter Vertreter er war.53 Kelsens Name zieht sich durch den gesamten Text, immer wieder sucht Schmitt die Auseinandersetzung mit ihm. Bei Kelsen entdeckt Schmitt nicht nur die bis dahin »eingehendste Behandlung des Souveränitätsbegriffes«, von der er sich vermutlich schon allein deshalb abgrenzen muss, um die eigene Souveränitätslehre profilieren zu können. Darüber hinaus ist Kelsen aber für Schmitt auch der ideale Diskursgegner, denn Kelsens »Disjunktion: Soziologie – Jurisprudenz« entsprechend ist »der Staat etwas rein Juristisches […] also nicht irgendeine Realität oder ein Gedachtes neben und außer der Rechtsordnung, sondern nichts anderes als eben diese Rechtsordnung selbst«. Den Staat als etwas Selbständiges oder Übergeordnetes zu imaginieren, sei für Kelsen nichts als eine Hypostasierung oder Verdoppelung »der einheitlichen und identischen Rechtsordnung«.54 Wenn der »positiven Staatslehre« aber nur »das Normale« zugänglich ist, weiß Kelsen »mit dem Ausnahmezustand 49 Ebd., S. 54. 50 Ebd., S. 53. 51 Auch dort führt Schmitt »eine ganze Reihe von Identitäten« als Definitionsgrundlage der Demokratie an, unterscheidet diese aber nun vom rechtsstaatlich eingefassten Parlamentarismus, um sie als dessen diktatorisch geführtes Gegenmodell zu etablieren. Vgl. Schmitt, Carl: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, unveränderter Nachdruck der 1926 erschienen zweiten Auflage, Berlin: Duncker & Humblot 4 1969, S. 35, 41. 52 Vgl. Schmitt: Politische Theologie, S. 29-32. Otto von Gierke gilt als »Hauptvertreter der organischen Staatstheorie«. Vgl. Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie I, bearb. v. Arthur Kaufmann, Heidelberg: C.F. Müller 1987 (= Gesamtausgabe, 1), S. 228. 53 Vgl. Rüthers: »On the Brink of Dictatorship – Hans Kelsen and Carl Schmitt in Cologne 1933«, in: Diner, Dan/Stolleis, Michael (Hg.): Hans Kelsen und Carl Schmitt. A Juxtaposition, Gerlingen 1999, S. 115-122, hier: S. 115. 54 Schmitt: Politische Theologie, S. 26f.

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schon systematisch nichts anzufangen«55 , und wenn es »zwei Typen juristischer Wissenschaftlichkeit« gibt, von denen nur einem die »normative[] Eigenheit der rechtlichen Entscheidung« einleuchten mag, so ist Kelsens »Reine Rechtslehre«56 sicherlich die andere, denn sie wendet sich gegen jede souveräne Willkür.57 Die drei aufwendig entworfenen Kernbegriffe in Schmitts »Politischer Theologie« von Souveränität, Ausnahmezustand und Entscheidung erweisen sich somit als äußerst effektiv gefertigte Instrumente, um Kelsens Theorem von der geschlossenen Rechtsordnung, die weder Souverän noch Staat über sich zu dulden braucht, ein exakt entgegengesetztes Theorem gegenüberzustellen, in dem die Rechtsordnung immer nur als etwas Sekundäres verstanden wird, als eine Immanenz, die ohne die ihr übergeordnete, transzendente Sphäre nicht vorstellbar wäre, als eine Ableitung aus ihr, ein Annex. Es ist der transzendente Souverän, der sie stiftet, garantiert, aus- und wiedereinsetzt. Aus sich heraus, d.h. immanent gelesen, ist die Sphäre der Immanenz nicht einmal verständlich, weder sind die faktischen Entscheidungen aus ihr erklärlich, noch das Subjekt dieser Entscheidungen aus ihr abzulesen, noch das Entschiedene, d.h. der Ausnahmezustand, immanent, also positivrechtlich, beschreibbar. Das, worauf es ankommt, erklärt sich nicht, es offenbart sich, wie auch Schmitts Text, immanent gelesen, wenig Konkretes liefert und ausdauernd auf das verweist, was außerhalb seiner selbst liegt, also auf »die Wirklichkeit des Rechtslebens«58 und die »Kraft des wirklichen Lebens«59 , die im Ausnahmezustand entschleiert zutage tritt. Von diesem Punkt aus lässt sich nun eruieren, weshalb Schmitts Position changiert, wenn es um die Frage geht, ob die säkularisierten Begriffe der Staatsrechtslehre auch per Übertragung oder ausschließlich in analogischen Strukturen auf die Theologie zurückzuführen sind und ob in dem Zusammenhang die politische Theologie der Gegenrevolution als lobenswertes Vorbild der analogischen Methode oder aber als kritikwürdiges Beispiel des übertragenden Modus zu bewerten ist. Genau genommen liegen hier schlicht zwei verschiedene und mit einander unvereinbare 55 Ebd., S. 20. 56 So auch der Titel von Kelsens 1934 erstmals erscheinendem Hauptwerk. Vgl. Fußnote 16 in diesem Kapitel. 57 Vgl. Schmitt: Politische Theologie, S. 46. 58 Ebd., S. 40. 59 Ebd., S. 21. Dabei dynamisiert sich nicht nur die souveräne Macht, sondern auch der Text über die souveräne Macht. Indem Schmitts Abstraktionen ihre Konkretion immer wieder an eine äußere Wirklichkeit delegieren, bleiben sie dauerhaft auf diese äußere Wirklichkeit hin lesbar und anwendbar, auch wenn diese sich längst gewandelt hat. So beschreibt auch Gangl Schmitts theoretische Kernbegriffe als »Leerformeln«, die sich gerade über ihre Offenheit in vielfacher Weise der politischen Verwertung anbieten und im Übergang von repräsentativer Demokratie zum NS-Staat entsprechend eingesetzt werden konnten. Vgl. Gangl, Manfred: »Gesellschaftliche Pluralität und politische Einheit. Zu Carl Schmitts politischer Theorie«, in: Wolfgang Bialas, Manfred Gangl (Hg.): Intellektuelle im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2000 (=Schriften zur Kultur der Weimarer Republik, 4), S. 88-119, hier: S. 112-115.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

Argumentationsmuster und, so gesehen, auch zwei sehr konträre Textsorten vor, die Schmitt in seiner Abhandlung ineinander montiert. Auf der einen Seite geht es um Entwurf und Vorführung einer Methodik, die allein analogische Verhältnisse im Begriffssystem von Theologie und Staatsrechtslehre beobachtet, den Modus der Übertragung zurückweist und aus dieser Warte heraus Kritik an der spiritualistischen Umkehrung des materialistischen Übertragungstheorems in der politischen Theologie der Gegenrevolution übt. Auf der anderen Seite wird aber das Verfahren der Übertragung, mittels dessen Begriffe aus der Theologie in die politische Organisation eingeführt werden, doch nicht gänzlich abgelehnt. Genau genommen ist es sogar nicht einmal vom analogischen wirklich streng zu unterscheiden, denn wenn zwischen Ausnahmezustand und Wunder ein analogisches Verhältnis behauptet wird, »dann wird über die ›Analogie‹ eine solche Beziehung und in ihr die jeweils verbindende Spur aufgerufen«60 , d.h. Schmitt wählt nicht zwischen Übertragung und Analogiebeobachtung, sondern er überträgt durch analogische Konstruktionen. Die Analogieverhältnisse werden ihm zur Brücke für die Übertragung theologisch formierter Modelle ins Feld des Politischen.61 Exakt in diesem Sinne ist die »interessanteste politische Verwertung derartiger Analogien« zu verstehen, die Schmitt bei de Maistre, Donoso Cortés und Bonald erkennt und lobt. Und in diesem Sinne wird auch seine eigene Schrift zunehmend zu einer solchen »politische[n] Verwertung«, während die andere, sich in beobachtender Distanz wähnende Argumentation mehr und mehr von dieser überlagert wird. Überdeutlich wird dies im letzten Kapitel der »Politische[n] Theologie«, in der er ausführlich auf die gegenrevolutionäre Staatsphilosophie eingeht und sich gänzlich auf deren Seite schlägt, bringt er doch die zuvor in scheinbar kritischer Distanz konstatierte Verfallsgeschichte der transzendenten Sphäre in Theologie wie politischer Organisation zunehmend mit der Position der gegenrevolutionären Staatsphilosophie zur Deckung. Die deistische Verdrängung des souveränen Monteurs wird jetzt rückstandslos mit der Kritik des Liberalismus bei Donoso Cortés verschmolzen, nach der das Bürgertum eine »Clasa discutidora« sei, deren Rede- und Pressefreiheit nur dazu dienten, »die Verantwortung zu umgehen […], damit man 60 Fohrmann: Feindschaft/Kultur, S. 85. 61 Entsprechend unterscheidet Jan Assmann zwei Modi von Politischer Theologie, den »beschreibenden« einerseits und den »betreibenden« andererseits. Schmitt lege es dabei darauf an, den einen durch den anderen zu tarnen, um im Gewand eines »Forschungsprogramm[s]« Politische Theologie im »polemischen, dogmatisch-normativen Sinne« zu betreiben, die auf die Theologisierung einer spezifischen Politik ausgerichtet sei. Vgl. Assmann, Jan: Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München/Wien: Hanser 2000, S. 16, 20, 25. Jürgen Fohrmann beobachtet hier die Konstruktion eines homologen Modells zur Theokratie, die es Schmitt erspare, auf das theokratische Modell selbst zurückgreifen zu müssen. Vgl. Fohrmann: Feindschaft/Kultur, S. 85.

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sich im letzten nicht zu entscheiden brauche« und die »blutige Entscheidungsschlacht« dauerhaft aufgeschoben werde.62 Dagegen sei den Gegenrevolutionären immer klar gewesen, »daß die Zeit eine Entscheidung verlangt«63 , ihr Dezisionismus halte dazu an, »immer den extremen Fall anzunehmen, das jüngste [!] Gericht zu erwarten«64 , und de Maistre habe diese letzte Entscheidung der unfehlbaren Instanz des Souveräns zugesprochen.65 Die drei Kernbegriffe, die Schmitt seit dem ersten Satz der Schrift nutzt, sind hier gänzlich politische Theologie geworden. Dass der Extremfall, an dem der Souverän sich in seiner Entscheidungsoperation zu orientieren hat, hier zum Ende aller Tage, zum Jüngsten Gericht, zur Apokalypse gesteigert wird, ist dabei nicht als rein hyperbolische Wendung zu missverstehen. Wenn die politischen Theologen der Gegenrevolution Schmitts Analyse zufolge einfordern, Entscheidungen in der Erwartung des Jüngsten Gerichts zu treffen, liegt hier genau genommen nichts anderes vor als eine Anleitung, die Entscheidungssituation als Jüngstes Gericht zu imaginieren, in der dann beispielsweise der politische Konflikt »zwischen Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus« zur »blutige[n] Entscheidungsschlacht«66 eskaliert werden kann, zum »große[n] Entweder-Oder«67 zwischen »Gut und Böse, Gott und Teufel«.68 Indem die Entscheidung somit im diskursiv hervorgebrachten Endzeitszenario erfolgen muss, also im extremen Fall des extremen Falls, im radikalsten aller Ausnahmezustände, entbindet sie sich von jeder Normativität, die zudem in den gegebenen Entscheidungskategorien ohnehin nicht mehr positiv angebbar vorhanden wäre, da sich nur schwerlich definieren ließe, was hier als gut, böse, göttlich oder teuflisch zu gelten hätte, ohne auf geoffenbarte Wahrheit zurückzugreifen. Im Rekurs auf die gegenrevolutionäre politische Theologie geht es Schmitt also ganz wesentlich um die Konstruktion einer apokalyptisch-dezisionistischen Souveränitätstheorie – apokalyptisch nicht nur insofern, als die Dezision des Souveräns sich endzeitlich und daher dem Extremfall entsprechend konfiguriert, sondern auch im etymologischen Sinne als Offenbarung, die sich von aller Immanenz befreit, weil diese Immanenz, die Schöpfung, ein Ende hat und das preisgibt, was dieser Theorie zufolge immer schon hinter oder jenseits ihrer als das eigentlich Maßgebliche vorhanden war: die Sphäre der Transzendenz. Das Jüngste Gericht ist die intensivste Verdichtung, in der Schmitt seine Begriffstrias Ausnahme, Entscheidung und Souverän ineinander verschmelzen kann. Jeder Ausnahmezustand ist eine kleine Apokalypse, in der die Immanenz – vorläufig – zum Ende kommt und sich die maßgebliche Instanz 62 63 64 65 66 67 68

Schmitt: Politische Theologie, ebd., S. 66f. Ebd., S. 59. Ebd., S. 67. Vgl. ebd., S. 60. Ebd., S. 63. Ebd., S. 59. Ebd., S. 60.

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des Souveräns mittels transzendenten, von immanentem Regelwerk entbundenen Entscheidungen offenbart. Dass Schmitt sich nicht nur, wie oben dargestellt, auf staatstheoretischer Ebene diametral zu Hans Kelsen stellt, sondern auch auf diesem politisch-theologischen Feld, ist ein Umstand, den Schmitt interessanterweise verschweigt. Obwohl Schmitt nämlich die zentralen Argumente der Kelsen’schen Reinen Rechtslehre weitgehend zutreffend referiert, sind seine Auslassungen dennoch gravierend, unterschlägt er doch, dass auch Kelsen diese Einsichten – mehrfach – anhand einer Analogisierung von Theologie und Staatsrechtslehre entfaltet hat. Nach einer Analyse von Manfred Walther war Schmitt dies nicht nur bekannt, einige auffällige Datierungen im Text der zweiten Ausgabe der »Politischen Theologie« deuten auch darauf hin, dass Schmitt den Eindruck erwecken wollte, er hätte diese Analogieverhältnisse noch vor Kelsen beschrieben, was nach Walthers Analyse keineswegs der Fall war.69 Bemerkenswert ist überdies, dass Hans Kelsen mit seinem Aufsatz »Gott und Staat«70 , der im gleichen Jahr wie Schmitts »Politische Theologie« erschienen ist, diese Analogieverhältnisse noch einmal verdichtend aufgegriffen und in einer Weise analysiert hat, die Schmitts Positionen nicht nur vorwegnehmen, sondern bereits einer überlegenen Kritik unterziehen. Anders als Schmitt, für den die Frage nach der Entstehung der Parallelität von Theologie und Staatsrechtslehre schlicht »nicht in Betracht« kommt71 , gibt Kelsen hier gleich eine dreifache Antwort, die sich bei genauerer Betrachtung als eine komplex gearbeitete Verkettung eines psychologischen, eines erkenntniskritischen und eines herrschaftskritischen Arguments erweist. Zunächst stellt er fest, dass sich Staat und Gott schon in den »Grundlinien des seelischen Tatbestandes« ähneln, dass also das individuelle Bewusstsein Staat wie Gott auf eine parallele Weise erleben. Die soziale Gliederung, in der das Individuum eingebunden sei, werde einerseits als ein Verbund von Gleichen erfahren, andererseits aber stelle sich die Gesamtheit der sozialen Einheit als etwas Übergeordnetes dar, in das man sich »verstrickt und gefangen« sehe und von dem man abhängig sei. In gleicher Weise sei das Erlebnis des gläubigen Individuums zunächst eines, das sich der unangefochtenen Autorität Gottes unterordne, das sich aber zugleich als eingebunden in den göttlich gestifteten Kosmos erkennen müsse, in dem es in der Gemeinschaft aller »gott-gewollten, gott-gefüllten Wesen« zu stehen komme.72 Somit gebe es im Sozialen wie im Religiösen eine Übergängigkeit von Autorität und Gemeinschaft und dies liege darin begründet, 69 Vgl. Walther, Manfred: »Gott und Staat. Hans Kelsen und Carl Schmitt im Kampf um die Ent(Re-)Mythologisierung des Staates«, in: ders. (Hg.): Religion und Politik. Zu Theorie und Praxis des theologisch-politischen Komplexes, Baden-Baden 2004, S. 247-264, hier: S. 247f. 70 Vgl. Kelsen, Hans: »Gott und Staat«, in: Logos. Zeitschrift für systematische Philosophie 11 (1922/23), S. 261-284. 71 Schmitt: Politische Theologie, S. 50. 72 Vgl. Kelsen: »Gott und Staat«, S. 261f.

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dass Gott wie Staat nur verschiedene Begriffe für die gleiche Sache seien, denn »der Gott eines Volkes […] ist nichts anderes als sein Nationalgefühl, noch richtiger: ist das Volk selbst«, Gott wie Staat sind nur »soziale Ideologie«, d.h. »ideelle Systeme von Wertbeziehungen oder Normen«, und daraus erkläre sich, dass die Lehre vom Staat und die Lehre von Gott, dass Staatsrechtslehre und Theologie parallel angelegt seien.73 Die zweite Erklärung, die Kelsen für die Parallelität von Theologie und Staatsrechtslehre anführt, ist eine erkenntniskritische. Hier beschreibt Kelsen nun Gott wie Staat als »Denkbehelf«, als Personifikationen der Welt- bzw. Rechtsordnung, mit deren Hilfe »die abstrakte Idee der Einheit dieser Ordnung« veranschaulicht werden könne. Nun komme es aber zur Verwechslung, in der das, was als Denkbehelf dienen sollte, sich zu einem »realen Gegenstand« hypostasiere, »der Erkenntnisgegenstand auf solche Weise […] verdoppelt und so das Scheinproblem des Verhältnisses zweier Wesenheiten erzeugt« werde. Die gesamte Disziplin der Theologie, als Frage nach dem Verhältnis von Gott und Welt, sei somit ebenso Effekt dieser Hypostasierung wie eine Staatstheorie, die Staat und Rechtsordnung als dualistisch geschiedene Einheiten verstehen möchte.74 Aus der Struktur der Verdoppelung ergeben sich dann in beiden Disziplinen ein strukturell identisches Folgeproblem: Die Allmacht Gottes und die Souveränität des Staates zwingt dazu, den Staat als unabhängig von der rechtlichen Ordnung vorzustellen und Gott als unabhängig von der natürlichen Ordnung. Zugleich muss aber Gottes »positive Beziehung zur Welt« angenommen werden, wie man sich auch »den Staat nicht ohne Recht« denken kann. Die Lösung dieses aus der Hypostasierung hervorgegangenen Problems ist wiederum strukturgleich: Gott verwandelt sich in einen Menschen und unterstellt sich als solcher der von ihm geschaffenen Ordnung, wie auch der Staat, nachdem er die Rechtsordnung geschaffen hat, sich ihr freiwillig unterstellt.75 Von hier kann Kelsen nun zur dritten Antwort und zum herrschaftskritischen Teil seiner Argumentation überleiten. Ein derart gefasster Staatsbegriff ist für Kelsen ein politisch überaus machtvolles Instrument, erlaubt es doch, sich im hypostasierten Dualismus von Staat und Rechtsordnung auf die Seite des Staates zu schlagen, um rechtswidrige Tatbestände durch ein höheres Interesse des Staates zu legitimieren. Ist der Staat ein Zurechnungspunkt menschlicher Handlungen, erlaubt der hypostasierte Dualismus die Zurechnung von Handlungen, die im Interesse der Exekutive liegen, zu gewährleisten, obwohl sie gegen gesetztes Recht verstoßen. Kurz: Der »Begriff des Staates« birgt eine »rechtsfeindliche Bedeutung« und dient als solcher zur propagandistischen Verklärung herrschaftlicher 73 Ebd., S. 268. 74 Ebd., S. 269-271. 75 Ebd., S. 273-275.

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Willkür. Kelsen nennt dies, und das ist hier von zentraler Bedeutung, die »theologische Methode«76 , die er wie folgt definiert: Es ist die Methode der Staatslehre, die mit ihrem vom System des Rechts verschiedenen überrechtlichen System eines meta- oder suprarechtlichen Staates ganz ebenso das rechtlich-Unbegreifliche dennoch – rechtlich – begreiflich machen, das Rechtswunder glauben machen will, wie die Theologie das Naturwunder.77 Hier lässt sich nun Kelsens Argumentation in Gänze überblicken: Gott wie Staat sind, erstens, psychologisch gesehen nichts anderes als imaginäre Selbstverdopplungen eines Volkes, woraus sich die Parallelität der zugehörigen Wissenschaftsdisziplinen ergibt, in denen aus erkenntniskritischer Perspektive, zweitens, die Hypostasierung eines personifizierenden Denkbehelfs zu beobachten ist. Gott und Weltordnung treten sich dabei ebenso gegenüber wie Staat und Rechtsordnung, was das Problem zur Folge hat, zwischen Über- und Einordnung der transzendenten Sphäre über bzw. in die Sphäre der Immanenz vermitteln zu müssen. Drittens erkennt Kelsen nun, dass eine Staatstheorie, die auf diesen Dualismen beharrt, als machtpolitischer Einsatz einer »theologische[n] Methode« zu werten ist.78 Hans Kelsen nimmt somit nicht nur Schmitts gesamte Programmatik der »Poltische[n] Theologie« vorweg, er entkleidet sie auch vollständig als das, was sie im Kern zu betreiben versucht: die Delegitimierung des gesetzten Rechts zugunsten einer ihm übergeordneten Instanz, die dieses nur zur Geltung bringt, wenn und solange es ihr beliebt. Wenn Schmitt dies nun auf den Begriff der Politischen Theologie bringt, der ursprünglich in religionskritischer Weise die politische Instrumentalisierung von Religion benennt79 , den er in dieser Bedeutung auch bei Bakunin entdeckt80 , um 76 Ebd., S. 277-279. 77 Ebd. 78 Genau genommen ist die Attribuierung dieser Methode allein zur Theologie gemäß Kelsens eigenen Ausführungen unzutreffend, denn die Hypostasierung erfolgt ja von vornherein im theologischen und im staatsrechtlichen Feld. 79 Vgl. Assmann: Herrschaft und Heil, S. 16-19; Assmann: »Monotheismus als Politische Theologie«, in: Brokoff, Fohrmann (Hg.): Politische Theologie, S. 13-27, hier: S. 13-21. 80 Vgl. Meier, Heinrich: Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart/Weimar: Metzler 4 2012, S. 22f. Auch Kelsen verweist bereits auf die Bedeutung des Anarchismus in diesem Zusammenhang. Seiner Analyse entsprechend parallelisiert er Anarchismus und Atheismus, um in diesen jeweils einen ethisch-politischen und einen erkenntniskritischen Modus zu unterscheiden, d.h. einen Modus, der die Existenz des Staates/Gottes beenden möchte und sie gerade dadurch voraussetzt, und einen Modus, der zuallererst danach fragt, ob es einen Staat/einen Gott überhaupt geben könne. Die Reine Rechtslehre sei demnach erkenntniskritischer Anarchismus. Vgl. Kelsen: »Gott und Staat«, S. 282f.

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ihn als emphatischen Begriff für seine Zwecke umzuwenden, befüllt er diesen neuen, rekonfigurierten Begriff der Politischen Theologie dennoch in einer Weise, die sich in ihrem Verhältnis von Politik und Theologie vom religionskritisch gemünzten Vorbild nur unwesentlich unterscheidet. Schließlich zeichnet sich die Politische Theologie bereits in den antiken Quellen, auf die der spätere religionskritische Diskurs der Aufklärung zurückgreift, gerade dadurch aus, dass in ihr das Theologische vom Politischen zunehmend aufgezehrt, d.h. funktionalisiert wird, da sie zuallererst als Herrschaftsstabilisierung zum Einsatz kommt und am Jenseitigen nur vorgeblich interessiert ist.81 Spätestens hier sollte deutlich werden, dass Carl Schmitts »Politische Theologie«, unabhängig von dessen wie auch immer gearteten persönlichen Befindlichkeiten, keineswegs als Ausdruck christlichkatholischer Offenbarungsgläubigkeit gewertet werden kann, wie dies etwa Heinrich Meier vorschlägt82 , sondern vielmehr als eine sehr diesseitig orientierte, herrschaftsstrategisch eingesetzte, mindestens autoritäre, wenn nicht proto-totalitäre Instrumentalisierung eines politisch-theologischen Dispositivs.

3.2.

Apokalypse als Naturzustand. Carl Schmitts »Begriff des Politischen«

Fünf Jahre nach der »Politische[n] Theologie« veröffentlicht Carl Schmitt die erste Fassung einer Abhandlung zum »Begriff des Politischen« in der Zeitschrift »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik«, fünf Jahre darauf erscheint sie in überarbeiteter Form als Monographie und wird in der Bundesrepublik der 60er Jahre neu aufgelegt. Die zwischenzeitlich entstandene, dritte überarbeitete Auflage 81 Die frühste Quelle des Begriffs findet sich beim römischen Gelehrten Varro und dessen Beschreibung der stoischen Vorstellung von einer dreifachen Theologie, die sich in eine politische, eine mythische und eine kosmische Theologie aufgliedert und je unterschiedliche Handlungsträger vorsieht. Während die politische Theologie den Priestern in ihrer repräsentativen Funktion für das Gemeinwesen obliegt und deren Verhältnis zu den Göttern als ihre Schutzmächte und Identifikationsgrößen organisiert, ist die mythische Theologie als Diskursivierung der Göttergenealogien und -taten Aufgabe der Dichter. Die kosmische Theologie dagegen ist das Gebiet des Philosophen und dessen Befragung der Natur. Sie hat den höchsten Wahrheitsanspruch, kann aber die politische Bindungswirkung der priesterlichen und die »lebensorientierende Normativität« der dichterischen Theologie nicht kompensieren, während die politische und die dichterische Theologien wiederum an einem »Wahrheitsdefizit« leiden. Aus diesem Gegensatz speist sich die wirkmächtige Annahme einer esoterischen Geheimtheologie, die von einer öffentlichen, politisch funktionalisierten Theologie unterschieden sei, wie dies von Spinoza bis Bakunin fortwirkt und Schmitts Begriffsbildung zum Vorbild wird. Vgl. Assmann: Herrschaft und Heil, S. 16-19; Assmann: »Monotheismus als Politische Theologie«, S. 13-21. 82 Vgl. Meier, Heinrich: Die Lehre Carl Schmitts, S. 26f.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

von 1933 ließ Schmitt im Nachdruck von 1963 unerwähnt, enthielt sie doch zahlreiche antisemitische Insinuationen und Sympathiebekundungen für den gerade zur Macht gelangten Nationalsozialismus.83 Wie sich zeigen wird, knüpft »Der Begriff des Politischen« eng an die »Politische Theologie« an, erweitert sie aber zu einer Theorie des geoffenbarten Naturzustands, wobei die zentralen theoretischen Konstruktionen weiterhin auch ihrerseits auf eine solche Offenbarungsevidenz setzen müssen, da sich ihre textimmanente Entfaltung in unlösbaren Widersprüchen verstrickt und letztlich nur noch auf das verweisen kann, was jenseits ihrer selbst liegt. Dass der Begriff des Politischen überhaupt zum Problem wird und nach ihm gefragt werden muss, ergibt sich zunächst aus einem anderen, von diesem abgeleiteten Begriff: »Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus.« So lautet der erste Satz des Textes, der auch hier in äußerster apodiktischer Verkürzung formuliert ist. Staat nämlich sei der »politische Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes« und zwar »der im entscheidenden Fall maßgebende Zustand«.84 Das Politische ist demnach allem Staatlichen vorgeordnet, das Staatliche aus dem Politischen nur abgeleitet. Damit asymmetrisiert Schmitt das Verhältnis von Politischem und Staatlichem, wie er es dem Diskurs »der juristischen Fachliteratur« entnimmt, wird es dort doch noch als rekursiv auf sich verweisende Synonymie behandelt, indem sie wechselseitig das Politische als das Staatliche und das Staatliche als das Politische ausweist. Eine solche Synonymie, so Schmitt, sei nur solange zutreffend, wie man »einen bestehenden Staat unproblematisch voraussetzen« könne.85 Dass dem nicht mehr so ist, hat die Gesellschaft zu verantworten: Im Prozess der Demokratisierung konnte die Gesellschaft den ihr vormals übergeordneten Staat überlagern und die Differenz zwischen sich und ihm nivellieren, sodass »die bisher ›neutralen‹ Gebiete – Religion, Kultur, Bildung, Wirtschaft – auf[hören], ›neutral‹ im Sinne von nicht-staatlich und nicht-politisch zu sein«. Das Politische ist nun nicht mehr vom Gesellschaftlichen zu unterscheiden, es ist entgrenzt und breitet sich auf vormals der Politik entzogene Gebiete aus, weshalb Schmitt im »demokratisch organisierten Gemeinwesen« den »totale[n] Staat« zu erblicken meint, für den alles potentieller Gegenstand von Politik sei.86 Es ist nun also nichts weniger als die erneute Eingrenzung des Politischen, die Schmitt hier mit seinem »Begriff des Politischen« leisten möchte. Dadurch wird dann auch die Insistenz plausibel, mit der Schmitt ab dem zweiten Unterkapitel auf die Selbständigkeit des Politischen hinzuweisen versucht. Es 83 Vgl. Meier, Heinrich: Carl Schmitt, Leo Strauss und ›Der Begriff des Politischen‹. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart/Weimar: Metzler 1998, S. 14f. Grundlage für die folgende Analyse ist die auf der Fassung von 1932 basierende, korrigierte neunte Auflage. Vgl. Fußnote 15 in Kapitel 1 dieser Arbeit. 84 Schmitt: Begriff des Politischen, S. 19. 85 Ebd., S. 20. 86 Ebd., S. 23.

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verfüge über »seine eigenen Kriterien«, die nicht »aus anderen Kriterien ableitbar« seien. Es basiere also auf »eigenen letzten Unterscheidungen«, die es »gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen« behaupten könne. Während diese auf den letzten Unterscheidungen gut/böse, schön/hässlich bzw. rentabel/unrentabel basierten, bestehe das Politische aus der »Unterscheidung von Freund und Feind.«87 Würde Schmitt es bei diesen Ausführungen belassen, käme das Politische als selbständiger und autonomer Bereich neben anderen zu stehen, die je für sich und gänzlich ausdifferenziert in nahezu luhmannianisch anmutenden Leitdifferenzen operierten. Dies würde sich aber kaum mit Schmitts harscher Kritik des Liberalismus vertragen, der, so Schmitt, die Verschüttung des Staates unter die gesellschaftlichen Sphären von Ethik und Ökonomie mit verschuldet habe88 und dabei gerade als Verfechter solcher Ausdifferenzierungen aufgetreten sei, da »der Liberalismus außerhalb des Politischen die ›Autonomie‹ der verschiedenen Gebiete des menschlichen Lebens nicht nur anerkennt, sondern zur Spezialisierung und sogar zur völligen Isolierung übertreibt«.89 Wenn Schmitt dem Liberalismus also nur beibringen wollte, nun eben auch das Politische neben anderen Gebieten autonom zu stellen, wäre Schmitt nicht der antiliberale und antiparlamentarische Prediger der Diktatur, der er sein möchte90 , sondern eher einer, der den Liberalismus in seiner strukturellen Konsequenz stärken möchte. Wie um einer solchen Lesart den Riegel vorzuschieben, ist in Schmitts Text ein beständiges Dementi eingearbeitet, das dessen immanente Widersprüchlichkeit aber massiv potenziert.91 In die oben zitierten Ausführungen flicht Schmitt etwa ein, dass das Politische keinesfalls als »gleichartig[] und analog[]« zum Ökonomischen, Moralischen und Ästhetischen zu verstehen sei, obwohl er das Politische gänzlich analog zu diesen auf einem binären Code aufsetzen lässt. Schmitt betont, das Politische 87 88 89 90

Ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 63-67. Ebd., S. 67. So die Stoßrichtung der bereits erwähnten Schrift zum Parlamentarismus. Vgl. Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 32-36. 91 Auf dieses Problem reagiert bereits die einschlägige Rezension von Leo Strauss, der als aufstrebender Philosoph von Schmitt zunächst gefördert wurde, bis Schmitt ihn später, als er in die Machtelite des neuen NS-Regimes aufgestiegen war, seiner jüdischen Abstammung wegen fallen ließ. Zuvor war Schmitt aber von den Beobachtungen seines aufmerksamen Rezensenten derart angetan, dass er auf deren Publikation hinwirkte und sie stellenweise in die Fassung des »Begriff des Politischen« von 1933 einbezog. Dass Schmitt diese argumentative Bruchstelle bereits in Teilen erkannt und in der Überarbeitung für die zweite Fassung von 1932 zu beheben versucht hatte, übergeht Strauss in seiner Rezension wohlwollend, obwohl er beide Fassungen kannte und Schmitts unvollständigen Lösungsversuch beobachtet haben musste. Strauss war erkennbar darum bemüht, Schmitts Kritik des Liberalismus eher zu stärken als sie in ihrer Brüchigkeit bloßzustellen. Vgl. Meier, Heinrich: Carl Schmitt, Leo Strauss, S. 14-17, 19-31, 137.

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sei nicht selbständig »im Sinne eines eigenen neuen Sachgebietes«, wie das Ästhetische, Moralische und Ökonomische »relativ selbständige[] Sachgebiete menschlichen Denkens und Handelns« seien, vielmehr müsse das Politische allein deshalb als selbständig verstanden werden, da es »weder auf einem jener anderen Gegensätze oder auf mehreren von ihnen begründet« sei.92 Die These, mittels derer er das nicht-analogische Verhältnis zwischen Ästhetischem, Moralischem und Ökonomischem einerseits und Politischem andererseits zu verdeutlichen hofft, untermauert er bezeichnenderweise mit einem analogisierenden Vergleich, der lediglich eine Art Intensitätsgefälle zwischen den derart analogisierten Elementen einzuziehen bemüht ist: Wenn der Gegensatz von Gut und Böse nicht ohne weiteres und einfach mit dem von Schön und Häßlich oder Nützlich und Schädlich identisch ist und nicht unmittelbar auf ihn reduziert werden darf, so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegensätze verwechselt oder vermengt werden.93 Die politische Unterscheidung von Freund und Feind, so will Schmitt hier Glauben machen, sei »noch weniger« aus den übrigen Leitunterscheidungen ableitbar als die übrigen Leitunterscheidungen aus den jeweils anderen ableitbar seien. Inwiefern aber eine moralische Unterscheidung zwischen Gut und Böse eher in die ökonomische von Rentabel und Unrentabel zu übersetzen wäre, als dies bei der politischen Unterscheidung zwischen Freund und Feind möglich wäre, und wie Ableitbarkeit überhaupt graduell abgestuft angebbar wäre, bleibt völlig ungeklärt. Tatsächlich beharrt Schmitt aber auf dem Begriff der Intensität, um einerseits das Politische von diesen, gewissermaßen konkurrierenden, Sachgebieten abrücken zu können, um andererseits eine stärkere Differenz zur liberalistischen Autonomiekonzeption herzustellen, und unter der Hand intensivieren sich dabei auch die seiner theoretischen Konstruktion inhärenten Selbstwidersprüche.94 Die Freund-Feind-Unterscheidung ist Schmitt zufolge die Bezeichnung für »den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation«. Diese Dissoziation muss dabei zumindest potentiell die 92 Schmitt: Begriff des Politischen, S. 25. 93 Ebd., S. 25f. 94 Dies mag wiederum Schmitts vergeblichen Versuchen geschuldet sein, der theoretischen Problemstellung des Textes in den verschiedentlichen Überarbeitungen Herr zu werden. Wie Heinrich Meier nachweist, hat Schmitt das Intensitätstheorem in die zweite Fassung eingearbeitet, um eine »Abkehr von der Gebiets-Konzeption« zu erreichen und dadurch seinen »Begriff des Politischen« vom ursprünglich rein außenpolitischen und zwischenstaatlichen Fokus auf einen innenpolitischen und »bürgerkriegsfähig[en]« umzustellen. Vgl. Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss, S. 28-31. Ähnliches stellt auch Manfred Gangl fest, vgl. Gangl: »Gesellschaftliche Pluralität und politische Einheit«, S. 103.

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physische Auseinandersetzung implizieren, »Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d.h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen«.95 Wie entsteht aber eine solche Dissoziation? Schmitt erläutert, »daß religiöse, moralische und andere Gegensätze sich zu politischen Gegensätzen steigern und die entscheidende Kampfgruppierung nach Freund oder Feind herbeiführen können«. Sobald die Kampfformation einmal eingenommen wurde, verwandle sich der Gegensatz aber in einen rein politischen, die politische Intensität reinigt also gewissermaßen den Konflikt von seiner ursprünglichen Motivation.96 Wäre damit aber nicht sehr wohl eine Ableitbarkeit des Politischen aus Ästhetischem, Moralischem und Ökonomischem gegeben, ja wäre nicht zu mutmaßen, dass eine solche prinzipielle Ableitbarkeit demzufolge, wenn überhaupt, im Politischen gegeben wäre, als eine entortete Konfliktpraxis, die sich bei ausreichender Eskalierung an jedwedem Teilbereich der Gesellschaft entzünden kann, während das Ästhetische, Moralische und Ökonomische weitgehend stabil auf eigene Funktionssysteme verwiesen wäre? Dass Niklas Luhmann das Moralische als den entgrenzten, nicht-ausdifferenzierten und alles potentiell in sich aufsaugenden Kommunikationscode ausweist97 , liegt ja gerade daran, dass er es analog zur Funktionsweise des schmittianischen Politischen entwirft, d.h. als ortloser Disjunktionsmotor, während das Entscheidungsmonopol des Politischen in der luhmannianischen Gesellschaft ein bestens eingegrenztes Teilsystem darstellt.98 Ist die Ableitbarkeit des Politischen somit also durchaus gegeben, steht um so mehr die von Schmitt behauptete Möglichkeit in Frage, den politischen Konflikt vom ursprünglichen Konfliktherd rückstandslos abtrennen zu können, um aus dem gesellschaftlichen Reservoir an Disjunktionspotential politisch reine Frontstellungen zu destillieren. Das Intensitätstheorem, so stellt sich heraus, ist mit der behaupteten Selbständigkeit des Politischen schlicht unvereinbar.99 Dass die Selbständigkeit des Politischen aber bereits an viel früherer Stelle in Frage steht, wird ersichtlich, wenn man die Potentialität des Kampfes bedenkt, die das Politische aufweisen muss, um als Politisches gelten zu dürfen. Während Krieg nämlich Schmitt zufolge »seine eigenen, strategischen, taktischen und anderen Regeln und Gesichtspunkte« aufweist und also nicht als Bestandteil des Politischen 95 Schmitt: Begriff des Politischen, S. 26f. 96 Ebd., S. 34. 97 Vgl. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 15 2012, S. 317-325. Vgl. auch Kneer, Georg/Nassehi, Armin: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Paderborn: Wilhelm Fink 4 2000, S. 178-185. 98 Vgl. Luhmann, Niklas: Die Politik der Gesellschaft, hg. v. André Kieserling, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 84-87. 99 Stefan Breuer wertet Schmitts Intensitätsbegriff daher auch als »Potemkinsches Dorf«. Vgl. Breuer, Stefan: »Nationalstaat und pouvoir constituant bei Sieyes und Carl Schmitt«, in: Archiv für Rechts- und Sozialgeschichte 70 (1984), S. 495-517, hier: S. 513.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

gelten darf, ist er dem Politischen doch als dessen »immer vorhandene Voraussetzung« vorgeordnet.100 Damit ist das Politische aber alles andere als selbständig, wenn es so sehr auf den Krieg als Potentialität angewiesen ist. Wenn zudem die Dissoziation sich überall entzünden kann und »um so politischer« wird, »je mehr sie sich dem äußersten Punkte« annähert101 , so ist dann auch gänzlich zweifelhaft, auf welche Weise Schmitt eine erneute Begrenzung des im totalen Staat entgrenzten Politischen leisten will – oder gar »die Hegung und klare Begrenzung des Krieges«, die zentrale Forderung aus dem 1950 erschienen »Nomos der Erde«, die Schmitt 1963 in das Vorwort zum Nachdruck von »Der Begriff des Politischen« einspeist und sie so mit seinen frühen Theoremen zu verquicken sucht.102 Der Begriff des Politischen, den Schmitt hier entwirft, muss eher als Dynamisierung und Motorisierung gesellschaftlicher Disjunktionen verstanden werden denn als eine Ermöglichung ihrer Wiedereingrenzung.103 Wenn nun aber weder über die Abgrenzung zum Ästhetischen, Moralischen und Ökonomischen, noch über die kriegerische Potentialität das Politische als eigenständige Kategorie zu fassen ist, bleibt zunächst noch dessen Kern, die von Schmitt benannte politische Letztunterscheidung von Freund und Feind, in den Blick zu nehmen. Hier bemüht sich Schmitt, den Begriff des Feindes einerseits von einer individualpsychologisch-affektiven und andererseits vom Einzugsgebiet der christlichen Nächstenliebe abzurücken. Schmitts politischer Feind nämlich sei nicht »in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen« gemeint, als inimicos also, der sich im Lateinischen vom hostis, dem »öffentliche[n] Feind«, unterscheide. Allein auf Ersteren richte sich 100 Schmitt: Begriff des Politischen, S. 32f. 101 Ebd., S. 28. 102 Ebd., S. 11. Vgl. außerdem Schmitt, Carl: Der Nomos der Erde. im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin: Duncker & Humblot 4 1950, S. 91. 103 Entsprechend stellt Friedrich Balke fest, dass Schmitts Begriff vom Politischen einer Gesellschaft entspreche, deren Autopoiesis nicht mehr auf Einheit, sondern auf Differenz eingestellt ist. »Diese neue Reproduktionslogik ist eine Differenzierungs- und Distanzierungslogik, die ihre Integrationsleistung nicht über die Eliminierung, sondern über die Ermutigung und Verstärkung von Abweichung erbringt.« Vgl. Balke, Friedrich: Der Staat nach seinem Ende. Die Versuchung Carl Schmitts, München: Wilhelm Fink 1996, S. 51f. Dessen ungeachtet wollen Schmitts Apologeten in erster Linie eine ordnende, befriedende Wirkung im »Begriff des Politischen« erkennen. Ernst-Wolfgang Böckenförde bezeichnet dessen Stoßrichtung daher als »vielleicht kämpferisches, aber doch stets friedliches Bemühen«, in dem das Politische sich allein auf die Außenpolitik richte und den Staat nach innen als befriedete Einheit ermögliche, obwohl das Politische doch, wie Böckenförde wenig später selbst feststellen muss, »keinen abgrenzbaren Gegenstandsbereich« mehr darstellen kann. Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: »Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts«, in: Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin: Duncker & Humblot 1988, S. 283-299, hier: S. 284.

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das Gebot der Nächstenliebe, während Letzterer immer »auf ein ganzes Volk Bezug hat«. Die öffentliche Feindschaft bedeute eine »der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht«.104 Wenn das Politische aber das ist, was den »politische[n] Status« eines Volkes determiniert105 , was als Assoziation und Disjunktion also den politischen Körper ergibt, die »entscheidende Kampfgruppierung«106 , dann kann das Politische zu seiner Konstituierung schwerlich bereits auf einen »öffentliche[n] Feind« setzen, der »auf ein ganzes Volk«107 Bezug hat, denn sowohl das, was die Öffentlichkeit betrifft, als auch das, was ein politisch organisiertes Volk ist, soll Schmitt zufolge ja erst durch dieses Politische gestiftet werden. Schmitts Begriff des Politischen konstituiert das, was es bereits als eigene Voraussetzung eingeführt hat, es verweist auf sich selbst.108 Dieser Zirkelschluss ist in einen weiteren Zirkelschluss gebettet, denn wenn das Politische mit seiner Freund-Feind-Unterscheidung auf die Potentialität des Krieges angewiesen ist, Krieg aber nichts anderes ist als ein »bewaffneter Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten«109 , dann setzt auch der Krieg wiederum die politische Freund-Feind-Unterscheidung voraus. Das bedeutet: Das Politische konstituiert sich durch die Freund-Feind-Unterscheidung, die sich nur durch das Politische konstituieren kann, und setzt dabei die Potentialität des Krieges voraus, der seinerseits das Politische voraussetzt, da es seiner FreundFeind-Unterscheidung bedarf. Wie in Schmitts »Politische[r] Theologie« entwirft Schmitt auch im »Begriff des Politischen« nichts Anderes als äußerst widersprüchlich entfaltete, changierende Begriffe, die wechselseitig aufeinander verweisen und sich innerhalb der Immanenz des Textes nicht konkret fassen lassen. Daher müssen Schmitts Ausführungen auch wieder auf das verweisen, was sie selbst nicht in Worte fassen können, wieder strebt der Text in seinen zentralen Theoremen über sich selbst hinaus. Die politische Letztunterscheidung in Freund und Feind ist »in ihrem konkreten, existentiellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole«, sie stellt auch »keine normativen und keine ›rein geistigen‹ Gegensätze« dar, stattdessen handele es sich »um die seinsmäßige Wirklichkeit«. Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 27. Zum Gebot der Nächstenliebe vgl. ebd., S. 28. Ebd., S. 19. Ebd., S. 34. Ebd., S. 27. Assmann hält aus diesem Grund die Freund-Feind-Unterscheidung als politische Leitunterscheidung für gänzlich ungeeignet. Vgl. Assmann, Jan: Herrschaft und Heil, S. 26. Friedrich Balke verweist darauf, dass die politische Feindschaft, die sich im Jus Belli staatlich institutionalisiere, zwangsläufig auf »vorgängige[] Prozesse der Verfeindung« zurückgreifen müsse, von denen Schmitt vergeblich zu abstrahieren versuche. Vgl. Balke, Friedrich: »Regierbarkeit der Herzen. Über den Zusammenhang von Politik und Affektivität bei Carl Schmitt und Spinoza«, in: Brokoff/Fohrmann (Hg.): Politische Theologie, S. 115-129, hier: S. 127. 109 Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 31.

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Der Feind »ist eben der andere, der Fremde«, und zwar »in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes« und erst diese existenzielle Fremdheit erlaubt es, Konflikte mit ihm zu unterhalten.110 Zwar ist fraglich, wie sich aus der Fluidität politischer Disjunktionen eine existenzielle Fremdheit ergeben soll, aber Schmitt kann hier nur darauf verweisen, dass der unbeteiligte Dritte ohnehin keine allgemeingültigen Aussagen über diese Prozesse treffen kann, denn nur das »existentielle Teilhaben und Teilnehmen« berichtigt dazu, über das Vorliegen solch existentieller Fremdheit zu urteilen. Aus den argumentativen Zirkelschlüssen rettet Schmitt sich also wiederum durch die Entscheidungsleistung derer, denen die Entscheidung obliegt: Den extremen Konfliktsfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.111 Die politische Disjunktion wird hier zur »heterophobe[n] Markierung«.112 Es ist bezeichnend, wie sehr Schmitt hier bereits xenophobe oder rassistische Lesarten offenhält, ohne sie doch zu explizieren, denn wie dieses Anderssein beschaffen ist, wann ein Grad oder eine Qualität einer solchen Differenz eintritt, die zur politischen Disjunktion geeignet ist, ist ja von keinem Dritten allgemeingültig, und das heißt: normativ, benennbar, sondern nur situativ zu entscheiden. Dass diese Entscheidung sich wiederum an einem spezifischen Fall, am Konfliktsfall, orientiert, liegt also daran, dass Schmitt hier den apokalyptischen Dezisionismus aus der »Politische[n] Theologie« einbringt und den Konfliktsfall mit dem Ausnahmezustand verschaltet und rückstandslos in einander überführt. Auch heute noch ist der Kriegsfall der ›Ernstfall‹. Man kann sagen, daß hier, wie auch sonst, gerade der Ausnahmefall eine besonders entscheidende und den Kern der Dinge enthüllende Bedeutung hat. Denn erst im wirklichen Kampf zeigt sich die äußerste Konsequenz der politischen Gruppierung von Freund und Feind.113 Der Kriegsfall ist der Ausnahmezustand, in dem sich nun nicht mehr nur der Souverän offenbart und enthüllt, sondern auch der, auf den sich die absolut gewordenen und normativ entbundenen Entscheidungen des Souveräns zu richten haben. 110 Ebd., S. 26f. 111 Ebd., S. 26. 112 Balke, Friedrich: »Die Signatur des Feindes. Carl Schmitt und die Moderne«, in: Christian Geulen, Anne von der Heiden, Burkhard Liebsch (Hg.): Vom Sinn der Feindschaft, Berlin 2002, S. 133152, hier: S. 144. 113 Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 33.

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Die maßgebende Gruppierung sei immer diejenige, die sich am Ernstfall, am Ausnahmezustand, orientiere und souverän sei sie nur insofern, als die Entscheidung über diesen bei ihr liege.114 Diese Gruppierung sei das politisch organisierte Volk, sie müsse als solche »die Unterscheidung von Freund und Feind bestimmen«.115 Ganz offensichtlich ist Schmitt hier bemüht, alte Theoreme derart anzupassen, dass sie auf seine neu eingeführten Begriffe aufsetzen können. Souveränität ist nun nicht mehr zwingend personalistisch gedacht, wie Schmitt dies bereits in der Parlamentarismusschrift ausführt116 , sondern kann jetzt auch von einer Gruppierung, der Freundgruppierung, getragen werden. Außerdem ist die souveräne Entscheidung nicht mehr nur in erster Linie eine über das Vorliegen der Ausnahme, sondern immer auch eine über den Feind und dessen Bekämpfung, über den sich die Ausnahme nun überhaupt erst motiviert, da er eben jederzeit, zumindest potentiell, jenseits und außerhalb normativer oder auch nur ausformulierbarer Setzungen bekämpft werden können muss. Die souveräne Freundgruppierung muss sich aber mittels einer Feindgruppierung, deren Vorliegen und Eingrenzung sie zu entscheiden hat, erst konstituieren. Dass sich die souveräne Freundgruppierung dabei wiederum selbst zur Voraussetzung wird, indem sie als Entscheidungsträgerin ja die Entscheidung über sich und die feindliche Gruppierung voraussetzt, bevor sie überhaupt als Entscheidungsträgerin tätig werden kann, wird hier erneut per Offenbarung, per Apokalypse gelöst. Wie im oben Zitierten deutlich wird, ist es eben der extreme Fall der Ausnahme, des Krieges, des Konflikts, in dem sich der Feind als Feind, der Freund als Freund, die Entscheidung als Entscheidung und der Konflikt als Konflikt enthüllt. Dabei enthüllt sich nun auch der Staat als Staat, mit dessen Begriff die Abhandlung schließlich einsetzt und ihn damit noch vor dem titelgebenden Begriff des Politischen anführt. »Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus«117 , so heißt es im ersten Satz, der den Staat zwar als Ableitung aus dem Politischen entwerten möchte, diesem aber syntaktisch den Vorzug gibt und ihm dadurch die Eröffnung des Textes gewährt. Dem Staat kommt dann auch das jus belli zu, d.h. »die reale Möglichkeit, im gegebenen Fall kraft eigener Entscheidung den 114 Vgl. ebd., S. 36. 115 Ebd., S. 47. 116 Schmitt beruft sich dort auf Rousseaus volonté générale und konstruiert daraus eine Übergängigkeit des demokratisch konstituierten Volkswillens zum akklamierten Diktatorwillen. Vgl. Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 34-39. Schmitts Zugriff auf die Identität von Regierenden und Regierten, wie Rousseau sie fordert, schiebt aber der dabei zentralen politischen Gleichheit eine ethnische Gleichartigkeit unter. Ulrich Preuß nennt das Ergebnis dieser Operation eine »Ethnokratie«. Vgl. Preuß, Ulrich: »Carl Schmitt – Die Bändigung oder die Entfesselung des Politischen?«, in: Rüdiger Voigt (Hg.): Mythos Staat. Carl Schmitts Staatsverständnis, Baden-Baden: Nomos 2001 (= Staatsverständnisse, 2), S. 141167, hier: S. 155-157. 117 Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 19.

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Feind zu bestimmen und ihn zu bekämpfen«. Er ist es also, den Schmitt über seine langwierigen Konstruktionen als die sich im Ernstfall enthüllende, souverän entscheidende Freundgruppierung zu identifizieren bemüht ist. Dem Staat obliegt es, »von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft zu verlangen, und auf der Feindesseite stehende Menschen zu töten« und dies, um »innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen«, das heißt »die normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, daß Rechtsnormen überhaupt gelten können«.118 Zu einer »innerstaatlichen Feinderklärung« kommt es nur im Bürgerkrieg, der nichts als ein Kampf um das »Schicksal dieser Einheit« ist.119 Das Politische im eigentlichen Sinne soll somit im Idealfall der Außenpolitik vorbehalten bleiben, im Inneren darf es Disjunktionen nur in abgemilderter Form geben, wenn sie nicht in Bürgerkrieg umschlagen sollen.120 Der Staat stiftet in seinem Inneren Ordnung und Normalität, in der Rechtsordnung und Normativität erst zum Tragen kommen können. Diese Sphäre der Immanenz hängt aber davon ab, dass die ihr übergeordnete Sphäre der Transzendenz den Zustand der Ordnung bewahrt oder, im Ausnahmefall, unterbricht. Ist dieser Fall der Fälle gekommen, ist er durch die Entscheidung der souveränen Freundgruppierung eingetreten, die sich, da die verhüllende Sphäre der Immanenz zurücktritt, enthüllt, wie sich dann auch die gegnerische Feindgruppierung zweifelsfrei erkennen lässt. Schmitts »Begriff des Politischen« ist somit an und für sich ein Begriff des Staates, in dem die Rechtsordnung marginalisiert und die Dezision des Souveräns mittels Ausnahmezustand absolut gesetzt ist, der über eine Freund-Feind-Unterscheidung in kompakte Kampfgruppierungen kollektiviert ist und sich und seine Operationen weder erläutern noch beschreibbar zu machen braucht, sondern sie schlicht mittels blutiger Offenbarung evident werden lässt. Carl Schmitts Staatsverständnis ist ein apokalyptisches, ein Wechselspiel aus Verhüllung und Enthüllung, aus Diesseitigem und Jenseitigem. Was aber verbirgt sich hinter der Immanenz, was wird von Normallage und Rechtsordnung verhüllt, was ist dieses Etwas, das Schmitt im Ausnahmezustand als Transzendenz und Wohnstätte der Souveränität zur Offenbarung zwingen will? Es ist der Naturzustand, wie ihn die politische Philosophie entworfen hat. So schreibt sich Schmitt explizit in die Tradition der pessimistisch gefassten Politischen Anthropologie ein, da alle »echten politischen Theorien den Menschen als ›böse‹ voraussetzen, d.h. als keineswegs unproblematisches, sondern als ›gefährliches‹ und dynamisches Wesen«.121 Diese Position der Politischen Anthropologie bringt Schmitt dann mit dem in Zusammenhang, 118 Ebd., S. 43. 119 Ebd., S. 44. 120 Vgl. ebd., S. 29. 121 Ebd., S. 57.

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was die Staatsphilosophen des 17. Jahrhunderts (Hobbes, Spinoza, Pufendorff) den ›Naturzustand‹ nannten, in welchem die Staaten untereinander leben, der ein Zustand fortwährender Gefahr und Gefährdung ist und dessen handelnde Subjekte eben deshalb ›böse‹ sind wie die von ihren Trieben (Hunger, Gier, Angst, Eifersucht) bewegten Tiere.122 Wenn das, was hinter der Immanenz von staatlicher Ordnung und normativem Recht liegt, die transzendente Sphäre der souveränen Freundgruppierung ist, die sich nur über eine, zumindest potentiell, kriegerische Disjunktion von ihren Feinden zu unterscheiden weiß und die Gewalt im Innenraum nur zeitweise, d.h. so lange sie es wünscht, zu suspendieren in der Lage ist, liegt dies schlicht daran, dass diese souveräne Sphäre im Naturzustand verbleibt. Die Ordnungsleistung des Staates und des in der Ordnung zur Geltung kommenden gesetzten Rechts, die diese Gefahr für eine bestimmte Zeit bindet, ist nur möglich, weil sie ein befriedeter Innenraum in einer feindlichen, kriegerischen Umgebung ist. Obwohl Schmitt sich auch hierin emphatisch auf Thomas Hobbes bezieht123 , ist in Schmitts aufwendiger Konstruktion durchaus eine wesentliche Differenz zu Hobbes zu erkennen. Zum einen ist der Naturzustand bei Schmitt nicht mehr ein Kampf zwischen verfeindeten Individuen, sondern einer zwischen verfeindeten Gruppen.124 Zum anderen ist der Naturzustand bei Hobbes darauf angelegt, überwunden zu werden, während Schmitt gerade an dessen Perpetuierung gelegen ist.125 Hobbes entwirft zwar 122 Ebd., S. 55. 123 Vgl. ebd., S. 60. 124 Eine solche Abweichung von der klassisch-rationalistischen Fassung des Naturzustandes erkennt Schmitt bereits bei Sieyès. Vgl. Schmitt, Carl: Die Diktatur, S. 140. Bei Schmitt wurde diese Abweichung von Leo Strauß beobachtet. Vgl. Strauß, Leo: »Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen«, in: Heinrich Meier (Hg.): Carl Schmitt, Leo Strauss, S. 97-125, hier: S. 106f. In gewisser Weise ist Schmitts Naturzustand verfeinder Gruppierungen auch durch Rousseau vorbereitet, kritisiert dieser doch bereits die Vorstellung vom Naturzustand als bellum omnium contra omnes, indem er auf die vollständige Beziehungslosigkeit der Menschen im Naturzustand verweist, die eine kriegerische Verfeindung gar nicht erst erlaube. Erst als organisierte Einheiten sei der Mensch fähig, Krieg zu führen: »Der Krieg ist also keine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat.« Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag. Oder Grundsätze des Staatsrechts, übers. u. hg. v. Hans Brockard, vollständig überarbeitete und ergänzte Ausgabe, Stuttgart: Reclam 2011, S. 13. Während Rousseau aber aus dieser Einsicht einen unkriegerischen Naturzustand folgert, entwickelt Schmitt einen Naturzustand kämpfender Kollektive. 125 Die Überwindung des Naturzustandes, so Strauss, dient bei Hobbes der Herstellung und Sicherung von Zivilisation, wodurch er als »Begründer des Liberalismus« zu gelten habe. Zwar sei ihm noch bewusst gewesen, dass Zivilisation einem Naturzustand abgetrotzt werden müsse, der voll entwickelte Liberalismus habe dies aber später vergessen und den Naturzustand im Rousseau’schen Sinne idealisiert. Vgl. Strauss: »Anmerkungen«, S. 108f. Dass Hobbes somit ein denkbar schlechter Gewährsmann für Schmitts Vorhaben ist, geht diesem offensichtlich erst nach der Lektüre von Strauss’ Rezension auf. In seinen späteren Hobbes-Studien schwenkt

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als ätiologische Erzählung ein kontraktualistisches Gründungsszenario, in dem der Untertan den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam als seine Rettung vor dem außerstaatlichen Naturzustand erkennen und den Souverän daher als übergeordnete und dem Recht entzogene Instanz akzeptieren soll126 , und in gewisser Weise geht damit durchaus einher, dass der Naturzustand als legitimierende Drohkulisse aufrechterhalten wird, dass also bereits Hobbes »den Naturzustand apokalyptisiert«, indem »der status naturalis eben nicht nur vorstaatlich ist, […] sondern eine immer vorhandene, latente Bedrohung darstellt«.127 Diese latente Bedrohung bleibt aber eben latent, der Naturzustand verbleibt außerhalb der Ordnung und deren Funktionieren kommt ganz ohne permanente Bezugnahme auf das aus, was ihr äußerlich ist. Bei Schmitt dagegen ist alle Immanenz radikal entwertet. Sie ist aus sich heraus nicht plausibel und muss schon, um ihre Operationen und Akteure zur Evidenz zu zwingen, unterbrochen werden. Nur in dieser Unterbrechung ist die souveräne Freundgruppierung von den sie belauernden Feindgruppierungen zu unterscheiden, ist die Transformation abstrakter Normen in konkrete Entscheidungen möglich und kann bestimmt werden, ob zu einem Zeitpunkt die Ordnung in Kraft ist oder suspendiert bleiben muss, während die existentiell bedrohliche, gewalttätige, ja blutige Ausnahme des Naturzustandes waltet. Die Immanenz der Ordnung ist Schmitt nichts als ein Annex, eine fakultative Möglichkeit, die von einer stets zwingend vorhandenen Transzendenzsphäre hergestellt werden kann,

Schmitt auf diese wesentlich kritischere Haltung ein. Vgl. Schmitt, Carl: »Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes«, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. XXX (1936/1937), H. 4, S. 622-632, hier: S. 630f. Vgl. außerdem: Schmitt, Carl: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Köln: Hohenheim 1982, S. 79-95. 126 Dabei reicht aber der legitime Machtanspruch des Souveräns nur so weit, wie dieser Zusammenhang intakt ist. Der Untertan hat sich nur solange als Untertan zu betrachten, wie ihm Schutz geboten wird. Auch der Befehl, sich selbst physischen Schaden zuzufügen oder gar zu Tode zu bringen, entbindet den Untertan vom Gehorsam, und selbst der Deserteur wird von Hobbes noch mit viel Nachsicht betrachtet. Vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan. Eine Auswahl. Englisch/Deutsch, übers. v. Holger Hanowell, hg. v. Jürgen Klein, Stuttgart: Reclam 2013, S. 352-369, 452-455, 460f. Bei Rousseau kann der Untertan nicht auf eine solche Eingrenzung der souveränen Macht hoffen, denn »sein Leben ist nicht mehr nur eine Gabe der Natur, sondern ein bedingtes Geschenk des Staates«. So muss auch der verurteilte »Meuchelmörder« seine Hinrichtung nicht nur erdulden, er soll auch »einverstanden [sein] zu sterben«. Vgl. Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 38. 127 Adam, Armin: Rekonstruktion des Politischen. Carl Schmitt und die Krise der Staatlichkeit 1912-1933, Weinheim: VCH 1992, S. 43.

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wenn ihr danach ist. Nicht erst bei Agamben128 wird die Regel von der Ausnahme aufgezehrt. Diese Marginalisierung des positiven Rechts muss notwendigerweise als Angriff auf den Rechtspositivismus im allgemeinen und auf die Reine Rechtslehre Hans Kelsens im Besonderen gelesen werden, da sich dieser ja, im Sinne einer operativen Schließung des Rechtssystems, allein auf das gesetzte Recht verlassen und nichts darüber oder daneben als Gegenstand rechtswissenschaftlicher und rechtspraktischer Kommunikationen gelten lassen will.129 Dass Schmitt seine Positionierung dabei teils im Vorfeld und teils unmittelbar während des Weimarer Methodenstreits ausarbeitet, in dem sich eine zunehmend erstarkende antipositivistische Strömung gegen Kelsen und die operative Schließung des Rechtssystems wendet130 , ist dabei kein Zufall, vielmehr muss Schmitts apokalyptisches Staatsverständnis als eine Stellungnahme innerhalb desselben gewertet werden. Als ein Höhepunkt des Weimarer Methodenstreits wird gemeinhin die Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer von 1926 in Münster gesehen.131 Erich Kaufmann, Professor für öffentliches Recht aus Bonn, erklärte dort den Rechtspositivismus für »erledigt« und sah die Zeit gekommen, »daß man ernsthaft an die Erörterung von Fragen herantreten kann, die in den Kern des Rechtsproblems und in das, was jenseits des positiven Staatsgesetzes liegt, hineinführen«. Die deiktische Angabe »jenseits« ist dabei im wörtlichsten Sinne zu verstehen, denn zur Erörterung der Frage nach der »Gleichheit vor dem Gesetz«, so das Thema von Kaufmanns Bericht, möchte er sich »auf etwas [besinnen], was hinter allem rechtlichen Geschehen, hinter allem 128 Vgl. Agamben, Giorgio: Homo sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 177. Agamben greift dabei auch nur vorgeblich den Ausnahmezustand auf, wie Schmitt ihn entworfen hat, denn bei Agamben geht es nicht mehr um eine Sphäre der souveränen Transzendenz, die sich als Wunder innerhalb der Ordnung auftut und die Gültigkeit des positiven Rechts unterbricht, sondern um »die Regel, die, indem sie sich aufhebt, der Ausnahme stattgibt; und die Regel setzt sich als Regel, indem sie mit der Ausnahme in Beziehung bleibt«. Es geht Agamben also um diese »besondere ›Kraft‹ des Gesetzes«. Vgl. ebd., S. 28. Das, was Schmitt mühsam in eine Sphäre außerhalb der Rechtsordnung verlegt hat, wird von Agamben wieder in diese eingeschrieben. Die Regel setzt sich selbst außer Kraft, sie bedarf keines transzendenten Dritten mehr. Schmitt hätte dies vermutlich als Immanenz-Vorstellung kritisiert. 129 So die systemtheoretisch geschulte Analyse Martin Schultes. Vgl. Schulte, Martin: »Hans Kelsens Beitrag zum Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre«, in: Stanley L. Paulson, Michael Stolleis (Hg.): Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen: Mohr Siebeck 2005 (=Grundlagen der Rechtswissenschaft, 3), S. 248-263, hier: S. 256f. 130 Der Weimarer Methodenstreit wird auf die Jahre 1924 bis 1929 datiert. Martin Schulte weist allerdings darauf hin, dass der Streit zwischen Rechtspositivismus und Methodensynkretismus bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in vollem Gange war und auch noch bis in die jüngste Vergangenheit erbittert geführt wird. Vgl. ebd., S. 249, 258-263. 131 Vgl. ebd., S. 250.

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Geschehen überhaupt liegt«, d.h. auf »das Wissen von einer höheren Ordnung«.132 Kelsen, »noch immer und trotz allem Positivist«, entgegnet Kaufmann, der Positivismus sei nicht erledigt wie auch das metaphysisch begründete Naturrecht, das Kaufmann an dessen Stelle setzen möchte, nicht erledigt sei, vielmehr sei der Streit zwischen diesen ein ewiger […] Die Frage, die auf das Naturrecht zielt, ist die ewige Frage, was hinter dem positiven Recht steckt. Und wer die Antwort sucht, der findet, fürchte ich, nicht die absolute Wahrheit einer Metaphysik noch die absolute Gerechtigkeit eines Naturrechts. Wer den Schleier hebt und sein Auge nicht schließt, dem starrt das Gorgonenhaupt der Macht entgegen.133 Schmitt hätte hier wohl uneingeschränkt zugestimmt, denn im »Gorgonenhaupt der Macht« hätte dieser nichts Anderes als die souveräne Kampfgruppierung erkennen wollen, die in der blutigen Auseinandersetzung den hinderlichen Schleier des gesetzten Rechts hinter sich gelassen hat.134 Diejenigen, die an der rechtlichen Einhegung des Souveräns festhalten wollen, also Rechtspositivismus, Liberalismus und Rechtsstaatlichkeit, verschmelzen dagegen zu einer zunehmend einheitlichen Feindkonstruktion, wie dies etwa in Schmitts späteren, überaus kritischen Wendung gegen Hobbes deutlich wird. Indem Hobbes dem Untertan einen »privaten Glaubensvorbehalt« einräumt135 , habe er dem Leviathan einen »Todeskeim« eingepflanzt, der vom »ersten liberalen Juden«, gemeint ist Spinoza, als »Einbruchstelle des modernen Liberalismus« genutzt worden sei. Die darin garantierten bürgerlichen Freiheiten wachsen sich zum »Rechts- und Verfassungsstaat« aus136 , sie töten 132 Kaufmann, Erich: »Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung«, in: Veröffentlichungen der deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 3 (1927), S. 2-62, hier: S. 3. 133 Ebd., S. 53-55. 134 Schmitt trifft sich hier mit Walter Benjamins »Zur Kritik der Gewalt«, denn so wie Schmitt die Gewalt des bellizistisch gedachten Naturzustands im Inneren der Ordnung halten möchte, speichert Benjamin die rechtsetzende Gewalt im gesetzten Recht auf, die sich als Drohmacht, als rechtserhaltende Gewalt, jederzeit wieder aktualisieren können muss. Dass Benjamin diesen Zusammenhang als mythische Gewalt bezeichnet und ihr eine göttliche Gewalt gegenüberstellt, die im Sinne einer metaphysischen Gerechtigkeit alles Recht zu vernichten in der Lage ist, hat Agamben dazu bewogen, die gesamte »Politische Theologie« Schmitts als Antwort auf Benjamin zu lesen. Vgl. Benjamin, Walter: »Zur Kritik der Gewalt«, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhäuser, 7 Bde., Bd. 2.1, S. 179-203, hier: S. 197-199; vgl. außerdem Agamben, Giorgio: Stato di Eccezione. Homo Sacer II.1, Turin: Bollati Boringhieri 2 2012, S. 68f. 135 Schmitt, Carl: Der Leviathan, S. 91. Vgl. auch Schmitt, Carl: »Legalität und Legitimität«, in: ders.: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954. Material zu einer Verfassungslehre, Berlin: Duncker & Humblot 1958, S. 263-350, hier: S. 266. 136 Schmitt: Der Leviathan, S. 85f.

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den Leviathan, den souveränen Herrscher und die durch ihn generierte Legitimität. »Sein Werk aber, der Staat, überlebte ihn« und zwar als »Mechanismus und Maschine«, deren Grundzug die »Vergesetzlichung« ist. »Ein geschlossenes Legalitätsystem« dient nun als »positivistische[r] Funktionsmodus der Bürokratie«.137 Das operativ geschlossene, ausdifferenzierte Rechtssystem ist Schmitt somit nichts als die untote Hülle des verstorbenen Leviathan. Die reine Immanenz, die sich der transzendenten Sphäre und ihrer »Entsetzung«138 entledigt hat, ist ungesteuerte Materie. Die Abwesenheit einer zentralistischen Steuerungseinheit ist das Übel. Auch wenn Schmitts »Begriff des Politischen« in seiner Disjunktionsemphase gerade jene »Ermutigung und Verstärkung von Abweichung« leistet, die Balke als »Indikator für die Umstellung der gesellschaftlichen Integrationstechnik von Einheit auf Differenz« versteht139 , ist doch die Stoßrichtung, die Schmitts ImmanenzTranszendenz-Problematik an den Tag legt, eine, die dem diametral entgegensteht. Sie scheint das heterogene Nebeneinander von je für sich operierenden Subsystemen nicht aushalten zu können und diese stattdessen in einer nostalgisch anmutenden Rückabwicklung dem Willen eines transzendenten Souveräns restituieren zu wollen. Schließlich ist es nicht allein das Recht, das bei Schmitt jederzeit unterbrochen werden kann, sobald sich politische Intensitäten in ausreichender Weise verdichtet haben, auch das Operieren der anderen »relativ selbständigen Sachgebiete«140 , die Kommunikation in moralischen, ästhetischen oder ökonomischen Letztunterscheidungen, kommt zum Erliegen, wenn das Konfliktpotential es zulässt. Der Überwucherung des Staates durch die Gesellschaft mit ihren autonom operierenden Subsystemen, mit ihrer dezentralen Heterarchie, will Schmitt letztlich durch einen Rückbau begegnen, durch eine Wiederherstellung des »Führungs-, Steuerungs- und Integrationsanspruch[s] des Politischen gegenüber der Gesellschaft«.141 Wenn Schmitt aber die souveräne Freundgruppierung als nostalgische Rückgewinnung einer rezentralisierten Machtfülle beschreibt, ist es doch erstaunlich, wie wenig er deren Konstituierung hinterfragt. Auch wenn Schmitt den Menschen im Sinne einer pessimistischen Politischen Anthropologie »als keineswegs unproblematisch« auffasst, erscheint die Bindungswirkung, mit der Schmitt Menschenansammlungen zu politischen Gemeinschaften verklumpt, überraschend unproblematisch abzulaufen. Und dies auch abseits von der kampfbereiten Kollektivie137 Ebd., S. 99-101. 138 Benjamin: »Zur Kritik der Gewalt«, S. 202. 139 Balke: Der Staat nach seinem Ende, S. 52. 140 Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 25. 141 Göbel, Andres: »Paradigmatische Erschöpfung. Wissenssoziologische Bemerkungen zum Fall Carl Schmitt«, in: ders., Dirk van Laak, Ingeborg Villinger (Hg.): Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren, Berlin: Akademie Verlag 1995, S. 267286, hier: S. 282.

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rung durch intensive Disjunktion, wie es im »Begriff des Politischen« entworfen ist, denn ob Schmitt den pouvoir constituant bei Sieyès entdeckt und die Nation als das »unorganisierbar Organisierende« rühmt, das als »Urkraft […] immer neue Organe« hervorbringt142 , ob er Rousseaus Identität von Regierenden und Regierten in eine ethnokratische »Substanz der Gleichheit« umwidmet, die an »bestimmten physischen und moralischen Qualitäten« bemessen werden kann und als »naturhaft[e]« Voraussetzung des demokratisch organisierten Gemeinwesens zu gelten hat143 , oder ob er das ethnokratische Theorem dem jungen nationalsozialistischen Regime zuliebe vollends rassentheoretisch ausformuliert und die »unbedingte Artgleichheit zwischen Führer und Gefolgschaft« als Garanten für deren »gegenseitige Treue« imaginiert144 , immer findet Schmitt Gruppierungen von Menschen vor, die ohne Weiteres und aus sich heraus politische Formen generieren. Dadurch wird nicht nur das entwertet, was Schmitt aufzuwerten sich vorgenommen hatte, da das Politische nunmehr als Sekundärprodukt eines, wie auch immer gearteten, primären Anderen gelten muss. Es wird auch deutlich, dass Schmitt die Skepsis, mit der die zeitgenössische Massenpsychologie die Fähigkeit einer Ansammlung von Menschen, sich eine Form zu geben, bewertet, nicht zu teilen scheint, ja dass die Massenpsychologie am Ende Schmitts Forderung, alle »echten politischen Theorien« hätten den Menschen »als keineswegs unproblematisches, sondern als ›gefährliches‹ und dynamisches Wesen«145 zu betrachten, vielleicht konsequenter nachgekommen sind als Schmitt selbst.

3.3.

Die Masse als enthüllte Natur. Gustave Le Bon und Sigmund Freud

Mit der Veröffentlichung der »Psychologie der Massen«146 wird Gustave Le Bon 1895 nicht nur zum Namensgeber der Massenpsychologie.147 Er sorgt auch für deren erste breit rezipierte und popularisierte Publikation148 , deretwegen er bis heute 142 Schmitt: Die Diktatur, S. 138. 143 Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 14, 20. Zum Begriff der Ethnokratie, vgl. Preuß: »Carl Schmitt – Die Bändigung oder die Entfesselung des Politischen?«, S. 155-157. 144 Schmitt, Carl: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1933 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 1), S. 42. 145 Schmitt, Carl: Begriff des Politischen, S. 57. 146 Vgl. Fußnote 8 in Kapitel 1 dieser Arbeit. 147 Vgl. Gamper, Michael: Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765-1930, München: Wilhelm Fink 2007, S. 427. 148 Vgl. Gamper, Michael: »Massen als Schwärme. Zum Vergleich von Tier und Menschenmenge«, in: Eva Horn, Lucas Marco Gisi (Hg.): Schwärme. Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte

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– trotz der vorhergehenden kriminologisch orientierten Untersuchungen von Gabriel Tarde und Scipio Sighele – als ihr Begründer gehandelt wird.149 Im Vorwort übt Le Bon sich noch in Zurückhaltung und hegt einen geradezu skeptizistischen Erkenntniszweifel: Die sozialen Tatsachen sind so verwickelt, daß man sie in ihrer Gesamtheit nicht umfassen und die Wirkungen ihrer wechselseitigen Beeinflussung nicht voraussagen kann. […] Jede Folgerung, die wir aus unseren Beobachtungen ziehen, ist meistens voreilig; denn hinter den wahrgenommenen Erscheinungen gibt es solche, die wir undeutlich sehen, und hinter diesen wahrscheinlich noch andere, die wir überhaupt nicht erkennen.150 Diese erkenntniskritische Zurückhaltung währt jedoch nicht lange. Bereits in der darauffolgenden Einleitung beschreibt Le Bon eben jene »sozialen Tatsachen« nicht nur »in ihrer Gesamtheit«, er sieht sich auch sehr wohl in der Lage, die »Wirkungen ihrer wechselseitigen Beeinflussungen […] voraussagen« zu können. Denn Le Bon beschränkt sich nicht darauf, seine Gegenwart als »[d]as Zeitalter der Massen«151 zu beschreiben. Vielmehr wird ihm diese Gegenwartsdiagnose zum Beweis und zur Durchgangsstation einer massentheoretisch ausargumentierten Geschichtsphilosophie, die er bereits in der Einleitung auszuarbeiten beginnt152 und die – zwischen Leben und Information, Bielefeld: transcript 2009 (= Masse und Medium, 7), S. 69-84, hier: S. 82. 149 Vgl. bspw. Hahn, Thorsten: »Energiegeladene Eliten. Masse und Entropie als sozialer Mythos der Moderne«, in: Anette Simonis, Linda Simonis (Hg.): Mythen in Kunst und Literatur. Tradition und kulturelle Repräsentation, Köln/Weimar: Böhlau 2004, S. 183-202, hier: S. 185; Günzel, Stephan: »Der Begriff der ›Masse‹ im ästhetisch-literarischen Kontext. Einige signifikante Positionen«, in: Archiv für Begriffsgeschichte 45 (2003), S. 151-166, hier: S. 151; Widdig, Bernd: Männerbünde und Massen. Zur Krise männlicher Identität in der Literatur der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag 1992, S. 24. Adler wertet Le Bon immerhin noch als »supreme theorist of the crowd« innerhalb der »key thinkers of this movement«. Vgl. Adler, Jeremy: »›Mensch oder Masse?‹ H.G. Adler, Elias Canetti and the Crowd«, in: ders., Gesa Dane (Hg.): Literatur und Anthropologie. H.G. Adler, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner in London, Göttingen: Wallstein 2014, S. 176-196, hier: S. 176. Gamper beschreibt Le Bons Massenpsychologie als vollständige Rekonzeption des Forschungsfeldes, die sich aus einer veränderten Publikationsstrategie ergeben habe: Nachdem Le Bon mit seinen frühen Studien innerhalb der institutionalisierten Wissenschaft keinen Erfolg fand, nahm er Abstand von den disziplinären Gepflogenheiten, verlegte sich auf knappe, rhetorisch zugespitzte Abhandlungen, die zwar weiterhin wissenschaftlichen Anspruch erhoben, zugleich aber Bezug auf die Tagesaktualität nahmen und auf ein allgemeines Lesepublikum zielten. Auf diese Weise überging Le Bon die vorhergehende, kriminologisch orientierte Forschung zur verbrecherischen Masse – zumindest in der ersten Auflage – vollständig. Vgl. Gamper: Masse lesen, Masse schreiben, S. 426-428. 150 Le Bon: Psychologie der Massen, S. XLIIIf. 151 So der Titel der Einleitung, vgl. ebd., S. 1. 152 Vgl. ebd., S. 4f.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

als Geschichtsphilosophie – auch immer auf das Kommende zielen muss. Insofern entspricht das oben Zitierte weniger einem methodologischen Programm, das Le Bon wirklich einzulösen gewillt wäre, denn einer Inszenierung, die im Sinne paratextueller Lektüresteuerung alles Folgende als Ergebnis streng wissenschaftlicher Operationen auszuweisen bemüht ist.153 Und doch: Es darf nicht übersehen werden, dass die dabei verwendete Dichotomie von »wahrgenommenen Erscheinungen« einerseits und einer dahinterliegenden, verborgenen, aber wesentlichen Sphäre andererseits nicht gänzlich als Staffage dieser paratextuellen Inszenierung abgetan werden darf, sondern bereits auf ein wesentliches Strukturelement in Le Bons Philosophie der Geschichte hindeutet. Die verborgene, dunkle Sphäre, aus der heraus erst die (Be-)Deutung der Geschichte möglich wird, ist in Le Bons Argumentation fortwährend präsent, nur wird sich der erkenntniskritische Zweifel ihr gegenüber alsbald verflüchtigen. Le Bon entfaltet seine Geschichtsphilosophie vor allem in der Einleitung der »Psychologie der Massen« sowie im »Geschichtsphilosophische[n] Ergebnis« des letzten Kapitels154 , sie dient gewissermaßen als Parenthese, die all das, was in den dazwischenliegenden Kapiteln als massenpsychologisch-kontrollwissenschaftliches Instrumentarium155 aufgeboten wird, in ihr Szenario verklammert und motiviert. Die Unterscheidung von Vordergründigem und Hintergründigem wird im ersten Absatz der Einleitung folgendermaßen eingeführt: Die bemerkenswerten Ereignisse der Geschichte sind die sichtbaren Wirkungen der unsichtbaren Veränderungen des menschlichen Denkens. Wenn diese großen Ereignisse so selten sind, so hat das seinen Grund darin, daß es nichts Beständigeres in einer Rasse gibt, als das Erbgut ihrer Gefühle. Das gegenwärtige Zeitalter bildet einen jener kritischen Zeitpunkte, in denen das menschliche Denken im Begriff ist, sich zu wandeln. Da die Ideen der Vergangenheit, obwohl halb zerstört, noch sehr mächtig, und die Ideen, die sie ersetzen sollen, erst in der Bildung begriffen sind, so ist die Gegenwart eine Periode des Übergangs und der Anarchie.156 153 Diese Inszenierung von Wissenschaftlichkeit mag aus Le Bons oben erwähnter Publikationsstrategie resultieren, die zwischen populärwissenschaftlicher Breitenwirkung und genuin wissenschaftlichem Anspruch zu vermitteln sucht. Vgl. Gamper: Masse lesen, Masse schreiben, S. 426f. 154 Im ausführlichen Inhaltsverzeichnis wird das »Geschichtsphilosophische[] Ergebnis« als abschließender Unterpunkt des letzten Kapitels genannt und dort in der Kopfzeile ab Seite 155 ausgewiesen. Vgl. Le Bon: Psychologie der Massen, S. XII, 155. 155 Zum Selbstverständnis der Massenpsychologie als Kontrollwissenschaft vgl. Stäheli, Urs: »Emergenz und Kontrolle in der Massenpsychologie«, in: Horn et al. (Hg.): Schwärme, S. 85-99, hier: S. 85. Vgl. auch Widdig: Männerbünde und Massen, S. 107. 156 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 1.

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Le Bon korreliert hier sichtbare Ereignisse der Geschichte mit hintergründigen Prozessen, die diese entweder hemmen und stabilisieren, oder vorbereiten und verursachen. Interessant ist nun, wie diese hintergründigen Prozesse befüllt und benannt werden und zu welchen – beinahe synonymisch anmutenden – Vertauschungen es dabei kommt. Im ersten Satz ist es das »menschliche[] Denken«, im zweiten »das Erbgut ihrer Gefühle«, im dritten wieder »das menschliche Denken« und im vierten »die Ideen der Vergangenheit« bzw. »die Ideen, die sie ersetzen sollen«. Zwischen Denken, Ideen, Gefühlen und Erbgut scheint keine klare Trennung zu bestehen, sie scheinen gemeinsam die unsichtbaren Vorgänge hinter der sichtbaren Geschichte abgeben zu müssen. Im weiteren Verlauf des Textes bestätigt sich dieser Befund, so heißt es im dritten Kapitel des ersten Buches etwa, »jede Zivilisation« gehe »aus einer geringen Anzahl selten erneuter Grundideen« hervor. Es sei zu unterscheiden zwischen »flüchtigen Ideen« und dauerhafteren »Grundideen, denen Umgebung, Vererbung, Glaube große Dauerhaftigkeit verleihen«.157 Kurz darauf schildert er am Beispiel von »gelehrten Hindus, die an unseren europäischen Universitäten studierten und promovierten«, dass deren abendländische Bildung nicht gegen ihr geistiges Erbgut ankommen könne, denn »nur die ererbten Vorstellungen« könnten für den Einzelnen »zu Triebkräften seines Verhaltens« werden. Und auf der unmittelbar folgenden Seite ist Le Bon überzeugt, dass eine Idee nur wirksam werde, »wenn sie – durch verschiedene Vorgänge, die noch zu erforschen sind – in das Unbewußte eingedrungen und zu einem Gefühl geworden sind«.158 Ideen, Vorstellungen und Gefühle sind also nicht stabil differenziert, sie gehen in einander über. Die Mechanismen, die zu ihrer Verfestigung in Individuen und Gruppen führen, werden einmal als Vererbung, einmal als Ergebnis einer Kombination von Vererbung, Umwelteinflüssen und Religion, und zuletzt als ein bis dato ungeklärtes Eindringen ins Unbewusste gehandelt. Dies Changieren vollzieht sich auf engstem Textraum und man muss daraus schließen, dass die ungreifbare, unsichtbare, aber entscheidende Ebene, die hinter den großen und sichtbaren Brüchen der Geschichte steht, in eben diesem Changieren rhetorisch aufgerufen und erzeugt werden soll, ohne sie wirklich terminologisch stillstellen zu können. Immerhin kann Le Bon auf eine »Feststellung der modernen Psychologie« verweisen, der zufolge »[d]as bewußte Geistesleben […] nur einen sehr geringen Teil im Vergleich zum unbewußten Seelenleben« darstellt.159 Die verborgene, dunkle, aber maßgebliche Prozessualität, die Le Bon hinter der sichtbaren Geschichte vermutet, kommt demnach mit der unbewussten, psychischen Dynamik ihrer Akteure zur Deckung. 157 Ebd., S. 38f. 158 Ebd., S. 40f. 159 Ebd., S. 13.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

Wer sind nun diese Akteure? Le Bon unterscheidet den Einzelnen von der Rasse und diese wiederum von der Masse. Im Vorwort definiert er: Der Inbegriff der gemeinsamen Merkmale, die allen Angehörigen einer Rasse durch Vererbung zuteil wurden, macht die Seele dieser Rasse aus. Wenn sich jedoch eine gewisse Anzahl solcher einzelnen massenweise zur Tat vereinigt, so zeigt sich, daß sich aus dieser Vereinigung bestimmte neue psychologische Eigentümlichkeiten ergeben, die zu den Rassenmerkmalen hinzukommen und sich zuweilen erheblich von ihnen unterscheiden.160 Während die Rasse sich also aus Einzelnen konstituiert, die über gemeinsame, ererbte Merkmale verfügen, ist die Masse ein Emergenzphänomen, ein neuer psychischer Zustand, der erst aus einer spezifischen Verbindung einer Menge von Einzelnen hervorgeht. »Unter bestimmten Umständen, und nur unter diesen Umständen«, betont Le Bon, »besitzt eine Versammlung von Menschen neue, von den Eigenschaften der einzelnen, die diese Gesellschaft bilden, ganz verschiedene Eigentümlichkeiten.«161 Diese Umstände zeichnen sich – und dies ist überraschend – nicht durch physische Kopräsenz aus, sie ist sogar gänzlich irrelevant. »Tausend zufällig auf einem Platz, ohne einen bestimmten Zweck versammelte einzelne bilden keineswegs eine Masse im psychologischen Sinne«, stellt er fest, während ebenso viele getrennte Einzelne sehr wohl zu einer psychologischen Masse emergieren können, sofern sie nur »im gegebenen Augenblick unter dem Einfluß gewisser heftiger Gemütsbewegungen« stehen162 , etwa »unter dem Eindruck gewisser Ereignisse […], die alle Geister in dieselbe Richtung lenken und ihnen die besonderen Merkmale der Masse verleihen«.163 Offensichtlich wird die massenpsychologische Emergenz durch die synchrone Rezeption identischer Reize und daraus resultierender Affekte generiert, unabhängig davon, auf welche Weise und an welchem Ort diese Reize wahrgenommen werden. Worin bestehen nun diese »besonderen Merkmale der Masse«, was zeichnet die zur »Massenseele« emergierte Menschenmenge aus?164 Le Bon führt zwei Kategorien von Eigenschaften auf. Die erste ergibt sich aus der additiven Überlagerung der Eigenschaften jener Einzelner, die zur Masse verschmelzen, wobei diese additive Überlagerung sich interferenzartig ausnimmt, d.h. Eigenschaften gleicher Art verstärken sich, während ungleichartige Eigenschaften sich gegenseitig nivellieren. Da die gleichartigen Eigenschaften von Le Bon als »die unbewußten Bestandteile« beschrieben werden, »die der Rassenseele zugrunde liegen«, und die ungleichartigen, individuierenden Bestandteile als »bewußte[] Anlagen« firmieren, »Früch160 Ebd., S. XLI. 161 Ebd., S. 9. 162 Ebd., S. 9f. 163 Ebd., S. 91. 164 Ebd.

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te der Erziehung, vor allem aber einer besonderen Erblichkeit«, führt die massenpsychologische Interferenz zu einer Auslöschung des Individualbewusstseins und der individuellen Verstandesfähigkeiten einerseits und zu einer überbordenden Aktivität des gemeinsamen, rassenmäßig ererbten Unbewussten andererseits. »Das Ungleichartige versinkt im Gleichartigen, und die unbewußten Eigenschaften überwiegen.«165 Dennoch kommt Le Bons Rassenseele nicht mit der der Masse zur Deckung166 , sie ist vielmehr ihr Substrat, auf der sich die massenpsychologische Emergenz vollzieht, denn ohne den Emergenzbegriff selbst zu verwenden, umschreibt Le Bon doch exakt dessen Definition: »Beschränkten sich […] die Individuen der Masse auf Verschmelzung ihrer allgemeinen Eigenschaften, so ergäbe sich daraus nur ein Durchschnitt, aber nicht, wie wir sagten, eine Schöpfung neuer Eigentümlichkeiten.«167 Genau diese neuen, aus der Addition nicht vorhersehbaren Eigenschaften geben den Kern dessen ab, was unter Emergenz zu verstehen ist.168 Während sich also die erste Eigenschaftenkategorie der Massenseele aus einer additiven, interferenzartigen Überlagerung der Einzelnen ergibt, findet Le Bon in der zweiten Kategorie jene Eigenschaften der Massenseele vor, die sich als neu, nicht-additiv und also emergent darstellen. Le Bon zählt hier drei Ursachen, aus denen sich diese ergäben. Zum einen fühle der Einzelne innerhalb der Masse »schon durch die Tatsache der Menge ein Gefühl unüberwindlicher Macht« und zugleich »durch die Namenlosigkeit« eine »Unverantwortlichkeit«. Dies führe zu einer verminderten Triebkontrolle. Zweitens komme es zur »contagion mentale«. Rudolf Eislers 1908 erschienene Übersetzung, die bis heute in fünfzehnter Auflage im Kröner-Verlag vertrieben wird, benennt dies etwas unglücklich als »geistige Übertragung«169 , im Wortsinn ist hier aber von »Ansteckung« die Rede, wie Eisler dies auch selbst in einer zweiten, stark überarbeiteten und 1912 erschienen Fassung wiedergibt.170 Das Phänomen der massenpsychologischen Ansteckung ist 165 Ebd., S. 13f. 166 Gamper zieht die Begriffe von Rassenseele und Massenseele heran, um Le Bon terminologische Unschärfen zu attestieren. Vgl. Gamper: Masse lesen, Masse schreiben, S. 432. Diese Unschärfen sind zwar reichlich vorhanden, nur lassen sie sich gerade im Falle der Differenz von Rassenseele und Massenseele nicht nachweisen. 167 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 14. 168 Der Emergenz-Begriff ist Le Bon noch nicht bekannt, obwohl er bereits 1875 vom britischen Philosophen George Henry Lewes als Beschreibung einer Entität eingeführt wurde, die sich durch nicht-additive und unvorhersagbare Eigenschaften auszeichnet. Vgl. Stäheli: »Emergenz und Kontrolle«, S. 88f. 169 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 14f. 170 Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen, autorisierte Übersetzung von Rudolf Eisler, zweite, verbesserte Auflage, Leipzig: Klinkhardt 1912 (=Philosophisch-soziologische Bücherei, 2), S. 16. Sofern nicht anders gekennzeichnet, wird im Folgenden weiter auf die Kröner-Ausgabe verwiesen.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

Le Bon zufolge zwar leicht festzustellen, aber gleichermaßen schwer zu erklären. Sie müsse »den Erscheinungen hypnotischer Art« zugerechnet werden und bewirke, dass innerhalb der Masse »jedes Gefühl, jede Handlung übertragbar [d.i. ansteckend]« sei. Verwirrend ist nun, dass Le Bon in der Ansteckung zugleich auch den Ursprung der massenpsychologischen Emergenz erkennen will, sie »bewirkt gleichfalls das Erscheinen der besonderen Wesenszüge der Masse«.171 Dies ist problematisch, bedeutet es doch, dass eine der emergenten Masseneigenschaften zugleich auch deren Emergenz im Ganzen verursachen soll. Wenn die massenpsychologische Ansteckung Grund dafür ist, dass in der Massenpsyche alles potentiell ansteckend ist, hat Le Bon einen Zirkelschluss vollzogen und scheitert an einer konsistenten Zuweisung dessen, was in seinem Theoriedesign als Ursache und was als Wirkung zu fungieren hat. Zudem handelt er sich die Inkonsistenz ein, dass die Massenbildung eingangs noch »unter dem Einfluß gewisser heftiger Gemütsbewegungen, etwa eines großen nationalen Ereignisses«172 , d.h. durch äußere Reize, zustande kommt, während eine Massenbildung durch psychische Ansteckung den Akzent vielmehr auf die Reizübertragung im Inneren der Masse verlagern würde. Das, was die Einzelnen zur Massenpsyche aggregiert, verbleibt somit vollständig unklar. Zuletzt nennt Le Bon dann noch die dritte und »wichtigste Ursache« der emergenten Eigenschaften der Massenseele, die er in der »Beeinflußbarkeit (suggestibilité)«173 erkennt; Eislers zweite Fassung übersetzt hier schlicht: »Suggestibilität«.174 Wenn der Einzelne der Masse ausgeliefert werde, befinde sich dieser »alsbald – durch Ausströmungen, die von ihr ausgehen, oder sonst eine noch unbekannte Ursache – in einem besonderen Zustand«, der sich mit jener »Verzauberung« vergleichen ließe, »die den Hypnotisierten unter dem Einfluß des Hypnotiseurs überkommt«. Durch die Massensuggestibilität, so ist Le Bon hier zu verstehen, ist nicht nur der Hypnotisierte »Sklave seiner unbewußten Kräfte, die der Hypnotiseur nach Belieben lenkt«, auch die Masse ist offen für äußerliche Beeinflussung und wird sich »mit unwiderstehlichem Ungestüm auf gewisse Taten werfen«.175 Durch Überlagerung wird also das individuierende Einzelbewusstsein ausgeschaltet, die unbewusste Rassenseele tritt hervor und auf ihrem Grund kommen die emergenten Eigenschaften der Massenseele zum Tragen: verminderte Triebkontrolle, Infektiösität und Suggestibilität. Der Mensch wird in der Masse demnach erstens zum »Triebwesen« und »Barbar«, der »mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab[gestiegen]« ist, zweitens zum »Sandkorn in einem Haufen ande171 172 173 174 175

Le Bon: Psychologie der Massen, S. 15. Ebd., S. 10. Ebd. Le Bon: Psychologie der Massen, Klinkhardt 1912, S. 16. Le Bon: Psychologie der Massen, S. 15f.

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rer Sandkörner« und drittens zum »Automat«.176 Dass Le Bon hier ein multiples und in sich divergentes Bildfeld für die Menschen in der Masse aufruft, das sich aufspannt zwischen automatenhafter Befehlsausführung, unberechenbarer Triebhaftigkeit und einer völligen Auslieferung des Massenglieds an die sie umfassende Massendynamik, liegt im Kern daran, dass er auf die generelle Fluidität der Masse zu verweisen bemüht ist. Die Differenz zwischen den drei angebotenen Beschreibungsmodellen ist die Provenienz der Reize, ihre Gemeinsamkeit aber ist der Hinweis auf die enorme Rezeptivität der Masse. Die Masse unterliegt und gehorcht Reizen, die sich entweder aus dem triebhaften Grund der Einzelnen speisen, die sie ausmachen, oder aus einer Reizverbreitung auf der horizontalen Binnenebene der Masse, d.h. von Massenglied zu Massenglied, oder aber aus einer ihr äußerlichen, übergeordneten Instanz. Diese äußere Instanz ist der Führer. Wie das Modell der Hypnose es bereits vormodelliert, beschreibt Le Bon einen engen Funktionszusammenhang von Masse und Führer, aus dem sich auch die kontrollwissenschaftliche Stoßrichtung ergibt, auf die Le Bons Massenpsychologie – innerhalb der geschichtsphilosophischen Klammer – abzielt. »Die Kenntnis der Psychologie der Massen ist heute das letzte Hilfsmittel für den Staatsmann«, kündigt Le Bon bereits in der Einleitung an. »Nur die Eindrücke, die man in ihre Seele pflanzt, können sie verführen«.177 Die Masse verhält sich zerstörerisch nur gegen eine schwache Obrigkeit, während sie sich der tyrannischen geradezu anschmiegt. Wird sie sich selbst überlassen, ist sie alsbald »ihrer Zügellosigkeit überdrüssig« und steuert »instinktiv der Knechtschaft zu[]«.178 Die Masse ist auf den Führer angewiesen, sie ist »eine Herde, die sich ohne Hirten nicht zu helfen weiß«.179 Die Masse wird von Le Bon demnach als unbewusstes, hoch reaktives und rezeptives Fluidum entworfen und einer zentralen Steuerungsinstanz überantwortet, die es domestizieren und lenken kann, da sie ihrerseits der Massenpsychologie enthoben und dadurch – mindestens potentiell – zu rationalem und bewusstem Handeln in der Lage zu sein scheint. Auf welche Weise dies aber geschieht, warum sich der Führer also der massenpsychologischen Emergenz entziehen kann und sein Bewusstsein nicht ebenfalls durch Überlagerung ausgelöscht wird, um durch die unbewusste Rezeptivität der Masse ersetzt zu werden, ist eine Frage, die Le Bon größtenteils übergeht und nur mit wenigen, knappen Andeutungen bedenkt. »Die in der Masse vereinigten Einzelnen verlieren allen Willen und wenden sich instinktiv dem zu, der ihn besitzt«, schreibt Le Bon im dritten Kapitel des zweiten Buches, das sich in zentraler Weise dem »Führer der Massen« widmet.180 Das Führungsindividuum zeichnet sich also gegenüber der Masse schlicht als massenpsycholo176 177 178 179 180

Ebd., S. 16f. Ebd., S. 6. Ebd., S. 34f. Ebd., S. 84. Ebd., S. 85.

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gische Anomalie aus, sein Wille bleibt – auf welche Weise immer – bestehen und erzeugt gerade dadurch Anziehung auf die willenlosen Reizreaktionsautomaten. Ähnliches lässt sich einem Szenario entnehmen, das Le Bon im ersten Kapitel des ersten Buches anreißt, auch hier ist der Wille einer »hinreichend starke[n] Persönlichkeit« in der Lage, sich der Bewusstseinsverschmelzung zu widersetzen, um so sein rational operierendes Individualbewusstsein zur Massendomestizierung einzusetzen: Die einzelnen in einer Masse, die eine hinreichend starke Persönlichkeit haben, um dem Einfluß [der Suggestion] zu widerstehen, sind in zu geringer Anzahl vorhanden, und der Strom reißt sie mit. Höchstens können sie vermittels eines anderen Einflusses eine Ablenkung versuchen. Ein glücklicher Ausdruck, ein im rechten Augenblick angewandter bildlicher Vergleich hat oft die Massen von den blutigsten Taten abgehalten.181 Der »glückliche Ausdruck« und der »bildliche[] Vergleich«, der hier als »Ablenkung« dient, präfiguriert das gesamte, umständlich elaborierte kontrollwissenschaftliche Instrumentarium, das Le Bon entfaltet und das, in absehbarer Weise, auf die stumpfen Reizreaktionsautomaten abgestimmt ist: Da die Masse logischer Beweise und Argumentationen nicht zugänglich ist, bedarf es einer Ideenfolge, die allein durch Ähnlichkeit, Analogie und grobe Verallgemeinerung verknüpft ist182 , sowie bildhafter oder abstrakter Sprache183 , die der Einbildungskraft der Masse184 und ihrem Hang zur Kollektivhalluzination entgegenkommt185 und durch hohe Redundanz eingeschliffen werden kann.186 Diese Techniken empfiehlt Le Bon als Massenpsychologe dem Staatsmann, der als bewusstes Individuum sich der Massen bemächtigen muss, um sie zu bändigen. Jedoch: Diese Lesart unterminiert sich schnell wieder. So führt Le Bon aus, die Führer der Masse fänden sich »unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten«. Zumeist sei der Führer seinerseits zunächst »ein Geführter« und »selbst von der Idee hypnotisiert […], deren Apostel er später« werde. Zwar gebe es auch schlicht begabte Redner, die allein durch dieses Talent ihre Interessen durchsetzen könnten, doch zu großen Führern würden nur diejenigen, die »selbst durch einen Glauben begeistert« seien.187 Le Bon ist sich sicher, dass diese großen Führer »stets unbewußte Psychologen« sind, die »instinktiv[]« auf die Massenseele einzuwirken wissen.188 Diejenige Instanz, die Le 181 182 183 184 185 186 187 188

Ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 43, 81-84. Vgl. ebd., S. 72. Vgl. ebd., S. 45. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 90. Ebd., 84f. Ebd., S. 5.

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Bon innerhalb seines Theorieentwurfs als bewusste, individuierte Steuerungseinheit der unbewussten Reizreaktionsdynamik der Masse gegenüberstellen könnte – und müsste –, wird hier konsequent ihrerseits ins Unbewusste und Irrationale hinübergezogen. Daraus ergibt sich für Le Bon das Problem, dass nicht mehr klar ist, an wen seine kontrollwissenschaftlich orientierte Schrift sich eigentlich richtet. Brauchen die »Nervösen, Reizbaren und Halbverrückten«, die »instinktiv[]« und »unbewußt« auf die Masse einwirken und dabei ihrerseits durch einen bestimmten Glauben hypnotisiert sind, noch eine massenpsychologische Handreichung, die ihnen erklärt, was sie ohnehin schon täglich in die Tat umsetzen? Ist die rhetorische Insistenz, die terminologische Unschärfe und die Bildhaftigkeit, mit der Le Bon seine Massenpsychologie entfaltet, am Ende selbst ein Anwendungsfall der in ihr vorgeschlagenen Massenbeeinflussungstechnologie, wie dies von Bernd Widdig bereits vermutet wurde189 , und dies nun gerade deshalb, weil Le Bon einrechnet, dass zwischen Masse und Massenführer nur ein gradueller und kein absoluter Unterschied besteht? Und was könnte eine solche Handreichung überhaupt ausrichten, wenn sie sich in das geschichtsphilosophische Setting verklammert sieht, das Le Bon in der Einleitung und im »geschichtsphilosophischen Ergebnis« des letzten Kapitels entwirft? Zunächst die Gegenwart: Le Bon beschreibt diese am Ende des 19. Jahrhunderts als Übergangszeit, in der alte von neuen Ideen abgelöst werden und zugleich »mit einer neuen Macht« zu rechnen sei. Das »Zeitalter der Massen« sei angebrochen, in dem nun nicht mehr die Fürsten, sondern die »Stimme des Volkes« das Sagen habe. »Das göttliche Recht der Massen wird das göttliche Recht der Könige ersetzen«, prophezeit Le Bon und benennt damit den Verlust monarchischer Souveränität zugunsten demokratisch organisierter Machtarithmetik. Zu Verschulden hat dies für ihn das emanzipatorische Denken der Aufklärung, also »die Verbreitung gewisser Gedankengänge«, wodurch »unvorsichtige Hände allmählich alle Schranken […] niedergerissen haben«, von denen die Massen zuvor zurückgehalten wurden. Von hier aus schlägt Le Bons Gegenwartsdiagnose in eine Philosophie der Geschichte um: Der Aufstieg der Massen bedeute »[v]ielleicht eine der letzten Etappen der Kulturen des Abendlandes«. Kulturen seien immer ausschließlich von Aristokratien erbaut worden, während es die Funktion der Masse sei, diese wieder zu zerstören, sobald sie morsch werde.190 Vermöge ihrer nur zerstörerischen Macht wirken sie gleich jenen Mikroben, welche die Auflösung geschwächter Körper oder Leichen beschleunigen. Ist das Gebäude einer Kultur morsch geworden, so führen die Massen seinen Zusammen189 Vgl. Widdig: Männerbünde und Massen, S. 108. 190 Le Bon: Psychologie der Masse, S. 1-4.

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bruch herbei. Jetzt tritt ihre Hauptaufgabe zutage. Plötzlich wird die blinde Macht der Masse für einen Augenblick zur einzigen Philosophie der Geschichte.191 Die Masse ist hier ein Katalysator, ein nekrophages Zersetzungsmoment, das jede erlahmte Kultur ereilen muss. In der Einleitung deutet Le Bon bereits an, dass er dieses Endzeitszenario als Bestandteil einer biologistisch gedachten Geschichtszyklik versteht, eines Kreislaufs von Werden und Vergehen, denn die Endzeit wird als »Rückkehr zu jenen Zeiten verworrener Anarchie« beschrieben, »die stets dem Aufblühen einer neuen Gesellschaft voranzugehen« scheint. Allein, mit welcher Sicherheit dies eintreten wird, ist hier noch offengehalten: »Wird es sich mit unsrer Kultur ebenso verhalten? […] wir wissen es noch nicht.«192 In diesem Setting macht es durchaus Sinn, die Wenigen darüber instruieren zu wollen, wie sie dem zerstörerischen Treiben der Vielen Einhalt gebieten können, selbst wenn sie sich offensichtlich nur graduell von diesen unterscheiden. Auch ist hier noch jene Deutung möglich, die Le Bon als Anwendung des Entropie-Modells im Sinne einer konservativen Gesellschaftstheorie liest, indem die Masse also, auf sich allein gestellt, in Chaos versinken muss, und nur die aristokratische Elite die notwendige Energiezufuhr bereitstellen kann, um dies zu verhindern.193 Anders verhält es sich dagegen, wenn Le Bon den Gesamtverlauf seines zyklischen Geschichtsmodells im »geschichtsphilosophischen Ergebnis« des letzten Kapitels erneut aufgreift. Am Beginn einer Kultur, heißt es dort, finde sich ein »zusammengewehte[r] Haufen von Menschen« zusammen, der alle Merkmale der Massenpsychologie aufweise. »Nichts ist bei ihnen von Dauer. Sie sind Barbaren.« Über die Zeit stabilisiere sich dieser Menschenhaufen durch Vererbung zu einer 191 Ebd., S. 5. Es ist irritierend, dass Le Bon an anderer Stelle den kriminologischen Untersuchungen der Masse anlastet, diese ausschließlich als zerstörerisch dargestellt zu haben, die Masse sei nämlich, wenn sie entsprechend beeinflusst werde, auch zu heldenhaftem und sittlichem Verhalten in der Lage und dies sogar in höherem Maße als der Einzelne. Vgl. ebd., S. 18, 36f. Im Vorwort rühmt Le Bon die Masse gar als unbewusste Schöpferin der Sprache, während die Wissenschaft nur deren Regeln konstatieren könne, und er bezweifelt, dass »die genialen Ideen der großen Männer ausschließlich ihr eigenes Werk sind«, vermutet vielmehr, dass »die unzähligen Körnchen, die den Boden für den Keim dieser Ideen bilden« in der »Massenseele […] erzeugt« worden seien. Vgl. ebd., S. XLIII. Hier ist das Masse-Führer-Verhältnis gänzlich in sein Gegenteil verkehrt, denn es sind nun die schöpferischen Leistungen der Masse, die für das Werk des Einzelnen zur Grundlage werden. Dies Lob der Masse mag dem Versuch geschuldet sein, sich von der hergebrachten kriminologischen Perspektive auf die Zerstörungswut der Masse abzugrenzen, es erweist sich aber mit dem übrigen Theoriegerüst Le Bons, in dem die »nur zerstörerische[] Macht« der Masse eine wesentliche Rolle spielt, gänzlich unvereinbar. In der Forschungsliteratur ist Le Bons scheinbar positive Bewertung der Masse einigermaßen unkritisch aufgenommen worden. Vgl. Adler: »›Mensch oder Masse?‹«, S. 177; Günzel: »Der Begriff der ›Masse‹«, S. 151f. 192 Vgl. Le Bon: Psychologie der Masse, S. 5. 193 Vgl. Hahn: »Energiegeladene Eliten«, S. 185-194.

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Rasse, einem »Aggregat mit gemeinsamen Eigenschaften und Gefühlen […] Die Masse ist ein Volk geworden und dies Volk kann sich aus der Barbarei erheben«. Die derart stabilisierte Rassenseele ist nun in der Lage, die gelegentlich ausbrechende, archaische Psychologie der Masse in ihrer »Schwingungsweite« zu dämpfen, die Massenpsychologie ist demnach nie gänzlich gebannt, aber in intakten Kulturen größtenteils domestiziert. Erst wenn die Kultur ihren Höhepunkt überschreitet, beginnt das »Verblassen des Ideals«, d.h. die Unterminierung der Grundideen einer Zivilisation, die Massenpsychologie kann nicht mehr gebunden werden und die Rasse »wird wieder, was sie am Ausgangspunkt war, eine Masse«.194 Demnach steht die Masse am Anfang und am Ende jeder Kultur, dazwischen ist sie durch gemeinsames, intaktes Ideenerbgut in ihrer Zerstörungswut gebunden. Dies bedeutet zweierlei: Erstens kann sich – im Unterschied zur Einleitung – hier nicht mehr die Frage stellen, ob die Kultur von diesem Schicksal ereilt wird, nur wann dies geschieht, ist noch offen. Zweitens ist in diesem geschichtsphilosophischen Abriss von Führer und Aristokratie plötzlich keine Rede mehr. Die Masse stabilisiert sich ganz von selbst zur Rasse und fällt ebenso von selbst zurück in diese. Die Irrelevanz, die hier jeder Führerfigur zukäme, trifft aber letztlich auch schon auf das Setting der Einleitung zu, denn wenn die Masse schlicht die phylogenetische Aufgabe hat, eine morsche Kultur zu beseitigen, kann das Schicksal dieser Kultur doch kaum an kontrollwissenschaftlichen Technologien der Massensteuerung hängen, sondern allein an der jeweils gegebenen oder schwindenden Vitalität der Kultur. Die zyklisch angelegte Geschichtsphilosophie, mit der Le Bon den drohenden Untergang inszenieren und sein massenpsychologisches Instrumentarium als zwingend erforderliches Herrschaftswissen feilbieten will, droht ihm hinterrücks die Relevanz seines ursprünglichen Anliegens zu unterminieren. Von dieser Warte aus kann man nun Le Bons »Psychologie der Massen« überblicken. Der Verlauf der Geschichte lässt sich nicht anhand ihrer sichtbaren Ereignisse und Zeugnisse erklären, eine dahinterliegende Prozessualität muss hinzugezogen werden. Diese verborgene Prozessualität hinter der sichtbaren Geschichte wird von Le Bon mit der unbewussten, psychischen Aktivität ihrer Akteure identifiziert, die er zwar nicht wirklich theoretisch fassen, aber zumindest rhetorisch evozieren kann. Zentraler Träger des Unbewussten, d.h. derjenige Akteur, an dem das Unbewusste für Le Bon am eindeutigsten und offensichtlichsten zu Tage tritt, ist die Masse. In der massenpsychologischen Überlagerung löscht sich das individuelle Bewusstsein ihrer Bestandteile aus und ein kollektives Unbewusstes tritt an dessen Stelle. Wie diese massenpsychologische Verschmelzung aber vonstattengeht, wie die emergente Eigenschaft der Infektiösität die Einzelnen zu einer Massenseele kollektiviert, kann Le Bon nicht klären, nur auf die hypnotische Verzauberung hinweisen, die er hier am Werk vermutet. Auf irgendeine Weise kann 194 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 155-157.

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sich dann ein besonderer Einzelner von der Massenpsyche abgrenzen und sie zugleich seinem Willen unterwerfen, allerdings ist unklar, ob dies entscheidend ist, weil unklar ist, ob die zyklische Geschichtsphilosophie vom Werden und Vergehen der Kulturen ein notwendiges oder nur ein mögliches Szenario ist. Zusammengefasst: Hinter der sichtbaren Geschichte ist etwas am Werk, von dem Le Bon nicht weiß, wie es funktioniert, am deutlichsten sichtbar wird es in einem sozialen Emergenzphänomen, von dem Le Bon nicht sagen kann, wie es zustande kommt und wie und warum es beeinflussbar ist und ob es entscheidend ist, dass es beeinflussbar ist. Feststeht für Le Bon aber, dass im Zusammenbruch der Kultur, ob er nun notwendig ist oder nur möglich, die zerstörerische Kraft des massenhaft entfesselten Unbewussten offensichtlich werden wird und dass in ihm der archaische Urzustand offenbar ist, der innerhalb einer vitalen Kultur zwar ebenfalls vorhanden, aber gebändigt und suspendiert bleibt. Der Untergang der Kultur ist, wenn er hier auch zyklisch entworfen wird, apokalyptisch. Er enthüllt das, was sich hinter der Kultur verbirgt, oder, um es mit Leo Strauss zu sagen, er enthüllt, »daß ›Kultur‹ immer etwas voraussetzt, das kultiviert wird: Kultur ist immer Kultur der Natur. […] das Fundament der Kultur ist der status naturalis.«195 Dieser Naturzustand ist für Le Bon die Masse. Sie steht am Beginn, wird durch (Ideen-)Vererbung zur Rasse bzw. zum Volk geformt, um später wieder zum archaischen Zustand der Masse zurückzukehren. Dazwischen, d.h. innerhalb einer intakten Kultur, ist ihr Auftreten zwar möglich, aber nur ausnahmsweise. Die Masse ist der Ausnahmezustand der Kultur und verweist auf das, was jenseits von Kultur liegt. In Sigmund Freuds »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, das ein Vierteljahrhundert später erscheint, hat sich hieran nicht viel geändert, obwohl sich Freuds Haltung zu Le Bon ambivalent ausnimmt. Einerseits widmet er ihm und seinem »mit Recht berühmt gewordenen Buch«196 ein ganzes Kapitel, glossiert197 ausführliche Zitate daraus, würdigt die »glänzend vorgetragene[] Schilderung der Massenseele« und moniert nur, dass die Figur des Führers stärker hätte beleuchtet werden müssen. Wenig später aber weicht dieser wohlwollende Tonfall einer vernichtenden Kritik: »eigentlich« bringe »keine der Behauptungen dieses Autors etwas Neues«, er greife nur auf, was vor ihm Scipio Sighele und andere bereits beschrieben hätten.198 Außerdem bemerkt er, dass die Massenpsychologie bestän195 196 197 198

Strauss: »Anmerkungen«, S. 105f. Freud, Sigmund: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, hier: S. 67. Freud selbst bezeichnet seine Kommentierungen als »Glossen«, vgl. ebd., S. 68. Ebd., S. 76f. Dass Freud würdigende Kommentierung und vernichtende Kritik ineinander verschränkt, hat in der Forschungsliteratur zu widersprüchlichen Bewertungen der freudschen Le Bon-Rezeption geführt. Während Stephan Günzel Freuds »Massenpsychologie und IchAnalyse« als »wichtigste Aufnahme und Fortführung des Ansatzes von Le Bon« wertet, ist dieser laut Michaela Ott von Freud beinahe vollständig verworfen worden; nur die primitive Unbewusstheit der Masse habe Eingang gefunden. Dagegen zeigt sich Widdig verwundert, wie

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dig um »das Zauberwort der Suggestion« kreise, ohne deren Funktionieren selbst je klären zu können.199 Auf diese Leerstelle zielt nun Freuds »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, die, wie dieser Titel impliziert, eine Übertragung individualpsychologischer Konzepte in die »Sozial- oder Massenpsychologie« unternimmt. An den derart synonymisch verketteten Komposita lässt sich erkennen, wie unspezifisch Freud den Massenbegriff fasst: »Die Massenpsychologie behandelt also den einzelnen Menschen als Mitglied eines Stammes, eines Volkes, einer Kaste, eines Standes, einer Institution oder als Bestandteil eines Menschenhaufens«200 ; »[e]s gibt sehr flüchtige Massen und höchst dauerhafte; homogene […] und nicht homogene; natürliche Massen und künstliche, die zu ihrem Zusammenhalt auch einen äußeren Zwang erfordern; primitive Massen und gegliederte, hochorganisierte.« Außerdem gibt es eine Unterscheidung von »führerlosen Massen und von solchen mit Führern«201 sowie primäre Massen, in der die massenpsychologischen Mechanismen in Reinform beobachtbar sind, und Massen, die durch ihre Organisation individuierende Fähigkeiten zurückerhalten.202 Offenbar wird die Masse für Freud zum Synonym für alles Soziale und folglich partizipiert der Einzelne nicht nur an einer, sondern an vielen Massen zugleich, »an der seiner Rasse, des Standes, der Glaubensgemeinschaft, der Staatlichkeit usw.«203 Freud beginnt nun die Leerstelle, die er im Begriff der Suggestion entdeckt zu haben glaubt, mit Hilfe der psychoanalytischen Libidotheorie zu befüllen. Ausgehend von »hochorganisierten, dauerhaften, künstlichen Massen«, die also über ein gewisses Maß an institutioneller Struktur verfügen204 , beobachtet Freud die Unterscheidung einer horizontalen und einer vertikalen Libido-Bindung, d.h. die libidinöse Bindung der Massenindividuen untereinander einerseits und die libidinöse Bindung der Masse zu ihrem Führer andererseits. Am Beispiel der Kirche sieht Freud dies bestätigt: Christus liebt jeden Gläubigen mit der gleichen Liebe und konstituiert gerade dadurch jene Liebe, die die »Brüder in Christo« untereinander hegen.205 Den Unterschied von geführten und führerlosen Massen vermutet Freud dann in einem Mechanismus, in dem der Führer »durch eine Idee, ein Abstraktum »moderat und leise« Freud seine Kritik an Le Bon äußere. Vgl. Günzel: »Der Begriff der ›Masse‹«, S. 153; Ott, Michaela: »Massen und Meuten. Eine Frage der Perspektive«, in: Susanne Lüdemann, Uwe Hebekus (Hg.): Massenfassungen. Beiträge zur Diskurs- und Mediengeschichte der Menschenmenge, München: Wilhelm Fink 2010, S. 201-218, hier: S. 205; Widdig: Männerbünde und Massen, S. 114. 199 Freud: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, S. 83. 200 Ebd., S. 65f. 201 Ebd., S. 88. 202 Vgl. ebd., S. 108. 203 Ebd., S. 120. 204 Ebd., S. 88. 205 Ebd., S. 89, vgl. auch 88-90.

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ersetzt sein kann«, dem dann unter Umständen die Vermittlungsinstanz eines sekundären Führers unterstellt ist. Wiederum dienen hier »die religiösen Massen mit ihrem unaufzeigbaren Oberhaupt« als Beispiel. Ob geführt oder führerlos, die Masse hat demnach immer einen Führer, deren vertikale Libido-Bindung die horizontale nach sich zieht. Diese ist nämlich Grund und Ursache für die massenpsychologische Emergenz und sie ist es auch, aus der sich, wie schon bei Le Bon, die Irrelevanz der physischen Kopräsenz ergibt. »[E]ine bloße Menschenmenge« ist noch keine Masse, »solange sich jene Bindungen in ihr nicht hergestellt haben«206 , und wenn der Einzelne zugleich an der Masse von Rasse, Stand, Glaubensgemeinschaft und Staatlichkeit Anteil haben können soll207 , muss die Massenpsyche sich auch über beträchtliche Distanzen hinweg aufrechterhalten können. In einem zweiten Schritt differenziert Freud nun die vertikale von der horizontalen Libido-Bindung und dies nach dem Modell des Ödipuskomplexes. Der »Knabe« unterhält zur Mutter eine sexuelle Objektbesetzung, zum Vater aber eine Objektbesetzung der Identifizierung. Im einen Falle ist das Objekt das, »was man haben möchte«, im anderen das, »was man sein« will. Die Identifizierung ist zudem diejenige Objektbindung, die ontogenetisch noch vor der sexuellen auftritt, der »Knabe« identifiziert sich demnach zuerst mit dem Vater, bevor er die sexuelle Besetzung der Mutter entwickeln kann. Zugleich bleibt aber eine Übergängigkeit von sexueller zur identifikatorischen Objektbesetzung offen. Muss die sexuelle Besetzung verdrängt werden, so ist etwa eine Regression zur Identifizierung möglich, d.h. das Objekt, das man nicht haben kann, will man dann zumindest sein, es kommt also zur »Introjektion des Objekts ins Ich«.208 Aus diesem Komplex heraus kann Freud nun den Vorgang der psychischen Infektion remodellieren: Es gebe Symptomatiken, in denen die Identifizierung gänzlich von ihrem Objektverhältnis absehe bzw. dieses nur eingehe, weil eine »bedeutsame Analogie«, eine »gleiche[] Gefühlsbereitschaft« bestehe. Freuds Beispielfall ist der eines Mädchenpensionats, in dem eines der Mädchen durch den Brief eines Geliebten einen hysterischen Anfall bekommt und dieser sich auf die übrigen Mädchen ausbreitet, da sie sich ebenfalls nach einem Geliebten sehnen, dies aber verdrängen und sich stattdessen mit jenem Mädchen identifizieren, das einen Geliebten hat, und dadurch unbewusst deren hysterische Symptomatik aufnehmen. Die psychische Infektion zwischen den Mädchen beruht also auf einer Identifizierung, die sich aus der sexuellen Objektbesetzung eines der Mädchen zu einem Dritten ergibt. »Wir ahnen bereits«, folgert Freud, »daß die gegenseitige Bindung der Massenindividuen von der Natur einer solchen Identifikation durch eine wichtige affektive Gemeinsamkeit ist, und können vermuten, diese Gemeinsamkeit liege in der Art der Bindung 206 Ebd., S. 94f. 207 Vgl. ebd., S. 120. 208 Ebd., S. 98-100.

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an den Führer.«209 Die psychische Infektiösität innerhalb der Masse kommt also durch die gegenseitige Gefühlsbindung per Identifizierung zustande, die sich ihrerseits durch die gemeinsame vertikale Libido-Bindung zum Führer generiert. Die sexuelle Objektbesetzung differenziert sich Freud zufolge nun aber danach, ob diese »zielgehemmt[]« bleibt oder nicht. Die zielgehemmten sexuellen Objektbesetzungen entstehen in phylogenetischer Perspektive, indem die »direkte[] Sexualbefriedigung« nur temporär andauert und die »begierdefreien Zwischenzeiten« durch »eine dauernde Besetzung« überbrückt werden muss, in ontogenetischer Perspektive, indem das Kind die sexuelle Objektbesetzung zu den Eltern verdrängen muss, sodass eine nur »zielgehemmte« Objektbesetzung verbleibt. Diese kann sich erst in der Pubertät wieder mit den ungehemmten Trieben vereinigen, um sich so auf »direkte[] Sexualziele[]« ausrichten zu können. Kommt es aber zu einer vereinseitigt zielgehemmten Objektbesetzung, tritt das Phänomen der »Idealisierung« auf. Das Ichideal, mit seinen Funktionen von Kritik, normativem Urteil und Realitätsprüfung, versagt bzw. wird durch das idealisierte Objekt ersetzt: »alles, was das Objekt tut und fordert, ist recht und untadelhaft«. Während das Objekt sich also bei der Regression zur Identifizierung an die Stelle des Ichs setzt, tritt bei der Idealisierung durch zielgehemmte Objektbesetzung das Objekt an die Stelle des Ichideals, das dadurch seine kritische Funktion an das Objekt veräußert.210 Hierüber kann Freud nun auch die hypnotische Suggestion der Massenpsychologie mit Hilfe der Libido-Theorie neu befüllen: Die zielgehemmte Verliebtheit entspreche exakt dem Szenario der Hypnose, mehr noch, »[a]lle Verhältnisse sind in der Hypnose nur noch deutlicher und gesteigerter« erkennbar. Der Hypnotisierte wie der Verliebte erlebt wie im Traum, was das befehlende Gegenüber von ihm verlangt oder behauptet. Die Realitätsprüfung und das kritische Urteil des Ichideals sind suspendiert. Auf diese Weise öffnet Freud eine Vergleichsreihe, die sich zwischen Verliebtheit, Hypnose und Masse aufspannt. Während in der Verliebtheit die sexuelle Zielhemmung in der Regel nicht von Dauer ist und die Ersetzung des Ichideals demnach abgeschwächt wird, ist in der Hypnose die Hemmung dauerhaft und der Verlust von Realitätsprüfung und normativer Eigenkontrolle durch das Ichideal kann dadurch keine Abschwächung erfahren. Die Masse ist dann nur insofern Masse, als sie Ergebnis einer Massenhypnose durch ihren Führer ist, oder umgekehrt: »die hypnotische Beziehung [ist] eine Massenbildung zu zweien«. Das, was sich zwischen Hypnotisiertem und Hypnotiseur abspielt, entspricht dem, was zwischen dem Einzelnen in der Masse und seinem Führer geschieht.211 Die libidinöse Bindung in der Vertikalen zwischen Masse und Führer entspricht einer dauerhaft zielgehemmten Verliebtheit, einer Hypnose, die, da sie gleichmäßig in al209 Ebd., S. 100f. 210 Ebd., S. 104-106. 211 Ebd., S. 106f.

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len Massengliedern entsteht, als affektive Analogie zwischen diesen wirksam wird und zur libidinösen Bindung in der Horizontalen führt; als Identifizierung setzt sie dann die psychische Infektiösität in ihrem Innenraum frei. Es lässt sich somit beobachten, wie Freud mit einigem Aufwand diejenigen Modelle und Konzepte der Psychoanalyse ausfindig macht, die sich für eine Ausfüllung der massenpsychologischen Leerformeln von Suggestion und Hypnose eignen. Das, was bei Le Bon noch größtenteils rhetorisch evoziert werden muss, statt terminologisch bestimmt werden zu können, überführt Freud in ein vergleichsweise stabiles Theroiedesign. Ansonsten verbleibt er aber in den groben Linien, die Le Bon und andere bereits vorgezeichnet haben. Und dies gilt auch und besonders für die Rolle, die der Masse in der Deutung der Geschichte zukommt. In der massenpsychologischen Emergenz erkennt Freud nämlich, wie auch Le Bon, weniger ein modernes als ein archaisches Phänomen – und zwar das der Urhorde. Darwins Urhordenhypothese hatte Freud bereits sieben Jahre zuvor in »Totem und Tabu« aufgegriffen und sie genutzt, um an ihrem Modell die gleichzeitige Entstehung von Totemismus und Exogamie erklären zu können212 , deren Triebregulierungsmechanik er als Ausdruck eines zwar primitiven, aber dennoch vorhandenen »Kulturniveaus« darzustellen sucht.213 Sein Interesse hieran speist sich aber von vornherein nicht aus diesem selbst, sondern eher aus der Annahme, im Primitiven die »gut erhaltene Vorstufe unserer eigenen Entwicklung« erkennen zu können.214 Wenn Freud die Urhordenhypothese nun in »Massenpsychologie und Ich-Analyse« wieder aufgreift, geschieht dies, um die Psychologie der Masse als ein »Wiederaufleben der Urhorde« beschreiben zu können, die ja ebenfalls – und dies schon bei Darwin – »von einem starken Männchen unumschränkt beherrscht[]« wird.215 So wie der Urvater seine Söhne an der Verfolgung ihrer sexuellen Triebregungen hindert und dadurch eine zielgehemmte Objektbesetzung seiner selbst und eine Identifizierung zwischen den Brüdern generiert, so kommt dieses archaische Erbe auch in der Masse wieder zum Vorschein. Freud kann somit »den Fortbestand der Urhorde in ihr« erkennen. In der Welt der Urhorde gab es demnach nichts als Massenpsychologie, die Individualpsychologie dagegen mit ihrer narzisstischen Eigenliebe, mit ihren intellektuellen Fähigkeiten und ihrem starken Willen war allein dem einen »Übermensch«, dem ersten Führer, dem Urvater vorbehalten.216 Wenn in der Emergenz der Masse, in welcher »der psychische Oberbau«, d.h. die individuierenden, intellektuellen Fähigkeiten des Einzelnen, »abgetragen« und das »bei allen gleichartige unbewußte Fundament […] bloßgelegt« 212 Vgl. Freud, Sigmund: »Totem und Tabu«, in: ders.: Studienausgabe, Bd.9, S. 287-444, hier: S. 424430. 213 Ebd., S. 385. 214 Ebd., S. 295. 215 Freud: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, S. 114. 216 Ebd., S. 114-116.

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wird217 , handelt es sich somit wiederum um eine Enthüllung, in der das, was sich seit der Urzeit entwickeln konnte, zur Seite geschoben wird, um darunter dessen archaischen Untergrund zum Vorschein zu bringen und zugleich zu beweisen, dass dieser nie wirklich fort, sondern immer nur suspendiert war. Bei Freud wie bei Le Bon ist die Masse die Ausnahme von der Kultur, der Ausnahmezustand in der Kultur und eine (Prä-)Figuration der Apokalypse, die zurück in den Naturzustand führt. Und wie bei Le Bon ist es auch die Masse, die den apokalyptischen Rückfall in den Naturzustand herbeiführen könnte, denn, so beschreibt Freud es sechs Jahre nach seiner massenpsychologischen Schrift in »Die Zukunft einer Illusion«, der »Druck, den die Kultur ausübt, die Triebverzichte, die sie verlangt«, erzeugt Kulturfeindschaft, die auf die »Aufhebung der Kultur« drängt, auf den »Naturzustand«.218 Diese Kulturfeindschaft wurde in vergangen Zeiten durch die Kultur selbst im Zaum gehalten, etwa durch Kunst219 , vor allem aber durch die Religion, deren Hauptaufgabe es ist, »für die Leiden und Entbehrungen zu entschädigen, die dem Menschen durch das kulturelle Zusammenleben auferlegt werden«. Zudem soll die Bindungswirkung der Kultur garantiert und gestärkt werden, indem ihren Vorschriften selbst göttliche Abkunft zugesprochen werden.220 Da nun aber die Religion an Einfluss verliert, verliert auch die durch sie gestützte Verbindlichkeit der Kulturvorschriften, die den Triebverzicht regulieren sollen, an Wirkung.221 Wenn die Kulturfeindschaft der Massen nicht mehr durch Religion gebändigt werden kann, bleiben für Freud zwei Optionen, »entweder strengste Niederhaltung dieser gefährlichen Massen […] oder gründliche Revision der Beziehung zwischen Kultur und Religion«.222 Natürlich votiert Freud für Letzteres, denn er ist überzeugt, »daß es eine größere Gefahr für die Kultur bedeutet, wenn man ihr gegenwärtiges Verhältnis zur Religion aufrechterhält, als wenn man es löst«.223 Entweder also eine Aufklärung der Massen, durch welche die Akzeptanz der Kulturverbote nicht mehr durch instrumentalisierte Religion gestützt werden müsste, oder die Kultur droht durch die religiös entbundenen Massen vernichtet zu werden, um den von ihr verhüllten archaischen Naturzustand wieder zum Vorschein zu bringen. Im Vergleich zu Le Bon scheint die aristokratische Indignation gegen die Masse zwar abgeschwächt und auch ist Freud weniger an einer kontrollwissenschaftlichen Handlungsanweisung für den Staatsmann gelegen denn an einem Erklärungsmodell für die Suggestibilität der Masse. Die apokalyptische Folie aber, 217 Ebd., S. 69. 218 Freud, Sigmund: »Die Zukunft einer Illusion«, S. 149. 219 Vgl. ebd., S. 147. 220 Ebd., S. 152. 221 Vgl. ebd., S. 171f. 222 Ebd., S. 173. 223 Ebd., S. 169.

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innerhalb derer die Masse ihre Position in der Menschheitsgeschichte zugewiesen bekommt, bleibt weitgehend bestehen. Die massenpsychologische Apokalyptik dient demnach sowohl Le Bon als auch Freud dazu, einen zivilisatorischen Innenraum mit einem Außenraum verschalten zu können, den sie als Naturzustand verstehen. Die Masse kommt dabei als dessen Potentialität im Innenraum der Ordnung zu stehen, die sich zunächst nur ausnahmsweise manifestiert, bis sie sich, im Moment der vollständigen Entschleierung, als Ende der Geschichte offenbart, das sich aber, so wird es zumindest bei Le Bon explizit, innerhalb einer zyklisch gedachten Geschichtsphilosophie zugleich als potentieller Null- und Ausgangspunkt neu anhebender Zivilisationsgeschichten zur Verfügung stellt. Dass Le Bon dabei den in der Masse verschmolzenen Menschen als »Barbar« beschreibt, der »mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab[gestiegen]« ist224 , und Freud dem emphatisch zustimmt und der Analogie zum »Primitiven« sogleich noch die Psychologie »der Kinder und der Neurotiker« ergänzend beifügt225 , kann demnach kaum ein Zufall sein, handelt es sich hier doch um jene Diskurs- und Traditionslinie, die Erhard Schüttpelz als literarischen Primitivismus beschrieben hat. In der Tat stellt er dabei für die »deutsche Geistesgeschichte und Literatur« Sigmund Freud als einen ihrer wesentlichen Exponenten heraus.226 Mehr noch, die Psychoanalyse komme »[a]ls letztes geschlossenes Bollwerk dieser modernistischen Disposition oder ›Mentalität‹« zu stehen und habe daraus eine »Lingua franca der Kulturwissenschaften gemacht«, die bis heute einer konsequenten Aufschlüsselung ihrer Konstruktionen im Wege stehe.227 Den literarischen Primitivismus verortet Schüttpelz in einer »Achse« zwischen »Philosophie und Literatur, Ethnologie und Literaturwissenschaften«, die – anders als der Primitivismusbegriff der Bildenden Kunst – nicht auf eine Ikonographie, sondern auf »die Figur einer ›primitiven Mentalität‹« ausgerichtet ist.228 Diese Achse kommt zu stehen, als die Kategorie des Primitiven in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Eingang in anthropologische Diskurse findet, und ebbt erst nach der Entkolonisierung Mitte des 20. Jahrhunderts wieder ab.229 Sie zeichnet sich dabei vor allem durch das aus, was Schüttpelz mit Lévi Strauss als »archaische Illusion« beschreibt. Sie bewirkt, dass das Verhalten von Kindern, das Verhalten 224 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 17. 225 Freud: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, S. 74. 226 Schüttpelz, Erhard: »Zur Definition des literarischen Primitivismus«, in: Nicola Gess (Hg.): Literarischer Primitivismus, Berlin/Boston: De Gruyter 2013 (=Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, 143), S. 13-27, hier: S. 24. 227 Schüttpelz, Erhard: »Elias Canettis Primitivismus. Aus der Provinz der Weltliteratur«, in: Susanne Lüdemann (Hg.): Der Überlebende und sein Doppel. Kulturwissenschaftliche Analysen zum Werk Elias Canettis, Freiburg i.Br.: Rombach 2008 (=Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae, 150), S. 287-309, hier: S. 305. 228 Vgl. ebd., S. 288. 229 Vgl. Schüttpelz, Erhard: »Zur Definition des literarischen Primitivismus«, S. 20f.

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von Geisteskranken und das Verhalten von Menschen aus ›primitiven‹ Kulturen als ähnlich und vertauschbar erscheinen, da der erwachsene, apathologische und sich als zivilisiert betrachtende Beobachter in allen drei Fällen Abweichungen von den Verhaltensstrukturen erkennt, die ihm antrainiert wurden. Das Kind, der Geisteskranke wie der ›Primitive‹ pflegen somit Verhaltensweisen, die dem Kind im Laufe seiner Erziehung noch abtrainiert werden müssen, die im ›Verrückten‹ als pathologische Anomalie hervortreten und die im ›Primitiven‹ als kulturelle Abweichung vorhanden sind.230 Über diese Dekonstruktion der »archaischen Illusion« kann Lévi-Strauss die primitivistische Asymmetrie resymmetrisieren: Für den Primitiven entspricht also das Verhalten des Zivilisierten dem, was wir infantiles Verhalten nennen würden, und zwar genau aus dem gleichen Grund, aus dem wir bei unseren eigenen Kindern Andeutungen oder Umrisse von Verhaltensweisen erkennen, deren vollständiges und entwickeltes Bild die primitive Gesellschaft zeigt.231 Das Verhalten des Erwachsenen stellt somit gewissermaßen eine kulturell induzierte, stabilisierte Selektion aus einem Reservoir an möglichen Verhaltensoptionen dar, aus dem das Kind aber noch voll schöpfen kann und aus dem der Geisteskranke auf gänzlich idiosynkratische Weise selegiert. Erblickt der Erwachsene das Verhalten einer fremden Kultur, erscheint ihm dieses deshalb infantil, verrückt – oder eben ›primitiv‹ –, weil er dabei nur wieder dessen ansichtig wird, was die Selektion seiner Verhaltensoptionen permanent ausschließen muss. Wenn sich der literarische Primitivismus demzufolge aber in der Welt der Erwachsenen wähnt und auf die ihm fremden Kulturen wie auf ungezogene Kinder blickt, kommt dies nicht nur dem Ausschluss der fremden Kulturen aus der modernen Fortschrittserzählung gleich, der Allochronie des Primitiven, es ist zugleich der Selbstausschluss aus der »mehrheitlichen Ökumene der Menschheit«, aus der geschichtlich-genealogischen Kontinuität, in der die Mehrheit der Menschheit außerhalb der imperialistischen Ursprungsnationen verblieben sind.232 Aus diesem Befund leitet Schüttpelz nun die Definition des literarischen Primitivismus ab: Als moderne Primitivisten und Primitivistinnen sollte man nur solche Künstler, Schriftsteller, Komponisten, Wissenschaftler und Philosophen bezeichnen, für die nachgewiesen werden kann, dass sie ein Projekt entwickelt oder durchgeführt haben, in dem der Exklusivitätsanspruch der eigenen Genealogie durch den Rekurs 230 Vgl. ebd., S. 19. 231 Lévi-Strauss, Claude: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981, S. 163, vgl. außerdem S. 159-165. 232 Schüttpelz: »Zur Definition des literarischen Primitivismus«, S. 22.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

auf eine universalere – und zwar eine allochrone, sprich: ›primitive‹ – Ökumene der Menschheit konterkariert oder supplementiert wurde.233 Wenn nun aber der eigene Exklusivitätsanspruch gegenüber der primitiven Allochronie zugleich einen Selbstausschluss zur Folge hat, nach der sich der moderne Primitivismus nicht nur einer vorzivilisatorischen »Bevölkerungsmehrheit« gegenüber wähnt, sondern diese zugleich auch, »aufgrund ihrer Verschränkung von Vorzeit und Außenwelt«, als einen »›Abgrund von Zeit‹« erlebt234 , so zeigt sich, dass dieser primitivistischen Konstellation bereits eine apokalyptische Relationierung soweit implizit ist oder sie diese soweit vorbereitet, dass Le Bon wie Freud nur Weniges hinzufügen müssen, um sie deutlich herausstellen und explizit ausformulieren zu können. Denn wenn das Primitive per Analogie in den vermeintlich abgegrenzten Innenraum der Zivilisation hineinreicht, darin also als Potentialität aufgespeichert bleibt, muss nicht viel hinzugedacht werden, um eine Unterminierung des zivilisatorischen Innenraumes als Entschleierung vorzustellen, oder: als Sturz in den »Abgrund von Zeit«. Die Verbindung, die hier aufscheint und die den Komplex des modernen Primitivismus mit der geschichtsphilosophisch formulierten Apokalyptik der massenpsychologischen Schriften Gustave Le Bons und Sigmund Freuds verbindet, ist, so wird sich zeigen, gerade dort bedeutsam, wo das Zombiegenre im (post-)kolonialen Kontext der US-amerikanischen Besetzung Haitis erstmals in Erscheinung tritt und der untote Voodoo-Sklave zu jenem Kreuzungspunkt wird, über den sich genuin massenpsychologische mit allgemein primitivistisch diskursivierten Herrschaftsverhältnissen analogisieren lassen, bis die prekäre Steuerungsinstanz versagt und jenes »Zeitalter der Massen«235 anbricht, das Le Bon so fürchtet. Wenn man nun abschließend die hier diskutierten, theoretischen Entwürfe überblickt, wird ein Enwicklungsverlauf sichtbar, in dem eine aristokratistisch gedachte Apokalypse der Masse bei Le Bon und Freud einer völkischen Remodellierung bei Schmitt weicht. Zunächst zeigt sich dieses theoretische Setting als Verschaltung eines Außen mit einem Innen. Der Innenraum wird beschrieben als Kultur, Zivilisation, Recht und Ordnung, als ein regelhaftes Ablaufen hergebrachter, gesellschaftlicher Operationen. Das Außen dagegen ist all das, was im Innenraum suspendiert werden kann, das Archaische und ›Primitive‹, die Gewalt und der kriegerische Kampf, das Natürliche und Gattungsmäßige. Innenraum und Außenraum werden durch das jeweilige Gegenteil dichotomisch konturiert, weisen aber zugleich eine Übergängigkeit auf, die als temporäre oder dauerhafte Außerkraftsetzung des Innenraumes figuriert. Ersteres ist der Ausnahmezustand, Letzteres die 233 Ebd., S. 24. 234 Ebd., S. 22. 235 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 2.

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Apokalypse, in der das, was das Innen ausmacht, weicht, um das, was darunter verborgen war, zu enthüllen. Diese, spezifisch apokalyptische, Relationierung eines Innenraumes mit einem Außenraum, einer Immanenz mit einer Transzendenz, verfällt nun zuverlässig darauf, eine spezifische Relationierung der Vielen mit den Wenigen zu implementieren. Bei Le Bon und Freud ist diese Relationierung aristokratistisch, die Vielen drohen die notwendige Steuerungsleistung der Wenigen zu unterminieren und führen dadurch das apokalyptische Ende von Kultur und Zivilisation herbei. Bei Schmitt wandelt sich dies nun, der apokalyptische Ausnahmezustand ist ein notwendiges Moment seiner Souveränitätstheorie, denn nur in ihm kann das souveräne Kollektiv zu sich selbst kommen. Und zugleich ist dieses Kollektiv ein Funktionszusammenhang von Volk und Führer, der entweder durch Akklamation236 oder durch eine völkisch gedachte Artgleichheit237 generiert und stabilisiert wird. Dabei ist die Steuerungsinstanz nicht allein auf einer Seite des Funktionszusammenhanges angesiedelt, denn die durch Akklamation getragene Diktatur kann kaum als einseitige Kontrolle gewertet werden, sondern scheint vielmehr einer wechselseitigen, man könnte sagen: kybernetischen, Kopplung von Diktator und Volk zu entsprechen. Und auch der durch Artgleichheit konstituierte »fortwährende untrügliche Kontakt« und die dadurch gegebene »gegenseitige Treue« stellen gerade keinen Zusammenhang von Über- und Unterordnung dar, der Führer ist dem Volk nicht »transzendent«, vielmehr soll Führung »ein Begriff unmittelbarer Gegenwart und realer Präsenz« sein238 , und gemeinsam enthüllen sie sich als souveräne Freundesgruppe, sobald sie der Meinung sind, dass der Fall der Fälle einzutreten hat.239 Schmitt distanziert sich demnach in doppelter Weise vom aristokratistischen Modell, und zwar durch eine Aufwertung sowohl der Apokalypse als auch der Masse. Freud und Le Bon, indes, können diese nur als Gefahr betrachten, da sie jene hervorzubringen droht. Während die Massenpsychologie also die zentralisierte Steuerungsinstanz der Aristokratie durch die Masse entweder bereits unterminiert, oder zumindest durch diese radikal bedroht sieht, findet Schmitt gerade im bellizistisch 236 237 238 239

Vgl. Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22f. Vgl. Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, S. 42. Ebd., S. 41f. Dass Schmitt die totalitäre Führung nicht als Transzendenzverhältnis auffassen will, lässt Hebekus darauf schließen, Schmitt habe »das nationalsozialistische Politische« als »reine Immanenz« beschrieben. Vgl. Hebekus, Uwe: »Die totalitäre Masse. Zu Leni Riefenstahls Triumph des Willens«, in: Lüdemann u.a. (Hg.): Massenfassungen, S. 163-200, hier: S. 164f. Hebekus verkennt dabei aber, dass Schmitts Ausarbeitungen des nationalsozialistischen Herrschaftsmodells weiterhin bemüht sind, sich als Anknüpfungen an seine vorherigen Theoreme auszuweisen. Der durch Artgleichheit hergestellte Verbund von Führer und Gefolgschaft lässt sich demnach als die interne Organisation der souveränen Freundesgruppe lesen, ohne dass dabei, gewissermaßen im Außenverhältnis, die vormals entworfene Notwendigkeit des enthüllenden Ernstfalls je explizit zurückgenommen wäre.

3. Theorie: Vom apokalyptischen Ende der Ordnung zum Naturzustand der Masse

sich offenbarenden Volkskollektiv die Hoffnung, jene zentralisierte Steuerungsinstanz restaurieren und reinthronisieren zu können, die in der heterarchen Operativität eigenlogischer Subsysteme verloren gegangen ist. Es zeigt sich deutlich, dass die massenpsychologische mit der völkischen Modellierung insofern konvergiert, als sie beide eine enge Kopplung von Masse und Apokalypse entwerfen, eine wechselseitige Durchdringung zweier Theoreme, die im einen Fall als aristokratistisch-autoritäre Drohkulisse und im anderen als autoritär-revolutionäre Verheißung fungiert.

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4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Ein Genre, so wurde es oben beschrieben, ist als ein iteratives Geschehen zu denken, in dem sich die Erwartungen der Rezipienten mit deren produzentenseitiger Antizipation, d.h. mit Erwartungserwartungen, verschränken. Die daraus generierten Werkantworten ergeben eine Reihe, deren Schwingen zwischen Redundanz und Modifikation die genreinterne Prozessierung von Reizen der gesellschaftlichen Umwelt ermöglicht. Worin bestehen nun aber diese Reize im Fall des ZombieGenres? Die Antwort auf diese Frage ist dem Kernanliegen dieser Arbeit bereits implizit. Wenn die folgende Untersuchung nämlich eine autoritär politisierbare Kopplung aus Masse und Apokalypse in den Filmen, TV-Serien, Romanen und Comics des Zombie-Genres nachweisen und in ihrer diachronen Entwicklung beschreiben soll, so ist damit bereits die Hypothese formuliert, dass eine der »benachbarten […] sozialen Reihen«1 , auf die eine Analyse der Zombie-Reihe stoßen muss, in einem Diskurs gesellschaftlicher Selbstbeschreibung zu finden ist, genauer: dass Topoi einer autoritären Perspektive auf die funktionale Differenzierung von Gesellschaft genreintern prozessiert worden sind. Damit soll freilich kein theoretisch verklausuliertes Einflussargument formuliert sein, es muss nicht unterstellt werden, William Seabrook, George Romero und Danny Boyle müssten treue Leser jener massenpsychologischen und politisch-theologischen Werke gewesen sein, die hier zur Entwicklung einer brauchbaren Theoriesprache herangezogen wurden. Vielmehr darf angenommen werden, dass auch theoretische Texte in einer bestimmten Reihung generiert werden und dass diese dadurch ebenfalls eine eigengesetzliche Prozessierung von Reizen ihrer gesellschaftlichen Umwelt entwickelt haben müssen. Wenn sich also nachweisen ließe, dass sich Theoreme der Massenpsychologie Gustave Le Bons und Sigmund Freuds sowie der Politischen Theologie und Theorie Carl Schmitts auf die Fiktionen des Zombie-Genres applizieren lassen, oder umgekehrt: dass sich die Fiktionen des Zombie-Genres auf die Theoreme projizieren lassen, so scheinen offenbar vergleichbare Reize der gesellschaftlichen Umwelt 1 Tynjanov: »Über die literarische Evolution«, S. 434.

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Masse & Apokalypse

prozessiert worden zu sein. Auch lässt sich, mit einer gewissen Latenz, eine Analogie in der historischen Abfolge beobachten. Indem das Korpus die Dreiteilung der Genregeschichte aufgreift, sich also in eine erste Phase von Einzelproduktionen unterteilt, in eine zweite Phase, die das apokalyptische Erzählmuster als redundante Variationsschleife serialisiert, und in eine dritte Phase, die über das apokalyptische Ereignis in potentiell unabschließbarer Weise hinwegerzählt, so lässt sich nachzeichnen, wie zunächst die massenpsychologisch-aristokratistische Modellierung greift, um dann ab der zweiten Phase von der autoritär-revolutionären Remodellierung zunehmend überlagert zu werden.

4.1.

Kontrolle und Kontrollverlust. Von »White Zombie« zu »Night of the Living Dead«

Wann das Zombie-Genre seine ersten schlurfenden Schritte unternommen hat, scheint zunächst eindeutig und einfach zu datieren. Mit William Seabrooks 1929 erschienenem Reisebericht »The Magic Island« gelangt die als »Zombie« benannte Figur eines untoten Voodoo-Sklaven erstmals in die US-amerikanischen Öffentlichkeit.2 Das Buch entwickelt sich rasch zum Bestseller und prägt auf Jahrzehnte das Bild Haitis und des dort praktizierten Voodoo.3 Zugleich wird es 1932 zum Ausgangspunkt und Quellenmaterial für »White Zombie«, dem ersten Kinofilm also, der den untoten Voodoo-Sklaven im Repertoire des amerikanischen Spielfilms verankert.4 Auf den zweiten Blick verunklart sich diese Datierung aber wieder, verweisen doch einige Forschungsbeiträge auch auf den expressionistischen Stummfilm »Das Cabinet des Dr. Caligari« von 1920, der zumindest als wichtiger Vorläufer5 , 2 Vgl. Kee, Chera: »›They are not men…they are dead bodies!‹: From Cannibal to Zombie and Back Again«, in: Christie et al.: Better Off Dead, S. 9-23, hier: S. 13. 3 Vgl. Vials, Chris: »The Origin of the Zombie in American Radio and Film. B-Horror, US Empire and the Politics of Disavowal«, in: Boluk et al. (Hg.): Generation Zombie, S. 41-53, hier: S. 44. 4 Vgl. etwa Phillips, Gyllian: »White Zombie and the Creole. William Seabrook’s The Magic Island and American Imperialism in Haiti«, in: Boluk et al. (Hg.): Generation Zombie, S. 27-40, hier: S. 27, 31. 5 Vgl. etwa Fuhrmann, Wolfgang: »Der Gefangene von Dahomey. Ein kolonialer Zombie«, in: Fürst et al. (Hg.): Untot, S. 37-43, hier: S. 37. Fuhrmann sieht auch im Propagandafilm der Deutschen Kolonialfilm GmbH »Der Gefangene von Dahomey« (1918) einen solchen Vorläufer, während Krautkrämer diesen sogar zum eigentlichen »ersten Zombiefilm« erklärt, bei dem nur »das Wort Zombie« noch keine Verwendung gefunden habe. Vgl. Krautkrämer: »A Matter of Life and Death«, S. 25. Tatsächlich wird dort die spätere Voodoo-Zombifizierungsmethode bereits in Teilen vorweggenommen, d.h. der deutsche Kolonialist Burgsdorf, der dem Film als Protagonist dient, wird von seiner späteren Geliebten, einer Afrikanerin, aus der französischen Gefangenschaft befreit, indem sie ihn mittels eines Pulvers in einen Scheintod versetzt und nach Beerdigung und Exhumierung per Gegengift wieder »zum Leben erweckt«. Vgl. Fuhrmann: »Der Gefangene von Dahomey«, S. 38f. Allerdings findet Burgsdorf eben intakt und nicht zombifiziert aus dem Grab und untersteht keinerlei fremder Kontrolle. »Das Cabinet des Dr. Caligari« steht der späteren

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

wenn nicht gar als der eigentliche erste Zombie-Film zu gelten habe.6 Tatsächlich spricht einiges dafür, starke Parallelen zwischen Cesare, dem somnambulen Gehilfen und Mordinstrument des Dr. Caligari, und dem ersten Erscheinen des Voodoo-Zombies im Kinofilm zu erkennen. Die Handlung in »Das Cabinet des Dr. Caligari« verläuft in zweifacher Verschachtelung. Der Film setzt mit einer Rahmenhandlung ein und zeigt den Protagonisten Franzis auf einer Bank sitzend, wie er einem älteren Herrn, der von umherspukenden Geistern spricht, die Geschichte von sich und seiner Braut zu erzählen beginnt, denn das, was er »mit dieser erlebt habe«, sei »noch viel seltsamer«.7 Während die Frau, die er für seine Braut hält, traumverloren um sie her wankt, setzt die Binnenerzählung ein, die den Hauptteil des Filmes ausmacht und sich um Dr. Caligari und seinen somnambulen Diener Cesare dreht. Franzis besucht mit seinem Freund Alan den Jahrmarkt, wo Caligari sein »Schauobjekt« präsentiert8 , »Cesare, der Somnambule«, der seit dreiundzwanzig Jahren ununterbrochen schlafe und vor den Augen des Publikums auf Caligaris Kommando »aus der Totenstarre erstehen« werde und, da er »alle Geheimnisse« kenne und die Vergangenheit wie die Zukunft sehen könne, dem Publikum jede Frage beantworten werde.9 Cesares Weissagungen erweisen sich dann deshalb als zutreffend, weil er offenbar deren Eintreten garantiert: Auf Alans Frage, wie lange er noch zu leben habe, antwortet der Somnambule, »[b]is zum Morgengrauen«10 , und wird in der folgenden Nacht von Caligari zur Erfüllung seiner Prophezeiung entsendet.11 Alan ist bereits das zweite Opfer, zuvor hat Caligari den Somnambulen schon einen Stadtsekretär umbringen lassen, der ihn in der Amtsstube bei der Genehmigung seines Jahrmarktstandes abfällig behandelt hatte, und auch die von Franzis wie Alan umworbene Jane, die Franzis zuvor als seine Braut vorgestellt hatte, entrinnt nur knapp dem gleichen Schicksal.12 Bald kommt Franzis Caligari auf die Spur, verfolgt ihn bis in eine »Irrenanstalt«13 , wo er als Direktor tätig ist und sein »Specialstudium« dem Somnambulismus widmet.14 Hier nun wird die Binnenerzählung zur Rahmenhandlung für eine zweite Binnenerzählung, denn Ausgangspunkt für Caligaris Forschung ist ein Bericht, den Franzis in Caligaris Büro vorfindet und der Unterwerfungsmechanik im Vergleich sehr viel näher und erscheint, wenn der Einsatzpunkt des Zombie-Genres tatsächlich vordatiert werden soll, als plausiblerer Kandidat für einen apokryphen Ursprung desselben. 6 Vgl. Meteling: Monster, S. 112; Boon, Kevin: »And the Dead Shall Rise«, S. 6f. 7 Das Cabinet des Dr. Caligari, 0:03:52. 8 Ebd., 0:09:48. 9 Ebd., 0:14:51-0:20:32. 10 Ebd., 0:21:28. 11 Ebd., 0:23:19 und 0:25:16. 12 Ebd., 0:07:51-0:10:28, 0:13:06-0:13:59 und 0:43:45-0:47:44. 13 Ebd., 0:52:36. 14 Ebd., 0:56:30.

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über abgefilmte Buchseiten wiedergegeben wird. Ihm zufolge zog 1703 ein Mystiker namens Dr. Caligari mit dem Somnambulen Cesare über die Jahrmärkte OberItaliens, den er »vollständig unter seinen Willen gezwungen« habe, um ihn in einer Stadt nach der anderen Morde begehen zu lassen.15 Der Direktor der Irrenanstalt, so macht es die darauffolgende Montage aus abgefilmten Passagen seines Tagebuchs und szenischen Rückblenden deutlich, ist fasziniert von der Idee, die Steuerung eines Somnambulen, wie sie vom Mystiker Caligari überliefert ist, in einem Experiment selbst zu erproben, und kann dieses Vorhaben, als ein Somnambuler in seine Anstalt eingeliefert wird, endlich umsetzen. Er möchte ergründen, »ob es wahr ist, daß ein Somnambuler zu Handlungen gezwungen werden kann, die er im wachen Zustand niemals begehen, die er verabscheuen würde«.16 Wenig später ist der Direktor überführt, er wird per Zwangsjacke fixiert und in eine Zelle gesperrt. Auch wenn die Binnenerzählung kurz darauf von der Rahmenhandlung vollständig subvertiert wird, indem Franzis sich als Insasse der Irrenanstalt herausstellt, dessen Erzählung folglich als Wahnvorstellung gelten muss, und am Ende nicht Caligari, sondern Franzis sich in Zwangsjacke und Einzelzelle wiederfindet17 , zeigen sich doch in der Binnenerzählung zentrale Elemente, die den frühen Zombie-Film in Teilen vorwegzunehmen scheinen. Hier wie dort wird ein HerrKnecht-Verhältnis aufgerufen, bei dem der Herr eine bewusst kalkulierende Instanz einnimmt, während der Knecht zum unbewusst agierenden, gehorsamen und gerade dadurch vielfältig einsetzbaren Instrument des Befehlenden wird. Dass der bewusstlose Knecht dabei innerdiegetisch als Somnambuler geführt wird, als Schlafwandler, dem Caligari seinen Willen aufzwingen kann, ruft beinahe explizit den zeitgenössischen Hypnose-Diskurs auf, und auch deshalb lässt sich Freuds Einschaltung der Libido-Theorie hier passgenau anwenden, d.h. die dauerhaft gehemmte Objektbesetzung der Idealisierung, durch die sich der Hypnotiseur im Hypnotisierten an die Stelle seines Ich-Ideals setzen und seine Fähigkeit zu Kritik und Realitätsprüfung suspendieren kann, sodass der Hypnotisierte nur noch traumhaft erlebt, wie er alles tut, was sein Meister von ihm verlangt.18 Auffallend ist zudem, dass bereits hier dem bewusstlosen Sklaven eine untote Qualität zugesprochen wird, denn nicht nur bewahrt Caligari seinen Cesare in einem sargähnlichen Holzkasten auf19 , er beschreibt dessen Dauerschlaf auch als »Totenstarre«, aus der er auf seinen Befehl hin »erstehen«20 , also in einen schlafwandlerischen Befehlsempfängermodus hinüberwechseln werde. 15 Ebd., 0:56:50-0:58:20. 16 Ebd., 0:58:20-1:01:03. 17 Ebd. 1:09:00-1:12:40. 18 Vgl. Freud: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, S. 105-108. 19 Vgl. Das Cabinet des Dr. Caligari, 0:17:45. 20 Ebd., 0:15:58.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

So stabil und eindeutig das Machtgefälle hier zunächst erscheint, so brüchig erweist es sich doch bei genauerer Betrachtung. Irritierenderweise trägt der Somnambule nämlich ausgerechnet den Namen eines römischen Diktators, der als Namensgeber für einen unterworfenen und seines Bewusstseins beraubten Knecht nicht recht passen will. Zudem beginnt der Direktor der Irrenanstalt sein Jahrmarktsexperiment nicht etwa aus einer souverän-autonomen Entscheidung heraus, vielmehr legt der Film Wert darauf, den als Caligari firmierenden Direktor seinerseits zu pathologisieren. Als dieser nach dem Eintreffen seines somnambulen Versuchsobjekts beim manischen Studium seiner Somnambulismusliteratur gezeigt wird, kommentiert etwa eine Texttafel lapidar: »Zwangsvorstellungen«.21 Er verdreht sich den Arm hinter dem Rücken, blickt verstört zur Decke und spricht: »Ich muss alles wissen… ich muss in sein Geheimnis dringen. Ich muss Caligari werden…« Dann werden Wahnvorstellungen angedeutet, der Direktor wankt einem immer häufiger auftauchenden Schriftzug nach, der ihm befiehlt: »Du musst Caligari werden«.22 Die Zwangsvorstellung des Direktors beinhalten also einen doppelten Zwang, sie zwingen den Direktor, einen Somnambulen zu zwingen; und wenn er glaubt, diesen »vollständig unter seinen Willen gezwungen« zu haben, ist dies genau genommen nicht der Fall, da seine Befehle ja demnach eher Ausfluss seiner Zwangsvorstellungen denn einer autonomen Entscheidungsfähigkeit sind und sich zudem in der Kopie des eigentlichen Caligari, des Mystikers aus dem 18. Jahrhundert, erschöpfen. Die absolute Unterwerfung des somnambulen Instruments unter eine souveräne Befehlsgewalt wird demnach behauptet und zugleich unterminiert; die eigentliche steuernde Instanz indes verunklart sich zunehmend und verbleibt diffus zwischen dem überlieferten Mystiker Caligari, den Zwangsvorstellungen des Direktors, den Befehlen des Direktors und der letztendlichen Ausführung derselben durch Cesare, der aber, wenn das Opfer nur attraktiv genug ist, seinen Gehorsam doch im rechten Moment wieder abzuschütteln weiß.23 Wenn die Erzählung vom somnambulen Sklaven und seinem von Zwangsvorstellungen geplagten Meister nun als apokrypher Urtext gelten mag, ist William Seabrooks »Magic Island« dem kanonisierten Teil des Zombie-Genres schon sehr viel näher, denn das Kapitel »›…Dead Men Working in the Canefields‹«24 wird nicht nur zahlreichen Zombie-Texten der amerikanischen Pulp-Literatur zur Vorlage, aus ihm entspinnt auch Garnett Wilson, der sich mit »Salt is not for Zombies« in der Pulp-Industrie bereits als Genre-Autor hervorgetan hatte, das Drehbuch 21 Ebd., 1:01:20. Die Texttafel hat hier eindeutig kommentierende Funktion, da hier nicht, wie sonst, Anführungszeichen zur Wiedergabe wörtlicher Rede verwendet werden. 22 Ebd. 1:01-59-1:03:08. 23 Daher der misslungene Mordanschlag auf Jane. Vgl. ebd., 0:43:12-0:47:56. 24 Vgl. Seabrook: Magic Island, S. 83-93.

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des ersten Voodoo-Zombie-Films »White Zombie«.25 Auffallend ist nun, dass von Hypnose in »Magic Island« zunächst noch keine Rede ist, dafür ist die scheinbar unumschränkte Unterworfenheit des zombifizierten Körpers aber wiederum äußerst brüchig konfiguriert und zugleich unmittelbar mit der (post-)kolonialistischen Szenerie verschaltet. Seabrook, der sich im Text als Ich-Erzähler inszeniert, beschreibt die »Haitian peasants« in rassistisch-primitivistischen Termini als »double-natured […] sometimes moved by savage, atavistic forces whose dark depths no white psychology can ever plumb – but often, even in their weirdest customs, naïve, simple, harmless children«.26 Im Zombie-Kapitel steht Seabrook nun aber Polynice zur Seite, kein »common jungle peasant«. Er sei zwar noch bestens vertraut mit dem Aberglauben seiner Landsleute, aber schon »too intelligent«, um diesem noch wirklich erliegen zu können. Polynice wird demnach als Schwellenfigur installiert, als Mittler zwischen dem aufgeklärt-rationalistischen weißen US-Amerikaner und der irrlichternden Irrationalität der schwarzen Haitianer, und entsprechend ist es auch die Türschwelle einer Bauernhütte, auf der Seabrooks Ich-Erzähler sich mit Polynice zum Zwiegespräch niederlässt. Während sie sein vom Mondlicht beschienenes Baumwollfeld überblicken, erläutert Polynice die örtlichen Schauergeschichten, die sich um Feuerhexen, Dämonen, Werwölfe und Vampire drehen und Seabrook schlicht als haitianische Varianten von Stoffen erscheinen, die auch im USamerikanischen und europäischen Raum bekannt sind. Dann aber spricht Seabrook ihn auf eine folkloristische Figur an, die ihm gänzlich haitianischer Herkunft zu sein scheint, den Zombie, »a soulless human corpse, still dead, but taken from the grave and endowed by sorcery with a mechanical semblance of life«. Menschen, die die Macht hätten, dies zu bewerkstelligen, würden sich über frische Gräber hermachen, um sich so untote Sklaven zu rekrutieren, die entweder zur Ausführung von Verbrechen oder zur Erledigung schwerer Arbeiten eingesetzt würden. Zu Seabrooks Überraschung endet hier nun der »tolerant scorn«, mit dem Polynice den haitianischen Aberglauben zuvor bedacht hatte, denn Seabrooks »rational friend« ist überzeugt, dass Zombies sehr wohl existierten, »they exist to an extent that you whites do not dream of, though evidences are everywhere under your eyes«.27 Selbst die ärmsten Bauern würden ihre Angehörigen in gemauerten Särgen begraben, oft in ihren eigenen Gärten nahe des Hauseingangs oder aber nahe an belebten Straßen und Fußwegen, und auch er, Polynice, habe vier Tage am Grab seines Bruders gewacht, um sicherzustellen, dass sein Körper durch Verwesung 25 Dass der Voodoo-Zombie äußerst breit in der Pulp Fiction rezipiert wurde, noch bevor das Genre im Kino Fuß fassen konnte, ist ein Umstand, den erst die hervorragende Darstellung von Roger Lockhurst gebührend Rechnung getragen hat. Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 58-74. Zu Wilson vgl. insbesondere S. 64f. 26 Seabrook: Magic Island, S. 82. 27 Ebd., S. 83f.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

unbrauchbar geworden sei.28 Polynice führt ihn schließlich auf ein Zuckerrohrfeld, wo Seabrook selbst drei Zombies besichtigen kann. »They were plodding like brutes, like automatons«, stellt Seabrook fest. Auf Befehle reagieren sie gehorsam, »like an animal«, und ihre Augen sähen aus »like the eyes of a dead man, not blind, but staring, unfocused, unseeing. The whole face […] was vacant, as if there was nothing behind it.« Darüber verfällt Seabrook in eine »mental panic«, aus der er sich aber retten kann, indem er sich ein Experiment im histologischen Laboratorium von Columbia vergegenwärtigt, bei dem einem Hund der gesamte Frontallappen entnommen worden sei, »it was alive, but its eyes were like the eyes I now saw staring«.29 Seabrook kann sich also zunächst mit der Erklärung beruhigen, die Voodoo-Zombies seien nichts als »idiots, forced to toil in the fields«. Schon wenig später aber trifft er auf Dr. Antoine Villiers, den Seabrook als hoch renommierten Wissenschaftler einführt, und dieser versichert ihm, er wolle Seabrooks »AngloSaxon intelligence« keinesfalls schockieren, aber Polynice, »with all his superstition«, sei unter Umständen der Wahrheit nähergekommen als Seabrook, denn selbst er als Wissenschaftler könne nicht leugnen, dass in der Zombifizierung kriminelle Zauberei (»criminal sorcery«) am Werk sei. Zum Beweis zitiert er Artikel 249 des haitianischen Strafgesetzbuches, das die Verabreichung von Substanzen, die zum Scheintod und zum Begräbnis des Opfers führen, auch dann als Mord einstufe, wenn der eigentliche Tod dabei nicht herbeigeführt worden sei.30 Effektvoll lässt Seabrook das Kapitel mit dieser wörtlich zitierten Gesetzesnorm enden, ohne sie weiter zu kommentieren oder einzuordnen. Die Erklärung des Voodoo-Zombies als einem Menschen, der mittels toxisch herbeigeführtem Scheintod ins Grab gebracht, exhumiert und anschließend hirngeschädigt als einträglicher Arbeitssklave auf den Zuckerrohrfeldern Haitis zu schuften hat, wird auf diese Weise eher evoziert und aus den gelieferten Versatzstücken kombinierbar gemacht denn ausgeführt. Zugleich steht damit aber der schauerromantische Zweifel an der naturwissenschaftlichen Welterklärung in Frage, mit dem er zuvor kontinuierlich den Auftritt des Zombies unterlegt hatte. Von Beginn an diskreditiert Seabrook seine eigenen rationalistisch-naturwissenschaftlichen Einwände, indem er feststellt, der Zombie gehöre in jene »baffling category on the ragged edge of things which are beyond either superstition or reason«, anfangs habe er das nur nicht einsehen wollen.31 Die Schwellenfigur Polynice bezeuge also, während sie an der Schwelle seiner Hütte sitzen, die Existenz eines Schwellenwesen, das zwischen Aberglaube und Vernunft changiere, so will Seabrook hier zu verstehen geben, und aus dieser proleptischen Perspektive heraus soll der Leser be28 29 30 31

Vgl. ebd., S. 85. Ebd., S. 91. Ebd., S. 92f. Ebd., S. 83.

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obachten, wie Seabrook den Zombie zunächst für bloßen Aberglauben hält, bis er sich von Polynice eines Besseren belehren lassen muss, wie er dessen Existenz als bloßen Missbrauch von geistig behinderten Menschen zu rationalisieren versucht, um schließlich durch Dr. Villiers überzeugt zu werden, dass es sich beim Zombie tatsächlich um ein Produkt krimineller Zauberei handle, die auch im haitianischen Strafgesetzbuch Erwähnung findet. Dass diese Textstrategie nun aber gerade dort zusammenbricht, wo aus Gesetzbuch und Tierversuch eine gänzlich naturwissenschaftskompatible Produktionsweise des Voodoo-Zombies impliziert wird, ist irritierend, verweist aber auf eine umfassendere Ambivalenz, die sich im Text konsequent bemerkbar macht und aus der heraus sich Seabrooks in Szene gesetzte Delegitimierung aufklärerisch-rationalistischer Welterklärung überhaupt erst begründet. Zunächst: Der haitianische Voodoo ist für die US-amerikanische Öffentlichkeit kein beliebiger Gegenstand. Nach den Sklavenaufständen von 1790 und 1804 wurde Haiti zur ersten unabhängigen schwarzen Republik der westlichen Hemisphäre und damit zum Schreckensszenario der weißen Sklavenhalter und Kolonialisten: Haiti’s revolution deprived white Europeans and Americans of the ability to ›civilize‹ the black world formerly known as Saint-Dominigue; therefore, Haiti had to be demonized so as to create a situation where the civilizing forces of the white world could save the nation from itself. Therefore, the revolution and the nation it produced could never be seen as successful.32 In der Dämonisierung Haitis spielt der Voodoo eine wichtige Rolle, schließlich waren die durch ihn gestifteten Gemeinden und Versammlungen zentrale Orte für die Entstehung der haitianischen Revolution. In der Folge suchten deren Gegner ihn als barbarischen Irrglauben zu brandmarken und ihm mindestens Kannibalismus, wenn nicht gar den rituellen Verzehr von Kindern zu unterstellen.33 Die Besetzung Haitis durch die USA zwischen 1915 und 1934 konnte vor diesem propagandistischen Hintergrund entsprechend als zivilisierende Maßnahme zur Stabilisierung des Landes und zum Schutz der Bevölkerung gerechtfertigt werden und zugleich die neuerliche Ausbeutung Haitis verdecken: Das US-amerikanische Kapital fand einträgliche Anlageobjekte in der Haitianischen Nationalbank, den haitianischen Plantagen und in lukrativen Unternehmensgründungen wie der Hasco, der Haitian American Sugar Company, und unter der neu eingesetzten Regierung waren die Steuern derart hoch, dass die meisten Haitianer sich alsbald in Lohnknechtschaft wiederfanden. Die Sklaverei war zurück. Seabrook reist in der Spätphase der USIntervention nach Haiti, als der haitianische Widerstand sich intensiviert und die Besatzer sich mit der katholischen Kirche verbünden, um gegen das revolutionäre 32 Kee: »›They are not men‹«, S. 11. Vgl. außerdem S. 10. 33 Vgl. ebd., S. 11f.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Potential der Voodoo-Gemeinden vorzugehen.34 In diesem Diskursfeld situiert sich Seabrook nun, indem er den Primitivismus, wie ihn die zeitgenössische Ethnologie und Massenpsychologie an den Tag legen35 , unter umgekehrtem Vorzeichen perpetuiert. Die wilde Ursprünglichkeit und die ›primitive‹ Kultur, die Seabrook in den Haitianern zu erkennen glaubt, erscheinen ihm als Ausweg aus einer dem Verfall preisgegebenen Zivilisation.36 Erst dadurch wird verständlich, auf welche Weise Seabrook einen rassistischen Paternalismus37 und eugenische Spekulationen über die haitianische »mulatto«-Oberschicht38 mit einer beißenden Kritik an der aus den USA importierten Segregation39 verbinden kann und sich im modernen Haiti, trotz Elektrizität und Motorisierung, fasziniert umgeben fühlt »by another world insivible, a world of marvels, miracles, and wonders – a world in which the dead rose from their graves and walked«.40 Und aus eben dieser Ambivalenz heraus versucht Seabrook, den Zombie als etwas einzuführen, an dem der aufklärerische Rationalismus des zivilisierten Weißen zu scheitern hat, obwohl sich dem Ich-Erzähler sehr wohl eine rationalistische Erklärung aufzudrängen scheint. An anderer Stelle schlägt sich Seabrooks ambivalente Haltung noch entscheidender nieder. In das oben dargestellte Zombie-Kapitel ist nämlich eine Binnenerzählung eingelassen, die Seabrooks eigene Begegnung mit Voodoo-Zombies stark modifiziert. Hatte die herrische Aufseherin Seabrook dort noch verjagt mit den Worten: »Negroes‹ affairs are not for whites«41 , macht die Binnenerzählung deutlich, dass die Zombifizierung keinesfalls eine rein innerhaitianische Angelegenheit ist, die die Weißen höchstens insofern betreffen könnte, als sie diese in ihrer Zivilisierungsfunktion zu unterbinden hätten, sondern vielmehr unmittelbar in die Besetzung und Ausbeutung Haitis eingebunden ist. Im Frühling 1918, drei Jahre nach Beginn der US-Intervention, so schildert es Polynice, habe die Hasco dringend Plantagenarbeiter benötigt und einen Bonus auf jede neue Rekrutierung geboten. Der Vorarbeiter Ti Joseph und seine Frau Croyance melden sich daraufhin mit einer ganzen Gruppe von zerlumpten, stummen, schlurfenden Gestalten, die sie als dümmliche Hinterwäldler ausgeben. Natürlich handelt es sich um Zombies, für deren Feldarbeit Ti Joseph und Croyance nun wöchentlichen Lohn kassieren. Sie müssen nur darauf achten, den Zombies ausschließlich ungewürzte, fleischlose Speisen zu verabreichen, weder Fleisch noch Salz darf ihnen zugeführt werden, andernfalls könnten sich die Voodoo-Zombies sofort wieder daran erinnern, dass 34 Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 34f; Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 31. 35 Vgl. Kapitel 3.3 in dieser Arbeit. 36 Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 24f. 37 Vgl. Seabrook: Magic Island, S. 82, 244. 38 Ebd., S. 125. 39 Vgl. ebd., S. 113f. 40 Ebd. S. 13. 41 Ebd., S. 92.

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sie tot sind und in ihre Gräber zurückkehren müssen. Durch ein Missgeschick füttert Croyance ihre Zombies aber mit gesalzenen Nüssen, »and as the zombies tasted the salt, they knew that they were dead and made a dreadful outcry«. Sie schlurfen zurück zu ihren Gräbern, lassen sich dabei von nichts aufhalten, trampeln selbst ihre Angehörigen nieder, wenn sie ihnen in die Quere kommen.42 Bezeichnend ist an dieser Binnenerzählung, erstens, dass bereits hier, noch vor dem ersten Zombie-Film, die unterworfenen, untoten Körper eine Form der Rebellion erproben, bei der ausgerechnet der Verzehr von Salz und Fleisch eine Rolle spielen, als ob sie sich erst über den Konsum dieser Güter wieder ihrer Qualität als zwar verstorbene, aber dennoch menschliche Wesen versichern könnten. Bezeichnend ist dann zweitens, dass wie der Direktor der Psychiatrie, der zunächst als autonome Befehlsgewalt auftritt, um anschließend durch seine Zwangsvorstellungen dezentriert zu werden, da er plötzlich nicht mehr als Ursprung der Macht, sondern nur noch als ihre Relaisstation erscheint, auch Ti Joseph und seine Frau zwar die Ausbeutung der zombifizierten Körper betreiben, dabei aber in den größeren Ausbeutungszusammenhang der US-amerikanischen Besetzung verstrickt sind. Sie sind nicht autonome Machtinstanzen, sondern kanalisieren gewissermaßen den Herrschaftszusammenhang, in den sie eingespannt sind. Anders gesagt: So wie der bewusst kalkulierende Vorarbeiter sich an seinen bewusstlosen, automatenhaften Voodoo-Sklaven bereichert, so imaginieren sich auch die US-amerikanischen Invasoren als scheinbar zivilisatorisch-rationale Statthalter inmitten von kindlichprimitiven Barbaren. Die bewusstlosen Reiz-Reaktions-Automaten, so würde Le Bon hier zustimmen, lassen sich mit der »niedrigeren Entwicklungsstufe« analogisieren, die er »beim Wilden und beim Kinde« vorzufinden glaubt.43 Durch sie wird die Unterwerfung unter ein steuerndes Herrschaftssubjekt als schiere Notwendigkeit legitimiert. Und durch sie wird auch die durch Fleisch und Salz induzierte Rebellion der Zombies zum Schreckensszenario der weißen Machthaber, denn die primitivistisch massenpsychologische Herrschaftstechnologie begründet sich ja nicht nur durch ihr unbewusstes Herrschaftsobjekt, sie erlebt sich durch dieses auch in einem Zustand permanenter Bedrohung. Wenn »White Zombie« nun der erste Kinofilm ist, der sich explizit dem Voodoo-Zombie widmet, sind Seabrooks Ambivalenzen hier zu einem großen Teil getilgt. Erzählt wird von der Intrige des Aristokraten Charles Beaumont, der sich auf der Schiffsreise von New York nach Port-au-Prince in Madeleine Short verliebt und deshalb versucht, ihre kurz bevorstehende Hochzeit zu verhindern. Ihrem Verlobten, Neil Parker, der in Port-au-Prince als Banker arbeitet, verspricht er eine Anstellung in New York als Beaumonts Agent, und besteht zugleich darauf, dass die Eheschließung auf dem Anwesen seiner Plantage stattfinden soll, um 42 Ebd., S. 86-89. 43 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 18.

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sie auf diese Weise verzögern zu können.44 Da er Madeleine nicht von ihren Heiratsplänen abbringen kann, greift er schließlich auf die Hilfe eines Mannes mit dem sprechenden Namen Murder Legendre45 zurück, einem Voodoo-Magier und Betreiber einer Zuckerrohrmühle, in der er zombifizierte Sklaven für sich arbeiten lässt. Von ihm erhält Beaumont ein Gift, mit dem er Madeleine in einen Scheintod versetzen kann, um sie anschließend als gehorsamen Zombie-Automaten aus dem Grab heben zu können.46 Jedoch beginnt Beaumont seine Tat zu bereuen und wird alsbald selbst von Legendre vergiftet, der sich auf diese Weise gleich zwei »White Zombie[s]« verschafft zu haben glaubt.47 Mit Hilfe des Missionars Dr. Bruner kommt Neil der Intrige aber auf die Spur und kann, unterstützt durch den bereits halb zombifizierten und nun gänzlich reumütigen Beaumont, Madeleine befreien.48 Seabrooks Ambivalenz, die Kritik an der US-Intervention erlaubt, ohne diese doch je grundsätzlich in Frage stellen zu müssen, ist in »White Zombie« nun auf zwei Ebenen ausgestrichen worden. Erstens bleibt schon die konkrete historisch-politische Situierung größtenteils ausgespart. Die Forschung verweist hier zwar auf Mode und Haarschnitte als Indiz für ein Setting in den frühen 1930ern, eine konkrete Datierung vermeidet der Film aber.49 Die US-amerikanische Okkupation Haitis ist in gewisser Weise impliziert, indem Neil, Madeleine, Beaumont und Dr. Bruner eindeutig eine weiße Oberschicht darstellen, während die schwarze Bevölkerung nur als Kutscher, als Trauergemeinde einer Voodoo-Bestattung oder als Zombie-Sklaven in Erscheinung treten dürfen.50 Aber schon der aristokratische Plantagenbesitzer Beaumont, der mal als französischer, mal als amerikanischer Banker und Plantagenbesitzer gedeutet wird51 und dabei zumindest im Sub44 Vgl. White Zombie, 0:06:56-0:10:46. 45 Die Figur des Murder Legendre wird nur im Skript vollständig benannt. Vgl. Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 34. 46 Vgl. White Zombie, 0:16:50-0:26:00, 0:38:00-0:38:50. 47 Vgl. ebd., 0:40:00-0:43:25. 48 Vgl. ebd., 0:32:00-0:37:00 und 0:55:19-1:06:26. 49 Vgl. Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 28; Bishop: American Zombie Gothic, S. 73. Bishop vermutet hier eine Koinzidenz mit dem Ende der amerikanischen Besatzung Haitis, die aber erst zwei Jahre nach dem Erscheinen des Films eintritt. Anzeichen, dass der Film diese in irgendeiner Form vorwegnimmt, gibt es nicht. 50 Vgl. White Zombie, 0:00-0:04:38. 51 Den aristokratischen Hintergrund Beaumonts zieht nur Philips in Erwägung. Vgl. Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 38, Anmerkung 10. Die übrigen Untersuchungen sehen in ihm einen Banker und Plantagenbesitzer, schwanken allein in der Zuschreibung der Nationalität. Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 74; Fay, Jennifer: »Dead Subjectivity. White Zombie, Black Baghdad«, in: The New Centennial Review 8, 1 (2008), S. 81-101, hier: S. 84f; Kordas, Ann: »New South, New Immigrants, New Women, New Zombies. The Historical Development of the Zombie in American Popular Culture«, in: Christopher M. Moreman, Cory James Rushton (Hg.): Race, Oppression and the Zombie. Essays on Cross-Cultural Appropriations of the Caribbean Tradition,

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text die einstige Herrschaft der französischen Aristokratie aufruft52 , verunklart die eindeutige Zuordnung der weißen Elite wieder. Auch Legendres Zuckermühle hat keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der Hasco, die Seabrook noch in aller Deutlichkeit herausgestellt hatte als »modern big business, and it sounds it, looks it, smells it«53 ; stattdessen eine in hölzernem Gebälk installierte, äußerst rudimentär anmutende Mühlenvorrichtung, bei der sowohl die Zuführung des Zuckerrohrs als auch dessen Mahlvorgang allein durch (untote) Menschenkraft angetrieben und akustisch durch ein gequältes, hölzernes Quietschen und Knarzen charakterisiert wird, das die lange Szene lautstark begleitet.54 Hinzu kommt, dass die ethnische Zuordnung Legendres noch viel stärker als im Fall von Beaumont verunklart wird. Einerseits trägt er einen französischen Namen, spricht mit osteuropäischem Akzent, wohnt in einem gotisch-anmutenden Schloss und die dunkle Schminke, mit der einige weiße Darsteller in schwarze Zombies verwandelt werden, findet bei Legendre keine Verwendung. All das mag zwar nicht gänzlich kohärent wirken, scheint Legendre aber zumindest als weißen, (ost-)europäischen Aristokraten festlegen zu wollen. Andererseits wird Legendre dort implizit zum Haitianer erklärt, wo Dr. Bruner sich überzeugt zeigt, dass Beaumont Madeleine nicht selbständig zombifiziert haben könne, da es sich eindeutig um »native work« handle.55 Wenn Beaumont als Weißer für Voodoo-Magie nicht verantwortlich sein kann, kann Legendre im Umkehrschluss auch kein Weißer sein.56 In jedem Fall, so scheint der Film betonen zu wollen, hat der Mühlenbetreiber keinerlei Ähnlichkeit mit dem US-amerikanischen Kapital, das sich de facto der haitianischen Zuckerrohrindustrie bemächtigt hatte, und der Film verdeckt somit weitestgehend die Besatzerrolle, die sich das US-amerikanische Kinopublikum an und für sich selbst zuschreiben müsste. Seabrooks Ambivalenz gegenüber der US-Intervention in Haiti ist aber auch deshalb nicht mehr auffindbar, da sich, zweitens, das Schwanken zwischen rassistischem Paternalismus und philoprimitivistischer Aufwertung in ein rein rassis-

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Jefferson (NC)/London: McFarland 2011, S. 15-30, hier: S. 24. Dass Beaumont aber eindeutig einen höheren Stand repräsentieren soll, wird schon anhand seiner Kleidung deutlich, vergleicht man etwa die relativ schlichten Anzüge von Neil, Dr. Bruner und Silver, Beaumonts Butler, mit Beaumonts Reiterjacke, Reithose und hohen Stiefeln. Auch hängen in Beaumonts üppig eingerichtetem Haus Wappen mit dahinter verschränkten Fechtdegen über einer Tür. Beaumont wird damit eindeutig als Aristokrat konfiguriert. Vgl. White Zombie, 0:09:53. Vgl. Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 38, Anmerkung 10. Seabrook: Magic Island, S. 85. Vgl. hierzu Fay: »Dead Subjectivity«, S. 86; Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 34. White Zombie, 0:36:00-0:36:35. Zur Verunklarung von Legendres ethnischer Zugehörigkeit vgl. auch Philips: »White Zombie and the Creole«, S. 29. Dessen ungeachtet halten andere Untersuchungen Legendre für einen Weißen. Vgl. bspw. Kordas: »New South, New Immigrants«, S. 22; Fay: »Dead Subjectivity«, S. 96. Bishop versteht Legendre dagegen als »native«. Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 75.

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tisches Hierarchieverständnis vereindeutigt hat. Als Dr. Bruner etwa Neil beizubringen versucht, dass Madeleine noch am Leben, aber »in the hand of natives« sein könnte, ruft dieser aus: »Oh no! Better dead than that!«57 Besser tot als in der Hand der Schwarzen, dieser Ausruf richtet sich deutlich an ein weißes, USamerikanisches Publikum. Er adressiert dessen Furcht, unter schwarze Herrschaft fallen zu können, und hierauf rekurriert letztlich auch der Titel »White Zombie«, der im Kern den Horror der »white slavery« bespielt.58 Indem nun derjenige, der die schwarze Magie der schwarzen Bevölkerung auf eine Frau der weißen Oberschicht anzuwenden wagt, selbst einer gezielten Verunklarung seiner ethnischen Zuordnung unterliegt, gerät Legendre in doppelter Weise zur Schreckensfigur eines segregierten, weißen Publikums: Legendre is that postcolonial horror, the home-grown mixed type feared by the American regime. […] Postcolonial culture produces the creole whose identity undermines the black-white binary necessary to white supremacist power structures.59 Am Ende des Films aber kann Legendre beseitigt werden, Madeleine ist vom Zombie-Zauber befreit und wird ihrem rechtmäßigen Ehemann restituiert. Der »postcolonial horror« wird somit durch ein Happy End beschlossen, die »blackwhite binary« ist wiederhergestellt und dadurch programmatisch restabilisiert. Sie kommt ganz unzweideutig als Quintessenz, als Moral gewissermaßen, am Ende der kurzweiligen Gruselfiktion zu stehen. Ambivalent ist dagegen aber durchaus, auf welche Weise der Zombie für das weiße Publikum der frühen 1930er eine schreckliche und zugleich lustvolle Vorstellung gewesen sein muss. Die bewusstlosen, automatenhaften Untoten, die Legendres Mühle auch dann noch in Betrieb halten, wenn einer der ihren ins Mühlwerk gefallen ist60 , werden ja einerseits zur Projektionsfläche für die entwertete Arbeitskraft, die sich seit Ausbruch der Great Depression vergeblich vor den USamerikanischen Fabriken oder in den Schlangen der Suppenküchen scharte61 , ihre radikale Unterworfenheit spiegelt die Ohnmacht, mit der immer größere Teile der Bevölkerung der ins Stocken geratenen kapitalistischen Maschinerie gegenüberstanden.62 Andererseits ermöglichen die unempfindlichen, gehorsamen und unermüdlichen Voodoo-Sklaven aber die lustvolle Phantasie, gerade diese ökonomische Unterworfenheit innerhalb der Wertschöpfungskette delegieren zu können. Nicht 57 White Zombie, 0:34:00-0:34:25. 58 Vgl. Kee: »›They are not men‹«, S. 16; Bishop: American Zombie Gothic, S. 79. 59 Phillips: »White Zombie and the Creole«, S. 29. 60 Vgl. White Zombie, 0:13:00-0:13:20. 61 Vgl. Neumann, Frank: »Leichen im Keller, Untote auf der Straße. Das Echo sozialer Traumata im Zombiefilm«, in: Fürst et al.: Untot, S. 68. 62 Vgl. Kee: »They are not men«, S. 14.

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umsonst ist einer der ersten mephistophelischen Einflüsterungsversuche, mit denen Legendre Beaumont in seine Fänge zu bekommen versucht, er könne ihn in unbegrenzter Zahl mit Zombiearbeitern versorgen: »They work faithfully. They are not worried about long hours. You … you could make good use of men like mine on your plantation!«63 Gerade in einer Zeit, in der sich weiße Farmer nur ungern daran gewöhnten, dass die schwarzen Arbeiter nun nicht nur bezahlt werden wollten, sondern sich unter Umständen gar weigerten, die schlecht entlohnte Feldarbeit weiterhin zu verrichten, und mehr und mehr in die großen Städte zogen, musste die von Selbstbestimmung, Einkommen und körperlichem Wohlergehen unbeirrte Arbeitsintensität der Zombies als verlockende Fiktion erscheinen. »In many ways zombies were the perfect laborers.«64 Inmitten dieser zwiespältigen Konfiguration aus Furcht vor Unterwerfung einerseits und lustvoll imaginierter Kontrolle unterworfener Körper andererseits steht nun aber die Frage, wie die Techniken und Ökonomien von Zombifizierung und Zombiesteuerung konkret ausgestaltet sind. Zunächst ist festzustellen, dass sich »White Zombie« vor allem hier an Seabrook ausrichtet. Bereits im Vorspann wird eine Bestattung auf der Fahrbahn einer Straße gezeigt, sodass Neil und Madeleine, die auf dem Weg zu Beaumonts Anwesen sind, sich vom Kutscher erklären lassen können, dass der Ort der Beerdigung, »in the middle of the road, where people pass all the time«, dem Schutz des Leichnams dient, da er andernfalls gestohlen zu werden droht.65 Kurz darauf begegnen sie Legendre mit einigen seiner Sklaven und der Kutscher, nachdem er aus Angst vor Zombifizierung davongerast ist, erklärt Neil, »they are not men, Monsieur, they are dead bodies. […] Zombies! The Living Dead! Corpses taken from the grave and made to work in the sugar mill and in the fields at night.«66 Erkennbar hat sich hier der Bericht von Polynice niedergeschlagen und die Art und Weise, in der die Zombies mit starrem Blick, automatenhaft und gehorsam die Zuckerrohrfelder entlang stolpern67 , ist eng entlang Seabrooks Beschreibung seiner eigenen Begegnung mit Zombies gestaltet. Der hoch renommierte Dr. Villiers heißt hier nun Dr. Bruner, hauptberuflicher Missionar, aber scheinbar nicht minder gelehrt. Er ist es schließlich, der doziert, dass der Voodoo der Haitianer aus Afrika importiert worden sei, dass wo immer ein Aberglaube herrsche, es eine darunterliegende Praxis gebe, und dass sich diese 63 White Zombie, 0:15:00-0:15:14. Entgegen Neumanns Annahme, Beaumont setze bereits Zombies als Plantagenarbeiter ein, ist festzustellen, dass Beaumont dieses Angebot Legendres deutlich ablehnt und auch sonst keinerlei Hinweise gegeben werden, dass Beaumont sich, über Madeleine hinaus, andere Menschen per Zombifizierung gefügig gemacht haben könnte. Zu Neumanns These, vgl. Neumann: »Leichen im Keller«, S. 68. 64 Kordas: »New South, New Immigrants«, S. 19. 65 White Zombie, 0:00:00-0:02:13. 66 Ebd., 0:04:30-0:05:00. 67 Vgl. bspw. ebd., 0:04:04-0:04:14.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

anhand des haitianischen Strafkodexes, den er beinahe wortgleich zu Seabrooks Übertragung ins Englische übersetzt, als chemische Induzierung eines »lethargic coma« entschlüsseln lasse.68 Von besonderem Interesse ist hier nun aber, dass »White Zombie« es dabei nicht belässt. Sowohl in der Herstellung als auch in der Bewirtschaftung der zombifizierten Arbeitskraft unternimmt der Film entscheidende Modifikationen und Fortschreibungen gegenüber Seabrooks »Magic Island«. So ist es zwar in der Tat eine chemische Substanz in einem gläsernen Röhrchen, das Legendre Beaumont zur Zombifizierung Madeleines aushändigt und dessen Inhaltsstoff er selbst später nutzt, um sich auch Beaumont gefügig zu machen.69 Jedoch ist die Zombifizierung damit noch nicht abgeschlossen, denn zugleich bedarf es offenbar einer anthropomorph geschnitzten Wachsfigur, die mit einem Kleidungsstück des Opfers umwickelt wird, um anschließend deren Haupt über einer Flamme zum Schmelzen zu bringen.70 Dass dies das Einschmelzen des individuierenden Bewusstseins und der autonomen Willensfähigkeit symbolisieren soll, das einen von außen steuerbaren, bewusstlosen Körper produziert, wird dadurch nahegelegt, dass Bela Lugosi dabei den grell erleuchteten, hypnotischen Blick des Graf Dracula wiederholt, mit dem er ein Jahr zuvor in Tod Brownings »Dracula« zu Ruhm gekommen war.71 Dieser starre Hypnose-Blick wird bereits über Neil und Madeleines Kutschfahrt geblendet72 , kurz bevor sie Legendre das erste Mal begegnen, und später findet er, in Verbindung mit einer Geste, bei der Legendres Hände sich ineinander pressen, kontinuierlich Verwendung, um anzuzeigen, dass Legendre seinen Zombies telepathisch Befehle erteilt, die diese unmittelbar umzusetzen beginnen.73 Lockhurst sieht daher im »mesmerist Murder Legendre« eine reine Wiederholung von Lugosis Dracula-Rolle74 und es ist sicherlich zutreffend, die Implementierung der Hypnose aus dieser Genealogie herzuleiten. Der resultierende Film divergiert aber doch insofern, als die Unterwerfungsprozeduren des Graf Dracula weder in Bram Stokers Romanvorlage noch in Tod Brownings Filmadaption dauerhaft bewusstlose Automaten hervorbringen, die sich jederzeit widerstandslos und selbstvergessen kontrollieren ließen.75 Auch wenn der Einfluss des transsilvanischen Grafen 68 Vgl. ebd., 0:32:00-0:37:30. Von »lethargic coma« ist die Rede bei 0:36:00-0:36:04. 69 Vgl. ebd., 0:17:49, 0:42:58. 70 Vgl. ebd., 0:22:36-0:24:55. Beaumonts Zombifizierung ist am Ende des Films noch nicht abgeschlossen, jedoch wird Legendre beim Schnitzen seiner Wachsfigur gezeigt. Vgl. ebd., 0:54:300:55:03. 71 Vgl. ebd., 0:25:05. Vgl. zudem Dracula. Regie: Tod Browning, USA 1931, 71 Min., DVD: Universal Horror, Vertrieb: Universal, 0:22:54. 72 Vgl. White Zombie, 0:02:39. 73 Vgl. bspw. ebd., 0:29:30-0:30:00. 74 Lockhurst: Zombies, S. 75. 75 Bei Stoker findet eine auffällige Vermischung von Hypnose und Telepathie statt. Als Dracula Mina beißt und sie danach zwingt, auch von seinem Blut zu trinken, beschreibt er die daraus

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nicht zu leugnen ist, zeigt sich »White Zombie« doch als innovative Amalgamierung von Seabrooks Voodoo-Zombies und Draculas hypnotisch-telepathischen Zugaben. Sie verschaltet eine zweistufige und dauerhafte Zombifizierung, die mittels Verschmelzung des Wachsfigurkopfes und chemisch induziertem Scheintod generiert wird, mit einer auf einen spezifischen Herrn ausgerichteten ZombieKontrolle, die eine durch Hypnose-Blick und Handgeste signalisierte, telepathischhypnotische Steuerung erlaubt. Auf diese Weise situieren sich die bewusstlosen Voodoo-Sklaven aus »White Zombie« exakt zwischen dem Somnambulen, den Dr. Caligari hypnotisch unter seinen Willen zwingt, und Seabrooks »Magic Island«, der von hypnotischer Steuerung noch nichts zu berichten weiß. Hieraus lassen sich zwei Dinge folgern: Erstens scheint »White Zombie« denjenigen Recht zu geben, die in Cesare, dem hypnotisierten Stummfilmautomaten, eine apokryphe Zombiefigur sehen wollen, denn erst dessen Amalgamierung mit Seabrooks hirngeschädigtem Voodoo-Sklaven kann den iterativen Fortschreibungsprozess des Genres zur Zombiekonfiguration aus »White Zombie« führen. Zweitens zeigt sich »White Zombie« hier nun auch als Schaltstelle zwischen Hypnose und Massenbildung, wie sie die Massenpsychologie bereits postuliert hatte. Wenn »die hypnotische Beziehung […] eine Massenbildung zu zweien« darstellt, indem sie »dem komplizierten Gefüge der Masse ein Element, das Verhalten des Massenindividuums zum Führer« herauslöst und als deren Kristallisation sichtbar macht, ansonsten aber »mit resultierende Kontrolle auch als telepathische Fernwirkung: »When my brain says ›Come!‹ to you, you shall cross land or sea to do my bidding […]«. Vgl. Stoker, Bram: Dracula, Revised edition, London et al.: Penguin 2003, S. 307. Der telepathisch eröffnete Kanal funktioniert dabei aber in zwei Richtungen. Van Helsing, der Mina ebenfalls hypnotisiert – allerdings ohne Biss und telepathische Zugaben –, kann sie auf diese Weise nicht nur zur Überwachung des Vampirgrafen nutzen, er muss auch umgekehrt fürchten, dass Dracula Mina in gleicher Weise als Abhörinstrument nutzen wird: »If it be that she can, by our hypnotic trance, tell what the Count see and hear [!], is it not more true that he who have hypnotise [!] her first, and who have drink [!] of her very blood and make [!] her drink of his, should, if he will, compel her mind to disclose to him that which she know [!]?« Vgl. ebd., S. 344. Brownings Filmadaption scheint die Telepathie dagegen vollständig ausgestrichen zu haben und Dracula allein eine hypnotische Kontrolle in unmittelbarer, körperlicher Kopräsenz zuzugestehen. Vgl. bspw. Dracula, 0:22:450:23:10; 1:00:45-1:02:30. Fest steht aber, dass Draculas Opfer nicht in dauerhaft bewusstlose Automaten verwandelt werden. Mina ist es beispielsweise sowohl im Roman als auch im Film möglich, eigene Entscheidungen zu treffen und diese auch gezielt gegen Dracula einzusetzen, indem sie etwa Van Helsing und seinen Mitstreitern wertvolle Informationen verschafft und sie zu warnen versucht. Vgl. Stoker: Dracula, Kap. XXIII; Dracula, 1:02:42-1:03:03. Selbst Draculas Diener Renfield, dessen Zoophagie im Film als Vampirismus gedeutet wird, wendet sich regelmäßig gegen seinen Herrn. Vgl. Stoker: Dracula, S. 299; Dracula, 0:45:00-0:45:30. (Zu Renfields Vampirismus vgl. ebd., 0:28:50-0:34:59. Bei Stoker ist Renfields Zoophagie allerdings kein Ausdruck von Vampirismus, sondern lediglich Draculas Ansatzpunkt, um sich Renfield gefügig zu machen. Vgl. ebd., S. 77-79, 110-113 und 297f.)

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dieser identisch ist«76 , dann kann es nicht wundern, dass Legendre seiner ZombieArmee ein Glied nach dem anderen hinzufügt, indem er ihnen je für sich das individuierende Bewusstsein einschmilzt, um sie anschließend in gänzlich gleichförmiger Weise ansprechen und fernsteuern zu können. Und doch ist Legendres Befehlsgewalt weder unumschränkt noch vollständig souverän. Trotz ihrer Zombifizierung und über große Distanzen empfängt Madeleine etwa Störsignale, die aus ihrer romantischen Verbindung mit Neil hervorzugehen scheinen77 , und als Legendre ihr befiehlt, diesen zu töten, kann sie sich sogar widersetzen.78 Wichtiger aber noch erscheint hier, dass Legendre seine Voodoo-Kontrollwissenschaft gezielt zur Unterwanderung der (post-)kolonialen Gesellschaftsstruktur genutzt hat. Stolz präsentiert er Beaumont jene ZombieSklaven, die er auch jenseits der Zuckerrohrmühle zum Einsatz bringt. »They are my servants.[…] In their lifetime they were my enemies. […] I took them. Just as we will take this one [i.e. Madeleine].«79 Er stellt sie Beaumont einzeln vor: Ein »witch doctor«, von dem Legendre gelernt hat, ein ehemaliger Innenminister, ein Räuberhauptmann, der Chef der Gendarmerie sowie der High Executioner, der Legendre hinrichten wollte, bevor er ihm zum Opfer fiel.80 Offenbar ist Legendre also eine Art Selfmademan, der in Haiti zuerst in die Voodoo-Lehre ging, bevor er seinen Lehrmeister übertrumpfte, um am Ende sowohl Kriminelle wie Polizeiführung, Minister wie Justizvollzug unter seine Kontrolle zu bringen. In dem Moment aber, in dem er sich an einem aristokratischen Plantagenbesitzer und der Frau eines US-amerikanischen Bankers vergreift, ist er offenbar zu weit gegangen. Die weiße Elite, die sich zuvor, durch Beaumonts Intrige, uneins war, sammelt sich nun und mit vereinten Kräften stoßen der Missionar, der Banker und der Aristokrat den kreolischen Emporkömmling von den haitianischen Klippen ins Meer. Seine ungebührlichen Machtgelüste bringen Legendre also den Untergang. In seinem per Voodoo-Zauber herbeigeführten Aufstieg innerhalb der haitianischen Gesellschaft hätte er die weiße Elite nicht antasten dürfen. Legendre ist der gesellschaftlichen Struktur und ihren Machtdynamiken nicht enthoben, er ist in sie verwoben, bewegt sich in ihr, und scheitert an ihr. Sein Versuch, einzelne Elemente aus ihrem funktional und rassistisch differenzierten Gefüge herauszulösen, um sie in die gleichförmig zombifizierte Masse seiner Dienerschaft zu verschmelzen, in der 76 Freud: »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, S. 107. 77 Vgl. White Zombie, 0:52:54-0:53:31. 78 Neil ist in Legendres Schloss ohnmächtig zusammengebrochen. Sie wird per Hypnose-Blick und Handgeste aus ihren Gemächern herbeigerufen, greift sich ein Messer, hebt es über Neil, lässt es aber von selbst wieder sinken. Auf intensivierte hypnotische Bemühungen Legendres hebt sie das Messer erneut, wird aber von Dr. Brunner entwaffnet. Ob sie Neil letztendlich getötet hätte, bleibt ungeklärt. Vgl. ebd., 0:57:16-1:00:50. 79 Ebd., 0:28:07-0:29:20. 80 Ebd., 0:28:20-0:29:07.

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nur er sich noch, als ihre zentralisierte Steuerungsinstanz, von allen anderen zu differenzieren weiß, endet dort, wo die weiße Elite sich von diesem Unterfangen bedroht sieht und der hypnotischen Vermassung Einhalt gebietet. Während Seabrook die Zombifizierung noch in das Machtverhältnis eingebettet hatte, das sich zwischen den US-amerikanischen Besatzern und dem besetzten Haiti auftut, und auf diese Weise eine Analogie zwischen bewusstlosen Sklaven und ›primitiver‹ Bevölkerung zum Aufscheinen bringen konnte, die, wie es die zeitgenössische Massenpsychologie postulierte, in analoger Weise einer bewussten Steuerungsinstanz unterworfen bleiben, so wird in »White Zombie« die Rolle der USA als Besatzungsmacht beinahe gänzlich verschleiert und die (massen-)hypnotische Fremdsteuerung vor allem als Bedrohungsszenario der Weißen umgewendet81 , das im Happy Ending verhindert werden kann. Bezeichnend ist nun, dass im weiteren Verlauf der Genre-Geschichte die Steuerungsinstanz der bewusstlosen Automaten immer stärker verunklart wird, stärker noch, als dies bereits bei Dr. Caligari, Ti Joseph oder Legendre der Fall war. Im Film »I Walked with a Zombie« von 1943 etwa, der »White Zombie« handwerklich in Vielem überlegen ist82 und dessen Plot mit einer an Charlotte Brontës »Jane Eyre« angelehnten Erzählerin namens Betsy kombiniert83 , wird wiederum eine weiße Frau, Jessica Holland, von einem Voodoo-Priester zombifiziert und dies wiederum im Auftrag einer weißen Figur, die hier als Jessicas Schwiegermutter, Mrs Rand, eingeführt wird. Betsy wird auf Saint Sebastian in der Karibik als Pflegekraft für Jessica auf dem Anwesen ihres Ehemanns, des Plantagenbesitzers Paul Holland, angestellt.84 Wie sich herausstellt, hatte Jessica eine Affäre mit Pauls Halbbruder, Wesley Rand, mit dem sie Paul verlassen wollte.85 Mrs Rand aber, die eine Arztpraxis betreibt und sich der lokalen Voodoo-Riten bedient, um besser auf die schwarze Bevölkerung einwirken zu können, überzeugt einen Voodoo-Priester davon, dass Jessica böse sei und per Zombifizierung unschädlich gemacht werden müsse.86 Tatsächlich fällt Jessica wenig später ins Koma und ein tropisches Fieber brennt ihr, so formuliert es der behandelnde Arzt, das Rückenmark aus, wodurch sie alle Willenskraft und eigenen Antrieb verloren hat, nicht mehr sprechen kann und nur noch auf simple Befehle reagiert. »I rather think of her as sleepwalker who can never be awaken«, so 81 Die oben geschilderte doppelte Besetzung des Zombies mit Furcht vor Unterwerfung einerseits und lustvoller Phantasie der Kontrolle unterworfener Körper andererseits wird für das weiße Publikum am stärksten beim Anblick von Legendres effizienter Ausbeutung der schwarzen Zombie-Arbeiter bestanden haben. Im letzten Drittel des Filmes aber, in dem die zombifizierte Madeleine aus Legendres Fängen gerettet werden muss, tritt die im Titel hervorgekehrte Bedrohung der Weißen in den Vordergrund. 82 Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 90; Bishop: American Zombie Gothic, S. 85f. 83 Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 82-84; Lockhurst: Zombies, S. 91. 84 Vgl. I Walked with a Zombie, 0:00:00-0:01:49. 85 Vgl. ebd., 0:19:20-0:22:29. 86 Vgl. ebd., 0:55:04-0:58:12

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

die abschließende Diagnose.87 Wiederum liegt hier ein bewusstloser und doch betriebsamer Körper vor, dessen ausgebrannter kognitiver Apparat eine somnambule Befehlsempfängerin zurücklässt. Lockhurst, der den Film als »extraordinary lyrical masterpiece« herausstellt, verweist insbesondere darauf, dass der Film gänzlich offenlasse, ob Jessica tatsächlich zombifiziert wurde, oder ob die angebotene, rein medizinische Erklärung ihres Zustandes nicht eher zutreffend sei.88 Dabei übersieht Lockhurst aber zweierlei, nämlich erstens, dass ein Voodoo-Priester Jessica in einem Ritus mittels eines Säbels den Arm durchstößt und, da sie nicht blutet, ihre Zombifizierung bestätigen kann89 , und zweitens, dass Jessica über weite Distanzen durch Voodoo-Rituale angesprochen und ferngesteuert wird. Der Voodoo-Priester, der Jessicas Zombifizierung verifizieren konnte, versucht nun nämlich fortwährend, mittels einer Puppe, die er rituell tanzend an einem Faden zu sich zieht, Jessica zu seiner Voodoo-Gemeinde zu rufen, worauf Jessica prompt reagiert und nur mühsam von Betsy zurückgehalten werden kann.90 Beides verweist unzweideutig auf die innerdiegetische Gültigkeit der Voodoo-Erklärung. Interessant ist nun aber, dass die Quelle der Zombifizierung hier nicht mehr mit der Befehlsgewalt zusammenfällt, wie dies bei Legendres Zombies eindeutig, bei den Zombies von Ti-Joseph und Croyance und auch beim Somnambulen des Psychiatriedirektors zumindest implizit der Fall gewesen ist. Mrs Rand dagegen, die Jessica in »I Walked With a Zombie« durch einen Voodoo-Priester hat zombifizieren lassen, hat eindeutig einen anderen Priester beauftragt als den, der sie später fortwährend zu sich zu rufen versucht, andernfalls hätte dieser ihre Zombifizierung nicht erst verifizieren müssen. Und gleichzeitig lässt sich Jessica auch ganz ohne Voodoo-Rituale und von jedermann lenken, wie bereits der behandelnde Arzt erklärt: »she will obey simple commands«.91 Diese multiple und dadurch auch gefahrvolle Steuerbarkeit Jessicas, die entsprechend nicht mehr nur durch Befehle, sondern erst durch physische Barrieren unter Kontrolle gehalten werden kann92 , geht einher mit einem gleichzeitigen Kontrollverlust der weißen Elite. Während Betsy etwa als Off-Stimme von Beginn an die erzählerische Autorität zu besitzen scheint und alle Montage als Ausdruck ihrer Schilderung verstanden werden darf93 , entreißen ihr an entscheidenden Stellen Stimmen der schwarzen Bevölkerung die narrative Souveränität. So übernimmt etwa ein Calypso-Sänger die Schilderung von Wesleys und Jessicas Affäre, die in ihrer 87 Ebd., 0:17:07-0:17:11. Vgl. außerdem ebd., 0:16:15-0:17:23; 0:59:20-0:59:30. 88 Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 90f. 89 Vgl. I Walked with a Zombie, 0:43:30-0:43:50. 90 Vgl. ebd., 0:58:14-0:59:06. 91 Ebd., 0:17:00-0:17:05. 92 Vgl. ebd., 0:58:40-0:59:00. 93 Vgl. ebd., 0:00:45-0:01:05.

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Krankheit endete. Wesley ist das offenbar unangenehm, der Calypso-Sänger unterbricht seine Darbietung und entschuldigt sich unterwürfig beim ungehaltenen Plantagenbesitzer. Als dieser aber betrunken mit dem Gesicht neben dem Rumglas eingeschlafen ist, setzt er wieder ein, kommt drohend auf Betsy zu und deutet Betsys Eintreffen als Fortsetzung der moralischen Entgleisung der Holland-Familie. »The brothers are lonely and the nurse is young«, heißt es in der letzten Strophe, und der Refrain quittiert dies mit »shame and sorrow for the family«.94 Dies bleibt keine Episode, denn sogar das Ende des Films und die moralische Ausdeutung des Geschehenen wird einer schwarzen Stimme überantwortet, die ein Gebet für Wesley spricht und sich überzeugt zeigt, dieser habe sich von Jessica zum Bösen verleiten lassen.95 Es sei schwer vorstellbar, folgert Lockhurst hier zurecht, dass ein anderer Hollywoodfilm der Zeit in vergleichbarer Weise die erzählerische Autorität der Weißen aus der Hand gegeben habe.96 Hinzu kommt der Einfluss der schwarzen Bevölkerung auf der Ebene der Handlung. Nachdem etwa der Voodoo-Priester Jessica als Zombie erkannt hat, dringt nicht nur Carrefour, ein Zombie der VoodooGemeinde, in Fort Holland ein, um Jessica dem Priester zuzuführen.97 Sie machen als Gemeinde auch erfolgreich Druck auf die örtlichen Autoritäten, um Jessicas Zombifizierung gerichtlich untersuchen zu lassen.98 Am Ende werden die Motive hinter diesen Bemühungen offengelegt, denn es zeigt sich, dass der VoodooPriester bestrebt ist, Jessicas Zombie-Körper unter die Erde zu bringen. Der Dolch, den er in Jessicas Voodoo-Puppe stößt, scheint Wesley dazu zu veranlassen, einen Pfeil aus einer hölzernen Galionsfigur im Garten des Holland-Anwesens zu ziehen und damit Jessicas Zombie-Körper zu töten.99 Dass es sich dabei ausgerechnet um die Gallionsfigur jenes Schiffes handelt, mit dem die Vorfahren der Hollands die ersten Sklaven auf die Insel brachten100 , treibt die Symbolik der Tat auf die Spitze. Ein Oberhaupt der ehemaligen Sklaven sieht sich in der Verantwortung, eine zombifizierte Frau der weißen Elite mittels Voodoo-Fernsteuerung zu eliminieren, und ist dabei nicht nur in der Lage, den gänzlich unzombifizierten Wesley zu kontrollieren, er lässt ihn auch ein Relikt aus jener Zeit nutzen, in der die Schwarzen den Vorfahren dieser weißen Plantagenbesitzer noch gänzlich ausgeliefert waren. Die hochgradige Rezeptivität Jessicas für Befehle jedweder Provenienz scheint somit für die Machtdiffusion im postkolonialen Kontext von Saint Sebastian einzustehen, auch hier wird also die Steuerbarkeit eines unbewussten Körpers mit der weißen Unterwerfung einer als kindlich-irrational vorgestellten, ›primitiven‹ Bevölkerung 94 Ebd., 0:22:06-0:22:22. Vgl. außerdem 0:19:19-0:22:22. 95 Vgl. ebd., 1:04:30-1:05:14. 96 Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 93. 97 Vgl. I Walked with a Zombie, 0:51:10-0:53:54. 98 Vgl. ebd., 0:46:00-0:48:15; 0:54:00-0:54:50. 99 Vgl. ebd., 1:01:43-1:03:00. 100 Vgl. ebd., 0:3:58-0:04:40.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

analogisiert, und in beiden Fällen scheint die hergebrachte Kontrollinstanz zunehmend unterminiert, denn die weiße Oberschicht hat die Geschicke der Insel, wenn überhaupt noch, zumindest nicht mehr allein in der Hand. Auf den ersten Blick ist »The Plague of the Zombies« von 1966 demgegenüber ein Rückschritt, ist die Unterwerfungs- und Kontrollinstanz hier doch völlig unangefochten. Im Cornwell des späten 19. Jahrhunderts treibt der adlige Squire James Hamilton sein Unwesen. Nachdem er einige Jahre in Haiti zugebracht hat und sich dort offenbar zum Voodoo-Priester ausbilden ließ, hat er nun im ärmlichen cornischen Dorf heimlich die väterliche Zinn-Mine wieder in Betrieb genommen, die einst stillgelegt werden musste, da sich die Arbeiter nach zahllosen Unfällen weigerten, weiterhin untertage zu gehen. Hamilton zombifiziert nun nach seiner Rückkehr mehr und mehr Dorfbewohner, um auf diese Weise ihren Widerstand brechen und sie als untote Sklaven in der Mine einsetzen zu können.101 Zur Zombifizierung ist es hier nun notwendig, dem Opfer durch List Blut zu entnehmen und dieses später rituell auf einer dem Opfer zugeordneten Puppe aufzutragen.102 Bereits nach dieser Prozedur ist das Opfer seltsam eingenommen von seinem neuen Meister103 , bemüht sich, die ihm für die Blutentnahme beigefügte Wunde zu verheimlichen104 , und sucht am Ende zuverlässig das Minengelände auf, wo es zu Tode gebracht wird, um später als tatkräftiger Zombie aus dem Grab geborgen werden zu können.105 Natürlich sind es nicht nur kräftige, große Arbeitssklaven, die Hamilton für seine Mine rekrutiert, er scheint auch Verwendung zu finden für die zierliche Alice106 , die Frau des Dorfarztes Peter Tompson, und Synthia107 , die Tochter des Medizinprofessors James Forbes, der angereist ist, nachdem Peter ihn wegen der grassierenden Todesfälle um Hilfe gerufen hat.108 Alices Zombifizierung können sie nicht mehr verhindern109 , aber als Synthia in Hamiltons Fänge gerät, intervenieren Forbes und Tompson rechtzeitig. In der Folge bricht in Hamiltons Haus ein Feuer aus, die Voodoo-Puppen gehen in Flammen auf und in dem Moment beginnen auch die zahllosen Zombiesklaven in Hamiltons Mine, Feuer zu fangen und, das ist hier von besonderem Interesse, sich gewaltsam gegen alle Lebenden zu wenden, das heißt sowohl gegen Hamilton und seine adligen Freunde als auch 101 102 103 104 105

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Vgl. The Plague of the Zombies, 0:42:44-0:43:30; 0:52:10-0:54:30; 1:08:05-1:09:10. Vgl. ebd., 0:00:00-0:03:17. Vgl. ebd., 0:18:32-19:10. Vgl. ebd., 0:10:25-0:10:30. Vgl. ebd., 0:20:20-0:22:15; 0:30:30-0:30:35; 0:57:21-0:58:30. Die Faszination der Zombifizierungsopfer für ihren Herrn, der Impuls, ihre Wunde zu verbergen, sowie der Versuch, ihren neuen Meister heimlich aufzusuchen, sind eindeutig Brownings »Dracula« entnommen. Vgl. Dracula, 0:38:00-0:39:30; 0:43:43-0:44:16. Vgl. The Plague of the Zombies, 0:00:00-0:03:17. Vgl. ebd., 0:45:52-0:46:39. Vgl. ebd., 0:03:33-0:05:54. Vgl. ebd., 0:58:21.

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gegen Tompson, Forbes und Synthia, die sich gerade noch rechtzeitig vor dem marodierenden Mob in Sicherheit bringen können.110 Hier scheint nun also das von Le Bon und Freud befürchtete Szenario eingetreten zu sein. Die Zerstörung der blutbeträufelten Voodoo-Puppen unterminiert, wie bei Seabrook der Verzehr von Salz und Fleisch, das Herrschaftsverhältnis von bewusstem Herrn und bewusstlosem Sklaven. Während die Voodoo-Zombies in »Magic Island« daraufhin schlicht ihren Dienst verweigern, in ihre Gräber zurückzukehren suchen und dabei nur im Bedarfsfall Gewalt anwenden, zeigt »The Plague of the Zombies« in seinen letzten Sequenzen schon eine vollumfängliche Rebellion der untoten Sklaven, die sich keinesfalls allein gegen ihre ehemaligen Herren wenden, sondern unterschiedslos gegen alle, die nicht, wie sie selbst, zombifiziert sind. Die Zombie-Masse, die ihre Uniformität hier auch durch ihre uniforme Sklavenkleidung aus zerschlissenen Kutten verdeutlicht111 , gerät über den Verlust ihrer Unterwerfung in einen solch gewaltsamen Aufruhr, dass sie ihre Aggression gegen alles und jeden richten, der nicht in gleicher Weise unterworfen war. Der Aufstand der brennenden Zombies mündet in den Kollaps der Mine.112 Im Mikrokosmos der Hamilton’schen Anlage haben sie die Aristokratie, die Infrastruktur, in der sie ausgebeutet wurden, mitsamt ihrer eigenen physischen Existenz in den Untergang gestürzt, und dies nur, weil sie ihre Steuerungsinstanz eingebüßt haben. Die Entmachtung der »kleinen, intellektuellen Aristokratie« hat zur Folge, dass sich die zur Herrschaft gelangte Masse als »Stufe der Auflösung« realisieren kann. Wie schon bei Le Bon gilt hier: »Die Massen haben nur Kraft zur Zerstörung.«113 Dieser Untergang der Ordnung im Schlund der entfesselten, bewusstlosen Masse, den das Ende von »The Plague of the Zombies« in wenigen Sequenzen als Untergang der frevelhaften, ausbeuterischen Minenanlage inszeniert, kündet bereits von dem, was die späteren Filme des Zombie-Genres zu ihrem Hauptgegenstand erheben, der von Beginn an verhandelt wird, wenn er nicht gar, in einer späteren Phase, als Prämisse, die der Durchführung gar nicht mehr erst bedarf, gänzlich übergangen werden kann, um nur noch dessen Folgen zu erörtern. Wichtiger aber erscheint zunächst, dass diese bedrohliche Selbsttätigkeit einer automatenhaft agierenden Masse, die der Voodoo-Zombiefilm hier bereits erprobt und die George Romero mit »Night of the Living Dead« zwei Jahre später ausarbeitet, bereits einige Jahre zuvor in »Invasion of the Body Snatchers« und »The Last Man on Earth« ausführlich und vielschichtig zur Aufführung gebracht wird. Diese Filme, die zumeist nicht im engeren Sinne dem Zombie-Genre zugerechnet 110 Vgl. ebd., 1:22:44-1:24:26. 111 Vgl. ebd., 1:24:00. 112 Vgl. ebd., 1:24:00-1:26:19. 113 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 4.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

werden114 , nehmen doch in vielerlei Hinsicht jene entscheidenden Modifikationen der Zombifizierungsmechanik vorweg, die innerhalb des Genres beständig Romero als »radical break«115 zugeschrieben werden. Im Film »Invasion of the Body Snatchers«, der auf einem zwei Jahre zuvor erschienen Roman von Jack Finney basiert116 , geht es um außerirdische Hülsen, die in einem Feld nahe der Kleinstadt Santa Mara landen und die Fähigkeit besitzen, die physische Kopie eines jeden Lebewesen hervorzubringen. Die aus den Hülsen geschlüpften Menschenkopien ersetzen ihr Original, ohne dabei allerdings deren Fähigkeit zu individueller, emotionaler Bindung und Individuation im Allgemeinen mitzuführen. Vielmehr entsteht ein kollektivistisch agierender Verbund außerirdischer Surrogatkörper.117 Zu Beginn des Films kehrt der Mediziner Dr. Miles 114 Die Forschung ist sich hier allerdings uneins. Stellenweise werden die außerirdischen Menschenkopien aus »Invasion of the Body Snatchers« sehr wohl als Zombies geführt. Beard bezeichnet sie etwa als »somnambulistic zombies«, obwohl sie weder Cesare noch den genretypischen Voodoo-Zombies ähneln. Vgl. Beard, Steve: »No particular place to go«, in: Sight and Sound 4 (2012), S. 30f., hier: S. 30. Steven Zani und Kevin Meaux sehen darin sogar eine eigene Phase des Zombie-Genres, die sie unter den Begriff des »atomic age zombies« bringen. Sie verbuchen hierunter sowohl »Invasion of the Body Snatchers« als auch »Invisible Invaders« und »Creature with the Atomic Brain«. Vgl. Zani, Steven/Meaux, Kevin: »Lucio Fulci and the Decaying Definition of Zombie Narratives«, in: Christie et al. (Hg.): Better Off Dead, S. 98-115, hier: S. 98. Zani und Meaux übersehen dabei aber, dass ausschließlich in Letzterem tote Körper per Radioaktivität mechanisiert werden. In »Invisible Invaders« bedienen sich dagegen vielmehr unsichtbare außerirdische Wesen der Körper von verstorbenen Menschen, um diese als (sichtbare) Akteure nutzen zu können. Vgl. Creature with the Atom Brain. Regie: Edward L. Cahn, USA 1955, 65 Min., DVD: La Criatura con Cerebro Atómico. Columbia Essential Classics, Vertrieb: Columbia Pictures/Impulso, 0:20:35-0:20:58; Invisible Invaders, 0:06:05-0:07:00. Beides hat erkennbar wenig mit den Menschenkopien zu tun, die in »Invasion of the Body Snatchers« aus außerirdischen Hülsen schlüpfen und alles andere als tote, radioaktiv reaktivierte Körper darstellen. Ähnliche Verwirrung verursachen auch die Vampire aus »The Last Man on Earth« bzw. aus Richard Mathesons Roman »I am Legend«, auf dem der Film basiert. Florian Krautkrämer beschreibt diese einmal als das stilbildende Erscheinungsmoment des »Virus-Zombie«, um in der Fußnote wieder zu revidieren, hier handle es sich eigentlich um ein »›Zwischengenre‹ des Vampir-Zombies«. Vgl. Krautkrämer: »A matter of life and death«, S. 30. Andernorts werden die Affinitäten dieser Filme verhandelt, ohne den Begriff des Zombies zu attribuieren. Vgl. bspw. Murphy, Bernice: »Irritations of Life. Zombies and the Suburban Gothic«, in: Christie et al. (Hg.): Better off dead, S. 116-138, hier: S. 119; Cohen, Simchi: »The legend of disorder: The living dead, disorder and autoimmunity in Richard Matheson’s I am Legend«, in: Horror Studies 5, 1 (2014), S. 47-62, hier: S. 48f. 115 Kee: »›They are not men‹«, S. 10. 116 Finneys Roman erschien erstmals 1954 im Collier Magazin. Eine erweiterte Fassung wurde kurze Zeit später in Buchform unter dem Titel »The Body Snatchers« publiziert. Eine nochmals überarbeitete Fassung erschien dann unter dem Titel »Invasion of the Body Snatchers«. Sofern hier auf Finneys Roman verwiesen wird, findet diese letzte Fassung Verwendung. Vgl. Finnay, Jack: Invasion of the Body Snatchers, New York: First Scribner Paperback Fiction 1998, S. 4. 117 Vgl. Invasion of the Body Snatchers, 0:58:17-1:00:57.

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Bennell von einer Tagung zurück in seine Praxis in Santa Mara. Seine Arzthelferin, Sally, berichtet, dass ihn zahlreiche Bewohner ungeduldig erwartet hätten und zugleich nicht preisgeben wollten, wegen welcher Beschwerden sie sich von ihm untersuchen lassen müssten. Als er eintrifft, haben die allermeisten Patienten es sich jedoch wieder anders überlegt und ihre Termine abgesagt. Er kann sie sogar draußen auf der Straße beobachten, wie sie gänzlich unbeschwert ihren alltäglichen Geschäften nachzugehen scheinen.118 Nur einige Wenige wollen weiterhin mit Miles sprechen und vertrauen ihm an, sie seien überzeugt, ihre Angehörigen seien ausgetauscht worden.119 So ist etwa eine Patientin der Meinung, ihr Onkel Ira sehe zwar aus wie Onkel Ira, handle wie Onkel Ira und erinnere sich an alles, an das Onkel Ira sich erinnern müsse. Aber er sei eben doch nicht ihr Onkel Ira. »There’s no emotion. None. Just the pretence of it.«120 Miles konsultiert daraufhin den örtlichen Psychiater Dan Kauffman, den er in Begleitung von Dr. Ed Pursey, einem anderen Hausarzt der Kleinstadt, auf einem Parkplatz trifft: Miles: This saves me a phone call. I’ve got a mixed-up kid and a woman who need a witch doctor. Dan: Boy says his father isn’t his father and the woman says her sister isn’t her sister. Miles: That’s pretty close. I knew you’d been studying hypnosis, but when did you start reading minds? Ed: He doesn’t have to read them. I’ve sent him a dozen patients since it started. Miles: Well, what is it? What’s going on? Dan: I don’t know.A strange neurosis ,evidently contagious .An epidemic of mass hysteria. In two weeks it’s spread all over town. Miles: And what causes it? Dan: Worry about what’s going on in the world probably.121 Die etablierten Topoi des Voodoo-Zombiefilms, der »witch doctor« und seine hypnotischen Kräfte, werden hier freilich eher spielerisch und en passant eingeflochten. Und doch ist die Massenhysterie-Diagnose des Psychiaters, auch wenn sie sich innerdiegetisch als falsch erweisen wird, ein bezeichnender Verweis auf die Theoreme der Massenpsychologie, die für den weiteren Verlauf der Handlung durchaus von Relevanz sind. Kurz nach dem oben Zitierten wird Miles nämlich zum befreundeten Schriftsteller Jack und seiner Frau Teddy gerufen. Sie zeigen ihm ein erstes, lebloses, noch unfertiges Alien-Surrogat, das sie in ihrem Wohnzimmer vorgefunden haben. Das Gesicht ist gänzlich vage und es verfügt über keinerlei 118 Vgl. ebd., 0:02:40-0:05:34. 119 Vgl. ebd., 0:05:40-0:09:16, 0:10:40-0:10:52. 120 Ebd., 0:11:38-0:11:50. 121 Ebd. 0:15:20-0:16:08.

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Fingerabdrücke. »It has all the features, but no details, no character, no lines«, stellt Miles fest. Und Jack sekundiert: »Waiting for the final finished face to be stamped onto it.« Die Surrogatkörper weisen also, obwohl ausgewachsen und »all set to go«, zunächst noch keinerlei individuierende Eigenschaften auf.122 Erst nach und nach werden sie ihren Originalen äußerlich immer ähnlicher, übernehmen Atom für Atom die Struktur ihrer Vorbilder, um in einem letzten Schritt, sobald diese eingeschlafen sind, ihr Bewusstsein in sich zu verpflanzen: »Suddenly, while you’re asleep, they’ll absorb your minds, your memories, and you’re reborn into an untroubled world«, so erklärt es später der längst kopierte Psychiater Dan, und Miles, der sich noch zur Wehr setzt, ergänzt: »Where everyone’s the same.«123 Die Aliensurrogatkörper unterliegen also einem Kopierverlust. Sie nehmen nur äußerlich die physischen Eigenschaften der Originalsubjekte an und verpflanzen deren Bewusstseinsinhalte auch nur insofern, als sie ihnen zur Vorspiegelung von Identität dienen. Alle sonstigen einer Person zuzurechnenden Eigenschaften, etwa ihre emotionalen Individualbindungen, versinken im derart geformten, neuen Kollektivkörper. Dieser tritt deutlich hervor, sobald Miles und seine Geliebte, Becky, sich mit ihm konfrontiert sehen und gegen einen strategisch und hierarchielos operierenden Verbund von kopierten Akteuren ankämpfen, deren Formierungen sich den vorherigen Familien- und Freundschaftsstrukturen überordnen. Als Miles und Becky etwa auf ihrer Flucht nach Sally, der Arzthelferin, sehen wollen, erkennt Miles bereits von Weitem zahlreiche Autos vor ihrem Haus. Durch das Fenster beobachtet er, wie Beckys Vater, der zuvor in keinerlei Verbindung mit Sally stand, eine noch ungeschlüpfte Hülse hineinträgt, und wie Sally, umgeben von weiteren Bewohnern der Kleinstadt, mit ausdrucksloser Stimme sagt, er solle sie ins Zimmer ihres Kleinkinds legen, das bald schlafen werde – »and there’ll be no more tears«.124 Später haben sich Miles und Becky in seiner Arztpraxis verschanzt, von der aus sie am nächsten Morgen durch das Fenster beobachten können, wie die gesamte, kopierte Bevölkerung wortlos auf den Platz strömt, um neu angelieferte Hülsen entgegen zu nehmen und diese in der erweiterten Umgebung der Kleinstadt zur Kopie von Verwandten, Freunden und Bekannten einzusetzen.125 Die außerirdische Ersetzungsbewegung wandert also entlang der hergebrachten Familien- und Freundschaftsbindungen, um sie auf diese Weise nach und nach in ein neues Kollektiv zu verschmelzen, in dem diese Bindungen, wenn überhaupt, nur noch von untergeordneter Bedeutung sind. Dies verweist nun auf eine wichtige Differenz zum bis dahin etablierten Voodoo-Zombiefilm. Dieser beschreibt nämlich die Verschmelzung des Einzelnen 122 123 124 125

Ebd., 0:18:30-0:21:54. Ebd., 0:59:40-1:00:05. Ebd., 0:49:00-0:50:10. Ebd., 0:55:30-0:58:00.

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zum Bestandteil einer Masse entlang einer gänzlich freudianischen Konfiguration der Massenpsychologie, in der immer ein Führer dafür verantwortlich zeichnet, bewusste Individuen in bewusstlose Glieder der Masse zu verwandeln. Was im Zombie-Film durch mehr oder minder hypnotisch konnotierte Voodoo-Magie bewerkstelligt wird, verläuft bei Freud als Einsetzung des Meisters an die Stelle des Ich-Ideals im zu unterwerfenden Subjekt. Die Gleichheit der Massenglieder untereinander ist dann immer nur die Folge der vorhergehenden Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen des Meisters. So wie die horizontale Identifikation auf die vertikale Ersetzung des Ich-Ideals folgt, so folgt die Austauschbarkeit und gleichförmig verteilte Steuerbarkeit der zombifizierten Sklaven auf den Zombifizierungszauber ihres Meisters. Demgegenüber hat man es in »Invasion of the Body Snatchers« mit einer anders ablaufenden Massenkonstitution zu tun, die der Le Bons wesentlich nähersteht. Hier nämlich ist der Führer nicht notwendig für die Bildung der Masse. Im Film ist er dann auch gar nicht erst vorhanden, die Masse konstituiert sich gänzlich von selbst. Das, was Le Bon als Interferenzphänomen zu beschreiben versucht, als eine additive Überlagerung, bei der sich die divergierenden individuellen Bewusstseine gegenseitig auslöschen und die übereinstimmenden Dispositionen der unbewussten Rassenseele demgegenüber verstärken, wird in »Invasion of the Body Snatchers« als verlustbehafteter Kopiervorgang entworfen, der aber ebenfalls keiner zentralisierten Steuerungsinstanz bedarf, sondern ganz selbsttätig die Individuation der Originalbewusstseine im Kopiervorgang ausstreichen kann. Dass der letzte und entscheidende Schritt der Duplizierung dabei wiederum im Schlaf von statten gehen muss, schreibt dem Film zwar in erkennbarer Weise einen vagen Somnambulismus- und HypnoseSubtext ein, der aber auf den Kopiervorgang beschränkt bleibt, denn die aus ihm resultierenden kollektivierten Akteure sind viel zu agil und strategisch kalkulierend, um sich noch in die Tradition einer bewusstlos vor sich hin stolpernden Dienerschaft fügen zu können. Wie bei Le Bon erschöpft sich nun die Konstituierung der Masse nicht im Verlust des individuierenden Bewusstseins. Die eigentümlichen Qualitäten der Masse erschöpfen sich nicht in der Addition ihrer bewusstlosen Glieder, vielmehr zeigen sich nicht-additive, unvorhersehbare, und das heißt: emergente, Eigenschaften, die auch in »Invasion of the Body Snatchers« als eine infektiöse Kollektivierung beschrieben werden können. Die geistige Ansteckungskraft verursacht laut Le Bon schließlich, dass »jedes Gefühl, jede Handlung« innerhalb der Masse übertragbar sei.126 Sie ist Ausdruck und Folge ihrer Suggestibilität127 , ihrer Beeinflussbarkeit, und in »Invasion of the Body Snatchers« wird ganz offenbar das gänzlich selbstgenügsame, eigendynamische Wirken der Masse auf sich selbst sichtbar. Alles ope126 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 15. 127 Vgl. ebd.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

rative Wissen und alle strategische Abstimmung kursiert ohne jede hierarchische Ordnung widerstandslos zwischen den kopierten Akteuren hin und her und generiert ihre beeindruckende Überlegenheit, mit der sie die vorgefundenen Sozialstrukturen entlang ihrer ehemaligen Kontaktlinien Stück für Stück zuerst unterwandern und dann überwuchern. Dass der Film diese Infektion indes nur in der innerdiegetisch falschen Diagnose der Massenhysterie terminologisch aufruft, sie jedoch nicht als biopathologisch kodiertes Bildfeld ausführt, da die Hülsen ihren Kopiervorgang zwar durchaus in physischer Nähe ihrer Originale vollziehen müssen, dafür aber keinerlei unmittelbaren Kontakt, keinen Austausch von DNAMaterial oder ähnlichem benötigen, ist eine auffällige Leerstelle, auf die das Remake von 1978 erkennbar reagiert. Dort nehmen die außerirdischen Hülsen nämlich durch weiße Pflanzenfäden unmittelbaren Kontakt zu ihrem Original auf und setzen sich auf diesem mit sporenartigen Ablagerungen fort, bevor die derart verbundene Hülse dessen Surrogatkörper gebiert.128 Stärker noch als in »Invasion of the Body Snatchers« ist die Figur der Masseninfektion aber in »The Last Man on Earth« realisiert, die erste Filmadaption des Romans »I am Legend« von Richard Matheson.129 Robert Morgan erscheint zu Beginn des Films als letzter überlebender Mensch in einer von Vampiren bevölkerten Stadt. Tagsüber ist die Stadt wie ausgestorben, er kann sich frei bewegen, versorgt sich in der zurückgelassenen Infrastruktur des Einzelhandels mit allem, was 128 Vgl. Invasion of the Body Snatchers. Regie: Philip Kaufman, USA: 1978, 111 Min., DVD, Vertrieb: MGM, 1:08:21-1:11:43. 129 In der Forschung ist umstritten, ob die Filmadaption oder eher der Roman für die weitere Genreiteration, insbesondere Romeros Rekodierung des Zombiefilms in »Night of the Living Dead«, von Relevanz ist. Die Mehrheit der Veröffentlichungen sehen hier vor allem Mathesons Roman als Romeros Vorlage. Vgl. bspw. Moreland, Sean: »Shambling Towards Mount Improbable to Be Born: American Evolutionary Anxiety and the Hopeful Monsters of Matheson’s I Am Legend and Romero’s Dead Films«, in: Boluk et al. (Hg.): Generation Zombie, S. 77-89, hier: S. 78; Christie, Deborah: »A Dead New World«, S. 67. Arno Meteling ließe sich mit seiner einschlägigen Monographie zur Körperlichkeit im modernen Horrorfilm zunächst ebenfalls diesem Lager zurechnen, würde er seinen Fokus in einem sechs Jahre später veröffentlichten Aufsatz nicht wesentlich stärker auf die »filmische Blaupause[]« lenken, die Romero in der Filmadaption »The Last Man on Earth« gefunden habe und die er mit seiner Dead-Reihe »ikonografisch zitieren« würde. Vgl. Meteling, Arno: »Endspiele. Erhabene Groteske in BRAINDEAD, KOROSHIYA 1 und HOUSE OF 1000 CORPSES«, in: ders., Julia Köhne, Ralph Kuschke (Hg.): Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, dritte, überarb. Auflage, Berlin: Bertz + Fischer 2012, S. 51-66, hier: S. 51; Meteling, Arno: Monster, S. 125. Am entschiedensten plädiert Lockhurst dafür, eher in der Verfilmung als im Roman Romeros »key source« zu sehen, und auch Cohen Simchi, die sich ansonsten eher Mathesons Roman zugeneigt zeigt, räumt ein, dass die filmische Inszenierung der Vampire, ihre »physicality«, ihr schlurfender Gang, ihre langsame Zersetzung, ihre Kleider, in denen sie bestattet wurden, Romeros Zombies aus »Night of the Living Dead« unmittelbar vorwegzunehmen scheinen. Vgl. Cohen: »The Legend of Disorder«, S. 49; Lockhurst: Zombies, S. 137.

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er zum Überleben benötigt, und versieht sein Haus mit gewundenen Knoblauchkränzen, Spiegeln und Kreuzen. Systematisch sucht er die Stadt nach den Orten ab, an denen sich die Vampire versteckt halten, und treibt ihnen, wenn er ihrer habhaft wird, Holzpflöcke in die Brust. Nachts versteckt er sich im verbarrikadierten Haus, während draußen die Vampire wüten, seinen Namen rufen und die Barrikaden kaputtzuschlagen versuchen. Drei Jahre hat er so bereits ausgeharrt.130 Der Film spielt also im Jahr 1968, während die Ereignisse von 1965 in einer Rückblende erzählt werden: Auf der unbeschwerten Geburtstagsfeier von Roberts Tochter zieht Ben Cortman, ein Freund der Familie und Roberts Kollege im »Mercer Institute of Chemical Research«, einen Zeitungsausschnitt aus der Jackettasche, in dem von einer Seuche in Europa berichtet wird, die bereits hunderte Opfer gefordert habe und über große Distanzen durch die Luft übertragen werde, also im Wind wandern könne.131 Später, als Roberts Frau und Tochter bereits erkrankt und sichtlich geschwächt sind, werden Robert und Ben bei der Laborarbeit gezeigt, die keine Früchte zu tragen scheint. Die Terminologie ist dabei schwankend. Sie sprechen die meiste Zeit von einem »germ«, also einem wie auch immer gearteten Krankheitserreger. Roberts Vorgesetzter beschreibt ihre Arbeitshypothese als »virus-theory«, während Robert unter dem Mikroskop eine Ansammlung von »bacilli«, also stäbchenförmigen Bakterien, betrachtet, die sich kannibalisch gegenseitig verzehren. In jedem Fall scheint weder eine Erklärung der Seuche noch eine Möglichkeit von Immunisierung oder Heilung in Sicht zu sein und Ben berichtet von Gerüchten, dass die Opfer der Seuche als Vampire wieder auferstehen würden, was Robert nicht glauben will.132 Erst als seine verstorbene Frau, die er entgegen der staatlichen Anordnung133 nicht in der zentralen Verbrennungsstelle hat einäschern lassen, aus ihrem Grab zurückkehrt134 , muss er einsehen, dass Bens Theorie zutreffend war. Und doch wird sich am Ende das stoische Credo von Roberts Vorgesetztem als bedeutsam erweisen, an das sich dieser trotz des allumfassenden Niedergangs im längst verlassenen Labor noch festhält: »I don’t deny that there’s some strange evolutionary process going on, but mankind won’t be destroyed.«135 Denn, so findet Robert am Ende heraus, die Menschheit hat sich längst weiterentwickelt. Die Infizierten haben in ihren Verstecken ein Gemisch aus Blut und Impfserum hergestellt, das bei regelmäßiger Einnahme den Erreger zwar nicht bekämpfen, wohl aber in Schach halten kann.136 Es sind Vampirmenschhybride entstanden und sie sind im Begriff, eine neue Gesellschaft zu errichten. »We’re alive, infected yes, 130 Vgl. The Last Man on Earth, 0:00:00-0:09:14. 131 Vgl. ebd., 0:29:30-0:31:01. 132 Ebd., 0:31:48-0:37:45. 133 Vgl. ebd., 0:37:51-0:38:20. 134 Vgl. ebd., 0:48:00-0:52:25. 135 Ebd., 0:43:55-0:44:04. 136 Vgl. ebd., 1:10:30-1:11:41.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

but alive. We are going to reorganize society«, erklärt ihm Ruth, die als Spionin von den Infizierten geschickt wurde, um ihn, Robert, auszuforschen. Während die hybridisierten Menschen nämlich allein die verstorbenen Infizierten im Visier haben, die als untote Vampire ruhelos umherwanken, hat Robert gnadenlos auch die Lebenden umgebracht. »You’re a legend in the city, moving by day instead of night, leaving as evidence of your existence bloodless corpses. Many of the people you killed were still alive! Many were loved ones of the people in my group.«137 Wie sich herausstellt, hat ihn seine unterschiedslose Tötung von lebenden wie untoten Infizierten in den Rang eines Monsters versetzt, das nun nicht mehr in die neue Gesellschaft integriert werden kann. Er, dem die Infektion verwehrt blieb, da er vor Jahren in Panama von einer vermutlich infizierten Fledermaus gebissen und dadurch immunisiert worden ist138 , muss sich nun als Relikt einer untergegangenen Ordnung betrachten. Zwar besteht durchaus noch eine Chance, diese fortzusetzen, indem er Ruth durch die Antikörper in seinem eigenen Blut gänzlich von den Vampir-Erregern zu befreien im Stande ist.139 Dieser Triumph ist aber von kurzer Dauer, denn als die Hybridmenschen anrücken, um Robert als fortwährende Störung und Bedrohung ihrer neuen Souveränität auszuräumen, wird Ruth von einem untoten Vampir gebissen. Dieser Biss, so ist die Dramaturgie des Films am Ende zu verstehen, scheint Ruth reinfiziert zu haben und somit ist mit Roberts Tod tatsächlich »The Last Man on Earth« getilgt worden, die neue Gesellschaftsordnung der Hybridmenschen hat die alte vollständig ersetzt.140 In »The Last Man on Earth« wird Le Bons »contagione mentale« also biopathologisch um- und ausformuliert. So wie Le Bon in der psychischen Infektiosität auf irritierende Weise sowohl die Ursache der Masse zu erkennen glaubt als auch eine ihrer wesentlichen Eigenschaften141 , ist die pandemische Infektiösität hier ebenfalls sowohl Ursache wie Eigenschaft der Massenvampire. Jedoch zeigt sich im Vergleich zu Mathesons Romanvorlage, die in der Auserklärung der Vampirseuche wesentlich ausführlicher ist, eine interessante Diskrepanz. Robert Neville, so heißt der Protagonist dort, ist nämlich keinesfalls von Beginn an in die Bekämpfung der Seuche involviert und muss erst, als er sich längst in seinem verbarrikadierten Haus zurückgezogen hat, ein mühevolles autodidaktisches Studium der Biopathologie hinter sich bringen, um so die Ursache der Seuche ermitteln zu können. Während vor dem Zusammenbruch bereits spekuliert wurde, dass die durch einen zurückliegenden Atomkrieg verursachten Sandstürme mit der Verbreitung der Krankheitserreger in Verbindung stehen142 , kann Neville später veri137 Ebd., 1:11:59-1:12:47. 138 Vgl. ebd., 1:09:00-1:09:20. 139 Vgl. ebd., 1:15:00-1:16:10. 140 Vgl. ebd., 1:18:53-1:25:02. 141 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 15. 142 Vgl. Matheson: I am Legend, S. 44-46.

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fizieren, dass es sich beim Krankheitserreger um einen Bazillus handelt, der sich vom Blut seines Wirts nährt, seinen Blutdurst verursacht und sich, sobald dieses nicht mehr im ausreichenden Maße verfügbar ist, über Sporen weiterverbreitet. Daher ist auch die Verbreitung per Sandsturm ideal, da dieser nicht nur die Sporen bewegt, sondern auch jene Hautverletzungen verursacht, durch welche die Sporen in den menschlichen Körper eindringen können.143 Als er dann auf die Spionin Ruth trifft, gelingt ihm aber im Unterschied zur Filmadaption nicht ihre Heilung, er wird von ihr niedergeschlagen, sobald er mit dem Mikroskop den Vampirbazillus in ihrem Blut entdeckt, und alsbald von den Vampirmenschhybriden festgesetzt, um dort zu erfahren, dass er sterben wird. »Robert, they hate you. And they want your life«, erklärt Ruth.144 Im Roman sind somit zwei Dinge eindeutig. Erstens läuft die Infektion, die Menschen in Massenvampire verwandelt, allein über Luftbewegungen, bei denen sich Bazillen von einem Infizierten zum noch Uninfizierten fortbewegen können. Zweitens ist am Ende eindeutig, dass Neville ein absterbender Atavismus ist. Die Hybridmenschen haben die Herrschaft über die Erde übernommen und Neville hat keine Chance, sich und seine Art zu perpetuieren. In der Filmadaption sind nun diese beiden Punkte destabilisiert, indem sich, bei genauerer Betrachtung, zwei konkurrierende Lesarten ergeben. Nach der näherliegenden und in der Forschung einheitlich vertretenen Lesart145 , die von der düsteren Filmdramaturgie am Ende unterstützt wird, wäre Ruths Heilung durch den Vampirbiss zurückgedreht. Das würde zwar zum einen bedeuten, dass mit Morgan tatsächlich »The Last Man on Earth« von der Erde getilgt wäre, bedeutete aber zum anderen auch eine eigenartige Singularität, ist bis dahin doch jede Ansteckung durch Krankheitserreger in der Luft vonstattengegangen, der Biss der Vampire findet als Ansteckungsweg keinerlei Erwähnung. Da die hochgradig fluide Ansteckungsweise des Seuchenerregers ohnehin die gesamte Menschheit in rasantem Tempo infiziert, wird der Bluthunger von Beginn an als etwas geführt, das die Infizierten eher unter einander ausleben und daher kaum als Infektionsweg von Bedeutung sein kann.146 Eine zweite Lesart eröffnet sich aber, wenn man bedenkt, dass Ruths Heilung genau genommen nicht zurückgedreht worden sein kann, auch wenn die Filmdramaturgie genau diese Deutung forciert. Wenn Morgan nämlich immunisiert ist und seine Antikörper nun in Ruths Blutbahn Eingang gefunden haben, müsste doch auch sie immunisiert worden sein. Nicht umsonst ruft Morgan nach Ruths Heilung begeistert aus: »You and I can save all the others!«147 Wenn dem so wäre, hieße dies aber auch, dass Morgan als letzter Mensch und letztes Monstrum eben nicht getilgt worden wäre, 143 144 145 146 147

Vgl. ebd., S. 75-77. Ebd., 157. Vgl. außerdem S. 142-159. Vgl. bspw. Christie: »A Dead New World«, S. 67. Vgl. The Last Man on Earth, 0:04:58-0:05:10. Ebd., 1:16:14-1:16:17.

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dass die alte Ordnung damit (noch) nicht vollständig durch eine neue ersetzt wäre, da Ruth weiterhin Antikörper zur potentiellen Heilung bzw. Enthybridisierung der infizierten Lebenden in sich aufgespeichert hätte. Entweder ist Morgan also nicht wirklich »The Last Man on Earth«, dafür behält die Infektionsmechanik aber eine konsistente Funktionsweise. Oder Morgan ist doch »The Last Man on Earth«, dann aber schwankt die Vampirseuche zwischen kontaktfreier Luftübertragung und Bissinfektion. Dieses Schwanken zwischen einer infektiösen Masse, die per Biss neue Individuen in sich verschmilzt, und einer Masse, deren Infektionswege unsichtbar bleiben und nur unter Umständen einer mehr oder minder schlüssigen, biopathologischen Erklärung zugänglich werden, erweist sich als folgenschwere Konstellation, die sich in Romeros Rekodierung des Zombiefilms fortsetzen wird. Hier wie dort werden die untoten Wesen, die nun nicht mehr nur als kannibalische Blutsauger, sondern gleich als Vollverwerter auftreten148 , durch eine unsichtbare Ursache generiert, die sich erst durch naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle potentiell plausibilisierbar macht. Das, was in »Invasion of the Body Snatchers« als außerirdische Hülsen auftritt und was in »The Last Man on Earth« als Vampir-Bazillus zum Ausgangspunkt der Seuche wird, ist in »Night of the Living Dead« der Strahlung der Venus zugeschrieben, die versehentlich durch eine NASA-Sonde zur Erde transportiert wurde und die Reanimierung von »persons who have recently died« sowie deren Verwandlung in anthropophage Reizreaktionsautomaten zur Folge hat.149 Und hier wie dort wird dennoch parallel eine Bissinfektion impliziert150 , die in direkter Weise die Infektion von Massenglied zu neuem Massenglied verbildlicht. In jedem Fall wird somit hier wie dort eine gänzlich führerlose Konstitution der Masse imaginiert, die nicht mehr, wie Le Bon noch hofft, von einem Führer unterworfen werden kann, und daher ihre 148 Vgl. Night of the Living Dead, 1:15:12. 149 Ebd., 0:56:25-0:56:28. Vgl. außerdem ebd., 0:55:30-0:58:20, und ebd., 1:17:56-1:18:27. 150 Nachdem ein Wissenschaftler in der Live-Berichterstattung warnt, dass auch verletzte Menschen überwacht werden müssten, wird der Protagonist, Ben, aufmerksam und schickt Helen Cooper in den Keller zur Überwacherung ihrer Tochter, die verletzt und bewusstlos ist. Vgl. ebd., 1:00:58-1:01:23. Wie sich herausstellt, ist Karen von einem Zombie gebissen worden und Ben gibt zu bedenken: »Who knows what kind of diseases those things carry.« Vgl. ebd., 1:16:30-1:17:15. Da der Nachrichtensprecher bereits verdeutlicht hat, dass die Venus-Strahlung jeden Verstorbenen, unabhängig von der Todesursache, in einen der »flesh eating ghouls« verwandelt (vgl. ebd., 1:17:56-1:18:27), wird daraus kombinierbar, dass der Biss der Zombies nur mittelbar zur Zombifizierung führt, da er schlicht tödlich ist und die so Verstorbenen, wie alle anderen kürzlich Verstorbenen auch, durch die Venusstrahlung als anthropophage Massenwesen reaktiviert werden. Dennoch bleibt der Biss im weiteren Verlauf des Genres der wesentliche Mechanismus, über den die Zombie-Masse sich die Menschen im doppelten Sinne einverleibt, also sich diese teilweise als Nahrung zuführt und anschließend den unverzehrten Rest als reaktivierten Bestandteil der zombifizierten Masse rekrutiert.

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»Herrschaft« als »Stufe der Auflösung«, als »Kraft der Zerstörung«151 vollumfänglich entfesseln muss. Diese hirntote, bewusstlos vor sich her taumelnde, anthropophage Zombiemasse, die Romero erstmals auf die Leinwand bringt und die sich mit gewissen Varianzen, aber einer insgesamt großen Stabilität bis in die Zombie-Filme, -C omics, -C omputerspiele und -Romane der jüngsten Vergangenheit fortsetzt, ist somit nichts als der (vorläufige) Endpunkt einer Genealogie, die im »Cabinet des Dr. Caligari« ihren Anfang nimmt und die sich, wie es hier vorgeführt wurde, mittels massenpsychologischer Theoreme nachzeichnen lässt. Während in der apokryphen Frühphase und im daran anschließenden Voodoo-Zombie-Film vor allem die freudianische Konstellation der Massenkonstitution aufscheint, in der stets ein Führer Individuen zu bewusstlosen Gliedern seiner ihm hörigen Masse verschmilzt, präfigurieren »Invasion of the Body Snatchers« und »The Last Man on Earth« dann jene selbsttätige Entstehungsweise der Masse, die Romero kurz darauf maßgeblich ins Genre einschreibt. Diese selbsttätige Entstehungsweise steht in dem Punkt nun Le Bons »Psychologie der Massen« wesentlich näher. Eines Führers bedarf es hier nicht, um den massierten Körpern ihre ehemals vorhandenen Individualbewusstseine auszustreichen. Entsprechend tritt auch das, was Le Bon als genuin emergente Eigenschaft der Masse beschrieben hat, erst mit dieser führerlosen, selbsttätig sich konstituierenden Masse explizit auf den Plan: Die radikale Fluidität psychischer Zustände innerhalb der Masse, die Le Bon mit dem Begriff der »contagion mentale« metaphorisiert, literalisiert sich hier nun als eine tatsächlich biopathologisch ablaufende Infektionskrankheit, die zugleich zu oszillieren beginnt zwischen einer unsichtbaren Prozessualität, die nur in naturwissenschaftlichen Theoremen nachträglich und versuchsweise verbalisiert und rationalisiert werden kann, und einer sehr sichtbaren, blutigen Bissinfektion, die sich von Massenglied zu Massenglied fortsetzt und die Infektionswege unmittelbar visualisiert aufscheinen lässt. In dieser Perspektive zeigt sich überraschenderweise, dass Le Bon, trotz aller Mängel seines Theoriedesigns, an und für sich einen höheren Komplexitätsgrad zulässt als Freuds Homogenisierung der Le Bon’schen Brüche und ihrer Befüllung mittels Libido-Theorie. Denn während Le Bon das spontane Auftreten von Massen ermöglicht und deren Steuerung durch eine zentralisierte Führungsinstanz als favorisierten, aber nicht zwangsläufigen Zustand erklärt, ist bei Freud eine dauerhaft zielgehemmte Objektbesetzung in der Vertikalen immer obligatorisch. Die Fortführung der psychischen Infektion durch deren Neubefüllung als eine horizontale, regressive Objektbesetzung namens Identifikation fungiert bei Freud in dieser Betrachtungsweise auch eher als Staffage, die kaum theorieinternes Gewicht entwickeln kann. Während Le Bons Infektionsbegriff ja durchaus die rasante Fluidität psychischer Prozesse 151 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 4.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

innerhalb der Masse thematisiert und für das Zombie-Genre in literalisierter Form anschlussfähig macht, ist bei Freud genau genommen die Masse immer schon in seiner zwangsläufigen Verliebtheit domestiziert. Ihre Zerstörungswut, die bei Freud Kulturfeindschaft heißt, ist daher auch eher der einbrechenden Repressionsleistung der Religion zuzusprechen und weniger einer entfesselten Eigendynamik der Masse, einem Wechselspiel aus massierter Infektiosität und Suggestivität, einem Reagieren auf das eigene Agieren, wie dies Le Bon der Masse zuspricht. So problematisch Le Bons »Psychologie der Massen« auch sein mag und so wenig das darin in Anschlag gebrachte Theoriedesign dem gewachsen ist, was es sich zu erklären vorgenommen hat, ist es doch Freuds homogenisierendem Einsatz der Libido-Theorie insofern überlegen, als Le Bon zumindest ansetzt, die Masse als Emergenzgeschehen im engeren Sinne zu schildern und nicht als bloßen Effekt einer wie auch immer gearteten Führerqualität herunterzuspielen. Und dies gilt nun auch für das Zombie-Genre: Während es zu Beginn, wie Freud, die anwachsende Masse bewusstloser Reiz-Reaktions-Automaten nur als Produkt und Epiphänomen einer Führerfigur denken kann, setzt sich in der weiteren Entwicklung eine Konfiguration von Masse durch, die, wie bei Le Bon, spontan emergiert, sich infektiös ausbreitet, autonom agiert und für all dies auf keinen Hypnotiseur mehr angewiesen ist. Wie steht es nun um den Untergang im Schlund der Masse? Zu Beginn erscheint die Unterworfenheit des zombifizierten Körpers unter die Befehlsgewalt des bewussten Hypnotiseurs äußerst eindeutig und unverrückbar zu sein, sie stellt sich aber bei genauerer Betrachtung stets als durchaus brüchig heraus und verweist somit auf die Bedrohung, der sich die massenpsychologisch konfigurierte Führungselite ausgesetzt sieht. Dort, wo diese Führungsebene gar nicht mehr erst existiert, da sich die Masse ganz von selbst generiert und eine ihr nachträglich vorgesetzte Steuerungsinstanz nicht mehr zu akzeptieren gewillt ist, realisiert sich diese Bedrohung tatsächlich und zwar in einer Dimension, die das gesamtgesellschaftliche Gefüge samt ihrer zivilisatorischen Infrastruktur hinwegzufegen droht. Die Frage, ob diese Zerstörung dabei irreversibel verläuft und, wenn ja, was nach dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung geschieht, wird in diesem Feld aber noch unterschiedlich beantwortet. Während in Mathesons Roman »I am Legend«, in der Verfilmung »The Last Man on Earth« und in gewisser Weise auch im 1978 erschienen Remake von »Invasion of the Body Snatchers« am Ende die ursprüngliche gesellschaftliche und zivilisatorische Ordnung vollständig unterminiert ist und durch eine neue ersetzt wird, ist dies sowohl in der ersten Verfilmung von »Invasion of the Body Snatchers« als auch in dessen Romanvorlage nicht der Fall. Hier hat die menschliche Gesellschaft noch gute Chancen, sich der außerirdi-

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schen Ersetzung zu erwehren.152 Ähnlich hält es auch »Night of the Living Dead«. Die schießwütige Bürgerwehr kann die Zombies erfolgreich ausmerzen, die alte Ordnung ist zurück.153 Dies ändert sich erst mit »Dawn of the Dead«, mit dem Romero dem Zombie-Genre am deutlichsten seinen Stempel aufdrücken wird.154 Hier ist die Ordnung ersatzlos zusammengebrochen und eine neue nicht in Sicht.155 Was die kleine Überlebendengruppe in »Night of the Living Dead« bereits mikrokosmisch gezeigt hat, nämlich die verhängnisvolle Unfähigkeit einer Ansammlung von Menschen, sich auf ein gemeinsames und geeintes Verhalten gegenüber der radikal veränderten Umwelt zu verständigen156 , wird dort im Makrokosmos der Gesamtgesellschaft ausgearbeitet und in seinen folgenden Filmen immer aufs Neue wiederholt. Und damit zeigt sich dann auch der Moment, in dem die massenpsychologischen Theoreme an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangen. Indem Romeros Blick sich nämlich mit solcher Insistenz auf den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung richtet und auch der Zustand, der auf diesen folgt, mehr und mehr in den Fokus gerät, können weder Le Bon noch Freud, über die Herleitung der unbewussten Masse und ihrer apokalyptischen Bedrohlichkeit hinaus, das Instrumentarium für weitergehende analytische Geländegewinne zur Verfügung stellen. Le Bons geschichtsphilosophische Perspektive ist ja die eines »Kreislauf[s]«, in dem »sich das Leben eines Volkes« bewegt, in dem die Masse nur insofern beteiligt ist, als es in nekrophager Weise sein »Zerstörungswerk« im phylogenetischen Zyklus menschlicher Kulturen zu verrichten hat, die ohnehin morsch gewordenen Kulturen also ihrem Ende zuführen muss, um dann jenen Rohstoff abzugeben, aus dem sich erneut »eine Rasse […] bilden«, »eine neue Kultur mit ihren Einrichtungen, Glaubensformen und Künsten entstehen« wird.157 Dieser Verlauf ist vielleicht noch bei Mathesons »I am Legend« und in der Filmadaption »The Last Man on Earth« wiedererkennbar, wo ja tatsächlich aus der Masse der Infizierten am Ende 152 Am Ende der ersten Filmadaption kann Bennell einen Psychiater von seiner Geschichte überzeugen, der in einer noch unkopierten Polizeiwache sofort Gegenmaßnahmen ergreift. Vgl. Invasion of the Body Snatchers, 1:19:00-1:20:00. Im Roman kapitulieren die Außerirdischen gar vor dem Widerstandswillen Bennells. Vgl. Finnay, Jack: Invasion of the Body Snatchers, S. 207-216. Im Remake von 1978 scheint die menschliche Gesellschaft dagegen schon beinahe gänzlich ersetzt worden zu sein oder der außerirdischen Ersetzung zumindest nicht mehr wirklich widerstehen zu können. Vgl. Invasion of the Body Snatchers, Regie: Philip Kaufman, 1:46:27-1:49:28. 153 Vgl. Night of the Living Dead, 1:32:00-1:35:20. 154 Lockhurst spricht davon, dass Romeros einflussreiche Rekonfiguration des Zombies als anthropophagem Massenwesen zwar in »Night of the Living Dead« erstmals eintritt, sich aber erst mit dem überaus erfolgreichen »Dawn of the Dead« stabilisiert. Vgl. Lockhurst: Zombies, 137, 147f. 155 Vgl. nur Dawn of the Dead, 0:00:00-0:18:18. 156 Vgl. bspw. Night of the Living Dead, 0:47:00-0:48:30. 157 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 155-157.

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eine neue Gesellschaftsordnung erwächst, und, wenn man so will, kann auch das Remake von »Invasion of the Body Snatchers« hinzugezählt werden, wo die neue Ordnung sich von Beginn an in die alte einzukopieren beginnt. Bei Romero und im von ihm maßgeblich geprägten weiteren Verlauf der Genre-Entwicklung ist von einem solchen phylogenetischen Kreislaufmodell aber nicht mehr viel vorzufinden. Es mögen sich vage und rudimentäre Ansätze von Zombie-Gemeinschaften bilden, aber an keiner Stelle ist dadurch eine wirklich vollumfänglich reorganisierte Gesellschaftsstruktur festzustellen, die sich aus der evolutiven Ursuppe einer untoten Zombiemasse heraus entwickelt hätte. Und auch Freuds Naturzustand, den er im Wesentlichen durch die von Darwin entlehnte Urhordenypothese zu füllen sucht, reproduziert lediglich eine zwischen Führer und Masse aufgespannte Konfiguration, die kaum Aussagen über Szenarien zulässt, in denen menschliche Kleingruppen in der zurückgelassenen Infrastruktur einer untergegangenen Zivilisation zu überleben versuchen und zugleich massierte, anthropophage Untote abwehren müssen. Kein Urvater zwingt die Untoten durch Triebverzicht in eine massenhafte Binnenidentifikation und kein Patrizid kann ihnen den Ausgang aus der Psychologie der Masse und den Zugang zu internalisierter Triebkontrolle und Individuation eröffnen. Romeros insistenter Blick auf den Zusammenbruch der Gesellschaft und auf den Zustand, der auf ihn folgt, macht also deutlich, wie wenig die Theoreme der Massenpsychologie – trotz ihrer vage apokalyptisierten geschichtsphilosophischen Rahmung – hier über das Funktionieren des Zusammenbruchs, über die Funktion des Zusammenbruchs und über den Zustand nach dem Zusammenbruch aussagen können. Werbers Kritik an der Anwendung des Naturzustandsbegriffs ist hier zumindest insofern treffend, als Freud und auch Le Bon sich zu eng am kontraktualistischen Vorbild eines auf freiem Feld ablaufenden Geschehens orientieren. Damit ist aber nicht gesagt, dass der Naturzustand in Gänze verworfen werden müsste, es bedarf vielmehr einer ausreichend komplex apokalyptisierten Fassung desselben, die in Carl Schmitts »Politischer Theologie« sowie im »Begriff des Politischen« vorzufinden ist.

4.2.

Kontrollverlust und Untergang. »Night of the Living Dead« und »Dawn of the Dead«

Dass Romeros »Night of the Living Dead« kaum diskutiert werden kann, ohne auf Richard Mathesons Roman »I am Legend« und, stärker noch, auf dessen Filmadaption »The Last Man on Earth« zu sprechen zu kommen, konnte nun also bereits mit Blick auf die selbsttätige Emergenz der Masse und die Literalisierung der psychischen Infektiösität zu einer biopathologischen dargestellt werden. Auch die Forschungsliteratur attestiert Romeros Debüt häufig Anleihen bei »I am Legend« und

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»The Last Man on Earth«, bemüht dabei aber entweder die unzutreffende Überspitzung, »Night of the Living Dead« sei nichts als eine weitere Matheson-Adaption158 , oder sie belässt es beim einigermaßen pauschalen Hinweis, in »The Last Man on Earth« sei die »filmische Blaupause[]« zu erkennen, die Romero später »ikonographisch zitier[t]« habe159 , vor allem was die »physicality« der Untoten angehe.160 Dabei gäbe es hier durchaus spezifische Parallelen, die benennbar wären und sich gerade im Vergleich zu Romeros späteren Genre-Beiträgen auf interessante Weise abheben. Als Ben sich etwa in »Night of the Living Dead« ins Haus geflüchtet hat, zerstört einer der ersten Zombies, gegen die er sich zur Wehr setzen muss, gezielt den Scheinwerfer seines Autos, indem er einen Stein darauf schleudert.161 Im späteren »Dawn of the Dead«, mit dem Romero sein Modell des Zombie-Films stabilisieren wird, ist von solch zielgerichtetem Werkzeuggebrauch keine Spur mehr.162 Die Aggression gegen das Fahrzeug ließe sich darüber hinaus kaum aus dem »pure motorized instinct« erklären, den ein Wissenschaftler in »Dawn of the Dead« zur Ursache ihrer Menschenjagd erklärt.163 Was sich hier nun retrospektiv als Divergenz zu Romeros späterer Zombiekonfiguration darstellt, weist zugleich eine erhebliche Verwandtschaft zu einer vorbildhaften Szene aus »The Last Man on Earth« auf, in der Morgan, der am Grab seiner Frau den nahenden Sonnenuntergang versäumt hat, bei seiner Heimkehr bereits die nächtliche Vampirmeute vor dem Haus antrifft und sich nur noch mit Mühe den Weg dorthin freikämpfen kann. Er hat dabei keine Möglichkeit mehr, sein Auto wie üblich in der Garage vor der allnächtlichen Zerstörungswut des Mobs zu schützen, und sobald er sich hinter seine Haustür retten kann, beginnen die wankenden Untoten, den Wagen mit Holzlat158 Vgl. etwa Lockhurst, Roger: »The public sphere, popular culture and the true meaning of the zombie apocalypse«, in: David Glover, Scott McCracken (Hg.): The Cambridge Companion to Popular Fiction, Cambridge: Cambridge UP 2012, S. 68-85, hier: S. 78. Vgl. auch Moreland, Sean: »Shambling Towards Mount Improbable«, S. 78. 159 Meteling, Arno: »Endspiele«, S. 51. 160 Cohen: »The Legend of Disorder«, S. 49. 161 Vgl. Night of the Living Dead, 0:16:30-0:17:11. 162 In »Dawn of the Dead« wird zwar gezeigt und erklärt, dass Zombies versuchen, vergangene Alltagspraktiken rudimentär nachzuvollziehen, und dabei auch durchaus von Gegenständen Gebrauch machen. Dies lässt sich aber kaum auf die oben genannte Szene übertragen, ist ein gezielter und effektiver Steinwurf auf die Autoscheinwerfer eines zufällig herbeigefahrenen Überlebenden doch kaum als erinnerte Alltagshandlung zu werten. Vgl. Dawn of the Dead, 0:54:58-0:56:14. Dass der Zombie Bub in »Day of the Dead« zu Werkzeuggebrauch fähig ist, geht dort auf Dr. Logans menschenfleischgestützte Dressur zurück. Vgl. Day of the Dead, 0:46:30-0:51:03. Die spätere Zombie-Evolution in »Land of the Dead«, in der Zombies plötzlich nicht nur zu Werkzeuggebrauch, sondern auch zu strategischem Handeln und Triebkontrolle in der Lage sind, wird dort innerdiegetisch als plötzlich einsetzende, neue evolutive Entwicklung eingeführt. Vgl. Land of the Dead, 0:03:00-0:03:25. 163 Dawn of the Dead, 0:55:50-0:55:58.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

ten und ähnlichen Hilfsmitteln zu zerstören.164 Zudem ist in ähnlicher Weise auch der Zombie, der sich in »Night of the Living Dead« mit einem abgetrennten Tischbein ausrüstet und damit auf das verbarrikadierte Haus einzuschlagen beginnt165 , eine recht unmittelbare Übernahme der untoten Vampire, die in »The Last Man on Earth« mit ihren Holzlatten und anderen Instrumenten Morgans Barrikaden einigen Schaden zufügen können.166 Jedoch, trotz dieser großen Nähe sowohl in den erzählerischen Prämissen als auch in deren visueller Ausgestaltung, ist es ein Fehler, Romeros Innovationen zugunsten seinen Anleihen zu übergehen oder auch nur zu unterschätzen. Dass Romero sich etwa des revolutionären Filmendes enthält, das »The Last Man on Earth« noch getreu der Romanvorlage im Aufstieg einer neuen Gesellschaft aus Vampirmenschhybriden entwirft, um stattdessen in »Night of the Living Dead« eine restaurativ-gewalttätige Rückkehr der alten Ordnung zu beschreiben, die in den späteren Filmen auf einen ersatzlosen Untergang dieser Ordnung verkürzt wird, ist oben bereits dargestellt worden. Als wesentliche Neuerung kommt hier aber nun hinzu, dass Romero keinen vereinsamten, vereinzelten, atavistischen Überlebenden der untoten Masse gegenüberstellt, der sich am Ende als eigentliches Monstrum herauszustellen hat. Vielmehr geht es bei Romero – und seit Romero – immer um eine ganze Gruppe von Überlebenden, um die internen Dynamiken innerhalb dieser Gruppe und um deren Zusammenwirken mit der äußeren Bedrohung der untoten Übermacht. »Night of the Living Dead« setzt ein mit Barbra und ihrem Bruder Johnny, die im Auftrag der ältlichen Mutter drei Stunden aus Pittsburgh hinaus aufs Land fahren, um dem Vater zum Todestag neuen Grabschmuck auf den Friedhof zu bringen. Johnny nimmt nur missmutig die lange Fahrt auf sich und hält wenig von der Pietät gegenüber dem Vater, an den er sich kaum noch erinnert. Barbra fühlt sich dagegen ihrer Mutter und dem Andenken des Vaters durchaus verpflichtet und so entspinnt sich ein nicht unbedingt aggressives, aber doch ein zänkisches Zwiegespräch, in dem Barbra permanent die murrenden Despektierlichkeiten ihres Bruders zu parieren versucht. Am Grab des Vaters erinnert sich Johnny, wie viel Angst Barbra früher, als sie noch klein war, auf dem Friedhof hatte und wie er einmal hinter einem Grabstein hervorgesprungen war, um ihr Angst einzujagen.167 Als er feststellt, dass Barbra sich auch jetzt noch gruselt, beginnt er sie neckisch zu verfolgen und ruft mit heiserer Stimme: »They’re coming to get you, Barbra!« Eine langsam schlurfende Gestalt kommt auf sie zu, Johnny scherzt weiter: »Look! There comes one of them now. Here he comes now! I’m getting out of here«, und rennt 164 165 166 167

Vgl. Last Man on Earth, 0:23:00-0:25:41; 0:52:49-0:53:02. Vgl. Night of the Living Dead, 1:21:29-1:21:35. Vgl. Last Man on Earth, 0:18:28-0:18:32. Vgl. Night of the Living Dead, 0:02:13-0:05:56.

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davon.168 Natürlich stellt sich heraus, dass es sich um den ersten Zombie handelt, der im Film auftritt, und Barbra, die diesem nun allein gegenübersteht, wird angegriffen. Zwar kommt Johnny ihr zu Hilfe, sodass sie sich retten kann, er wird dabei aber überwältigt und Barbara flieht in Panik.169 Nimmt man diese kurze Episode als Präfiguration dessen an, was sich bei Romero immer wieder innerhalb einer Gruppe von Überlebenden abspielen wird, so lassen sich hier bereits die drei wesentlichen Merkmale der internen Gruppendynamik identifizieren: Erstens läuft innerhalb der Gruppe eine Verkettung von konfliktreichen Kommunikationen ab. Zweitens speist sich das bestehende Konfliktpotential aus zurückliegenden Konflikten, hier also aus Johnnys seit Kindertagen bestehender Weigerung, sich dem rituellen Gedenken an den Vater unterzuordnen, wie es von der Familie, für die Barbra zu sprechen scheint, erwartet wird. Drittens führt diese sich perpetuierende Konfliktpraxis dazu, dass die Gruppe auf die plötzlich eintretende Veränderung der Umweltbedingungen nicht adäquat reagieren kann und in der Folge dezimiert wird. Ein erstes Mal arbeitet Romero dies in der Überlebendengruppe aus, die sich kurz darauf in einem Farmhaus zusammenfindet. Kurz nachdem Barbra dort Zuflucht sucht und die ursprünglichen Besitzer halb verzehrt im ersten Stockwerk entdeckt, trifft auch Ben ein, dessen Pickup der Treibstoff auszugehen droht und der daher die Benzinpumpe der Farm ansteuert.170 Interessanterweise verfällt Barbra, sobald sie auf Ben trifft, in einen eigenartig katatonischen171 Zustand. Hatte sie bis dahin noch selbständig für ihr Überleben gesorgt, indem sie sich ins Haus geflüchtet, sich in der Küche mit einem Messer bewaffnet und das funktionsuntüchtige Telefon zu nutzen versucht hatte172 , ist sie nach Bens Eintreffen kaum noch zu rationalen und auf die unmittelbare Situation gerichteten Handlungen fähig, verbleibt in einer passiven Schockstarre, gibt keine Antworten auf Bens Fragen oder bricht, als Ben auf sie einredet, in einen panischen Heulkrampf aus.173 Ben scheint dagegen von Beginn an die Sicherung von überlebenswichtigen Ressourcen und die Befestigung des Zufluchtsorts zu verfolgen, strategische und organisatorische Handlungsprogramme also, wie sie Morgan in »The Last Man On Earth« bereits ausführlich vorgeformt hat und wie sie seit Romero zentraler Bestandteil 168 Ebd., 0:06:00-0:06:22. 169 Vgl. ebd., 0:06:30-0:7:30. 170 Vgl. ebd. 0:13:00-0:14:08. 171 Barbras Zustand wird in der Forschung weitgehend einhellig als Katatonie beschrieben. Vgl. bspw. Brooks, Kinitra D.: »The Importance of Neglected Intersections. Race and Gender in Contemporary Zombie Texts and Theories«, in: African American Review 47, 4 (2014), S. 461-475, hier: S. 466. Vgl. auch Wood, Robin: Hollywood from Vietnam to Reagan … and beyond. Expanded and revised edition, New York u.a.: Columbia UP 2003, S. 102. 172 Vgl. Night of the Living Dead, 0:10:20-0:13:30. 173 Vgl. ebd., 0:13:40-0:16:30, 0:20:21-0:24:29.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

des Zombiegenres werden. »The truck is out of gas. The pump out there is locked, is there a key?«, fragt Ben sofort nach seinem Eintreffen.174 »Maybe we better take some food«, ist seine nächste Erwägung und er beginnt, den Kühlschrank auszuräumen.175 Kurz darauf: »We have to try to board up the house together. […] But we’ll have to work together, you’ll have to help me.«176 Seine Tatkraft, die um so mehr hervorsticht, je stärker Barbra dem hirntoten Umherwanken der Zombies außerhalb des Hauses angeglichen wird, hat Ben in der Rezeption nicht nur den Rang des Filmhelden und Protagonisten der Handlung eingetragen.177 Die Forschung rühmt ihn auch als »[s]elf-possessed, direct, logical, capable, Ben understands the zombie threat and takes decisive action«.178 Er sei »the sole character in the film who is both sympathetic and capable of reasoned action.«179 Dass Bens Selbstbeherrschung und rationale Besonnenheit aber begrenzt ist und dies dem Zuschauer in durchaus unsympathischer Weise offengelegt wird, übersehen die zitierten Darstellungen freilich. Als Barbra etwa schildert, wie ihr Bruder Johnny überwältigt wurde, und sie Ben darum bittet, gemeinsam nach ihm zu suchen, ignoriert er sie vollständig. Er lässt sich nicht von seiner geschäftigen Arbeit am Haus abbringen und hält sie, als sie verzweifelt und allein aus dem Haus stürmen will, mit Gewalt ab. »Don’t you know what’s going on out there, this is no sunday school picknick«, belehrt er sie und schließt lapidar: »Your brother is dead.« Als Barbra sich zu wehren versucht und ihm dabei eine Ohrfeige gibt, schlägt er sie brutal mit der Faust nieder.180 Bens Kontrolle über Barbra ist dabei weniger an ihrem Wohlergehen als an seinem Machtanspruch ausgerichtet. Eindeutig erkennbar wird dies, als sich die Überlebendengruppe um Harry und Helen Cooper mit ihrer Tochter Karen sowie um das junge Paar Tom und Judy erweitert. Wie sich herausstellt, saßen sie in all der Zeit im Keller des Hauses und kamen Ben und Barbra auch dann nicht zur Hilfe, als Ben die ersten Zombieangriffe abwehren musste und das Haus zu verstärken begann. Ben kritisiert dies und Harry kontert: »That’s the cellar, it’s the safest place.« Ein Risiko einzugehen, um anderen zu helfen, sieht er nicht ein: »You’re telling us, we got to risk our lives, because somebody might need help?«181 Harry verweigert sich somit gegenüber Altruismus und Kooperation und wird dadurch zur Kontrastfolie für Bens wiederholte Appelle, zusammenzuarbeiten und durch Kooperation Vorteile in der Verteidigung eines mit Ressourcen bestückten 174 175 176 177 178

Ebd., 0:14:03-0:14:07. Ebd., 0:15:04-0:15:46. Ebd., 0:21:20-0:21:35. Vgl. Wood, Robin: Hollywood from Vietnam to Reagan, S. 102. McAlister, Elizabeth: »Slaves, Cannibals, and Infected Hyper-Whites: The Race and Religion of Zombies«, in: Anthropological Quarterly 85, 2 (2012), S. 457-486, hier: S. 478. 179 Vgl. Shaviro, Steven: The Cinematic Body, Minneapolis/London: University of Minnesota Press 1993, S. 88. 180 Night of the Living Dead, 0:31:00-0:31:15. Vgl. außerdem ebd., 0:27:58-0:31:24. 181 Ebd., 0:41:00-0:42:03. Vgl. außerdem ebd., 0:40:30-0:41:00.

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Unterschlupfes zu gewinnen. »With all of us working we can fix this place up in no time. We have everything we need up here.« Er ist sogar überzeugt, dass schon seine bisherigen Verstärkungsmaßnahmen ausreichend seien: »They can’t get in here.« Harry lässt sich davon nicht umstimmen: »You’re insane, the cellar is the safest place!« Er ist überzeugt, dass sich die Zombies schon durch ihre schiere Zahl nicht von den notdürftig vor Fenster und Türen genagelten Holzbrettern abhalten ließen. »There gonna be twenty, thirty or even a hundred of those things and as soon as they know we’re here, this place is gonna be crawling with them.«182 Ben und Harry gelangen zu keiner Einigung und als Harry sich wieder in den Keller zurückzieht, will er Barbra mit sich nehmen. »You leave her here«, interveniert Ben, der mit einem Gewehr bewaffnet ist. »Keep your hands off her – and off everything else that’s up here, too, because if I stay up here, I fight for everything that’s up here, and the radio and the food is part of what I’m fighting for.«183 Dass Barbra hier eingereiht wird zwischen Lebensmitteln und Unterhaltungselektronik, kann kaum ein Zufall sein, denn es ist zwar zutreffend, dass Harrys weitgehend eigennützige und auf die unmittelbare körperliche Unversehrtheit ausgerichtete Agenda sich nicht recht behaupten kann gegen Bens einnehmende Insistenz für eine gemeinschaftliche Organisation von Verteidigung und Ressourcen. Aber zugleich zeigt Ben wenig Zurückhaltung darin, seinen Machtanspruch zur Geltung zu bringen. Er duldet es nicht, wenn dieser in Frage gestellt wird, und sucht ihn auch durch die Verfügungsgewalt über Barbras katatonisch gelähmten Körper zu manifestieren. Nach George Romeros eigenem Bekunden ist es reiner Zufall gewesen, dass mit Duane Jones für Bens Rolle ein schwarzer Schauspieler gecastet wurde, seine Hautfarbe soll im Skript also keine Rolle gespielt haben. Die bestechende Analyse von Barbara S. Bruce weist allerdings darauf hin, dass dieser Umstand in der Rezeption des Films gleichwohl von entscheidender Bedeutung gewesen ist. Ob Romero dies also intendiert hatte oder nicht, Ben wurde vom zeitgenössischen Publikum als spezifisch afroamerikanische Figur gelesen, die dadurch nicht umhinkam, vor dem Hintergrund Sidney Poitiers zu stehen zu kommen, dem ersten schwarzen Schauspieler, der mit einem Oscar für eine Hauptrolle ausgezeichnet wurde und der lange Zeit als Projektionsfläche der Bürgerrechtsbewegung fungierte. In dieser Perspektive ist Ben durch Kleidung wie Habitus durchaus an die typischen Rollen Poitiers angelehnt, zugleich erkennt Bruce aber in Romeros Hauptdarsteller eine deutliche Reaktion auf die einsetzende Kritik an Poitier, dessen überangepasste, übermäßig beherrschte, moralisch integre und stets gänzlich unzweifelhafte Darstellung eines afroamerikanischen Angehörigen des Bürgertums noch stark ausgerichtet war auf den passiven Widerstand der moderaten Bürgerrechtsbewegung, 182 Ebd., 0:42:00-0:43:20. 183 Ebd., 0:46:40-0:47:05.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

die sich eine Integration in die weiße Mittelschicht zum Ziel gesetzt hatte.184 Im Jahr 1967, als die widerständigere und in Teilen militante Black Power-Bewegung an Zuspruch gewinnt, wächst somit auch die Kritik an Poitier und seinem »warmed over white shit«185 , seine Popularität schwindet.186 Im ein Jahr darauf erscheinenden »Night of the Living Dead« beantwortet Ben nun eine Ohrfeige nicht mehr auf gemessene und gleichgewichtete Weise, wie dies Poitier noch in »The Heat of the Night« getan hat187 , und er bricht die Erwartungshaltung, die das Publikum an den als heroische Figur inszenierten Protagonisten stellen mag, spätestens in dem Moment, in dem er Harry nach einem Handgemenge nicht nur mit vorgehaltener Waffe zum Einlenken bewegt, sondern ihn auch kurz darauf, obwohl er keine Gefahr mehr darstellt, kaltblütig niederschießt.188 Bruce sieht darin eine zwiespältige Erfüllung jener Forderungen, die an Poitier gestellt, von diesem aber nicht erfüllt werden konnten, denn Ben setzt sich aktiv und kompromisslos gegen den Machtanspruch der Weißen zur Wehr, lässt dabei aber die klimaktische Zuspitzung zugleich kippen: »the film casts this climax as moment, not of (black) victory, but rather of defeat […] this moment in the film marks the utter failure of the American hero«.189 Und Ben versagt auf ganzer Linie. Sein tollkühner Fluchtplan wird zum Fiasko und kostet Tom und Judy das Leben.190 Und als am Ende die Zombies durch die nur leidlich verstärkten Fenster und Türen ins Haus eindringen, ist Ben der einzige, der sich im Keller verschanzen kann und dadurch überlebt.191 Der egoistische, rechthaberische Harry behält somit Recht: Ben hat die Kraft der Zombiemasse und die Vorteile des Kellers unter-, die Verlässlichkeit seiner Verbarrikadierungsmaßnahmen dagegen überschätzt. Im Rückblick ist Harry sogar der einzige, der einen durchaus realistischen Kompromissvorschlag vorgebracht hatte, wollte er doch Bens berechtigten Hinweis auf die Ressourcen, die sich im Haus befänden, mit seiner eigenen Präferenz für den Keller als Rückzugsraum vereinbaren, indem er vorschlug, alles Brauchbare einfach mit in den Keller zu nehmen. Ben wollte davon aber nichts wissen.192 Der cholerische, weiße Familienvater kommt also nicht mit dem agilen, selbstbewussten Afroamerikaner überein und als Manifestation der jeweiligen Machtan184 Vgl. Bruce, Barbara S.: »Guess Who’s going to Be Dinner. Sidney Poitier, Black Militancy, and the Ambivalence in Romero’s Night of the Living Dead«, in: Moreman et al. (Hg.): Race, Oppression and the Zombie, S. 60-73, hier: S. 60-62. 185 Elliston, Maxine Hall: »Two Sidney Poitier Films«, in: Film Comment 5, 4 (1969), S. 27-32, hier: S. 28. 186 Vgl. Bruce: »Guess Who’s going to Be Dinner«, S. 61f. 187 Vgl. ebd, S. 66f. 188 Vgl. Night of the Living Dead, 1:22:45-1:23:10. 189 Bruce: »Guess Who’s going to be Dinner«, S. 71. 190 Vgl. Night of the Living Dead, 1:02:38-1:13:42. 191 Vgl. ebd., 1:25:26-1:26:43. 192 Vgl. ebd., 0:42:40-0:43:00.

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sprüche fungiert die Verfügungsgewalt über einen katatonisch gelähmten Frauenkörper. In dieser Form wird in Gänze sichtbar, was Romero zu Beginn zwischen Barbra und Johnny prologhaft vorbereitet hatte. Der Film zeigt, neben den Auseinandersetzungen zwischen Überlebenden und Untoten, vor allem die zirkuläre Verkettung konfliktbeladener Kommunikationen innerhalb der Überlebendengruppe. Diese speist sich dabei weniger aus den unmittelbar vor ihnen liegenden Gegebenheiten und Notwendigkeiten, sondern in stärkerem Maße aus den hergebrachten Konflikten jener Gesellschaftsordnung, die gerade existentiell bedroht ist. Und da sie nicht in der Lage zu sein scheinen, diese Differenzen zu überwinden, d.h. die hergebrachte Verlaufsform innergesellschaftlicher Kommunikationen zu unterbrechen, um angemessen auf die radikal veränderten Umweltbedingungen reagieren zu können, wird die Überlebendengruppe mehr und mehr dezimiert. Am Ende fällt dem auch Ben zum Opfer, der zwar die Nacht und den Zombieansturm, nicht aber die schießwütige Miliz überlebt, die der örtliche Sheriff am nächsten Morgen zum Haus führt. Sie scheint sich nicht wirklich darum zu kümmern, ob Ben nun ein Lebender oder Untoter ist, er wird sofort erschossen. »Ok, he’s dead, let’s go get him, that’s another one for the fire«, ruft der Sheriff zufrieden und auf grobkörnigen Fotografien, die an fotojournalistische Aufnahmen erinnern, ist zu erkennen, wie Bens Körper mit Fleischerhaken auf einen Scheiterhaufen gezerrt wird, während im Hintergrund Funksprüche und bellende Hunde zu vernehmen sind.193 Im Erscheinungsjahr des Filmes durfte dies als deutliche Referenz auf die rassistischen Lynchmorde und ähnliche Gewalttaten der Zeit verstanden werden.194 Auch wenn die Miliz die Bedrohung durch die Zombies vorerst beseitigt zu haben scheint, wird hier also deutlich, dass für die Überlebendengruppe, die im Haus zusammengewürfelt worden war und dabei als eine Art mikrokosmische Repräsentation der Gesellschaft zu stehen kam, das Wüten der Milizionäre nichts als eine Fortsetzung jener gesellschaftlichen Konfliktherde darstellt, an der sie mit Bens Tod nun vollständig zu Grunde gegangen ist. Dass diese mikrokosmische Ebene eine makrokosmische Entsprechung hat, realisiert Romero vollumfänglich erst in »Dawn of the Dead«, allerdings gibt es eine Szene in »Night of the Living Dead«, die dies bereits erprobt. Immer wieder verschaltet der Film die Instanz der Massenmedien in seine Erzählung, die über Fernsehen und Radio in das Haus der Übelebendengruppe dringt. In der hier relevanten Szene wird eine Übertragung aus Washington gezeigt, in der mehrere Reporter einem hohen Vertreter des Militärs, einem Wissenschaftler und einem weiteren Zivilisten, vermutlich einem Politiker, auf ihrem hektischen Fußmarsch in Richtung Kapitol folgen und sie zu interviewen versuchen. Während der Wissenschaftler sich 193 Ebd., 1:33:34-1:33:39; vgl. außerdem ebd., 1:31:50-1:34:50. 194 Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 120.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

überzeugt zeigt, dass die Strahlung der Venussonde für die Zombifizierung kürzlich verstorbener Menschen verantwortlich ist, unterbrechen der Militär sowie der Politiker immer wieder, da sie die Überzeugung des Wissenschaftlers nicht als Fakt gelten lassen wollen.195 Ob dem Militär dabei an Geheimhaltung gelegen ist und der Politiker bereits präventiv Schadenbegrenzung betreibt, um sich gegen potentielle Schuldzuweisungen und Verantwortlichkeiten zu wappnen, wird hier nicht geklärt, fest steht nur, dass sich Wissenschaft, Militär und Politik gegenüber der massenmedialen Öffentlichkeit nicht auf eine gemeinsame Linie festlegen können. In »Dawn of the Dead« greift Romero diese Leerstellen nun unmittelbar auf. Auch wenn die historischen Zeitpunkte zwischen »Night of the Living Dead« und »Dawn of the Dead« sehr verschieden sind und der eine Film kaum als unmittelbare Fortsetzung des anderen gesehen werden kann196 , zeigt sich doch zumindest insofern eine Kontinuität, als die Handlung zu Beginn von »Dawn of the Dead« gewissermaßen hinter den Bildschirm des Fernsehers schlüpft, dem die Überlebendengruppe in »Night of the Living Dead« noch zu entnehmen versuchte, was außerhalb des Hauses vor sich geht. Sie dringt ins Innere des Fernsehstudios vor, in die Produktion der Live-Sendung, mit der die Bevölkerung über die Bedrohung der Untoten informiert werden soll und die fortwährend jene Rettungszentren einblendet, die Ben zu seinem glücklosen Fluchtplan verleiten.197 Doch selbst wenn dieser geglückt wäre und sie das nahegelegene Rettungszentrum erreicht hätten, wäre, aus dieser Perspektive, das Überleben von Ben, Barbra, Tom, Judy und den Coopers keinesfalls garantiert gewesen, denn »Dawn of the Dead« beschreibt die massenmediale Informationsverteilung aus der Innensicht ihrer Maschinerie noch problematischer, als es der TV-Beitrag aus Washington in »Night of the Living Dead« vermuten ließ. Ob das Rettungszentrum tatsächlich Rettung bedeutet hätte, wäre dadurch in Zweifel gezogen. Die ersten Einstellungen zeigen Francine im Studio von WGON-TV, dessen überarbeitetes und übermüdetes Personal zunehmend die Kontrolle über die LiveSendung entgleitet. Darin liefern sich Dr. Foster, ein den Sicherheitsbehörden nahestehender Wissenschaftler, der ohne genauere disziplinäre Zuordnung auskommen muss, und ein Moderator namens Berman eine hitzige Diskussion. Dr. Foster:

Do you believe that the dead are returning to live and are attacking the living? Mr. Berman: I’m not so sure what to believe, Doctor. All we get is what you people tell us and it’s hard enough to believe… Dr. Foster: It’s fact! It’s fact! Mr. Berman: It’s hard enough to believe without you coming in here and … 195 Vgl. Night of the Living Dead, 0:56:13-0:0:59:56. 196 Vgl. Kapitel 2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 26f. 197 Vgl. Night of the Living Dead, 0:56:49-0:57:32.

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Dr. Foster:

You’re not running a talk show here, Mr Berman, you can forget pitching an audience the moral bullshit they wanna hear.198

Dr. Foster versucht vergeblich, auf die pandemischen Ausbreitungsmechanismen der untoten Menschenfresser hinzuweisen, auf die Notwendigkeit, jeden Verstorbenen sofort unschädlich zu machen, »either by destroying the brain or severing the brain from the rest of the body«199 , da er andernfalls Teil der untoten Bedrohung werde: »Every dead body that is not exterminated becomes one of them. It gets up and kills. The people it kills get up and kill.«200 Er verteidigt zudem die per Martial Law erlassenen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden, nach denen die Bevölkerung aus ihren Wohnungen und Häusern in Rettungszentren evakuiert und sämtliche (Un-)Toten von speziellen Einheiten der Nationalgarde unschädlich gemacht werden sollen.201 Moderator Berman bezweifelt Fosters Ausführungen und macht sich zum Anwalt der Bevölkerung, die offensichtlich weder an untote Menschenfresser glauben noch den harschen staatlichen Eingriff zu akzeptieren gewillt ist: »People are not willing to accept your solutions, Doctor, and I for one don’t blame them.«202 Um die beiden Diskutanten haben sich einige aufgebrachte Mitarbeiter des Senders versammelt, die sich immer wieder störend und lautstark in die chaotische Live-Übertragung einmischen. Interessanterweise identifiziert Foster genau diese aufgeladenen Kommunikationsbedingungen als eigentliche Ursache für die katastrophale Lage: »If we’d listen, if we dealt with this phenomenon properly without emotion, without emotion, it wouldn’t have come to this.«203 Fosters Vorwurf, Bermans indignierte Gegenrede sei Teil einer Talkshow-Inszenierung, in der das Publikum eher mit dem »moral bullshit« versorgt werde, das es zu hören gewohnt sei, als eine Verständigung über die gegenwärtige Lage, über die in ihr notwendigen Maßnahmen und über die Angemessenheit der hergebrachten ethisch-moralischen Maßstäbe zu befördern, werden durch die Vorgänge hinter den Kulissen bestärkt, die der Film in die Diskussion einflicht. Im Regieraum erfährt Francine, dass die Hälfte der in die Live-Übertragung eingeblendeten Rettungszentren, zu denen die Bevölkerung gelenkt werden soll, bereits seit zwölf Stunden nicht mehr operativ seien.204 Als Francine deren Einblendung unterbricht, um die Menschen nicht zu inoperativen – und das heißt vermutlich: von Untoten überrannten – Rettungszentren zu schicken, ist ihr Vorgesetzter Givens aufgebracht: »I want those supers on the air all the time! […] Without those rescue stations on screen 198 Dawn of the Dead, 0:01:19-0:01:36. 199 Ebd, 0:04:57-0:05:05. Zur Anthropophagie der Untoten vgl. ebd., 0:04:02-0:04:10. 200 Ebd., 0:02:34-0:02:43. 201 Vgl. ebd., 0:04:20-0:04:57, 0:05:37-0:05:44. 202 Ebd., 0:02:29-0:02:35. 203 Ebd., 0:04:10-0:04:19. 204 Vgl. ebd., 0:01:49-0:01:59.

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every minute people won’t watch us. They’ll tune out!«205 Trotz der außergewöhnlichen Lage und der großen Bedrohung, der die Bevölkerung ausgesetzt ist, scheint Givens weiterhin die Quote wichtiger zu sein als die Integrität der (über-)lebenswichtigen Informationen, die er dabei sendet. Nimmt man Dr. Fosters Vorwurf hinzu, Berman wolle von der gewohnten Talkshow-Inszenierung nicht ablassen, wird hier ganz offensichtlich thematisiert, wie eine massenmedial strukturierte Öffentlichkeit darin versagt, mit ihren hergebrachten Operationsweisen zu brechen, um auf eine neuartige und lebensbedrohliche Situation reagieren und die Bevölkerung auf die kompromisslose, gewaltförmige Abwehr ihrer untoten Fressfeinde ein- und umstellen zu können. Dass die Wissenschaftler durchaus Anteil haben an der konflikthaften Eskalation der Kommunikationen, ist bereits in Dr. Fosters einigermaßen konfrontativem, wenn nicht gar herablassendem Duktus zu erkennen. Noch stärker wird dies herausgekehrt, als längst nur noch die »emergency networks«206 sendefähig sind. In einer nicht minder chaotischen Übertragung zeigt sich ein Moderator wiederum wenig überzeugt von den Ausführungen eines Wissenschaftlers, der seinem frustrierten Zynismus daraufhin freien Lauf lässt: »One wonders what it’s worth saving. […] For all I know, the brains are already dead and it’s the idiots that are still alive. And I figured out how to stay alive, too. And I’m trying to help you dummies.«207 Die Bevölkerung indes hat durchaus Grund, die von der Wissenschaft befürworteten und geforderten Notstandsmaßnahmen des Staates skeptisch zu sehen, denn deren Umsetzung erweist sich keinesfalls als so rational und emotionsbefreit, wie Dr. Berman es noch dargestellt hatte. Unmittelbar nach der oben angeführten TV-Debatte verlegt sich die Handlung nämlich an den Ort einer solchen Evakuierungsmaßnahme. Bewohner eines Sozialbaus haben sich verschanzt, um sich und ihre untoten Angehörigen dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Bei der Stürmung durch eine Spezialeinheit der Polizei kommt es zu einer Schießerei, die zunehmend außer Kontrolle gerät. Ein Polizist scheint sich kaum halten zu können vor rassistischer Wut. »Blow all their asses off, low life bastards, blow all their low life little puertorican and nigger asses right off«, brabbelt er vor sich hin208 , dann feuert er wahllos auf die Bewohner. Chaos bricht aus, ein anderer Beamter tötet den schießwütigen Kollegen, Untote wanken aus den eingetretenen Türen und fallen über Polizisten wie Bewohner her.209 Als schließlich zwei der Polizisten, Peter und Roger, gemeinsam mit Francine und ihrem Lebensgefährten Stephen in einem Helikopter des Fernsehsenders aus der Stadt fliehen, verlöschen 205 206 207 208 209

Ebd., 0:02:57-0:03:30. Ebd., 0:05:20-0:05:30. Ebd., 1:29:35-1:29:53. Ebd., 0:06:14-0:06:24. Vgl. ebd., 0:05:45-0:11:08.

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im Hintergrund langsam die letzten Lichter eines Wolkenkratzers.210 Wenig später verstummen auch die TV-Übertragungen und die vier Protagonisten harren in einer von Untoten belagerten Shoppingmall aus, in die sie sich flüchten konnten.211 Der staatliche Sicherheitsapparat existiert nicht mehr, die massenmedial vermittelte Kommunikation der Gesellschaft ist verstummt und es ist davon auszugehen, dass diejenigen, die wie Stephen, Francine, Peter und Roger den Zusammenbruch überlebt haben, sich ebenfalls isoliert und ohne jeden Kontakt zur Außenwelt in einem Versteck verbarrikadiert haben. Was »Night of the Living Dead« also im Mikrokosmos der zusammengewürfelten Überlebendengruppe im Farmhaus inszeniert, wird in »Dawn of the Dead« auf ungleich größerem Tableau ausgebreitet. Der massenmediale Apparat scheint nicht in der Lage zu sein, seine hergebrachte, eigenlogische Operationsweise zu unterbrechen, um auf die neuartige Lage zu reagieren. Die Wissenschaft beharrt rechthaberisch auf ihrer Wahrheitsproduktion und reagiert auf Zweifel mit dünkelhafter Arroganz. Und der Staatsapparat entfesselt vollends die rassistische Gewalt, die er bereits zuvor in sich aufgespeichert haben muss. Die Gesellschaft ist in der Aneinanderreihung konfliktbeladener Kommunikationen gefangen, die sich aus alten Stellungen und Strukturen ergeben, die sich nicht mehr auf die veränderten Umweltbedingungen um- und einstellen lassen und die sie letztlich ihrem Untergang zuführen. Die Überlebendengruppe in »Dawn of the Dead« wird hier nun wiederum zur mikrokosmischen Spiegelung der makrokosmischen Zustände. Kaum angekommen im verlassenen Konsumtempel, können Peter, Roger und Stephen der Versuchung seiner Schätze nicht widerstehen. Trotz der kräftezehrenden Flucht, die sie hinter sich haben, und trotz der Zombies, die im Einkaufszentrum umherwanken, kommen sie nicht zur Ruhe. »This is exactly what we were trying to get away from«, mahnt Francine noch, aber Roger ist überzeugt: »This place is a goldmine, we got to at least check it out!«212 Peter, Roger und Stephen lassen Francine zurück, begeben sich auf eine riskante Raubtour durch die verlassenen Geschäfte und entgehen einige Male nur knapp, von Zombies überwältigt zu werden.213 Sie sind außer sich vor Freude, wie sie den ersten Laden betreten. »Hey, hey, hey, let’s take the stuff we need, I’ll get a television and a radio«, ruft Peter, und Roger antwortet: »Chocolate, chocolate!« Dann rennt er kreischend durch die Gänge.214 Es geht also keineswegs um »the stuff we need«, um dringend benötigte, überlebenswichtige Ressourcen, sie schwelgen vielmehr im Konsumparadies, das ihnen nun im Gegenzug weder Kauf- noch Arbeitskraft abverlangt, und darüber vergessen sie auch Francine, die, auf sich allein gestellt, beinahe einem zombifizierten Hare-Krishna-Mönch zum 210 211 212 213 214

Vgl. ebd., 0:17:50-0:18:15. Vgl. ebd., 1:38:27. Ebd., 0:31:20-0:31:50. Vgl. ebd., 0:31:00-0:45:50. Ebd., 0:37:00-0:37:15.

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Opfer fällt.215 Solange die vier Überlebenden mit Eifer an der Sicherung ihrer Mall arbeiten und darüber ihr Leben riskieren können, das Roger dabei auch tatsächlich verliert, zeigen sie noch eine fiebrige, euphorische Aktivität.216 Sobald sie aber tatsächlich im konsumistischen Schlaraffenland angekommen sind, das Einkaufszentrum von Zombies befreit und nach außen hin abgesichert, die Regale mit Konserven bestückt, die Kühlräume angefüllt mit verderblichen Lebensmitteln, verlieren die Vergnügungen der Sportanlagen, Arcade-Spielcomputer und Scherzartikel bald ihren Reiz. In ihrem gut verborgenen Lagerraum, den sie sich geschmackvoll eingerichtet und mit allen einst käuflichen, jetzt frei verfügbaren Annehmlichkeiten ausgestattet haben, versinken sie in eine zunehmend apathische Lethargie.217 Es folgt eine zweite Invasion, diesmal eine von marodierenden Bikern, die sich etwas weniger bürgerlich, etwas weniger auf dauerhafte Bereicherung ausgerichtet, über die in der Mall aufgespeicherten Güter hermachen. Francine, Stephen und Peter sind in der Unterzahl, aber keineswegs ausgeliefert. Der Helikopter auf dem Dach der Mall steht ihnen jederzeit als Fluchtweg offen und zudem, so schlägt es Peter vor, sollten sie zunächst abwarten, ob das beträchtliche Zombieaufkommen, das sich vor der Mall angestaut hatte und nun mit dem Einbruch der Biker hineinströmt, den neuen Eindringlingen nicht zum tödlichen Hindernis wird.218 Aber Stephen scheint den Angriff auf die in der Mall für ihn aufgespeicherten Konsumgüter nicht ertragen zu können. Er antwortet nicht mehr auf Peters Funksprüche und stürzt sich allein in einen schlecht geplanten, unkoordinierten und letztlich verhängnisvollen Gegenangriff, der nicht nur zu seinem Tod führt, sondern auch die Tarnung ihres Lagerraums unterminiert.219 Nach dem Zusammenbruch des gesamtgesellschaftlichen Gefüges wiederholt sich hier also in formal identischer Weise der Zusammenbruch der Gruppe der Überlebenden. Anstatt sich auf die veränderten Umweltbedingungen umzustellen, perpetuieren Francine, Stephen, Peter und Roger die Konsumlust, die ihnen das untergegangene System antrainiert hatte. Die durch sie induzierte Gier und der aggressiv-blindwütige Verteidigungsimpuls verleitet Stephen und Roger zu derart riskanten Handlungsweisen, dass 215 Vgl. ebd., 0:45:50-0:50:50. 216 Vgl. ebd., 0:58:48-1:09:23. 217 Vgl. ebd., 1:22:28-1:27:00, 1:32:16-1:39:19. Treffend bemerkt Lockhurst, dass die Kritik von Kapitalismus und Konsumismus hier keinesfalls als Subtext bezeichnet werden kann, da sie derart offen zutage liegt. Vgl. Lockhurst: Zombies, S. 150. Entsprechend hält sich auch das Gran der Forschung zu »Dawn of the Dead« mit diesem Aspekt auf. Eine äußerst treffende Analyse liefert in diesem Feld Bishop, der die »consumer ideology« vor allem dort offenlegen kann, wo ihm die Parallelisierung der vier übersaturierten Mall-Überlebenden mit den hungrigen Zombies vor der Mall gelingt. Vgl. Bishop, Kyle William: »The Idle Proletariat: Dawn of the Dead, Consumer Ideology, and the Loss of Productive Labor«, in: The Journal of Popular Culture 43, 2 (2010), S. 234-248, hier: S. 243-246. 218 Vgl. Dawn of the Dead, 1:44:55-1:45:05. 219 Vgl. ebd., 1:40:40-2:01:11.

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sie darüber sowohl ihr Leben als auch ihren Unterschlupf verlieren, und am Ende können sich nur Francine und Peter noch in den Helikopter retten.220 Dies ist nun die eigentliche Neuerung, die Romero gegenüber seinen Anleihen bei Mathesons »I am Legend« und dessen Filmadaption »The Last Man on Earth« zugerechnet werden muss. Nicht nur ersetzt er den einzelnen, atavistisch gewordenen Menschen durch eine Gruppe von Überlebenden, die sich hier der untoten Bedrohung erwehren muss. Er verändert auch in entscheidender Weise die vektorielle Ausgestaltung des Untergangs. Anders gesagt: Der Untergang ist kein von außen eintretendes, zwingendes Ereignis mehr, sondern ein von innen aufkeimender Zersetzungsprozess, der von außen lediglich noch angeregt und beschleunigt, nicht aber determiniert wird. Keine Seuche und keine massierten Untoten verursachen den Zusammenbruch der Gesellschaft oder die Dezimierung der Überlebendengruppe, sie verschärfen lediglich ein innergesellschaftliches Konfliktpotential, das bereits vor ihrem Auftritt bestand und das nun in der Folge die intern ablaufenden Kommunikationen eskaliert. Dies führt dazu, dass sowohl die Gesellschaft im Ganzen als auch die aus ihr herausgebrochene Überlebendengruppe nicht mehr zur Prozessierung von Entscheidungen fähig sind, an die sich deren Glieder noch gebunden fühlen könnten. Die Operationen Einzelner werden nicht mehr der Gruppe bzw. der Gesellschaft als Ganze zugerechnet und in der auf diese Weise offengelegten Porosität finden die Zombies erst jene Angriffsfläche, mittels derer sich ihre Bedrohung auf ein existentielles Niveau hochschrauben kann. Die Masse, so könnte man Le Bon hier einschalten, wird ihrer phylogenetisch nekrophagen Funktion gerecht und befördert eine »morsch geworden[e]« Kultur in den Abgrund.221 Jedoch ist das »Verblassen des Ideals«, das Le Bon als Ursache dieser kulturellen Morschheit benennt222 , reichlich vage und hier kaum anschlussfähig für die ausbleibende Entscheidungsprozessierung, die Romero zeichnet. Das Kreisen der innergesellschaftlichen Kommunikationen, die keinen Zugriff mehr auf das ihr äußere Geschehen zu bekommen scheinen, ähnelt eher der Sichtweise, die Carl Schmitt im Bezug auf das positive Recht entwickelt hat. Auch hier haben die in sich geschlossenen, selbstbezüglichen Rechtskommunikationen keinen Zugriff mehr auf »die Wirklichkeit des Rechtslebens«223 , die außerhalb ihrer selbst liegt. Sie müssen daher beständig unterbrochen werden, um über sie hinausgreifen zu können. Die Entscheidung unterbricht alles normativ Gesetzte, ist also eher »Entsetzung«224 denn Umsetzung, wenn sie sich mit ihrer inhaltlichen Indifferenz über die Immanenz des Positiven Rechts hinwegsetzt. Und der zentrale Entscheider wird darin auch nicht beschrieben, benannt oder definierbar ge220 221 222 223 224

Vgl. ebd., 2:04:00-2:04:48. Le Bon: Psychologie der Massen, S. 5. Ebd., S. 156. Schmitt: Politische Theologie, S. 40. Benjamin: »Zur Kritik der Gewalt«, S. 202.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

macht, er braucht keine Sprache, um sich zu konstellieren, er zeigt sich schlicht in jenem Moment, der seine Entscheidungswillkür – an und für sich permanent – ins Absolute steigert, im Ausnahmefall also, in dem alle Immanenz hinweggefegt wird, in dem die »clasa discutidora« endlich den Schnabel halten muss, da sich die Transzendenz der »blutige[n] Entscheidungsschlacht«225 nicht länger aufschieben lässt.226 Nicht minder schweigsam arbeitet Schmitt diese transzendente Gewalt später zum »Begriff des Politischen« aus, zur Intensität einer zumindest potentiell gewaltsamen Disjunktion, die jedwede funktional ausdifferenzierte Operativität der Gesellschaft unterbricht und in ihren Bellizismus überführt. Die Kommunikationen der gesellschaftlichen Subsysteme waren ohnehin nur Annex dieser transzendenten Gewalt, die sie ermöglicht, solange es ihr beliebt, aber im Ernstfall sind ihre wortreichen Operationen nichts als ein hinderlicher Schleier, der hinfortgerissen werden muss, um dem darunterliegenden, eigentlich maßgeblichen und dabei ganz ungesprächigen, dafür aber blutigen Naturzustand zu offenbaren.227 Diese Epistemologie des Ernstfalls offenbart hier nun aber vor allem eines, nämlich dass weder der menschlichen Gesellschaft noch der Überlebendengruppe die schmittianisch gedachte Souveränität zusteht, denn sie orientiert sich ja gerade nicht an diesem maßgeblichen, alles enthüllenden Fall der Fälle, wie Schmitt dies von der souveränen Freundesgruppe fordert228 , ihr geht die Entscheidungsprozessierung in entscheidender Weise ab. Der staatliche Apparat mag noch Maßnahmen im Sinne des Martial Law unternehmen, wie dies zu Beginn von »Dawn of the Dead« der Fall ist, und es mag auch zutreffen, dass dem eine juristische Entscheidung über das Vorliegen einer Ausnahmesituation vorangegangen ist. Aber dies hat, wie oben dargestellt, nicht wirklich eine unmittelbare Unterbrechung der hergebrachten Operativität der Gesellschaft zur Folge, und die staatlichen Interventionen scheinen einem faktisch längst gegebenen Ernstfall auch eher hinterherzueilen, um ihn wieder einzufangen, als dass sie, wie Schmitt dies imaginiert, die Ausnahme wie ein Wunder aus der Sphäre der Transzendenz niedergehen ließen und sie auf diese Weise überhaupt erst erzeugen. Auch scheinen die Menschen trotz des Naturzustandes, der sich mehr und mehr über ihnen auftut, große Schwierigkeiten darin zu haben, zombifizierte Menschen als Bedrohung, als Feind, als »Negation der eigenen Art Existenz«229 zu erkennen. Deshalb fallen Helen und Harry Cooper ihrer zombifizierten Tochter zum Opfer230 und deshalb auch die wiederholten Appelle der Wissenschaftler, verstorbene Angehörige sofort unschädlich zu machen und ihr untotes Treiben nicht als Fortwirken ihrer vorherigen Person 225 226 227 228 229 230

Schmitt: Politische Theologie, S. 67. Vgl. Kapitel 3.1 in dieser Arbeit. Vgl. Kapitel 3.2 in dieser Arbeit. Vgl. Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 36. Ebd., S. 26. Vgl. Night of the Living Dead, 1:23:36-1:25:27.

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fehlzuinterpretieren: »We must not be lulled by the concept that these are our family members or friends. They are not.«231 Im Gegensatz dazu scheinen die Zombies sehr genau zu erkennen, wer Zombie ist und wer nicht, und gerade dieser Umstand veranlasst einen der Wissenschaftler, die Kannibalismuszuschreibung in Frage zu stellen: The first question is always, are these cannibals? No, they are not cannibals. Cannibalism in a true sense of the word implies an intraspecies activity. These creatures can not be considered human. They prey on humans. They do not prey on each other. That’s the difference. They attack and feed only on warm human flesh.232 Wenn nun also das Auftreten der Zombies das gesellschaftliche Gefüge zu destabilisieren beginnt, da dieses nicht in der Lage ist, seine hergebrachte Operationsweise zu unterbrechen zugunsten einer Entscheidungsprozessierung, die sich auf die zunehmend zombifizierte Umwelt umschalten ließe, wenn dann erst die Zombies diejenigen sind, die eine Unterbrechung der funktional ausdifferenzierten Kommunikationssysteme herbeiführen, indem sie diese in ihre monolithische, schweigende Masse verschmelzen, und wenn zudem die Zombies diejenigen sind, die sich gegenseitig gerade dadurch als Glieder einer Freundesgruppe anerkennen, indem sie sich trennscharf von ihrer menschlichen Beute zu unterscheiden wissen, der sie zum Fressfeind werden, dann dürfte damit zweifelsfrei belegt sein, dass die schmittianisch gedachte Souveränität hier eindeutig auf die wankenden Untoten übergangen ist. Und in diesem Sinne wird dann auch erst der Begriff der ZombieApokalypse plausibel, der von der Forschung bisher unhinterfragt, kritiklos und ohne jede theoretische Absicherung perpetuiert wurde.233 Der Schleier der Immanenz ist mit der gesellschaftlichen Ordnung hinweggefegt worden und im transzendenten Naturzustand, der darunter immer schon verborgen lag, haben sich eindeutig die Zombies als Souverän enthüllt, deren wortlose, blutige Gewalt mehr und mehr Menschen in sich verschmilzt und ihre schweigende Masse immer weiter anschwellen lässt. Gegenüber dem schmittianischen Leviathan, dem Spinoza den Todeskeim eingepflanzt und so die Zerstörung seiner Souveränität verschuldet habe, der also fortan nichts weiter als ein legalistischer Automat geblieben war, die untote Hülle eines ehemals lebendigen, mythischen Wesens, tritt die Zombiemasse nun als Schmitts »unorganisierbar Organisierende[s]«234 auf und die politische Verklumpung, die er so unproblematisch voraussetzt235 , verläuft hier ebenfalls ganz unproblematisch, das heißt: ohne interne Differenzen, Komplexitäten, Kon231 232 233 234 235

Dawn of the Dead, 0:55:58-0:56:05. Vgl. außerdem ebd., 0:04:57-0:05:05. Ebd., 0:54:58-0:55:27. Vgl. Kapitel 2 und 3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 25f, 39f. Schmitt: Die Diktatur, S. 138. Vgl. Kapitel 3.2 in dieser Arbeit.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

flikte oder auch nur Kommunikationen. Schmitts souveräne Freundesgruppe ist sprachlos, hirntot und äußerst effektiv. Wie dies aber bereits an der »Politische[n] Theologie« und am »Begriff des Politischen« gezeigt werden konnte, ist auch hier festzustellen, dass die selbstbezügliche, kreisschlüssige Qualität der Immanenz nicht allein in der Fremdreferenz behauptet wird, sondern sich zugleich auch im behauptenden Text selbst niederschlägt. So wie Schmitt also rekursiv verschleifte Leerformeln entwirft, die immer von Neuem auf sich selbst verweisen, und dabei in immer neuer Variation die alleinige Maßgeblichkeit der transzendenten Sphäre zu untermauern suchen, so kreist auch Romeros Untergang in einer nicht enden wollenden Redundanz, die in immer neuer Variation die Apokalypse, die Entschleierung der hirntoten Souveränität, beschreibt. Der Untergang der Überlebendengruppe, die in »Night of the Living Dead« als mikrokosmische Repräsentation der Gesellschaft fungiert, wiederholt sich in makrokosmischer Perspektive in »Dawn of the Dead«, wo er sich wiederum mikrokosmisch in der Überlebendengruppe der Mall wiederholt, und als Romero mit »Day of the Dead« Mitte der 80er Jahre den dritten Film der »Dead«-Reihe vorlegt, wird es kaum überraschen, dass dort erneut eine Gruppe Überlebender im Scheitern ihrer Entscheidungsprozessierung inszeniert wird.236 Und dies setzt sich fort, aus Romeros Oeuvre entspinnt sich eine neue generative Redundanz in der apokalyptischen Produktionslogik des Genres: Wenn »Dawn of the Dead« das Sequel von »Night of the Living Dead« ist und in Italien unter dem Titel »Zombi« vermarktet wird, gibt sich Lucio Fulcis »Zombi 2«, ohne die Rechte tatsächlich zu besitzen, als Sequel zu Romeros Sequel aus237 , und aus dessen neuerlicher Untergangserzählung entwickelt sich eine umfassende, italienische Genreproduktivität, die zumindest an italienischen Kinokassen die amerikanischen Vorbilder in Teilen ökonomisch überflügelt.238 Zudem begründet John A. Russo, der mit Romero an »Night of the Living Dead« geschrieben und sich später mit diesem überworfen hat, die Filmreihe »Return of the Living Dead«, die sich nicht nur im Titel, sondern auch innerdiegetisch explizit als Fortsetzung zu »Night of the Living Dead« ausweist239 und dabei selbstironisch die eigene Redundanz mitreflektiert.240 Wenn 236 In »Day of the Dead« haben sich Wissenschaftler und Militärs in einen Bunker verschanzt, während der Zusammenbruch außerhalb des Bunkers bereits lange zurückliegt. Die so konstellierte Überlebendengruppe wird zunehmend zerrieben zwischen den divergierenden Agenden des wissenschaftlichen und militärischen Personals, was schließlich zur Folge hat, dass Zombies den Bunker überrennen können. Vgl. Day of the Dead, 0:03:10-0:04:13; 0:18:05-0:21:20; 1:08:30-1:10:46; 1:19:16-1:21:44. 237 Vgl. Maier, Christian: »Festschmaus für Fans«, S. 86f. 238 Vgl. Bishop: American Zombie Gothic, S. 160f. 239 Vgl. Boluk et al.: »Introduction«, S. 5. 240 Vgl. Kap. 2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 27, 30f.

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die mit Romeros »Night of the Living Dead« einsetzende zweite Phase des ZombieGenres sich demnach vor allem durch den verstärkten Einsatz serialisierter Filmproduktion beschreiben lässt, die das Problem, den einmaligen, da endgültigen Untergang der menschlichen Gesellschaft im Schlund der Zombie-Masse in Serie produzieren zu müssen, dadurch löst, diesen Untergang schlicht immer wieder von Neuem durchzuexerzieren, so kann dies als Perpetuierung jener Variationsschleifen gelten, die bereits in Romeros Filmen vorgeformt sind. Wie Schmitts rekursiv verschaltete Leerformeln, die mit jedem Durchlauf nur aufs Neue auf die maßgebliche, gewaltförmige Sphäre jenseits ihrer selbst verweisen können, so zeichnet sich damit auch diese zweite Phase der Zombie-Genregeschichte vor allem durch ihre iterativ verschleifte, serialisierte Zombie-Apokalypse aus, in der die ebenso iterativ verschleifte Redundanz der immanenten, gesellschaftlichen Kommunikationen immer nur von außen, durch die schweigsame, hirntote Gewalt des Naturzustands, unterbrochen werden kann, um deren Maßgeblichkeit und Notwendigkeit aufweisen zu können. Und wie bei Schmitt, so könnte man schließen, wäre damit auch eine genuin apokalyptische Politik am Werk, die in den Filmen weniger thematisiert als betrieben würde. Dies aber lässt sich erst dort vollständig erfassen, wo das Genre beginnt, einen postapokalyptischen Gegenentwurf zu generieren.

4.3.

Nach dem Untergang. »28 Days Later« und »The Walking Dead«

Nach einem Jahrzehnt der Stagnation erlebt das Zombie-Genre vor allem mit Danny Boyles »28 Days Later« eine maßgebliche Wiederbelebung.241 Die Forschungsliteratur beschreibt Boyles innovative Leistung in der Regel vor allem durch zombietypologische Argumente, es wird also abgehoben auf die Schnelligkeit, mit der sich Boyles Zombies bewegen, und auf die Tatsache, dass es sich dabei genau genommen nicht mehr um ruhelose Untote, sondern um lebende Infizierte handelt.242 Tatsächlich überwindet Boyle die eigenartige Doppelung zwischen unsichtbarer Zombifizierungsursache und höchst sichtbarer Bissinfektion, wie es »The Last Man on Earth« vormodellierte und wie es Romero mit der Dopplung von Venusstrahlung und Zombiebiss nachmodelliert. Bei Boyle ist von Beginn an wissenschaftlich sanktioniert, dass die Zombifizierungsursache ein hoch ansteckendes »rage«-Virus 241 Vgl. ebd., insbesondere S. 20f. 242 Vgl. bspw. Meteling, Arno: »Das Ornament der Masse. Zur Chronotopie und Medialität im Zombiefilm«, in: Fürst et al. (Hg.): Untot, S. 211-224, hier: S. 217; Newbury, Michael: »Fast Zombie/Slow Zombie. Food Writing, Horror Movies, and Agribusiness Apocalypse«, in: American Literary History 24, 1 (2012), S. 87-114, hier: S. 89; Birch-Bayley, Nicole: »Terror in Horror Genres. The Global Media and the Millenial Zombie«, in: The Journal of Popular Culture 45, 6 (2012), S. 1137-1151, hier: S. 1139.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

ist, das sich sehr sichtbar, durch aggressiven, blutigen Kontakt mit einem infizierten Lebewesen, überträgt. »The animals are contagious«, versucht der verängstigte Laborant im weißen Kittel den radikalen Tierschützern zu erklären, die eben in das »Cambridge Primate Research Centre« eingestiegen sind, um die in gläsernen Käfigen eingesperrten Schimpansen zu befreien. Sie seien infiziert mit »rage«, mit rasender Wut also. »The infection is in their blood and saliva. One bite…«, warnt er sie, aber sie wollen nicht auf ihn hören, befreien den ersten Schimpansen und damit auch das epidemische Virus. Dabei ist der Biss keineswegs die einzige Form der Übertragung, bereits die erste, von Schimpansen angefallene Tierschützerin ist innerhalb von Sekunden von »rage« befallen und infiziert ihren Mittierschützer, indem sie ihm ihr Blut ins Gesicht bricht.243 Die Körperflüssigkeiten der Infizierten, so wird es bereits in dieser frühen Szene deutlich, sind das höchst sichtbare Vehikel, mit dem ihre Aggression sich infektiös ausbreiten kann und das dabei zugleich äußerst zuverlässig ihre Übertragungswege visualisiert. Eine anthropophage Verzehrlust, wie es das Genre bis dahin als Antrieb und Ausbreitungsmechanismus der Zombifizierung vorgesehen hatte, wird hier nicht mehr benötigt.244 Die Dynamisierung der Zombiemasse wird allein über ihre gewaltsam verbreiteten Körperflüssigkeiten generiert, sie fungieren gewissermaßen als Medium, über das sich die rasende Aggression fortsetzen und zur Aggregation infizierter Körper führen kann. In dieser Hinsicht ist Le Bons Metapher der psychischen Infektion in »28 Days Later« noch deutlicher literalisiert und noch konsequenter visualisiert, als dies bisher im Genre bereits der Fall gewesen ist. Die Dopplung aus unsichtbarer Ursache, die dann strahlungsbasiert, viral oder sonstwie ausgedeutet werden musste, und sichtbarer Bissinfektion, wie sie zunächst bei Matheson und später bei Romero fest verankert war, ist hier auf diese Weise vereindeutigt und in eins gesetzt. Interessanterweise zieht der Film demgegenüber aber eine neue Doppelung ein, denn die ersten Sequenzen zeigen Aufnahmen von Tumulten und öffentlichen Gewaltexzessen, von berittenen Polizisten, die auf Demonstranten einprügeln, von Lynchmobs und Massenpaniken. Diese Bilder sind dabei überaus grobkörnig und zeigen Störsignale. Langsam fährt die Kamera aus diesen Aufnahmen heraus und ein an einem Labortisch fixierter Schimpanse wird sichtbar, dem auf einer ganzen Reihe von Monitoren dieses scheinbar dokumentarische Material wieder und wieder verabreicht wird, bevor die Tierschützer eintreffen, um ihn und seine Artgenossen zu befreien.245 Was hat es mit dem erzwungenen Konsum filmisch do243 28 Days Later, 0:03:35-0:05:12. Zur viralen Qualität des Erregers vgl. ebd., 0:18:48-0:18:50. 244 Hier geht auch Georg Seeßlen fehl, der bei Boyle weiterhin »menschenfressende[] Monster« erkennen will. Vgl. Seeßlen, Georg: George A. Romero und seine Filme, Bellheim: Körber 2010, S. 287. Eine genretypische Verzehrszene ist im gesamten Film aber nicht auffindbar. 245 Vgl. 28 Days Later, 0:00:22-0:03:00.

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kumentierter Gewaltexzesse auf sich? »To cure, you must first understand«, erklärt der Laborant noch, bevor der erste Schimpanse freikommt, und deutet so offenbar die Zielrichtung der Versuchsreihe an.246 Die Experimente mit dem Wut-Virus sollen also letztlich dazu führen, Aggression heilen zu können. Wenn die Primaten aber demnach mit einem Virus infiziert werden, der sie zu rasender Gewalt verleitet und der sich auch problemlos auf Menschen übertragen lässt, die eine solch geballte Verabreichung von medialisierter Gewalt nicht über sich ergehen lassen mussten, wozu sollten die Versuchstiere noch zusätzlich mit Aufzeichnungen von randalierenden Mobs und prügelnden Polizisten versorgt werden? Und doch scheint diese massenmediale Dimension der Gewalt nicht irrelevant zu sein. Als der Protagonist Jim nämlich, der als Fahrradkurier einen Unfall erlitten, während des Ausbruchs im Koma gelegen und von den umwälzenden Ereignissen nichts mitbekommen hatte, im verlassenen Krankenhaus erwacht und wenig später auf Mark und Selena trifft, erklärt Letztere ihm die zurückliegenden Geschehnisse als zunächst massenmediales Ereignis, das sich erst in einem zweiten Schritt auf das eigene Leben übertragen konnte: It started as rioting and right from the beginning you knew this was different. Because it was happening in small villages and market towns. And then it wasn’t on the TV anymore. It was in the street outside. It was coming through your windows. It was a virus. An infection.247 Neben die wissenschaftlich sanktionierte Erklärung der Zombifizierung als Virusinfektion, die innerdiegetisch sicherlich als die eigentliche und zutreffende gelten muss, tritt damit ein konkurrierender Subtext, der eine massenmediale Übertragung der massierten Aggression beschreibt. So wie den Primaten über flimmernde Röhrenmonitore Aggression eingeflößt wird, so dringt auch die wütende Masse aus dem Fernsehbildschirm in die unmittelbare Gegenwart der Menschen, und, dies ist die Perfidie dieser ersten Filmsequenzen, so scheint sie sich auch auf den Zuschauer übertragen zu können, der ja zu Beginn des Films eine dreiviertel Minute mit dem Schimpansen in die gewalterfüllten Monitore stieren muss. Ist dies eine, äußerst kritisch gewendete, Selbstkommentierung des Films oder, zumindest, des Genres? Bevor diese Frage geklärt werden kann, muss ein anderer Zugang zu »28 Days Later« eingeschlagen werden. Über der Insistenz nämlich, mit der die Forschungsliteratur auf die dynamisierten, biopathologisch rekodierten Infektionszombies abhebt und daher Boyles innovative Reanimierung des Genres vor allem mit Hilfe zombietypologischer Argumentationen zu fassen sucht, droht aus dem Blick zu 246 Ebd., 0:03:42-0:3:45. 247 Ebd., 0:18:29-0:19:27. Vgl. außerdem ebd., 0:17:50-0:18:08.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

geraten, was erzählstrukturell als eigentliche und entscheidende Differenz gegenüber dem bisherigen Funktionieren des Genres gelten muss, und dies, obwohl es auf der Hand liegt: Der apokalyptische Untergang des gesellschaftlichen Funktionierens nämlich, den das Zombie-Genre seit Romero mit hoher Redundanz und wohldosierter Abweichung umzirkelte, um dabei mit jeder Iteration den Vorgang von Entschleierung und Unterbrechung neu in Szene setzen zu können, wird in »28 Days Later« nicht nur vollständig übersprungen248 , er wird auch konsequent in Frage gestellt und letztlich destabilisiert. Der Titel »28 Days Later« erscheint im Film genau zwei Mal und dies, indem er eine innerdiegetische und eine extradiegetisch-paratextuelle Funktion auf sich vereint. Nachdem Tierschützer und Laborant in der entfesselten Wutinfektion versinken, wird auf schwarzem Grund der Schriftzug »28 Days Later« eingeblendet, der damit sowohl den Titel des Films anzeigt als auch einen Zeitsprung und eine Inkubationszeit.249 Achtundzwanzig Tage später nämlich kommt Fahrradkurier Jim abgemagert und verwirrt im Krankenhausbett zu sich. Niemand antwortet auf seine Rufe (»Hellooo?«), die Telefonhörer der öffentlichen Telefone im Krankenhausfoyer baumeln tot an ihren Kabeln und erst vor einem aufgebrochenen Getränkeautomaten kann er Softdrinkdosen aufsammeln, die ihm eine erste Stärkung verschaffen. Draußen wandert er durch die verlassene Londoner Innenstadt, der Boden übersät mit verstreuten Zeitungen, Geldscheinen, Postkarten und Touristensouvenirs, die vor allem Wahrzeichen wie den Uhrturm des Westminster Palace oder die britische Union Flag darstellen und zertrümmerte Telefonzellen und umgekippte Doppeldeckerbusse säumen. Achtundzwanzig Tage nach der Erstinfektion im Primatenlabor ist das gesamtgesellschaftliche Funktionieren also zum Erliegen gekommen und diese Latenz, die der eingeblendete Schriftzug anzeigt, überblendet zugleich die eigentlichen apokalyptischen Ereignisse, die das Genre zuvor zentral gestellt hatte. Was zählt, ist nun also nicht mehr die Apokalypse, sondern, wenn man so will, die Postapokalypse.250 248 Zwar wird mit der oben geschilderten Szene im Primatenlabor noch die Ursache der Masseninfektion vorangestellt, ihre epidemische Ausbreitung und deren Folgen werden aber übersprungen. 249 Vgl. ebd., 0:04:56-0:05:43. 250 Eine Differenz zwischen apokalyptischem und postapokalyptischem Setting wird in der Forschung nur unzureichend reflektiert, die Begriffe verschwimmen größtenteils ins Synonymische. So beschreibt etwa Jochen Fritz Romeros »Night of the Living Dead« als »postapokalyptische[s] Szenario«, obwohl der Film doch in erster Linie mit dem Vorgang des Zusammenbruchs, nicht aber mit dessen Folgen beschäftigt ist, und dies nicht zuletzt, da der gesamtgesellschaftliche Zusammenbruch in Gänze hier gar nicht erst eintritt, sondern aufgehalten werden kann. Vgl. Fritz, Jochen: »Der Zombie im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: ders., Neil Stewart (Hg.): Das schlechte Gewissen der Moderne. Kulturtheorie und Gewaltdarstellung in Literatur und Film nach 1968, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2006, S. 77-98, hier: S. 81. Diese terminologische Unschärfe muss als Epiphänomen der mangelnden theoretischen Auspolsterung gewertet werden, mit der sich die Forschung zum Zombie-Genre des Apoka-

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Auch wenn die Apokalypse aber derart dezentriert zu sein scheint, ist sie doch das zentrale Thema des Films. Genauer: Der Film thematisiert und diskutiert die Handlungsweisen, die aus ihr hervorgehen bzw. sich auf sie richten. Noch bevor Jim auf Mark und Selena trifft, betritt dieser etwa eine Kirche, an deren Aufgang ein Graffito mahnt: »REPENT THE END IS EXTREMELY FUCKING NIGH«. Die Nähe des Endes scheint die Gemeinde dabei aber selbst um einiges intensiviert zu haben, denn der Leichenberg, der sich im Inneren türmt, deutet eher auf einen Massenselbstmord denn auf ein Zombiemassaker hin.251 Nachdem Jim dann gemeinsam mit Mark und Selena das elterliche Wohnhaus aufsucht, wo er seine, ebenfalls suizidal, verstorbenen Eltern auffindet und kurz darauf aus Unachtsamkeit einen Zombieangriff verursacht, aus dem Mark eine klaffende Wunde am Arm davonträgt, erschlägt Selena diesen, noch bevor er eindeutige Infektionssymptome zeigen kann.252 Als sie anschließend durch verlassene Londoner Straßen wandern, erklärt Selena: If someone gets infected, you’ve got between ten and twenty seconds to kill them. It might be your brother, your sister or your oldest friend. It makes no difference. And just so you know where you stand, if it happens to you, I’ll do it in a heartbeat. … He was full of plans. Have you got any plans, Jim? Do you want us to find a cure and save the world or just fall in love and fuck? Plans are pointless. Staying alive is as good as it gets.253 Selenas Handlungsprogramm ist eines, das sich auf das unmittelbare Überleben richtet. Weder der Versuch, den apokalyptischen Untergang zurückzudrehen, noch ein Aufbrauchen der Restlebenszeit im hedonistisch-erotischen Rückzug aus der Welt scheint für Selena eine Option, denn Letzteres würde eine Bindung hervorbringen, die nur hinderlich wäre, wenn von Neuem die Terminierung eines infizierten Mitmenschen in Sekunden zu vollziehen wäre, und Ersteres impliziert eine Hoffnung, die Selena offenbar nicht mehr glaubhaft erscheint und zudem Handlungsrisiken tolerierbar macht, die sich innerhalb ihres Überlebensprogramms verbieten. Dies zeigt sich unmittelbar nach dem oben Zitierten, denn eine mit Lichlypsebegriffs im Allgemeinen zu bedienen scheint. Vgl. hierzu Kapitel 2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 39f. 251 Vgl. 28 Days Later, 0:12:40-0:13:47. Dies ergibt sich schon aus der spezifischen Konfiguration der Zombies. Da diese sich nicht mehr mit dem Verzehr ihrer Opfer aufhalten, sondern diese in kürzester Zeit mit ihren Körperflüssigkeiten in ihr extrem dynamisiertes Massengeschehen verschmelzen, können sie auch kaum Leichenberge hinterlassen. Um massenhaft verstorbene Infizierte kann es sich hier ebenfalls kaum handeln, beginnen diese doch erst zu verhungern, als nicht nur die Haupthandlung des Films abgelaufen ist, sondern der Filmtitel »28 Days Later« ein zweites Mal einen Zeitsprung um achtundzwanzig Tage anzeigt. Vgl. ebd., 1:40:26-1:41:50. 252 Vgl. ebd., 0:21:40-0:28:27. 253 Ebd., 0:29:30-30:00:02.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

terketten reichhaltig versehene Balkonbrüstung an einem Hochhaus lenkt Jim und Selena zu Frank und seiner Tochter Hannah, die mit einigen notdürftigen Sicherheitsvorkehrungen in ihrer Wohnung zu überdauern im Stande waren, denen nun aber wegen des abgefallenen Wasserdrucks in den Leitungen und des ausbleibenden Regens das Trinkwasser auszugehen droht.254 »They’re desperate«, urteilt Selena bald. »They probably need us more than we need them.« Jim, der sie für »good people« hält, entgegnet Selena, dies sei nicht mehr die ausschlaggebende Kategorie. »You should be more concerned about whether they’re gonna slow you down.« Wie sich herausstellt, hat Selena insofern recht, als Frank tatsächlich auf ihre Hilfe hofft. Mit einem per Handkurbeldynamo betriebenen Radio hat Frank nämlich eine Tonbandansage aufgetan, die Rettung verspricht: »Salvation is here. The answer to infection is here.« Es gebe weitere Überlebende, heißt es darin, bewaffnete Soldaten, die nördlich von Manchester lagerten und alle, die dies hören könnten, aufforderten, sie aufzusuchen. Selena zweifelt, doch Frank will diesem Aufruf folgen: Frank: The way things are, we might need two, three days to get up there. Selena: We? Frank: Sound carries in this flat. […] Me and Hannah do need you more than you need us. […] I can’t leave the block if it’s just the two of us. […] Selena: If it’s a recording, for all we know, the soldiers who made it are dead. […] That stuff about the answer to infection, I mean, there is no answer! […] Jim: Maybe they have a cure. Selena: Maybe they’ve got nothing at all. Frank: The only way to find out is to reach them. Selena: We could die trying, Frank! Hannah: Or die here. And anyway, it isn’t true what Dad said. You need us just the same as we need you. We need each other. And we’ll never be safe in the cities. The soldiers could keep us safe. So we have to try and get there. 255 Während Selena also sowohl die Bindung an einen übergewichtigen Mitfünfziger und seine Teenager-Tochter scheut, die ihr im Überlebenskampf zur Last zu fallen drohen, als auch die Hoffnung auf eine Linderung oder gar Überwindung der prekären Umweltbedingungen, die eine Steigerung der potentiell tolerierbaren Handlungsrisiken implizieren könnte, generieren Frank und Hannah eine diametral entgegengesetzte Position, denn nicht nur streicht Hannah Wert und Notwendigkeit von Kooperation heraus, sie verweist auch auf die radikale Selbstbeschränkung, die Selenas allein auf Überleben ausgerichteten Einzelkämpferprogrammatik inhärent ist. Mit anderen Worten: Was nützt alles Überleben, wenn diese den wid254 Vgl. ebd., 0:32:45-0:39:20. 255 Ebd., 0:36:50-0:41:14.

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rigen Umständen mühsam abgetrotzte Existenz nicht weiter kommt, als ihre dadurch gewonnene Dauer einsam und miserabel in verheerter Betonlandschaft zu fristen? Selena lässt sich überzeugen, zuerst von der Reise nach Nordengland und dann auch davon, die Stasis ihres Überlebenskampfes aufzugeben. »I was wrong when I said staying alive is as good as it gets«, gibt sie zu.256 Die Überlebendengruppe entwickelt sich so zu einer Art postapokalyptischer Patch-Work-Familie, die sich in einem mit Vorräten bepackten Taxi nach Manchester aufmacht und dabei, ganz nebenbei, das zentrale Moment des Road Movie auf nachhaltige Weise in das Zombie-Genre einschreibt.257 Drei Handlungsprogramme sind es also, die der Film in seiner ersten Hälfte gegeneinander verhandelt: Erstens der Massensuizid der Kirchengemeinde, die, in Erwartung des Endes, dieses Ende nicht abwarten und es unmittelbar herbeiführen zu müssen glaubte, zweitens Selenas Überlebenskampf, die dies Ende ebenfalls im Blick zu haben scheint, über dieses nicht mehr hinaus zu kommen meint und sich darauf beschränkt, die daraus resultierende Endzeitstarre so lang als möglich zu perpetuieren, und drittens die auf Kooperation und Zukunftsgestaltung ausgerichtete Programmatik von Frank und Hannah, die mit ihren flackernden, autobatteriebetriebenen Lichterketten jedwedem Überlebenden der Londoner Innenstadt entgegenblinken, in der Hoffnung, jemand werde sich finden, mit dem eine Gruppe zu bilden und ein Aufbruch aus den Überresten der untergegangenen Ordnung zu wagen wäre. Ganz offensichtlich differieren diese Handlungsprogramme in ihrer spezifischen Apokalyptizität. Während die Kirchengemeinde sich derart gezwungen sieht, »den extremen Fall anzunehmen, das jüngste [!] Gericht zu erwarten«258 , dass sie sich diesem blindlings überantwortet, bleibt Selena zumindest insofern streng am Ernstfall orientiert, als alles Handeln sich an ihm bemessen muss. Der bellizistischen Logik entsprechend kann allein die Abwehr des enthüllten Feindes maßgeblich sein, als welcher sich jeder Mitmensch nun in Sekundenschnelle entpuppen kann, dagegen ist jede zwischenmenschliche Bindung oder auf Zukunft eingestellte Unternehmung gefährlicher Ballast. Frank und Hannahs Zukunftsorientierung könnte man demgegenüber geradezu als postapokalyptisch bezeichnen. Schließlich verhalten sie sich keineswegs naiv oder fahrlässig, der Aufgang ihres Hochhauses ist mit Einkaufswägen verbarrikadiert, die Wohnungstür zusätzlich durch ein Gitter gesichert und Frank kann sich mit einer Schutzausrüstung der Polizei effektiv gegen eindringende Zombies zur Wehr setzen.259 Die 256 Ebd., 0:53:10-16. Vgl. auch ebd. 0:52:47-0:53:40. 257 In späteren Genrebeiträgen wird dieses Motiv weiter ausgearbeitet, etwa in »Zombieland« oder in der Comic-, TV-, Computerspiel- und Romanserie »The Walking Dead«. Zu letzterem vgl. S. 163 in diesem Kapitel; zu »Zombieland« vgl. Zombieland, 0:08:00-0:10:18. 258 Schmitt: Politische Theologie, S. 67. 259 Vgl. 28 Days Later, 0:30:28-0:33:42.

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Gewalt des enthüllten Naturzustands haben sie also durchaus in ihr Handeln eingerechnet, nur eskalieren sie diese nicht zur allein maßgeblichen Größe, sondern zielen mit ihrer auf Zukunft ausgerichteten Kooperationsprogrammatik auf deren Überwindung: »We have to try and get there.«260 Nachdem Selena, Jim, Frank und Hannah sich nun auf diese Programmatik geeinigt haben, ist damit die Diskussion der (post-)apokalyptischen Handlungsprogramme noch nicht abgeschlossen. Zu Beginn der zweiten Filmhälfte treffen sie nämlich in jenem Militärcamp ein, in dem die Soldaten der Tonbandansage zufolge ihre »answer to infection« bereithalten. Diese erweist sich, wiederum, als ein am apokalyptischen Untergang orientiertes Handlungsprogramm. Zunächst: Das Militärcamp ist verlassen und Frank infiziert sich durch ein Missgeschick, das ihm bezeichnenderweise in einem frustrierten Wutanfall über den augenscheinlich fehlgeschlagenen Plan unterläuft, wird aber, bevor er seine Tochter anfallen kann, von Soldaten niedergestreckt, die sich in Tarnanzügen im Unterholz versteckt halten. Wie sich herausstellt, haben sich die verbliebenen Soldaten auf ein befestigtes, herrschaftliches Anwesen in der Nähe zurückgezogen und überwachen ihren aufgegebenen Stützpunkt nur noch aus dem Hinterhalt.261 Auf dem Anwesen begrüßt sie Major West, der die Befehlsgewalt innehat. Es gibt fließendes Wasser, Stromgeneratoren, saubere Betten und der Küchenchef bereitet zu Ehren der Neuankömmlinge ein leidlich genießbares Festmahl.262 Während eben diesem kommt es zu einer Diskussion unter den Soldaten, in der vier divergierende Deutungen der vergangenen Ereignisse hervortreten. Ein Soldat namens Bill äußert die Hoffnung, die Dinge seien bald wieder »back to normal«. Ein zweiter verspottet ihn: »You muppet! I mean, look at him, eh? He’s still waiting for Marks and Spencer’s to reopen!« Ein dritter namens Farrell stimmt Bill zu, meint aber etwas gänzlich Anderes. Die Normalität, so Farrell, kehre tatsächlich zurück, nur sei eben die erfolgreiche Ausmerzung der Menschheit diese Rückkehr zur Normalität und das Anthropozän nur eine kurzzeitige Anomalie innerhalb der langen Lebensspanne des Planeten. Major West bringt dann die vierte Deutung ein: This is what I’ve seen in the four weeks since infection. People killing people. Which is much of what I saw in the four weeks before infection and in the four weeks before that and before that. As far back as I care to remember, people killing people. Which to my mind puts us in a state of normality right now.263 260 261 262 263

Ebd., 0:41:05-0:41:12. Vgl. ebd., 0:59:41-1:05:33. Vgl. ebd., 1:04:47-1:11:44. Ebd., 1:13:02-1:13:22. Vgl. außerdem 1:12:10-1:12:42. Seeßlen verkürzt diese Szene und auch den kompletten Film, wenn er diese Deutung als die innerdiegetisch allein gültige darstellt. Vgl. Seeßlen: George Romero und seine Filme, S. 288.

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Ist die Wut-Virus-Epidemie also eine temporäre Ausnahme von der Ordnung oder ist sie dauerhafte Unterminierung der Ordnung? Oder ist sie, ganz im Gegenteil, gerade das Ende der Ausnahme und die Rückkehr zur Ordnung? Oder ist alles wie gehabt, also: in Ordnung? Soll man daher ausharren, irgendwie überleben, bis zur Rückkehr der Ordnung? Oder soll man sich in der Ausnahme einrichten, weil sie die neue Ordnung geworden ist? Wäre dieses Einrichten in der Ausnahme das Akzeptieren der eigenen Ausmerzung, mit der sich die Ausnahme als ursprüngliche Ordnung zu Erkennen gäbe? Oder ist alles nur soldatisches business as usual bei marginaler Verschiebung der Freund-Feind-Schemata? Wests Glaube an einen generalisierten Kriegszustand scheint ihn aber doch nicht vor der Einsicht bewahrt zu haben, dass seine Soldaten sich keineswegs in einem »state of normality« wähnen. Wie sich nämlich kurz nach der obigen Diskussion herausstellt, waren seine Soldaten zwischenzeitlich einer totalen Verzweiflung nahe. »Eight days ago I found Jones with his gun in his mouth […] because there was no future. What could I say to him?« West habe sich nicht anders zu helfen gewusst, als die Radiodurchsage in Gang zu setzen, um Überlebende anzulocken und seinen Soldaten zu versprechen, ihnen deren weiblichen Anteil als Sexsklaven und Gebärmaschinen zur Verfügung zu stellen. »Because women mean a future.«264 West möchte die gewaltsame Ausbeutung gefangener Frauen also als eine auf Zukunft ausgerichtete Strategie ausgeben, eben als »answer to infection […] Though it may not be what you imagined.«265 Genau genommen ist West aber weniger an Zukunftsgestaltung denn an Überleben orientiert. Seinen Plan fasst er ja erst in dem Moment, in dem einer seiner Soldaten sich bereits den Gewehrlauf in den Mund schiebt, und nicht umsonst leitet West das Gespräch, in dem er Jim sein Vorhaben offenbart, mit der Frage ein, wen er seit Ausbruch der Epidemie habe umbringen müssen, denn »you wouldn’t be alive now if you hadn’t killed somebody.« Als Jim gesteht, er habe ein infiziertes Kind umbringen müssen, spendet West Trost: »But you had to. Otherwise he’d have killed you. Survival. I understand. I promised them women.«266 Die Zukunft, die West meint, ist eine, die sich hauptsächlich auf eine gewaltsame biologische Reproduktionsphantasie stützt, um daraus eine psychische Stabilisierung seiner verbliebenen Einheit zu gewinnen, also: um sie vom Kollektivsuizid abzuhalten. Es ist eine Zukunft, die sich auf die Konservierung jener versprengten Reste beschränkt, die der Zusammenbruch zurückgelassen hat. Es handelt sich damit wiederum um die Perpetuierung einer Endzeitstarre, um die Stasis des Überlebenskampfes, der den ernsten Fall darum nicht aus dem Blick lassen kann, weil er alle auch nur erdenklichen Mittel – Menschenraub, Vergewaltigung, Mord – legitimiert. 264 28 Days Later, 1:17:23-1:18:14. 265 Ebd., 1:07:29-1:07:41. 266 Ebd., 1:16:48-1:17:41

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Entsprechend wird Jim, der Wests Angebot, sich seinen Soldaten anzuschließen, ablehnt und Selena und Hannah zu warnen versucht, niedergeschlagen, um mit Farrell, der sich Wests Vorhaben ebenfalls in den Weg stellt, exekutiert zu werden.267 Bevor Jim und Farrell aber auf den Hinrichtungsplatz geführt werden, kann Letzterer Jim noch den entscheidenden Hinweis geben: But we’re here chained to a fucking radiator because the OC has gone insane. Starting the world again when the rest of the fucking world hasn’t even stopped. […] Think! Actually think about it! What would you do with a diseased little island? They quarantined us!268 Die Apokalypse wird damit erstmals aus ihrer rein zeitlichen Dimension in eine räumliche überführt, der enthüllte Naturzustand ist räumlich begrenzt und die Ordnung bleibt außerhalb desselben aufgespeichert269 , kann sich reaktualisieren, sobald die Infizierten einmal verendet sind. Und tatsächlich, nachdem Jim sich der Exekution entziehen und mit Selena und Hannah fliehen kann, setzt der Film seinen Titel wiederum zum Vollzug eines Zeitsprungs um achtundzwanzig Tage ein, die nun für eine Remissionszeit einstehen. Jim, Selena und Hannah haben sich in ein Cottage in den Highlands zurückgezogen. Während die Infizierten längst gelähmt in den Straßen liegen, können sie mithilfe von aneinander genähten Stoffbahnen ein riesiges »HELLO« formen und damit den Piloten eines Kampfjets auf sich aufmerksam machen, der die Quarantänezone überfliegt und beidreht, sobald er den Gruß der Überlebenden erblickt.270 Jims verzweifeltes »hellooo«, das zu Beginn des Films unbeantwortet in den verlassenen Straßen Londons verhallt, hat am Ende also Erfolg. Die immanenten Kommunikationen der gesellschaftlichen Systeme, die durch die infektiöse Massengewalt unterbrochen und zum Schweigen gebracht worden waren, scheinen hier, zaghaft, wieder einzusetzen. Verschiedentlich ist der Vorwurf erhoben worden, »28 Days Later« exaltiere in verwerflicher Weise eine neoliberale Ethik oder sei zumindest deren Ausdruck und Symptom. »Nur wo die Zivilisation ganz aufgehört hat, im ewigen Gemetzel einer 267 Vgl. ebd., 1:18:22-1:19:34. 268 Ebd., 1:20:02-1:20:38. 269 Interessanterweise greift der Film »Fido« diese apokalyptische Topographie auf und verkehrt sie. Der gewonnene Krieg gegen die Zombies hat dort eine sowohl friedliche wie reaktionäre 50er-Jahre-Idylle hervorgebracht, die aber räumlich eng umgrenzt ist. Das apokalyptisch von Zivilisation entschleierte, zombifizierte Territorium liegt jenseits der Einhegungen, hinter denen die durchgängig weißen Mittel- und Oberschichtsfamilien in suburbanen Wohnvierteln leben und einen sozioökonomischen Aufstieg anstreben, um sich reprogrammierte ZombieBedienstete als Statussymbol und Haushaltshilfe leisten zu können. Die Apokalypse bleibt hier also im Außenbereich aufgespeichert, während sich im eng umgrenzten Innenbereich eine statisch-reaktionäre Ordnung konserviert. Vgl. Fido, 0:00:09-0:02:52. 270 Vgl. 28 Days Later, 1:22:37-1:43:20.

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zur Barbarei befreiten Konkurrenzlogik, herrscht die gute Intensität des kriegerischen Lebens«, schreibt etwa Diedrich Diedrichsen271 und Sherryl Vint hebt in dem Zusammenhang die »rapidity of the change from human to infected« hervor, »requiring the surviving humans to turn instantly upon their fellows«.272 Zwar mag durchaus zutreffen, dass Boyles Inszenierung von rasender Dynamik und deren biopathologische Kodierung sowohl auf beschleunigte Wirtschaftsprozesse als auch auf die durch sie beförderte Agilität von Konkurrenz gemünzt sein mögen. Aber dennoch verkennen sowohl Diedrichsen als auch Vint in ihrer, einigermaßen moralistisch anmutenden, Kritik, dass der Film die derart inszenierte Referenz nicht für sich stehenlässt oder gar exaltiert, sondern zu einem Argument mit deutlicher Stoßrichtung ausbaut. »28 Days Later« verhandelt doch in extenso, dass eine Politik, die sich permanent am Ernstfall orientiert und dadurch die Potentialität von Gewalt auf Dauer stellen muss, sich in ihrer Fixierung auf Überleben in eine Stasis begibt, die weder langfristige Kooperation noch Zukunftsgestaltung erlaubt. Dass am Ende des Filmes ein »HELLO« zu stehen kommt, eine Kommunikation also, die nur verstanden werden will, um weitere Kommunikationen daran anschließen zu können, zeigt, dass die stumme Gewalt der apokalyptischen Unterbrechung überwunden worden ist. Damit kommt hier nun eine dreifache Destabilisierung der Apokalypse zu stehen, wie sie Romero bis dahin formuliert hatte. Sie ist, erstens, defokussiert, weil der Film die Enthüllung des Naturzustandes in ihrer Vorgängigkeit nicht wie Romero wieder und wieder inszeniert, sondern vollständig überspringt, also die Postapokalypse zentral stellt. Sie steht, zweitens, in Frage, da ihr der zwingende, schicksalhafte und ungestaltbare Charakter, den sie bei Romero noch aufwies, mehr und mehr genommen wird, indem permanent alternative Deutungen des gesellschaftlichen Zusammenbruchs angeboten werden, also temporäre Ausnahme, unausgesetzte Normalität und lokalisierte Quarantäne, von denen Letztere, die den Apokalypsebegriff aus einer rein zeitlichen Relationierungsfigur in eine topographische verformt, am Ende der Vorzug gegeben wird. Und sie wird, drittens, massiv destabilisiert, da ihre Politik offen benannt und kritisiert wird. Hatten Romeros Filme die immanenten Kommunikationen der Überlebendengruppe bzw. der gesellschaftlichen Systeme, für die sie standen, stets als derart ineffizient und inkompatibel mit den äußeren Umständen gezeichnet, dass die Unterbrechung durch die sprachlose Gewalt der Untoten unumgänglich, ja notwendig erscheinen musste, so stellt »28 Days Later« die eskalierende Qualität dieser Politik deutlich aus, aus der diese immer jenen Konflikt gewinnen kann, der am 271 Diedrichsen, Diedrich: Jeder kann der Zombie sein (5.06.2003), www.zeit.de/2003/24/28dayslater (05.10.17). 272 Vint, Sherryl: »Abject posthumanism. Neoliberalism, biopolitics, and zombies«, in: Levina et al. (Hg.): Monster Culture, S. 133-146, hier: S. 137.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Ende ihre radikale Unterbrechung legitimiert. Wenn der eingangs erwähnte Subtext der massenmedialen Übertragung massierter Aggression, der mit der wissenschaftlich sanktionierten Zombifizierungsursache der Virusinfektion in Konkurrenz tritt und einer kritischen Wendung des Films gegen sich selbst oder gegen das Genre nahezukommen scheint, hier nun einer sinnvollen Deutung zugeführt werden kann, dann vermutlich einer, die auf diesen Umstand verweist: Romeros Plädoyer für eine revolutionäre Unterbrechung der immanenten Ineffizienz droht exakt jene Eskalierung in sich zu bergen, die ihre Unterbrechung überhaupt erst notwendig erscheinen lässt. Apokalyptische Politik verweist nur auf sich selbst, sie begründet sich durch das, was sie selbst hervorbringt; ist nichts als ein blutiger Zirkelschluss. Auf diese Weise, so ließe sich folgern, glotzt der Zuschauer gemeinsam mit dem Versuchsprimaten auf die Gewalt der Röhrenmonitore, die sich auf ihn überträgt, wenn er ihrer eskalativen Logik zu folgen beginnt. Noch bevor mit »28 Weeks Later« ein Sequel zu Boyles »28 Days Later« erscheint, das vieles von dem, was hier dargestellt worden ist, zurücknimmt, indem sich eine erneute Insistenz auf Untergang und apokalyptische Politik durchsetzt273 , legt Comicbuchautor Robert Kirkman gemeinsam mit Zeichner Tony Moo273 Das Sequel »28 Weeks Later« verkettet gleich drei Untergangsszenarien bei ansteigender Intensität bzw. erweitertem Ausmaß. Zu Beginn wird eine Gruppe Überlebender von Infizierten überrannt, die sich, ähnlich wie Hannah, Selena und Jim im ersten Film, in einer ländlichen Gegend in einem Cottage verschanzt hatten. Anschließend wird die erneute Massenzombifizierung Großbritanniens beschrieben, das gerade neu besiedelt worden war. Am Ende kann sich die Masseninfektion auf das europäische Festland ausbreiten. Vgl. 28 Weeks Later, 0:00:450:11:00; 0:41:50-0:55:00; 1:28:27-1:29:30. Der apokalyptische Untergang wird dabei weder defokussiert, in Frage gestellt noch destabilisiert. Vielmehr zieht sich »28 Weeks Later« erkennbar auf die Redundanz eines in Variationen ablaufenden apokalyptischen Geschehens zurück, wie es Romero bereits Jahrzehnte zuvor mehrfach durchexerziert hatte. Andere Filme und Serien folgen dagegen durchaus der Stoßrichtung, die der Vorgängerfilm eröffnet hatte. So ist in »The Returned« das apokalyptische Geschehen nicht nur defokussiert, sondern in gewisser Weise gänzlich inexistent. Die Handlung des Films dreht sich stattdessen um eine kurzzeitige, produktionstechnische Verknappung jener Medikamente, die infizierte Menschen einnehmen müssen, um ihre irreversible Zombifizierung zu verhindern. Vgl. hierzu Kapitel 2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 29. Ein sehr ähnliches Szenario entwirft die BBC-Serie »In the Flesh«, in der Nordengland zwar einen zeitweiligen Kontrollverlust nach Ausbruch der Zombie-Epidemie erlitten hat, dieser aber mit Hilfe einer Freiwilligenarmee überwunden werden kann. Die verbliebenen Untoten können nun mittels spezieller Medikation weitgehend rehumanisiert werden und die Serie verhandelt im Wesentlichen den Versuch, diese ehemaligen Menschenfresser aus den Rehabilitierungszentren zu entlassen, um sie an ihre Familien zu überstellen, wo sie resozialisiert werden sollen. Interessanterweise wird dies nun von zwei Seiten erschwert, zum einen von den Paramilitärs und einer ihr nahestehenden Partei, die sich der Resozialisierung entgegenstellt, und zum anderen von der »Undead Liberation Army«, einer Untergrundorganisation der Untoten, die die Medikamentierung als Kontrollinstrument ablehnen. Beide Seiten bedienen sich dabei apokalyptischer Diskurse zur Eskalie-

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re im Jahr 2003 das erste Heft der »The Walking Dead«-Reihe vor. Aus dieser ersten Heftfolge entspinnt sich in den folgenden Jahren eine enorm produktive, multiple Serialität. Bis Dezember 2017 sind 174 Heftnummern der Comicserie erschienen, 168 Heftnummern werden bereits in einem einigermaßen unübersichtlichen Feld von unterschiedlich zugeschnittenen Sammelausgabenreihen zusammengefasst.274 Seit 2010 produziert der US-amerikanische Kabelkanalsender AMC zudem eine gleichnamige TV-Serie, die Kirkman »as an alternate dimension« entworfen hat275 , die dem Erzählverlauf der Comic-Serie also nur in Teilen entspricht und es damit zu einer der erfolgreichsten TV-Sendungen der Gegenwart gebracht hat.276 Sie wird ab Herbst 2017 in der achten Staffel ausgestrahlt.277 Seit 2011 publiziert Kirkman gemeinsam mit Jay Bonansinga eine Romanreihe, die sich als Spin-Off der Comic-Serie auf einen bedeutenden Antagonisten der frühen Comicfolgen, den

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rung des politischen Konflikts, von der sie jeweils zu profitieren hoffen. Vgl. In the Flesh. Regie: Johnny Campbell/Jim O’Hanlon/Damon Thomas/Alice Troughton, Großbritannien 2013-2014, DVD, Vertrieb: BBC, Staffel 1, Episode 1, 0:01:16-0:02:52; 0:09:35-0:10:42. Vgl. ebd., Staffel 1, Episode 3, 0:20:20-0:22:40. Vgl. außerdem ebd., Staffel 2, Episode 1, 0:00:00-0:03:38. »In The Flesh« weist damit starke Affinitäten zu »The Returned« auf, erzielt die Destabilisierung der hergebrachten Apokalyptizität aber weniger durch eine Abweisung ihrer genretypischen, eskalativen Erzählstrategien als durch eine Wiedereinspeisung derselben auf Ebene der innerdiegetisch verhandelten politischen Diskurse, die dadurch in ihrer strategischen Eskalation kritisch beleuchtet werden können. Neben der Tradepaperback-Reihe, die je fünf Hefte bündelt, umfasst die Hardcover-Reihe je zwölf Hefte. Vierundzwanzig Hefte werden jeweils in der Omnibus-Reihe vereint, die Compendium-Reihe fasst dagegen 48 Hefte zusammen. Vgl. Image Comics: The Walking Dead (kein Datum), https://imagecomics.com/comics/series/the-walking-dead (14.10.17). Die Kapitel der Letzteren orientieren sich dabei in Umfang und Titel an den Tradepaperbacks. »Compendium One« unterteilt sich also in acht Kapitel, deren Titel den ersten acht Tradepaperbacks entsprechen. Vgl. Kirkman et al.: The Walking Dead. Compendium One. Die Kapitel der weiteren Compendium-Bände sind fortnummeriert. Vgl. etwa Kirkman et al.: The Walking Dead. Compendium Two. Wenn im Folgenden also von Kapiteln die Rede ist, sind damit sowohl die Nummerierung der Tradepaperbacks als auch die fortlaufend nummerierten Unterteilungen der Compendium-Bände gemeint. AMC: Dispatches from the set. Comic Creator and Executive Producer Robert Kirkman (16.06.2011), www.amc.com/shows/the-walking-dead/talk/2011/06/robert-kirkman-interview-2 (15.10.2017). AMC zufolge ist »The Walking Dead« die erste im Kabelfernsehen ausgestrahlte TV-Sendung, deren Quote sowohl die Kabelkonkurrenz als auch die Sendungen des Antennenfernsehens übertreffen konnte. Vgl. AMC: The Walking Dead Is First Cable Series to Beat Every Show of Fall Broadcast Season in Adult 18-49 Rating (kein Datum), www.amc.com/shows/the-walkingdead/talk/2012/12/the-walking-dead-season-3-ratings (14.10.17). Vgl. AMC : The Walking Dead. Season 8. Ep 1: Mercy (kein Datum), www.amc.com/shows/the-walk ing-dead/season-8/episode-01-mercy (14.10.17).

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Governor von Woodbury, fokussiert278 , bis sich der vierte Romanband mit dem Ableben des Governors in Heftnummer 48 der ursprünglichen Comic-Reihe trifft.279 Seitdem hat Bonansinga, der die Romanreihe nun ohne Kirkman fortführt, drei weitere Bände aus der Sicht der verbliebenen Bewohner Woodburys vorgelegt.280 Seit 2012 erscheint bei Telltale Games außerdem eine Videospielreihe, die ästhetisch wie erzählerisch eng an Kirkmans Comicserie angebunden ist, deren Veröffentlichungsmodus in bislang drei »Seasons« zu je fünf »Episodes« und einer »Miniseason« zu drei »Episodes« aber wesentlich stärker an den Publikationsrhythmus von TV-Serien angelehnt scheint.281 Ein weiteres, von dieser Computerspielserie unabhängiges Computerspiel ist 2013 bei Activision erschienen282 und orientiert sich schon durch die Wahl der Hauptfigur Deryl Dixon, die in der ursprünglichen Comicbuchserie nicht existiert, erzählerisch wie ästhetisch wesentlich stärker an der TV-Serie, blieb aber bislang ohne Sequel, da der Titel nicht sonderlich erfolgreich lief und sich zuletzt auch Kirkman selbst distanzierte, der im Unterschied zur Telltale-Serie hier nicht eingebunden war.283 Seit 2015, schließlich, produziert AMC ein Spin-Off der TV-Serie, das unter dem Titel »Fear The Walking Dead« den apokalyptischen Zusammenbruch der Gesellschaft reinszeniert284 , da dieser, wie es »28 Days Later« im Genre etabliert hatte, in der ursprünglichen Comicserie gänzlich

278 Vgl. Kirkman, Robert/Bonansinga, Jay: The Walking Dead. Rise of the Governor, New York: Thomas Dunne 2011. Zum antagonistischen Status des Governor in der Comicserie vgl. nur: Kirkman et al.: Compendium One, S. 960. 279 Vgl. Kirkman, Robert/Bonansinga, Jay: The Walking Dead. Fall of the Governor. Part Two, New York: Thomas Dunne 2014. Vgl. zudem Kirkman et al.: Compendium One, S. 1064. 280 Vgl. Bonansinga, Jay: Robert Kirkman’s The Walking Dead. Invasion, New York: Thomas Dunne 2015; Bonansinga, Jay: Robert Kirkman’s The Walking Dead. Search and Destroy, New York: Thomas Dunne 2016; Bonansinga, Jay: Robert Kirkman’s The Walking Dead. Return to Woodbury, New York: Thomas Dunne 2017. 281 Vgl. The Walking Dead. Season One, San Rafael (Ca): Telltale Games 2012-2013; The Walking Dead. Season Two, San Rafael (Ca): Telltale Games 2013-2014; The Walking Dead. Michonne, San Rafael (Ca): Telltale Games 2016; The Walking Dead. A New Frontier, San Rafael (Ca): Telltale Games 2016-2017. 282 Vgl. The Walking Dead. Survival Instinct, Santa Monica (Ca): Activison 2013. 283 In einer »Ask Me Anything«-Session im Sozialen Netzwerk Reddit wird Kirkman etwa gefragt, wie er »The Walking Dead. Survival Instict« habe zulassen können. Er antwortet: »I’m pretty sure there’s an AMC logo before the title of that game and not a picture of my face. […] I can only oversee/be involved in so much… and my efforts were focused more on the TELLTALE games series.« Vgl. Kirkman, Robert: I’m Robert Kirkman, Creator of The Walking Dead. AMA! (19.03.14), https://www.reddit.com/r/IAmA/comments/20u6xf/im_robert_ kirk man_creator_of_the_walking_dead_ama/(15.10.17). 284 Vgl. AMC : Fear the Walking Dead (kein Datum), www.amc.com/shows/fear-the-walking-dead/ exclusives/about (14.10.17).

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ausgespart geblieben war. Auch »Fear The Walking Dead« konnte in den Quotenmessungen äußerst erfolgreich abschneiden.285 Diese schwindelerregende Wucherung der seriellen Erzählweise durch Comic, Fernsehen, Roman und Computerspiel mag zunächst als rein marktwirtschaftlich motivierte, höchst effiziente Bewirtschaftung eines fiktionalen Geflechts erscheinen, das, da es sich einmal als erfolgreich erwiesen hat, erbarmungslos fortgesponnen wird und sich zugleich mittels Spin-Offs und Prequels um immer neue Rückgriffe und Querverbindungen erweitert, die analeptische oder parallel angeordnete Erzählstränge erschließen. Bedenkenswert ist aber, dass die ununterbrochene, kontinuierlich serielle Erzählweise von Beginn an der programmatische Vorsatz der Reihe gewesen ist. So heißt es im Vorwort zum ersten Band der Comicserie: I’m in this for the long haul. […] Everything in this book is an attempt at showing the natural progression of events that I think would occur in these situations. […] For me the worst part of every zombie movie is the end. I always want to know what happens next. […] The idea behind THE WALKING DEAD is to stay with the character […] as long as is humanly possible. […] The Walking Dead will be the zombie movie that never ends.286 Der ökonomische Erfolg ist Kirkmans Projekt über die Jahre sicherlich nicht abträglich gewesen, aber die Erklärung der wuchernden Narrativität allein durch marktwirtschaftliches Kalkül würde zu kurz greifen. Die seriell fortgesetzte Erzählweise ist vielmehr ein programmatischer Vorsatz, der die Publikationsform serialisierter Comic-Hefte von Beginn an als Teil der erzählerischen Anlage begreift. Diese Anlage richtet sich dabei auf die Beobachtung von Menschen in »extreme situations and how these events change them«.287 Unzweideutig wird damit »The Walking Dead« als ein unentwegtes Erzählen vom ernsten Fall ausgewiesen, das dabei aber, obwohl Kirkman sich explizit auf das Vorbild Romeros beruft288 , keineswegs als ein iterativ verschleiftes Kreisen um den Moment des apokalyptischen Zusammenbruchs angelegt ist. Vielmehr zeigen bereits die ersten Panels der ersten Heftfolge, wie stark der Aufbruch ins Postapokalyptische, den »28 Days Later« bereits eröffnet hat, für Kirkman zum Modell und Ausgangspunkt wird. In den ersten sechs Panels ist von Ausnahme, Zusammenbruch oder untoten Massen noch keine Spur. Geschildert wird ein Einsatz der Polizisten Rick Grimes mit seinem Partner Shane im ländlichen Kentucky, bei dem sie einen bewaffneten, 285 Vgl. Collins, Scott: ›Fear the Walking Dead‹ had most-watched first season in cable history (9.10.15), www.latimes.com/entertainment/tv/showtracker/la-et-st-fear-the-walking-deadmost-watched-first-season-in-cable-history-20151009-story.html (14.10.17). 286 Kirkman, Robert/Moore, Tony: The Walking Dead. Vol. 1., S. 6-8. 287 Ebd., S. 6. 288 »Give me ›Dawn of the Dead‹ over »Return of the Living Dead‹ any day.« Vgl. ebd., S. 5.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

flüchtigen Häftling festzunehmen versuchen und an dessen Ende Rick schwer verwundet wird. Im siebten Panel erwacht dieser im verlassenen Krankenhaus, wird in der Cafeteria von Zombies attackiert und kann nur knapp und im letzten Moment entkommen.289 Vor dem Krankenhaus sind die Straßen wie leergefegt, die Wohnhäuser verwüstet und von anderen Überlebenden ist keine Spur. Der Aufbruch ins Postapokalyptische wird demnach auf beinahe identische Weise wie in »28 Days Later« realisiert. Er muss offenbar erkauft werden, indem der apokalyptische Zusammenbruch selbst radikal defokussiert wird und nur noch textuell, im Zwiegespräch der Figuren, resümiert erscheint. Erstmals geschieht dies, nachdem Rick sich vom Krankenhaus nach Hause durchgeschlagen hat, dort aber weder seine Frau Lori noch seinen Sohn Carl vorfindet, wie auch der gesamte Straßenzug verlassen zu sein scheint. Einzig das Haus der Nachbarn ist noch bewohnt, allerdings nicht mehr von den Thomsons, den ursprünglichen Eigentümern, sondern von Morgan Jones und seinem Sohn Duane, die dort Zuflucht gefunden haben. Zwei Panels genügen Morgan, um Rick über die vergangenen Ereignisse aufzuklären: All Media shut down after a few weeks. I haven’t heard much of anything after that. If they found a way to stop it… they haven’t made it here yet. Those things are everywhere. A good blow to the head will take ‘em out. […] Nothing much else seems to faze them. […] We try to keep quiet…they’d come after us if they knew we was [!] here. Before they stopped broadcasting they told us to relocate to the bigger cites. They said they could protect us all there. I figured I’d be better off taking my chances here.«290 Damit ist nicht nur der apokalyptische Zusammenbruch größtenteils auserzählt. Nimmt man Ricks erste Begegnung mit den Untoten im Krankenhaus hinzu, ist bereits hier auch die spezifische Konfiguration der Zombies sowie die dadurch gebotene Abwehrtechnik hinlänglich ausgeführt. Es sind keine beschleunigten Untoten wie in Zack Snyders ein Jahr später erscheinendem Remake von »Dawn of the Dead«291 und es sind keine lebenden Infizierten wie ein Jahr zuvor in Boyles »28 Days Later«. Der Rekurs auf Romero in Kirkmans oben zitiertem Vorwort scheint also auch insofern relevant zu sein, als es sich bei »The Walking Dead« wie in Romeros Genrebeiträgen um schlurfende, verwesende Leichname handelt, deren Hirn als Ausgangspunkt ihrer postmortalen Aktivität zerstört werden muss. Zudem wird an dieser Stelle bereits die akustische Reizbarkeit der Untoten hervorgehoben, die bis dahin im Genre nie derart zentral implementiert worden ist und in späteren 289 Vgl. Kirkman et al.: Compendium One, S. 5-15. 290 Ebd., S. 20. 291 Vgl. nur Dawn of the Dead, Regie: Zack Snyder, 0:08:23-0:08:35.

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Folgen von »The Walking Dead« auch zu einer regelrechten Physik der Zombiemasse ausgearbeitet wird.292 Einzig die Gefräßigkeit der Untoten ist noch nicht genannt, sie wird Rick aber kurz darauf im Stadtzentrum von Atlanta beobachten können.293 Morgans Schilderung nämlich, die staatlichen Behörden hätten vor ihrem Untergang versucht, die Verteidigung der Bevölkerung durch deren Konzentration zu gewährleisten, gibt Rick den entscheidenden Hinweis, dass Lori und Carl nach Atlanta aufgebrochen sein könnten, wo er sie später, gemeinsam mit Shane und weiteren Überlebenden, tatsächlich auffinden kann.294 Wie sich herausstellt, war die Strategie der Regierung kontraproduktiv, da sich mit der Bevölkerungskonzentration zugleich die Zombieaggression konzentrieren konnte. »All that did was put all the food in one place. […] It took a week for just about everyone in the city to be killed«, berichtet Glenn, der Rick aus den zombieverseuchten Straßen von Atlanta rettet und ins Camp außerhalb der Stadt bringt, in dem auch Lori, Carl und Shane Zuflucht gefunden haben. Sie sind Überlebende nur deshalb, weil sie das Glück hatten, zu spät in Atlanta angekommen zu sein.295 Zugleich will Shane, der eine Führungsrolle in der Gruppe eingenommen hat, trotz der nahen Zombiemassen nicht vom Camp vor Atlanta ablassen. Selbst als ein heranwankender Zombie nur knapp unschädlich gemacht werden kann und Rick daher vorschlägt, das Camp abzubrechen und einen sichereren Ort zu suchen, wehrt Shane Ricks Vorschläge ungehalten ab: Shane: Are you crazy? What happens when the government starts cleaning this mess up? They’ll start with the citites… They’ll find us faster if we stay here! […] Rick: What makes you so sure we’re even going to be rescued? […] If we go someplace safer maybe we won’t need to be rescued so soon. I’d rather be able to get a good night’s sleep every once in a while than have to sit up at night hoping the government is still intact and is going to find us. Shane: No, dammit! We’re staying right here! We’re safe here!296 Ähnlich wie in »28 Days Later« werden hier zwei divergierende Deutungen der enthüllten Ausnahme diskutiert, die entsprechend unvereinbare Handlungsprogramme hervorbringen. Ist die Ausnahme temporär oder räumlich begrenzt, da sich die Ordnung abseits des Mittleren Westens, etwa in der US-amerikanischen Hauptstadt, aufgespeichert hat und von dort auch wieder flächendeckend reaktualisiert werden kann, ist ein Ausharren sinnvoll und zwar am besten dort, wo ihre Rückkehr am ehesten zu erwarten ist. Ist die Ausnahme aber nicht temporär, sondern dauerhaft, verstetigt sie sich also zur neuen Regel, da eine baldige Rückkehr 292 293 294 295 296

Vgl. bspw. Kirkman et al.: Compendium Two, S. 122f. Vgl. Kirkman et al.: Compendium One, S. 41. Vgl. ebd., S. 50f. Vgl. ebd., S. 47-49. Ebd., S. 74f. Vgl. außerdem ebd., S. 67f.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

des Staatsapparates unwahrscheinlich ist, dann erscheint es sinnvoller, sich in dieser einzurichten und der bedrohlichen Umwelt eine am unmittelbaren Überleben ausgerichtete Handlungsstrategie entgegenzusetzen. Rick kann sich mit diesem Vorschlag zwar vorerst nicht durchsetzen und sorgt zunächst nur für eine stärkere Bewaffnung. Der Konflikt verschärft sich aber, als zuerst die Temperaturen fallen und dann ein größerer Zombieangriff auf das offen daliegende Camp zum Tod zweier Gruppenmitglieder führt. Der Streit eskaliert, Shane trachtet Rick nach dem Leben und Ricks siebenjähriger Sohn Carl muss diesem zur Hilfe kommen, indem er jenen in Notwehr erschießt.297 Nun wird Rick die Führung der Gruppe angetragen. »We need someone to look up to«, erklärt ihm Dale, ein Rentner. »I talked to everyone earlier… We think that someone is you.«298 Rick nimmt diese Rolle an und als neuer Anführer entscheidet er, das Camp abzubrechen und nach einem sichereren Ort zu suchen.299 Was Boyle in »28 Days Later« als postapokayptischen Roadtrip von London nach Manchester inszeniert, wird in »The Walking Dead« über 55 Heftfolgen hinweg ausgebreitet, erstreckt sich also, wenn man in Sammelausgaben rechnet, vom zweiten Kapitel des ersten Compendiums bis in die Hälfte des zweiten Compendiums. Als ersten Zufluchtsort beziehen sie ein scheinbar verlassenes Wohngebiet namens Wiltshire Estates, die untoten Bewohner vertreiben sie aber schnell wieder.300 Wenig später treffen sie auf die Farm von Hershel Greene, wo die Gruppe zwar vorerst rasten kann301 , aber nicht dauerhaft geduldet wird302 , erst im dritten Kapitel findet sich eine etwas dauerhaftere Behausung in Form eines dreifach umzäunten Gefängnisses, das mit reichlich Vorräten angefüllt ist.303 Daraus ergibt sich aber ein Konflikt mit dem benachbarten Woodbury, einer ebenfalls gut befestigten und noch besser bewaffneten Kleinstadt, deren Anführer sich Governor nennt. Er hält seine Bevölkerung mit blutigen Schaukämpfen bei Laune, während er, von dieser weitgehend unbemerkt, andere Überlebende systematisch ausplündert und den Zombies verfüttert, die er bei seinen Schaukämpfen einsetzt.304 »Looks to me like your living situation is fine – what would you even want from us?«, fragt Glenn bei ihrer ersten Begegnung und der Governor antwortet: »Everything. Your guns, your food, bullets, vehicles, tools, other weapons, those suits – all kinds of things.«305 Zwischen Ricks Gruppierung und der des Governors kommt es daher zum Krieg, der zahlreiche Opfer fordert, unter anderem den Governor selbst sowie Ricks Frau Lori und 297 Vgl. ebd., S. 103-136. 298 Ebd., S. 147. 299 Vgl. ebd., S. 149. 300 Vgl. ebd., S. 171-199. 301 Vgl. ebd., S. 211-221. 302 Vgl. ebd. S. 260f. 303 Vgl. ebd., S. 275. 304 Vgl. ebd., S. 649. 305 Ebd., 612f.

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ihre zwischenzeitlich zur Welt gekommene Tochter Judith, und am Ende des achten Kapitels kann sich nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Überlebendengruppe aus dem zerstörten Gefängnis retten.306 Die beschwerliche Reise beginnt von Neuem und erst in Kapitel zwölf werden Rick und die seinen von Scouts der Siedlung Alexandria kontaktiert, die sie heimlich beobachtet und anschließend für tauglich befunden haben, um als neue Bewohner ihrer von Mauern geschützten Siedlung rekrutiert zu werden.307 Erst hier hat der lange Treck der postapokalyptischen Siedler ein Ende gefunden308 , denn von Alexandria aus, wo Rick von Neuem die Führungsrolle angetragen wird309 , kann er nicht nur Handelsbeziehungen und ein Verteidigungsbündnis mit Überlebenden weiterer Siedlungen eingehen310 , er muss diese zivilisatorische Neubegründung auch in neuerlichen kriegerischen Auseinandersetzungen gegen umliegende Aggressoren verteidigen311 und tut dies bis in die letzte der hier berücksichtigten Tradepaperbackausgaben aus dem Oktober 2017.312 Ganz offensichtlich thematisiert »The Walking Dead« die Fragen von politischer Führung und Aggregation, als deren Projektionsfläche in erster Linie der Protagonist Rick dient. Bezeichnend ist vor allem, wie die Wechselwirkung seiner Machtausübung mit denjenigen dargestellt wird, die sich ihm unterstellen und ihm durch die versehrte Landschaft Nordamerikas folgen. Seine Ermächtigung wird, wie oben bereits angedeutet, in einer Art protodemokratischer Wahl vollzogen, indem Dale nach Shanes Tod Einzelgespräche mit sämtlichen Mitgliedern der Gruppe führt und auf diese Weise einen Gruppenwillen aggregieren kann, der die Macht der Gruppe an Rick delegiert.313 Rick füllt diese Rolle mit einigem Selbstbewusstsein und beansprucht die ihm übertragene Macht: »I’m the only one here in a position of authority. I’m making the choice that’s best for all of us. That’s what you all look up to me for. That’s why everyone comes to me for advice and guidance. I’m in charge.«314 Der Anspruch auf die zentralisierte Entscheidungskompetenz und 306 Vgl. ebd., S. 958-961, 1056-1070. 307 Vgl. Kirkman et al.: C ompendium Two, S. 434f. 308 Zur hierbei zitierten Western-Motivik vgl. Rees, Shelley S.: »Frontier Values Meet Big-City Zombies. The Old West in AMCs The Walking Dead«, in: Cynthia Miller, A. Bowdoin Van Riper (Hg.): Undead in the West. Vampires, Zombies, Mummies, and Ghosts on the Cinematic Frontier, Lanham u.a.: Scarecrow 2012, S. 80-94, hier: S. 81f. 309 Vgl. Kirkman et al.: C ompendium Two, S. 676. 310 Vgl. ebd., S. 1062f; vgl. außerdem Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 19 March to War, Berkeley (CA): Image Comics 2013, S. 60f. 311 Vgl. nur Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 20 All Out War. Part One, Berkeley (CA): Image Comics 2014, S. 20f. 312 Vgl. Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 28 A Certain Doom, Berkeley (CA): Image Comics 2017, S. 88f. 313 Vgl. Kirkman, et al.: Compendium One, S. 147. 314 Ebd., S. 382.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

die Durchsetzung der getroffenen Entscheidungen gelingt aber nur insofern, als die Mehrheit der Gruppe hinter ihm steht. Die Unzufriedenheit Einzelner kann Ricks Position noch verkraften.315 Anders verhält es sich aber, wenn die Mehrheit der Gruppe sich gegen ihn stellt, die Delegation ihrer Entscheidungskompetenz also zeitweise zurücknimmt. Als die Gruppe etwa auf Aaron, den Scout Alexandrias, trifft, der sie nach ausführlicher Prüfung dort aufnehmen möchte, will Rick die Entscheidung darüber auf den nächsten Morgen vertagen, kann sich damit aber nicht durchsetzen. »No, fuck that, I’m sorry, but I’m, going with him«, bricht es aus Michonne heraus und der Rest der Gruppe schließt sich ihr derart geschlossen und lautstark an, dass Rick, der Aarons Einladung gegenüber wesentlich skeptischer ist, nur noch seine Niederlage eingestehen kann. »If this is what everyone wants. Okay.«316 Bei allem Durchsetzungswillen ist Rick aber doch nicht frei von Selbstzweifeln. »It’s all my fault, Lori. Those girls are dead because of me. […] I told Hershel it would be safe here. […] I talked him into coming here«, beschuldigt er sich, als ein ehemaliger Insasse des Gefängnisses, in dem sie zeitweise Unterschlupf finden, sich als soziopathischer Frauenmörder entpuppt und Hershels Töchter, Rachel und Susie, enthauptet.317 Die zentralisierte Entscheidungskompetenz stellt sich hier als Last heraus, als überbordende Verantwortung, die Rick, wenn der Gruppe neuerliches Leid widerfährt, als Schuld empfindet. »Your dad is a great man, he holds this group together«, so erklärt es Tyreese Ricks Sohn Carl. »Everyone looks to him for advice and leadership – and it’s a terrible burden on him.«318 Diese »terrible burden« wird ihm schließlich unerträglich, nachdem die Gruppe im Konflikt mit dem Governor das Gefängnis aufgeben muss und anschließend zahlreiche Opfer zu beklagen hat. »You’re asking me? Are you really doing that?«, fragt Rick, als Dale ihn um eine Einschätzung ihres weiteren Vorgehens bittet. »I called the shots for a while – look where it got us. […] I’m not doing it anymore, Dale.«319 Doch die Gruppe lässt dies nicht zu, sie versucht, ihren beschädigten Anführer, auf den sie sich angewiesen fühlt, wieder aufzubauen. Er solle aufhören, sich permanent in Frage zu stellen, rät ihm etwa Michonne, »trust your instincts. You may be the only thing keeping us alive.«320 Und selbst Dale, der Rick zwischenzeitlich für alle Rück315 Dies geschieht beispielsweise, als Dale sich mit Andrea von der Gruppe lösen und eine verlassene Farm beziehen will, das Vorhaben aber verhindert sieht, da eine von Rick angeführte Unternehmung einen Zombieschwarm in ihre Richtung lenkt. Er ist darüber derart frustriert, dass er, der Ricks Machtfülle maßgeblich befördert hatte, eben diese zu beklagen beginnt: »We could have been happy here. But Rick had to ruin it… He ruins everything!« Vgl. Kirkman et al.: Compendium Two, S. 274. 316 Ebd., S. 445-447. 317 Kirkman et al.: Compendium One, S. 364. Vgl. außerdem ebd., S. 342f. 318 Ebd., S. 769. 319 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 135. 320 Ebd., S. 179.

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schläge und Frustrationen verantwortlich gemacht hatte, ändert, als er im Sterben liegt, seine Meinung. Er habe Rick zu danken, dass er »that burden« auf sich genommen habe, deren Verantwortung außer ihm sonst keiner habe tragen wollen. »It’s easy to blame you for what happened at times. […] It’s not as easy to give you credit for things that didn’t happen. A lot of people are dead… But look at how long this group has lasted.«321 Die Gruppe sieht Rick also nicht nur als Bedingung ihrer Aggregation und als zentralisierte Instanz ihrer Entscheidungsprozessierung. Ihm wird auch zugeschrieben, dass die Gruppenglieder ihr Leben überhaupt den widrigen Umständen haben abtrotzen können. Wie kommt es dazu? Ricks wesentliche Leistung ist es, so meine These, Innen und Außen, Ordnung und Naturzustand, nicht nur unterscheiden zu können, sondern die Handlungsprogramme der Gruppe auch auf diese Bereiche einzustellen und, mit teils erheblicher Agilität, zwischen diesen zu wechseln. Als Glenn ihn aus Atlanta zum Camp führt, in dem Shane die Gruppe versammelt hält, ist Rick, noch bevor er das Camp überhaupt zu Gesicht bekommen hat, skeptisch: »So you’re just camping out here? Is that safe?«322 Bald stellt sich heraus, dass Ricks Skepsis berichtigt ist und Shane über seinem sturen Beharren auf der baldigen Rückkehr des Staatsapparates die unmittelbaren Gegebenheiten verkennt, also die sinkenden Temperaturen und die mit Untoten angefüllte Stadt in ihrer Nähe, und erst nach Shanes Ableben kann Rick sich mit der Gruppe auf die Suche nach einem Ort begeben, der diesen Gegebenheiten angemessener ist.323 Als sie auf Hershels Farm eingetroffen sind, stellt Rick mit Schrecken fest, dass Hershel die Zombifizierung nicht für einen zwangsläufig dauerhaften Zustand hält und entsprechend die ›Tötung‹ zombifizierter Menschen ablehnt. »For all we know these things could wake up tomorrow and be completely normal again! […] I don’t want to have blood on my hands if we find out these people are alive.«324 Entsprechend hat Hershel die zombifizierte Nachbarschaft sowie einen seiner Söhne, der gebissen wurde, weder den Schädel eingeschlagen noch in den Kopf geschossen, wie Ricks Gruppe dies inzwischen routiniert vollzieht, sondern in seine Scheune eingesperrt. Von Ricks Warnungen will Hershel nichts wissen. Als er aber einen neuerlich herbeischlurfenden Untoten in sein Zombiereservoir zu führen versucht, gerät die Situation außer Kontrolle, ein zweiter Sohn und eine Tochter Hershels kommen dabei ums Leben und weiterer Schaden wird nur abgewendet, da Rick und seine Gruppe ausgiebig von ihren Waffen Gebrauch machen. Auch Hershel versucht also am Glauben festzuhalten, die aus den Fugen geratene Welt werde bald wieder zu ihrer alten Ordnung zurückkehren, und aus diesem Glauben heraus will er Ricks auf das unmittelbare 321 322 323 324

Ebd., S. 401. Kirkman et al.: Compendium One, S. 49. Vgl. ebd., S. 74f, 147. Ebd., S. 232.

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Überleben ausgerichtete Handlungsprogramm, das die Erschießung der Zombies inkludiert, verhindern. Erst nach dieser neuerlichen Katastrophe sieht er ein, dass er falsch gelegen hat, und erschießt seine zombifizierten Kinder.325 Überdeutlich wird Ricks Impetus, als im Gefängnis ein ehemaliger Häftling namens Dexter die Überlebendengruppe mit vorgehaltener Waffe aus der Haftanstalt zu vertreiben sucht. Diese Waffe, indes, hat er aus einem Trakt entwendet, den Rick und die seien noch nicht von Zombies befreit haben, und die nun ins Freie wankenden Untoten verhindern, dass Dexter seinen Plan umsetzen kann, er muss vielmehr gemeinsam mit jenen, die er vertreiben wollte, die herbeiströmenden Zombies abwehren, bis Rick ihn, obwohl er in diesem Moment keine unmittelbare Bedrohung darstellt, erschießt.326 Dies versetzt die Gruppe in Unruhe, nicht zuletzt, da Rick zudem in eine tätliche Auseinandersetzung mit Tyreese gerät, eine (vergebliche) ad-hoc Amputation von Allens Bein unternimmt, um dessen Zombifizierung zu verhindern, und in autoritärer Pose die Hinrichtung des soziopathischen Frauenmörders fordert, nachdem diesem zwei Töchter Hershels zum Opfer gefallen sind. »People don’t know what to think«, erklärt ihm Dale. Rick wird daher die Führung entzogen und ein Komitee, an dem er weiterhin beteiligt ist, tritt an die Stelle seiner bisherigen Alleinherrschaft.327 Er akzeptiert diesen (zeitweiligen328 ) Machtverlust, allerdings nicht ohne sich in einer Ansprache zu erklären: Rick:

I am a cop – I know that technically what I did was wrong. I know the laws – I know how things used to be. Things have changed. Tyreese: We can’t just ignore the rules, Rick. We’ve got to retain our humanity! Rick: That’s what I’m saying! I killed Dexter to protect us all. He was threatening to kick us out of this place, our sanctuary. […] How humane would things have been out there?! How many people did we lose on the way here? […] Things have changed. The world has changed – and we’re going to have to change with it. […] Do you people still think we’re going to be rescued? Do you? They’re not coming!! […] Nothing will ever be the way it used to be. Ever! […] We will change! We will evolve. We’ll make new rules – we’ll still be humane and kind and we’ll still care for each other. But when the time comes – we have to be prepared to do whatever it takes to keep us safe. Whatever it takes!329 Explizit versucht Rick seiner Gruppe zu verstehen zu geben, dass die Geltung sowohl des positiven Rechts als auch der hergebrachten ethisch-moralischen Maß325 326 327 328

Vgl. ebd., S. 247-249. Vgl. ebd., S. 413-426. Ebd., S. 528. Vgl. außerdem ebd., S. 526-528. Nachdem die Gruppe im Krieg mit dem Governor stark dezimiert wird und fliehen muss, nimmt Rick bald wieder die alleinige Führungsrolle ein. Vgl. Kirkman et al.: Compendium Two, S. 542. 329 Kirkman et al.: Compendium One, S. 534-536.

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stäbe aufgehoben ist, dass der einst darunter verborgene und nun enthüllt bloßliegende Naturzustand ihnen eine Gewalttätigkeit und Brutalisierung abverlangt, die für die Sicherung ihres Überlebens unerlässlich geworden ist, dass sie sich der Zombifizierung nur enthalten können, ihr Menschsein, ihre Humanität nur bewahren können durch gezielt eingesetzte Inhumanität. Diese »new rules« passen sich also der apokalyptischen Unterbrechung der Ordnung insofern an, als sie sich jederzeit bereit zeigen, »to do whatever it takes«. Ähnlich wie es in »28 Days Later« der Fall ist, muss die Freund-Feind-Unterscheidung in jedem Moment prozessiert und entsprechend gehandelt werden können. Diese gezielt eingesetzte Inhumanität parallelisiert dann auch die Menschen mit ihren untoten Fressfeinden, die sich zuverlässig von ihrer menschlichen Beute zu unterscheiden wissen. Entsprechend antwortet Rick auf Tyreeseʼ Einwand, sie dürften nicht zu »savages« werden, dass dies schon längst der Fall sei. And that’s just it. That’s what this comes down to. You people don’t know what we are. We’re surrounded by the dead. We’re among them and when we finally give up, we become them! We’re living on borrowed time here. […] You think we hide behind walls to protect us from the Walking Dead. Don’t you get it? We are the Walking Dead!330 Einerseits sind Mensch und Zombie demnach keine kategorisch geschiedenen Wesen, sondern lediglich differente Stadien innerhalb einer zeitlichen Kontinuität. Andererseits ist der Mensch folglich nichts als eine Latenz, ein verzögerter Zombie also, der sich innerhalb dieser Verzögerung auch noch zeitweise so verhalten muss, wie er es als Zombie später kontinuierlich tun müssen wird, das heißt in permanenter Freund-Feind-Unterscheidung operieren und den so unterschiedenen Feind mit stummer, ungehemmter, brachialer Gewalt verfolgen. Wenn Schmitt »alle Staatstheorien und politische Ideen« danach beurteilen zu können glaubt, »ob sie […] einen ›von Natur bösen‹ oder einen ›von Natur guten‹ Menschen voraussetzen […], ob der Mensch ein ›gefährliches‹ oder ungefährliches, ein riskantes oder ein harmloses nicht-riskantes Wesen ist«, hätte er hier durchaus wenig einzuwenden, denn der Zombie, der den Naturzustand zur Enthüllung zwingt, wie auch der Mensch, der sich in diesem Naturzustand seiner untoten Variante angleichen muss, erweisen sich beide als der äußerst gefahrvollen Sorte von Wesen angehörig. Im »Zustand fortwährender Gefahr und Gefährdung« sind sie »eben deshalb ›böse‹ […] wie die von ihren Trieben (Hunger, Gier, Angst, Eifersucht) bewegten Tiere«.331 330 Ebd., S. 537-539. 331 Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 55. Allerdings muss es einigermaßen vorschnell erscheinen, bereits hieraus eine faschistoide Grundhaltung abzuleiten, wie dies Stephen Gencarella versucht. Vgl. Gencarella, Stephen Olbry: »Thunder without rain. Fascist masculinity in AMC’s The Walking Dead«, in: Horror Studies 7, 1 (2016), S. 125-146, hier: S. 128f.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Wie weit es Kirkman mit dieser Analogisierung treibt und wo zugleich die Grenze der Analogisierung gezogen wird, zeigt sich, als Rick mit seinem Sohn und dem ehemaligen Soldaten Abraham von drei Männern überfallen wird, die Carl zu vergewaltigen drohen. Rick kann dies nur abwenden, indem er einen der Angreifer brutal die Halsschlagader zerbeißt. In dem Panel ist Ricks Biss dabei nicht vom typischen Halsbiss des Zombies zu unterscheiden.332 »Some people – was like a fucking switch went off in them«, kommentiert Abraham später. »One day they were nice, law-abiding folks, the next – they were animals.« Rick antwortet: Thing is, I don’t think that’s an entirely bad thing. You and me – our switches flipped. […] The people without the switch – those who weren’t able to go from law-abiding citizens to stone-cold killers… those are the ones shambling around out there – trying to eat us.«333 Die Zombies rekrutieren sich also in erster Linie aus denen, die den Schalter von Ordnung auf Naturzustand nicht umlegen konnten, und nun, da sie als ruhelose, menschenhungrige Leichname durch die Landschaft ziehen, sind sie in ihrer gefräßigen Freund-Feind-Unterscheidungsoperativität ebenso gefangen wie zuvor in ihrer gesetzestreuen Bürgerpflicht, sie können aus ihrer hungrigen Bewusstlosigkeit nicht mehr, wie Hershel noch hoffte, zurückschalten, können nicht mehr in den zwar bedrohten, aber doch noch existenten Bereich der Lebenden zurückkehren. Die Lebenden dagegen, so zeigt sich hier, unterscheiden sich insofern von ihrer untoten Variante, als sie eben über jenen Schalter verfügen, der durch dessen rechtzeitige Betätigung ihre Zombifizierung verhindern konnte. Wie die Metaphorik des Schalters aber bereits impliziert, scheint dabei eine grundsätzliche Reversibilität aufgespeichert zu bleiben, schließlich lässt sich ein Schalter in der Regel stets in mindestens zwei Richtungen bewegen. Die einmal in Gang gesetzte Brutalisierung, die das Überleben im Naturzustand gewährleistet, muss demnach unter bestimmten Umständen auch wieder ausgesetzt werden können. Die Überlebenden würden sich daher gegenüber ihren zunächst gesetzestreuen und dann hirntoten Mitbürgern insofern auszeichnen, als sie eine naturzustandsgemäße Brutalisierung als zuschaltbare Option verfügbar halten, die ihnen in Abwesenheit staatlicher Ordnung das Überleben zu sichern vermag. Wenn Rick nun derjenige ist, dem die Gruppe wieder und wieder attestiert, dass sie ihr Überleben 332 Vgl. Kirkman et al.: Compendium Two, S. 204f, vgl. außerdem S. 200-206. Den ersten entsprechenden Zombie-Angriff erleidet Amy im Camp bei Atlanta. Vgl. Kirkman et al.: Compendium One, S. 108. Auch hier könnte »28 Days Later« Vorbildfunktion haben, denn in einer zentralen Szene, in der Jim in das Anwesen der Soldaten eindringt, um Selena und Hannah zu retten, gleicht auch er sich, halbnackt und blutüberströmt, den rasenden Infizierten an, sodass er sowohl für den Zuschauer als auch für Selena und Hannah kurzzeitig nicht von einem solchen zu unterscheiden ist. Vgl. 28 Days Later, 1:37:10-1:39:02. 333 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 210-215.

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seiner Führungsrolle zu verdanken hat, dann ist dies einerseits durchaus auf dessen kompromissloses Umschalten auf brutale Gewalt zur Vernichtung der einmal unterschiedenen Feindesgruppe zurückzuführen. Sie verdankt ihm aber andererseits auch die Einsicht in diese Reversibilität des Umschaltens, die, wenn dies zum richtigen Zeitpunkt vollzogen wird, entscheidende Vorteile mit sich bringt. Diese Reversibilitätseinsicht eröffnet sich Rick ausgerechnet in dem Moment, in dem Alexandria von Zombies überrannt wird, die Bewohner sich in ihren Häusern verschanzen müssen und ein überstürzter Fluchtversuch den Tod seiner neuen Geliebten, Jessie, ihres Sohnes sowie die schwere Verwundung Carls zur Folge hat.334 Aus lauter Verzweiflung stürzt Rick sich mit einer Axt in die Zombiemasse, motiviert dadurch zahlreiche weitere Bewohner, die es ihm gleichtun, und ermöglicht so das einigermaßen Unwahrscheinliche, nämlich den immensen Ansturm untoter Menschenfresser in einer gemeinsamen Anstrengung niederzuschlagen.335 »I can’t believe it took me this long to realize this«, reflektiert Rick später. After so long, being driven from one place to the next… I noticed, it was always people – that was the problem. I can’t believe I’m saying this…but the dead…they’re a manageable threat. […] I’ve seen what we can do with numbers. I’ve seen how we can organize, plan… How if we do things right…if everyone does their part…we can survive anything.336 Rick wird klar, dass er zu sehr auf das Überleben seiner Familie fokussiert gewesen war und darüber »the most important part of survival« vergessen habe, der in »community« bestehe.337 Und zugleich beschränkt sich diese »community« auch nicht mehr allein auf ihre Funktionalität im Überleben, sie ermöglicht vielmehr eine Erweiterung dessen, was als, im Wortsinn, postapokalyptische Zielsetzung denkbar ist: »Now I want to leave that behind… Focus more on what we really want… Re-establish civilization«.338 Eine auf erhöhte Komplexität eingestellte Organisation einer größeren Anzahl von Menschen scheint es also plötzlich zu ermöglichen, das allein auf Überleben eingestellte Handlungsprogramm, die apokalyptische Politik also, zugunsten einer neuen, auf zivilisatorische Zukunftsgestaltung ausgerichtete Politik zu überwinden, und damit: postapokalyptische Politik zu betreiben. »We can finally stop sturviving…and start living«, prophezeit Rick.339 334 335 336 337 338

Vgl. ebd., S. 740-785. Vgl. ebd., S. 788-807. Ebd., S. 808. Ebd., S. 853. Ebd., S. 830. Entsprechend irritierend ist es, wenn Kyle William Bishop die gesamte ComicReihe von »The Walking Dead« als einzige Brutalisierungsspirale schildert, obwohl zum Zeitpunkt seiner Analyse der zivilisatorische Neustart in der Heftserie längst eingesetzt hat. Vgl. Bishop, Kyle William: »Battling monsters«, S. 74f, 77-83. 339 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 1078.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Was dem zunächst noch im Wege zu stehen scheint, ist Negan, der sich, ähnlich wie vor ihm der Governor, auf die Ausbeutung anderer Überlebender spezialisiert hat, und auf diese Weise die umliegenden Siedlungen, mit denen Rick bald ein Bündnis schmiedet, erpresst und auch von Ricks Alexandria Tribut fordert.340 Bei genauerer Betrachtung ist der Konflikt mit Negan aber weniger Hindernis als vielmehr Katalysator, denn indem Rick sich mit dem Anführer des Hilltop darauf einigt, im Tausch für Lebensmittel, die dort inzwischen produziert werden, das Hilltop gegen Negan zu verteidigen, eröffnet sich an und für sich erst die Möglichkeit, zu einer komplexeren, auf Arbeitsteiligkeit und Organisation eingestellten Zivilisation zurückzukehren. »This is a special place, made even more special by the fact that they need us. They need our skills, our capabilities«, erklärt Rick seinen Mitstreitern341 , und gegenüber Gregory, der dem Hilltop vorsteht, bekennt er offenherzig, das einzige, was sie in Handelsbeziehungen einbringen könnten, sei ihre Fähigkeit »to handle people like that«.342 Es ist die harte Schule des Naturzustandes, die sie offenbar intensiver als die Bewohner des Hilltop durchlebt haben343 und die sie nun befähigt, ihre Brutalisierung nicht als Mittel der Erpressung, sondern als Tauschwert einzusetzen, der dauerhafte politische und wirtschaftliche Beziehungen mit dem Hilltop ermöglicht und diese alsbald auch darüber hinaus erweitert – und zwar auf das angrenzende Reich von König Ezekiel, einem ehemaligen Zooangestellten, dessen zahmes Tigerweibchen Shiva derart Eindruck auf andere Überlebende gemacht hat, dass sie ihn zum König erhoben haben, und der seine Untertanen nun auch tatsächlich in amtsgemäßem, majestätisch-archaischem Duktus adressiert.344 Letztlich wiederholt sich hier das, was Rick bereits für seine ursprüngliche Gefolgschaft geleistet hatte. Dass Rick Ezekiel nämlich davon überzeugen kann, sich gegen Negan zu wehren, und dass auch die Bewohner des Hilltops beginnen, in Rick ihren eigentlichen Anführer zu erkennen (»You’re a leader we can follow.«345 ), liegt nicht zuletzt an der brutalen Gewalt, die sowohl Rick als auch all jene, die ihm seit geraumer Zeit durch die verwüstete Landschaft folgen, bei Bedarf zuschalten können. Bereits in Alexandria hatte sich schnell gezeigt, dass die ursprünglichen Bewohner derart lange hinter schützenden Mauern gelebt hatten, dass sie mit der äußeren Bedrohung kaum umzugehen wissen. Kurz nach ihrer Ankunft sagt Douglas Monroe, ein ehemaliger Kongressabgeordneter, der ursprünglich die Leitung 340 Vgl. ebd., S. 1062-1073. 341 Ebd., S. 1073. 342 Ebd., S. 1069. 343 So urteilt Rick später: »Those people in there don’t live in fear, they don’t worry about what’s on the outside of that wall. Frankly, they are completely incapable of dealing with anything from outside.« Vgl. ebd., S. 1073. 344 Vgl. Kirkman et al.: Vol. 19, S. 37-48. 345 Ebd., S. 134. Vgl. außerdem ebd., S. 40.

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Alexandrias innehat: »The fact of the matter, Rick, is that we need more people like you. Aside from the knowledge of the outside world you have – that we desperately need, you’re also more well-equipped to deal with…well seemingly anything.«346 Dass sich diese Fähigkeiten auch gegen Monroes Regime wenden können, muss dieser schnell feststellen. Schon die Lagerung aller Waffen in einem zentralen Depot, also die Entwaffnung der Bevölkerung innerhalb der Mauern Alexandrias, will Rick nicht akzeptieren und lässt Glenn heimlich eine Minimalbewaffnung entwenden.347 Die dauerhafte Suspendierung der Gewalt im Innenbereich unterbricht Rick dann in dem Moment, in dem er einen Bewohner Alexandrias an der Misshandlung seiner Frau und seines Kindes zu hindern versucht und es zu einer brutalen Auseinandersetzung kommt, an deren Ende Rick auch Monroe mit einer Waffe bedroht.348 Zunächst wird Rick hiernach noch in die Schranken gewiesen349 , aber Monroe gesteht ihm mehr und mehr Freiheiten zu. »The fact is, I can live with that. To have a head of security who is willig to break rules in order to keep our community safe…I respect that«, sagt Monroe nach einiger Bedenkzeit350 und setzt Rick somit, in schmittianischer Denkweise, letztlich bereits hier in eine souveräne Stellung ein, da die Aussetzung der Regel gänzlich seinem normativ unbeschränkten Ermessen überantwortet ist. Und nach einem ersten Angriff, den Negans Männer auf Alexandria unternehmen und den Rick und die seinen routiniert abwehren können351 , ist es demnach nur konsequent, dass Monroe eingesteht: »They don’t need me, Rick…what they need is you.«352 Dass Rick also sowohl die Führung Alexandrias als auch die des Bündnisses, das sich mit dem Hilltop und dem Königreich herausbildet, angetragen wird, ergibt sich wiederum aus seiner Fähigkeit, zwischen Innen und Außen, Ordnung und Naturzustand, Befriedung und Gewalt agil wechseln zu können, und der nun im kriegerischen Maßstab umgelegte Schalter der Gewalt353 , vor dem Negan alsbald kapitulieren muss354 , ermöglicht dann die entgegengesetzte Schaltbewegung, die von Rick ersehnte und prophezeite »re-establish[ed] civilization«.355 Diese ist dann auch Hauptthema des ersten Tradepaperbackbandes, das auf den Sieg über Negan folgt. Es widmet sich ausgiebig der Präsentation der blühenden Landwirtschaft, der Werkzeug- und Waffenproduktion, des Baus neuer Wohn- und Gewer346 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 486. Vgl. außerdem ebd., S. 483. 347 Vgl. ebd., S. 504, 542. 348 Vgl. ebd., S. 602-609. 349 Vgl. ebd., S. 610f. 350 Ebd., S. 628. 351 Vgl. ebd., S. 663-671. 352 Ebd., S. 676. 353 Vgl. Kirkman et al.: The Walking Dead. Vol. 20, S. 20f. 354 Vgl. Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 21 All Out War. Part Two, Berkeley (CA): Image Comics 2014, S. 121. 355 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 830.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

beflächen, der ersten Ansätze einer Reindustrialisierung sowie der militärisch gesicherten Handelsrouten zwischen den, inzwischen vier, verbündeten Siedlungen.356 Dass Rick den Naturzustand dauerhaft überwunden halten möchte, verdichtet sich am stärksten in seiner Entscheidung, Negans schwere Verwundungen aus der Entscheidungsschlacht sofort medizinisch versorgen zu lassen, noch bevor Ricks eigene Verletzungen begutachtet worden sind.357 Obwohl Negan zahllose Menschen aus Ricks Gefolgschaft umgebracht hat358 , obwohl er Glenn, einem der wichtigsten und ersten Begleiter Ricks, vor den Augen seiner Frau brutal den Schädel einschlug359 und obwohl daher zahlreiche Mitglieder der Gruppe seinen Tod fordern360 , besteht Rick darauf, Negan als ersten Häftling von Alexandria in den Keller des Gemeinschaftsdepots zu sperren.361 Er lehnt dessen Exekution strikt ab: That’s not who we are. That’s not what we do. That’s…it’s who we were. We’ve all killed to survive…. we’ve hurt so many who wanted to do us harm. That’s how we made it – how we got here. But now, that we’re here we have a chance to change all that. […] I’m saying we have a chance to start over… to relive history, in a sense. We can rebuild and we can change things as we go. […] I’d prefer to skip the ugly parts.362 Hier liegt nun aber eine entscheidende Diskrepanz offen zutage, schließlich ist es ein großer Unterschied, ob man die Zivilisation, wie sie einmal war, wiederherzustellen versucht, also eine »re-established civilization«363 anstrebt, oder ob man diese dabei zugleich auch einer Revision unterziehen möchte. »We could rebuild civilization…maybe even do a better job of it this time«, so formuliert es Rick an anderer Stelle364 , und bald zeigt sich, dass Kirkman wesentlich stärkeres Gewicht auf diesen »better job« legt als auf eine reine Wiederherstellung. In diesem Sinne ist etwa das großformatige, zwei Seiten einnehmende Panorama der Idylle von Alexandria zu verstehen, in der die Obstgärten, Nutztiere und fröhlich grüßenden 356 Vgl. Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 22 A New Beginning, Berkeley (CA): Image Comics 2014, S. 25, 28f, 32f, 52, 85-87, 109. Die Saviors, die ehemals unter Negans Führung standen, sind nach dessen Kapitulation Teil des Bündnisses geworden. Vgl. bspw. Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 24 Life and Death, Berkeley (CA): Image Comics 2015, S. 50. 357 Vgl. Kirkman et al.: Vol 21, S. 127. 358 Vgl. nur Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 17 Something To Fear, Berkeley (CA): Image Comics 2012, S. 28. 359 Vgl. ebd., S. 90-96. 360 Vgl. Kirkman et al.: Vol. 21, S. 128. 361 Vgl. Kirkman et al.: Vol. 22, S. 48f. 362 Kirkman et al.: Vol. 21, S. 128f. 363 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 830. 364 Kirkman et al.: Vol. 21, S. 111.

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Jogger die suburbanen Wohnhäuser mit ihren rauchenden Kaminen umgeben.365 Und in diesem Sinne ist auch die enge Gemeinschaft des Hilltop inszeniert, in der Maggie, als neue Anführerin, an drei Tagen der Woche ein bestens besuchtes Gemeindeessen veranstaltet. »It’s good to see the people you live with so closely… share a meal, get to know them. I still don’t know everyone here. That bugs me, but I’ll get there.«366 Kurz darauf entspinnt sich der folgende Dialog: Maggie: Truth is, things are almost better than before this all started. People get along here. You know what I mean? They appreciate what they have. They don’t take it for granted. They cherish it and they’re thankful for every day of peace. Rick: We never knew how good we had it. Never knew how close we were to losing it. If only I’d have known. I’d have watched so much TV. Maggie: No you wouldn’t have. You wouldn’t have watched any. Rick: You’re right.367 Die Zombie-Apokalypse erscheint aus dieser Perspektive als ein zwar opferreiches, aber ansonsten kathartisches Moment, als reinigende Katastrophe, die den Menschen von der hektischen, überkomplexen, uneigentlichen, modernen Lebensweise befreit und ihnen deren tatsächlichen, eigentlicheren Bedürfnisse vor Augen führt. Entsprechend wird die dem enthüllten Naturzustand abgerungene, also postapokalyptische, Ordnung als eine der alten Gesellschaftsstruktur überlegene dargestellt. Sie ist vor allem geprägt durch das Prinzip der Unmittelbarkeit: Das Arbeiten für den allgemeinen Wohlstand und den technologischen Fortschritt zeitigt unmittelbare Wirkung, die allen zu Gute kommt368 , und die politische Struktur ist derart unmittelbar, dass es nicht einmal politischer Medien wie Meinungsumfragen, Wahlen oder komplexer Ämterstrukturen bedarf, weil jede politische Kommunikation face-to-face mit den Führungspersonen erfolgt, jeder Führungswechsel mittels öffentlicher Rede und Widerrede auf der frei zugänglichen Agora und anschließender Unterstützungsbekundung durch die Bevölkerung bestimmt werden kann.369 In einem Interview erläutert Kirkman: Sometimes I think about how life now is not cool. We made a mistake at some point in our history, a hundred years ago, when we were living in houses that we built, growing food that we ate, interacting with our families and living our lives. Looking back on that era, it seems kind of appealing. That’s a life that makes sense. Now, we’re doing jobs that we don’t enjoy to buy stuff that we don’t need. […] it 365 366 367 368 369

Vgl. Kirkman et al.: Vol. 22, S. 28f. Ebd., S. 122f. Ebd., S. 133. Vgl. nur Kirkman et al.: Vol. 22, S. 59f. Durch einen solchen öffentlich ausgetragenen Führungswechsel kommt auch Maggie im Hilltop an die Macht. Vgl. Kirkman et al.: Vol. 20, S. 71-77.

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seems like we screwed things up. There doesn’t seem to be any kind of movement to continue evolving how we live, who we are and what our purpose is as human beings. That’s unfortunate. So it’s fun to look at the world of The Walking Dead and see those things taken away. Is life going to be better?370 In Kirkmans idyllischer Vergangenheitsimagination ist die arbeitsteilige Organisation der Wirtschaftsprozesse gänzlich inexistent. Das Haus, das man bewohnt, muss man auch gebaut haben und die Lebensmittel, die man verzehrt, hat man eigenhändig produziert. Die kritisch beleuchtete Gegenwart zeichnet sich entsprechend durch eine Entkopplung von Arbeit und Ertrag aus. Nicht nur wird das, was die Arbeit erwirtschaftet, nicht mehr gegen Dinge eingetauscht, derer man unmittelbar bedarf, die Arbeit selbst wird einem darüber offenbar auch gleich ganz sinnlos, denn sie birgt eben kein »life that makes sense«. Auch hier ist es also die Vermittlungsinstanz, die Mittelbarkeit zwischen verrichteter Arbeit, Ertrag und erworbenem Wirtschaftsgut, die Schuld trägt am Sinnverlust und die das Leben veruneigentlicht, verkompliziert, in überbordender Komplexität aufgehen lässt. Erst wenn überwältigende Wahlmöglichkeiten sowohl in den aufnehmbaren Erwerbstätigkeiten als auch in den Entscheidungen zwischen käuflichen Gütern vorhanden sind, kann es zum Kirkman’schen Sinnverlust kommen. Wenn dagegen nur eine Erwerbstätigkeit, etwa der Anbau von Lebensmitteln, und ein Konsumgut, eben der Verzehr dieser Lebensmittel, vorhanden sind, kann weder ein Zweifel am Sinn dieser einen Tätigkeit noch eine verfehlte Kaufentscheidung entstehen. Indem also die Kombinationsmöglichkeiten von Produktion, Produzent, Produkt und Konsument radikal verringert sind, fällt das Mittel weg, das Geld, das zuvor die Kombinatorik ermöglicht hatte, oder: dessen Verwendung die vorherige Kombinationsmaschinerie erzwungen hatte. Die neue Un-Mittelbarkeit ist demnach Resultat der gesunkenen Komplexität in der Operationsweise der postapokalyptischen Gemeinschaften. Unmittelbar und wenig komplex ist dann auch das Moment der Herrschaft. Die neu anlaufende Produktion der Landwirtschaft, der Bauwirtschaft, des Handwerks sowie die Operativität von Politik und Militär werden sämtlich in letzter Instanz durch Rick Grimes überwacht und gelenkt – und dies nicht allein in Alexandria.371 370 Peisner, David: Robert Kirkman: I can do 1,000 issues of ›The Walking Dead‹ (08.10.2013), www.rollingstone.com/tv/news/robert-kirkman-i-can-do-1-000-issues-of-the-walking-dead20131008 (27.03.2015). 371 Als Maggie sich zur Anführerin des Hilltop aufschwingt, tut sie dies, indem sie sich explizit auf Rick beruft: »I believe in Rick Grimes.« Vgl. Kirkman et al.: Vol 20, S. 75-77. Nach dem Tod Ezekiels wird zudem Michonne, eine der wichtigsten Kampfgefährtinnen Ricks, die Führung des Königreichs angetragen. Vgl. Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 26 Call To Arms, Berkeley (CA): Image Comics 2016, S. 23. Auch innerhalb der Saviors setzt sich nach Negans Niederlage Dwight durch, der sich Rick zuvor bereits unterstellt hatte. Vgl. Kirkman et al.: Vol. 21, S. 123-125. Das gesamte Bündnis untersteht damit, zumindest indirekt, Ricks Führungsanspruch.

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Im gesamten Bündnis sind die neu anlaufenden Kommunikationssysteme damit keineswegs autonom, sie laufen alle auf einen zentralisierten Zurechnungspunkt zu, an dem weiterhin das Wohl und Wehe der postapokalyptischen Zivilisation zu hängen scheint.372 Selbst das Urteil über Negan, mit dem Rick gerade die Wiedereinsetzung der zivilisatorischen Ordnung unter Beweis stellen wollte, wird von ihm bezeichnenderweise dort verworfen, wo neuerliche Gewalt aufgewendet werden muss, um äußere Aggressoren abzuwehren.373 Rick kommt damit noch immer die Rolle des »head of security« zu, des Souveräns letztlich, »who is willig to break rules in order to keep our community safe«.374 Die Reversibilität des Schalters, der zuerst auf Naturzustand und später zurück auf Zivilisation verschoben werden sollte, ist demnach durchaus prekär angelegt. Ricks Überlegungen, »what we can do with numbers […] how we can organize, plan«375 , scheinen zwar durchaus eine soziale Strukturierung im Sinn zu haben, die eine gewisse Arbeitsteiligkeit, kombinatorische Komplexität und subsystemische Eigenlogik impliziert. Allein, sie wird, zumindest bisher, nur soweit zur Entfaltung gebracht, wie Rick Grimes dabei nicht das zentralisierte Entscheidungsmonopol einzubüßen droht, dessen Eingriffsmöglichkeiten, wiederum, ganz unmittelbar zur Entfaltung kommen, indem etwa ein unaufmerksamer Wachmann, der die Sicherheit einer wichtigen Handelsroute gefährdet hatte, von Rick höchstpersönlich per Prügelstrafe gemaßregelt wird.376 In gewisser Weise kommt Kirkmans »better job« damit gerade jener Sehnsucht entgegen, die Carl Schmitts »Begriff des Politischen« antreibt. Hier wie dort scheint ein nostalgisches Leiden am heterarchischen Nebeneinander funktional differenzierter Gesellschaften auf, in dem autonom gewordene Subsysteme eigensinnig vor sich hin kommunizieren, sich in eigenlogischen Komplexitäten versteigen und auf diese Weise marktwirtschaftlich sinnvolle Fehlkäufe nicht mehr zwangsläufig an moralischen Kriterien eines »life that makes sense« messen müssen. Hier wie dort wächst dies nostalgische Leiden in eine Phantasie der Rückabwicklung hinüber, die das Unüberschaubare wieder einer rezentralisierten Macht372 Rick verzweifelt, als seine Partnerin Andrea im Sterben liegt, und glaubt, das Führungsamt nicht länger tragen zu können. Andrea ermahnt ihn: »You can – and you will! […] Otherwise, this was all for nothing… If this all falls apart… and it will without you… why did you fight so hard?« Vgl. Kirkman et al.: Vol. 28, S. 118. 373 Negan flieht aus seiner Gefängniszelle, kehrt aber mit dem abgetrennten Kopf von Alpha, der Anführerin der Whisperer, zurück, die mit Ricks Bündnis im Krieg stehen, um auf diese Weise Ricks Gunst zu erwerben. Tatsächlich wird er daraufhin von Rick aus der Haft entlassen, um ihn zugleich als äußerst tauglichen Kämpfer »on the front lines against the whisperers« einsetzen zu können. Kirkman et al.: Vol. 27, S. 10f. Im ursprünglichen Urteil über Negan hatte es noch geheißen: »You’re going to rot in jail until you die an old man, Negan.« Vgl. Kirkman et al.: Vol. 21, S. 136. 374 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 628. 375 Ebd., S. 808. 376 Vgl. Kirkman et al.: Vol. 22, S. 82-87.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

fülle zu überantworten wünscht, von der aus der unvermittelte, unmittelbare, transzendente Eingriff in jedwede (Sub-)Systemimmanenz wieder möglich wird, in der also das politisch-theologische Wunder wieder vollbracht werden kann, und zwar jederzeit, sobald und sofern es dem Souverän beliebt. Es mag dann auch wenig überraschen, dass sich dieser autoritäre Zug im Feld der Zombiekonfiguration ebenfalls bemerkbar macht. Wie es im Genre etabliert ist, fungieren die massierten Ausbreitungsmechanismen der Zombifizierung auch hier als Literalisierung des massenpsychologischen Theorems psychischer Infektion.377 Über dieser Infektionsebene wird nun aber gewissermaßen eine weitere Infektionsebene eingezogen, die Zombies aggregieren sich nämlich durch akustische Reize zu riesigen Zombieherden. So erklärt Abraham: That shot I just fired was heard in all directions for a long damn distance. […] Every rotting dead-alive fuck who just heard that is going to get up and start following that sound. That sound means people – and people means meat. Some of them are close and may actually make it to this area. […] Most of them can’t walk a straight line and are as dumb as a post – they’ll lose interest or walk off in the wrong damn direction. But sometimes […] one will walk by another one – and that one will get up and follow. Then they’ll meet more and they’ll meet more, and more and more and more. […] They’ll form a big group – and sometimes these groups will encounter another group – and they’ll merge. What you end up with is hundreds of these undead fucks – walking nonstop, following a sound they’ve all forgotten. […] These fucking groups are called herds. […] They’re bad fucking news.378 Wie bei Le Bon emergiert die untote Masse hier »aus der Entfernung unter dem Eindruck gewisser Ereignisse […], die alle Geister in dieselbe Richtung lenken«.379 Und wie bei Le Bon ist die einzige Hoffnung, die die Wenigen gegen diese Vielen haben, »vermittels eines anderen Einflusses eine Ablenkung [zu] versuchen«.380 Diese Ablenkung wird in »The Walking Dead« durch spezielle akustische Vorrichtungen realisiert, die einer simplifizierten Form großer Blechblasinstrumente ähneln. Berittene Soldaten der Siedlungen nutzen diese, um riesige Zombieherden entlang zuverlässig kartierter Routen zu dirigieren und sie so an den verbündeten Siedlungen vorbeizuführen.381 Und damit nicht genug, die Zombiemassen wer377 Vgl. Kapitel 4.1 in dieser Arbeit, insbesondere S. 126f. 378 Kirkman et al.: Compendium Two, S. 123. 379 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 91. An anderer Stelle verlegt Le Bon freilich die Ursächlichkeit eher auf die internen Reizstrukturen der Masse. Vgl. hierzu Kapitel 3.3 in dieser Arbeit, insbesondere S. 77. 380 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 16. 381 Vgl. Kirkman et al.: Vol. 22, S. 10-21. Kozmas These, nach der »The Walking Dead« eine postapokalyptische Detechnologisierung der Menschheit, also die »renunciation of human depence on technology« exaltiere, ist hiermit nur schwerlich vereinbar, denn Kirkmans revidierte Zivilisa-

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den mit ähnlichen Mitteln von den Whisperers, die mit Alexandria verfeindet sind, auch als Kriegswaffe eingesetzt. Mittels gereinigter Zombiehäute können sie sich inmitten solcher Herden bewegen und diese gezielt auf Alexandria lenken.382 Die kontrollwissenschaftliche Stoßrichtung Le Bons, mit der dieser seine konservativaristokratistische Phantasie der Massensteuerung unterlegte, wird hier also einer detaillierten Ausarbeitung zugeführt. Kirkmans »better job« einer revidierten Zivilisation, die er auf apokalyptisch entrümpeltem Feld neu erstehen lassen möchte, erleidet somit auf fatale Weise eine zunehmend autoritäre Schlagseite.383 Im Innenraum dieser Ordnung soll Sinn entstehen, indem man einerseits keine Wahl hat und dies andererseits durch die Überwachungsleistung einer rezentralisierten Machtfülle sanktioniert sieht, denn dieses immanente Operieren findet ja nur insofern statt, als es nicht transzendent unterbrochen wird. Alles Operieren ist hier also zentral gewollt oder, zumindest, nicht nicht-gewollt. Im Außenbereich ist diese Ordnung umschwärmt durch eine Masse hirntoter Menschenfresser, die sich mittels spezialisierter kontrollwissenschaftlicher Technologien einerseits um die Schutzwälle der Siedlungen herumlenken, andererseits aber ebenso gut als äußerst letale Kriegswaffe auf jeden betion entwickelt ja durchaus neue Technologien, die sich speziell auf die zombifizierte Umwelt richten und dadurch neue technologische Abhängigkeitsverhältnisse generieren. Vgl. Kozma, Alicia: »Leave It All Behind. The Post-Apocalyptical Renunciation of Technology in The Walking Dead«, in: Balaji (Hg.): Thinking Dead, S. 141-158, hier: S. 142. 382 Vgl. Kirkman et al.: Vol. 27, S. 132-136. 383 Ein gewisses reaktionäres Potential ist Kirkman in der Forschungsliteratur bereits verschiedentlich attestiert worden, allerdings kranken diese Analysen meist an einem beschränkten und übermäßig selektiven Zugriff auf die ausufernde Erzählung von »The Walking Dead«. So will Canavan etwa in der Comic-Reihe von »The Walking Dead« ein »pre-feminist narrative about the need to ›protect‹ women and children« erkennen. Vgl. Canavan, Gerry: »›We are the Walking Dead‹. Race, Time and Survival in Zombie Narrative«, in: Extrapolation 51, 3 (2010), S. 431-453, hier: S. 444. Zwar ist es zutreffend, dass insbesondere im anfänglichen Camp von Atlanta eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung zwischen den Wäsche waschenden Frauen und den mit Jagd und Verteidigung beschäftigten Männern entsteht, die dabei von Lori auch lautstark verteidigt wird. Vgl. Kirkman et al.: Compendium One, S. 60-63. Von Beginn an ist dies aber nicht nur Gegenstand von Kritik, es werden auch mehr und mehr weibliche Figuren aufgebaut, die wie Michonne und Andrea in ihren kriegerischen Qualitäten ihren männlichen Mitmenschen eher über- als unterlegen sind. Vgl. nur ebd., S. 420f, 962-977. Spätere Analysen kritisieren, dass Kirkmans Vision einer revidierten Zivilisation in eine »new society grounded in the heterosexual family as central unit of reproduction« münden würde. Vgl. Cortiel: »Travels with Carl«, S. 201. Ähnliches moniert auch Lockhurst, vgl. Lockhurst: Zombies, S. 194. Diese kritischen Einwände blenden dabei aber mehr aus als sie einbeziehen, denn in Kirkmans postapokalyptischem Siedlungsnetzwerk sind homosexuelle Paare nicht gerade selten und bestehen zudem aus zentralen Handlungsträgern. Vgl. nur Kirkman et al.: Compendium Two, S. 453; Kirkman, Robert/Adlard, Charlie/Moore, Tony/Rathburn, Cliff: The Walking Dead. Vol. 23 Whispers Into Screams, Berkeley (CA): Image Comics 2015, S. 79f. Vgl. außerdem The Walking Dead. Staffel 6, Episode 5, 0:29:30.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

liebigen Feind richten lassen. Die Postapokalypse, die Danny Boyle in »28 Days Later« inszeniert, und die Postapokalypse, die Robert Kirkmans »The Walking Dead« aufbietet, werden, so lässt sich hier schließen, auf zwar ähnliche Weise im Übersprung der apokalyptischen Umwälzung generiert. Sie zielen dabei aber in völlig unterschiedliche Richtungen. Während Hannah, Selena und Jim die stumme Gewalt des Naturzustands durch reinitiierte Kommunikation zu überwinden suchen und überwinden können, versteigt Kirkman sich in seinem großangelegten Versuch des »better job« seiner revidierten Zivilisation insofern, als seine postapokalyptischen Siedlungen weniger in der Überwindung als in der Fortschreibung apokalyptischer Politik verankert sind. Statt dem enthüllten Naturzustand eine neue Ordnung einzuschreiben, schreibt die neue Ordnung sich den Naturzustand ein, als deren optionaler Annex sie zu stehen kommt, der nur bestehen bleibt, sofern und solange dessen »head of security« sich nicht in seiner normativen Entbundenheit zu dessen Aussetzung entscheidet, »to break rules in order to keep our community safe«.384 Von hier aus lässt sich nun überblicken, dass eine Analyse des Zombiegenres, wie es sich seit Romero darstellt, entlang eines schmittianisch gedachten Modells der (Post-)Apokalypse zugleich erzählstrukturelle wie politisch-theoretische Beobachtungen ermöglicht, die eng ineinander verflochten sind. Zunächst: Wenn es zutrifft, dass sich das Zombie-Genre in zwei Genrelager aufteilen lässt, von denen eines vor allem auf die Steigerungsmöglichkeiten des Körperhorrors setzt, also »auf den verwundeten, deformierten und geöffneten Körper, der zunehmend das Opfer von menschlichen Monstern wie Serienmördern (Slashern) oder Kannibalen ist«385 , während sich das andere in stärkerem Maße auf den verwundeten, deformierten und geöffneten Gesellschaftskörper richtet, um den Fall der Fälle also, in dem, einer schmittianischen Epistemologie des Ernstffalls folgend, die »fabric of our very society«386 bloßliegt, so lässt sich nun die interne Relationierung von Körper- und Gesellschaftshorror unschwer einsehen. Dass nämlich auch Letzterer durchaus keinen Bogen macht um »gore and violence and all that cool stuff«387 , unterminiert nicht die heuristisch angenommene Differenzierung der Subgenre, sondern verweist vielmehr darauf, dass die Genrebeiträge, die sich in stärkerem Maße dem Gesellschaftshorror verpflichtet sehen, die Elemente des Körperhorrors weniger um ihrer selbst willen denn als instrumentell eingesetzte Funktionen ihrer Erzählungen vom Ernstfall nutzen. Der Gesellschaftshorror bedient sich ja der Inszenierung brutaler Gewalt und zergliederter Körper, um den enthüllten Naturzustand 384 385 386 387

Kirkman et al.: Compendium Two, S. 628. Meteling, Arno: Monster, S. 15. Vgl. auch ebd., S. 72f. Kirkman et al.: The Walking Dead Vol. 1, S. 5f. Ebd.

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darstellbar zu machen, der als relationale Größe innerhalb ihrer inhärenten Apokalyptizität benötigt wird. Die apokalyptische Politik, die dabei zutage tritt, kommt nun aber auf verschiedenen Ebenen zu stehen. Während in der zweiten Genrephase, die sich vor allem durch Romeros Zombie-Filme der 60er, 70er und 80er geprägt sieht, eine redundante Insistenz auf der notwendigen Unterbrechung der gesellschaftlichen Operativität entsteht, in der wieder und wieder die Gewalt der Zombies aufgewendet werden muss, um die unendliche Verkettung innergesellschaftlicher Konfliktkommunikationen zum Verstummen zu bringen, erzählt die dritte Genrephase linear über diese einmal eingetretene Unterbrechung hinaus – und stellt ihre Endgültigkeit und Notwendigkeit gerade dadurch zunehmend in Frage. Denn im weiten Raum, der sich hinter dem gesellschaftlichen Zusammenbruch auftut, kommen nun gerade diejenigen Möglichkeiten von Politik wieder zum Tragen, die diesseits der bellizistischen Unterbrechungsleistung schmittianischer Politik verbleiben. Anders gesagt: Während Romeros Filme die apokalyptische Unterbrechung als eine Notwendigkeit selbst einzufordern scheinen, also selbst eine Form apokalyptischer Politik betreiben, wird dies in Boyles »28 Days Later« sowie in Kirkmans »The Walking Dead« gerade innerdiegetisch ausverhandelt und erzählerisch erprobt, indem der bei Romero so zwingenden apokalyptischen Politik, dieser permanenten Ausrichtung an der Unterbrechung des Ernstfalls, eine weitere Möglichkeit, die postapokalyptische Politik, hinzugefügt wird, ein Handlungsprogramm also, das den Ernstfall nicht außer Acht lässt, ihn aber zu überwinden sucht, das heißt jenen Raum diesseits des kriegerischen Naturzustands erreichen und erhalten will und nicht die permanente Transzendierung desselben zugunsten einer perpetuierten Prozessierung der Freund-Feind-Unterscheidung. Dass Kirkmans Postapokalyptik sich am Ende aber doch wieder in den gänzlich apokalyptischen Prämissen verheddert, die sie von Beginn an eingespeist hatte, und daher die Gemeinschaften, die dem enthüllten Naturzustand entkommen zu sein glauben, sich in einem einigermaßen autoritär-reaktionären Gefüge wiederfinden, das diese Überwindung jederzeit zurücknimmt, sobald und sofern es der zentralisierten Entscheidungsinstanz namens Rick Grimes beliebt, zeigt eines sehr deutlich: Die Epistemologie der »extreme situations«, mit der ein Blick auf »the fabric of our very society«388 ermöglicht werden soll, wird den Schleier immanenter Prozessualitäten stets zuverlässig lüften können, allerdings nur um den Preis, darunter nichts als ihre eigenen Prämissen vorfinden zu können. Die postapokalyptische Phase des Zombiegenres schwankt somit zwischen einem Rückfall in autoritäre Logiken, die sich aus den an und für sich dezentrierten apokalyptischen Prämissen offenbar zuverlässig wieder entfalten lassen, und solchen Genrebreiträgen, die dem widerstehen können. Mit einem »HELLO« entwerfen sie ein genuin postapokalyptisches Kommunikationsangebot, das den Abgrund zu schließen sucht. 388 Ebd.

4. Analyse: Die Kopplung Masse – Apokalypse im Zombie-Genre

Analysiert man also die drei Phasen in der Geschichte des Zombiegenres auf die jeweilige Entfaltung dessen, was hier als Kopplung von Masse und Apokalypse benannt und mittels massenpsychologischer sowie schmittianischer Begriffe theoretisiert worden ist, so zeigen sich drei unterschiedliche Konfigurationen, die in unterschiedlicher Weise mit den genannten Theorien konvergieren. Während sich die erste Phase der Genregeschichte einer Aufschlüsselung durch Theoreme der Massenpsychologie gerade deshalb anbietet, da sie mit dieser den reaktionären Impuls teilt, das apokalyptische Potential der Masse eindämmen und zugleich ihr ökonomisches Potential bewirtschaften zu wollen, lässt sich die zweite Phase mittels schmittianisch konstruierter Vorstellungen von Apokalypse, Souveränität und Naturzustand beschreiben, da sie Affinitäten zu deren autoritär-revolutionärer Stoßrichtung unterhält, die eine positiv gegebene Ordnung wieder und wieder im Massenschlund verschwinden sehen will. In der dritten Phase bleiben diese Prämissen nun weiterhin präsent, sie werden aber zunächst dezentriert und gestalten von dort aus entweder Modelle einer neuen, postapokalyptischen Remodellierung, oder aber sie fallen zurück, lassen sich wieder hineinsaugen in die eskalativen Strudel blutiger Entschleierungsdynamiken.

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5. Schlusswort

In der politisierten Verschaltung von Masse und Apokalypse handelt es sich letztlich um ein revolutionstheoretisches Konstrukt. Es geht um kollektivierte, unterkomplex strukturierte Ansammlungen von Akteuren, die, als enthüllte Transzendenz, eine positiv beschreibbare, immanent operierende Ordnung außer Kraft setzen. Während die Massenpsychologie dies reaktionär zu verhindern sucht, wird es im schmittianischen Verständnis als Chance begriffen zugunsten einer unterbestimmten neuen Struktur, deren rezentralisiertes Herrschaftsgefüge sich an die Stelle der vorherigen funktional differenzierten Heterarchie setzen soll. Die einzelnen Filme und Romane aus der Frühphase des Zombiegenres positionieren sich dabei wie die Massenpsychologie reaktionär, sie richten ihr Interesse auf die Einhegung und Bewirtschaftung einer bewusstlosen Masse. Sowohl die Übergängigkeit von Individualhypnose und Massenemergenz als auch die Ambivalenz, mit der sich die bewusste Herrschaft durch ihr bewusstloses Herrschaftsobjekt zugleich legitimiert wie bedroht sieht, lassen sich in den einschlägigen Filmen und Romanen dieser Zeit massenpsychologisch beschreiben. Zudem aktualisiert sich die geschichtsphilosophische Verklammerung: Die Masse, die innerhalb der Kultur eine vorzivilisatorische Ausnahme aufspeicherte, entschleiert am Ende den Naturzustand. In Romeros Filmen bleiben die massenpsychologisch formulierbaren Muster zwar vorhanden, es tritt aber ein Zusammenspiel von Überlebendengruppe und gesamtgesellschaftlichem Gefüge hinzu, in dem sich diese in mikro- bzw. makroperspektivischer Entsprechung gegenüberstehen. Sie spiegeln sich dabei in ihrer Unfähigkeit, die hergebrachten immanenten Operativitäten zu unterbrechen, die hier als eskalierende Konfliktkommunikationen zu stehen kommen, um zu einer naturzustandsgemäßen Entscheidungsprozessierung zu gelangen. Mit Schmitt gelesen, erweist sich dann die Unterbrechungsleistung der Zombie-Masse als unausweichliche Enthüllung einer transzendenten, unterscheidungs- und entscheidungssicheren, souveränen Gewalt. Innerdiegetisch ist diese Apokalypse immer notwendig, die Filme betreiben demnach in schmittianischer Weise revolutionär-apokalyptische Politik. Wie Schmitts zirkulär verkettete Leerformeln immer nur auf das verweisen können, was außerhalb ihrer selbst liegt, so verweist auch diese von Rome-

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ro geprägte Genrephase in ihrem serialisierten Umzirkeln des Untergangs, in der Redundanz ihrer Apokalypsevariationen, immer wieder von Neuem auf das, was außerhalb und jenseits der hergebrachten, immanenten Operativität der Gesellschaft auf eine blutige Reaktualisierung harrt. In beiden Fällen ist dies: die gewaltsame Intensität des entschleierten Naturzustandes. Nach der Jahrtausendwende werden sowohl die massenpsychologisch formulierbaren wie auch die apokalyptisch-politischen Topoi im Genre reaktualisiert, dies erfolgt aber auf durchaus unterschiedliche Art und Weise. In »28 Days Later« erfährt die Apokalypse etwa eine dreifache Relativierung, indem sie, erstens, diegetisch übersprungen wird, zweitens, nur noch als ein Deutungsmuster unter anderen erscheint, und, drittens, als politisiertes Modell zum Gegenstand der Filmhandlung und nicht mehr nur als deren unterschwellige Agenda zum Tragen kommt. Auch werden hier dem Modell der apokalyptischen Politik Konzepte einer postapokalyptischen Politik gegenübergestellt, in der die Gegebenheiten des entschleierten Naturzustands zwar weiterhin eingerechnet, nicht aber zum alleinigen Möglichkeitshorizont eskaliert sind. Dagegen zeigt sich am Beispiel der ComicSerie »The Walking Dead«, dass die serialisierte Auserzählung der Postapokalypse – und die daraus folgende Depotenzierung der Apokalypse im eigentlichen Sinne – die autoritären Potenzen der Masse-Apokalypse-Kopplung nicht zwangsläufig ausstreichen müssen, sondern sich diese, im Gegenteil, unter der Hand wieder reaktualisieren können. Überdeutlich wird dies anhand der postapokalyptischen Siedlungen, die in »The Walking Dead« dem entschleierten Naturzustand mühsam abgetrotzt werden und sich in ihrer Darstellung vor allem als utopische Überwindung der überbordenden Komplexität heterarchisch autonomer Subsyteme motivieren, wie sie innerhalb einer funktional differenzierten Gesellschaft der Normalfall ist. Die postapokalyptische Idylle antwortet somit auf das, was der Massenpsychologie als unkontrollierbare Vermassung erschien und was auch Schmitt einer rezentralisierten Kollektivsouveränität restituieren wollte. Wenn das Zombiegenre als iterativer Prozess im Wechselspiel von Rezipientenerwartung und produzentenseitig antizipierter Erwartungserwartung zu denken ist und am Ende als eine Reihe zu stehen kommt, deren Untersuchung deshalb immer auf andere Reihen der Gesellschaft stoßen muss, da es in seiner Schwingung zwischen Redundanz und Modifikation Reize der gesellschaftlichen Umwelt prozessieren kann, die auch andere Reihen, etwa die theoretischer Schriften, prozessieren müssen, so lässt sich auf diese Weise die spezifische Konvergenz dieser Prozessierung beschreiben. Gustave Le Bons und Sigmund Freuds Massenpsychologie, Carl Schmitts Politische Theologie und Theorie wie auch das Zombie-Genre verarbeiten mit der Kopplung aus Masse und Apokalypse, auf je eigene Weise, Topoi einer autoritären Perspektive auf die funktionale Differenzierung von Gesellschaft. Dass eine solche Analyse nicht nur Ergebnisse in einer Richtung, in die des Zombiegenres, sondern auch in die andere, also die der theoretischen Grundlegun-

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gen, ermöglicht, zeigt sich in zwei Hinsichten. Erstens muss Schmitts Anspruch, im Wege seiner Politischen Theologie und Theorie eine Hegung der Politik, des Krieges gar, befördern zu können1 , verstärkt in Zweifel gezogen werden. In der unablässigen erzählerischen Entfaltung der Potentiale, die apokalyptischer Politik innewohnen, zeigt sich diese zwar als hochgradig adaptiv, wenn es um die Handlungsprogramme bellizistisch kollektivierter Klanstrukturen geht oder um die unterscheidungs- und entscheidungssicheren hirntoten Massen in ihrer unablässigen Prozessierung der Freund-Feind-Differenz. Von einer befriedenden Wirkung aber weiß ihre erzählerische Erprobung im Zombiegenre nichts zu berichten und es mag, angesichts der überbordenden Fülle von Filmen, TV-Serien, Romanen, Comics, Computerspielen usf. einerseits und der fortwährenden Modifikationsdynamik innerhalb der genreinternen Iteration andererseits, wenig naheliegend erscheinen, dass sich dies durch eine, wie auch immer geartete, Einseitigkeit ihrer narrativen Entfaltung erklären ließe. Zweitens erweist sich in der Anwendung der Massenpsychologie auf die Frühphase des Genres, dass Sigmund Freuds libidotheoretische Umschrift der Massenpsychologie, wie sie von Le Bon entworfen worden ist, zwar insofern erfolgreich ist, als sie die vielen widersprüchlichen Verwicklungen des ursprünglichen Theoriedesigns ausmerzen kann, sie dabei aber zugleich einen immensen Komplexitätsverlust in Kauf nehmen muss, indem die Masse zum Sekundärprodukt und Epiphänomen der Führungsinstanz degradiert wird. Ohne Führer keine libidinöse Bindung in der Vertikalen, ohne Verliebtheit in der Vertikalen keine affektive Analogie als Grundlage einer libidinösen Bindung in der Horizontalen und ohne diese keine Massenbildung. So problematisch Le Bons Überlegungen sich auch darstellen mögen, erlauben sie dennoch, eine spontane, führerlose Massenbildung, ein Emergenzphänomen im eigentlichen Sinne also, beschreibbar zu machen, und es ist darum wenig verwunderlich, dass Romeros Vorläufer, »Invasion of the Body Snatchers« wie »The Last Man on Earth«, wie auch Romero selbst, wenig von Freuds libidotheoretischer Vereindeutigung des Le Bon’schen Entwurfs profitieren können, entfalten sie doch sehr deutlich eine gänzlich selbsttätige, autonome und unvorhersehbare Massenbildung. Und umgekehrt darf es nicht wundern, dass auch erst hier die biopathologische Literalisierung der »contagione mentale«2 einsetzt, die bei Le Bon als zentrale Metapher fungiert, während die vorherigen, freudianisch orientierten Zombiefilme und -romane von einer solch literalisierten Infektionsmetapher kaum etwas wissen können, sie wird in der freudianischen Konzeption nur als Staffage mitgeführt, ohne irgendein theorieinternes Gewicht zu besitzen. Zuletzt sei darauf verwiesen, dass aus der heuristisch formulierten Unterscheidung eines Subgenres, das allein auf die steigerbaren Inszenierungspotentiale des 1 Vgl. Kapitel 3.2 in dieser Arbeit, insbesondere S. 60f. 2 Le Bon: Psychologie der Massen, S. 15

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Meteling’schen Körperhorrors setzt, und eines Subgenres, das Körperhorror instrumental einsetzt, um den Fokus weniger auf zergliederte Einzelkörper denn auf einen zusammenbrechenden Gesellschaftskörper zu richten, zwei Desiderate abzuleiten sind. Erstens wäre zu fragen, ob die dargelegten Beobachtungen sich auch an dem verifizieren lassen können, was hier als Körperhorror-Subgenre größtenteils ausgespart blieb, etwa an der Trilogie von »Return of the Living Dead«, aber auch an dem ausufernden Film-Franchise von »Resident Evil« und dessen gleichnamiger C omputerspielvorlage. Zweitens wäre zu untersuchen, ob sich die zunächst nur heuristisch formulierte Unterscheidung zwischen Körperhorror-Subgenre und Gesellschaftshorror-Subgenre erhärten lässt, etwa über die Beobachtung diskursivierter Genreerwartungserfüllungen, wie sie sich etwa, und dies wäre ein erstes Indiz, durchaus an Robert Kirkmans deutlicher Parteiname ablesen ließe: gegen »splatter fests of gore and violence with goofy characters and tongue in cheek antics« und für jene Genrebeiträge, die sich in zentraler Weise einem »social commentary and thoughtfulness« widmen, dem insistenten Blick also auf »the fabric of our very society« und den »extreme situations«, anhand derer jene, der Epistemologie des Ernstfalls entsprechend, erst evident werden kann.3

3 Kirkman, Robert/Moore, Tony: The Walking Dead Vol. 1, S. 5f.

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Kulturwissenschaft Gabriele Dietze

Sexueller Exzeptionalismus Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus 2019, 222 S., kart., 32 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4708-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4708-6

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Stephan Günzel

Raum Eine kulturwissenschaftliche Einführung 2017, 158 S., kart., 30 SW-Abbildungen 14,99 € (DE), 978-3-8376-3972-8 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3972-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kulturwissenschaft Katrin Götz-Votteler, Simone Hespers

Alternative Wirklichkeiten? Wie Fake News und Verschwörungstheorien funktionieren und warum sie Aktualität haben 2019, 214 S., kart., Dispersionsbindung, 12 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4717-4 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4717-8 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4717-4

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Elena Beregow, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Annekathrin Kohout, Nicolas Pethes, Miriam Zeh (Hg.)

POP Kultur & Kritik (Jg. 8, 2/2019) 2019, 180 S., kart. 16,80 € (DE), 978-3-8376-4457-9 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4457-3

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Forensik Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2019 2019, 128 S., kart., 20 Farbabbildungen 14,99 € (DE), 978-3-8376-4462-3 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4462-7

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